Betriebsfortführung in der Insolvenz [2 ed.] 9783814557014

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Betriebsfortführung in der Insolvenz [2 ed.]
 9783814557014

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Mönning Betriebsfortführung in der Insolvenz

Betriebsfortführung in der Insolvenz

2., neu bearbeitete Auflage 2014

herausgegeben von Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning

bearbeitet von Daniel Bauch, Prof. Dr. Christian Berger, Friedrich Birnbreier, Dr. Jochen Blöse, Dr. Mark Boddenberg, Charalambos Bograkos-Tzannetakos, Eric Coordes, Detlev Cornelius, Dr. Friedrich L. Cranshaw, Artur Deichmann, Prof. Dr. Martin Dreschers, Udo Feser, Robert Fliegner, Dr. Michael Flitsch, Dr. Michael C. Frege, Ingo Gerdes, Erwin Gerster, Dr. Marc Alexander Göb, Marion Gutheil, Ottmar Hermann, Dr. Frank Kebekus, Dr. Christoph Keller, Prof. Ulrich Keller, Dr. Oliver Klöck, Alexander Langenmayer, Dr. Ellen Meyer-Sommer, Michael Mönig, Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Dr. Matthias Nicht, Michael Pluta, Prof. Dr. Hanns Prütting, Knut Rebholz, Hans-Peter Runkel, Cornelia Schäfer, Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Henning Schorisch, Jörg Spies, Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Dr. Sven-Holger Undritz, Holger Voskuhl, Dr. Stefan Weniger, Dr. Carsten M. Wirth, Dr. Hermann Peter Wohlleben, Wolfgang Zenker, Dr. Franc Zimmermann

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Inhaltsübersicht Seite Vorwort .................................................................................................................................. V Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ IX Autorenverzeichnis ......................................................................................................... XVII Literaturverzeichnis ......................................................................................................... XXV

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung §1

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung (Uhlenbruck) ....................................................................... 3

§2

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung (Prütting) ..................... 29

§3

Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil (Rebholz) .... 41

§4

Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht (Feser) ........ 49

§5

Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (Runkel/Fliegner) ................................................................... 59

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung §6

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung (Weniger) .............................................................................................. 75

§7

Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht (Gerster) ................................ 89

§8

Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss (Kebekus/Zenker) ................................................................... 157

§9

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung (Hermann) ............ 187

§ 10 Kommunikation in der Insolvenz (Voskuhl) .......................................................... 233 § 11 Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren (Mönning) ..................................... 259

Teil III Einzelfragen § 12 Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung (Boddenberg) ............................................................................................................ 355 § 13 Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung (Schorisch/Cornelius) ............................................................................................... 373 § 14 Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung (Dreschers) ................ 417 § 15 Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme (Schäfer) ................ 453 § 16 Die Finanzierung der Betriebsfortführung (Pluta/Ch. Keller) ............................. 507 § 17 Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechte, Pflichten, Konfliktpotential (Flitsch/Birnbreier) .................................................................... 541 VII

Inhaltsübersicht § 18 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz (Klöck/Gerdes) ............ 557 § 19 Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung (Zimmermann) ......................................................................................................... 579 § 20 Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung (Wirth/Göb) ..... 603 § 21 Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters (Hermann/Cranshaw) .............................................................................................. 625 § 22 Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht (Cranshaw) ............................................................................................................... 687 § 23 Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft (Blöse) ......................... 729 § 24 Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Planverfahren und im Schutzschirmverfahren (Spies) ................................................................................ 743 § 25 M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung (Deichmann) ................................. 799 § 26 Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz (Gutheil) ............................................ 827 § 27 Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen (Undritz/Meyer-Sommer) ........................................................................................ 843 § 28 Betriebsfortführung in Sonderfällen (Mönig/Coordes) .......................................... 869 § 29 Betriebsfortführung und Versicherungsschutz (Langenmayer) ............................ 901 § 30 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen (Bograkos) ........ 925 § 31 Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich (Bauch) .................................................................................... 939 § 32 Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz (Wohlleben) ............................... 953

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung § 33 Interne und externe Rechnungslegung, Steuern (Schmittmann) .......................... 971 § 34 Externe Schlussrechnungsprüfung (Schmittmann) .............................................. 1007 § 35 Haftung des Insolvenzverwalters (Frege/Berger/Nicht) ....................................... 1013 § 36 Vergütungsfragen (U. Keller) ................................................................................ 1037

Stichwortverzeichnis ......................................................................................................... 1057

VIII

§ 34 Externe Schlussrechnungsprüfung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung ......................... 4 III. Auswahl des Schlussrechnungsprüfers ........................................................ 12

IV. Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung ....................... 16 V. Kosten der Schlussrechnungsprüfung ... 19

Literatur: Bähner/Berger/Braun, Die Schlußrechnung des Konkursverwalters, ZIP 1993, 1283; Braun/Heinrich, Auf dem Weg zu einer (neuen) Insolvenzplankultur in Deutschland – Ein Beitrag zu dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, NZI 2011, 505; Hebenstreit, Prüfung der Schlussrechnungen durch das Insolvenzgericht, ZInsO 2013, 276; Heyrath, Die Prüfung der Schlussrechnung (Teil 1), ZInsO 2005, 1092; Kahlert, Umsatzsteuerliche Behandlung der Einschaltung eines externen Kassenprüfers im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 2439; Madaus, Grundlage und Grenzender Bestellung von Sachverständigen in der gerichtlichen Schlussrechnungsprüfung, NZI 2012, 119; Reuter, Handlungsreisender in Sachen Insolvenz, INDat-Report 09/2012, 34; Schirmer, Kosten für einen externen Kassenprüfer im Insolvenzverfahren – Auslagen oder Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO?, DStR 2012, 733; Vierhaus, Zur Verfassungswidrigkeit der Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf Private, ZInsO 2008, 521; Weitzmann, Rechnungslegung und Schlussrechnungsprüfung, ZInsO 2007, 449.

I.

Einleitung

Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der Beendigung seines Amtes 1 einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Die als Tätigkeitsbericht anzusehende Schlussrechnung besteht aus x

einer Einnahme-Überschussrechnung,

x

ggf. einer Insolvenzschlussbilanz,

x

dem Schlussverzeichnis und

x

dem Schlussbericht, der ein vollständiges Bild der gesamten Tätigkeit des Verwalters geben muss.1)

Das Insolvenzgericht prüft vor der abschließenden Gläubigerversammlung gemäß § 66 Abs. 2 2 Satz 1 InsO die Schlussrechnung des Verwalters. Schon aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass es grundsätzlich die Aufgabe des Gerichts ist, die Schlussrechnung des Verwalters zu prüfen, bevor sie zur Einsicht der Beteiligten gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO ausgelegt wird. Im Insolvenzplanverfahren kann seit Inkrafttreten des ESUG gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 3 InsO eine abweichende Regelung getroffen werden. Das Erfordernis einer Schlussrechnungslegung wird zur Disposition der Beteiligten gestellt.2) II.

Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung

Aus dem Gesetz ergibt sich ohne weiteres, dass die Prüfungspflicht dem Gericht obliegt. 4 Zuständig ist gemäß §§ 3 Nr. 2 lit. e, 18 RPflG im eröffneten Verfahren der Rechtspfleger, während für die Prüfung der Rechnungslegung des vorläufigen Verwalters gemäß § 6 RPflG der Richter zuständig ist.3) ___________ 1) Vgl. im Einzelnen Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 5. 2) Vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 8; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 32; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513. 3) So Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 18; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 37; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 15.

Schmittmann

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§ 34

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

5 Obwohl die Prüfung der Schlussrechnungslegung originäre Aufgabe des Gerichts („Kernbereich“) ist,4) kann ein Sachverständiger zur Prüfung der Schlussrechnungslegung bestellt werden, wenn dem Gericht die Sachkunde fehlt.5) Dies enthebt den Rechtspfleger allerdings nicht von seiner eigenen Prüfungspflicht.6) 6 Dem Sachverständigen darf allerdings lediglich die rechnerische Prüfung der Schlussrechnung übertragen werden.7) Soweit zum Teil vertreten wird, dass auch die rechtliche Prüfung dem Sachverständigen aufgegeben werden darf,8) so ist dieser Auffassung nicht zu folgen, da ein Sachverständiger durch das Gericht nur dann bestellt werden kann, wenn dem Gericht die eigene Fachkunde fehlt, was bei Rechtsfragen, sofern es sich nicht um ausländisches Recht handelt, nicht gegeben sein kann. Im Übrigen darf das Gericht auch Wertentscheidungen nicht aus der Hand geben.9) Es ist daher richtig, wenn bei einigen Gerichten grundsätzlich Schlussrechnungsprüfungen nicht extern vergeben werden.10) 7 Die externe Schlussrechnungsprüfung kann auch auf bestimmte Bereiche beschränkt werden.11) Die Beschränkung kann sich sowohl auf bestimmte Zeiträume als auch bestimmte Sachfragen beziehen. 8 Die Anordnung einer externen Schlussrechnungsprüfung darf keinesfalls standardisiert erfolgen.12) Sie kommt nur in Betracht, wenn das Gericht nicht in der Lage ist, die Schlussrechnungsprüfung vorzunehmen, was in der Regel nur dann der Fall ist, wenn die Schlussrechnung einen Umfang hat, der die Arbeitskraft des Rechtspflegers in einem solchen Umfang bindet, dass andere Vorgänge nicht mehr sachgerecht erledigt werden können. In diesen Fällen sollte aber zugleich erwogen werden, ob das Gericht sich auf Stichproben beschränkt. Sofern sich bei den Stichproben weder Unregelmäßigkeiten noch sonstige Beanstandungen ergeben, kann auf eine lückenlose Prüfung verzichtet werden.13) Im Übrigen ist es Sache der Gläubiger, in die ausgelegte Schlussrechnung mit den Belegen Einsicht zu nehmen. 9 Die Anordnung der Schlussrechnungsprüfung durch das Gericht begegnet insoweit Bedenken, weil mangelnde personelle und sachliche Ausstattung der Insolvenzgerichte auf die Gläubiger abgewälzt werden, indem die Kosten der externen Schlussrechnungsprüfung aus der Masse gezahlt werden.14) Zu Recht wird darin ein Verstoß gegen den Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG gesehen.15) 10 Die Hinzuziehung eines Sachverständigen wird als unzulässig angesehen, wenn ein Gläubigerausschuss vorhanden ist. In diesen Fällen ist die Wahrnehmung der gläubigerseitigen ___________ 4) So ausdrücklich: Hebenstreit, ZInsO 2013, 276. 5) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 23; Kübler/Prütting/ Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; Heyrath, ZInsO 2005, 1092, 1096; a. A. Vierhaus, ZInsO 2008, 521 ff. 6) So auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.2009 – 8 W 265/09, ZIP 2010, 4981 f. = NZI 2010, 191 f.; Vorinstanz: LG Heilbronn, Beschl. v. 4.2.2009 – 1 T 30/09, ZIP 2009, 1437 f. = NZI 2009, 606 f. 7) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23. 8) So Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 20; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 33. 9) S. Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 10) So z. B. beim AG Hof; vgl. Reuter, INDat-Report 9/2012, 34. 11) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23, Bähner/Berger/Braun, ZIP 1993, 1283, 1289. 12) So Weitzmann, ZInsO 2007, 449, 453; Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 13) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 19. 14) So Hebenstreit, ZInsO 2013, 276, 277. 15) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13.

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§ 34

Externe Schlussrechnungsprüfung

Rechnungsprüfung über die Pflicht zur Kassenprüfung, § 69 Satz 2 InsO, gewährleistet. Der Gläubigerausschuss kann einen sachverständigen Prüfer beauftragen.16) Die Anordnung der Schlussrechnungsprüfung ist nicht anfechtbar.17) III.

11

Auswahl des Schlussrechnungsprüfers

Das Gericht ist in der Auswahl des Sachverständigen frei. Dem steht insbesondere § 404 12 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, da es keine öffentliche Bestellung für die Durchführung einer externen Schlussrechnungsprüfung gibt. Es liegt allerdings nahe, mit der externen Prüfung der Schlussrechnung Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu beauftragen. Auch die Praxis einiger Insolvenzgerichte, pensionierte Finanzbeamte oder erfahrene Betriebswirte zu beauftragen, ist nicht zu beanstanden. Die Auswahl des Sachverständigen ist von der Schwierigkeit und Größe des Verfahrens abhängig. Das Gericht hat von der Beauftragung eines Sachverständigen zur Prüfung der Schluss- 13 rechnung abzusehen, der im selben Gerichtsbezirk wie der Insolvenzverwalter, der die Schlussrechnung erstellt hat, tätig ist. In diesem Falle steht dem Insolvenzverwalter ein Ablehnungsrecht wegen Besorgnis der Befangenheit zu.18) Im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl von Insolvenzverwalterkanzleien inzwischen bundesweit tätig ist, dürfte in vielen Fällen ein Ablehnungsantrag des Insolvenzverwalters begründet sein. Es liegt nahe, dass ein Schlussrechnungsprüfer, der mit dem Insolvenzverwalter in einem beruflichen Konkurrenzverhältnis um die Erteilung von Aufträgen desselben Insolvenzgerichts steht, die Schlussrechnungsprüfung zum Anlass nimmt, sich selbst zu profilieren. Dies ist allerdings zunehmend auch bei einer Vielzahl anderer Schlussrechnungsprüfer zu beobachten. Grundsätzlich ist allerdings die Beauftragung eines (ggf. früheren) Insolvenzverwalters 14 mit der Durchführung von Schlussrechnungsprüfungen sinnvoll, da dieser in aller Regel die Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung kennt und dadurch Rückfragen vermieden werden.19) Bei der Auswahl des Schlussrechnungsprüfers sollte neben seiner nachgewiesenen Fach- 15 kunde auch seine insolvenzrechtliche Erfahrung berücksichtigt werden. IV.

Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung

Der Insolvenzverwalter reicht seine Schlussrechnung beim Insolvenzgericht ein. Sie wird 16 an Gerichtsstelle geprüft, wenn die Prüfung durch den Rechtspfleger erfolgt. Erfolgt die Schlussrechnungsprüfung durch einen externen Schlussrechnungsprüfer, ent- 17 spricht es der Praxis, dass die Schlussrechnung mit allen Unterlagen, in der Regel auch einschließlich der Gerichtsakte, dem Schlussrechnungsprüfer übersandt wird, da ihm beim Insolvenzgericht in der Regel keine Räume zur Verfügung gestellt werden können, in denen er seine Arbeiten sachgerecht erledigen kann. In Großinsolvenzverfahren werden der Schlussrechnung hunderte von Aktenordnern 18 mit Unterlagen zugrunde liegen. Im Rahmen der Überprüfung einer Teilschlussrechnungs___________ 16) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 25. Pape/ Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 23. 17) So OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.1985 – 15 W 441/85, ZIP 1986, 724 f., dazu EWiR 1986, 399 f. (Eickmann); Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13; Uhlenbruck-Uhlenbruck, § 66 Rz. 3; Pape/UhländerFliegner, InsO, § 66 Rz. 26. 18) So OLG Köln, Beschl. v. 6.12.1989 – 2 W 173/89, ZIP 1990, 58 ff., dazu EWiR 1991, 381 f. (Reimer) K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 24. 19) Vgl. Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 26; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

legung gab das Insolvenzgericht einem Insolvenzverwalter auf, etwa 500 Aktenordner mit notwendigen Unterlagen dem Insolvenzgericht vorzulegen.20) In Verfahren dieser Größenordnung kann es allerdings zweckmäßig sein, die Schlussrechnungsprüfung in den Räumen des Insolvenzverwalters, in ggf. ausgelagerten Lagerstätten oder im schuldnerischen Unternehmen durchzuführen, sofern die Schlussrechnungsunterlagen dort vorliegen. In diesen Fällen sollte das Gericht sachgemäß abwägen, welche Anordnung es trifft und nicht schematisch darauf beharren, dass die Schlussrechnungsunterlagen beim Gericht vorgelegt werden. V.

Kosten der Schlussrechnungsprüfung

19 Die externe Prüfung der Schlussrechnung löst nicht unerhebliche Kosten aus. Eine feste Gebühr ist nicht vorgesehen. Vielmehr rechnen externe Schlussrechnungsprüfer ihre Tätigkeit nach Anzahl der aufgewendeten Stunden ab, was teilweise zu Gebühren führt, die in die Nähe der Insolvenzverwaltervergütung reichen. Fraglich ist die rechtliche Einordnung dieser Kosten. Grundsätzlich obliegt die Prüfung der Schlussrechnung dem Insolvenzgericht, so dass die Kosten der Schlussrechnungsprüfung mit den Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren abgegolten sind. 20 Die Kosten der Schlussrechnungsprüfung durch einen externen Sachverständigen sind Kosten des Insolvenzverfahrens gemäß § 54 Nr. 1 InsO, die von der Insolvenzmasse zu tragen sind.21) 21 Diese Praxis begegnet Bedenken, da die Justiz einerseits, ohne dass sich die Gerichtskosten ermäßigen, weniger Leistung erbringt und andererseits die Insolvenzmasse mit den Kosten der externen Rechnungsprüfung belastet werden, was im Ergebnis zu einer Quotenverschlechterung für die Gläubiger führt. Darüber hinaus begegnet diese Praxis auch unter dem Gesichtspunkt der Übertragung hoheitlicher Tätigkeit auf Private Bedenken.22) 22 Es handelt sich nicht um Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Auftragserteilung nicht durch den Insolvenzverwalter für das schuldnerische Unternehmen erfolgt, sondern durch das Gericht. Dies hat zur Folge, dass die vom externen Schlussrechnungsprüfer in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden kann, da es sich bei dem Gericht nicht um einen Unternehmer handelt, der gemäß § 15 Abs. 1 UStG i. V. m. § 14 UStG Vorsteuer geltend machen kann. Die Vorsteuer kann auch nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, da keine Leistung gegenüber dem insolventen Unternehmen erbracht wird, sondern gegenüber dem Gericht. 23 Hier zeigt sich umso deutlicher, dass es für den Staat unter mehreren Gesichtspunkten erstrebenswert ist, in möglichst vielen Insolvenzverfahren eine externe Schlussrechnungsprüfung vorzunehmen. Die externe Vergabe der Prüfung spart bei der Justiz personelle Ressourcen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Gerichtskosten zumindest in großen Unternehmensinsolvenzverfahren für die Justiz eine nicht unerhebliche Einnahmequelle darstellen, denen nicht immer eine adäquate Gegenleistung gegenübersteht. Darüber hinaus hat der Schlussrechnungsprüfer die von ihm in Rechnung gestellte und von der Insolvenzmasse über die Gerichtskosten gezahlte Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, ohne dass dem ein Vorsteueranspruch eines anderen Unternehmers gegenübersteht, so dass hier ein weiterer finanzieller Vorteil für den Fiskus entsteht. ___________ 20) So BGH, Beschl. v. 7.4.2011 – IX ZB 170/10, ZIP 2011, 1123 f. = NZI 2011, 442 f. 21) So OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.10.2009 – 8 W 265/09, ZIP 2010, 491 f. = NZI 2010, 191 f.; LG Heilbronn, Beschl. v. 4.2.2009 – 1 T 30/09, ZIP 2009, 1437 f. = NZI 2009, 606 f.; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2012, § 66 Rz. 23; K. Schmidt-Rigol, InsO, § 66 Rz. 23; Pape/Uhländer-Fliegner, InsO, § 66 Rz. 23. 22) Vgl. Madaus, NZI 2012, 119, 124 ff.

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§ 34

Externe Schlussrechnungsprüfung

Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der Überwachung des Insolvenzverwalters 24 durch den Gläubigerausschuss gemäß § 69 Satz 1 InsO. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und Geldverkehr/-bestand prüfen zu lassen. Dabei kann die Prüfung einem sachverständigen Dritten übertragen werden.23) Da Auftraggeber die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind, entstehen ebenfalls keine Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern erst Massekosten nach § 54 Nr. 2 InsO, wenn diese im Wege des Auslagenersatzes gemäß § 18 Abs. 1 InsVV geltend gemacht und vom Insolvenzgericht festgesetzt worden sind.24) Kahlert vertritt die Auffassung, dass es sich bei den Kosten der externen Kassenprüfung 25 um Masseverbindlichkeiten handelt, da der Gläubigerausschuss mangels Vertretungsmacht nicht befugt ist, die Masse zu binden. Der Prüfungsauftrag ist daher zwischen dem insolventen Unternehmen und dem sachverständigen Dritten nach entsprechender Beschlussfassung des Gläubigerausschusses zu schließen.25) Daraus zieht Kahlert den aus seiner Sicht zutreffenden Schluss, dass das schuldnerische Unternehmen berechtigt ist, die vom externen Sachverständigen in Rechnung gestellte und gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend zu machen.26) Dem wird entgegengehalten, dass der Insolvenzverwalter keinesfalls im eigenen Namen 26 den Auftrag gegenüber dem externen Kassenprüfer erteile, da die Prüfung des Geldverkehrs und des Geldbestandes eine höchst persönliche Verpflichtung eines jeden Mitglieds des Gläubigerausschusses sei, die auch nicht auf Umwegen delegiert werden könne.27) Daher sind die Kosten des externen Kassenprüfers auch keine Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern Auslagen gemäß § 54 InsO.28) Sofern die Mitglieder des Gläubigerausschusses ihrerseits Unternehmer sind, steht diesen der Vorsteuerabzug zu. Belasten diese die Kosten dem insolventen Unternehmen weiter, besteht bei diesem die Berechtigung zum Vorsteuerabzug, wenn die Voraussetzungen im Übrigen gegeben sind.29) Die formale Auffassung wird auch von der Finanzverwaltung geteilt, so dass auch hier 27 der Vorsteuerabzug scheitert, sofern nicht ausnahmsweise sämtliche Mitglieder des Gläubigerausschusses ihrerseits originär Unternehmer sind und die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer i. R. eines weiteren Leistungsaustauschs der Insolvenzmasse in Rechnung stellen können.

___________ 23) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 11/2012, § 69 Rz. 27; Pape/Uhländer-Pape, InsO, § 69 Rz. 15; Frind in: HambKomm-InsO, § 69 Rz. 4. 24) So Frind in: HambKomm-InsO, § 69 Rz. 4. 25) So Kahlert, DStR 2011, 2439, 2441. 26) So Kahlert, DStR 2011, 2439, 2441. 27) So Schirmer, DStR 2012, 733, 735. 28) So Schirmer, DStR 2012, 733, 736. 29) So Schirmer, DStR 2012, 733, 738.

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§ 35 Haftung des Insolvenzverwalters Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Überblick über Haftungstatbestände ....... 2 1. Insolvenzspezifische Haftung gemäß §§ 60, 61 InsO .............................................. 3 2. Allgemeines Haftungsrecht......................... 7 3. Sonstige Haftungstatbestände aus dem öffentlichen Recht, dem Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht .............................. 8 III. Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters .................................. 13 1. Abgrenzung ................................................ 13 2. Insolvenzspezifische Haftung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren........... 17 2.1 Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO ........ 18 2.2 Haftung gemäß § 61 InsO.............. 19 3. Insolvenzspezifische Haftung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren................ 24 3.1 Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO ........ 25 3.2 Haftung gemäß § 61 InsO.............. 26 4. Allgemeine zivilrechtliche Haftung .......... 28 4.1 Überblick......................................... 28 4.2 Persönliche Haftungsübernahme und Garantie........................ 30 4.3 Deliktische Haftung ....................... 31 5. Haftung aus steuerrechtlichen Vorschriften................................................ 34

6. Sonstige Haftungsvorschriften ................. 35 IV. Haftung des Insolvenzverwalters............ 36 1. Insolvenzspezifische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO...... 36 1.1 Tatbestand von § 60 InsO .............. 36 1.2 Gesamtschaden ............................... 37 1.3 Fallgruppen ..................................... 40 1.3.1 Fehlerhafte Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens ................................ 40 1.3.2 Strategische Verwertungsentscheidung......................................... 45 1.3.3 Treffen unternehmerischer Entscheidungen............................... 50 1.3.4 Prüfung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit.............................. 62 1.4 Bedeutung der Genehmigung durch den Gläubigerausschuss ....... 69 1.5 Beteiligung der Gläubigerversammlung ................................... 74 2. Insolvenzspezifische Haftung gemäß § 61 InsO .................................................... 82 2.1 Gesetzeszweck der persönlichen Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO.............................. 83 2.2 Ersatzberechtigte ............................ 84 2.3 Schadensumfang.............................. 85 2.4 Abgrenzung Einzelschaden/ Gesamtschaden ............................... 86 2.5 Abgrenzung zu § 60 InsO.............. 87 2.6 Entlastungsbeweis........................... 90

Literatur: Adam, Die Haftung des Insolvenzverwalters, VersR 2012, 1226; Bachmann, Reformbedarf bei der Business Judgment Rule?, ZHR 177 (2013), 1; Berger/Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/ Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Bosch/Lange, Unternehmerischer Handlungsspielraum des Vorstandes zwischen zivilrechtlicher Verantwortung und strafrechtlicher Sanktion, JZ 2009, 225; Büchler, Haftungsrisiken bei „faktischer Masseunzulänglichkeit“, ZInsO 2011, 1240; Eckardt, Umwelthaftung im Insolvenzverfahren, AbfallR 2008, 197; Erker, Die Business Judgment Rule im Haftungsstatut des Insolvenzverwalters, ZInsO 2012, 199; Falkenhausen, Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644; Fest, Darlegungs- und Beweislast bei Prognoseentscheidungen im Rahmen der Business Judgment Rule, NZG 2011, 540; Fleischer, Das unternehmerische Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, NZG 2011, 521; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407 = ZInsO 2012, 2217; Frege/Nicht, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf unternehmerische Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, S. 291; Gehrlein, Abberufung und Haftung von Insolvenzverwaltern, ZInsO 2011, 1713; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO, DZWIR 2011, 177; Heidland, Die Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses als Organ der Gläubigerselbstverwaltung in der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 711; Jarass, BImSchG, Kommentar, 9. Aufl.,

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

2012; Jungmann, Die Business Judgment Rule im Gesellschaftsinsolvenzrecht – Wider eine Haftungsprivilegierung im Regelinsolvenzverfahren und in der Eigenverantwortung, NZI 2009, 80; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, Loseblatt, 67. Aufl., 2013; Lüke, Die persönliche Haftung des Verwalters in der Insolvenz, 2009 (zit. Persönliche Haftung des Verwalters); MeyerLöwy/Poertzgen/Sauer, Neue Rechtsprechung zur Insolvenzverwalterhaftung im Überblick, ZInsO 2005, 691; Möhlmann, Die Berichtspflichten des Insolvenzverwalters zum Berichtstermin – eine betriebswirtschaftliche Perspektive, NZI 1999, 433; Mönning, Unternehmensfortführung in der Insolvenz, in: Prütting, Insolvenzrecht 1996, RWS-Forum 9, 1997, S. 43; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, 2011; Pape, Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren, 2000; Picot/Aleth, Unternehmenskauf und Restrukturierung, 3. Aufl., 2004; Redeke, Zu den Voraussetzungen unternehmerischer Ermessensentscheidungen, NZG 2009, 496; Richter/Völksen, Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters wegen unterbliebener Freistellung von Arbeitnehmern bei späterer Anzeige der Masseunzulänglichkeit, ZIP 2011, 1800; Runkel/Schnurbusch, Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit, NZI 2000, 49; Uhlenbruck, Corporate Governance, Compliance and [sic] Insolvency Judgment Rule als Problem der Insolvenzverwalterhaftung, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1603; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Zugehör, Anwaltlicher Insolvenzverwalter: Haftungsrisiken aus Insolvenzrecht und allgemeiner Anwaltshaftung, ZInsO 2006, 857.

I.

Einleitung

1 Im Insolvenzverfahren hat der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse zu verwalten und zu verwerten (§§ 80, 148, 159 InsO). Hierbei arbeitet er nach Maßgabe der §§ 69, 160 ff. InsO mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss zusammen. Die einstweilige Fortführung eines laufenden Geschäftsbetriebs entweder mit dem Zweck der Ausproduktion oder vor dem Hintergrund des Unternehmenserhalts zur anschließenden Veräußerung ist eine solche Verwaltungstätigkeit. Im Rahmen dieser Betriebsfortführung ist die Ausübung der Verwaltungs- und Verwertungskompetenz regelmäßig damit verbunden, dass durch die Organe der Insolvenzverwaltung unternehmerische Ermessensentscheidungen im Hinblick auf das verwaltete Vermögen zu treffen sind,1) denn der Insolvenzverwalter ist insbesondere für die kaufmännischen Entschlüsse zuständig, die vom Gläubigerausschuss entsprechend überwacht werden müssen.2) Insoweit beurteilen Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss nicht nur die Rechtmäßigkeit von verfahrensnotwendigen Handlungen i. R. der Betriebsfortführung, sondern auch deren unternehmerische Zweckmäßigkeit. Der BGH hat anerkannt, dass der Insolvenzverwalter ohne lange Einarbeitungszeit und oftmals auf lückenhafter Informationsgrundlage wirtschaftliche Ermessensentscheidungen treffen muss,3) welche die Gefahr einer persönlichen Verantwortlichkeit in sich tragen. Bleiben bei einer einstweiligen Betriebsfortführung die wirtschaftlichen Erfolge am Ende aus, die mit der Unternehmensfortführung angestrebt wurden, wird aber nicht selten aus dem Kreise der Insolvenzgläubiger die persönliche Haftung von Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss aufgrund eines (vermeintlichen) Quotenschadens geltend gemacht („interne Verantwortlichkeit“, §§ 60 Abs. 1, 92 Satz 1 InsO).4) Darüber hinaus besteht die Gefahr der persönlichen Haftung für Masseverbindlichkeiten, soweit diese nicht aus der Insolvenzmasse bedient werden können (§ 61 InsO). Nicht selten geben (vorläufige) Insolvenzverwalter Erklärungen gegenüber Lieferanten und Kunden des insolventen Unternehmens ab, um die Weiterbelieferung und die Warenabnahme zu unterstützen. Diese Erklärungen an den Rechtsverkehr können potenzielle Haftungsgefahren in sich tragen („externe Verantwortlichkeit“). Schließlich bewegt sich der (vorläufige) Insolvenzverwalter bei seiner ___________ 1) Zur Definition des Merkmals „unternehmerische Ermessensentscheidungen“ vgl. Bachmann, ZHR 177, 1 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225 ff.; Falkenhausen, NZG 2012, 644 ff.; Fest, NZG 2011, 540 ff.; Fleischer, NZG 2011, 521 ff.; Redeke, NZG 2009, 496 ff. 2) S. Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff. 3) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 4) Vgl. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 1 f. m. w. N.

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Haftung des Insolvenzverwalters

Tätigkeit i. R. des Arbeits-, Sozial-, Steuer- und Ordnungsrechts5) und kann insoweit Adressat einer persönlichen Haftung sein. II.

Überblick über Haftungstatbestände

Für den Insolvenzverwalter sind i. R. der Betriebsfortführung unterschiedliche Haftungs- 2 situationen von Bedeutung: 1.

Insolvenzspezifische Haftung gemäß §§ 60, 61 InsO6)

Zunächst kommt die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den 3 Verwalter in Betracht, die zu einer persönlichen Haftung gegenüber den Beteiligten gemäß § 60 Abs. 1 InsO führen kann. Die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 InsO ist gegeben, wenn der Insolvenzverwalter eine ihm nach der InsO obliegende Rechtspflicht verletzt hat, die gerade gegenüber einem Beteiligten des Insolvenzverfahrens bestand,7) und dies zu einem Schaden bei dem Beteiligten geführt hat. Hier muss der Insolvenzverwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einstehen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Bei Betriebsfortführungen besonders relevant ist daneben § 61 Satz 1 InsO, wonach bei 4 Masseunzulänglichkeit die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters gegenüber einem Massegläubiger i. S. von §§ 53 ff. InsO gegeben ist, wenn eine Masseverbindlichkeit nicht oder nicht voll erfüllt werden kann, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter bereits bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen wird. § 61 InsO regelt demnach eine insolvenzspezifische Pflicht gegenüber den Massegläubigern, 5 Masseverbindlichkeiten nicht einzugehen, wenn nicht deren Erfüllung aus der Insolvenzmasse gesichert erscheint. Die Vorschrift wurde zum Schutz von Massegläubigern in die InsO aufgenommen, die aufgrund einer Unternehmensfortführung mit der Insolvenzmasse in wirtschaftliche Beziehung treten und deren Vermögen gemehrt oder ihr einen sonstigen Vorteil verschafft haben.8) Der Gesetzgeber möchte hiermit Unternehmensfortführungen erleichtern: Der Verwalter findet eher Geschäftspartner, die der Masse Kredit gewähren, wenn die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters das Ausfallrisiko vermindert.9) Hierin liegen zugleich Grund und Grenze für diese Haftung, die deshalb nicht eingreift, wenn der Insolvenzverwalter die Entstehung der Masseverbindlichkeiten nicht veranlasst hat oder bei ihrer Begründung nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse zur Bedienung nicht ausreichen wird.10) Die häufigsten Anwendungsfälle für § 61 InsO sind Vertragsabschlüsse durch den Insol- 6 venzverwalter, die Erfüllungswahl gemäß § 103 f. InsO und die unterlassene Kündigung von Dauerschuldverhältnissen zum frühestmöglichen Termin.11) Bei dem Anspruch aus ___________ 5) Zur Umwelthaftung vgl. Eckardt, AbfallR 2008, 197 ff. 6) Vgl. Adam, VersR 2012, 1226 ff.; Gehrlein, ZInsO 2011, 1713 ff.; Zugehör, ZInsO 2006, 857 ff. 7) Zum Beteiligtenbegriff s. Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 5; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 33. 8) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 16 ff. 9) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f. 10) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131. 11) BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 f. = ZIP 2005, 131; BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f.; vgl. auch Adam, DZWIR 2008, 14 ff.; Richter/Völksen, ZIP 2011, 1800 ff.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

§ 61 InsO handelt es sich um einen Individualanspruch des jeweiligen Massegläubigers, der während des Insolvenzverfahrens von den jeweils geschädigten Massegläubigern gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.12) 2.

Allgemeines Haftungsrecht

7 Daneben sind gerade im Verhältnis zu den Vertragspartnern des fortzuführenden Unternehmens, d. h. zu den Massegläubigern, die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsnormen zu berücksichtigen. Nicht selten wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter im Rechtsverkehr mit Kunden und Lieferanten bestimmte Erklärungen gegenüber den Vertragspartnern des Unternehmens abgeben, die potenziell Haftungsgefahren in sich tragen können. Hieraus können grundsätzlich vertragliche13), quasivertragliche (§ 311 Abs. 2 und 3 BGB) oder deliktische Ansprüche14) gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter erwachsen.15) Rechtsgrund hierfür ist entweder eine vertragliche Mitverpflichtung des Insolvenzverwalters, eine Garantieerklärung, ein Verschulden beim Vertragsschluss als Sachwalter oder ein deliktisches Verschulden gemäß §§ 823, 826 BGB. Aus diesen Rechtsbeziehungen können Pflichten des Insolvenzverwalters i. R. der Betriebsfortführung resultieren, die nicht insolvenzspezifisch sind, sondern allgemeine Rechtspflichten begründen, die der Insolvenzverwalter als Verhandlungs- oder Vertragspartner zu erfüllen hat.16) 3.

Sonstige Haftungstatbestände aus dem öffentlichen Recht, dem Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht

8 Neben die spezifische insolvenzrechtliche und die allgemeine zivilrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters tritt schließlich die persönliche Verantwortlichkeit und Haftung nach den Vorschriften des x

Polizei- und Umweltrechts17),

x

des Steuerrechts18) und

x

des Arbeits- und Sozialrechts.19)

9 Insbesondere aus der Perspektive des öffentlichen Rechts kann die Betriebsfortführung dazu führen, dass der Insolvenzverwalter als verantwortlicher Handlungsstörer angesehen wird, z. B. als Anlagenbetreiber, und so in die persönliche Haftung als polizeirechtlicher Störer gerät. 10 Maßgeblich für die Beurteilung der Betreibereigenschaft hinsichtlich solcher Anlagen, die in die Sphäre eines insolventen Unternehmens fallen, ist bis heute eine Entscheidung des BVerwG.20) Hinsichtlich der Rechtsstellung eines Insolvenzverwalters ist zudem eine Entscheidung des VGH Kassel relevant, in der die Betreiberstellung eines Insolvenzver-

___________ 12) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 13) S. BGH, Urt. v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86, ZIP 1987, 1586 ff.; dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 7 f. 14) Vgl. zu § 826 BGB im Zusammenhang mit der Entstehung von Masseverbindlichkeiten BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236 ff. = ZIP 2005, 131. 15) Übersicht bei Lohmann in: HK-InsO InsO, § 60 Rz. 41 ff. 16) BGH, Urt. v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 ff. 17) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 89 ff. 18) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 83 ff. 19) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 73 ff. 20) BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – 7 C 38/97, BVerwGE 107, 299 ff.

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Haftung des Insolvenzverwalters

walters für den Fall abgelehnt wurde, dass der Insolvenzverwalter lediglich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vornimmt.21) Das BVerwG hatte ausgeführt, dass die Betreiberstellung zumindest dann gegeben ist, 11 wenn der Konkursverwalter die in Rede stehende Anlage nach Eröffnung des Verfahrens „kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen“ fortführt (Übergang der Betreiberstellung). Es hat allerdings ausdrücklich offengelassen, ob dies auch dann gilt, „wenn er die Anlage sofort stilllegt“.22) Der VGH Kassel hatte die ordnungsrechtliche Betreiberstellung eines Insolvenzverwal- 12 ters im Hinblick auf ein Tanklager verneint, wenn der Insolvenzverwalter dieses Tanklager nicht fortführt, d. h. nicht wirtschaftlich für die Insolvenzmasse nutzt.23) Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass in dem entschiedenen Fall eine Einstellung der Nutzung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt war. Der Insolvenzverwalter hatte diese Nutzung des Tanklagers nicht wieder aufgenommen. Er hatte in der Zeitspanne zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Freigabe des nicht mehr genutzten Tanklagers lediglich sichergestellt, dass die Dichtigkeit und die Funktionsfähigkeit der Sicherungseinrichtungen gewahrt sind. Er hatte damit lediglich i. R. der bestehenden Zustandsverantwortlichkeit Sorge dafür getragen, dass keine Gefahr für Gewässer etc. von der Sache ausgeht. Der VGH Kassel schlussfolgert, dass die Gefahrenabwehr i. R. der Zustandsverantwortlichkeit keine Betreiberstellung des Insolvenzverwalters begründet.24) III.

Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters

1.

Abgrenzung

Im Hinblick auf die Haftungssituation bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist zu un- 13 terscheiden zwischen der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit gerichtlicher Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO (sog. „starke“ vorläufige Verwaltung) und der vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne ein allgemeines Verfügungsverbot (§ 22 Abs. 2 InsO), bei der lediglich ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet wurde (sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung).25) Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter muss gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO das 14 schuldnerische Unternehmen bis zur Eröffnungsentscheidung fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung vorher zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Hierbei entspricht seine Rechtsstellung weitestgehend derjenigen des endgültigen Insolvenzverwalters, was sich auch darin ausdrückt, dass die von ihm begründeten Verbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 2 InsO sind. Dagegen kann der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten 15 regelmäßig erst begründen, wenn er durch eine besondere Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts hierzu ermächtigt wurde. ___________ 21) VG Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695 ff.; vgl. auch OVG Berlin, Beschl. v. 10.11.2009 – 11 N 30.07, NVwZ 2010, 594; OVG Lüneburg, Beschl. v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, ZIP 2010, 999 = NZI 2010, 235 ff.; VG Würzburg, Beschl. v. 3.2.2010 – W 4 S 09.1275, juris. 22) S. a. die Rezeption der Entscheidung bei Jarass, BImSchG, § 5 Rz. 73; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 5 BImSchG Rz. 33. 23) VGH Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695, 698. 24) VGH Kassel, Beschl. v. 20.4.2009 – 7 B 838/09, NZI 2009, 695, 698. 25) Zur Zulässigkeit einer „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne Zustimmungsvorbehalt s. AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

16 Auch steuerrechtlich macht sich die Unterscheidung bemerkbar: der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist bereits als ein Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO einzuordnen und damit potenziell von der Haftung gemäß § 69 AO bedroht. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter hingegen ist aufgrund seiner eingeschränkten Kompetenzen kein Vermögensverwalter i. S. von des § 34 Abs. 3 AO und daher nicht Adressat von § 69 AO. 2.

Insolvenzspezifische Haftung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren

17 Der vorläufige Insolvenzverwalter ohne allgemeines Verfügungsverbot ist in seiner Rechtsstellung davon abhängig, welche gerichtlichen Anordnungen seinen Wirkungsbereich definieren. Gemäß § 22 Abs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht nach seinem Ermessen die Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters festlegen, wobei die gesetzlichen Befugnisse des vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters die Grenze bilden. Im Regelfall wird ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet.26) Die Pflicht zur einstweiligen Fortführung des Unternehmens kann ebenfalls im Beschluss angeordnet werden. Von dem Umfang der gerichtlichen Aufgabenzuweisung hängt auch die Reichweite der persönlichen Verantwortlichkeit ab. 2.1

Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO

18 Die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO wegen der schuldhaften Verletzung von insolvenzspezifischen Pflichten trifft gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO auch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Denn das Gesetz trifft hier keine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Typen der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Dennoch ist aufgrund der unterschiedlichen Reichweite der Befugnisse und Pflichten des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters auch ein eingeschränkter Bereich insolvenzspezifischer Pflichten gegeben, für deren Verletzung die Haftung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO eingreift.27) 2.2

Haftung gemäß § 61 InsO

19 Grundsätzlich ist der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter nicht berechtigt, durch seine Handlungen Masseverbindlichkeiten zu begründen. § 55 Abs. 2 InsO ist hier nicht anwendbar.28) Deshalb kommt die persönliche Haftung gemäß § 61 InsO grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Insolvenzverwalter voraussetzt.29) 20 Allerdings kann der „schwache“ vorläufige Verwalter die Insolvenzmasse schuldrechtlich verpflichten, wenn eine besondere gerichtliche Ermächtigung gegeben ist. In BGHZ 151, 365 ff. weist der BGH darauf hin, dass es zwar nicht die Aufgabe des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist, von sich aus für die Erfüllung von Verbindlichkeiten zu sorgen, die im vorläufigen Insolvenzverfahren dadurch entstehen, dass die Gläubiger Leistungen an die Insolvenzschuldnerin erbringen. Hierfür müssen die Gläubiger grundsätzlich selbst sorgen, indem sie sich Sicherheiten bestellen lassen. Der BGH lässt es aber zu, dass das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter bis zur Grenze von § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO zur Eingehung bestimmter Masseverbindlichkeiten aus___________ 26) 27) 28) 29)

Vgl. aber AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443. S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 61. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107.

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Haftung des Insolvenzverwalters

drücklich ermächtigen kann.30) Eine solche Ermächtigung muss nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur soweit konkretisiert sein, dass daraus die Belastung der späteren Insolvenzmasse im Wesentlichen zu erkennen ist.31) Der BGH führt aus, dass der Umfang der Ermächtigung aus Gründen der Rechtsklarheit und des gebotenen Schutzes von Vertragspartnern für diese jeweils aus der gerichtlichen Anordnung selbst unmissverständlich zu erkennen sein muss; es muss deutlich werden, mit welchen Einzelbefugnissen – nach Art und Umfang – der vorläufige Insolvenzverwalter ausgestattet ist. Der BGH stellt ferner klar, dass das Insolvenzgericht nicht pauschal Verfügungs- und Verpflichtungsermächtigungen in das Ermessen des Insolvenzverwalters stellen darf, sondern in jedem Fall selbst die einzelnen Maßnahmen bestimmt bezeichnen muss, zu denen der vorläufige Insolvenzverwalter berechtigt sein soll. Hiernach muss das Insolvenzgericht, welches den Ablauf des Eröffnungsverfahrens bestimmt, die Pflichten des Insolvenzverwalters exakt bestimmen. Ferner muss das Insolvenzgericht:

21

„… im Einzelnen die Rechte festlegen, die dem vorläufigen Insolvenzverwalter eingeräumt werden, damit er seine Pflichten zu erfüllen vermag“.

Eine dementsprechende Ermächtigung kann auch für bestimmte abgrenzbare Arten von 22 Maßnahmen erfolgen.32) Teilweise wird hieraus der Schluss gezogen, dass § 61 InsO für den „schwachen“ vorläufigen 23 Insolvenzverwalter analog angewendet werden muss, soweit dessen Befugnis reicht, auf der Grundlage einer insolvenzgerichtlichen Einzelermächtigung spätere Masseverbindlichkeiten zu begründen.33) Die ratio legis von § 61 InsO und die gesetzgeberische Zielvorstellung sprechen dafür, § 61 InsO im Fall der Einzelermächtigung analog anzuwenden. Auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter, der Masseverbindlichkeiten begründen darf, muss bei Eingehung der Masseverbindlichkeit – z. B. auf der Grundlage eines Vertragsschlusses – prüfen, ob die aus dem Geschäft resultierende Verbindlichkeit bei Fälligkeit bedient werden kann. Diese Prüfung sollte ihm grundsätzlich möglich sein, da ihm die gleichen Informationsrechte gegenüber dem Unternehmen zustehen wie dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter und insoweit ein Liquiditätsplan erstellt werden kann. 3.

Insolvenzspezifische Haftung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren

Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist aufgrund der gesetzlichen Übertragung der 24 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in seiner Rechtsstellung dem endgültigen Insolvenzverwalter bereits so weit angenähert, dass die insolvenzspezifischen Haftungsvorschriften nach §§ 60, 61 InsO grundsätzlich auf ihn anzuwenden sind.34) In der Praxis hat dieser Umstand die Tendenz mit verstärkt, eine „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung überhaupt nicht anzuordnen, sondern auf den „schwachen“ vorläufigen Verwalter auszuweichen.35)

___________ 30) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. 31) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 56 m. w. N. 32) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. 33) Vgl. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 63 f.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 2, Rz. 58 ff. 34) Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 61. 35) Sehr weitgehend in diese Richtung AG Düsseldorf, Beschl. v. 8.2.2011 – 503 IN 20/11, ZIP 2011, 443.

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§ 35 3.1

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Haftung gemäß § 60 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO

25 Die Haftung gemäß § 60 InsO wegen der schuldhaften Verletzung von insolvenzspezifischen Pflichten trifft gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter, denn das Gesetz trifft hier keine Differenzierung zwischen den beiden Typen der vorläufigen Insolvenzverwaltung und der „starke“ vorläufige Verwalter ist hinsichtlich seiner Kompetenzen, Befugnisse und Pflichten dem endgültigen Verwalter weitgehend angenähert, so dass die haftungsrechtliche Gleichbehandlung gerechtfertigt ist. 3.2

Haftung gemäß § 61 InsO

26 Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO entstehen Masseverbindlichkeiten, wenn die Verbindlichkeiten durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin übergegangen ist. Die Norm stellt auf den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter ab, der in wesentlichen Teilen dem endgültigen Insolvenzverwalter entspricht.36) In der Kommentierung wird darauf hingewiesen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel nur dann wirklich handlungsfähig sei, wenn dessen Vertragspartner darauf vertrauen dürften, dass die vom Verwalter begründeten Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten seien.37) Beim „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter führen dessen Rechtshandlungen ohne weiteres zur Begründung von Masseverbindlichkeiten und damit zur Anwendung von § 61 InsO. Insoweit ist bei der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung besonders sorgfältig zu prüfen, ob die entstehenden Masseverbindlichkeiten aus der späteren Insolvenzmasse bedient werden können. 27 Eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auf den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter wird hingegen in der Rechtsprechung abgelehnt.38) Soweit Einzelermächtigungen des Insolvenzgerichts vorliegen, führt auch dies nicht zur Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.39) 4.

Allgemeine zivilrechtliche Haftung

4.1

Überblick

28 Neben der insolvenzspezifischen Haftung kann die Verletzung allgemeiner Pflichten in Betracht kommen, die den (vorläufigen) Insolvenzverwalter als Verhandlungs- oder Vertragspartner von Dritten treffen.40) Dies kann zu Ersatzpflichten führen. 29 Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters auf quasivertraglicher Grundlage – z. B. aus culpa in contrahendo i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB – kommt nur in Betracht, wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter persönliche Pflichten ausdrücklich übernommen oder einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, an dem er sich festhalten lassen muss.41) Mit Blick auf die persönliche Haftung des Verwalters für eingegangene Verpflichtungen führt der BGH hierzu aus, dass die Geschäftspartner des Insolvenzverwalters durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewarnt sind und sich bewusst sein müssen, dass sie bei Geschäften mit der Insolvenzmasse Risiken eingehen, insbesondere das Risiko der ___________ 36) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FAKomm-InsR, § 55 Rz. 20. 37) Vgl. nochmals Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FAKomm-InsR, § 55 Rz. 20. 38) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625; BGH, Urt. v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, NZI 2008, 295 ff. = ZIP 2008, 608. 39) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 365 ff. = ZIP 2002, 1625. 40) BGH, Urt. v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 ff. 41) BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 261/80, BGHZ 85, 75 ff. = ZIP 1982, 1458; BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650.

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Haftung des Insolvenzverwalters

Masseunzulänglichkeit.42) Deshalb werde vom Insolvenzverwalter nicht verlangt, dass er auf die „regelmäßig vorhandenen, im allgemeinen auch bekannten Gefahren“ hinweist, die Geschäfte mit der Insolvenzmasse, insbesondere an diese erbrachte Vorleistungen, zwangsläufig mit sich bringen. Der Insolvenzverwalter sei nur Interessenvertreter der Insolvenzmasse als Interessenträgerin und stünde insoweit nicht anders als Vorstände und Geschäftsführer juristischer Personen oder ein Testamentsvollstrecker, die bei Vertragsschluss für den Interessenträger ebenfalls grundsätzlich nicht aus culpa in contrahendo haften. Deshalb werde eine persönliche Verantwortlichkeit erst unter besonderen Voraussetzungen begründet, wenn eine eigene Pflicht ausdrücklich übernommen, ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder eine unerlaubte Handlung gegeben ist (§§ 823 ff. BGB). Nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur reichen allgemeine Aussagen gegenüber Gläubigern, z. B. die Zahlungen aller Lieferungen und Leistungen seien gesichert, für die Entstehung eines besonderen Vertrauenstatbestandes noch nicht aus.43) 4.2

Persönliche Haftungsübernahme und Garantie

Die Haftungsübernahme durch den Insolvenzverwalter bei Vertragsschlüssen für die Insol- 30 venzmasse setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter klar und eindeutig zum Ausdruck bringt, er wolle eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende persönliche Einstandspflicht übernehmen. Der BGH geht davon aus, dass eine allgemein gegenüber Lieferanten und Gläubigern gemachte Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und Leistungen sei gesichert, wohl nicht zur Begründung einer persönlichen Einstandspflicht genügen dürfte.44) 4.3

Deliktische Haftung

Eine deliktische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß §§ 823 ff. BGB kann neben der 31 insolvenzspezifischen Haftung gemäß § 60 InsO bestehen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit einer Handlung Pflichten aus der InsO und allgemeine zivilrechtliche Pflichten zugleich schuldhaft verletzt, z. B. die Rechte von Aus- oder Absonderungsberechtigten vereitelt, indem deren Eigentum zerstört wird. In solchen Situationen haftet neben dem Insolvenzverwalter zudem auch die Insolvenzmasse analog § 31 InsO.45) Der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter ist wie der endgültig bestellte Insolvenzver- 32 walter für die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten verantwortlich.46) Eine Haftung gemäß § 826 BGB wegen Masseunzulänglichkeit kommt nur in Betracht, 33 wenn der Insolvenzverwalter den Geschäftspartner über die Risiken des abzuschließenden Geschäfts täuscht, insbesondere die Zulänglichkeit der Masse vorspiegelt und dadurch den Geschäftsverkehr zum Vertragsschluss verleitet und einen Schaden bewusst in Kauf nimmt. 5.

Haftung aus steuerrechtlichen Vorschriften

Soweit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Verfügungsverbot bestellt 34 wurde, ist dieser als Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO zu behandeln. Er muss gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners erfüllen ___________ 42) BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650. 43) S. Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 42; BGH. Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 44) BGH. Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 45) S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 6, 7. 46) BGH, Urt. v. 17.9.1987 – IX ZR 156/86, ZIP 1987, 1398 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 10.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

und gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AO dafür sorgen, dass die Steuern aus der von ihm verwalteten Insolvenzmasse abgeführt werden. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter haftet gemäß § 69 Satz 1 AO persönlich, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Das Gleiche gilt, wenn Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. 6.

Sonstige Haftungsvorschriften

35 Die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann sich ferner aus sonstigen Vorschriften, z. B. aus solchen des öffentlichen Rechts, ergeben. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter kann Betreiber einer Anlage sein und nach polizeirechtlichen Vorschriften haften (siehe oben Rz. 9 – 11). IV.

Haftung des Insolvenzverwalters

1.

Insolvenzspezifische Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO

1.1

Tatbestand von § 60 InsO

36 Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten47) zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft48) diejenigen verfahrensspezifischen Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO gegenüber den Beteiligten obliegen. Der Insolvenzverwalter muss für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einstehen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Haftungstatbestand weist nach der Rechtsprechung des BGH Ähnlichkeiten zu den organschaftlichen Haftungsnormen für Vorstände und Geschäftsführer auf, wenngleich zu beachten ist, dass der Insolvenzverwalter regelmäßig unter anderen Voraussetzungen die Verantwortung für ein Unternehmen übernimmt.49) Er hat oftmals eine sehr geringe Einarbeitungszeit, handelt zwangsläufig unter erheblichem Zeitdruck und häufig auf der Basis unzureichender Informationen. Insoweit ist das Haftungsstatut der Vorstände und Geschäftsführer auf den Insolvenzverwalter nicht pauschal übertragbar. Gleichwohl sind verschiedene Parallelen erkennbar, die gerade bei der Betriebsfortführung den Rückgriff auf gesellschaftsrechtliche Grundlagen und Wertungen, insbesondere auf die Rechtsprechung des BGH erlauben.50) 1.2

Gesamtschaden

37 Gemäß § 92 Satz 1 InsO können Schäden, die die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (sog. Gesamtschäden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur durch einen Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. § 92 InsO bildet keine Anspruchsgrundlage für derartige Schadensersatzansprüche. Vielmehr regelt § 92 InsO die Art und Weise der Geltendmachung eines gemeinschaftlich erlittenen Schadens. Die Norm errichtet zu Lasten der einzelnen Gläubiger eine Rechtsverfolgungssperre. Gesamtschadensansprüche sollen gebündelt durch eine Person verfolgt werden. ___________ 47) Vgl. zum Begriff der Beteiligten Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 5: Beteiligter ist, wessen Interessen durch eine Verletzung der dem Insolvenzverwalter obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten unmittelbar beeinträchtigt werden können. 48) Vgl. zum Verschuldensmaßstab Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 28 ff.; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 38 ff. 49) S. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 50) S. dazu Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS Schmidt, S. 1603 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff.

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Haftung des Insolvenzverwalters

Diese Beschränkung dient der Gleichbehandlung der Gläubiger, der Praktikabilität und der Prozessökonomie, da nicht eine Vielzahl von Prozessen wegen Quotenschäden geführt werden müssen.51) Soweit eine Betriebsfortführung schuldhaft zu einer Verminderung der Insolvenzmasse 38 führt, weil infolge unsachgemäßer Verwaltungs- und Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters das Vermögen in seinem bei Eröffnung vorhandenen Wert nicht realisiert werden kann, ist der hieraus resultierende Schaden ein Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger. Er kann nicht von den Insolvenzgläubigern individuell durchgesetzt werden. Ein solcher Anspruch auf Ersatz des Gesamtschadens würde sich gegen den Insolvenzverwalter (§ 60 Abs. 1 InsO) und ggf. gegen die Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 71 Satz 1 InsO) richten. Richten sich diese Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter, sind sie grund- 39 sätzlich von einem neu bestellten Insolvenzverwalter zu verfolgen (§ 92 Satz 2 InsO). Als milderes Mittel in Relation zur Bestellung eines neuen Insolvenzverwalters hat die Rechtsprechung und Literatur die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters anerkannt.52) Haben die Gläubiger einen Einzelschaden erlitten, können sie den entsprechenden Schadensersatzanspruch schon während des Insolvenzverfahrens eigenständig verfolgen.53) 1.3

Fallgruppen

1.3.1 Fehlerhafte Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens Der Insolvenzverwalter ist unmittelbar im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzver- 40 fahrens verpflichtet, das Unternehmen der Schuldnerin fortzuführen, um der Gläubigerversammlung im Berichtstermin die Entscheidung über den Verfahrensfortgang zu ermöglichen (vgl. § 157 Satz 1 InsO). Die Fortführungspflicht untermauert die Gläubigerautonomie. Die Möglichkeit der Gläubigerversammlung, über den Fortgang des Verfahrens einschließlich einer Fortführungsmöglichkeit zu beschließen, gewinnt lediglich an Bedeutung, wenn bis dahin das Unternehmen fortzuführen ist und fortgeführt wird. Insofern ist der Insolvenzverwalter in seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beschränkt. Er hat das Unternehmen fortzuführen, es sei denn, es drohen erhebliche Verluste.54) Insofern hat der Insolvenzverwalter in dieser Phase zu prüfen, ob das Unternehmen ohne erhebliche Verminderung des Vermögens (i. S. von § 22 InsO) bis zum Berichtstermin fortgeführt werden kann. Der Insolvenzverwalter hat Chancen und Risiken der Betriebsfortführung sorgfältig gegeneinander abzuwägen und eine sachgerechte Prognoseentscheidung herzuleiten.55) Dies drückt sich auch in § 158 Abs. 1 InsO aus, wonach der Insolvenzverwalter im Falle 41 einer beabsichtigten Stilllegung des Geschäftsbetriebs vor dem Berichtstermin die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat. Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO muss ___________ 51) Kayser in: HK-InsO, § 92 Rz. 1; Blersch/Goetsch/Haas-Blersch/v. Olshausen, BK-InsO, § 92 Rz. 1; Pohlmann in: HambKomm–InsO, § 92 Rz. 1. 52) OLG Köln, Beschl. v. 1.6.2006 – 2 U 50/06, ZInsO 2007, 218; BGH, Beschl. v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 = NZI 2007, 284; BGH, Beschl. v. 1.2.2007 – IX ZB 45/05, ZIP 2007, 547 = NZI 2007, 237; BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 303/05, ZIP 2008, 1294 = NZI 2008, 485; BGH, Beschl. v. 5.2.2008 – IX ZB 187/08, ZIP 2009, 529 = NZI 2009, 238; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 28. 53) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 111 = ZIP 2004, 1107; OLG Köln, Beschl. v. 1.6.2006 – 2 U 50/06, ZInsO 2007, 218. 54) Vgl. zum Merkmal der „erheblichen Verluste“ und zur dahingehenden Prognose Görg in: MünchKommInsO, § 158 Rz. 12. 55) Vgl. Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 13.

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vor der Einstellung der Geschäftstätigkeit der Schuldner angehört werden. Schließlich kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners die Stilllegung untersagen, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO) aufgeschoben werden kann. 42 Die Entscheidung des Insolvenzverwalters, diesem grundsätzlichen Fortführungsgebot nachzukommen, kann zu einer persönlichen Verantwortlichkeit führen. Bereits in der Entscheidung BGHZ 100, 346 ff., die noch zur KO und vor Geltung von § 61 InsO ergangen war, hatte der BGH ausgeführt, dass eine persönliche Haftung gegenüber Massegläubigern entstehen kann, zu deren Befriedigung die Insolvenzmasse nicht ausreicht, wenn der Insolvenzverwalter ein defizitäres Unternehmen fortführt. In der Entscheidung heißt es, der Verwalter hafte persönlich, „wenn er das Unternehmen, obwohl feststand, dass es nicht wenigstens seinen Aufwand erwirtschaften wird, nicht sofort liquidiert, sondern weitergeführt hat und bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters hätte erkennen können und müssen, dass er die mit der Fortführung notwendig erwachsenden Verbindlichkeiten nicht aus der Masse werde tilgen können.“56)

43 Demnach hat der Insolvenzverwalter zumindest in der Phase bis zum Berichtstermin zu prognostizieren, welches Ergebnis die Fortführung haben wird. Die strategische Entscheidungsbefugnis der Gläubiger gemäß § 157 InsO soll faktisch nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Insolvenzverwalter das Unternehmen bereits vor dem Berichtstermin stilllegt. Die Maßgabe für die vorläufige Fortführung liefert § 158 Abs. 2 InsO: Danach ist das Unternehmen zumindest bis zum Berichtstermin fortzuführen, soweit dies ohne erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse möglich ist. Lediglich bei erheblichen Verlusten ist der Betrieb stillzulegen. 44 Dies muss der Insolvenzverwalter entsprechend überwachen. Hierzu hat er die voraussichtliche Zeit der Betriebsfortführung zu planen und Finanz- und Ergebnispläne (Liquiditätsplan, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnung) zu erstellen und diese fortlaufend den tatsächlichen Entwicklungen anzupassen.57) Decken die laufenden Einnahmen nicht mehr die Ausgaben, ist eine weitere Betriebsfortführung lediglich dann gerechtfertigt, wenn der Insolvenzverwalter davon ausgehen kann, dass das Unternehmen später zu einem Preis veräußert werden kann, der abzüglich der aufgelaufenen Verluste den Zerschlagungswert des Unternehmens übersteigt.58) 1.3.2 Strategische Verwertungsentscheidung 45 Zu Beginn des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter i. R. der Inbesitznahme (§ 148 Abs. 1 InsO), den Verwaltungs- und Verwertungspflichten (§§ 80 Abs. 1, 148 Abs. 1, 159 InsO) sowie der Pflicht zur vorläufigen Fortführung des Unternehmens (§ 158 Abs. 1 InsO) strategische Entscheidungen für das gesamte Verfahren zu treffen. Der Insolvenzverwalter hat insbesondere zu beurteilen, mit welcher Verfahrensart die bestmöglichen wirtschaftlichen Ergebnisse erreicht werden können.59) 46 Bei dieser Entscheidung hat sich der Insolvenzverwalter an den Zielen des Insolvenzverfahrens zu orientieren. Gemäß § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Demnach ist die bestmögliche gemeinschaftliche ___________ 56) 57) 58) 59)

BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346 ff. = ZIP 1987, 650. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 148 Rz. 40; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 148 Rz. 42; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 212. Vgl. BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 16.

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Haftung des Insolvenzverwalters

Befriedigung der Gläubiger anzustreben. Der Insolvenzverwalter hat folglich die Verfahrensvariante auszuwählen, die die bestmögliche Masseverwertung verspricht. Hierbei wäre eine überstürzte Verfahrensabwicklung zu Zerschlagungswerten oder eine übereilte Unternehmensveräußerung in gleicher Weise pflichtwidrig wie das Erleiden von erheblichen Verlusten durch fehlerhafte Fortführung eines Betriebes.60) Hat sich der Insolvenzverwalter zur Betriebsfortführung entschlossen, ist er zu allen 47 Maßnahmen berechtigt und verpflichtet, die der Fortführung des Schuldnerbetriebes dienen und eine vorzeitige Stilllegung verhindern. Hierbei hat er fortlaufend zu überprüfen, ob die Fortführung des Unternehmens die Insolvenzmasse nicht ungünstig beeinflusst, also zu erheblichen Verlusten führt.61) Erkennt der Insolvenzverwalter, dass die Betriebsfortführung weitere und erhebliche Ver- 48 luste verursacht, so ist er grundsätzlich verpflichtet, den Betrieb stillzulegen bzw. entsprechende Beschlüsse der Gläubigerversammlung herbeizuführen.62) Aus diesem Grunde hat der Insolvenzverwalter für die Zwecke der Betriebsfortführung 49 Finanz- und Liquiditätspläne, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnungen zu erstellen und fortlaufend den tatsächlichen Entwicklungen im Unternehmen anzupassen.63) Demnach ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, ständig, z. B. durch Zwischenbilanzen und Zwischenrechnungen und ggf. monatliche Erfolgsrechnungen, die Rentabilität des von ihm fortgeführten Unternehmens zu kontrollieren.64) Der Verwalter hat zu prüfen, dass die finanziellen Voraussetzungen einer Betriebsfortführung gegeben sind oder geschaffen werden können. Hierzu sind die Beziehungen des Unternehmens zu Lieferanten und Kunden zu analysieren. Die Marktlage ist zu prüfen. Diese Pflichten sind zunächst Rechtspflichten. Denn der Verwalter handelt rechtlich fehlerhaft, wenn er die Lage des Unternehmens und die Sachverhalte im Einzelnen unsorgfältig aufklärt und deshalb zu falschen rechtlichen Entschlüssen gelangt.65) Bei der Fortführung des Unternehmens ist die Grundlage seiner Entscheidung eine Prognose der aktuellen Liquiditätslage sowie eine realistische Einschätzung der zukünftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung.66) Der Insolvenzverwalter hat hierbei alle Erkenntnismittel auszuschöpfen und handelt fahrlässig, wenn er die Sachlage unzureichend aufklärt und infolgedessen die Fortführungsfähigkeit falsch beurteilt.67) 1.3.3 Treffen unternehmerischer Entscheidungen Bei den unternehmerischen Entscheidungen eines Insolvenzverwalters sind gleiche oder 50 ähnliche Anforderungen zu stellen, wie an jeden sonstigen Unternehmensleiter bzw. organschaftlichen Vertreter eines Unternehmens.68) Auch der BGH erkennt an, dass hinsichtlich der Haftungsnormen im Grundsatz eine Vergleichbarkeit besteht.69) Es sind deshalb nach einer Ansicht in der Literatur die Rechtsgrundsätze der Business Judgment Rule zu ___________ 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69)

BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 14, 16. Vgl. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 186 f. BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151, 156 = ZIP 1987, 115. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 186 mit Verweis auf Mönning, Vorauflage, Rz. 777, 785; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. OLG Koblenz, Urt. v. 16.2.1956 – 5 U 606/54, KTS 1956, 60; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 135. RG, Urt. v. 5.7.1897 – VI 204/97, RGZ 39, 97, 98; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 14, 16 f. Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 26. BGH, Urt. v. 9.5.1996 – IX 244/95, ZIP 1996, 1183; Lohmann in: HK-InsO, § 60 Rz. 31. Vgl. zu dieser Ansicht Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 184 ff.; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 212; Mönning, Vorauflage, Rz. 777 ff. S. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, Rz. 44 f., BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

ordnungsgemäßen unternehmerischen Entscheidungen eines GmbH-Geschäftsführers und eines Vorstandes einer AG entsprechend anzuwenden.70) In der Literatur wird die Anwendung der Business Judgment Rule teilweise abgelehnt, weil die Situation mit derjenigen einer Aktiengesellschaft nicht vergleichbar sei aufgrund der vermeintlich weitergehenden Interessen der Beteiligten im Insolvenzverfahren.71) Hiergegen ist einzuwenden, dass die Business Judgment Rule der Vermeidung von Rückschaufehlern dient, soweit unternehmerische Entscheidungen auf unsicherer Tatsachengrundlage zu treffen waren;72) zudem ist sie nicht auf das Aktienrecht zu begrenzen, sondern als allgemeines Institut des Unternehmensrechts gesetzesübergreifend einzusetzen, wenn Ermessensentscheidungen eines Kompetenzträgers nachträglich zu bewerten sind, die im Entscheidungszeitpunkt auf unsicherer Grundlage und – wie in der Insolvenz – regelmäßig unter hohem Zeitdruck getroffen werden müssen.73) Insoweit braucht es keine „flexible Anwendung des Verschuldensmaßstabes“74), weil die Business Judgment Rule als Kombination aus Pflicht- und Verschuldenselementen zu einer Objektivierung führt und den Handlungsrahmen kalkulierbarer gestaltet. Dies schafft zusätzliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Selbstverständlich steht die Anwendung der Business Judgment Rule unter dem Vorbehalt der Einhaltung des Insolvenzzwecks gemäß § 1 InsO,75) insolvenzzweckwidrige Handlungen des Verwalters können durch die Analogie zu § 93 Abs. 1 AktG ebenso wenig legitimiert werden wie Satzungs- oder Gesetzesverstöße eines Vorstands.76) 51 Analog § 93 Abs. 1 AktG ist aus der Sicht eines objektiven Drittbeobachters darauf abzustellen, ob der Insolvenzverwalter bei angemessener Prüfung und Information „vernünftigerweise annehmen durfte“, bei seiner wirtschaftlichen Ermessensentscheidung im Interesse der Insolvenzmasse zu handeln. Es kommt darauf an, dass eine zumindest nicht wirtschaftlich unvertretbare unternehmerische Ermessensentscheidung getroffen wurde und dass der Insolvenzverwalter auf einer gehörigen Entscheidungsgrundlage den Entschluss getroffen hat.77) 52 Entschließt sich ein Insolvenzverwalter, den Geschäftsbetrieb des Schuldnerunternehmens fortzuführen, so hat er die folgenden Maßgaben zu berücksichtigen: x

Richtet sich die Betriebsfortführung an den gesetzlichen Verfahrenszielen der Insolvenzordnung aus?78)

x

Sind die mit der Betriebsfortführung verbundenen Verbindlichkeiten gedeckt?79)

___________ 70) So Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS Schmidt, S. 1603 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff.; Erker, ZInsO 2012, 199 ff.; a. A. Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 31 f. 71) So Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 32. 72) Zum Merkmal der „unternehmerischen Entscheidung“ vgl. Bachmann, ZHR 177, 1 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225 ff.; Falkenhausen, NZG 2012, 644 ff.; Fest, NZG 2011, 540 ff.; Fleischer, NZG 2011, 521 ff.; Redeke, NZG 2009, 496 ff. 73) Zur Begründung der Anwendbarkeit ausführlich Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 74) Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 32. 75) S. dazu Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 32; Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 483. 76) So bereits Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 77) Vgl. hinsichtlich der Informationsgrundlage Frege/Nicht in: FS Wellensiek, S. 291 ff. 78) BGH, Urt. v. 10.4.1979 – VI ZR 77/77, NJW 1980, 55; Mönning in: Prütting, S. 43, 48. 79) BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115; Mönning in: Prütting, S. 43, 48.

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Frege/Berger/Nicht

§ 35

Haftung des Insolvenzverwalters x

Verspricht die Fortführung im Vergleich zur sofortigen Liquidation ein besseres oder zumindest gleiches Verfahrensergebnis?80)

x

Sind die notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen und administrativen Rahmenbedingungen abgesichert?

Demnach hat der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidung zu prüfen, ob

53

x

die Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens allein nach insolvenzrechtlichen und unternehmerischen Gesichtspunkten erfolgt,

x

die Entscheidung nicht von Sonderinteressen oder sachfremden Erwägungen beeinflusst wird,

x

auf angemessener Tatsachenbasis entschieden wird,

x

bei der Entscheidung alle maßgeblichen Umstände zum Wohle der Gläubigergemeinschaft abgewogen werden und

x

die Entscheidung im Hinblick auf die Angemessenheit und Zweckdienlichkeit im guten Glauben erfolgt ist.81)

Im Falle eines Schadens, den die Insolvenzmasse durch eine unternehmerische Entschei- 54 dung des Verwalters erlitten hat, können Insolvenzgläubiger bestreiten, dass die unternehmerische Entscheidung auf einer genügenden Entscheidungsgrundlage basiert. Lediglich wenn die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig erhoben und verarbeitet worden sind, ist die unternehmerische Entscheidung grundsätzlich vertretbar und ein in ihr sich verwirklichendes wirtschaftliches Risiko führt nicht zur Haftung. Bei der Herstellung einer genügenden Entscheidungsgrundlage hat sich der Insolvenzver- 55 walter betriebswirtschaftlicher Analysemethoden zu bedienen. Er soll eine strategische und operative Unternehmensplanung erarbeiten. Der Insolvenzverwalter muss zunächst Krisensymptome und Insolvenzursachen sorg- 56 fältig analysieren. Es müssen betriebswirtschaftliche Auswertungen erstellt werden, die als Grundlage einer langfristig strategischen und einer kurzfristig operativen Planung dienen können. Der Insolvenzverwalter muss eine in die Zukunft gerichtete Sanierungskonzeption und das „Leitbild des sanierten Unternehmens“ erstellen.82) Hierzu gehört, dass die strategische Ausgangsposition des Unternehmens erfasst und bewertet wird. Wichtige Analysepunkte sind: x

das Produkt- und Leistungsprogramm,

x

Kundengruppen- und Kundenprobleme,

x

Produktions- und Absatztechnologien.83)

Auf der Grundlage einer langfristigen strategischen Planung ist die operative Unterneh- 57 mensplanung für die einzelnen Teilbereiche des Unternehmens vorzunehmen. Die eher grob definierten Strategien müssen in konkrete Maßnahmen übersetzt werden.84) Die operative Planung ist auf kürzere Zeithorizonte bezogen. Sie muss vom Insolvenzverwalter fortlaufend aktualisiert werden. Im Schrifttum wird vertreten, dass die strategische Ausgangsposition des sanierungsbedürftigen Unternehmens durch den Einsatz von Instru___________ 80) Mönning in: Prütting, S. 43, 49. 81) In Anlehnung an die Grundsätze zur Business Judgment Rule Berger/Frege, ZIP 2008, 204. 82) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap., S. 1841 ff., Rz. 19; Nerlich/ Römermann-Kießling, InsO, § 148 Rz. 68 ff. 83) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 22 f. 84) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 19.

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§ 35

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

menten der Umweltanalyse, der empirischen Planungsforschung und der internen Unternehmensanalyse bestimmt werden soll.85) 58 Untersucht werden muss das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens: x

Marktsituation,

x

Branchensituation,

x

Aufstellung und erkennbare Perspektiven der Wettbewerber.

59 Ferner sollen strategische Erfolgsfaktoren beleuchtet werden: x

relativer Marktanteil,

x

relative Produktqualität,

x

Kapitalintensität.86)

60 Hierzu sind finanzwirtschaftliche Methoden und Kennzahlen zu verarbeiten. Die unternehmensinterne Analyse muss die Gründe für eventuell vorliegende Leistungsdifferenzen benennen. Sie muss auf die Struktur des sanierungsbedürftigen Unternehmens und seine Stärken und Schwächen (z. B. in Produktion, Forschung und Entwicklung, Marketing, Personal, Finanzen) eingehen.87) 61 Ausgehend von der Analyse der strategischen Ausgangsposition sind die zur Fortführung des Unternehmens maßgebenden strategischen operativen Maßnahmen abzuleiten. Mit ihnen soll das Unternehmen neu ausgerichtet werden: x

Schwächen in den Bereichen Produkt, Qualität und Marketing sind abzustellen.

x

Die richtige Organisationsform und Organisationsstruktur ist zu wählen.

x

Unternehmensinterne Prozesse und Zuständigkeiten sollen nachvollziehbar definiert und für alle Beteiligten durchsichtig sein.

x

Informations- und Kommunikationswege sollen reibungs- und verlustfrei gestaltet werden.

x

Bei Konzernunternehmen müssen Barrieren zwischen den einzelnen Gesellschaften abgebaut werden.

x

Die Führungsebenen sollen adäquat gestaltet, besetzt und überwacht werden.

x

Die Situation des gesamten Personals ist kritisch zu überprüfen.

x

Ein geeignetes Controllingsystem ist zu installieren.88)

1.3.4 Prüfung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit 62 Gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzeigen, wenn zwar die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO) aus der Insolvenzmasse bestritten werden können, nicht aber die bereits fälligen sonstigen Verbindlichkeiten (§ 55 InsO), zu denen auch die oktroyierten Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO gehören (sog. Altmasseverbindlichkeiten). Dies gilt gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO auch dann, wenn die Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Fälligkeit der sonstigen Masseverbindlichkeiten zu deren Bedienung nicht ausreichen wird. Die Pflicht zur Anzeige ist dem Gesetz zu entnehmen, denn der Wortlaut von § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO lautet: „… so hat der Insolvenzverwalter … anzuzeigen.“

___________ 85) 86) 87) 88)

Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 19. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-GietlSchinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 19. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 22. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Gietl/Schinhärl, Hdb. FAInsR, 27. Kap. Rz. 22, 41 ff., 102 ff.

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§ 35

Haftung des Insolvenzverwalters

Allerdings enthält das Gesetz keine eindeutige Aussage dazu, zu welchem Zeitpunkt die 63 Masseunzulänglichkeit angezeigt werden muss.89) Nach h. M. hat der Insolvenzverwalter einen Entscheidungsspielraum im Hinblick auf den Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeit.90) Der BGH spricht von einem „weiten Handlungsspielraum“, da die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zu begründen ist und vom Insolvenzgericht nicht nachgeprüft wird. Insoweit existiert nach Ansicht des BGH auch keine insolvenzspezifische Pflicht, die Masseunzulänglichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erklären, um die Einzelinteressen bestimmter Gläubiger zu schützen. Allerdings folgt hieraus nicht, dass der Insolvenzverwalter völlig frei in seiner Entscheidung ist. Denn wie der BGH in der Entscheidung IX ZB 261/08 gezeigt hat, muss der Insolvenzverwalter die Masse nach dem Verteilungsschlüssel des § 209 Abs. 1 InsO verteilen, soweit die Voraussetzungen des § 208 Abs. 1 InsO vorliegen, d. h. bei voraussichtlicher oder tatsächlicher Masseunzulänglichkeit.91) Hiernach kann die Einhaltung der Befriedigungsreihenfolge des § 209 Abs. 1 InsO nicht dadurch vom Verwalter umgangen werden, „dass er die gebotene Anzeige einfach unterlässt.“92)

In der Literatur ist umstritten, ob ein Insolvenzverwalter nach bereits erfolgter Anzeige 64 der Masseunzulänglichkeit nochmals die Masseunzulänglichkeit anzeigen darf.93) Man mag sich hier Fälle vorstellen, in denen die prognostizierte Insolvenzmasse aufgrund nicht vorhersehbarer Ereignisse auch nicht ausreicht, um die Neumasseverbindlichkeiten zu bezahlen, so dass es zu einer Rückstufung auch von Neumassegläubigern kommt. Die Folge wäre bei mehrmaliger Anzeige der Masseunzulänglichkeit, dass verschiedene Rangklassen nachrangiger Altmassegläubiger gebildet würden, was zu einem unübersichtlichen Verfahren führt. Deshalb sind der wohl überwiegende Teil der Literatur und der BGH der Ansicht, dass nach einmaliger Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht nochmals die Masseunzulänglichkeit angezeigt werden darf.94) Dies gilt auch dann, wenn zunächst nur die drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde, später die Masseunzulänglichkeit tatsächlich eintritt.95) Vielmehr ist gemäß BGH96) so zu verfahren, dass bei nicht zureichender Insolvenzmasse 65 nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit auch die danach noch hinzutretenden Neumassegläubiger nur zusammen mit den Altmassegläubigern quotal befriedigt werden dürfen (analog § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Insoweit soll bei einer Leistungsklage eines Neumassegläubigers kein entsprechendes Leistungsurteil ergehen dürfen, sondern allenfalls ein Feststellungsurteil, mit dem festgelegt wird, dass der Neumassegläubiger quotal im Anschluss an die Bezahlung der Verfahrenskosten zu bedienen ist.97)

___________ 89) 90) 91) 92) 93) 94)

BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. m. w. N. des Schrifttums. BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. Weitzmann in: HambKomm-InsO,§ 208 Rz. 11. BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, NJW 2006, 2997, 2999 = ZIP 2006, 1004; BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914 = NJW 2003, 2454; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 25.11.2003 – 25 W 60/03, NZI 2005, 40; Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 60; Landfermann in: HKInsO, § 208 Rz. 6; Mohrbutter/Ringstmeier-Pape, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 12 Rz. 100; Blersch/ Goetsch/Haas-Breutigam, BK-InsO, § 208 Rz. 4; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 55. 95) Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 6. 96) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914. 97) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914.

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§ 35

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

66 Gemäß § 209 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Verbindlichkeiten wie folgt zu befriedigen: x

zunächst die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO),

x

hiernach die Verbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören (sog Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO),

x

hiernach die sonstigen Masseverbindlichkeiten (sog. Altmasseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO).

67 Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 Abs. 1 InsO wegen verspäteter Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird vom BGH nicht angenommen. Vielmehr richte sich die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für Masseverbindlichkeiten, die bei ihrer Fälligkeit nicht bedient werden können, ausschließlich nach § 61 InsO.98) Danach dürfe die Regelung in § 61 InsO nicht dadurch unterlaufen werden, dass eine insolvenzspezifische Pflicht kreiert werde, die Masseunzulänglichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuzeigen.99) 68 Eine persönliche Haftung nach § 60 Abs. 1 InsO kann allenfalls in Betracht kommen, wenn der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die fälligen Masseverbindlichkeiten falsch bedient, indem er z. B. auf Altmasseverbindlichkeiten zahlt und Neumassegläubiger hierdurch ausfallen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch, wenn der Insolvenzverwalter fehlerhaft auszahlt, weil er nach tatsächlicher Masseunzulänglichkeit nicht entsprechend § 209 Abs. 1 InsO auszahlt, ohne die Masseunzulänglichkeit angezeigt zu haben. Der BGH hat entschieden, dass auch dann § 209 Abs. 1 InsO anzuwenden ist, wenn eine verspätete oder gar keine Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt.100) 1.4

Bedeutung der Genehmigung durch den Gläubigerausschuss

69 Der Gläubigerausschuss und der Insolvenzverwalter sollen als gleichberechtigte, voneinander jedoch unabhängige Organe der Insolvenzverwaltung zusammenarbeiten. Der Gläubigerausschuss ist nicht Hilfsorgan des Insolvenzverwalters; umgekehrt steht dem Gläubigerausschuss gegenüber dem Insolvenzverwalter kein Weisungsrecht zu.101) Der Gläubigerausschuss ist verpflichtet, den Insolvenzverwalter zu überwachen und mit diesem zusammenzuarbeiten (§ 69 InsO). 70 Aus diesen gesetzlichen Maßgaben zur Zusammenarbeit ist herzuleiten, dass der Gläubigerausschuss gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter alle wesentlichen Entscheidungen innerhalb des Insolvenzverfahrens trifft. Demnach hat er sich umfassend zu informieren. Dies ist lediglich möglich, wenn der Insolvenzverwalter dem Gläubigerausschuss gegenüber vollständig berichtet und den Gläubigerausschuss mit den für die maßgeblichen Entscheidungen erforderlichen Informationen ausstattet. Art und Umfang dieser Informationen müssen so ausgestaltet sein, dass der Gläubigerausschuss seiner Mitwirkungspflicht und seiner Kontrollaufgabe genügen kann. Denn der Gläubigerausschuss hat neben der Mit___________ 98) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff.; vgl. Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff.; Gundlach/Frenzel/Jahn, DZWIR 2011, 177 ff. 99) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/98, ZIP 2010, 2356 ff. 100) BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, NJW 2006, 2997 = ZIP 2006, 1004; BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145 ff. 101) Eickmann in: HK-InsO, § 69 Rz. 3 ff.; Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, InsO, § 69 Rz. 5; Pape, Gläubigerbeteiligung, Rz. 334; Heidland in: Kölner Schrift, S. 711, 723, Rz. 25; Frege/Keller/Riedel, InsR, Rz. 1222.

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§ 35

Haftung des Insolvenzverwalters

wirkung die Rechtmäßigkeit, die Zweckmäßigkeit und die wirtschaftliche Angemessenheit des Handelns des Insolvenzverwalters zu überwachen.102) Hierzu gehört u. a. die Prüfung, ob die Weiterführung des Schuldnerunternehmens sinnvoll 71 erscheint oder die Voraussetzungen für eine sofortige Stilllegung gegeben sind.103) Diese Kontrolle kann ein Gläubigerausschussmitglied lediglich dann ausüben, wenn sich das Mitglied über die relevanten wirtschaftlichen Vorgänge hinreichend informiert hat. Der inhaltlichen Prüfung geht demnach die Pflicht der Gläubigerausschussmitglieder voraus, sich über die relevanten wirtschaftlichen Vorgänge zu informieren.104) Hierzu besteht ein Recht und eine Pflicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses, vom Insolvenzverwalter einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die genaue Geschäftsführung zu verlangen.105) Informationsmaß und Informationsdichte richten sich nach den Besonderheiten des Schuldnerunternehmens und nach der bisherigen Geschäftsführung des Insolvenzverwalters. Bei einer Betriebsfortführung sind insbesondere die Rechte und Pflichten zu berücksichtigen, die bei der Insolvenzverwaltung eines noch bestehenden Handels- oder Industrieunternehmens zu berücksichtigen sind. In besonderen Einzelfällen ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, einen Beschluss des 72 Gläubigerausschusses einzuholen (dazu §§ 158 Abs. 1, 160 Abs. 1 InsO). Unterlässt der Insolvenzverwalter die gesetzlich gebotene Beteiligung des Gläubigerausschusses, macht dies die vorzulegende Rechtshandlung im Außenverhältnis zwar nicht unwirksam (§ 164 InsO), es kann aber hieraus der Schluss gezogen werden, dass eine schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gegeben ist, die zu einem Schadensersatzanspruch führen kann.106) Umgekehrt enthält eine zustimmende Entscheidung des Gläubigerausschusses noch 73 nicht die Festlegung, dass aufgrund des Votums des Ausschusses eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters in jedem Falle ausscheidet.107) Allerdings kann von der Zustimmung des zuständigen Verfahrensorgans eine erhebliche Indizwirkung für rechtmäßiges und nicht schuldhaftes Verhalten des Verwalters ausgehen, wenn eine gesetzliche Zustimmungsbedürftigkeit gegeben war (Vorlagepflicht) und wenn der Insolvenzverwalter das zuständige Verfahrensorgan zutreffend – d. h. zeitlich und sachlich angemessen, inhaltlich richtig und vollständig – informiert hat.108) 1.5

Beteiligung der Gläubigerversammlung

Eine zustimmende Entscheidung der Gläubigerversammlung kann von Bedeutung hinsicht- 74 lich der Haftung des Verwalters gemäß § 60 InsO sein, wenn eine gesetzliche Pflicht zur Einholung der Zustimmung der Versammlung gegeben war und die Information der Versammlung sachlich zutreffend und inhaltlich ausreichend gewesen ist. Insoweit ist zu prüfen, ob die Gläubigerversammlung ordnungsgemäß informiert wurde. 75 Die Berichtspflicht gegenüber der Gläubigerversammlung ergibt sich aus §§ 79, 156, 160 ff. ___________ 102) 103) 104) 105) 106)

OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 25. Vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 25. S. Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 28 mit Hinweis auf OLG Rostock, Urt. v. 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488. 107) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 25. 108) Vgl. BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 28 f.

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§ 35

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

InsO.109) Das Berichtswesen des Verwalters dient der sachgerechten Vorbereitung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung. 76 Die Gläubigerversammlung ist gemäß § 157 Satz 1 InsO dafür zuständig zu entscheiden, ob das Unternehmen stillgelegt oder vorläufig fortgeführt wird. Vor der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (§ 162 InsO) oder der Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 InsO) ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. 77 Das Gesetz enthält in § 156 Abs. 1 InsO inhaltliche Anforderungen an den Bericht des Insolvenzverwalters. Er muss über die Fortführungsfähigkeit berichten und Alternativszenarien beschreiben. Darüber hinausgehend sind im Gesetz keine formalen und inhaltlichen Vorgaben für den Bericht des Insolvenzverwalters enthalten. Die Insolvenzordnung schreibt den Inhalt und die Art und Weise der Präsentation des Berichtes nicht im Einzelnen vor. Die erforderliche Informationstiefe richtet sich nach den Maßgaben des Einzelfalls. Der Bericht soll die Entscheidung der Gläubigerversammlung über den weiteren Verfahrensverlauf vorbereiten. Der Bericht des Insolvenzverwalters muss deshalb so umfangreich und detailliert sein, dass er gemeinsam mit den eingereichten Unterlagen eine Grundlage für die Entscheidung der Gläubiger bilden kann:110) x

Der Bericht muss zu den Erhaltungs- und Sanierungsaussichten Auskunft geben.

x

Der Insolvenzverwalter muss anhand der leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens die Zweckmäßigkeit der Unternehmensfortführung belegen.111)

x

Der Insolvenzverwalter muss dabei Fortführungsrisiken und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten möglichst genau abbilden und Entscheidungsalternativen für die Gläubigerversammlung offenlegen.112)

x

Die Krisenursachen müssen zutreffend erfasst werden.113)

x

Nach Analyse der Ursachen muss der Insolvenzverwalter überprüfen, ob die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens gegeben ist. Die Sanierungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Unternehmen nach Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen nachhaltig einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben erzielen kann.114) Soweit eine Überschussprognose nicht anzustellen ist, soll das Unternehmen liquidiert werden.

78 Der Bericht des Insolvenzverwalters zu den Erhaltungs- und Sanierungsaussichten des Unternehmens enthält neben einer Darstellung der Fakten auch Prognosen und unternehmerische Werturteile. Er kann nicht in der gleichen Weise exakt sein, wie die Erfassung der zurückliegenden Entwicklung des Unternehmens. Gleichwohl darf ein sorgfältiger Insolvenzverwalter nicht spekulativ vorgehen.115) Die angestellten Prognosen und Werturteile müssen vielmehr kaufmännisch vertretbar und ausreichend durch Tatsachen gestützt sein.116) Der Insolvenzverwalter soll planvoll anhand eines Liquiditätsplans, der auf den Annahmen zu den leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens beruht und die Zweckmäßigkeit der Fortführung belegt, vorgehen.117) ___________ 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117)

Vgl. zur Informationserteilung Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 156 Rz. 8. Görg in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 16 f. Görg in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 16, 18. Vgl. Picot/Aleth-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1168 Rz. 54. Nochmals Picot/Aleth-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, S. 1169 Rz. 55. Görg in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 16. Zur Prospekthaftung vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.10.2008 – 23 U 348/05, juris. Görg in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 17.

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§ 35

Haftung des Insolvenzverwalters Darüber hinaus sind folgende Maßgaben einzuhalten:

79

x

Die denkbaren Effekte einer Unternehmenszerschlagung sollen dargestellt werden.118)

x

Der Zerschlagung soll der alternative Verfahrensverlauf bei einer Sanierung des Unternehmens gegenübergestellt werden.

x

Es soll vom Insolvenzverwalter sorgfältig prognostiziert werden, „welche Dividende die Gläubiger bei welcher Entscheidung zu erwarten haben“.119)

x

Der Insolvenzverwalter soll insoweit die verschiedenen Verfahrenswege im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung gegenüberstellen und miteinander vergleichen.120)

Soweit die Gläubigerversammlung aufgrund der unvollständigen oder inhaltlich falschen 80 Information durch den Bericht des Insolvenzverwalters eine objektiv fehlerhafte Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens durch Unternehmensfortführung trifft und dies zu einem Schaden führt, haftet der Insolvenzverwalter wegen Verletzung einer insolvenzspezifischen (Berichts-)Pflicht gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 Abs. 1 InsO, wenn er das Unternehmen pflichtwidrig fortführt. Der Insolvenzverwalter kann sich zu seiner Rechtfertigung nicht auf einen Beschluss der Gläubigerversammlung berufen, wenn diese durch ihn mangelhaft informiert worden ist.121) Ungeachtet dessen führt eine zustimmende Entscheidung der Gläubigerversammlung 81 auch bei vollständiger und richtiger Information nicht automatisch zur Enthaftung des Insolvenzverwalters. Wenn eine gesetzliche Vorlagepflicht bestanden hat (§§ 157, 162, 163 InsO), kann jedoch die Indizwirkung derart gewichtig sein, dass ein Verschulden des Verwalters ausscheidet.122) In vorsichtiger Anlehnung an § 253 Abs. 2 InsO n. F. könnte man allenfalls erwägen, den Gläubigern die Berufung auf einen Schadensersatzanspruch zu versagen, die in der Gläubigerversammlung dem Handlungsvorschlag des Insolvenzverwalters zugestimmt haben oder nicht anwesend waren. 2.

Insolvenzspezifische Haftung gemäß § 61 InsO

Gemäß § 61 Satz 1 InsO haftet der Insolvenzverwalter einem Massegläubiger auf Scha- 82 densersatz, wenn eine Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde. Die persönliche Haftung ist gemäß § 61 Satz 2 InsO ausgeschlossen, wenn der Insolvenzverwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Insolvenzmasse voraussichtlich zur Erfüllung der Masseverbindlichkeit nicht ausreichen wird. 2.1

Gesetzeszweck der persönlichen Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO

Nach der Rechtslage unter der KO, die keine dem § 61 InsO vergleichbare Haftungsnorm 83 kannte, oblag es dem Vertragspartner des Verwalters, sich selbst einen Eindruck von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Masse zu machen. Das erschwerte dem Verwalter das Auffinden von Geschäftspartnern. Der Gesetzgeber erkennt mit § 61 InsO nun an, dass im Falle eines Vertragsschlusses mit einem insolventen Unternehmen ein erhöhtes Ausfallrisiko für den Gläubiger besteht, welches durch § 61 InsO abgemildert werden ___________ 118) Vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 IV Rz. 37. 119) Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 IV Rz. 58; UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 156 Rz. 9 ff. 120) Möhlmann, NZI 1999, 433. 121) Vgl. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 60 Rz. 142; BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262 ff. = ZIP 191, 324 ff. 122) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 ff.; Lüke, Persönliche Haftung des Verwalters, S. 34.

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§ 35

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

soll.123) Gleichzeitig soll hierdurch die Bereitschaft der potenziellen Vertragspartner gefördert werden, Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzverwalter einzugehen, was bei Betriebsfortführungen besonders wichtig sein kann.124) Deshalb wird der Insolvenzverwalter verpflichtet, vor der Begründung von Masseschulden „besonders sorgfältig“ zu prüfen, ob er die neu begründeten Masseverbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt wird erfüllen können. 2.2

Ersatzberechtigte

84 Zum Schadensersatz berechtigt sind Massegläubiger gemäß §§ 53 bis 55 InsO. Im Regelfall sind Vertragsgläubiger betroffen, mit denen der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kontrahiert hat oder als „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter kontrahiert hatte (vgl. auch § 55 Abs. 2 InsO). In den Anwendungsbereich von § 61 InsO fallen ferner Gläubiger aus vor Verfahrenseröffnung begründeten Dauerschuldverhältnissen, die gemäß §§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt., 108 InsO aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind, wenn der Zeitpunkt der frühestmöglichen Kündigung überschritten ist.125) 2.3

Schadensumfang

85 Die Haftung gemäß § 61 InsO ist auf das negative Interesse begrenzt, d. h. der geschädigte Vertragspartner ist so zu stellen wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters nicht vorgelegen hätte (vgl. auch § 249 Abs. 1 BGB).126) Es liegt ein Fall der Vertrauenshaftung vor.127) Die Pflichtverletzung durch den Insolvenzverwalter liegt in dem Abschluss des Vertrages, obgleich im Abschlusszeitpunkt ernstliche Zweifel an der Erfüllbarkeit bestanden, nicht allein in der Unfähigkeit der Insolvenzmasse zur Befriedigung des Vertragspartners.128) Der BGH sieht hier eine Parallele zum Umfang der Haftung von Geschäftsführern und Vorständen, die entgegen der Pflicht zur Insolvenzantragstellung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 AktG a. F., § 15a Abs. 1 InsO neue Verbindlichkeiten begründen und den Geschäftspartnern auf das negative Interesse haften. Die im Grundsatz vergleichbare Haftung des Insolvenzverwalters könne nicht strenger ausfallen, obwohl der Insolvenzverwalter „… bei seinen Entscheidungen häufig unter großem, nicht selbst verschuldetem Zeitdruck steht und es daher viel schwerer hat, sich ein hinreichend sicheres Bild von der finanziellen Situation des Schuldners zu machen.“129)

2.4

Abgrenzung Einzelschaden/Gesamtschaden

86 Der Schadenersatzanspruch gemäß § 61 Satz 1 InsO ist ein Individualanspruch des nicht befriedigten Massegläubigers, der auch während des Insolvenzverfahrens vom Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.130) Die Geltendmachung dieses Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Insolvenzmasse noch Ansprüche gegen Dritte hat, die in der Summe den gemäß § 61 Satz 1 InsO geltend gemachten Betrag übersteigen. Zumindest wenn der Insolvenzver___________ 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130)

BT-Drucks. 12/2443, S. 129; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 2. BT-Drucks. 12/2443, S. 129. S. BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 ff. = ZIP 2003, 914. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 23. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 26.

1034

Frege/Berger/Nicht

§ 35

Haftung des Insolvenzverwalters

walter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und keine ohne weiteres durchsetzbaren Ansprüche der Insolvenzmasse gegen Dritte bestehen, aus denen die Massegläubiger befriedigt werden können, ist ein Schaden gemäß § 61 Satz 1 InsO gegeben, der individuell klageweise gegen den Insolvenzverwalter durchgesetzt werden kann.131) § 92 InsO ist im Bereich von § 61 InsO grundsätzlich nicht anzuwenden. Im Schrifttum wird hingegen teilweise die Ansicht vertreten, dass ein Gesamtschaden i. S. von § 92 InsO vorliege, wenn eine Schmälerung der Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt.132) Dann sei § 92 InsO analog anzuwenden. 2.5

Abgrenzung zu § 60 InsO

Die Abgrenzung zu § 60 InsO erfolgt anhand des Zeitpunktes der pflichtwidrigen 87 Handlung des Insolvenzverwalters. Ausgangspunkt ist die Überlegung des BGH, dass § 61 InsO eine Entscheidung im Interessenkonflikt zwischen Massegläubiger und Insolvenzverwalter bewirken möchte, wen das Risiko der zukünftigen Masseunzulänglichkeit treffen soll. Hierbei soll der Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses von entscheidender Bedeutung sein.133) Dem Insolvenzverwalter wird durch § 61 Satz 1 InsO die gesetzliche Pflicht auferlegt, vor 88 der Eingehung von neuen Verbindlichkeiten besonders sorgfältig zu prüfen, ob er diese neuen Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse erfüllen kann. Er muss sich nach Ansicht des BGH vergewissern, ob er die neuen Verbindlichkeiten bei Zugrundelegung des normalen Geschäftsgangs rechtzeitig und vollständig mit Mitteln der Insolvenzmasse wird erfüllen können.134) Der Zeitpunkt der für § 61 Satz 1 InsO maßgeblichen Pflichtverletzung ist mithin der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Spätere fehlerhafte Handlungen des Insolvenzverwalters, z. B. die unzutreffende Bedie- 89 nung von Masseverbindlichkeiten im Fall der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 209 InsO), können nicht zur Haftung gemäß § 61 Satz 1 InsO führen, sondern allenfalls zur Haftung gemäß § 60 InsO, soweit eine schuldhafte Pflichtverletzung gegeben ist. Hiernach besteht ein insolvenzspezifischer Schutz für die Massegläubiger für den Zeitraum der Vertragsabwicklung. In diesem Zeitabschnitt nach dem Vertragsschluss sind diese Massegläubiger dagegen geschützt, dass der Insolvenzverwalter z. B. das Gebot nicht beachtet, Massegläubiger vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen oder im Falle der unzureichenden Masse nur quotal.135) Nach Ansicht des BGH ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Massegläubiger nur anteilig zu befriedigen, wenn er vorübergehend nicht in der der Lage ist, die Masseverbindlichkeiten vollständig zu bedienen.136) 2.6

Entlastungsbeweis

Nach Ansicht des BGH kann sich der Insolvenzverwalter mit zwei verschiedenen Be- 90 gründungen entlasten. Er kann entweder

___________ 131) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 132) Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 3; Hess, InsO, § 60 Rz. 152; Meyer-Löwy/Poertzgen/Sauer, ZInsO 2005, 691, 694. 133) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 5. 134) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Pape/Graeber-Pape, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 19 ff. 135) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 136) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107.

Frege/Berger/Nicht

1035

§ 35

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

x

darlegen und beweisen, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses objektiv von einer zur Erfüllung der streitgegenständlichen Verbindlichkeit voraussichtlich ausreichenden Insolvenzmasse auszugehen war oder

x

dass die tatsächlich unzureichende Insolvenzmasse für ihn nicht erkennbar gewesen ist.137)

91 Der Beweis der objektiv zureichenden Insolvenzmasse bzw. der Nichterkennbarkeit des zukünftigen Nichtausreichens kann nach der Rechtsprechung des BGH „im allgemeinen“ nur geführt werden, indem der Insolvenzverwalter „plausible Liquiditätsrechnungen“ erstellt und diese „bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert“.138) Die Grundlage hierfür soll eine Prognose aufgrund verschiedener Faktoren bilden: x

der aktuellen Liquiditätslage der Insolvenzmasse,

x

der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener Forderungen und

x

der künftigen Geschäftsentwicklung des insolventen Unternehmens für die Dauer der Betriebsfortführung.139)

92 Besondere Bedeutung kommt hierbei der Bewertung der Außenstände zu. Der BGH meint, dass Forderungen der Insolvenzmasse gegenüber Dritten aus den Prognosebetrachtungen herauszunehmen sind, wenn ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Rechte in angemessener Zeit realisiert werden können.140) 93 Der BGH hat im Hinblick auf den möglichen Einwand des Insolvenzverwalters, er habe die Forderungen der Massegläubiger im Einzelfall nicht gekannt, darauf hingewiesen, dass in einem solchen Fall der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss, dass er hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen hatte, um eine vollständige und rechtzeitige Buchung aller Masseverbindlichkeiten sicherzustellen. Hierzu muss der Insolvenzverwalter Erfüllungsgehilfen anleiten und überwachen.

___________ 137) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 19. 138) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107; Nerlich/Römermann-Rein, InsO, § 61 Rz. 20. 139) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107. 140) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 ff. = ZIP 2004, 1107.

1036

Frege/Berger/Nicht

§ 36 Vergütungsfragen Übersicht I. 1.

2.

3.

4.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung ...................... 1 Allgemeine Fragestellungen ........................ 1 1.1 Die mangelnde Umsetzung des Sanierungsgedankens in der InsVV................................................. 1 1.2 Vergütungsrechtliche Besonderheiten bei der Betriebsfortführung.................................................... 3 Die Bestimmung der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV............................ 6 2.1 Die Insolvenzmasse bei Beendigung des Insolvenzverfahrens .......... 6 2.2 Der Abzug von Verbindlichkeiten aus Betriebsfortführung ............. 7 2.2.1 Die Zielsetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ................... 7 2.2.2 Die konkrete Anwendung der Norm ................................................. 9 Die Zuschlagsgewährung wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV................................ 12 3.1 Die Größe des Unternehmens und die Dauer der Fortführung ..... 12 3.2 Die fehlende Massemehrung als Tatbestandsvoraussetzung ............. 15 3.3 Der sog. „ausgleichende“ Zuschlag bei Gewinn aus Unternehmensfortführung ............ 17 3.4 Weitere typische Erhöhungstatbestände im Zusammenhang mit Betriebsfortführung ................. 21 Die Gewährung eines Vorschusses auf die Vergütung ............................................. 25

II. Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens ........................... 28 1. Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ................................... 28 2. Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ................................................. 33 3. Die Vergütung des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren ....................... 41 4. Die Vergütung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses................................. 43 III. Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung ........................... 46 1. Die Beauftragung externer Dienstleister ............................................... 46 1.1 Grundsätze zur zulässigen Beauftragung ................................... 46 1.2 Folgen für die Vergütung ............... 52 2. Einzelfragen................................................ 56 IV. Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung............. 61 1. Die Schlussrechnungslegungspflicht nach § 66 InsO ........................................... 61 2. Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schlussrechnungsprüfung ............ 62 2.1 Die Zulässigkeit einer Beauftragung............................................. 62 2.2 Der Inhalt der Beauftragung zur Schlussrechnungsprüfung............... 63 2.3 Der Inhalt des Sachverständigenauftrags............................................. 65 3. Die Bewertung des Sachverständigengutachtens................................................... 67

Literatur: Berger/Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Bork, Beauftragung von Dienstleistern durch den Insolvenzverwalter: Regelaufgabe oder besondere Aufgabe?, ZIP 2009, 1747; Eickmann, VergVO – Kommentar zur Verordnung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl., 1997; Franke/Goth/Firmenich, Die (gerichtliche?!) Schlussrechnungsprüfung im Insolvenzverfahren – zwischen Legalitäts- und Legitimitätskontrolle, ZInsO 2009, 123; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, 2. Aufl., 2008; Graeber, Die Einbeziehung von Forderungen und Betriebsausgaben des Insolvenzschuldners in die Berechnungsgrundlage des vorläufigen Insolvenzverwalters, NZI 2007, 492; Graeber/Graeber, Die Beauftragung von Dienstleistern und deren Auswirkugen auf die Vergütung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2013, 1284; Graeber/ Graeber, Möglichkeiten und Grenzen der Beauftragung von Dienstleistern durch Insolvenzverwalter, ZInsO 2013, 1056; Hebenstreit, Prüfung der Schlussrechnungen durch das Insolvenzgericht, ZInsO 2013, 276; Jaeger, Konkursordnung, 6. u. 7. Aufl., 1931; Keller, Die Bestimmung des vergütungsrechtlichen Normalfalls nach § 2 InsVV, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 247; Keller, Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Unternehmensfortführung, DZWIR 2009, 231; Keller, Die Zulässigkeit der Beauftragung mit dem Insolvenzverwalter gesellschaftsrechtlich verbundener Unternehmen und der Anrechnungstatbestand nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 lit. a InsVV, DZWIR 2000, 265; Lièvre/

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§ 36

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Stahl/Ems, Die Anforderungen an die Aufstellung und Prüfung der Schlussrechnung im Insolvenzverfahren, KTS 1999, 1; Uhlenbruck, Die Prüfung der Rechnungslegung des Konkursverwalters, ZIP 1982, 125; Vierhaus, Zur Verfassungswidrigkeit der Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf Private, ZInsO 2008, 521; Weitzmann, Rechnungslegung und Schlussrechnungsprüfung, ZInsO 2007, 449; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Zimmer, Probleme des Vergütungsrechts (bei Nicht-Eröffnung des Insolvenzverfahrens) vor und nach ESUG – Plädoyer für das Eröffnungsverfahren als notwendige Vorstufe eines Insolvenzverfahrens im Sinne einer Vorgesellschaft, ZInsO 2012, 1658.

I.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung

1.

Allgemeine Fragestellungen

1.1

Die mangelnde Umsetzung des Sanierungsgedankens in der InsVV

1 Die Betriebsfortführung während eines Insolvenzverfahrens stellt nach den vergütungsrechtlichen Vorschriften des Insolvenzrechts niemals einen Regelfall der Insolvenzverwaltung dar.1) Dies wird bereits daran deutlich, dass § 3 Abs. 1 lit. b InsVV für die Unternehmensfortführung einen Zuschlag zur Regelvergütung des Insolvenzverwalters vorsieht. Auch wenn § 1 InsO die Sanierung eines Unternehmens als Ziel des Insolvenzverfahrens vorsieht und für das Insolvenzeröffnungsverfahren durch § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO bezogen auf die Aufgaben des sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters die Unternehmensfortführung als Regelfall normiert ist, ist vergütungsrechtlich die Betriebsfortführung in keinem Fall eines Insolvenzverfahrens Normalfall, der durch die Regelvergütung des § 2 InsVV abgedeckt wäre. 2 Diese Diskrepanz zwischen den Zielen der InsO und der vergütungsrechtlichen Umsetzung hat ihren Ursprung in der Historie des Vergütungsrechts. Die InsVV vom 19.12.1998 ist der früheren Vergütungsverordnung von 1970 nachgebildet, die Sanierung als Ziel des Insolvenzverfahrens ist dabei weitgehend unberücksichtigt geblieben.2) Dieser Missstand gilt bis heute. So sind die Änderungen der InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.20113) mit den Organen des vorläufigen Sachwalters, des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren oder dem sog. Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO vergütungsrechtlich nicht adäquat umgesetzt. 1.2

Vergütungsrechtliche Besonderheiten bei der Betriebsfortführung

3 In der insolvenzrechtlichen Vergütung bei Unternehmensfortführung besteht die erste Besonderheit in der Bestimmung der Berechnungsgrundlage, da nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV die Verbindlichkeiten aus der Unternehmensfortführung von der Insolvenzmasse abzuziehen sind. 4 Mit dem Erhöhungstatbestand des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV für Unternehmensfortführung sind regelmäßig weitere Erhöhungstatbestände verbunden, die üblicherweise bei Betriebsfortführung gegeben sind. Zu nennen sind die hohe Zahl an Arbeitnehmern, Vorbereitung und Durchführung einer übertragenden Sanierung oder Erstellung eines Insolvenzplans. Zwischen diesen Tatbeständen sind Überschneidungen und Synergien in der Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters zu beachten. 5 Zuletzt sind gerade auch i. R. der Vergütungsfestsetzung wegen § 8 Abs. 2 InsVV oder § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 lit. a, § 5 InsVV die Beschäftigung von externen Dienstleistern oder die eigene Erledigung delegationsfähiger Tätigkeiten problematisch. Zur Vorberei___________ 1) BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49 m. Anm. Prasser, dazu EWiR 2008, 761 (Schröder); dazu Keller, DZWIR 2009, 231. 2) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 1, 2. 3) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582.

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§ 36

Vergütungsfragen

tung einer übertragenden Sanierung werden nicht selten spezialisierte M&A-Berater oder Kanzleien beauftragt, für die Betriebsfortführung werden mitunter auch sog. InterimsManager beschäftigt. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für derlei Beauftragungen ist nicht selten Gegenstand kontroverser Diskussionen zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht. 2.

Die Bestimmung der Berechnungsgrundlage nach § 1 InsVV

2.1

Die Insolvenzmasse bei Beendigung des Insolvenzverfahrens

Die Vergütung des Insolvenzverwalters berechnet sich nach der Insolvenzmasse bei Been- 6 digung des Insolvenzverfahrens (§§ 63, 65 InsO, § 1 Abs. 1 InsO). Sie ergibt sich regelmäßig aus der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach § 66 InsO, wird aber um die Tatbestände des § 1 Abs. 2 InsVV modifiziert.4) Zur Insolvenzmasse gehören aber auch Vermögenswerte (Anlagevermögen), die im Insolvenzverfahren nicht verwertet worden sind.5) Dies ist bspw. dann der Fall, wenn das Verfahren durch Insolvenzplan beendet wird.6) Bei Veräußerung des Unternehmens durch übertragende Sanierung mit Asset Deal oder auch durch Übertragung von Anteilen an Gesellschaften (Share Deal) stellt die Gesamtheit der von einem Erwerber übernommenen Leistungen einschließlich möglicher Übernahme von Verbindlichkeiten die Insolvenzmasse dar.7) 2.2

Der Abzug von Verbindlichkeiten aus Betriebsfortführung

2.2.1 Die Zielsetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV Masseverbindlichkeiten des Insolvenzverfahrens werden grundsätzlich von der Insolvenz- 7 masse als Berechnungsgrundlage nicht abgezogen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV). Bei Unternehmensfortführung gilt dieser Grundsatz nicht. Hier ist zwingend § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV zu beachten, der für diesen Fall den Abzug von Masseverbindlichkeiten von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage der Vergütung vorschreibt. Die Regelung ist insoweit bemerkenswert, als sie zunächst zu einer geringeren Berechnungsgrundlage und damit zu einer geringen Regelvergütung gerade in dem Fall führt, bei welchem der Insolvenzverwalter durch Geschäftsfortführung und Sanierung das schuldnerische Unternehmen erhalten und so dem Ziel der InsO entsprochen hat. Sie soll verhindern, dass der Insolvenzverwalter doppelte Vergütung erhält, einmal durch eine hohe Insolvenzmasse, weil mit der Betriebsfortführung Gewinn erzielt wurde, und ein zweites Mal durch Gewährung eines Zuschlags auf die bereits erhöhte Regelvergütung. Dabei ist aber zu bedenken, dass die Unternehmensfortführung durch den Insolvenzver- 8 walter in erster Linie nicht der Erwirtschaftung von Gewinn dient, sondern der Erhaltung des Fortführungswerts des Unternehmens als Insolvenzmasse einschließlich des good will.8) Die Unternehmensfortführung führt nicht selten zu hohen Betriebsausgaben, die als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Ihnen steht oft kein ausreichender Umsatz gegenüber, so dass oft tatsächlich kein Gewinn erzielt wird. Mit der Betriebsfortführung riskiert der Insolvenzverwalter Verluste, die durch eine anschließende erfolgreiche Veräuße___________ 4) Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 147 ff. 5) BGH, Beschl. v. 16.11.2006 – IX ZB 302/05, ZIP 2007, 284 = ZVI 2007, 215; BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317. 6) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 145/10, NZI 2011, 445; BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317; dazu Graeber, NZI 2007, 492. 7) LG München I, Beschl. v. 19.6.2013 – 14 T 12868/113, NZI 2013, 696, m. Anm. Keller. 8) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 239 ff.

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§ 36

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

rung des Unternehmens wettgemacht werden.9) Das ist bereits im Eröffnungsverfahren so, bei welchem der („starke“) vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetriebs ausdrücklich auch unter Hinnahme von Verlusten aufrechterhalten soll (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). 2.2.2 Die konkrete Anwendung der Norm 9 Der Abzug der Verbindlichkeiten nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ist ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Unternehmensfortführung zu berechnen.10) Die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 1 InsO ist nicht maßgebend.11) Für die Zeit der Unternehmensfortführung hat der Insolvenzverwalter in seinem Vergütungsantrag eine gesonderte Einnahmen-/Ausgabenrechnung vorzulegen, aus der sich die Masseverbindlichkeiten für diese Zeit ergeben. 10 Wegen des Ausnahmecharakters der Norm ist es richtig, sie zurückhaltend auszulegen und auf solche Verbindlichkeiten zu beschränken, die unmittelbar durch die Unternehmensfortführung begründet worden sind.12) Sog. „Sowieso-Kosten“ blieben dann unberücksichtigt. 11 Der BGH sieht dies anders:13) Er fordert eine Einbeziehung aller Masseverbindlichkeiten, die i. R. einer Unternehmensfortführung entstanden sind. Für die Nichtberücksichtigung sog. oktroyierter Masseverbindlichkeiten, insbesondere aus Arbeitsverhältnissen sowie Mietund Pachtverträgen für die Zeit von der Kündigung bis zum Ablauf der regelmäßig dreimonatigen Kündigungsfrist (§ 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, § 113 Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO), sieht der BGH im Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV keinen Anhaltspunkt und verlangt den Abzug auch oktroyierter Masseverbindlichkeiten oder von Sowieso-Kosten bei der Ermittlung des Überschusses aus Unternehmensfortführung. Eine Ausnahme bei Arbeitsverhältnissen könne nur für den Fall angenommen werden, dass der Insolvenzverwalter die betreffenden Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freistellt.14) Der BGH argumentiert mit dem Verbot der Doppelberücksichtigung: Würden die oktroyierten Masseverbindlichkeiten bei der Überschussberechnung nicht abgezogen, würden sie in der Berechnungsgrundlage weiter berücksichtigt bleiben; andererseits hätte der Insolvenzverwalter durch die Inanspruchnahme der Gegenleistung, insbesondere der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer, gerade den Gewinn erzielt, der auch Teil der Berechnungsgrundlage ist.15) Dies ist nur in dem Fall richtig, bei welchem der Gewinn aus der Unternehmensfortführung so hoch ist, dass auch bei Abzug der oktroyierten Masseverbindlichkeiten noch ein solcher übrigbleibt. Es ist aber zu bedenken, dass der Insolvenzverwalter regelmäßig das Unternehmen nicht zur Gewinnerzielung fortführt, sondern zum Zweck des Erhalts des Unternehmenswertes auch unter Inkaufnahme von Verlusten.16) Gegenüber der Insolvenz ohne Unternehmensfortführung, mindert sich die Berech___________ 9) 10) 11) 12)

13)

14) 15) 16)

Sehr praxisnah Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 10 Rz. 73 ff. Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 1; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 209 ff. BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388 = DZWIR 2005, 463 m. Anm. Keller. Kübler/Prütting/Bork-Eickmann/Prasser, InsO, Stand: 5/2013, § 1 InsVV Rz. 51; anders Nowak in: MünchKomm-InsO, § 1 InsVV Rz. 19; Stephan/Riedel-Riedel, InsVV, § 1 Rz. 52; Irschlinger in: HKInsO, 4. Aufl., 2006, § 1 InsVV Rz. 9 (aufgegeben von Keller seit 5. Aufl., 2008, Rz. 13). BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388 = DZWIR 2005, 463 m. Anm. Keller; BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49 m. Anm. Prasser, dazu EWiR 2008, 761 (Schröder); dazu Keller, DZWIR 2009, 231. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 22, 24, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 19, 20, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 12, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49.

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Vergütungsfragen

nungsgrundlage durch Abzug der Masseverbindlichkeiten aber in jedem Fall. Erzielt der Insolvenzverwalter mit der Betriebsfortführung keinen Gewinn, mindert sich seine Berechnungsgrundlage noch mehr. Der Insolvenzverwalter hat dann durch die Unternehmensfortführung in Wirklichkeit eine geringere Vergütung als ohne Fortführung.17) Damit besteht allein aus vergütungsrechtlichen Erwägungen kein Anreiz für den Insolvenzverwalter zu einer Unternehmensfortführung. Wollte man dem Verbot der Doppelberücksichtigung und der doppelten Vergütung allgemeine Geltung verschaffen, müsste man entweder den Grundsatz des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV abschaffen oder bei jeder einzelnen Masseverbindlichkeit prüfen, ob nicht eine gleichwertige Gegenleistung zur Insolvenzmasse geflossen ist. 3.

Die Zuschlagsgewährung wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV

3.1

Die Größe des Unternehmens und die Dauer der Fortführung

Eine Unternehmensfortführung ist in jedem Fall Erhöhungstatbestand für die Vergütung, 12 sie gehört in keinem Fall zum sog. Normalverfahren, das von der Regelvergütung des § 2 InsVV abgedeckt ist.18) Bei der Bestimmung des Zuschlags ist nach der Größe des fortgeführten Unternehmens und der Dauer der Fortführung zu unterscheiden. Für die Größe des Unternehmens kann der Umsatz ein maßgebliches Kriterium sein.19) Es empfiehlt sich, in Anlehnung an § 267 HGB zu unterscheiden. Die Literatur empfiehlt dabei Zuschläge von 25 bis über 100 % der Regelvergütung bei Fortführung bis zu einem Jahr:20) x

Fortführung eines kleinen Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 1 HGB: 25 bis 50 %.

x

Fortführung eines mittleren Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 2 HGB: 50 bis 100 %.

x

Fortführung eines großen Unternehmens mit den Merkmalen des § 267 Abs. 3 HGB: 75 bis über 100 %.

Im Einzelfall ist auf die tatsächliche Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters abzustellen. 13 Es darf aber nicht argumentiert werden, dass bei kleinen Unternehmen oder geringer Berechnungsgrundlage die Arbeitsbelastung grundsätzlich gering sei. Sie muss vielmehr auch bezogen auf das konkrete Unternehmen bewertet werden. Denn gerade bei geringer Berechnungsgrundlage und geringer Regelvergütung, ist der tatsächliche Erhöhungsbetrag entsprechend gering und die Erhöhung gilt u. U. den tatsächlichen Arbeitsaufwand nur eingeschränkt ab. Es wäre mithin falsch, bei kleinen Unternehmen pauschal einen geringeren Zuschlag zu gewähren oder diesen sogar mit dem Argument zu kürzen, die Arbeitsleistung sei gering gewesen, weil das fortgeführte Unternehmen nur von geringer Größe war. Bei einer Betriebsfortführung von längerer Dauer sind die vorgeschlagenen Prozentsätze 14 nicht ohne weiteres zu addieren; bei zweijähriger Fortführung eines mittleren Unternehmens erhält der Insolvenzverwalter also nicht einfach 100 bis 200 %. Es ist auch hier zu prüfen, inwieweit sich bei längerer Fortführung eine Verringerung des Arbeitsaufwandes, bspw. durch Installierung von Managementprozessen, ergeben hat. Beim Arbeitsaufwand ist auch zu prüfen, ob der Insolvenzverwalter auf intakte Verwaltungsstrukturen des Unter___________ 17) So bereits Eickmann, VergVO, § 2 Rz. 22. 18) BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, Rz. 13, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49; BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261; BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 19) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 20) Keller, Vergütung, Rz. 324 m. w. N.

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nehmens zurückgreifen konnte. Der Prozentsatz der Erhöhung ist dann entsprechend geringer anzusetzen. 3.2

Die fehlende Massemehrung als Tatbestandsvoraussetzung

15 Nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV ist ein Zuschlag nur dann zu gewähren, wenn durch die Unternehmensfortführung keine Massemehrung erfolgt ist, wenn also nach der Berechnung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV kein entsprechender Gewinn erwirtschaftet worden ist. Diese enge wörtliche Auslegung der Norm durch den BGH21) ist nicht zwingend notwendig, da die Tatbestände des § 3 Abs. 1 InsVV nach allgemeiner Ansicht nur Regelbeispiele darstellen. Daher kann grundsätzlich, auch trotz entsprechender Massemehrung, die tatsächliche Arbeitsbelastung für den Insolvenzverwalter so groß sein, dass sich allein durch die Erhöhung der Berechnungsgrundlage keine angemessene Regelvergütung ergibt und eine Zuschlagsgewährung im Einzelfall notwendig ist. 16 Mit dem Wortlaut der Norm und der Rechtsprechung des BGH ist aber zunächst bei der Berechnungsgrundlage unter Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV (Abzug der Masseverbindlichkeiten) zu prüfen, ob die Berechnungsgrundlage und damit die Regelvergütung durch die Fortführung erhöht worden ist. Da der BGH den Abzug von Masseverbindlichkeiten umfänglich fordert, ergibt sich in den meisten Fällen der Betriebsfortführung, dass durch sie keine Erhöhung der Berechnungsgrundlage und damit der Regelvergütung erfolgt. Der Zuschlag des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV kann dann als „echter“ Zuschlag gewährt werden. 3.3

Der sog. „ausgleichende“ Zuschlag bei Gewinn aus Unternehmensfortführung

17 Soweit durch die Betriebsfortführung eine Massemehrung stattgefunden hat, ist ein Vergleich zwischen den Vergütungen bei fehlender Mehrung mit „echtem“ Zuschlag und mit Erhöhung der Regelvergütung auf Grund der Massemehrung ohne Zuschlag vorzunehmen. In Höhe des Differenzbetrages ist dem Verwalter ein „ausgleichender“ Zuschlag zu gewähren.22) Entscheidend ist zu bedenken, dass sich die Erhöhung der Berechnungsgrundlage durch den Gewinn wegen der Degression des § 2 Abs. 1 InsVV auf den Vergütungsbetrag weniger stark auswirkt als unmittelbar die Erhöhung der Vergütung durch Zuschlagsgewährung, auch wenn die Berechnungsgrundlage mangels Gewinn niedriger war. Es darf aber der Insolvenzverwalter bei erfolgreicher Fortführung und Gewinn hieraus nicht schlechter gestellt werden als bei erfolgloser Fortführung ohne Gewinn mit unmittelbarer Anwendung des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV. Die Vergütung ist rechnerisch höher, wenn sie aus geringerer Berechnungsgrundlage nach § 3 Abs. 1 InsVV erhöht wird, als wenn sie bei höherer Berechnungsgrundlage nicht erhöht wird. Letzteres führt lediglich zu einer Erhöhung im Staffelsatz des § 2 Abs. 1 InsVV, ersteres zu einer unmittelbaren Erhöhung der Vergütung. 18 Die Gewährung des ausgleichenden Zuschlags muss allein aus rechnerischen Gründen erfolgen. Voraussetzung ist lediglich, dass der Insolvenzverwalter durch die Unternehmensfortführung ohne Massemehrung eine Zuschlag zu seiner Vergütung bekommen hätte. Die Gewährung des ausgleichenden Zuschlags kann nicht mit der Begründung verweigert werden, der Insolvenzverwalter habe durch die Unternehmensfortführung bereits einen Gewinn erwirtschaftet. Die Vergütung des Insolvenzverwalters muss mindestens so hoch ___________ 21) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 22) BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784 = NZI 2007, 341; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332.

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sein, wie für den Fall, dass er keinen Gewinn erzielt hat, aber einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV erhält. Der sog. ausgleichende Zuschlag berechnet sich wie folgt:23)

19

1. Berechnung der Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV bei Insolvenzmasse ohne Massemehrung; 2. Zuschlagsberechnung nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV hierauf = Gesamtvergütung; 3. Berechnung der Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV bei Insolvenzmasse mit Massemehrung; 4. Berechnung der Differenz der Vergütungsbeträge; 5. Differenzbetrag aus Nr. 4 abzüglich der Regelvergütung aus Nr. 3 = Prozentsatz des ausgleichenden Zuschlags. Im Ergebnis kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und wie hoch der Überschuss aus 20 einer Unternehmensfortführung nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV ist. Es ist dann lediglich der Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV entweder ein „echter“ oder ein „ausgleichender“. Das Problem des Abzugs von Masseverbindlichkeiten ist damit gemildert. Erzielt nämlich der Insolvenzverwalter aus der Fortführung keinen Gewinn (Verlust wegen hohen Abzugs von Masseverbindlichkeiten), erhält er den „echten“ Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV. Erzielt er trotz des Abzugs von Masseverbindlichkeiten Gewinn, erhält er nach der dargestellten Vergleichsrechnung den „ausgleichenden“ Zuschlag. Beispiel24) Fortführung eines kleinen Unternehmens für drei Monate mit Erzielung eines Überschusses auch bei Einbeziehung der oktroyierten Masseverbindlichkeiten; mögliche Zuschlagsgewährung für die Betriebsfortführung im Umfang von 25 %, wenn keine Massemehrung stattgefunden hätte. Angenommene Insolvenzmasse:

3 000 000,00 €

Masseverbindlichkeiten der Fortführung:

1 200 000,00 € 600 000,00 €

oktroyierte Masseverbindlichkeiten: Einnahmen aus Fortführung:

2 000 000,00 €

Berechnungsgrundlage ohne Massemehrung:

3 000 000,00 €

Berechnungsgrundlage mit Massemehrung und unter Einbeziehung oktroyierter Masseverbindlichkeiten:

3 200 000,00 € 91 750,00 €

Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV: Berechnung des ausgleichenden Zuschlags:

87 750,00 €

1. Regelvergütung ohne Massemehrung: 2. „Echter“ Zuschlag von 25 Prozent:

109 687,50 €

3. Regelvergütung mit Massemehrung:

91 750,00 €

4. Differenzbetrag:

17 937,50 €

5. Prozentsatz des „ausgleichenden“ Zuschlags:

19,55 %

___________ 23) Keller, DZWIR 2009, 231. 24) Keller, DZWIR 2009, 231.

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Lässt man die oktroyierten Masseverbindlichkeiten bei der Berechnung des Fortführungsüberschusses außer Betracht, beträgt dieser 800 000,00 €. Die Berechnungsgrundlage der Vergütung beträgt dann 3 800 000,00 €. Die vergleichsweise Berechnungsgrundlage ohne Massemehrung bleibt gleich, ebenso die um den Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV erhöhte Vergütung. Im Ergebnis reduziert sich dann lediglich der ausgleichende Zuschlag zur Vergütung aus der höheren Berechnungsgrundlage. 3.4

Weitere typische Erhöhungstatbestände im Zusammenhang mit Betriebsfortführung

21 Bei einer Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter bleibt es regelmäßig nicht allein beim Erhöhungstatbestand des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV, es kommen in der Regel weitere Zuschlagstatbestände in Betracht. Zu nennen sind beispielhaft x

die Prüfung konzernrechtlicher Verhältnisse,

x

die Führung mehrerer Betriebsstätten,

x

die Arbeitsbelastung bei hoher Zahl von Arbeitnehmern,

x

die Vorbereitung und Durchführung einer übertragenden Sanierung oder

x

die Erstellung und Prüfung eines Insolvenzplanes.25)

22 Treffen mehrere Erhöhungstatbestände zusammen, ist bei der Ermittlung des insgesamt angemessenen Prozentsatzes der Vergütungserhöhung zu prüfen, inwieweit die Tatbestände sich überschneiden und die Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters sich auf mehrere Tatbestände auswirkt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche konkrete Erschwernis durch welchen Tatbestand abgegolten werden soll. Es kann nämlich auch der Fall sein, dass ein Tatbestand – übergreifend – die besondere Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters betrifft und deshalb mit anderen Tatbeständen, die konkrete Tätigkeiten betreffen, nicht „kombiniert“ werden kann. Bei der Ermittlung des Prozentsatzes der Erhöhung ist es deshalb falsch, die Prozentsätze der Erhöhungstatbestände einfach zu addieren, es ist aber auch falsch, alle Tatbestände unterschiedslos gegeneinander abzuwägen und so den Prozentsatz insgesamt zu kürzen. 23 Gerade in diesem Zusammenhang ist die vielfach bekräftigte Rechtsprechung des BGH von der sog. Gesamtbetrachtung der Erhöhungstatbestand abzulehnen.26) Die Gesamtbetrachtung ohne differenzierende Bewertung der einzelnen Erhöhungstatbestände, mit jeweiliger Zuordnung eines Prozentsatzes und Abwägung untereinander nach Zielrichtung und Abgeltung von Arbeitsaufwand, führt zu einer nicht sachgemäßen Vergütungsgewährung. Dies gilt exemplarisch für den Erhöhungstatbestand der Betriebsfortführung selbst, der an sich schon deshalb greift, weil die Betriebsfortführung vergütungsrechtlich in keinem Fall Bestandteil eines Normalverfahrens der Insolvenz ist. Die Betriebsfortführung als übergreifenden Tatbestand mit anderen Tatbeständen, durch welche eine konkrete Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters quantitativ abgegolten werden soll, in Relation zu setzen ist deshalb schwierig. Denn die Erschwernisse, bspw. bei besonders hoher Anzahl von Arbeitnehmern, hat der Insolvenzverwalter auch dann, wenn keine Betriebsfortführung erfolgt. Die Tatbestände überschneiden sich daher nicht automatisch. Eine sachgerechte und differenzierte Vergütungsbestimmung kann deshalb nur erfolgen, wenn jeder Tatbe___________ 25) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 290 ff. 26) Grundlegend BGH, Beschl. v. 11.5.2006 – IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204 = NZI 2006, 464 m. Anm. Nowak = DZWIR 2006, 471 m. Anm. Heinze, dazu EWiR 2010, 65 (Prasser); in der weiteren Rechtsprechung stets bekräftigt, zuletzt BGH, Beschl. v. 12.5.2011 – IX ZB 143/08; ZIP 2011, 1373 = NZI 2011, 630; BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – IX ZB 11/07, ZIP 2010. 1403 = NZI 2010, 643; zum Degressionsausgleich nach § 3 Abs. 1 lit. c InsVV BGH, Beschl. v. 8.11.2012 – IX ZB 139/10, ZIP 2012, 2407 = NZI 2012, 981, dazu EWiR 2012, 804 (Blersch), dazu Keller, NZI 2013, 19.

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Vergütungsfragen

stand für sich mit einem angemessenen Prozentsatz versehen wird und danach geprüft wird, ob sich die Tatbestände ihrem Zweck nach überschneiden und bei der Abgeltung konkrete Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters sich Synergien ergeben. Die Gesamtbetrachtung als solche ist abzulehnen. Zu berücksichtigen ist bei Betriebsfortführung auch der sog. Degressionsausgleich nach § 3 24 Abs. 1 lit. c InsVV.27) Er ist unabhängig von den sonstigen Tatbeständen ab einer Insolvenzmasse von mehr als 250 000 € zu bestimmen. Der Degressionsausgleich ist mit den sonstigen Erhöhungstatbeständen nicht vergleichbar, er stellt eine Korrektur der abflachenden Degression des § 2 Abs. 1 InsVV bei besonderer Arbeitsbelastung des Insolvenzverwalters dar. Durch ihn wird keine konkrete Arbeitsbelastung abgegolten. Er nimmt deshalb erst recht nicht an der vom BGH, auch für diesen Tatbestand, geforderten Gesamtbetrachtung teil.28) 4.

Die Gewährung eines Vorschusses auf die Vergütung

Der Insolvenzverwalter kann nach § 9 InsVV einen Vorschuss auf seine Vergütung verlangen. 25 Das Insolvenzgericht soll bei der Gewährung des Vorschusses nicht zögerlich sein. Zu bedenken ist, dass der Insolvenzverwalter mit seiner Arbeitsleistung und der seiner Mitarbeiter in Vorleistung geht und nicht auf Dauer genötigt werden darf, das Insolvenzverfahren damit vorzufinanzieren. Der Vorschuss berechnet sich aus der voraussichtlichen Insolvenzmasse des gesamten 26 Insolvenzverfahrens, nicht lediglich aus der bei Vorschussgewährung erwirtschafteten Insolvenzmasse. Er bezieht sich nicht lediglich auf die Regelvergütung, bereits verwirklichte oder mit Sicherheit sich verwirklichende Erhöhungstatbestände sind zu berücksichtigen.29) Bei einer Betriebsfortführung muss der Insolvenzverwalter jedoch beachten, dass die Ent- 27 nahme eines zu hohen Vorschusses in einem bestimmten Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens der Insolvenzmasse Liquidität entzieht, die für die weitere Betriebsfortführung erforderlich sein könnte. In einem solchen Fall sollte auf die Entnahme eines Vorschusses zunächst verzichtet werden, denn die Gefahr einer dadurch – im Extremfall – herbeigerufenen Masseunzulänglichkeit oder gar Masselosigkeit schadet auch dem Insolvenzverwalter im Hinblick auf seine endgültige Vergütung. II.

Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens

1.

Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters

Die Unternehmensfortführung ist auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter in jedem 28 Fall Erhöhungstatbestand für die Vergütung.30) Im Beschluss vom 13.4.200631) betonte der BGH, dass der Zuschlag wegen Unternehmensfortführung auch für den sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter gilt. Die Begleitung und Überwachung der Unternehmensfortführung durch den Schuldner und die Zustimmung zu einzelnen Verfügungen wegen des Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO stellt keine geringere Arbeitsleistung dar als die Unternehmensfortführung selbst. Der Zuschlagstatbestand darf von der Rechtsmacht des vorläufigen Verwalters abhängig gemacht werden. ___________ 27) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 276 ff. 28) So aber BGH, Beschl. v. 8.11.2012 – IX ZB 139/10, ZIP 2012, 2407 = NZI 2012, 981; dagegen mit Recht krit. Blersch, EWiR 2012, 804; dazu Keller, NZI 2013, 19. 29) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 528 ff. 30) BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZIP 2008, 2222 = NZI 2009, 49. 31) BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261.

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29 Mit Beschluss vom 18.12.200332) stellte der BGH auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter fest, dass der Umsatz des schuldnerischen Unternehmens ein maßgebliches Kriterium für die Anwendung des § 3 Abs. 1 lit. b InsVV und die Bemessung des Prozentsatzes der Erhöhung sein kann. 30 Bei der Bestimmung der Berechnungsgrundlage ist die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV auch auf die Unternehmensfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter anzuwenden.33) Die Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung sind von dem der vorläufigen Insolvenzverwaltung unterliegenden Vermögen i. S. des § 11 Abs. 1 InsVV abzuziehen. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 2 oder 4 InsO handelt. 31 Bei der Bestimmung des Erhöhungstatbestandes ist für den vorläufigen Insolvenzverwalter ebenso vorzugehen wie beim Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren. Der vorläufige Insolvenzverwalter erhält den vollen Prozentsatz der Erhöhung der Vergütung, der zu dem Anteil von 25 % der Regelvergütung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV zu addieren ist.34) 32 Die Betriebsfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter kann für den Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren eine Arbeitsersparnis und damit eine Minderung seines Zuschlags wegen Betriebsfortführung nach § 3 Abs. 2 lit. a InsVV zur Folge haben. 2.

Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters

33 Das Amt des vorläufigen Sachwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren zur Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO hat erst durch die Änderungen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.201135) mit der Vorschrift des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO Eingang in das Gesetz gefunden.36) Der vorläufige Sachwalter hat Anspruch auf angemessene Vergütung für seine Tätigkeit nach § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 65 InsO. Die ausführende InsVV enthält für den vorläufigen Sachwalter keine Regelung zur Bestimmung seiner Vergütung. 34 Zur Bestimmung der Vergütung kann x

einerseits die Vorschrift betreffend die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 11 InsVV herangezogen werden,

x

andererseits, in entsprechender Anwendung, die Vorschrift des § 12 InsVV zur Vergütung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren. In diesem Fall könnte auch überlegt werden, in entsprechender Anwendung des § 11 InsVV, die Vergütung des vorläufigen Sachwalters i. H. von 25 % der Vergütung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren zu bestimmen.37)

___________ 32) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203. 33) BGH, Beschl. v. 26.4.2007 – IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330 = ZVI 2008, 317; dazu Graeber, NZI 2007, 492; allgemein zur Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 77 ff. 34) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 4.11.2004 – IX ZB 52/04, ZIP 2004, 2448 = NZI 2005, 106 m. Anm. Nowak; BGH, Beschl. v. 27.9.2012 – IX ZB 243/11, ZInsO 2013, 840; eingehend Keller, Vergütung Rz. 632 ff. 35) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582. 36) Allgemein Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270a Rz. 4 ff.; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270a Rz. 4. 37) So AG Köln, Beschl. v. 13.11.2012 – 71 IN 109/12, ZIP 2013, 426 = NZI 2013, 97; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier-Ringstmeier, FAKomm-InsR, § 270a Rz. 9; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 11.

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Vergütungsfragen

Bei unmittelbarer Anwendung des § 11 InsVV beträgt die Regelvergütung des vorläufigen Sachwalters 25 %,38) bei Kombination mit § 12 InsVV beträgt sie 15 % (ein Viertel von 60 %) der Regelvergütung des § 2 InsVV. Maßgebend für die Beantwortung dieser Fragestellung ist die Vergleichbarkeit der Rechts- 35 stellung und der Aufgabenzuweisungen an den vorläufigen Sachwalter mit den geregelten Ämtern. Das AG Göttingen vertritt schließlich mit überzeugenden Argumenten die Ansicht, dass 36 die Vergütung des vorläufigen Sachwalters in unmittelbarer Anwendung des § 12 InsVV – ebenso wie die des Sachwalters im eröffneten Verfahren – regelmäßig 60 % der Regelvergütung nach § 2 InsVV betrage. Es argumentiert wesentlich mit den Aufgaben und Pflichten des vorläufigen Sachwalters im Vergleich zum Sachwalter im eröffneten Verfahren und sieht hierbei keine Unterschiede in den qualitativen Anforderungen.39) Durch die Regelung des § 270a InsO ist der vorläufige Sachwalter vergleichbar mit dem Sachwalter. Die Verweisung auf §§ 274, 275 InsO ist sinngemäß auf Sachverhalte des Insolvenzeröffnungsverfahrens anzuwenden. Soweit § 12 InsVV implizit voraussetzt, dass der Arbeitsaufwand des Sachwalters geringer sei als der eines Insolvenzverwalters, ist dies für den vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht zutreffend. Er hat noch mehr als der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und gerade im Hinblick auf § 270a InsO die Sanierungsfähigkeit zu prüfen und geeignete Maßnahmen hierzu zu unterstützen. Es wird daher zutreffen, die Vergütung des vorläufigen Sachwalters in unmittelbarer Anwendung des § 12 InsVV zu bestimmen. Danach erhält der vorläufige Sachwalter eine Regelvergütung i. H. von 60 % der Vergütung eines Insolvenzverwalters bezogen auf das Vermögen des Schuldners als Berechnungsgrundlage der Vergütung. § 3 InsVV ist in der Weise entsprechend anzuwenden, dass Erhöhungen oder Kürzungen 37 der Vergütung unmittelbar und in vollem Umfang dem Prozentsatz der Vergütung des Insolvenzverwalters erhöhen oder kürzen.40) Erhöhungen oder Kürzungen der Vergütung des vorläufigen Sachwalters erfolgen unter 38 Berücksichtigung seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung und der Feststellung des sog. Normalfalls einer vorläufigen Sachwaltung nach § 270a InsO. Die Problematik der Feststellung eines Erhöhungstatbestandes bei der Vergütung des vorläufigen Sachwalters besteht zunächst in der Definition des sog. Normalfalls einer vorläufigen Sachwalterschaft bezogen auf ein schuldnerisches Unternehmen der konkreten Art.41) Unter Heranziehung der Kriterien der Rechtsprechung zu einer Vergütungserhöhung können beispielhaft als nicht zum Normalfall und damit vergütungserhöhend genannt werden: x

Prüfung und Befassung mit konzernrechtlichen Verflechtungen;42)

x

Fortführung des schuldnerischen Unternehmens;43)

___________ 38) So Hofmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 82; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270a Rz. 4; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 5/2013, § 270a Rz. 26; Zimmer, ZInsO 2012, 1658, 1662. 39) AG Göttingen, Beschl. v. 28. 11. 2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2013, 36. 40) Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 632 ff. 41) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 234 ff.; Keller in: FS Görg, S. 247 ff. 42) Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 5/2013, § 3 InsVV Rz. 100, 101; Keller, Vergütung, Rz. 300. 43) BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 = ZVI 2006, 261; BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909; Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 5/2013, § 3 InsVV Rz. 79; Keller, Vergütung, Rz. 326 ff., 335.

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x

Arbeitsaufwand bei Führung mehrerer Standorte;44)

x

Arbeitsbelastung bei Auslandsberührung;45)

x

Vorbereitung einer Sanierung durch Insolvenzplan;46)

x

Arbeitsbelastung bei Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten (§ 3 Abs. 1 lit. a InsVV);

x

Arbeitsbelastung bei Vorfinanzierung von Insolvenzgeld.47)

39 Der vorläufige Sachwalter erhält wie der vorläufige Insolvenzverwalter Ersatz seiner Auslagen entsprechend § 4 InsVV. Er kann auch den Pauschbetrag des § 8 Abs. 3 InsVV in voller Höhe geltend machen. Hierbei ist aber § 12 Abs. 3 InsVV zu beachten, der den monatlichen Pauschbetrag auf 125 € reduziert.48) Berechnungsgrundlage des Pauschbetrages ist die Vergütung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV als Regelvergütung.49) Höchstens sind als Auslagenersatz 125 € je angefangenen Monat der (vorläufigen) Verwaltung anzusetzen (§ 12 Abs. 3 InsVV).50) 40 Der vorläufige Sachwalter erhält in Anwendung des § 7 InsVV die volle Erstattung der von ihm zu zahlenden Umsatzsteuer auf Vergütung und Auslagen. 3.

Die Vergütung des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren

41 Der Sachwalter im Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung hat Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 274 Abs. 1, § 63 InsO. Die Vergütung besteht nach § 12 InsVV in einer Regelvergütung i. H. von 60 % der Vergütung des Insolvenzverwalters, über § 10 InsVV gelten die allgemeinen Vorschriften zur Bestimmung der Berechnungsgrundlage, zur Berechnung der Regelvergütung, aber auch zu möglichen Erhöhungen oder Kürzungen der Vergütung nach § 3 InsVV entsprechend.51) 42 In der systematischen Anwendung der Vorschriften ist die Bestimmung des Umfangs der Tätigkeit eines Sachwalters im sog. Normalverfahren, das durch die Regelvergütung abgedeckt wird, problematisch. Mit Bezugnahme auf die Vorschriften der InsO zu den regelmäßigen Aufgaben eines Sachwalters ist bspw. festzustellen, dass die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 277 InsO nicht Bestandteil eines Normalverfahrens ist. Im Übrigen ergeben sich die regelmäßigen Aufgaben des Sachwalters aus §§ 274 Abs. 2, 275, 279 Satz 3, 280, 281 Abs. 1 Satz 2, 282 Abs. 2, 283, 285 InsO.52) Bei Anwendung des ___________ 44) Kübler/Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 8/2013, § 3 InsVV Rz. 102; Keller, Vergütung, Rz. 303. 45) Kübler/Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 8/2013, § 3 InsVV Rz. 75; Keller, Vergütung, Rz. 294. 46) BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672 m. Anm. Prasser = ZVI 2006, 165; Kübler/ Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 8/2013, § 3 InsVV Rz. 99; Keller, Vergütung, Rz. 307. 47) BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672 m. Anm. Prasser = ZVI 2006, 165; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332; Zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und zu Sozialplanverhandlungen BGH, Beschl. v. 18.12.2003 – IX ZB 50/03, ZIP 2004, 518 = ZVI 2004, 203; BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZVI 2007, 332; LG Traunstein, Beschl. v. 13.4.2004 – 4 T 3690/03, ZIP 2004, 1657; Kübler/Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 8/2013, § 3 InsVV Rz. 69; Keller, Vergütung, Rz. 307. 48) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, ZIP 2006, 1403 = NZI 2006, 464 m. Anm. Nowak; LG Chemnitz, Beschl. v. 16.3.2000 – 11 T 5381/99, ZIP 2000, 710. 49) BGH, Beschl. v. 6.4.2006 – IX ZB 109/05, ZIP 2006, 2228. 50) BGH, Beschl. v. 24.6.2003 – IX ZB 600/02, ZIP 2003, 1458 = NZI 2003, 608; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.3.2001 – 3 W 269/00, NZI 2001, 312. 51) Allgemein Keller, Vergütung, Rz. 666 ff. 52) Keller, Vergütung, Rz. 671.

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§ 36

Vergütungsfragen

§ 3 InsVV wird man in gleicher Weise, wie bei der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 11 InsVV, Erhöhungen oder Kürzungen so berechnen, dass sie unmittelbar den Bruchteil der Vergütung des Sachwalters beeinflussen.53) 4.

Die Vergütung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses

Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben Anspruch auf Vergütung für ihre Tätigkeit 43 nach § 73 Abs. 1 InsO. Die InsVV regelt die Vergütung in §§ 17, 18 InsVV. Die Vergütung soll den Zeitaufwand der Mitglieder des Gläubigerausschusses für ihre Tätigkeit abgelten, aber auch angemessen sein.54) Zu Recht wird der Stundensatzrahmen kritisiert.55) Ein höherer Stundensatz wird vor allem dann als angemessen betrachtet, wenn das Mitglied aufgrund seiner Sachkunde und beruflichen Qualifikation berufen wurde und nicht als Insolvenzgläubiger des Verfahrens. Die Vergütung nach § 17 Satz 1 InsVV umfasst den gesamten Zeitaufwand des jeweiligen 44 Mitglieds des Gläubigerausschusses, dazu gehören Sitzungen des Gläubigerausschusses, Aktenstudium, Prüfung der Rechnungen und Bilanzführung des Verwalters oder Reisen. Sieht man § 17 Satz 1 InsVV als Rahmengebühr, ist regelmäßig eine Vergütung von 65 € 45 je Stunde für das Gläubigerausschussmitglied anzusetzen.56) Nach § 17 Satz 2 InsVV ist bei der Festsetzung der Vergütung Art und Umfang der Tätigkeit zu berücksichtigen, so dass im Einzelfall ein höherer oder niedrigerer Stundensatz gewährt werden kann und muss.57) § 3 Abs. 1 InsVV ist entsprechend anzuwenden.58) Kriterien für eine Erhöhung können eine besondere Qualifikation des Mitglieds, besonderer persönlicher Einsatz, besonders viele, zu prüfende und zu genehmigende Rechtsgeschäfte des Verwalters oder eine besonders umfangreiche Prüfung der Schlussrechnung sein. III.

Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung

1.

Die Beauftragung externer Dienstleister

1.1

Grundsätze zur zulässigen Beauftragung

Durch die Vergütung des Insolvenzverwalters sind die allgemeinen Kosten des Büros 46 einschließlich der Gehälter seiner Angestellten abgegolten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 InsVV). Der Insolvenzverwalter kann zur Erledigung einzelner Aufgaben Hilfskräfte heranziehen und deren Vergütung aus der Insolvenzmasse entnehmen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV), die Vergütungen sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.59) Angemessen ist die Übertragung auf einen Dritten, wenn ein sonst vernünftig Handeln- 47 der, der über keine berufsspezifischen Spezialkenntnisse verfügt, die Tätigkeit einem Dritten übertragen würde.60) Welche Tätigkeiten im Einzelnen delegierbar sind, ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen, genannt werden: ___________ 53) Keller, Vergütung, Rz. 670; anders aber Foltis in: FK-InsO, § 274 Rz. 30. 54) Eingehend Keller, Vergütung, Rz. 640 ff. 55) Nowak in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 2; Kübler/Prütting/Bork-Eickmann, InsO, Stand: 5/2013, § 17 InsVV Rz. 6. 56) Kübler/Prütting/Bork-Eickmann, InsO, Stand: 5/2013, § 17 InsVV Rz. 6. 57) Nowak in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 5, 6. 58) So insbesondere AG Braunschweig, Beschl. v. 21.6.2005 – 273 IN 211/99, ZInsO 2005, 870; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 17 InsVV Rz. 5, 6; Keller in: HK-InsO, § 17 InsVV Rz. 4. 59) Kübler/Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 37. 60) BGH, Urt. v. 17.9.1998 – IX ZR 237/97, BGHZ 139, 309 = ZIP 1998, 1793, dazu EWiR 1998, 1125 (Henssler); BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36, dazu EWiR 2005, 833 (Henssler/ Deckenbrock).

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§ 36

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

x

Aufarbeitung des Rechnungswesens,

x

Immobilienverwaltung,

x

Inkassotätigkeit.61)

48 Die Beauftragung eines Steuerberaters mit der Aufarbeitung der Buchführung ist sachgerecht, wenn die Buchhaltung schon vor Insolvenzeröffnung außerhalb des Schuldnerunternehmens erledigt wurde.62) 49 Die Beauftragung eines Verwerters mit der Verwertung von Mobiliarvermögen ist nur dann sachgerecht, wenn besondere Gründe hierfür vorliegen, etwa wenn der betreffende Gegenstand an Spezialmärkten veräußert werden muss.63) 50 Soweit der Insolvenzverwalter über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, ist ihm eine besondere Vergütung für den Fall zuzubilligen, dass er als Rechtsanwalt, Steuerberater oder in sonstiger Weise beruflich besonders qualifiziert tätig wird (§ 5 InsVV).64) 51 Die Delegation einzelner Aufgaben ist auch an Personen oder Unternehmen zulässig, mit denen der Insolvenzverwalter gesellschaftsrechtlich verbunden ist.65) Der Insolvenzverwalter hat in diesen Fällen dem Gericht rechtzeitig den Sachverhalt unmissverständlich aufzuzeigen und um Genehmigung der beabsichtigten Beauftragung nachzusuchen. Der Verwalter hat alles zu vermeiden, was den Anschein einer parteilichen oder eigennützigen Geschäftsführung erwecken könnte.66) Daher ist er verpflichtet, von sich aus dem Gericht rechtzeitig einen Sachverhalt anzuzeigen, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen könnte, dass der Verwalter an seiner Amtsführung verhindert sei.67) 1.2

Folgen für die Vergütung

52 Im Vergütungsantrag hat der Insolvenzverwalter nach § 8 Abs. 2 InsVV darzulegen, welche Dienst- oder Werkverträge er für die Insolvenzmasse abgeschlossen hat und welche Vergütungen er hierfür aus der Insolvenzmasse gezahlt hat.68) Die Dokumentationspflicht gilt erst recht bei der Beauftragung von Personen, mit denen der Insolvenzverwalter gesellschaftlich verbunden ist, oder von Unternehmen, an denen er wirtschaftlich beteiligt ist.

___________ 61) Kübler/Prütting/Bork- Prasser/Stoffler, InsO, Stand: 9/2012, § 4 InsVV Rz. 94, 95; eingehend auch Graeber/Graeber, ZInsO 2013, 1056 und 1284; Bork, ZIP 2009, 1747. 62) BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 261/03, ZVI 2005, 143; in gleicher Argumentation zur Beauftragung eines Steuerberaters im masselosen Insolvenzverfahren mit Kostenstundung BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 = ZIP 2004, 1717, dazu EWiR 2004, 1037 (Schäferhoff) und EWiR 2004, 1045 (Voß); LG Kassel, Beschl. v. 25.9.2002 – 3 T 360/02, ZVI 2002, 387, dazu EWiR 2002, 957 (Keller); AG Dresden, Beschl. v. 17.7.2002 – 531 IN 981/02, ZVI 2002, 340. 63) Hess, InsO, § 4 InsVV Rz. 10. 64) So bereits Jaeger, KO, § 85 Anm. 3; ferner Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 85 Rz. 11; Eickmann, VergVO, Vor § 1 Rz. 21. 65) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262 = ZIP 1991, 324, dazu EWiR 1991, 275 (Gottwald). 66) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 275 = ZIP 1991, 324, mit Hinweis auf die Richtlinien für Berliner Konkursverwalter, KuT 1929, 69; ebenso Verhaltensrichtlinien für als Insolvenzverwalter tätige Rechtsanwälte des Arbeitskreises für Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltverein, AnwBl. 1992, 118. 67) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 276 = ZIP 1991, 324. 68) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 1991, 324 = NZI 2005, 103.

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§ 36

Vergütungsfragen

Das Insolvenzgericht ist verpflichtet und berechtigt zu überprüfen, ob die Beauftragung 53 gerechtfertigt war. Das Prüfungsrecht erstreckt sich insbesondere auf die Frage, ob der Insolvenzverwalter die konkrete Tätigkeit auch selbst hätte ausführen können und müssen.69) Delegiert der Insolvenzverwalter eine Regeltätigkeit, führt dies zu einer Kürzung der 54 Regelvergütung um die Arbeitsersparnis auf Grund der Delegation.70) Bei einer Delegation an Dritte kann er für diese keinen besonderen Erhöhungstatbestand nach § 3 Abs. 1 InsVV geltend machen. Dies gilt auch für die Entnahme der besonderen Vergütung nach § 5 InsVV. Der Insolvenzverwalter muss § 5 InsVV aber nicht in Anspruch nehmen. Er kann statt dessen eine Erhöhung seiner Vergütung nach § 3 Abs. 1 InsVV verlangen.71) Erhält der Insolvenzverwalter nach § 5 InsVV eine besondere Vergütung, ist diese i. H. des Nettobetrages von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. a InsVV abzuziehen.72) Ob der Anrechnungstatbestand auch bei der Beauftragung eines Sozius oder eines Unternehmens, an dem der Insolvenzverwalter als Gesellschafter selbst beteiligt ist, greift, ist streitig.73) Überwiegend wird dies verneint.74) Nach richtiger Ansicht muss ein Abzug von der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage der Vergütung auch bei Beauftragung einer Sozietät oder eines Unternehmens in analoger Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. a InsVV erfolgen.75) Ergibt sich i. R. der Prüfung des Vergütungsantrags mit Darlegung der einzelnen Auf- 55 tragsverhältnisse nach § 8 Abs. 2 InsVV oder der Entnahme eigener Gebühren nach § 5 InsVV, dass die Beauftragung eines Dritten nicht hätte erfolgen dürfen, ist das Insolvenzgericht berechtigt, das an den Dritten gezahlte Honorar oder die vom Insolvenzverwalter entnommenen Gebühren unmittelbar von der Vergütung abzuziehen.76) 2.

Einzelfragen

Im Zusammenhang mit einer Betriebsfortführung ist die Delegation einzelner Tätigkeiten 56 von besonderer Bedeutung, weil nach dem Anforderungsprofil des § 56 InsO sowie nach der Unternehmensfortführung als vergütungsrechtlichem Sonderfall eines Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht zugemutet werden kann, sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Unternehmensfortführung selbst erledigen zu können. Zu nennen sind typische Tätigkeiten, die insbesondere bei einer Betriebsfortführung im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Sanierung des schuldnerischen Unternehmens ___________ 69) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 1991, 324 = NZI 2005, 103; ebenso AG Bochum, Beschl. v. 17.8.2001 – 80 IN 249/99, ZInsO = 2001, 900; einschränkend LG Stendal, Beschl. v. 10.2.1999 – 25 T 294/97, ZInsO 1999, 232; LG Stendal, Beschl. v. 26.2.1999 – 25 T 250/98, ZIP 2000, 982. 70) Kübler/Prütting/Bork-Eickmann/Prasser, InsO, Stand: 5/2005, Vor § 1 InsVV Rz. 40, § 4 InsVV Rz. 30. 71) Kübler/Prütting/Bork-Eickmann/Prasser, InsO, Stand: 5/2005, Vor § 1 InsVV Rz. 40. 72) Umsatzsteuer, die an den Verwalter gezahlt wurde, ist nicht abzuziehen, wenn die Insolvenzmasse selbst vorsteuerabzugsberechtigt ist; LG Dresden, Beschl. v. 10.4.1995 – 2 T 0850/94, ZIP 1995, 1035; zum Vorsteuerabzug des Sequesters BFH, Urt. v. 14.5.1998 – V R 74/97, ZIP 1998, 2012 = NZI 1998, 48; Kübler/Prütting/Bork-Eickmann/Prasser, InsO, Stand: 5/2005, § 1 InsVV Rz. 46. 73) Keller, DZWIR 2000, 265. 74) BGH, Beschl. v. 5.7.2007 – IX ZB 305/04, ZIP 2007, 1958 = ZVI 2008, 37; dazu Keller, DZWIR 2008, 31; LG Frankfurt/O., Beschl. v. 27.7.1998 – 16 T 162/98, ZInsO 1998, 236; LG Leipzig, Beschl. v. 7.2.2000 – 14 T 7832/99, DZWIR 2001, 170; LG Leipzig, Beschl. v. 17.7.2002 – 16 T 6240/01, ZIP 2003, 176 = NZI 2002, 665; Kübler/Prütting/Bork-Eickmann/Prasser, InsO, Stand: 5/2005, § 1 InsVV Rz. 48; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 1 InsVV Rz. 18. 75) LG Frankfurt/O., Beschl. v. 27.10.2000 – 6 T 49/00, DZWIR 2001, 168; AG Leipzig, Beschl. v. 30.8.1999 – 91 IN 433/95, DZWIR 2001, 171; Stephan/Riedel-Riedel, InsVV, § 1 Rz. 43 ff.; Hess, InsO, § 1 InsVV Rz. 37; Keller in: HK-InsO, § 1 InsVV Rz. 12. 76) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36 = NZI 2005, 103.

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§ 36

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

delegiert werden können. Allgemein ist festzustellen, dass der Insolvenzverwalter gerade bei Betriebsfortführung unternehmerisch tätig wird und nach den Haftungsgrundsätzen der sog. Business Judgement Rules dann ordnungsgemäß handelt, wenn er bei einzelnen, rechtlich oder wirtschaftlich schwierigen Entscheidungen externen Rat einholt.77) 57 Beauftragt der Insolvenzverwalter zur Investorensuche spezialisierte M&A-Berater, ist dies angemessen; die Beraterkosten sind Masseverbindlichkeiten, die Delegation führt zu keiner Kürzung der Vergütung des Insolvenzverwalters wegen vermeintlicher Arbeitsersparnis. Die Beauftragung spezialisierter Berater für die Branche des insolventen Unternehmens ist regelmäßig nicht nur angemessen sondern erforderlich, um eine gezielte Investorensuche durchführen zu können. 58 Im Zusammenhang mit einer Sanierung des Unternehmens, insbesondere durch Insolvenzplan, ist auch die Erstellung besonderer Liquiditätsplanungen erforderlich. Die Beauftragung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ist hierbei angemessen und sinnvoll.78) 59 Für die Dauer der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter schon wegen § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b InsVV eine eigene Rechnungslegung zu führen. Bei größeren Unternehmen ist es angemessen, diese Rechnungslegung auf einen Steuerberater zu delegieren und kontinuierlich durch einen eigenen Rechnungsprüfer überprüfen zu lassen. Hierdurch wird die Rechnungslegung gegenüber dem Gläubigerausschuss, der Gläubigerversammlung und dem Insolvenzgericht nicht erspart, aber durch Hinzuziehung eines Dritten objektiviert. Die Kosten eines externen Rechnungsprüfers sind ohne weiteres Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Beauftragung durch den Insolvenzverwalter ist auch dann zu empfehlen, wenn der Rechnungsprüfer auf Betreiben der Mitglieder des Gläubigerausschusses beauftragt werden soll, da zum einen der Gläubigerausschuss nicht aus eigener Rechtspersönlichkeit eine Beauftragung aussprechen kann und zum anderen die an den Rechnungsprüfer zu zahlende Umsatzsteuer als Vorsteuererstattung zur Insolvenzmasse fließen kann. 60 In der Insolvenzpraxis ist die Einstellung eines sog. Interims-Managers zur Betriebsfortführung umstritten. Ein solcher wird vom Insolvenzverwalter als „Quasi-Geschäftsführer“ des schuldnerischen Unternehmens eingesetzt, um statt seiner die operative Unternehmensleitung zu übernehmen. Die Angemessenheit der Einstellung eines solchen InterimsManagers hängt von der Größe des schuldnerischen Unternehmens und den Gegebenheiten des konkreten Falles ab. Bei kleineren Unternehmen wird sie regelmäßig untunlich sein, da es hier zu den Kernaufgaben des Insolvenzverwalters gehört, die Betriebsfortführung zu übernehmen. Bei größeren Unternehmen ist zu unterscheiden, ob und in welcher Art und Weise die bisherige Geschäftsführung des Unternehmens an der Betriebsfortführung weiter mitwirken kann. Kann bspw. der Insolvenzverwalter auf eine weitgehend intakte Verwaltungsstruktur und auf kooperative Geschäftsführer des Unternehmens zurückgreifen, ist die Einsetzung eines besonderen Managers nicht angezeigt.

___________ 77) Berger/Frege, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321. 78) Wörtlich zur Beauftragung eines Steuerberater bei Kostenstundung zur Erstattungsfähigkeit der Steuerberatungskosten i. R. der Kostenstundung BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 183 = ZIP 2004, 1717: „Es entspricht sachgerechter Amtsführung, für steuerliche Tätigkeiten, die besondere Kenntnisse erfordern oder über den allgemein mit jeder Steuererklärung verbundenen Arbeitsaufwand hinausgehen, einen Steuerberater einzusetzen. Dies trifft insbesondere für die Ausführung von Buchhaltungsarbeiten zu.“

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§ 36

Vergütungsfragen IV.

Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung

1.

Die Schlussrechnungslegungspflicht nach § 66 InsO

Der Insolvenzverwalter hat nach § 66 InsO gegenüber der Gläubigerversammlung 61 Schlussrechnung zu legen. Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift hat das Insolvenzgericht vorher die Schlussrechnung zu prüfen. Ferner unterliegt die Vornahme der Schlussverteilung zu Beendigung des Insolvenzverfahrens nach § 196 Abs. 2 InsO der Genehmigung des Insolvenzgerichts.79) Die Schlussrechnungsprüfung durch das Insolvenzgericht ist auch Teil der Aufsicht über den Insolvenzverwalter nach § 58 InsO. Daher hat er gegenüber dem Insolvenzgericht auch dann Rechnung zu legen, wenn die Gläubigerversammlung auf eine Rechnungslegung nach § 66 InsO verzichtet. 2.

Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Schlussrechnungsprüfung

2.1

Die Zulässigkeit einer Beauftragung

Zur Prüfung der Schlussrechnung bedienen sich die Insolvenzgerichte zunehmen speziali- 62 sierter Sachverständiger in Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO.80) Die Zulässigkeit einer Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung ist umstritten. Ihre Zulässigkeit wird auch generell mit dem Argument verneint, Art. 33 Abs. 4 GG stehe entgegen, oder mit dem Argument, die InsO betrachte die Schlussrechnungsprüfung als nicht delegierbare Aufgabe des Insolvenzgerichts.81) Dem ist nicht zuzustimmen: Die Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung ist allgemein zulässig.82) Auch die Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters beinhaltet Umstände, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO). Eine enge Auslegung der Definition der Schlussrechnungsprüfung als „retrospektive“ Tätigkeit, verengt Wortlaut und Systematik des § 5 InsO.83) Es ist auch nicht stichhaltig, die Zulässigkeit einer Sachverständigenbeauftragung mit dem Kostenargument zu verneinen.84) Die Kosten des gerichtlichen Sachverständigen belasten als Auslagen des Gerichts nach KV GKG 9005 grundsätzlich die Insolvenzmasse als Kostenschuldnerin. Dies ist wie bei allen anderen gerichtlichen Verfahren systemimmanent. Kostenrecht ist stets Folgerecht und kann systematisch nicht als Argument für oder gegen Verfahrenshandeln benutzt werden.85) 2.2

Der Inhalt der Beauftragung zur Schlussrechnungsprüfung

Das Insolvenzgericht kann den Sachverständigen i. R. der Schlussrechnungsprüfung und 63 der Genehmigung der Schlussverteilung nur in dem Umfang beauftragen, wie das Gericht

___________ 79) Jaeger-Eckardt, InsO, § 66 Rz. 39; Nowak in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 19; UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 49 ff.; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1682 ff.; umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 274 ff., 285, 346. 80) Allgemein je meist zum Sachverständigen im Eröffnungsverfahren Jaeger-Gerhardt, InsO, § 5 Rz. 14 ff.; Ganter in: MünchKomm-InsO, § 5 Rz. 34 ff.; Uhlenbruck-I. Pape, InsO, § 5 Rz. 10 ff. 81) Vierhaus, ZInsO 2008, 521; Weitzmann, ZInsO 2007, 449; eingehend Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13. 82) OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.1985 – 15 W 441/85, ZIP 1986, 724; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 285, 346. 83) Zu verengend und in weiten Teilen nicht stichhaltig Franke/Goth/Firmenich, ZInsO 2009, 123; Hebenstreit, ZInsO 2013, 276. 84) So Franke/Goth/Firmenich, ZInsO 2009, 123. 85) Unzutreffend mit Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 13.

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§ 36

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

selbst die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters prüfen darf und prüfen muss. Prüfungsrecht und Prüfungspflicht sind sowohl formell als auch materiell ausgestaltet:86) x

Formell ist zu prüfen, ob die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters rechnerisch richtig ist.

x

Materiell ist die Rechtmäßigkeit der Entnahme von Beträgen durch den Insolvenzverwalter bspw. i. R. anwaltlicher Tätigkeit für die Insolvenzmasse oder bei Beauftragung eines Unternehmens oder einer Gesellschaft, an welcher der Insolvenzverwalter selbst beteiligt ist, zu prüfen.87) Das Insolvenzgericht hat auch zu prüfen, ob die durch den Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeiten befriedigten Ansprüche auch tatsächlich als solche zu befriedigen waren. Materiell prüft das Insolvenzgericht ferner, ob die Insolvenzmasse vollständig verwertet ist.

64 Hinsichtlich des Verwalterhandelns hat das Insolvenzgericht eine rechtliche Prüfungskompetenz dahingehend, dass es Handlungen des Insolvenzverwalters beanstanden kann, wenn diese aus Rechtsgründen falsch waren.88) Wirtschaftliche Erwägungen oder Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters darf das Insolvenzgericht nicht beanstanden. Die Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns hat es nicht zu prüfen.89) 2.3

Der Inhalt des Sachverständigenauftrags

65 Die Beauftragung des Sachverständigen ist möglichst genau zu formulieren. Vorgeschlagen wird folgende Formulierung:90) 66 Der Sachverständige hat insbesondere zu prüfen, x

ob die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach den Regeln kaufmännischer Buchführung vollständig und ordnungsgemäß erstellt ist,

x

ob die vom Insolvenzverwalter befriedigten Ansprüche als Masseverbindlichkeiten i. S. der §§ 54, 55 Abs. 1 und 2, § 100 oder § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO anzusehen sind,

x

ob die vom Insolvenzverwalter an absonderungsberechtigte Gläubiger ausgekehrten Beträge nebst Feststellung der Kostenbeiträge der Insolvenzmasse nach § 171 InsO rechnerisch richtig ermittelt worden sind,

x

in welchem Umfang Beträge der Insolvenzmasse dem Insolvenzverwalter selbst oder mit ihm gesellschaftlich verbundene Personen oder Unternehmen zugeflossen sind,

x

die Insolvenzmasse rechtlich richtig verwertet worden ist.

3.

Die Bewertung des Sachverständigengutachtens

67 Das Sachverständigengutachten unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts nach § 286 ZPO.91) Das Insolvenzgericht ist nicht an das Ergebnis der Gutachtenfeststellungen gebunden, es hat dieses frei zu würdigen und bspw. Widersprüche oder Hinweise auf Un___________ 86) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 31; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 5/2013, § 66 Rz. 19 ff.; Eickmann in: HK-InsO, § 66 Rz. 10; Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 341 ff.; Uhlenbruck, ZIP 1982, 125; Lièvre/Stahl/Ems, KTS 1999, 1. 87) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36 = NZI 2005, 103; Kübler/Prütting/BorkOnusseit, InsO, Stand: 5/2013, § 66 Rz. 22; Keller, Vergütung, Rz. 70 ff.; eingehend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 351 ff. 88) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 32; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 5/2013, § 66 Rz. 20; umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 373 ff. 89) Eingehend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 275. 90) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1691. 91) Allgemein Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 13; § 402 Rz. 7a.

1054

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§ 36

Vergütungsfragen

klarheiten der Tatsachenermittlung oder einer rechtlichen Bewertung zu beachten. Gerade wenn aber eine Sachverständigenbeauftragung erfolgt, weil das Gericht die notwendige Fachkenntnis nicht besitzt, wird das Gericht das Ergebnis der gutachterlichen Prüfung nicht ohne konkrete Anhaltspunkte ignorieren.92) Bei der Sachverständigenbeauftragung zur Schlussrechnungsprüfung wird sich hinsichtlich 68 der formellen Schlussrechnungsprüfung ebenfalls regelmäßig das Gericht dem Ergebnis des Gutachtens anschließen. Hinsichtlich der Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters nach § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO ergeht seitens des Insolvenzgerichts keine Entscheidung. Das Gericht hat lediglich einen Vermerk über die Prüfung zu fertigen.93) Hat das Insolvenzgericht bei der Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters 69 sich auf Feststellungen des Sachverständigengutachtens berufen und hält der Insolvenzverwalter diese für unzutreffend, kann er durch Gegenvorstellung gegenüber dem Insolvenzgericht diesen entgegentreten. Da über die Schlussrechnung bei Verfahrensbeendigung nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Gläubigerversammlung entscheidet, kann diese an Hand des Prüfvermerks des Gerichts und der Gegenvorstellung des Insolvenzverwalters entscheiden, ob die Schlussrechnung genehmigt wird oder nicht.94)

___________ 92) Zöller-Greger, ZPO, § 402 Rz. 7a. 93) Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung, Rz. 322 ff.; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1694. 94) Allgemein Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 197 Rz. 5; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 197 Rz. 4; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 5/2013, § 197 Rz. 6; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1702 ff.; über materielle Einwendungen gegen die Schlussrechnung entscheidet das Insolvenzgericht nicht; zu dieser Streitfrage Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., 2002, § 197 Rz. 5; in 13. Aufl., 2010, § 197 Rz. 6, 7, 8 ausdrücklich revidiert; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 5/2013, § 197 Rz. 11; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1703.

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§8 Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss Übersicht I.

Vorbemerkung: Rolle der Gläubiger bei der Betriebsfortführung....................... 1 II. Organe der Gläubiger im Überblick ........ 5 1. Gläubigerversammlung ................................ 7 1.1 Bedeutung der Gläubigerversammlung ..................................... 7 1.2 Einberufung und Zusammensetzung............................................... 9 1.3 Abstimmungen................................ 13 2. Gläubigerausschuss .................................... 15 2.1 Bedeutung des Gläubigerausschusses ...................................... 15 2.2 Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren .................................. 16 2.2.1 Einsetzung....................................... 16 2.2.2 Zusammensetzung .......................... 18 2.2.3 Sitzungen/Abstimmungen ............. 23 2.2.4 Pflichtenmaßstab/Haftung/ Versicherung/Kosten...................... 29 2.3 Vorläufiger Gläubigerausschuss ......................................... 31 2.3.1 Einsetzung....................................... 31 2.3.2 Zusammensetzung .......................... 38 2.3.3 Sitzungen/Abstimmungen ............. 40 2.3.4 Pflichtenmaßstab/Haftung/ Versicherung/Kosten...................... 41 3. Gläubigerbeirat........................................... 43

III. Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren ................................ 44 1. Mitwirkung bei gerichtlichen Entscheidungen .......................................... 44 2. Aufsichts- und Unterstützungsaufgaben...................................................... 54 3. Zustimmung zu Rechtshandlungen der Insolvenzverwaltung .................................. 58 IV. Gläubigerbeteiligung im eröffneten Regelverfahren .......................................... 60 1. Information der Gläubiger/ verfahrensbezogene Mitwirkung............... 60 2. Gläubigerbeteiligung an der Verwaltung...... 64 2.1 Grundentscheidung über die Betriebsfortführung........................ 64 2.2 Mitwirkung des Gläubigerausschusses an der Verwaltung ...... 67 2.3 Mitwirkung der Gläubigerversammlung an der Verwaltung ...................................... 76 2.4 Verhältnis zwischen Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss ......................................... 78 2.5 Vorratsbeschlüsse/Kompetenzdelegation/Bedingungen................. 81 V. Gläubigerbeteiligung im eröffneten Planverfahren ............................................ 85

Literatur: Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Bork, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist nicht disponibel, ZIP 2013, 145; Bork, Kann der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf das Anfechtungsrecht verzichten?, ZIP 2006, 589; Bork, Verfolgungspflichten – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen?, ZIP 2005, 1120; Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld – Auswirkungen des ESUG u. a. auf die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und die Beteiligung der BA an Gläubigerausschüssen, ZIP 2012, 699; Cranshaw, Haftung, Versicherung und Haftungsbeschränkung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses?, ZInsO 2012, 1151; Ehlers, Teilnahme und Nutzen einer Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss, BB 2013, 259; Eidenmüller, Reformperspektiven im Restrukturierungsrecht, ZIP 2010, 649; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407; Frind, Aktuelle Anwendungsprobleme beim „ESUG“ – Teil II, ZInsO 2013, 279; Frind, Probleme bei Bildung und Kompetenz des vorläufigen Gläubigerausschusses, BB 2013, 265; Frind, Die Voraussetzungen zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 2028; Frind, Der vorläufige Gläubigerausschuss – Rechte, Pflichten, Haftungsgefahren, – Gläubigerverantwortung im Eröffnungsverfahren: haftungsrechtlicher „Schleudersitz“?, ZIP 2012, 1380; Frind, Das „Anforderungsprofil“ gem. § 56a InsO – Bedeutung und praktische Umsetzung, NZI 2012, 650; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Ganter, Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, in: Festschrift für Gero Fischer, 2008, S. 121; Graeber, Die Aufgaben des Insolvenzverwalters im Spannungsfeld zwischen Delegationsbedürfnis und Höchstpersönlichkeit, NZI 2003, 569; Grell, Stimmverbote im Insolvenzrecht, NZI 2006, 77; Grell/Klockenbrink, Verbesserung der Gläubigermitbestimmung in Insolvenzverfahren – Chancen und Risiken eines Engagements im vorläufigen Gläubigerausschuss, DB 2013, 1038;

Kebekus/Zenker

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Gundlach/Frenzel/Schmidt, Das befangene Gläubigerausschussmitglied, ZInsO 2005, 974; Haarmeyer, Kein „freihändiges Nachbestellungsrecht“ des Insolvenzgerichts, ZInsO 2013, 1039; Haarmeyer, Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Auswahl seiner Mitglieder, ZInsO 2012, 2109; Haarmeyer/Horstkotte, Die „Einsetzungsbremsen“ des § 22a Abs. 3 InsO und ihre Umsetzung in die Praxis, ZInsO 2012, 1441; Hänel, Gläubigerautonomie und das Insolvenzplanverfahren, 2000; Hirte, Zwischenruf – ESUG: Brauchen die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses überhaupt eine Versicherung?, ZInsO 2012, 820; Hölzle, Zur Disponibilität der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZIP 2013, 447; Ingelmann/Ide/Steinwachs, Vorschlag einer Mustersatzung des Gläubigerausschusses, ZInsO 2011, 1059; Kebekus/Zenker, Business Judgment Rule und Geschäftsleiterermessen – auch in Krise und Insolvenz?, in: Festschrift für Georg Maier-Reimer, 2010, S. 319; Kreft, Vergleich über Anfechtungsansprüche, in Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 965; Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Pape, Ungeschriebene Kompetenzen der Gläubigerversammlung versus Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters, NZI 2006, 65; Pape, Nichtberücksichtigung eines „neuen” Vortrags bei der Entscheidung über die Aufhebung von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach § 78 InsO, ZInsO 2001, 691; Rauscher, Aufgaben, Kosten, Nutzen des vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1201; Schmidt/Hölzle, Der Verzicht auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Kein Schutz der Gläubiger vor sich selbst – ein Leitbild zur Anwendung der §§ 56, 56a InsO, ZIP 2012, 2238; Uhlenbruck, Ausgewählte Pflichten und Befugnisse des Gläubigerausschusses in der Insolvenz, ZIP 2002, 1373; Vallender/Zipperer, Der vorbefasste Insolvenzverwalter – ein Zukunftsmodell?, ZIP 2013, 149; Zimmer, Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, ZIP 2013, 1309.

I.

Vorbemerkung: Rolle der Gläubiger bei der Betriebsfortführung

1 Ohne breite Billigung der Gläubigerschaft ist eine Betriebsfortführung in der Insolvenz regelmäßig schlechterdings unmöglich – und dies nicht allein wegen der im Folgenden im Mittelpunkt der Betrachtung stehenden verfahrensmäßigen Stellung (siehe vor allem § 157 Satz 1 InsO) der Gläubiger, an deren Befriedigungsinteresse sich das Insolvenzverfahren maßgeblich und vorrangig zu orientieren hat (§ 1 Abs. 1 InsO).1) Diese verfahrensmäßige Stellung wird vor allem durch die zentrale Weichenstellungen des Verfahrens betreffenden Beteiligungs-, Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte von Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung geprägt – zusammengefasst rechtfertigen sie es, von (kollektiver) „Gläubigerautonomie“ im Insolvenzverfahren zu sprechen.2) Praktisch mindestens ebenso wichtig aber ist vielfach die Bereitschaft der Gläubiger, emotional und/oder finanziell weiterhin im schuldnerischen Unternehmen investiert zu bleiben bzw. erneut in es zu investieren – sei es etwa durch die Zurverfügungstellung von Fortführungsfinanzierungen, die Weiterbelieferung (auch z. B. mit Elektrizität und Wasser), die weitere Arbeits- oder Dienstleistung, den weiteren Bezug von Waren bzw. Dienstleistungen des Schuldners, also ganz allgemein das Aufrechterhalten und möglicherweise Erneuern und Vertiefen von Geschäftsbeziehungen, oder schlicht durch das Aussenden positiver Vertrauenssignale an den Markt. 2 Diese Abhängigkeit von der Unterstützung der Betriebsfortführung durch die Gläubiger führt dazu, dass die vertrauensvolle Kommunikation zumindest mit Schlüsselgläubigern – nach Möglichkeit bereits im Vorfeld einer geplanten Insolvenz, spätestens aber durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder die eigenverwaltende Geschäftsleitung – von besonderer Bedeutung ist. Dabei sind die Interessen der Gläubiger mit Blick auf eine Betriebsfortführung wenigstens potenziell sehr disparat. Das ökonomisch plausible (und spätestens im Planverfahren ggf. auch rechtlich relevante, §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO) Kriterium, dass der Fortführungswert den Liquidationswert wenigstens erreichen müsse,3) wird überlagert von weiteren, je individuellen Aspekten – z. B. Wert der Ge___________ 1) Vgl. hierzu nur etwa Ganter/Lohmann in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 20, 44 f., 71. 2) Eingehend zur Gläubigerautonomie und ihren Aspekten bzw. Komponenten Hänel, Gläubigerautonomie und das Insolvenzplanverfahren, S. 65 ff. 3) Nach Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 650, sollte generell nur dann saniert werden; nach Ganter/Lohmann in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 85, wird in diesem Fall die Sanierung zum gesetzgeberischen Ziel.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

schäftsbeziehung (bzw. des Arbeitsplatzes), eigener Liquiditätsbedarf, Beseitigung von Konkurrenzsituationen, Außenwahrnehmung des eigenen Engagements bei der Sanierung, persönliche Beziehungen zum Schuldner. Insbesondere der (vorläufige) Insolvenzverwalter gerät beim Werben um die Unterstüt- 3 zung einzelner Gläubiger leicht in eine Zwickmühle – vor allem dann, wenn die Gläubiger mehr oder weniger unverblümt die weitere Belieferung oder allgemein ihre Mitwirkung bei der Betriebsfortführung von der Begleichung oder Besicherung alter Forderungen abhängig machen oder wenn gegen Schlüsselgläubiger (etwa Banken) erhebliche Anfechtungsansprüche im Raum stehen. Die laufenden Geschäfte im Eröffnungs- wie im eröffneten Verfahren lassen sich regelmäßig hinreichend gegen Anfechtungs- und sonstige Risiken abschirmen.4) Deckungen für Altforderungen hingegen bleiben oft anfechtbar5) oder sind als insolvenzzweckwidrig nichtig. Auch etwa ein wirksamer Verzicht auf erfolgversprechende Anfechtungsansprüche ist grundsätzlich nicht möglich,6) ein Vergleich nur dann, wenn er im Wesentlichen den Durchsetzungschancen entspricht.7) Im Interesse der vertrauensvollen Zusammenarbeit sollte der (vorläufige) Insolvenzverwalter den rechtlich nicht versierten und unberatenen Gläubiger darüber nicht im Unklaren lassen und daher solche Zusagen generell erst gar nicht gewähren. Unterlässt der Insolvenzverwalter schlicht die Verfolgung von Anfechtungs- oder sons- 4 tigen Rückzahlungsansprüchen und verjähren oder erlöschen diese in der Folge, handelt er im Normalfall pflichtwidrig und setzt sich gemäß § 60 InsO potenziell der persönlichen Haftung aus.8) Eine Berufung auf seinen Einschätzungsspielraum bei unternehmerischen Entscheidungen9) dürfte dem Insolvenzverwalter angesichts der gesetzlichen Determinierung der Entscheidung zugunsten der Anspruchsverfolgung durch § 148 InsO10) verwehrt sein, wenn der Anspruch unzweifelhaft erfolgreich durchsetzbar wäre. In geeigneten Fällen im Regelverfahren mag es empfehlenswert sein, diese Ansprüche erst nach der „heißen Phase“ der Betriebsfortführung, ggf. sogar erst nach einer Veräußerung des Unternehmens, überhaupt zu thematisieren. Im Planverfahren, insbesondere bei „geplanten Insolvenzen“ (pre-packaged-plans), kann die Kürze der Zeit bis zur Aufhebung des Verfahrens der Prüfung und rechtzeitigen Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen entgegenstehen – eventuell mag dies auch einmal als Argument zum Überzeugen einzelner Gläubiger dienen, wobei den Insolvenzverwalter dann doch die Pflicht treffen dürfte, im Erörterungs- und Abstimmungstermin auf möglicherweise offene Ansprüche und die Möglichkeiten hinzuweisen, die Aufhebung durch Planbestimmung aufzuschieben (§ 258 Abs. 1 InsO) und ihn zur Fortführung immerhin noch rechtshängig11) gemachter Anfechtungsprozesse zu ermächtigen (§ 259 Abs. 3 InsO). ___________ 4) Im eröffneten Verfahren über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO, ggf. verstärkt durch Sicherheiten aus der Masse oder eine Garantie des Insolvenzverwalters. Im Eröffnungsverfahren etwa über § 55 Abs. 2 InsO, eine gerichtliche Ermächtigung, Masseverbindlichkeiten zu begründen (analog § 55 Abs. 2 InsO), die Abwicklung als Bargeschäft oder über ein Treuhandkonto. 5) Freilich muss der vorläufige Insolvenzverwalter in einer Zwangslage gehandelt haben, da sich der Anfechtungsgegner sonst i. d. R. auf Vertrauensschutz wird berufen können, vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, Rz. 17 ff., ZIP 2013, 528, 529 f., dazu EWiR 2013, 389 (Freudenberg/Wolf). 6) Bork, ZIP 2006, 589. 7) Kreft in: FS K. Schmidt, S. 965. 8) Vgl. nur Brandes/Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 60 Rz. 11 f., 14. 9) S. unten den Beitrag von Frege/Berger/Nicht, § 35 Rz. 50 f., sowie Kebekus/Zenker in: FS Maier-Reimer, S. 319 m. w. N. 10) Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 148 Rz. 41. Bork, ZIP 2005, 1120, 1122, schränkt die Pflicht nur dort ein, wo die Anspruchsdurchsetzung nachweislich zur Schmälerung der Insolvenzmasse führen würde; bloße „Klimapflege“ reiche nicht aus. 11) So BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, Rz. 11, ZIP 2013, 998 f.

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§8 II.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Organe der Gläubiger im Überblick

5 Wie eingangs erwähnt und wie auch vom Titel vorgegeben, dreht sich dieses Kapitel aber weniger um die soeben vorgestellte tatsächliche und individuelle Bedeutung der Gläubiger für die Betriebsfortführung als um ihre verfahrensrechtliche und kollektive Rolle – also um die Fragen, welche Entscheidungen die Gläubigerschaft mit welchen Rechtsfolgen, durch welche Gremien und auf welche Weise trifft oder daran mitwirkt. Das Spannungsverhältnis liegt dabei auf der Hand: Der Gedanke der Gläubigerautonomie und die Ausrichtung des Verfahrensziels an den Befriedigungsinteressen der Gläubiger sprechen für ihre möglichst weitgehende Einbindung; die gerade bei Betriebsfortführungen besonders wichtige Beschleunigung von Entscheidungsprozessen und Professionalität, die Kosten jeder Gremienbefassung und u. U. auch der Minderheitenschutz sprechen dafür, dem unter Aufsicht des Gerichts handelnden, jedem einzelnen Gläubiger verpflichteten und für Pflichtverletzungen haftenden Insolvenzverwalter große Entscheidungsfreiheit und -hoheit zu belassen. Daneben kann der Insolvenzverwalter ein Interesse daran haben, bestimmte Entscheidungen von der Gläubigerschaft treffen oder doch absegnen zu lassen, um so zum einen die Legitimationsbasis zu verbreitern und zum anderen zugleich sein Haftungsrisiko zu reduzieren. 6 Die Gläubiger üben ihre kollektiven Verfahrensrechte (stets) in der Gläubigerversammlung sowie (ggf. zusätzlich) durch den Gläubigerausschuss aus; in manchen Fällen mag sich die Frage stellen, ob anstelle eines Gläubigerausschusses oder daneben auch ein Gläubigerbeirat gebildet werden kann. Bevor auf die konkreten Entscheidungskompetenzen der Gläubiger und ihre Relevanz bei der Betriebsfortführung im Besonderen eingegangen wird, sollen diese Gremien, ihre Bildung, Zusammensetzung und „Funktionsweisen“ überblickartig vorgestellt werden. 1.

Gläubigerversammlung

1.1

Bedeutung der Gläubigerversammlung

7 An der Gläubigerversammlung nehmen (im theoretischen Idealfall) alle Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigten teil (§ 74 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dank dieser gleichsam Basisdemokratie erlaubenden, umfassenden Besetzung ist die Gläubigerversammlung prädestiniert, ganz wesentliche Weichenstellungen im Verfahren vorzunehmen (vgl. etwa § 157 InsO), aber zugleich zu schwerfällig und kostenintensiv, um eilbedürftige bzw. weniger bedeutsame, im Alltagsgeschäft anfallende Entscheidungen zu treffen. In der Praxis ist zudem zu beobachten, dass (insbesondere Klein-)Gläubiger vielfach den Aufwand der Teilnahme scheuen – dies hat den Gesetzgeber veranlasst, in § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO mit einer Zustimmungsfiktion für den Fall Vorsorge zu treffen, dass gar kein stimmberechtigter Gläubiger erscheint –; das kann leicht zu Verzerrungen führen, da eine Gläubigergruppe u. U. trotz geringen Forderungsanteils das Votum der Gläubigerversammlung bestimmen kann.12) 8 Ein weiteres „Handikap“ der Gläubigerversammlung ist, dass sie erstmals im eröffneten Verfahren und dort regelmäßig erst nach mehreren Wochen stattfindet. Bis dahin aber sind im Normalfall viele der kritischsten Fragen der Betriebsfortführung bereits beantwortet und (vor-)entschieden worden.

___________ 12) Zu Vorsorgemaßnahmen hiergegen vgl. Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 15 ff.

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Kebekus/Zenker

Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss 1.2

§8

Einberufung und Zusammensetzung

Berichts- und Prüfungstermin werden – evtl. verbunden – nach § 29 InsO bereits im Er- 9 öffnungsbeschluss bestimmt und durch dessen öffentliche Bekanntmachung sowie die besondere Zustellung an die bekannten Gläubiger und den Schuldner nach § 30 InsO einberufen. Weitere Termine, seien es gesetzlich vorgesehene wie der Erörterungs- und Abstimmungstermin im Planverfahren (§ 235 InsO) sowie der Schlusstermin (§ 197 InsO) oder ohne weiteres mögliche und vor dem Hintergrund der §§ 160 – 163, 271 f. InsO u. U. erforderliche zusätzliche, beruft das Insolvenzgericht ein, das auch Zeit, Ort13) und Tagesordnung14) festlegt und im Normalfall bekannt macht (§ 74 InsO). Jenseits der gesetzlich vorgeschriebenen Termine liegt die Einberufung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts.15) Es muss jedoch auf Antrag (etwa des Insolvenzverwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners)16) nach § 75 InsO eine Gläubigerversammlung wenigstens mit den beantragten Tagesordnungspunkten17) einberufen, jedenfalls solange der Antrag nicht offensichtlich willkürlich ist (etwa weil der angestrebte Beschluss kompetenzwidrig und daher nichtig wäre).18) Bei entsprechender Eilbedürftigkeit kann eine Gläubigerversammlung noch vor dem im Eröffnungsbeschluss festgelegten Berichtstermin einberufen werden.19) Im Beschleunigungsinteresse sieht das Gesetz etwa in §§ 29 Abs. 1, 75 Abs. 2 und 235 10 Abs. 1 Satz 2 InsO Höchstfristen vor, wobei es sich mit Ausnahme der Drei-MonatsGrenze für den Berichtstermin um Sollvorschriften handelt. Eine (freilich wohl selten praktikable) Mindestfrist (neben denen aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO für den Prüfungs- und § 197 Abs. 2 InsO für den Schlusstermin) von sechs Tagen ergibt sich mittelbar aus § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO i. V. m. § 4 InsO, § 217 ZPO.20) Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht geleitet (§ 76 Abs. 1 InsO). Außer 11 allen Insolvenzgläubigern21) – auch den nachrangigen – und allen Absonderungsberechtigten sind nach § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO auch der Insolvenzverwalter (bzw. Sachwalter),22) der Schuldner23) sowie die Mitglieder des Gläubigerausschusses teilnahmeberechtigt;24) im Übrigen ist die Gläubigerversammlung vorbehaltlich Einzelzulassungen nach § 175 Abs. 2 ___________ 13) Im Regelfall die Gerichtsstelle (§ 4 InsO, § 219 Abs. 1 ZPO), wobei gerade in Großverfahren mit vielen Gläubigern Ausnahmen angezeigt sein können, vgl. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 19. 14) Zu den Anforderungen vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, Rz. 3, ZIP 2008, 1030 m. w. N., dazu EWiR 2008, 373 (Blank); Braun-Herzig, InsO, § 74 Rz. 7. 15) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 74 Rz. 8. 16) Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 8 f. m. w. N. 17) Vgl. zur Beschwerdebefugnis bei verkürzter Tagesordnung BGH, Beschl. v. 10.3.2011 – IX ZB 212/09, Rz. 5, ZIP 2011, 673, dazu EWiR 2011, 391 (Keller). 18) LG Göttingen, Beschl. v. 11.12.2012 – 10 T 63/12, ZIP 2013, 1040; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 75 Rz. 6; ohne diese Einschränkung LG Stendal, Beschl. v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168, 2170, dazu EWiR 2012, 729 (Hofmann); Cranshaw/Paulus/Michel-Bruhn, InsO, § 75 Rz. 4 f. m. w. N. 19) LG Stendal, Beschl. v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168, 2169, dazu EWiR 2012, 729 (Hofmann). 20) Braun-Herzig, InsO, § 74 Rz. 6. 21) Zu Gläubigern streitiger Forderungen Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 74 Rz. 9. 22) Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 33. 23) Wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, wird man auf § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO zurückgreifen können. Eine generelle Öffnung für alle Anteilsinhaber führte außerhalb des Planverfahrens zu weit, wo § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO ggf. ihre Ladung vorsieht; sie sind dort zuzulassen, wo sie ein besonderes Interesse an der Teilnahme haben. So auch Preß in: HambKomm-InsO, § 74 Rz. 11; Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 74 Rz. 31; a. A. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 6. 24) S. zu weiteren Teilnehmern bestimmter Termine §§ 156 Abs. 2, 235 Abs. 3 InsO.

Kebekus/Zenker

161

§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Satz 1 GVG nicht öffentlich.25) Aus seinem Aufgabenkreis folgt auch über Berichts- und Prüfungstermin hinaus zugleich eine Teilnahmeverpflichtung des Insolvenzverwalters.26) Der Schuldner kann nach § 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 InsO zum Erscheinen und zur Auskunftserteilung angehalten werden; bei Gesellschaften gilt dies nach Maßgabe von § 101 Abs. 1 InsO für Organmitglieder und Komplementäre.27) 12 Gläubiger können sich in Gläubigerversammlungen vertreten lassen, wobei (zweifelhaft) teilweise von einer Beschränkung des Kreises der Vertretungsberechtigten nach § 4 InsO, § 79 ZPO ausgegangen wird, so dass bspw. eine Vertretung durch Inkassounternehmen ausgeschlossen wäre.28) Jedenfalls zulässig ist eine Vertretung durch Mitgläubiger;29) erwägenswert erscheint zudem die (strikt weisungsgebundene) Ausübung des Stimmrechts einzelner Gläubiger durch den Insolvenzverwalter – ungeachtet seines Berufsstandes – oder Mitarbeiter seines Büros.30) Für den Verwalter hingegen ist es wenigstens ein nobile officium, wohl sogar eine Amtspflicht, an Gläubigerversammlungen persönlich teilzunehmen31) – allerdings sind doch Verhinderungsfälle denkbar, in denen aufgrund notwendiger Beschleunigung eine Vertretung unabwendbar und zulässig erscheint.32) 1.3

Abstimmungen

13 Neben der Unterrichtung der Gläubiger durch den Insolvenzverwalter (vgl. §§ 79, 156 InsO), die der Entscheidungsvorbereitung, aber auch der schlichten Information und Kontrolle dient, und der Erörterung sowie (für den Prüfungstermin) der Forderungsprüfung bildet naturgemäß die Beschlussfassung den zentralen Inhalt der Gläubigerversammlung. Den Insolvenzverwalter trifft hier eine (auch haftungsbewehrte) große Verantwortung, den Gläubigern die erforderlichen, umfassenden und inhaltlich zutreffenden Tatsachengrundlagen für ihre Entscheidungen zu vermitteln. Er sollte deshalb auf die Vorbereitung seiner Berichte und der Gläubigerversammlung insgesamt sowie auf die ordnungsgemäße Beantwortung der Fragen von Gläubigerseite besondere Sorgfalt verwenden und auf mögliche Unsicherheiten und Bewertungsrisiken gerade bei Prognoseentscheidungen deutlich hinweisen. Dies gilt in gesteigertem Maße, wenn man keine Möglichkeit sieht, außerhalb der Gläubigerversammlung liegende, evtl. auch spätere Erkenntnisse auf den Rechtsbehelf nach § 78 InsO hin zu berücksichtigen;33) die verfahrensrechtlichen Be___________ 25) Preß in: HambKomm-InsO, § 74 Rz. 14. 26) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 74 Rz. 9c; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 7. 27) Kübler/Prütting/Bork-Pape/Schaltke, InsO, Stand: 2/2010, § 176 Rz. 9; zu weitgehend UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 7, der von einer generellen Teilnahmepflicht ausgeht. 28) So etwa Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 35 f. Anderes muss wegen § 174 Abs. 1 Satz 3 InsO für den Prüfungstermin gelten, vgl. RegE RDG, BT-Drucks. 16/3655, S. 92. 29) Zutreffend Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 36, der sie als „Streitgenossen“ gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO behandelt. 30) Bedenken aus dem Gebot der Unabhängigkeit und aus (anwaltlichem) Berufsrecht hingegen bei Hofmann in: Kübler, HRI, § 15 Rz. 20; praktisch empfiehlt sich als „sicherster Weg“ gewiss die Mandatierung eines unabhängigen Stimmvertreters. 31) Graeber, NZI 2003, 569, 575; Ausnahmen beim (besonderen) Prüfungstermin lassen Kübler/Prütting/ Bork-Pape/Schaltke, InsO, Stand: 2/2010, § 176 Rz. 23; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 7, zu. Großzügiger Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 74 Rz. 9d. 32) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 156 Rz. 7a; für extreme Ausnahmefälle auch Jaeger-Gerhardt, InsO § 74 Rz. 18. Wenn man hier nicht auf die Bestellung eines Sonderverwalters zurückgreift, sollte als Maßstab für den Vertreter § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO (i. V. m. § 4 InsO) gelten, vgl. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 74 Rz. 9d mit Fn. 47. 33) KG Berlin, Beschl. v. 23.3.2001 – 7 W 8076/00, NZI 2001, 310 = DZWIR 2002, 34 m. Anm. Smid; LG Wuppertal, Beschl. v. 6.6.2011 – 6 T 287/11, juris; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 78 Rz. 12; offen BGH, Beschl. v. 10.12.2009 – IX ZB 263/08, juris.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

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schränkungen dieses Rechtsbehelfs sowie die vielfache Notwendigkeit schneller, bestandskräftiger Entscheidungen erlauben aber auch auf der Grundlage der gegenteiligen Auffassung34) keinen anderen Befund. An den Abstimmungen – mit Ausnahme der Abstimmung über einen Insolvenzplan, für 14 die nach §§ 237 ff. InsO etliche Besonderheiten gegenüber dem Folgenden gelten (siehe noch unten den Beitrag von Spies, § 24 Rz. 164 ff.) – nehmen (nur) die anwesenden bzw. ordnungsgemäß vertretenen einfachen Insolvenzgläubiger sowie Absonderungsberechtigten teil; Letztere nach § 76 Abs. 2 Halbs. 2 InsO mit dem Wert ihres Rechts, wenn oder soweit sie nicht zugleich mit einer persönlichen Forderung Insolvenzgläubiger sind. Nachrangige Insolvenzgläubiger können zwar an der Gläubigerversammlung teilnehmen, dürfen aber nicht abstimmen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Stimmrecht bemisst sich nach der angemeldeten35) Forderungshöhe (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO). Bei bestrittenen und aufschiebend bedingten Forderungen soll ebenso wie bei den isolierten Absonderungsrechten nach § 77 Abs. 2, 3 InsO eine Einigung zwischen dem Verwalter und den (potenziell) Stimmberechtigten herbeigeführt werden; notfalls entscheidet das Insolvenzgericht.36) Ein gerichtlicher Entzug des Stimmrechts für eine einzelne Abstimmung analog § 77 InsO kommt dort in Betracht, wo bei einem Gläubiger hinsichtlich des Beschlussgegenstands eine schwerwiegende Interessenkollision vorliegt.37) Typischerweise entscheidet die Gläubigerversammlung mit einfacher Summenmehrheit der stimmenden Forderungen bzw. Rechte (§ 76 Abs. 2 Halbs. 1 InsO); bei einzelnen Entscheidungen (vgl. §§ 57, 271 f. InsO) wird dieses Erfordernis um dasjenige einer einfachen Kopfmehrheit der stimmenden Gläubiger ergänzt. 2.

Gläubigerausschuss

2.1

Bedeutung des Gläubigerausschusses

Für die Tätigkeit des Verwalters (oder des eigenverwaltenden Schuldners) bei der Betriebs- 15 fortführung dürfte – sofern er besteht – dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss als ständigem Gremium eine insgesamt noch größere Bedeutung zukommen als der Gläubigerversammlung. Er nimmt – in der Intensität je auch nach wirtschaftlicher Relevanz des Verfahrens und Persönlichkeiten des Verwalters und der Ausschussmitglieder verschieden – an der Betriebsfortführung dadurch teil, dass er dem Insolvenzverwalter mit Rat und Tat – im Einzelfall auch Branchenkenntnissen und Kontakten – zur Seite steht, seine Geschäftsund Kassenführung überwacht (§ 69 InsO) und bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (vgl. §§ 158, 160 InsO) sowie u. U. auch darüber hinaus an Entscheidungen des Verwalters mitwirkt. Der vorläufige Gläubigerausschuss spielt daneben gemäß §§ 56a, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO bei der gerichtlichen Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und gemäß §§ 270 Abs. 3, 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO bei der Anordnung der Eigenverwaltung bzw. Aufhebung des Schutzschirmverfahrens eine Rolle. Gerade bei (möglicher) Betriebsfortführung drängt sich ab einer gewissen Unternehmensgröße trotz der damit verbundenen Kosten die Einsetzung eines Gläubigerausschusses auf oder schreibt ___________ 34) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 78 Rz. 14a; deutlich Pape, ZInsO 2001, 691; wohl auch Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 78 Rz. 10. 35) Zur Abstimmung vor Ablauf der Anmeldefrist vgl. etwa Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 77 Rz. 28 f. 36) Vgl. zur Möglichkeit, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, § 18 Abs. 3 RPflG sowie BVerfG, Beschl. v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. 37) AG Göttingen, Beschl. v. 28.7.2009 – 71 IN 151/07, ZInsO 2009, 1821; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 77 Rz. 15 f.; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 77 Rz. 4 ff.; a. A. Grell, NZI 2006, 77, dessen Lösungsvorschlag (Insolvenzverwalter muss sich über den Beschluss hinwegsetzen) aber den Verwalter zu sehr belastet.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

sie – für den vorläufigen Ausschuss – das Gesetz (§ 22a InsO) sogar vor. Ganz besondere Bedeutung hat der Gläubigerausschuss als Überwachungsorgan sowohl für den Schuldner als auch für den Sachwalter und akzeptanzfördernder Faktor bei der Betriebsfortführung in Eigenverwaltung.38) 2.2

Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren

2.2.1 Einsetzung 16 Das Insolvenzgericht kann nach seinem Ermessen vor der ersten Gläubigerversammlung, auch schon im Eröffnungsbeschluss, einen Gläubigerausschuss einsetzen39) – dieser sollte seit dem ESUG nicht mehr als „vorläufiger“ bezeichnet werden,40) um Verwechslungen mit dem (dann vor-)vorläufigen Ausschuss nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO zu vermeiden. Zu dieser Terminologie verführt § 68 InsO, der klarstellt, dass in letzter Instanz die Gläubigerversammlung darüber entscheidet, ob und mit wie vielen und welchen Mitgliedern ein Gläubigerausschuss bestehen soll. Nicht nur in ihrer ersten Sitzung kann sie die gerichtliche Entscheidung korrigieren und entweder erstmals einen Gläubigerausschuss wählen oder den gerichtlich eingesetzten ganz oder teilweise abwählen, ersetzen oder ergänzen; ihre eigene Entscheidung für einen Ausschuss oder bestimmte Mitglieder kann freilich nur noch auf Antrag nach § 70 InsO durch das Gericht korrigiert werden.41) Weder das Gericht noch die Gläubigerversammlung sind an Anregungen des Verwalters gebunden, jedoch empfiehlt es sich, ihn zur Frage des Gläubigerausschusses anzuhören. 17 Wenngleich die Kriterien des § 22a InsO ein Indiz für die Sachgerechtigkeit der Einsetzung eines Gläubigerausschusses auch im eröffneten Verfahren sein dürften, verengen ihr Vorliegen oder das Bestehen eines vorläufigen Gläubigerausschusses den Entscheidungsspielraum des Gerichts nicht.42) Weder ein wichtiger Grund entsprechend § 70 Satz 1 InsO noch eine Anhörung analog § 70 Satz 3 InsO sind erforderlich, wenn das Gericht den vorläufigen Gläubigerausschuss nicht oder mit geänderter Besetzung im Amt bestätigen will.43) Praktisch hat es sich allerdings schon angesichts der gesammelten Expertise im Verfahren bewährt und ist dem Gericht bei laufender Betriebsfortführung für den Regelfall anzuraten,44) den vorläufigen Gläubigerausschuss durch Neubestellung in das eröffnete Verfahren zu übernehmen.45)

___________ 38) Zutreffend Ampferl in: Kübler, HRI, § 13 Rz. 5 f. m. w. N. 39) Ferner kann es nachträglich weitere Mitglieder bestellen, Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 27; a. A. Haarmeyer, ZInsO 2013, 1039. 40) So noch Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 7, und an der Terminologie festhaltend etwa Kübler/ Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 2. 41) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 68 Rz. 11. 42) Vgl. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251; a. A. Ampferl in: Kübler, HRI, § 13 Rz. 9 f.; Kübler/Prütting/ Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 14. 43) A. A. Ampferl in: Kübler, HRI, § 13 Rz. 9 ff.; die Rechtslage ist aber nicht anders als beim Verwalter, wo § 59 InsO ebenfalls nicht herangezogen wird, wenn das Gericht eine andere Person als den vorläufigen Verwalter zum Insolvenzverwalter bestellt. 44) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 14; tendenziell a. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251. 45) Braun-Hirte, InsO, § 67 Rz. 1, geht offenbar von einem automatischen, zwangsläufigen Fortbestehen des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO über die Insolvenzeröffnung hinaus aus. Systematisch erscheint dies als fernliegend; wie hier auch Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 14.

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2.2.2 Zusammensetzung Für die gerichtliche Einsetzungsentscheidung enthält § 67 Abs. 2 InsO bestimmte Soll- 18 vorgaben, die in der Praxis regelmäßig beachtet werden; sie verfolgen das Ziel, eine Vertretung der wesentlichen Gläubigergruppen und -interessen im Ausschuss zu erreichen. Danach sollen die Absonderungsberechtigten, die Gläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer vertreten sein; Letzteres angesichts der sozialen Bedeutung des Arbeitsplatzes und ihrer Kenntnis des Unternehmens46) auch ungeachtet des Umstands, dass die Insolvenzforderungen der Arbeitnehmer in vielen Fällen durch das Insolvenzgeld überschaubar sind. Praktisch hat sich für die meisten Fälle eine Mitgliederzahl von fünf für den Gläubigerausschuss bewährt;47) in kleineren Verfahren kann sich (auch aus Kostengründen) die Bestellung eines Dreierausschusses empfehlen.48) Zu Mitgliedern können

19

x

natürliche wie juristische Personen (auch der PSVaG oder die Bundesagentur für Arbeit)49) und Gesellschaften berufen werden,

x

nicht aber einzelne Behörden wie das örtliche Finanzamt; hier müsste auf Behördenmitarbeiter ausgewichen werden, für die das Amt eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit darstellt.50)

x

Das Gericht kann nach § 67 Abs. 3 InsO auch Nichtgläubiger (ohne Mandat eines Gläubigers) berufen, etwa professionelle Gläubigervertreter, wichtige Kunden oder Branchenkenner51) sowie

x

als Repräsentant der Arbeitnehmerschaft anstelle oder neben einem Betriebsratsmitglied die zuständige Gewerkschaft oder ihre Vertreter.52)

Das Gesetz verlangt – anders als für den Verwalter (§ 56 Abs. 1 InsO) – nicht ausdrücklich 20 die Eignung der Ausschussmitglieder, jedoch darf das Gericht selbstverständlich nicht sehenden Auges ungeeignete Mitglieder bestellen und ist die fehlende Eignung Entlassungsgrund (§ 70 InsO).53) Für die Gläubigerversammlung gelten selbst diese Sollvorgaben nicht; sie ist völlig frei 21 in der Bestimmung der Mitgliederzahl (mindestens zwei) und Zusammensetzung des von ihr gewählten Ausschusses.54) Dennoch sprechen naturgemäß Vernunftgründe für eine Orientierung an der insgesamt sachgerechten Regelung des § 67 Abs. 2 InsO.55) Das Gericht kann freilich nur in Extremfällen auf Rechtsbehelf nach § 78 InsO oder durch Entlassung aus wichtigem Grund nach § 70 InsO einschreiten.56) ___________ 46) Vgl. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 27. 47) Regelfall nach Frind, BB 2013, 265, 267. Zu Recht die taktische Bestellung größerer Ausschüsse („gelegentlich … mehr als zehn Personen“) beklagend Braun-Hirte, InsO, § 67 Rz. 14 mit Fn. 24. 48) Vgl. Ampferl in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 106; Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1039; nach Ehlers, BB 2013, 259, 260, sollten drei Mitglieder die Regelgröße sein. 49) Vgl. zur Übernahmebereitschaft Bundesagentur für Arbeit, ZIP 2012, 699, 700. 50) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 15 m. w. N. 51) Braun-Hirte, InsO, § 67 Rz. 7. 52) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 16; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 53) Zur Eignung mit durchaus hohen Anforderungen an Sachkunde und Unabhängigkeit etwa Frind, ZInsO 2013, 279, 283 f. 54) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 68 Rz. 3; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 68 Rz. 10; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 68 Rz. 7 f. 55) Vgl. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 68 Rz. 15, der § 67 Abs. 2 InsO sogar als „gesetzliches Leitbild“ und „Empfehlung“ bezeichnet. 56) Vgl. zu § 78 InsO Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 68 Rz. 11 ff.; a. A. SchmidBurgk in: MünchKomm-InsO, § 68 Rz. 9.

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22 Die benannten Personen sind nicht zur Annahme des Amts verpflichtet, weshalb sich grundsätzlich empfiehlt, vor der Auswahl ihre Bereitschaft zu erkunden (und für sie zu werben), Mitglied im Gläubigerausschuss zu werden. Leider ist hier (verstärkt durch die Einsetzung vorläufiger Gläubigerausschüsse infolge des ESUG) bei einigen Großgläubigern – insbesondere Banken und sonstigen Finanzierern sowie Behördenvertretern – mitunter keine ausgeprägte Bereitschaft vorhanden, was das Anliegen der InsO (und des ESUG) untergräbt, die Gläubigerautonomie zu stärken und die Gläubiger als die wirtschaftlich betroffenen Parteien umfassend in das Verfahren einzubeziehen.57) 2.2.3 Sitzungen/Abstimmungen 23 An den nicht öffentlichen Gläubigerausschusssitzungen dürfen naturgemäß die Ausschussmitglieder teilnehmen; sie sind grundsätzlich auch zur Teilnahme i. R. des Möglichen und Zumutbaren verpflichtet.58) Ist ein Mitglied keine natürliche Person kann es jedenfalls durch seine organschaftlichen Vertreter, aber auch durch Bevollmächtigte repräsentiert werden;59) auch natürliche Personen können sich vertreten lassen,60) wobei sie davon nur im (einzelnen) Verhinderungsfall Gebrauch machen dürfen. In jedem Fall sollte eine zu starke Fluktuation der an den Ausschusssitzungen Teilnehmenden nach Möglichkeit vermieden werden.61) Gesetzlich festgelegte Anforderungen an die Vertreter bestehen nicht – auch nicht nach § 4 InsO, § 79 Abs. 2 ZPO –; jedoch muss das Mitglied für die fachliche Eignung, Entscheidungskompetenz und Informiertheit der Vertreter sorgen und notfalls im Wege der Haftung einstehen. Schon aus Gründen der Parität und Arbeitsfähigkeit dürfte pro Mitglied nur ein Vertreter die Teilnahme verlangen und abstimmen können;62) der Ausschuss kann aber weitere Personen zur Sitzungsteilnahme zulassen, u. U. begrenzt auf einzelne Beratungsgegenstände. 24 Auch im Übrigen entscheidet der Ausschuss, wer an seinen Sitzungen teilnehmen darf. Regelmäßig ist die Teilnahme des Verwalters (bzw. in Eigenverwaltungsfällen des Schuldners sowie evtl. des Sachwalters) sinnvoll, wenn nicht gar erforderlich; er ist bei Einladung grundsätzlich zur Teilnahme verpflichtet und übernimmt vielfach auch im Auftrag des Ausschusses die Protokollierung. Jenseits der Eigenverwaltung dürfte eine Teilnahme des Schuldners in der Regel nicht angezeigt sein, wenn es nicht um die Auskunftserteilung nach § 97 Abs. 1 InsO geht. Ob das Insolvenzgericht verlangen kann, an Gläubigerausschusssitzungen teilzunehmen,63) ist zweifelhaft; allerdings bietet sich in rechtlichen und Verfahrensfragen oft ein Austausch mit dem Gericht an, das freilich zur Teilnahme seinerseits nicht verpflichtet ist. 25 Jedes Mitglied hat eine Stimme; nach § 72 InsO sind die Teilnahme der Mitgliedermehrheit (die Hälfte der Mitglieder genügt bei geradzahlig besetzten Ausschüssen nicht) an ___________ 57) Vgl. Pressemitteilung des Instituts für Interdisziplinäre Restrukturierung (iir) e. V. v. 7.12.2012 „ESUG ist richtiger Schritt, Beteiligte müssen stärker mitziehen“, abrufbar: http://www.iir-hu.de/fileadmin/ Freigaben/iir-PM_Workgroup_2012.pdf (Abrufdatum: 24.9.2013). 58) Vgl. den Hinweis bei Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 11. 59) Zur Zulässigkeit von (insbesondere restriktiven) Vertretungsregelungen in der Geschäftsordnung des Ausschusses etwa Frind, BB 2013, 265, 269; Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1039. 60) Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 28; Schmid-Burgk in: MünchKommInsO, § 67 Rz. 26 m. w. N.; a. A. Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 69 Rz. 7 f.; Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373, 1380. 61) Vgl. Frind, BB 2013, 265, 270. 62) Frind, BB 2013, 265, 270. 63) So Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 12; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 7; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 26, Stand: 11/2012, § 69 Rz. 9; Gottwald-Klopp/ Kluth, Hdb. InsR, § 21 Rz. 17.

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der Beschlussfassung und die einfache Kopfmehrheit der abgegebenen Stimmen für die Gültigkeit eines Beschlusses erforderlich. Stimmenthaltungen sind zwar zulässig, sollten aber die Ausnahme bleiben. Mitglieder, die sich enthalten, nehmen richtigerweise schon nicht an der Beschlussfassung teil, so dass sie die Beschlussfähigkeit infrage stellen können, bei der Feststellung der Stimmenmehrheit im nächsten Schritt aber außen vor bleiben.64) In Ausnahmefällen, insbesondere bei einer unmittelbaren Beteiligung des Ausschussmitglieds an Rechtsgeschäften oder Rechtsstreiten, über die abzustimmen ist, kommt ein Stimmrechtsausschluss in Betracht.65) Anders als bei der Enthaltung reduziert sich in diesem Fall die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder, so dass die Beschlussfähigkeit hiervon unberührt bleibt.66) An der Beratung darf das von der Abstimmung ausgeschlossene Mitglied teilnehmen und seine Sicht der Dinge darstellen.67) Beispiel Enthalten sich in einem Fünferausschuss drei Mitglieder und stimmen die verbleibenden zwei Mitglieder für den Beschluss, kommt dieser mangels Beschlussfähigkeit des Gläubigerausschusses nicht zustande. Bei nur zwei Enthaltungen und einer Nein-Stimme wäre hingegen die Beschlussfähigkeit ebenso gegeben wie in dem Fall, dass drei Mitglieder von der Abstimmung ausgeschlossen sind. Der Gläubigerausschuss kann sich eine umfassende Geschäftsordnung geben,68) aber dar- 26 auf auch zugunsten von Einzelregelungen zu seinem Verfahren verzichten. Ebenso kann ein Vorsitzender gewählt werden, ohne dass dies zwingend wäre, da mit dieser Rolle vorbehaltlich in Grenzen zulässiger, das Verfahren betreffender Geschäftsordnungsbestimmungen keine besonderen Kompetenzen verbunden sind.69) Der Ausschuss bestimmt selbst, wie oft, wann, wo und wie Sitzungen stattfinden. Allerdings 27 muss er eine für die Aufgabenerfüllung nach § 69 InsO hinreichende Frequenz wahren, die im Anfangsstadium des Verfahrens meist höher ist als im weiteren Verlauf, und auf Aufforderung des Insolvenzverwalters, bestimmten Rechtshandlungen zuzustimmen, zügig einen Beschluss darüber fassen. Zu diesem Zweck kann sich anbieten, dem Insolvenzverwalter zu gestatten, selbstständig zu weiteren Sitzungen einzuladen. Daneben muss auf Verlangen eines Mitglieds eine Sitzung stattfinden.70) Wenn der Ausschuss dies vorab sinnvollerweise – etwa in einer Geschäftsordnung – beschlossen hat oder ad hoc mit Einverständnis aller Mitglieder sind Beschlussfassungen im Umlaufverfahren ebenso möglich ___________ 64) Für eine Berücksichtigung bei Beschlussfähigkeit und Mehrheit (= zählen wie ablehnende Stimmen) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 72 Rz. 3; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 72 Rz. 3. Für eine Berücksichtigung bei der Beschlussfähigkeit und ein Herausrechnen bei der Mehrheit UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 8; wohl auch Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 20. 65) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425; Cranshaw/Paulus/Michel-Bruhn, InsO, § 72 Rz. 8 f. 66) Frind in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 2 f. m. w. N.; a. A. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 72 Rz. 2; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 7. Noch anders Schmid-Burgk in: MünchKommInsO, § 72 Rz. 20: Bei der Beschlussfähigkeit komme es auf die Anwesenheit an, bei der Mehrheit wird die Stimme nicht gerechnet. 67) Frind in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 4; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 14; a. A. Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2005, 974, 975 f.; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 10. 68) Vgl. nur Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2013, § 72 Rz. 2; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 2; Muster finden sich etwa bei Frege/Keller/Riedel, InsR, Rz. 1246; Ingelmann/Ide/Steinwachs, ZInsO 2011, 1059. 69) Insbesondere kann dem Vorsitzenden kein Stichentscheid entgegen § 72 InsO eingeräumt werden, Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2013, § 72 Rz. 6; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 8. 70) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 11.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

wie die Teilnahme an der Ausschusssitzung oder deren Durchführung per Telefon- oder Videokonferenz.71) 28 Der Gläubigerausschuss dient nicht der Information der Gläubiger; die Unterrichtungspflicht nach § 69 Satz 2 InsO und die Auskunftspflicht nach § 97 Abs. 1 InsO sind nur Mittel zum Zweck der Erfüllung der Überwachungs- und Unterstützungsaufgaben. Deshalb sind im Gläubigerausschuss erlangte Informationen und die dortigen Beratungen grundsätzlich vertraulich,72) wobei Vertreter das bestellte Mitglied informieren dürfen73) und die Mitglieder auch kaum (jenseits etwa von allgemeinen Regelungen gegen Insiderhandel) daran gehindert werden können, die Informationen ihren eigenen Geschäftsentscheidungen zugrunde zu legen. Der Insolvenzverwalter sollte auf diese Vertraulichkeit hinweisen und sich allgemein bemühen, durch aktive Kommunikationspolitik allzu große Informationsvorsprünge einzelner Gläubiger zu verhindern.74) 2.2.4 Pflichtenmaßstab/Haftung/Versicherung/Kosten 29 Selbst wenn und soweit sie als Repräsentanten von Gläubigergruppen in den Ausschuss berufen worden sind, sind die Mitglieder im Ausschuss doch jeweils nicht als Vertreter bestimmter Partikularinteressen oder gar in ihrer Rolle als individuelle Gläubiger tätig, sondern insgesamt und jeder für sich allein dem Gesamtinteresse der Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigten an optimaler Befriedigung verpflichtet.75) Wenn ein Gläubigerausschussmitglied seine so ausgerichteten Pflichten nach der InsO schuldhaft verletzt, haftet es – vielfach neben dem Insolvenzverwalter – den geschädigten Insolvenzgläubigern (beachte ggf. § 92 InsO) oder Absonderungsberechtigten nach § 71 InsO auf Schadensersatz.76) Soweit der Gläubigerausschuss (beabsichtigte) unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters nicht allein auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern auch auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen oder (i. R. der Unterstützungsfunktion) eigene unternehmerische Entscheidungen zu treffen hat, kommt seinen Mitgliedern direkt oder doch mittelbar der Schutz der Business Judgment Rule zugute.77) 30 Gegen dieses Haftungsrisiko können sich die Mitglieder des Gläubigerausschusses mit einer Haftpflichtversicherung in angemessener Höhe absichern. Anders als beim Verwalter, dessen allgemeine Haftpflichtversicherung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 InsVV durch die Vergütung abgegolten ist, fehlt eine solche Regelung für den Gläubigerausschuss (§ 18 Abs. 1 InsVV), so dass die Erstattung der Prämien als Auslagen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 InsO) und damit Massekosten verlangt werden kann,78) ohne dass es einer Zustimmung durch das Gericht bedürfte.79) Jedenfalls mit Zustimmung des Gerichts kann auch eine Prämienzah-

___________ 71) Braun-Hirte, InsO, § 72 Rz. 8 f. 72) Eingehend Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407, 412 ff., mit der Empfehlung einer konkretisierenden Regelung in der Geschäftsordnung (415). Einschränkend BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05 Rz. 9, ZIP 2008, 652, 653. 73) Sehr weitgehend demgegenüber BGH, Urt. v. 22.4.1981 – VIII ZR 34/80, ZIP 1981, 1001, 1002, wonach das Mitglied seinen Arbeitgeber, den Gläubiger, informieren darf und aufgrund des Arbeitsverhältnisses muss. 74) Von einem (gewollten) „signifikanten Informationsvorsprung“ der Gläubigerausschussmitglieder gehen Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407, 410, aus. 75) Vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, Rz. 9, ZIP 2008, 652, 653. 76) Näher etwa Ganter in: FS G. Fischer, S. 121. 77) Vgl. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321, 328 f. S. a. Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1042. 78) BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 9, ZIP 2012, 876, 877. 79) So aber offenbar Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 71 Rz. 24.

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lung unmittelbar aus der Masse erfolgen.80) Entfällt der Versicherungsschutz, kann darin ein wichtiger Grund für ein Ausschussmitglied liegen, seine Entlassung nach § 70 InsO zu betreiben.81) Zur Vergütung der Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss vgl. § 73 InsO, § 17 InsVV. Sie richtet sich regelmäßig nach Tätigkeitsstunden82) und besteht nicht in einem Anteil der Verwaltervergütung.83) 2.3

Vorläufiger Gläubigerausschuss

2.3.1 Einsetzung Durch das ESUG wurde die (bis dahin umstrittene) Befugnis des Insolvenzgerichts in § 21 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO festgeschrieben, als vorläufige Maßnahme im Eröffnungsverfahren einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Das im Grundsatz, hier wie in den anderen Fällen, hinsichtlich der Anordnung vorläufiger Maßnahmen bestehende Ermessen des Insolvenzgerichts wird durch § 22a InsO verengt – und zwar in beiden Richtungen. In Abs. 3 werden Konstellationen umschrieben, in denen kein vorläufiger Ausschuss einzusetzen ist, während im Übrigen bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte der Unternehmensgröße nach Abs. 1 der vorläufige Gläubigerausschuss obligatorisch ist bzw. er nach Abs. 2 bei einem hinreichend vorbereiteten Antrag immerhin gebildet werden soll, das Ermessen also reduziert ist und gewichtige Gründe gegen den Ausschuss sprechen müssen, um seine Einsetzung abzulehnen. Dabei sollten die Ausschlussgründe des § 22a Abs. 3 InsO, soweit sie dem Gericht eine 32 Wertungsmöglichkeit eröffnen, restriktiv angewendet werden. In den allein in Rede stehenden Fällen des laufenden Geschäftsbetriebs kann der zu erwartende Ertrag eines vorläufigen Gläubigerausschusses jedenfalls in den Größenklassen des § 22a Abs. 1 InsO, aber auch in den typischerweise professionell vorbereiteten und begleiteten Verfahren nach § 22a Abs. 2 InsO beträchtlich sein, und der drohende Verzögerungsschaden kann zumindest durch Einsetzung erst nach Bestellung des vorläufigen Verwalters ausgeschlossen werden. Geht es also um eine Betriebsfortführung in der Insolvenz und spielt die drohende Ver- 33 zögerung für die Einsetzung des Ausschusses faktisch keine Rolle, so bleibt die Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse. In diesem frühen Verfahrensstadium und bei den Unwägbarkeiten der Betriebsfortführung spricht schon der Umstand, dass die Soll-Masse zu Fortführungswerten kaum auch nur näherungsweise zu bestimmen ist, gegen den Rückgriff auf feste Prozentsätze für deren Verhältnis zu den voraussichtlichen Kosten des Ausschusses.84) Vielmehr sollte das Gericht unter Berücksichtigung von möglichen Professionalitäts- und Akzeptanzgewinnen durch den vorläufigen Gläubigerausschuss die Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nur dort annehmen, wo es die Sanierung des Unternehmens für unwahrscheinlich hält und unter Berücksichtigung der Ausschusskosten mit drohender Masseunzulänglichkeit rechnet. Und selbst in diesen Fällen sollte es den Großgläubigern bzw. den ins Auge gefassten Ausschussmitgliedern noch Gelegenheit geben, die Kosten zu übernehmen bzw. auf eine Vergütung und Ausla___________ 80) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 71 Rz. 24; offen BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, Rz. 9, ZIP 2012, 876, 877. 81) BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, ZIP 2012, 876. 82) Die Stundensätze von 35 € bis 95 € sind Regelsätze; eine Abweichung im begründeten Einzelfall ist zulässig, vgl. AG Detmold, Beschl. v. 6.3.2008 – 10 IN 214/07, NZI 2008, 505 (300 €); näher Zimmer, ZIP 2013, 1309, 1311 ff. 83) LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342; krit. Zimmer, ZIP 2013, 1309. 84) So aber etwa AG Ludwigshafen, Beschl. v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310 (7 %); Frind, ZInsO 2012, 2028, 2035 (abgestufter Prozentsatz von 0 %, 1 % und 5 % je nach Teilungsmasse); Rauscher, ZInsO 2012, 1201, 1203 (bis zu 10 %).

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generstattung ganz oder teilweise zu verzichten,85) oder die Bestellung eines kleineren Ausschusses erwägen. 34 Die Beauftragung eines Sachverständigen ist zur Feststellung der so umschriebenen Ausschlussgründe regelmäßig nicht erforderlich oder auch nur sinnvoll. 35 Die Ausschlussgründe gelten nach dem Wortlaut auch jenseits der Fälle des § 22a Abs. 1, 2 InsO, also für den reinen „Kann-Ausschuss“ nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO; jedoch sollte wenigstens dieses ungebundene Ermessen dem Gericht für den Fall belassen werden, dass bei eingestelltem Geschäftsbetrieb ausnahmsweise einmal erhebliche Gründe für die frühe Gläubigerbeteiligung sprechen.86) 36 Die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 InsO entsprechen denen für wenigstens mittelgroße Kapitalgesellschaften nach § 267 HGB. Ihr Erreichen lässt sich einem ordnungsgemäßen Insolvenzantrag nach § 13 Abs. 1 Sätze 5 und 7 InsO entnehmen. Jedenfalls wenn die Angaben plausibel erscheinen und auf die obligatorische Einsetzung eines Ausschusses hindeuten, sollte das Gericht sie grundsätzlich nicht etwa zunächst durch einen Gutachter überprüfen lassen,87) zumal hier hilfsweise regelmäßig gute Gründe für eine Bestellung nach gerichtlichem Ermessen sprechen. 37 Beim Antragsausschuss nach § 22a Abs. 2 InsO ist in noch höherem Maße als sonst eine professionelle Vorbereitung – meist durch den Schuldner und seine Berater, auch wenn ein Gläubiger88) oder ein bereits bestellter vorläufiger Verwalter ebenfalls antragsbefugt ist – erforderlich, da hier bereits im Antrag geeignete (sowie den Anforderungen nach § 67 Abs. 2 InsO genügende) Mitglieder benannt und mit ihm ihre (schriftlichen) Einverständniserklärungen beigebracht werden müssen; es empfiehlt sich regelmäßig die Benennung von wenigstens fünf Gläubigern. Dies soll dem Gericht die Arbeit erleichtern und die Ausschussbildung beschleunigen. Auch bei einem „geplanten“ Insolvenzantrag, der unter § 22a Abs. 1 InsO fällt, ist dieses Vorgehen allerdings praktisch üblich geworden, zumal es u. U. den Umweg über die gerichtliche Aufforderung zur Benennung geeigneter Personen nach § 22a Abs. 4 InsO erspart. Es birgt aber zugleich die Gefahr, dass sich das Gericht rechtlich oder doch faktisch an die Nominierungen gebunden fühlt, so dass der Schuldner und vor allem seine Berater enormen Einfluss auf die Zusammensetzung des (vorläufigen und damit nicht selten auch des endgültigen) Gläubigerausschusses nehmen können – und damit bei strategischer Auswahl und etwaigen Sondierungsgesprächen auch auf die Person des Verwalters oder die Erfolgsaussichten einer Eigenverwaltung.89) Deshalb verdient es betont zu werden, dass es sich bei den benannten Mitgliedern nur um Vorschläge handelt, die das Gericht ohne Begründung ganz oder teilweise verwerfen und durch „eigene“ Benennungen oder weitere, nach § 22a Abs. 4 InsO angeforderte Vorschläge ersetzen oder ergänzen darf.90) Davon sollte es wenigstens dann Gebrauch machen, wenn es bezweifelt, dass der nach den Vorschlägen gebildete Ausschuss die wesentlichen Gläubigergruppen und -interessen angemessen repräsentieren würde.91) Um dem Gericht ___________ Vgl. überzeugend Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1160; zurückhaltender Frind, ZInsO 2012, 2028, 2034. So auch Frind, ZInsO 2012, 2028, 2032 f.; noch weiter Haarmeyer/Horstkotte, ZInsO 2012, 1441. So aber wohl Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253. Ermunternd Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1039. In diese Richtung symptomatisch etwa auch die Kurzeinschätzungen des ESUG durch Bork und Graeber in: INDat-Report 02/2013, 16, 17, 25. 90) LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992, 993; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, InsO, § 22a Rz. 8; Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 14 f.; Frind, ZInsO 2013, 279, 280 ff.; wohl auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22a Rz. 27. Deutlich anders allerdings Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109, 2113; in der Tendenz wohl auch Braun-Böhm, InsO, § 22a Rz. 8, dem zufolge das Gericht zu prüfen habe, ob gegen die Personen Bedenken bestehen. 91) Vgl. auch Frind, ZInsO 2013, 279, 282.

85) 86) 87) 88) 89)

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diese Entscheidung ohne große Verzögerung zu ermöglichen, sollten möglichst zusammen mit den Vorschlägen wenigstens knappe Angaben zu den Vorgeschlagenen (Kurzvita, Gläubigerstellung bzw. Mandat eines Gläubigers, Insolvenz- und Sanierungserfahrung, ggf. besondere Nähe zum Schuldner oder dessen Beratern, etc.) übermittelt werden. Eigene Ermittlungen des Gerichts können etwa auch in fernmündlichen Anhörungen der Vorgeschlagenen bestehen. Dem Schuldner (und nur ihm) steht nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde gegen die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu, nicht aber gegen seine Besetzung.92) 2.3.2 Zusammensetzung Für die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses verweist § 21 Abs. 2 38 Satz 1 Nr. 1a InsO im Ausgangspunkt auf die Sollbestimmung in § 67 Abs. 2 InsO (dazu oben, Rz. 18 ff.), so dass eine entsprechend repräsentative Zusammensetzung anzustreben ist. Nicht verwiesen wird auf § 67 Abs. 3 InsO, so dass grundsätzlich nur Gläubiger bestellt werden dürfen – ergänzt immerhin um solche Personen, die erst mit oder infolge der Verfahrenseröffnung (voraussichtlich) Gläubiger werden (wie oftmals der PSVaG oder Kreditversicherer, aber auch die Bundesagentur für Arbeit).93) Rechtspolitisch überzeugen weder diese Beschränkung noch ihre Begründung mit einem unmittelbaren Bezug zum Schuldner und bereits vorhandenen praktischen Kenntnissen bezüglich seines Unternehmens,94) die gerade auch bei den künftigen Gläubigern (derzeit) noch fehlen können. Immerhin geht der Rechtsausschuss in seinem Bericht davon aus, dass Vertreter von Gläubigern zu Mitgliedern bestellt werden können;95) dem sollte schon aus Praktikabilitätsgründen (Behördenmitarbeiter)96) gefolgt werden. Dann aber spricht auch nichts dagegen, dass bei einem im Vorhinein erteilten Mandat eines Gläubigers eine Gewerkschaft97) oder eine Gläubigerschutzorganisation eingesetzt werden. Neben (unverbindlichen, siehe soeben Rz. 37) Besetzungsvorschlägen des Schuldners oder 39 des vorläufigen Insolvenzverwalters kommen grundsätzlich auch Anregungen und Bereitschaftserklärungen von Gläubigerseite in Betracht. Sie können ggf. präventiv (vergleichbar einer Schutzschrift) für ein bestimmtes – erwartetes – Verfahren oder generell für Verfahren bei diesem Insolvenzgericht eingereicht werden; ihre Beachtung liegt allerdings im Ermessen des Gerichts.98) 2.3.3 Sitzungen/Abstimmungen Zur Verfahrensweise des vorläufigen Gläubigerausschusses und zu seiner Beschlussfas- 40 sung bestehen gegenüber derjenigen des Gläubigerausschusses im Verfahren (siehe oben Rz. 23 ff.) keine Besonderheiten. Allenfalls folgen aus der besonderen Eilbedürftigkeit der ersten Sitzungen, vor allem für den Fall, dass noch kein vorläufiger Verwalter bestellt und noch nicht über die Eigenverwaltung entschieden wurde, noch größere Freiheiten hinsichtlich deren Durchführung etwa als Telefon- oder Videokonferenz; teilweise wird ___________ 92) LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992; ein Rechtsmittel offenbar generell ablehnend LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 2.5.2012 – 1 T 116/12, juris. 93) Vgl. Frind in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 39g. 94) BeschlE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33. 95) BeschlE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33. 96) Entgegen Frind, ZInsO 2013, 279, 282, kann etwa das Finanzamt nicht als solches bestellt werden (s. o. Rz. 19). Eine Bestellung des jeweiligen Bundeslandes als Behördenträger scheint nicht sachgerecht. 97) So auch – sogar unabhängig vom Mandat – Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 19 (teleologische Reduktion); Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 133. 98) Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1039; vgl. auch Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1811.

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sogar – auf das Risiko, dass das Gericht von den Vorschlägen abweicht oder nicht sofort entscheidet – empfohlen, die Vorgeschlagenen zur Antragstellung mitzubringen, um unmittelbar nach Einsetzung des Ausschusses am Gerichtsort eine Sitzung durchzuführen.99) Bei Beteiligung und Einverständnis aller Mitglieder, die für die Personalentscheidungen nach §§ 56a Abs. 2 Satz 1, 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ohnedies erforderlich sind, bestehen gegen unkonventionelle Verfahrensweisen und ad-hoc-Sitzungen ohne Wahrung von Ladungsfristen oder Beschlüsse im schriftlichen Verfahren selbst ohne vorangegangene konstituierende Sitzung regelmäßig keine Bedenken.100) Es ist wohl davon auszugehen, dass Erklärungen der erst im Anschluss zu Ausschussmitgliedern bestellten Personen, die etwa zusammen mit dem Antrag vorgelegt werden, zusammengenommen kein Votum des Gläubigerausschusses darstellen, da Beschlüsse erst nach der Einsetzung gefasst werden können sollen.101) In diesem Zusammenhang sollten die Anforderungen an Rechtsformalitäten allerdings nicht zu hoch gesetzt werden, da dies – gerade in zeitkritischen Insolvenzverfahren – zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann, wenn z. B. die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht erfolgen kann, da die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses nicht zeitnah verfügbar sind. 2.3.4 Pflichtenmaßstab/Haftung/Versicherung/Kosten 41 Auch hinsichtlich der Pflichten und der Haftung ist auf die Ausführungen zum Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren zu verweisen (siehe oben Rz. 29 f.).102) Eine Belastung der Masse nicht mit Versicherungsprämien, sondern mit etwaigen Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder des Ausschusses kommt nicht in Betracht,103) da sie vom Gesetz nicht vorgesehen ist und zudem zwar bei einer quasi versicherungsmathematischen Gesamtbetrachtung im Schnitt nicht ungünstiger (sondern eher günstiger) für die Gläubigerbefriedigung sein mag, aber doch die drohende Einbuße im Einzelfall zu groß ist. Es bleibt daher insbesondere104) die Möglichkeit der Ausschussmitglieder, unverzüglich eine besondere Haftpflichtversicherung abzuschließen; zur optimalen Absicherung sollte eine vorläufige Deckungszusage des Versicherers eingeholt werden. 42 Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsVV beträgt die Vergütung für die Auswahlentscheidungen nach §§ 56a Abs. 1 und 3,105) 270 Abs. 3 InsO einmalig 300 € pro Mitglied, unabhängig vom Zeitaufwand. Für die weiteren Tätigkeiten findet nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsVV die reguläre Zeitvergütung Anwendung. Diese zeitliche Abgrenzung und ihre Überprüfung sind praktisch freilich nahezu unmöglich – insbesondere dann, wenn nachträgliche oder wiederholte Auswahlentscheidungen sich mit sonstiger Ausschussarbeit überlappen. 3.

Gläubigerbeirat

43 Insbesondere in Verfahren, in denen ein Gläubigerausschuss nicht eingesetzt wird, aber u. U. auch bei bestehendem Gläubigerausschuss kann sich die Frage stellen, ob die Bildung eines Gläubigerbeirats zulässig ist, der den Insolvenzverwalter bei seiner Arbeit unterstützt oder der schnelleren Information der Gläubiger und Kommunikation mit ihnen ___________ 99) Vgl. etwa in diese Richtung Vallender, EWiR 2012, 495, 496. 100) A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 20 f. 101) Insoweit wohl zutreffend AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, 1309, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender). 102) Besonders zum vorläufigen Gläubigerausschuss Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1040 ff. 103) So aber Hirte, ZInsO 2012, 820; dagegen Cranshaw, ZInsO 2012, 1151. 104) Zu weiteren Möglichkeiten vgl. Cranshaw, ZInsO 2012, 1151. 105) Aufgrund eines Redaktionsversehens befindet sich die InsVV mit dem Verweis auf „§ 56 Absatz 2“ noch auf dem Stand des RegE; an dessen Stelle ist neben Abs. 1 auch Abs. 3 von § 56a InsO getreten.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

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dient.106) Ein solcher Beirat hätte keine besondere verfahrensrechtliche Stellung, weder könnte er den Insolvenzverwalter überwachen oder von ihm Information verlangen noch hätte sein Rat Auswirkungen auf die Verwalterhaftung oder könnte er Masseverbindlichkeiten begründen. Da der Insolvenzverwalter – bzw. die Gläubigerversammlung oder der Gläubigerausschuss107) – eigenverantwortlich (und ggf. unter dem Damokles-Schwert der persönlichen Haftung) entscheidet, wen er wie um Rat bzw. Unterstützung bittet oder informiert, bestehen gegen die Bildung eines derart informellen Gläubigerbeirats keine Bedenken.108) III.

Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren

1.

Mitwirkung bei gerichtlichen Entscheidungen

Das ESUG hat den vorläufigen Gläubigerausschuss vornehmlich deshalb in der InsO ver- 44 ankert, um die Gläubigerautonomie zu stärken und den Gläubigern eine Einflussnahme auf die Auswahl des Insolvenzverwalters zu ermöglichen, da die Abwahl nach § 57 InsO erfahrungsgemäß zu spät ansetzt.109) Die Mitwirkung an der Auswahl des Insolvenzverwalters (§ 56a InsO), des vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) sowie des (vorläufigen) Sachwalters (§§ 274 Abs. 1, 270a Abs. 1 Satz 3 InsO) stellt dann auch zusammen mit der Stellungnahme zur Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) zentrale Aufgaben des vorläufigen Gläubigerausschusses dar. Für die einer Personalentscheidung vorgelagerte Entscheidung nach § 270a Abs. 1 InsO, keinen vorläufigen Insolvenzverwalter, sondern lediglich einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, sieht das Gesetz hingegen nicht ausdrücklich eine Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor. Jedoch dürfte es sich für das Gericht regelmäßig anbieten, den vorläufigen Gläubigerausschuss auch – ggf. verbunden mit der Anhörung zur Person – zu dieser Frage anzuhören, zumal diese Anhörung u. U. bei Skepsis des Gerichts mit Blick auf das Gläubigerinteresse Aufschluss darüber geben kann, ob der Antrag auf Eigenverwaltung offensichtlich aussichtslos ist.110) Vor den genannten Entscheidungen ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss jeweils Gele- 45 genheit zur Äußerung zu geben, soweit dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Diese Vermögensverschlechterung kann letztlich nur aus der anhörungsbedingten Verzögerung resultieren. Mit Blick auf die Möglichkeit des Ausschusses, seine Verfahrensweise flexibel zu gestalten und der Eilbedürftigkeit Rechnung zu tragen (siehe oben Rz. 40), dürfte einem bereits bestehenden Ausschuss stets die Möglichkeit zu geben sein, Stellung zu nehmen – ggf. verbunden mit einer klaren und i. R. des Erforderlichen knappen Frist. Dabei ist auch das Gericht zur möglichen Beschleunigung angehalten, so dass es sich in eiligen Fällen – wie vor allem bei der Bestellung eines vorläufigen Verwalters oder Sachwalters – etwa von selbst verbietet, per in der Kanzlei geschriebenem Brief zur mündlichen Anhörung am nächsterreichbaren Sitzungstag des Richters unter Wahrung der Ladungsfrist nach § 4 InsO, § 217 ZPO einzu___________ 106) Diesen Zweck rückt zweifelhaft Braun-Hirte, InsO, § 67 Rz. 16, in den Vordergrund. 107) Cranshaw/Paulus/Michel-Bruhn, InsO, § 67 Rz. 55. 108) Cranshaw/Paulus/Michel-Bruhn, InsO, § 67 Rz. 51 ff.; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 3; eingeschränkt Braun-Hirte, InsO, § 67 Rz. 16; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 5/2011, § 68 Rz. 8 m. w. N.; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 68 Rz. 18. Als „Diskussionsforum“ befürwortend auch RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 99. 109) RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f.; auf S. 24 wird daneben auf die Förderung der Sanierung durch Nutzen der besonderen Kenntnisse der Gläubiger abgestellt. 110) Zur faktischen Verhinderungsmacht wichtiger Gläubiger vgl. etwa AG Köln, Beschl. v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

laden (bzw. angesichts der so entstehenden Verzögerung die Anhörung für ausgeschlossen zu erklären). 46 Relevanter ist der Ausschlussgrund der Verzögerung dort, wo der Ausschuss erst noch zu bestellen ist. Denn vor allem bei Gläubigeranträgen, aber je nach Grad der Professionalität von Schuldner und Beratern sowie der Verfahrensvorbereitung auch bei Schuldneranträgen kann die Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen sowie die Auswahl der Mitglieder und deren Entscheidung über die Annahme der Berufung in den Ausschuss selbst bei geboten pragmatischer und zügiger Vorgehensweise des Gerichts, die in der Praxis bislang oft, aber doch nicht immer wahrzunehmen ist, einige Zeit in Anspruch nehmen.111) Dabei muss der Richter die Frage, ab wann eine Verzögerung offensichtlich vermögensschädlich ist, im Einzelfall abhängig etwa von Schuldner, Verfahrensstadium und begehrter Entscheidung beurteilen. Die Schwelle ist durch die erforderliche Offensichtlichkeit zwar eine hohe, sie dürfte im „Normalfall“ selbst bei den ersten Eilentscheidungen erst nach einigen Tagen erreicht sein;112) jedoch kann gerade bei der Betriebsfortführung eines großen Unternehmens im Eröffnungsverfahren unter besonderen Umständen (z. B. nach einem medienwirksamen Insolvenzantrag oder aufgrund einer just-in-time-Lagerhaltung) eine Verzögerung von 1 – 2 Tagen vor Bestellung eines vorläufigen Verwalters bereits zu lang sein. 47 Die „Äußerung“ des vorläufigen Gläubigerausschusses kann z. B. schriftlich durch Übersendung eines Beschlusses an das Gericht, aber auch in Form einer (ggf. fern-)mündlichen Anhörung erfolgen,113) wobei letzterenfalls gleichwohl ein formaler Beschluss gefasst und (ggf. nachträglich) zur Gerichtsakte gereicht werden sollte. Zur Prüfung der möglichen Einstimmigkeit muss der Beschluss das Abstimmungsergebnis enthalten; auf Unterschriften der Mitglieder oder auch nur des Protokollanten kann hingegen verzichtet werden, wenn die Authentizität außer Frage steht – ebenso auf die Vorlage einer ordnungsgemäßen Einladung zur Ausschusssitzung.114) 48 Bei den Entscheidungen zum (vorläufigen) Verwalter oder Sachwalter kann der Ausschuss einstimmig einen Vorschlag zur Person machen, an den das Gericht nur dann ausnahmsweise nicht gebunden ist, wenn die vorgeschlagene Person nicht i. S. des § 56 Abs. 1 InsO geeignet ist. Die benannte Person – oder ggf. auch Personen zur Wahl des Gerichts115) – muss nicht in der Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts genannt sein. Selbst wenn das Gesetz eine Abstufung zwischen „nicht geeignet“ (§ 56a Abs. 2 InsO) und „offensichtlich […] nicht geeignet“ (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO) kennt, sollte das Gericht einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nur im Ausnahmefall unter Berufung auf die Ungeeignetheit ablehnen;116) die Gerichte scheinen hier entsprechend pragmatisch zu verfahren. Zu weit ginge es allerdings, im Ausschussvotum in bestimmten Fällen eine verbindliche Feststellung der Unabhängigkeit jedenfalls in Bezug auf die „sachlichfachliche Vorbefassung“ zu sehen.117) Von der erforderlichen „Einstimmigkeit“ des Vorschlags sollte nach dem Zweck der Regelung, eine Bindung allein bei Billigung durch alle im Ausschuss vertretenen Gläubigergruppen zu erzeugen, nur bei Zustimmung aller (stimmberechtigten) Mitglieder des Ausschusses (oder ihrer ordnungsgemäßen Vertre___________ 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117)

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Dies unterschätzend wohl RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18. So auch – wohl noch großzügiger – Braun-Blümle, InsO, § 56a Rz. 12. Braun-Blümle, InsO, § 56a Rz. 27. A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 21. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 22. Anders Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 56a Rz. 9. So aber Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; Hölzle, ZIP 2013, 447; a. A. Bork, ZIP 2013, 145; Vallender/ Zipperer, ZIP 2013, 149; vgl. BeschlE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

ter) ausgegangen werden; Abwesenheit oder Enthaltung einzelner Mitglieder schaden, auch wenn sie die Beschlussfähigkeit des Ausschusses nach § 72 InsO unberührt lassen.118) Zusätzlich119) oder stattdessen kann der Ausschuss mit Mehrheit nach § 72 InsO ein An- 49 forderungsprofil beschließen, das vom Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen ist.120) Dieses darf naturgemäß nicht so eng sein, dass ihm nur eine Person genügt, da sonst das Einstimmigkeitserfordernis des Personenvorschlags unterlaufen würde. Typische Kriterien dürften etwa belegte Branchen- und Sanierungserfahrung, Fremdsprachenkenntnisse, Profilierung auf benannten Rechtsgebieten, Zertifizierungen und die Bürogröße sein.121) Eine Anknüpfung an bestimmte Quotenerfolge oder Rankings dürfte hingegen ausscheiden.122) Gibt das Gericht dem (typischerweise: noch nicht bestellten)123) vorläufigen Gläubiger- 50 ausschuss aufgrund des sonst drohenden Verzögerungsschadens keine Gelegenheit zur Stellungnahme – dem gleichzustellen dürfte der Fall sein, dass die Gelegenheit angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit vom Ausschuss nicht angemessen wahrgenommen werden konnte –, so kann der vorläufige Gläubigerausschuss nach § 56a Abs. 3 InsO noch nachträglich einstimmig eine andere Person wählen, allerdings nur in seiner ersten Sitzung (bzw. im Ausnahmefall: in der ersten Sitzung nach der gerichtlichen Bestellung der abzuwählenden Person).124) Wiederum darf und muss das Gericht die Eignung der gewählten Person prüfen. Die Regelung des § 56a Abs. 3 InsO findet schon deshalb entgegen ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nur auf den vorläufigen Verwalter/Sachwalter Anwendung, weil es nach Bestellung des Insolvenzverwalters/Sachwalters im Eröffnungsbeschluss keinen vorläufigen Gläubigerausschuss mehr gibt.125) Praktisch kommt dieser Regelung bislang wohl keine nennenswerte Bedeutung zu. Vor einer weiteren Personalentscheidung ist der vorläufige Gläubigerausschuss erneut 51 anzuhören – also bspw. bei Auswechslung des vorläufigen Verwalters oder bei Wechsel zwischen vorläufigem Verwalter und vorläufigem Sachwalter, wenn das Gericht nicht lediglich den Aufgabenkreis derselben Person neu festsetzen will. Anders als die Begründung des Regierungsentwurfs annimmt,126) ist eine erneute Anhörung auch dann regelmäßig sinnvoll und nach dem Gesetz erforderlich, wenn das Gericht den auf der Grundlage eines Beschlusses des vorläufigen Gläubigerausschusses bestellten vorläufigen Verwalter zum Insolvenzverwalter bestellen will.127) Wird der vorläufige Gläubigerausschuss zur Eigenverwaltung angehört (§ 270 Abs. 3 InsO), 52 so wird auf sein einstimmiges (siehe oben Rz. 48) Votum zugunsten der Eigenverwaltung hin unwiderleglich vermutet, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht nachteilig für die Gläubiger ist. Damit ist bei einem wirksamen Schuldnerantrag auf Eigenverwal___________ 118) Ebenso Ampferl in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 182; Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 21; a. A. offenbar Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 56a Rz. 8. 119) Dies nur für den Fall, dass das Gericht die Bestellung der einstimmig vorgeschlagenen Person(en) ablehnt. A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 23, der stets ein Anforderungsprofil verlangt sowie die gerichtliche Prüfung auch der einstimmig benannten Person an diesem Anforderungsprofil. 120) Zu Abweichungen Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 56a Rz. 11. 121) Vgl. eingehend Frind, NZI 2012, 650, 654. 122) Zutreffend Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Lind, InsO, § 56a Rz. 10; a. A. Frind, NZI 2012, 650, 654. 123) Zu Unrecht wird dieser Fall mitunter vom Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO gerade ausgeschlossen, so etwa von Frind, ZIP 2012, 1380, 1383. 124) Danach dürfte auch der vorläufige Gläubigerausschuss noch analog § 59 InsO die Entlassung beantragen können. 125) Anders LG Stendal, Beschl. v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168, 2170. 126) RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. 127) Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 15 f.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

tung diese vom Gericht zwingend anzuordnen.128) Einem nicht einstimmig befürwortenden oder gar einem ablehnenden Votum darf nicht entnommen werden, dass die Eigenverwaltung nachteilig für die Gläubiger ist; es kann das Gericht aber zur genaueren Prüfung veranlassen.129) 53 Außerdem kann der vorläufige Gläubigerausschuss nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO (aufgrund einer Mehrheitsentscheidung nach § 72 InsO) die vorzeitige Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen. 2.

Aufsichts- und Unterstützungsaufgaben

54 Neben den soeben dargestellten Mitwirkungsbefugnissen und -aufgaben treffen den vorläufigen Gläubigerausschuss nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 69 InsO grundsätzlich dieselben Unterstützungs- und Aufsichtsaufgaben wie den Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren. Diese Aufgaben sind bei der Betriebsfortführung gerade im Eröffnungsverfahren, wo viele wichtige unternehmerische Entscheidungen zu treffen sind, von besonderer Bedeutung.130) Bei vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO bezieht sich die Aufsicht sowohl auf den Schuldner als auch auf den vorläufigen Sachwalter (siehe oben Rz. 15). 55 Die Unterrichtung über die Geschäfte erfolgt in der Regel durch Berichte des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners, die der Ausschuss in gewissem Umfang auf ihre Richtigkeit überprüfen muss.131) Die Verwalterberichte können nach Bedarf um Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere (§ 69 Satz 2 InsO) sowie Schuldnerauskünfte nach § 97 InsO ergänzt werden, der auch für den vorläufigen Gläubigerausschuss gilt. Üblich ist es etwa, dass der vorläufige Verwalter sehr bald nach seiner Bestellung und der Einsetzung des Ausschusses diesem den aktuellen betriebswirtschaftlichen status quo vorstellt, in der Regel unter Einschluss von Liquiditäts- und GuV-Planungen für wenigstens die nächsten drei Monate unter Berücksichtigung des insolvenzrechtlichen Sonderregimes. 56 Diese Berichte und Planrechnungen werden mit dem Ausschuss und vom Ausschuss diskutiert und dienen als Grundlage der Entscheidung über die Betriebsfortführung. Sie werden vom Verwalter fortgeschrieben; der Ausschuss wird regelmäßig (z. B. monatlich) über die weitere Entwicklung (inklusive Soll-/Ist-Vergleich) auf dem Laufenden gehalten. Bei erheblichen negativen Abweichungen wird der vorläufige Gläubigerausschuss unverzüglich informiert. Der Ausschuss kann dem Verwalter i. R. seiner Unterstützungsfunktion stets Anregungen, Ratschläge und Warnungen geben, die dieser pflichtgemäß erwägen muss;132) ebenso kann der Verwalter um Rat des Ausschusses nachsuchen, etwa, um sich die besonderen Branchen- und Geschäftserfahrungen der Ausschussmitglieder zunutze zu machen. 57 Jedenfalls bei Verfahren einer gewissen Größenordnung kann es sich anbieten, die nach § 69 Satz 2 InsO (auch im Eröffnungsverfahren) erforderliche Kassenprüfung durch einen externen Sachverständigen durchführen zu lassen133) und das Ergebnis nur noch auf Plausibilität zu überprüfen. Auch § 149 InsO mit seinen Regelungen über die Zuständigkeit des Gläubigerausschusses für Anlageentscheidungen dürfte trotz fehlender Bezugnahme ___________ 128) 129) 130) 131) 132) 133)

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Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 29b. Vgl. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Ringstmeier, InsO, § 270 Rz. 19. Zutreffend Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1040. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 11/2012, § 69 Rz. 18. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 69 Rz. 8 f. Vgl. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 69 Rz. 18 ff.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO auch für den vorläufigen Ausschuss gelten (dazu noch unten Rz. 67). 3.

Zustimmung zu Rechtshandlungen der Insolvenzverwaltung

Im eröffneten Verfahren bestehen eine Reihe von weiteren Aufgaben und Mitwirkungs- 58 rechten des Gläubigerausschusses, die weitgehend an Situationen gebunden sind, die nur im eröffneten Verfahren relevant werden.134) Auch im Eröffnungsverfahren können aber Rechtshandlungen der Insolvenzverwaltung in Betracht kommen, für die der Insolvenzverwalter nach §§ 158, 160 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einholen müsste (für den eigenverwaltenden Schuldner vgl. § 276 InsO). Auf diese Vorschriften wird jedoch in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO nicht Bezug genommen. Es stellt sich damit die Frage einer analogen Anwendbarkeit, die grundsätzlich zu bejahen ist.135) Eine Zustimmung des Ausschusses zur Betriebsstilllegung dürfte allerdings dort nicht erforderlich sein, wo sich aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO oder aus einer im Einzelfall gerichtlich angeordneten Betriebsfortführung bereits das Erfordernis einer gerichtlichen Zustimmung ergibt.136) Ferner kann es nicht nur in diesen Fällen, sondern auch darüber hinaus für den vorläu- 59 figen Insolvenzverwalter interessant sein, zu potenziell vermögensrelevanten und damit haftungsträchtigen Rechtshandlungen die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses einzuholen,137) nämlich vor allem wenn und soweit dies nicht nur der Legitimation der Entscheidung förderlich ist, sondern auch sein Haftungsrisiko reduziert. Diese Frage wird i. R. der Verwalterhaftung erörtert (siehe unten den Beitrag von Frege/Berger/Nicht, § 35 Rz. 73). Hier genügt der Hinweis, dass der Verwalter richtigerweise zwar im Einzelfall auch dann haften kann, wenn er einer Entscheidung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses folgt,138) zumal dessen Zustimmung weder Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 164 InsO) noch bindend ist, dass im Normalfall der informierten und nicht vollends unvertretbaren Ausschussentscheidung aber regelmäßig bereits die Pflichtverletzung oder doch das Verschulden entfällt.139) Dies gilt auch dort, wo das Gesetz eine Mitwirkung des Gläubigerausschusses nicht vorschreibt.140) Insbesondere kann es sich für den (starken wie schwachen) vorläufigen Verwalter anbieten, eine Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren einzuholen. IV.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Regelverfahren

1.

Information der Gläubiger/verfahrensbezogene Mitwirkung

Die Gläubigerversammlung dient ganz maßgeblich auch der Information der Gläubiger 60 über die vorgefundenen und fortgeschriebenen Rahmenbedingungen, die Tätigkeiten des Verwalters und seine Pläne sowie Risiken und Chancen der Betriebsfortführung. Dies

___________ 134) Vgl. etwa die Aufstellung bei Jaeger-Gerhardt, InsO, § 69 Rz. 22 ff. 135) Ampferl in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 207. 136) Für eine Kumulation Ampferl in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 208; jedoch dürfte bereits die gerichtliche Zustimmung eine Haftung des Verwalters regelmäßig ausschließen. 137) Vgl. die Liste bei Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1040 m. w. N. 138) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425 f. 139) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 43 ff. 140) Überzeugend Kreft in: FS K. Schmidt, S. 965, 979; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 47; a. A. wohl BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425, sowie unten der Beitrag von Frege/Berger/Nicht, § 35 Rz. 73.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

wird für den Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO als zentraler Tagesordnungspunkt in § 156 Abs. 1 InsO festgelegt und konkretisiert.141) Danach sind x

die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen,

x

die Aussichten, das Unternehmen ganz oder teilweise zu erhalten,

x

die Möglichkeiten für einen Insolvenzplan und

x

die jeweiligen Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung

Gegenstand des Berichts. 61 Aber auch in anderen Gläubigerversammlungen spielt die Unterrichtung der Gläubiger gemäß § 79 InsO eine erhebliche Rolle. Der Verwalter kann die einzelnen Gläubiger auch außerhalb der Gläubigerversammlung durch Rundschreiben o. Ä. auf dem Laufenden halten, jedoch ist diese Methode auf die bekannten Gläubiger beschränkt, fehleranfällig, ggf. – je nach Gläubigerzahl und Frequenz – teuer und bietet zudem keine unmittelbare Möglichkeit der Reaktion und Nachfrage. Neben dem Verwalter ist auf Anordnung des Gerichts auch der Schuldner nach § 97 Abs. 1 InsO zur Information der Gläubiger i. R. der Gläubigerversammlung verpflichtet. 62 Der Verwalter hat ferner den Gläubigerausschuss zu unterrichten (vgl. § 69 Satz 2 InsO sowie bereits oben Rz. 55 f.). Nur so kann der Gläubigerausschuss seine Überwachungsund Unterstützungsaufgaben wahrnehmen und die ihm nach der InsO übertragenen Entscheidungskompetenzen sachgerecht ausfüllen. Ein darüber hinausgehender Zweck der Gläubigerinformation kommt diesen Auskünften hingegen nicht zu. Gleiches gilt für Auskünfte des Schuldners nach § 97 Abs. 1 InsO. Bei wesentlichen Erkenntnissen, etwa infolge der Anzeige des Sachwalters nach § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO,142) wird der Gläubigerausschuss allerdings erwägen müssen, ob er nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung stellt. 63 Ferner haben Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung bestimmte das Insolvenzverfahren betreffende Antrags-, Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte: x

So können sie bspw. nach § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO die Entlassung des Insolvenzverwalters beantragen;

x

die Gläubigerversammlung kann ihn zudem nach § 57 InsO austauschen143) sowie

x

nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung bzw.

x

nach § 271 Satz 1 InsO ihre nachträgliche Anordnung beantragen.

x

Zu Verteilungen und zu einem Verzicht auf die Inventarisierung der Masse ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses erforderlich, §§ 151 Abs. 3 Satz 2, 187 Abs. 3 Satz 2 InsO (vgl. auch § 195 Abs. 1 Satz 1 InsO).

x

Anhörungs- und Informationsrechte des Gläubigerausschusses folgen bei der Einstellung des Insolvenzverfahrens aus den §§ 214 Abs. 2 Satz 1, 215 Abs. 1 Satz 2 InsO.

x

Die Gläubigerversammlung ist nach § 66 InsO Empfängerin der Rechnungslegung des Verwalters, zu der der Gläubigerausschuss Stellung nehmen kann.

___________ 141) Die ab 1.7.2014 in § 29 Abs. 2 Satz 2 InsO vorgesehene Möglichkeit, auf den Berichtstermin zu verzichten, wird in Fällen der Betriebsfortführung praktisch nie einschlägig sein. 142) Wittig/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 37 f. 143) Die „erste Gläubigerversammlung“ ist (auch ohne Verwalterwechsel) nicht notwendig der Berichtstermin, vgl. LG Stendal, Beschl. v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168, 2169, dazu EWiR 2012, 729 (Hofmann), sowie oben Rz. 9.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

x

Der Gläubigerausschuss kann nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Einberufung der Gläubigerversammlung beantragen, und

x

die Gläubigerversammlung kann nach § 68 InsO über die Einsetzung, Beibehaltung und Umbesetzung des Gläubigerausschusses beschließen sowie

x

nach § 70 Satz 2 InsO die Entlassung von Ausschussmitgliedern beantragen (siehe bereits oben Rz. 16).

2.

Gläubigerbeteiligung an der Verwaltung

2.1

Grundentscheidung über die Betriebsfortführung

Auch wenn in der Verwaltung die maßgeblichen Weichenstellungen für eine längere Be- 64 triebsfortführung wohl stets bereits vor diesem Zeitpunkt erfolgen müssen, beschließt nach § 157 Satz 1 InsO die Gläubigerversammlung im Berichtstermin über die (vorläufige) Fortführung des schuldnerischen Unternehmens oder seine Stilllegung. Die Entscheidung kann in späteren Gläubigerversammlungen geändert oder konkretisiert werden, § 157 Satz 3 InsO. Die vorläufige Fortführung des Unternehmens kann sowohl auf einen Insolvenzplan hinauslaufen (s. auch § 157 Satz 2 InsO zum möglichen Auftrag an den Insolvenzverwalter, einen solchen auszuarbeiten) und damit möglicherweise144) auf die Erhaltung des Unternehmensträgers, aber auch auf eine Ausproduktion und stufenweise Schließung oder auf eine übertragende Sanierung. Die Beschlüsse der Gläubigerversammlung können insoweit oder etwa in gegenständlicher (bestimmte Unternehmensteile) oder zeitlicher Hinsicht konkretisierte Vorgaben enthalten, die Fortführung an bestimmte Bedingungen (z. B. Großauftrag, der avisiert, aber noch nicht erteilt wurde) knüpfen oder aber dem Verwalter nur generell eine „Marschroute“ aufzeigen, auf der er sich zu bewegen hat (zum verwandten Problem der Vorratsbeschlüsse und Kompetenzdelegation vgl. noch unten, Rz. 83 f.).145) Der Verwalter kann sich (auch wenn die §§ 157, 159 InsO nicht genannt sind) nach § 164 65 InsO im Außenverhältnis wirksam über den Gläubigerwillen hinwegsetzen; jedoch legt dies bei Fehlen eines triftigen Grundes146) aufsichtliche Maßnahmen oder seine Entlassung nach §§ 58 f. InsO nahe und erhöht sein Haftungsrisiko nach § 60 InsO beträchtlich.147) Deshalb dürfte es sich für den Insolvenzverwalter anbieten, Beschlüsse nach § 78 InsO anzugreifen, wenn er erwägt, ihnen nicht zu folgen.148) Fasst die Gläubigerversammlung – auch nach gebotener Auslegung149) – keinen Beschluss 66 zur vorläufigen Betriebsfortführung oder Stilllegung, so darf der Verwalter kraft seiner Grundkompetenz aus § 148 Abs. 1 InsO150) den Betrieb fortführen, ohne dass das Gericht ___________ 144) Überzeugend Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 11: Das „vorläufig“ bedeutet nicht, dass die unbefristete, dauerhafte Fortführung nicht Verfahrensziel und -ergebnis sein könnte, sondern lediglich, dass darüber erst später (im Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan oder durch den Erwerber bei übertragender Sanierung) entschieden wird. Anders Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 157 Rz. 9 f., der den Wortlaut für korrekturbedürftig hält. 145) Für den Stilllegungsbeschluss vgl. Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 6. 146) Neben zwischenzeitlichen Änderungen können etwa Rechtsmissbräuchlichkeit oder eigene Haftungsrisiken wichtige Gründe sein, vgl. Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 22 f. 147) Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 21. 148) Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 159 Rz. 28. 149) Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 19. 150) Für den Fall, dass kein Gläubiger zum Berichtstermin erscheint, dürfte ferner § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO dann (analog) anwendbar sein, wenn die Tagesordnung den Beschlussgegenstand umreißt, vgl. Kübler/ Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 157 Rz. 24a.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

oder der Gläubigerausschuss zustimmen müssten.151) Beide Organe werden allerdings Anlass haben, ihre Überwachung des Verwalters zu intensivieren.152) Die Verwalterentscheidung tritt in diesem Fall für die Zwecke des § 159 InsO an die Stelle der Beschlüsse der Gläubigerversammlung.153) Das gilt nicht nur, wenn kein Gläubiger zur Versammlung erscheint, sondern auch bei fehlender Einigung.154) Wenn nicht der fehlenden Beschlussfassung eine konkludente Übertragung der ausschließlichen Entscheidungskompetenz an den Verwalter innewohnt, was durch Auslegung zu ermitteln ist, wird demgegenüber § 160 InsO nicht überlagert, so dass bei Bestehen eines Gläubigerausschusses dieser vor einer (teilweisen) Stilllegung konsultiert werden muss.155) Selbst im Fall des § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO dürfte eine Befassung des Gläubigerausschusses nicht entbehrlich sein, da diese Norm die Konstellationen vor Augen hat, dass kein Gläubigerausschuss existiert oder dass dieser untätig bleibt, und daher teleologisch zu reduzieren ist.156) 2.2

Mitwirkung des Gläubigerausschusses an der Verwaltung

67 Die Aufsichts- und Unterstützungsaufgaben des Gläubigerausschusses gegenüber dem Insolvenzverwalter, die sich vor allem aus § 69 InsO ergeben, wurden bereits bezogen auf den vorläufigen Gläubigerausschuss näher dargestellt (siehe oben Rz. 54 ff.); die dortigen Ausführungen gelten auch für das eröffnete Verfahren. Nach § 149 Abs. 1 InsO kann der Gläubigerausschuss verpflichtende Vorgaben zur Hinterlegung bzw. Anlage von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten beschließen. Teilweise wird angenommen, die Norm sei in der Betriebsfortführung unanwendbar, da diese und der für sie erforderliche Zahlungsverkehr durch solche Vorgaben erheblich erschwert würden.157) Bei zutreffend weiter Auslegung korrespondiert die Vorschrift jedoch mit der Aufgabe des Gläubigerausschusses zur Kassen- und Rechnungsprüfung und können die Vorgaben auch die Führung von Treuhand-, Insolvenzsonder- bzw. Anderkonten158) für den laufenden Geschäftsbetrieb umfassen.159) Fehlen Festlegungen nach § 149 InsO, entscheidet der Insolvenzverwalter i. R. seiner Kompetenz nach § 148 InsO auch über die Kontoführung.160) Gerade bei der Betriebsfortführung wird es praktisch sinnvoll sein, dem Verwalter zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs so wenige Vorschriften wie möglich zu machen oder ihn doch zu ermächtigen, in Eilfällen (vorläufig) auch andere als die vorgegebenen Abwicklungsformen zu wählen und weitere Konten zu eröffnen.161) ___________ 151) H. M., Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 157 Rz. 24; Görg in: MünchKommInsO, § 157 Rz. 22 f.; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 157 Rz. 19 f.; im Ergebnis auch Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 3. 152) Für das Gericht Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 157 Rz. 20. 153) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, Stand: 4/2008, InsO, § 157 Rz. 24; a. A. aber wohl RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 173. Einschränkend Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 159 Rz. 6: keine dauerhafte Betriebsfortführung ohne Gläubigerweisung. 154) A. A. Braun-Esser, InsO, § 157 Rz. 3 f. 155) A. A. offenbar Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 157 Rz. 24, der allerdings § 160 InsO nicht nennt. 156) In diese Richtung wohl auch Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 21 f. 157) Blersch/Goetsch/Haas-Kießling, BK-InsO, § 149 Rz. 8; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 149 Rz. 2 m. w. N. 158) Vgl. etwa Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 149 Rz. 16. 159) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 149 Rz. 21; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 10/2007, § 149 Rz. 13. Vgl. zur KO LG Freiburg, Beschl. v. 13.7.1983 – 9 T 37/81, ZIP 1983, 1098, 1100 m. Anm. Kübler, 1100, 1101. 160) Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 149 Rz. 2. 161) So bereits Kübler, ZIP 1983, 1100, 1101 (Urteilsanm.); vgl. auch Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 10/2007, § 149 Rz. 13; Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 149 Rz. 20.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

Nach § 158 Abs. 1 InsO muss der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubiger- 68 ausschusses einholen, wenn er das Unternehmen vor dem Berichtstermin veräußern oder stilllegen will. Ein Initiativrecht des Gläubigerausschusses besteht nicht162) – allerdings kann der Ausschuss dem Insolvenzverwalter in Erfüllung seiner Aufgaben nach § 69 InsO eine entsprechende Anregung geben, die den Verwalter mit Blick auf seine persönliche Haftung in Zugzwang bringen wird. Legt der Verwalter das schuldnerische Unternehmen ohne Zustimmung still oder veräußert er es, so sind die betreffenden Rechtshandlungen mit Blick auf die identische Interessenlage und insbesondere die Rechtssicherheit entsprechend § 164 InsO wirksam, es drohen „nur“ aufsichtliche und haftungsrechtliche Konsequenzen.163) Ebenso ist der Verwalter an die erteilte Zustimmung nicht gebunden;164) er kann sich ohne weiteres umentscheiden, sollte dafür jedoch sachliche Gründe angeben können. Die Zustimmung erfolgt durch Beschluss nach § 72 InsO165) – sie bezieht sich grundsätzlich auf eine konkrete Vorgehensweise (bei der Veräußerung idealiter einschließlich des Käufers und des Preises); zur Möglichkeit von Vorrats- und Blankettbeschlüssen vgl. aber noch Rz. 83 f. Fasst der Gläubigerausschuss trotz Antrags des Verwalters (pflichtwidrig)166) keinen Beschluss über die Zustimmung, kann diese nicht fingiert werden.167) Wurde bislang kein Gläubigerausschuss eingesetzt, kann der Insolvenzverwalter grund- 69 sätzlich selbst über die Veräußerung oder Stilllegung entscheiden168) – aus § 158 Abs. 2 InsO, dem zufolge das Insolvenzgericht die Handlung nur auf Antrag des Schuldners untersagen kann, ergibt sich, dass es ansonsten nicht zu beteiligen ist. Der Verwalter wird keinen Antrag auf Einberufung einer besonderen Gläubigerversammlung (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO) vor dem Berichtstermin169) stellen bzw. dessen Vorverlegung oder die Einsetzung eines Gläubigerausschusses anregen müssen (wohl aber können).170) Findet jedoch eine vorgezogene Gläubigerversammlung ohnedies statt, ist ihre Entscheidung über eine bereits ins Auge gefasste Stilllegung oder Veräußerung entsprechend §§ 157, 160 InsO zu suchen, auch wenn es sich formal nicht um den Berichtstermin handeln mag. Nach dem Berichtstermin gilt zunächst die Entscheidung der Gläubigerversammlung 70 nach § 157 InsO (dazu oben Rz. 64) oder ihre Kompetenzübertragung auf den Verwalter; der Gläubigerausschuss muss mit der Grundentscheidung über die Fortführung, Stilllegung oder Veräußerung nicht mehr – auch nicht nach § 160 InsO – befasst werden und kann diese nicht treffen.171) Bei Änderung der Parameter ist erneut die Gläubigerversammlung zur Prüfung und ggf. Anpassung ihrer Leitentscheidung berufen (vgl. § 157 Satz 3 InsO). Hinsichtlich der konkreten Veräußerung und ihrer Modalitäten etwa kann ___________ 162) Braun-Esser, InsO, § 158 Rz. 2; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 158 Rz. 10. 163) Braun-Esser, InsO, § 158 Rz. 3; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 158 Rz. 10; Kübler/Prütting/BorkOnusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 158 Rz. 4d (für die Veräußerung). 164) Von einer eingeschränkten Bindung (durch die Haftungsdrohung) spricht Kübler/Prütting/BorkOnusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 158 Rz. 8a. 165) Braun-Esser, InsO, § 158 Rz. 3. 166) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31. 167) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 158 Rz. 8; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 158 Rz. 10. 168) Braun-Esser, InsO, § 158 Rz. 3; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 158 Rz. 9. 169) Dazu vgl. LG Stendal, Beschl. v. 22.10.2012 – 25 T 184/12, ZIP 2012, 2168, dazu EWiR 2012, 729 (Hofmann). 170) Zu diesen Optionen sowie der Möglichkeit bedingter Geschäfte Braun-Esser, InsO, § 158 Rz. 3. Für die frühzeitige Anregung der Ausschusseinsetzung Decker in: HambKomm-InsO, § 158 Rz. 7. 171) A. A. Pape, NZI 2006, 65, 68; auch Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 9a, 20, der allerdings eine regelmäßige Prärogative der Gläubigerversammlung anerkennt.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

sich aber die Zustimmungsbedürftigkeit und die Entscheidungskompetenz des Gläubigerausschusses aus § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO ergeben. 71 Allgemein – vor wie nach dem Berichtstermin – benötigt der Insolvenzverwalter nämlich nach § 160 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses zu für das Insolvenzverfahren besonders bedeutsamen Rechtshandlungen,172) wenn und soweit nicht aus §§ 162 f. InsO (bzw. eben § 157 InsO) sogar die Zuständigkeit der Gläubigerversammlung folgt. Auch in diesem Fall ist die Entscheidung des Gläubigerausschusses für den Verwalter in beiden Richtungen nicht bindend und nach § 164 InsO für die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis ohne Bedeutung, aber potenziell haftungsrelevant.173) Ob eine Rechtshandlung besonders bedeutsam für das Verfahren ist, hängt vornehmlich von ihren (potenziellen) Auswirkungen auf die Masse und damit die Gläubigerbefriedigung ab,174) insbesondere wenn die Rechtshandlung aus dem Rahmen fällt bzw. besonders riskant ist.175) Jedoch können weder eine allgemeine Bagatellgrenze noch ein Betrag, ab dessen Erreichen stets ein Fall von § 160 InsO vorliegt, oder eine mindestens betroffene Massequote abstrakt festgelegt werden.176) Neben die reine (quantitative) Masserelevanz tritt – wie auch § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO verdeutlicht – eine qualitative Komponente, die die strukturelle Bedeutung der Rechtshandlung für das schuldnerische Unternehmen, ihre Reversibilität (etwa bei Kauf oder Verkauf von marktgängigen Gütern)177) und die Grundentscheidungen über die Verfahrensgestaltung (Erarbeitung eines Insolvenzplans zur Erhaltung des Unternehmensträgers, Betriebsfortführung mit dem Ziel der übertragenden Sanierung, Zerschlagung etc.) einbezieht.178) 72 Die Regelbeispiele179) in § 160 Abs. 2 InsO geben einen Anhaltspunkt, wann die Zustimmung einzuholen ist, sind jedoch nicht erschöpfend. Ferner sind bei § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch (ausnahmsweise) Fälle denkbar, in denen die Rechtshandlung nicht zustimmungsbedürftig ist (etwa bei der freihändigen Veräußerung eines wirtschaftlich und strategisch unbedeutenden oder wertausschöpfend belasteten180) Grundstücks aus der Masse);181) in Nr. 2 und Nr. 3 ist jeweils bereits tatbestandlich eine Erheblichkeitsschwelle enthalten.182) 73 Die Beispiele betreffen zum einen die Veräußerung von typischerweise besonders bedeutsamen bzw. nicht marktgängigen und daher schwer zu bewertenden Gegenständen, nämlich Unternehmen oder Betrieb (wie auch nennenswerten Unternehmens- oder Betriebsteilen),183) Warenlager im Ganzen, Immobilien – wenn die Veräußerung freihändig, also nicht in Zwangs- oder freiwilliger184) Versteigerung, erfolgt, strategischen Beteiligun___________ 172) Zur analogen Anwendung auf rein tatsächliches Verhalten etwa Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 9a; a. A. Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 6. 173) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 27 f. 174) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 16. 175) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 17. 176) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 8; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 14 m. w. N.; a. A. etwa Blersch/Goetsch/Haas-Undritz/Fiebig, BK-InsO, § 160 Rz. 19, die als „Faustregel“ 10 % der Masse, aber mindestens 25 000 bis 50 000 € angeben. 177) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 8 m. w. N. 178) Überzeugend Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 8 ff. 179) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 11; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 28. 180) So Braun-Esser, InsO, § 160 Rz. 10. 181) A. A. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 19. 182) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 9. 183) Eine entsprechende Klarstellung sah noch § 185 RegE-InsO vor; ihre Streichung sollte keine sachliche Änderung bewirken, vgl. BT-Drucks. 12/7302, S. 175. 184) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 23.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

gen und etwa Nießbrauchs- und Rentenbezugsrechten.185) Zum anderen werden mit (für die Fortführung als Zwischenfinanzierung oft unverzichtbaren) Darlehen und Maßnahmen der Prozessführung (Klage, Aufnahme oder deren Ablehnung, Vergleich und Schiedsvertrag) die Masse erheblich belastende oder gefährdende Rechtshandlungen genannt, wobei die Erheblichkeit sich hier ganz maßgeblich an der Verfahrensgröße und am Massebestand sowie beim Darlehen an der erwarteten Dauer186) der Bindung und des Kapitaldienstes orientieren wird. Neben den in Abs. 2 genannten Konstellationen werden als potenziell zustimmungs- 74 bedürftig – in Abhängigkeit vom Einzelfall und nicht abschließend – etwa genannt: x

die Anerkennung von beträchtlichen Aus- und Absonderungsrechten,

x

die Veräußerung einzelner fortführungsrelevanter Gegenstände,

x

große Anschaffungen oder die Begründung von Dauerschuldverhältnissen,

x

die Freigabe von Massegegenständen an den Schuldner oder die Bestellung von Sicherheiten an ihnen,

x

die Erfüllungswahl nach § 103 InsO bei wichtigen Verträgen,

x

In-sich-Geschäfte des Verwalters und

x

ein Rechtsmittelverzicht.187)

Die Generalklausel des § 160 Abs. 1 InsO bringt Flexibilität,188) aber zugleich Rechtsun- 75 sicherheit in der Entscheidungsphase mit sich.189) Diese wird zum einen dadurch erträglicher, dass nach § 164 InsO Rechtshandlungen auch ohne die erforderliche Zustimmung im Außenverhältnis wirksam sind und dass eine materiell sachgerechte Entscheidung keine Verwalterhaftung auslöst, auch wenn ex post ein formaler Verstoß gegen § 160 InsO festgestellt wird. Zum anderen kann der Insolvenzverwalter – und wird es zu seiner Entlastung und i. S. einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss regelmäßig tun190) – auch die Zustimmung zu sonstigen Handlungen erbitten.191) Ein Bestimmungsrecht des Gläubigerausschusses, ob eine Rechtshandlung unter § 160 InsO fällt, existiert hingegen nicht.192) 2.3

Mitwirkung der Gläubigerversammlung an der Verwaltung

Besteht kein Gläubigerausschuss, so entscheidet in den Fällen des § 160 InsO gemäß 76 § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO die Gläubigerversammlung über die Zustimmung. Dieses Verfahren ist freilich trotz der Zustimmungsfiktion bei Beschlussunfähigkeit (§ 160 Abs. 1 Satz 3 InsO) schwerfällig – umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass der Beschlussgegenstand wenigstens grob bereits in der Tagesordnung angegeben sein muss, da der Be___________ 185) Krit. hierzu Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 39. Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 19, spricht sich für eine restriktive Auslegung aus. 186) Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 41. Nach Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 20, fehle es an der Erheblichkeit, wenn die erwarteten Einnahmen aus der Fortführung über z. B. einen Monat die Darlehenssumme überstiegen. 187) Vgl. die Listen bei Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 23 f.; Pape, NZI 2006, 65, 68. 188) Vgl. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 174. 189) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 4; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 28. 190) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 19, empfiehlt in Zweifelsfällen ein Agieren in enger Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss. 191) Vgl. Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 4. 192) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 8a; a. A. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 28.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

schluss sonst nichtig ist.193) Deshalb sollte hier mehr noch als bei Existenz eines Gläubigerausschusses über Vereinfachungs- und Bündelungsmöglichkeiten (vgl. unten, Rz. 81 ff.) nachgedacht und zudem – was der relative Maßstab ermöglicht – nur restriktiver eine besondere Bedeutsamkeit der Rechtshandlung angenommen werden. Keine Grundlage besteht für eine mit der Kompetenzverteilung der InsO nicht zu vereinbarende, gleichwohl aber überwiegend anerkannte194) Kompetenzkompetenz der Gläubigerversammlung, kraft derer diese verbindlich über die Bedeutsamkeit von Handlungen beschließen und damit selbst bestimmen könne, wann der Insolvenzverwalter nur mit ihrer Zustimmung tätig werden darf. Erneut gilt jedoch, dass der Verwalter sich unter Haftungsgesichtspunkten einem solchen Beschluss nicht ohne sehr guten Grund widersetzen sollte und dass er ihm andererseits recht gefahrlos nachkommen kann.195) 77 Auch wenn ein Gläubigerausschuss existiert, entscheidet die Gläubigerversammlung in den Sonderfällen der §§ 162 und 163 InsO über die Zustimmung zu einer übertragenden Sanierung als möglicher Kulmination einer Betriebsfortführung. In beiden Normen geht es darum, dass – entweder typisierend aufgrund der Person des Käufers (§ 162 InsO) oder einzelfallspezifisch aufgrund eines Antrags und einer Glaubhaftmachung seitens des Schuldners bzw. einer Gläubigerminderheit (§ 163 InsO) – befürchtet wird, der vom Insolvenzverwalter verlangte Kaufpreis sei zu niedrig.196) Dabei betrifft § 162 InsO den Fall des Management-Buy-out (MBO) oder einen vergleichbaren Erwerb durch eine dem Schuldner nahestehende Person (sog. Informationsinsider), bei dem die Gefahren von Sonderwissen auf Erwerberseite sowie einer übermäßigen Abkürzung der Suche nach Interessenten aus Bequemlichkeit oder Beschleunigungsgründen bestehen, sowie die Veräußerung an einen Großgläubiger mit entsprechendem Einfluss und Einblick (sog. Verfahrensinsider). Über § 162 Abs. 2 InsO soll einer Umgehung des Zustimmungserfordernisses vorgebeugt werden, indem der Kreis der Erwerber auf abhängige Unternehmen und Strohleute erstreckt wird. 2.4

Verhältnis zwischen Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss

78 Wenngleich die Aufgaben zwischen Gläubigerversammlung und -ausschuss im Gesetz weitgehend klar ver- und aufgeteilt scheinen und § 160 InsO eine Zuständigkeit der Gläubigerversammlung nur dort vorsieht, wo kein Gläubigerausschuss besteht, so zeigen § 149 Abs. 2 InsO und § 161 InsO doch, dass die Gläubigerversammlung – jedenfalls bei gesetzlicher bzw. gerichtlicher Anordnung – auch dort entscheiden kann, wo an sich der Gläubigerausschuss zuständig ist, und dass den Beschlüssen der Gläubigerversammlung Vorrang zukommt. Dies harmoniert mit der Kompetenz der Gläubigerversammlung, das Verfahrensziel zu bestimmen und zu ändern (§ 157 InsO), mit ihrer alleinigen Zuständigkeit in den Konfliktfällen der §§ 162 f. InsO und schließlich damit, dass die Gläubigerversammlung letztlich nach § 68 InsO über die Einsetzung bzw. Beibehaltung des Gläubigerausschusses beschließt. 79 Deshalb ist eine Verallgemeinerung möglich: Die Gläubigerversammlung kann in den Fällen des § 160 InsO stets, auch ohne Mitwirkung des Gerichts, anstelle des Gläubigerausschusses über die Zustimmung entscheiden oder eine Ausschussentscheidung durch eine ___________ 193) BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626. 194) Vgl. nur Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 8a; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 28; wohl auch Pape, NZI 2006, 65, 69 (schwer vereinbar mit den dort nachfolgenden Ausführungen); vgl. noch Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 42, für eine Wertgrenze bei § 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO. 195) Eingehend Pape, NZI 2006, 65, 70. 196) Görg in: MünchKomm-InsO, § 162 Rz. 1.

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Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung/Gläubigerausschuss

§8

eigene ersetzen.197) Eine Änderung oder ein Widerruf der Entscheidung der Gläubigerversammlung ist dem Gläubigerausschuss hingegen nur bei veränderter Sachlage zu gestatten.198) Außerdem kann die Gläubigerversammlung vorab beschließen, dass sie statt des Gläubigerausschusses mit bestimmten von § 160 InsO erfassten Entscheidungen zu befassen ist.199) Bei besonders wichtigen Fragen kann es sich für den Insolvenzverwalter empfehlen, direkt 80 die Gläubigerversammlung um Zustimmung zu ersuchen, zumal ihre Entscheidung zu einer weiter gehenden Entlastung führen kann als die des Gläubigerausschusses.200) Der Gläubigerausschuss hingegen darf sich grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters durch Verweis auf die Gläubigerversammlung (oder auch den Antrag auf deren Einberufung nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO) der Verantwortung entziehen.201) Ist bei haftungsträchtigen Rechtshandlungen von zentraler Bedeutung ausreichend Zeit für einen Beschluss der Gläubigerversammlung, dürfte der Insolvenzverwalter ein entsprechendes Anliegen des Gläubigerausschusses aber kaum zurückweisen können. 2.5

Vorratsbeschlüsse/Kompetenzdelegation/Bedingungen

Bereits wiederholt ist auf die besondere Eilbedürftigkeit mancher Verwaltungsentschei- 81 dungen (gerade i. R. der Betriebsfortführung) und auf die Schwerfälligkeit insbesondere der Befassung der Gläubigerversammlung hingewiesen worden. Die „Lösung“, dass der Verwalter dringende Handlungen unter Ausnutzung von § 164 InsO einfach vornimmt, ohne die Gläubigerorgane vorab zu konsultieren, ist für ihn höchst unbefriedigend. Dann nämlich müsste er darauf hoffen, entweder ausnahmsweise im Nachhinein die Zustimmung (als Genehmigung i. S. von § 184 BGB) einholen zu können202) oder alles möge gut gehen und sowohl eine Haftungssituation als auch aufsichtliche Maßnahmen mögen ausbleiben. In geeigneten Fällen empfehlen sich für den Verwalter der Abschluss von Vorverträgen 82 oder aufschiebend durch die Erteilung der Zustimmung bzw. auflösend durch ihre Versagung bedingten Rechtsgeschäften203) bzw. die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts. Dies ist jedoch nicht immer möglich bzw. kann zu eigenen Belastungen der Masse führen. Deshalb stellt sich die Frage, inwieweit die Gläubigerorgane ihre Zustimmungskom- 83 petenzen im Vorhinein ausüben oder delegieren können. Der Regelfall ist die vor Vornahme einer konkreten Handlung bezogen auf diese erteilte Zustimmung; allerdings können Gläubigerversammlung bzw. -ausschuss jedenfalls auch ex ante zu einer bestimmten Art von vorhersehbaren Geschäften ihre Zustimmung erteilen bzw. dem Verwalter

___________ 197) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 5; Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3; allgemein gegen eine Ersetzungsbefugnis Kübler/ Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 11/2012, § 69 Rz. 7; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 68 Rz. 11. 198) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 5; a. A. LG Göttingen, Beschl. v. 15.5.2000 – 10 T 42/00, NZI 2000, 491, 492, dazu EWiR 2000, 827 (Pape). 199) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 5; Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3. 200) Braun-Esser, InsO, § 160 Rz. 4. 201) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 5; Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31; a. A. Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 20. 202) Dazu vgl. Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 3; Görg in: MünchKommInsO, § 160 Rz. 25; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 6 m. w. N. 203) Braun-Esser, InsO, § 160 Rz. 2; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 6.

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§8

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

durch sog. Vorratsbeschlüsse204) einen bestimmten Entscheidungsrahmen vorgeben, innerhalb dessen er sich ohne erneute Befragung der Gläubigerschaft bewegen darf.205) 84 Darüber hinaus ist – wie bei § 157 InsO (siehe oben Rz. 66, 70) – weitgehend anerkannt, dass die Gläubigerversammlung ihre Entscheidungskompetenz nach § 160 InsO auch vollständig an den Verwalter delegieren kann (mit den für ihn günstigen Rechtsfolgen einer als erteilt anzusehenden Zustimmung).206) Dies sollte auch für den Fall des § 162 InsO,207) nicht aber für diejenigen der §§ 161, 163 InsO gelten – bei entsprechender gerichtlicher Anordnung muss die Gläubigerversammlung trotz genereller Delegation auf den Verwalter selbst über die konkrete Rechtshandlung beschließen.208) Mit Blick auf die geringere Schwerfälligkeit und auf seine originäre Überwachungsaufgabe nach § 69 InsO sollte einer umfassenden Delegation durch den Gläubigerausschuss hingegen mit großer Skepsis begegnet werden.209) Vielfach dürfte darin eine eigene, für den Verwalter erkennbare Pflichtverletzung der Ausschussmitglieder liegen,210) die wohl auch dem Verwalter die Berufung auf eine (vermeintlich) als erteilt anzusehende Zustimmung abschneidet. V.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Planverfahren

85 Das Planverfahren mit seinen verfahrensspezifischen Beteiligungs- und Entscheidungsrechten der Gläubiger wird unten näher behandelt (siehe unten Spies, § 24 Rz. 149 ff.). Grundsätzlich gelten auch hier zunächst die Vorschriften über die Gläubigermitwirkung im Regelverfahren,211) solange nicht bspw. ein verfahrensleitender oder schließlich auch ein allgemeiner Insolvenzplan etwas Abweichendes vorsieht. Freilich ersetzt die rechtskräftige Bestätigung des angenommenen Plans alle hinsichtlich seines Inhalts eventuell erforderlichen Zustimmungen der Gläubigerorgane.212) 86 Von besonderer Bedeutung gerade im Planverfahren sind neben der strukturprägenden Abstimmung über den Insolvenzplan (§§ 235 ff. InsO) das Recht der Gläubigerversammlung, den Verwalter mit der Erstellung eines Plans zu beauftragen und ihm das Planziel vorzugeben (§§ 157 Satz 2, 218 Abs. 2 InsO), die beratende Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Planaufstellung durch den Insolvenzverwalter (§ 218 Abs. 3 InsO) sowie die Abgabe einer Stellungnahme durch den Gläubigerausschuss (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Daneben entscheiden Gläubigerausschuss oder -versammlung ggf. über die Zustimmung zu einem Antrag des Insolvenzverwalters, die Verwertung und Verteilung der Masse trotz Vorlage eines Insolvenzplans (einstweilen) fortzusetzen (§ 233 Satz 2 InsO) und entscheidet der Gläubigerausschuss ggf. über die Zustimmung zu einem Antrag des Insolvenzverwalters, einen erneuten Plan des Schuldners a limine zurückzuweisen (§ 231 Abs. 2 InsO). ___________ 204) Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 22. 205) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 30, 32; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 18, 22; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 7. 206) Braun-Esser, InsO, § 160 Rz. 3; Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 8; Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 32; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 22; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 7 (krit. jedoch bei § 157 Rz. 25 m. w. N.). 207) Hier ist auch eine Kompetenzübertragung auf den Gläubigerausschuss möglich, vgl. Görg in: MünchKomm-InsO, § 162 Rz. 16, 18. 208) Anders Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 161 Rz. 14. 209) Abl. dann auch Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 30; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 18; a. A. im Ausgangspunkt Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 160 Rz. 8; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 7 (s. jedoch Rz. 8). 210) Görg in: MünchKomm-InsO, InsO, § 160 Rz. 30; Nerlich/Römermann-Balthasar, InsO, § 160 Rz. 18. 211) Im dogmatischen Ansatz anders aber Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 15. 212) Görg in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 34; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 15.

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Kebekus/Zenker

§9 Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung Übersicht I.

Die Betriebsfortführung im System der Insolvenzordnung ................................ 2 1. Zweck der Fortführung ............................... 3 1.1 Betriebsfortführung als Mittel der Gläubigerbefriedigung................ 4 1.2 Konsequenzen für das vorläufige Insolvenzverfahren .................... 6 1.3 Konsequenzen für das eröffnete Verfahren .......................................... 8 2. Planungsgrundlagen allgemein .................. 12 2.1 Liquiditätsplanung .......................... 14 2.1.1 Zweck der Liquiditätsplanung........ 15 2.1.2 Liquiditätsplanung als Mittel der Haftungsvermeidung ...................... 16 2.1.3 Standardgemäße Liquiditätsplanung ............................................ 19 2.2 Produktionsplanung ....................... 32 2.3 Erfolgsplanung – integrierte Planung ............................................ 34 2.4 Vermögenskontrolle ....................... 36 2.5 Controlling, Früherkennung von Störfaktoren ............................. 39 2.6 Schaffung geeigneter Strukturen für die Betriebsfortführung ............ 42 2.7 Steuerung und Buchung des Zahlungsverkehrs............................ 45 II. Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren ................................................... 50 1. Anfangsliquidität........................................ 53 2. Identifizierung cash positiver und cash negativer Einheiten .................................... 56 3. Einbeziehung der Kunden ......................... 58 4. Veräußerung von Umlaufvermögen und nicht betriebsnotwendigen Vermögens........................................................ 59 5. Insolvenzgeld.............................................. 61 5.1Allgemeines .......................................... 62 5.2Vorfinanzierung ................................... 64 5.3Vermeidung des Missbrauchs ............... 66 6. Verwendung von Bankguthaben und weiteren Zahlungszuflüssen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens......... 74 6.1 Ausgangslage ................................... 75 6.2 Verwertungssperren und Ermächtigung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO................................................. 77 7. Lastschriftenwiderruf................................. 81 7.1 Aufhebung der strittigen Rechtsprechung ........................................ 82

8.

9.

10.

11. 12. 13. III. 1.

2.

Hermann

7.2 Widerrufsfrist.................................. 86 Steuerliche Belastungen im vorläufigen Verfahren in der Liquiditätsplanung ......... 89 8.1 Factoring ......................................... 90 8.2 Globalzession .................................. 93 8.3 § 55 Abs. 4 InsO und Haftung nach §§ 60, 61 InsO ........................ 94 Fortführung der Dauerschuldverhältnisse und Verträge...................................... 97 9.1 Insolvenzbedingte Lösungsklauseln ............................................ 98 9.2 Lösungsklausel für den Fall der Vermögensverschlechterung ........ 101 Absicherung eingegangener Verpflichtungen aus dem vorläufigen Insolvenzverfahren ................................................... 105 10.1 Einfache individuelle Zusagen des vorläufigen Verwalters ........... 107 10.2 Individuelle Ermächtigung durch das Insolvenzgericht zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten ....................................... 109 10.3 Treuhandmodelle .......................... 113 Absicherung der Kunden......................... 118 Warum überhaupt noch „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung?............. 122 Vorbereitung des eröffneten Verfahrens............................................................ 127 Betriebsfortführung im endgültigen Verfahren ................................................. 129 Risiko der Masseunzulänglichkeit........... 131 1.1 Vom Insolvenzverwalter eingegangene Masseverbindlichkeiten.. 132 1.1.1 Einstandspflicht nach § 61 InsO . 133 1.1.2 Haftung nach § 60 InsO............... 137 1.2 Oktroyierte Masseverbindlichkeiten ............................................. 148 1.3 Verschuldensmaßstab ................... 151 Beendigung der Fortführung .................. 156 2.1 Betriebsfortführung versus Erhalt der Masse für die Gläubiger oder wieweit darf die Betriebsfortführung gehen? ....................... 157 2.2 Einbeziehung der Liquidation in die Planungsrechnung................... 167 2.3 Abwägung der Szenarios, Pflicht zur Beendigung der Betriebsfortführung...................... 169 2.4 Recht zur Beendigung der Betriebsfortführung? .................... 172

187

§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

IV. Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung ............................................... 174 1. Allgemeines .............................................. 175 2. Aufgaben des Sachwalters ....................... 179

3. 4.

Vorteile der Eigenverwaltung für die Betriebsfortführung ................................. 182 Probleme der Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO ..... 186

Literatur: Antoni, Die Haftung des Insolvenzverwalters für unterlassene Sanierungsmaßnahmen und gescheiterte Sanierungspläne, NZI 2013, 236; Achsnick/Krüger, Factoring in der Insolvenz, 2. Aufl., 2011; Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, 2004; Bork, Gläubigersicherung im vorläufigen Insolvenzverfahren, ZIP 2003, 1421; Bunjes, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 11. Aufl., 2012; Depré/ Lambert, Steuerliche Aspekte der vorläufigen Insolvenzverwaltung, KSI 2012, 114; Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 1. Aufl., 1998, Frind, Treuhandkonto – geeignete Umgehung der Einzelermächtigung, ZInsO 2005, 1296; Frind, Das Treuhandkonto im Eröffnungsverfahren – Probleme und Risiken, ZInsO 2004, 470; Gundlach/Rautmann, Änderungen der Insolvenzordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, DStR 2011, 82; Heinze, Umsatzsteuern aus schwacher vorläufiger Verwaltung als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 603; Huber, Unwirksamkeit von insolvenzbedingten Lösungsklauseln, ZIP 2013, 493; Jaffé/Friedrich-Vache, Umsatzsteuer und Insolvenz: Neuere Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung, MwStR 2013, 75; Klinck, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren, ZIP 2013, 853; Marotzke, Sinn und Unsinn einer insolvenzrechtlichen Privilegierung des Fiskus, ZInsO 2010, 2163; Marotzke, Treuhandkonto und § 181 BGB im Insolvenzeröffnungsverfahren Hamburger Prägung, ZInsO 2004, 721; Nawroth, Der neue § 55 Abs. 4 InsO – die Gedanken sind frei …, ZInsO 2011, 107 – 109; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 8. Aufl., 2011; Obermüller, Lösungsklauseln im Bankgeschäft, ZInsO 2013, 476; Obermüller, Überweisungsverkehr bei Insolvenz, ZInsO 2010, 13; Onusseit, Zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 641; Pape, Erleichterung der Sanierung von Unternehmen durch Insolvenzverfahren bei gleichzeitiger Abschaffung der Gläubigergleichbehandlung?, ZInsO 2010, 2155; Römermann/Praß, Gesetzgeber rette Dein ESUG, ZInsO 2013, 483; Schmitz, Die Bauinsolvenz, 5. Aufl., 2011; Schröder, Die Abwicklung des masseunzulänglichen Insolvenzverfahrens, 2010; Siemon/Klein, Haftung des (Sanierungs-)Geschäftsführers gem. § 64 GmbHG im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, ZInsO 2012, 2009; Sinz/Oppermann, § 55 Abs. 4 InsO und seine Anwendungsprobleme in der. Praxis, DB 2011, 2185; Smid, Kurze kritische Anmerkungen zu den Änderungen der Insolvenzordnung, DZWIR 2011, 133; Spindler/Stilz, AktG, Kommentar, 2. Aufl., 2010; Uhländer, Steuern als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO – Überblick zur Neuregelung ab dem 1.1.2011, AO-StB 2011, 84 – 87; Wimmer, Die insolvenzrechtlichen Bestimmungen des Haushaltsbegleitgesetzes 2011, jurisPR-InsR 23/2010 Anm. 1; Zimmer, Haushaltsbegleitgesetz 2011 (§ 55 Abs. 4 InsO) – erste Anwendungsprobleme, ZInsO 2010, 2299.

1 Die Fortführung eines Unternehmens in der Insolvenz gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben eines Insolvenzverwalters. Zahlreiche Entscheidungen und Aufgaben sind zeitgleich zu treffen. Die Fortführung gelingt nur, wenn Ziele vorgegeben und die zeitlichen wie wirtschaftlichen Prioritäten richtig gesetzt werden. ) I.

Die Betriebsfortführung im System der Insolvenzordnung

2 Die Betriebsfortführung in einem Insolvenzverfahren ist kein Selbstzweck. Sie stellt lediglich einen Baustein in dem Gefüge eines Insolvenzverfahrens dar. 1.

Zweck der Fortführung

3 Die Fortführung eines Unternehmens i. R. eines Insolvenzverfahrens hat sich an den gesetzlichen Zielen der InsO zu orientieren.1) Die Gläubigerversammlung hat im Berichtstermin zu entscheiden, ob das Unternehmen stillgelegt oder fortgeführt werden soll. Daraus folgt das Gebot der Fortführung bis zur ersten Gläubigerversammlung.

___________ *) Der Autor dankt Herrn Rechtsanwalt Daniel F. Fritz für die Mitarbeit und Unterstützung sowie die Durchsicht des Manuskripts. 1) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, S. 355.

188

Hermann

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung 1.1

§9

Betriebsfortführung als Mittel der Gläubigerbefriedigung

Auch die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Gläubiger zu treffende 4 Entscheidung zur Fortführung ist stets nur eine Entscheidung für eine befristete Fortführung.2) Denn das Gebot zur Fortführung – auch als Sanierungsauftrag bezeichnet3) – ändert nichts an dem primären Verfahrensziel eines Insolvenzverfahrens nach § 1 InsO, die Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet, der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen werden. Die Fortführung ist also nicht Zweck eines Insolvenzverfahrens, sondern nur Mittel zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Daran hat auch die Reform der InsO durch das ESUG im Jahre 2012 nichts geändert. Im 5 Regierungsentwurf zum ESUG heißt es ausdrücklich, dass an dem vorrangigen Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger festgehalten wird. Das ESUG soll somit nur die Fortführung bzw. Sanierung unter Beibehaltung dieses Zieles erleichtern.4) 1.2

Konsequenzen für das vorläufige Insolvenzverfahren

Um den Gläubigern die Entscheidungsmöglichkeit über das Verfahrensziel zu erhalten, 6 hat schon der vorläufige Verwalter gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO ein Unternehmen bis zum Zeitpunkt der Eröffnung fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat die Fortführung im eröffneten Verfahren gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO vorzubereiten. Im vorläufigen Insolvenzverfahren und zu Beginn des eröffneten Insolvenzverfahrens soll 7 das Unternehmen daher möglichst solange fortgeführt werden, bis die Gläubiger i. R. des Berichtstermins selbst eine Entscheidung über die Stilllegung des Unternehmens oder dessen Fortführung treffen können, selbst wenn das Ergebnis der Fortführungsfähigkeit und die Entscheidung der Gläubiger hierüber noch gar nicht feststeht. Auch Anlaufverluste im vorläufigen Insolvenzverfahren sind zulässig, wenn eine spätere Sanierung möglich erscheint.5) 1.3

Konsequenzen für das eröffnete Verfahren

Die Fortführung hat sich in jedem Verfahrensstadium an dem Verfahrensziel der Gläubi- 8 gerbefriedigung zu messen. Je nachdem, um welche Form der Fortführung es sich handelt, ist der Spielraum einer Fortführung anders zu bewerten, ob und inwieweit die Fortführung letztlich positive Erträge abwerfen muss. Für die Zeit bis zum Berichtstermin stellt die InsO weniger strenge Anforderungen an 9 die Fortführung. Sie nimmt sogar eine gewisse Minderung der Masse in Kauf, wenn nur so erreicht werden kann, dass der Gläubigerversammlung eine Entscheidung über Fortführung oder Stilllegung ermöglicht wird.6) Im Falle einer vorläufigen Fortführung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung lässt 10 sich eine an sich defizitäre Fortführung dann noch rechtfertigen, wenn hinreichende Aussichten auf eine Übertragung des Unternehmens nebst Erhalt von Arbeitsplätzen beste___________ 2) 3) 4) 5) 6)

Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 11. Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, S. 355. Vgl. Begr. zum RegE ESUG v. 23.2.2011, S. 24 f. Blersch/Goetsch/Haas-Blersch, BK-InsO, § 22 Rz. 14 und Schmerbach in: FK-InsO, § 22 Rz. 67. Brandes in: MünchKomm-InsO, §§ 60, 61 Rz. 24 oder Schmerbach in: FK-InsO, § 22 Rz. 67.

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189

§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

hen, die Masse so von Masseverbindlichkeiten befreit wird und der Saldo von ersparten Aufwendungen und dem Defizit der Fortführung noch positiv ausfällt. Auch dann muss das Ergebnis für die Gläubiger besser ausfallen, als das Alternativszenario einer Liquidation. 11 Entscheiden sich die Gläubiger für einen Insolvenzplan, müssen auch hierbei die Gläubiger voraussichtlich bessergestellt werden als bei der Liquidation oder der übertragenden Sanierung. 2.

Planungsgrundlagen allgemein

12 Damit die Fortführung dem primären Ziel des Insolvenzverfahrens und der vorläufige Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung zur Prüfung der Fortführungsaussichten (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO) nachkommen kann, bedarf es belastbarer Planungsgrundlagen. Der vorläufige Verwalter kann sich an den „Anforderungen an Sanierungskonzepte“ orientieren, wie sie vom Institut der Wirtschaftsprüfer IDW vorgeschlagen sind (IDW Standard S 6).7) Die Sanierungsprüfung soll demnach fünf Punkte umfassen:8) x

Beschreibung des Unternehmens;

x

Analyse des Unternehmens (Krisenursachenanalyse, Lagebeurteilung des Unternehmens);

x

Leitbild des sanierten Unternehmens;

x

Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens;

x

Planverprobungsrechnung.9)

13 Davon zu unterscheiden ist die Planung der Fortführung. Hier geht es um die Frage, ob die tatsächliche finanzielle Lage eine Fortführung erlaubt, ob also die Einnahmen die Ausgaben decken und zumindest ein neutrales Ergebnis erwirtschaftet werden kann.10) Dabei untergliedern sich die Planungsbestandteile der Fortführung in die nachfolgend noch beschriebenen Planungstools, Kontrollen bzw. Maßnahmen: x

Liquiditätsplanung,

x

Produktionsplanung,

x

Erfolgsplanung,

x

Vermögenskontrolle,

x

Controlling, Früherkennung von Störfaktoren,

x

Schaffung geeigneter Strukturen,

x

Steuerung und Buchung des Zahlungsverkehrs.

2.1

Liquiditätsplanung

14 Im Rahmen einer Liquiditätsplanung werden Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt. Sie dient der Prüfung, ob eine Fortführung im Interesse der Insolvenzgläubiger liegt oder ggf. abzubrechen ist. ___________ 7) Ausführlich zum IDW Standard S 6; Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Illy, Unternehmenssanierung, S. 441 ff. 8) Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, S. 68. 9) Vgl. hierzu Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 243 ff. 10) Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, S. 72.

190

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

2.1.1 Zweck der Liquiditätsplanung Sowohl der vorläufige Insolvenzverwalter wie der Insolvenzverwalter haben zu ermitteln, 15 ob sich das Unternehmen fortführen lässt oder stillzulegen ist. Auf Basis einer Vergleichsrechnung ist das bessere Ergebnis zu prognostizieren.11) Die zu erwartenden Verwertungserlöse bei Liquidation oder Fortführung, einer einstweiligen Fortführung, der geordneten Ausproduktion oder Schließung des Unternehmens sind gegenüberzustellen. 2.1.2 Liquiditätsplanung als Mittel der Haftungsvermeidung Verfolgt der Insolvenzverwalter seine Pflichtenstellung zur bestmöglichen Erhaltung und 16 Verwertung der Masse nicht konsequent, haftet er nach § 60 InsO.12) Eine Betriebsfortführung ohne Plan führt zwingend zu diesem Ergebnis. Führt der Insolvenzverwalter ein Unternehmen fort, muss er Masseverbindlichkeiten ein- 17 gehen. Begleicht er diese Masseverbindlichkeiten nicht, kann er sich gegenüber den Massegläubigern gemäß § 61 InsO schadensersatzpflichtig machen. Nur wenn er den Nachweis erbringt, dass er bei Begründung der Verbindlichkeiten nicht erkennen konnte, die Masse werde voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen,13) kann er sich nach § 61 Satz 2 InsO exkulpieren. Damit wird die Erstellung eines Liquiditätsplanes zu einer insolvenzspezifischen Pflicht des Verwalters.14) An die Liquiditätsplanung sind für den vorläufigen Verwalter in der Anfangsphase weni- 18 ger hohe Anforderungen zu stellen, da der spätere Verfahrensablauf nicht feststeht.15) Je nach Fortschritt des Verfahrens steigen die Anforderungen. 2.1.3 Standardgemäße Liquiditätsplanung Für die Liquidationsplanung kommen verschiedene Modelle bzw. Standards in Betracht. 19 Als Basis zu empfehlen ist der IDW Standard PS 800.16) Auch die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI)17) lehnen sich unter dem Stichwort Betriebsfortführung an diesen Standard an. Die Verwendung dieses Standards kann zu einer Exkulpation des Insolvenzverwalters nach den vom BGH aufgestellten Regeln dienen.18) In der Insolvenz kann sich an diesen Standard (PS 800) aber nur angelehnt werden, da der 20 IDW Standard zur Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen entwickelt worden ist. Der nach diesem IDW-Standard entwickelte Liquiditätsplan ermöglicht eine leicht nachvollziehbare Erfassung der aktuellen Liquiditätslage der Masse, die anhand einer realistischen Einschätzung der noch ausstehenden offenen Forderungen und der künftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung im

___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17)

18)

Brandes in: MünchKomm-InsO, §§ 60, 61 Rz. 23. Lohmann in: HK-InsO,§ 60 Rz. 18. Graf-Schlicker-Kexel, InsO, 2. Aufl., 2010, § 61 Rz. 9. Graf-Schlicker-Kexel, InsO, 2. Aufl., 2010, § 61 Rz. 13 sowie BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311. Borchardt/Frind-Wentzler, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1167. IDW Prüfungsstandard: Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen; Stand: 6.3.2009. Diese Grundsätze wurden in der am 4.6.2001 beschlossenen Fassung vom VID – Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. herausgegeben. Sie werden regelmäßig als Best Practise Standard von Insolvenzverwaltern angewandt, abrufbar unter: www.vid.de/de/qualitaetz/goi.html. Schröder, Abwicklung des masseunzulänglichen Insolvenzverfahrens, S. 33.

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191

§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Wege der Prognose vom Status zum Plan fortgeschrieben wird. Damit ist er auch für die Liquiditätsplanung bei Fortführung eines Unternehmens gut einsetzbar.19) 21 Die Liquiditätsplanung ist aus dem Rechnungswesen des Unternehmens herzuleiten. Der IDW Standard enthält dabei Angaben zu: x

Detaillierungsgrad (IDW PS 800, Rz. 23)

x

Ansatz/Fälligkeit von Verbindlichkeiten (IDW PS 800, Rz. 30 ff.)

x

Ansatz von gegenwärtig und kurzfristig verfügbaren Finanzmitteln (IDW PS 800, Rz. 36 ff.)

22 Als erster Schritt ist ein Status auf den ersten Stichtag der Planung erforderlich. Ausgangspunkt ist die vollständige Bestandsaufnahme aller relevanten Vermögenswerte und Verpflichtungen. Aus den von dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter zu erstellenden Verzeichnissen, dem Vermögensverzeichnis, dem Verzeichnis der Massegegenstände, (§ 151 InsO), dem Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO), der Vermögensübersicht (§ 151 InsO) lässt sich regelmäßig der Zahlungsmittelbestand zum Stichtag der ersten Prüfung ermitteln. Nach IDW PS 800 sind davon ausgehend vom jeweiligen Stichtag die Einzahlungen und Auszahlungen entsprechend dem folgenden Rahmen einzustellen: 23

Muster einer Liquiditätsplanung Stichtag

I.

Einzahlungen

1.

Einzahlungen aus laufendem Geschäftsbetrieb

1.1.

Barverkäufe

1.2.

Leistungen auf Ziel

2.

Einzahlungen aus Desinvestitionen

2.1.

Anlagenverkäufe

2.2.

Auflösung von Finanzinvestitionen

3.

Einzahlung aus Finanzerträgen

3.1.

Zinserträge

3.2.

Beteiligungserträge

Summe Einzahlungen I II.

Auszahlungen

1.

Auszahlungen für laufenden Geschäftsbetrieb

1.1.

Löhne/Gehälter

1.2.

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

1.3.

Steuern/Abgaben

1.4.



1.5.



2.

Auszahlungen für Investitionen

2.1.

Sachinvestitionen Ankäufe

___________ 19) Schröder, Abwicklung des masseunzulänglichen Insolvenzverfahrens, S. 34.

192

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Wochen

Monate

1. 2. 3. etc.

1. 2. 3. etc.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung Stichtag

Wochen

Monate

1. 2. 3. etc.

1. 2. 3. etc.

Vorauszahlungen Restzahlungen … 3.

Auszahlungen i. R. des Finanzverkehrs

Summe Auszahlungen II III. Ermittlung der Über- bzw. Unterdeckung IV.

Ausgleichsmaßnahmen

1.

Bei Unterdeckung

2.

Bei Überdeckung

… … Summe Auszahlungen III

Für Zuflüsse aus den Vermögenswerten ist deren Grad der Liquidierbarkeit wesentlich. 24 Bestehende Sicherungsrechte führen zur Einschränkung der freien Verwertbarkeit. Im vorläufigen Verfahren kommt hinzu, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter Verwertungsund Abwicklungsmaßnahmen nur insoweit gestattet sind, als sie schon in diesem Verfahrensstadium zur Vermögenssicherung unvermeidlich sind (zu den Ausnahmen vgl. sogleich unter Rz. 59 f. Die Überwindung der Liquiditätskrise ist nicht nur notwendige Voraussetzung für die Deckung der Verfahrenskosten, sondern auch Grundlage für eine Sicherung der Fortführung des Betriebs.20) Vor allem ist eine einmal erstellte Planung in regelmäßigen Abständen durch einen Soll-/ 25 Ist-Vergleich zu überprüfen.21) Die Erkenntnisse des täglichen Liquiditätsmanagements sind so schnell wie möglich mit der Planung abzustimmen, damit die Planung ggf. angepasst werden kann, um einmal getroffene Entscheidungen revidieren zu können.22) Eine um Planzahlen und durch gesonderte Ausweisung der Umsatzsteuer ergänzte Liqui- 26 ditätsplanung könnte somit als Liquiditätsvorschau wie in dem folgenden Beispiel aussehen (anhand eines Pflegedienstes). Hierbei sei unterstellt, dass dieser beispielhafte Pflegedienst zwei Bereiche, nämlich den eigentlichen Pflegedienst und den Fahrdienst, betreibt: Beispiel 1: Liquiditätsvorschau mit Soll-Ist-Vergleich 1/2013

1/2013

1/2013

2/2013

KW

KW

KW

KW

3

4

5

6

x

x

x

x

Umsatzerlöse Plan

25.000

25.000

25.000

25.000

Pflegedienst

22.500

22.500

22.500

22.500

2.500

2.500

2.500

2.500

x = vorläufige Verwaltung EINNAHMEN 1

Fahrdienst

___________ 20) Borchardt/Frind-Wentzler, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1172. 21) Vgl. GOI, Nr. 14 Abs. 2, so auch Lohmann in: HK-InsO, § 61 Rz. 187. 22) Borchardt/Frind-Wentzler, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1185.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung 1/2013

1/2013

1/2013

2/2013

KW

KW

KW

KW

3

4

5

6

x

x

x

x

0

0

0

0

25.000

25.000

25.000

25.000

4.991

6.477

83.322

12.445

Waren-/ Materialeinkauf

1.688

1.688

1.688

1.688

Personal incl. Soz. Vers.

5.700

0

71.319

0

Betriebl. Aufwand

1.943

1.131

10.056

3.392

Ausgaben (ohne Steuerz.) PLAN

9.331

2.818

83.062

5.079

SALDO USt(+)/ VSt(–) PLAN

–667

–537

–1.962

–898

Steuerzahlung PLAN

–667

–537

–1.962

–898

6

Ausgaben gesamt (incl. Steuerz.) PLAN

8.664

2.281

81.101

4.181

7

Ausgaben gesamt (incl. Steuerz.) – IST

12.785

26.621

61.081

69

8

Saldo Einnahmen/ Ausgaben PLAN

16.336

22.719

–56.101

20.819

9

Saldo Einnahmen/ Ausgaben – IST

–7.794

–20.144

22.241

12.376

10

Kontostand Wochenanfang

261.717

253.923

233.778

256.020

11

Kontostand Wochenende PLAN

278.053

276.642

177.678

276.839

12

Kontostand Wochenende IST

253.923

233.778

256.020

268.396

13

Abweichung vom Plan

–24.130

–42.863

78.342

–8.442

14

Liquiditäts-Überschuss(+)/Unterdeckung(–)

253.923

233.778

256.020

268.396

x = vorläufige Verwaltung EINNAHMEN 2

Sonstige Einnahmen gesamt PLAN

3

Einnahmen gesamt PLAN

4

Einnahmen – IST AUSGABEN

5

27 Dabei empfiehlt es sich, diese Planung wiederum aus jeweils gesondert geführten Tabellen für die Planung folgende Einzelbereiche zusammenzuführen: 1. Umsätze: Diese wiederum aufgegliedert nach unternehmensspezifischen Umsatzkategorien. 2. Sonstige Einnahmen: Z. B. Miterlöse oder Abgänge des Anlagevermögens. 3. Waren-Materialeinkauf: hier empfiehlt sich eine Untergliederung in Entsprechung zu den Umsatzkategorien, in unserem Beispiel wird hier also zwischen dem Wareneinsatz des Pflege- und des Fahrdienstes unterschieden.

194

Hermann

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

4. Personalkostenplanung: Aufgeteilt nach Löhnen und Gehältern sowie Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, ggf. auch wieder unterteilt nach verschiedenen Geschäftsbereichen. 5. Aufwandsplanung: Hier wäre z. B. sonstiger Aufwand wie Kfz-Steuer, Miete und Nebenkosten. Telekommunikation, Versicherungen, Leasing, Reparaturen etc. einzustellen, die dann in der Regel nur durch Umlage den einzelnen Geschäftsbereichen zuzuordnen sind. Soweit möglich kann aber auch hier zwischen direkt zuordenbarem Aufwand und allgemeinem umzulegenden Aufwand weiter unterschieden werden. Regelmäßig zeigen sich besonders in der Insolvenz die unternehmerischen Defizite in der 28 Cash-flow-Planung. Werden solche Defizite erkannt, ist schnelles Gegensteuern geboten. Sind die Mängel nicht zu beseitigen, kann es schon aus diesem Grunde erforderlich werden, die (weitere) Betriebsfortführung einzustellen. Zur fortlaufenden Überprüfung auf Planeinhaltung bzw. -Abweichung sind dann die 29 ggf. aus der Gewinn- und Verlustrechnung hergeleiteten liquiditätswirksamen Ergebnisse einzustellen. Auch die Organisation des Zahlungsverkehrs und der zusätzlichen im Eröffnungsver- 30 fahren angelegten Konten hat sich der Liquiditätsplanung unterzuordnen. Trotz gesteigerter Komplexität muss ein rascher Soll-Ist-Abgleich möglich bleiben. Schließlich kann aus der im Soll-/Ist-Abgleich bestätigten, kurzfristigen Liquiditätsvor- 31 schau (Wochenbetrachtung) eine mittelfristige und, bei länger geplanter Fortführung, auch eine langfristige Planung erstellt werden. Der Prognosezeitraum verlängert sich in Anpassung auf den jeweiligen Einzelfall um das laufende und das Folgejahr.23) Selbst wenn eine Fortführung in der Insolvenz für einen so langen Zeitraum nicht geplant ist, wird eine längerfristige Planung sowohl für die Insolvenzplanerstellung als auch für einen M&A-Prozess mit dem Ziel der übertragenden Sanierung regelmäßig benötigt werden. 2.2 Produktionsplanung Ein produzierendes Unternehmen muss die Liquiditätsplanung eng mit der Produk- 32 tionsplanung abstimmen. Ergeben sich aus fortgeführten Aufträgen oder Projekten, bestenfalls auch aus weiter erfolgreichem Vertrieb, neue Aufträge, folgen hieraus Masseverbindlichkeiten, die erfüllt werden müssen. Der Insolvenzverwalter muss sich also auch immer ein Bild davon machen, ob mit den vorhandenen und zu erwartenden Mittel, den bisherigen Zahlungszielen und dem tatsächlichen Verhalten von Kunden jeweils ausreichende Mittel für den Einkauf von Material oder die Bezahlung ggf. erforderlicher Dienstleistungen Dritter vorhanden sind. Schlimmstenfalls müssen Aufträge abgelehnt oder hilfsweise verschoben werden. Zu integrieren ist auch die Produktionsprogrammplanung. Viele Insolvenzen haben ihren 33 Hintergrund in einer zu großen Produktkomplexität bzw. in einem falschen Produktsortiment oder -mischung.24) Zu einer operativen Sanierung innerhalb der Insolvenz gehört daher auch eine Redefinition des Produktionsprogrammes, orientiert an der Wertschöpfungskette.25) In der Insolvenz sind nicht nur betriebswirtschaftliche Faktoren entscheidend, sondern die faktischen Gegebenheiten. Der Insolvenzverwalter muss die Mitarbeiter in den als weiter wesentlich erkannten Bereichen wie auch die Kunden halten, um eine stabile Planungsgrundlage zu haben. Wesentlicher Bestandteil einer Produktionsplanung in der Insolvenz ist also deren tatsächliche Umsetzbarkeit. ___________ 23) IDW PS 800, WPg Supplement 2/2009, S. 42 ff. Rz. 49. 24) Vgl. hierzu ausführlich zu Putlitz/Philipp, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, Kap. 22 Rz. 9 ff. 25) Putlitz/Philipp, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, Kap. 22 Rz. 22 ff.

Hermann

195

§9 2.3

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Erfolgsplanung – integrierte Planung

34 Jede Liquiditätsplanung bedarf als Grundlage der Produktionsplanung einer Erfolgsplanung. Produkte werden häufig vorfinanziert. Gerade in der Insolvenz wird Vorauskasse verlangt. Durch Verarbeitung der Waren entstehen ggf. Vorräte, die nicht sogleich verkauft werden, also nicht sogleich Liquidität schaffen. Die Vorausproduktion muss wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe werden verbraucht. Der Verbrauch wird aber im Liquiditätsplan nicht ausgewiesen.26) Hierzu bedarf es der Erfolgsplanung. 35 Dargestellt wird die Erfolgsplanung entsprechend der Gewinn- und Verlustrechnung, sie ist also eine Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung. Bei der Erfolgsplanung kann es bei komplexen Unternehmen zudem darauf ankommen, die prognostizierte Ertragsentwicklung i. R. der Fortführung möglichst detailliert nach Produkten, Geschäftsfeldern und Märkten in Sparten zu unterteilen.27) Das sei mit folgendem Rahmen am einfachen Beispiel des Pflegedienstes, mit seinen Bereichen Pflegedienst und Fahrdienst veranschaulicht, wobei hier zusätzlich eine Segmentierung nach drei verschiedenen Standorten A, B und C integriert ist: Beispiel 2: Erfolgsplanung Pflegedienst Pflegedienst

Fahrdienst

Standort Total

A

Standort B

C

A

Umsatzerlöse Bestandsveränderungen Gesamtleistung Sonstige betriebliche Erträge Materialaufwand Rohertrag Personalaufwand – Löhne und Gehälter – Sozialabgaben – Lohnsteuer sonstiger betrieblicher Aufwand EBITDA Abschreibung immat. WG und Sachanlagen EBIT Finanzergebnis Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Ergebnis Steuern Überschuss/Fehlbetrag

___________ 26) Borchardt/Frind-Wentzler, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1155. 27) Borchardt/Frind-Wentzler, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1155.

196

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B

C

§9

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung 2.4

Vermögenskontrolle

Alle Planungsparameter müssen in einer integrierten Gesamtplanung münden, um das 36 vorhandene und das zu erwartende Vermögen laufend überwachen und kontrollieren zu können. Denn eine Vermögensverschlechterung ist zu vermeiden. In der Regel bedarf der Insolvenzverwalter bei der Aufstellung und Überprüfung dieser Planung fachkundiger Unterstützung.28) Der BGH hat in einer Entscheidung aus 2004 die Einschaltung eines externen Controllers, Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters i. R. der sorgfältigen Überprüfung der Angaben des Schuldners ausdrücklich empfohlen. Die integrierte Gesamtplanung besteht gemäß folgendem Schema idealer Weise aus fol- 37 genden Bestandteilen: 38

Bestandteile der Gesamtplanung Absatzplanung

Produktionsplanung

Beschaffungsplanung

Personalplanung

Investitions- und Kapitalbedarfsplanung

Anfangsbestand

Mittelfristige Kapitalfußrechnung

Umsatzplanung

Direkte Liquiditätsplanung

Steuerplanung

Bilanzplanung Working Capital

Bilanz

Kurzfristige Liquiditätsvorschau

Ergebnisplanung

___________ 28) Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104 = ZIP 2004, 1107.

Hermann

197

§9 2.5

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Controlling, Früherkennung von Störfaktoren

39 Die einmal erstellten Plandaten sind i. R. eines Kontrollsystems (Controlling) als Vergleichswert den aktuell erreichten Leistungen gegenüberzustellen. Etwaige Abweichungen vom Plan und deren Gründe sind entsprechend umgehend zu analysieren, um rechtzeitig auf externe oder interne Ursachen der Planabweichung reagieren zu können.29) Zu erkennen sind Störfaktoren, ob also Kunden fristgerecht zahlen oder Kürzungen wegen mangelhafter Leistung vornehmen. Die Umschlaghäufigkeit von Waren lässt deren Gängigkeit erkennen etc. 40 Ein Controlling kann in der Insolvenz aber auch weitergehend verstanden werden. Das Ziel einer Sanierung setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Hierunter fallen einzelne Projekte wie Personalanpassung, Anpassung des Produktsortiments, Maßnahmen der Kosteneinsparung, Produktionsverlagerung etc. Im Rahmen des jeweiligen Projektmanagements hat sich der Verwalter mit Fragen der Planung, der Information, der Kontrolle und der Steuerung zu befassen.30) Die zum Projektcontrolling anzusetzenden regelmäßigen Jour-fixe-Termine (in der heißen Anfangsphase u. U. täglich, dann ggf. wöchentlich mindestens jedoch monatlich) dienen dem Zweck, die einzelnen Projekte klar einzelnen Projektverantwortlichen zuzuordnen, den Umsetzungsstand abzufragen und beim Erkennen von Problemen oder Störfaktoren Maßnahmen zu ergreifen und abzustimmen. Das muss fortlaufend durch Protokolle dokumentiert werden. 41 Bei einer größeren Unternehmensinsolvenz kann man nicht vom Verwalter die Einbindung in und persönliche Umsetzung jedes Teilprojektes erwarten. Er hat aber sicherzustellen, dass er die Planung miterörtert und gestaltetet, dass er über die richtigen und ausreichenden Informationen zur Entscheidungsfindung verfügt, dass geeignete Kontrollmaßnahmen vorliegen oder eingeführt werden und dass die Steuerung der Projekte auch in wechselseitiger Abstimmung der einzelnen Projektaufgaben funktioniert. 2.6

Schaffung geeigneter Strukturen für die Betriebsfortführung

42 Zur Umsetzung der Planungsprämissen und der Verfolgung sind geeignete Strukturen zu schaffen. Nicht nur die Zahlen sind herauszuarbeiten, sondern auch die personellen Ressourcen sind auf Grundlage eines „Insolvenz-Organigrammes“ zu planen. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Unternehmens und dem Insolvenzverwalter ist in nachvollziehbarer Weise zu regeln. Jeder muss wissen, wo sein Platz ist. Wesentliche Mitarbeiter sind ggf. durch Prämien zum Bleiben zu veranlassen. Gerade bei Bauinsolvenzen kann schon der Ausfall eines einzelnen Mitarbeiters zum Scheitern führen. Besonderer Betreuung bedürfen folgende Bereiche:31) x

Buchhaltung,

x

Aus- und Absonderungsrechte,

x

Personalbereich,

x

Projektplanung.

43 Damit die insolvenzspezifischen Gegebenheiten befolgt werden können, müssen für jeden Bereich geeignete Mitarbeiter aus dem Insolvenzteam zur Verfügung stehen. Kommunikation wird nur gelingen, wenn klare Strukturen auf Ebene der Betriebshierarchie gefunden werden.32) Sind vorgefundene Strukturen zu komplex, muss der Insolvenzver___________ 29) 30) 31) 32)

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Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Weimar, Hdb. FAInsR, S. 1713. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Weimar, Hdb. FAInsR, S. 1826. Vgl. hierzu Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 598. Vgl. Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 599 f.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

walter bestehende Systeme aufbrechen, Hierarchieebenen abbauen und unter Einbeziehung der Mitarbeiter neu aufsetzen. Auf der jeweiligen Hierarchieebene ist festzulegen, wer über welchen Handlungsrahmen 44 verfügt.33) Wer also darf bis zu welchem Wert Bestellungen auslösen? Wer zeichnet Rechnungen frei? Wer prüft Überweisungen? Wer nimmt Aufträge entgegen etc.? Zusammen mit der Geschäftsleitung unter Einbeziehung des Betriebsrates sind diese Handlungsanweisungen verbindlich festzulegen. Dabei sind das Prinzip der Funktionstrennung und das Vier-Augen-System zugrunde zu legen. 2.7

Steuerung und Buchung des Zahlungsverkehrs

Gerade die vorbeschriebenen Themen zeigen, wie wichtig eine exakte Steuerung der 45 Buchhaltung und des Zahlungsverkehrs ist. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter ist darauf angewiesen, die Liquidität möglichst Tag genau zu erkennen. Störfaktoren sind durch raschen Soll-Ist-Abgleich der Planung rasch zu identifizieren. Schon ohne Insolvenz mit mehreren Tausend Buchungs- und Zahlungsvorgängen am Tag ist diese Aufgabe eine Herausforderung. Die Insolvenz eines Unternehmens kompliziert die Planung nochmals weiterhin. Der (vorläufige) Verwalter muss eigene Hinterlegungskonten einrichten, hinzu kommen Treuhandkonten. Kunden zahlen gleichwohl noch auf die Altkonten. Auch ist der (vorläufige) Verwalter zu seiner eigenen, insolvenzspezifischen Kassen- und Buchführung verpflichtet. Die Komplexität der Vorgehensweise erfordert eine enge Einbindung der schuldnerischen 46 Buchhaltung. Die Treuhand- und Hinterlegungskonten müssen in die Buchhaltung einbezogen werden. Sonst ist eine integrierte Liquiditätsplanung- und Kontrolle nicht möglich. Auch die Zahlungen von diesen Konten müssen von der schuldnerischen Buchhaltung und der dortigen EDV bzw. Software vorbereitet werden. Die involvierten Banken müssen in der Lage sein, den bisherigen elektronischen Zahlungsverkehr abzubilden. Ebenso sind die Belege zunächst im Unternehmen zu belassen. Gleichzeitig müssen Kontrollmechanismen eingerichtet werden. Die Zahlungen müssen 47 von dem (vorläufigen) Verwalter gegengezeichnet werden. Die Unternehmen haben mittels EDV Zahlungsvorschläge zu unterbreiten, die vorab von genau bestimmten Mitarbeitern bzw. der Geschäftsleitung des Unternehmens abgezeichnet und schließlich von der vorläufigen Verwaltung freigezeichnet werden. Das setzt gerade in der Anfangsphase eine tägliche Präsenz der Insolvenzverwaltung vor Ort voraus. Erst nach Zahlungsfreigabe durch die Insolvenzverwaltung darf die Bank, die wiederum über diese Vertretungsbefugnisse informiert sein muss, die Zahlung ausführen. Die angemessene Vorgehensweise ist sofort zu Beginn des Verfahrens abzustimmen. Das 48 schafft nur ein Projektteam, bestehend aus Mitarbeitern der schuldnerischen Buchhaltung, ggf. externen EDV-Experten sowie den eigenen Mitarbeitern des Insolvenzverwalters. Der Abbruch des Buchhaltungssystems ist zu vermeiden, ein besonderes kostenträchti- 49 ges und aufwändiges Unterfangen bei SAP-basierten Buchhaltungen. II.

Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren

Im vorläufigen Verfahren bestimmt sich das wesentliche Schicksal des gesamten Insol- 50 venzverfahrens. Setzt der vorläufige Insolvenzverwalter keine klaren Prioritäten, wird er scheitern. Es sind drei verschiedene Phasen zu unterscheiden: ___________ 33) Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 601 ff.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

1. Anfangsphase: Im Vordergrund stehen die Erfassung und Mehrung der Anfangsliquidität, die Prüfung der generellen Fortführungsfähigkeit sowie die wichtigsten Sofortmaßnahmen. 2. Stabilisierungsphase: Steht ausreichende Liquidität zur Verfügung, ist das Unternehmen zu stabilisieren. Vor allem durch Beseitigung von Zahlungssperren, Abstimmung mit Kunden und Lieferanten bzw. von Dauerschuldverhältnissen. 3. Vorbereitungsphase: Die weitere Fortführungsfähigkeit nach Eröffnung ist anhand der vorhandenen Liquidität bzw. deren Planung zu prüfen. Die Aussichten auf Sanierung des Unternehmens mittels Insolvenzplans oder in übertragender Sanierung sind vorzubereiten. Auf Basis dieser Analyse sind dann Vorbereitungen für die direkt nach Eröffnung notwendigen Sofortmaßnahmen zu treffen. 51 Dementsprechend sind streng Prioritäten zu setzen. Um die Kapazitäten nicht zu verzetteln, sollte in vollem Umfange erst zur nächsten Phase geschritten werden, wenn die Arbeiten in der vorherigen Phase erledigt sind. 52 Steht keine hinreichende Liquidität zur Verfügung, stellt sich schon gar nicht mehr die Frage nach einer weiteren Stabilisierung. 1.

Anfangsliquidität

53 Ohne freie Mittel gelingt keine Fortführung. Die Gewinnung freier liquider Mittel ist sogar noch vorrangig vor der Ermittlung der eigentlichen Ertragsfähigkeit das Kernproblem der (vorläufigen) Betriebsfortführung.34) 54 Bei dem System der Liquiditätsbeschaffung und Liquiditätssicherung sind drei Ebenen zu unterscheiden.35) x

x

x

Ebene: Mittelzufluss x

Einrichtung eines Anderkontos

x

Zahlungssperren

x

Vereinbarung vorfälliger Zahlungen/Vorkasse

x

Reduzierung des Umlaufvermögens

x

Verkauf nicht betriebsnotwendigen Vermögens

x

Widerruf von Lastschriften

x

Factoring

Ebene: Mittelabfluss x

Zahlungsziele mit Lieferanten

x

Absicherung der Lieferanten

x

Insolvenzgeld(vorfinanzierung)

x

Dauerschuldverhältnisse

Ebene: Massekredite und Massenbeiträge x

Unechte Massekredite

x

Echte Massekredite

x

Massebeiträge gesicherter Gläubiger

x Revolvierende Sicherheiten ___________ 34) Zu den Varianten vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 25 ff. 35) Nach Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 583.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

Der vorläufige Verwalter muss sich somit umgehend einen Überblick über die aktuellen 55 Kontenstände verschaffen und mit den Beteiligten die tatsächliche Verfügbarkeit der Mittel für die Fortführung klären. Sodann sind, je nach Unternehmen, in der Regel zumindest die in den oben aufgeführten Ebenen erwähnten Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Liquidität für die Fortführung zu erhalten. 2.

Identifizierung cash positiver und cash negativer Einheiten

Nicht nur in der Bauindustrie sind langfristige Projekte genauestens zu analysieren. Bei 56 der knappen Anfangsliquidität ist es regelmäßig nicht zu rechtfertigen, Geld zu versenken, indem cash negative Projekte fortgeführt werden. Entscheidend ist hierfür nicht die GuV-Planung, sondern welche Mittel aus einem derartigen Projekt tatsächlich der vorläufigen und endgültigen Insolvenzmasse zufließen. Das kann erhebliche Verschiebungen mit sich bringen. Auch wenn insgesamt möglicherweise ein Projekt über die gesamte Zeitdauer der Abwicklung zu einem positiven Ertrag führen kann, ergibt sich möglicherweise für die Zeit ab Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens nur noch ein negativer Deckungsbeitrag. Denn einzubeziehen sind bereits geleistete Anzahlungen sowie noch erforderliche Aufwendungen. Der Deckungsbeitrag für die Insolvenzmasse ist damit wie folgt zu ermitteln:

57

Auftragsvolumen insgesamt Abzüglich bereits erhaltener Anzahlungen = Noch zu erwartende Zahlungen für die Masse Abzüglich noch zu erbringender Aufwendungen = Deckungsbeitrag für die Masse

Ist der Deckungsbeitrag negativ, so ist eine Fortführung für die Masse kaum zu rechtfertigen. Schon der vorläufige Insolvenzverwalter hat daher Nachverhandlungen zu führen, um einen positiven Deckungsbeitrag zu erreichen. 3.

Einbeziehung der Kunden

Ohne Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen gelingt keine Fortführung. Der Kunde 58 ist aber zutiefst verunsichert. Auf der einen Seite will er keine weiteren Zahlungen verlieren. Auf der anderen Seite ist er aber auf den Warenbezug angewiesen, um nicht weit höhere Ausfälle in der eigenen Liefer- und Leistungskette zu erleiden. Soll eine Weiterbelieferung erreicht werden, wird der vorläufige Insolvenzverwalter nicht nur zeitnahe Zahlungen ggf. mit Skontoabzug fordern, sondern teilweise die Preise erhöhen und Zahlungsziele vorverlegen müssen. Eine solche Fortführungsvereinbarung wird der vorläufige/endgültige Insolvenzverwalter dann erreichen, wenn seine Planung transparent ist und bleibt. Feste Regeln gibt es für eine solche Vereinbarung nicht. Streitpunkte sind regelmäßig, ob auf Voll- oder Teilkostenbasis kalkuliert wird, ein möglicher Gewinnaufschlag sowie die Weitergabe von insolvenzbedingten Vorteilen (Insolvenzgeld). 4.

Veräußerung von Umlaufvermögen und nicht betriebsnotwendigen Vermögens

Freie Anfangsmasse kann weiterhin aus der Veräußerung von Überbeständen oder nicht 59 betriebsnotwendigem Anlagevermögen erlangt werden. Solche Maßnahmen sind zuvor mit den Sicherungsnehmern abzustimmen.36) Denn die eigentliche Verwertung des schuldnerischen Vermögens bleibt dem eröffneten Verfahren bzw. der Entscheidung der Gläubiger___________ 36) Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 62; Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 565.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

versammlung vorbehalten. Gerechtfertigt ist eine Veräußerung nur dann, wenn die Mittel für die Fortführung unabdingbar sind und für die Fortführung eingesetzt werden können.37) 60 Liegt in der Veräußerung eine Betriebsstilllegung, so bedarf der vorläufige Verwalter der Zustimmung des Gerichtes (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO).38) Die Einstellung eines Geschäftszweiges soll nicht darunter fallen.39) Die Stilllegung ist insbesondere dann erforderlich, wenn das Unternehmen bei Aufrechterhaltung große Verluste erwirtschaftet, wobei eine starre Prozentgrenze nicht angewandt wird.40) Geeigneter Prüfungsmaßstab ist, ob die Einstellung eines Betriebsteils bzw. die Veräußerung von Vermögensbestandteilen dazu führt, dass das Unternehmen des Schuldners in seiner Substanz in einem solchen Umfange beeinträchtigt wird, der zwangsläufig zur Stilllegung des Unternehmens führt.41) 5.

Insolvenzgeld

61 Ein besonderes Finanzierungsmittel stellt in Deutschland das sog. Insolvenzgeld dar. In einem Insolvenzverfahren sind die Löhne und Gehälter für bis zu drei Monate durch das Insolvenzgeld abgesichert. Dessen Vorfinanzierung soll schon im vorläufigen Insolvenzverfahren eine Auszahlung ermöglichen, um die Arbeitnehmer sozial abzusichern und damit weiterhin deren Mitarbeit zu erreichen. 5.1

Allgemeines

62 Gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer gegen die Bundesagentur für Arbeit Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Das Arbeitsverhältnis muss im Inland bestehen.42) Insolvenzgeld wird aber nach § 165 Abs. 1 Satz 3 SGB III auch bei einem ausländischen Insolvenzverfahren gewährt, wenn nur das Arbeitsverhältnis im Inland abgeschlossen ist. 63 Zu den weiteren Einzelheiten des Insolvenzgeldes wird § 14 (Dreschers) die allgemeinen Darlegungen in der Literatur verwiesen.43) Für die Betriebsfortführung von besonderer Relevanz ist die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes und die Vermeidung eines haftungsbegründeten Missbrauches für den vorläufigen Insolvenzverwalter. 5.2

Vorfinanzierung

64 Da der Anspruch auf Insolvenzgeld erst mit Verfahrenseröffnung entsteht, können die Arbeitnehmer bei ausstehenden Zahlungen ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung nach § 273 BGB geltend machen oder fristlos kündigen.44) Über einen Zeitraum von drei Monaten ist es den Arbeitnehmern kaum zuzumuten, mit ihren Arbeitsleistungen erst einmal in Vorlage zu treten. ___________ 37) Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 561. 38) Als Schließung angesehen von Schmerbach in: FK-InsO, § 22 Rz. 66, a. A. Schröder in: HambKommInsO, § 22 Rz. 64. 39) So Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 30. 40) So Schmerbach in: FK-InsO, § 22 Rz. 66 m. w. N. 41) Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, S. 73. 42) Vgl. hierzu Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Eisenbeis/Mues, Hdb. FAInsR, S. 689. 43) Vgl. die ausführlichen Darstellungen von Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Eisenbeis/Mues, Hdb. FAInsR, S. 668 ff. und Vallender/Undritz-Pelke, Praxis des Insolvenzrechts, S. 817 ff. 44) Vallender/Undritz-Pelke, Praxis des Insolvenzrechts, S. 820.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

Um eine Fortführung nicht schon im Keime zu ersticken, hat die Praxis die sog. Insol- 65 venzgeldvorfinanzierung entwickelt. Als Mittel der Finanzierung verkaufen und übertragen die Arbeitnehmer ihre Lohnforderungen verbunden mit dem Übergang des Anspruchs auf Insolvenzgeld an eine Bank, welche ihnen Zug-um-Zug gegen die Abtretung einen Betrag i. H. der Lohnforderung auszahlt. Entsteht dann mit Eröffnung oder Abweisung mangels Masse der Insolvenzgeldanspruch, erhält die Bank das Geld von der Bundesanstalt für Arbeit.45) Zivilrechtlich liegt damit der Verfügung des Arbeitnehmers über seine Ansprüche auf Arbeitsentgelt entweder ein Kaufvertrag (§§ 433, 437 BGB) oder ein Darlehensvertrag (§ 607 BGB) zugrunde. Zinsen werden in aller Regel nicht von den Arbeitnehmern getragen, sondern von dem Arbeitgeber bzw. dem für dessen Rechnung handelnden vorläufigen Insolvenzverwalter. 5.3

Vermeidung des Missbrauchs

Auf europäischer Ebene wurde das gesamte System des deutschen Insolvenzgeldes in 66 Frage gestellt, da es Wettbewerbsvorteile eröffnet. Soweit der EuGH aber mit Urteil vom 15.5.2003 – C-160/01 in der Rechtssache Karin Mau gegen Bundesanstalt für Arbeit festgestellt hatte,46) dass die nationale deutsche Regelung über den Insolvenzgeldzeitraum (damals § 183 Abs. 1 SGB III, seit 1.4.2012 § 165 Abs. 1 SGB III) nicht europarechtskonform sei, ist dies durch die Richtlinie 2002/74/EG vom 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu Gunsten des deutschen Systems geklärt. Nach deutschem Recht liegt in der Vorfinanzierung kein Missbrauch der Institution Insolvenzgeld. Denn damit ist die Bemühung um eine Sanierung oder Übertragung des Unternehmens, somit die Sicherung von Arbeitsplätzen beabsichtigt.47) Um Missbrauchsfällen vorzubeugen, muss die Arbeitsagentur der Übertragung oder Ver- 67 pfändung zustimmen. Gemäß § 170 Abs. 4 SGB III wird die Zustimmung an eine positive Prognoseentscheidung über den Erhalt von Arbeitsplätzen i. R. eines Sanierungsversuchs geknüpft. Nach § 170 Abs. 4 SGB III ist der Anspruch auf Insolvenzgeld also dann ausgeschlossen, wenn ein Gläubiger oder Pfandgläubiger die Arbeitsentgelte vor dem Insolvenzereignis gegen Abtretung (vertragliche Übertragung, § 398 BGB) oder Verpfändung (§§ 1273, 1274, 1279 BGB) der Entgeltansprüche ohne Zustimmung der Arbeitsagentur vorfinanziert.48) Die Arbeitsagentur kann die Vorfinanzierung zwar auch nach Abschluss der wesentlichen Vereinbarungen nachträglich genehmigen. Die Erklärung muss zur Wirksamkeit aber spätestens bei dem Insolvenzereignis vorliegen, also bei Eröffnung oder Ablehnung des Insolvenzverfahrens. Beurteilungsgrundlage für die Prognoseentscheidung der Bundesagentur sind die wirt- 68 schaftliche Lage des Schuldners und die Verhältnisse seines Unternehmens, wie sie sich im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zustimmung zur Vorfinanzierung darstellen bzw. zukünftig abzeichnen. Die wesentliche Mitwirkung obliegt dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Er muss glaubhaft machen, dass die Erhaltung eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze überwiegend wahrscheinlich ist. ___________ 45) 46) 47) 48)

Löwisch/Caspers in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 113 – 128 Rz. 36. EuGH, Urt. v. 15.5.2003 – Rs. C-160/01 (Mau), ZIP 2003, 1000. Löwisch/Caspers in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 113 – 128 Rz. 36. Vgl. DA Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit, Stand: 4/2012, abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07-Geldleistung/A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 20.6.2013).

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

69 Nach den Durchführungsbestimmungen der Bundesagentur (Stand: 4/2012) sind folgende Tatsachen erheblich: x

Erste Maßnahmen i. R. der Umsetzung eines konkreten Sanierungskonzepts (z. B. Konzept zur Rationalisierung, Umstrukturierung und Verminderung der Produktionskosten).

x

Angaben zur Fortführung des Geschäftsbetriebes mit dem Ziel der Veräußerung betrieblicher Einrichtungen.

x

Erarbeitung eines Sanierungsplans (unter Angabe der tragenden Eckpunkte).

x

Erarbeitung eines Unternehmensexposés.

x

Akquirierung von potentiellen Übernahmeinteressenten (mit Namensnennung).

x

Führung von Verhandlungen mit (konkreten) Interessenten/Absonderungsgläubigern.

x

Prüfung eines (konkreten) Übernahmeangebotes, das noch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht wird.

x

Vorbereitung eines Kauf- bzw. Übernahmevertrages.

x

Stellungnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit nachvollziehbar günstiger Prognose für die Fortführung des Unternehmens (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO).

x

Angaben zum Umfang der zu erhaltenden Arbeitsplätze im jeweiligen Betrieb.

70 Die Bundesagentur geht auf Basis dieser Angaben dann vom Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze aus, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen arbeitstechnischen Zwecks die betriebliche Funktion zumindest teilweise erhalten bleibt und der Arbeitsmarkt nicht nur unwesentlich begünstigt wird. In Orientierung an § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrVG bleibt ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze hiernach erhalten, soweit deren Umfang die Mindestgrenze i. H. von 10 % der bisherigen Arbeitsplätze erreicht oder überschreitet.49) In besonders gelagerten Fällen z. B. in strukturschwachen Gebieten reicht eine geringere Quote. 71 Dabei ist die Vorfinanzierung nicht nur auf die Arbeitnehmer beschränkt, deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen, sondern umfasst alle bestehenden Arbeitsverhältnisse. 72 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung und die damit zu klärenden Vorbedingungen dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Gerade der vorläufige Insolvenzverwalter wird in besonderer Weise gefordert, obschon er am kürzesten im Betrieb ist. Schon am ersten Tage verlangen nicht nur die Arbeitnehmerschaft, sondern auch alle anderen Beteiligten, dass er sich weit aus dem Fenster lehnt, und eine positive Fortführungsprognose zumindest für einen Teil der Arbeitsplätze abgibt, obwohl er sich erst in die Faktenlage einarbeiten muss. Das gilt vor allem dann, wenn die Sanierung im Betrieb noch nicht vorbereitet war, also noch gar kein Sanierungskonzept oder irgendwelche Verwertungsaktivitäten vorliegen. Die von der Bundesagentur als wesentlich erachteten Tatsachen können dann erst im Laufe des Insolvenzverfahrens erarbeitet werden. 73 Erwartet wird im Interesse der Arbeitnehmer sowie der Kunden und Lieferanten die Entscheidung über eine Vorfinanzierung aber schon in den ersten Tagen. Um sich nicht eines Regresses auszusetzen, muss der vorläufige Insolvenzverwalter sich daher so schnell als möglich auf Grundlage der oben unter Rz. 12 ff. erarbeiteten Planungsparameter (über ein Grob-) einem Feinkonzept nähern. Das verdeutlicht erneut, wie wichtig eine metho___________ 49) So die Durchführungsbestimmungen, kritisch zu diesen Schwellenwerten aber: Löwisch/Caspers in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 113 – 128 Rz. 37.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

dengerechte Liquidationsplanung ist: Ohne Planung der Betriebsfortführung auch keine Insolvenzgeldvorfinanzierung. Regelmäßig erkennt die Bundesagentur für Arbeit die Schwierigkeiten dieser Ausgangssituation für den vorläufigen Insolvenzverwalter. Es liegt an ihm, das notwendige Vertrauen in die Institution des vorläufigen Insolvenzverfahrens und seine Person zu erhalten, indem er möglicherweise auch negative Erkenntnisse umgehend der Bundesagentur mitteilt. 6.

Verwendung von Bankguthaben und weiteren Zahlungszuflüssen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens

Tritt der vorläufige Insolvenzverwalter sein Amt an, so ist es für ihn wesentlich, auf die 74 Bankkonten zugreifen zu können. Dasselbe gilt für weitere Zahlungszuflüsse aus bereits bei Antragsstellung bestehenden und während des Verfahrens neu begründeten Forderungen. Ohne schnellen Zugriff ist eine Fortführung des Unternehmens nicht möglich. Bei diesem Zugriff stößt er jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. 6.1

Ausgangslage

Soweit die laufenden Geschäftskonten als Kontokorrentkonten ausgestaltet sind, greifen 75 die gerichtlichen Verfügungsbeschränkungen in die bisherige Kontokorrentverbindung ein. Die Banken haben ein Saldo auf den Tag der Anordnung des Verfügungsverbotes zu ziehen.50) Rechtlich ist zwar umstritten, ob damit Ein- und Ausgänge automatisch zu verrechnen sind.51) Tatsächlich entsteht aber für den vorläufigen Insolvenzverwalter eine Zahlungssperre.52) Die Bank wird keine Verfügung des Schuldners mehr ausführen, insbesondere Auszahlungen vornehmen.53) Nicht nur auf den Bankkonten gehen weiterhin Zahlungen der Kunden ein. Soweit ein 76 Konto im Soll geführt wird, beruft sich die Bank auf ihr AGB-Pfandrecht (vgl. Nr. 14 AGB-Banken) und wird ebenfalls einer freien Auszahlung nicht zustimmen, sondern die Aufrechnung erklären. Auch die anderen Gläubiger werden sich auf bestehende Sicherungsrechte, Abtretungen, Pfändungen etc. berufen und dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Mittelverwendung untersagen. Zwar kann der endgültige Insolvenzverwalter diese Mittel im eröffneten Verfahren freibekommen, indem er sich auf die Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO beruft. Auch kommt Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO in Betracht.54) Zu diesem Zwecke wird der vorläufige Insolvenzverwalter unverzüglich – insbesondere die beteiligten Banken – über die Antragstellung unterrichten, um Gutgläubigkeit auszuschließen, wenn dies nicht zuvor schon der Schuldner veranlasst hat. Es fragt sich aber, in welchem Umfang bereits der vorläufige Insolvenzverwalter über die Bankguthaben und weiteren Zuflüsse verfügen kann. 6.2

Verwertungssperren und Ermächtigung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO

Häufig untersagen gesicherte Gläubiger – nach Kenntnis vom Antrag – dem Schuldner 77 über die, der Sicherung unterliegenden, Gegenstände zu verfügen. Der vorläufige Verwal___________ 50) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 338 f. 51) Für die Unwirksamkeit: Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 52; dagegen: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 469. 52) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 338. 53) Obermüller, ZInsO 2010, 13. 54) Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 348 f.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

ter kann hiergegen vorgehen und einen Antrag auf Ermächtigung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO stellen. 78 Nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO kann das Insolvenzgericht anordnen, dass Gegenstände, die im Falle des Eröffnungsverfahrens von § 166 InsO erfasst werden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können. Bei zur Sicherheit abgetretenen Forderungen gelten die §§ 170, 171 InsO entsprechend. Kann der vorläufige Insolvenzverwalter also eine solche Ermächtigung dazu nutzen, später im Insolvenzverfahren freiwerdende Mittel schon während des vorläufigen Insolvenzverfahrens zu verwenden und zu verbrauchen? 79 Eine solche Verwendungsmöglichkeit wird teilweise vertreten.55) Insbesondere nach dem Urteil des BGH vom 21.1.201056) ist diese Verwendungsmöglichkeit jedoch ausgeschlossen. Denn die endgültige Anerkennung des Absonderungsrechts obliegt dem endgütigen Insolvenzverwalter, so dass der Anspruch auf Herausgabe erst durch ihn zu klären ist.57) Ein Verbrauch des Erlöses ist dem vorläufigen Verwalter dagegen nicht gestattet.58) Auch unter Geltung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO wird daher angenommen, dass eine entsprechende Verwendungsmöglichkeit nicht besteht.59) Denn durch das Einziehungsverbot soll verhindert werden, dass Sicherungsgläubiger Fakten schaffen, bevor der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die Möglichkeit hatte, die Wirksamkeit der Sicherungsabtretung zu prüfen.60) Daran kann auch die spätere mögliche Anfechtbarkeit nichts ändern. Zum einen liegt es nicht im Ermessen des Insolvenzgerichts, i. R. seiner Ermächtigung nach § 21 Abs. 2, Satz 1 Nr. 5 InsO, materiell bindende Entscheidungen zu treffen. Das obliegt ausschließlich der streitigen Gerichtsbarkeit. Zum anderen soll ja gerade durch die Sicherstellung gewährleistet werden, dass die Anfechtung später durchgesetzt werden kann. Die Anfechtung setzt darüber hinaus die Eröffnung des Verfahrens voraus. Dem widerspricht es, schon im vorläufigen Verfahren endgültige Fakten zu schaffen. 80 Daher ist es unumgänglich, um wenigstens eine eingeschränkte Verfügbarkeit über eingehende, möglicherweise Absonderungsrechten unterliegende Forderungen zu erhalten, verbindliche Verträge mit dem Sicherungsgläubiger unter Einbeziehung des späteren Insolvenzschuldners zu treffen. 7.

Lastschriftenwiderruf

81 Erhebliche Mittel für die Fortführung konnten bisher im vorläufigen Insolvenzverfahren aus dem Widerruf von vor Insolvenzantragstellung ausgeführten Lastschriften erlangt werden. Dabei bewegte sich der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund der unterschiedlichen Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats jedoch in einem Minenfeld. Wäh-

___________ 55) 56) 57) 58) 59) 60)

206

S. hierzu Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 107. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339 ff. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 – 744 = NZI 2010, 339. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 – 744 = NZI 2010, 339. So jetzt auch Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j, § 22 Rz. 51, 54. Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69h.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

rend der IX. Zivilsenat die Zulässigkeit des Widerrufes bejahte, lehnte der XI. Zivilsenat diese Vorgehensweise ab.61) 7.1

Aufhebung der strittigen Rechtsprechung

Diese Differenzen haben die beiden Senate ausgeräumt. Zwischen dem IX. und dem 82 XI. Senat fanden Klärungsgespräche statt. Als Ergebnis dieser Gespräche haben beide Senate in zwei am 20.7.2010 verkündeten Urteilen, die jeweils der andere Senat mittrug, einheitliche Rechtsgrundsätze zur Insolvenzfestigkeit einer mittels Einzugsermächtigungslastschrift bewirkten Zahlung entwickelt. Der Kreditwirtschaft steht es aufgrund der Neufassung des Zahlungsverkehrsrechts zum 83 31.10.2009 frei, durch eine dem europaeinheitlichen SEPA-Lastschriftverfahren (Single Euro Payments Area) nachgebildete Ausgestaltung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen künftig die Insolvenzfestigkeit aller mittels Einzugsermächtigungslastschrift bewirkten Zahlungen herbeizuführen. Bis dahin kommt unter bestimmten Umständen eine konkludente Genehmigung der Lastschrift durch den Schuldner in Betracht, die diese insolvenzfest macht.62) Im SEPA-Lastschriftverfahren ist die Forderung des Gläubigers bereits mit vorbehaltloser Gutschrift des Zahlbetrags auf seinem Konto erfüllt. Hat die Gutschrift bis zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners Bestand, ist der Lastschriftgläubiger von vorneherein kein Insolvenzgläubiger. Da die Banken und Sparkassen dem Vernehmen nach nicht beabsichtigen, das herkömmliche Einzugsermächtigungsverfahren wiederum aus Gründen der Akzeptanz dem SEPA-Lastschriftverfahren anzupassen, wird diese Rechtsprechung voraussichtlich auch künftig maßgeblich bleiben. Zwischenzeitlich hat der BGH seine Rechtsprechung zur konkludenten Genehmigung 84 von Lastschriften einer ganzen Reihe von Entscheidungen weiter präzisiert. Danach kann von folgenden Grundsätzen ausgegangen werden: Jedenfalls im unternehmerischen Geschäftsverkehr kann bei regelmäßigen Lastschriften, 85 denen der Schuldner bislang nicht widersprochen hat, bei einem neuen, in der Höhe nicht wesentlich abweichenden Lastschrifteinzug – nach einer angemessenen Überlegungsfrist – bei der kontoführenden Bank die berechtigte Erwartung entstehen, auch diese Belastungsbuchung solle Bestand haben. Von einer konkludenten Genehmigung in einer angemessenen Überlegungsfrist ist auszugehen, wenn den Lastschriftbuchungen ausschließlich Forderungen aus laufender Geschäftsbeziehung zugrunde liegen und der Schuldner wiederholten, erheblichen Kontobelastungen hieraus niemals zuvor widersprochen hat. Das gilt insbesondere für den Einzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerforderungen sowie Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen.

___________ 61) So führte der IX. Zivilsenat des BGH (BGH, Urt. v. 4.11.2004 – IX ZR 22/03, ZIP 2004, 2442) aus: „Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist berechtigt, die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern, auch wenn sachliche Einwendungen gegen die eingezogene Forderung nicht erhoben werden“. Dem hingegen entschied der XI. Zivilsenat (BGH, Urt. v. 10.6.2008 – XI ZR 283/07, ZIP 2008, 1977): „Dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter stehen innerhalb von Vertragsverhältnissen nicht mehr und keine anderen Rechte zu als dem Schuldner. Er darf deshalb keine Handlungen vornehmen, durch die der Schuldner eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB begehen würde. Durch die Beantragung eines Insolvenzverfahrens wird sittenwidriges nicht plötzlich zu anständigem Verhalten.“ 62) BGH, Urt. v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, ZIP 2010, 1556; BGH, Urt. v. 20.7.2010 – IX ZR 37/09, ZIP 2010, 1552.

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§9 7.2

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Widerrufsfrist

86 Die bis dahin offengebliebene Frage, welcher Zeitraum als „angemessene Überlegungsfrist“ gilt, hat der BGH in einer Entscheidung vom 1.12.201163) jedenfalls für Sozialversicherungsbeiträge näher bestimmt. Für unternehmerisch tätige Schuldner gilt danach für den Widerspruch von Lastschriften, die typischerweise auf einer von ihnen selbst abgefassten sozialversicherungsrechtlichen Anmeldung beruhen, eine Überlegungsfrist von allenfalls vierzehn Tagen. Ein solcher typischer Vorgang wird für die Schuldnerbank durch die Person des Gläubigers, die Spanne der Einziehungsbeträge und die regelmäßig wiederkehrenden Einziehungstermine erkennbar. Lässt der Schuldner diese Frist in Kenntnis der Abbuchung verstreichen, kann die Bank davon ausgehen, dass Einwendungen nicht mehr erhoben werden sollen. 87 Für monatlich wiederkehrende, im Wesentlichen gleich hohe Lastschriftabbuchungen vom Konto eines Verbrauchers hatte der BGH zuvor bereits durch Urteil vom 3.5.201164) entschieden, die Bank könne wegen der mindestens zwei Monate zurückliegenden Abbuchung in der Regel spätestens dann davon ausgehen, dass keine Einwendungen gegen eine Lastschrift mehr erhoben werden, wenn ihr bereits zwei Folgeabbuchungen mitgeteilt wurden. 88 Für den vorläufigen Verwalter bedeutet dies, die Konten umgehend bzw. turnusmäßig auf zu widerrufende Lastschriften zu überprüfen. Ein Widerruf erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann somit deutlich zu spät sein. 8.

Steuerliche Belastungen im vorläufigen Verfahren in der Liquiditätsplanung

89 Grundsätzlich hat zumindest der „schwache“ vorläufige Verwalter während des vorläufigen Verfahrens noch keine steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Denn § 155 InsO gilt weder für den „schwachen“ noch für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter.65) Dennoch sind i. R. der Liquiditätsplanung verschiedenste steuerrechtliche Fragestellungen zu berücksichtigen. 8.1

Factoring

90 Schon außerhalb der Insolvenz bietet das Factoring erhebliche Liquiditätsvorteile. Der Factor kauft die Forderungen bei gleichzeitiger Globalzession dieser Forderungen. Die hieraus erlangten Mittel, abzüglich einer Gebühr, zahlt er an das Unternehmen, ohne dass der Anschlusskunde auf den Ablauf der Zahlungsziele warten muss. Die Kunden zahlen dann später auf ein Sperrkonto, welches zugunsten des Factors verpfändet ist.66) Im vorläufigen Verfahren zahlen die Kunden regelmäßig auf dieses Konto weiter. Die Eingänge aus der verkauften Forderungen unterliegen der Zession zugunsten des Kunden. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist erst recht auf dieses Factoring angewiesen. Gerade bei längerfristigen Zahlungszielen, wie z. B. bei Ratenzahlungen, kann er ohne Factoring die bestehenden laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht zeitnah erfüllen. 91 Zwar gilt das Factoring grundsätzlich als Austausch gleichwertiger Leistungen, so dass der Factor durch den Ankauf von Forderungen nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung grundsätzlich keine Anfechtung befürchten muss.67) Kompliziert werden ___________ 63) 64) 65) 66) 67)

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BGH, Urt. v. 1.12.2011 – IX ZR 58/11, ZIP 2012, 167. BGH, Urt. v. 3.5.2011 – XI ZR 152/09, ZIP 2011, 1252. So Uhlenbruck-Maus, InsO, § 155 Rz. 9 m. w. N. Zur Funktionsweise vgl. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 7.70 ff. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 7.77.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

die Verhandlungen mit der Factoringgesellschaft jedoch regelmäßig durch die Höhe der zu vereinbarenden Sicherungsabschläge. Neben der Höhe des möglichen Forderungsausfalls wird mit der Factoringgesellschaft auch im Verhandlungswege zu klären sein, in welchem Umfange Sicherungsabschläge für in den Forderungen enthaltene Umsatzsteuern zu machen sind. Denn es kommt eine Haftung nach § 13c UStG in Betracht. Ob § 13c UStG für Factoring und Forfaitierungen gilt, ist nach wie vor streitig. Teilweise wird vertreten § 13c UStG sei für das echte Factoring oder die echte Forfaitierung im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend zu interpretieren. Denn der abtretende Unternehmer habe in entsprechendem Umfang die Liquidität zur Entrichtung der anteiligen Umsatzsteuer durch den Forderungsverkauf erhalten, so dass im Ergebnis die Finanzverwaltung doppelt abgesichert sei.68) Bei unechtem Factoring oder unechter Forfaitierung fehle es schon an dem wirtschaftlichen Eigentum, da die Factoringgesellschaft die Forderungen für eigene Rechnung einziehen.69) Andere Stimmen lehnen jedoch eine solche Reduktion ab. Der Gesetzesbegründung sei ausdrücklich zu entnehmen, dass auch der Abtretungsempfänger im Falle echten Factorings hafte.70) Da sich die Finanzverwaltung in der Zwischenzeit der Auffassung angeschlossen hat, in 92 Fällen des Forderungsverkaufs gelte die Forderung als nicht durch den Abtretungsempfänger als vereinnahmt (vgl. zu § 13c UStG (27) UStAE), ergibt sich für die Liquiditätsplanung jedoch keine praktische Relevanz mehr. Beim unechten Factoring oder unechter Forfaitierung fehlt es schon an der wirtschaftlichen Übertragung der Forderung.71) In den Vereinbarungen mit der Factoringgesellschaft gilt es von Seiten des vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalters daher vor allem zu besorgen, spätere Anfechtungstatbestände auszuschließen.72) Um sichere Liquiditätszuflüsse einplanen zu können, muss in der Rechnungslegung weiterhin eine Vorgehensweise festgelegt werden, welche Forderungen und welche Forderungen nicht dem Factoring unterliegen, um Überschüsse auf dem Konto der Factoringgesellschaft zeitnah erhalten zu können. 8.2

Globalzession

Bei der Globalzession ergeben sich aus der Haftung gemäß § 13c UStG in der prakti- 93 schen Umsetzung und Planung der Betriebsfortführung erhebliche Probleme. Schon der vorläufige Insolvenzverwalter will mit dem Abtretungsempfänger eine Einzugsvereinbarung treffen, die ihm wiederum nach § 13c UStG zur Auskehrung der Umsatzsteuer verpflichtet ist (siehe hierzu § 13c Punkt 1 (28) UStAE). Soweit die Bank Forderungen eingezogen hat, ist er darauf angewiesen, den Sicherungsbetrag übersteigende Überschüsse zur Masse ziehen zu können. Die Bank wird ihm jedoch entgegenhalten, dass sie bis zur endgültigen Klärung der möglichen Haftung nicht 100 % der Forderungen, sondern 119 % der Forderungen einbehalten müsse, um gegenüber der Finanzverwaltung abgesichert zu sein. Jahrelangen Verzögerungen kann damit nur durch ein auch mit der Finanzverwaltung abgestimmtes Rechnungswerk begegnet werden, welchem die einzelne Forderung nicht nur exakt der jeweiligen Voranmeldung, sondern auch der Zahlung zugeordnet werden. Die Komplexität einer derartigen Abrechnung erschwert die Planung der Fortführung und reduziert die hierfür zur Verfügung stehenden Gelder erheblich. ___________ 68) 69) 70) 71) 72)

So Rau/Dürrwächter-Stadie, UStG, § 13c Rz. 20 m. w. N. So Rau/Dürrwächter-Stadie, UStG, § 13c Rz. 22. Bunjes-Leonard, UStG, 11. Aufl., § 13c Rz. 3, 18. Rau/Dürrwächter-Stadie, UStG, § 13c Rz. 22. S. hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 7.77; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 142 Rz. 11.

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§9 8.3

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung § 55 Abs. 4 InsO und Haftung nach §§ 60, 61 InsO

94 Die sich aus § 55 Abs. 4 InsO ergebenden steuerlichen Fragestellungen, insbesondere unter Einbeziehung der sich aus den Urteilen des BFH vom 29.1.2009 und vom 9.12.201073) für den Einzug begründeter Altforderungen vor Insolvenzantragstellung, sind nicht Thema dieser Darlegungen.74) Als Masseverbindlichkeiten im eröffneten Verfahren sind danach nicht nur Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuern, sondern aus allen während des vorläufigen Verfahrens verwirkten Steueransprüchen zu berücksichtigen. 95 Für den vorläufigen Insolvenzverwalter stellt sich i. R. seiner Liquiditätsplanung aber die Frage, ob er schon während des vorläufigen Verfahrens Rückstellungen oder Rücklagen ggf. auf einem Treuhandkonto zu bilden hat, um sich nicht später nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit einer Haftung nach §§ 60, 61 InsO auszusetzen. Auch insoweit betritt der vorläufige Insolvenzverwalter Neuland. Wenn dieses Problem überhaupt gesehen wird, sind die vertretenden Auffassungen unterschiedlich. Die wohl überwiegende Meinung lehnt eine Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechend §§ 60, 61 InsO ab. Insbesondere § 61 InsO gelte nur zugunsten solcher Massegläubiger, die für ihren Anspruch eine Gegenleistung erhalten.75) Andere Meinungen erachten eine derartige Haftung für durchaus möglich.76) Zur Haftungsvorbeugung wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter daher die Einrichtung eines Treuhandkontos empfohlen.77) 96 Schon dem Grunde nach ist eine solche Fürsorgepflicht jedoch ausgeschlossen. Zum einen ergibt sich keine Haftung für aufgezwungene Masseverbindlichkeiten.78) Weiterhin ergibt sich die Pflicht zur Abführung der Umsatzsteuer erst im eröffneten Insolvenzverfahren, also erst für den endgültigen Insolvenzverwalter. Schon mangels eigener Pflichtenstellung ist für den vorläufigen Insolvenzverwalter daher eine Haftung ausgeschlossen. Genauso wenig wie von dem Schuldner, kann von dem vorläufigen Insolvenzverwalter verlangt werden, für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Schließlich aber dürfte es an dem Verschulden fehlen. Rechtlich sind vorläufiges und endgültiges Insolvenzverfahren völlig selbstständig, wenn auch häufig dieselbe Person bestellt wird. Nur für den jeweils eigenen Pflichtenkreis kann die Liquidität geplant werden. 9.

Fortführung der Dauerschuldverhältnisse und Verträge

97 Das Gebot der Planungssicherheit erfordert, dass Antragsteller und vorläufiger Insolvenzverwalter weiterhin auf die Fortgeltung geschlossener Verträge vertrauen dürfen. Die Gestaltungsrechte nach §§ 103 ff. InsO stehen dem vorläufigen Insolvenzverwalter noch nicht zu, so dass auch Aufforderungen sich zu erklären, folgenlos sind.79) Andererseits will der vorläufige Insolvenzverwalter nicht vor vollendete Fakten gestellt werden, indem er rechtswirksam gekündigt oder automatisch ausgeschlossen wird. ___________ 73) BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977 und BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. 74) S. hierzu zuletzt Jaffé/Friedrich-Vache, MwStR, 2013, 75 – 80; BMF-Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10001, BStBl. I 2011, 1273; BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, BStBl. I 2012, 120. 75) S. hierzu Brandes in: MünchKomm-InsO, §§ 60, 61 Rz. 34; Uhländer, AO-StB 2011, 84, 87. 76) S. hierzu Nawroth, ZInsO 2011, 107, 108, 109; Wimmer, jurisPr-InsR 23/2010, Anm. 1, Rz. 2a. 77) Nawroth, ZInsO 2011, 107, 109. 78) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 61 Rz. 6. 79) BGH, Urt. v. 8.11.2007 – IX ZR 53/04, ZIP 2007, 2322 – 2323.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung 9.1

§9

Insolvenzbedingte Lösungsklauseln

Jegliche Planung ist unmöglich, wenn es die Vertragspartner allein auf Grund des Insol- 98 venzantrages in der Hand haben, sich von bestehenden Verträgen zu lösen. Trotz Einführung des § 119 InsO war bis vor kurzem zumindest höchst richterlich weitestgehend ungeklärt, inwieweit solche Lösungsklauseln insolvenzrechtlich zulässig sind. Klarheit hat das Urteil des BGH vom 15.11.201280) gebracht. Der BGH hat der Auffassung, solchen Klauseln stünde § 119 InsO nicht entgegen, da diese Klauseln den Bestand des Vertrages betreffen, nicht aber dessen Abwicklung i. S. der Bestimmungen der §§ 103 – 118 InsO,81) eine klare Absage erteilt. Vertragliche Lösungsklauseln für den Fall der Insolvenzantragstellung widersprechen danach eindeutig den Zielsetzungen des § 103 InsO.82) Unbenommen bleibt die Kündigung oder Auflösung jedoch dann, wenn andere gesetzliche Lösungsmöglichkeiten gegeben sind. Fraglich ist, auf welche Verträge dieses Urteil anzuwenden ist. Gegenstand des Urteils war 99 ein Energielieferungsvertrag. Ausdrücklich erwähnt wird darüber hinaus auch die fortlaufende Lieferung von Waren.83) Da ausdrücklich sämtliche Beendigungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden sollen, 100 dürften insolvenzabhängige Lösungsklauseln in solchen Verträgen, die mit der Eröffnung ohnehin beendet werden, bei denen also gemäß Gesetz für den Fall der Insolvenz schon eine Lösungsmöglichkeit besteht (etwa Verträge der Finanzdienstleistungen gemäß § 104 InsO, aber auch Gesellschaften gemäß § 736 BGB) nicht unwirksam sein.84) Der in dem Urteil des BGH zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, eine Vereitelung der späteren Ausübung der Wahlrechte nach §§ 103 ff. InsO auszuschließen, ist weit auszulegen, so dass generell die wesentlichsten Dauerschuldverhältnisse einzubeziehen sein dürften.85) Dennoch wird bei jedem einzelnen Vertragstyp zu klären sein, ob die Ausgangsfeststellungen des BGH zutreffen. Auf Lizenzverträge86) und Softwareverträge87) dürfte der Rechtsgedanke des § 119 InsO in gleicher Weise anwendbar sein.88) Allgemein dürften alle Verträge umfasst sein, auf die die §§ 103 ff. InsO anwendbar sind. 9.2

Lösungsklausel für den Fall der Vermögensverschlechterung

Regelmäßig findet sich in den Verträgen nicht nur für den Fall der Insolvenzantrag- 101 stellung eine Lösungsklausel, sondern für den Fall der Vermögensverschlechterung, z. B. in den AGB-Banken. Für solche Verträge wird weiterhin erwogen, deren Wirksamkeit anzunehmen.89) Jede Insolvenzantragstellung basiert auf einer erheblichen Verschlechterung der Vermö- 102 gensverhältnisse. Ließe man einen auf Vermögensverschlechterung bestehenden Lösungs___________ 80) BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274 – 277. 81) S. hierzu mit ausführlichen Belegnachweisen BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 275. 82) BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276. 83) BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276; zur allgemeinen Anwendbarkeit s. Huber, ZIP 2013, 493 ff.; Obermüller, ZInsO 2013, 476, 477. 84) So Obermüller, ZInsO 2013, 476, 477. 85) Einschränkend von Huber in ZIP 2013, 493, 498, der eine über den konkreten Einzelfall hinaus gültige „Generallösung“ ablehnt. 86) Nerlich/Kreplin-Commandeur, Insolvenz und Sanierung, S. 1195. 87) Nerlich/Kreplin-Schaumann, Insolvenz und Sanierung, S. 1215. 88) Nerlich/Kreplin-Commandeur, Insolvenz und Sanierung, S. 1195; Nerlich/Kreplin-Schaumann, Insolvenz und Sanierung, S. 1215. 89) Huber, ZIP 2013, 493 ff. und Obermüller, ZInsO 2013, 476, 477.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

grund daher bestehen, so liefe jede Einschränkung der insolvenzbedingten Lösungsklauseln gemäß § 119 InsO in das Leere. Es käme zu dem gleichen sanierungsfeindlichen Ergebnis wie bei einer auf die Zahlungseinstellung oder den Insolvenzantrag gestützte Klausel. Das Wahlrecht würde dem endgültigen Insolvenzverwalter bei einer Anerkennung dieses Kündigungsrechtes genommen, die Fortführung zu Going-concern Werten sowohl im vorläufigen als auch im endgültigen Verfahren unmöglich gemacht. Die Ausgangserwägungen des BGH gelten daher für diesen Sonderkündigungsgrund wegen Vermögensverschlechterung in gleicher Weise, so dass sie ebenfalls unwirksam sein müssen.90) 103 Strittig ist die Wirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln bei Bauverträgen nach der VOB/B schon lange.91) Für Bauinsolvenzen galt die insolvenzbedingte Lösungsklausel bislang nicht als Verstoß gegen § 119 InsO.92) Ein Festhalten am Vertrag und die Verhinderung einer insolvenzbedingten Kündigung wären kritisch, da dem Auftraggeber dann hohe Mehrkosten drohten.93) Aus den vorgenannten Gründen sollte aber auch eine auf Zahlungseinstellung, Insolvenzantrag oder Vermögensverschlechterung nach Antragstellung bzw. Bestellung eines vorläufigen Verwalters oder Sachwalters gestützte Kündigung hier ebenso als unwirksam erachtet werden. Bauinsolvenzverfahren verdeutlichen die wirtschaftliche Dimension. Die große Zahl der auf diese VOB/B-Klausel gestützten erfolgreichen Kündigungen der Auftraggeber ist einer der wesentlichen Gründe, warum eine Fortführung in diesen Verfahren kaum oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen war. Dasselbe gilt für die Beendigung von Arbeitsgemeinschaften, sog. BauARGEN. 104 Daher ist es i. S. der Erleichterung von Sanierungen, die das ESUG fördern will, wenn ausgehend von der oben zitierten BGH-Rechtsprechung dem sanierungserhaltenden Gehalt des § 119 InsO weiter Raum geschaffen wird. Davon profitieren letztlich alle Seiten, da damit der Going-concern-Wert eines Unternehmens besser geschützt wird. 10.

Absicherung eingegangener Verpflichtungen aus dem vorläufigen Insolvenzverfahren

105 Jede weitere Fortführung im vorläufigen Insolvenzverfahren basiert auf der Weiterbelieferung durch Lieferanten und Versorger. Da das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet ist, geht jeder Vertragspartner bei einfacher Weiterbelieferung ohne rechtliche Absicherung das Risiko ein, bei Gewährung eines Zahlungszieles im eröffneten Insolvenzverfahren auf einmal einfacher Insolvenzgläubiger im Range des § 38 InsO zu sein. Der endgültige Insolvenzverwalter darf nicht mehr zahlen. Nur bei Bestellung eines „starken“ vorläufigen Verwalters wären ausgeführte Bestellungen oder entgegengenommene Leistungen automatisch Masseverbindlichkeiten, so dass die Lieferanten in der Regel gesichert sind.94) 106 Regelmäßig werden jedoch nach wie vor vorläufige Verwalter mit einfachem Zustimmungsvorbehalt bestellt, so dass es entsprechender Einzelregelungen bedarf.

___________ 90) Vgl. Huber, der die Berufung auf diese Lösungsklausel nach Antragstellung auch für bedenklich hält: Huber, ZIP 2013, 493, 499; a. A. Obermüller, ZInsO 2013, 476, 477. 91) Huber, ZIP 2013, 493, 497 f.; ausführlicher zur VOB/B in der Insolvenz: Nerlich/Kreplin-Forcher, Insolvenz und Sanierung, S. 1166 ff. 92) So zuletzt etwa OLG Schleswig, Urt. v. 9.12.2011 – 1 U 72/11, NJW 2012, 1967 m. w. N. zum Streitstand. 93) Huber, ZIP 2013, 493, 497 f. 94) Bork, ZIP 2003, 1421, 1422.

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10.1 Einfache individuelle Zusagen des vorläufigen Verwalters Eine schlichte Mitzeichnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist unbeachtlich. Hierin 107 wird lediglich seine Zustimmung zu der Bestellung dokumentiert. Rechtliche Verbindlichkeit im eröffneten Insolvenzverfahren wird hierdurch nicht begründet. Eine Zusage, die Forderung werde im eröffneten Verfahren beglichen, kann für den „schwa- 108 chen“ vorläufigen Insolvenzverwalter höchstens eine persönliche Haftung auslösen, wenn hierin aus dem Inhalt und den Umständen eine persönliche Garantie geschlossen werden kann. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründete Verbindlichkeiten bleiben trotz einer solchen Zusage nach wie vor Insolvenzforderungen, die nach Eröffnung nur zu einer quotalen Befriedigung im Range des § 38 InsO berechtigt, nicht aber zur vollen Zahlung aus der Masse.95) 10.2 Individuelle Ermächtigung durch das Insolvenzgericht zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten Wesentlich mehr gefordert ist das Insolvenzgericht, wenn der vorläufige Insolvenzver- 109 walter durch Beschluss ermächtigt werden soll, einzelne Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten einzugehen und auszugleichen. Inhaltlich umfasst dieser Beschluss nicht die Berechtigung zum Ausgleich bereits eingegangener Verbindlichkeiten, sondern erst eine solche Verbindlichkeit zu begründen. Es genügt damit nicht, am letzten Tag des vorläufigen Verfahrens eine solche Anordnung zu treffen. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat vielmehr frühzeitig entsprechende Vorsorge zu treffen, bevor er die zugrundeliegende Verbindlichkeit eingeht. Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Insolvenzverwalter (mit Zustimmungsvorbe- 110 halt) auch ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 22 Abs. 1 InsO dazu ermächtigen, einzelne, im Voraus festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, soweit das für eine erfolgreiche Verwaltung notwendig ist.96) Die Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt können bis zur Grenze eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters ausgedehnt werden.97) Eine pauschale Ermächtigung ist jedoch nicht zulässig. Das Insolvenzgericht muss im Einzelnen genau festlegen, mit welchen Befugnissen der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ausgestattet ist. Dem wird das Insolvenzgericht am besten gerecht, wenn es die Vertragsparteien, mit denen Masseverbindlichen begründet werden sollen, exakt bezeichnet.98) Die Insolvenzgerichte verlangen darüber hinausgehend häufig, dass der vorläufige Insol- 111 venzverwalter im Einzelnen darzulegen hat, in welcher Weise er die einzugehenden Verbindlichkeiten im eröffneten Verfahren tatsächlich erfüllen kann. Es fragt sich allerdings, welche Bedeutung diesem Verlangen zuzumessen ist. Auch der vorläufige Insolvenzverwalters haftet entsprechend §§ 60, 61 InsO, wenn er nicht auf Grundlage einer exakten Liquiditätsplanung darlegen kann, die späteren Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der Begründung auch ausgleichen zu können. Will das Insolvenzgericht etwa materiell prüfen, ob eine solche Liquiditätsplanung zutreffend ist, um sich damit in Eigenhaftung zu begeben? Insgesamt ist dieses Verfahren aber nicht nur in größeren Verfahren völlig unprakti- 112 kabel. Welche Verbindlichkeiten im Einzelnen neu begründet werden oder auf Grundlage welcher Verträge Leistungen weiter genutzt werden, ist gerade bei der Hektik in einem ___________ 95) 96) 97) 98)

Bork, ZIP 2003, 1421, 1423. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1629. Bork, ZIP 2003, 1421, 1423.

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vorläufigen Insolvenzverfahren äußerst schwer im Vorhinein zu erkennen und zu planen. Weiterhin ergibt sich erst kurz vor Ende eines vorläufigen Insolvenzverfahrens, welche Leistungen tatsächlich in Anspruch zu nehmen sein werden oder noch schlimmer, schon in Anspruch genommen worden sind. Wird aber eine genaue Bezeichnung, möglichst mit Angabe der Rechnungsnummer und exaktem Betrag, verlangt, welche Verbindlichkeiten begründet und zu erfüllen sein werden, so fehlt es außerdem an der Möglichkeit einer Reservebildung. Es ergibt sich immer ein Bodensatz, der auch bei bestmöglicher Planung gar nicht ermittelt werden kann. Daher ist dieses Modell theoretisch zwar in sich schlüssig, praktisch aber in großen Verfahren nicht zu handhaben. 10.3 Treuhandmodelle 113 Ebenfalls zur Absicherung der Gläubiger bieten sich sog. Treuhandmodelle an. Unter Einschaltung eines Treuhänders soll gewährleistet werden, dass die Lieferanten nach Insolvenzeröffnung weiterhin volle Zahlung erlangen können. 114 Dabei wird oft im Wege der „Doppel-Treuhand“ zwischen der Schuldnerin unter Zustimmung des vorläufigen Verwalters mit einem Treuhänder ein Treuhandvertrag geschlossen, nach dessen Inhalt der Treuhänder für und zugunsten derjenigen Gläubiger, die Leistungen im Eröffnungsverfahren erbringen, Gelder zu deren Befriedigung für diese Leistungen erhält und diese Gelder dann später (nach Verfahrenseröffnung), wenn sie eingegangen sind, an die Gläubiger auszahlt. Das Konto kann dabei aus Direktzahlungen der Kunden, die zur Zahlung hierauf angewiesen wurden, vor und nach Eröffnung gespeist werden. Auch werden Gelder aus den (Hinterlegungs-)konten vor der Eröffnung auf diese Konten umgebucht, damit sie mit Eröffnung nicht automatisch in die Masse fallen. Rechtlich gesehen muss die Treuhandabrede letztlich wirksam so ausgestaltet sein, dass der geschützte Lieferant an dem zur Sicherung seines Anspruches vorgesehenen Teil des Treugutes einen Aussonderungsanspruch hat.99) 115 Gegen diese eigentlich schon etablierten und bewährten Modelle werden jedoch Einwände erhoben.100) Der vorläufige Verwalter, der selbst als Treuhänder fungiere, verstoße gegen § 181 BGB. Die Treuhandabrede könne damit ebenfalls unwirksam sein. Das Insolvenzgericht könne aber der Anlegung eines Kontos auf den Namen des vorläufigen Verwalters als Treuhänder zugunsten enumerativ aufgeführter Gläubiger gemäß § 181 BGB in Ausnahmefällen durch Beschluss zustimmen.101) 116 In der Praxis stößt dieses Modell aber auf dieselben Bedenken und Schwierigkeiten wie die Einzelermächtigung.102) Die Verhältnisse ändern sich laufend. Wenn auch theoretisch möglich, kann man mit diesem Modell dem laufenden Geschäftsverkehr in den instabilen Zuständen eines vorläufigen Insolvenzverfahrens nur schwer gerecht werden. 117 Anders als in dem obigen Modell kann auch ein Dritter als Treuhänder fungieren.103) Dadurch greift § 181 BGB nicht mehr. Dagegen wird eingewandt, der Dritte sei der Aufsicht des Gerichtes entzogen. Diese Kritik greift aber nicht durch. Wenn der Dritte nur nach klaren Regelungen, erst mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Gläubigers zahlen kann, findet bereits eine Kontrolle statt. Die jeweiligen Gläubiger haben dieser Abrede zudem zugestimmt. Auch werden diese Treuhandkonten in Verfah___________ 99) Bork, ZIP 2003, 1421, 1424. 100) Vor allem durch Frind, etwa in: ZInsO 2005, 1296 ff. sowie die Kommentierung der sog. „Hamburger Leitlinien“ durch Frind, ZInsO 2004, 470 ff. 101) So AG Hamburg, Beschl. v. 22.4.2004 – 67c IN 46/04, ZInsO 2004, 517 f. 102) Kritsch zu diesen sog. „Hamburger Leitlinien“: Marotzke, ZInsO 2004, 721 ff. 103) Bork, ZIP 2003, 1421, 1424 f.

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ren, in denen ein Kassenprüfer bestellt ist, genauso geprüft, wie die regulären Hinterlegungskonten. Das kann verbindlich in der Treuhandabrede festgelegt werden. Für die nichtbeteiligten Gläubiger entsteht ebenfalls kein Schaden. Vielmehr ermöglicht dieses Modell auch für sie erst eine (bessere) Quote, da der Auftrag bei dem insolventen Unternehmen verbleibt. Daher ist diese Modell, trotz der geübten Kritik, theoretisch zu rechtfertigen und immer noch am praktikabelsten. 11.

Absicherung der Kunden

In gleicher Weise wie die Lieferanten wollen auch die Kunden gegen bestehende Risiken 118 abgesichert sein. Wenn sie weiter zahlen, dann möchten sie auch die geschuldete Leistung tatsächlich erhalten. Sind Subunterunternehmer in die Leistungskette eingeschaltet, so ist deren Befriedigung sicherzustellen. Im Falle der Masseunzulänglichkeit sollen sie nicht bereits erbrachte Zahlungen noch einmal auslösen müssen. Nur wenn diese Parameter sichergestellt sind, werden sie bereits vergebene Aufträge bei dem Unternehmen belassen oder neue Aufträge hereingeben. Die einfachste Absicherung besteht darin, dass die Kunden direkt an die Subunternehmen 119 bezahlen. Aufgrund entsprechender vertraglicher Gestaltungen kann weiterhin erreicht werden, dass fertiggestellte Produkte unmittelbar in das Eigentum des Kunden übergehen. Diese Vorgehensweise verspricht jedoch nur dann Erfolg in der Praxis, wenn in die Leistungskette nur wenige Subunternehmer eingeschaltet sind. Stellen Unternehmen komplexe Produkte mit einer tiefen Leistungskette und zahlreichen 120 Lieferanten her, scheitert dieses einfache Modell an der Komplexität. Verschiedene Kunden stehen außerdem untereinander in einem Wettbewerb. Sie sind nicht bereit, durch ihre Anzahlung bzw. Preiserhöhung Wettbewerber zu subventionieren. Um solche Effekte zu vermeiden, hat die Praxis „dreifache“ Treuhandmodelle entwickelt. Der Kunde erbringt nach Projektfortschritt genau spezifizierte Zahlungen auf das Konto des Treuhänders, die nur einem einzelnen Projekt des insolventen Unternehmers zugewiesen sind. Von diesem Konto zahlt der Treuhänder die Lieferanten wiederum nur für dieses Projekt nach Projektfortschritt. Das schuldnerische Unternehmen erhält wiederum nach einem Zahlungsplan, ggf. erst am Ende des Projektes, den kalkulierten Überschuss. Hinsichtlich der rechtlichen Handhabbarkeit gelten die Ausführungen unter Rz. 105 ff. Ohne fundierte Liquiditätsplanung und -steuerung nebst genauer Kostenstellenzuord- 121 nung bzw. Projektcontrolling und Abrechnung sind solche Modelle nicht abzuwickeln. Es zeigt sich erneut die Wichtigkeit der Etablierung einer allen Ansprüchen eines Insolvenzverfahrens gerecht werdenden Liquiditätsplanung. 12.

Warum überhaupt noch „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung?

Nach früherer Gesetzeslage, insbesondere den Steuergesetzen, bot die sog. „schwache“ 122 vorläufige Insolvenzverwaltung wesentliche Vorteile. Der Insolvenzverwalter brauchte die steuerlichen Verpflichtungen im vorläufigen Insolvenzverfahren im Wesentlichen nicht zu erfüllen. Er hatte die Wahl, welche Dauerschuldverhältnisse er weiter nutzen und erfüllen wollte. Die Liquidität wurde hierdurch erheblich entlastet. Nach Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO zum 1.1.2011 und der neuen Rechtsprechung des 123 BFH zur Umsatzsteuer aus Altforderungen sowohl bei Soll- als auch bei Istversteuerung,104) hat sich diese Ausgangslage wesentlich verändert. ___________ 104) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

124 Es stellt sich damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit der vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwaltung. Ist es nicht besser, von vorneherein einen sog. „starken“ vorläufigen Verwalter zu bestellen? Insbesondere die sich aus der Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Verfahren ergebenden, mit dem Insolvenzgericht abzustimmenden komplexen Maßnahmen können damit vermieden werden. Andererseits kann Insolvenzgeld nach wie vor mit dem Ergebnis in Anspruch genommen werden, dass die sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen nach wie vor im eröffneten Verfahren als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zu behandeln sind.105) Bei Dauerschuldverhältnissen eröffnet § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO die Möglichkeit, die Behandlung als begründete Masseverbindlichkeit zumindest teilweise zu vermeiden. Für die Zahlungsverpflichtung ist Voraussetzung, die Gegenleistung tatsächlich in Anspruch genommen zu haben. 125 Der einzig wesentliche Vorteil der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung liegt damit zu mindestens in der Anfangsphase nach wie vor darin, dass nicht sofort alle Zahlungspflichten aus der Fortführung von Dauerschuldverhältnissen erfüllt werden müssen. Der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter hat die Zahlungen insbesondere bei Mietverhältnissen erst dann aufzunehmen, wenn er ein außerordentliches Kündigungsrecht des Vermieters vermeiden will. Darüber hinaus eröffnet die vorläufige „schwache“ Insolvenzverwaltung Verhandlungspotenzial mit allen Beteiligten, da Zahlungspflichten nicht automatisch zu laufen beginnen. 126 Zwar wird nach wie vor im Einzelfall zu entscheiden sein. Die Entscheidungsparameter haben sich jedoch eindeutig zugunsten der – auch vom Gesetzgeber gewollten – „starken“ Insolvenzverwaltung verschoben. Das wird vor allem dann gelten, wenn keine oder nur wenige Dauerschuldverhältnisse zu berücksichtigen sind. Auch bei umfangreichen Dauerschuldverhältnissen wird spätestens nach einem Monat zu überlegen sein, in die „starke“ Insolvenzverwaltung zu gehen, um erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren zu vermeiden. 13.

Vorbereitung des eröffneten Verfahrens

127 Als Fazit lässt sich für die Vorbereitung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgender im vorläufigen Insolvenzverfahren zu verfolgender Master- und Maßnahmenplan aufstellen: 128

Master- und Maßnahmenplan Bereich

Maßnahme

Prüfung der Fortführungsfähigkeit (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO)

Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag des Gerichtes (regelmäßiger Bestandteil des Insolvenzeröffnungsgutachtens), meist verbunden mit einer Aussage zu den Chancen eines Insolvenzplanes

Kurzfristige Liquiditätsplanung

Im Falle der Fortführung über die Eröffnung hinaus zumindest für den Zeitraum bis zum Berichtstermin

Langfristige Liquiditäts- und Erfolgsplanung

Vor allem als Grundlage für eine übertragende Sanierung (bzw. den hierfür notwendigen M&A-Prozess bzw. einen Insolvenzplan

___________ 105) DA Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit (Stand: 4/2012), S. 19, abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07-Geldleistung/A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 20.6.2013).

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung Vermögenskontrolle

Überprüfung, ob bisherige Maßnahmen zur Vermögenserfassung und Kontrolle ausreichend waren. Sind nach Eröffnung ausreichende finanzielle, operative wie personelle Ressourcen hierfür weiterhin vorhanden? Insbesondere: Welche Versicherungen oder andere Sicherungsmaßnahmen werden nach Eröffnung (weiterhin) benötigt? Abstimmung mit gesicherten Gläubigern zum Bestand der, deren Sicherung ggf. unterliegenden Gegenstände

Verwertungskonzept

Entwicklung einer Verwertungsstrategie wie z. B. M&AProzess

Personalmaßnahmen

Vorbereitung von Sozialplanverhandlungen

Insolvenzgeld

Insolvenzgeldbescheinigungen vorbereitet und erstellt?

Lastschriftenwiderruf

Altkonten turnusgemäß und fristgemäß geprüft?

Factoring

Fortführung nach Eröffnung bei Betriebsfortführung sinnvoll? Verträge hierzu abgestimmt? Abrechnung mit Factor abgestimmt?

Dauerschuldverhältnisse Verträge mit Kunden und Lieferanten

Übersicht und Abstimmung: Einsparpotential, also zu kündigende Dauerschuldverhältnisse bzw. Verträge, Kündigungsfristen bzw. Erfüllungswahl oder automatisches Erlöschen berücksichtigt? Sicherung der wichtigen, beizubehaltenden Verträge, ggf. Anpassungsvereinbarungen auf den Zeitpunkt der Eröffnung abgestimmt und vorbereitet? Im Falle nicht vermeidbarer Vertragsbeendigung zur Eröffnung ausreichende Alternativen vorhanden?

Absicherung Lieferanten und Kunden

Kommunikation mit Kunden und Lieferanten Ausreichende Mittel auf ggf. eingerichteten Treuhandkonten und/oder ausreichende Einzelermächtigungen zur Begleichung der Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten?

Zahlungsverkehr und Buchhaltung

Reibungsloser Ablauf im vorläufigen Verfahren Funktionierende Buchhaltung? Nachvollziehbarkeit der Verwertung von Sicherheiten Organisation des Ablaufs und der Zeichnungsbefugnisse? Falls erforderlich, funktionierende Kostenstellen bzw. zeitnaher Soll-Ist-Abgleich zur Planung möglich?

Steuern

Berücksichtigung der sich aus § 55 Abs. 4 InsO ergebenden fiktionalen Masseverbindlichkeiten nicht in der Liquidität, aber zur Abgrenzung im eröffneten Verfahren Vorbereitung von (USt-)Steuererklärungen

III.

Betriebsfortführung im endgültigen Verfahren

Mit Eröffnung des Verfahrens geht die Verfügungsbefugnis gemäß § 80 InsO auf den In- 129 solvenzverwalter über. Ab diesem Zeitpunkt steht er somit in der alleinigen Verantwortung für die Betriebsfortführung. Seine Handlungen führen nach § 55 InsO ohne weiteres zu Masseverbindlichkeiten. Hinzu kommen die oktroyierten Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die der Verwalter nur binnen Frist kündigen kann. Bei der Fortführung ergeben sich für den Insolvenzverwalter und die Verfahrensbetei- 130 ligten vor allem zwei wesentliche Problembereiche, auf die einzugehen ist:

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

x

Masseunzulänglichkeit, Vermeidung der eigenen Haftung des Insolvenzverwalters, Schutz der Beteiligten vor fehlgeleisteten Aufwendungen und möglichen Doppelzahlungen.

x

Wie weit darf die Fortführung gehen? Wann ist Einstellung geboten?

1.

Risiko der Masseunzulänglichkeit

131 Anders als die Liquidation trägt jede Betriebsfortführung das besondere Risiko in sich, dass der Insolvenzverwalter eingegangene Masseverbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann. Damit fragt sich, inwieweit er sich entlasten kann, um nicht in Anspruch genommen zu werden. Wie lange und in welchem Umfange kann er noch eingegangene Masseverbindlichkeiten erfüllen? Welche Sicherungsmöglichkeiten bestehen für die beteiligten Gläubiger? 1.1

Vom Insolvenzverwalter eingegangene Masseverbindlichkeiten

132 Der Pflichtenkatalog bestimmt sich danach, ab wann eine Haftung in Betracht kommt. Werden eingegangene Masseverbindlichkeiten nicht erfüllt, kann ein Verwalter zum einem nach § 61 InsO, zum anderen nach § 60 InsO haften. 1.1.1 Einstandspflicht nach § 61 InsO 133 Der anspruchsbegründete Tatbestand für eine Schadensersatzpflicht nach § 61 InsO liegt ausschließlich in der pflichtwidrigen Begründung von Masseverbindlichkeiten. § 61 InsO legt keine insolvenzspezifische Pflichten für die Zeit nach Begründung einer Verbindlichkeit fest.106) Später eingetretene Gründe sind damit irrelevant. Angeknüpft wird an die bei den Vertragsverhandlungen und dem Vertragsabschluss gegebene Situation. Konnte der Insolvenzverwalter zu diesem Zeitpunkt erkennen, die Masse werde zur Erfüllung der Verbindlichkeiten voraussichtlich nicht ausreichen, ist er einstandspflichtig.107) 134 Dabei hat sich der Verwalter zu entlasten: Konnte der Verwalter zum Zeitpunkt der Begründung, also dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages, auf Basis einer plausiblen Liquiditätsrechnung mit deren Begleichung rechnen, haftet er nicht nach § 61 InsO.108) Zur Ordnungsmäßigkeit einer solchen Liquiditätsrechnung und den Mitteln der Plausibilisierung kann daher in vollem Umfange auf die obigen Ausführungen unter Rz. 12 ff. verwiesen werden. 135 Da die Masse nicht insgesamt durch Masseverkürzung geschädigt ist, sondern der Schaden bei jedem in Betracht kommenden Massegläubiger individuell eintritt, kann der Schadensersatzanspruch außerhalb des § 92 InsO von jedem Gläubiger individuell gegen den Insolvenzverwalter schon während der Laufzeit des Insolvenzverfahrens selbst verfolgt werden. Der Schadensersatz ist im Umfang auf das negative Interesse beschränkt.109) Damit kommt nicht ohne weiteres Zahlung der vollen geschuldeten Summe in Betracht, sondern nur dann, wenn die Möglichkeit eines Vertragsabschlusses zu gleichen Konditionen hinreichend nachgewiesen wird. 136 Da § 61 InsO somit nicht an spätere Umstände nach Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages anknüpft, kann diese Vorschrift somit nicht für die Klärung der Frage herange___________ 106) 107) 108) 109)

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BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 108, 109 = ZIP 2004, 1107. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 109 = ZIP 2004, 1107. Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 61 Rz. 13. So Jahntz in: FK-InsO, § 61 Rz. 8.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

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zogen werden, wie lange ein Insolvenzverwalter berechtigt ist, auf einmal eingegangene Masseverbindlichkeiten Zahlungen zu erbringen. 1.1.2 Haftung nach § 60 InsO Zahlt der Insolvenzverwalter also auf andere gleichzeitig begründete Masseverbindlichkei- 137 ten einzelne Massegläubiger nicht oder nur unvollständig, ist eine Haftung nach § 61 InsO ausgeschlossen. Treten also weitere Umstände außer dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages hinzu, die für den betroffenen Gläubiger dazu geführt haben, dass er keine oder nur eine unvollständige Zahlung erhält, kommt anstelle des § 61 InsO nur eine Haftung nach § 60 InsO in Betracht. Selbst wenn sich der Insolvenzverwalter also für den Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeiten exkulpieren kann, haftet er nach § 60 InsO, wenn er später in schuldhafter Weise eine Befriedigung des Gläubigers vereitelt. Die Pflichtverletzung liegt vor, wenn vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit in gleichem Range begründete Altmasseverbindlichkeiten in unterschiedlicher Höhe beglichen werden.110) Auch dieser Schadensersatzanspruch stellt einen Einzelschaden dar, der schon während des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann.111) Geschuldet wird wiederum das negative Interesse. Der haftungsbegründende Anspruch liegt also in der „Falschbefriedigung“ begründet. 138 Der Insolvenzverwalter darf einzelne Gläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit wegen deren Altmasseverbindlichkeiten nicht mehr voll befriedigen. Zur Abgrenzung der Frage, wie lange der Insolvenzverwalter danach noch bis zum Eintritt der Masseunzulänglichkeit oder bis zur Erkenntnis der Masseunzulänglichkeit Zahlungen ausführen kann, sind die folgenden Erwägungen des BGH besonders klarstellend: „Der Insolvenzverwalter hat Masseverbindlichkeiten zu begleichen, sobald Fälligkeit eingetreten ist (MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 53 Rn. 51; vgl. auch Kübler/Prütting/Pape a. a. O. Rn. 35; Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl., § 53 Rn. 43). Er hat vor jeder Verteilung der Masse zu kontrollieren, ob die anderen Masseverbindlichkeiten rechtzeitig und vollständig aus der verbleibenden Insolvenzmasse bezahlt werden können. Sind mehrere Masseschulden fällig und einredefrei, ist der Insolvenzverwalter angesichts des Gleichrangs der Massegläubiger verpflichtet, sie nur anteilig zu befriedigen, sofern er momentan zur vollständigen Bezahlung nicht in der Lage ist. Verstößt er hiergegen, haftet der Insolvenzverwalter einem benachteiligten Massegläubiger in Höhe des Betrages, der auf ihn bei anteiliger Befriedigung entfallen wäre. Es kann auf sich beruhen, ob der Insolvenzverwalter in einer solchen Situation eine – zeitweilige – Masseunzulänglichkeit anzeigen muß (vgl. MünchKomm-InsO/Pape, InsO § 208 Rn. 25 f; Uhlenbruck, InsO § 208 Rn. 11). Jedenfalls ist er nicht befugt, einem von mehreren Massegläubigern das Risiko zuzuweisen, ob sich in Zukunft weitere Masseeingänge realisieren lassen. Daher kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, er habe mit weiteren Zahlungen seitens der Käufer rechnen dürfen. Dies mag anders liegen, wenn es sich dabei um unschwer einzuziehende und daher alsbald verfügbare Forderungen handelt oder die Masse über zahlreiche weitere noch offene Forderungen verfügt.“

Weiter konkretisiert sich das Risiko des Insolvenzverwalters wie folgt:112)

139

„Ist ernstlich mit dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit zu rechnen, ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, die nach § 209 Abs. 1 InsO vorgegebene Rangfolge unabhängig von der Anzeige der Masseunzulänglichkeit beim Insolvenzgericht zu beachten.“

___________ 110) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 111 ff. = ZIP 2004, 1107. 111) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104, 111 f. = ZIP 2004, 1107 m. ausführlicher Begründung. 112) OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2012 – I-22 U 49/11, ZIP 2012, 2115.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

140 Es kommt also nicht auf den Zeitpunkt der Anzeige, sondern der Kenntnis vom Eintritt der Masseunzulänglichkeit an. Damit ist es dem Insolvenzverwalter nicht möglich, in der Zeit zwischen Kenntnis und Anzeige für ihn besonders „haftungsträchtige“ Verbindlichkeiten zu erfüllen. 141 Es werden folgende Fallgruppen und Zeitspannen unterschieden: 113) „Allgemein anerkannt ist – wie der Beklagte auch gegen sich gelten lassen will – dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, gleichrangige Massegläubiger auch gleichmäßig zu befriedigen (BGH BGHZ 159, 104 = NJW 2004, 3334; NJWRR 1988, 1487; BAG ZIP 2007, 1169; LAG Halle NZI 2007, 1007; MünchKomm-Hefermehl, 2. Aufl., § 53 InsO Rn. 11), sobald Fälligkeit eintritt (BGH, BGHZ 159, 104 = NJW 2004, 3334 [3336]; MünchKomm-Hefermehl, 2. Aufl., § 53 InsO Rn. 51). Eine Einschränkung sieht § 206 InsO nur für Massegläubiger vor, deren Ansprüche erst nach der Verteilung bekannt geworden sind. Der Insolvenzverwalter muss deshalb vor jeder Verteilung der Masse prüfen, ob die anderen Masseverbindlichkeiten rechtzeitig und vollständig aus der verbleibenden Masse bezahlt werden können. Sind mehrere Masseschulden fällig und einredefrei, darf der Insolvenzverwalter die Gläubiger nur anteilig befriedigen, wenn er momentan zur vollständigen Bezahlung aller nicht in der Lage ist (BGH WuM 2011, 187 [189]; BGH aaO; BAG aaO; LAG Düsseldorf, Urteil vom 23.1.2008 – 12 Sa 1757/07 Tz. 10). Dabei sind vier Zeiträume zu unterscheiden: – Die Spanne, in der ausreichend Masse vorhanden ist, um die fällig werdenden Ansprüche aller Massegläubiger zu befriedigen, –

die Spanne, in der eine vollständige Bezahlung aller Massegläubiger nur momentan nicht möglich ist,



die Spanne ab dem Zeitpunkt, ab dem die Masseunzulänglichkeit ernstlich droht und letztlich die Spanne, ab der Masseunzulänglichkeit tatsächlich eingetreten ist.“



142 Schon wenn also Masseunzulänglichkeit droht, ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Masseverbindlichkeiten nur noch im Range des § 209 InsO zu befriedigen.114) Verstößt er gegen diese Erkenntnis und befriedigt einzelne Masseverbindlichkeiten außerhalb dieser Rangfolge, so haftet er ggf. nach § 60 InsO. Ab diesem Zeitpunkt wäre jede Betriebsfortführung in regelmäßiger Konsequenz abzubrechen. Die Chancen, wieder aus der Masseunzulänglichkeit herauszukommen, sind damit nochmals erheblich erschwert. 143 Dem Verwalter muss die Möglichkeit zugestanden werden, nach ersten, auf eine sich abzeichnende Masseunzulänglichkeit hindeutende Erkenntnisse angemessen reagieren zu können. Er muss nicht sofort bei ersten Anhaltspunkten Masseunzulänglichkeit anzeigen, mit der Konsequenz, danach die Gläubiger nur noch in der Reihenfolge des § 209 InsO befriedigen zu können. Ihm ist ein diagnostisches Fenster zuzubilligen. In einer Analogie zur Insolvenzantragstellungspflicht wird ihm teilweise ein Zeitraum von 21 Tagen eröffnet, in dem die (drohende) Masseunzulänglichkeit zwar schon angelegt, aber wegen der zeitgleich nachfolgenden Erfassung und der Bewertung noch nicht erkennbar ist. Dementsprechend soll der Verwalter für in diesem Zeitraum begründete, durch die nachfolgende Herabstufung aufgrund der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr voll befriedigte Verbindlichkeiten, auch nicht nach § 61 InsO, haften.115) Dasselbe muss auch für die Haftung nach § 60 InsO gelten. Dem Verwalter keinen Zeitraum zur exakten Prüfung zu gewähren, überhöhte dessen Einstandspflicht von einer Verschuldungshaftung zu ei___________ 113) OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.1.2012 – I-22 U 49/11, ZIP 2012, 2115. 114) Zur Abgrenzung von Masselosigkeit, Masseunzulänglichkeit und drohender Masseunzulänglichkeit s. Nerlich/Römermann-Westphal, InsO, § 208 Rz. 1, 14. 115) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 61 Rz. 14.

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ner reinen Gefährdungshaftung. Denn der Verwalter hat schließlich auch im Falle einer verfrühten Anzeige der Masseunzulänglichkeit einzustehen.116) Danach kann der Insolvenzverwalter in dem Zeitraum bis zum Abschluss der Prüfung also noch neue Masseverbindlichkeiten begründen, ohne hierfür später bei Nichtbegleichung einstehen zu müssen. Es fragt sich, ob während dieses Zeitraumes andere Masseverbindlichkeiten noch erfüllt 144 werden können. Wenn der Verwalter schon bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten in diesem diagnostischen Zeitfenster nicht haften soll, kann es ihm erst recht nicht mehr angelastet werden, wenn er bereits fällige Forderungen erfüllt. Erst wenn nach den konkreten Umständen für den Verwalter, der auf Basis einer sachgerechten, regelmäßig geprüften Liquiditätsplanung operiert, klar sein muss, dass Masseunzulänglichkeit tatsächlich droht, ist auch Raum für eine Haftung nach § 60 InsO wegen Falschbefriedigung. Dem Insolvenzverwalter kann jedoch nur eine den Umständen des Einzelfalles angemessene Frist eingeräumt werden. Bei schuldhafter Verzögerung ergibt sich alleine hieraus die Haftung. Sobald positive Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit gegeben ist, kann er bis dahin begründete Altmasseverbindlichkeiten nicht mehr außerhalb der Reihenfolge des § 209 InsO erfüllen. Eine feste Frist von 21 Tagen ist dem Insolvenzverwalter daher nicht eröffnet. Nicht den Grundgedanken der InsO entsprechen aber Versuche, die als Rechtsfolge des 145 Eintritts der Masseunzulänglichkeit eintretende Verteilungsreihenfolge zu umgehen. Das Insolvenzgericht kann zwar im vorläufigen Insolvenzverfahren gemäß § 22 Abs. 2 InsO ansonsten als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltende Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO hochstufen. Manche Gerichte interpretieren diese Ermächtigungsgrundlage so weitgehend, dass sie im vorläufigen Insolvenzverfahren begründete Masseverbindlichkeiten auch gleich in den Rang von Neumasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO erheben können.117) Schon für die während des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründeten Ansprüche ist dieses Ergebnis jedoch fraglich. Denn durch eine solche Feststellung des Gerichtes wird unmittelbar in die Rechtsstellung auch der anderen Massegläubiger aus der Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingegriffen. Das muss erst recht für die Zeit nach der Eröffnung gelten. Denn die InsO räumt dem Gericht keine Befugnisse ein, in die Verteilungsordnung selbst einzugreifen. Wenn das Gericht diese Befugnis nicht hat, kann sich auch der Verwalter nicht selbst er- 146 mächtigen. Er kann also nicht Gelder aus der Masse (etwa auf einem Treuhandkonto) separieren, um die dort geparkten Gelder den Altmassegläubigern nach Erkenntnis der Masseunzulänglichkeit auszuzahlen. Das gilt für alle Gelder, die der Masse zugeflossen sind. Auch eine Reservebildung ist nicht möglich, indem der Insolvenzverwalter z. B. jeweils zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeiten entsprechende Gelder an einen Treuhänder überträgt, die dann bei Eintritt der Masseunzulänglichkeit an den jeweiligen Gläubiger ausgezahlt werden könnten. Denn auch das bedeutete dann einen Eingriff in die Verteilungsreihenfolge bzw. eine Falschbefriedigung der Gläubiger nach den obigen Grundsätzen. Der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters ist daher im Er- 147 gebnis gering. Allenfalls bietet sich an, echte Treuhandmodelle unter Einschaltung eines Dritten sowie von Kunden und Lieferanten zu bilden. Es gilt daher, in entsprechenden vierseitigen Verträgen zwischen Insolvenzverwalter, Treuhänder, Kunden und Lieferanten treuhänderisch festzulegen, dass Zahlungen der Kunden auf ein Konto des Treuhänders laufen. Hiervon hat der Treuhänder die vorher festgelegten Verbindlichkeiten der Liefe___________ 116) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZIP 2010, 2356. 117) Unveröffentlichte Beschlüsse einiger Amtsgerichte.

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ranten auszugleichen. Der mögliche Überschuss geht an die Insolvenzmasse. In einem solchen Treuhandmodell ist keine Umgehung der Vorschriften zur Masseunzulänglichkeit zu sehen. Der Verwalter verfährt nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nach einem vorher mit den Betroffenen im Einzelnen genau festgelegten Zahlungsplan. Die Masse wird hierdurch auch nicht verkürzt, sondern erhält nur das, was vorher im Einzelnen schon festgelegt worden war. Eine „Falschbefriedigung“ nach § 60 InsO ist damit ausgeschlossen. 1.2

Oktroyierte Masseverbindlichkeiten

148 Erbringen Gläubiger für die Masse keine Gegenleistung, sind sie nicht durch § 61 InsO geschützt. Der Insolvenzverwalter hat also z. B. nicht Mietverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeit zu erfüllen, wenn er die Sache nicht genutzt hat.118) Gleiches gilt für Steuern.119) 149 Eine Haftung nach § 60 InsO kommt aber in Betracht, wenn der Verwalter gemäß § 103 InsO Erfüllung beiderseits nicht vollständig erfüllter, gegenseitiger Verträge wählt oder mögliche Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen nach § 108 InsO unterlässt.120) Die Ersatzpflicht umfasst nur Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem der Vertrag bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung geendet hätte.121) 150 Besonderheiten gelten für die Beschäftigung von Arbeitnehmern. Eine insolvenzspezifische Pflicht zur Freistellung von Arbeitnehmern ergibt sich nur dann, wenn durch die Beschäftigung der Arbeitnehmer keinerlei Wertschöpfung zugunsten der Insolvenzmasse eintritt, die Beschäftigung aber zu einer erheblichen Minderung der Masse führt und eine künftige Wertschöpfung nicht zu erwarten ist. Stellt der Verwalter also in einer Situation der Masseunzulänglichkeit einen Teil der Belegschaft frei, sind für die Zeiträume nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit nur die von ihm weiterbeschäftigten Mitarbeiter vorrangig zu befriedigen. Die §§ 208 Abs. 1 Satz 2, 209 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 2 InsO regeln insoweit, dass die Lohnansprüche der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer im zweiten Rang zu befriedigen sind, weil der Insolvenzverwalter ihre Arbeitsleistung in Anspruch genommen hat. Die Lohnansprüche der anderen, freigestellten Arbeitnehmer sind dagegen nachrangig mit den übrigen Masseverbindlichkeiten im dritten Rang zu erfüllen (§§ 208 Abs. 1 Satz 2, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO). 1.3

Verschuldensmaßstab

151 Als Verschuldensmaßstab gilt nach h. M. leichte Fahrlässigkeit stets als ausreichend,122) wobei Pflichtwidrigkeit und Verschulden unwiderlegbar vermutet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Einzel- oder Gemeinschaftsschaden handelt.123) 152 Hierbei gilt gemäß § 60 InsO Abs. 1 Satz 1 InsO die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters. Auf den Insolvenzverwalter können schon damit nicht die gleichen Maßstäbe wie auf einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter angelegt werden. Die besonderen Umstände eines Insolvenzverfahrens besonders in der An___________ 118) 119) 120) 121)

BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, ZIP 2002, 1043. BFH, Urt. v. 8.9.2011 – V R 38/10, ZIP 2012, 88. BGH, Urt. v. 10.12 2009 – IX ZR 220/08, ZIP 2010, 242. Vgl. BAG, Urt. v. 31.3.2004 – 10 AZR 254/03, ZInsO 2005, 50; BGH, Urt. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11; BGHZ 192, 322 = ZIP 2012, 533 jeweils m. w. N. 122) Lohmann in: HK-InsO, § 61 Rz. 9 sowie Hess/Binz, Der Insolvenzverwalter, S. 460 und GrafSchlicker-Kexel, InsO, 2. Aufl., 2010, § 60 Rz. 17. 123) Hess/Binz, Der Insolvenzverwalter, S. 460.

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fangsphase müssen in die Abwägung einbezogen werden. Der Insolvenzverwalter muss sich in einen spezifischen Geschäftszweig und die dortigen Besonderheiten einarbeiten. Die Buchführung, Unternehmensplanung und das Controlling sind oft unzureichend, Auskünfte unvollständig erteilt.124) Darüber hinausgehend kann sich ein Insolvenzverwalter aber nicht auf eigene Unerfahrenheit berufen, da auf die Fähigkeiten eines durchschnittlichen Insolvenzverwalters abgestellt wird.125) Dieser Haftungsmaßstab des Insolvenzverwalters lehnt sich an § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG 153 an. Dort handelt es sich um organspezifische Pflichten eines Geschäftsleiters, in einem Insolvenzverfahren dagegen um insolvenzspezifische Pflichten. Bei der Organhaftung werden die Beurteilungsgrenzen, ab deren Überschreitung eine Haftung in Betracht kommt, gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG beschränkt. Eine Pflichtverletzung liegt demnach nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, sog. Business-Judgement-Rule.126) Von einem Geschäftsleiter wird daher Folgendes verlangt: x

ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes Verhalten;

x

ein nachvollziehbares ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes unternehmerisches Handeln und

x

eine angemessene Ermittlung der Entscheidungsgrundlage.127)

Im Bereich der Fortführung, also dort wo der Insolvenzverwalter letztlich auch unter- 154 nehmerisch tätig ist, ist es angemessen, auf dessen Haftung ebenfalls diesen Maßstab anzulegen. Dem Geschäftsleiter stehen ausreichende zeitliche wie personelle Ressourcen zur Verfügung. Trotzdem haftet er nur für grobe Fahrlässigkeit. Der Insolvenzverwalter, der in einem viel schwierigeren Umfeld agiert und zudem auch die Pflicht zur Fortführung wie der Massemehrung zu befolgen hat, haftet nach einem erheblich schärferen Maßstab.128) Zu Recht wird daher auch für den Insolvenzverwalter die entsprechende Anwendung der sog. Business-Judgement-Rule gefordert. Auf die Fortführung und die den Entscheidungen des Insolvenzverwalters zugrunde lie- 155 gende Planung erscheint es deshalb sachgerecht, die Business-Judgement-Rule zu modifizieren und im Falle unternehmerischer Entscheidungen des Insolvenzverwalters als Haftungsmaßstab heranzuziehen. Ein Verwalter haftet demnach im Hinblick auf die Fortführung im Falle der Eingehung von Masseverbindlichkeiten oder Befriedigung einzelner Gläubiger nicht, wenn seinem Handeln x

ein von Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Gläubigern insgesamt getragenes Verhalten,

x

ein nachvollziehbares ausschließlich am Wohl der Gläubigergesamtheit orientiertes unternehmerisches Handeln und

x

eine angemessene Ermittlung der Entscheidungsgrundlage auf Grundlage angemessener Informationen und realistischer Einschätzungen, insbesondere eine ordnungsgemäße, sachgerechte und laufend überprüfte Erfolgs- und Liquiditätsplanung

zugrunde liegen. ___________ 124) Hess/Binz, Der Insolvenzverwalter, S. 460; zur Darlegungs- und Beweislast vgl. auch Lohmann in: HK-InsO, § 61 Rz. 17. 125) Graf-Schlicker-Kexel, InsO, 2. Aufl., 2010, § 60 Rz. 17. 126) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 59 ff. 127) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 60 Rz. 30. 128) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 60 Rz. 30.

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§9 2.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Beendigung der Fortführung

156 Jeder verantwortungsvolle Verwalter will die Fortführung nutzen, um die Chancen für alle Beteiligten zu verbessern. Neben der Mehrung der Masse sind für diese Entscheidung andere Faktoren wesentlich, wie der Erhalt von Arbeitsplätzen, die Vermeidung von Masseverbindlichkeiten und der Erhalt der Standorte für die regionalen Träger. Die Öffentlichkeit bewertet daher die Fortführung regelmäßig positiv. Für den Verwalter droht aber das Risiko, dass ihm irgendwann das Heft aus der Hand genommen und er zum Gejagten der selbst geweckten Erwartungen wird. 2.1

Betriebsfortführung versus Erhalt der Masse für die Gläubiger oder wieweit darf die Betriebsfortführung gehen?

157 Der Insolvenzverwalter unterliegt grundsätzlich dem Gebot der Fortführung. Dies geht sogar so weit, dass er sich im Falle unterlassener Sanierungsmaßnahmen wie auch gescheiterter Sanierungspläne haftbar machen kann.129)Auf der anderen Seite darf er nicht auf das Geradewohl den Betrieb fortführen und die Priorität der Massemehrung außer Acht lassen. Bei Betriebsführung ist daher immer eine rote Linie zu ziehen, bei deren Überschreiten sie nicht mehr der Mehrung oder dem Erhalt der Masse dient. Dann ist das Unternehmen daher möglichst geordnet zu liquidieren. Je nach Verfahrensstadium gelten dabei unterschiedliche Grundsätze. 158 Im vorläufigen Verfahren hat der Verwalter das Unternehmen bis zur Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung möglichst fortzuführen. Die Entscheidungsbefugnis der Gläubiger soll nicht durch eine vorschnelle Stilllegung im Eröffnungsverfahren umgangen werden.130) Anlaufverluste sind noch zulässig, wenn eine spätere Sanierung möglich erscheint.131) Sind die Sanierungschancen aber nur gering, kann eine Stilllegung zwingend sein.132) Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Stilllegung erforderlich, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Eine erhebliche Verminderung wird bei einem Wertverzehr von 25 % angenommen. Die Kosten einer Betriebsfortführung müssen die voraussichtlich zu erzielenden Erlöse so weit übersteigen, dass, wegen der sich hieraus ergebenden Verluste, eine Betriebsfortführung im Interesse der Gläubiger nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll ist und eine Aussicht auf Sanierung nicht besteht.133) 159 Letztlich wird es aber nicht auf Prozentsätze ankommen, sondern immer eine Einzelfallentscheidung sein.134) Der Verwalter ist zur sachgerechten Abschätzung nach den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeit verpflichtet. Wie sicher kann damit gerechnet werden, dass ein Plan erstellt werden kann und von den Gläubigern akzeptiert wird? Gibt es hinreichende Aussichten auf den Erfolg einer übertragenden Sanierung? Gibt es solvente Bieter? Wie belastbar sind die vorliegenden Angebote? Wie stark wird ein indikativer Kaufpreis nach einer Due Diligence noch reduziert werden? Werden sich verschiedene Bieter ein Bietergefecht nach oben liefern? Gibt es Gründe, dass die übertragende Sanierung nur binnen kurzer Frist gelingen kann, etwa aufgrund einer speziellen Auftragslage ___________ 129) Ausführlich dazu Antoni, NZI 2013, 236 ff. 130) Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, S. 71. 131) Blersch/Goetsch/Haas-Blersch, BK-InsO, § 22 Rz. 14 und Schmerbach in: FK-InsO, 6. Aufl., § 22 Rz. 67. 132) Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 22 Rz. 12. 133) AG Aachen, Beschl. v. 29.3.1999 – 19 IN 53/99, ZIP 1999, 1494. 134) So auch Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 13.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

oder saisonaler Schwankungen? Wie zuverlässig und belastbar sind Management und Mitarbeiter? Dies sind bespielhafte, aber wesentliche prognostische Fragen. Anders als die möglichen wirtschaftlichen Ergebnisse einer Betriebsfortführung wird sich 160 das Liquidationsszenario leichter errechnen lassen. Dennoch sind bei der Liquidation die zu erwartenden Erlöse für das Anlagevermögen und vor allem aber für das Umlaufvermögen nur schwer zu schätzen. Zu seiner Entlastung muss der Verwalter letztlich genau dokumentieren, welche Situation er vorgefunden hat, auf welchen belastbaren Tatsachen seine Annahmen fußen und inwieweit er von einer belastbaren Planung ausgehen konnte. In der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung wird man daher zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters eine erhebliche Planungsunsicherheit berücksichtigen müssen. Auch in der Zeit nach Eröffnung bis zum Berichtstermin stellt die InsO aus vorgenann- 161 ten Gründen noch weniger strenge Anforderungen an die Fortführung. Selbst eine gewisse Minderung der Masse kann der Verwalter in Kauf nehmen, wenn nur so erreicht werden kann, dass die Gläubigerversammlung darüber befinden kann, ob das Unternehmen fortgeführt oder stillgelegt wird.135) Der Verwalter ist nur dann zur Stilllegung, also zu dem Abbruch der Fortführung, berechtigt, wenn die Fortführung in so starkem Maße unwirtschaftlich ist, dass hieraus eine erhebliche Minderung der Masse folgt.136) Auch in diesem Stadium ist der Verwalter gezwungen, künftige Erträge und Ausgaben vorherzusagen. Die Gläubiger müssen ein entsprechendes Prognoserisiko und eine Entscheidung passend für den Einzelfall in Kauf nehmen.137) Anders als noch im vorläufigen Verfahren sind bis zum Berichtstermin aber höhere Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen des Verwalters zu stellen. Hat er im vorläufigen Verfahren eine Planung erst noch aufzusetzen, wird nach Eröffnung erwartet, dass der Verwalter die Planung schon mehrfach einem kritischen Soll-Ist-Abgleich unterzogen, Fehlannahmen oder Störfaktoren ermittelt und beseitigt hat. Auch die Aussichten für eine Veräußerbarkeit müssen sich schon in irgendeiner Art und Weise konkretisiert haben. Im Falle der Sanierung durch Insolvenzplan muss der Insolvenzverwalter schon herausgearbeitet haben, welches Sanierungskonzept nebst Gesellschafter- wie Gläubigerbeitrag zur Sanierung zwischen den Parteien überhaupt konsensfähig ist und ob für den Zeitraum bis zur Entscheidung über den Plan eine Fortführung möglich ist. Wenn der Verwalter auf diese Weise die Prognosen mit der gebotenen Sorgfalt unter 162 Abwägung von Chancen und Risiken aufgestellt hat, haftet er auch nicht für eine im Ergebnis nicht eingetretene Prognose, wenn diese Prognose gleichwohl noch vertretbar war.138) Der Verwalter muss schon vor der Entscheidung zur Fortführung die Werthaltigkeit bestehender und künftiger Forderungen rechtlich eingeschätzt haben.139) Diese Prognosen sind nicht statisch. Sie sind der laufenden Entwicklung anzupassen. Damit gibt es auch keine fixen Termine. Das gilt sowohl im positiven im negativen Sinne. Fällt z. B. ein potenzieller Erwerber weg oder tritt ein neuer Bewerber hinzu, so sind die sich hieraus ergebenen Erkenntnisse jeweils in die Prognose einzubeziehen. Außer bei einer zu erwartenden Masseminderung wird die rote Linie dann überschritten, 163 wenn die Gefahr besteht, das die durch die Fortführung begründeten Masseverbindlichkeiten aus der Masse wegen Masseunzulänglichkeit nicht mehr befriedigt werden können. Niemand kann von dem Verwalter erwarten, das Privileg des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO ___________ 135) 136) 137) 138) 139)

Brandes in: MünchKomm-InsO, §§ 60, 61 Rz. 24; Schmerbach in: FK-InsO, 6. Aufl., § 22 Rz. 67. Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 12. Flessner in: HK-InsO, § 158 Rz. 5. Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 13. BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – IX ZR 105/09, ZInsO 2012, 137.

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§9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

für Neumasseschulden in Anspruch nehmen zu müssen.140) Der Verwalter muss rasch entscheiden und handeln. Er kann sich ansonsten wegen verschleppter Liquidation nach § 61 InsO haftbar machen. 164 Zu dieser Problematik führt das OLG Karlsruhe nach seiner Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der Verwalter nicht mehr hätte fortführen können, prägnant aus:141) Nach § 157 InsO sei der Verwalter verpflichtet, das fortgeführte Unternehmen sofort zu liquidieren, sobald feststeht, dass er bei einer Fortführung erwachsende Masseverbindlichkeiten nicht wird tilgen können, der Betrieb also nicht wenigstens seinen Aufwand erwirtschaften wird.142) Der Verwalter müsse zunächst zu Beginn seiner Tätigkeit vergleichen, ob die Fortführung oder Zerschlagung der Masse ein besseres Ergebnis bringt. Diese Prüfung müsse er nach Fortführung des Betriebes ständig aktualisieren und anpassen. Um einer Haftung für von ihm begründete Masseverbindlichkeiten zu entgehen, sei der Verwalter auf eine ordnungsgemäße und zeitnahe Rechnungslegung angewiesen. Klarstellend heißt es in den Leitsätzen, der Verwalter müsse schon zu Beginn seiner Tätigkeit eine Vergleichsberechnung zur Betriebsfortführung bzw. zur Liquidation des Betriebs aufstellen. Er dürfe sich nicht auf die Liquidationspläne des Schuldners verlassen. 165 Zusammenzufassend kann eine Entscheidung des BGH noch zur KO zitiert werden: „Nach dem Zweck jener Vorschriften ist der Konkursverwalter allerdings dann verpflichtet, das Unternehmen des Gemeinschuldners nicht fortzuführen, vielmehr sofort zu liquidieren, sobald er feststeht, dass er bei einer Fortführung erwachsende Masseverbindlichkeiten nicht wird tilgen können, der Betrieb also nicht wenigstens seinen Aufwand erwirtschaften wird.“143)

166 Hieraus werden zwei Grundpflichten abgeleitet, die die rote Linie zutreffend markieren. Der Verwalter muss also x

anhand einer insolvenzspezifischen Liquiditätsrechnung sicherzustellen, dass durch die Fortführung begründete Masseverbindlichkeiten getilgt werden können sowie

x

anhand einer insolvenzspezifischen Gewinn- und Verlustrechnung überprüfen, ob der Betrieb wenigstens seinen Aufwand erwirtschaftet.

2.2

Einbeziehung der Liquidation in die Planungsrechnung

167 Sowohl bei der insolvenzspezifischen Liquiditätsplanung als auch bei der Erfolgsplanung ist das Liquidationsszenario folglich schon im Voraus zu ermitteln. Selbst wenn ein M&AProzess weit fortgeschritten ist, kann die Veräußerung scheitern, etwa mangels Zustimmung der Kartellbehörden, der Vermieter oder aufgrund des Scheiterns der Finanzierung des Erwerbers. Das erfordert Plan B. Diesem Plan B ist zugrunde zu legen, ob Aufträge noch angenommen werden können bzw. in welchem Umfange noch Umlaufvermögen eingekauft werden kann. Die Länge des Bestellzyklus kann zu erheblichen Unsicherheiten führen, die bei einer Risikoabwägung immer einzubeziehen sind. 168 Folgende Faktoren können von Belang sein: x

Dauer der Liquidation: Ist die Stilllegung entschieden bzw. soll sie als Plan B in den Szenarien Berücksichtigung finden, muss auch immer die Überlegung angestellt werden, welcher Zeitraum hierfür der Beste ist. Oft kann die Liquidation nur extrem kurzfristig eingeleitet werden. Es kann aber auch i. S. des Werterhalts vorzugswürdig

___________ 140) 141) 142) 143)

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Görg in: MünchKomm-InsO, § 158 Rz. 13. OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.11.2002 – 12 U 112/02, ZIP 2003, 267. Unter Berufung auf BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115. BGH, Urt. v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, BGHZ 99, 151 = ZIP 1987, 115, zit. nach Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009, 2015.

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Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung

§9

sein, die Schließung i. R. einer länger andauernden ggf. mehrmonatigen Ausproduktion umzusetzen. Dann stellt sich die Frage nach Kündigungsfristen, vor allem der Arbeitnehmer und gegenüber Vermietern. Relevant ist auch die Frage, in welchem Umfange bei einem produzierenden oder dienstleistenden Unternehmen noch kostendeckende Aufträge, bei einem Handelsunternehmen noch zu verkaufende Waren vorhanden sind. x

Werterhalt: Wie kann die Masse am besten verwertet werden? Beim Anlagevermögen spielen oft die Räumungs- und Transportkosten eine wesentliche Rolle. Umlaufvermögen sollte möglichst lange geordnet abverkauft werden können. Besteht die Möglichkeit zu Sonderverkäufen, ist ggf. auch auf den richtigen Zeitpunkt und eine passende Vermarktung zu achten.

x

Schließungskosten: Von großer Bedeutung sind oft die Kosten der Schließung. Betriebsstätten müssen geschlossen und gereinigt werden. Ladenlokale müssen ordentlich geräumt werden. Für die Schließung wichtige Mitarbeiter müssen motiviert werden, bis zuletzt für ordnungsgemäße Abläufe zu sorgen.

2.3

Abwägung der Szenarios, Pflicht zur Beendigung der Betriebsfortführung

Die danach ermittelten Ergebnisse sind laufend gegeneinander abzuwägen. Entscheidungs- 169 basis kann immer nur eine Gegenüberstellung der voraussichtlichen Ergebnisse der Betriebsfortführung und der Liquidation sein. Nicht nur die positiven Zuflüsse i. R. eines Sanierungsplanes oder der sanierenden Über- 170 tragung zählen. Die ersparten Aufwendungen einer Schließung sind als wesentliches Element einer Betriebsveräußerung oder der Sanierung durch Insolvenzplan einzubeziehen. Das gilt vor allem für die Auslauffristen auszusprechender Kündigungen. Selbst wenn durch den Veräußerungspreis des gesamten Unternehmens unter dem zu erwartenden Preis der einzelnen Vermögensgegenstände bei einer Zerschlagung geblieben wird, kann damit dennoch für die Gläubiger eine sanierende Übertragung günstiger sein. Die zu erwartenden Effekte sind bei einer Entscheidung damit auf folgender Basis zu treffen:

171

Veräußerungserlös Zuzüglich ersparter Aufwendung bei einer Liquidation = Effekte für die Masse Abzüglich Kosten der Veräußerung = Massemehrwert bei sanierender Übertragung Abzüglich zu erwartender Erlöse bei Liquidation = Ergebnis 0 oder besser ĺ weitere Fortführung möglich

Ergeben sich negative Effekte, ist die Betriebsfortführung zwingend zu beenden. Dasselbe gilt, wenn Masseunzulänglichkeit droht und der Insolvenzverwalter die aus der Betriebsfortführung folgenden laufenden Aufwendungen nicht mehr tragen kann. 2.4

Recht zur Beendigung der Betriebsfortführung?

Dieses Ergebnis ist klar, sobald sich eine entsprechende Unterdeckung ergibt. Welche 172 Entscheidung hat ein Insolvenzverwalter aber zu treffen, wenn aus der Betriebsfortführung zwar eine schwarze oder rote Null erwirtschaftet werden kann, sich aber weder Chancen für eine Veräußerung noch für eine endgültige Sanierung durch Insolvenzplan ergeben? Denn häufig findet sich für ein Unternehmen trotz intensivster Suche kein potenzieller Erwerber.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

173 Die Betriebsfortführung ist kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Erfolg der bestmöglichen Masseverwertung i. S. der Gläubiger. Es ist damit ausgeschlossen, ohne mögliche Verwertung der Masse einen Betrieb auf unabsehbare Zeit fortzuführen. Die Chancen für eine Verwertung schwinden mit der Länge der Fortführung. Die Werte sinken auf Grund der weiteren Nutzung. Die Risiken wachsen, da fähige Mitarbeiter zunehmend den Betrieb verlassen werden, neue geeignete Mitarbeiter für ein insolventes Unternehmen aber kaum gefunden werden können. Ist damit keine Chance für eine Veräußerung oder sonstige Sanierung mehr realistisch, so ist auch in diesem Falle die Betriebsschließung zwingend. Jeder Insolvenzverwalter wäre gut beraten, dann an die Gläubigerversammlung zu treten, um entsprechende Zustimmung einzuholen.144) Es besteht nicht nur ein Recht, sondern in gleicher Weise eine Pflicht zur Beendigung der Betriebsfortführung. IV.

Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung

174 Die Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung weist einige Besonderheiten auf. Zu den Vor- und Nachteilen der Eigenverwaltung wird zunächst auf die allgemeine Literatur145) sowie auf die Ausführungen unten in § 17 und § 24 verwiesen. Bei der Betriebsfortführung kann sich positiv wie negativ auswirken, dass das Management nach wie vor nach außen in der Verantwortung steht. 1.

Allgemeines

175 In der Eigenverwaltung gelten für die Betriebsfortführung die gleichen Grundsätze. Es greift ebenfalls das Gebot der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Die Eigenverwaltung hat daher in gleicher Weise die oben dargelegten Prinzipien zu beachten. 176 Gleiches gilt für den Umgang mit Verträgen bzw. Kunden und Lieferanten. Bei gegenseitigen Verträgen gelten die §§ 103 bis 128 InsO gemäß § 279 InsO indes mit der Maßgabe, dass anstelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt, der diese Rechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben soll. Lediglich im Falle des § 120 InsO – Kündigung von Betriebsvereinbarungen –, des § 122 InsO – Betriebsänderung – und des § 126 InsO – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz – bedarf es zur Wirksamkeit der Maßnahmen des Schuldners auch der tatsächlichen Zustimmung des Sachwalters (§ 279 Satz 3 InsO). In der Konsequenz bedeutet das, der Sachwalter braucht nicht der Betriebsfortführung als solcher zuzustimmen. Drohen aber Nachteile für die Gläubiger, weil die Betriebsfortführung zu der Masseverminderung führt, oder können daraus resultierende Masseverbindlichkeiten nicht beglichen werden, führt das zur Hinweispflicht nach § 274 Abs. 2 InsO. 177 Auch die Insolvenzgeldvorfinanzierung begegnet keinen wesentlichen Besonderheiten. Die Bundesagentur führt hierbei in Ihrer Durchführungsanordnung (Stand: 4/2012) selbst aus: „Die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen nach § 170 Abs. 4 SGB III ist grundsätzlich auch während eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) möglich, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270b Abs. 1 InsO getroffen hat. Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt auch in diesem Fall vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab (vgl. § 270b Abs. 4 InsO). Kommt es daher zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehnt, scheidet die Gewährung von Insolvenzgeld aus.“

___________ 144) So Wegener in: FK-InsO, § 157 Rz. 2; Görg in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 11. 145) Vgl. ausführlich hierzu Kübler (Hrsg.), Hdb. Restrukturierung in der Insolvenz – HRI, 2. Teil: Eigenverwaltung und Insolvenzplan.

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§9

In den bisherigen Verfahren der Eigenverwaltung kam es daher auch zu keinen wesent- 178 lichen Problemen bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung, dies sowohl bei Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO wie auch den Verfahren nach § 270a InsO. Aufgrund des völlig überschaubaren Risikos haben in beiden Varianten auch Banken das Insolvenzgeld vorfinanziert und verfügen über kompetente Ansprechpartner bei der Umsetzung. 2.

Aufgaben des Sachwalters

Im Hinblick auf die Fortführung kommt dem Sachwalter grundsätzlich nur eine Überwa- 179 chungsfunktion zu: x

Nach § 274 Abs. 2 InsO hat der Sachwalter im Wesentlichen die Aufgabe, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen. Stellt er Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 274 Abs. 3 InsO).

x

Mitzuwirken hat der Sachwalter nach § 275 InsO nur beim Eingehen von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. Aus § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO folgt zudem, dass er auch Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, widersprechen kann. Nach § 275 Abs. 2 InsO kann er zudem denn Zahlungsverkehr an sich ziehen und so sicherstellen, dass alle eingehenden Gelder von ihm vereinnahmt und Auszahlungen nur von ihm geleistet werden.

x

Als Zwischenstufe zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO, im Falle drohender Nachteile für die Gläubiger, kann das Gericht nach § 277 InsO auf Antrag der Gläubigerversammlung oder – falls sie unaufschiebbar erforderlich sind – auch auf Antrag eines (absonderungsberechtigten) Gläubigers anordnen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur noch mit Zustimmung des Sachwalter wirksam sind. Stimmt der Sachwalter dann einem Rechtsgeschäft zu, haftet er nach § 61 InsO wie ein Insolvenzverwalter.

Die Verantwortlichkeit des Sachwalters verringert sich nicht, weil er möglicherweise Schwie- 180 rigkeiten hat, sich einen vollständigen Überblick über die bestehenden Masseverbindlichkeiten und die voraussichtliche Liquidität zu verschaffen.146) Eine solche Einschränkung verkennt die Verantwortung des (vorläufigen) Sachwalters, denn er hat sich im Hinblick auf die Fortführung in die Lage zu versetzen, auf Basis einer fundierten Planung das Eingehen von Verbindlichkeiten und die Liquidität laufend zu kontrollieren sowie die gesamte Situation auf etwaige Nachteile hin zu überwachen. Stellt er fest, dass der Eigenverwalter gar nicht in der Lage ist mittels professioneller Planungstools und Kontrollen, das Unternehmen zu führen, können sich schon daraus Nachteile für die Gläubiger ergeben. Der Sachwalter ist zwar nicht „Gestalter“ des Verfahrens. Bei den Kontrollpflichten und damit etwa auch bei der Frage des notwendigen Versicherungsschutzes Abstriche zu machen, wäre jedoch fahrlässig und nicht im Interesse der Gläubiger. Bei größeren Unternehmen wird der Sachwalter daher selbst ein Team benötigen und mit 181 dem Unternehmen eine klare Aufgabenaufteilungen und Berichtsebenen abstimmen müssen.147)

___________ 146) Landfermann in: HK-InsO, § 277 Rz. 10 unter Berufung auf Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 5/2013, § 277 Rz. 22. 147) Vgl. zu diesen Themen auch Hofmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 112 ff.

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§9 3.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Vorteile der Eigenverwaltung für die Betriebsfortführung

182 Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll die Eigenverwaltung schon durch Nutzung der Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung, Vermeidung der Einarbeitungszeit, Ersparnis von Aufwand und Kosten sowie durch Schaffung eines Anreizes für den Schuldner rechtzeitig Antrag zu stellen, vorteilhaft sein.148) Ob diese Erwartungen eintreten, wird sich in der Praxis zeigen müssen. Die ersten Verfahren nach dem ESUG zeigen, dass die Eigenverwaltung dann reibungslos funktioniert, wenn sie entsprechend professionell vorbereitet ist und von den Gläubigern positiv begleitet wird. 183 Ein Vorteil der Eigenverwaltung für die während des vorläufigen Verfahrens erwirtschaftete Liquidität ist, dass § 55 Abs. 4 InsO im Antragsverfahren nicht gilt. Schon in dem Schreiben des BMF vom 17.1.2012 zu Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 InsO sind die §§ 270a, 270b InsO gar nicht erfasst. Es gilt das Analogieverbot des Steuerrechts. Der vorläufige Sachwalter wirkt anders als ein vorläufiger Verwalter im Wesentlichen nur im Innenverhältnis mit (vgl. § 275 Abs. 1 InsO). Er begründet damit auch keine Verbindlichkeiten. Damit gilt § 55 Abs. 4 InsO schon nach seinem Wortlaut nicht. 184 Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte des ESUG. Der Bundesrat hatte in der Drucksache 127/11(B) vom 15.4.2011 in seiner Stellungnahme zum RegE eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen unter Nr. 4 vorgeschlagen,149) den geltenden § 55 Abs. 4 InsO auf Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners zu erweitern, die von einem vorläufigen Sachwalter oder vom Schuldner selbst mit Zustimmung eines vorläufigen Sachwalters oder vom Schuldner allein nach § 270a Abs. 1 InsO begründet worden sind. Dieser Vorschlag hat aber keinen Eingang in die verabschiedete Neufassung der InsO gefunden. § 55 Abs. 4 InsO findet damit im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung keine Anwendung. Das haben in der Zwischenzeit auch einige zuständige Finanzämter bestätigt. 185 Ob es allerdings bei diesem Ergebnis bleibt, wenn das Insolvenzgericht gemäß §§ 270b Abs. 3, 55 Abs. 2 InsO der Begründung von Masseverbindlichkeiten ausdrücklich zugestimmt hat, bleibt abzuwarten. 4.

Probleme der Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO

186 Gegenwärtig wird die Eigenverwaltung nach § 270a InsO durch eine gesetzgeberische Ungenauigkeit wesentlich erschwert. Die Verunsicherung hat schon dazu geführt, dass in zahlreichen Fällen davon abgesehen wurde, Verfahren in dieser Art durchzuführen. 187 Streitig ist, ob in einer vorläufigen Sachwaltung nach § 270a InsO wie im Falle des Schutzschirmverfahrens (gemäß der dortigen Regelung des § 270b Abs. 3 InsO) Masseverbindlichkeiten in der Weise eingegangen werden können, dass sie im eröffneten Verfahren keine Insolvenzforderungen darstellen und von der endgültigen Eigenverwaltung ausgeglichen werden können. Die intensiv geführte Diskussion knüpft daran an, dass § 270a InsO keine dem § 270b Abs. 3 InsO entsprechende Ermächtigungsgrundlage enthält, mit gerichtlicher Zustimmung Masseverbindlichkeiten zu begründen. Da es erst diese Ermächtigung ermögliche, während des vorläufigen Verfahrens begründete Verpflichtungen im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeit ausgleichen zu können, sei es im Verfahren nach § 270a InsO ausgeschlossen, im eröffneten Verfahren solche Verpflichtungen aus dem vorläufigen Verfahren zu erfüllen.150) Demgegenüber wird auch ver___________ 148) S. Gesetzesbegründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. 149) BR-Drucks. 127/11(B) v. 15.4.2011, S. 5. 150) AG Fulda, Beschl. v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471.

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treten, nicht der Schuldner, sondern der vorläufige Sachwalter könne hierzu ermächtigt werden.151) Voraussichtlich wird diese Rechtsfrage jedoch nie höchst richterlich entschieden werden. 188 Denn der BGH hat die vom LG Fulda zugelassene Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung des AG Fulda als unstatthaft zurückgewiesen, da § 270a InsO keine Beschwerdemöglichkeit gemäß § 6 InsO eröffne.152) Er führt aber aus, dass ein Antrag auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in § 270a InsO ebenso wenig wie eine sofortige Beschwerde vorgesehen sei.153) Die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag zu stellen, wird also abgelehnt. Inhaltlich 189 wird zu der Frage, ob Masseverbindlichkeiten mit Wirkung für das eröffnete Verfahren eröffnet werden können, jedoch vom BGH keine Stellung genommen. Die Frage ist daher nach wie vor offen. Soweit mit Wirkung für das eröffnete Verfahren eine Begründungsmöglichkeit von Masseverbindlichkeiten mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters angenommen wird,154) wird sich auf die allgemeine Regelung nach § 22 Abs. 2 InsO gestützt. § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO sei nur als Ermessensbeschränkung in Ergänzung zu § 22 Abs. 2 InsO zu sehen („… hat das Gericht anzuordnen …“).155) Dabei fragt sich allerdings, warum in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO eine solche Regelung aufgenommen worden ist, in § 270a InsO allerdings nicht, wenn doch das Erfordernis als solches gesehen wurde. Außerdem tritt der Sachwalter nicht an die Stelle des Gerichts, das nach § 22 Abs. 2 InsO dazu berufen ist, entsprechende Regelungen auszusprechen. Allerdings spricht der gesetzgeberische Wille, die Eigenverwaltung zu stärken, ganz klar gegen die Auslegung, dass im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO keine Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Da die Antrags- und Beschwerdemöglichkeiten nach § 6 InsO nach völlig konsequenter Auffassung des BGH nicht bestehen, wird sich diese Frage nicht durch eine einheitliche Rechtsprechung klären lassen. Wenn der Gesetzgeber tatsächlich diese Vorstellungen hatte, wird eine gesetzliche Klarstellung daher unumgänglich. Eine Betriebsfortführung im Verfahren der Eigenverwaltung nach § 270a InsO stößt bis dahin aber auf erhebliche Schwierigkeiten, da ein Ausgleich aller während des vorläufigen Verfahrens begründeten Verpflichtungen noch im Antragsverfahren selbst kaum möglich sein wird.

___________ 151) AG München, Beschl. v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = ZInsO 2012, 790; Klinck, ZIP 2013, 853, 860; AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787; AG Duisburg, Beschl. v. 6.11.2012 – 62 IN 178/12, n. v., zit. nach Römermann/Praß, ZInsO 2013, 483, 487. 152) BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 153) BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 154) Pleister/Tholen, ZIP 2013, 525, 526 (Anm. zu BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12); Klinck, ZIP 2013, 853, 859. 155) Klinck, ZIP 2013, 853, 859.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

§1 Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung Übersicht I. 1. 2. 3. II. III. IV. 1. 2. 3. 4. V. 1. 2. 3. 4.

Geschichtliche Entwicklung...................... 1 Die ersten Korrekturen der „Perle der Reichsjustizgesetze“..................................... 1 Die Folgen der Weltwirtschaftskrise .......... 2 Die Entdeckung des Insolvenzverfahrens als Fortführungschance........................ 4 Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977.................................................................... 7 Die Betriebsfortführung im System der InsO ....................................................... 9 Die Unternehmensfortführung nach der InsO ..................................................... 11 Das Vorbild ausländischer Regelungen .... 11 Die Betriebsfortführung als Verfahrensziel ........................................................ 12 Die Betriebsfortführung als interne Gesellschaftspflicht.................................... 15 Zuständigkeiten für die interne Fortführungsentscheidung................................ 17 Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen ............................................... 19 Sanierungsentscheidungen im vorinsolvenzlichen Bereich................................. 19 Erweiterung der Zuständigkeiten bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes.......... 21 Sanierungsentscheidung bei drohender Zahlungsunfähigkeit....................................... 25 Anforderungen an ein Sanierungskonzept ........................................................... 26

VI. Die unverzichtbare Fortbestehensprognose ....................................................... 27 1. Gesetzliche Grenzen einer Unternehmensfortführung ......................... 27 2. Die Sanierungsbescheinigung...................... 30 3. Die Sanierungsfähigkeit ............................... 31 VII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung................... 34 VIII. Das ESUG und die neue Insolvenzkultur............................................................. 37 1. Das unveränderte Verfahrensziel................ 37 2. Besondere Merkmale der neuen Insolvenzkultur............................................. 39 3. Rechtzeitige Kommunikation mit den Hauptgläubigern ................................... 42 4. Anfechtungsrisiken von Krisenvereinbarungen................................................... 43 IX. Die problematische Fortführungsfinanzierung ........................ 44 1. Die Beschaffung von Liquidität .................. 44 2. Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ........................................................... 45 3. Die Begründung von Masseschulden...... 47 X. Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber......................................... 51 XI. Zusammenfassung .................................. 54

Literatur: Baur, W., Sanierungen. Wege aus Unternehmenskrisen, 1978; Besau, Chancen und Risiken bei der Rettung von Unternehmen durch übertragende Sanierung, KSI 2011, 202; Bitter/Rauhut, Insolvenzrechtliche Grundlagen der übertragenden Sanierung – Eine Einführung unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens – Teil A: Übernahmegestaltung und Haftungsvermeidung, KSI 2007, 197; Bitterkresser, Positive Fortführungsprognose trotz fehlender Ertragsfähigkeit? – Zur Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO, insbesondere bei kriselnden Assetfinanzierungen, ZIP 2012, 1733; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Brass, Rechtsvergleichende Betrachtungen zu einem neuen Konkursrecht, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1942, S. 329; Bratschitsch/Schnellinger, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, 1981; Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; Ehlers, „Notwendig“ frühzeitige Insolvenzverfahren, BB 2013, 1539; Eidenmüller, Reformperspektiven im Restrukturierungsrecht, ZIP 2010, 649; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999; Emmerich, Die Sanierung, 1. Teil 1930; Fischer, Der Übernahme-Swap durch Insolvenzplan – Investitionsentscheidung im Wettbewerb, NZI 2013, 823; Fleege-Althoff, Die notleidende Unternehmung, 1. Bd., Krankheitserscheinungen und Krankheitsursachen, 1930; Fölsing, Die Zähmung des Widerspenstigen im SuhrkampFall: Schutzschirmverfahren bei Gesellschafterstreit, ZInsO 2013, 1325; Frege, Grundlagen und Grenzen der Sanierungsberatung, NZI 2006, 545; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Ganter, Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter trotz Globalzession?, NZI 2010, 551; Graf-Schlicker, Die Entwicklung des ESUG und die Fortentwicklung des Insolvenzrechts, ZInsO 2013, 1765; Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Neue Möglichkeiten der Sanierung durch Insolvenz nach dem ESUG, 2012; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren. Die Einbeziehung der Anteilsrechte in das Insolvenzverfahren, NZG 2012, 961; Hanisch, Zur Reformbedürftigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, ZZB 1977, 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2007; Hirte/Knof/Mock, Überschuldung und Finanzmarktstabilisierungsgesetz, ZInsO 2008, 1217; Knops/Bamberger/Maier/Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2005; Hornfischer, Der Konkurs der Stadt Glashütte, KTS 2008, 423; Kilger, Der Konkurs des Konkurses, KTS 1975, 142; Kirchhof, Die mehrseitige Treuhand in der Insolvenz, in: Festschrift für Gerhart Kreft, 2004, S. 359; Kort, Compliance-Pflichten und Haftung von GmbHGeschäftsführern, GmbHR 2013, 566; Kuder, Neues Restrukturierungsrecht für Banken, in: Stärkung des Anlegerschutzes – Neues Rechtsrahmen für Sanierungen (Bankrechtstag 2011), 2012; Luttermann/ Geißler, Rechtsbasis und Praxis einer Kultur der Unternehmenssanierung, ZInsO 2013, 1381; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG – Zugleich eine Untersuchung der Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Regelungsmacht des neuen Insolvenzplans, ZIP 2012, 2133; Noack, Gesellschaftsrecht, Sonderband zu Kübler/Prüttung, InsO, 1999; Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten, 2. Aufl., 2006; Pluta, Sanierung in der Insolvenz – Für wen?, ZInsO 2013, 1404; Portisch, Risikoerkennung und Sanierungswürdigkeitsprüfung durch Kreditinstitute – Sanierungsentscheidungen nachvollziehbar treffen, KSI 2013, 149; Rajak, Die Kultur der Insolvenz, ZInsO 1999, 666; Römermann, Ein Jahr ESUG – Eine Bestandsaufnahme aus dem Blickwinkel der GmbHBeratung, GmbHR 2013, 337; Römermann/Praß, Beratung der GmbH als Schuldnerin in Krise und in Insolvenz nach dem ESUG, GmbHR 2012, 425; Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, 10. Aufl., 1965; Schienstock/Reifert/Drießen, ESUG-Werkzeuge öffnen neue Sanierungswege – Anwendungserfahrungen im Überblick, KSI 2013, 167; Schmidt, A./Poertzgen, Geschäftsführerhaftung (§ 64 S. 1 GmbHG) in Zeiten des ESUG, NZI 2013, 369; Schmidt, K., Überschuldung und Unternehmensfortführung oder: per aspera ad astra, ZIP 2013, 485; Schmidt, K., Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht im ESUG-Entwurf, BB 2011, 1603; Schmidt, K., Die übertragende Sanierung – Bestandsaufnahmen und Ausblicke an der Schwelle der Insolvenzrechtsreform, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 1, 1991, S. 67; Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, 1961; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 5. Aufl., 1952; Sendel-Müller, Behavioral Turnaround-Management, KSI 2007, 262; Sinz, Revolvierende Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 157; Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 2. Halbbd., 1955; Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 1927; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001; Stüdemann, Der Konkursverwalter als Unternehmer, in: Festschrift Einhundert Jahre Konkursordnung 1877-1977, 1977, S. 401; Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher, Unternehmenssanierung, 2012; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, in: Festschrift für Hans Haarmeyer, 2013, S. 301; Uhlenbruck, Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren, ZInsO 2013, 2033; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung? – Eine Schicksalsfrage notleidender Unternehmen, BB 2001, 1641; Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, 1994; Uhlenbruck, Zur Krise des Insolvenzrechts, NJW 1975, 897; Ulmer, Die gesellschaftsrechtlichen Regelungsvorschläge der Kommission für Insolvenzrecht, ZHR 149 (1985), 541; Undritz, Möglichkeiten und Grenzen vorinsolvenzlicher Unternehmenssanierung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, Kap. 29; Vallender, Das Schutzschirmverfahren nach dem ESUG, GmbHR 2012, 450; Veil, Krisenbewältigung durch Gesellschaftsrecht. Verlust des halben Kapitals, Pflicht zu ordnungsgemäßer Liquidation und Unterkapitalisierung, ZGR 2006, 374; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 592; Wohlleben, Insolvenzplan zur Fortführung von Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 691; Zipperer, „Übertragende Sanierung“ – Sanierung ohne Grenzen oder erlaubtes Risiko?, NZI 2008, 206; Zipperer/Vallender, Die Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 729.

I.

Geschichtliche Entwicklung

1.

Die ersten Korrekturen der „Perle der Reichsjustizgesetze“

1 Fast alle modernen Gesetzgebungen kennen Institutionen, die es ermöglichen, insolvenzabwendende Schuldenregelungen auch gegen den Widerstand einer Minderheit von Gläubigern durchzusetzen. In England schuf erst die Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts die Möglichkeit der Beschlagnahme des Schuldnervermögens, den raschen Verkauf und die verhältnismäßige Verteilung des Verkaufserlöses unter den Gläubigern.1) In Deutschland wurde am 10.6.1929 über das Vermögen der sächsischen Stadtgemeinde Glashütte das ___________ 1) Vgl. Rajak, ZInsO 1999, 666, 668.

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§1

Konkursverfahren eröffnet.2) Sämtliche staatlichen Einrichtungen, wie z. B. Schwimmbäder, Feuerwehr, Krankenhäuser und sogar das Rathaus fielen in die Konkursmasse. Es bedurfte einer Entscheidung des sächsischen OVG vom 3.5.1930, um die Unentbehrlichkeitserklärung des Innenministeriums für wirksam zu erklären. Es folgte die Verordnung zur Sicherung des Haushalts und der Haushalte der Gemeinden, die sog. Sparverordnung vom 21.9.1931. Sie bestimmte, dass über das Vermögen einer Gemeinde, eines Bezirksverbandes oder eines Schulbezirks das Konkursverfahren nicht stattfinden durfte (vgl. § 12 Abs. 1 InsO). Seitdem findet in Deutschland ein Staatsbankrott nur in der Form einer Währungsreform statt. 2.

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise

Einen besonderen Schock verursachte die Weltwirtschaftskrise 1929. Zunächst brach die 2 zweitgrößte deutsche Versicherungsgesellschaft „Frankfurter Allgemeine Versicherungsgesellschaft“ zusammen. 1931 folgte die „Darmstädter und Nationalbank“ (DANAT-Bank). Die Folge war eine Notverordnung (Brüning) „VO über Aktienrecht, Bankenaufsicht und eine Steueramnestie“ von 1931. Schon unmittelbar nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte sich in Deutschland gezeigt, dass in vielen Fällen wirtschaftlichen Zusammenbruchs von Unternehmen ein dringendes Bedürfnis bestand, lebensfähigen Betrieben, die infolge des Krieges notleidend geworden waren, besonderen Schutz zu gewähren. Jetzt rächte sich bitter, dass der Gesetzgeber der Konkursordnung (KO) gemeint hatte, auf die Regelung eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens verzichten zu können. Die Geschäftsaufsichtsverordnungen von 1914, 1916 und 1924 waren Flickwerk und wurden letztlich durch das „Gesetz über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses“ vom 5.7.1927 abgelöst. Die anschließende Vergleichsordnung vom 26.2.1935, die vor allem als Instrument der Sanierung und Fortführung insolventer Unternehmen dienen sollte, hat die Erwartungen der deutschen Wirtschaft deshalb nicht erfüllt, weil sie bar jeder betriebswirtschaftlichen Kenntnisse ausschließlich von Juristen konzipiert worden war. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Buch von Karl Künne, „Außergerichtliche Vergleichsordnung“, insgesamt sieben Auflagen, zuletzt 1968, erfahren hat. Noch 1951 vermutete Wilhelm Röpke3) die Wirkung des Konkurses als „Todesstrafe des Zi- 3 vilrechts“. Nach V. Muthesius4) war das Ausscheiden eines lebensunfähigen Unternehmens die „notwendige Prämie des Selbstreinigungsprozesses einer ansonsten sauberen Wirtschaft“. Im Insolvenzrecht ging man grundsätzlich von einer Zerschlagung des Schuldnerunternehmens aus, was bei der Schlieker-KG zur Ablehnung der Vergleichseröffnung führte, obwohl der Verkauf der Werften später 21,5 Mio. DM einbrachte. Eine Unternehmensfortführung war zu diesem Zeitpunkt kein Thema. Die ungünstige Sanierungsprognose des vorläufigen Vergleichsverwalters im Verfahren Borgward führte zur Eröffnung des Anschlusskonkurses, obgleich alle Gläubiger später aus der Masse befriedigt werden konnten. In der Rechtswissenschaft erfolgte der eigentliche Durchbruch zu den Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren 1982 durch das Gutachten von Karsten Schmidt für den 54. Deutschen Juristentag zum Thema „Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht“, nachdem Walter Baur auf dem 8. Europäischen Managementsymposion in Davos 1978 bereits dargelegt hatte, dass Sa___________ 2) Vgl. Hornfischer, KTS 2008, 423 ff. 3) Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, S. 305. Vgl. auch W. Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus, 2. Halbbd., S. 577 ff. 4) Muthesius, Zeitschrift für die gesamte Kreditwirtschaft, S. 760. Vgl. auch Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, S. 103; Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 342.

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nierungen reines Management sind und deshalb in der Überführung aus der Krise in die Wachstumsphase enden müssen.5) 3.

Die Entdeckung des Insolvenzverfahrens als Fortführungschance

4 Erst Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts entdeckte die Betriebswirtschaftslehre die Unternehmenskrise als Chance für einen wirtschaftlichen Neuanfang. Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen hatten dazu geführt, dass sich 1930 sowohl der Jurist Hugo Emmerich6) als auch der Betriebswirt Fritz Fleege-Althoff7) in grundlegenden Werken mit der notleidenden Unternehmung und der Sanierung befassten. Das Erscheinen des zweiten Teils der beiden Werke wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert. 1959 sah sich die Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft veranlasst, einen Arbeitsausschuss für Insolvenzwesen zu gründen. Auf dem ersten Kongress „Zentralprobleme des Insolvenzwesens“ führte der damalige Leiter des Arbeitsausschusses für Insolvenzwesen u. a. aus, die alte Berliner Tradition der Pflege eines wirtschaftsnahen Insolvenzrechts, dessen besondere Repräsentanten, der Berliner Amtsgerichtsrat Leopold Levy und der Leipziger Universitätsprofessor Jaeger gewesen seien, habe nach jahrzehntelangem Ruhen durch den Arbeitsausschuss für Insolvenzwesen innerhalb der Organisation der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft eine für Wissenschaft und Praxis begrüßenswerte Erneuerung erfahren. Die Anregung zu der Veranstaltung war erfolgt durch den Kölner Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen, der zum damaligen Zeitpunkt bereits sein zehnjähriges Bestehen feierte. Der Beitrag von Rudolf Baade „Probleme der Insolvenzpolitik“ befasste sich eingehend mit Fragen der Insolvenzrechtsreform. Auch der damalige Vorsitzende des Kölner Arbeitskreises für Insolvenzrecht Hans Brass sprach sich in mehreren Beiträgen der Zeitschrift „Konkurs und Treuhand“ für eine Reform des Konkursrechts aus.8) Kein Geringerer als Ernst Jaeger hat auf dem I. Internationalen Kongress für Gläubigerschutz in Wien 1930 die dringende Notwendigkeit einer Reform bejaht. Auch in der Betriebswirtschaftslehre besann man sich auf den heute noch vielzitierten Satz von Ernst Jaeger: „Der Konkurs ist ein Wertvernichter schlimmster Art und obendrein das teuerste Schuldentilgungsverfahren. Je größer das ihm verfallende Unternehmen ist, je weitere Wirtschaftskreise der Zusammenbruch in Mitleidenschaft zieht, desto erwünschter muss es sein, wenn Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarung eines Ausgleichs dem Konkurse vorbeugen.“ 5 Nach zutreffender Auffassung von Ernst Jaeger vermag selbst das beste Konkursgesetz die Nachteile nicht auszuschließen, die der Konkurs jeder größeren Unternehmung für die unmittelbar Beteiligten, aber auch für weitere Verkehrskreise im Gefolge hat. Auf der traditionellen Pfingsttagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. 1980 wurde erneut ein Grundstein für die Fortführung von Unternehmen in der Insolvenz gelegt. Der Betriebswirt Eberhard Witte9) bemühte gar den Eid des Hippokrates: „Die Erhaltung und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Gesundheit jedes einzelnen Unternehmens soll oberstes Gebot des Bemühens sein.“ 1955 war schon das Werk von F. A. Schmitt/F. Schmitt, „Rationelle Sanierung. Die Vermeidung und Beseitigung von Zahlungsschwierigkeiten auf organischer Grundlage“, erschienen, hatte aber wenig Beachtung gefunden. ___________ Vgl. W. Baur, Sanierungen. Wege aus Unternehmenskrisen. Emmerich, Die Sanierung, 1. Teil. Fleege-Althoff, Die notleidende Unternehmung, 1. Bd., Krankheitserscheinungen und Krankheitsursachen. Brass, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1942, S. 329 ff.; Brass, Zeitschrift für Konkurs- und Treuhandwesen 1940, S. 18. 9) Bratschitsch/Schnellinger-Witte, Die Unternehmenskrise – Anfang vom Ende oder Neubeginn?, Unternehmenskrisen – Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, S. 7, 12.

5) 6) 7) 8)

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Auch bei den damaligen Konkurs- und Vergleichsverwaltern setzte in den siebziger Jahren 6 des vorigen Jahrhunderts ein völliges Umdenken ein. Sie führten oftmals im eröffneten Konkursverfahren jahrelang Unternehmen weiter und ließen sich in der Presse als „Heilpraktiker der deutschen Wirtschaft“ feiern. Eine Vielzahl von Unternehmensfortführungen im Konkurs führte teilweise zu einer Verzerrung des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Gesunde Konkurrenzunternehmen gerieten in Schwierigkeiten, weil die Konkursunternehmen wegen des Zahlungs- und Zinsstopps günstiger produzieren konnten. II.

Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977

Der Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln hat zum 100jährigen 7 Bestehen der KO eine Festschrift unter dem Titel „Einhundert Jahre Konkursordnung 1877 – 1977“ herausgegeben.10) In dem Geleitwort stellte der damalige Bundesminister der Justiz Dr. Hans-Jochen Vogel fest, ein gewisses Versagen der KO habe sich schon nach der Jahrhundertwende abgezeichnet, als in wirtschaftlichen Krisenjahren mit hohen Insolvenzzahlen der Konkurs sich als „höchst kostspielige, mit schweren Verlusten verbundene Liquidationsart“ herausstellte. In der Weltwirtschaftskrise habe sich der Konkurs vollends als „hoffnungslose Lösung“ beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Unternehmens erwiesen. In seinem viel beachteten Referat zum Thema „Der Konkursverwalter als Unternehmer“11) hat Klaus Stüdemann die Frage untersucht, ob die KO in ihrer damaligen Fassung dem „Handeln des Konkursverwalters als Unternehmer Raum gibt und ihn damit nicht länger vor eine rein vollstreckungsrechtlich, sondern vor eine in erster Linie betriebswirtschaftlich zu beurteilende Situation stellt.“ Nach Stüdemann werde „ein Prozess der Umorientierung von der Unternehmenszerschlagung zur Unternehmensfortführung als gleichberechtigter, gegebenenfalls sogar genereller Verwertungsform ein Umdenken auch in anderen Bereichen zur Folge haben müssen“, wie z. B. für die Haftung des Konkursverwalters.12) Es sei „hohe Zeit, die traditionellen Formen der Konkursabwicklung auf ihre Gültigkeit zu überprüfen.“ Die Ölpreiskrise von 1973 hatte eine Rezession zur Folge, die viele Unternehmen in wirt- 8 schaftliche Schwierigkeiten brachte, denen das geltende Insolvenzrecht nicht gewachsen war. Der Hamburger Insolvenzverwalter Dr. Joachim Kilger sprach 1975 auf dem 38. Deutschen Anwaltstag in Berlin vom „Konkurs des Konkurses“,13) Aufgrund der massiven Forderungen aus allen Fachbereichen konnte sich auch der Gesetzgeber der Einsicht nicht verschließen, dass die früher oftmals gerühmte Qualität der KO als trefflichstes der Reichsjustizgesetze und die Bewährung der Vergleichsordnung von 1935 in der Vergangenheit nicht verhindern konnten, dass die Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts weitgehend verloren ging. III.

Die Betriebsfortführung im System der InsO

Anfang 1978 setzte der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Hans-Jochen Vogel, die 9 Kommission für Insolvenzrecht ein, der auch der Verfasser dieser Einführung angehörte. Vorgegebenes Ziel für die Arbeit der Kommission war es, entsprechend dem US-amerikanischen Insolvenzrecht ein Reorganisationsverfahren zu entwickeln, das umfassende Maßnahmen zur Sanierung eines in Schwierigkeiten geratenen Unternehmens ermöglicht. ___________ 10) Herausgeber Wilhelm Uhlenbruck, Bernd Klasmeyer und Bruno M. Kübler, mit einem Geleitwort des damaligen Bundesministers der Justiz Dr. Hans-Jochen Vogel. 11) Stüdemann in: FS Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 401 ff. 12) Stüdemann in: FS Einhundert Jahre Konkursordnung, S. 439. 13) Kilger, KTS 1975, 142, 165; vgl. auch Uhlenbruck, NJW 1975, 897 ff.; Hanisch, ZZB 1977, 1 ff.

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Nach den Vorstellungen des Justizministeriums sollten Gläubiger und Anteilseigner eines insolventen Unternehmens als Verfahrensbeteiligte auch über Eingriffe in gesellschaftsrechtliche Verhältnisse des Unternehmens in einem einheitlichen Verfahren entscheiden können. In dem 1985 erschienenen „Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht“ sollte gemäß Ziff. 2.1.1 Abs. 2 der Leitsätze ein Reorganisationsverfahren innerhalb eines einheitlichen Insolvenzverfahrens eingeführt werden. In jedem Verfahren sollte nach Eintritt der Insolvenz die konkursmäßige Liquidation des Schuldnervermögens abgewendet werden, „indem vor allem die Vermögensverhältnisse des Schuldners neu geordnet werden.“ Gemäß Ziff. 2.4.9.5 Abs. 1 der Kommissionsleitsätze (S. 282) war der Ausschluss von Gesellschaftern wegen Wertlosigkeit ihrer Anteile aus einer Gesellschaft zulässig. Ein Ausschluss konnte allerdings nicht mit Hilfe eines Reorganisationsplans bewirkt werden, sondern bedurfte nach den Vorstellungen der Kommission einer gerichtlichen Entscheidung, mit der die Wertlosigkeit des Anteils festgestellt wurde. Der Vorschlag hat ebenso wie die Befugnis, durch Beschluss des Insolvenzgerichts Gesellschafter aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, wegen verfassungsrechtlicher Bedenken keinen Eingang in die Insolvenzordnung (InsO) gefunden. War schon der konkursabwendende Vergleich als ein dem Konkurs vorgeschaltetes gerichtliches Vergleichsverfahren, wie es der Bundesratsentwurf 1875 vorgesehen hatte, bei den Beratungen auf der Strecke geblieben, so wies die am 1.1.1999 in Kraft getretene InsO weitere Defizite auf, die eine Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren erschwerten oder unmöglich machten. Weder das in den §§ 217 ff. InsO geregelte Insolvenzplanverfahren noch die Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO boten eine hinreichende Rechtsgrundlage für die fortführende Sanierung i. R. eines Insolvenzverfahrens. Die Schuldnerunternehmen waren faktisch darauf beschränkt, „in ein Regelinsolvenzverfahren zu gehen, weil der Eigenverwaltung kaum Aussichtschancen eingeräumt wurden und das Planverfahren als zu aufwändig erachtet wurde.“14) 10 Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) hat der Gesetzgeber das gesamte Kapitalersatzrecht mit Wirkung zum 1.11.2008 neu geregelt. Schon vor dem Inkrafttreten der InsO war diese schon mehrfach geändert worden und auch nach dem Inkrafttreten sprach man wegen der dauernden Änderungen von der „Dauerbaustelle Insolvenzrecht“. Die InsO hat in vielfacher Hinsicht den Anliegen der Praxis Rechnung getragen, ohne dabei gravierende Eingriffe in das Gesellschaftsrecht vorzunehmen. Noack15) spricht zutreffend von einer „gesellschaftsrechtlichen Enthaltsamkeit der Insolvenzordnung“. Im Wettbewerb mit anderen Rechtsordnungen galt das deutsche Recht als sanierungsunfreundlich, was einige Krisenunternehmen dazu bewog, ihren Sitz zu verlegen, um die Sanierungs- und damit Fortführungschancen ausländischen Insolvenzrechts zu nutzen. In kleinen Schritten tastete sich der deutsche Gesetzgeber mit weiteren Regelungen vor, um im Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen das deutsche Insolvenzrecht wettbewerbsfähig zu machen. IV. 1.

Die Unternehmensfortführung nach der InsO Das Vorbild ausländischer Regelungen

11 Schon bei der Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht hatte der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Vogel, darauf hingewiesen, dass in die Beratungen auch die Sicht der kreditgewährenden Wirtschaft und der Arbeitnehmerschaft einbezogen werden sollten. Als Ausgangspunkt solle zwar nach wie vor die Insolvenz als Fall der Haftungsverwirklichung gesehen werden. Die Insolvenz könne jedoch nicht mehr lediglich als Angelegenheit zwischen Gläubiger und Schuldner begriffen werden. Vielmehr seien in der heutigen ___________ 14) So Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425, 427. 15) Noack, Gesellschaftsrecht, Sonderband zu Kübler/Prütting, InsO, Rz. 5.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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eng ineinander verzahnten und miteinander verflochtenen Wirtschafts- und Arbeitswelt auch die allgemeinen volkswirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu erkennen und zu bewerten. Sehr bedenkenswert erschien dem Minister der Vorschlag zu sein, „nach amerikanischem und französischem Vorbild ein besonderes Sanierungsverfahren einzuführen.“ Die Politik hatte inzwischen erkannt, dass sich eine funktionierende Wirtschaft nur eine begrenzte Zahl an Insolvenzen und nur eine bestimmte Höhe an Insolvenzschäden leisten kann, wenn sie nicht selbst Schaden nehmen will. 2.

Die Betriebsfortführung als Verfahrensziel

Der eigentliche Durchbruch zu Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im Insolvenz- 12 verfahren erfolgte 1982 durch das Gutachten von Karsten Schmidt zum Thema „Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht“ für den 54. Deutschen Juristentag. In Ziff. 19 heißt es u. a.: „Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren sollte Regel werden, nicht Ausnahme bleiben, so lange das Verfahren mit Reorganisationszweck betrieben wird.“ (D 131). Dies stellte eine endgültige Abkehr von der Auffassung des BGH dar, wonach die Eröffnung des Konkurses ein wirtschaftliches Stadium markiert, „das im Interesse der Gläubiger eine Weiterführung des betroffenen Unternehmens verbietet und zur Verwertung noch vorhandener Vermögensteile zum Zwecke gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung zwingt.“16) Klaus Stüdemann, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu 13 Köln, legte 1995 in der Zeitschrift „Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 1995“ (S. 1, 20) einen Beitrag vor zum Thema „Der Gedanke der Fortführung insolvent gewordener Unternehmen und seine Verwirklichung im neuen Insolvenzrecht“. Nach Feststellung von Stüdemann zeigt sich die als „erstrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens vorgegebene Unternehmensfortführung zu Lasten der Unternehmenszerschlagung“ unverkennbar bereits im vorgeschlagenen Aufbau des Gesetzes und im Umfang seiner Abschnitte. Enttäuscht heißt es aber weiter: „Offensichtlich vermochten die Verfasser der dem Ersten Kommissionsbericht nachfolgenden Entwürfe den kühnen Sprung aus der Befangenheit jahrtausendealten Denkens aber nicht zu folgen: Alle nachfolgenden Entwürfe bis hin zur Insolvenzordnung übernehmen die von der Kommission für Insolvenzrecht entwickelten Gedanken nicht, sondern fallen zurück in den vertrauten Dunstkreis der bonorum distractio, die Empfehlung zur Fortführung auf den Lippen, die Zerschlagung im Kopf.“ Spätestens mit dem ESUG sind später diese Geburtsfehler der InsO weitestgehend berich- 14 tigt worden. Es erstaunt, dass die Vereinigung der Zivilprozessrechtslehrer in der Zeit vom 28.2. bis 4.3.1990 in Würzburg eine Arbeitstagung zum Thema „Insolvenzrechtsreform“ durchgeführt hat, auf der sich nur der Beitrag von Karsten Schmidt mit der Übertragenden Sanierung als „zweifelhafte Form der Unternehmensfortführung“ befasst.17) Das von der Reformkommission vorgeschlagene Reorganisationsverfahren sollte „in geeigneten Fällen die Insolvenz eines unternehmerisch tätigen Schuldners auf wirtschaftlich vertretbare und den Gläubigern zumutbare Weise bereinigen und das schuldnerische Unternehmen – statt es zu liquidieren – mit seinen Produktionsstätten, Arbeitsplätzen und Geschäftsbeziehungen auf Dauer erhalten.“18) ___________ 16) BGH, Urt. v. 10.4.1979 – VI ZR 77/77, NJW 1980, 55 = KTS 1980, 122, 123 m. krit. Anm. Mohrbutter. 17) Vgl. Tagungsband KTS Schriften Bd. 1991, S. 67 ff. 18) Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 152

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§1 3.

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Die Betriebsfortführung als interne Gesellschaftspflicht

15 Zu begrüßen ist, dass die Reformkommission frühere Reformbestrebungen aufgegriffen und ein einheitliches Insolvenzverfahren vorgeschlagen hat, das die bisherige Aufteilung zwischen Vergleichsverfahren und Konkurs aufhebt. Missverständlich war aber der Vorschlag im Regierungsentwurf, „die Eigentümer als latente Gruppe zu behandeln, der es überlassen wird, auf ihre Kosten sich selbst zu organisieren und an der Abstimmung über einen Plan teilzunehmen.“19) 16 Anders als § 91 Abs. 2 AktG i. d. F. des KonTraG sieht das GmbHG keine Verpflichtung des Geschäftsführers vor, ein Überwachungssystem einzurichten, um den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Trotzdem trifft den GmbH-Geschäftsführer nach heute wohl allg. M. eine Organisationspflicht, die ihn in die Lage versetzt, die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit zu überblicken und Risiken rechtzeitig zu erkennen. Deshalb ist ein Geschäftsführer nach h. M. verpflichtet, ein geeignetes Risikokontrollsystem einzurichten, „das den Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft Rechnung trägt. Jene Organisationspflicht ist Bestandteil der Pflicht zu ordnungsgemäßen Geschäftsführung.“20) Die Organisationspflicht des organschaftlichen Vertreters einer antragspflichtigen Gesellschaft besteht als interne Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Sie enthält regelmäßig eine Solvenzprognose, die weitgehende Ähnlichkeiten aufweist mit der Solvenzprognose zur Feststellung einer Überschuldung oder drohenden Zahlungsunfähigkeit. So ist z. B. von dem Geschäftsführer einer GmbH „eine Fortbestehensprognose zu fordern, die auf der Grundlage einer kontinuierlichen Finanzplanung erfolgt.“21) Die Beurteilung der Fortbestehensprognose nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB reicht wegen des liquiditätsbezogenen Ansatzes der Insolvenzprognose nicht22) aus. Die Aussage, dass organschaftliche Vertreter einer insolvenzantragspflichtigen Gesellschaft aufgrund ihrer Organisationspflicht und Selbstbeobachtungspflicht zur Sanierung verpflichtet sind, sagt nichts darüber aus, welche Sanierungsmaßnahmen in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Jedenfalls hat der organschaftliche Vertreter zunächst alle Maßnahmen zu treffen, die die Fortführung des Betriebes gewährleisten. Hierzu gehört auch die Erstellung eines Sanierungskonzepts. Diese Maßnahmen fallen noch nicht in den Kompetenzbereich der Gesellschafter. Ob und inwieweit Gesellschafter aufgrund ihrer Treuepflicht zur Sanierung verpflichtet sind, ist nach wie vor ungeklärt.23) 4.

Zuständigkeiten für die interne Fortführungsentscheidung

17 Zuständig für eine vorläufige Sanierungsmaßnahme ist grundsätzlich der Geschäftsführer oder Vorstand einer antragspflichtigen Gesellschaft. Ergibt sich bei der Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtgemäßem Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals besteht, hat der Vorstand einer AG die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen (§ 92 Abs. 1 AktG). Eine ähnliche Regelung findet sich in § 49 Abs. 3 GmbHG, wenn sich aus der Jahresbilanz oder einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz ergibt, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. Der Geschäftsführer einer GmbH hat aber außer in den gesetzlich geregelten Fällen die Gesellschafterversammlung auch dann einzuberufen, wenn es im In___________ 19) So die Allgemeine Begründung zum RegE InsO, abgedr. bei Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, S. 256. 20) Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 31; Bork, ZIP 2011, 101, 105 ff. 21) Bork, ZIP 2011, 101, 103 f. vgl. auch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten; Baumbach/HueckZöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 17; Kort, GmbHR 2013, 566 ff. 22) Vgl. Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 112 ff. 23) Vgl. Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 36, 37; Thole, ZIP 2013, 1937 ff.

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§1

teresse der Gesellschaft erforderlich erscheint (§ 49 Abs. 2 GmbHG). Das Erfordernis ist jedenfalls zu bejahen, wenn eine Unternehmenskrise vorliegt, die die Fortführung des Unternehmens gefährdet.24) Die Pflicht eines organschaftlichen Vertreters zur Sicherung der einstweiligen Unternehmensfortführung bis zur Entscheidung der Gesellschafterversammlung folgt nicht zuletzt aus der Entscheidungsbefugnis der Gesellschafter. Sie ermöglicht zugleich auch eine Fortführung des Unternehmens durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, der nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO das Schuldnerunternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen hat, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Die Pflicht, das schuldnerische Unternehmen zunächst fortzuführen, resultiert insoweit aus der gesetzlichen Kompetenzzuweisung. Auch bei der Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter sollten Kompetenzkonflikte vermieden und Kooperationspotentiale genutzt werden.25) Das Insolvenzgericht ist grundsätzlich frei in der Bestimmung der Rechte des vorläufigen Verwalters und kann gemäß § 22 Abs. 2 InsO die Fortführung des Unternehmens gemäß § 22 Abs. 1 InsO anordnen. Selbst ohne gerichtlichen Beschluss erfasst die allgemeine Sicherungspflicht des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters auch die Pflicht zur Mitwirkung an der Betriebsfortführung und Betriebserhaltung, obwohl insoweit eine ausdrückliche gesetzliche Regelung insoweit fehlt.26) Die Zuständigkeitsbereiche für Sanierungsmaßnahmen bei einer Krisengesellschaft lassen 18 sich nur schwer abgrenzen. Richtig ist aber, dass zwischen dem Erkennen der Krise bis zur Entscheidung der Gesellschafter über Sanierungsmaßnahmen Eilmaßnahmen erforderlich sind, die allein der Vorstand bzw. der Geschäftsführer zu verantworten hat.27) Davon unberührt bleibt die Insolvenzantragspflicht eines Geschäftsführers. Der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für den Zeitraum seiner Anzeige der Unternehmenskrise bis zur Sanierungsentscheidung der Gesellschafter sämtliche Sofortmaßnahmen zu treffen, die den Fortbestand des Betriebes gewährleisten. Handelt es sich um eine Unternehmenskrise, die den Fortbestand der Unternehmung gefährdet, sind die organschaftlichen Vertreter vor allem im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO verpflichtet, das Unternehmen zunächst fortzuführen. Sie haben sämtliche Eilmaßnahmen durchzuführen, die die Fortführung des Betriebes ermöglichen bis die Gesellschafterversammlung endgültig entscheidet.28) Die Sanierungs- und Fortführungspflicht trifft bei mehrköpfigen Vertretungsorganen jeden organschaftlichen Vertreter ohne Rücksicht auf seine interne Zuständigkeit. V.

Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen

1.

Sanierungsentscheidungen im vorinsolvenzlichen Bereich

Aufgrund seiner Organisationspflicht ist der organschaftliche Vertreter einer antragspflich- 19 tigen Gesellschaft zur ständigen Selbstbeobachtung und zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet, die eine Krise der Gesellschaft beseitigen. So kann ein GmbH-Geschäftsführer aufgrund einer bestandsgefährdenden Notlage der Gesellschaft wegen der ihn bindenden Treuepflicht gehalten sein, eine einstweilige Einstellung oder Kürzung von Versorgungs___________ 24) Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 49 Rz. 13; Veil, ZGR 2006, 374, 381. 25) Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 139. Vgl. auch Frege, Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung. 26) Vgl. Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil II Rz. 479 S. 127. Ähnlich die Hamburger Leitlinien, ZInsO 2004, 24 und die Heidelberger Leitlinien, ZInsO 2009, 1848. 27) Vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.15 ff.; Bork, ZIP 2011, 101, 108. 28) Vgl. Bork, ZIP 2011, 101, 108.

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bezügen zu veranlassen oder eine Kürzung der Bezüge entsprechend § 87 Abs. 2 AktG hinzunehmen. Grundsätzlich ist der organschaftliche Vertreter berechtigt, alle erforderlichen „internen Sanierungsmaßnahmen“ ohne Mitwirkung der Gesellschafter durchzuführen. Auch hier stößt er aber an natürliche Grenzen, wie z. B. bei der übertragenden Sanierung.29) Selbst wenn bei einer übertragenden Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens das Unternehmen mit seinen Vermögenswerten vom Unternehmensträger, der als juristische Person fortgeführt werden kann, ganz oder teilweise getrennt wird, handelt es sich letztlich um eine Liquidation, die einen Gesellschafterbeschluss voraussetzt. Beim Asset Deal wird z. B. das Unternehmen durch Veräußerung der für seine Fortführung notwendigen Gegenstände auf einen anderen Rechtsträger übertragen. Der bisherige Unternehmensträger wird, sofern es sich um eine juristische Person handelt, bis zur Löschungsreife weitergeführt und anschließend gelöscht. Die übertragende Sanierung ist ohne Mitwirkung der Gesellschafter nicht möglich.30) Da es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und die Art und Weise einer Unternehmenssanierung um eine außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme handelt, die den Bestand des Unternehmens berührt, steht den Gesellschaftern einer GmbH die Entscheidungsbefugnis über die Unternehmensfortführung und entsprechende Maßnahmen der Sanierung zu.31) 20 Beantragt der Geschäftsführer einer GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne die Möglichkeit einer „freien“ Sanierung ausreichend geprüft zu haben, verletzt er die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43, Abs. 1, 2 GmbHG.32) 2.

Erweiterung der Zuständigkeiten bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes

21 Liegt ein Insolvenzgrund vor, der nach § 15a InsO zum Insolvenzantrag verpflichtet, so erweitern sich die Zuständigkeiten: Der organschaftliche Vertreter ist nach Vorliegen eines Insolvenzgrundes gemäß § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen. Hieraus lässt sich nicht etwa der Schluss ziehen, dass die Entscheidungsbefugnis über die Verfahrensart ausschließlich bei einem Geschäftsführer oder antragspflichtigen Vorstand liegt. Vielmehr ist der antragspflichtige organschaftliche Vertreter zunächst verpflichtet, die Gesellschafterversammlung über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und seine Antragspflicht zu informieren. Die Gesellschafterversammlung ist zwar hinsichtlich der Antragstellung nicht weisungsbefugt; sie kann jedoch den Geschäftsführer anweisen gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO den Antrag auf gerichtliche Anordnung eines Schutzschirmverfahrens zu stellen und die Drei-Wochen-Frist nutzen, eine außergerichtliche Sanierung zum Zwecke der Betriebsfortführung herbeizuführen. 22 Umstritten ist, ob es für einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) eines Gesellschafterbeschlusses bedarf.33) Da die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Auflösung der Gesellschaft führt und grundsätzlich den Verlust der Verfügungsbefugnis zur Folge hat, stellt sich im Hinblick darauf, dass die Altgesellschafter im Insol___________ 29) Zu den Risiken vorinsolvenzlicher übertragender Sanierung und Anschlussinsolvenzverfahren s. Uhlenbruck in: FS Haarmeyer, S. 301 ff. = ZInsO 2013, 2033 ff. 30) Vgl. K. Schmidt, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 1 S. 67 ff. Zipperer, NZI 2008, 206 ff.; Besau, KSI 2011, 202 ff.; Bitter/Rauhut, KSI 2007, 197 ff. 31) Vgl. Gottwald-Haas, Hdb. InsR, § 92 Rz. 141; Bork, ZIP 2011, 101, 107 f. 32) Es handelt sich insoweit nicht um die Haftung wegen „verfrühter“ Antragstellung, sondern wegen der schuldhaften Verletzung der Zuständigkeit für eine Sanierungsentscheidung. Liegt ein Insolvenzgrund vor, der den Geschäftsführer zum Insolvenzantrag verpflichtet (§ 15a InsO), so entfällt nicht etwa die Entscheidungsbefugnis der Gesellschafterversammlung. 33) Vgl. Wertenbruch, DB 2013, 1592 ff.; OLG München Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121 = GmbHR 2013, 590 m. Anm. Leinekugel.

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venzplanverfahren gemäß § 225a Abs. 2, 3 InsO ihre Gesellschafterposition verlieren können, die Frage, ob Geschäftsführer oder Vorstände vor Stellung des Insolvenzantrag nach § 18 InsO einen Beschluss der Gesellschafterversammlung bzw. einer Hauptversammlung einzuholen haben. Dies wird von der absolut h. M. auch dann bejaht, wenn eine Eigenverwaltung mit Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO beantragt werden soll.34) Insoweit ist eine Weisung der Gesellschafter für Geschäftsführer verbindlich. Bei der AG besteht der Zweck des § 92 Abs. 1 AktG darin, dass die Handlungsfähigkeit 23 der Hauptversammlung für Sanierungsmaßnahmen hergestellt wird. Da das Insolvenzplanverfahren schwerwiegende Eingriffe in die Mitgliedschaft nach § 225a Abs. 2 und 3 InsO ermöglicht, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens immer ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Wertenbruch35): „Die Entscheidung über eine Sanierung im Insolvenzverfahren mit den scharfen Instrumenten des Insolvenzplanrechts anstelle eines Sanierungsversuchs unter alleiniger Regie der AG obliegt den Aktionären, so lange nicht zur drohenden Zahlungsunfähigkeit die Überschuldung mit der Folge der Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO hinzutritt.“ Auch der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für den Fall einer Sanierungsmög- 24 lichkeit den Gesellschaftern ein Sanierungskonzept vorzulegen, das geeignet ist, die Insolvenzantragspflicht zu beseitigen. Da die Insolvenzantragspflicht eine öffentlich-rechtliche Pflicht ist, finden das Entscheidungs- und das Weisungsrecht der Gesellschafter ihre Grenze bei Vorliegen eines antragspflichtigen Insolvenzgrundes (§ 15a InsO). 3. Sanierungsentscheidung bei drohender Zahlungsunfähigkeit Hat der organschaftliche Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft die Gesellschafter 25 dahingehend informiert, dass der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 1 InsO) vorliegt, haben diese in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, ob eine mögliche Sanierung mit dem Ziel der Betriebsfortführung innerhalb oder außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens stattfindet. Die Entscheidung erfordert eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Sanierungsmöglichkeiten.36) Liegt ein Insolvenzgrund vor, der nach § 15a InsO zum Insolvenzantrag verpflichtet, entscheidet die Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung darüber, ob in einem eröffneten Insolvenzverfahren die Fortführung des Betriebes angestrebt werden soll. Allerdings müssen die Gesellschafter damit rechnen, dass die Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 1 InsO im Berichtstermin beschließt, dass das Schuldnerunternehmen gegen ihren Willen stillgelegt wird.37) 4.

Anforderungen an ein Sanierungskonzept

Die Sanierungspflicht eines organschaftlichen Vertreters38) umfasst in der Unternehmens- 26 krise die Erarbeitung eines Sanierungskonzepts und sämtliche vorbereitenden Maßnahmen, die der Gesellschafterversammlung eine rasche Entscheidung über die notwendigen Sanierungsmaßnahmen ermöglichen. Bei Vorliegen eines überzeugenden Unternehmenskonzepts und einer langfristigen Finanzplanung kann ein organschaftlicher Vertreter grundsätzlich ___________ 34) Vgl. Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593 und die dort in Fn. 19 angegebene Literatur. 35) Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594. 36) Vgl. Uhlenbruck, BB 2001, 1641 ff.; Uhlenbruck, Außergerichtliche Sanierung, in: Knops/Bamberger/ Maier/Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 5; Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 34 ff.; Undritz, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Kap. 29 Rz. 10 ff. 37) „Eine Unternehmensfortführung in der Insolvenz ist die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs unter Führung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter anstatt durch die Organe des insolventen Unternehmensträgers“ (K. Schmidt-Jungmann, InsO, § 157 Rz. 1). 38) Vgl. Frege, NZI 2006, 545, 546; Undritz in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Kap. 29, Rz. 21.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

von der Bereitschaft der Gesellschafter ausgehen, den Betrieb fortzuführen. Für einen sanierungsvorbereitenden Insolvenzantrag darf die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein, was auch für einen Antrag auf Eigenverwaltung mit Schutzschirm gilt (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Nicht übersehen werden darf, dass es seit dem Inkrafttreten des ESUG möglich ist, i. R. eines Insolvenzplans einen Kapitalschnitt durchzuführen, der zunächst eine Kapitalherabsetzung auf „null“ vorsieht und damit zu einem Verlust der Geschäftsanteile der Altgesellschafter führt. Die Altgesellschafter bilden bei der Abstimmung über den Insolvenzplan eine eigene Gruppe. Auf deren Abstimmungsverhalten kommt es – anders als bei einem Gesellschafterbeschluss – im Ergebnis nicht an, wenn die Umsetzung des Plans zu einem Ausscheiden des Altinhabers ohne jegliche Abfindung führt. Insoweit greift das Obstruktionsverbot des § 245 Abs. 3 InsO ein. Steht der Betroffene durch den Plan nicht schlechter als ohne Plan, so kann eine verweigerte Zustimmung zum Plan durch das Gericht ersetzt werden.39) Im Wege des „Debt-Equity-Swaps“ besteht die Möglichkeit für Gläubiger, ihre Forderungen im Wege des Planverfahrens in eine Beteiligung am schuldnerischen Unternehmen umzuwandeln, wodurch ein Passivtausch von bilanziellen Fremdkapital in Eigenkapital stattfindet (§ 225a Abs. 2 InsO). VI.

Die unverzichtbare Fortbestehensprognose

1.

Gesetzliche Grenzen einer Unternehmensfortführung

27 Eine Fortführung des Schuldnerunternehmens im und außerhalb des Insolvenzverfahrens setzt eine überzeugende Insolvenzprognose voraus. „Die Vorgabe der dauerhaften Betriebsfortführung mit dem Ziel der Sanierung ist ohne weitere konkrete Determinanten nicht möglich.“ (Wimmer/Wegener).40) Die fortsetzende Sanierung eines Krisenunternehmens erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit entscheiden die Gesellschafter, ob das Unternehmen außergerichtlich oder i. R. eines Insolvenzverfahrens saniert werden soll. Letzterenfalls kann es aber eine unliebsame Überraschung geben, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen vor dem Berichtstermin stilllegen will (§ 158 Abs. 1 InsO) oder die Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 1 InsO im Berichtstermin beschließt, dass er Betrieb stillgelegt wird. 28 Im Eröffnungsverfahren hat der Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO das Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Aber auch hier kann das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmen, um eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens zu vermeiden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Wird eine Fortführung des Schuldnerunternehmens durch Insolvenzverfahren angestrebt, so ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der gerichtlichen Sanierung die gründliche und rechtzeitige Vorbereitung des Insolvenzverfahrens. Es gilt, das Schuldnerunternehmen als betriebliche Einheit zu erhalten, um eine dauerhafte Sanierung durch Insolvenzplan im Verfahren zu erreichen. Aber: „Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, den Betrieb im Blindflug oder um jeden Preis fortzuführen, nur um der Fortführungsprämisse gerecht zu werden.“41) Zulässig ist jedoch eine kurzfristige Betriebsfortführung mit dem Ziel einer wirtschaftlich sinnvollen Ausproduktion und anschließenden Stilllegung. 29 Ist eine übertragende Sanierung beabsichtigt, sind entsprechende Übernahmeangebote oder das Interesse eines oder mehrerer potentieller Erwerber zu dokumentieren. Die Fort___________ 39) LG Traunstein, Beschl. v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461; Wimmer/Jaffé in: FK-InsO, § 245 Rz. 37 ff. Zu den gesellschaftsrechtlichen Regelungsvorschlägen der Kommission für Insolvenzrecht s. Ulmer, ZHR 149 (1985), 541 ff. 40) So Wimmer/Wegener in FK-InsO, § 157 Rz. 2. 41) So Borchardt/Frind v. Websky, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil III Rz. 1703 S. 533.

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bestehensprognose hat für die Insolvenzpraxis eine besondere Bedeutung erlangt, seitdem durch Gesetz vom 5.12.2012 (BGBl. I, 2418) der mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 eingeführte Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO entfristet wurde. Die Fortführung des Unternehmens, also des Unternehmensträgers, ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO Tatbestandsmerkmal und von einem organschaftlichen Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft ohnehin zu prüfen. Die maßgeblichen Elemente der Fortführungsprognose sind ein tragfähiges Unternehmenskonzept und eine Finanzplanung sowie die Fortsetzungsbereitschaft der Gesellschafter. Auf eine Ertragsfähigkeit kommt es nicht an.42) 2.

Die Sanierungsbescheinigung

Zu den vorbereitenden Tätigkeiten des oder der organschaftlichen Vertreter eines antrags- 30 pflichtigen Unternehmens kann im Einzelfall auch die Einholung eines Sanierungsgutachtens gehören.43) Das Sanierungsgutachten hat zwei Funktionen: einmal ermöglicht es die Entscheidung, ob eine außergerichtliche Unternehmenssanierung möglich ist; zum anderen kann es die Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation darstellen, aus der sich ergibt, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Die Bescheinigung ist mit Gründen zu versehen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat 2012 den Entwurf eines IDW-Standards verabschiedet (IDW ES 9), der die Berufsauffassung wiedergibt, welche Anforderungen an den beauftragten Wirtschaftsprüfer und den Inhalt der Bescheinigung zu stellen sind. Entgegen dem IDW-Standard ist die Bescheinigung schon taugliche Grundlage für eine Anordnung des Schutzschirmverfahrens, wenn nachgewiesen wird, dass die Fortführung des Unternehmens gesichert ist.44) Dazu reicht die Darstellung wesentlicher Punkte des Sanierungskonzepts aus, was allerdings nicht unbestritten ist. Die Bejahung des Merkmals der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Unternehmensfortführung“ schließt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung aus.45) 3.

Die Sanierungsfähigkeit

Nach Auffassung des II. Zivilsenats des BGH46) ist die Überlebens- bzw. Fortführungs- 31 prognose dann negativ, wenn die „Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit kurz- oder mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht“. In einer weiteren Entscheidung vom 9.10.200647) stellt der BGH darauf ab, ob die Finanzkraft des Unternehmens objektiv mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Fortführung ausreicht. Eine günstige Fortführungsprognose setze sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die – grundsätzlich aus einem aussagefähigen Unternehmenskonzept herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Schuldnerunternehmens voraus. Anders als bei der Überschuldung kommt es auf eine Prognosedauer nicht an. Die in einem Insolvenzplan vorgesehenen Opfer der Gläubiger und Anteilseigner können dazu führen, dass mit Abschluss des Verfahrens der Betrieb wieder profitabel arbeitet. Bis ___________ Vgl. K. Schmidt, ZIP 2013, 485 ff.; Hirte/Knof/Mock, ZInsO 2008, 1217, 1219 f. Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 288 ff. Vgl. auch Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 733. Vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck-Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5. 127 f. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = ZIP 1992, 1382; vgl. auch OLG Köln, Urt. v. 19.12.2000 – 22 U 144/00, WM 2001, 1160. 47) BGH, Beschl. v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZInsO 2007, 36, 37 = ZIP 2006, 2171. 42) 43) 44) 45) 46)

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

zur Entscheidung der Gläubigerversammlung oder nach deren Entscheidung entstehende Kosten gehen zu Lasten der Masse. Entscheidend ist immer, ob die Fortsetzung eines defizitären Betriebes im Hinblick auf den durch die Sanierung entstehenden Massezuwachs kompensiert wird. Es kommt letztlich darauf an, ob durch die Fortführung des Betriebes oder des Unternehmens ein optimales Verwertungsergebnis zugunsten der Gläubiger erzielt wird. Selbst bei optimaler Fortführungsprognose ist das Ergebnis der Betriebsfortführung nicht immer mit letzter Sicherheit planbar. Wegen der mit einer Betriebsfortführung verbundenen Risiken sind an die Prüfung durch den Insolvenzverwalter besondere Anforderungen zu stellen. Eine Fortführung des Geschäftsbetriebes ohne solide Planrechnungen wird dem Ziel und Zweck des Insolvenzverfahrens nicht gerecht und kann zur Haftung des Insolvenzverwalters sowie der entscheidenden Gläubigerorgane führen. 32 In masseunzulänglichen Verfahren besteht nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Verpflichtung des Verwalters zur Abwicklung und Verwertung der Masse fort. Eine weitere Betriebsfortführung ist nur zulässig, wenn als Ergebnis der Betriebsfortführung eine zeitnahe, möglichst vollständige Befriedigung der Massegläubiger erreicht werden kann.48) Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ändert sich meist das Verfahrensziel. Der Insolvenzverwalter hat die Masse unverzüglich zu verwerten und langfristige Verträge zu beenden. Ob die Fortführungsfähigkeit auch die Ertragsfähigkeit des Unternehmens voraussetzt, ist umstritten.49) Richtig ist, dass eine langfristige Sanierung eines Krisenunternehmens dazu führen muss, dass wieder Gewinn erwirtschaftet wird. „Die Ertragsfähigkeit des Unternehmens im Sinne einer Sicherung der Innenfinanzierung des Unternehmens ist kein selbstständiger und notwendiger Gegenstand der Fortführungsprognose, sondern nur ein – allerdings wichtiger – Faktor zur Bestimmung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens.“50) 33 Etwas anderes gilt nur, wenn bei einem dauerhaft nicht ertragsfähigen Unternehmen die Liquidität nur noch für einen von vornherein absehbaren Zeitraum durch Aufzehrung des vorhandenen Vermögens aufrechterhalten werden kann. Entscheidend ist letztlich, ob die Liquiditätsprognose für das laufende und nächstfolgende Geschäftsjahr zu einer Gefährdung der Gläubigeransprüche führt, also der Zusammenbruch des Unternehmens bereits absehbar ist. VII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung 34 Bei den meisten antragspflichtigen Gesellschaften geht einem gerichtlichen Insolvenzverfahren der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung voraus in der Hoffnung, den Betrieb trotz Vorliegens einer Krise, oftmals sogar trotz eines Insolvenzgrundes fortführen zu können. Die antragspflichtigen organschaftlichen Vertreter übersehen dabei, dass sie erhebliche Haftungs- und strafrechtliche Risiken eingehen, wenn die sog. „freie“ Sanierung nicht gelingt und ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.51) Selbst wenn eine Zahlungsunfähigkeit droht, aber noch kein antragspflichtiger Insolvenzgrund vorliegt, ist das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO oftmals die einzige Option für eine fortführende Sanierung des Betriebes und des Unternehmens. Zu unterscheiden ist zwischen der internen Sanierungspflicht, die dem organschaftlichen Vertreter einer antragspflichtigen Gesellschaft gegenüber der Gesellschaft als Ausfluss seiner Organisationspflicht obliegt, und der externen Sanierungspflicht. Die ___________ 48) 49) 50) 51)

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Vgl. BGH Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 97/99, ZIP 2002, 1633 = ZInsO 2002, 879. Vgl. K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 19 Rz. 52. Bitterkresser, ZIP 2012, 1733, 1743. S. Uhlenbruck, ZInsO 2013, 2033 ff.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

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schuldhafte Verletzung der externen Sanierungspflicht führt dazu, dass das Unternehmensrisiko weitgehend auf die Gläubiger des Krisenunternehmens abgewälzt wird.52) Rechtsgrundlage für eine vorinsolvenzliche außergerichtliche Sanierungspflicht sind die 35 §§ 4 Abs. 2, 3, 5a Abs. 4, 30, 43a, 64 GmbHG, § 15a InsO.53) Oftmals übersehen und verkannt werden von organschaftlichen Vertretern eines Krisenunternehmens die Risiken einer schuldhaften Verletzung interner und externer Sanierungspflichten. Neben der schuldhaften Verletzung der Insolvenzantragspflicht, die nach § 15 Abs. 4 InsO strafbar ist, kommt oftmals eine Strafbarkeit wegen unterlassener Verlustanzeige (§§ 401, 92 AktG, §§ 84, 49 Abs. 3 GmbHG) in Betracht, sowie eine Haftung nach den § 64 GmbHG, § 93 Abs. 3 – 5 AktG. Neben dem strafbaren Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) erweist sich die vielgepriesene übertragende Sanierung oftmals als Bankrottdelikt i. S. v. § 283 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist, wenn der Übertragungsakt bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit stattgefunden hat. Vermögensübertragungen und sonstige gläubigerbenachteiligende Handlungen werden 36 im Wege der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO rückgängig gemacht. Eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Schuldner mit dem Vorsatz gehandelt hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Ein erhebliches Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gegeben, wenn der Gläubiger eine Befriedigung erhält, die er nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat.54) Die Indizwirkung der Inkongruenz für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kann im Einzelfall allerdings ausgeschlossen sein. So z. B., wenn die Gewährung einer inkongruenten Befriedigung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs ist.55) Nach Auffassung des BGH entfällt der Benachteiligungsvorsatz nicht etwa durch die bloße Hoffnung des Schuldners auf eine Sanierung, „wenn die dazu erforderlichen Bemühungen über die Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten nicht hinausgekommen sind“. Vielmehr muss zu der Zeit der angefochtenen Handlung „ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorliegen, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden ist und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt“.56) Die Teilnahme an außergerichtlichen Sanierungsversuchen stellt somit auch für die Gläubiger des Krisenunternehmens ein erhebliches Risiko dar. Nach § 26 Abs. 4 InsO ist bei schuldhafter Insolvenzverschleppung jede antragspflichtige Person zur Leistung eines Massekostenvorschusses verpflichtet. Insgesamt ist entgegen einer noch h. M. in der Literatur57) festzustellen, dass die außergerichtliche Sanierung und vor allem die fortführende „freie“ Sanierung mit dem Inkrafttreten des ESUG und den gerichtlichen Möglichkeiten einer Betriebsfortführung im „Wettbewerb der Insolvenzrechte“ gleichgezogen hat.58) ___________ 52) Nach Feststellung von Eidenmüller (ZIP 2010, 649, 652) gibt es allerdings kein Urteil, durch das der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft auf dieser Grundlage zum Schadensersatz verurteilt worden ist. Die Einführung einer Haftungsnorm bei unterbliebenen Restaurierungsmaßnahmen sei aber erwägenswert. vgl. auch Veil, ZGR 2006, 374, 376 ff. 53) Vgl. Undritz in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Kap. 29 Rz. 21; Bork, ZIP 2011, 101, 102; krit. in: Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, 13. Aufl., § 43 Rz. 37. 54) BGH, Urt. v. 5.3.2009 – IX ZR 85/07, BGHZ 180, 98 = ZIP 2009, 922. 55) So BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 138. 56) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137, 138 m. w. Rechtsprechungshinweisen. 57) Statt aller Undritz in: Kübler: HRI, § 2 Rz. 59. 58) Zu neuen Sanierungsmöglichkeiten durch das ESUG s. a. Schienstock/Reifert/Drießen, KSI 2013, 167 ff.; Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425 ff.

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VIII. Das ESUG und die neue Insolvenzkultur 1.

Das unveränderte Verfahrensziel

37 Auf dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag 2010 hat die Bundesministerin der Justiz von der Notwendigkeit einer „neuen Insolvenzkultur“ gesprochen. Bereits 1999 hatte Eidenmüller59) für außergerichtliche Sanierungen eine „fehlende Vergleichskultur“ beklagt und das deutsche Insolvenzrecht als „Zerschlagungsrecht“ beanstandet. Allerdings vollziehe sich der von ihm angemahnte Einstellungswandel „natürlich nicht von heute auf morgen“. Wie oben bereits dargestellt wurde, hatte die Betriebswirtschaftslehre schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannt, dass ein Insolvenzverfahren volkswirtschaftlich nicht mehr allein als „Instrument zur Ausmerzung unrentabler Betriebe“ oder als „privatrechtliche Todesstrafe“ für unternehmerisches Fehlverhalten angesehen werden kann.60) Mit der am 1.1.1999 in Kraft getretenen InsO wurde die Grundlage für eine neue Insolvenzkultur geschaffen. Im Rahmen der gesetzgeberischen Aktivitäten wurde sich meist auf die US-amerikanische Regelung des Chapter 11 berufen. Dabei wurde übersehen, dass die amerikanische Insolvenzkultur Sanierungen im ausschließlichen Interesse des Schuldnerbetriebes oder im Allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zulässt. Nicht verkannt werden darf auch, dass in den USA an dem Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 BC teilweise heftige Kritik geübt wird und das Restrukturierungsgesetz sich ebenso zu einer Dauerbaustelle entwickelt hat wie in Deutschland die InsO. Elizabeth Warren hat die Stimmungslage in den USA 1992 wie folgt beschrieben: „After twelve years of experience with the new Bankruptcy Code, people are angry with the bankruptcy process. Creditors are angry with debtors who have resisted payment and thwarted their collection efforts. Employees are angry with companies that have laid them off while big boys remain in their high paying jobs. Tort victims are angry with companies because they are not getting enough money to compensate them for all that they have lost. Judges are angry with disputants because they have neither the time nor the resources to monitor the cases in their care. And everyone is angry with the lawyers because they are getting rich.”61) 38 Dem Reformgesetz von 1978 in den USA ist immer wieder der Vorwurf gemacht worden, allzu schuldnerfreundlich zu sein. In Deutschland zeigte sich bald, dass die als Jahrhundertgesetz gepriesene InsO der Nachbesserung bedurfte. Es folgte 2007 das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (BGBl. I S. 509), 2008 das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (BGBl. I S. 2026), das Restrukturierungsgesetz als Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz und das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (BGBl. I S. 1855). Letztlich stellte sich heraus, dass sämtliche Nachbesserungsgesetze nicht den beabsichtigten Erfolg brachten und vor allem die Eigenverwaltung und damit die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren von der Praxis vielfach nicht angenommen wurden. Erst das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das am 1.3.2012 hinsichtlich seiner wesentlichen Teile in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2582), brachte den entscheidenden Durchbruch, indem es dem Schuldner in erfolgversprechenden Sanierungsfällen die Eigenverwaltung als Sanierungsweg anbot. Die Eigenverwaltung erhielt ihre besondere Ausprägung durch das in § 270b InsO geregelte Schutzschirmverfahren, durch das dem Schuldner die Möglichkeit gegeben wird, den Insolvenzantrag vorzubereiten und frühzeitig zu stellen. Das ESUG eröffnet neue Sanierungsoptionen und erweitert das Aufgabenspektrum für die Restrukturierungsbranche. Durch die Reform sollte insbesondere die „Eigenverwaltung aus ihrem bisherigen Dorn___________ 59) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 363, 364. 60) Anders noch Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus. 61) The Untenable Case for Repeal of Chapter 11, 102 Yale LJ 37, 477 f. (1992).

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röschenschlaf geweckt werden“.62) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers kann hierdurch die Quote erfolgreicher Sanierungen erhöht werden.63) Auch nach dem ESUG bleibt das Insolvenzverfahren gleichwohl ein Mittel der Haftungsverwirklichung. Die fortführende Sanierung ist demnach „nur ein Mittel zur bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger“.64) Auch eine Restruktion oder Reorganisation ist nach der zutreffenden Formulierung von Eidenmüller lediglich „ein Instrument zur Maximierung des haftenden Schuldnervermögens“.65) Die materielle Insolvenz lässt nicht zwingend den Schluss auf ein Versagen der Vermögens- und Haftungssteuerung zu.66) Schlechte Unternehmensführung ist zwar die Hauptursache vieler Insolvenzen; zwingend ist aber nicht, dass der Schuldner bzw. seine organschaftlichen Vertreter in allen Fällen den Eintritt der Insolvenz zu vertreten haben. Nach zutreffender Feststellung von Brinkmann und Zipperer67) darf die Eigenverwaltung nicht etwa in den „Dienst einer Kultur des Scheiterns“ gestellt werden. Das Schuldnerunternehmen erhält keineswegs auf Kosten seiner Gläubiger eine neue Chance. Vielmehr geht es letztlich darum, die Unternehmensfortführung im Wege der Eigenverwaltung als beste Form der Gläubigerbefriedigung zu nutzen und gleichzeitig im Bereich der internationalen Insolvenzrechte konkurrenzfähig zu machen. 2.

Besondere Merkmale der neuen Insolvenzkultur

Das ESUG hat die insolvenzrechtliche Welt verändert.68) Besondere Merkmale einer neuen 39 Insolvenzkultur sind die Regelungen, die auch in einem Eröffnungsverfahren oder Schutzschirmverfahren den Schuldner und den vorläufigen Insolvenzverwalter verpflichten, ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Da nach § 157 InsO die Gläubiger über eine Fortführung, übertragende Sanierung oder Liquidation entscheiden, ist der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich und vorrangig verpflichtet, das Unternehmen bzw. den Betrieb bis zum Berichtstermin aufrechtzuerhalten und fortzuführen.69) Nach Luttermann und Geißler70) hat das ESUG neue Instrumentarien geschaffen, wobei namentlich konkrete Mitwirkungsbefugnisse der Gläubiger einer „herkömmlichen Resignation zur Ohnmacht verurteilter Verfahrensbeteiligter entgegenwirken.“ Gesetzt werde auf ein stärkeres Miteinander und gefördert werde eine allseits tragfähige Sanierungskultur, die auch international konkurrenzfähig sei. Letztlich eröffnet das ESUG neue Strategien zur Optimierung der Sanierungschancen von krisenbetroffenen Unternehmen im Eigenverwaltungsverfahren. Dass die neue Rechtslage ein Umdenken von Seiten aller Verfahrensbeteiligten erfordert, dürfte selbstverständlich sein. Aus der Pflicht, das Schuldnerunternehmen fortzuführen, folgt „ohne dass es eines gesonderten Beschlusses des Insolvenzgerichts bedürfte, auf der Grundlage der gesetzlichen Kompetenzzuweisung die Rechtsmacht, alle der Fortführung zweckdienlichen Entscheidungen zu treffen.“71) ___________ 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71)

Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337. Einzelheiten bei Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337 ff. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1137, 1138. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 50. So aber Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 2.24. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339 Römermann, GmbHR 2013, 337, 344. Borchardt/Frind-v. Websky, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil III, Rz. 1535, S. 483. Luttermann/Geißler, ZInsO 2013, 1381, 1386; Schienstock/Reifert/Drießen, KSI 2013, 167 ff. K. Schmidt-Hölzle, InsO, § 22 Rz. 9.

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40 Das Haftungsrisiko der Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder nach § 64 Satz 1 GmbHG, § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG erhöht sich allerdings, wenn ein Unternehmen in (vorläufiger) Eigenverwaltung fortgeführt wird.72) An einem Verschulden der organschaftlichen Vertreter fehlt es jedoch meistens, wenn rechtzeitig ein Sanierungsplan als sog. pre-packaged-Plan erstellt wird, der den Fortbestand des Krisenunternehmens dokumentiert und Zahlungen an Gläubiger garantiert.73) Je höhere Anforderungen an eine aktuelle Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO gestellt werden, umso geringer ist die Gefahr einer organschaftlichen Haftung oder einer Strafbarkeit. Im Zweifel sollte der organschaftliche Vertreter des Schuldnerunternehmens den Antrag nach § 270b Abs. 3 InsO stellen, dass er Masseverbindlichkeiten begründen darf. In dem durch das ESUG eingeführten Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ist einmal dem Insolvenzrichter die verantwortungsvolle Aufgabe zugewiesen, anhand der Bescheinigung nach § 270b Abs. 3 InsO darüber zu entscheiden, ob dem Schuldner bzw. Schuldnerunternehmen der Zutritt zu diesem Verfahren innerhalb eines Insolvenzeröffnungsverfahrens gewährt wird.74) Aus der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, die von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellt sein muss, ergibt sich meist die Rechtfertigung für die Anordnung sanierungsvorbereitender Maßnahmen im Eröffnungsverfahren. Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§ 270 Abs. 2 Satz 1 InsO) sowie eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO verhindern weitgehend eine Haftung des organschaftlichen Vertreters wegen verbotener Zahlungen. 41 Zur Sanierungswürdigkeit ist festzustellen, dass nach § 1 InsO das Insolvenzverfahren auch nach Inkrafttreten des ESUG weiterhin ein Instrument der Haftungsverwirklichung i. R. der Gesamtvollstreckung bleibt. Weder die Verwertung des Schuldnervermögens noch der „Erhalt“ des Unternehmens sind das alleinige Ziel des Verfahrens.75) Beide sind lediglich Mittel zur Gläubigerbefriedigung, die andere Mittel keineswegs ausschließen. Einige Insolvenzgerichte wie z. B. Hamburg und Heidelberg haben inzwischen Leitlinien entwickelt, wie Leistungen betriebsnotwendiger Lieferanten im Insolvenzeröffnungsverfahren abzusichern sind.76) Nach zutreffender Feststellung von Frind77) ist die Betriebsfortführung niemals als Selbstzweck anzusehen, sondern sie ist vielmehr darauf reduziert, „im eröffneten Insolvenzverfahren eine optimale Befriedigung der Gläubiger zu erreichen“. 3.

Rechtzeitige Kommunikation mit den Hauptgläubigern

42 Die durch das ESUG in den §§ 270a und 270b InsO eingeführten Sanierungsoptionen sind so angelegt, dass sie ohne die Einschaltung eines Beraters nicht funktionieren. Eine fortführende Sanierung in einem gerichtlichen Insolvenzverfahren kann letztlich nur Erfolg haben, wenn rechtzeitig ein Sanierungs- und Insolvenzplan erstellt wird. Erst wenn die Opfer feststehen, die einige oder alle Gläubiger zu bringen haben, hat der Berater oder der organschaftliche Vertreter nach Information der Gesellschafter die Pflicht, die wesentlichen Verfahrensbeteiligten von den beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen und der damit verbundenen Fortführung zu unterrichten und den Plan zu verhandeln. Zu Beginn der Verhandlungen stehen meist ein betriebswirtschaftliches Grobkonzept und die integrierte ___________ 72) Vgl. A. Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 ff. 73) Zur Sanierungsfähigkeitsprüfung vgl. Portisch, KSI 2013, 149 ff. 74) Zu den Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren vgl. auch Zipperer/ Vallender, NZI 2012, 729 ff. 75) Vgl. Gerhardt in GroßKomm-InsO, § 1 Rz. 2. 76) Hamburger Leitlinien, ZInsO 2004, 24; Heidelberger Richtlinien, ZInsO 2009, 1848. 77) Borchardt/Frind-Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Teil II, Rz. 416, S. 109.

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Planung für das erste Jahr. In der Praxis zeigt sich, dass den Großgläubigern, vor allem den Banken eine besondere Bedeutung i. R. der Vorprüfung zukommt. Es entspricht jahrelanger Erfahrung und Praxis, dass später auch andere Gläubiger einer betriebsfortführenden Sanierung zustimmen, wenn die Bankengläubiger das Fortführungskonzept geprüft und gebilligt haben. Ähnliches gilt für den PSVaG, wenn das Schuldnerunternehmen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu erbringen hat.78) Bei einer beabsichtigten Fortführung des insolventen Unternehmens gilt es grundsätzlich auch, die betriebliche Altersversorgung fortzuführen.79) Weiterhin sind die relevanten Stakeholder rechtzeitig in das Verfahren einzubinden. Aus der Aufgabenverteilung im Zusammenhang mit einer Sanierung folgt, dass der organschaftliche Vertreter die Gesellschafter schon über das Vorliegen einer krisenhaften Entwicklung und mögliche Sanierungskonzepte zu informieren hat.80) 4.

Anfechtungsrisiken von Krisenvereinbarungen

Zu beachten ist, dass bei vorinsolvenzlichen Vereinbarungen mit Gläubigern die Gefahr 43 besteht, dass diese später in einem eröffneten Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter angefochten werden. Einem Gläubiger dürfte es nach der Kenntnis von einem Sanierungsplan schwerfallen, seine mangelnde Kenntnis von der Krise in einem späteren Insolvenzverfahren zu beweisen. Das Risiko einer allzu offenen Kommunikation mit Gläubigern besteht zum einen darin, dass die Krise des Unternehmens bekannt wird und zu Forderungen der Gläubiger nach weiterer Besicherung ihrer Ansprüche führt, zum anderen die erhöhte Gefahr eines Gläubigerinsolvenzantrags besteht. In der Praxis wird empfohlen, zunächst ein betriebswirtschaftliches Grobkonzept und die integrierte Planung für das erste Jahr zu erstellen. Eine Woche vor Einreichung sollten die Insolvenzanträge fertiggestellt und die Insolvenzgeldvorfinanzierung geklärt sein. Sodann finden der Reihenfolge nach statt: „Ansprache möglicher Sachwalter, Vorgespräch mit dem Gericht, Vorbereitung unechter Massekreditverträge, Information und Abstimmung mit den Banken und Kreditversicherern, Factoringgesellschaften und den Mitgliedern eines präsumptiven vorläufigen Gläubigerausschusses.“81) Das ESUG erlaubt Vorgespräche des vorläufigen Sachwalters über das geplante Verfahren auch bei Gericht.82) Soweit Arbeitnehmerinteressen tangiert werden, ist die rechtzeitige Information der Bundesagentur für Arbeit unverzichtbar. Soweit Gläubiger dem vorläufigen Gläubigerausschuss angehören, sind diese bereits informiert und insoweit entfällt die Informationspflicht des Schuldnerunternehmens. Ein wesentlicher Vorteil des Schutzschirmverfahrens liegt darin, dass es nach außen hin den Eindruck erweckt, es handele sich nicht um ein Insolvenzverfahren. IX.

Die problematische Fortführungsfinanzierung

1.

Die Beschaffung von Liquidität

Da der vorläufige Insolvenzverwalter ebenso wie der vorläufige Sachwalter das Unterneh- 44 men im Eröffnungsverfahren zunächst ebenso fortzuführen hat wie die organschaftlichen Vertreter des Schuldnerunternehmens, stellt sich meist die Frage, wie die Finanzierung der einstweiligen Fortführung sichergestellt werden kann. Ohne ausreichende Liquidität ist weder eine einstweilige noch eine endgültige Fortführung des Schuldnerunternehmens möglich. Ist die Finanzierung der Unternehmensfortführung nicht gewährleistet, so bleibt ___________ 78) 79) 80) 81) 82)

Vgl. Rendels in: Kübler, HRI, § 23 Rz. 4. Vgl. Wohlleben in: FS Wellensiek, S. 691, 698. Vgl. Scholz-K. Schmidt/Seibt, GmbHG, § 49 Rz. 23; Bork, ZIP 2011, 101, 108. Buchalik, INDat-Report 2013, S. 38. Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, S. 155.

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nur eine schnelle Beendigung der Fortführung durch Übergang in ein formelles Insolvenzverfahren oder durch Übertragung des Unternehmens auf einen Dritten im Wege der übertragenden Sanierung.83) Die Frage der Fortführungsfinanzierung ist die Kernfrage jeglicher Unternehmensfortführung innerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens. Das hat auch der Gesetzgeber so gesehen, wenn es in der Begründung zu § 311 RegE InsO darauf hingewiesen wird, dass es für das Gelingen einer Sanierung häufig entscheidend ist, dass dem Unternehmen nach der Bestätigung des Sanierungsplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fresh money zugeführt wird. Ohne eine ausreichende Liquidität lässt sich eine Betriebsfortführung nicht organisieren und es bleibt nichts anderes übrig, als entweder das Unternehmen im Wege der übertragenden Sanierung auf einen „liquiden Dritten“ zu übertragen oder in das Regelverfahren überzugehen.84) Vom vorläufigen Insolvenzverwalter werden oftmals Zahlungszusagen, Bürgschaften oder „Garantieerklärungen“ abgegeben, um den Schuldnerbetrieb am Laufen zu halten. Eine Vorfinanzierung von Insolvenzgeld durch den vorläufigen Verwalter dürfte allerdings wegen Interessenkollision unzulässig sein. Liquidität kann auch geschaffen werden durch ein restriktiveres Forderungsmanagement, Reduktion von Vorratsvermögen, durch Lagerabverkäufe sowie Ausweitung von Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen durch Verlängerung von Zahlungszielen.85) Auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter kann aufgrund einer gerichtlichen Einzelermächtigung während des Eröffnungsverfahrens bereits Masseverbindlichkeiten begründen. Inzwischen ist auch weitgehend anerkannt, dass die Absicherung von im Eröffnungsverfahren benötigten Gläubigern durch ein sog. Treuhandkonto ebenfalls in Betracht kommt, sofern das Insolvenzgericht zustimmt.86) Die in § 1 Satz 1 InsO postulierte Sanierungsfunktion des Insolvenzverfahrens wird verstärkt durch die Fortführungspflicht es „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters in § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO, der andererseits eine stärkere Einbeziehung der Gläubiger bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren nach § 22a InsO entspricht. 2.

Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

45 Eine weitere, aber bedeutsame Möglichkeit der Fortführungsfinanzierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens ist die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld. Nach § 170 Abs. 4 SGB III können Ansprüche auf Arbeitsentgelt schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwecks Vorfinanzierung von Insolvenzgeld an einen Dritten übertragen oder verpfändet werden, wenn der neue Gläubiger oder Pfandgläubiger nicht zugleich Gläubiger des Arbeitgebers oder an dessen Unternehmen beteiligt ist und wenn kein Umgehungsgeschäft vorliegt.87) Mittlerweile ist es einhellige Meinung, dass die Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines fortführungs- und sanierungsfähigen Unternehmens dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls entspricht, wenn ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt worden ist.88) „Die Fortführungsfinanzierung bleibt auch nach der Stärkung der Sanierungsinstrumente Eigenverwaltung und Insolvenzplan die

___________ Vgl. Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 28. So zutr. Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 28. So Sendel-Müller, KSI 2007, 262 ff. AG Hamburg, Beschl. v. 8.12.2004 – 67g IN 390/04, ZInsO 2005, 447; Kirchhof in: FS Kreft, S. 359; A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 1 InsO Rz. 47. 87) Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 20 Rz. 38; Borchardt/Frind-Borchardt, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren Teil II Rz. 567 ff., S. 158 ff. 88) Vgl. A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 1 InsO Rz. 25.

83) 84) 85) 86)

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Achillesferse eines jeden Sanierungsversuchs“ (Undritz).89) Meist ist zur Besicherung von Massekrediten kein Vermögen vorhanden. In der Praxis bleibt daher die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds durch ein Kreditinstitut 46 die einzige Möglichkeit, die notwendige Liquidität aufrechtzuerhalten. Mit dem Inkrafttreten der InsO gelten für die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Zahlung von Insolvenzgeld die Regelungen in den §§ 165 ff. SGB III. Nach § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III ist für die wirksame Übertragung des Entgeltanspruchs auf die Bank die Zustimmung der Agentur für Arbeit erforderlich.90) Da der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 InsO verpflichtet ist, das Schuldnerunternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, gewinnt die Finanzierung der offenen und noch anfallenden Personalkosten oftmals verfahrensentscheidende Bedeutung. Ohne die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld müssten viele Verfahren in das Regelverfahren überführt werden, weil es an der notwendigen Liquidität fehlt. Ein gewisses Risiko besteht vor allem beim Schutzschirmverfahren, weil die Antragsrücknahme nicht allein vom Insolvenzschuldner abhängt, sondern der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens beantragen kann.91) Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist auch im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO möglich und zulässig.92) In der Praxis wird empfohlen, bereits in der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO Ausführungen in Bezug auf § 170 Abs. 4 SGB III aufzunehmen.93) Generell sollte eine Bank nur dann einer Insolvenzgeldvorfinanzierung zustimmen, wenn im Schutzschirmverfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss nach § 22a InsO bestellt wird. 3.

Die Begründung von Masseschulden

Schließlich hat das Gericht auf Antrag des Schuldners gemäß § 270b InsO anzuordnen, 47 dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. Auch hierdurch sollten die Voraussetzungen für eine Unternehmensfortführung für das Schuldnerunternehmen im Eröffnungsverfahren verbessert werden. Durch den in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO erfolgenden Verweis auf § 55 Abs. 2 InsO erhält das Schuldnerunternehmen zudem im Antragsverfahren bereits die Möglichkeit, wie ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten zu begründen. Bei der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten besteht kein richterliches Ermessen. Es ist Sache des Schuldnerunternehmens, bei seinem Antrag abzuwägen, ob in der konkreten Situation eine Einzelermächtigung oder eine globale Ermächtigung erforderlich ist.94) Sanierungen großer Unternehmen mit einem Umsatz von über 300 Mio. € finden bislang überwiegend im außergerichtlichen Bereich statt. Die unbestreitbaren Vorteile eines Eigenverwaltungsverfahrens nach dem ESUG, wie z. B. Insolvenzgeldvorfinanzierung, erleichterte Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, Erfüllungswahlrecht bei bestehende Aufträgen, Satzungsänderungen, Anteilsübertragungen oder Abberufung und Bestellung von Organen, sind bislang nur in wenigen Fällen wahrgenommen worden. Die ersten Erfahrungen mit dem ESUG zeigen jedoch hinsichtlich der Abwicklungsgeschwindigkeit und Steuerbarkeit des Verfahrens für die Gläubiger sehr gute prak___________ Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 30. Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 9 Rz. 20 ff., S. 89 ff. Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, Ziff. 24.1 S. 160. Vgl. die Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit Ziff. 3.2 Abs. 3 zu § 170 SGB III, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/HEGA-Internet/A07-Geldleistung/Publikation/ HEGA-06-2013-Aktualisierung-DA-Insg-und-DA-AtG-Anlage-1.pdf. 93) Vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt liquidieren, Ziff. 24.3 S. 161. 94) Vgl. BT-Drucks. 17/7511, S. 50; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270 Rz. 12.

89) 90) 91) 92)

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

tische Ergebnisse.95) Als Grund hierfür werden allgemein der gründliche Vorbereitungsaufwand und eine sachkundige Beratung angeführt. 48 Statt oder neben einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten kann der Schuldner auch im Verfahren nach § 270b InsO die Betriebsfortführung durch Vereinbarung einer „Doppeltreuhand“ organisieren.96) Zu beachten ist, dass nach § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO die nach § 169 SGB III auf die Bundesagentur übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche als Insolvenzforderungen zu behandeln sind. Durch den Insolvenzantrag kann schließlich vor allem in Bezug auf rückständige Mieten (§ 112 InsO) und auf die Finanzierung der laufenden Gehälter (§ 165 SGB III) zumindest vorübergehend der Liquiditätsbedarf reduziert werden.97) 49 Bei der beabsichtigten Betriebsfortführung durch das Schuldnerunternehmen ist oftmals die Liquiditätsbeschaffung das einzige Problem. Bei dem Verkauf nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist zu beachten, dass Verwertungshandlungen grundsätzlich dem eröffneten Insolvenzverfahren vorbehalten sind. Die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ist eine freiwillige Maßnahme, die schließlich auch der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III). Diese wird ihre Zustimmung nur erteilen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass zumindest eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen durch die Betriebsfortführung erhalten werden kann.98) Der Nachweis setzt ein belastbares Fortführungskonzept voraus. 50 Die Liquiditätsbeschaffung erfordert kurzfristige Maßnahmen, die mit erheblichen Haftungsgefahren verbunden sind. So kann z. B. fraglich sein, ob das Schuldnerunternehmen die Eigentumsvorbehaltsware nutzen, verarbeiten oder veräußern darf.99) Eine Sicherungsanordnung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO enthält im Regelfall nicht das Recht zur Einziehung einer sicherheitshalber abgetretenen Forderung und zur Nutzung der abgetretenen Zahlungseingänge im laufenden Geschäftsbetrieb.100) Die Beschaffung der notwendigen Liquidität hängt oftmals auch von dem Vertrauen eines Kreditinstituts in die Fähigkeiten eines vorläufigen Insolvenzverwalters ab. Nicht zuletzt darum ist die Betriebsfortführung in der Insolvenz von einem erfahrenen Insolvenzrechtler leichter zu beurteilen als von einem Anfänger, z. B. bei der Frage, ob eine Insolvenzgeldvorfinanzierung auch im Schutzschirmverfahren möglich ist.101) Die InsO i. d. F. des ESUG bietet letztlich dem Krisenunternehmen einen rechtlich und wirtschaftlich geordneten Weg, Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken zu vermeiden.102) Durch das ESUG sollen einem notleidenden Unternehmen Anreize geboten werden, in einer wirtschaftlichen Krisensituation möglichst frühzeitig eine Restrukturierung in einem Insolvenzverfahren anzustreben. Deshalb wurde die Eigenverwaltung gestärkt und das „Schutzschirmverfahren“ (§ 270b InsO) eingeführt.103)

___________ 95) Vgl. WBDat./INDat-Report. Das erste Jahre ESUG – Erfahrungen und Analysen aus der Praxis, 2013, S. 8; Empirische Studie von The Boston Consulting Group (BCG), mitgeteilt in INDat-Report 02-2003, S. 6. 96) Ganter, NZI 2012, 433, 439 f.; K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 12. 97) So Niering/Hillebrand, Wege durch die Unternehmenskrise, S. 30. 98) Vgl. Borchardt/Frind-Götsch, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1040 ff.; Sinz in: FS Uhlenbruck, S. 157 ff. 99) Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZInsO 2010, 714, 723 = ZIP 2010, 739. 100) Vgl. auch Ganter, NZI 2010, 551, 552; Borchardt/Frind-Borchardt, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren Teil II Rz. 573, S. 160. 101) Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494. 102) Vgl. Ehlers, BB 2013, 1539 ff.; Luttermann/Geißler, ZInsO 2013, 1381 ff.; Römermann/Praß, GmbHR 2012, 425, 426. 103) So Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765.

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung X.

§1

Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber

Es gilt als eine der besonderen Errungenschaften des ESUG, dass der Gesetzgeber mit dem 51 „debt-equity-swap“ die Anteilseigner einer Gesellschaft in das Insolvenzverfahren einbezogen hat. Der durch das ESUG vollzogene Paradigmenwechsel ist gekennzeichnet durch den Grundsatz „Insolvenzrecht überlagert Gesellschaftsrecht“. Die Folge ist, dass Entscheidungszuständigkeiten für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen von der früher ausschließlich zuständigen Gesellschafterversammlung nunmehr teilweise auf die Beteiligtenversammlung verlagert werden, in der die Anteilseigner eine Gruppe neben den Gläubiger-Gruppen bilden.104) Die inhaltliche Beschlusskontrolle richtet sich nicht mehr ausschließlich nach Gesellschafterinteressen, sondern orientiert sich weitgehend am Gläubigerinteresse. Zweifelhaft ist allerdings, ob sich für einen Formwechsel, eine Ausgliederung oder eine Verschmelzung lohnen kann, freiwillig und geplant in ein Insolvenzverfahren zu gehen und die Möglichkeiten einer „pre-packaged bankruptcy“ unter Eigenverwaltung für Restaurierungen zu nutzen.105) Soll durch Insolvenzplan in Anteilsrechte der Gesellschafter eingegriffen werden, müssen sie als selbstständige Gruppe am Planverfahren beteiligt werden (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Ein solcher Eingriff findet immer statt, wenn der Plan auf eine Fortsetzung der Gesellschaft gerichtet ist, womit die Gesellschafter ihr Liquidationsrecht verlieren und gemäß § 225a Abs. 3 InsO dem insolvenzrechtlichen Fortsetzungsbeschluss unterworfen werden.106) Die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteilsrechte durch einen „debt-equity- 52 swap“ ist eine Sacheinlage. Eine Forderung darf auf die Einlage nur angerechnet werden, soweit sie vollwertig, fällig und liquide ist. Nach einer im Vordrängen befindlichen Meinung kann die Forderung zum Nominalwert eingelegt werden.107) Da die Ursache für die Unternehmenskrise oftmals in der Person des organschaftlichen 53 Vertreters liegt, ist der Austausch häufig Voraussetzung für die erfolgreich fortgesetzte Unternehmenssanierung. Mit der Bestätigung des Insolvenzplans werden die im Plan vorgesehene Abberufung eines Organs und eine gleichzeitige Neubestellung wirksam. Allerdings ist es für diese Maßnahme meist zu spät. Die Abberufung eines Geschäftsführers der die Unternehmenskrise zu verantworten hat, sollte bereits im Vorverfahren erfolgen und durch Insolvenzplan bestätigt werden. XI.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es ein Ziel des ESUG ist, der Eigenverwaltung 54 und der Betriebsfortführung in der Insolvenz zu mehr Akzeptanz in der Praxis zu verhelfen und sie für die Schuldner planbar zu machen. Es reicht für die Zulassung der Eigenverwaltung nunmehr aus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Außerdem soll bei einem nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsantrag kein vorläufiger Insolvenzverwalter mehr eingesetzt werden (§ 270a Abs. 1 InsO), was zu einer weitgehenden „Entstigmatisierung“ dieses Verfahrensabschnitts führt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Anträge auf Anordnung der Eigenverwaltung als auf Zulassung eines Schutzschirms einen Insolvenzantrag voraussetzen. Auch das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO bleibt Teil eines Insolvenzverfahrens.

___________ 104) 105) 106) 107)

Vgl. Haas, NZG 2012, 961, 964. So teilweise wörtlich Madaus, ZIP 2012, 2133, 2139. Vgl. K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 5. Vgl. Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 24, der zutreffend von einem „Verdrängungsbereich II“ spricht, Fischer, NZI 2013, 823 ff.

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§1

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

55 Bislang sind Eigenverwaltungsverfahren weitgehend bei Sanierungen großer Unternehmen genutzt worden. Es lässt sich feststellen, dass das ESUG erhebliche Anforderungen an die Fachkompetenz von Beratern, Insolvenzverwaltern und Insolvenzrichtern stellt. Der organschaftliche Vertreter eines Schuldnerunternehmens ist mit den gesetzlichen Maßnahmen, die die Unternehmensfortführung gewährleisten, im Allgemeinen überfordert. Das inzwischen weitgehend perfekte Sanierungsgesetz erfordert deshalb in seiner Anwendung professionelle Rechtsanwender. Noch ist die außergerichtliche Sanierung in der Praxis der bevorzugte Weg der Unternehmenssanierung. Die unbestreitbaren Vorteile eines Insolvenzverfahrens für eine fortführende Sanierung werden in absehbarer Zeit jedoch zu einem Umdenken führen. Vor allem durch das Schutzschirmverfahren wird einem Schuldner bzw. einem Schuldnerunternehmen hinreichend Zeit für eine sorgfältige Sanierungsplanung unter dem Schutz des Insolvenzgerichts verschafft.108) Die frühzeitige Einbindung der wesentlichen Gläubiger in das Verfahren entsprechend dem sog. „pre-arranged deal“ erweist sich in den meisten Fällen als hilfreich. Die Rolle, die Insolvenzrichter, vorläufiger Gläubigerausschuss und vorläufiger Sach- bzw. Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren spielen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. 56 Nicht abschrecken, sondern anspornen sollte die Tatsache, dass in der Diskussion zur Anwendung von Neuregelungen des ESUG zahlreiche Streitfragen auftreten, wie z. B., ob im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründet werden können.109) Der Streit der Gesellschafter im Schutzschirmverfahren des Suhrkamp-Verlags110) hat die Frage aufgeworfen, ob insoweit der Vorwurf eines „missbräuchlichen Insolvenzverfahrens“ zu erheben und ob das Schutzschirmverfahren ein taugliches Instrument ist, Gesellschafterstreitigkeiten zu bereinigen. Die Antwort ist einfach: Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vor, ist der Weg offen, im eröffneten Verfahren auch gesellschaftsrechtliche Probleme durch Insolvenzplan zu lösen. Sollten die Insolvenzgerichte im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO bereits von Gesetzes wegen befugt sein, einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen,111) käme dies einer Betriebsfortführung entgegen. Verfahrenshinderlich wäre es dagegen, in der vorläufigen Eigenverwaltung bei beabsichtigter Betriebsfortführung dem nach § 270a InsO vorläufig eigenverwaltenden Schuldner und dem vorläufigen Sachwalter einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter an die Seite zu stellen und diesen zur Eingehung bestimmter Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen. Richtig ist, dass der Gesetzgeber mit dem „Schutzschirmverfahren“ dem Schuldner eine gewisse Atempause verschafft, um die Sanierung so vorzubereiten, dass sie den gesetzlichen Anforderungen entspricht. „Die Rechtspraxis hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie – unterstützt durch eine umfangreiche Aufsatz- und Kommentarliteratur – in der Lage ist, Anfangsschwierigkeiten bei der Anwendung neuer Regelungen erfolgreich zu überwinden.“112) 57 Das Strafbarkeitsrisiko für Berater, Schuldner und Sachwalter sowie die strafrechtlichen Risiken der Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Neugesellschafter bedürfen noch einer eingehenden Klärung. Die Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht wirft noch eine Fülle von Problemen auf, die ebenso der Bewältigung durch die Gerichte und die Praxis bedürfen wie die Folgen des ESUG zum Insolvenzarbeitsrecht oder ___________ Vgl. Vallender, GmbHR 2012, 450 ff. Vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZInsO 2013, 460. Vgl. Fölsing, ZInsO 2013, 1325 ff. Vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 13. 112) So Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765. 108) 109) 110) 111)

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Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung

§1

die Wertberechnung bei Unternehmensfortführung.113) Nach zutreffender Feststellung von Karsten Schmidt114) hat sich „das Insolvenzrecht immer mehr unternehmensrechtliche Aufgaben aufgeladen und begonnen, die Wirtschaftswelt – weit über die bloß haftungsrechtliche Befassung mit Interessen von Gläubigern und Schuldnern hinaus – mitzuprägen.“ Die Handhabung des neuen Instrumentariums durch das Insolvenzgericht und die Beteiligten setzt gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Sachkenntnis sowie viel wirtschaftliches Fingerspitzengefühl voraus. Der Fall „Suhrkamp“ zeigt, dass die InsO i. d. F. des ESUG durchaus geeignet ist, mittels Insolvenzverfahrens auch gesellschaftsrechtliche Probleme zu lösen, solange nicht der Insolvenzzweck verlorengeht. Noch immer werden Insolvenzanträge viel zu spät gestellt. Meist ist es für eine fortfüh- 58 rende Sanierung des Unternehmens zu spät. Will das ESUG seinen Sanierungsauftrag erfüllen, bedarf es gewisser Grundkenntnisse beim Schuldner bzw. eines Krisenmanagements und eines sachkundigen Beraters, der zu angemessenem Honorar im Stande ist, für das Krisenunternehmen ein tragfähiges Sanierungskonzept zu erstellen. Die nachfolgenden Beiträge werden Möglichkeiten und Wege aufzeigen einem Krisenunternehmen mit Hilfe von ausgewiesenen Sachkennern und auf der Grundlage des ESUG in einem Insolvenzverfahren den Betrieb nachhaltig zu restrukturieren und das Unternehmen mit einer oftmals Vielzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten und fortzuführen. Ein rechtlich wie betriebswirtschaftlich und steuerlich durchdachtes Sanierungskonzept kostet Zeit. Ein Geschäftsführer oder Vorstand sollte es bei beabsichtigter Eigenverwaltung und Betriebsfortführung nicht so weit kommen lassen, dass er den Sanierungszeitraum des Schutzschirmverfahrens benötigt. Unter dem Gesichtspunkt der neuen Insolvenzkultur hat Pluta115) die Frage gestellt „Sa- 59 nierung in der Insolvenz – Für wen?“ Richtig ist, dass eine Vielzahl von Interessen bei der Entscheidung über die Fortführung im Insolvenzverfahren mitspielen. Auch wenn man nicht mit dem allgemeinen Sanierungsstandard IDW S 6 davon ausgeht, dass ein Unternehmen erst saniert ist, wenn es eine branchenübliche Rendite abwirft, ist es letztlich egal, unter welchem Einfluss die Sanierung läuft. Der Erfolg zeigt sich dann im dauerhaften Erhalt des Unternehmens oder in der Höhe der Quote für gesicherte und für ungesicherte Gläubiger. „Allerdings kann es“, nach Pluta „ungesicherten Gläubigern passieren, dass sich – je nach Verfahrenssteuerung – keiner mehr um sie kümmert.“ Dass dieses nicht geschieht, gilt es zu vermeiden. Dass für die Restrukturierung von Banken Sonderregelungen gelten, die die Stabilität des Finanzmarktsystems garantieren sollen, muss im Interesse eines umfassenden Anlegerschutzes hingenommen werden.116) Letztlich soll durch das ESUG die Möglichkeit einer außergerichtlichen Restrukturierung keineswegs ausgeschlossen werden. Die einzelnen Beiträge in diesem Werk sollen dazu beitragen, Vertrauen in die Möglichkeiten aufzubauen, die der Gesetzgeber mit dem ESUG Krisenunternehmen als Mittel einer nachhaltigen Restrukturierung anbietet. Die Insolvenzpraxis sollte das Angebot annehmen, um auch international in diesem Bereich konkurrenzfähig zu sein. Letztlich profitiert die gesamte Wirtschaft von einem funktionierenden Insolvenzrecht, weil das Scheitern eines Vertragspartners kalkulierbar wird.

___________ 113) Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.7.2010 – I-10 W 60/10, ZIP 2010, 1911; OLG München, Urt. v. 8.8.2012 – 11 W 832/12, ZInsO 2012, 1722; LG Leipzig, Beschl. v. 28.2.2013 – 8 T 325/12, ZInsO 2013, 684. 114) K. Schmidt, BB 2011, 1603 ff. 115) Pluta, ZInsO 2013, 1404. 116) Vgl. Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten; Kuder, Neues Restrukturierungsrecht für Banken, in: Stärkung des Anlegerschutzes – Neues Rechtsrahmen für Sanierungen (Bankrechtstag 2011), 2012, S. 95 ff.; Gößmann in: Kübler, HRI, § 58, S. 1222 ff.

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§ 10 Kommunikation in der Insolvenz Übersicht I. 1.

Einführung .................................................. 1 Unternehmenskommunikation allgemein ....................................................... 3 2. Kommunikation im Sonderfall Insolvenz ...................................................... 8 II. Der Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Öffentlichkeit sowie Unternehmensführung und Belegschaft ................................................. 12 1. Organisation der Abteilung Unternehmenskommunikation ........................... 13 2. Der Pressesprecher..................................... 16 3. Zusammenarbeit von Pressesprecher und Insolvenzverwalter.............................. 19 III. Das Handwerkszeug des Pressesprechers in der Insolvenz ....................... 22 1. Interne Kommunikation............................ 25 1.1 Das Mitarbeiterinformationsschreiben.......................................... 27 1.2 Intranet/Mitarbeiterportal ............. 28 1.3 Mitarbeiterversammlung ................ 32 1.4 Mitarbeiterzeitschrift/Newsletter........................... 33 1.5 Sonderfall: Berichterstattung für Lokaljournalisten ...................... 34 2. Externe Kommunikation ........................... 35 2.1 Presseverteiler ................................. 36 2.2 Pressemitteilung.............................. 38 2.3 Pressekonferenz .............................. 43 2.4 Hintergrundgespräch...................... 46 2.5 Das Wortlautinterview in PrintProdukten........................................ 47 2.6 Das Interview für Hörfunk und Fernsehen ........................................ 48

3.

Social Media in der InsolvenzKommunikation ......................................... 52 3.1 Überblick verschaffen..................... 54 3.2 Social Media: Richtlinien für Mitarbeiter....................................... 55 3.3 Social Media: Bestehende Kommunikation und Monitoring ...................................... 56 3.4 Aktive Kommunikation – das richtige Maß an Transparenz finden............................................... 59 3.5 Aktive Kommunikation – wie, wo und mit wem?............................ 60 3.6 Fazit ................................................. 63 IV. Inhalt und Ablauf einer Insolvenzkommunikation ........................................ 64 1. Aktion: Chronologischer Ablauf .............. 65 2. Reaktion: Kommunikative Handlungsoptionen auf mögliche Störfaktoren....................................................... 72 3. Umgang mit unfairer Berichterstattung.................................................... 73 4. Die wichtigsten Regeln für die Insolvenzkommunikation.......................... 74 V. Exkurs: Die Medien in Deutschland ...... 75 1. Medienlandschaft in Deutschland............. 75 1.1 Printmedien..................................... 76 1.1.1 Tageszeitungen: lokal vs. national ... 77 1.1.2 Fachzeitschriften ............................ 78 1.2 Rundfunk und Fernsehen............... 79 1.3 Internet............................................ 80 2. Arbeitsweise von Journalisten................... 81 2.1 So arbeitet ein Journalist ................ 82 2.2 Wichtige Informationen für Journalisten ..................................... 86

Literatur: Mast, Unternehmenskommunikation. Ein Leitfaden, 4. Aufl., 2010; Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Bd. 1, 1999: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft; Plauschinat/ Klaus, Web-Monitoring – Methodik zur Beobachtung von Social Media für die Meinungsanalyse, in: Scherfer/Volpers (Hrsg.): Methoden der Webwissenschaften – Ein Handbuch, Bd. 1: Anwendungsbezogene Methoden, 2013; Ramelsberger/Rossié, Medientraining kompakt: 150 konkrete Tipps für den Umgang mit Journalisten von Presse, Nachrichtenagenturen, Hörfunk und Fernsehen, 2011; Schick, Interne Unternehmenskommunikation: Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern, 4. Aufl., 2010; Schneider, Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil, 1999; Watzlawick/ Beavin Bavelas/Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, 11. Aufl., 2007.

I.

Einführung

Eine Insolvenz bedeutet für die Beteiligten vor allem Verunsicherung. Dies zeigt sich häufig 1 durch Ängste, etwa vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder auch vor dem möglichen finanziellen Schaden etwa bei Lieferanten oder Anleihezeichnern. In einem Verfahren gibt es verschiedene Zielgruppen, die unterschiedliche Interessen verfolgen, auf Informationen Voskuhl

233

§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

warten und eingebunden werden möchten. Auf den folgenden Seiten wird dargestellt, was die Verantwortlichen in einem Insolvenzverfahren hinsichtlich der Kommunikation gegenüber den Zielgruppen, insbesondere den Beschäftigten und Medien beachten sollten und wie geeignete Kommunikationsmaßnahmen die Chance auf eine erfolgreiche Sanierung erhöhen können. Um ein ganzheitliches Bild der Insolvenzkommunikation aufzuzeigen, werden die wesentlichen, für die spezielle Form der Unternehmenskommunikation1) erforderlichen Facetten und Hintergründe wie die verschiedenen Instrumente der internen und externen Kommunikation vorgestellt. 2 In einem Kapitel wird explizit ein Augenmerk auf den recht neuen Kommunikations- bzw. Interaktionskanal Social Media (Stichwort Web 2.0) geworfen, denn über Facebook, Twitter und Co. laufen seit längerer Zeit Kommunikationsaktivitäten, die von vielen Interessierten genutzt werden und über die bereits positive und negative Kampagnen für und gegen Unternehmen gestartet wurden.2) Zwar gelten bei Social Media bei ungerechtfertigten Vorwürfen oder gar Verleumdungen auch juristische Grundsätze. Social Media bietet aber eine direkte Form der Kommunikation bzw. Interaktion, in der die ehernen Grundsätze des Journalismus kaum eine Rolle spielen. 1.

Unternehmenskommunikation allgemein3)

3 Über Aufgaben und Funktion der Kommunikation allgemein aber auch der Unternehmenskommunikation im Besonderen gibt es eine Vielzahl von Zitaten, die regelmäßig bemüht werden. Vielleicht aber ist keines so passend wie das des österreichischen Kommunikationswissenschaftlers und Philosophen Paul Watzlawick (1921 – 2007). Er schrieb: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“4) Unabhängig davon wie der Mensch sich verhält, kommuniziert er folglich immer. Auf die Unternehmenskommunikation angewandt heißt das: Kommuniziert die Unternehmensleitung nicht mit den Beschäftigten und der Öffentlichkeit, ist auch das eine klare Aussage, die womöglich als geringe Wertschätzung interpretiert wird. 4 Als Definition für Kommunikation hat der Münsteraner Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten bereits Ende der siebziger Jahre mehr als 160 Definitionen analysiert, denn die Wissenschaft der Kommunikation ist interdisziplinär und umfasst u. a. biologische, soziologische und psychologische Aspekte.5) Grundsätzlich geht es in der Kommunikation um die Übertragung von Nachrichten zwischen einem Sender und mindestens einem Empfänger. Als Kommunikationsweg gelten hierbei sowohl die Sprache (inklusive Schriftform) als auch die nonverbale Kommunikation wie Mimik und Gestik. Beide Wege haben Einfluss auf Wahrnehmung und Bewertung der Information bei den Empfängern. ___________ 1) Zum Begriff der Unternehmenskommunikation gilt es die Bereiche Werbung und Marketing abzugrenzen, wobei es an verschiedenen Stellen Überschneidungen gibt. Werbung ist ein kurzfristiges Mittel mit dem Zweck, Bedürfnisse zu wecken, den Geschmack der Kunden zu beeinflussen, (neue) Produkte bekannt zu machen sowie Absatz und Marktanteil der Produkte zu erhöhen. Das Marketing ist demgegenüber eine mittel- bis langfristige Strategie für Produkte oder Marken eines Unternehmens. 2) So z. B. die Klage des Sportartikelherstellers Jako gegen einen Blogger, der aufgrund kritischer Äußerungen auf seiner Website abgemahnt wurde. Im Internet erzeugte das rechtliche Vorgehen gegen ihn eine immense Aufmerksamkeit, i. R. dessen sich die Webcommunity (Netzöffentlichkeit) mit dem Blogger gegen das Unternehmen solidarisierte. Das Unternehmen erlitt in der Folge einen Imageschaden (vgl. Handelsblatt v. 2.9.2009; Süddeutsche Zeitung v. 3.9.2009). 3) Mit Unterstützung von Herrn Thomas Feldmann, rw konzept. 4) Vgl. Watzlawick/Beavin Bavelas/Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 5) Vgl. Mast, Unternehmenskommunikation, Ein Leitfaden, S. 10; Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Bd. 1, Grundlagen der Kommunikationswissenschaft.

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

Unternehmenskommunikation, im Fachjargon auch Corporate Communications genannt, 5 ist ein Teil der Unternehmensführung, mit der die Reputation und das Image des Unternehmens geprägt werden soll.6) Als Führungsinstrument gibt die Unternehmenskommunikation den Beschäftigten zudem Orientierung, diszipliniert und motiviert. Im Idealfall werden durch strategische Maßnahmen die einzelnen Stakeholder wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Geldgeber regelmäßig informiert, um mit dieser Transparenz Vertrauen und Glaubwürdigkeit in das Unternehmen zu festigen. Wenn die Fluktuation qualifizierter Mitarbeiter gering ist, die Kunden zufrieden sind und auch die Finanzierung des Unternehmens geräuschlos funktioniert, hat in der Regel auch die Kommunikation sehr gut funktioniert und ihren Teil zum positiven Gesamtbild des Unternehmens beigetragen. Mit Hilfe der geeigneten Kommunikationsinstrumente gilt es, die Unternehmensstrategie 6 mit umzusetzen und zu verbreiten. Einen großen Stellenwert hat dabei das Selbstverständnis des Unternehmens (Corporate Identity), denn mit diesem Leitbild sollen sich die Beschäftigten identifizieren und es am Arbeitsplatz sowohl intern als auch im ständigen Kontakt mit Kunden, Lieferanten und Multiplikatoren extern leben. Ist diese Unternehmenskultur in der öffentlichen Wahrnehmung sowohl intern als auch extern kongruent, hat das Unternehmen einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit erreicht. Die Kommunikation bei der Insolvenz einer Organisation (Unternehmen, Verein) 7 nimmt eine Sonderstellung im Bereich der Unternehmenskommunikation ein. In der Umsetzung sind verschiedene Punkte zu beachten, um während dieser Unternehmenskrise nicht nur handlungs-, sondern auch sprachfähig zu bleiben. 2.

Kommunikation im Sonderfall Insolvenz

Die Unternehmensinsolvenz ist für alle Beteiligten mit großen Ängsten und Unsicherheiten 8 verbunden. Die verschiedenen Interessengruppen suchen nach Informationen und Antworten auf die für sie wesentlichen Fragen: x

Was ist passiert?

x

Wie geht es weiter?

x

Bekomme ich mein Geld/meine Lieferung?

x

Wer hat Schuld?

Diese Fragen müssen beantwortet werden, denn fehlende Informationen bieten Raum für 9 Spekulationen, die mangels glaubwürdiger Alternativen schnell als Tatsache betrachtet werden. Durch die Implementierung von gezielten Kommunikationsmaßnahmen haben Unternehmen bzw. die Verantwortlichen in einem Insolvenzverfahren die Chance, die Deutungshoheit über ihre Themen zu behalten und auf diese Weise ihre Perspektive darzustellen. Ziel ist es, den Spekulanten nicht das Feld zu überlassen. Eine Herausforderung liegt sicherlich darin, dass es gerade am Anfang eines Insolvenzverfahrens für viele offene Fragen noch keine passenden Antworten gibt. Die Aufmerksamkeit bei Beschäftigten und Medien aber ist hoch.

___________ 6) Das Image (i. S. von Unternehmensimage) bezieht sich auf den Gesamteindruck eines Unternehmens oder einer Organisation. Es ist vergleichbar mit einer Momentaufnahme und daher ein kurzfristiges Bild. Die Reputation (i. S. von Unternehmensreputation) repräsentiert das gesamte Bild eines Unternehmens bzw. einer Organisation, wie es von seinen Stakeholdern wahrgenommen wird.

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Kommunikation in der Krise

Sp at ul ek n io at m In fo r

Intensität

n io Quelle: Unveröffentlichte Präsentation „Kommunikation in der Krise“: Grundlagen der Kommunikation und Public Relations (PR), rw konzept 2012

10 Bei Unternehmen in der Krise sind verschiedene Störungen auch in der Kommunikation die Regel. Der tatsächliche Insolvenzantrag, als schwerste Form der Unternehmenskrise, kommt zumindest für die internen Beteiligten meist nicht überraschend, denn sie haben zuvor möglicherweise bereits eine Krisenhistorie mit Sanierungsgesprächen, Gehaltsverzichten und Kündigungswellen hinter sich. Nach außen kann das anders aussehen, denn erfahrungsgemäß haben sich die Verantwortlichen in den Wochen und Monaten vor dem Insolvenzantrag bemüht, den Begriff Insolvenz vor allem bei Gesprächen mit Lieferanten und Kunden zu vermeiden. Mit zunehmender Schwere der Krise wurden dann womöglich auch Informationen für die Beschäftigten auf das Nötigste beschränkt, auf Anfragen von Journalisten wurde oft gar nicht reagiert. 11 Spätestens mit dem Insolvenzantrag ist klar, dass das Unternehmen in der Existenz bedroht ist. Der Vertrauensverlust in der öffentlichen Wahrnehmung ist vor allem bei den Geschädigten groß. Aber genau diese Stimmung ist es, die einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter auch Chancen eröffnet. Er steht nicht für die Vergangenheit, ist neu im Unternehmen und gilt als jemand, der unbeeinflusst von außen einen Blick auf die Situation wirft. Sieht er realistische Sanierungschancen, kann er die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung mit Hilfe verschiedener Kommunikationsinstrumente steigern. Ein Insolvenzverfahren ist zwar grundsätzlich kein öffentliches Verfahren und selbstverständlich sollten wesentliche Beteiligte nicht nur über die Öffentlichkeit Neuigkeiten zum Verfahren erhalten. Aber mit größtmöglicher Transparenz und der regelmäßigen Aufklärung bspw. über die Abläufe und Regularien eines Insolvenzverfahren, kann der (vorläufige) Insolvenzverwalter verlorengegangenes Vertrauen in das Unternehmen zurückgewinnen, die Belegschaft motivieren, Lieferanten und Kunden trotz Schadens zur weiteren Zusammenarbeit bewegen und einem potenziellen Investor ein Unternehmensimage präsentieren, das trotz Insolvenz in der Öffentlichkeit den Umständen entsprechend positiv ist. II.

Der Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Öffentlichkeit sowie Unternehmensführung und Belegschaft

12 Kommunikation ist Chefsache. Während im Unternehmensalltag die jeweiligen Unternehmensbereiche für externe und interne Kommunikation über die verschiedenen Kanäle abgestimmte Informationen verteilen, Anfragen beantworten sowie Informationsmaterialien

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

erstellen, gibt es Anlässe, bei denen sich die Verantwortlichen des Unternehmens direkt an ihre Mitarbeiter und weitere Stakeholder wenden. Dies kann z. B. eine Mitarbeiterversammlung bei anstehenden internen Veränderungen sein, die turnusmäßige Bilanzpressekonferenz oder die Pressekonferenz, auf der neue Produkte vorgestellt werden. Aber auch in diesen Momenten sind die Bereiche aus der Kommunikationsabteilung aktiv gewesen und haben ausführliche Sprachregelungen abgestimmt, Reden geschrieben, Pressemitteilungen vorbereitet und die Führung gezielt auf mögliche Fragen der Mitarbeiter oder Journalisten vorbereitet. Zum besseren Verständnis über die Abläufe und Strukturen in den entsprechenden Unternehmensbereichen werden hier die Organisation einer Kommunikationsabteilung sowie die Aufgaben des Unternehmenssprechers, im folgendem „Pressesprecher“ genannt, beschrieben und in den Kontext der Funktion des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gestellt. 1.

Organisation der Abteilung Unternehmenskommunikation

Die Abteilung Kommunikation in einem Unternehmen ist in der Regel auf Größe, Mar- 13 kenwert und tatsächliche Bedürfnisse angepasst. Vor allem große Unternehmen mit mehreren Niederlassungen haben Bedarf an interner Kommunikation, Unternehmen mit bekannten Marken im B2C-Bereich einen hohen Bedarf an externer Kommunikation, börsennotierte Unternehmen haben zudem gesetzliche Veröffentlichungspflichten (Stichwort Investor Relations). Entsprechend komplex können die verantwortlichen Kommunikationsabteilungen organisiert sein. In mittelgroßen und großen Unternehmen verfügt jeder Bereich in der Regel über min- 14 destens eine Führungsperson (Abteilungsleiter) mit mehreren Teammitgliedern (Projektleiter, Referenten, Assistenten). Über allen steht in der Regel der Leiter Unternehmenskommunikation, der im direkten Kontakt mit der Unternehmensspitze steht. In der Praxis werden die einzelnen Bereiche unterschiedlich in das Organigramm eines Unternehmens eingeordnet, denn scharfe Abgrenzungen auf Basis des definierten Verantwortungsbereiches sind nicht immer möglich. So haben Maßnahmen des Bereichs Finanzkommunikation immer auch Einfluss auf die externe Kommunikation, vereinbarte Sprachregelungen der externen Kommunikation immer auch Einfluss auf den Bereich interne Kommunikation. Entscheidend ist es deshalb, dass es eine übergeordnete Führungsinstanz gibt, die bei allen wesentlichen Kommunikationsmaßnahmen eingeschaltet ist und überwacht, dass Sprachregelungen und Darstellungen zwischen den Bereichen abgestimmt und abgeglichen sind und sich nicht widersprechen. Diese Aufgaben obliegen in vielen Unternehmen dem Pressesprecher.7) Er ist damit Binde- 15 glied zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten, Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Medien und Bindeglied zwischen den einzelnen Bereichen der Abteilung Kommunikation. Was bei großen international tätigen Unternehmen durchaus einen immensen organisatorischen Aufwand bedeuten kann, ist in der Praxis vieler mittelständischer Unternehmen in Deutschland meist weniger komplex. Hier gibt es in der Regel einen Kommunikationsverantwortlichen, der neben der Pressesprecherfunktion auch die interne Kommunikation verantwortet und vielleicht zudem noch das Marketing und die Werbung abdeckt. Was mit Blick auf die Unternehmensgröße und den Aufwand an Kommunikation durchaus verständlich sein kann, bietet aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben aber auch Konfliktpotenzial: Der Pressesprecher hat die Aufgabe, die Medien sachlich und umfassend zu informieren. Nutzt er diese Position, um auch reine Werbe___________ 7) Obwohl es in mittelgroßen und großen Unternehmen Unterschiede im Verantwortungsbereich gibt, wird in dieser Beschreibung nachfolgend der Einfachheit halber der Kommunikationsverantwortliche mit dem Begriff „Pressesprecher“ gleichgesetzt.

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

botschaften über die Journalisten zu spielen, wird er meist durchschaut und kann schnell seine Glaubwürdigkeit verlieren. 2.

Der Pressesprecher

16 Der Pressesprecher ist der vom Unternehmen beauftragte Dienstleister für die Medien. Er ist deren Ansprechpartner und muss dabei auf Augenhöhe mit den Journalisten umgehen können und deren Ansprüche kennen. Entsprechend muss er das Handwerkswerkszeug eines Journalisten kennen. 17 Die Hauptaufgabengebiete des Pressesprechers sind die Entwicklung der Kommunikationsstrategie, die Beratung der Führungsgremien, die regelmäßige Analyse der Unternehmensdarstellung in den Medien, die interne Kommunikation sowie der Evaluation der eingesetzten Maßnahmen. Gemäß den Leitlinien der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG)8) muss der Kommunikationsverantwortliche in der Funktion des Pressesprechers folgende persönliche Voraussetzungen erfüllen: x x x x x x

Loyal sein: Die Interessen des Arbeitgebers vertreten und internes Wissen auch nach Ablauf des Arbeitsvertrages vertraulich behandeln. Unbestechlich sein: Keine versteckten Vorteile annehmen und auch keine Erfolgsgarantien für Medienberichterstattungen verlangen oder akzeptieren. Integer arbeiten: Geistiges Eigentum anderer achten. Wahrhaftige Auskünfte erteilen: Rechtzeitig, angemessen und vollständig informieren. Nachprüfbare Auskünfte erteilen: Quellen müssen offen gelegt werden. Informiert sein: Ein fundiertes Allgemeinwissen haben.

18 Der Pressesprecher kann nur so gut sein, wie es die Unternehmensführung zulässt, denn er benötigt alle notwendigen Informationen, um sie verantwortungsvoll beraten zu können. Er benötigt daher den direkten und regelmäßigen Kontakt zur Unternehmensspitze. 3.

Zusammenarbeit von Pressesprecher und Insolvenzverwalter

19 Was im Unternehmensalltag gilt, gilt im Krisenfall ganz besonders: Es kann nur eine Stimme geben, die nach draußen spricht (Stichwort: One Voice Policy). Im Fall der Insolvenz ist dies meist der (vorläufige) Insolvenzverwalter. Auch wenn der Insolvenzantrag in Eigenverwaltung gestellt wurde, kann es Sinn machen, wenn der vom Gericht bestellte, – vorläufige – Sachwalter nach draußen spricht. Das Für und Wider sollte frühzeitig zwischen den Beteiligten diskutiert werden. Zu berücksichtigen sind dabei Aspekte wie: Wem wird Schuld für die Krise gegeben? Seit wann ist der Geschäftsführer im Unternehmen? Wie ist sein Verhältnis zu den Medien? Wird die Geschäftsführung möglicherweise auch nach überstandener Insolvenz in der Führung bleiben? 20 Hat das Unternehmen eine für die Öffentlichkeit relevante Größe, ist die Marke bekannt oder gibt es sonstige – etwa durch im Unternehmen bekannte Persönlichkeiten – Gründe, die das öffentliche Interesse auf das Unternehmen ziehen, macht es für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter Sinn, einen eigenen Pressesprecher einzusetzen, der für die Sanierer spricht. Neben den üblichen Kenntnissen sollte dieser Sprecher Erfahrung mit Krisen und speziellen Sachverstand über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens haben, was die Presse___________ x x x x

8) Vgl. DPRG-Leitlinien Öffentlichkeitsarbeit 2/2006, abrufbar unter http://www.dprg.de/pdf/ DPRGSatzung.pdf (Abrufdatum 12.7.2013).

238

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

sprecher in einem Unternehmen in der Regel nicht haben. Das vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter geführte Unternehmen profitiert durch den eigenen Pressesprecher aufgrund seiner: x

Medienerfahrung: Er kennt die Mechanismen der Medien, weiß, welche Informationen die Journalisten benötigen, durchschaut die Tricks der Journalisten und kann entsprechend darauf reagieren.

x

Kontrolle: Er gleicht alle Informationen ab, die nach draußen und in die Belegschaft gehen.

x

Nachhaltigkeit: Er hält nach, welche Informationen bereits nach draußen gegangen sind, wie sie zum aktuellen Stand passen und wie sie der Öffentlichkeit erklärbar sind.

x

Vorausschau: Er bereitet für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter Interviews vor, kann die Wirkung von Äußerungen in der Öffentlichkeit abschätzen und übernimmt die Abstimmung von Zitaten.

x

Erreichbarkeit: Die Medien haben einen ständigen Ansprechpartner, um kurzfristig notwendige Informationen zu erhalten.

x

Schnelligkeit: Durch seine Kenntnisse über Insolvenzverfahren kann er viele Presseanfragen direkt beantworten.

x

Vertrauensarbeit: Durch einen ständigen und vertrauensvollen Kontakt zu Journalisten, erhält auch der Pressesprecher Informationen – z. B. aktuelle Gerüchte – auf die der Verwalter dann frühzeitig reagieren kann.

x

Beobachtung: Er ist Frühwarnsystem und kann häufig als erster erkennen, wenn von außen Störfeuer drohen.

x

Schutzschirmfunktion: Er steht zwischen Medien und Unternehmensführung. Anfragen und Kritik der Journalisten landen grundsätzlich zunächst bei ihm. Während vom Unternehmensführer auf direkte Fragen sofort Antworten erwartet werden, kann sich ein Pressesprecher erst mal ein wenig Zeit verschaffen, um intern Antworten abzustimmen bevor sie nach draußen gehen. Sollten Journalisten die Antworten für unzureichend halten, steht dann eher der Presssprecher in der Kritik und nicht die Sanierer.

Der Pressesprecher sollte sowohl die interne Kommunikation verantworten als auch den 21 Kontakt zu den Medien halten. Beide Zielgruppen haben zwar in Teilen unterschiedlichen Informationsbedarf, aber die grundsätzlichen Aussagen müssen gleich sein. Wer hier unachtsam ist und sich z. B. etwas unklar oder gar widersprüchlich ausdrückt, schafft sowohl in der Belegschaft als auch in der Öffentlichkeit schnell Unruhe und verliert an Glaubwürdigkeit. Zum einen ist eine Presseberichterstattung vor Ort immer auch eine Berichterstattung, die von der Belegschaft sehr genau wahrgenommen wird. Zum anderen haben Lokaljournalisten häufig einen guten Draht ins Unternehmen. Informationen, die dort verbreitet werden, gelangen deshalb auch regelmäßig in die Zeitung. Für die Glaubwürdigkeit des Unternehmens in der Krise und der des (vorläufigen) Insolvenzverwalters müssen die Informationen deshalb regelmäßig abgeglichen werden. Diese Abstimmungsprozesse sind letztlich für alle Informationen zwingend geboten, die nach draußen gehen, und gelten auch für Kunden- und Lieferantenschreiben. Der Pressesprecher ist dabei nicht nur Mittler der Information, sondern sollte ein situationsabhängiges Gespür besitzen, wann es notwendig ist, dass der (vorläufige) Insolvenzverwalter selber nach draußen tritt. Die alte grundsätzliche Regel, nach der der Pressesprecher bei schlechten Nachrichten und der Unternehmensleiter – oder hier der (vorläufige) Insolvenzverwalter – bei guten Nachrichten nach draußen tritt, gilt nicht immer. Denn neues Vertrauen schafft nur, wer auch den Mut hat, schlechte Nachrichten zu verkünden.

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239

§ 10 III.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Das Handwerkszeug des Pressesprechers in der Insolvenz

22 Was im normalen Arbeitsalltag eines Pressesprechers gilt, hat vor allem in der Krise eine große Bedeutung: Er muss sprachfähig und immer auf dem aktuellen Stand des laufenden Insolvenzverfahrens sein. Gibt er bei Presseanfragen Antworten, die längst von der Realität überholt wurden, verliert er – und damit auch der (vorläufige) Insolvenzverwalter – an Glaubwürdigkeit. 23 Eines seiner wichtigsten Werkzeuge ist ein umfassender Fragen- und Antwortenkatalog (Q&A), der für ihn Sprachschlüssel nach außen wie innen ist. In diesem Katalog werden mögliche Fragen der Journalisten antizipiert und die Antworten mit allen relevanten Beteiligten im Unternehmen abgestimmt. Dieser Katalog ist Grundlage der Arbeit des Pressesprechers, muss regelmäßig aktualisiert werden und findet in allen weiteren Kommunikationsmaßnahmen Verwendung. 24 Bei einer Insolvenz haben es die Verantwortlichen mit verschiedenen Interessengruppen mit unterschiedlichen Ansprüchen zu tun. Grundsätzlich unterscheidet man in x

interne Zielgruppen (Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter, Gesellschafter) und

x

externe Zielgruppen (Lieferanten, Kunden, Politik und Verwaltung, Kreditgeber, Medien).

Jede einzelne Gruppe verfolgt insbesondere in der Krise partikulare Interessen und hat ein spezielles Informationsbedürfnis, das es zu befriedigen gilt. Der Werkzeugkasten der Kommunikation bietet hier zahlreiche Instrumente für die zielgruppengerechte Ansprache. 1.

Interne Kommunikation9)

25 Eine zentrale Zielgruppe sind die Arbeitnehmer des insolventen Unternehmens. Bei Bekanntwerden des Insolvenzantrags ist die Unsicherheit in der Belegschaft groß. Häufig hat das Unternehmen eine mehr oder weniger lange Krisenhistorie hinter sich. Um die Arbeitsmotivation, die Produktions- und Servicequalität auf dem erforderlichen Level halten zu können und keine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Krankmeldungen zu provozieren, sollten die Beschäftigten frühzeitig einbezogen und regelmäßig informiert werden. Hat das Unternehmen realistische Sanierungschancen, kann durch entsprechende Kommunikationsmaßnahmen die Chance gesteigert werden, qualifizierte Mitarbeiter oder gar ganze Teams zu halten und damit ein Ausbluten des Unternehmens zu verhindern. 26 Folgende Instrumente kann der (vorläufige) Insolvenzverwalter in Abstimmung mit dem internen Kommunikationsverantwortlichen für die Kommunikation nutzen. Wichtig dabei ist es auch zunächst zu schauen, welche Kommunikationswege gab es bisher im Unternehmen – sind also etabliert –, und reichen diese aus oder muss man neue Wege installieren. 1.1

Das Mitarbeiterinformationsschreiben

27 Das Mitarbeiterinformationsschreiben ist ein wichtiger Informationskanal, mit dem die Unternehmensleitung und der Betriebsrat relevante unternehmensbezogene Nachrichten an die Belegschaft verteilt. Diese werden in gedruckter Form an zentrale Informationspunkte innerhalb des Unternehmens („Schwarzes Brett“) ausgehängt oder über Multiplikatoren (z. B. Abteilungsleiter) an die Beschäftigten gegeben. Zur gleichen Zeit kann das Schreiben über einen firmeninternen E-Mail-Verteiler an die Postfächer der Mitarbeiter gesendet werden. Im Falle einer Insolvenz sollten die Mitarbeiter auf diese Weise in regel___________ 9) Ausführlich zur internen Kommunikation in Unternehmen s. Schick, Interne Unternehmenskommunikation: Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern.

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

mäßigen Abständen über den Verlauf des Verfahrens über die wesentlichen sie tangierenden Themen wie Insolvenzgeld, Sanierungsplan und Investorenprozess informiert werden sowie zur Aufrechthaltung des Arbeitseinsatzes für das Unternehmen motiviert werden. 1.2

Intranet/Mitarbeiterportal

Neben der üblichen Verteilung von Informationsschreiben per Hauspost oder per Aus- 28 hang bietet die IT-Lösung Intranet einen effizienten Kommunikationskanal. Das Intranet ist ein netzwerkbasiertes Portal, mit dem man unkompliziert und ohne große zeitliche Verzögerungen alle relevanten Nachrichten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt. In mittelgroßen Unternehmen und Konzernen ist dieses wichtige Medium der internen Unternehmenskommunikation weit verbreitet. Aber auch immer mehr kleinere Unternehmen greifen inzwischen darauf zurück. Das Intranet ist passwortgeschützt, um Außenstehenden, wie z. B. Journalisten, den Zugang zu verwehren, jedoch sollte man einkalkulieren, dass extern Interessierte durch ihre Kontakte trotzdem Zugang erhalten können. Grundsätzlich wird das Intranet dazu verwendet, betriebsinterne Informationen wie Ab- 29 sprachen, Unternehmensregeln, Dokumente und Formulare sowie Verfahrens- und Arbeitsablaufanweisungen der Belegschaft zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise werden die Informationsversorgung der Mitarbeiter verbessert, betriebsinterne Vorgänge automatisiert und Informationsströme beschleunigt. In der Praxis verantworten Marketing, interne Kommunikation/Human Ressources sowie die IT-Abteilung den Betrieb und die Pflege des Intranets. Für die Insolvenz eignet sich das Intranet je nach Größenordnung des Unternehmens 30 hervorragend für die Vermittlung von Informationen und Botschaften. Die Belegschaft findet dort alle insolvenzrelevanten Informationen: x

Die Pressemitteilung zum Insolvenzantrag und zur Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters,

x

die Beitrittserklärung zur Insolvenzgeldvorfinanzierung,

x

die wesentlichen Fragen und Antworten zur Insolvenz, zum Geschäftsbetrieb sowie zum Insolvenzgeld.

Das Einstellen neuer Nachrichten, Mitarbeiterinformationen und Formularen kann gleich- 31 zeitig mit einer kurzen E-Mail-Information gekoppelt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Aktivierung eines Tools (E-Mail-Responsetool), mit dessen Hilfe die Belegschaft insolvenzbezogene und geschäftsrelevante Fragen direkt an die Verantwortlichen richten kann. Die Fragen werden zentral gesammelt und zur Beantwortung an die entsprechenden Kollegen weitergeleitet. Die Antwort erfolgt schließlich entweder personalisiert auf direktem Wege an den Fragesteller oder in Form der Erweiterung des über das Intranet zugänglichen Fragen- und Antwortenkatalogs. Die Verantwortung des Intranets ist in der Regel – wie oben beschrieben – nicht pauschal definiert. Im Insolvenzfall sollte der Pressesprecher, der die gesamte Verfahrenskommunikation koordiniert und Zugang zu allen wesentlichen Beteiligten hat, das Intranet mit verantworten. Beispiel: Führendes Systemhaus in der Insolvenz Ein führendes deutsches Systemhaus mit mehr als 1 000 Beschäftigten an bundesweit zwölf Standorten hatte wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenz angemeldet. Der Plan: Übertragende Sanierung. Kommunikative Herausforderung war die Tatsache, dass die Mitarbeiter bundesweit verstreut waren und an jedem größeren Standort ein eigener Betriebsrat existierte. Die Unsicherheiten im Unternehmen waren groß, Fragen zahlreich. Um die Informationen über den Verfahrensablauf zu verteilen, konnte auf das bereits bestehende Intranet zurückgegriffen

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241

§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

werden. Zum einem wurde ein Fragen- und Antwortenkatalog erarbeitet, der alle wesentlichen Fragen zur Insolvenz beantwortete. Die Betriebsräte sammelten zusätzliche Fragen und leiteten diese an den auf Insolvenzkommunikation spezialisierten externen Kommunikationsverantwortlichen weiter. Nach Abstimmung der Antworten durch das Team des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, stellte der Verantwortliche diesen aktualisierten Katalog ohne großen zeitlichen Verlust ins Intranet. Alle Mitarbeiter erhielten zudem alle zwei Wochen kurze Intranet-Nachrichten zum aktuellen Verfahrensstand. Als Ergebnis konnte auf diese Weise die Unruhe im Unternehmen signifikant reduziert werden. Gleichzeitig haben sich die Kündigungen vor allem die der wichtigen Vertriebsmitarbeiter auf einem niedrigen Niveau gehalten. 1.3

Mitarbeiterversammlung

32 Die Mitarbeiterversammlung ist ein weiteres wichtiges Instrument, um die Belegschaft im Insolvenzverfahren zu informieren. Sie wird in enger Abstimmung mit, bzw. durch den Betriebsrat einberufen und findet in der Regel im Unternehmen statt. Idealerweise wird die Versammlung so terminiert, dass bei Schichtdienst alle Arbeitsschichten anwesend sein können. Je nach Größe des Unternehmens ist es erforderlich, Versammlungen an allen wesentlichen Standorten abzuhalten (Stichwort Roadshow). Gegebenenfalls, soweit die technische Ausrüstung vorhanden ist, bieten sich auch Übertragungen in Form einer Videokonferenz an. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter informiert hier meist bei gravierenden Neuigkeiten wie: kurz nach Insolvenzantrag zum Status quo sowie zur Vorstellung der nächsten Schritte, bei notwendigen Personalanpassungen oder bei Einigung mit einem Investor. Neben seinem eigenen Vortrag steht er hier auch den Beschäftigten Rede und Antwort und sollte sich auf die möglichen Fragen gut vorbereiten. 1.4

Mitarbeiterzeitschrift/Newsletter

33 Viele Unternehmen setzen für ihre Mitarbeiterkommunikation seit langem eigene Zeitschriften oder zumindest Newsletter ein, die regelmäßig produziert und verteilt werden. Vorteil dieser Print-Medien ist es, dass sie im Allgemeinen eine Wertigkeit und damit auch den Stellenwert der Mitarbeiter im Unternehmen dokumentieren. Längere Geschichten und Themen mit ansprechendem Layout erscheinen hierin lesenswert und die Beschäftigten erfahren auch aus anderen Abteilungen und von anderen Standorten, was im Unternehmen passiert. Nachteil in der Insolvenz ist es, dass die Produktion in der Regel kostenintensiv ist und einen zeitlichen Vorlauf benötigt. Während der Insolvenz aber muss der Verwalter schnell reagieren und bei entsprechenden Entwicklungen innerhalb kürzester Zeit informieren. Dafür eignen sich Zeitschrift und Print-Newsletter eher nicht. Das muss aber nicht automatisch heißen, dass diese Medien direkt der Sanierung und Kostenersparnis zum Opfer fallen. Neben den finanziellen Aspekten können hier auch Fragen eine Rolle spielen wie: x

Welchen Stellenwert hat das Medium im Unternehmen?

x

Welches (negative) Signal geht möglicherweise mit der Einstellung an die Belegschaft?

x

Alternativ lässt sich der Produktionsaufwand, etwa durch einen geringeren Magazinumfang oder eine Umstellung auf eine reine digitale PDF-Ausgabe, deutlich reduzieren und den Beschäftigten so signalisieren, dass es weitergeht.

1.5

Sonderfall: Berichterstattung für Lokaljournalisten

34 Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass ein klassischer Bereich wie Lokalmedien hier unter dem Kapitel interne Kommunikation aufgeführt wird, denn alle Handwerksmittel die unter Rz. 35 ff. (externe Kommunikation) aufgeführt sind, gelten natürlich auch für Lokaljournalisten. Aber: Berichte, die in den Lokalzeitungen veröffentlicht werden,

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

Original-Töne (O-Töne), die im Lokalradio laufen und Statements, die den lokalen Fernsehsendern gegeben werden, stoßen vor allem auch bei den Beschäftigten und deren Angehörigen vor Ort auf reges Interesse. Die Einbeziehung von Lokaljournalisten ist somit ein klassisches Instrument auch der Mitarbeiterinformation. Wenn Gesagtes zum aktuellen Stand auf einer Betriebsversammlung in ähnlichen Worten auch in der Lokalzeitung steht, steigert dies in der Belegschaft nochmals die Glaubwürdigkeit. Auch deshalb sollten eine schriftliche Mitarbeiterinformation und eine zeitlich etwas verzögerte Pressemitteilung immer aufeinander abgestimmt sein. 2.

Externe Kommunikation

Zur Zielgruppe der externen Kommunikation zählen sowohl direkt Beteiligte am Insol- 35 venzverfahren wie Lieferanten, Banken und Kunden10) als auch die breite Öffentlichkeit. Das Informationsbedürfnis zumindest der wesentlichen Beteiligten wird meist direkt in bilateralen Gesprächen befriedigt. Ähnlich der Funktion der Lokaljournalisten bei der Mitarbeiterinformation können bei der externen Kommunikation die Medien mit verschiedenen Maßnahmen als wichtiger Multiplikator in die externen Zielgruppen dienen. Im Folgenden werden die für die Medienkommunikation zur Verfügung stehenden Instrumente sowie die Arbeitsweisen und das Selbstverständnis von Journalisten vorgestellt. 2.1

Presseverteiler

Der Presseverteiler ist die Grundlage für den Versand von Pressemitteilungen und der 36 Ansprache der Medienvertreter. Er enthält die Kontaktdaten aller für das Unternehmen und das Geschäft wesentlichen Journalisten und Redaktionen. Zu berücksichtigen sind je nach Branche und Größe des Unternehmens Lokal-, Fach- sowie Wirtschaftsmedien inklusive Radio, TV und Online-Magazine. Zudem bietet es sich an, die Pressemitteilung auch an Multiplikatoren aus der Politik und Verwaltung wie z. B. die Industrie- und Handelskammer, Vertreter der Stadt, der Wirtschaftsförderung, Verbände sowie Amtsgerichte zu versenden. Der Verteiler sollte ständig aktualisiert werden, um bei Presseaussendung stets den richtigen Ansprechpartner zu erreichen. Entscheidend hierbei sind direkte Kontakte zu den Journalisten über die persönliche Redaktionsadresse. In manchen Situationen bietet es sich an, neben einen Basispresseverteiler auch fallspezifische Verteiler zu erstellen: z. B. ein regionaler Verteiler für den einzelnen Werkstandort, für die Produktpresse, für karrierebezogene Medien. Da der Versand von Pressemitteilungen heute ausschließlich per E-Mail durchgeführt wird, wird ein entsprechender E-Mail-Verteiler vorgehalten, über den der Presseversand erfolgt. Um die Privatsphäre der Empfänger dieser Mailings zu bewahren und sie vor Adressen-Sammlern zu schützen, ist darauf zu achten, dass die Adressaten über das E-Mail-Header-Feld „BCC“ angeschrieben werden. Im Falle einer Insolvenz wird auf den bestehenden Basisverteiler des Unternehmens zu- 37 rückgegriffen, der schließlich mit verfahrensrelevanten und persönlichen Kontakten des ___________ 10) Bei der Kundenkommunikation sollten die Verantwortlichen aus den Bereichen Marketing und Werbung – soweit vorhanden – stets ihre Inhalte mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter und seinem Kommunikator abstimmen. Andernfalls kann es zu bösen Überraschungen wie beim Versandhändler Neckermann kommen: Auf der Website wurde mit der eigenen Insolvenz und Sprüchen wie z. B. „Sie haben momentan wenig Geld in der Kasse? Wir wissen, wie sich das anfühlt.“ und „Insolvent. Na und? Sie wollen schließlich kein Geld bei uns bestellen, sondern Waren.“ geworben. Aus der Sicht eines Werbers mag dies eine kreative Marketingidee gewesen sein, doch verkennt sie die eigentliche Ernsthaftigkeit der Situation. Eine Insolvenz sollte nicht in der Werbung thematisiert werden, sondern Bestandteil einer seriösen, strukturierten Kommunikationsarbeit sein (zu diesem Negativbeispiel s. a. WirtschaftsWoche v. 1.8.2012, abrufbar unter http://www.wiwo.de/erfolg/management/krisenkommunikation-neckermann-witzeltueber-seine-insolvenz/6949260.html [Abrufdatum 25.5.2013]).

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

(vorläufigen) Insolvenzverwalters ergänzt wird. Im Laufe der Insolvenz wird dieser ständig aktualisiert und erweitert. Pressemitteilungen sollten nicht nach dem Gießkannenprinzip verschickt werden, sondern es sollte genau geschaut werden, für wen diese Meldung interessant ist. Nur diese Gruppe sollte in den Verteiler aufgenommen werden. Redakteure erhalten tagtäglich eine Vielzahl von Pressemitteilungen. Sollte eine Pressemitteilung für sie nicht relevant sein, sind sie deshalb dankbar, wenn sie diese gar nicht erst bekommen. 2.2

Pressemitteilung

38 Die Pressemitteilung, auch Presseinformation oder Presseerklärung, ist das wohl am häufigsten genutzte Mittel, um die Medien über Ereignisse, Produkte, Stellungnahmen und Veranstaltungen zu informieren. Auf diesem Weg kann eine gewünschte Aussage per Mailing zielgerichtet an möglichst viele Redaktionen verteilt werden. Gleichzeitig können über Aushang und über die Website weitere Empfänger erreicht werden. Während vor zehn bis fünfzehn Jahren Pressemitteilungen hauptsächlich per Fax an die Redaktionen übermittelt wurden, werden sie heute beinahe ausschließlich elektronisch per E-Mail versendet. Neben der aktuellen Information ist die Pressemitteilung ein sehr gutes Medium, den Kontakt zu den Medien aufrechtzuerhalten und sich regelmäßig in Erinnerung zu rufen. Auf diese Weise lässt sich ein gutes Verhältnis zu den Redaktionen aufbauen, von dem das Unternehmen in einer Krisensituation profitiert. Pressemitteilungen werden meist nicht 1:1 übernommen, sondern sind ein Hinweis auf ein Thema. Journalisten haben im Übrigen keinerlei Verpflichtung eine Pressemitteilung zu verarbeiten und zu veröffentlichen. Sie ist lediglich ein Informationsangebot an die Redaktionen. Allerdings gilt: Je professioneller sie strukturiert und geschrieben ist, desto eher greift ein Journalist auf die Informationen zurück und verwendet sie für seine Berichterstattung. 39 Vom Stil her gleicht eine effiziente Pressemitteilung einer Nachricht und ist damit eine der wesentlichen journalistischen Darstellungsformen. Es handelt sich dabei um die kompakte Darstellung eines Ereignisses, das für Leser, Radiohörer oder Fernsehzuschauer interessant und wichtig ist. Die Nachricht gibt Antwort auf alle für das Thema relevanten journalistischen W-Fragen: x

Wer?

x

Was?

x

Wann?

x

Wo?

x

Wie?

x

Warum?

x

Woher/welche Quelle?

40 Die ausführlichere Nachricht heißt Bericht und beleuchtet zusätzlich die Hintergründe der Nachricht. Nachrichten und Berichte zu schreiben, ist journalistisches Kernhandwerk. Die Auswahl der Themen erfolgt nach dem Nachrichtenwert, der sich zusammensetzt aus der Aktualität und aus dem Wissens-, Unterhaltungs- und Nutzwert. Für den Aufbau der Nachricht gilt das Grundprinzip: Das Wichtigste, der Kern, kommt zuerst. Auf den Kern folgen die anderen Bausteine: Einzelheiten, Quelle, Hintergrund. Wann eine Nachricht von dem Redakteur auch tatsächlich genommen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen u. a.: x

Ist diese News tatsächlich aktuell?

x

Passt die News in die derzeitige Themenlage des Blattes?

x

Ist die News relevant für die Leser?

244

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz x

Ist das Thema einfach darstellbar?

x

Ist diese News für ihn wichtiger als andere, die er über den Ticker erhält?

Bei der Beurteilung des tatsächlichen News-Faktors gilt: Die Nachricht muss vom Adres- 41 saten als wichtig wahrgenommen und nicht vom Absender. Die für eine Pressemitteilung relevanten Themen in der Insolvenz werden bei Rz. 65 ff. beschrieben. Neben den dort aufgeführten Anlässen für den möglichen Einsatz der Pressemitteilung wird die Pressemitteilung auch als Kommunikationsinstrument für die Reaktion auf mögliche Störfaktoren eingesetzt (siehe Rz. 72 ff.). Die Mitteilung dient auch zur Ergänzung bspw. bei Pressekonferenzen und sollte zudem auf der Unternehmenswebsite veröffentlicht werden. Dort kann dann jeder Interessierte die Mitteilung direkt lesen und ist nicht auf die Filterung der Journalisten angewiesen. Dies ist vor allem dann hilfreich, wenn Journalisten die ursprüngliche Meldung nicht korrekt wiedergeben oder den Nachrichtenwert der Meldung für ihre Leser als zu gering einschätzen und sie deshalb nicht aufnehmen. Hilfreich für den Journalisten ist es, wenn in der Pressemitteilung nach der eigentlichen 42 Meldung noch ein kurzer historischer Ablauf zum bisherigen Insolvenzverfahren aufgeführt ist. Dies hilft sowohl Journalisten, die das Verfahren von Beginn an begleiten, als auch Journalisten, die neu über das Verfahren berichten, bei der Einordnung der Meldung. Außerdem sollte bei jeder Mitteilung für mögliche Rückfragen ein Pressesprecher mit Kontaktdaten aufgeführt sein. 2.3

Pressekonferenz

Die Pressekonferenz als Mittel der Unternehmenskommunikation ist eine Möglichkeit, 43 komplexe Themen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Anders als bei der Pressemitteilung ist die Pressekonferenz eine Gelegenheit, in einen persönlichen Dialog mit den Medien zu treten und auf diese Weise Hintergründe zu erläutern und bestimmte Aspekte zu diskutieren. Auf einer Pressekonferenz kann nach außen auch Geschlossenheit demonstriert werden. Sei es innerhalb der Geschäftsführung/des Vorstands oder auch zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat. Journalisten können direkt im Anschluss auf die vorbereiteten Statements des Unternehmens reagieren und (kritische) Fragen stellen. Auf diese möglichen Fragen sollte man sich unbedingt vorbereiten, denn es können neben dem eigentlichen Thema z. B. durch Indiskretionen nach außen auch Umstände thematisiert werden, die aus Unternehmenssicht grundsätzlich noch gar nicht spruchreif und für das Unternehmen aus diesem Grund kritisch sind. Die Durchführung einer Pressekonferenz ist zu empfehlen, wenn viele Adressaten 44 schnell und zur gleichen Zeit informiert werden müssen. Eine Einladung macht aber nur dann einen Sinn, wenn es einen wirklichen Anlass dafür gibt und den Redakteuren inhaltlich relevante Neuigkeiten geboten werden können (z. B. Jahresbericht und Bilanzpräsentationen, Abschluss von M&A-Transaktionen, Hintergründe eines großen Werksunfalls). Es ist zu berücksichtigen, dass Pressekonferenzen einen erheblichen Zeitaufwand für alle Beteiligten bedeuten. Unternehmensvertreter sind für einige Stunden aus ihrem Geschäftsalltag raus, Journalisten müssen eigens dafür anreisen. Um den Arbeitszeiten und Arbeitsweisen der Journalisten entgegen zu kommen, findet die Konferenz meist am späteren Vormittag statt. Vor der Durchführung einer Pressekonferenz sind zentrale Fragen zu beachten: x

Reicht der Anlass für eine Pressekonferenz, so dass die Journalisten auch kommen?

x

Wann und wo soll die Konferenz stattfinden?

x

Welche Journalisten werden eingeladen?

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

x

Wenn der Stammsitz des Unternehmens für Journalisten schwer erreichbar ist: Gibt es alternative Orte, etwa in größeren Städten?

x

Ist die Infrastruktur (Raumgröße, Veranstaltungstechnik usw.) ausreichend?

x

Wie sieht die Agenda aus?

x

Wer nimmt von Unternehmensseite daran teil?

x

Ist eine Sprachregelung vorbereitet?

x

Wer antwortet zu welchem Thema?

x

Sind die Teilnehmer entsprechend gebrieft?

45 Regelmäßige Pressekonferenzen eignen sich vor allem bei starkem öffentlichem Interesse, etwa bei Großinsolvenzen wie Arcandor, Teldafax und Schlecker. Aber auch bei Insolvenzen im Profi-Sport, wie bei den Fußballvereinen Alemannia Aachen und Rot Weiss Ahlen oder dem Handball-Bundesligisten DHC Rheinland. Auch hier ist das öffentliche Interesse bundesweit sehr groß. Hinzu kommt bei insolventen Sportvereinen, dass bei allen Beteiligten starke Emotionen aufgefangen werden müssen und die Ansprechpartner bei den Medien meist Sportjournalisten sind, die wenig Erfahrung mit dem Thema Insolvenz haben. Das Aufklärungsbedürfnis ist folglich hoch. Hinzu kommt, dass neben der Insolvenzordnung noch spezielle Verbandsstatuten – etwa vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und Deutschem Handballbund (DHB) – zu beachten sind und das Insolvenzverfahren maßgeblich beeinflussen. Bei einer Unternehmenskrise haben Geschäftsführung, Restrukturierungsbeauftragte sowie (vorläufiger) Insolvenzverwalter auf diesem Forum eine gute Gelegenheit, den anvisierten Sanierungskurs vorzustellen. Beispiel: Handballbundesligist in der Krise Wegen der Insolvenz eines zentralen Sponsors hatte ein Handballbundesligist selbst Insolvenzantrag stellen müssen. Ziel war es, den Verein über ein Insolvenzplanverfahren zu sanieren und einen Zwangsabstieg in die 3. Liga zu vermeiden. Die Spieler haben recht frühzeitig ihre Bereitschaft für eine Zusammenarbeit signalisiert. Um die Gelder für den Spielbetrieb und die Gläubiger aufzutreiben, war es unbedingt erforderlich Fans und Sponsoren von der wirtschaftlichen und sportlichen Sanierungswürdigkeit des Vereins zu überzeugen. Die alle zwei Wochen bei den Heimspielen stattfindenden Pressekonferenzen wurden regelmäßig vom Team des vorläufigen Insolvenzverwalters genutzt, um über den Verfahrensablauf und die erfolgreichen Sponsorengespräche zu berichten. Die Pressekonferenz wurde von zahlreichen Sport- und Lokaljournalisten besucht und zudem live in die Sporthalle übertragen und so auch den Fans und Sponsoren gezeigt. Durch die Aufzeichnung und Wiedergabe über die Website und den YouTubeKanal im Internet konnte eine zusätzliche Reichweite erreicht werden. Ergebnis: Durch eine transparente und vor allem regelmäßige Kommunikation über die Pressekonferenzen konnten Fans und Sponsoren von einem Festhalten am Verein überzeugt und zu zusätzlichen Finanzbeiträgen bewegt werden. 2.4

Hintergrundgespräch

46 Während man sich in einer Pressemitteilung und einer Pressekonferenz an eine größere Runde von Journalisten und Redaktionen richtet, kann man für das Hintergrundgespräch eine Auswahl treffen und den Teilnehmerkreis eingrenzen. Das Presse-/Hintergrundgespräch ist eine gute Möglichkeit, einem Journalist die Hintergründe zu einem bestimmten Thema (z. B. Jahresbilanz, Marktentwicklungen, Strategien) umfassend zu erläutern, Zusammenhänge darzustellen und über Tatsachen zu informieren. Dabei sollten dem Gesprächspartner unbedingt neue Informationen geboten werden. Ein solches Gespräch schafft eine Vertrauensbasis zwischen dem Unternehmensvertreter und den Medien. Wichtig ist, dass vor dem Termin die Regeln für das Gespräch abgesprochen und festlegt werden, denn es gibt auch Journalisten, die an einem solchen Gespräch generell nur dann interessiert sind, 246

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

wenn sie über alle Themen daraus berichten dürfen. Sind die Regeln aber zuvor abgestimmt, ist der Redakteur laut dem Pressekodex11), einer Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln für die journalistische Arbeit, verpflichtet, diese Absprachen zu berücksichtigen. Es ist gängige Praxis zu vereinbaren, dass mögliche Zitate aus diesem Gespräch vor Veröffentlichung zur Abstimmung und Freigabe vorgelegt werden. Für ein derartiges Gespräch ist eine gute Vorbereitung erforderlich (Stichwort Fragen- und Antwortenkatalog), da auch mit kritischen Fragen zu rechnen ist. 2.5

Das Wortlautinterview in Print-Produkten

Das Wortlaut-Interview zählt zu den klassischen journalistischen Darstellungsformen. 47 Der Journalist stellt Fragen, der Interviewte gibt seine Sicht der Dinge wieder. Das Interview ist somit immer auch eine persönliche Meinungswiedergabe. Mit seinen Fragen führt der Journalist das Gespräch, gibt die Themen vor und kann so seine Zielsetzung verfolgen. Darauf hat der Interviewte keinen Einfluss. Aber er kontrolliert die Antworten und sollte sich vor dem Gespräch klar machen, welche zentralen Botschaften er in der Öffentlichkeit vermitteln will. Es ist üblich vor dem Interview mit dem Journalisten das Thema einzugrenzen und zu vereinbaren, sich das aus dem Gespräch niedergeschriebene Interview vor der Veröffentlichung zur Freigabe vorlegen zu lassen. Hier kann der Befragte nochmal Einfluss auf seine Antworten nehmen und sie bei Bedarf korrigieren. Dieses Einverständnis ist u. a. daraus gewachsen, da aus dem gesamten Gespräch meist nur Ausschnitte im Schriftinterview ausgewählt werden, was Einfluss auf die Gesamtaussage haben kann, und weil sich die Tonalitäten und Zwischentöne des gesprochenen Wortes nicht immer so einfach in das geschriebenes Wort übersetzen lassen. Auch wenn der Befragte diese Einflussmöglichkeit hat, sollte er sparsam damit umgehen und nicht das komplette Interview umdrehen. Das ist in der Regel für beide Seiten unbefriedigend und es kann dann durchaus passieren, dass der Journalist das Interview dann lieber gar nicht veröffentlicht. Es ist deshalb wichtig, dass sich der Interviewte gut vorbereitet hat, weiß, wo mögliche Fangfragen lauern könnten, und sich keine Aussagen entlocken lässt, die er nicht geschrieben sehen will. Hilfreich ist es, wenn man ein paar grundsätzliche Informationen zu seinem Gegenüber hat und besser einschätzen kann, wie der Journalist in der Regel seine Interviews führt, welche rhetorischen Mittel er womöglich einsetzt und in welche Richtung er das Gespräch leiten wird. 2.6

Das Interview für Hörfunk und Fernsehen12)

Redakteure von Fernsehen und Hörfunk denken in Bildern und O-Tönen. Das heißt neben 48 einem relevanten Thema werden beide stets darüber nachdenken, wie sie ihre Story adäquat den Zuschauern und Hörern präsentieren können. In der Regel möchten also Fernsehredakteure mit Verantwortlichen vor der Kamera sprechen, Hörfunkredakteure führen Gespräche auch per Telefon und zeichnen diese für ihre Sendungen auf. Für ungeübte Gesprächspartner ist das Reden vor Mikrofon, gerade bei heiklen Themen, nicht immer einfach. Wer ungeübt ist, tritt hier gerne einmal ins Fettnäpfchen – diese werden von den Redakteuren mitunter auch mal bewusst aufgestellt. Grundsätzlich gilt: Wenn die Kamera läuft oder das Mikrofon angeschaltet ist, muss der Interviewte extrem konzentriert sein, denn eine einmal gemachte Aufnahme kann immer (gegen ihn) verwendet werden. Solange das Gespräch nicht Live gesendet wurde, können O-Töne – etwa bei Versprechern – zwar ___________ 11) Publizistische Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserats in der Fassung v. 13.3.2013 unter http://www.presserat.info/uploads/media/Pressekodex_2013.pdf (Abrufdatum: 26.2.2013). 12) S. hierzu auch Ramelsberger/Rossié, Medientraining kompakt: 150 konkrete Tipps für den Umgang mit Journalisten von Presse, Nachrichtenagenturen, Hörfunk und Fernsehen.

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

nochmal neu aufgezeichnet werden, was meist auch problemlos von den Redakteuren gemacht wird. Aber es gibt auch Sendeformate, die es genau auf derartige Versprecher anlegen und sogar bestimmte Aussagen vom Interviewten provozieren möchten. Hier gilt es ruhig zu bleiben, selbst wenn einem die Frage zum x-ten Mal gestellt wird: Immer die gleiche ruhige Antwort geben und sich nicht provozieren lassen, denn Kamera und Mikrofon nehmen alles auf. Ist der Redak-teur tatsächlich an einer extremen Reaktion interessiert, wird er sich genau die entsprechende Szene für den Beitrag aussuchen. 49 Im Hörfunk und Fernsehen gibt es verschiedene Reportagesendungen, in denen Themen durchaus allumfassend behandelt werden können. In der Regel sind es aber meist Nachrichtensendungen, die über Unternehmen und ihre Krisen berichten. Der Unterschied zur geschrieben Presse liegt vor allem darin, dass die Themen und Geschichten viel komprimierter dargestellt werden. So dauert der gesamte Beitrag meist nicht mehr als 2,5 Minuten, das darin enthaltene Interview mit einem der Verantwortlichen oftmals nicht länger als 0,5 Minuten. Um in dieser kurzen Zeit das wichtigste zum aktuellen Stand unterzubringen, bedarf es auf Seiten des Interviewten einer guten Vorbereitung und viel Übung. Die Befragten sollten sich im Vorfeld die Fragen geben lassen und gezielt Antworten vorbereiten (Stichwort Q&A). Die Antworten gilt es aber nicht auswendig zu lernen und bloß „aufzusagen“, denn das klingt beim Hörer wenig spannend und auch meist wenig glaubwürdig. Die Kunst ist es, die aktuell formulierte Frage des Journalisten aufzunehmen und mit den vorbereiteten Antworten zu einem lebendigen Statement zu verschmelzen. Dabei sollten u. a. folgende Aspekte beachtet werden: x

Eine einfache verständliche Sprache wählen und keine komplizierten Begriffe verwenden.

x

Kurze Sätze bilden, keine Verschachtelungen.

x

Wenig Informationen pro Satz präsentieren.

x

Zeichensetzungen für Sprechpausen nutzen.

x

Relevante Begriffe durchaus wiederholen, damit sie vom Hörer behalten werden.

x

Verben benutzen, sich aktiv ausdrücken und keine Konjunktivformen einsetzen.

50 Beim Fernsehinterview kommt neben dem sprachlichen auch noch der visuelle Eindruck hinzu, der beim Betrachter zu einem Gesamteindruck über den Interviewten führt. Um seriös und kompetent zu wirken, sollte die Kleidung nicht ablenken und dezent gewählt werden. Um das Bild möglichst ruhig zu halten, sollte auf kleingemusterte Kleidung verzichtet werden. Auch rein schwarze oder rein weiße Kleidung kann zu Verfälschungen führen, da der Kameramann dann die Belichtung korrigieren muss. Für ein Statement vor der Kamera wählt der Redakteur meist einen Ausschnitt, der den Interviewten leicht schräg von der Seite ab der Brust zeigt. Bei diesem Ausschnitt während des Interviews deshalb keine Hände oben ins Bild ziehen. Schon vor der Aufnahme, eine bequeme gerade Position wählen, in der man auch ein paar Minuten verharren kann. Ruhig stehen bleiben und nicht im Stand mit den Beinen wackeln oder das Standbein wechseln. Wichtig ist auch der Gesichtsausdruck während des Interviews. Glaubwürdig und sympathisch wirkt nur, wer es versteht, seinen Gesichtsausdruck mit dem Gesagten in Einklang zu bringen. Wer lachend verkündet, dass Arbeitsplätze abgebaut werden müssen oder mit ernster Miene Auskunft erteilt, dass man einen Investor gefunden hat, hinterlässt beim Betrachter womöglich Fragezeichen. Wenig vertrauenserweckend wirkt auch, wer vor der Kamera schwitzt. Interviewte sollten im Sommer deshalb kühlere Plätze für das Gespräch aufsuchen und sich in Innenräumen mit stark wärmeabstrahlenden Scheinwerfern nicht schon lange im Vorfeld vor den Lichtern aufhalten. Wenn möglich sollten sich die Interviewten von einem Profi zuvor schminken bzw. abtupfen lassen. Im TV-Studio ist dies in der Regel Standard.

248

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

Wer häufiger bei Presseanfragen vor die Kamera oder das Mikrofon muss, sollte ein spe- 51 zielles Medientraining in Erwägung ziehen. Hierbei geben geschulte Profis Feedback auf Sprache, Körperhaltung sowie Ausdruck und geben Tipps, wie der Interviewte alleine durch seine Darstellung kompetenter und glaubwürdiger beim Betrachter und Hörer wahrgenommen wird. 3.

Social Media in der Insolvenz-Kommunikation13)

Ein zentrales Thema, das derzeit intensiv im Bereich der Unternehmenskommunikation 52 diskutiert wird, ist die Frage, welche Rolle Social Media heutzutage in Unternehmen spielt. Eine aktuelle, stichprobenartige Umfrage des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) ergab, dass bereits 85 % der befragten Unternehmen im sog. Social Web aktiv sind.14) Fast 80 % dieser Unternehmen haben zudem ganzheitliche oder zumindest abteilungsbezogene Social Media-Strategien. Die Nutzung sozialer Medien gehört damit mittlerweile zu einem etablierten Instrument im Kommunikationsmix der Unternehmen. Je näher dabei die Geschäftstätigkeit, die Produkte oder die Dienstleistung des Unternehmens auf die Endkunden (Verbraucher) abzielen, desto relevanter ist das Social Web für diese Unternehmen und desto intensiver ist auch die dortige Kommunikation. Die Relevanz des Social Web ist für B2C-Unternehmen in der Regel höher als für B2B-Unternehmen. Dies trifft nicht nur auf die alltägliche Kommunikation im Social Web zu, sondern auch 53 auf denkbare Krisenszenarien wie eine Unternehmensinsolvenz. Eine deutliche Zunahme des Interesses im Social Web mit tendenziös kritischen Beiträgen ist in einer Insolvenz wenig überraschend. Ebenso muss mit der Verbreitung von Unternehmensinterna und Gerüchten im Social Web seitens der Mitarbeiter gerechnet werden. Unternehmen bzw. (vorläufiger) Insolvenzverwalter können sich dieser „neuen Realität“ im Kommunikationsverhalten sowie in der Informationsverbreitung nicht verschließen sondern sollten sie für sich nutzen. 3.1

Überblick verschaffen

Ein Unternehmen, das in „guten Zeiten“ seine Reputation – auch im Social Web – auf- 54 gebaut hat, kann in „schlechten Zeiten“ davon zehren bzw. diese nutzen. Der in der Regel externe Kommunikationsbeauftragte sollte sich daher zuallererst einen Überblick über die Social Media-Aktivitäten des Unternehmens verschaffen und folgende Fragen beantworten: x

Wird überhaupt über das Unternehmen im Social Web gesprochen?

x

Existiert eine Social Media-Strategie?

x

Gibt es bereits Social Media-Kanäle, die vom Unternehmen aufgebaut und aktiv genutzt werden?

x

Existieren Community Manager oder eine Agentur, die die Social Media-Aktivitäten des Unternehmens extern steuern?

x

Auf welchen Kanälen wird wie über das Unternehmen im Social Web berichtet?

x

Gibt es verpflichtende Social Media-Richtlinien für die Mitarbeiter?

x

Wird das Social Web systematisch beobachtet und ausgewertet?

___________ 13) Ausführlich zum Thema Social Media s. Plauschinat/Klaus, Web-Monitoring – Methodik zur Beobachtung von Social Media für die Meinungsanalyse, in: Scherfer/Volpers (Hrsg.): Methoden der Webwissenschaften – Ein Handbuch, Bd. 1: Anwendungsbezogene Methoden, im Druck. 14) BVDW-Studie: Social Media in Unternehmen, mit Kennwort abrufbar unter http://www.bvdw.org/ medien/gesamtergebnisse-der-bvdw-social-media-unternehmensbefragung-2012?media=4528 (Abrufdatum: 26.2.2013).

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249

§ 10 3.2

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Social Media: Richtlinien für Mitarbeiter

55 Durch Social Media kann heute theoretisch jeder Mitarbeiter ein Unternehmensbotschafter sein, ihm dabei aber auch bewusst oder unbewusst schaden. Mit der Größe des Unternehmens steigt auch die Notwendigkeit von Richtlinien für die Social Media-Nutzung der eigenen Mitarbeiter. Diese sollten verpflichtend und somit Bestandteil des Arbeitsvertrages sein. Neben dem Umgang mit Datenschutz und Urheberrecht sollte auch klar geregelt sein, ob und wie Mitarbeiter sich privat in öffentlichen Social Media-Kanälen als solche darstellen und kommunizieren dürfen.15) Im Krisenfall können unüberlegte Äußerungen von Mitarbeitern die negative Berichterstattung zusätzlich anfachen. Gleichzeitig kann die authentische, ehrliche Kommunikation zufriedener Mitarbeiter Krisen auch abschwächen. Verpflichtende Social Media-Richtlinien schaffen bei Mitarbeitern ein Bewusstsein bzw. geben eine Orientierung, wozu und wie sie sich über das Unternehmen im Social Web äußern dürfen. Sie können so rufgefährdende Beiträge und die Verbreitung sensibler Unternehmensinterna im Social Web vorbeugen und helfen bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit von Äußerungen der Mitarbeiter. 3.3

Social Media: Bestehende Kommunikation und Monitoring

56 Zu Beginn sollte überprüft werden, ob Social Media für das insolvente Unternehmen überhaupt relevant sind. Den schnellsten Überblick erhält man auf dem Mikrobloggingdienst Twitter (www.twitter.com) und dem sozialen Netzwerk Facebook (www.facebook.de) – die Anzahl der Beiträge („Social Media Buzz“) auf diesen Plattformen dient hier als Indikator für das generelle Interesse der Netzöffentlichkeit am Insolvenzunternehmen und das Engagement der betroffenen Stakeholder wie Lieferanten, Kunden und Mitarbeiter im Social Web. Sofern ein Unternehmen (z. B. ein Profisportverein oder ein Online-Versandhandel) eine gewisse Aufmerksamkeit im Social Web erfährt, ist es sinnvoll, an der dortigen Kommunikation teilzunehmen sowie diese zu beobachten und zu analysieren (Stichwort Social Media Monitoring). Je größer die Aufmerksamkeit im Social Web ist, desto notwendiger ist dies. Monitoring und Analyse ermöglichen vor allem Einblicke in das Meinungsbild, die Identifizierung der für Endverbraucher und Mitarbeiter interessanten Themen, die Etablierung eines Frühwarnsystems für Krisen sowie die Identifizierung von Meinungsführern. Sofern eine solche Evaluation bereits stattfindet, lassen sich die Analysedaten (je nach Intensität der Analyse) nutzen, um akute Veränderungen an der Akzeptanz des Unternehmens zu verfolgen, Meinungsführer und Kritiker zu identifizieren und sensible, rechtlich unzulässige Äußerungen von Mitarbeitern aufzuspüren. Wenn vor der Insolvenz bereits eine aktive Kommunikation seitens des Unternehmens im Social Web stattfand, besteht die Chance, die vor der Insolvenz geschaffene „Fanbasis“ zu nutzen, indem aktiv und regelmäßig mit ihnen kommuniziert wird.16) Im Idealfall unterstützen und verteidigen sie das Unternehmen aktiv im Social Web. 57 Beste Voraussetzungen zur Bearbeitung und Nutzung der Social Media in der Insolvenz liegen dann vor, wenn das insolvente Unternehmen über eine Social Media-Strategie verfügt, bereits aktiv über verschiedene Social Media-Kanäle mit seinen Stakeholdern kommuniziert, Social Media-Richtlinien für die Mitarbeiter verabschiedet hat, über einen oder ___________ 15) Hilfe bietet hier bspw. der BITKOM-Leitfaden „Social Media Guidelines“, abrufbar unter https://www.sicher-im-netz.de/files/documents/unternehmen/BITKOM-SocialMediaGuidelines.pdf (Abrufdatum: 26.2.2013). 16) Vgl. Geisel, Blogger Relations – neue Kommunikationsdisziplin oder Business as usual?, abrufbar unter http://pr-blogger.de/2012/05/31/blogger-relations-%E2%80%93-neue-kommunikationsdisziplin-oderbusiness-as-usual/ (Abrufdatum: 26.2.2013).

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz

sogar mehrere Social Media-Verantwortliche verfügt und ein Social Media-Monitoringsystem einsetzt. Im negativen Fall existieren diese Voraussetzungen nicht und die Insolvenz stößt gleich- 58 zeitig auf große Aufmerksamkeit im Social Web. Trifft dies zu, sollte schnellstmöglich ein Monitoring eingerichtet werden, damit zumindest während der Insolvenzphase Meinungen, Themen und Kritikpunkte zeitnah identifiziert werden können, um diese Erkenntnisse in der aktiven Kommunikation zu berücksichtigen und reaktionswürdige Beiträge zu identifizieren. 3.4

Aktive Kommunikation – das richtige Maß an Transparenz finden

Hat sich der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit seinem Team einen Überblick über die 59 Gegebenheiten bzgl. Monitoring, Richtlinien und Strategie gemacht, kann mit der aktiven Kommunikation begonnen werden. Es ist nicht einfach, das notwendige Maß an Transparenz zu finden. Schweigen ist in diesem Fall genauso falsch wie bedingungslose Offenheit. Auf keinen Fall sollten Unternehmen – wie für die klassische Kommunikation bereits beschrieben – die negative Berichterstattung einfach „aussitzen“. Natürlich kann man in dieser Phase nicht jede Frage beantworten, vielmehr ist es notwendig, die richtigen Informationen zu liefern, um Gerüchten vorzubeugen und Kritikpunkte abzuschwächen. Und keinesfalls sollte Social Media aus dem klassischen Kommunikationsansatz ausgeklammert und isoliert betrachtet werden. Die Kommunikationsstrategie unterscheidet sich inhaltlich im Social Web nicht wesentlich von den übrigen Medien. Social Media erweitern nur das Spektrum der medialen Plattformen, auf denen diese Strategie angewendet wird. Lediglich die Wortwahl sollte angepasst werden – im Social Web findet die Kommunikation auf einer persönlicheren, direkteren Ebene statt. Unpersönliche Ansprachen über standardisierte Pressetexte sind bei Bloggern weder glaubwürdig noch authentisch und stoßen so auf wenig Gegenliebe. Außerdem wird das Unternehmen wahrscheinlich mit einer hohen Anzahl von Anfragen konfrontiert – zahlreiche User werden voraussichtlich Stellungnahmen und Antworten vom Unternehmen zu unterschiedlichen Aspekten fordern – und das vor allem schnell. Die dazu notwendigen Kapazitäten sowie Prozesse müssen berücksichtigt werden. 3.5

Aktive Kommunikation – wie, wo und mit wem?

Je nach Social Media-Kanal haben die Äußerungen über ein Unternehmen ein unterschied- 60 liches Gewicht. Während Tweets – also Textnachrichten mit maximal 140 Zeichen bei Twitter – und Kommentare auf Facebook meistens kurz, beiläufig und einzeln betrachtet, wenig einflussreich sind, erhalten sie erst durch die Masse an Beiträgen eine höhere Relevanz im Web. Bei der Analyse der Insolvenz Schleckers fällt bspw. auf, dass auf Twitter sowie Facebook selten einzelne meinungsbildende Beiträge aus der Masse an Tweets und Posts hervorstechen. Bei diesen Kanälen ist es meistens die extrem hohe Anzahl an Kommentaren und Likes bzw. Tweets, die für Aufmerksamkeit sorgt. Hat das Unternehmen zuvor durch seine Social Media-Aktivitäten bereits eine echte „Fangemeinde“ aufgebaut, besteht die Chance, dass diese während der Krise, in diesem Fall die Insolvenz, als Fürsprecher agiert, das Unternehmen verteidigt und so der negative Berichterstattung im Social Web etwas entgegenwirkt. Anders sieht es bei Beiträgen auf Blogs aus. Diese haben meist ein höheres Gewicht. 61 Hier werden Beiträge oft nicht nur sehr kritisch, sondern auch wohl überlegt formuliert und mit Verlinkungen auf andere Beiträge im Internet untermauert. Durch Twitter, Facebook und andere Kanäle können diese Beiträge innerhalb kürzester Zeit verbreitet und be-

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251

§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

kannt gemacht werden. Natürlich spielt hierbei eine gewisse Bekanntheit des Blogs bzw. der Grad der Vernetzung des Autors eine Rolle. Der Versuch, diese Beiträge schnellstmöglich aus dem Netz entfernen zu lassen und die Androhung oder Durchführung von Unterlassungsklagen sollte nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden. In der Regel wird hierdurch nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen – das Meinungsbild verschlechtert sich weiter und die Aufmerksamkeit wird erst recht auf das Unternehmen gelenkt. Eine angemessene Reaktion auf einflussreiche, kritische Blog-Beiträge ist hier die bessere Strategie. Es ist ratsam Kritik anzunehmen, das Angesprochene zu kommentieren und ggf. sogar die Kritiker nach ihren Vorschlägen zur Problemlösung zu fragen. Eine kleinteilige Debatte mit einzelnen Nutzern ist jedoch auch hier weder nötig noch ratsam, die Demonstration von Kommunikationsbereitschaft und deeskalierende Kommentare an der richtigen Stelle hingegen schon. Echte Stellungnahmen zum Thema sollten jedoch grundsätzlich auf dem eigenen Blog bzw. der eigenen Website veröffentlicht werden, da nur hier die volle Kontrolle über die Sichtbarkeit, den Inhalt des Beitrags und ggf. der Kommentare gewährleistet ist. 62 Die Bereitstellung eigener Social Media-Plattformen kann auch den Vorteil haben, die Kommunikation zum insolventen Unternehmen zu bündeln. Ein Beispiel hierfür ist das von Kommunikationsfachleuten gelobte Unternehmensblog von Schlecker. Während Arcandor und Woolworth während der Insolvenz keinerlei aktive Social MediaKommunikation zeigten, fand auf schlecker-blog.com ein reger, transparenter Austausch von Mitarbeitern mit dem Personaldirektor von Schlecker statt. Ohne diesen Blog wäre die Anzahl der Äußerungen in den übrigen, unternehmensfremden Social Media-Kanälen wahrscheinlich wesentlich höher gewesen und hätte viel Raum für Gerüchte und Spekulationen gelassen. Heute ist das Schlecker-Blog offline und kann nicht mehr eingesehen werden – auch das kann ein Vorteil sein. Es heißt zwar „das Web vergisst nicht“, das trifft jedoch umso mehr zu, wenn die Plattformen nicht unter der Kontrolle des Unternehmens stehen. 3.6

Fazit

63 Social Media bedeutet immer auch ein gewisses Maß an Kontrollverlust. Dies kann sowohl Vor- als auch Nachteil sein. Die Verweigerung der Social Media-Nutzung – gerade in einer Krise wie der Insolvenz – heißt jedoch nicht, dass keine Kommunikation auf diesen Kanälen stattfindet – man nimmt daran einfach nur nicht teil. Durch strukturiertes „Zuhören“ und gezielte Kommunikationsarbeit kann man jedoch die Berichterstattung positiv beeinflussen, erhält im Gegenzug ehrliche, authentische, positive Beiträge und kann mit überlegten, pointierten Äußerungen deeskalierend auf die Berichterstattung im Social Web einwirken. Schafft man es, die Diskussionen auf die eigenen Plattformen im Netz zu lenken, erhält man zusätzlich die Kontrolle über die zukünftige Sichtbarkeit der Beiträge. IV.

Inhalt und Ablauf einer Insolvenzkommunikation

64 Eine Insolvenz ist ein äußerst dynamischer Prozess. Dennoch gibt es für die Insolvenzkommunikation bestimmte planbare Elemente, die sich am ordentlichen Ablauf des Verfahrens orientieren. Darüber hinaus hat die Praxis gezeigt, dass immer auch Störfeuer von außen und innen den erfolgreichen Verlauf einer Sanierung schaden können, wenn man nicht in der Lage ist, adäquat darauf zu reagieren. Diese Situationen sind zum Teil unvorhersehbar und bedürfen einer besonderen Reaktion.

252

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz 1.

Aktion: Chronologischer Ablauf

Umso früher die Kommunikationsverantwortlichen in das Sanierungsszenario eingebunden 65 werden, umso besser. Wie bereits weiter oben dargelegt sind vielfältige Vorbereitungsmaßnahmen für den kommunikativen Roll-out erforderlich. Die Vorbereitung bei einer geplanten Insolvenz in Eigenverwaltung kann meist früher einsetzen, weil die Beteiligten selber frühzeitiger informiert sind, als dies bei einem Regelinsolvenzverfahren der Fall ist. Hier wird die Kommunikation meist erst aktiv, wenn der Antrag beim Gericht gestellt und der vorläufige Insolvenzverwalter ernannt wurde. Diesen Umstand gilt es nun in einem ersten Schritt an alle wesentlichen beteiligten Ziel- 66 gruppen zu kommunizieren. Es können zu diesem Zeitpunkt meist nur wenig konkrete Antworten gegeben werden, das Interesse ist aber gerade am Anfang erfahrungsgemäß besonders hoch: x

Wer hat Insolvenz beantragt?

x

Warum?

x

Wer ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter und was hat er vor?

Die Kommunikationsaktivitäten zur Antragstellung schließen vor allem x

eine Mitarbeiterversammlung,

x

Schreiben an Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten, eine

x

Pressemitteilung und in besonderen Fällen auch eine Pressekonferenz ein.

Auf diesem Weg wird ein erster Überblick über die aktuelle Situation gegeben, werden die nächsten Schritte kurz skizziert und vor allem wird den Beteiligten ein Ansprechpartner für Fragen gegeben. Bei dieser Gelegenheit wird auch auf die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes hingewiesen, so dass dieser wesentliche Unsicherheitsfaktor bei den Beschäftigten ausgeräumt wird. Ein weiterer kommunikationsrelevanter Zeitpunkt ist der Start des Investorenprozesses 67 im Falle einer übertragenden Sanierung. Die Suche nach einem Investor muss den Mitarbeitern angekündigt werden. Regelmäßige Besuche von Beratern und Kaufinteressenten irritiert und verunsichert die Belegschaft. Darüber hinaus hat sich die Pressebegleitung eines Verkaufsprozesses in vielen Fällen als hilfreich erwiesen: Es werden möglicherweise Kaufinteressenten angesprochen, die nicht im Fokus des M&A-Prozesses gestanden haben. Ein positives Bild des Unternehmens nach außen steigert zudem noch die Verkaufschancen. Der nächste Schritt, der aktiv kommuniziert wird, ist die Insolvenzeröffnung. Das Prüf- 68 verfahren ist beendet und der Insolvenzverwalter kann nun konkrete Stellungnahmen zum weiteren Verfahrensablauf und den Sanierungschancen geben. Dass das Unternehmen nun wieder aus dem laufenden Geschäftsbetrieb Löhne und Gehälter zahlt, ist eine positive Botschaft an alle wesentlichen Beteiligten. Weitere Anlässe für Kommunikationsaktivitäten bei der Insolvenz sind die sensiblen 69 Themen Personalanpassungen und Werkschließungen sowie die Einsetzung eines neuen Geschäftsführers. Mit dem Abschluss eines Insolvenzverfahrens, sei es durch übertragende Sanierung, Insol- 70 venzplan oder durch eine Liquidation, endet auch die Arbeit für die Insolvenzkommunikation. Bei einem Neustart ist es den nun Verantwortlichen selbst überlassen, ob sie die Kommunikation als verkaufs- und imagefördernde Maßnahme beibehalten wollen.

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253

§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Kommunikationsrelevante Verfahrensabschnitte

71

Verfahrensabschnitt

Kommunikationsaktivitäten

Antragstellung

Pressemitteilung Information der Belegschaft über Mitarbeiterinformationsschreiben und -versammlung Kunden-, Lieferantenschreiben Ggf. Pressekonferenz

Start des Investorenprozess

Pressemitteilung Mitarbeiterinformationsschreiben

Insolvenzeröffnung

Pressemitteilung Mitarbeiterinformationsschreiben

Personalanpassungen und Werkschließungen

Pressemitteilung Information der Belegschaft über Mitarbeiterinformationsschreiben und -versammlung

Verkauf i. R. einer übertragenden Sanierung

Pressemitteilung Information der Belegschaft über Mitarbeiterinformationsschreiben und -versammlung Kunden-, Lieferantenschreiben Ggf. Pressekonferenz

Abschluss eines Insolvenzplanverfahrens

Pressemitteilung Information der Belegschaft über Mitarbeiterinformationsschreiben und -versammlung Kunden-, Lieferantenschreiben

Liquidation

Pressemitteilung Information der Belegschaft über Mitarbeiterinformationsschreiben und -versammlung Kunden-, Lieferantenschreiben

Quelle: Eigene Zusammenstellung

2.

Reaktion: Kommunikative Handlungsoptionen auf mögliche Störfaktoren

72 In der Praxis läuft ein Insolvenzverfahren in der Regel selten ohne interne oder externe Störfaktoren ab. Für die Kommunikation relevante Ereignisse sind bspw. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, Einflussnahme über die Medien durch potentielle Investoren während des Investorenprozesses, Beschwerden von (vermeintlich) geschädigten Gläubigern und Mitarbeitern, Emotionsausbrüche von Sportfans, Kritik über die Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Diese möglichen Vorkommnisse gilt es zu beobachten und falls notwendig darauf adäquat zu reagieren. Aus diesem Grund sollte für jede Situation eine entsprechende Strategie und eine damit verbundene Sprachregelung vorgehalten werden. 3.

Umgang mit unfairer Berichterstattung

73 Journalisten unterliegen bei ihrer Arbeit einer Sorgfaltspflicht und müssen den Wahrheitsgehalt ihrer Meldungen prüfen. Eine Verletzung dieser Pflicht kann Schadensersatzansprüche zur Folge haben. Presserechtlich stehen dabei zur Verfügung die Durchsetzung einer Gegendarstellung, einer Berichtigung der Darstellung und eine Unterlassung. Diese Mittel sollten aber nur im äußersten Fall angewandt werden. Es gibt neben den rechtlichen Mitteln auch andere Möglichkeiten sich zu wehren. Neben dem persönlichen Gespräch mit dem Redakteur sind dies:

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz x

Leserbrief: Leserbriefe werden von den Lesern einer Zeitung erfahrungsgemäß gerne gelesen. Für die dort formulierte Gegendarstellung auf jeden Fall wahrheitsgemäß den Absender aufführen.

x

Interview: Vereinbarung eines Interviews mit der Zeitung zum Thema, das vor Veröffentlichung nochmal zur Freigabe abgestimmt wird. So hat man die Antworten unter Kontrolle. Vorsicht: Eine Freigabe bei Fernseh- oder Hörfunk-Interviews ist nicht üblich.

x

Pressemitteilung: Mit einer eigenen Pressemitteilung, kann man eine Richtigstellung publizieren und diese auch auf die Website stellen.

x

Beschwerde beim Presserat: Es besteht die Möglichkeit, eine Beschwerde beim Deutschen Presserat einzureichen. Falls auch der Rat diese Meldung als falsch und unfair ansieht, kann er eine öffentliche Rüge aussprechen.

x

Nichts tun: Es sollte Berücksichtigt werden, dass alle Maßnahmen, die gegen unseriöse Berichterstattung in Betracht gezogen werden, das Thema weiter in der Öffentlichkeit halten.

4.

Die wichtigsten Regeln für die Insolvenzkommunikation

Nachfolgend nochmal die wesentlichen Punkte, die es für die Kommunikation in der Insol- 74 venz zu berücksichtigen gilt. x

Transparenz: Ein Insolvenzverfahren ist zwar grundsätzlich ein nicht-öffentliches Verfahren. Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit wird aber nur durch Transparenz geschaffen. Natürlich sollten die Gremien eines Verfahrens grundsätzliche Informationen nicht aus der Öffentlichkeit erfahren.

x

Innen vor außen: Grundsätzlich immer erst die Beschäftigten informieren und erst dann die Öffentlichkeit.

x

Ehrlich bleiben: Wenn bestimmte Sachverhalte nicht in die Öffentlichkeit gehören, Journalisten nicht anlügen. Bei entsprechenden Anfragen lieber sagen, dass man dies nicht in der Öffentlichkeit kommentiert.

x

Strategie entwickeln: Die Kommunikationsstrategie folgt der generellen Unternehmensstrategie. Die Maßnahmen dafür müssen intern abgestimmt sein. Grundsätzliche Überlegung: Was hilft der Sanierung – Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit oder Situation beruhigen?

x

Ansprechbar sein: Journalisten benötigen Informationen meist schnell und stehen unter Druck des Redaktionsschlusses. Wer bei Anfragen erst Tage später zurückruft, vergibt eine große Chance. Bei investigativer Berichterstattung gibt es Journalisten, die den Verantwortlichen gerade mal eine Stunde einräumen, sich zu äußern. Bekommen sie in dem Zeitraum keine Antwort, erhalten die Verantwortlichen auch keinen Raum für eine Stellungnahme.

x

Nicht überschätzen: Immer davon ausgehen, dass der Journalist keine große Erfahrung mit Insolvenzen hat und mit den Fachbegriffen nicht vertraut ist.

x

Sensibel bleiben: Unternehmenssanierungen funktionieren oftmals nur durch Einschnitte in der Belegschaft. Wer die Mitarbeiter darüber unzureichend informiert oder in der Öffentlichkeit darüber die falschen Worte wählt, macht sich angreifbar.

x

Gut vorbereiten: Es gibt keine falschen Fragen aber falsche Antworten. Wer sich auf Pressegespräche und Betriebsversammlungen gut vorbereitet, weiß, wie er antworten muss.

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§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

x

Klare Absprachen: Vor einem Pressegespräch mit dem Journalisten absprechen, um welche Themen es gehen soll. Mit Zeitungsredakteuren zudem vereinbaren, dass Zitate und vor allem auch Interviews vorher zur Freigabe vorgelegt werden.

x

Falsche Vertraulichkeit: Was man nicht in den Zeitungen lesen möchte, sollte Journalisten auch vertraulich nicht erzählt werden. Ausnahme: Man kennt sich seit langem, hat tatsächliches Vertrauen aufbauen können und weiß, dass sich sein Gegenüber an die Spielregeln hält.

x

Keine Bevorzugung: Die Fragen aller Journalisten und nicht nur die der überregionalen Medien beantworten. Dabei immer auch berücksichtigen, dass TV-Journalisten Bilder benötigen und Hörfunk-Journalisten O-Töne.

x

Erfolge messen: Die Evaluation der Kommunikationsmaßnahmen kann nicht alleine durch die Anzahl positiver Berichte in den Medien erfolgen. Auch eher negative Meldungen können für die Insolvenz etwas bewirken. Zum Beispiel, wenn die Beteiligten glauben, dass die Sanierung ein reiner Selbstläufer ist oder notwendige Gesprächspartner keine Kompromissbereitschaft zeigen.

V.

Exkurs: Die Medien in Deutschland

1.

Medienlandschaft in Deutschland

75 Die deutsche Medienlandschaft zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus und gehört zu den international facettenreichsten. Dieses gilt sowohl im Bereich der Printtitel als auch für die Rundfunk- und Fernsehsender. Hinzu kommt das Internet, das als Informationsquelle eine immer stärke Bedeutung gewinnt. 1.1

Printmedien

76 Der deutsche Zeitungsmarkt ist geprägt von einer großen Titelvielfalt und differenziert sich regional sehr stark aus. Die etwa 350 deutschen Tageszeitungen erreichen eine tägliche Auflage von insgesamt 25 Mio. Die rund 1 500 Publikumszeitschriften erreichen zusammen eine Auflage von rund 114 Mio. im Quartalsdurchschnitt. Zu den meistgelesenen Titeln zählen die Magazine Stern und Der Spiegel. 1.1.1 Tageszeitungen: lokal vs. national 77 335 lokale und regionale Tageszeitungen, der größte Teil der Tageszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland, erreichen kleine, engumgrenzte Gebiete. In Deutschland gibt es etwa zehn überregional erscheinende Zeitungen. Zu nennen sind hier die national erscheinenden Qualitätszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Die Welt und die Süddeutsche Zeitung (SZ) in der Bundesausgabe. Die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands ist die Bild-Zeitung mit einer verkauften Auflage von 1,4 Mio. täglich. Die montags bis freitags erscheinende Wirtschaftszeitung Handelsblatt (HB) kann aufgrund der dominierenden Wirtschaftsberichterstattung als Fachzeitschrift gelten. 1.1.2 Fachzeitschriften 78 3 829 Fachzeitschriftentitel erschienen 2011 deutschlandweit. Fachzeitschriften erscheinen regelmäßig, behandeln ein klar umrissenes Gebiet und vermitteln Fachwissen an beruflich interessierte Leser. Durch die professionelle Ausrichtung unterscheiden sie sich von SpecialInterest-Titeln (z. B. auto motor und sport, Der Aktionär), die zwar Spezialthemen behandeln, jedoch vornehmlich aus privatem Interesse gelesen werden. Eine Untergruppe der Fachzeitschriften bilden wissenschaftliche Fachzeitschriften.

256

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§ 10

Kommunikation in der Insolvenz 1.2

Rundfunk und Fernsehen

Radio und Fernsehen dokumentieren ebenfalls die Vielfalt der deutschen Medienland- 79 schaft. Und für beide gilt das duale System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. Bundesweit gibt es 430 Radiosender, die meisten davon lokal bzw. regional. Im europäischen wie im weltweiten Vergleich sind in Deutschland einige der größten öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten (ARD und ZDF) und privaten Free-TV-Sender (z. B. RTL, SAT.1, ProSieben) vertreten. Deren Vollprogramme bieten die ganze Bandbreite an Formaten von Nachrichten über Filme, Serien und Shows bis hin zu Sport, während sich die Spartenkanäle z. B. nach Nachrichten (n-tv, N24), Entertainment (VIVA, MTV) und Sport (Sport1, Eurosport) unterscheiden. 1.3

Internet

75,6 % der Deutschen sind mittlerweile (2012) online. Das sind ebenso viele wie diejenigen, 80 die regelmäßig eine Tageszeitung lesen. Neben den Internet-Auftritten von Printtiteln mit hohen Abrufzahlen, wie spiegel.de, bild.de oder FAZ.NET, gibt es eine große Fülle von Nachrichten- und Meinungsseiten. Gerade bei jüngeren Zielgruppen wird das Internet immer mehr zum Leitmedium. Und einen deutlichen Paradigmenwechsel bedeutet dabei das Social Web (siehe dazu auch Rz. 52 ff.). Hier treten neben klassisch journalistischen Beiträgen unterschiedlichste Amateurquellen (z. B. Blogs). Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen institutionalisierter und informeller Kommunikation immer fließender. Insgesamt bilden soziale Netzwerke wie Facebook und Google+ mit Blogs und MikrobloggingPlattformen wie Twitter eine neue (digitale) Öffentlichkeit, die ungeheuer schnell wächst und die öffentliche Meinungsbildung immer mehr mitbestimmt. 2.

Arbeitsweise von Journalisten

Ein Journalist beschäftigt sich hauptberuflich mit der Verbreitung und Veröffentlichung 81 von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Massenmedien.17) Journalisten arbeiten für unterschiedliche Medien, in der Öffentlichkeitsarbeit sowie für Nachrichtenagenturen oder Pressebüros von Wirtschaftsunternehmen, Behörden oder Organisationen oder auch im Online-Journalismus. Grundsätzlich wird zwischen freien Journalisten und angestellten Journalisten unterschieden. Von den 45 000 festangestellten Journalisten in Deutschland arbeiten ein Drittel bei Tageszeitungen und ein Viertel beim Rundfunk. Der Rest verteilt sich auf Zeitschriften, Online-Dienste und auf Mitarbeiter in Pressestellen und Agenturen. 2.1

So arbeitet ein Journalist

Der britische Publizist Hugh Carleton Greene (1910 – 1987) sagte einmal: „Nennen Sie mir ein 82 Land, in dem Journalisten und Politiker sich vertragen, und ich sage Ihnen, da ist keine Demokratie“. Aus diesem Anspruch heraus werden die Medien oftmals auch als vierte Gewalt in unserem Staat bezeichnet, denn eine ihrer Aufgaben ist die Kontrolle des Staates aber auch von gesellschaftlichen Prozessen und von Unternehmen. Geht es bspw. um Arbeitsplätze oder die Interessen von Aktionären besteht meist ein hohes öffentliches Interesse. Durch Art. 5 GG wird der Pressefreiheit in Deutschland eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Dazu zählen sowohl das Zeugnisverweigerungsrecht, um Quellen zu schützen, als auch bestimmte Pressegesetze der Länder, nach denen Ämter und Behörden bei allgemeinem Interesse gegenüber Journalisten Auskunftspflichtig sind. ___________ 17) Definition des Deutschen Journalisten-Verbandes (www.djv.de).

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257

§ 10

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

83 Ein Journalist macht sich aus Prinzip keine Sache zu eigen, nicht einmal eine gute. Ein Mindestmaß kritischer Distanz zum Thema (und der eigenen Rolle) ist auch bei sog. Herzblut-Themen geboten. Journalisten verarbeiten Informationen aus der Recherche sowie aus Pressemitteilungen, Agenturmaterial oder Pressekonferenzen. Dabei suchen sie möglichst vielfältige Informationen, die ein bestimmtes Thema aus unterschiedlichen und widerstreitenden Blickwinkeln beleuchten, um so eine ausgewogene Berichterstattung zu ermöglichen. Im Idealfall sollte jede Information, die in journalistische Arbeit einfließt, durch Recherche abgesichert werden. In der Praxis bedeutet dies im Regelfall einen zu großen Aufwand. Journalistische Recherche benutzt viele Werkzeuge: u. a. Archive, Datenbanken, persönliche Gespräche (Interviews) mit Betroffenen, Fachleuten und Augenzeugen, offizielles Pressematerial, Anfragen bei Pressestellen, Anträge auf der Grundlage von Informationsfreiheitsgesetzen, Fachliteratur oder das Internet. 84 Für Journalisten gibt es einen Berufsethos, dem zumindest ein Gutteil der dort arbeitenden Menschen folgt. Diese praktischen Regeln zeichnen einen qualifizierten Journalismus aus. Zum Beispiel: x

Eine Quelle allein ergibt noch keine Nachricht.

x

Für eine Nachricht braucht es mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen.

x

Bei Konflikten sind die Positionen beider Seiten darzustellen.

85 Viele Redaktionen haben sich heute eigene Regeln für ihre Mitarbeiter gegeben. Diese haben z. B. die Wahrung der Unabhängigkeit von Unternehmen oder andere Personen zum Inhalt. Daraus folgt auch, dass heutzutage die meisten Journalisten eine Einladung zu einer von Unternehmensseite bezahlten Pressereise ablehnen werden. Entweder die Journalisten bleiben dieser komplett fern, oder die Redaktion wird die Kosten dafür selbst tragen wollen. Einem Gefälligkeitsjournalismus soll damit der Riegel vorgeschoben werden.18) In einigen Redaktionen gehen diese Regeln sogar soweit, dass es selbst bei sehr speziellen und komplexen Sachverhalten nicht gestattet ist, dass der Redakteur den kompletten Text von externen Informationsgebern vor der Veröffentlichung auf inhaltliche Ungenauigkeiten gegenlesen lässt. Lediglich Zitate dürfen abgestimmt werden, wenn dieses zuvor vereinbart wurde. 2.2

Wichtige Informationen für Journalisten

86 Journalisten wählen ihre Themen nach deren Relevanz für die jeweiligen Leser, Zuhörer oder Zuschauer sowie dem Neuigkeitswert, Besonderheit etc. aus. Die Relevanz von Themen variiert ja nach Medium, Leser und Region. So wird die Bild-Zeitung anders über ein Thema berichten als Frankfurter Allgemeine Zeitung, Handelsblatt oder ein Fachmedium wie bspw. die Absatzwirtschaft oder die Immobilien-Zeitung. Eines bleibt allerdings immer gleich: Der Nachrichtenwert, also z. B. wie bedeutend, überraschend oder ungewöhnlich eine Nachricht ist, entscheidet darüber, ob sie berichtenswert ist, in welchem Umfang und in welcher Aufmachung diese erscheint.

___________ 18) Analog zum Thema Compliance, innerhalb dessen sich Unternehmen zur Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien auch im Umgang mit der Presse verpflichtet haben.

258

Voskuhl

§ 11 Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren Übersicht I. 1. 2.

Funktion des Eröffnungsverfahrens......... 1 Allgemeines .................................................. 1 Verfahrensziele und Zulässigkeit der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ....................................................... 9 2.1 Liquidation als Verfahrensziel.......... 9 2.2 Betriebsfortführung und übertragende Sanierung.......................... 13 2.3 Übertragende Sanierung mit Insolvenzplan .................................. 16 2.4 Betriebsfortführung zwecks Reorganisation im Regelverfahren mit Insolvenzplan................ 20 2.5 Betriebsfortführung und Reorganisation in Eigenverwaltung (§§ 270, 270a InsO) ........................ 25 2.6 Betriebsfortführung zur Reorganisation in Eigenverwaltung und zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren, § 270b InsO) ................. 28 2.7 Ergebnis........................................... 30 II. Rechtliche Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren .................................................... 32 1. Steuerungsfunktion des Insolvenzantrags......................................................... 32 2. Weichenstellung durch Entscheidungen des Insolvenzgerichts im Eröffnungsverfahren ........................................... 42 2.1 Die vorläufigen Maßnahmen im Einzelnen......................................... 43 2.1.1 Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ........................ 43 2.1.2 Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses...................... 47 2.1.3 Anordnung eines allgemeinen Vollstreckungsverbotes .................. 60 2.1.4 Eingriffe in Grundrechte, Postkontrolle .......................................... 62 2.1.5 Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis bei Sonderrechten ............ 69 2.2 Zweck/Mittel-Relation bei Betriebsfortführung ........................ 74 2.2.1 Pflicht zur Anordnung vorläufiger Maßnahmen..................................... 74 2.2.2 Art und Weise der Anordnung ...... 87 2.2.3 Zeitpunkt der Anordnung.............. 93 2.2.4 Rechtsbehelfe .................................. 98

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2.3

Rechtsfolgen der gerichtlichen Anordnungen ................................ 101 2.3.1 Gesetzliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO)................................... 101 2.3.1.1 Sicherung des Vermögens....... 104 2.3.1.2 Fortführungspflicht ................ 107 2.3.1.3 Prüfungspflicht........................ 114 2.3.2 Richterliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) ... 115 2.3.3 Einzelermächtigungen durch richterliche Anordnung ................ 122 2.3.3.1 Vorläufige Insolvenzverwaltung..................................... 122 2.3.3.2 Vorläufige Eigenverwaltung ... 124 2.3.4 Auswirkung des Vollstreckungsverbotes ......................................... 127 2.3.5 Folgen der Postkontrolle im Eröffnungsverfahren..................... 129 2.3.6 Verwertungsstopp und Nutzung von Gegenständen mit Aus- und Absonderungsrechten................... 132 2.3.7 Einbeziehung des vorläufigen Gläubigerausschusses ................... 137 2.3.8 Auswirkung auf grenzüberschreitende Verfahren................... 142 2.4 Die Bedeutung der gerichtlichen Anordnungen für Betriebsfortführung und Verfahrensziele.................................... 144 2.4.1 Bindung des Gerichts an die mit der Antragstellung verfolgten Ziele ............................................... 144 2.4.2 „Starker“ oder „schwacher“ vorläufiger Verwalter.......................... 154 2.4.3 Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters ...................... 157 2.4.4 Bindung an den mitgebrachten vorläufigen Sachwalter.................. 164 2.5 Gläubigerautonomie und Betriebsfortführung .......................... 169 2.5.1 Allgemeines ................................... 169 2.5.2 Gläubigerausschuss bestimmt Anforderungsprofil des vorläufigen Insolvenzverwalters ........ 172

259

§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2.5.3 Bindende Beschlüsse des Gläubigerausschusses zur Person ........ 175 2.5.4 Auswirkungen des Abwahlrechtes des vorläufigen Gläubigerausschusses auf Betriebsfortführungen............................................ 181 2.5.5 Bindende Beschlüsse des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Verfahrensart ................................ 185 2.5.6 Mitwirkungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ............................. 188 2.5.7 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen.................................... 191 2.5.8 Überprüfung des Geldverkehrs ... 193 2.5.9 Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, Anzahl der Mitglieder .................. 197 2.6 Die Aufsicht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ............... 202 2.6.1 Beschränkung auf Rechtsaufsicht .......................................... 202 2.6.2 Anforderung von Berichten, Einsicht in Konten........................ 207 2.6.3 Zustimmung zur Stilllegung des Geschäftsbetriebes........................ 211 3. Der vorläufige Insolvenzverwalter/ vorläufige Sachwalter ............................... 220 3.1 Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ...................... 220 3.2 Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters.................................... 226 3.3 Anforderungsprofil bei Betriebsfortführung im Regelverfahren............................................. 230 3.4 Anforderungsprofil bei Eigenverwaltung..................................... 234 3.5 Qualitätsnachweise, Zertifikate ... 238 3.5.1 ISO 9001 ....................................... 240 3.5.2 InsO 9001...................................... 243 3.5.3 GOI – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzabwicklung..... 244 3.5.4 InsO-Excellence des Gravenbrucher Kreises ............................. 246 3.6 Netzwerk externer Dienstleister... 247 3.7 Organisation und Ausstattung .... 254 3.8 Interessenkonflikte und Tätigkeitsverbote................................... 257 3.9 Unabhängigkeit des mitgebrachten Sachwalters .................... 262 III. Wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren......... 267

260

1.

2.

3.

4.

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Analyse, Planung, Steuerung................... 267 1.1 Ursachenanalyse ........................... 273 1.2 Potentialanalyse ............................ 277 1.3 Planrechnungen (Liquiditätsplanung, Ertragsplanung, Investitionsplanung) .................... 278 1.4 Soll/Ist-Vergleich ......................... 284 1.5 Form der Überwachung ............... 286 1.6 Korrekturmaßnahmen/ Abbruch ........................................ 287 Finanzierung der Betriebsfortführung ... 291 2.1 Massekredite ................................. 292 2.2 Öffentlich-rechtliche Finanzierungshilfen .................................... 297 2.3 Insolvenzgeldvorfinanzierung ..... 302 2.4 Forderungseinzug......................... 306 2.5 Verwertung von Anlagegegenständen ......................................... 310 2.6 Abbau von Warenlagern............... 311 2.7 Sonstige Finanzierungsmöglichkeiten....................................... 313 2.7.1 Lastschriftwiderruf ....................... 313 2.7.2 Debitorenmanagement................. 314 2.7.3 Anfechtungs- und Schadensersatz ............................................. 316 2.7.4 Ablehnung der Erfüllung ............. 317 Anforderungen an die Unternehmensführung ..................................................... 318 3.1 Führungsbedingungen in der Unternehmenskrise ...................... 318 3.2 Führungsstil, Lenkungsausschüsse........................................... 324 3.3 Auswechseln von Führungspersonal ......................................... 333 3.4 Unternehmensführung bei Eigenverwaltung, Kompetenzverteilung, Kassenführung ........... 338 3.5 Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren ............................ 346 3.6 Äußere Einflüsse auf die Unternehmensführung, soziale Netzwerke ............................................. 350 3.7 Mitarbeiterführung in der Krise .............................................. 352 3.8 Einbeziehung der Aufsichtsorgane, Weisungen........................ 353 Verhaltensregeln ...................................... 359 4.1 Informationsbeschaffung ............. 359 4.2 Zugang........................................... 360 4.3 Büroräume..................................... 362 4.4 Betriebsrundgang.......................... 364 4.5 Nutzung von Einrichtungen ........ 365 4.6 Präsenz .......................................... 367 4.7 Abwicklungsteam ......................... 371 4.8 Jour-Fixe ....................................... 372

§ 11

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 4.9 Veranstaltungen ............................ 373 4.10 Geschenke ..................................... 374 5. Betriebsfortführung im Konzern ............ 375 6. Verwaltung von Kleinverfahren .............. 381 IV. (Zwangs-)Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren .................................. 383 1. Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe (§ 20 Abs. 1 InsO) ... 383 1.1 Art und Umfang der Mitwirkung.......................................... 383 1.2 Pflicht zur Mitarbeit, Vergütung............................................ 384 1.3 Mitarbeit bei Eigenverwaltung ..... 387 1.4 Zutrittsrecht .................................. 388 1.5 Pflicht zur Auskunftserteilung......................................... 392 1.6 Durchsetzung der Pflichten ......... 393 2. Absicherung der Betriebsfortführung gegen Ein- und Übergriffe von Gläubigern und Dritten ................................... 394 2.1 Mögliche Störpotentiale: Verbotene Eigenmacht, Faustrecht, Drohungen .................................... 394

2.2 2.3 2.4

Diebstähle und Sabotage .............. 396 Korruption .................................... 399 Zwangsweise Durchsetzung von Ansprüchen .................................. 401 2.5 Nutzung von Gegenständen mit Aussonderungsrechten ................. 402 2.6 Nutzung und Einziehung/Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten................... 404 2.7 Erfüllung von Verträgen, Lösungsklauseln............................ 406 2.8 Sicherung der Beschaffungsstrukturen...................................... 407 2.9 Sicherung des Standorts ............... 412 2.10 Sicherung des Wettbewerbs ......... 414 2.11 Konzessionen und Genehmigungen ........................................... 415 2.12 Altlasten ........................................ 417 2.13 Belegschaft/Personalmaßnahmen ................................... 418 V. Betriebsfortführung und Öffentlichkeit...................................................... 427 VI. Übergang.................................................. 431

Literatur: van der Aa, Afkoelingsperiode in Faillissement, 2007; Baetge/Hippel/Sommerhoff, Anforderungen und Praxis der Prognoseberichterstattung in: DB 2011, 365; Berger/Frege, Business Judgment Rule bei Unternehmensfortführung in der Insolvenz – Haftungsprivileg für den Verwalter?, ZIP 2008, 204; Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidung im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Blank, Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers an seiner Arbeitsleistung bei Betriebsfortführung durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter trotz Sicherstellung des Lohnanspruchs über das demnächst zu erwartende Insolvenzgeld (§ 273 BGB)?, ZInsO 2007, 426; Blöse/Kihm, Unternehmenskrisen, Ursachen – Sanierungskonzepte – Krisenvorsorge – Steuern, 2006; Bork, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist nicht disponibel, ZIP 2013, 145; Bork, Verfolgungspflichten – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen?, ZIP 2005, 1120; Braun, Das Gegenteil der (Rechtsanwendungs-)Kunst ist gut gemeint!, NZI-aktuell 2013, Heft 1 – 2, S. V; Brauweiler (Hrsg.), Unternehmensführung heute, 2008; Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; Crone/ Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, 3. Aufl., 2012; A. Graeber/T. Graeber, Die Beauftragung von Dienstleistern und deren Auswirkungen auf die Vergütung des Insolvenzverwalters, ZInsO 2013, 1284; Haarmeyer/Basinski/Hillebrand/Weber, Durchbruch in der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung. Bericht über den aktuellen Stand der Forschungsgruppe „Schlussrechnung“ des Rheinland-Pfälzischen Zentrums für Insolvenzrecht und Sanierungspraxis (ZEFIS), ZInsO 2011, 1874; Flöther, Die aktuelle Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG – Mehr Schein als Sein?, ZIP 2012, 1833; Fölsing, Konzerninsolvenz: Gruppen-Gerichtsstand, Kooperation und Koordination, ZInsO 2013, 413; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407; Frind, Die Überregulierung der „Konzern“insolvenz, ZInsO 2013, 429; Frind, Aktuelle Anwendungsprobleme beim „ESUG“ – Teil II, ZInsO 2013, 279; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Frind, Hilfestellung zur Formulierung eines Anforderungsprofils an einen erfolgreichen Insolvenzverwalter: die fortgeschriebene Verfahrenskennzahlenauswertung, ZInsO 2011, 1913; Frind, Neue Gefahren für Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZInsO 2002, 745; Fritsche, Entwicklungstendenzen der Zustimmungsverwaltung nach §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 2. Alternative, 22 Abs. 2 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren, DZWIR 2005, 265; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2007, 549; Geroldinger, Verfahrenskoordination im europäischen Insolvenzrecht. Die Abstimmung von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, 2010; Graf-Schlicker, Die Entwicklung des ESUG und die Fortentwicklung des Insolvenzrechts, ZInsO 2013, 1765; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Kassenprüfung durch die Gläubigerausschussmitglieder, ZInsO 2009, 902; Haarmeyer, Das fürsorgliche Insolvenzgericht oder Gläubigermitwirkung als Zahlenspiel?, ZInsO 2012, 1204; Haarmeyer, Die „gute“ Insolvenzverwaltung, ZInsO 2007, 169; Haarmeyer/Buchalik/Haase, Befragung der Insolvenzgerichte zu den §§ 270a und 270b InsO-Verfahren, ZInsO 2013, 26; Hauser/Höbart/Hoffmann/u. a., Unternehmenskrise, 2009; Heeseler/

Mönning

261

§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Neu, Plädoyer für die Professionalisierung des Gläubigerausschusses, NZI 2012, 440; Heinrich, Wirtschaft im Umbruch: Neue Aufgaben für die Arbeits- und Insolvenzrechtspraxis, 2010; Holzer/KleineCosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, 2001; Hölzle, Zur Disponibilität der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZIP 2013, 447; Hölzle/Pink, Mezzanine-Programme und Gestaltungspotenzial der Sanierungseigenverwaltung im ESUG. Eine Bedarfsanalyse für das modernisierte Insolvenzplanverfahren auf empirischer Grundlage, ZIP 2011, 360; Horstkotte, „Unabhängigkeit“ – the new battleground, ZInsO 2013, 160; Horstkotte, Effektiver Rechtsschutz im Verfahren über die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1930; Huber, Großer Wurf oder viel Lärm um nichts?, ZInsO 2013, 1; Hunkemöller, „Richterlicher Hochmut“, INDat-Report 7/2012, S. 24; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, NZI 2010, 808; Schmidt, K., Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328; Kirchhof, Probleme bei der Einbeziehung von Aussonderungsrechten in das Insolvenzeröffnungsverfahren, ZInsO 2007, 227; Kirchhof, Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren, ZInsO 2004, 57; Kluth, Die „übertragende Sanierung” – Risiken und Nebenwirkungen einer Packungsbeilage zur Unternehmensveräußerung in der Insolvenz, NZI 2002, 1; Kremers/Hoffmann, Insolvenzrechtsreform führt zum Mentalitätswechsel, ZInsO 2013, 289; Kück, Erfolgsmessung im Insolvenzverfahren, ZInsO 2007, 637; Landfermann, Allgemeine Wirkung der Insolvenzeröffnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 159; Laroche, Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter, NZI 2010, 965; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, 2010; Luttermann/Geißler, Rechtsbasis und Praxis einer Kultur der Unternehmenssanierung, ZInsO 2013, 1381; Moldenhauer/Herrmann/Wolf/Drescher, Das 1. Jahr ESUG, Beilage zu INDat-Report, 3/2013, S. 3; Mönning, Der Zwang zur Kooperation: Kompetenzen in der Eigenverwaltung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 641; Mönning, Beteiligung der Gläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, 2010, S. 291; Mönning/Hage, Regulierung von Fortführungsverbindlichkeiten mittels Treuhandkonto auch bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2005, 1185; Mönning/Zimmermann, Die Einstellungsanträge des. Insolvenzverwalters gem. §§ 30d, 153b ZVG im eröffneten Insolvenzverfahren, NZI 2008, 134; Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V., Stellungnahme der Neuen Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V. (NIVD e. V.) zum Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, ZInsO 2013, 434; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem ESUG, ZInsO 2012, 18; Obermüller/Kuder, SEPA-Lastschriften in der Insolvenz nach dem neuen Recht der Zahlungsdienste, ZIP 2010, 349; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgement Rule, 2011; Pape, Änderungen im Eröffnungsverfahren durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, NZI 2007, 425; Paulus, Insolvenzverwalter und Gläubigerorgane, NZI 2008, 705; Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer, ZGR 2005, 309; Paulus/Hörmann, Emotionale Kompetenz im Insolvenzverfahren, NZI 2013, 623; Rhode/Calic, Auswahlkriterien der Insolvenzgerichte – DIN EN ISO 9001:2000 als Qualitätsmerkmal, ZInsO 2006, 1247; Richter/Pluta, Bescheinigung zum Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO nach IDW ES 9 im Praxistest, BB 2012, 1591; Römermann, Die „Unabhängigkeit“ des Insolvenzverwalters: Endlich Schluss mit der uferlosen Auslegung!, ZInsO 2013, 218; Römermann/Praß, Rechtsschutz bei Ablehnung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1923; Schelo, Der neue § 270b InsO – Wie stabil ist das Schutzschirmverfahren in der Praxis? Oder: Schutzschirmverfahren versus vorläufige Eigenverwaltung, ZIP 2012, 712; Schmidt, A./Hölzle, Der Verzicht auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. Kein Schutz der Gläubiger vor sich selbst – ein Leitbild zur Anwendung der §§ 56, 56a InsO, ZIP 2012, 2238; Siemon/Frind, Der Konzern in der Insolvenz – Zur Überwindung des Dominoeffekts in der (internationalen) Konzerninsolvenz, NZI 2013, 1; Smid, Zum Beweisverfahren im Eröffnungsverfahren der §§ 270a, 270b InsO und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 209; Spremann, Asymmetrische Information, ZfB 1990, 561; Ströhmann/Längsfeld, Die Geschäftsführungsbefugnis in der GmbH im Rahmen der Eigenverwaltung, NZI 2013, 271; Uhlenbruck, Die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. 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Erwiderung auf Schmidt/Hölzle, Der Verzicht auf die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZIP 2012, 2238, ZIP 2013, 149; Wellensiek, Übertragende Sanierung, NZI 2002, 233; Werres, Gläubiger im Insolvenzeröffnungsverfahren – Massegläubiger oder Treuhandmodell?, ZInsO 2005, 1233.

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Mönning

Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren I.

Funktion des Eröffnungsverfahrens

1.

Allgemeines

§ 11

Wer sanieren und reorganisieren will, muss insolvente Betriebe fortführen.1)

Dieser Leitsatz aus der 1. Auflage hat unverändert Gültigkeit. Und unverändert gilt auch, 1 dass die Voraussetzungen für die Fortführung eines Unternehmens, das der Schuldner betreibt, bereits in den ersten Tagen nach Zulassung des Insolvenzantrages geschaffen werden müssen. Geschäftsbetriebe, die bei Antragstellung bereits eingestellt sind oder unmittelbar danach zum Erliegen kommen, sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht mehr zu reaktivieren. Eine Fortführung scheidet in diesen Fällen fast immer aus. Das in den §§ 11 – 34, 270a InsO und zum Teil auch in § 270b InsO geregelte Eröffnungs- 2 verfahren definiert die Insolvenzfähigkeit von natürlichen und juristischen Personen sowie von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, beschreibt die Anforderungen, die an einen zulässigen und begründeten Eröffnungsantrag zu stellen sind und enthält detaillierte Bestimmungen für den Verfahrensverlauf zwischen Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung über den von einem Schuldner oder einem Gläubiger gestellten Insolvenzantrag.2) Zum Zeitpunkt des Erscheinens der Erstauflage im Jahre 1997 war das Eröffnungsverfah- 3 ren in der Form einer Sequestration gesetzlich nicht geregelt. Aufgaben und Befugnisse des vom Gericht ernannten Sequesters wurden von der Rechtsprechung entwickelt und bestimmt.3) Zwangsläufig wiesen daher die Verfahrensabläufe regional erhebliche Unterschiede auf. Die Einstellung der Insolvenzgerichte und der von Ihnen ernannten Sequester, deren Verständnis von der Funktion eines Eröffnungsverfahrens und den Aufgaben eines Sequesters bestimmten die Abwicklung. Dies wirkte sich vor allem auch auf die Betriebsfortführung aus, für die es weder eine gesetzliche Grundlage noch allgemein anerkannte Rechts- und Verfahrensgrundsätze gab. Ob unmittelbar nach Antragstellung fortgeführt wurde oder nicht, blieb daher vielfach dem Zufall überlassen. Mit Einführung der InsO im Jahre 1999 erweiterten sich die Verfahrensziele um Reor- 4 ganisation und übertragene Sanierung, die nunmehr gleichberechtigt neben der Liquidation als fortbestehendem Verfahrenszweck stehen, auch wenn man den Begriff der übertragenen Sanierung in der InsO nicht findet.4) Gleichwohl sind der von Karsten Schmidt geprägte Begriff und die mit einer übertragenen Sanierung verfolgte Konzeption rechtspolitisch unumstritten und als Verfahrensziel der InsO allgemein anerkannt.5) Mit den Verfahrenszielen der Reorganisation und der übertragenen Sanierung verfolgt 5 die InsO eine nunmehr gesetzlich etablierte Sanierungsförderung mit zumindest ansatzweiser Beseitigung von Sanierungshemmnissen. Die grundsätzliche Frage, ob ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, fortführungsfähig und damit letztendlich auch sanierungsfähig ist, ist als Pflichtaufgabe vom gerichtlich beauftragten Sachverständigen im Eröffnungsverfahren zu klären (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Die Durchführung einer Sanierung beginnt daher bereits im Eröffnungsverfahren. Es handelt sich um eine zentrale Aufgabe, die der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren zu erfüllen hat.6) ___________ 1) Mönning, Vorauflage, Kap. V. 2) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, vor § 11 Rz. 1. 3) BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 68/92, ZIP 1993, 48 = NJW 1193, 1206 (Baumaschinenfall); BGH, Urt. v. 25.3.1993 – IX ZR 164/92, ZIP 1993, 687 (Gummibärchenfall). 4) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 11. 5) K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 329; Wellensiek, NZI 2002, 233, 234; Kluth, NZI 2002, 1 ff.; Undritz, ZGR 2010, 201, 205; Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 10, 11 m. w. N. 6) Uhlenbruck in: Kölner Schrift, S. 360 ff., Rz. 39 ff.

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263

§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

6 Seit Inkrafttreten der InsO ist vor allem das Eröffnungsverfahren immer wieder Gegenstand von Gesetzesänderungen geworden. Diese hatten vor allem das Ziel, in der Praxis erkannte Sanierungshemmnisse zu beseitigen, indem der Katalog der vorläufigen Maßnahmen, ehemals Sicherungsmaßnahmen, immer weiter aufgefächert und ausdifferenziert wurde. Einen zumindest vorläufigen Schlusspunkt setzt das ESUG,7) dessen Regelungen am 1.3.2012 in Kraft getreten sind. Ziel des ESUG ist es, die Sanierung von Unternehmen zu erleichtern,8) was wiederum voraussetzt, dass die jetzt eingeführten gesetzlichen Regelungen eine frühzeitige Insolvenzantragstellung bewirken.9) 7 Damit soll es nun endlich gelingen, alle Sanierungsoptionen in unterschiedlichen Verfahrensarten offenzuhalten, um damit – und auch endgültig – den bereits vom Reformgesetzgeber verfolgten Ansatz eines Wettbewerbs um die beste Verwertungsart, auch und gerade zum Zwecke der Sanierungsförderung Geltung zu verschaffen. Vor allem den seit Einführung der InsO ein Schattendasein fristenden neuen Instrumenten – Insolvenzplan und Eigenverwaltung – soll mit ESUG zum Durchbruch verholfen werden. Die Wege zur Sanierung, ob mit Insolvenzplan oder ohne, ob unter Verantwortung eines Insolvenzverwalters oder in der Eigenverwaltung, sollen von verfahrensrechtlichen Hemmnissen, aber auch gedanklichen Blockaden, freigeräumt werden, um im Wettbewerb der internationalen Insolvenzordnungen den Nachweis zu erbringen, das die deutsche InsO ein überaus taugliches Sanierungsinstrument ist. 8 Dies wiederum setzt voraus, dass Unternehmen, die übertragen saniert oder reorganisiert werden sollen, ohne Unterbrechung fortgeführt werden. Die Weichen stellt das Eröffnungsverfahren. Auch wenn das Sanierungsziel in den allerseltensten Fällen bereits im Eröffnungsverfahren erreicht werden kann, entscheidet sich in dieser Phase, ob der Sanierungsansatz überhaupt verfolgt und im eröffneten Verfahren mit Aussicht auf Erfolg umgesetzt und realisiert werden kann. 2.

Verfahrensziele und Zulässigkeit der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

2.1

Liquidation als Verfahrensziel

9 In der öffentlichen Wahrnehmung bestimmen Insolvenzverfahren mit mindestens regionaler, vielfach aber auch mit überregionaler und sogar internationaler Bedeutung mit vielen Beschäftigten das Bild. Der Insolvenzalltag sieht jedoch anders aus. Immer noch dominieren die Insolvenzverfahren von Betrieben, die keine oder weniger als fünf Mitarbeiter aufweisen und zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eingestellt sind oder unmittelbar vor der Einstellung stehen, wobei dies in vielen Fällen nicht einmal eine willentliche Entscheidung der Inhaber ist, weil die Betriebe einfach wegen fehlender Ressourcen zum Erliegen kommen. Etwas künstlich am Leben zu erhalten, was keine (Über-)Lebensberechtigung hat, ist mit den Zielen der InsO unvereinbar. Eine Aufrechterhaltung derartiger Betriebe um jeden Preis und ohne Perspektive ist insolvenzrechtswidrig. Das Insolvenzverfahren ist kein Experimentierfeld. Erst recht gilt das für die Betriebsfortführung. 10 Aber auch bei Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch am Markt und damit werbend tätig sind, kann die geordnete Liquidation unter Führung eines Insolvenzverwalters die einzige sinnvolle Abwicklungsvariante darstellen, um dem insolvenzrecht___________ 7) Gesetzes zur weiteren Erleichterung des Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011– ESUG, BGBl. I 2011, 2582. 8) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 1. 9) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 14.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

lichen Ziel der gleichmäßigen aber auch bestmöglichen Befriedigung der am Verfahren beteiligten Gläubiger, gerecht zu werden. Ist das Verfahrensziel der Liquidation alternativlos, bleibt es gleichwohl Aufgabe des (vor- 11 läufigen) Insolvenzverwalters, die Folgen einer sofortigen Stilllegung mit den Ergebnissen einer temporären Betriebsfortführung zu vergleichen, die i. S. einer Ausproduktion dazu führen kann, ansonsten unverwertbare oder nur mit hohen Abschlägen verwertbare Vermögensgegenstände werthaltig zu machen, was insbesondere für die Fertigstellung von zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens halbfertigen Erzeugnissen gelten kann. Allerdings muss der vorläufige Insolvenzverwalter in diesem Fall im Eröffnungsverfahren besonderes Gewicht auf eine umfassende Potentialanalyse legen, da nicht alle fortführungsfördernden Maßnahmen, wie bspw. der Verwertungsstopp gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO oder auch die Möglichkeiten zur Insolvenzgeldvorfinanzierung (§§ 170 ff. SGB III) zur Verfügung stehen, wenn es keine mittelfristigen Fortführungsperspektiven gibt oder keine Aussicht besteht, dass eine Auslaufproduktion dazu führt, einen wesentlichen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Zudem ist die Bereitschaft aller Stakeholder, sich zugunsten eines insolventen Unternehmens zu engagieren, dann wesentlich geringer, als in den Fällen, in denen ein aussichtsreicher Sanierungsversuch unternommen wird. Dennoch gilt: Betriebsfortführung und Liquidation schließen sich nicht aus, vielmehr 12 kann eine temporäre Betriebsfortführung eine notwendige Bedingung sein, um das Liquidationsergebnis zu verbessern. 2.2

Betriebsfortführung und übertragende Sanierung

Bei weiter Begriffsauslegung ist auch die Übertragung der dem Insolvenzbeschlag unter- 13 liegenden Vermögensgegenstände auf einen anderen Rechtsträger i. R. eines Kauf- und Übertragungsvertrages (Asset Deal) eine Sanierung, obwohl der zurückbleibende Rechtsträger liquidiert wird. Diese Form der Sanierung ist das eigentliche Erfolgsmodell der zurückliegenden Jahre und wurde bereits im Geltungsbereich der KO sowie der GesO vielfach erfolgreich praktiziert.10) Da der insolvente Unternehmensträger nach Verkauf und Übertragung betriebsnotwen- 14 diger Vermögensgegenstände auf einen Erwerber im Zuge des weiterlaufenden Insolvenzverfahrens liquidiert wird, handelt es sich bei der übertragenden Sanierung tatsächlich und aus der Sicht des insolventen Unternehmens gesehen um eine Form der Liquidation, die allerdings bezogen auf das vom Rechtsträger abgetrennte Unternehmen zu dessen Erhaltung (Sanierung) führt. Im Zuge des sog. Vier-Stufen-Modells11) erfolgt die Entscheidung hinsichtlich einer Be- 15 triebsfortführung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung auf der 3. Stufe. Es handelt sich dabei mindestens um eine mittel-, häufig auch längerfristige Betriebsfortführung, die auf das Ziel ausgerichtet ist, i. R. eines M&A-Prozesses in der Form eines beschränkten Bieterverfahrens ein Bestgebot in Bezug auf den Abschluss eines Kauf- und Übertragungsvertrages einzuwerben. Die mindestens mittelfristige Anlage einer Betriebsfortführung zum Zwecke der Durchführung einer übertragenden Sanierung ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Zustimmungserfordernissen (§ 160 InsO), da der Abschluss eines Kauf- und Übertragungsvertrages sowie dessen Durchführung entweder der Zustimmung der Gläubigerversammlung (§ 157, 160 InsO) oder eines Gläubigerausschusses, falls ein solcher bestellt ist, bedarf. Wird eine übertragende Sanierung angestrebt, müssen alle Planungstools zeitlich mindestens auf sechs Monate angelegt sein. Der Zeitrahmen umfasst ___________ 10) Dazu auch Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 9, 10. 11) Zur Begriffsbildung s. Mönning, Vorauflage, Rz. 348, 349.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

die (maximale) Dauer des Eröffnungsverfahrens sowie den gesetzlichen Zeitrahmen von mindestens sechs Wochen bzw. maximal drei Monaten, der dem Insolvenzgericht zur Verfügung steht, um eine erste Gläubigerversammlung (Berichtstermin) zu terminieren (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 2.3

Übertragende Sanierung mit Insolvenzplan

16 Ist Ziel einer im Eröffnungsverfahren begonnenen Betriebsfortführung eine übertragende Sanierung, so stellt sich häufig das Problem, die sachverständig bewerteten Vermögensgegenstände auch zu den veranschlagten Preisen zu verkaufen. Die Marktpreisfindung für die von der Veräußerung betroffenen Wirtschaftsgüter gelingt zwar häufig i. R. von Bieterverfahren, die im Auftrag des (vorläufigen) Insolvenzverwalters von erfahrenen M&ABeratern durchgeführt werden. Aus diesem Grunde sehen die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (siehe II. 2. Spiegelstrich 2 GOI) die Einschaltung von M&ABeratern zur Durchführung des Akquisitionsprozesses vor, um eine Bieterkonkurrenz aufzubauen, die eine optimale Kaufpreisfindung ermöglicht.12) Vgl. dazu auch unten den Beitrag von Deichmann, § 25 Rz. 4 ff. 17 Bleiben dennoch Gebote hinter den Erwartungen zurück oder gibt es nur einen einzigen Bieter, kann die Kombination von übertragender Sanierung und Insolvenzplan eine auch von den Gläubigern akzeptierte Preisbildung gewährleisten. Insoweit lässt sich über einen Insolvenzplan regeln, dass die Insolvenzgläubiger im Zuge des Planverfahrens auf ihre Forderungen gegen den Insolvenzschuldner in der Höhe verzichten, wie ihnen über die von dem Erwerber zu zahlenden Kaufpreise befriedigt werden. Auch ist es denkbar, die übertragende Sanierung mit einer Reorganisation zu verbinden, indem die Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan Forderungen, die über die durch den Kaufpreis ermöglichten Quoten hinausgehen, erfassen. Der bisherige, auf diese Weise reorganisierte Unternehmensträger hat dann die Möglichkeit, auch mit einem geänderten Unternehmensgegenstand weiter werbend tätig zu sein.13) 18 Kommt es zu einer Kombination von Insolvenzplan und übertragender Sanierung, muss ein längerer Zeitrahmen für die Betriebsfortführung eingeplant werden, sofern es nicht gelingt, den Abstimmungs- und Erörterungstermin mit dem Prüfungstermin zu verbinden (§ 236 InsO), wobei auch eine Verbindung mit dem Berichtstermin möglich ist.14) 19 Im Regelfall ist jedoch die übertragende Sanierung im Wege eines Insolvenzplanverfahrens langwieriger, da der Auftrag zur Erarbeitung eines Insolvenzplans vielfach erst im Berichtstermin durch die Gläubigerversammlung als Ergebnis der Erörterung im Berichtstermin erteilt wird.15) Die integrierte Fortführungsplanung (Liquiditätsplanung, Ertragsplanung, Vermögensplanung) muss in derartigen Fällen sicherheitshalber auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr ab Einleitung des Insolvenzverfahrens angelegt werden und steht damit vor den bekannten Problemen der Fortführungsfinanzierung, die auch durch das ESUG nicht gemildert wurden.16)

___________ 12) Abrufbar unter: www.fed.de/goi mit Prüfungsanordnung und Erläuterungen (Abrufdatum: 1.7.2013). 13) Ein Beispiel für die Variante übertragende Sanierung und Insolvenzplan zum Zwecke der Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers bietet das Insolvenzverfahren Adessa Moden GmbH, deren Insolvenzplan von den beteiligten Gläubigern einstimmig angenommen wurde (Aufhebung des Insolvenzverfahrens AG Aachen, Beschl. v. 23.5.2012 – 91 IN 66/09). 14) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, S. 641; Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 236 Rz. 4. 15) Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 26. 16) Zu diesem Problem Undritz in: Kübler, HRI, § 2 Rz. 28 – 33.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 2.4

§ 11

Betriebsfortführung zwecks Reorganisation im Regelverfahren mit Insolvenzplan

Bis zur Einführung des ESUG verharrte die Quote von Insolvenzplanverfahren bei 1 % 20 bezogen auf alle bis 2008 schlussgerechneten Unternehmensinsolvenzen.17) Letzte Untersuchungen bis einschließlich Ende 2011 belegen eine Zunahme der Planver- 21 fahren, wobei ihre Quote aber immer noch unter 2 % bezogen auf alle Unternehmensinsolvenzen in Deutschland liegt.18) In welchem Umfang Insolvenzplanverfahren mit dem Ziel einer Reorganisation weiterhin 22 im Regelverfahren durchgeführt werden und wie hoch inzwischen die Quote von Planverfahren im Zuge einer Eigenverwaltung ist, wurde noch nicht erforscht. Insgesamt steigt die Quote der Restrukturierungen, wovon gleichermaßen die Reorganisation im Regelverfahren als auch die Eigenverwaltung profitieren.19) Bei einer Abwicklung im Regelverfahren steht die vom Insolvenzverwalter zu ver- 23 antwortende Betriebsfortführung vor besonderen Problemen. Zum einen lässt sich die Zeitdauer nicht abschätzen, die benötigt wird, um einen annahmefähigen Insolvenzplan zu erarbeiten und den Gläubigern zur Abstimmung vorzulegen, mit dessen Hilfe die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung dauerhaft beseitigt werden. Grundsätzlich gilt, dass in derartigen Fällen ein Sanierungsgutachten (IDW S 6) erforderlich ist, dessen Erstellung bei größeren Unternehmen sechs Monate und mehr beanspruchen kann. Häufig werden die Reorganisationsvoraussetzungen nur durch eine erfolgreiche Betriebsfortführung geschaffen, wobei gesicherte Aussagen erst auf Grundlage von (geprüften) Bilanzen möglich sind. Vielfach setzt die Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers auch einen Ge- 24 sellschafterwechsel voraus, so dass am Ende der Betriebsfortführung nicht nur ein erfüllbarer und annahmefähiger Insolvenzplan erfolgreich zur Abstimmung durch die Gläubigerversammlung gestellt werden muss, sondern auch ein aufwendiger Anteilskaufvertrag nach meist mehrmonatiger Prüfungsphase (Due Diligence) beurkundet und durchgeführt werden muss. Eine Ausrichtung der Betriebsfortführung auf dieses Verfahrensziel (Reorganisation im Regelverfahren mit Insolvenzplan) stellt daher die höchsten Anforderungen an die Beurteilung der Fortführungspotentiale und die Erstellung der Planrechnungen. 2.5

Betriebsfortführung und Reorganisation in Eigenverwaltung (§§ 270, 270a InsO)

Völlig anders ist die Ausrichtung der Betriebsfortführung in den Fällen, in denen die Re- 25 organisation des Unternehmensträgers in Eigenverwaltung mit Insolvenzplan im Verbund angestrebt wird. Denn in diesem Fall gehen weder im Eröffnungsverfahren noch im eröffneten Verfahren Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen Insolvenzverwalter über. Seit Einführung des ESUG20) wurde das Eröffnungsverfahren im Falle eines erfolgreichen Antrags auf Eigenverwaltung neu gestaltet, indem das Gericht im Regelfall davon absieht, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungs___________ 17) Die Quoten der Insolvenzgläubiger in Regel- und Insolvenzplanverfahren, eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung, IFM; 20.3.2012 unter www.ifm-bonn.org/index.php?id=772 (Abrufdatum: 1.7.2013). 18) Insolvenzen, Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn, letzte Aktualisierung 29.6.2012 unter www.ifm-bonn.org/index.php?id=621 (Abrufdatum: 1.7.2013); Haarmeyer/Buchalik/ Haase, ZInsO 2013, 26 ff. 19) Kremers/Hoffmann, ZInsO 2013, 289. 20) Gesetzes zur weiteren Erleichterung des Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011– ESUG, BGBl. I 2011, 2582, dazu Luttermann/Geißler, ZInsO 2013, 1381.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

verbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 270a Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO). Nunmehr wird an Stelle des vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt, dessen Rechtsstellung in § 274 InsO und dessen Aufgaben in § 275 InsO geregelt sind. 26 Hat das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren Anordnungen nach § 270a InsO getroffen und einen vorläufigen Sachwalter bestellt, dann hat dieser lediglich Prüfungspflichten zu erfüllen und in dem Umfang bei einer Betriebsfortführung mitzuwirken, die gesetzlich in § 275 InsO geregelt ist. Die Organisation der Betriebsfortführung als solches liegt hingegen in der Hand des Schuldners oder seiner Organe, die unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse verwalten, sofern der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Der vorläufige Sachwalter hat damit eine völlige andere Aufgabenstellung als der vorläufige Insolvenzverwalter. Das operative Geschäft liegt nicht mehr in seiner Hand. Sowohl die Planung als auch die Durchführung der Betriebsfortführung sind Sache des Schuldners oder seiner Organe.21) 27 Unabhängig von der vom Regelverfahren abweichenden Kompetenz- und Aufgabenverteilung steht die Betriebsfortführung unter den Bedingungen der Eigenverwaltung vor allem im Eröffnungsverfahren vor den bekannten Problemen. Die Möglichkeiten zur Finanzierung der Unternehmensfortführung sind ebenso unzulänglich, die Eingriffsmöglichkeiten von Störern können nur durch die Anordnung vor vorläufigen Maßnahmen durch das Aufsicht führende Insolvenzgericht geblockt werden und letztendlich hängt die Betriebsfortführung unter den Bedingungen einer Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren entscheidend davon ab, ob der sich selbst unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters verwaltende Schuldner oder dessen Organe noch über die Akzeptanz der beteiligten Stakeholder verfügen. Andererseits ist die Eigenverwaltung nach § 270a InsO, und damit auch die Betriebsfortführung, im Eröffnungsverfahren überaus stabil, da das Gesetz eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorsieht.22) 2.6

Betriebsfortführung zur Reorganisation in Eigenverwaltung und zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren, § 270b InsO)

28 Leitet der Schuldner bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Insolvenzverfahren zur Vorbereitung einer Sanierung ein (§ 270b InsO), kann er wie im Falle eines Eröffnungsverfahrens nach § 270a InsO im Zusammenhang mit einer beantragten Eigenverwaltung erreichen, dass keine Verfügungsbeschränkungen angeordnet werden und an Stelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, der die in § 274 InsO vorgesehenen Befugnisse und dem im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung die Mitwirkungsrechte gemäß § 275 InsO zustehen. Entscheidend ist, dass die vom Schuldner angestrebte Sanierung nachweislich nicht offensichtlich aussichtslos ist und auch im Laufe des Eröffnungsverfahrens nicht aussichtslos wird. In diesem Fall hebt das Gericht die Anordnung zur Vorlage eines Insolvenzplans zwecks Reorganisation wieder auf. Das Schutzschirmverfahren ist deshalb im Eröffnungsstadium weniger stabil als das Verfahren nach § 270a InsO.23) 29 Wird dieses Verfahrensziel – Reorganisation in Eigenverwaltung mit Schutzschirm – gewählt, muss der „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter, der bei unbestrittener Eignung auf ___________ 21) Zum Verhältnis zwischen vorläufigen Sachwalter und dem sich selbstverwaltenden Schuldner: Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff., 655. 22) Schelo, ZIP 2012, 712 ff., 715. 23) Schelo, ZIP 2012, 712 ff., 715.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Vorschlag des Schuldners vom Insolvenzgericht als vorläufiger Sachwalter zu bestellen ist, sicherstellen, dass im Falle einer Beendigung des Schutzschirmverfahrens und einer damit verbundenen Überleitung des Verfahrens in ein Regelinsolvenzeröffnungsverfahren eine Betriebsfortführung nahtlos fortgesetzt oder jedenfalls geordnet beendet werden kann, da der vorläufiger Sachwalter im Regelfall dann zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wird, denn auch der „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter muss die Auswahl- und Bestellungskriterien (§§ 56, 56a InsO) erfüllen und ist deshalb ungeachtet der Tatsache, dass er vom Schuldner vorgeschlagen wurde, auch für die Übernahme des Amtes als vorläufiger Insolvenzverwalter, wobei zusätzlich Kostengründe dafür sprechen, den bisherigen vorläufigen Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter – oder falls die Eröffnungsvoraussetzungen bereits vorliegen – zum Insolvenzverwalter zu bestellen.24) 2.7

Ergebnis

Die Betriebsfortführung ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Mittel i. S. einer notwendigen 30 Bedingung, um ein angestrebtes gesetzlich zulässiges Verfahrensziel entweder im Regelverfahren oder i. R. einer Eigenverwaltung zu erreichen. Sie kann innerhalb des Vier-Stufen-Modells kurzfristig und nur bezogen auf das Eröffnungsverfahren angelegt sein, um die notwendige Liquidität zur Kostendeckung als Eröffnungsvoraussetzung zu schaffen. x Bei kurz- bis maximal mittelfristiger Anlage kann sie der Werterhaltung und damit der Ergebnisverbesserung im Wege einer geordneten Ausproduktion zur Durchführung einer Liquidation dienen. x Mittel- bis langfristig angelegt ist die Betriebsfortführung auf der dritten Stufe, wenn mit ihrer Hilfe eine Erhaltungslösung i. R. einer übertragenden Sanierung realisiert werden soll. Dies kann mit oder ohne Insolvenzplan umgesetzt werden. x Auf der vierten Stufe ist die Betriebsfortführung langfristig anzulegen, wenn es gilt, den insolventen Unternehmensträger durch Beseitigung der Insolvenzgründe zu reorganisieren. Die Betriebsfortführung schafft dann die notwendigen Voraussetzungen zwecks Erreichung dieses Verfahrensziels, das mit Hilfe der Gesetzesänderungen, die am 1.3.2012 in Kraft getreten sind, verstärkt über ein Insolvenzplanverfahren angestrebt und umgesetzt werden soll, da das ESUG vor allem darauf abzielt, Sanierungshemmnisse zu beseitigen, Schuldner zu veranlassen, Insolvenzanträge früher zu stellen und normgerechtes Verhalten dadurch belohnt, dass die Voraussetzungen zur Abwicklung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung – mit oder ohne Schutzschirm – erleichtert werden. Dabei erfährt die Betriebsfortführung bereits im Eröffnungsverfahren eine neue Ausrich- 31 tung, wenn das Insolvenzgericht an Stelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter als Folge einer aussichtsreich beantragten Eigenverwaltung bestellt. In diesem Fall behält der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, er verantwortet und leitet das operative Geschäft. Der vorläufige Sachwalter ist auf Aufsicht und Kontrolle und in begrenztem Umfang auf Mitwirkungsrechte beschränkt. x

II.

Rechtliche Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

1.

Steuerungsfunktion des Insolvenzantrags

Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eingeleitet. Antragsberechtigt sind der 32 Schuldner (§ 13 Abs. 1 InsO) und die Gläubiger (§ 14 Abs. 1 InsO). Mit Einführung des ___________ 24) So auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, Rz. 46, 82; Boch in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 113; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG25), das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, haben sich die Antragsvoraussetzungen sowohl für Eigenanträge als auch für Gläubigeranträge wesentlich verändert. 33 Hat der Schuldner einen Geschäftsbetrieb, der bei Antragstellung noch nicht eingestellt ist, werden an den Eröffnungsantrag besondere Voraussetzungen gestellt. Die Angaben, die der Schuldner in seinem Antrag zu machen hat, werden substantiell erweitert, indem das Verzeichnis der Gläubiger, das dem Antrag beizufügen ist, bei noch nicht eingestelltem Geschäftsbetrieb im Einzelnen x

die Gläubiger mit den höchsten Forderungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 InsO),

x

die Gläubiger mit den höchsten gesicherten Forderungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 InsO), die Forderungen der Finanzverwaltung (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 InsO),

x

die Forderungen der Sozialversicherungsträger (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und

x

die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung (§ 13 Abs. 1 Nr. 5 InsO)

kenntlich zu machen hat. Im Falle eines noch nicht eingestellten Geschäftsbetriebes hat der Schuldner in seinem Antrag auch Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen. Verpflichtend sind diese Angaben, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung beantragt oder die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wird.26) 34 Die von der Fortführung des Geschäftsbetriebes abhängige Kombination von Soll- bzw. Ist-Bestimmungen erfüllt eine Steuerungsfunktion. Das über den Antrag entscheidende Insolvenzgericht soll bereits in diesem frühen Verfahrensstadium wissen, dass der Antrag ein Schuldnerunternehmen betrifft, das zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht eingestellt ist, um zu gewährleisten, dass die vorläufigen Maßnahmen, die das Insolvenzgericht zu treffen hat, diesen Tatbestand berücksichtigt und alle Entscheidungen, von der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters über die Einsetzung eines verpflichtenden oder auch nur fakultativen vorläufigen Gläubigerausschusses bis hin zu weiteren Anordnungen, die in erster Linie Sicherungscharakter haben, darauf abgestellt werden, den Geschäftsbetrieb im Eröffnungsverfahren fortzuführen.27) 35 Schnell hat sich nach Einführung des ESUG gezeigt, dass die mit den gesetzlichen Neuregelungen verbundenen erhöhten Anforderungen an einen zulässigen Insolvenzantrag, der auf die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens gerichtet ist, dass entweder i. R. einer übertragenden Sanierung oder mittels Reorganisation eine Erhaltungslösung verfolgt, einen erheblich höheren Vorbereitungs- und Abstimmungsaufwand erfordert. Neue Berufsqualifikationen, wie z. B. der zertifizierte Restrukturierungsberater, sind entstanden, um Schuldnern bereits im Vorfeld eines Insolvenzantrages Berater zur Seite zu stellen, die in der Lage sind, ein Insolvenzverfahren zu planen und zu strukturieren und ein Sanierungskonzept zu erstellen. 36 Die geplante Insolvenz ist Ausgangspunkt des sorgfältig vorbereiteten und frühzeitig mit dem Insolvenzgericht abgestimmten Insolvenzantrags, mit dem nicht nur das Insolvenzverfahren eingeleitet, sondern auch bereits im Eröffnungsverfahren in die gewünschte Richtung gesteuert wird. Denn nunmehr stehen dem Schuldner zur Umsetzung eines ___________ 25) Gesetzes zur weiteren Erleichterung des Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011– ESUG, BGBl. I 2011, 2582. 26) Dazu im Einzelnen auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 13 Rz. 81 – 93; Wehr in: HambKommInsO, § 13 Rz. 30a ff.; Huber, ZInsO 2013, 1, 2. 27) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, §§ 13, 80; Vallender, MDR 2012, 61; Huber, ZInsO 2013, 1, 2.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Sanierungskonzepts unterschiedliche Verfahrensarten als Auswahloptionen zur Verfügung. Neben dem herkömmlichen Insolvenzverfahren (Regelverfahren) kann der Schuldner zum Zwecke der Reorganisation bereits mit dem Insolvenzantrag einen vorbereiteten (pre-packaged) Insolvenzplan einreichen (§ 218 Abs. 1 InsO) und wählen, ob x

das Verfahren von einem Insolvenzverwalter geführt oder

x

in Eigenverwaltung abgewickelt werden soll.

Je nachdem welche Variante gewählt wird, differieren die vorläufigen Maßnahmen, die das 37 Insolvenzgericht auf den Antrag anzuordnen hat, substantiell. Dies gilt erst recht, wenn der antragstellende Schuldner das sog. Schutzschirmverfahren 38 gemäß § 270b InsO einleitet, das zusätzliche Anforderungen an die Qualität des Insolvenzantrags, die Darlegung des Insolvenzgrundes sowie eines aussichtsreichen Sanierungsversuches und dessen Bescheinigung stellt. Die enorme Bedeutung, die ein sorgfältig vorbereiteter und die gesetzlichen Anforderun- 39 gen gemäß §§ 13, 270a, 270b InsO erfüllender Antrag stellt, haben daher entscheidenden Einfluss auf die weitere Verfahrensabwicklung und auf die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes im Eröffnungsverfahren als unabdingbare Voraussetzung für jede Sanierungs- und Erhaltungslösung. Hinzu kommt, dass auch die Anordnung bestimmter vorläufiger Maßnahmen, an die Fortführung des Unternehmens, das der Schuldner betreibt, gebunden ist. Dies gilt für die Anordnung eines Verwertungsstopps in Bezug auf Gegenstände mit Aus- oder Absonderungsrecht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO.28) Die Steuerungsfunktion des Eröffnungsantrags bei noch nicht eingestelltem Geschäftsbe- 40 trieb und beabsichtigter Betriebsfortführung zum Zwecke der Sanierung soll gewährleisten, dass alle in diesem frühen Verfahrensstadium getroffenen Anordnungen nicht zu irreversiblen Maßnahmen führen, die den Fortführungsansatz und damit auch die spätere Sanierung erschweren oder gar vereiteln. Für den Gläubigerantrag gelten die in § 14 InsO normierten Antragsvoraussetzungen. 41 Da der antragstellende Gläubiger in erster Linie die Erfüllung seiner Ansprüche verfolgt und darüber hinaus in den wenigsten Fällen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners informiert ist, werden von ihm die in § 13 InsO für den Fall des Eigenantrags genannten Angaben nicht verlangt. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass der Schuldner sich dem Insolvenzantrag anschließt oder diesen i. R. eines eigenen Antrags übernimmt.29) 2.

Weichenstellung durch Entscheidungen des Insolvenzgerichts im Eröffnungsverfahren

Lagen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im bisherigen Eröffnungsverfahren 42 pflichtgemäß im Ermessen des Insolvenzgerichtes, so hat die Einführung des ESUG am 1.3.2012 auch hier zu einer substantiellen Veränderung geführt. Das Ermessen des Insolvenzgerichtes zur Anordnung der nunmehr vorläufigen Maßnahmen wird erheblich reduziert. Liegen die Voraussetzungen für die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses als Pflichtausschuss vor, hat das Gericht kein Ermessen. Unter den hier genannten Voraussetzungen (§ 22a Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO) muss das Gericht die vorgesehene Anordnung treffen und einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen.30) Die beabsichtigte Betriebsfortführung eines bei Antragstellung noch nicht eingestellten Geschäftsbetriebes ___________ 28) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 18, 19, 20. 29) Dazu auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 13 Rz. 93. 30) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 21.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

hat dabei unmittelbare Auswirkung auf die Entscheidung des Insolvenzgerichtes zur Anordnung von vorläufigen Maßnahmen. 2.1

Die vorläufigen Maßnahmen im Einzelnen

2.1.1 Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters 43 Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist nicht mehr in jedem Fall die erste Entscheidung, die das Insolvenzgericht im Zuge der Anordnung von vorläufigen Maßnahmen zu treffen hat. Denn in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Bestellung von Mitgliedern dieses Ausschusses erfüllt sind, erfolgt die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nunmehr im Regelfall erst nach Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, um dessen Mitwirkungsrechte bei der Auswahl der Person bzw. bei der Bestimmung eines Anforderungsprofils, das der vorläufige Insolvenzverwalter im konkreten Einzelfall erfüllen soll, zu gewährleisten. 44 Die deutliche Zunahme von Verfahren in Eigenverwaltung seit Einführung des ESUG hat zudem dazu geführt, dass nunmehr an Stelle des vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, dessen Rechtsstellung und Befugnisse in §§ 274, 275 InsO geregelt sind.31) Gleiches gilt, wenn der Schuldner mit seinem Eröffnungsantrag bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eigenverwaltung zwecks Vorbereitung einer Sanierung beantragt und das mittlerweile allgemein als Schutzschirmverfahren bezeichnete Sanierungsverfahren mit Hilfe eines Insolvenzplans in Eigenverwaltung durchführen will. Auch dann sieht das Insolvenzgericht, sofern die Voraussetzungen für diese Verfahrensart im Übrigen gegeben sind, davon ab, einen vorläufigen Insolvenzverwalter einzusetzen. Bestellt wird dann wie im Verfahren nach § 270a InsO lediglich ein vorläufiger Sachwalter.32) 45 Die Fortführung des Unternehmens, das die Schuldnerin betreibt, hat nunmehr entscheidenden Einfluss bei der Auswahl der Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des vorläufigen Sachwalters und bei seiner Ausstattung mit Kompetenzen, sofern keine gesetzliche Kompetenzzuweisung wie im Fall des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO bei der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes vorliegt, sowie den Zeitpunkt seiner Bestellung, der nunmehr davon abhängt, ob zunächst ein vorläufiger Gläubigerausschuss – verpflichtend oder fakultativ – eingesetzt wird. Denn vorläufige Gläubigerausschüsse kommen nur in Betracht, wenn der Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt ist und fortgeführt werden soll (§ 22a Abs. 3 InsO).33) 46 Bei Verfahren nach § 270b InsO (Schutzschirmverfahren), das in Eigenverwaltung geführt wird, ist die Durchführung einer Sanierung, meist in der Form einer Reorganisation, die Regel. Sie macht nur Sinn, wenn der Geschäftsbetrieb fortgeführt werden soll. Gleiches gilt für ein Verfahren in Eigenverwaltung nach § 270a InsO. 2.1.2 Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses 47 Die Möglichkeit, einen vorläufigen Gläubigerausschuss nunmehr bereits im Eröffnungsverfahren einzusetzen, hat zur Umbenennung der bisherigen Sicherungsmaßnahmen in vorläufige Maßnahmen geführt. Denn die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschus___________ 31) Kremers/Hoffmann, ZInsO 2013, 289; Haarmeyer/Buchalik/Haase, ZInsO 2013, 26. 32) Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270b Rz. 12 und § 270a Rz. 13 ff. 33) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22a Rz. 32; AG Hamburg, Beschl. v. 3.5.2013 – 67c IN 161/13, ZIP 2013, 1391 = ZInsO 2013, 1803; AG Hamburg, Beschl. v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = ZInsO 2013, 1804.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

ses dient nicht in erster Linie der Sicherung des Vermögens, um nachteilige Veränderungen zu Lasten der Gläubiger zu vermeiden, sondern ist Folge des Prinzips der Gläubigerautonomie, das nun auch bereits im Eröffnungsverfahren zur Geltung kommen soll. Entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a hat das Insolvenzge- 48 richt jedoch bei der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses kein Ermessen, wenn die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind. In diesem Fall ist die Einsetzung obligatorisch. Voraussetzung ist, dass mindesten zwei der drei in § 22a InsO genannten Größenmerkmale x

Bilanzsumme 4.840.000 €,

x

Umsatz 9.680.000 €,

x

Achsmindestgrößen

erfüllt sind. Von der verpflichtenden Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann das In- 49 solvenzgericht nur absehen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt ist. Bei bereits eingestelltem Geschäftsbetrieb ist ein Neustart nur in den allerseltensten Fällen möglich, eine Sanierung nahezu ausgeschlossen. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses macht dann keinen Sinn. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann aber auch dann unterbleiben, 50 wenn die damit verbundenen Kosten im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig sind. Diese Regelung ist unpraktikabel und völlig verfehlt, da zu diesem Zeitpunkt die für eine derartige Relation maßgeblichen Größen nicht feststehen.34) Unterbleiben kann die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch dann, wenn 51 die damit (angeblich) verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Allerdings ist eine Verzögerung nur dann zu erwarten, wenn der Insolvenzantrag unzureichend vorbereitet und ohne jede Abstimmung beim Insolvenzgericht eingereicht wird. Bei Unternehmen, die die Schwellenwerte des § 22a InsO erfüllen, ist jedoch regelmäßig damit zu rechnen, dass Insolvenzanträge, insbesondere Eigenanträge, erst nach ausreichender und umfassender Vorbereitung gestellt werden, so dass die für eine schnelle und reibungslose Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses notwendigen Vor- und Abstimmungsarbeiten erledigt sind. Die in Frage kommenden Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses sind informiert und haben ihre Bereitschaft zur Mitwirkung erklärt, die Abstimmung mit dem Insolvenzgericht unter Berücksichtigung der in § 67 InsO genannten Voraussetzungen an die Zusammensetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist erfolgt und alle Angaben, die für einen ordnungsgemäßen Beschluss erforderlich sind (Name und Anschrift, Vertretungsverhältnisse, Vollmacht etc.) liegen vor. Der Schuldner und seine Berater sind dabei in besonderem Maße gefordert. Die Siche- 52 rung der frühzeitigen Gläubigerbeteiligung ist vor allem für Sanierungsverfahren unerlässlich. Bei Eigenanträgen müssen daher die Hausaufgaben gemacht sein, um dem Insolvenzgericht eine ausreichende Entscheidungsbasis durch einen zulässigen und abgestimmten Insolvenzantrag zu vermitteln.35) Über die Zusammensetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, seine Größe und 53 die einzelnen Mitglieder, muss vor Antragstellung Klarheit herrschen, die in Aussicht genommenen Mitglieder müssen angesprochen werden und ihre Zustimmung erklären. Das ___________ 34) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22a Rz. 34. 35) Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 2.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

lange Zeit geltende Prinzip, die Mitglieder aus dem Kreis „Friends&Family“ auszuwählen, wird sich auf Dauer nicht halten lassen. Die Beteiligungsrechte und Möglichkeiten, die den Gläubigern durch Einführung des ESUG eingeräumt wurden, werden interessierte Gläubiger zu nutzen wissen, indem sie frühzeitig ihr Interesse an einer Mitwirkung im vorläufigen Gläubigerausschuss anmelden, so dass die notwendige Vorabstimmung auch zu einem Auswahlverfahren unter mehreren potentiellen Ausschussmitgliedern wird, die die Voraussetzungen des § 67 InsO und darüber hinaus die unerlässliche Sachkunde erfüllen.36) Angesichts der Komplexität von größeren Insolvenzverfahren sind Sachkunde und nach Möglichkeit auch bereits vorhandene Erfahrungen einer früheren Tätigkeit als Mitglied eines Gläubigerausschusses von immer größerer Bedeutung. Gläubigerausschüsse haben Unterstützungs- und Kontrollfunktion. Diese Aufgabe können die Mitglieder des Gläubigerausschusses nur bewältigen, wenn sie in der Lage sind, die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens nachzuvollziehen und Entscheidungen, die ihrer Mitwirkung (§ 160 InsO) unterliegen, sachgerecht zu treffen. 54 Für die Mitwirkung in Gläubigerausschüssen gibt es keine verpflichtenden qualitativen Anforderungen. Jeder Gläubiger, der an einem Insolvenzverfahren beteiligt ist, kann als Mitglied bestellt oder von der Mitgliederversammlung gewählt werden. Deshalb besteht die Gefahr eines großen qualitativen Gefälles zwischen den professionell und unter Beachtung von verbindlichen Qualitätsstandards arbeitenden Insolvenzverwaltern und lediglich gelegentlich oder auch nur in einem einzigen Fall eingesetzten Ausschussmitgliedern. Bei den Vorüberlegungen zur Besetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses müssen deshalb die Anforderungen, die das jeweilige Insolvenzverfahren an die Abwicklung und damit verbunden auch an die Kontroll- und Unterstützungstätigkeit eines Gläubigerausschusses stellt, im Zusammenhang mit den Personalvorschlägen bzw. der personellen Besetzung bedacht werden.37) 55 Dies gilt auch für Gläubigerausschüsse, die in Unternehmen gebildet werden sollen, die nicht die Schwellenwerte des § 22a InsO erreichen. In diesen Fällen können vorläufige Gläubigerausschüsse auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers eingesetzt werden. Verlangt wird jedoch, dass i. V. m. dem Antrag die in Betracht kommenden Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses bereits namentlich benannt werden und Einverständniserklärungen der benannten Personen beigefügt werden. 56 Anders als beim Gläubigerausschuss, der nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingesetzt wird, besteht für den vorläufigen Gläubigerausschuss der Zwang, lediglich solche Personen zu benennen, die bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung Gläubiger sind oder spätestens mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden.38) Dies betrifft bspw. den Pensionssicherungsverein (PSVAG) oder die Bundesagentur für Arbeit. 57 Bereits ein Jahr nach Einführung der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO zeigt sich, dass das Kontingent an sachkundigen Personen oder juristischen Personen mit sachkundigen Mitarbeitern, die die juristische Person als Mitglied im Ausschuss vertreten, begrenzt ist. In Verbindung mit den zunehmenden Anforderungen, die an Präsenz aber auch die Sachkunde gestellt werden, sinkt die Bereitschaft, sich neben der Tagesarbeit in Gläubigerausschüssen zu delegieren, zumal die Tätigkeit auch mit Haftungsgefahren verbunden ist, bspw. aufgrund von Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit der Verletzung der Ver___________ 36) Heeseler/Neu, NZI 2012, 440 ff. 37) Huber, ZInsO 2013, 1 ff. 38) So die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

schwiegenheitspflicht, der Ausnutzung von Insiderkenntnissen oder auch wegen unzureichender Aufsicht und Kontrolle von Insolvenzverwalter, Eigenverwalter und Sachwalter. Dies gilt insbesondere für die Besetzung lediglich fakultativer Ausschüsse. Um zu ver- 58 meiden, dass die personelle Zusammenstellung eines Gläubigerausschusses am Ende ohne ausreichende Vorbereitung unter Zeitdruck erfolgen muss, sollte im Falle von obligatorischen vorläufigen Gläubigerausschüssen die Zusammenstellung der Mitglieder und die Einholung von Einverständniserklärungen bereits zu Beginn der Vorbereitung eines Insolvenzantrags erfolgen. Die frühzeitige Abstimmung der Personalvorschläge mit dem, die Mitglieder eines vorläu- 59 figen Gläubigerausschusses bestellenden Insolvenzgerichtes ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil gegen die Nichteinsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Nichtberücksichtigung bestimmter Personalvorschläge kein Rechtsmittel zugelassen ist.39) 2.1.3 Anordnung eines allgemeinen Vollstreckungsverbotes Das in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO geregelte Vollstreckungsverbot bewirkt, dass Maß- 60 nahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden. Es wirkt demnach präventiv und gewährt den Schutz vor zukünftigen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und führt zur einstweiligen Einstellung bereits eingeleiteter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. In der Kompetenz des Insolvenzgerichts liegt aber nur die Anordnung eines Vollstreckungsverbotes in Bezug auf bewegliche Gegenstände. Betreffen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unbewegliche Vermögensgegenstände, die im Eigentum des Schuldners stehen, dann ist ausschließlich das Vollstreckungsgericht zur Anordnung von Vollstreckungsschutzmaßnahmen befugt (§ 30d Abs. 4 ZVG).40) Die Anordnung eines Vollstreckungsverbotes i. R. des Eröffnungsverfahrens ist als vor- 61 läufige Maßnahme auch bei Verfahren nach § 270a InsO (Eröffnungsverfahren bei Eigenverwaltung) und § 270b InsO (Vorbereitung einer Sanierung) möglich. Während das Vollstreckungsverbot als vorläufige Maßnahme in § 270b Abs. 2 InsO ausdrücklich geregelt ist, fehlt eine entsprechende Verweisung in § 270a InsO. Die Möglichkeit, bereits eingeleitete Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einstweilen einzustellen und zukünftige zu untersagen, ist jedoch für eine reibungslose Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren unerlässlich, um zu verhindern, dass für die Fortführung notwendige Ressourcen im Wege der Zwangsvollstreckung entzogen oder wie beim Zahlungsverbot blockiert werden. Die Anordnung eines Vollstreckungsverbotes ist daher die Regel. In vielen Fällen ordnet das Gericht ein Vollstreckungsverbot bereits als erste vorläufige Maßnahme an, um jeden Zugriff auf das den Gläubigern mit Antragstellung haftungsrechtlich zugewiesene Vermögen zu unterbinden. 2.1.4 Eingriffe in Grundrechte, Postkontrolle Vom Insolvenzgericht verfügte Eingriffe in Grundrechte dienen in erster Linie dem 62 Schutz der Gläubiger vor nachteiligen Veränderungen in der Vermögenslage. Es handelt sich daher um Sicherungsmaßnahmen, die zusätzlich die Funktion haben, dem vorläufigen Insolvenzverwalter, der im Regelfall zugleich als Sachverständiger beauftragt wird, das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (§ 16 InsO) und die Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens zu prüfen (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO) sowie eine umfassende Aufklärung der Vermögenslage zu ermöglichen. ___________ 39) Frind, ZInsO 2013, 279 ff., 286; a. A. Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930; Haarmeyer, ZInsO 2012, 1204; Zum Beschwerderecht des Schuldners gegen die Besetzung mit benannten Personen, LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992 = NZI 2013, 559. 40) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 61.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

63 In Verbindung mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 17.4.200741) ist die Durchführung der als vorläufige Maßnahme vorgesehenen Postkontrolle (vorläufige Postsperre) modifiziert worden. Die Aufhebung des Postmonopols hat dazu geführt, dass die im Gesetz geregelte vorläufige Postsperre (§ 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO) nicht nur für jede Postsendung (Briefe, Pakete, Päckchen, Telefax, Telex, Telegramm, E-Mails) gilt, sondern sich auch auf jeden Postdienstleister erstreckt, der allerdings im Anordnungsbeschluss namentlich zu benennen ist.42) 64 Das Postgeheimnis ist ein grundrechtlich durch Art. 10 Abs. 1 GG geschütztes Grundrecht, dessen Verletzung strafrechtlich durch § 206 StGB sanktioniert wird. Der durch Gesetzesvorbehalt mögliche Eingriff in das Grundrecht setzt im Eröffnungsverfahren die besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus. An Stelle der im eröffneten Verfahren möglichen Postsperre ist daher unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen sowohl des Schuldners zur Wahrung seines Grundrechts auf das Postgeheimnis und der Interessen der Gläubiger zum Schutz vor nachteiligen Veränderungen in der Vermögenslage, die zu ihren Lasten gehen, in besonderem Maße der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, so dass es sich bei der Postsperre im Eröffnungsverfahren um eine Maßnahme handelt, die nur dann angeordnet werden darf, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Schuldnervermögens vorliegen.43) Ein Eingriff in Grundrechte setzt daher voraus, dass der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nicht nachkommt oder bereits konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensverschiebung bestehen.44) 65 Grundsätzlich möglich ist die Anordnung einer vorläufigen Postsperre auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Verbrauchern, sowie im Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung (§ 270a InsO) sowie im sog. Schutzschirmverfahren zur Vorbereitung einer Sanierung gemäß § 270b InsO.45) 66 Tatsächlich schließen sich Eigenverwaltung und Eingriffe in Grundrechte aus. Ein Schuldner, der nicht mitarbeitet oder sein Vermögen verschiebt und damit Anlass zur Anordnung einer vorläufigen Postsperre oder zur Einschränkung seiner Freizügigkeit gibt, liefert auf diese Weise auch die Umstände, die erwarten lassen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der Antrag auf Eigenverwaltung wird damit aussichtslos. Gleiches gilt im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung, sofern nicht ausnahmsweise der Schuldner selbst die Anordnung der vorläufigen Postsperre – bspw. im Falle einer mit dem vorläufigen Sachwalter abgestimmten Abwesenheit oder bei Krankheit – anregt. 67 Werden im Falle einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren Eingriffe in die Grundrechte des Schuldners notwendig, hat dies unmittelbar Auswirkungen auf eine Betriebsfortführung. Denn dies bedeutet, dass die Betriebsfortführung gegen einen Schuldner organisiert und durchgeführt werden muss. Dies macht nur Sinn, wenn die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren einer Auslaufproduktion oder dem Ziel einer übertragenden Sanierung dient. Beide Ziele können auch gegen den Widerstand des Schuldners oder ohne dessen Mitwirkung verfolgt werden. ___________ 41) BGBl. I 2007, 509. 42) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 180; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 64. 43) OLG Celle, Beschl. v. 11.9.2000 – 2 W 87/00, ZIP 2000, 1898 = ZInsO 2000, 557; OLG Celle, Beschl. v. 17.12.2001 – 2 W 133/01, ZIP 2002, 578 = ZInsO 2002, 131. 44) BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – IX ZB 34/05, ZIP 2006, 2233 ff., 2234 = ZInsO 2006, 2012 ff. 45) Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 63.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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Grundrechtlich geschützt ist im Eröffnungsverfahren auch die Wohnung des Schuld- 68 ners, die der vorläufige Insolvenzverwalter gegen den Willen des Schuldners nur aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsbefehls betreten darf.46) 2.1.5 Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis bei Sonderrechten Erst das Vereinfachungsgesetz vom 13.4.2007 hat mit der am 1.7.2007 in Kraft getretenen 69 Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO einen Geburtsfehler der InsO beseitigt, indem Eingriffe von aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern in eine Betriebsfortführung unterbunden wurden. Die als Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis bezeichnete Sicherungsmaßnahme verfolgt das Ziel, Erhaltungslösungen zu fördern, indem die Voraussetzungen für Betriebsfortführungen erleichtert und besondere Störpotentiale beseitigt werden. Sind Gegenstände, deren Aussonderung verlangt werden könnten oder an denen Absonderungsrechte bestehen, für die Fortführung des Unternehmens im Eröffnungsverfahren von erheblicher Bedeutung, kann das Gericht anordnen, dass diese Gegenstände vom Sonderrechtsgläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und der vorläufige Insolvenzverwalter im Regelverfahren oder der sich unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters selbstverwaltende Schuldner diese Gegenstände i. R. der Betriebsfortführung nutzen dürfen.47) Voraussetzung für die Anordnung ist die Fortführung des Geschäftsbetriebes.48) Dies hat 70 der vorläufige Insolvenzverwalter in seinem Antrag nachvollziehbar darzulegen. Die Wirtschaftsgüter, für die ein Verwertungsstopp beantragt wird, müssen zudem für die Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung sein. Auch dies hat der vorläufige Insolvenzverwalter nachprüfbar zu belegen. Hat das Gericht Zweifel, muss es eigene Feststellungen treffen, ob tatsächlich die im Antrag bezeichneten Wirtschaftsgüter für eine Betriebsfortführung eingesetzt werden und für diese von erheblicher Bedeutung sind.49) Sind von dem Verwertungsstopp Güter betroffen, an denen ein Aussonderungsrecht besteht, 71 so führt die gerichtliche Anordnung zu einem Eingriff in das Eigentum des betroffenen Gläubigers, der jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich ist, sofern die notwendige Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.50) Der Verwertungsstopp kann nicht pauschal angeordnet werden. Die von der Maßnahme 72 betroffenen Wirtschaftsgüter müssen konkret benannt werden, wobei es im Einzelfall zulässig und möglich ist, bestimmte Gegenstände zusammen zu fassen.51) Für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ist von großer Bedeutung, dass der 73 Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis kein Recht zur Verwertung einräumt. Der vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbst unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters verwaltende Schuldner bedarf daher für die Verarbeitung, Veräußerung und den Verbrauch von Eigentumsvorbehaltsware, aber auch für die Einsetzung eingezogener Forderungen, die bspw. einer Globalzession unterliegen, der Zustimmung des absonderungsberechtigten

___________ Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 179, 180. Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 263 – 266; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69a. BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141= ZInsO 2010, 136. BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141= ZInsO 2010, 136. BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141= ZInsO 2010, 136; Ganter, NZI 2007, 549 ff., 555; Pape, NZI 2007, 425 ff., 430; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 213. 51) BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 = ZInsO 2010, 136; AG Hamburg, Beschl. v. 30.9.2011 – 67g IN 381/11, ZInsO 2011, 2045 – 2046.

46) 47) 48) 49) 50)

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Lieferanten oder des absonderungsberechtigten Gläubigers, wenn er die hieraus erwirtschafteten Erlöse zu Finanzierungszwecken i. R. einer Betriebsfortführung einsetzen will.52) 2.2

Zweck/Mittel-Relation bei Betriebsfortführung

2.2.1 Pflicht zur Anordnung vorläufiger Maßnahmen 74 Bisher verfolgten die im Kanon des § 21 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgeführten Maßnahmen in erster Linie den Zweck, bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu Lasten der Gläubiger zu vermeiden. Die Anordnung der Maßnahmen erfolgte weitgehend ohne Beteiligung des Schuldners oder gar gegen seinen Widerstand und ohne Einbeziehung der am Verfahren beteiligten Gläubiger. Sie lagen im Wesentlichen im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts. Mit der Einführung des ESUG wurde die Stellung des Schuldners gestärkt und die Einbeziehung der Gläubiger bereits in das Eröffnungsverfahren gewährleistet.53) Schuldner und Gläubiger haben damit einen unmittelbaren Einfluss auch auf Art und Intensität der vorläufigen Maßnahmen und den Zeitpunkt ihrer Anordnung. 75 Dies führt dazu, dass die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der jeweils verfolgten Verfahrensziele zu geschehen hat. Teilweise wurde das Ermessen des Insolvenzgerichts beseitigt. Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung eines verpflichtenden Gläubigerausschusses (§ 22a InsO) vor, dann muss das Insolvenzgericht den Ausschuss als (erste) vorläufige Maßnahme einsetzen, sofern nicht einer der drei im Gesetz geregelten Ausnahmetatbestände (bereits eingestellter Geschäftsbetrieb, unverhältnismäßig hohe Kosten, zeitliche Verzögerung) vorliegen. 76 Die Stärkung des Schuldners macht sich insbesondere in der Eigenverwaltung bemerkbar. Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, dann schließt das die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO) oder eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO) regelmäßig aus. An Stelle des vorläufigen Insolvenzverwalters wird in diesem Fall ein vorläufiger Sachwalter bestellt (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO). Dessen Rechte bestimmen sich ausschließlich nach den Regelungen in §§ 274, 275 InsO. 77 Bereitet der Schuldner mit seinem Antrag eine Sanierung vor und ist diese nicht offensichtlich aussichtslos, so bestellt das Gericht ebenfalls lediglich einen vorläufigen Sachwalter (§ 270b Abs. 2 InsO) und kann darüber hinaus vorläufige Maßnahmen nur nach § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1 a, 3 – 5 InsO anordnen. Dabei setzt die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO (allgemeines Vollstreckungsverbot) einen ausdrücklichen Antrag des Schuldners auf deren Anordnung voraus. 78 Auch in personeller Hinsicht wird das Auswahlermessen des Insolvenzgerichtes beschränkt. Im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung ist der Schuldner berechtigt, den vorläufigen Sachwalter nach eigener Wahl „mitzubringen“. Vom Vorschlag des Schuldners kann das Gericht nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist, was das Gericht zu begründen hat (§ 270b Abs. 2 InsO). Ungeeignet ist lediglich ein vorläufiger Sachwalter, der die Kriterien des § 56 InsO nicht erfüllt. In Betracht kommt namentlich mangelnde Geschäftskunde oder fehlende Unabhängigkeit. 79 Setzt das Gericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss entweder als Pflichtausschuss oder als Antragsausschuss ein, dann ist es in beiden Fällen grundsätzlich nicht an die vorge___________ 52) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 218 ff.; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d, h. 53) Braun, NZI-aktuell 2013, Heft 1 – 2, V.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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schlagenen Personen gebunden. Dies gilt auch dann, wenn mit dem Antrag auf Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses Personen benannt werden, die sich schriftlich einverstanden erklärt haben, sich zu Mitgliedern eines vorläufigen Gläubigerausschusses bestellen zu lassen.54) Tatsächlich aber wird das Auswahlermessen durch das Vorschlagsrecht des Antragstellers 80 eingeschränkt. Dies gilt vor allem dann, wenn die vorgeschlagenen Personen die in § 67 InsO genannten Kriterien bezüglich der Zusammensetzung eines Gläubigerausschusses erfüllen und die Sachkunde der vorgeschlagenen Personen gewährleistet ist.55) Sowohl in Bezug auf die Bestellung von vorläufigen Sachwaltern im Falle der Eigenver- 81 waltung – ob mit oder ohne Schutzschirm – als auch im Zusammenhang mit der Einsetzung des obligatorischen vorläufigen Gläubigerausschusses bei Erreichen der Schwellenwerte gemäß § 22a InsO, besteht damit nunmehr eine Pflicht zur Anordnung bestimmter vorläufiger Maßnahmen, an die das Insolvenzgericht gebunden ist. Eine weitere Änderung betrifft das Auswahlermessen des Gerichts. Zwar hat das Ge- 82 richt weiterhin einen Ermessensspielraum in Bezug auf die Person des Insolvenzverwalters, wenn diese vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen wird (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Damit wird aber grundsätzlich klargestellt, dass die bisherige Praxis „genannt – verbrannt“ nicht mehr haltbar ist. Bei den meisten Insolvenzgerichten galt bis zur Einführung des ESUG das eiserne Gesetz, dass ein Verwalterkandidat, der schriftlich, mündlich, fernmündlich oder auf sonstige Art und Weise vorgeschlagen wurde, keine Chance hatte, zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt zu werden.56) Da das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit eines Personalvorschlags enthält, hat sich das 83 Insolvenzgericht bei seiner Auswahlentscheidung mit diesem Vorschlag auseinanderzusetzen und diesen vorurteilsfrei und ergebnisoffen zu prüfen. Generell bleibt es jedoch dabei, dass das Gericht in diesen Fällen ein weites Auswahlermessen hat.57) Anders ist es, wenn die Voraussetzungen einer unmittelbaren Gläubigerbeteiligung bei 84 der Verwalterbestellung gegeben sind. Besteht ein vorläufiger Gläubigerausschuss, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen, die an den Verwalter im Einzelfall zu stellen sind, und zu dessen Person zu äußern (§ 56a Abs. 1 InsO). Mehr noch, von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters darf das Gericht nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 InsO). Dabei muss das Gericht bei der Auswahl die vom vorläufigen Gläubigerausschuss beschlossenen Anforderungskriterien berücksichtigen. Entscheidet das Gericht ohne vorherige Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschus- 85 ses, so hat dieser die Möglichkeit, in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person zu wählen. Durch das ESUG wurde damit sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Anordnung vor- 86 läufiger Maßnahmen substantiell verändert. Das pflichtgemäße Ermessen zur Anordnung der früheren Sicherungsmaßnahme ist nunmehr einer Pflicht zur Anordnung bestimmter Maßnahmen gewichen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

___________ 54) 55) 56) 57)

Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 14, 15. Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 27, 28. Mönning in: FS Görg, S. 291 ff., 309; Römermann, ZInsO 2013, 218 ff. Römermann, ZInsO 2013, 218 ff., 223, der das Gericht verpflichtet sieht, vorgeschlagene Kandidaten ernsthaft zu berücksichtigen.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2.2.2 Art und Weise der Anordnung 87 Die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen hängt seit der Einführung des ESUG in erster Linie x

von dem konkreten Insolvenzantrag,

x

der gewählten Verfahrensart und

x

dem beabsichtigten Verfahrensziel ab.

88 Dem Antrag entnimmt das Gericht, welches Verfahrensziel angestrebt wird. 89 Liegt ein Gläubigerantrag vor, müssen zunächst zum Schutze des Schuldners die notwendigen Feststellungen zur Zulässigkeit des Antrags getroffen werden. Ist der Antrag zulässig, steht im Falle eines Fremdantrages regelmäßig das Sicherungsinteresse und das Sicherungsbedürfnis im Vordergrund. Das Insolvenzgericht hat dann die Maßnahmen zu treffen, die ihm erforderlich erscheinen, um nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage zu verhindern. 90 Aus einem Schuldnerantrag, der die Anforderungen des § 13 InsO erfüllt, erfährt das Gericht, welche Ziele der Schuldner verfolgt und in welcher Verfahrensart (Regelverfahren mit oder ohne Plan, Eigenverwaltung mit oder ohne Plan, Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung mit verpflichtendem Plan) dies geschehen soll. Bei aussichtsreichen Sanierungen muss das Gericht der beantragten Eigenverwaltung folgen. Die Art der vorläufigen Maßnahme ist insoweit vorgegeben, als dann an Stelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter zu bestellen ist. 91 Erfährt das Insolvenzgericht aus den Insolvenzanträgen, dass die Schwellenwerte des § 22a InsO erfüllt sind, hat das Insolvenzgericht verpflichtend einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen.58) Erst danach erfolgt die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des vorläufigen Sachwalters im Verfahren nach § 270a InsO, sofern nicht ausnahmsweise zwingende Gründe vorliegen, die zunächst die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines vorläufigen Sachwalters erforderlich machen. 92 In jedem Fall ist das Gericht in viel stärkerem Maße als bisher auf eine Kommunikation mit allen Verfahrensbeteiligten angewiesen. Dies gilt sowohl für die frühzeitige Abstimmung mit dem antragstellenden Schuldner als auch die Kommunikation mit Gläubigern, die als Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen. Dabei hat das Gericht vor allem zu berücksichtigen, ob der Geschäftsbetrieb des Unternehmens, das der Schuldner betreibt, fortgeführt werden soll. Denn die Betriebsfortführung hat wiederum Auswirkungen sowohl auf die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters als auch auf die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses, da die Aufrechterhaltung und Fortführung des Geschäftsbetriebes zu den schwierigsten Abwicklungsaufgaben i. R. eines Insolvenzverfahrens gilt. Die Neugestaltung des Auswahlverfahrens, die Beachtung der Gläubigerbeteiligung und der offene und faire Umgang mit Personalvorschlägen von Gläubigern und Schuldnern stellt das Insolvenzgericht vor völlig neue Herausforderungen und Anforderungen. Das Gericht hat daher neue Formen der Kommunikation durch Anhörung und Befragung von und mit Mitgliedern des Gläubigerausschusses, aber auch mit einzelnen Gläubigern und dem Schuldner und seinen Beratern zu entwickeln.59)

___________ 58) Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 2. 59) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 111 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

2.2.3 Zeitpunkt der Anordnung Bis zur Einführung des ESUG richtete sich der Zeitpunkt der Anordnung von Sicherungs- 93 maßnahmen nach dem Sicherungszweck. Vielfach schon mit Eingang des Insolvenzantrags und zeitgleich mit der Bestellung eines Sachverständigen und noch vor Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wurde als erste Sicherungsmaßnahme ein allgemeines Vollstreckungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO angeordnet, um Ein- und Übergriffe von Gläubigern im Wege der Zwangsvollstreckung zu verhindern. Mit Einführung des ESUG hat sich eine neue zeitliche Reihenfolge bei der Anordnung 94 vorläufiger Maßnahmen ergeben: x

Sind die Schwellenwerte des § 22a InsO erfüllt, stellt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Ernennung seiner Mitglieder die erste vorläufige Maßnahme dar, die das Gericht im Eröffnungsverfahren anordnet.

x

Hat der Schuldner mit seinem Antrag zugleich einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt, erfolgt zunächst die Beschlussfassung des soeben bestellten vorläufigen Gläubigerausschusses über den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO). Unterstützt der vorläufige Gläubigerausschuss mit einstimmigem Beschluss, an dem alle Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses beteiligt sind, die Eigenverwaltung, so gilt die Anordnung nicht als nachteilig für die Gläubiger. In diesem Fall hat das Insolvenzgericht dem Antrag zu folgen und von der Anordnung verfügungsbeschränkender vorläufiger Maßnahmen, wie dem allgemeinen Verfügungsverbot und dem allgemeinen Vollstreckungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und 2 InsO) sowie der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abzusehen.60) Stattdessen wird im Anschluss an die Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses ein vorläufiger Sachwalter ernannt, wobei das Gericht im Falle eines einstimmigen Vorschlags an das Votum des Gläubigerausschusses gebunden ist (§ 56a Abs. 2 InsO).

x

Im Regelverfahren folgt auf die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses und die Ernennung seiner Mitglieder – unabhängig davon, ob es sich um einen obligatorischen Ausschuss oder um einen Antragsausschuss handelt- eine Beschlussfassung des Gläubigerausschusses über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters. Auch hier folgt das Insolvenzgericht dem einstimmigen Votum des Gläubigerausschusses (§ 56a Abs. 2 InsO).

Die weiteren Maßnahmen werden sodann in Abstimmung mit dem vorläufigen Gläubi- 95 gerausschuss und dem vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. dem vorläufigen Sachwalter getroffen, wobei es im Regelverfahren insbesondere um die Frage geht, mit welchen Kompetenzen der vorläufige Insolvenzverwalter auszustatten ist. Die Anordnung eines Verwertungsstopps (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO) erfolgt im Regelfall 96 nicht prophylaktisch, sondern nur dann, wenn tatsächlich ein Eingriff von aus- oder absonderungsberechtigten Gläubigern auf bestimmte Wirtschaftsgüter, die zur Fortführung eines Geschäftsbetriebes benötigt werden, gegeben ist. Bei einem noch laufenden Geschäftsbetrieb können sich möglicherweise Situationen erge- 97 ben, die zur sofortigen Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters führen, wenn unvertretbare und nicht aufschiebbare Maßnahmen innerhalb weniger Stunden zu treffen sind. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn ein wichtiger Auftrag noch am gleichen Tag angenommen werden muss oder sonstige Termingeschäfte zu tätigen sind, in denen die Ent-

___________ 60) Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 7.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

scheidung eines vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Zustimmung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters benötigt werden.61) 2.2.4 Rechtsbehelfe 98 Nur der Schuldner hat die Möglichkeit, gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen sofortige Beschwerde einzulegen.62) 99 Die vom Insolvenzgericht getroffenen Beschlüsse werden mit der im Beschluss angegebenen Uhrzeit wirksam. Ist eine Uhrzeit nicht angegeben, trifft die Wirksamkeit zur Mittagsstunde des Tages ein, an dem der Beschluss erlassen wurde. Auf den Zeitpunkt der Zustellung beim Schuldner kommt es hingegen nicht an. Erlassen ist der Beschluss, wenn er vom Richter unterzeichnet ist und den sog. inneren Geschäftsgang des Gerichtes verlassen hat. Dazu reicht auch eine bspw. telefonische Unterrichtung des vorläufigen Verwalters über Art und Umfang der getroffenen Anordnungen aus.63) 100 Nur gegen angeordnete vorläufige Maßnahmen steht dem Schuldner das Recht zur sofortigen Beschwerde zu. Unzulässig ist die sofortige Beschwerde, wenn diese sich lediglich gegen die Person des vom Gericht bestellten vorläufigen Verwalters oder gegen bestimmte Mitglieder des Gläubigerausschusses richtet.64) 2.3

Rechtsfolgen der gerichtlichen Anordnungen

2.3.1 Gesetzliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO) 101 Wird dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot als vorläufige Maßnahme auferlegt, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zu entziehen, setzt daher zwangsläufig die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters voraus.65) 102 Mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist eine gesetzliche Aufgaben- und Kompetenzzuweisung zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters verbunden. Welche Aufgaben dieser zu erfüllen hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO). Aufgrund der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes erlangt der Insolvenzverwalter im Außenverhältnis die gleiche rechtliche Stellung wie der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren.66) 103 Im Innenverhältnis kann der vorläufige Insolvenzverwalter aber nur die Maßnahmen treffen, die mit dem Sicherungszweck der vorläufigen Insolvenzverwaltung vereinbar sind und – wie z. B. eine Verwertung – keine vollendeten Tatsachen schaffen.

___________ 61) Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 33. 62) BGH, Beschl. v. 17.1.2008 – IX ZB 41/07, ZIP 2008, 476 ff. = ZInsO 2008, 268 ff. 63) BGH, Urt. v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 = ZInsO 2004, 387; OLG Celle, Beschl. v. 2.3.2000 – 2 W 15/00, ZIP 2000, 673. 64) Jaeger-Gerhardt, InsO, § 21 Rz. 106; LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992 = NZI 2013, 559. 65) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 22. 66) BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, ZIP 2007, 438 ff. = ZInsO 2007, 267 ff.; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 19.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 2.3.1.1

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Sicherung des Vermögens

Die gesetzliche Kompetenzzuweisung umfasst zunächst die Aufgabe, das Vermögen des 104 Schuldners zu sichern und zu erhalten. Dies geschieht durch Inbesitznahme analog zu § 148 Abs. 1 InsO.67) Im Zuge der Erhaltungs- und Sicherungspflicht kann der vorläufige Insolvenzverwalter alle Maßnahmen ergreifen, die im Ergebnis dazu führen, die zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände vor widerrechtlichen Eingriffen Dritter sowie Verschlechterung und Untergang zu schützen und per Saldo im Wert zu erhalten, was im Einzelfall einen Aktivtausch oder auch eine Freigabe einzelner Gegenstände nicht ausschließt.68) Verwertungsmaßnahmen im insolvenzrechtlichen Sinne werden von der Aufgabe, das 105 Vermögen zu sichern und zu erhalten nicht gedeckt. Denn diese Aufgabe obliegt dem Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren (§§ 159 ff. InsO).69) Dies hindert den vorläufigen Insolvenzverwalter jedoch nicht, Verwertungsmaßnahmen i. R. einer Betriebsfortführung vorzunehmen. Jede Fortführung ist zwangsläufig mit der Vermarktung hergestellter Produkte oder auch der Verarbeitung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der Einziehung von Forderungen verbunden. Hieran ist der vorläufige Insolvenzverwalter im Interesse einer profitablen Betriebsfortführung nicht gehindert.70) Die Sicherungs- und Erhaltungspflicht erstreckt sich auch auf Gegenstände, die sich im 106 Ausland befinden. Dies ergibt sich aus § 18 Abs. 1 EuInsVO.71) 2.3.1.2

Fortführungspflicht

Kraft gesetzlicher Kompetenzzuweisung ist der vorläufige Insolvenzverwalter verpflich- 107 tet, das Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Dies gilt nicht, wenn der Geschäftsbetrieb bereits bei Antragstellung oder unmittelbar danach stillgelegt wird oder von selbst zum Erliegen kommt.72) Im Hinblick auf die gesetzliche Aufgabenzuweisung ist der vorläufige Insolvenzverwalter 108 unmittelbar nach Anordnung dieser Maßnahme haftungsrechtlich geschützt, falls sich aus dieser Pflichtaufgabe ein Vermögensverzehr ergibt oder die mit der Fortführung verbundenen Verpflichtungen bei Fälligkeit nicht erfüllt werden können. Allerdings gilt dies nur so lange, wie ein pflichtgemäß handelnder vorläufiger Insolvenzverwalter benötigt, um auf der Basis sorgfältig erstellter Planrechnungen (Ertragsplanung und Liquiditätsplanung) festzustellen, dass die Fortführung zu einer erheblichen Verminderung des Vermögens führt. In diesem Fall hat der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter unverzüglich einen Antrag an das Insolvenzgericht auf Zustimmung zur Stilllegung zu stellen (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO).73) Aufgrund gesetzlicher Kompetenzzuweisung wird der vorläufige Insolvenzverwalter, der 109 mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet ist, zum – zeitlichen befristeten – ___________ 67) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 19; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 32 ff. 68) Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 35; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 10; Nerlich/RömermannMönning, InsO, § 22 Rz. 36; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 35. 69) BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 = ZIP 2001, 296. 70) BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165 ff. = ZIP 2001, 296; BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, BGHZ 154, 72 ff. = ZIP 2003, 632; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 13 ff.; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 39; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 38. 71) Geroldinger, Verfahrenskoordination im europäischen Insolvenzrecht, S. 93 ff. 72) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 57. 73) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 188.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Unternehmer, der insoweit in die Rechtstellung des Schuldners, bspw. als Arbeitgeber, einrückt. Die Fortführung des Unternehmens wird daher in erster Linie zu einer organisatorischen, betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Aufgabe, die der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter zwangsweise zu erfüllen hat. Zwar kann und darf sich der vorläufige Insolvenzverwalter zur Erfüllung seiner Aufgaben beraten und bspw. durch ein externes Controlling unterstützen lassen, doch ist und bleibt die Fortführungspflicht eine höchstpersönlich zu erfüllende Aufgabe, so dass bspw. deren Übertragung an Dritte im Wege des Abschlusses eines Geschäftsbesorgungsvertrages unzulässig ist.74) 110 Die Pflicht zur Betriebsfortführung und die in diesem Zusammenhang eingeräumten Kompetenzen umfassen nicht das Recht, den Betrieb im Eröffnungsverfahren stillzulegen. Dies gilt auch für Teilstilllegungen, was jedoch im Einzelfall nicht ausschließt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ohne gerichtliche Zustimmung unselbstständige organisatorische Einheiten wie Betriebsabteilungen oder auch einzelne Filialen schließt.75) 111 Droht die Unternehmensfortführung aus dem Ruder zu laufen, muss der vorläufige Insolvenzverwalter entscheiden, ob er einen Antrag auf Zustimmung zur Betriebsstilllegung durch das Insolvenzgericht stellt. Dieser Antrag ist nachvollziehbar zu begründen, indem der vorläufige Insolvenzverwalter auf der Basis sorgfältig erstellter Planrechnungen darlegt, dass die weitere Fortführung des Unternehmens zu einer erheblichen Verminderung des Vermögens führt. Dabei kommt es auf einen Vermögensvergleich zwischen dem Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Verwaltung und dem dann noch fiktiven Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung an.76) Aus dieser Berechnung muss die Prognose abgeleitet werden, dass die Vermögensbeeinträchtigung in der Form einer erheblichen Vermögensminderung mindestens 25 % beträgt.77) 112 Hat der vorläufige Insolvenzverwalter einen Antrag auf Zustimmung zur Stilllegung gestellt, ist es Sache des Insolvenzgerichtes, den Antrag kurzfristig zu prüfen, um einen weiteren Vermögensverzehr sowie das Risiko nicht gedeckter Fortführungsverbindlichkeiten zu vermeiden. So lange das Gericht die Zustimmung nicht erteilt, darf der vorläufige Insolvenzverwalter keine Maßnahmen zur Stilllegung des Geschäftsbetriebes treffen. 113 Anders verhält es sich, wenn das Insolvenzgericht bereits bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes im Einzelnen bestimmt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Zustimmung in der Form der Einwilligung zur Betriebsstilllegung erteilt wird.78) Dann liegt die Durchführung der Stilllegung im pflichtgemäßen Ermessen des vorläufigen Insolvenzverwalters. 2.3.1.3

Prüfungspflicht

114 Als weitere gesetzliche Pflichtaufgabe hat der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens deckt. Weitergehend kann der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beauftragt werden, die Eröffnungsgründe und die Fortführungsaussichten zu prüfen.79) In die___________ Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 16a. Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 153; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 20. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 26. So auch Jaeger-Gerhardt § 22 Rz. 84; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 62; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 114; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 26; Nerlich/RömermannMönning, InsO, § 22 Rz. 176; einen Vermögensverzehr von 10 % für erheblich halten Kirchhof in: HKInsO, § 22 Rz. 22; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 58. 78) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 179. 79) So auch Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 61; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 198. 74) 75) 76) 77)

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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sem Fall hat das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter jedoch einen zusätzlichen Gutachtenauftrag zu erteilen, da sich die gesetzliche Pflichtaufgabe des vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalters lediglich auf die Prüfung der Verfahrenskostendeckung bezieht. 2.3.2 Richterliche Kompetenzzuweisung bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) Belässt es das Insolvenzgericht dabei, an Stelle eines umfassenden allgemeinen Verfügungs- 115 verbotes lediglich die Anordnung zu treffen, dass der Schuldner unter Aufsicht des vorläufigen Insolvenzverwalters gestellt wird, so dass Verfügungen nur mit dessen Zustimmung wirksam sind, dann bestimmt das Gericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters, die allerdings nicht über die Pflichten hinausgehen, die den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter nach dem Gesetz auferlegt sind (§ 22 Abs. 2 InsO). Entgegen den ursprünglichen Erwartungen im Gesetzgebungsverfahren war bislang die 116 Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt die übliche Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren. Entscheidender Impuls hierfür war, dass durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter Umsatzsteuerschulden nicht als Masseverbindlichkeiten begründet werden konnten. Dies ist unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr durch das HBeglG 2011 vom 9.12.201080) durch Einführung des § 55 Abs. 4 InsO geändert worden. Hierfür waren rein fiskalische Gründe maßgebend.81) Damit ist ein wesentlicher Anreiz für die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvor- 117 behaltes, also der „schwachen“ Variante der vorläufigen Insolvenzverwaltung entfallen, die anders als die „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung wesentlich komplizierter zu handhaben ist, da sie keine eindeutige gesetzliche Kompetenzzuweisung enthält. Damit werden vor allem Betriebsfortführungen erschwert, da die Rechte und Pflichten eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters im Einzelfall vom Insolvenzgericht bestimmt werden müssen. Belastend für Betriebsfortführungen wirkt sich der Umstand aus, dass der „schwache“ 118 vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten begründet. Dies führt dazu, dass der Bezug von Leistungen und Waren bei einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren unter den Bedingungen einer „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung intransparent ist und nur auf der Grundlage von schwierigen und für den rechtlichen Laien kaum nachvollziehbaren Konstruktionen geregelt werden kann.82) Hinzu kommt, dass der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit 119 einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren keine eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten entfalten kann, da beim allgemeinen Zustimmungsvorbehalt die Initiative weiterhin ausschließlich beim Schuldner liegt. Dieser führt die Geschäfte und verantwortet alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung organisatorisch, betriebswirtschaftlich und kaufmännisch anfallen. Handelt es sich dabei um Rechtshandlungen oder um rechtsgeschäftliche Verfügungen, hängt die Wirksamkeit der vom Schuldner verfügten Maßnahmen von der Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters ab. Diese Form der Aufgabenteilung ist für die an einer Betriebsfortführung beteiligten Lieferanten, Kunden, Vertragspartner und Arbeitnehmer nur schwer durchschaubar. Da die unter Mitwirkung des „schwachen“ vorläufigen Verwalters vom Schuldner einge___________ 80) Haushaltsbegleitgesetz 2011, BGBl. I, 1885. 81) Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808. 82) BGH, Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 233/09, ZInsO 2011, 388; BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, ZIP 2009, 1477 = ZInsO 2009, 1102.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

gangen Verpflichtungen lediglich Insolvenzforderungen begründen, ist eine Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes im Eröffnungsverfahren bei „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung nur möglich, wenn anfechtungsfreie Bargeschäfte getätigt werden oder der vorläufige Insolvenzverwalter eigene Garantieerklärungen abgibt oder schwierige Umgehungskonstruktionen wie das Treuhandkontenmodell dazu führen, i. R. einer doppelten Treuhand ein Sondervermögen zu schaffen, das dazu dient, eingegangene Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Bezug von Waren und Dienstleistungen zu erfüllen.83) 120 Trotz aller Schwierigkeiten hat die Aussicht, im Eröffnungsverfahren entstehende Umsatzsteuerverbindlichkeiten lediglich als Insolvenzforderungen zu begründen, eine verpflichtende Betriebsfortführung zu vermeiden und Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis nicht als Masseverbindlichkeiten erfüllen zu müssen (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO) dazu geführt, dass die Anordnung des allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes, also die „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung, zur Regel geworden ist. 121 Eine Änderung ist erst mit Einführung des ESUG eingetreten, da die Zahl der Eigenverwaltung und damit verbunden, die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren deutlich zugenommen hat84) und durch die vorherige Einführung des § 55 Abs. 4 InsO ein wesentlicher Grund für die „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung entfallen ist. 2.3.3 Einzelermächtigungen durch richterliche Anordnung 2.3.3.1

Vorläufige Insolvenzverwaltung

122 Die regelmäßige Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes auch in den Eröffnungsverfahren, in denen der Geschäftsbetrieb des Schuldners fortgeführt wird, bewirkt zwangsläufig, dass im Wege der richterlichen Kompetenzzuweisung der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt werden muss, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Diesem Zweck dient die Einzelermächtigung die es dem „schwachen“ Verwalter ermöglicht, einzelne im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Masse einzugehen.85) Soweit teilweise ohne derartige Ermächtigungen Zahlungen als sog. Bargeschäfte mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren vorgenommen werden, ist dies rechtlich unzulässig, wenig praktikabel und überaus riskant. Denn auch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann der Schuldner im Eröffnungsverfahren nur Insolvenzforderungen begründen.86) Deshalb kann und darf der vorläufige Insolvenzverwalter nicht rechtswirksam seine Zustimmung zu Zahlungen erteilen, da hierdurch der Sicherungszweck der Verfügungsbeschränkung unterlaufen würde. Eine derart erteilte Zustimmung wäre insolvenzzweckwidrig.87) Bei größeren Insolvenzverfahren ist es auch rein praktisch nicht möglich, alle im Eröffnungsverfahren ausgelösten Verpflichtungen vor Verfahrenseröffnung zu regulieren. Zahlungen auf im Eröffnungsverfahren begründete Insolvenzforderungen, die erst nach Verfahrenseröffnung aus Mitteln geleistet werden, die haftungsrechtlich den Gläubigern zugeordnet sind, sind in jedem Fall unzulässig. 123 Belastend für Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren wirkt dabei die Tatsache, dass die Art und Weise, wie die Einzelermächtigung im Einzelfall gehandhabt wird, von ___________ 83) Dazu i. E. Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 217 ff.; Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185 ff. 84) Haarmeyer/Buchalik/Haase, ZInsO 2013, 26 ff. 85) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625; Kirchhof, ZInsO 2004, 57 ff.; Laroche, NZI 2010, 965; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 225; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 90 ff. 86) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625 = ZInsO 2002, 819. 87) Nerlich/Römermann-Mönning/Zimmermann, InsO, § 24 Rz. 22.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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Insolvenzgericht zu Insolvenzgericht differiert. Von pauschalen Ermächtigungen, die es dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter ermöglichen, betriebsnotwendige Fortführungsverbindlichkeiten zu Lasten der Masse einzugehen bis hin zur detaillierten Aufstellung einzelner Verbindlichkeiten, die der vorläufige Insolvenzverwalter glaubt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums ab dem Antrag auf Erteilung einer entsprechenden Ermächtigung eingehen zu müssen, reicht die Spannweite. Je detaillierter die Aufstellung erstellt werden muss, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese fortlaufend ergänzt, berichtigt und abgeändert werden muss. Denn kein Unternehmer ist in der Lage, bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma im Voraus angeben zu können, welche Verpflichtungen im Zuge des laufenden Geschäftsbetriebes für einen bestimmten zukünftigen Zeitraum begründet werden müssen. Die Einzelermächtigungen sind daher mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren verbunden und erfordern eine taggenaue Liquiditätsplanung, da regelmäßig auch der Nachweis verlangt wird, dass die Verpflichtungen, die der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter auf Basis einer entsprechenden Ermächtigung einzugehen gedenkt, bei Fälligkeit aus verfügbaren Mitteln erfüllt werden können.88) 2.3.3.2

Vorläufige Eigenverwaltung

Besonders problematisch stellt sich die Ermächtigung zur Begründung von Massever- 124 bindlichkeiten beim Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung dar. Während die Eigenverwaltung im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO) die ausdrückliche gesetzliche Regelung enthält, dass auf Antrag des Schuldners das Gericht anordnet, dass dieser Masseverbindlichkeiten begründet (§ 270b Abs. 3 InsO) fehlt eine entsprechende Regelung in § 270a InsO. Die Praxis behilft sich auch hier damit, den Schuldner in entsprechender Anwendung von 125 §§ 21, 22 InsO und unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von § 270b Abs. 3 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen. Ohne eine derartige Ermächtigung würde eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO ausscheiden.89) Für alle Fälle einer Betriebsfortführung im Regelverfahren bei lediglich bei „schwacher“ vor- 126 läufiger Insolvenzverwaltung oder in Eigenverwaltung unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters ist es daher zwingend erforderlich, mit dem im Einzelfall zuständigen Insolvenzgericht im Voraus abzustimmen, ob und in welcher Form Einzelermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt werden.90) 2.3.4 Auswirkung des Vollstreckungsverbotes Der Erlass des allgemeinen Vollstreckungsverbotes ist zur Absicherung einer Betriebsfort- 127 führung im Eröffnungsverfahren zwingend. Aus diesem Grund wird die vorläufige Maßnahme gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO in allen Fällen einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ausnahmslos erlassen. Sie führt zur sofortigen Einstellung bereits eingeleiteter Zwangsvollstreckungen und untersagt Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für ___________ 88) Vgl. dazu auch die Hamburger Leitlinien zum Insolvenzeröffnungsverfahren, ZInsO 2004, 24. 89) Undritz, BB 2012, 1551; so auch AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = ZInsO 2012, 790; anders AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, das im Unterschied zum AG Köln die Ermächtigung zugunsten des vorläufigen Sachwalters erteilt; gegen eine Einzelermächtigung AG Fulda mit Anm. Oppermann/Smid ZInsO 2012, 862 ff. 90) BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 m. Anm. Pleister/Tholen lässt offen, ob in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt werden kann; so auch Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1767, die Korrekturen durch den Gesetzgeber für verfrüht hält.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

die Zukunft. Im Falle eines Verfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung wird das Vollstreckungsverbot allerdings nur angeordnet, wenn der Schuldner dies beantragt (§ 270b Abs. 3 InsO). Der Antrag gilt als obligatorisch. 128 Eine entsprechende Ermächtigung fehlt im Verfahren nach § 270a InsO. Die Brücke kann nur in entsprechender Anwendung der §§ 21, 22 InsO oder mit dem „Erst-recht“Argument, abgeleitet aus der in § 270b Abs. 2 InsO enthaltenen Regelung, wonach das Gericht vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 u. 2 Nr. 1a, 3 – 5 InsO anordnen kann.91) 2.3.5 Folgen der Postkontrolle im Eröffnungsverfahren 129 Die vorläufige Postsperre in der Form einer Postkontrolle im Eröffnungsverfahren ist nur denkbar, wenn die Betriebsfortführung ohne Mitwirkung des Schuldners oder der Organe einer juristischen Person als Schuldnerin durchgeführt wird. Dies kann der Fall sein, wenn zum Zwecke einer übertragenden Sanierung oder zur Durchführung einer Auslaufproduktion die Fortführung auch gegen den Willen des Schuldners organisiert wird oder der Schuldner nicht in der Lage ist, eine Betriebsfortführung zu begleiten. Letzteres ist möglich, wenn der Schuldner aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen vorläufig festgenommen oder verhaftet wurde oder sich dem Insolvenzverfahren durch Flucht entzieht, aber gleichwohl die Voraussetzungen für eine Betriebsfortführung vorliegen oder diese aufgrund einer gesetzlichen Kompetenzzuweisung im Falle der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots verpflichtend ist. Auch in der milden Form einer Postkontrolle führt diese dazu, dass zu Lasten des Schuldners das Grundrecht der Postfreiheit, also das Briefgeheimnis, eingeschränkt wird. Der vorläufige Insolvenzverwalter liest in diesen Fällen mit. 130 In allen Fällen, in denen der Schuldner kompetent und bereitwillig i. R. einer Betriebsfortführung mitwirkt oder diese als zwingende Voraussetzung für Reorganisation und Sanierung betreibt, ist die Anordnung der Postsperre bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen. Dies gilt erst recht, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung beantragt hat. 131 In diesen Fällen verträgt sich eine vorläufige Postsperre nicht mit einem Verfahren in Eigenverwaltung, sofern der Schuldner dies nicht selbst angeregt hat. Schuldner, die durch ihr Verhalten Anlass zu Misstrauen und Verdächtigungen geben, sind nicht geeignet, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchzuführen. 2.3.6 Verwertungsstopp und Nutzung von Gegenständen mit Aus- und Absonderungsrechten 132 Die in § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO geregelte vorläufige Maßnahme hat zu einer erheblichen Beruhigung geführt und damit zur geordneten Durchführung von Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren beigetragen.92) Die Regelung begründet einen Zwang zur Verständigung zwischen vorläufigem Insolvenzverwalter und aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern. Denn einerseits können Sonderrechtsgläubiger notfalls gerichtlich gehindert werden, Herausgabeansprüche oder Verwertungsrechte durchzusetzen und müssen nunmehr die Nutzung der mit Sonderrechten belasteten Vermögensgegenstände dulden, wenn diese für eine Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung sind. 133 Andererseits führen die Anordnung eines Verwertungsstopps sowie die damit verbundene Nutzungsbefugnis zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht dazu, dass diesem ohne weiteres auch die Verarbeitung, Veräußerung und Verwertung dieser Vermögens___________ 91) Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270a Rz. 16. 92) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 263.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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gegenstände erlaubt sind. Dazu sind – wie bisher – Einzelabsprachen zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und den Sonderrechtsgläubigern erforderlich. Dies gilt insbesondere auch für die Verfügung über eingezogene Forderungen, die zur Sicherung abgetreten sind. Hierüber kann der vorläufige Insolvenzverwalter nur verfügen, wenn dazu eine gesonderte Vereinbarung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger getroffen wird.93) Ergänzend ist eine Verständigung über die vom Gesetz vorgesehenen Kompensationen 134 erforderlich. Namentlich in Betracht kommt eine Ausgleichszahlung im Falle eines durch die Nutzung entstehenden Wertverlustes oder die Zahlung der vertraglich vereinbarten Gegenleistung bei fortgesetzter Nutzung bspw. von Leasinggegenständen. Die zur Konfliktvermeidung beitragende Regelung wirkt aber nur für bewegliche Sachen, 135 die der Schuldner in Besitz hat. Bei Immobilien ist der vorläufige Insolvenzverwalter auf die Rechte aus § 30 d Abs. 4 ZVG beschränkt, die lediglich zur einstweiligen Einstellung der Immobiliarzwangsvollstreckung durch Anordnung des Vollstreckungsgerichtes führt, wozu jedoch der Nachweis erforderlich ist, dass die Vollstreckung zu nachteiligen Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners führt.94) Verwertungsstopps mit Nutzungsbefugnissen können auch i. R. der Eigenverwaltung 136 angeordnet werden.95) Ausdrücklich geregelt ist dies in § 270b InsO, dem Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung in Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 2 InsO). Eine entsprechende Ermächtigung fehlt im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach § 270a InsO. Wie bereits im Falle des Vollstreckungsverbotes und der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten lässt sich eine Befugnis zur Anordnung entsprechender Maßnahmen nur im Wege der Analogie herleiten. 2.3.7 Einbeziehung des vorläufigen Gläubigerausschusses Die Einbeziehung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren ist eine 137 durch das ESUG eingeführte Neuerung. Der vorläufige Gläubigerausschuss muss entweder verpflichtend bei Erfüllung der in § 22a InsO aufgeführten Schwellenwerte oder auf Antrag eines Antragsberechtigten eingesetzt werden. Der vorläufige Gläubigerausschuss dient der Sicherung der Gläubigerbeteiligung im Er- 138 öffnungsverfahren insbesondere im Zusammenhang mit einer der wichtigsten verfahrensleitenden Entscheidung, der Verwalterbestellung (§ 56a InsO). Darüber hinaus kann der vorläufige Gläubigerausschuss festlegen, dass dem Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung gefolgt wird. Ein einstimmiger Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses führt zwingend zu der Annahme, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht als nachteilig für die Gläubiger gelten kann (§ 270 Abs. 3 InsO). Im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO) kann der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung der vom Gericht im Zusammenhang mit dem Sanierungsversuch erlassenen Anordnungen beantragen. Unabhängig davon hat der vorläufige Gläubigerausschuss die in § 69 InsO geregelten 139 Aufgaben zu erfüllen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO). Mit seiner Einsetzung und der Bestellung seiner Mitglieder obliegen dem vorläufigen Gläubigerausschuss damit Kontroll- und Mitwirkungsrechte, insbesondere die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO. Daneben hat der vorläufige Gläubigerausschuss die Arbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters oder auch vorläufigen Sachwalters zu unterstützen. ___________ 93) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = ZInsO 2010, 714. 94) Kirchhof, ZInsO 2007, 227. 95) Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270a Rz. 16.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Dies gilt in Zusammenhang mit der Pflicht, den Geldverkehr und Geldbestand entweder selbst zu prüfen oder extern prüfen zu lassen auch für die Rentabilität und die ordnungsgemäße Abwicklung einer Betriebsfortführung. Will der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichtes einen bis dahin fortgeführten Geschäftsbetrieb einstellen, so hat das Insolvenzgericht den Gläubigerausschuss anzuhören.96) 140 Im Falle der Betriebsfortführung kommt es insbesondere in den Verfahren, in denen Pflichtausschüsse bestellt werden müssen, darauf an, dass der vorläufige Gläubigerausschuss die Kriterien festlegt, die an die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters zu stellen sind (§ 56a Abs. 1 InsO). Ohne sich auf eine bestimmte Person festlegen zu müssen, kann der vorläufige Gläubigerausschuss die Anforderungen benennen, die das konkrete Verfahren an den Insolvenzverwalter stellt. Bei grenzüberschreitenden Fortführungen können dies besondere Sprachkenntnisse sein und generell im Zusammenhang mit Betriebsfortführungen Branchenkenntnisse sowie bekannte oder nachgewiesene betriebswirtschaftliche und/oder kaufmännische Fähigkeiten. 141 Abzuwarten bleibt, wie sich die dem Gläubigerausschuss eingeräumte Kompetenz zur Wahl eines bestimmten Insolvenzverwalters auswirkt. Allgemein befürchtet werden nachteilige Einflüsse auf die Unabhängigkeit der Verwalter, die in Zukunft gezwungen sein können, Wohlverhalten gegenüber Großgläubigern zu üben, die immer wieder an Insolvenzverfahren beteiligt sind und damit als Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen.97) 2.3.8 Auswirkung auf grenzüberschreitende Verfahren 142 Art. 38 EuInsVO schreibt vor, dass der vorläufige Insolvenzverwalter, der von einem Mitgliedsstaat der EU zur Sicherung des Schuldnervermögens bestellt wird, zu dessen Sicherung und Erhaltung jede Maßnahme beantragen kann, die nach dem Recht des Staates, in dem sich Schuldnervermögen befindet, vorgesehen ist. Das Antragsrecht des vorläufigen (Haupt-) Insolvenzverwalters wird nicht nur auf Mitgliedstaaten beschränkt, in denen der Schuldner eine Niederlassung hat. Vielmehr erstreckt sich die Befugnis zur Verhängung eines Vermögensbeschlages auf jede Form von Vermögen, das sich in einem Mitgliedstaat der EU befindet und nach dem Universalprinzip zur inländischen Insolvenzmasse gehört.98) 143 Der vorläufige Insolvenzverwalter leitet dabei seine Kompetenzen nicht aus Art. 18 EuInsVO ab, wobei allerdings in den einzelnen Mitgliedstaaten der vorläufige Insolvenzverwalter (provisional liquidator) teilweise in den jeweiligen nationalen Rechten unterschiedlich eingeordnet wird und damit unterschiedliche Rechtsstellungen hat.99) Dies hat unmittelbar Auswirkung auf die Einbeziehung ausländischer Niederlassungen und im Ausland befindlicher Vermögensgegenstände in eine inländische Betriebsfortführung, deren Abläufe sich damit unmittelbar grenzüberschreitend auswirken und entweder dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder auch dem sich selbstverwaltenden Schuldner die Möglichkeit einräumen, in anderen europäischen Mitgliedsstaaten Rechtshandlungen für und gegen die Insolvenzmasse vorzunehmen. Denn auch im Falle der Eigenverwaltung ist von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit der EuInsVO auszugehen (Art. 5 ff. EuInsVO).100) ___________ 96) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 137. 97) Niering, zit. nach www.insolvenz-portal.de/nachrichten/insolvenzverwalter/5633 v. 26.10.2012 (Abrufdatum: 8.7.2013); Flöther, ZIP 2012, 1833 ff. 98) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 38 EuInsVO Rz. 3. 99) Geroldinger, Verfahrenskoordination im europäischen Insolvenzrecht, S. 86 ff. 100) Dreschers in: Kübler, HRI, § 20 Rz. 49, 50, 51.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 2.4

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Die Bedeutung der gerichtlichen Anordnungen für Betriebsfortführung und Verfahrensziele

2.4.1 Bindung des Gerichts an die mit der Antragstellung verfolgten Ziele Mit dem ESUG, das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, verfolgt der Gesetzgeber die Stärkung 144 der bereits in § 1 InsO als Insolvenzziel vorgegebene Sanierung, insbesondere in der Form einer Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers durch Beseitigung der Insolvenzgründe. Eine Sanierung ohne Betriebsfortführung ist nicht denkbar, unabhängig ob die Erhaltung des Unternehmensträgers beabsichtigt oder die Übertragung des Geschäftsbetriebes auf einen neuen Rechtsträger im Wege der sog. übertragenden Sanierung verfolgt wird. Eine Betriebsfortführung unter Krisenbedingungen verlangt klare Strukturen, Planungssi- 145 cherheit und eine eindeutige Zuweisung von Kompetenzen. Bislang war die Fortführung des Geschäftsbetriebes im Eröffnungsverfahren nur dann eine 146 Pflichtaufgabe, wenn das Insolvenzgericht als Sicherungsmaßnahme ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet hatte. In allen anderen Fällen stand es allein im pflichtgemäßen Ermessen des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, einer Fortführung des Geschäftsbetriebes durch den Schuldner bzw. die Organe des schuldnerischen Unternehmens zuzustimmen. Dies wiederum war häufig von der Person des vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig.101) Damit fehlte die für die Krisenbewältigung notwendige Planungssicherheit, da bis zur 147 Entscheidung des Insolvenzgerichtes über Art und Umfang der angeordneten Sicherungsmaßnahmen sowie die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht klar war, ob ein vor Antragstellung ausgearbeitetes Sanierungskonzept von den verantwortlichen Organen (Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter) mitgetragen und damit umgesetzt werden würde. Eine Gläubigerbeteiligung fand im bisherigen Eröffnungsverfahren nicht statt, eine vom 148 Schuldner verfolgte Eigenverwaltung entfaltete im bisherigen Eröffnungsverfahren keine Wirkung.102) Denn bisher war das Gericht auch bei einem Antrag auf Eigenverwaltung nicht gehindert, im Eröffnungsverfahren Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, wobei dem Insolvenzgericht dazu ohne jede Einschränkung der gesamte Kanon der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 – 5 InsO (a. F.) aufgeführten Maßnahmen zur Verfügung stand. Das Gericht konnte insbesondere einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und diesen unabhängig von dem Antrag auf Eigenverwaltung – mit weitreichenden Befugnissen vom allgemeinen Zustimmungsvorbehalt bis zur Übernahme der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausstatten.103) Ein wesentliches Ziel des ESUG ist die Herstellung von Planungssicherheit. Damit 149 stellt sich unmittelbar die Frage, ob und in welcher Form das Insolvenzgericht bei seinen Entscheidungen an die vom Antragsteller verfolgten Ziele gebunden ist. Tatsächlich ist durch die Einführung des ESUG der antragstellende Schuldner, der einen Eigenantrag einreicht, gestärkt worden. Mehr noch gilt diese Feststellung für die Berater, die der Schuldner im Vorfeld seines Insolvenzantrags hinzuzieht. Denn diese haben jetzt die Möglichkeit, die Akteure eines Insolvenzverfahrens auszuwählen und eine umfassende Abstimmung mit den wichtigsten Gläubigern in Bezug auf die Besetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vorzunehmen, der dann wiederum berechtigt ist, Festlegungen in Bezug auf die Anforderungen an die Person eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu treffen oder ___________ 101) Vgl. dazu auch Mönning in: FS Görg, S. 291, 299 ff. 102) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff. 103) BGH, Beschl. v. 15.1.2004 – IX ZB 188/03, ZInsO 2004, 201; LG Bonn, Beschl. v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, ZIP 2003, 1412 = NZI 2003, 653; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270a Rz. 2; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 644.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

gar einstimmig eine bestimmte Person vorzuschlagen. Gleiches gilt in Bezug auf die Verfahrensart. Auch hier wiederum trifft der vorläufige Gläubigerausschuss die Entscheidung, mit einem einstimmigen Beschluss einen Antrag auf Eigenverwaltung zu unterstützen, so dass das Insolvenzgericht an diesen Antrag gebunden ist (§ 270 Abs. 3 InsO). 150 Liegen die Voraussetzungen für eine Sanierung vor und hat der antragstellende Schuldner die Eigenverwaltung beantragt und durch die Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation belegt, dass das von ihm verfolgte Sanierungskonzept erfüllbar ist, erfolgt sogar eine weitergehende Bindung des Insolvenzgerichts in Bezug auf die Person des dann zu bestellenden vorläufigen Sachwalters. Liegen die Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO vor, ist das Gericht nach Absatz 2 gehalten, den vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, sofern dieser nicht ausnahmsweise für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. 151 Die grundsätzlich gewollte Bindung des Insolvenzgerichtes an Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses oder auch des antragstellenden Schuldners hindert das Insolvenzgericht jedoch nicht, unter bestimmten Bedingungen von diesen Vorschlägen abzuweichen. Das Insolvenzgericht ist weder an die Vorschläge zur Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gebunden noch an dessen Entscheidungen zur Eigenverwaltung und zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters. Will das Insolvenzgericht abweichen, entsteht lediglich ein Zwang, die den Vorschlägen nicht entsprechende Entscheidung zu begründen. Dies gilt auch für die Ablehnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 4, § 270b Abs. 2, § 270 Abs. 5 InsO). Dabei hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, abweichende Entscheidungen des Insolvenzgerichtes der Überprüfung durch den Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde zu unterwerfen, um die Akzeptanz der Richterschaft für das ESUG zu erhöhen. Möglich ist allenfalls eine Dienstaufsichtsbeschwerde (formlos, fristlos und meist fruchtlos). 152 Im Ergebnis hängt die Bindung des Insolvenzgerichtes an die im Insolvenzantrag dargelegten Ziele, die von Gläubigern und/oder Schuldner unterbreiteten Personalvorschläge oder an die Beschlüsse eines vorläufigen Gläubigerausschusses, daher von der Person des Richters ab, der die Entscheidung trifft. Die Neugestaltung des Auswahlverfahrens, die Beachtung der Gläubigerbeteiligung und der offene und faire Umgang mit Personalvorschlägen stellt das Insolvenzgericht vor neue Herausforderungen und Anforderungen. Die Insolvenzrichter verlieren – anders als viele im Zusammenhang mit der Einführung des ESUG befürchtet haben – nicht an Kompetenz oder Bedeutung, sondern sie erlangen im Gegenteil die Verantwortung für die Umsetzung des gesetzgeberischen Willens einer frühzeitigen Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren und an die Schaffung von Planungssicherheit durch Respektierung der mit dem Antrag verfolgten Ziele, insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes sowie die hierzu ausgesuchten Personen, die entweder zu Mitgliedern eines vorläufigen Gläubigerausschusses oder als vorläufiger Insolvenzverwalter oder vorläufiger Sachwalter bestellt werden sollen.104) 153 Ganz entscheidend wird nunmehr die frühzeitige, aber auch offene Zusammenarbeit zwischen dem antragstellenden Schuldner, seinen Beratern und dem Insolvenzgericht. Nur die Einbeziehung des Insolvenzgerichtes in die mit der Antragstellung verfolgten Absichten und die frühzeitige Abstimmung der Personalvorschläge sichert den Erfolg. Dabei ist ___________ 104) Dazu auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 111; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 24; Smid, ZInsO 2013, 209; s. aber die Klagen über „ESUG-unwillige“ Insolvenzgerichte bei Haarmeyer, ZInsO 2012, 1204; Hunkemöller, DAT-Report 7/2012, S. 24; Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930.

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erkennbar, dass die Gerichte seit Einführung des ESUG deutlich gesprächsbereiter sind und auch bereit sind, sich aktiv in die Entscheidungsprozesse einzubinden.105) 2.4.2 „Starker“ oder „schwacher“ vorläufiger Verwalter Bei der Ausstattung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Kompetenzen, handelt das 154 Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Diesbezüglich können weder Antragsteller noch der vorläufige Gläubigerausschuss für das Regelverfahren verbindliche Vorgaben machen. Anders verhält es sich bei Erfolg versprechenden Anträgen auf Eigenverwaltung. Sowohl im Verfahren nach § 270a InsO als auch im Verfahren nach § 270b InsO bestellt das Insolvenzgericht dann lediglich einen vorläufigen Sachwalter, dessen Rechte und Pflichten sich aus den §§ 274, 275 ergeben. Von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes oder eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes soll ausdrücklich abgesehen werden (§ 270a Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO). Im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO kommen derartige Anordnungen nicht einmal ausnahmsweise in Betracht. Es kommen nur die vorläufigen Maßnahmen in Frage, die ausdrücklich in § 270b Abs. 2 InsO aufgeführt sind.106) Inwieweit die gesetzliche Regelung in § 55 Abs. 4 InsO, wonach Verbindlichkeiten des 155 Insolvenzschuldners aus einem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseschulden sind, Auswirkungen auf die quantitative Verteilung von allgemeinem Verfügungsverbot und allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bei der kompetenzmäßigen Ausstattung eines vorläufigen Insolvenzverwalters haben werden, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass die Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren bei angeordnetem allgemeinem Verfügungsverbot wesentlich einfacher und transparenter sowie für die Verfahrensbeteiligten leichter nachvollziehbar zu bewältigen ist. Dies gilt insbesondere für die eindeutige Regelung, wonach Verbindlichkeiten, die von dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, ausnahmslos Masseverbindlichkeiten sind. Die bei lediglich „schwachem“ vorläufigem Verwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten notwendigen Umgehungskonstruktionen wie Einzelermächtigung oder Treuhandkontenmodell sind bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes entbehrlich. Mit der Entscheidung für ein allgemeines Verfügungsverbot hat es das Insolvenzgericht in 156 der Hand, die Voraussetzungen für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren verpflichtend herbeizuführen. 2.4.3 Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters lag bis zur Einführung des ESUG107) im 157 pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichtes. Dieses wählte im zweistufigen Verfahren zunächst aus der beim zuständigen Gericht geführten und je nach Gericht unterschiedlich gewichteten Liste (Vorauswahlliste) die in Betracht kommenden Bewerber aus, bevor dann bezogen auf den Einzelfall die dem Insolvenzgericht als geeignete erscheinende Person zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde. Die Diskussion um die Erstellung und Führung der Vorauswahllisten sowie die Bestellung des geeigneten Insolvenzverwalters im Einzelfall füllt seit 2004 die insolvenzrechtliche Literatur. Die bis 2004 ___________ 105) Haarmeyer/Buchalik/Haase, ZInsO 2013, 26; auf gegenteilige Tendenzen einiger Gerichte mit der Folge unzulässiger Amtsermittlungen mit Beweiserhebungen verweist Smid, ZInsO 2013, 209 ff. 106) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 2. 107) Gesetzes zur weiteren Erleichterung des Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011– ESUG, BGBl. I 2011, 2582.

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bei fast allen Insolvenzgerichten üblichen „geschlossenen Listen“ (closed shops) wurden vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Unter Berufung auf Art. 12 und Art. 3 GG vertrat das BVerfG zutreffend die Auffassung, dass geschlossene Listen dem subjektiven Recht eines jeden Bewerbers auf eine faire Chance zum Berufszugang entgegenstehen.108) Zum gleichen Ergebnis waren bereits 2001 Gutachter gekommen, die im Auftrag des Gravenbrucher Kreises ein Gutachten zum Thema „Die Bestellung des Insolvenzverwalters“ erstellt haben. Schon in diesem Gutachten werden die Grundzüge eines zweistufigen Zulassungs- und Auswahlverfahrens skizziert. Auf der ersten Stufe soll über die generelle Zulassung und damit über die grundsätzliche Akzeptanz eines Bewerbers entschieden werden, während es auf der zweiten Stufe um die Berücksichtigung des gelisteten Bewerbers im konkreten Einzelfall geht.109) 158 Die Fülle der in einer nicht mehr überschaubaren Literaturflut vertretenen Einzelmeinungen hat nichts an der bestehenden Unzufriedenheit mit der Zulassungs- und Auswahlpraxis geändert. Nur in einem Punkt treffen sich alle Meinungen: Die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters ist für den Abwicklungserfolg von entscheidender Bedeutung. Diese Erkenntnis ist nicht neu.110) Alle objektiven Kriterien die seit 2004 herangezogen werden, um sowohl die Aufnahme eines Bewerbers in die Vorauswahlliste als auch dessen Bestellung im Einzelfall nach objektiven, nachprüfbaren und vor allem qualitätsorientierten Merkmalen zu gewährleisten, ändern nichts an der Tatsache, dass Vergabeentscheidungen, die ein einzelner Mensch trifft, letztendlich auch von Sympathie und Antipathie, gemeinsamen, politischen und weltanschaulichen Überzeugungen oder verbandsmäßiger Zugehörigkeit und meist nicht erkennbaren weichen Faktoren bestimmt werden, die am Ende den Ausschlag geben können, welche Person das Insolvenzgericht zum vorläufigen Verwalter bestellt. 159 Daran wird auch die mit dem ESUG eingeführte Klarstellung in § 56 Abs. 1 Nr. 1 InsO nichts ändern, wonach ein Bewerber für das Amt des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht schon dadurch ungeeignet wird, dass er von einem Gläubiger oder vom Schuldner vorgeschlagen wird. Dort, wo ausschließlich das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter oder vorläufigen Sachwalter bestellt, bleibt es bei der bisherigen Praxis, dass in Bezug auf die Person keine Planungssicherheit besteht und nicht im Voraus bestimmbar ist, wen das Insolvenzgericht letztendlich zum vorläufigen Verwalter bestellt.111) 160 Diese Unsicherheit wirkt sich vor allem auf Betriebsfortführungen aus. Denn nicht jeder Insolvenzverwalter ist gleichermaßen geeignet, Betriebe fortzuführen, da dies neben der juristischen Eignung auch besondere Kenntnisse im organisatorischen, administrativen sowie kaufmännischen Bereich verlangt. Zusätzlich muss der fortführende (vorläufige) Insolvenzverwalter über soft skills verfügen, die für eine Führungsaufgabe unverzichtbar sind. Dazu gehören insbesondere Autorität, Führungskompetenz, Überzeugungskraft, Einfühlungsvermögen, soziale Kompetenz und Stressresistenz.112) 161 Anders verhält es sich im Falle der Eigenverwaltung. Hier ist die operative Geschäftsführung nicht Aufgabe des (vorläufigen) Sachwalters, der – auch wenn er die Kassenführung ___________ 108) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 u. 1086/01, ZIP 2004, 1649 m. Anm. Wieland, ZIP 2005, 233 = ZVI 2004, 470, dazu EWiR 2005, 437 (Wieland); vgl. hierzu auch die näheren Ausführungen bei Mönning in: FS Görg, S. 291 ff., 300. 109) Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters; eine Übersicht zu den Literaturbeiträgen zur Führung der Auswahllisten und zur Bestellung von Insolvenzverwaltern findet man bei Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 ff.; Empfehlung der Uhlenbruck-Kommission zur Vorauswahl und Bestellung von InsolvenzverwalterInnen sowie Transparenz, Aufsicht und Kontrolle im Insolvenzverfahren, ZIP 2007, 1432, zu den Kriterien i. E. auch Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 12. 110) Dazu Jaeger, KO, 1939, § 78 Anm. 7. 111) Vgl. dazu Mönning in: FS Görg, S. 293. 112) Vgl. dazu Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 ff.

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übernimmt – in erster Linie überwachende, unterstützende und im Einzelfall auch korrigierende Funktion hat. Die Kriterien für die Auswahl des vorläufigen Sachwalters weichen daher von dem Anforderungsprofil an einen den Betrieb fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter ab. Denn der vorläufige Sachwalter muss vor allem auch in der Lage sein, seine Unterstützungs- und Kontrollfunktion wahrzunehmen und die vom Gesetz vorgesehene Kompetenzverteilung zwischen dem sich selbstverwaltenden Schuldner und dem Sachwalter zu akzeptieren. Der Zwang, unter Krisenbedingungen ein Unternehmen bei geteilter Verantwortung aufgabenorientiert zu führen, verlangt, dass sich Sachwalter und Eigenverwalter bei den strategischen Zielen von Fortführung und Sanierung einig sind und sich im Tagesgeschäft konfliktfrei verständigen können.113) Trifft ausschließlich das Insolvenzgericht die Auswahlentscheidung ist notwendigerweise darauf zu achten, dass die handelnden Personen kompatibel und in der Lage sind, kooperativ in gemeinsamer Verantwortung zu arbeiten.114) Planungssicherheit in Bezug auf die Akteure einer Betriebsfortführung als notwendige Maß- 162 nahme zur Sanierung von insolventen Unternehmen sollte insbesondere durch Beteiligung der Gläubigerschaft an der Auswahl des Insolvenzverwalters herbeigeführt werden (§§ 22a, 56a InsO).115) Über den vorläufigen Gläubigerausschuss soll dabei der frühzeitige Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters sichergestellt werden.116) Schlägt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig einen vorläufigen Verwalter vor, darf das Gericht nur dann von diesem Vorschlag abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Hat der vorläufige Gläubigerausschuss parallel oder zuvor bestimmte Anforderungen an die Person des Verwalters formuliert, muss das Insolvenzgericht diese berücksichtigen.117) Damit ist das bisherige Alleinbestimmungsrecht des Insolvenzgerichtes in den Fällen, in denen ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt wurde, eingeschränkt, wenn nicht beseitigt. Planungssicherheit ist aber nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des Gläubigeraus- 163 schusses umfassend vorbereitet wird. Erste Erfahrungen zeigen, dass damit die Schuldner und vor allem ihre Berater entscheidenden Einfluss auf die Bestellung eines bestimmten Verwalters gewinnen. Denn zunächst kommt es darauf an, einen vorläufigen Gläubigerausschuss personell so zusammenzusetzen, dass im zweiten Schritt – also auf der Ebene der Beschlussfassung des vorläufigen Gläubigerausschusses – gewährleistet ist, dass der „passende“ vorläufige Insolvenzverwalter vorgeschlagen wird, der im Vorfeld für die Durchführung und Umsetzung eines Sanierungskonzeptes ausgewählt wurde. Der antragstellende Schuldner hat es daher in der Hand, die Akteure (vorläufiger Insolvenzverwalter und Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses) zu bestimmen, sofern der Insolvenzantrag umfassend und sorgfältig vorbereitet und zweckmäßigerweise auch vor Antragstellung bereits mit dem Insolvenzgericht abgestimmt wird. 2.4.4 Bindung an den mitgebrachten vorläufigen Sachwalter Geradezu revolutionär mutet die gesetzliche Regelung an, wonach im Verfahren zur Vor- 164 bereitung einer Sanierung, inzwischen allgemein als Schutzschirmverfahren bezeichnet, der Schuldner seinen vorläufigen Sachwalter mitbringen darf (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). Liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens vor, dann ___________ 113) 114) 115) 116) 117)

Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff., 663. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff., 663. Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 5. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 5.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

kann das Insolvenzgericht von einem Vorschlag des Schuldners in Bezug auf die Person des vorläufigen Sachwalters nur abweichen, wenn diese für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Die generelle Eignung ist bereits dadurch gewährleistet, dass die vorgeschlagene Person bei einem Insolvenzgericht in Deutschland bestellt wird. Konkrete Hinderungsgründe, die dann im Einzelfall gegen die Eignung sprechen, muss das Gericht darlegen und bei Abweichung vom Vorschlag des Schuldners begründen. 165 Das Schutzschirmverfahren ist zwingend ein Sanierungsverfahren. Die Sanierung soll in kürzester Zeit mit Hilfe eines Insolvenzplans durchgeführt werden. Da die Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans höchstens drei Monate betragen darf, ist das Schutzschirmverfahren ein ausgesprochener Schnellläufer, der bei optimaler Abwicklung dazu führt, dass bereits nach sechs Monaten das Insolvenzverfahren nach Abnahme und Rechtskraft eines Insolvenzplans wieder aufgehoben wird. 166 Das Schutzschirmverfahren ist die deutsche Antwort auf das englische CVA-Verfahren (Company Voluntary Arrangement). Mit seiner Einführung soll vermieden werden, dass deutsche Schuldner eine Wahlentscheidung zwischen mehreren nebeneinander bestehenden Gerichtsständen zugunsten des englischen Rechts treffen und eine zunächst nicht bestehende Zuständigkeit englischer Gerichte durch Sitzverlegung ins Ausland herbeiführen. Kern des CVA ist die Umsetzung eines individuell von der Geschäftsführung mit den Gesellschaftsgläubigern und den Gesellschaftern ausgehandelten Reorganisationskonzeptes, das vom Insolvenzverwalter (insolvency practitioner) zunächst geprüft wird, wobei die spätere Überwachung durch den Nominee erfolgt. Insolvency practitioner und Nominee werden im Vorschlag zur Durchführung des CVA-Verfahrens benannt. Vorgeschlagen wird nur eine Person, die zuvor zwischen dem Unternehmen und seinen Gläubigern bestimmt wurde.118) 167 Dieser Regelung nachgebildet ist das Institut des mitgebrachten vorläufigen Sachwalters. Der Schuldner, der sich frühzeitig einem Sanierungsverfahren unter gerichtlicher Aufsicht unterwirft, bestimmt die Person, die ihn als vorläufiger Sachwalter unterstützt und kontrolliert. Diese Entscheidung unterliegt auch nicht dem Einfluss eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Dieser muss zwar eingesetzt werden, wenn die Schwellenwerte des § 22a InsO erfüllt sind oder kann eingesetzt werden, wenn dies von einem Antragsberechtigten verlangt wird, dieser vorläufige Gläubigerausschuss hat aber keinen Einfluss auf die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, sofern der Schuldner in seinem Antrag einen Personalvorschlag unterbreitet hat, dem das Gericht folgen muss. 168 Bei einem Vergleich der Verfahren nach § 270a und 270b InsO wird insbesondere die Möglichkeit, den geeigneten vorläufigen Sachwalter mitzubringen, als entscheidender, wenngleich vielleicht auch einziger, Vorteil des Schutzschirmverfahrens gesehen. 2.5

Gläubigerautonomie und Betriebsfortführung

2.5.1 Allgemeines 169 Bis zur Einführung des ESUG, das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist, fand das Prinzip der Gläubigerautonomie im Eröffnungsverfahren und hier insbesondere bei Betriebsfortführungen keine Berücksichtigung. Die Gläubiger, die autonom über den Gang des Verfahrens entscheiden sollen, hatten auf den Ablauf des Eröffnungsverfahrens keinen Einfluss. Ob das Unternehmen, das der Schuldner betreibt, fortgeführt wurde, bestimmte zunächst ausschließlich das Insolvenzgericht durch die Art der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, die bspw. bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes den vorläufigen Insolvenzverwalter verpflichtet, das Unternehmen als gesetzliche Pflichtaufgabe fortzuführen, sofern nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung bereits im Eröffnungsverfahren ___________ 118) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 1689 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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zustimmt. Wird als vorläufige Maßnahme ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt angeordnet, entscheidet zunächst der Schuldner, ob er um eine Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Fortführung des Unternehmens nachsucht, die dieser dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu erteilen hat, wenn die Voraussetzungen einer Betriebsfortführung erfüllt sind. Bis zur Einführung des ESUG entschieden daher lediglich das Insolvenzgericht, der vor- 170 läufige Insolvenzverwalter und der Schuldner über die Fortführung eines Unternehmens. Gläubiger konnten nur mittelbar auf die Betriebsfortführung Einfluss nehmen, indem sie in ihrer Eigenschaft als Vertragspartner (Arbeitnehmer, Lieferant, Vermieter, Leasinggeber oder Kunde) für sich die persönliche Entscheidung trafen, die Zusammenarbeit mit dem Schuldner und/oder dem vorläufigen Insolvenzverwalter fortzusetzen oder zu beenden. Dem Prinzip der Gläubigerautonomie wird nunmehr auch im Eröffnungsverfahren Rech- 171 nung getragen. Die Gläubiger wirken zumindest bei der wichtigsten Entscheidung im Eröffnungsverfahren, der Auswahl und Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters im Verfahren nach § 270a InsO mit. 2.5.2 Gläubigerausschuss bestimmt Anforderungsprofil des vorläufigen Insolvenzverwalters In den Insolvenzverfahren, in denen ein vorläufiger Gläubigerausschuss besteht, ist dieser 172 berufen, die Vermögensinteressen der beteiligten Gläubiger zu wahren und zunächst bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens und danach bis zur ersten Gläubigerversammlung Einfluss auf den Gang des Verfahrens zu nehmen, um das Ziel der gleichmäßigen – und bestmöglichen – Befriedigung der Gläubiger zu erreichen (§ 1 InsO). Als erste Maßnahme kann der vorläufige Gläubigerausschuss ein Anforderungsprofil entwi- 173 ckeln, das der vorläufige Insolvenzverwalter erfüllen soll (§ 56a Abs. 1 InsO). Ein Gläubigerausschuss, der davon absehen will, einen konkreten Vorschlag in Bezug auf einen bestimmten vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterbreiten, kann sich darauf beschränken, ein Anforderungsprofil zu formulieren.119) Denkbare Anforderungen können x

sprachliche Fähigkeiten,

x

Branchenkenntnisse,

x

nachgewiesene Fortführungserfahrung, oder

x

auch durch Zertifikate unterlegte Qualitätsmanagementsysteme

sein. Welche Anforderungen der vorläufige Gläubigerausschuss im Einzelfall formuliert, ist allein 174 dessen Sache. Gleichwohl besteht bei einigen Insolvenzrichtern die Neigung, nur bestimmte Anforderungsprofile als sinnvoll anzusehen, um den eigenen Einfluss auf die Auswahlentscheidung zu wahren.120) 2.5.3 Bindende Beschlüsse des Gläubigerausschusses zur Person § 56a Abs. 2 InsO gewährt dem vorläufigen Gläubigerausschuss das Recht, die Person des 175 vorläufigen Insolvenzverwalter mit Bindungswirkung für das Insolvenzgericht festzulegen. Dazu ist ein einstimmiger Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses erforderlich. Der Beschluss muss die Anforderungen des § 72 InsO erfüllen. Dies bedeutet, ___________ 119) Frind, ZInsO 2011, 1913 ff. 120) „Ungeeignete“ Anforderungsprofile hält bspw. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 18 für unbeachtlich.

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dass die Mehrheit der Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Beschlussfassung teilgenommen hat und der Beschluss einstimmig gefasst wurde. Die Beschlussfassung erfolgt in der ersten Sitzung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Ein Beschluss im Umlaufverfahren scheidet bereits deshalb aus, weil Umlaufbeschlüsse nur möglich sind, wenn der bereits zuvor konstituierte Ausschuss dies entweder i. R. einer Geschäftsordnung geregelt oder sich zumindest formlos auf diese Möglichkeit der Willensbildung verständigt hat.121) 176 Ungeklärt ist die Frage, ob Einstimmigkeit auch dann gegeben ist, wenn sich ein oder mehrere Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses der Stimme enthalten oder an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, aber gleichwohl die übrigen Mitglieder einstimmig einen bestimmten Personalvorschlag getroffen haben. Im Europäischen Recht gilt bspw., dass eine Enthaltung nach Art. 238 Abs. 4 AEUV der Einstimmigkeit eines Beschlusses nicht entgegensteht. Im Vereinsrecht ist zu differenzieren. Ein nicht an der Abstimmung teilnehmendes Vereinsmitglied schließt die einstimmige Entscheidung der übrigen Vereinsmitglieder nicht aus. Anders verhält es sich, wenn sich ein anwesendes Vereinsmitglied der Stimme enthält. In diesem Fall ist keine einstimmige Entscheidung gegeben.122) 177 Bezogen auf die Beschlussfassung im vorläufigen Gläubigerausschuss sind die vereinsrechtlichen Grundsätze anwendbar. Ein krankheitsbedingt oder urlaubsbedingt abwesendes Gläubigerausschussmitglied, das sich auch aufgrund der Verpflichtung zur höchstpersönlichen Amtsführung nicht vertreten lassen kann, hindert die Herbeiführung eines einstimmigen Beschlusses nicht. Sind hingegen alle Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Abstimmung anwesend, bedeutet dies, dass Einstimmigkeit nur gegeben ist, wenn ohne Enthaltungen alle Mitglieder für einen bestimmten Personalvorschlag votieren. 178 Bindet der Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses das Insolvenzgericht an die Person des vorgeschlagenen vorläufigen Insolvenzverwalters, so gilt dies auch für die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Verfahren der Eigenverwaltung nach § 270a InsO.123) 179 Will das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag abweichen, so geht dies nur, wenn der Vorgeschlagene nicht geeignet ist. Dabei ist die generelle Eignung ausreichend belegt, wenn der Vorgeschlagene bereits als Insolvenzverwalter bestellt wird, also über nachgewiesene Abwicklungserfahrung verfügt. Konkret kann die Eignung durch fehlende Unabhängigkeit im Einzelfall oder auch Überlastung zweifelhaft sein. Auf etwaige Bedenken hat das Insolvenzgericht die Mitglieder des Gläubigerausschusses hinzuweisen. 180 Die Praxiserfahrung zeigt bereits, dass sich die zuständigen Insolvenzrichter und Insolvenzrichterinnen an der Beratung des vorläufigen Gläubigerausschusses beteiligen, Bedenken und Anregungen anbringen, sich dann aber vor der Beschlussfassung des Ausschusses zurückziehen. Immer häufiger erfolgen sog. Vorfeld-Gespräche zwischen dem Antragsteller und seinem Berater und dem Insolvenzgericht. Bedenken, die das Insolvenzgericht in Bezug auf möglicherweise vorzuschlagende Personen hegt, können dann schon geklärt und den Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses übermittelt werden. Eine frühe und umfassende Kommunikation verhindert Verzögerungen, Überraschungen und Konflikte. Umstritten ist, ob ein einstimmiger Beschluss des Gläubigerausschusses auch dazu führen kann, dass ein vorbefasster Verwalter, dessen Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist, mit Bindungswirkung für das Insolvenzgericht vorgeschlagen werden kann. Dies würde allerdings voraussetzen, dass der Gläubigerausschuss im Zeitpunkt der Beschlussfassung ___________ 121) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 7 ff. 122) Stöber, Hdb. Vereinsrecht, Rz. 527 ff.; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 56a Rz. 14. 123) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 9.

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über Art und Umfang der Vorbefassung vollständig informiert ist und in seiner Entscheidung darlegt, dass und aus welchen Gründen gleichwohl die Eignung des Vorgeschlagenen gewährleistet ist.124) 2.5.4 Auswirkungen des Abwahlrechtes des vorläufigen Gläubigerausschusses auf Betriebsfortführungen Hat das Insolvenzgericht bereits einen bestimmten vorläufigen Insolvenzverwalter oder 181 vorläufigen Sachwalter bestellt, dann greift das Prinzip der Gläubigerautonomie im zweiten Zug, indem der vorläufige Gläubigerausschuss auf seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum vorläufigen Insolvenzverwalter wählen kann (§ 56a Abs. 3 InsO). Das Abwahlrecht setzt voraus, dass ein bereits bestellter vorläufiger Gläubigerausschuss 182 vor der Entscheidung des Insolvenzgerichts nicht angehört wurde. Die Vorschrift ist nicht einschlägig, wenn im Falle eines lediglich fakultativen Gläubigerausschusses dieser erst nach der bereits erfolgten Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters eingesetzt wird. Hat das Gericht die Mitwirkungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses aber bewusst unterlaufen, indem die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Ernennung von geeigneten und übernahmebereiten Mitgliedern verzögert wurde, dann sind die Beteiligungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses zu wahren, indem dieser so gestellt wird, als hätte das Gericht ihn bei der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht angehört und übergangen. Unabhängig von diesen Erwägungen muss die Abwahl eines bereits ernannten vorläufigen 183 Insolvenzverwalters insbesondere bei Betriebsfortführungen auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Betriebsfortführungen vertragen keine Unsicherheit. Einen bereits eingesetzten und als solcher agierender vorläufiger Insolvenzverwalter, der möglicherweise schon eine Betriebsversammlung durchgeführt, erste Abstimmungsgespräche mit dem Betriebsrat geführt, das Zustimmungsverfahren zur Durchführung einer Insolvenzgeldvorfinanzierung eingeleitet, Bestellungen getätigt und Kundenaufträge bestätigt hat, wenige Tage später wieder durch einen anderen vorläufigen Insolvenzverwalter zu ersetzen, kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass eine Betriebsfortführung allein deshalb scheitert, weil die Beteiligten das Vertrauen verlieren.125) Die Abwahl eines bereits vom Insolvenzgericht aus sachlich nachvollziehbaren Gründen 184 (z. B. Gefahr konkreter Vermögensgefährdungen) ernannten vorläufigen Insolvenzverwalters muss auf gravierende Konfliktfälle beschränkt bleiben. 2.5.5 Bindende Beschlüsse des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Verfahrensart Die Gläubigerautonomie im Eröffnungsverfahren wird nicht allein durch das Vorschlags- 185 recht des vorläufigen Gläubigerausschusses in Bezug auf die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters beschränkt. Vielmehr kann der vorläufige Gläubigerausschuss als Vertreter der Gläubigergesamtheit auch Einfluss auf die Verfahrensart nehmen. Dies geschieht durch eine Entscheidung nach § 270 Abs. 3 InsO in den Fällen, in denen der Schuldner beantragt hat, die Eigenverwaltung anzuordnen. Die Eigenverwaltung führt nunmehr bereits im Eröffnungsverfahren dazu, dass der Schuldner im Regelfall seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behält und an Stelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters lediglich ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird. ___________ 124) Zu dieser Problemstelle Hölzle, ZIP 2013, 447 ff.; A. Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; gegen die Bindungswirkung: Bork, ZIP 2013, 145 ff.; vermittelnd: Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149. 125) So auch Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 28.

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186 Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt voraus, dass keine Umstände bekannt sind, wonach die Eigenverwaltung nachteilig für die am Verfahren beteiligten Gläubiger sein wird. Stimmt der vorläufige Gläubigerausschuss dem Antrag des Schuldners mit einstimmigem Beschluss zu, so gilt die Anordnung der Eigenverwaltung nicht als nachteilig für die Gläubiger. Das Gericht hat dem Antrag zu folgen.126) 187 In der Praxis führt dies dazu, dass bei beantragter Eigenverwaltung der zunächst einzusetzende vorläufige Gläubigerausschuss als erste Entscheidung den Beschluss zur beantragten Eigenverwaltung fasst. Stimmt der vorläufige Gläubigerausschuss dem Antrag zu, erfolgt anschließend die Beschlussfassung über das dem vorläufigen Gläubigerausschuss dann zustehende Zuschlagsrecht in Bezug auf die Person des einzusetzenden vorläufigen Sachwalters. 2.5.6 Mitwirkungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 188 Bis zur Einführung des ESUG waren die Gläubiger im Eröffnungsverfahren nicht beteiligt. Nunmehr hat der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufgabe, den vorläufigen Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Zwangsläufig wird der vorläufige Gläubigerausschuss daher auch in alle Maßnahmen einer Betriebsfortführung einbezogen. Dies gilt x

sowohl für die Entscheidung zur Fortführung des Unternehmens, das der Schuldner betreibt,

x

als auch für alle Maßnahmen, die zur ordnungsgemäßen Umsetzung administrativ und organisatorisch zu treffen sind,

x

bis hin zur laufenden Kontrolle der Rentabilität sowie

x

zur Sicherung der Liquidität, die gewährleistet, dass alle eingegangenen Fortführungsverbindlichkeiten bei Fälligkeit reguliert werden können.

189 Bei Betriebsfortführungen werden daher gerade im sensiblen Zeitraum des Eröffnungsverfahrens Sitzungen des vorläufigen Gläubigerausschusses in kürzeren Abständen stattfinden, als dies im eröffneten Verfahren notwendig ist. Denn der Erfolg einer Betriebsfortführung als notwendige Maßnahme zur Umsetzung einer Sanierungslösung entscheidet sich meist bereits in den ersten Wochen nach Einleitung des Insolvenzverfahrens. Nur wenn es in diesem kritischen Zeitraum gelingt, die Führungs-, Absatz- und Vertriebsstrukturen intakt zu halten, ist eine Fortführung auch auf mittlere Sicht beherrschbar. 190 Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem vorläufigen Gläubigerausschuss um x

einen Pflichtausschuss (§ 22a Abs. 1 InsO) oder

x

einen Antragsausschuss (§ 22a Abs. 2 InsO) handelt oder

x

das Insolvenzgericht die Notwendigkeit zur Bestellung eines Gläubigerausschusses von Amts wegen annimmt.127)

2.5.7 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen 191 Liegt die Art und Weise, in der ein vorläufiger Gläubigerausschuss sowie seine einzelnen Mitglieder Überwachung und Unterstützung des vorläufigen Insolvenzverwalters gestalten, im pflichtgemäßen Ermessen der Mitglieder, so gilt dies nicht für besonders bedeut___________ 126) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 29a, b; AG Köln, Beschl. v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390 = ZInsO 2013, 1476. 127) Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 2a.

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same Rechtshandlungen, die der vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbstverwaltende Schuldner i. R. der Eigenverwaltung vornehmen will. Der vorläufige Gläubigerausschuss hat dann zu den in § 160 Abs. 2 InsO im Einzelnen aufgeführten Maßnahmen seine Zustimmung zu erteilen.128) Der vorläufige Insolvenzverwalter handelt pflichtwidrig, wenn er in den in § 160 Abs. 2 InsO genannten Fällen ohne Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses tätig wird, unabhängig davon, dass diese zustimmungslos getroffenen Entscheidungen nach § 164 InsO wirksam bleiben. In der Eigenverwaltung erstreckt sich die Unterstützungs- und Überwachungspflicht 192 des vorläufigen Gläubigerausschusses auch auf den vorläufigen Sachwalter, dessen Rechtsstellung in § 274 InsO geregelt ist und dessen Mitwirkungsrechte sich aus § 275 InsO ergeben. Stellt der vorläufige Sachwalter fest, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt, dann hat er unverzüglich den vorläufigen Gläubigerausschuss zu unterrichten. Dieser entscheidet dann im Verfahren nach § 270b InsO, ob die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens und die in diesem Zusammenhang vom Insolvenzgericht getroffenen Maßnahmen erfolgen (§ 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO). Im Verfahren nach § 270a InsO besteht hingegen kein Antragsrecht des vorläufigen Gläubigerausschusses, sondern lediglich die Anzeigepflicht des vorläufigen Sachwalters gegenüber dem Insolvenzgericht, sofern er feststellt, dass die Eigenverwaltung nachteilig für die Gläubiger ist (§ 274 Abs. 3 InsO). Die Mitwirkungsrechte des vorläufigen Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gelten auch in der Eigenverwaltung. Der sich selbstverwaltende Schuldner hat in den in § 160 genannten Fällen den vorläufigen Gläubigerausschuss zu befassen und dessen Zustimmung einzuholen.129) 2.5.8 Überprüfung des Geldverkehrs Die Prüfung und Überwachung des Geldverkehrs und Geldbestandes gehört zu den wesent- 193 lichen Aufgaben auch des vorläufigen Gläubigerausschusses. Diese Prüfungspflicht muss der Ausschuss nicht selbst erfüllen. Die Delegation auf einen externen Kassenprüfer ist zulässig.130) Die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses können daher selbst entscheiden, ob 194 sie selbst, bspw. durch ein zu bestimmendes Mitglied des Ausschusses, den Geldverkehr prüfen oder zu Lasten der Masse einen externen Prüfer beauftragen. Die Einsetzung eines externen Kassenprüfers entlastet die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses aber nicht aus ihrer Verantwortung.131) Die Ausschussmitglieder sind daher verpflichtet, die Ordnungsgemäßheit einer externen Kassenprüfung zu überwachen.132) Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Betriebsfortführung im Eröffnungsver- 195 fahren regelmäßig zeitlich begrenzt durchgeführt wird. Der regelmäßige Eröffnungszeitraum beträgt korrespondierend mit dem Zeitraum, der für eine Insolvenzgeldgewährung und deren Vorfinanzierung zur Verfügung steht, drei Monate. Da eine externe Kassenprüfung meist erhebliche Kosten verursacht, müssen die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses daher nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob sie zur Begrenzung der Kosten und angesichts des Prüfungsumfangs sowie einer möglicherweise im Aus___________ 128) Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 2b; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 9/2012, § 67 Rz. 11; Decker in: HambKomm-InsO, § 160 Rz. 12. 129) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 276a Rz. 3. 130) Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2009, 902. 131) OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862 = ZInsO 2010, 1233. 132) OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862 = ZInsO 2010, 1233, Jaeger-Gerhardt, InsO, § 69 Rz. 19.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

schuss vorhandenen besonderen Sachkunde selbst die Aufgabe zur Prüfung des Geldverkehrs übernehmen. 196 Dabei ist bei einer Fortführung des Geschäftsbetriebes zwischen der pagatorischen Kassenführung nach insolvenzrechtlichen Vorgaben im einheitlichen – sechsstelligen – Kontenrahmen und der Überprüfung der handelsrechtlichen Buchführung im Unternehmen nach Soll-Vorgaben zu unterscheiden.133) 2.5.9 Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, Anzahl der Mitglieder 197 Die gesetzlich vorgeschriebene Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses bildet das Prinzip der Gläubigerautonomie durch Partizipation aller Gläubigergruppen bei der Willensbildung im Zusammenhang mit dem Gang des Verfahrens ab. Über den vorläufigen Gläubigerausschuss soll der frühzeitige Einfluss der Gläubiger sichergestellt werden. Die Zusammensetzung soll gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 67 Abs. 2 InsO dazu führen, dass im vorläufigen Gläubigerausschuss x

die absonderungsberechtigten Gläubiger,

x

die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und

x

die Kleingläubiger repräsentiert sind;

x

zusätzlich soll ein Vertreter der Arbeitnehmer dem Ausschuss angehören.

198 Hieraus ergibt sich eine Soll-Vorgabe von vier Mitgliedern. Die Besetzung des Gläubigerausschusses mit einer „geraden“ Personenzahl ist jedoch unzweckmäßig.134) Es können Pattsituationen bei der Beschlussfassung auftreten, die den Gläubigerausschuss handlungsunfähig machen.135) 199 Ab einer bestimmten Größenordnung sollte der Gläubigerausschuss daher aus fünf Personen bestehen. Dabei können zu Mitgliedern eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch solche Gläubiger bestellt werden, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Gläubiger sind, die Gläubigereigenschaft aber mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangen. Dies gilt namentlich für den Pensionssicherungsverein und die Bundesagentur für Arbeit. 200 Gerade bei Betriebsfortführungen zeigt sich eine bereits klassische Besetzung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses, indem meist ein Vertreter eines beteiligten Kreditinstituts und ein Vertreter eines Unternehmens aus dem Bereich der Kreditversicherer beteiligt wird, die je nach dem Einzelfall als Vertreter der absonderungsberechtigten Gläubiger oder der Gläubiger mit den höchsten Forderungen bestellt werden. Als Vertreter der Arbeitnehmer können auch Bevollmächtigte der zuständigen Gewerkschaft Ausschussmitglied werden. Die örtlich zuständige Arbeitsagentur gilt meist bereits als geborenes Mitglied, wenn das Unternehmen eine bestimmte Personalgröße (50 Mitarbeiter aufwärts) erreicht. Die Bundesagentur für Arbeit repräsentiert dabei die institutionellen Gläubiger, hier und da auch im Wechsel mit Sozialversicherungsträgern oder auch einzelnen Finanzämtern, deren Bereitschaft zur Mitwirkung in vorläufigen Gläubigerausschüssen regional unterschiedlich ist. 201 Die rechtzeitige Abstimmung der Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses ist für den Gang des Verfahrens entscheidend. Ein abgestimmter Vorschlag im Vorfeld, unterlegt mit Einverständniserklärungen der in Aussicht genommenen Mitglieder, ___________ 133) Zum einheitlichen Kontenrahmen SKR vgl. die Dokumentation Haarmeyer/Basinski/Hillebrand/ Weber, ZInsO 2011, 1874. 134) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22a Rz. 29. 135) Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 5; Vallender, MDR 2012, 61, 62, Obermüller, ZInsO 2012, 18 ff.

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erleichtert dem Insolvenzgericht die Bestellung und führt zu einer erheblichen Verkürzung der hierfür benötigten Zeiträume. Auf diese Weise wird vermieden, dass das Insolvenzgericht dazu tendiert, ohne Rücksicht auf eine Meinungsbildung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu entscheiden, wenn zeitliche Verzögerungen zu nachteiligen Veränderungen in der Vermögenslage führen (§§ 22a Abs. 3, 56a Abs. 3 InsO). 2.6

Die Aufsicht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

2.6.1 Beschränkung auf Rechtsaufsicht Der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter steht unter gerichtlicher Aufsicht (§ 58 202 Abs. 1 InsO). Die Aufsicht umfasst ein Aufsichtsrecht und eine Aufsichtspflicht, die in Verfahren mit Betriebsfortführung anders auszugestalten ist, als in Liquidationsverfahren. Zwar ist das Insolvenzgericht nicht berechtigt, die Geschäftsführung des Verwalters auf 203 Zweckmäßigkeit zu überprüfen, gleichwohl hat das Gericht gegen pflichtwidrige Handlungen des Verwalters einzuschreiten. Dies gilt auch für Fortführungsentscheidungen, wenn diese ohne eine ausreichende konzeptionelle Vorbereitung erfolgen und/oder im Widerspruch zu den Verfahrenszielen stehen.136) Allgemein wird die Aufsicht als Rechtmäßigkeitskontrolle verstanden. Die Grenzen sind 204 jedoch fließend. Sinnlose, also unzweckmäßige Verwaltermaßnahmen können zugleich auch insolvenzzweckwidrig sein und damit i. R. der Rechtsaufsicht ein gerichtliches Einschreiten erforderlich machen.137) Die Aufsicht besteht darin, die Geschäftsführung zu überwachen, was in der Praxis be- 205 deutet, dass Schuldner und Gläubiger vor rechtswidrigen Maßnahmen zu schützen sind, um einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten.138) Dazu kann das Insolvenzgericht sich durch regelmäßige Vorlage der Fortführungsergebnisse in Form von betriebswirtschaftlichen Auswertungen, Vorlage von Tagesberichten zum Nachweis ausreichender Liquidität zur Deckung eingegangener Fortführungsverbindlichkeiten, Vorlage von Soll/Ist-Vergleichen, Rentabilitätsberechnungen, Investitionsplanungen und Vorlage der Kassenprüfungsberichte über den Stand des Verfahrens informieren, wobei auch allgemeine Kontrollanfragen bis hin zur Einsichtnahme in Bankbelege sowie Berichtsanforderungen in Betracht kommen. Grundsätzlich gilt, dass das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, welche Kontrollmaßnahmen es für geeignet und erforderlich hält.139) Im Eröffnungsverfahren werden bei Betriebsfortführungen ein kürzerer Berichtsabstand 206 und ein engerer Kontakt zum vorläufigen Insolvenzverwalter zur Erfüllung der Aufsichtspflicht für notwendig oder zweckmäßig erachtet.140) Da das Eröffnungsverfahren regelmäßig nur einen relativ kurzen Zeitraum von maximal drei Monaten umfasst, ist ein kürzerer Zeitraum zur Erstattung von Zwischenberichten oder die Anforderung von Berichten aus gegebenem Anlass häufig sachgerecht, um die Plausibilität einer Fortführungsentscheidung, insbesondere ihrer Ausrichtung an den gesetzlichen Verfahrenszielen, ihren Umfang und ihre Dauer, die laufenden Ergebnisse und die notwendige Liquiditätssicherung zur Deckung der vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingegangenen Verpflichtungen zu belegen. Dies stellt auch keine Überspannung der Anforderungen an den fort___________ Mönning, Vorauflage, Rz. 798 ff.; Frind in: HambKomm-InsO, § 58 Rz. 3b. Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff.; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 58 Rz. 11. Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 58 Rz. 5. Mönning, Vorauflage, Rz. 802; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 58 Rz. 6; Frind in: HambKommInsO, § 58 Rz. 4a m. w. Beispielen. 140) Frind in: HambKomm-InsO, § 58 Rz. 3a.

136) 137) 138) 139)

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führenden vorläufigen Verwalter dar, da die Fortführungsergebnisse ohnehin laufend zu dokumentieren und i. R. eines meist externen Controllings zu überprüfen sind. Schon im Eigeninteresse, insbesondere zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen, wird der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter die übrigen Verfahrensorgane (Insolvenzgericht und vorläufiger Gläubigerausschuss) in Verlauf und Ergebnis der Fortführung einbeziehen. 2.6.2 Anforderung von Berichten, Einsicht in Konten 207 Zur Anforderung von Berichten ist das Insolvenzgericht jederzeit berechtigt. Die Berichterstattung kann dabei angesichts der kurzen Zeitspanne im Eröffnungsverfahren auch mündlich erfolgen. 208 Berichte über angebliche oder auch tatsächlich begangene Pflichtenverstöße von (vorläufigen) Insolvenzverwaltern oder sogar strafbaren Handlungen haben in den vergangenen Jahren zu einer teilweise weit über das Ziel hinausschießenden Diskussion über die Erweiterung von Kontrollmaßnahmen geführt. Anonyme Beschuldigungen in sozialen Netzwerken oder Internetforen (sog. shit storms) machen auch vor der Tätigkeit von Insolvenzverwaltern nicht Halt. Zusammen mit reißerischen Darstellungen in der Boulevardpresse hat dies dazu geführt, dass sogar bereits über bundesweite Prüfstellen für Insolvenzverwaltertätigkeit oder eine fortlaufende Insolvenzverwalteranderkonten-Prüfung mittels Freischaltung einer Online-Konteneinsicht und einer permanenten Vorlagepflicht für Saldenübersichten sämtlicher Sonderkonten einschließlich Festgeldkonten nachgedacht wird.141) 209 Verkannt wird dabei die enorme Qualitätssteigerung, die durch verpflichtende Qualitätsmanagementsysteme der organisierten Verwalterschaft in den vergangenen Jahren erreicht wurden und die im Ergebnis dazu beigetragen haben, dass die Abwicklung von Insolvenzverfahren heute nach hohen qualitativen Standards unter Wahrung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, der Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung bis hin zu nachgewiesenen Qualitätsstandards, die durch entsprechende Prüfzertifikate (ISO 9001, InsO 9001, InsO-Excellence) unterlegt werden.142) 210 Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ist auch der vorläufige Insolvenzverwalter zur Rechnungslegung verpflichtet. Diese Rechnungslegung kann im Eröffnungsverfahren auch in das Eröffnungsgutachten eingebettet werden.143) 2.6.3 Zustimmung zur Stilllegung des Geschäftsbetriebes 211 Hat das Insolvenzgericht als vorläufige Maßnahme ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet, so folgt hieraus eine Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters als gesetzliche Pflichtaufgabe. Auf Grundlage der gesetzlichen Aufgabenzuweisung hat der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners zunächst bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Zeichnet sich ab, dass die Betriebsfortführung zu Nachteilen für die Gläubiger führt, kann der vorläufige Insolvenzverwalter die Entscheidung zur Betriebstilllegung nicht alleine treffen. ___________ 141) S. dazu auch die Ausführungen in Frind in: HambKomm-InsO, § 58 Rz. 3a. 142) Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI), beschlossen vom VID am 3.5.2013; Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001:2008, insolvenzspezifische Zertifizierung nach InsO 9001, jeweils abrufbar unter www.vid.de/de/qualitaet/goi.html bzw. http://www.vid.de/de/qualitaet/iso-9001.html (Abrufdatum: 8.7.2013); InsO-Excellence des Gravenbrucher Kreises, http://www.bak-inso.de/ index.php?option=com_phocadownload&view=category&download=139:gravenbrucher-kreis-anforderungen-inso-excellence&id=2:verwalterauswahl&Itemid=62.de (Abrufdatum: 8.8.2013). 143) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 66 Rz. 2.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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Er benötigt dazu die Zustimmung des Insolvenzgerichts. Dies gilt auch für die Stilllegung einzelner Betriebsteile.144) Die Zustimmung zur Stilllegung erfolgt auf Antrag. Das Insolvenzgericht ist von Amts 212 wegen nicht berechtigt, eine Stilllegungsentscheidung zu treffen. Träger der Fortführungsmaßnahme ist aufgrund der gesetzlichen Aufgabenzuweisung allein der vorläufige Insolvenzverwalter. Der Antrag auf Zustimmung zur Stilllegung ist weder an Formen noch an Fristen gebunden. Besteht ein vorläufiger Gläubigerausschuss, hat der vorläufige Insolvenzverwalter zunächst dessen Zustimmung einzuholen (§ 160 Abs. 2 InsO) bevor ein Antrag auf Zustimmung zur Stilllegung an das Insolvenzgericht gestellt wird. Der Antrag ist zu begründen. Aus dem Antrag muss sich für das Gerichts zweifelsfrei 213 und schlüssig ergeben, dass die Betriebsfortführung zu Verlusten führt, die einen Vermögensverzehr zur Folge haben, der erheblich ist. Dies kann auf der Grundlage von Planrechnungen (Plan-Ertragsrechnung, Liquiditätsbedarfsplanung) belegt werden. Obwohl das Gesetz dies nicht ausdrücklich vorsieht, ist eine Stilllegung auch dann geboten, wenn aus der Liquiditätsplanung ableitbar ist, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nicht in der Lage sein wird, von ihm begründete Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen, wenn im Zuge der Betriebsfortführung weiter Verluste erwirtschaftet werden. Erforderlich ist, dass die Betriebsfortführung zu erheblichen Vermögensminderungen 214 führt. Den Gläubigern wird damit in gewissen Grenzen auch eine Subventionierung einer nicht rentablen Betriebsfortführung zugemutet. Die Grenzen werden erst überschritten, wenn eine erhebliche Minderung zu erwarten ist, wobei die zumutbare Grenze nicht generell über Prozentsätze ermittelt werden kann. Eine zumutbare Opfergrenze wird jedoch überschritten, wenn bezogen auf die Soll-Masse, also das um Sonderrechte bereinigte Vermögen, ein Werteverzehr von mehr als 25 % droht.145) Auf der Basis des vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingereichten Antrags prüft das In- 215 solvenzgericht in kurzer Frist die vorgelegten Unterlagen. Im Rahmen der Aufsicht ist das Insolvenzgericht berechtigt, vom vorläufigen Insolvenzverwalter weitere Informationen, Berechnungen und Auskünfte zu verlange. Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, kann das Insolvenzgericht diesen zur Beratung hinzuziehen. Bei der Prüfung des Antrags auf Zustimmung zur Stilllegung ist der Zeitfaktor zu berücksichtigen. Die Entscheidung duldet regelmäßig keinen Aufschub. Das Insolvenzgericht ist deshalb verpflichtet, nach pflichtgemäßem Ermessen in kürzester Frist die Zustimmung zu erteilen. Die Möglichkeit, zusätzlich Zeugen zu hören oder ein Sachverständigengutachten (§ 5 InsO) einzuholen, scheidet wegen des damit verbundenen Zeitverlustes aus, da jeder Tag den Verlust aus einer unrentablen Betriebsfortführung vergrößert. Die Zustimmung kann auch in der Form einer Einwilligung bspw. in der Form einer Ge- 216 neralermächtigung erteilt werden, sofern das Insolvenzgericht die Entscheidungskriterien bestimmbar festlegt. Bei fakultativer Fortführung entscheidet der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter 217 nach pflichtgemäßem Ermessen, ob er der vom Schuldner beabsichtigten Fortführung zustimmt. Allerdings kann das Insolvenzgericht die Fortführung des Unternehmens des Schuldners auch dann anordnen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter lediglich mit einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wird. Die Anordnung führt dann zu einer richterlichen Kompetenzzuweisung entsprechend § 22 Abs. 2 InsO, wonach es dem Insol___________ 144) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 167. 145) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 171 ff.; anderer Ansicht Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 10, der bereits eine Einbuße von 10 % für erheblich hält – s. dazu auch Fn. 145.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

venzgericht überlassen ist, die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu bestimmen. 218 In diesem Fall ist auch der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter verpflichtet, für eine von ihm beabsichtigte vorzeitige Unternehmensstilllegung die Zustimmung des Insolvenzgerichts einzuholen.146) Auch dabei ist wieder entscheidend, ob durch die weitere Fortführung ein erheblicher Vermögensverzehr droht.147) 219 Einschränkend und gegen eine starre Opfergrenze, ist darauf hinzuweisen, dass im Einzelfall auch eine höhere Vermögensminderung gerechtfertigt sein kann, wenn die weitere Fortführung zwingend erforderlich ist, um eine Sanierung entweder in der Form einer übertragenden Sanierung oder einer Reorganisation mit oder ohne Insolvenzplan durchzuführen. Insoweit kommt es dann auf die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses an, der gemäß § 160 Abs. 2 InsO einer beabsichtigten Stilllegung zuzustimmen hat und deshalb unter Berücksichtigung des mit dem Insolvenzantrag verfolgten Ziels auch an einer Betriebsfortführung festhalten kann, obwohl mit weiteren Verlusten zu rechnen ist.148) 3.

Der vorläufige Insolvenzverwalter/vorläufige Sachwalter

3.1

Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters

220 Die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ergibt sich aus der Art der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Das Gericht trennt zwischen dem vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter, der aufgrund eines angeordneten allgemeinen Verfügungsverbotes aufgrund gesetzlicher Aufgabenzuweisung tätig wird. Dem gegenüber handelt der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter, der lediglich mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet ist, aufgrund richterlicher Kompetenzzuweisung, wobei das Insolvenzgericht dann gehalten ist, die Pflichten des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters zu bestimmen (§ 22 Abs. 2 InsO). Bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Dieser erlangt im Außenverhältnis damit rechtlich die Stellung eines Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren. Im Innenverhältnis wird die Rechtsstellung des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters durch den Verfahrenszweck des Eröffnungsverfahrens sowie den Sicherungszweck begrenzt. 221 Alle Verbindlichkeiten, die von einem vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, gelten nach Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten. Ebenfalls als Masseverbindlichkeiten sind solche Ansprüche zu berichtigen, die aus Dauerschuldverhältnissen resultieren, sofern der vorläufige Insolvenzverwalter die Gegenleistung zugunsten des von ihm verwalteten Vermögens in Anspruch genommen hat. Dies gilt im Falle einer Betriebsfortführung in weitem Umfange, da der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb aufgrund gesetzlicher Aufgabenzuweisung fortführt und in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Dauerschuldverhältnissen vorfindet und diese fortsetzt, soweit sie für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind. ___________ 146) AG Hamburg, Beschl. v. 23.9.2005 – 67g 358/05, ZInsO 2005, 1056. 147) Strittig sind die Richtwerte: 25 % des Schuldnervermögens werden angenommen von Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 84; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 114; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 26; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 176; für 10 %: Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 23; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 58. 148) So auch Schroeder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 62.

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§ 11

Bis zur Einführung des § 55 Abs. 4 InsO in Zusammenhang mit dem HBeglG 2011 vom 222 9.12.2010149) stellte die sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung den Regelfall dar.150) Nunmehr gelten jedoch auch die durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter 223 ausgelösten Steuerschulden als Masseverbindlichkeiten. Die rein aus fiskalischen Gründen eingeführte Regelung dürfte langfristig dazu führen, dass sich die Zahl der im Eröffnungsverfahren angeordneten Verfügungsverbote erhöht. Die Anordnung der sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt erfordert zusätzliche Ermächtigungen, mit denen das Insolvenzgericht den vorläufigen Verwalter ausstattet. Andernfalls ist eine Betriebsfortführung nicht zu beherrschen. Die wichtigste Einzelermächtigung dient der Begründung künftiger Masseverbindlichkeiten oder der Ermächtigung zur Prozessführung.151) Die liquiditätsmäßige Entlastung der Masse, die heute nur noch durch die Nichterfüllung 224 von Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen im Eröffnungsverfahren abgeleitet werden kann, wird mit erschwerten Rahmenbedingungen erkauft, die sich insbesondere nachteilig auf die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren auswirken. Die Einzelermächtigungen zur Begründung künftiger Masseverbindlichkeiten sind proble- 225 matisch, weil häufig nicht im Voraus bestimmbar ist, welche Verbindlichkeiten der vorläufige Insolvenzverwalter eingehen muss, um eine ordnungsgemäße Fortführung des Geschäftsbetriebes zu gewährleisten. Die Frage, ob die Einzelermächtigung auch in der Form einer Projektermächtigung oder einer Gruppenermächtigung erteilt werden kann, ist offen.152) Die Abwicklung von im Eröffnungsverfahren begründeten Verbindlichkeiten im sog. Treuhandkontenmodell wird zwar überwiegend als zulässig angesehen. Dabei wird ein Treuhänder, meist in der Person des vorläufigen Insolvenzverwalters, zur treuhänderischen Verwaltung eines bestimmten Bankguthabens mit der Abrede eingesetzt, daraus im Eröffnungsverfahren begründete Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen nach Anweisung zu erfüllen und die für die Abwicklung nicht benötigten Mittel danach an die Insolvenzmasse auszukehren. Zu diesem Zweck wird ein sog. Treuhandkonto eingerichtet. Wie jede Form der mehrseitigen rechtsgeschäftlich begründeten Sicherheiten Treuhand ist auch das Treuhandkontenmodell im Eröffnungsverfahren problemanfällig, zumal die zivilrechtlichen Einzelheiten bis heute ungeklärt sind. Überwiegend wird das Treuhandkontenmodell jedoch als zulässig angesehen.153) Unklar ist, ob die Führung eines Treuhandkontos der Zustimmung des Insolvenzgerichts bedarf und in welcher Form über die über das Treuhandkonto abgewickelten Einnahmen und Ausgaben abzurechnen ist.154) Dies sollte der fortführende Insolvenzverwalter daher frühzeitig mit dem Gericht abklären. 3.2

Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters

Die Rechtsstellung des Sachwalters einschließlich des vorläufigen Sachwalters ist in § 274 226 InsO geregelt. Auf den vorläufigen Sachwalter findet § 274 InsO kraft Verweisung in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende Anwendung. Dem vorläufigen Sachwalter obliegt die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners, die Überwachung der Ge___________ 149) Haushaltsbegleitgesetz, BGBl. I 2010, 1885. 150) Dazu ausführlich Fritsche, DZWIR 2005, 265. 151) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625; OLG Köln, Beschl. v. 21.5.2004 – 18 W 24/0, ZIP 2004, 2450. 152) Zustimmend Schroeder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 93. 153) Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185; Undritz, NZI 2003, 136; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 194; Werres, ZInsO 2012, 1233 ff.; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 132. 154) Dazu i. E. Schroeder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 102.

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schäftsführung sowie der Ausgaben für die Lebensführung. Diese Überwachungsaufgabe überschneidet sich mit den Kontroll- und Überwachungsaufgaben gesellschaftsrechtlicher Organe, bspw. dem Aufsichtsrat. Unklar ist, ob deren Mitwirkung über § 286a InsO analog auch bereits im Eröffnungsverfahren dahingehend eingeschränkt ist, dass sie keinerlei Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners ausüben können und Beschlüsse zur Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nur wirksam sind, wenn auch der vorläufige Sachwalter zustimmt.155) Stellt der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Prüfung und im Zuge der laufenden Überwachung fest, dass Schäden für die Gläubiger drohen, hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss – falls ein solcher eingesetzt ist – und in jedem Fall dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Ob die Anzeigepflicht auch gegenüber Gläubigern besteht, falls im Eröffnungsverfahren kein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt ist, ist unklar. Denn zu diesem frühen Zeitpunkt gibt es noch keine Forderungsanmeldungen, so dass § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht eingreift. Soweit das Gesetz zu den Kompetenzen des Sachwalters auch die Geltendmachung der Haftung aus Gesamtschäden und der persönlichen Gesellschafterhaftung (§ 280 i. V. m. §§ 92, 93 InsO), die Ausübung des Anfechtungsrechts (§ 280 i. V. m. §§ 129 ff. InsO) vorsieht, sind diese Befugnisse im Eröffnungsverfahren nicht einschlägig, da die Anspruchsvoraussetzungen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängen. 227 Bereits im Eröffnungsverfahren kann jedoch der vorläufige Sachwalter die Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) übernehmen. In diesem Fall entsteht ein noch stärkerer Zwang zur Kooperation zwischen dem sich selbstverwaltenden Schuldner (Eigenverwalter) und dem vorläufigen Sachwalter. Denn auch bei Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter begründet der Eigenverwalter durch seine Rechtshandlungen Masseverbindlichkeiten, sofern er dazu vom Insolvenzgericht in analoger Anwendung des § 270b Abs. 3 InsO bei Verfahren nach § 270a InsO ermächtigt wurde, wobei sich das Recht zu dieser Ermächtigung im Schutzschirmverfahren unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.156) Zahlungen auf Masseverbindlichkeiten müssen deshalb durch den Sachwalter geleistet werden. Dieser hat jedoch im Zuge seiner Kontrollpflicht die Möglichkeit, die Erfüllung zu verweigern, soweit es sich um masseschädigende Verfügungen handelt. In diesem Fall ist jedoch ein Konflikt zwischen Sachwalter und Eigenverwalter programmiert. 228 Hat der vorläufige Sachwalter daher die Kassenführung übernommen, müssen seine Mitwirkungsrechte in § 275 InsO bereits bei Begründung von Verbindlichkeiten beachtet werden. Hiernach soll der Schuldner Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Bei Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, hat der Sachwalter ein Widerspruchsrecht. Widerspricht er, soll der Schuldner davon absehen, die beabsichtigten Verbindlichkeiten tatsächlich einzugehen. 229 Aufgabenteilung setzt Kooperation statt Konfrontation voraus. Eine Betriebsfortführung ist nicht möglich, wenn der sich selbstverwaltende Schuldner, der die Handlungsbefugnis besitzt, und der Aufsicht führende Sachwalter sich nicht auf gemeinsame Ziele und eine vertrauensvolle Kooperation im Tagesgeschäft verständigen können.157) ___________ 155) Dafür AG Montabaur, Beschl. v. 19.6.2012 – HRB 20744, DZWIR 2013, 294; dagegen Nerlich/ Römermann-Riggert, InsO, § 276a Rz. 6. 156) AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = ZInsO 2012, 790; AG München, Beschl. v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470 ff.; Richter/Pluta, Bescheinigung zum Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO nach IDW ES 9 im Praxistest, BB 2012, 1591 ff; Huber, ZInsO 2013, 1 ff., 9, 10; offengelassen BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, NZI 2013, 342; ebenso Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1767. 157) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff., 655, 656.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 3.3

§ 11

Anforderungsprofil bei Betriebsfortführung im Regelverfahren

Aus ziel- und ergebnisorientierten Qualitätskriterien, die für die Abwicklungstätigkeit eines 230 vorläufigen Insolvenzverwalters gelten, sind Anforderungsprofile erstellt worden, denen der (vorläufige) Insolvenzverwalter zu entsprechen hat. Dies geht allgemein von der Sicherstellung der Verfahrenseröffnung, die Beschränkung der Verfahrensdauer, die Sicherung des Prinzips der Vollabwicklung, die optimale Erfassung und Bewertung i. V. m. der bestmöglichen Verwertung über die Fähigkeit zur deregulativen Abwicklung mit Hilfe eines Insolvenzplans mit oder ohne Eigenverwaltung bis hin zu den Anforderungen an eine transparente und zutreffende Rechnungslegung. Im Zusammenhang mit Sanierungsverfahren, die notwendigerweise eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens voraussetzen, werden zusätzliche Kriterien verlangt, die das Anforderungsprofil des fortführenden Insolvenzverwalters ergänzen. Denn können aus einer Fortführung des Unternehmens Überschüsse erwirtschaftet werden oder sichert die Fortführung über eine Auslaufproduktion die Begrenzung von Masseverbindlichkeiten die Fertigstellung von teilfertigen Erzeugnissen oder in sonstiger Weise eine Massemehrung, dann ist die Weiterführung eines Unternehmens, das der Schuldner betreibt, auch dann geboten, wenn mit der Insolvenzantragstellung nicht von vornherein als Verfahrensziel eine Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers oder eine Erhaltungslösung i. R. einer übertragenden Sanierung vorgegeben wird. Denn in den letztgenannten Fällen ist die Fortführung zwangsläufig und muss nahtlos ohne einen einzigen Tag der Unterbrechung auch über den Zeitraum der Antragstellung hinaus gewährleistet werden. Die Maßnahme als solche muss nach kaufmännischen Maßstäben umgesetzt werden. An den Insolvenzverwalter sind die Anforderungen eines ordnungsgemäß handelnden Geschäftsleiters zu stellen, der zur Erfüllung der Grundsätze der Business Judgement Rule ohne Eigeninteressen auf der Grundlage umfassender Information nachvollziehbare Entscheidungen im besten Sinne des Unternehmens trifft.158) Jede Fortführung setzt voraus, dass arbeitsrechtliche und sozialrechtliche Standards ein- 231 gehalten werden. Die Bewältigung von Betriebsänderungen im Allgemeinen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher und sozialrechtlicher Bestimmungen im Besonderen kennzeichnen die Insolvenzabwicklung als institutionalisierte Möglichkeit zur Krisenbewältigung. Notwendige Betriebsänderungen sozial verträglich, aber zugleich auch ökonomisch effizient und damit masseschonend umzusetzen, bestimmt in entscheidendem Maße das Ergebnis des Verfahrens und den Erfolg einer Sanierungsmaßnahme. Sie verlangt vom Insolvenzverwalter überdurchschnittliche arbeitsrechtliche und sozialrechtliche Kenntnisse, Verhandlungsgeschick und Stehvermögen, um die meist langjährigen, konfliktbeladenen und oftmals emotionalen Verhandlungen mit Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften, aber auch einzelnen Mitarbeitern, durchzuhalten. Rechtzeitige, oftmals auch planmäßig abgestufte, an einen rückläufigen Produktionsprozess angepasste Kündigungen, die sachgerecht und schnelle Vereinbarungen von Interessenausgleichen und Sozialplänen, erfolgreiche Insolvenzgeldvorfinanzierungen, gut geführte Kündigungsschutzprozesse und die Nutzung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften zum Zwecke der Verminderung von Masseverbindlichkeiten gehören zum Handwerkszeug des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, auch wenn im Eröffnungsverfahren die Regelungen des Insolvenzarbeitsrechtes (§§ 133 ff. InsO) noch nicht zur Anwendung kommen. Nachlässig durchgeführte Betriebsänderungen führen häufig zum Scheitern oder mindestens zu einer erheblichen Belastung von Sanierung und Reorganisationsmaßnahmen und zwar insbesondere ___________ 158) Oldiges, Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgement Rule, S. 114 ff., 135 ff.; Frege/ Berger, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 10.

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dann, wenn die mit der Anwendung des § 613a BGB verbundenen Folgen nicht beachtet oder nicht beherrscht werden.159) 232 Betriebsfortführungen müssen ökonomisch effizient betrieben werden. Auf der Basis einer Kosten-/Nutzenanalyse stehen alle Abwicklungsmaßnahmen auf dem Prüfstand. Dies gilt auch für die Transaktionskosten. Denn das Ziel, das bestmögliche Ergebnis unter den konkreten Bedingungen des Einzelfalles zu erreichen, setzt voraus, dass Massemittel ökonomisch, d. h. effizient, eingesetzt werden. Die Maßstäbe der ökonomischen Effizienzjurisprudenz sind vor allem bei Betriebsfortführungen zu beachten und gehören zum Handwerkszeug des fortführenden Insolvenzverwalters.160) 233 Vor allem bei Betriebsfortführungen gehören zum Anforderungsprofil an den fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter soft skills, die fachliche Kompetenz ergänzen und in entscheidendem Maße die Berufsausübung von Menschen in verantwortlichen Funktionen prägen. Gerade in der kritischen Übergangsphase nach Stellung eines Insolvenzantrags und nachfolgender Anordnung von vorläufigen Maßnahmen gehören die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, Durchsetzungsfähigkeit und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung sowie der Mut, in Krisensituationen die Initiative zu ergreifen, zu den menschlichen Eigenschaften und persönlichen Fähigkeiten, die der vorläufige Insolvenzverwalter mitbringen muss. Erlernbare soft skills wie Rhetorik und Umgangsformen und nicht erlernbare Eigenschaften wie Witz und Schlagfertigkeit, Disziplin, Stressresistenz und Einfühlungsvermögen, sind Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale, die sich unter bestimmten Bedingungen als nützliche Werkzeuge erweisen und dann unverzichtbar sind. Ihr Vorhandensein fördert in entscheidendem Maße das Vertrauen von Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden und anderen Vertragspartnern in die Abwicklungskompetenz des vorläufigen Insolvenzverwalters, der auf diese Weise sicherstellt, dass die fortführungsrelevanten Strukturen des Unternehmens auch nach Einleitung des Insolvenzverfahrens erhalten bleiben.161) 3.4

Anforderungsprofil bei Eigenverwaltung

234 Schwierig wird es mit den Anforderungsprofilen bei Eigenverwaltung. Denn in diesem Fall nimmt das Gesetz bewusst in Kauf, dass diejenigen, die das Unternehmen in der Krise bis zur Antragstellung geführt haben, befugt bleiben, das Vermögen und damit die Insolvenzmasse unter Aufsicht eines Sachwalters zu verwalten und hierüber zu verfügen. Der Schuldner als Eigenverwalter erfüllt, ausgestattet mit umfassenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnissen Kernaufgaben, die im Regelverfahren von einem zertifizierten und nach qualitativen Maßstäben gelisteten Insolvenzverwalter zu erfüllen sind. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers macht dies Sinn, um die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung auch für den Sanierungsprozess zu nutzen. Reibungsverluste durch eine auch von der Größe des insolventen Unternehmens abhängigen Einarbeitungszeit, die jeder Insolvenzverwalter benötigt, um sich mit seiner Aufgabe vertraut zu machen, sollten durch die Eigenverwaltung vermieden werden.162) 235 Wird das Unternehmen fortgeführt, ist das operative Tagesgeschäft Sache des Schuldners. Planung und Umsetzung der Maßnahmen liegen in seiner Verantwortung. Das Berichtswesen ist ebenfalls Aufgabe des Schuldners, wozu auch die Aufstellung und die Vorlage ___________ 159) 160) 161) 162)

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Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 ff., 161. Kück, ZInsO 2007, 637; Haarmeyer, ZInsO 2007, 169; Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157, 162. Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 ff., 165; dazu auch Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Begr. RegE, § 270 InsO, S. 518; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

der Pflichtverzeichnisse gehört sowie die Erfüllung der Pflicht zur externen und internen Rechnungslegung. Diese im Regelverfahren von einem Insolvenzverwalter zu erledigenden Aufgaben, werden im Zuge der Eigenverwaltung dem sich selbstverwaltenden Schuldner als Eigenverwalter zugewiesen. Damit sind nahezu alle Schuldner und die Führungsorgane insolventer juristischer Personen überfordert. Die Praxis behilft sich deshalb mit der Bildung einer insolvenzlastigen Doppelspitze, indem aktive Insolvenzverwalter in Geschäftsführung oder Vorstände insolventer Unternehmen eingewechselt werden.163) Der im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach § 270a InsO oder im Schutzschirm- 236 verfahren nach § 270b InsO zu bestellende vorläufige Sachwalter hat darüber hinaus besondere Anforderungsprofile zu erfüllen. Von ihm wird verlangt, dass er die geteilte Kompetenz so wahrnimmt, dass der operativ verantwortliche Eigenverwalter in die Lage versetzt wird, ohne Störfeuer aus dem Bereich des Aufsicht führenden vorläufigen Sachwalters das Tagesgeschäft zu führen. Der vorläufige Sachwalter muss in der Lage sein, seine Aufsichtsfunktion wahrzunehmen 237 und gleichzeitig Führungsverantwortung zu tragen. Eigenverwalter und Sachwalter sind gehalten, sich in den Entscheidungsprozessen zurück zu nehmen und keine Dominanz anzustreben und im Zuge der Unternehmensführung den Sachverstand an die Stelle der formalen Kompetenz zu setzen. Dies ist problematisch, weil als vorläufige Sachwalter im Regelfall Personen eingesetzt werden, die als Insolvenzverwalter gewohnt sind, alle für die Fortführung eines Unternehmens und die Abwicklung des Insolvenzverfahrens relevanten Entscheidungen selbst und in eigener Verantwortung zu treffen. Der Spagat zwischen notwendiger Aufsicht und Übernahme von Führungsverantwortung fordert vorläufige Sachwalter, die in der Lage und bereit sind, die Führungsrolle des Eigenverwalters im operativen Geschäft zu akzeptieren.164) 3.5

Qualitätsnachweise, Zertifikate

Die organisierten Insolvenzverwalter gewährleisten persönliche Qualifikation und Quali- 238 tät der Abwicklung durch die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen, die fortlaufend einer externen und unabhängigen Prüfung unterzogen werden. Die verpflichtende Einführung von Qualitätsmanagementsystemen ist für die Mitglieder des Gravenbrucher Kreises (InsO excellence) sowie den VID – Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. – (ISO 9001, InsO 9001, GOI) verbindlich. Der Nachweis ist durch entsprechende Prüfzertifikate durch unabhängige Prüfungsgesellschaften innerhalb der von den Verbänden vorgegebenen Frist zu erfüllen. Die dauerhafte Erhaltung erreichter Qualitätsstandards ist durch Nachzertifizierungen im turnusmäßigen Abstand zu dokumentieren. Die Qualitätsanforderungen an professionell arbeitende Insolvenzverwalter und Sachwal- 239 ter gehen damit weit über die vom Gesetz geforderten Qualifikationen (Eignung für den jeweiligen Einzelfall, Geschäftskunde, Unabhängigkeit) hinaus.165) Siehe dazu den Beitrag von Runkel, oben § 5 Rz. 1 ff.; sowie Gerster, § 7 Rz. 233 ff. 3.5.1 ISO 9001 EN ISO 9001 bestimmt die Mindestanforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem 240 (QMS), denen eine organisatorische Einheit zu genügen hat, um Dienstleistungen zu erbringen, die die Anforderungen des Auftraggebers erfüllen, gesetzliche Rahmenbedingungen ___________ 163) Uhlenbruck in: FS Görg S. 515 ff., 520; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 642; Fiebig in: HK-InsO, § 270 Rz. 22 – 25; ablehnend zu dieser Handhabung Frind, ZInsO 2002, 745 ff. 164) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 658. 165) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 71 – 74.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

einhalten und behördlichen Anforderungen genügen. Die acht Grundsätze eines QMS, das den Anforderungen von EN ISO 9001 entspricht, sind: 1.

Kundenorientierung,

2.

Verantwortlichkeit der Führung,

3.

Einbeziehung der Beteiligten,

4.

prozessorientierter Ansatz,

5.

systemorientierter Managementansatz,

6.

kontinuierliche Verbesserung,

7.

sachbezogener Entscheidungsfindungsansatz,

8.

Gewährleistung eines gegenseitigen Nutzens.

241 Die EN ISO 9001 sind nicht speziell auf die Organisationsstruktur einer hochwertigen Insolvenzverwaltung zugeschnitten. Sie enthalten auch keine speziellen Anforderungen an die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren bzw. im Insolvenzeröffnungsverfahren. Sie legt jedoch die Mindestanforderungen an ein QMS fest, die dann zumindest mittelbar dazu führen, dass die Anforderungen der an einer Betriebsfortführung beteiligten Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter des insolventen Unternehmens und der sonstigen Vertragspartner, aber vor allem auch der Aufsicht führenden Gerichte, erfüllt werden. Die Kundenorientierung eines QMS nach EN ISO 9001 verteilt sich damit auf die Anforderungen der Gläubiger die bei der Auswahlentscheidung zu beteiligen sind und unverändert auch der Insolvenzgerichte, die die Entscheidung entweder wie bisher nach pflichtgemäßem Ermessen oder entsprechend einem bindenden Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses vornehmen.166) 242 Mitglieder des VID – Verband der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. – müssen ein QMS einführen, das den Anforderungen von EN ISO 9001 entspricht. Die Zertifizierung nach EN ISO 9001 ist verbindliche Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Verband.167) 3.5.2 InsO 9001 243 Die speziell auf das QMS für Insolvenzverwaltungen abgestimmte Norm InsO 9001:2010 gilt seit dem 5.12.2011 und soll gewährleisten, dass der Ablauf eines Insolvenzverfahrens einem einheitlichen Standard unterliegt. Für Unternehmensinsolvenzen muss der geprüfte Insolvenzverwalter darlegen, dass er über Erfahrungen in der Unternehmensfortführung, also über unternehmerische Fähigkeiten, verfügt. In besonders gelagerten Fällen können Zusatzqualifikationen erforderlich sein, insbesondere nachgewiesene Erfahrungen mit Betriebsfortführungen, vertiefte Kenntnisse und praktische Erfahrungen in einzelnen Branchen oder Rechtsgebieten sowie im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren. Die Konformitätsbescheinigung wird vom Institut für Qualität und Standards in der Insolvenzabwicklung (IQS) auf Basis der Empfehlung von akquirierten insolvenzgerichtlichen Konformitätsstellen erteilt.168) Es handelt sich damit um ein spezielles Zertifikat für Insolvenzverwalter und deren Dienstleister, das allerdings anders als das Zertifikat nach EN ISO 9001 nicht verpflichtend für die Mitgliedschaft im VID ist.

___________ 166) Mönning in: FS Görg S. 291 ff., 296, 297. 167) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 108. 168) www.iqs-institut.de/revision-der-inso-9001-zur-inso-90012010/ (Abrufdatum: 8.7.2013).

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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3.5.3 GOI – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzabwicklung Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) ist der Berufsverband der in 244 Deutschland tätigen Insolvenzverwalter, dem etwa 450 Mitglieder (Stand: März 3013) angehören. Die Einhaltung der Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) ist für alle Verbandsmitglieder verpflichtend. Die dazu erlassene Prüfungsordnung soll eine einheitliche und angemessene Überprüfung der Beachtung dieser Grundsätze sowie die Vergleichbarkeit der darüber ausgestellten Zertifikate sicherstellen. Grundlage der Überprüfung sind pro Insolvenzverwalter insgesamt zehn nach einem Zufallsprinzip ausgewählte Insolvenzverfahren, in denen er zum Sachverständigen, (vorläufigen) Insolvenzverwalter, Sonderinsolvenzverwalter, (vorläufigen) Sachwalter oder Treuhänder bestellt wurde. Die GOI wurden von der Mitgliederversammlung am 5.5.2012 beschlossen. Die GOI enthalten auch verpflichtende Anforderungen für eine Betriebsfortführung unter Insolvenzbedingungen. In jedem Verfahren sind alle Möglichkeiten der Betriebsfortführung zwecks Erhalts des Unternehmens und der Arbeitsplätze auszuschöpfen (siehe III. 14. S. 1 GOI). Darüber hinaus werden Vorgaben zur Organisation einer Betriebsfortführung formuliert. Danach erfordert die Betriebsfortführung eine zeitnahe Liquiditätsplanung in Anlehnung an den IDW-Standard. Die Einhaltung der Planung wird in regelmäßigen Abständen durch einen Soll-/Ist-Vergleich überprüft (siehe III. 14. S. 2 GOI).169) Als weiterer verbindlicher Qualitätsmaßstab gilt die Einführung des einheitlichen Konten- 245 rahmens SKR-InsO, die vom VID am 1.12.2011 mit Bindungswirkung für alle Mitglieder beschlossen wurde. 3.5.4 InsO-Excellence des Gravenbrucher Kreises Im Gravenbrucher Kreis sind seit mehr als 25 Jahren die führenden überregional tätigen 246 Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammengeschlossen. Ihm gehören derzeit (Stand März 2013) 29 Mitglieder (19 aktive und 10 passive) an. Die Mitglieder des Gravenbrucher Kreises haben am 27.7.2010 die verpflichtende Einführung eines QMS beschlossen, das durch die DQS als unabhängiger Prüfer in definierten Zeitabständen in den jeweiligen Kanzleien geprüft wird. Kanzleien, die die Prüfungsanforderungen erfüllen, erhalten das Zertifikat „InsO Excellence“. Das QMS umfasst 222 Prüfungspunkte und definiert die Anforderungen an professionelle Strukturen in Insolvenzkanzleien zum Nachweis höchster Qualität in der Bearbeitung von Unternehmensinsolvenzen und -sanierungen. Das Zertifikat versteht sich als Weiterentwicklung und Steigerung der Zertifikate ISO 9001 und InsO 9001. Zur Erlangung des Zertifikates sind besondere Anforderungen im Zusammenhang mit Betriebsfortführungen zu erfüllen. Der Spannungsbogen reicht von der Planung einer Betriebsfortführung bis zu ihrer Umsetzung im Tagesgeschäft.170) 3.6

Netzwerk externer Dienstleister

Professionell arbeitende Insolvenzverwalter haben ein Netzwerk von internen und exter- 247 nen Mitarbeitern aufgebaut, die den Insolvenzverwalter bei der Abwicklung unterstützen. Für diese müssen die gleichen Qualitätsanforderungen gelten, die auch der (vorläufige) Insolvenzverwalter/Sachwalter zu erfüllen hat. Dies beginnt bereits bei den Anforderungen an, die im Büro des Insolvenzverwalters arbeitenden Anwälte und zwar unabhängig ___________ 169) Die GOI nebst Prüfungsanordnung sind als Download verfügbar unter http://www.vid.de/de/ qualitaet/goi.html (Abrufdatum: 8.7.2013). 170) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 107 ff.; Einzelheiten zu den Anforderungen von InsOExcellence sind unter http://www.bak-inso.de/index.php?option=com_phocadownload&view= category&download=139:gravenbrucher-kreis-anforderungen-inso-excellence&id=2:verwalterauswahl& Itemid=62.de dargestellt (Abrufdatum: 8.8.2013).

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

davon, ob diese im Anstellungsverhältnis tätig sind oder als freie Mitarbeiter. Diese müssen in der Lage sein, Rechtsfragen in den bei Insolvenzabwicklungen einschlägigen Rechtsgebieten kompetent zu bearbeiten und den krankheitsbedingt oder urlaubsbedingt abwesenden anwaltlichen Insolvenzverwalter zu vertreten.171) 248 Die Betriebsfortführung gehört zu den höchstpersönlichen Aufgaben des vorläufigen Insolvenzverwalters, ebenso wie der vorläufige Sachwalter höchstpersönlich die Betriebsfortführung des Eigenverwalters zu überwachen hat. Eine Betriebsfortführung vertraglich auf Geschäftsbesorger oder Interimsmanager zu delegieren, ist unzulässig. Dies gilt uneingeschränkt für den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter, während der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter berechtigt ist, im Wege der Einzelermächtigung einen Interimsmanager zu beauftragen, wenn die vorhandene Geschäftsführung oder der Inhaber nicht in der Lage sind, den Geschäftsbetrieb ordnungsgemäß und kompetent zu führen.172) Von besonderer Bedeutung bei Betriebsfortführungen sind kompetente und erfahrene Controller, die den Soll-Ist-Vergleich durchführen, Planrechnungen erstellen und ergänzen sowie ggf. anpassen. In größeren Verfahren muss ein Team von Controllern arbeitsteilig eingesetzt werden. 249 Grundsätzlich ist es zulässig, dass sich der Verwalter von externen Fachleuten bei delegierbaren Aufgaben unterstützen lassen kann. Allgemein gilt jedoch, dass gerade das Eröffnungsverfahren eine ständige Präsenz des vorläufigen Insolvenzverwalters erfordert, da die ersten vier Wochen nach Antragstellung besonders kritisch sind. Vor allem in diesem Zeitraum kommt es darauf an, die Vertriebs- und Absatzstrukturen sowie die innerbetriebliche Organisation stabil zu halten. Dies geht nur, wenn der entsprechend autorisierte vorläufige Insolvenzverwalter – ob vollbefugt oder nur mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattet – erreichbar ist und verfahrensleitende Gespräche mit dem Schuldner und seinen Organen, den wichtigsten Lieferanten und Kunden, den absonderungsberechtigten (Groß-)Gläubigern und den Arbeitnehmern und ihren Vertretungen persönlich führt. Mindestens hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Standards einzuhalten, die verpflichtend durch Qualitätsmanagementsysteme vorgegeben werden. 250 Für delegierbare Aufgaben benötigt jeder (vorläufige) Insolvenzverwalter ein Netzwerk von qualifizierten Dienstleistern sowie externen Fachleuten, die auf der Grundlage von Geschäftsbesorgungsverträgen, Dienstverträgen oder auch Werkverträgen entweder zu Lasten der Masse beschäftigt werden dürfen oder – soweit es sich nicht um Sonderaufgaben handelt – vom vorläufigen Insolvenzverwalter aus eigenen Mitteln bezahlt werden müssen. 251 Zu den delegierbaren Tätigkeiten gehören x

die Aufarbeitung der Buchhaltung,173)

x

die Beauftragung eines Steuerberaters/vereidigten Buchprüfers oder Wirtschaftsprüfers zur Erledigung der steuerlichen Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters sowie zur Überprüfung des Zahlungsverkehrs zwecks Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts der Insolvenzreife;174)

___________ 171) Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 15 m. w. N.; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 73. 172) BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909 = ZInsO 2010, 730; vgl. dazu auch Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 16; die Gegenmeinung, wonach die Betriebsfortführung in vollem Umfang auf Interimsmanager delegierbar ist, vertritt Prasser, ZIP 2010, 1910. 173) Bork, ZIP 2005, 1120. 174) LG Aachen, Beschl. v. 8.5.2007 – 6 T 67/07; LG Cottbus, Beschl. v. 6.6.2011 – 7 T 46/10; Rhode/Calic, ZInsO 2006, 1247.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

x

für die Erfassung und Bewertung von Anlagegegenständen kann der vorläufige Insolvenzverwalter Sachverständige beauftragen, ebenso

x

für die Ermittlung von Altlasten und Abfällen.

Demgegenüber sind Entscheidungen über die Verwertung höchstpersönliche Aufgaben 252 des Verwalters, die aber im Eröffnungsverfahren regelmäßig noch nicht zum Tragen kommen, da in diesem Zeitraum nur Verwertungsmaßnahmen in Betracht kommen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsfortführung stehen. Grundsätzlich gilt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter delegierbare Tätigkeiten nur an 253 externe Dienstleister und Fachleute vergeben darf, die in der Lage sind, ihre Aufgaben unter Wahrung der geprüften Qualitätsstandards zu erfüllen. Für bestimmte Tätigkeiten, wie bspw. die Verwertung der Insolvenzmasse, werden bereits zum heutigen Zeitpunkt nur natürliche oder juristische Personen eingesetzt, die ihrerseits über zertifizierte Qualitätsmanagementsysteme verfügen. 3.7

Organisation und Ausstattung

Allein der Insolvenzverwalter entscheidet über die Organisation seines Büroapparats und 254 dessen personelle Besetzung. Letztendlich ist die Qualität der Arbeit entscheidend, die auf unterschiedlichen Unternehmensphilosophien – bspw. „make or buy“ – beruhen kann. Das Aufsicht führende Insolvenzgericht oder auch der vorläufige Gläubigerausschuss können dem (vorläufigen) Insolvenzgericht nicht vorschreiben oder raten, welche insolvenzspezifische Software er benutzt oder welche Hardware er anschafft. Legendär ist der verstorbene Insolvenzverwalter Ringwald, der als Mitglied des Gravenbrucher Kreises das Konkursverfahren der Saarstahl AG mit hervorragendem Ergebnis abwickelte und dabei ausschließlich aus einem unternehmensinternen Büroraum agierte, zu dem er morgens mit der Straßenbahn anreiste.175) Anders verhält es sich mit den Anforderungen, die an die eingesetzten Mitarbeiter zu 255 stellen sind. Diese müssen bereits von ihrer Ausbildung her über die erforderliche Qualifikation als Fachangestellte oder auch Insolvenzfachwirte verfügen aber unabhängig von ihren mitgebrachten Fähigkeiten fortlaufend geschult und qualifiziert werden. Dies gilt für allem auch für angestellte oder freiberuflich tätige Rechtsanwälte, die den bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter oder vorläufigen Sachwalter im Tagesgeschäft begleiten und unterstützen und in der Lage sein müssen, bei Abwesenheit oder Verhinderung die Arbeit zu übernehmen und fortzusetzen. Generell gelten für interne und externe Hilfskräfte des Insolvenzverwalters die gleichen Eignungskriterien, die für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter maßgeblich sind.176) Von besonderer Bedeutung sind kaufmännische Fähigkeiten und betriebswirtschaftliches 256 Verständnis, wenn es darum geht, den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Verfügt der vorläufige Insolvenzverwalter nicht selbst über die notwendigen Fähigkeiten, dann muss er sich extern oder intern durch Mitarbeiter verstärken, die in der Lage sind, ihn bei der operativen Geschäftsführung zu unterstützen. 3.8

Interessenkonflikte und Tätigkeitsverbote

Der Grundsatz „genannt – verbrannt“ ist mit Einführung des § 56 Abs. 1 Nr. 1 InsO end- 257 gültig überholt. Bis zur Einführung des ESUG gingen viele Gerichte davon aus, dass ein vorgeschlagener Bewerber ein vorbefasster Bewerber sein müsse, der somit für die Über___________ 175) Bedenklich Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 15, der feste Strukturen verlangt. 176) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 73.

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nahme der Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht in Betracht käme. Die vorgeschlagene Person ist nicht deshalb ungeeignet, weil sie vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen wurde. Dies tangiert die Unabhängigkeit des Bewerbers als gesetzlich vorgegebenes Auswahlkriterium nicht. Der deutsche Hang zur Missbrauchserforschung führt jedoch in solchen Fällen trotz gesetzlicher Klarstellung zu der Befürchtung, der Vorschlag basiere nicht auf qualitativen Kriterien, sondern möglicherweise auf Vorkontakten.177) 258 Verkannt wird, dass alle Beteiligten eines Insolvenzverfahrens, ob Banken, Versicherungen, Gewerkschaften, Arbeitsverwaltung, Finanzverwaltung, Sozialversicherungsträger oder auch die Rechtsabteilungen großer Unternehmen, immer wieder mit Insolvenzverfahren in Berührung kommen, so dass sich über Jahre hinweg zwangsläufig „Vorkontakte“ ergeben und aufbauen. Der Gesetzgeber hat mit den Bestimmungen in § 56 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO ein klares Signal gesetzt, dass das Kriterium der Unabhängigkeit seit Einführung des ESUG neu definiert werden muss. 259 Weder der vorgeschlagene Kandidat ist per se mangels Unabhängigkeit ungeeignet noch gilt dies für Personen, die bereits vor dem Eröffnungsantrag Kontakt zum Schuldner hatten und diesen in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten haben. Maßstab für den vorläufigen Insolvenzverwalter bei der Prüfung möglicher Interessenkollisionen, die tatsächlich die Unabhängigkeit ausschließen, sind die Vorgaben in den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung.178) 260 Letztendlich verlangen die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung persönliche Integrität und Ehrlichkeit, die dadurch dokumentiert wird, dass der vorläufige Insolvenzverwalter bereits im Vorfeld klarstellt, dass er mangels Unabhängigkeit oder Überlastung als vorläufiger Insolvenzverwalter oder vorläufiger Sachwalter nicht in Betracht kommt. Die vom Verwalter verlangte Unabhängigkeit hat zu gewährleisten, dass dieser sein Amt frei von sachfremden Einflüssen ausübt. Dabei geht es ausschließlich um äußere Kriterien, die für den anzulegenden Prüfungsmaßstab von Bedeutung sind. Innere Konflikte, Sympathien oder Antipathien, politische, religiöse oder verbandsmäßig begründete Lebenseinstellungen und Auffassungen spielen keine Rolle.179) 261 Mögliche Interessenkonflikte, die die Unabhängigkeit eines in Aussicht genommenen Verwalters beseitigen, sind tunlichst bereits im Vorfeld eines Insolvenzantrags abzuklären. Der potentielle Verwalter hat von sich aus alle Angelegenheiten zu offenbaren, mit denen er im Vorfeld befasst war und die die Insolvenzmasse oder an ihr beteiligte Gläubiger, Drittschuldner oder den Schuldner selbst unmittelbar betreffen.180) Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Offenbarung relevanter Vorkontakte, die sich allerdings nur auf rechtliche und/ oder wirtschaftliche Abhängigkeiten beziehen, versetzen das Insolvenzgericht und auch den vorläufigen Gläubigerausschuss in die Lage, die Unabhängig zutreffend im Einzelfall zu bewerten. Dabei tangiert allerdings eine unzutreffende Angabe nicht die Unabhängigkeit, sondern die Eignung, da falsche Angaben das Vertrauensverhältnis berühren.181)

___________ 177) So auch Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 26c. 178) GOI des VID e. V. Teil III, 1; dazu auch Blersch/Goetsch/Haas-Blersch, BK-InsO, § 56 Rz. 10. 179) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 76; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 24 ff. 180) Römermann/Praß, ZInsO 2011, 1576; Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360; zur Unabhängigkeit allgemein: Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 43 f. 181) Dazu auch Römermann, ZInsO 2013, 218 ff.; Horstkotte, ZInsO 2013, 160 ff.; Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht, S. 18 ff.; A. Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 3.9

§ 11

Unabhängigkeit des mitgebrachten Sachwalters

Das Verfahren nach § 270b InsO zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfah- 262 ren) setzt den Anreiz, dass der antragstellende Schuldner „seinen“ vorläufigen Sachwalter selbst „mitbringen“ kann. Dieser muss geeignet sein, also die gesetzlichen Kriterien wie Geschäftskunde und Unabhängigkeit erfüllen. Gerade der mitgebrachte Sachwalter zeigt jedoch, dass das Kriterium der Unabhängigkeit neu bewertet werden muss. Denn der mitgebrachte vorläufige Sachwalter wird immer eine Person sein, die dem vorschlagenden Schuldner bereits bekannt ist, zu der Vorkontakte bestehen oder sogar bereits berufliche Berührungspunkte. Zumindest bestehen derartige Kontakte zu den Beratern des Schuldners, die im Vorfeld eines Schutzschirmverfahrens das Sanierungskonzept erstellen, den Bescheiniger auswählen und auch eine Vorauswahl in Bezug auf die Person des mitgebrachten Sachwalters treffen. Dabei wird geradezu verlangt, dass der mitgebrachte Sachwalter auf der Grundlage eines Vertrauensvorschusses arbeitet, indem ihm unterstellt wird, dass er bereit und in der Lage ist, ein vorbereitetes Sanierungskonzept zu begleiten. Daran ist auch nichts Verwerfliches, da zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine 263 Antragspflichten bestehen. Auch der Insolvenzgrund der Überschuldung dürfte regelmäßig ausscheiden, da das Verfahren nach § 270b InsO eine positive Fortführungsprognose verlangt. Ein Schuldner, der sich dem Schutzschirmverfahren unterzieht, auch wenn er noch nicht verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, hat Anspruch auf einen mitgebrachten Sachwalter, dem er vertraut. Sonst bräuchte man ihm die Möglichkeit, einen vorläufigen Sachwalter mitzubringen, erst gar nicht einräumen. Aber auch diese Einladung zur Durchführung eines frühzeitigen Sanierungsverfahrens ändert 264 offensichtlich nichts daran, dass die für Deutschland typische Gemengelage erhalten bleibt, wonach jede Reform zunächst auf ihre Missbrauchsanfälligkeit abgeklopft wird.182) Dies führt dazu, dass auch an die Unabhängigkeit des mitgebrachten Sachwalters Messlatten angelegt werden, die von der Annahme ausgehen, dass gerade ein mitgebrachter Kandidat nichts anderes beabsichtigt, als bestimmten Beteiligten ungerechtfertigte Vorteile zukommen zu lassen. Gleichermaßen wird die meist sinnvolle Kombination von vorläufigem Sachwalter und einem Eigenverwalter in der Person eines ausgewiesenen Insolvenzfachmanns zum Teil als Konstruktion angesehen, die den Missbrauch fördert.183) Richtig ist vielmehr, dass die insolvenzlastige Doppelspitze im Schutzschirmverfahren, 265 aber auch im Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO, allein schon deshalb sinnvoll ist, weil dem Eigenverwalter eine Vielzahl von – rechtlich bestimmten – Aufgaben zugewiesen wird, die ansonsten ein Insolvenzverwalter mit nachgewiesene Qualität zu erfüllen hätte.184) Solange die Missbrauchsdebatte anhält und möglicherweise durch einzelne Ausreißer, in 266 denen es tatsächlich zu nachgewiesenem Fehlverhalten gekommen ist, befeuert wird, muss die Person des mitgebrachten Sachwalters zweckmäßigerweise im Vorfeld eines Antrags auf Durchführung eines Schutzschirmverfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung mit dem zuständigen Insolvenzgericht abgeklärt werden, um keine böse Überraschung zu erleben.185) ___________ 182) 183) 184) 185)

Dazu Mönning in: FS Wellensiek, S. 641 ff.; a. A. Flöther, ZIP 2012, 1833 ff. Umfangreiche Beispiele für diese Annahme finden sich bei Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 26b. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 642. Vgl. dazu den Beitrag von Hielscher in: „Die Wirtschaftswoche“ 2012, Heft 44, S. 2013 vom 9.11.2012 abrufbar unter: http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/insolvenzen-machtkampf-ums-muesliseite-all/7304372-all.html (Abrufdatum: 8.7.2013); zu den Folgen: Smid, ZInsO 2013, 209, der darlegt, in welcher Weise einige Gerichte, die mit dem ESUG verbundenen Bindungen unterlaufen.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

III.

Wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

1.

Analyse, Planung, Steuerung

267 Die Fortführung und ihr Erfolg sind mit analytischen, betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und administrativen Faktoren und deren Beurteilung sowie entsprechenden Problemstellung und ihren Lösungen verknüpft, so lange die Fortführung als zulässige Abwicklungsund Verwaltungsvariante innerhalb des Verfahrensziels einer gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der beteiligten Gläubiger oder als notwendige Voraussetzung zur Umsetzung einer Reorganisation verstanden wird. Unverändert gilt, dass im Falle der Insolvenz von Großunternehmen eine Betriebsfortführung obligatorisch ist. Hier gibt es zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes aus übergeordneten politischen Gründen zunächst keine Alternative, wobei Beispiele aus jüngster Zeit zugleich belegen, dass auch die Fortführung von Großunternehmen nicht notwendigerweise mit deren Erhaltung entweder in der Form einer übertragenden Sanierung oder einer Reorganisation verbunden sein muss (Beispiel: Schlecker). 268 Die mit der Betriebsfortführung verfolgten Ziele, die Dauer der Fortführung, die prognostizierte Ergebnisverbesserung und die diesen Aussagen zu Grunde liegenden Planrechnungen sind als einheitliches Fortführungskonzept zu dokumentieren und fortlaufend einer Überprüfung zu unterziehen. Im Eröffnungsverfahren kommt es dabei zunächst darauf an, ob der vorläufige Insolvenzverwalter oder vorläufige Sachwalter zum Zeitpunkt seiner Bestellung bereits ein detailliertes Fortführungskonzept vorfindet oder dieses erst innerhalb kürzester Zeit erstellen muss. Dies gilt vor allem dann, wenn das Gericht als vorläufige Maßnahme ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet hat, das den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortführung verpflichtet. 269 Die Steuerungsfunktion, die der Insolvenzantrag eines Schuldners, der die Voraussetzungen des § 13 InsO erfüllt, seit Einführung des ESUG haben soll, wird nur gewahrt, wenn der Antrag nach ausreichender Vorbereitung mit definierten Verfahrenszielen eingereicht wird. Zur umfassenden Vorbereitung gehört dabei im Idealfall auch bereits ein ausgearbeitetes Sanierungskonzept, das den Anforderungen von IDW ES 6 n. F. entspricht und i. R. einer integrierten Unternehmensplanung Aussagen zur Unternehmensfortführung enthält und die Fortführungsfähigkeit durch entsprechende Planrechnungen (Liquiditätsplanung und Ertragsplanung) unterlegt.186) 270 In jedem Fall ist unabdingbare Voraussetzung für eine professionelle Betriebsfortführung die betriebswirtschaftliche Überwachung i. R. einer integrierten Plan-, Gewinn- und Verlustrechnung. Dabei müssen zu Beginn der Betriebsfortführung die der Planrechnung zu unterlegenden Planprämissen zunächst erarbeitet und danach einvernehmlich festgelegt werden und zwar entweder auf der Grundlage einer bereits vom Schuldner oder seinen Beratern erstellten oder vom vorläufigen Insolvenzverwalter unmittelbar nach seiner Bestellung zu erstellenden Planung. Bisher galt, dass das Entscheidungsfenster für oder gegen eine Fortführung des Geschäftsbetriebes nur für wenige Tage im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Einleitung des Insolvenzverfahrens geöffnet war.187) 271 Diese Annahme gilt spätestens seit Einführung des ESUG am 1.3.2012 nur noch eingeschränkt. Denn nunmehr können Betriebsfortführungen bereits vor Antragstellung als notwendige Voraussetzung für eine angestrebte Reorganisation vorbereitet werden, da durch die Möglichkeit, die am Insolvenzverfahren beteiligten Akteure im Benehmen mit ___________ 186) Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 103 ff., 146. 187) Mönning, Vorauflage, Rz. 348.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

einem vorläufigen Gläubigerausschuss verbindlich auszuwählen, die für eine Umsetzung einer Sanierungslösung und die damit verbundene Betriebsfortführung notwendige Planungssicherheit schafft. Gleichwohl gilt weiterhin das Vier-Stufen-Modell, das verschiedene Erscheinungsformen einer Betriebsfortführung abbildet: x

1. Stufe: Kurzzeitige Fortführung meist begrenzt auf den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens.

x

2. Stufe: Fortführung i. R. einer Auslaufproduktion auch über den Eröffnungszeitpunkt hinaus ohne mittel- bis langfristige Perspektive, meist mit nachfolgender Liquidation.

x

3. Stufe: Mittel- bis langfristige Fortführung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierungen (Gesamtliquidation), also der Veräußerung betriebsnotwendiger Wirtschaftsgüter und deren Übertragung an einen neuen Unternehmensträger meist im Zuge von M&A-Prozessen.

x

4. Stufe: Langfristige Betriebsfortführung zum Zwecke der Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers entweder im Regelverfahren oder in der Eigenverwaltung meist im Zusammenhang mit der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens.188)

Jede Form der Fortführung ist mit unterschiedlicher Gewichtung von Analyse, Planung 272 und Steuerung abhängig. 1.1

Ursachenanalyse

Bei der Analyse der Insolvenzursache ist zwischen endogenen und exogenen Faktoren 273 und solchen, die einem Zwischenbereich zuzuordnen sind, zu unterscheiden. Diese Faktoren können in unterschiedlichen Kombinationen und zeitlichen Abfolgen auftreten: x

Unter exogenen Faktoren versteht man Ursachen, die auf der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beruhen, also einem Bereich, der außerhalb der unmittelbaren Einflusssphäre einer Unternehmensführung liegen. Dazu zählen staatliche und überstaatliche Strukturkrisen, konjunkturelle Veränderungen, Belastungen und Einflüsse aus dem Bereich der Tarif- und Sozialpolitik, die Rahmenbedingungen in der Form von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren, Umweltschutzauflagen sowie allgemein die Steuer- und Abgabenbelastung. Strukturell wirken sich die Globalisierung der Finanzund Arbeitsmärkte sowie der von Ein- und Ausfuhrhemmnissen weitgehend befreite weltweite Warenverkehr aus. Teilweise exogen sind auch branchenspezifische Ursachen, sofern es hier um die Auswirkungen tarifpolitischer Entscheidungen oder von Sonderfaktoren geht, die eine unmittelbare Auswirkung nur auf eine bestimmte Branche haben (so bspw. für die europäische Textilindustrie die Aufhebung der Importbeschränkungen für Billigtextilien zum 1.1.2005 durch die WTO). Abgerundet werden die exogenen Faktoren durch Fälle höherer Gewalt. Dazu gehören kriegs- und krisenbedingte Einflüsse aber auch Naturkatastrophen.189)

x

Zu den endogenen Ursachen, die innerhalb der Einflusssphäre des Unternehmens liegen, gehören in erster Linie Führungsprobleme. Sie reichen von mangelnder fachlicher und charakterlicher Qualifikation bis hin zu einem unangemessenen, nicht mehr zeitgemäßen Führungsstil und schließen Uneinsichtigkeit und Starrsinn beim Festhalten an veralteten Konzepten ebenso ein, wie die nicht rechtzeitige Klärung einer Un-

___________ 188) Vgl. dazu auch Mönning, Vorauflage, Rz. 348 ff. 189) Dazu schon Mönning, Vorauflage, Rz. 616 – 621; Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 37 ff.; Blöse/KihmKihm, Unternehmenskrisen, Rz. 47.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

ternehmensnachfolge. Auch zählen krankheitsbedingte oder todesbedingte Ausfälle dazu, die dann durchschlagen, wenn es keine hinreichenden Vertretungsregelungen gibt.190) x

Weitere endogene Faktoren können Rechtsformnachteile, also konstitutionelle Mängel sein. Des Weiteren zählen dazu die Organisationsfehler im Zusammenhang mit der Entwicklung der Unternehmensstrategie, der Unternehmensführung sowie der Planung, Steuerung und Kontrolle sowie Probleme im Bereich des Beschaffungswesens und der Logistik, unzureichende Produktionsstrukturen, Absatzprobleme durch fehlerhafte Markteinschätzung, einen mangelhaften Kundenservice sowie die Abhängigkeit von wenigen Kunden und Ursachen im Bereich der Finanzierung aufgrund unzureichender Eigenkapitalausstattung, hoher Kapitalbindung und schlechter Debitorenüberwachung.191)

274 Jede Betriebsfortführung setzt – selbst bei nur kurzfristiger Ausrichtung – die Auseinandersetzung mit den Krisenursachen voraus. Der die Fortführung verantwortende vorläufige Insolvenzverwalter oder der Aufsicht führende vorläufige Sachwalter, der die Fortführung durch den Eigenverwalter überwacht, müssen klären, ob es sich um beherrschbare Krisenursachen handelt, wozu nur solche Faktoren zählen können, die im Eröffnungsverfahren nicht unmittelbar auf die Liquidität zur Deckung eingegangener Fortführungsverbindlichkeiten oder auf den Ertrag mit der Folge eines unzulässigen erheblichen Vermögensverzehrs durchschlagen. 275 Bei mittel- bis langfristigen Betriebsfortführungen reicht es zudem nicht aus, nur den überschaubaren Zeitraum einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren in die Betrachtung einzubeziehen. In diesem Fall muss die Sanierungsfähigkeit insgesamt untersucht werden, wozu eine tiefergehende Analyse der Insolvenzursachen mit Hilfe der Möglichkeiten einer Bilanzanalyse, empirischer und qualitativer Methoden der Ursachenermittlung bis hin zur sog. Diskriminanzanalyse reichen, um beurteilen zu können, ob das Unternehmen nachhaltig in der Lage sein wird, Erträge zu erwirtschaften und wettbewerbsfähig zu sein.192) 276 Seit der Einführung des ESUG hat sich allerdings die Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters und insbesondere seine Verantwortung für die Ursachenermittlung und die hieraus zu ziehenden Folgerungen geändert, weil im Zuge einer geplanten Insolvenz auf bereits fertige Sanierungskonzepte zurückgegriffen werden kann, in denen die Ursachen beschrieben und die Maßnahmen zu ihrer Beseitigung dargestellt werden. 1.2

Potentialanalyse

277 Das magische Viereck „Produkt/Markt/Finanzen/Führung“ bestimmt weiterhin die Frage, ob das Unternehmen über die notwendigen Potentiale zur weiteren Fortführung verfügt. Die Potentialanalyse dient der Erfassung und Bewertung der vorhandenen Ressourcen für eine Fortführung in Abhängigkeit zu ihren Zielen und zu der geplanten Dauer. In Krisenunternehmen geht es zunächst um eine Schwachstellenanalyse, aus der dann abgeleitet werden muss, ob das insolvente Unternehmen noch über ausreichende Potentiale (Ressourcen) verfügt, die eine Betriebsfortführung rechtfertigen. Die einzelnen Merkmale, die die leistungswirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens prägen, müssen analysiert ___________ 190) Mönning, Vorauflage, Rz. 628 ff.; Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 41. 191) Blöse/Kihm-Kihm, Unternehmenskrisen, Rz. 29 ff.; so schon Mönning, Vorauflage, Rz. 634 – 643. 192) Crone/Werner-Crone/Henning, Hdb. modernes Sanierungsmanagement, S. 84; Mönning, Vorauflage, Rz. 650 – 673; Baetge/Hippel/Sommerhoff, DB 2011, 365 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

und ausgewertet werden. Dabei sind Potentialanalysen niemals statisch. Sie bedürfen der laufenden Kontrolle und Fortschreibung.193) 1.3

Planrechnungen (Liquiditätsplanung, Ertragsplanung, Investitionsplanung)

Die Fortführung eines Geschäftsbetriebes ohne ein nachvollziehbares Fortführungskon- 278 zept ist pflichtwidrig. Diese Aussage gilt auch für eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren, selbst wenn dieser Verfahrensabschnitt regelmäßig nicht mehr als drei Monate beträgt und die Fortführung durch Sonderfaktoren, wie z. B. die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und damit verbunden die Befreiung von den Personalkosten, erleichtert wird. Die Planrechnung besteht aus einer Ertragsrechnung (Plan-GuV) sowie einer Liquiditätsplanung (Finanzplanung). Ziel der Liquiditätsplanung ist es, die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens zu gewähr- 279 leisten. Dazu müssen alle Ein- und Auszahlungen erfasst und dargestellt werden, wobei die einzelnen Vorgänge zeitlich den Perioden zugeordnet werden müssen, in denen sie vollzogen bzw. erwartet werden. Dargestellt werden die aus Ein- und Auszahlungen bestehenden Zahlungsströme, die anschließend im sog. Tagesbericht abgebildet werden, der die aktuelle Liquiditätslage tagesgenau darstellt und somit die Erfüllung fälliger Fortführungsverbindlichkeiten gewährleistet. Dabei gilt das Bruttoprinzip, wonach Ein- und Auszahlungen im Betrachtungszeitraum unsaldiert auszuweisen sind. Darüber hinaus sind alle Ein- und Auszahlungen vollständig zu erfassen. Bei der Gliederung des Liquiditätsplans ist vom Anfangsbestand an Zahlungsmitteln am 280 Stichtag (z. B. Tag der Anordnung von vorläufigen Maßnahmen) auszugehen. Hierauf aufbauend werden sämtliche Ein- und Auszahlungen im Betrachtungszeitraum dargestellt. Ziel ist es, die Erfüllung der vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder mit seiner Zustimmung eingegangenen Verpflichtungen bei Fälligkeit zu erfüllen. Bei lediglich „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung oder im Falle der Eigenver- 281 waltung im Eröffnungsverfahren dient der Liquiditätsplan auch als Grundlage für die Erteilung von Einzelermächtigungen die das Aufsicht führende Insolvenzgericht, um Masseverbindlichkeiten zum Zwecke der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren begründen zu können. Grundlage sind dabei die geplanten Ausgaben, zu denen das Insolvenzgericht die entsprechenden Ermächtigungen zu erteilen hat, sofern sich aus der Liquiditätsplanung auch ergibt, dass die im Voraus bestimmbaren Verpflichtungen bei Fälligkeit auch erfüllt werden können. Die Ertragsplanung i. R. einer Gewinn- und Verlustrechnung soll im Eröffnungsverfah- 282 ren gewährleisten, dass die Betriebsfortführung nicht zu einer erheblichen Verminderung des Vermögens führt. Sie erfüllt damit eine Frühwarnfunktion i. R. einer Prognose. Grundsätzlich gestattet die InsO im Interesse der Sanierungsförderung auch unrentable 283 Betriebsfortführungen, sofern die Grenze zur erheblichen Verminderung des Vermögens nicht überschritten wird.194) Für die Zulässigkeit einer Fortführung trotz zu erwartender oder bereits realisierter Verluste werden unterschiedliche Richtwerte angenommen.195)

___________ 193) S. dazu auch die Ausführungen bei Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 78 ff. 194) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 173. 195) 25 %-Verminderung des Schuldnervermögens halten für zulässig: Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 84; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 114; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 26; Nerlich/ Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 178; für 10 %: Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 23; Kübler/ Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 58.

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321

§ 11 1.4

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Soll/Ist-Vergleich

284 Die Überwachung eines Liquiditätsplans erfolgt i. R. eines fortlaufenden Soll/Ist-Vergleichs. Dieser kann entweder i. R. einer internen Überwachung durch Mitarbeiter des insolventen Unternehmens oder extern durch hierauf spezialisierte Dienstleister erfolgen. Es handelt sich um eine Abweichungsanalyse, die bei nicht planmäßigem Verlauf einer Betriebsfortführung entweder Planungsfehler offenbart oder Erkenntnisse zum operativen Geschäft liefert, die Korrekturen ermöglichen. 285 Von besonderer Bedeutung ist die Abweichungsanalyse für den vorläufigen Sachwalter, der im Eröffnungsverfahren die operative Geschäftsführung des Eigenverwalters überwacht und zur Anzeige nach § 274 Abs. 3 InsO verpflichtet ist, wenn Nachteile für die am Verfahren beteiligten Gläubiger bspw. durch einen erheblichen Vermögensverzehr oder ungedeckte Fortführungsverbindlichkeiten drohen. Dabei kann sich auch der vorläufige Sachwalter zum Zwecke einer effektiven Überwachung eigener oder hinzugezogener Mitarbeiter bedienen.196) 1.5

Form der Überwachung

286 Betriebsfortführungen verlaufen prozesshaft. Die Abläufe differieren von Fall zu Fall, wobei rechtliche und tatsächliche Störpotentiale eine wichtige Rolle spielen, weil sie unmittelbar auf Verlauf und Ergebnis einer Fortführung durchschlagen können und dann auch bereits im Eröffnungsverfahren einer weiteren Fortführung den Boden entziehen. Schon zur Eigensicherung beauftragen daher vorläufige Insolvenzverwalter und auch vorläufige Sachwalter meist externe Dienstleister, die zu Lasten der Masse eingesetzt werden, mit der laufenden Überwachung des Geschäftsbetriebes und der Erstellung von Abweichungsanalysen. Sich hierbei auf Mitarbeiter des schuldnerischen Unternehmens zu verlassen, ist riskant, weil häufig nur eine Betrachtung von außen und unbelastet von Fehlern der Vergangenheit zu einer objektiven Einschätzung der Verläufe führt. Der Einsatz externer Controller ist daher für den fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter und den Aufsicht führenden vorläufigen Sachwalter der sicherere Weg, um Abweichungen frühzeitig zu erkennen und eigene Haftungsrisiken zu vermeiden.197) 1.6

Korrekturmaßnahmen/Abbruch

287 Zeigt der Soll/Ist-Vergleich gravierende Abweichungen, die zu einem erheblichen Vermögensverzehr führen oder ergibt sich aus der täglichen Liquiditätsplanung das Risiko, eingegangene Fortführungsverbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht erfüllen zu können, müssen unverzüglich die Ursachen ermittelt und Korrekturen vorgenommen werden. Reicht dies nicht, hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Betriebsfortführung zu beenden. Im Eröffnungsverfahren benötigt er dazu die Zustimmung des Insolvenzgerichts. Dies gilt im Falle eines angeordneten Verfügungsverbotes für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter zwingend gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter hat die Zustimmung des Insolvenzgerichtes im Falle einer vorzeitigen Unternehmensstilllegung einzuholen, wenn das Gericht gemäß § 22 Abs. 2 InsO die Fortführung angeordnet hat.198) 288 Im Falle der Eigenverwaltung gibt es keine Regelung zur Beendigung der Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren. Im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanie___________ 196) Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 32. 197) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 = ZInsO 2004, 609 ff.; zum Einsatz von Dienstleistern auch A. Graeber/T. Graeber, ZInsO 2013, 1284 ff. 198) AG Hamburg, Beschl. v. 23.9.2005 – 67g 358/05, ZInsO 2005, 1056.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

rung gemäß § 270b InsO kann das Insolvenzgericht jedoch die Anordnung zur Eigenverwaltung aufheben, wenn die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist. Die Aussichtslosigkeit kann aus einer Anzeige des vorläufigen Sachwalters entnommen werden, die dieser i. R. seiner Redepflicht gemäß § 270b Abs. 2 i. V. m. §§ 270a Abs. 2, 274 Abs. 3 InsO erstattet, wenn der Sachwalter Umstände feststellt, die erwarten lassen, dass eine Fortsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Dazu gehört auch eine defizitäre Betriebsfortführung mit erheblichem Vermögensverzehr oder die Gefahr, dass mit gerichtlicher Ermächtigung begründete Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht reguliert werden können.199) Auch der vorläufige Gläubigerausschuss hat die Möglichkeit, Anordnungen nach § 270b Abs. 1 InsO durch entsprechenden Antrag aufheben zu lassen. Ist die Sanierung aussichtslos geworden, kann das Insolvenzgericht nach Aufhebung der 289 Anordnung gemäß § 270b Abs. 1 InsO entweder zunächst einen vorläufigen Insolvenzverwalter ernennen und diesen mit den gesetzlich vorgesehenen Befugnissen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausstatten oder unmittelbar das Insolvenzverfahren eröffnen und einen Insolvenzverwalter bestellen. In beiden Varianten besteht dann die Möglichkeit, eine Stilllegungsentscheidung entweder mit Zustimmung des Gerichts noch im Eröffnungsverfahren zu treffen oder die Stilllegung nach Verfahrenseröffnung mit Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 158 Abs. 1 InsO) vorzunehmen. Im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO sind entsprechende Regelungen nicht vorge- 290 sehen. Eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung ist somit nicht möglich. Die Regelung in § 272 InsO gilt erst für die Aufhebung einer angeordneten Eigenverwaltung, was erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschieht. Denkbar ist allein eine Anzeige des vorläufigen Sachwalters gemäß § 274 Abs. 3 InsO mit der Folge, dass das Gericht im Eröffnungsverfahren weitere Beschränkungen gemäß § 21 Abs. 1 InsO anordnet. Denn das Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO schließt nicht aus, dass das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot anordnet oder anordnet, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Davon soll das Insolvenzgericht zwar im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung absehen, ein genereller Ausschluss zur Anordnung dieser Maßnahme ist jedoch im Gesetz ausdrücklich nicht enthalten.200) Erst über diesen Weg wird es bei einer Betriebsfortführung in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO möglich, die Stilllegung eines nicht rentablen Geschäftsbetriebes im Eröffnungsverfahren zu betreiben. 2.

Finanzierung der Betriebsfortführung

Die InsO kennt keine Regelung zur Finanzierung von Betriebsfortführungen und auch 291 keine Verpflichtung von Kreditinstituten, Kreditlinien im Eröffnungsverfahren offenzuhalten, wie dies bspw. das niederländische Insolvenzrecht in Art. 63a der Niederländischen Konkursordnung vorsieht.201) 2.1

Massekredite

Während der Massekostenvorschuss eines oder mehrerer Gläubiger dazu dient, die Kos- 292 ten des Insolvenzverfahrens zu finanzieren und damit die Eröffnungsvoraussetzungen zu erfüllen (§ 26 Abs. 1 InsO), handelt es sich bei dem Massekredit um ein Gelddarlehen gemäß §§ 488 ff. BGB, das zur Finanzierung der Betriebsfortführung dient. Es kann in allen ___________ 199) Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 104. 200) So auch Schelo ZIP 2012, 712 ff., 715. 201) Van der Aa, Afkoelingsperiode in Faillissement, S. 86 ff.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

banküblichen Formen (Kontokorrentkredit, befristetes Kreditlimit, Annuitätendarlehen) gewährt werden. Im Eröffnungsverfahren setzt der Abschluss eines Darlehensvertrages voraus, dass entweder der vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbstverwaltende Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters berechtigt sind, einen Kreditvertrag abzuschließen. 293 Bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes ist dies unproblematisch, da der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter durch seine Rechtshandlungen unmittelbar Masseverbindlichkeiten begründet (§ 55 Abs. 2 InsO). Hat das Insolvenzgericht als vorläufige Maßnahme lediglich einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt angeordnet, benötigt der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter einen entsprechenden Beschluss des Insolvenzgerichtes, der ihn zum Abschluss eines Darlehensvertrages möglicherweise unter Bestellung von Sicherheiten ausdrücklich ermächtigt.202) 294 Eine derartige Ermächtigung kann das Insolvenzgericht im Falle des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO auch dem Schuldner erteilen, da auf dessen Antrag das Gericht anordnen kann, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. In diesem Fall gilt § 55 Abs. 2 InsO entsprechend (§ 270b Abs. 3 InsO). In der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a fehlt eine derartige gesetzliche Ermächtigung. Die Praxis behilft sich mit der Analogie zu § 22 Abs. 3 InsO und lässt entsprechende Einzelermächtigungen des Insolvenzgerichtes zu, wobei allerdings teilweise die Ansicht vertreten wird, dass derartige Ermächtigungen im Verfahren nach § 270a InsO nicht dem Schuldner sondern dem vorläufigen Sachwalter zu erteilen sind.203) 295 Dem Massekredit vergleichbar sind Absprachen zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und Kreditinstituten, denen meist i. R. einer Globalzession zur Besicherung ihrer Darlehen die Forderungen des Schuldners gegen seine Kunden im Voraus abgetreten wurden, wonach eingehende Gelder aus dem Forderungseinzug zur Finanzierung der Betriebsfortführung verwendet werden dürfen, wobei zur Auffüllung der Sicherheit die dann entstehenden Neuforderungen dienen. Eine derartige Absprache ist notwendig, weil auch eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, die zu Lasten absonderungsberechtigter Gläubiger einen Verwertungsstopp ausspricht, nicht dazu führt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter eingezogene Forderungen, die mit einem Absonderungsrecht belastet sind, ohne weiteres und ohne gesonderte Vereinbarung mit dem Darlehensgeber zur Finanzierung einer Betriebsfortführung einsetzen darf.204) 296 Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren bestellt, benötigt sowohl der vorläufige Insolvenzverwalter als auch der sich selbst unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters verwaltende Schuldner zur Kreditaufnahme die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 160 InsO). 2.2

Öffentlich-rechtliche Finanzierungshilfen

297 Alle Formen öffentlicher Finanzhilfen sind für die Finanzierung von Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren meist unbrauchbar. Dies liegt bereits an der langen Dauer des Bewilligungsverfahrens i. R. vorgeschriebener bürokratischer Abläufe (Antragspflicht). ___________ 202) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625. 203) Für eine Ermächtigung zugunsten des Schuldners: AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = ZInsO 2012, 790; für eine Ermächtigung des vorläufigen Sachwalters: AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787; vgl. dazu auch Undritz, BB 2012, 1551 ff., der sich mit zutreffenden Argumenten für eine Einzelermächtigung zugunsten des Schuldner ausspricht. 204) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = ZInsO 2010, 714; AG Hamburg, Beschl. v. 30.9.2011 – 67g IN 381/11, ZInsO 2011, 2045, 2046; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 7/2007, § 21 Rz. 40y.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Sie wirken sich deshalb – sofern überhaupt die rechtlichen Voraussetzungen auch für eine Gewährung von öffentlichen Finanzhilfen an Insolvenzverwalter gegeben ist – erst im eröffneten Verfahren aus. Zudem werden öffentliche Finanzhilfen meistens in der Form der komplementären Finanzierung gewährt, d. h. einen Teil der Kosten, den sog. Eigenanteil, muss der Antragsteller selbst darstellen. Darüber hinaus dienen Finanzhilfen der öffentlichen Hand nur der Kostendeckung und dürfen auch nicht rückwirkend für bereits durchgeführte Maßnahmen gewährt werden. Zudem gilt das Prinzip, dass für ein und dieselbe Maßnahme nur eine Finanzhilfe gewährt werden kann. Hat das insolvente Unternehmen also bereits Finanzhilfen erhalten, ist eine nochmalige Gewährung ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens nunmehr ein vorläufiger Insolvenzverwalter öffentliche Finanzhilfen beantragt. Im Rahmen von Liquiditätshilfeprogrammen können Betriebsmittelfinanzierungen auch zugunsten von Antragstellern gewährt werden, die bereits zahlungsunfähig sind oder von einem Insolvenzverfahren betroffen sind. Diese Programme werden von den einzelnen Bundesländern häufig branchenbezogen und jährlich je nach Haushaltslage aufgelegt. Um den Beihilfebestimmungen der EU auszuweichen, handelt es sich dabei häufig um De-Minimis-Beihilfen, deren Höchstbetrag unter den hierfür geltenden Schwellenwerten (100.000 € gemäß Verordnung Nr. 1998/2006) liegen. Alle anderen Subventionen eines EU-Mitgliedstaates an ein Unternehmen benötigen der Genehmigung durch die Europäische Kommission, sofern sich die Beihilfe wettbewerbsverzerrend auswirken kann. Diese Annahme gilt grundsätzlich auch für eine Förderung i. R. von Insolvenzverfahren. De-Minimis-Liquiditätshilfen umgehen als „geringfügige Förderbeigaben“ die ansonsten vorgeschriebenen Genehmigungsverfahren. Auch derartige Liquiditätsbeihilfen setzen allerdings voraus, dass der vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbstverwaltende Schuldner eine Hausbank findet, die bereit ist, den Förderkredit zu vergeben. 2.3

298

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Insolvenzgeldvorfinanzierung

Das durchgreifende Mittel zur Finanzierung von Betriebsfortführungen im Eröffnungs- 302 verfahren ist die Inanspruchnahme einer Vorfinanzierung des nach § 183 SGB III entstehenden Anspruchs auf Insolvenzgeld. Dieser setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers oder die Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland voraus. Ein ausländisches Insolvenzereignis begründet einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer.205) Die Höhe des Insolvenzgeldes berechnet sich nach § 185 SGB III. Die Beitragsbemes- 303 sungsgrenze betrug 2012 5.600 € (West) und 4.800 € (Ost), wobei es sich jeweils um das Bruttoarbeitsentgelt handelt. Anspruchsausschlüsse sind in § 184 SGB III geregelt. Will der vorläufige Insolvenzverwalter eine Insolvenzgeldvorfinanzierung durchführen, 304 muss § 188 Abs. 4 SGB III beachtet werden. Danach hat der neue Gläubiger oder ein Pfandgläubiger keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die ihm vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit übertragen oder verpfändet wurden. Die Bundesagentur darf die Zustimmung zur Vorfinanzierung nur erteilen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Vgl. hierzu den Beitrag von Dreschers, unten § 14 Rz. 11 ff. ___________ 205) Dazu Cranshaw, ZInsO 2013, 1493 ff.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

305 Die Möglichkeit zur Insolvenzgeldvorfinanzierung stellt das entscheidende Instrument zur Finanzierung einer Betriebsfortführung dar. Sie kann auch in der Eigenverwaltung nach § 270a InsO und im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO in Anspruch genommen werden. Siehe dazu Dreschers, unten § 14 Rz. 11 ff. und 16 ff. 2.4

Forderungseinzug

306 Der Forderungseinzug – also die Realisierung von Altforderungen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Anordnung von vorläufigen Maßnahmen bereits entstanden waren – kann nur beschränkt zur Finanzierung einer Betriebsfortführung eingesetzt werden. Im Falle unrentabler Betriebsfortführungen ist die Beschränkung gemäß § 22 Abs. 2 InsO zu beachten, wobei die Betriebsfortführung nicht zu einer erheblichen Verminderung des Vermögens führen darf. Eingezogene Forderungen können daher nur bis zu einer bestimmten Quote (25 %) zur Finanzierung von Verlusten einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren eingesetzt werden. 307 Erforderlich ist ferner, dass die eingezogenen Forderungen nicht mit Rechten Dritter belastet sind. Dies ist fast immer der Fall, so dass der vorläufige Insolvenzverwalter aber auch der sich selbstverwaltende Schuldner eingezogene, mit Absonderungsrechten belastete Forderungen nur dann zur Finanzierung von Fortführungsverbindlichkeiten einsetzen darf, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger zustimmt. Dies gilt selbst dann, wenn das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO zu Lasten des absonderungsberechtigten Gläubigers ein Einziehungsverbot (Verwertungsstopp) angeordnet hat.206) 308 Die Praxis behilft sich mit einer Abrede, wonach die Bank der Verwendung eingezogener Forderungen zur Finanzierung der Betriebsfortführung zustimmt, indem der vorläufige Insolvenzverwalter im Gegenzug – stillschweigend oder ausdrücklich – die in Anspruch genommenen Forderungen durch Erlöse aus im Zuge der Betriebsfortführung begründeten Neuforderungen wieder auffüllt. Die zum Zeitpunkt der Kreditgewährung vorhandenen Sicherheiten werden demnach während der Laufzeit der Kredite quasi ausgetauscht. Die Bank lässt Verfügungen über die zu ihren Gunsten abgetretenen Forderungen in der Erwartung zu, wieder anderweitige Sicherheiten zu erlangen. 309 Im Falle der Eigenverwaltung setzt dies allerdings die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters voraus, um eine Anfechtung der Abtretung neu begründeter Forderungen oder neu angeschaffter Warenlager zu umgehen. Um ganz sicherzugehen, kann diese Praxis zusätzlich durch eine Einzelermächtigung zugunsten des sich selbstverwaltenden Schuldners abgesichert werden.207) 2.5

Verwertung von Anlagegegenständen

310 Eine Finanzierung der Betriebsfortführung durch Verwertung von Anlagegütern, die für die Betriebsfortführung nicht oder nicht mehr benötigt werden, ist ausgeschlossen. Auch der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht berechtigt, Verwertungsmaßnahmen durchzuführen. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Gefahr eines irreparablen Vermögensverzehrs besteht oder sich in Bezug auf bestimmte Vermögensgegenstände eine Veräußerungschance ergibt, die nur hier und jetzt wahrgenommen werden kann.208)

___________ 206) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = ZInsO 2010, 714. 207) Specovius in: Kübler, HRI, § 12 Rz. 40 – 46. 208) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 136 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren 2.6

§ 11

Abbau von Warenlagern

Die Verwertung von Umlaufvermögen, insbesondere der Abbau von Warenlagern, ist als 311 Maßnahme i. R. der Betriebsfortführung uneingeschränkt zulässig. Dies gilt auch dann, wenn es sich um sicherungsübereignetes Umlaufvermögen handelt. Dieses kann der vorläufige Insolvenzverwalter verwerten und verarbeiten. Erlöse hat der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch vom sonstigen Vermögen zu trennen. Dieser Vermögenswert steht dem Sicherungsgläubiger nach Verfahrenseröffnung als Surrogat für das verwertete oder verarbeitete Sicherungsgut zur Verfügung. Sollen die Erlöse aus einem sicherungsübereigneten Warenlager im Zuge der Betriebs- 312 fortführung zu dessen Finanzierung genutzt werden, benötigt der vorläufige Insolvenzverwalter oder auch der sich selbstverwaltende Schuldner hierzu eine Vereinbarung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger. Erlöse aus der Verwertung von Umlaufvermögen, die im Zuge der Betriebsfortführung realisiert werden, können hingegen uneingeschränkt zur Finanzierung eingesetzt werden, sofern die Opfergrenze des § 22 Abs. 2 InsO (erheblicher Vermögensverzehr) nicht überschritten wird. 2.7

Sonstige Finanzierungsmöglichkeiten

2.7.1 Lastschriftwiderruf Der lange Zeit übliche Lastschriftwiderruf ist seit Einführung des neuen SEPA-Last- 313 schriftverfahrens nicht mehr für eine Finanzierung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren nutzbar. Die in diesem Verfahren bewirkten Zahlungen sind nunmehr insolvenzfest.209) 2.7.2 Debitorenmanagement Insolvente Unternehmen zeichnen sich häufig durch überproportionale Debitorenbestände 314 aus. Aus Furcht, Kunden zu verlieren, wurde der Forderungseinzug nicht mehr mit Nachdruck betrieben. Auch wenn in den Debitoren häufig „Luftpositionen“ enthalten sind, kann ein energischer Forderungseinzug eine wirksame Liquiditätshilfe darstellen, sofern die Forderungen nicht mit Rechten Dritter belastet sind. Allerdings stellt sich vielfach heraus, dass es sich bei den in den Büchern geführten Forde- 315 rungen um Scheinansprüche handelt, die nicht werthaltig sind oder niemals werthaltig waren. 2.7.3 Anfechtungs- und Schadensersatz Liquidität durch Anfechtungs-, Erstattungs- und Schadensersatzansprüche lässt sich im 316 Eröffnungsverfahren nicht generieren. Diese Ansprüche entstehen erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt gleichermaßen für das Regelverfahren als auch für Verfahren in Eigenverwaltung. Nur in Ausnahmefällen gelingt es, zweifelsfrei ermittelte Ansprüche bereits im Eröffnungsverfahren zu realisieren, regelmäßig in der Form von Vergleichen, mit denen sich potentielle Anspruchsgegner „freikaufen“. Vgl. dazu den Beitrag von Bograkos, unten § 30 Rz. 18 ff. 2.7.4 Ablehnung der Erfüllung Der Nichteintritt in bestehende Schuldverhältnisse (§ 103 InsO), die Lösung aus belas- 317 tenden Vereinbarungen oder die Freigabe von unverwertbaren oder die Insolvenzmasse ___________ 209) BGH, Urt. v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269 = ZIP 2010, 1556; Obermüller/Kuder, ZIP 2010, 349 ff.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

belastenden Vermögensgegenständen ist im Eröffnungsverfahren (noch) nicht möglich. Will der vorläufige Insolvenzverwalter derartige Maßnahmen durchführen, geht dies nur durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, bspw. durch Aufhebungsverträge. Gleiches gilt im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung. 3.

Anforderungen an die Unternehmensführung

3.1

Führungsbedingungen in der Unternehmenskrise

318 Unternehmenskrisen sind in der Regel ausgeprägte Führungskrisen. Hieraus resultieren besondere Anforderungen an den vorläufigen Insolvenzverwalter als Person. Dieser sollte nach innen gerichtet nicht nur rasch und konsequent entscheiden, sondern auch über die Fähigkeit verfügen, im Umgang mit den externen Ansprechpartnern mit ihren unterschiedlichen und häufig konträren Interessen, tragfähige Lösungen zu verhandeln. Dabei muss der vorläufige Insolvenzverwalter die Besonderheiten kennen, die die Führungsbedingungen in der Krise auszeichnen. Dies gilt insbesondere auch für Kommunikation und Verhandlungsführung im Insolvenzverfahren.210) 319 Die Rahmenbedingungen werden durch die gesetzlichen Regelungen normiert. Durch die Einführung des ESUG und die hiermit verbundene Stärkung sowohl der Gläubigerrechte als auch der Gestaltungsmöglichkeiten des Schuldners, sind Kommunikationsprozesse erforderlich, die auf gesetzlichen Mitwirkungs- und Kontrollkompetenzen beruhen. Dass Kommunikation stattzufinden hat, wird durch die gesetzlichen Vorschriften zur Beteiligung von Verfahrensbeteiligten vorgegeben. Wie diese Kommunikationsprozesse auszugestalten sind, ist wiederum Sache der einzelnen Akteure. Dabei kommt insbesondere dem vorläufigen Insolvenzverwalter, der unmittelbar nach Einleitung des Insolvenzverfahrens die Führung übernimmt, eine besondere Funktion und Verantwortung zu.211) 320 Die Kunst der Führung besteht darin, vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen, Möglichkeiten zu erschließen, die andere nicht gesehen haben und andere Menschen zu inspirieren und in die Lage zu versetzen, sich begeistert für gemeinsame Ziele zu engagieren. In Krisensituationen sind die Grundsätze der Führung unter erschwerten Bedingungen anzuwenden. Sie stellt höchste Anforderungen an Wissen, Können und Charakter eines Menschen.212) 321 Ressourcen, die bspw. die Krisenbewältigung erleichtern können, liegen in der hohen Öffentlichkeitswirksamkeit des Verwalterhandelns. Damit ist es möglich, wichtige Botschaften weit zu streuen und schnell zu vermitteln. Dies gilt vor allem für die in den ersten Tagen nach Einleitung des Insolvenzverfahrens besonders bedeutende Nachricht, dass der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird. Diese Nachricht über die Medien zu verbreiten, bewirkt eine schnelle Unterrichtung aller beteiligten Stakeholder verbunden mit einer hohen Glaubwürdigkeit der Nachricht, da Nachrichten, die über Printmedien, Radio, Fernsehen oder soziale Netzwerke verbreitet werden, selten angezweifelt werden. 322 Problematisch auf die Unternehmensführung in der Krise wirkt sich die geringe Fehlertoleranz aus, die dem handelnden Verwalter entgegengebracht wird. Was er sagt und tut steht unter besonderer Beobachtung. Fehlentwicklungen, falsche Annahmen und widersprüchliche Aussagen wirken sich unmittelbar auf das Vertrauen in die Unternehmensführung aus. Andererseits ist es unter Krisenbedingungen möglich, andere Menschen zu inspirieren und in die Lage zu versetzen, sich engagiert für ein gemeinsames Ziel, nämlich die Fortführung des Unternehmens und dessen Sanierung, einzusetzen. Existenzängste ___________ 210) Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623. 211) Dazu auch Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 5 ff., 148. 212) Labbé/Schädlich in: Brauweiler, Unternehmensführung heute, 18.3.2.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

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führen zu Motivationsschüben, die kurzfristig genutzt werden können um insbesondere die schwierige Anlaufphase zu bewältigen. Andererseits ist bereits bei mittelfristigen Betriebsfortführungen zu erkennen, dass die anfängliche Motivation von Verunsicherung abgelöst wird, die sich auch in einer unerwünschten Fluktuation vor allem der Leistungsträger niederschlagen kann. Immer und in jedem Fall erfordert die Unternehmensführung in der Krise eine eindeutige 323 Aufgaben- und Kompetenzverteilung.213) Dabei gibt es im Eröffnungsverfahren nur eine Konstellation, die dieser Anforderung bereits von Gesetzes wegen gerecht wird. Und zwar dann, wenn das Insolvenzgericht als vorläufige Maßnahme ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet hat, so dass die Verwaltungs- und Verfügungskompetenz auf den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. In allen anderen Fällen einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren, also sowohl im Regelverfahren im Falle der Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes sowie in der Eigenverwaltung, fallen die Kompetenzen auseinander. Sie werden auf den (sich in der Eigenverwaltung) selbstverwaltenden Schuldner, den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter und den vorläufigen Sachwalter verteilt. In diesen Fällen entsteht bei Betriebsfortführungen ein ungeschriebener aber unverzichtbarer Zwang zur Kooperation zwecks Wahrnehmung der gemeinsamen Führungsverantwortung ungeachtet der gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichts- und Kontrollfunktion des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters sowie des vorläufigen Sachwalters.214) 3.2

Führungsstil, Lenkungsausschüsse

Zwangsläufig ist der Führungsstil unter Insolvenzbedingungen autoritär geprägt. Dies er- 324 gibt sich bereits aus der Kontrollaufgabe, die der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter sowie der eine Fortführung überwachende vorläufige Sachwalter haben. Denn Kontrolle ist ein Führungsinstrument, das auf das Erkennen und Analysieren vorhersehbarer und/ oder eingetretener Abweichungen i. R. der geplanten und/oder vollzogenen Realisation unternehmerischen Handelns gerichtet ist und auf systematisch-methodischen Informationsverarbeitungsprozessen basiert. Aus der laufenden Kontrolle und Überwachung ergeben sich zwangsläufig Erkenntnisse, die zu einem Informationsvorsprung beim fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter führen. Umgekehrt muss bei einer Fortführung unter den Bedingungen der vorläufigen Eigen- 325 verwaltung der überwachende vorläufige Sachwalter bemüht sein, eine zugunsten des sich selbstverwaltenden Schuldners bestehende Informationsasymmetrie auszugleichen. Dies wiederum erfordert im Voraus festgelegte Kommunikationsprozesse und hieraus abgeleitete Berichtspflichten, um die notwendige Kooperation sicherzustellen.215) Die Grenzen des kooperativen Führungsstils werden durch sog. gebundene Entschei- 326 dungen gezogen. Dies sind solche, die i. R. der Insolvenzabwicklung zwingend zu treffen sind und auch die Betriebsfortführung unmittelbar berühren können. Dies ist bspw. der Fall, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter im Falle einer unrentablen Betriebsfortführung die Entscheidung treffen muss, ob ein Antrag an das Insolvenzgerichts auf Zustimmung zur Stilllegung gestellt wird. Für den überwachenden vorläufigen Sachwalter gehört dazu die Anzeigepflicht nach § 274 Abs. 3 InsO, sofern er zum Ergebnis kommt, dass die Eigenverwaltung nachteilig für die am Verfahren beteiligten Gläubiger ist. ___________ 213) Hauser/Höbart/Hoffmann/u. a., Unternehmenskrise, S. 61 ff. 214) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 646, 647. 215) Labbé/Schädlich in: Brauweiler, Unternehmensführung heute, S. 306; Spremann, ZfB 1990, 561 ff.

Mönning

329

§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

327 Für alle unternehmerischen Entscheidungen hingegen gilt, dass diese x

auf der Basis einer sorgfältig erarbeiteten Prognose,

x

abgesichert durch handwerklich einwandfreie Planrechnungen,

x

auf der Grundlage angemessener Informationen und

x

ohne Verfolgung von Eigeninteressen

x

nach bestem Wissen und Gewissen in eigener Verantwortung

zu treffen sind, sofern die Betriebsfortführung von einem vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter durchgeführt wird. 328 Dagegen bedürfen unternehmerische Entscheidungen bei angeordneter Eigenverwaltung der Abstimmung zwischen dem sich selbstverwaltenden Schuldner und dem vorläufigen Sachwalter, was auch gilt, wenn im Regelverfahren lediglich ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird.216) 329 Im Falle der Fortführung von größeren Unternehmen, die die Schwellenwerte des § 22a InsO erfüllen und damit zwingend die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses verlangen, wird als Kommunikations-, Steuerungs- und Führungsinstrument auf sog. Lenkungsausschüsse (auch Wirtschaftsausschüsse) zurückgegriffen, die keine gesetzliche Grundlage haben und anders als der eingesetzte vorläufige Gläubigerausschuss ausschließlich auf die Überwachung und Kontrolle der Sanierungsfortschritte und damit auch auf die Ergebnisse der Betriebsfortführung ausgerichtet sind. Lenkungs- und Wirtschaftsausschüsse oder auch Arbeitsgruppen gewährleisten, dass für die Fortführung notwendige Informationen strukturiert und systematisch vermittelt und verarbeitet werden können, um die Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, Informationsasymmetrien zu bereinigen und alle Beteiligten in wesentliche Entscheidungen einzubinden.217) 330 Um diese Aufgaben erfüllen zu können, setzen sich Lenkungs- und Wirtschaftsausschüsse aus Mitgliedern zusammen, die in unterschiedlicher Weise in die Betriebsfortführung bzw. den Sanierungsprozess integriert sind. Feste Mitglieder sind x

der (vorläufige) Insolvenzverwalter,

x

die Mitglieder der Geschäftsleitung, der Aufsichtsratsvorsitzende,

x

der Konsortialführer der Banken und

x

ein Vertreter der Lieferanten, meist repräsentiert durch einen Kreditversicherer sowie

x

der oder die Sanierungsberater sowie Controller.

331 Dabei variiert die Zusammensetzung von Fall zu Fall je nach den Bedingungen des konkreten Sanierungsprozesses. Lenkungs- oder Wirtschaftsausschüsse sind damit Teil eines kooperativen Führungsstils. Allerdings gilt auch hier, dass gebundene Entscheidungen nur durch die hierfür gesetzlich berufenen Organe, bspw. den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. im Falle angeordneter Zustimmungsvorbehalte durch Inhaber, Geschäftsführer oder Vorstände mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters getroffen werden dürfen.218) Bei der Einbeziehung von Arbeitskreisen und Lenkungsausschüssen in die Betriebsfortführung ist auch zu berücksichtigen, dass gebundene Entscheidungen, anders als unternehmerische Ermessensentscheidungen, den Grundsätzen der Insolvenzabwicklung unterliegen. ___________ 216) Für unternehmerische Entscheidungen wird mit Recht inzwischen die Anwendung der Business Judgement Rule angenommen, dazu Berger/Frege, ZIP 2008, 204; Oldiges, Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgement Rule, S. 115 ff. 217) Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 32. 218) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 148 Rz. 27 und § 149 Rz. 2.

330

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Für Mitglieder eines Gläubigerausschusses gilt, dass Verschwiegenheitspflichten bei der 332 Erörterung von Betriebsgeheimnissen oder generell bei geheimhaltungsbedürftigen Sachverhalten zu beachten sind. Da es sich beim vorläufigen Gläubigerausschuss um ein gesetzliches Organ handelt, dürfen dessen Rechte durch einen parallel bestehenden Lenkungsausschuss oder Wirtschaftsausschuss nicht beeinträchtigt werden. Ebenso darf ein solches Gremium mangels gesetzlicher Kompetenzzuweisung nicht mit Informationen versorgt werden, die aus den vorgenannten Gründen geheimhaltungsbedürftig sind. 3.3

Auswechseln von Führungspersonal

Vor allem in kleineren und mittleren Insolvenzverfahren sind die Inhaber bzw. die Füh- 333 rungsorgane juristischer Personen verbraucht, zumindest emotional angeschlagen. Viele Insolvenzen haben auch einen kriminellen, mindestens aber einen anfechtungsrelevanten Hintergrund, so dass strafrechtliche Verfolgung aber auch die haftungsrechtliche Inanspruchnahme das Verhältnis zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und der bisherigen Unternehmensführung belasten. Eigenverwaltungen sind unter derartigen Bedingungen nicht denkbar oder werden beendet, sobald es zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder haftungsrechtlicher Inanspruchnahme kommt. Fehlt das Vertrauen in die bisherige Führung, dann muss das Auswechseln des Führungs- 334 personals durch den vorläufigen Insolvenzverwalter schnell und kompromisslos erfolgen, sofern er hierzu die notwendige Kompetenz besitzt. Dies gilt uneingeschränkt für den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter, der vom Hausverbot bis zur Kündigung von Anstellungsverträgen mit Geschäftsführern und Vorständen über die notwendige Handlungskompetenz verfügt. Problematisch sind die Grauzonen. Dies gilt vor allen in den Fällen, in denen Insolvenzen 335 auf Führungsprobleme unterhalb der Schwelle kriminellen Handelns beruhen. Beratungsresistente, in alten Denkmustern verhaftete Schuldner, Geschäftsführer oder Vorstände, die gleichwohl Sanierungsoptionen i. R. eines Insolvenzverfahrens verfolgen, können zu einer erheblichen Belastung werden. Denn die Rechtsstellung des Schuldners hat bereits durch die InsO eine wesentliche Stärkung erfahren. Durch die Einführung des ESUG sind die Verfahrensziele nochmals neu gewichtet worden, so dass nunmehr die Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers nicht mehr nur gleichrangig neben die Liquidation entweder in der Form einer Einzelliquidation oder einer übertragenden Sanierung getreten ist, sondern sogar Priorität genießt, wenn der Schuldner dies bspw. mit Hilfe eines Prepacked Plans von Anfang an anstrebt. Solange Reorganisation als Verfahrensziel zulässig und möglich ist und ausdrücklich angestrebt wird, muss daher der Schuldner zwangsläufig in Abwicklungsentscheidungen einbezogen werden.219) Erst recht gilt dies im Falle der Eigenverwaltung, die bereits im Eröffnungsverfahren dazu führt, dass der Schuldner selbst bzw. die Führungsorgane einer juristischen Person als Schuldnerin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters ausüben. Mangelhafte Führungsstrukturen oder charakterliche und/oder fachliche Führungsdefizite 336 haben unmittelbar Auswirkung auf eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren. Darauf basierende Fehlentscheidungen können den Erfolg der Betriebsfortführung gefährden und führen zudem dazu, dass die beteiligten Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer und sonstige Vertragspartner kein Vertrauen in den Sanierungsprozess haben und diesen nicht unterstützen. Während der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter rechtlich in der Lage ist, unzureichend befähigtes Führungspersonal von der weiteren Mitwirkung i. R. der Betriebsfortführung auszuschließen, muss der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter wäh___________ 219) Landfermann in: Kölner Schrift, S. 159 ff. Rz. 83; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 98 ff.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

len, ob er in derartigen Fällen anregt, an Stelle des allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes ein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen oder es ausreicht, lediglich die Zustimmung zu bestimmten Maßnahmen zu verweigern. 337 Der vorläufige Sachwalter hat in derartigen Fällen die Möglichkeit der Anzeige nach § 274 Abs. 3 InsO, denn eine ungeeignete Unternehmensführung, ist zwangsläufig nachteilig für den Abwicklungserfolg. 3.4

Unternehmensführung bei Eigenverwaltung, Kompetenzverteilung, Kassenführung

338 Im Falle der Eigenverwaltung liegen Planung und Umsetzung einer Betriebsfortführung in der Verantwortung des Schuldners. Er leitet das Unternehmen, führt die Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden und bleibt als Arbeitgeber Träger aller arbeitsrechtlichen Pflichten und Befugnisse. Macht der gerichtlich bestellte vorläufige Sachwalter von der Möglichkeit zur Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) keinen Gebrauch, verwaltet der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung auch alle eingehenden Gelder und leistet die Zahlungen, die im Zuge der Betriebsfortführung zu Erfüllung von Masseverbindlichkeiten, die er i. R. einer dazu vom Insolvenzgericht erteilten Einzelermächtigung selbst begründet hat, zu leisten sind. Auch das Berichtswesen ist Aufgabe des Schuldners. Dazu zählen alle Informationen über den Betrieb einschließlich aller Unternehmensbereiche zur Vermittlung der Ergebnisse einer Betriebsfortführung. 339 In der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) sowie im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO wird an Stelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt. An diesen werden qualitativ die gleichen Anforderungen gestellt, wie an den vorläufigen Insolvenzverwalter im Regelverfahren. Das Insolvenzgericht hat eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, geschäftskundige und von den Gläubigern und insbesondere dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. 340 Der vorläufige Sachwalter verfügt über keine eigenen Abwicklungskompetenzen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis liegt beim Schuldner. Gekennzeichnet ist die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters durch eine umfassende Überwachungspflicht. Dazu hat er die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Eröffnungsverfahren zu prüfen und das Insolvenzgericht sowie einen eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss zu informieren, falls Nachteile aufgrund der Eigenverwaltung drohen. Zusätzlich eröffnet das Gesetz allerdings fakultative Mitwirkungsrechte in den Fällen, in denen der Schuldner nur gemeinsam mit dem Sachwalter rechtswirksam handeln kann. Dies gilt einerseits für außergewöhnliche Verbindlichkeiten, die der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen soll, aber auch für gewöhnliche Verbindlichkeiten, die der Schuldner nicht eingesehen soll, wenn der vorläufige Sachwalter widerspricht (§ 275 Abs. 1 InsO). 341 Die Eigenverwaltung ist mittlerweile zu einem relevanten Faktor der Insolvenzabwicklung geworden. Die Zahl der angeordneten Eigenverwaltungen nimmt seit Einführung des ESUG konstant zu.220) 342 Nahezu alle Eigenverwaltungen zeichnen sich durch die Tatsache aus, dass bereits vor Antragstellung insolvenzrechtlicher Sachverstand in die Unternehmensführung eingewechselt wird, so dass letztendlich eine insolvenzlastige Doppelspitze entsteht, die gemeinsam die Führungsverantwortung trägt.221) ___________ 220) Haarmeyer/Buchalik/Haase, ZInsO 2013, 26 ff.; Moldenhauer/Herrmann/Wolf/Drescher, Das 1. Jahr ESUG, Beilage zu INDat-Report, 3/2013, S. 3. 221) Uhlenbruck in: FS Görg, S. 515 ff., 520; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 643.

332

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Aus der gesetzlichen Kompetenzzuweisung folgt, dass eine Betriebsfortführung nicht mög- 343 lich ist, wenn sich der selbstverwaltende Schuldner und der vorläufige Sachwalter nicht auf gemeinsames Führungsverhalten verständigen. Dazu gehört die Einsicht, dass ihr Auftreten und ihre Entscheidungen öffentlich wahrgenommen und kommentiert werden. Eine Doppelspitze mit unterschiedlichen gesetzlichen Kompetenzzuweisungen kann die Führungsaufgabe nur bewältigen, wenn sie sich auf einen aufgabenorientierten Führungsstil verständigt, bei dem die inhaltliche Erfüllung vorgegebener Ziele oder Aufgabenstellungen und damit letztendlich die Sachorientierung im Vordergrund steht. Denn sonst ist die Abkehr von den herkömmlichen Strategien, die für eine Krisenbewältigung als zwingend angesehen werden, nicht zu beherrschen, da üblicherweise die Auffassung vertreten wird, dass die Führung i. R. einer Krisenbewältigung zentralisiert werden muss, was bedeutet, dass die Entscheidungen bei einem Entscheider angesiedelt werden.222) Vermutete oder auch tatsächlich bestehende Konflikte zwischen dem sich selbstverwal- 344 tenden Schuldner und dem vorläufigen Sachwalter schlagen sofort auf alle Beteiligten durch, die dann den Eindruck gewinnen, dass die neue Doppelspitze aufgrund innerer Differenzen nicht zur Bewältigung der Krise in der Lage ist. Das i. R. einer Betriebsfortführung notwendige gemeinsame Auftreten verlangt daher eine fortlaufende Abstimmung, um zu verhindern, dass der Aufsicht führende vorläufige Sachwalter von seinen Kompetenzen nach § 275 InsO zum Widerspruch bei gewöhnlichen Geschäften und zur Verweigerung der Zustimmung bei außergewöhnlichen Geschäften greifen muss. Denn eine derartige Maßnahme würde unmittelbar auf die Reputation des sich selbstverwaltenden Schuldners bzw. der Führungsorgane einer juristischen Person auswirken. Notwendiger Faktor der aufgabenorientierten Führung im Falle der Eigenverwaltung ist 345 zudem die Übernahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter. Das Recht zur Übernahme der Kassenführung ist an keine Voraussetzungen gebunden. Sie sichert einerseits die notwendige Kooperation und Kommunikation und andererseits ist sie ein geeignetes Kontrollinstrument, denn trotz der gemeinsamen Führungsverantwortung bleibt die Überwachungsaufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters bestehen. 3.5

Besonderheiten beim Schutzschirmverfahren

Die Ausführungen zur Kooperation zwischen sich selbstverwaltendem Schuldner und vor- 346 läufigem Sachwalter bei fortbestehender Überwachung der Geschäftsführung, der wirtschaftlichen Lage und der Lebensführung durch den vorläufigen Sachwalter, gelten auch für das Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) nach § 270b InsO. In diesem Verfahren kommt als Besonderheit jedoch hinzu, dass der vorläufige Sachwalter vom Schuldner „mitgebracht“ werden kann. Auch der mitgebrachte vorläufige Sachwalter muss geeignet sein, also mindestens die in § 56 InsO genannten Kriterien erfüllen, wozu auch die Unabhängigkeit gehört. Dass der ein Schutzschirmverfahren betreibende Schuldner einen vorläufigen Sachwalter 347 eigener Wahl mitbringt, kann sich auf dessen – innere – Unabhängig auswirken, weil dies zwangsläufig mit einer gewissen Verbundenheit bis hin zur Dankbarkeit als normale menschliche Reaktionen verbunden ist. Dies hat aber auf die Unabhängigkeit im rechtlichen Sinne keinen Einfluss. Denn dabei geht es ausschließlich um äußere Kriterien, und nicht um innere Konflikte oder subjektive Vorstellungen. Entscheidender Gradmesser kann nur eine objektivierte Sichtweise sein, die auf einen unvoreingenommenen, sachverständigen und informierten Beobachter abzielt. Im Ergebnis muss die Unabhängigkeit aus der insolvenzrechtlichen Aufgabenstellung abgeleitet werden. So gelten für ein Verfahren ___________ 222) Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 657.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

in Eigenverwaltung oder insbesondere das Schutzschirmverfahren andere Kriterien als im Regelverfahren, da vor allem die Eigenverwaltung nur funktioniert, wenn der sich selbstverwaltende Schuldner und der vorläufige Sachwalter zwecks Erreichung der vorgegebenen Verfahrensziele kooperieren. 348 Mit der Einführung des ESUG ist zwangsläufig eine Neubewertung des Kriteriums der Unabhängigkeit verbunden.223) Allerdings bleibt es dabei, dass der vorläufige Sachwalter i. R. einer notwendigen Konformitätserklärung Tatbestände anzeigt, die aus der Sicht eines verständigen und objektiven Dritten seine Unabhängigkeit beeinträchtigen können. Entscheidend ist dabei der Ausschluss von Beziehungen und Bindungen, die über normale geschäftliche Kontakte hinausgehen, sondern den vorläufigen Verwalter in Grenzsituationen von nicht lösbaren Konflikten stellen. Es gelten die Kriterien, die in den GOI verankert sind. Darüber hinausgehende, teilweise schon inquisitorische Befragungsbögen, sind mit den Intentionen, die der Gesetzgeber mit der Möglichkeit, einen vorläufigen Sachwalter „mitzubringen“ geschaffen hat, unvereinbar.224) 349 Aber auch für den mitgebrachten vorläufigen Sachwalter gelten uneingeschränkt die Überwachungs- und Kontrollaufgaben, die mit der permanenten Prüfung der wirtschaftlichen Lage und einer hieraus sich möglicherweise ergebenden Anzeigepflicht gemäß § 274 Abs. 3 InsO verbunden sind. 3.6

Äußere Einflüsse auf die Unternehmensführung, soziale Netzwerke

350 Die Führung eines Unternehmens in der Krise ist in vielfältiger Weise auch äußeren Einflüssen ausgesetzt. Dies gilt vor allem für die Berichterstattung in den Medien, die sich seit Jahren verstärkt der Insolvenzabwicklung als interessantes Thema widmet und anders als früher nicht mehr nur allein darauf ausgerichtet ist, die Betriebsfortführung an der Zahl erhaltener oder verloren gegangener Arbeitsplätze zu beurteilen. Von öffentlichem Lob und Tadel darf sich die Unternehmensführung in der Krise nicht beeinflussen lassen. Da die Berichterstattung sich verstärkt Großinsolvenzen widmet, haben auch insoweit Lenkungs- oder Wirtschaftsausschüsse eine wichtige Funktion. Durch die Art und Weise öffentlicher Berichterstattung entstandene Irritationen können schnell und formlos geklärt werden. Dies entbindet den vorläufigen Insolvenzverwalter oder auch vorläufigen Sachwalter nicht davon, falsche Eindrücke aufgrund fehlerhafter Berichterstattung auch in den Beratungen des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Sprache zu bringen und ggf. zu korrigieren. Wichtig ist, dass der Kurs der Unternehmensführung nicht von der öffentlichen Berichterstattung abhängig gemacht wird. 351 In gleicher Weise gilt dies für die häufig anonyme – oftmals überaus persönliche und verletzende – Darstellung von Abläufen eines Insolvenzverfahrens und hier besonders der Betriebsfortführung in den sozialen Netzwerken sowie Internetforen. Es macht keinen Sinn, sich mit diesen Beiträgen auseinanderzusetzen, wenn sie von anonymen Verfassern stammen. Der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter sowie der in die Unternehmensführung eingebundene, zugleich aber auch Aufsicht führende, vorläufige Sachwalter, müssen sich hiervon völlig freimachen und erkennen, dass oftmals gesteuerte Einzelmeinungen keinen Einfluss auf die Umsetzung von Sanierungskonzepten haben dürfen. Eine Kommunikation über soziale Netzwerke ist nicht nur unzulässig, sondern auch töricht. Adressaten der Berichterstattung eines vorläufigen Verwalters sind das Insolvenzgericht, der vorläufige Gläubigerausschuss und auch der Schuldner. Wer hingegen glaubt, sich der ___________ 223) Zum Problem der Unabhängigkeit Römermann, ZInsO 2013, 218 ff. 224) Vgl. dazu auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 75 – 79; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, S. 24 ff.; Paulus, ZGR 2005, 309, 323 ff.; Paulus, NZI 2008, 705.

334

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

„Netzgemeinschaft“ andienen zu müssen und Abwicklungsentscheidungen über soziale Netzwerke zu erläutern, scheitert. 3.7

Mitarbeiterführung in der Krise

Eine wesentliche Führungsaufgabe stellt der Umgang mit der Belegschaft und ihren Ver- 352 tretungen dar. Der Erfolg einer Betriebsfortführung hängt ganz entscheidend davon ab, dass es dem vorläufigen Insolvenzverwalter in den ersten Tagen nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens gelingt, die Belegschaft mitzunehmen. Dies erfordert eine Information der Mitarbeiter zum frühest möglichen Zeitpunkt. Dies gilt vor allem für den vollbefugten vorläufigen Insolvenzverwalter, der aufgrund gesetzlicher Kompetenzzuweisung die Arbeitgeberrolle übernimmt. Eine höchstpersönliche Informationsveranstaltung sollte daher möglichst frühzeitig terminiert werden. Dies soll im Idealfall bereits am Tage der Bestellung oder an dem darauffolgenden Tag möglich sein. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung verlangen, dass die Aufgabe, die Belegschaft zu informieren, höchstpersönlich wahrzunehmen ist.225) 3.8

Einbeziehung der Aufsichtsorgane, Weisungen

Betrifft die Eigenverwaltung eine juristische Person, die durch ihre gesetzlichen Vertre- 353 tungsorgane geführt wird, stellt sich das Problem, inwieweit Überwachungsorgane (Aufsichtsrat) oder auch die Gesellschafterversammlung Einfluss auf eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren der vorläufigen Eigenverwaltung oder im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO nehmen können. Für das eröffnete Verfahren ist diese Frage geklärt. Hier ist der Geschäftsführer autonom und nur der Aufsicht durch den Sachwalter bzw. den Gläubigerausschuss unterworfen. Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung verlieren hingegen ihre Weisungsbefugnis bzw. Kontrollfunktionen (§ 276a InsO). Fraglich ist, ob die Regelung des § 276a InsO bereits im Eröffnungsverfahren wirkt. Dies 354 würde bedeuten, dass bereits im Eröffnungsverfahren weder der Aufsichtsrat noch die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners ausüben können. Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung wäre danach nur wirksam, wenn der vorläufige Sachwalter zustimmt. Unklar ist zunächst die Reichweite der Substitutionen, da sie sich bislang ausschließlich auf den sog. Verdrängungsbereich, oder auch Außenbereich der Gesellschaft, bezieht. Denn im Verdrängungsbereich ordnet das Gesetz die Kompetenzen klar zu, indem der Schuldner als Eigenverwalter verwaltungs- und verfügungsbefugt ist, und dabei wesentliche Aufgaben übernimmt, die im Regelverfahren dem Vorläufigen Insolvenzverwalter vorbehalten sind. Ebenfalls im Außenbereich unterliegt der Schuldner i. R. seiner Tätigkeit der umfassenden Aufsicht und Kontrolle durch den Sachwalter. Für eine doppelte Kontrolle im Verdrängungsbereich, die zwangsläufig zu einem Kompetenzkonflikt zwischen Aufsichtsorganen und vorläufigem Sachwalter bzw. Vorläufigem Gläubigerausschuss führen müsste, ist jedenfalls kein Platz. Allerdings wird die bislang klare Zuordnung der Kompetenzen durch Unterscheidung in 355 den Verdrängungsbereich und in den sog. insolvenzfreien Innenbereich durch § 276a InsO dahingehend aufgehoben, dass der (vorläufige) Sachwalter auch in den Innenbereich der Gesellschaft hinein regiert, indem er einer Entscheidung zur Abberufung oder Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung zustimmen muss, um deren Wirksamkeit ___________ 225) GOI des VID, III. 4. 1. Absatz abrufbar unter: http://www.vid.de/de/qualitaet/goi.html (Abrufdatum: 8.7.2013).

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

herbei zu führen.226) Umgekehrt stellt sich das Problem, ob im Verdrängungsbereich zumindest Informationsrechte zugunsten von Aufsichtsrat, Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung erhalten bleiben. Denn die Informations- und Einsichtsrechte, die diesen Organen nach Gesellschaftsrecht gegenüber Vorstand und/oder Geschäftsführung zustehen, werden durch die InsO nicht tangiert. Beschränkungen können sich insoweit allenfalls aus dem Insolvenzzweck ergeben, wenn eine Abwägung der jeweiligen Interessen, dass den Aufsichtsgremien bestimmte Informationen vorzuenthalten sind, um die Abwicklung der Betriebsfortführung oder des Verfahrens nicht nachteilig zu beeinträchtigen. 356 In systematischer Hinsicht ist unter Berücksichtigung der mit der vorläufigen Eigenverwaltung – mit oder ohne Schutzschirm – vom Gesetzgeber verfolgten Intentionen jedenfalls davon auszugehen, dass § 276a InsO auch bereits im Eröffnungsverfahren Anwendung findet. Denn der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift ausdrücklich die Einflussmöglichkeiten der Überwachungsorgane bei Eigenverwaltung regeln.227) Auch im Eröffnungsverfahren unterliegt der sich selbst verwaltende Schuldner der umfassenden Aufsicht und Kontrolle durch den vorläufigen Sachwalter und/oder eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Der vorläufige Sachwalter, nicht etwa Gesellschafterversammlung, Hauptversammlung oder Aufsichtsrat, hat das Recht, Verfügungen des sich selbst verwaltenden Schuldners zu widersprechen oder die Zustimmung zu erteilen (§ 275 Abs. 1 InsO). Der vorläufige Sachwalter entscheidet, ob er von seinem Recht auf Übernahme der Kassenführung Gebrauch macht. Insoweit unterliegt der vorläufige Sachwalter lediglich der Kontrolle durch den vorläufigen Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht. Denn neben den Überwachungsorganen noch Weisungsrechte einzuräumen, die sich auf den Verdrängungsbereich beziehen, würde zu einem „Kompetenzwirrwarr“ führen und die klaren und eindeutigen Entscheidungsstrukturen, die allgemein zur Krisenbewältigung und speziell für eine Betriebsfortführung unerlässlich sind, empfindlich stören. Der vorläufige Sachwalter und/ oder die Mitglieder des Gläubigerausschusses wären im Zusammenhang mit ihrer Überwachungstätigkeit verpflichtet, im Einzelfall zu prüfen, ob der Geschäftsführer oder Vorstand auf Weisung oder i. R. der ihm nach Gesetz oder Anstellungsvertrag eingeräumten Kompetenzen handelt. Völlig verfehlt wäre es daher, würde man den vorläufigen Sachwalter und/oder den Gläubigerausschuss verpflichten, im Einzelfall zu prüfen, ob Weisungen des Aufsichtsrat oder der Gesellschafterversammlungen im Ergebnis nachteilig für die Gläubiger sind oder nicht und eine Zustimmung oder ein Widerspruch hiervon abhängig zu machen.228) 357 Verschärft wird das Problem in der Praxis durch die Tatsache, dass gerade die Mitglieder von Aufsichtsorganen regelmäßig auch Anspruchsgegner i. R. von Haftungsansprüchen wegen Insolvenzverschleppung und/oder existenzvernichtenden Eingriffen sind. Vor diesem Hintergrund muss gelten, dass sämtliche Eingriffe, sprich Weisungen, der Gesellschafterversammlung, der Hauptversammlung oder von Aufsichtsorganen, die sich auf gesellschaftsrechtliche Kompetenzen stützen, bereits im Eröffnungsverfahren unzulässig sind.229) 358 Unabhängig von diesen Kompetenzregelungen muss der vorläufige Sachwalter im Einzelfall entscheiden, ob und inwieweit er Aufsichtsorgane im Einzelfall in die Betriebsfortführung, bspw. durch regelmäßige Informationserteilung, einbindet. Dies ist so lange un___________ 226) 227) 228) 229)

336

Fiebig in: HambKomm-InsO, § 276a Rz. 8. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. So bspw. Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271 ff., 275. AG Montabaur, Beschl. v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307; Foltis in: FK-InsO, § 276a Rz. 7.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

problematisch, wie es keine Interessengegensätze gibt, Pflichten zur Verschwiegenheit nicht verletzt werden oder auch fortführungsrelevante Kenntnisse oder Kompetenzen in den Aufsichtsgremien für eine Betriebsfortführung nutzbar gemacht werden können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung nach § 270b InsO oder generell nach erfolgreicher Reorganisation, die bestehenden gesellschaftsrechtlichen Strukturen wieder zum Tragen kommen, nachdem bspw. nach Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens – mit oder ohne Überwachung – der Schuldner bzw. die juristische Person als Schuldnerin wieder ihre volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erlangt. In der gleichen Sekunde erhalten auch die Aufsichtsorgane ihre gesellschaftsrechtlichen bzw. durch Gesetz eingeräumten Befugnisse zurück. Um hier einen nahtlosen Übergang im Zusammenhang mit der Rückübertragung des operativen Geschäftes auf die bisherige Schuldnerin zu gewährleisten, erscheint zumindest ein Mindestmaß an Kommunikation auch bereits im Eröffnungsverfahren zwischen vorläufigem Sachwalter und den Aufsichtsgremien einer Gesellschaft sinnvoll. 4.

Verhaltensregeln

4.1

Informationsbeschaffung

Unmittelbar nach seiner Bestellung – regelmäßig innerhalb der ersten 48 Stunden – hat sich 359 der vorläufige Insolvenzverwalter über die rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Unternehmens zu informieren. Zu diesem Zweck sind alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen auszuschöpfen. Dies beginnt mit einem ersten Informationsgespräch mit dem Inhaber oder Geschäftsführer, denen weitere Gespräche mit dem Betriebsrat, leitenden Mitarbeitern und anderen Leistungsträgern folgen müssen. Von besonderer Bedeutung sind Informationen aus der Buchhaltung, der Rechtsabteilung und der Personalabteilung, den Qualitätsmanagementbeauftragten und dem verantwortlichen Mitarbeiter für den ITBereich. Vorhandene Datenbestände sind noch am gleichen Tag zu sichern. 4.2

Zugang

Ob vorläufiger Insolvenzverwalter oder vorläufiger Sachwalter – in jedem Fall muss sofort 360 sichergestellt werden, dass der vorläufige Verwalter ungehindert Zugang zu den Geschäftsräumen erhält. Dies gilt – ebenso wie die notwendigen Maßnahmen zur Informationsbeschaffung – unabhängig von der Größe des insolventen Unternehmens. Der vorläufige Insolvenzverwalter muss in der Lage sein, jederzeit die Geschäftsräume betreten zu können, ohne hierzu auf die Mitwirkung anderer Mitarbeiter oder gar der Organe bzw. Inhaber angewiesen zu sein. Zutritt zur Wohnung begehrt der vorläufige Verwalter nur zu den üblichen Geschäftszei- 361 ten, nach Ankündigung und vor allem in Begleitung, wenn die Wohnung eines Vertreters oder einer Vertreterin des anderen Geschlechts aufgesucht werden muss. Alkoholische Getränke oder Einladungen zu häuslichen Mahlzeiten werden höflich, aber bestimmt, abgelehnt. 4.3

Büroräume

Bei größeren Unternehmen ist es notwendig, dass der vorläufige Verwalter einen eigenen 362 Büroraum erhält. Dieser sollte nach Möglichkeit in unmittelbarer Nähe zur Geschäftsleitung und/oder der Buchhaltung gelegen sein. Diesen Raum benötigt der vorläufige Verwalter um Besprechungen durchzuführen und Unterlagen in – verschließbaren – Schränken zu deponieren. Von der Übernahme des bisherigen Chefzimmers ist hingegen wegen der damit verbundenen Symbolik abzuraten. Dies gilt vor allem dann, wenn als vorläufige Mönning

337

§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Maßnahme lediglich ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt angeordnet ist. Nur bei Übernahme der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes ist es vertretbar, wenn der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter seine umfassende Kompetenz nach außen durch Übernahme des Chefzimmers sichtbar macht. 363 Im Falle der Eigenverwaltung genügt es, wenn der vorläufige Sachwalter – allerdings nur bei größeren Unternehmen – einen Raum in der Nähe des Geschäftsführers, Vorstands oder Inhabers bezieht, um eine reibungslose Kommunikation zu gewährleisten. 4.4

Betriebsrundgang

364 Ein Betriebsrundgang unmittelbar im Zusammenhang mit dem Erstbesuch ist ein Muss. Der vorläufige Verwalter erhält dabei erste Eindrücke von der Stimmungslage im Betrieb, dem allgemeinen Zustand und den Abläufen. Besteht ein Betriebsrat, macht es Sinn, zu dem Betriebsrundgang den Betriebsratsvorsitzenden hinzu zu ziehen. Die Betriebsräte sind fast immer bereit, bereitwillig Auskünfte zu erteilen, auf Stärken und Schwächen hinzuweisen, Mängel in den Abläufen zu benennen und einzelne Mitarbeiter vorzustellen. Der Rundgang schafft auch Vertrauen bei den Belegschaftsmitgliedern, die hieraus einen ersten Eindruck von der Person erhalten, die in den nächsten Wochen und Monaten die Geschicke des Unternehmens maßgeblich bestimmt. 4.5

Nutzung von Einrichtungen

365 Es ist unbedenklich, wenn der vorläufige Verwalter die Telekommunikationseinrichtungen des insolventen Unternehmens nutzt. Dies gilt auch für den Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Erstellung von Listen und Dokumentationen, der Anfertigung von Diktaten sowie der Postbearbeitung. Dem hingegen ist der Einsatz von Mitarbeitern aus dem schuldnerischen Unternehmen in der Organisation des vorläufigen Verwalters ebenso tabu, wie die Übernahme und Nutzung von Betriebsfahrzeugen. Die Inanspruchnahme eines firmeninternen Fahrdienstes ist unproblematisch, wenn sich dies darauf beschränkt, den vorläufigen Insolvenzverwalter vom Bahnhof oder Flughafen abzuholen oder über kurze Strecken zu Gesprächen und Verhandlungen zu chauffieren. 366 Bei Kantinenbesuchen zahlt der vorläufige Insolvenzverwalter für die in Anspruch genommenen Leistungen den üblichen Preis. Dies gilt auch dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter Waren bezieht oder Dienste in Anspruch nimmt, die das insolvente Unternehmen gegen einen nachprüfbaren Marktpreis erbringt. Jeder Anschein einer ungerechtfertigten Vorteilsnahme ist zu vermeiden. 4.6

Präsenz

367 Die Leitungsaufgabe i. R. einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ist eine Aufgabe, die der vorläufige Insolvenzverwalter höchstpersönlich zu erbringen hat. Dies gilt gleichermaßen für den „starken“ wie den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Auch der lediglich mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Insolvenzverwalter muss in der Lage sein, innerhalb kürzester Frist zu wichtigen Entscheidungen, die der Schuldner oder seine Organe im Zusammenhang mit der Fortführung des Geschäftsbetriebes treffen wollen, die Zustimmung zu erteilen. Der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter trifft die wesentlichen Entscheidungen selbst. In beiden Fällen ist die regelmäßige Präsenz unabdingbar. 368 Im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung gilt dies abgeschwächt auch für den vorläufigen Sachwalter. Nur die regelmäßige Anwesenheit im Unternehmen, das die Schuldnerin be-

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

treibt, sichert den Informationsfluss und ermöglicht die sachgerechte Ausübung der Überwachungs- und Prüfungspflichten. Bei Abwesenheit hat der vorläufige Verwalter (Insolvenzverwalter wie Sachwalter) für Ver- 369 tretung zu sorgen. Dabei ist eine Vertretung in den ersten zwei Wochen nach der Bestellung nach Möglichkeit zu vermeiden, da es in dieser sensiblen Phase darum geht, die Beschaffungsstrukturen zu sichern, Kundenbeziehungen zu erhalten sowie Informationsgespräche zu führen und Betriebsversammlungen abzuhalten. Starre Regeln in Bezug auf die Sicherstellung der Präsenz lassen sich dabei nicht aufstellen. 370 Art und Umfang der Anwesenheit sind nicht zuletzt auch von der Größe des insolventen Unternehmens, den vorhandenen Strukturen und der Qualität der Geschäftsführung abhängig. 4.7

Abwicklungsteam

Es ist selbstverständlich, dass sich der Insolvenzverwalter insbesondere bei größeren Un- 371 ternehmen eines Teams aus eigenen oder hinzugezogenen Mitarbeitern bedient.230) Auch hierbei gibt es keine abstrakten Regeln. Jedes Verfahren ist anders und stellt unterschiedliche Anforderungen, immer abhängig von den jeweiligen Unternehmensstrukturen, der Größe und den Besonderheiten des Einzelfalls. Auch Kostengesichtspunkte sind zu beachten. Unmittelbar nach der Bestellung in „Kompaniestärke“ in insolvente Unternehmen „einzufallen“ mag eine beeindruckende Wirkung haben. Notwendig oder gar geboten ist dies nicht, da sich der vorläufige Verwalter zweckmäßigerweise zunächst einmal ganz persönlich ein Bild von den Strukturen vor Ort macht, bevor er entscheidet, wie das Abwicklungsteam fachlich zusammengesetzt sein muss und welcher Mitarbeiter aus dem eigenen Netzwerk hierfür in Betracht kommt. Die Wahrung des Prinzips der ökonomischen Kosteneffizienz gehört zu den Grundsätzen einer qualitativ hochwertigen Insolvenzverwaltung.231) Qualifizierte Mitarbeiter, die im schuldnerischen Unternehmen verfügbar sind, müssen nicht durch eigene Mitarbeiter des Insolvenzverwalters oder externe Dienstleister gedoppelt werden. 4.8

Jour-Fixe

Regelmäßige Teambesprechungen (Jour-Fixe) sind ein wichtiges Führungsinstrument. 372 An diesen Besprechungen haben der Inhaber, der oder die Geschäftsführer und die Vorstände sowie alle leitenden Mitarbeiter (Abteilungsleiter) sowie die Mitglieder des Verwalterteams verpflichtend teilzunehmen. Über Verlauf und Ergebnis der Besprechungen ist ein Protokoll zu fertigen, in dem die gefassten Beschlüsse sowie die Verteilung der Aufgaben dokumentiert werden.232) Mit Hilfe der regelmäßigen Besprechungen wird der Informationsfluss und Informationsaustausch gewährleistet. Jeder verantwortliche Mitarbeiter verfügt über die gleiche Informationsbasis und ist über alle wesentlichen Abwicklungsentscheidungen gleichermaßen orientiert. 4.9

Veranstaltungen

Geschäftsessen – oftmals nach langen Verhandlungen – sind üblich, im asiatischen oder 373 osteuropäischen Ausland sogar verpflichtend, wenn nicht der Misserfolg oder gar Abbruch riskiert werden soll. Dann sind Augenmaß und Fingerspitzengefühl auch bei der Frage, wer am Ende die Zeche zahlt, gefragt. Spätestens um 22.30 Uhr ist es für den Ver___________ 230) Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 29. 231) Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 ff., 162. 232) Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 31, 32.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

walter Zeit, aufzubrechen. Bei Auslandsverhandlungen ist es nützlich, sich vorher über interkulturelle Besonderheiten und Gepflogenheiten zu informieren. Was im mediterranen Bereich zwanglos den Regeln der Gastfreundschaft und der Lebensfreude unterworfen ist, wird in anderen Kulturen mit dem Ziel einer konkreten Einflussnahme oder gar der Herbeiführung von Abhängigkeiten geplant. 4.10 Geschenke 374 Geschenke lehnt der Verwalter ab, auch wenn sie arglos gegeben werden und gut gemeint sind. Jahrelang war es Usus, dass der Verwalter am Ende einer erfolgreichen Fortführung bei der Verabschiedung ein Geschenk oder eine Erinnerung als Dank erhielt. Dem Risiko – teils bewusst geschürter – Missverständnisse sollte sich kein Verwalter (mehr) aussetzen. Im Eröffnungsverfahren gibt es auch keinen Grund für Geschenke, da das Verfahren noch am Anfang steht und der Ausgang ungewiss ist. Geschenkangebote geben daher Anlass zu begründetem Misstrauen. 5.

Betriebsfortführung im Konzern

375 Die schwierige Betriebsfortführung bei Insolvenzverfahren verbundener Unternehmen wird erleichtert, wenn die bislang faktisch ungeregelte Konzerninsolvenz einem eigenen Konzerninsolvenzverfahren unterworfen wird. Dazu dient das vorgesehene Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, zu dem das BMJ einen Diskussionsentwurf (Stand: 3.1.2013) vorgelegt hat.233) Ziel des Gesetzes ist es, eine ganze Gruppe von Unternehmen möglichst als wirtschaftliche Einheit zu stabilisieren und im Zuge eines Konzerninsolvenzverfahrens wieder wettbewerbsfähig zu machen.234) 376 Für konzernmäßige Verbünde gilt bislang die Grundregel: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz!“235) Jedes einem Konzernverbund angehörige Unternehmen behält auch im Zusammenhang mit der Abwicklung eines Insolvenzverfahrens seine rechtliche Selbstständigkeit. Lediglich über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters ist eine abwicklungstechnische Einheit herbeizuführen, sofern sich das für alle konzernangehörigen Unternehmen zuständige Insolvenzgericht oder mehrere für die einzelnen Unternehmen zuständige Insolvenzgerichte dazu verstehen, für die Abwicklung aller Unternehmen des Konzernverbundes einen einzigen vorläufigen Insolvenzverwalter zu ernennen. Die parallel laufende Fortführung mehrerer konzernangehöriger Unternehmen stellt den vorläufigen Insolvenzverwalter insbesondere vor schwierige Koordinationsaufgaben. Widerstreitende Interessen müssen rechtlich einwandfrei gelöst werden, was häufig nur möglich ist, wenn für abgrenzbare Aufgaben (vorläufige) Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden. 377 In den vergangenen Jahren haben in verschiedenen Konzerninsolvenzen die Insolvenzgerichte eine einheitliche Verwalterbestellung vorgenommen.236) Problematisch ist dies jedoch, wenn Konzernunternehmen nicht der gleichen Branche angehören. In derartigen Fällen kann es sinnvoll sein, mehrere Verwalter zu bestellen, da die Anforderungsprofile ___________ 233) Der Entwurf steht u. a. über http://www.zip-online.de zur Verfügung bzw. als Beilage zur ZIP Heft 2/2013; Vgl. zum Diskussionsstand die Beiträge Fölsing, ZInsO 2013, 413 ff.; Frind, ZInsO 2013, 429 ff.; Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V., ZInsO 2013, 434 ff.; Siemon/Frind, NZI 2013, 1 ff. 234) Pressemitteilung des BMJ v. 14.1.2013, ZInsO 2013 III. abrufbar unter: http://www.bmj.de/SharedDocs/ Kurzmeldungen/DE/2013/20130114_Ein_Meilenstein_auf_dem_Weg_zu_einer_neuen_Sanierungskultur.html (Abrufdatum: 8.7.2013). 235) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 394. 236) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 394, 395; Stellungnahme des DAV, ZInsO 2013, IV., abrufbar unter: anwaltverein.de/downloads/stellungnahmen/DAV-SN-09-13.pdf (Abrufdatum: 8.7.2013); Fölsing, ZInsO 2013, 413.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

für die Abwicklung von Unternehmen, die in verschiedenen Branchen tätig sind, zwangsläufig unterschiedlich sein müssen. Die Abwicklung von Insolvenzverfahren in Konzernen stellt daher (vorläufige) Insolvenzverwalter nicht nur vor anspruchsvolle Koordinationsaufgaben sondern eine Kooperationspflicht, wenn für die Abwicklung mehrere Verwalter bestellt wurden. Dies betrifft insbesondere das Eröffnungsverfahren, da die entscheidenden Maßnahmen innerhalb weniger Tage nach Einleitung der jeweiligen Verfahren getroffen werden müssen, um einen Gleichlauf zu gewährleisten. Der DiskE der Bundesregierung belässt es bei der rechtlichen Selbstständigkeit und Un- 378 abhängigkeit der einzelnen Konzernunternehmen auch im Insolvenzverfahren und konzentriert sich auf die Begründung eines sog. Gruppen-Gerichtsstandes, die Verpflichtung zur Kooperation und die Erleichterung der Koordination der einzelnen Verfahren.237) Dabei trägt der DiskE den bisherigen Praxiserfahrungen Rechnung, wonach in den meisten 379 Fällen ein sog. Einheitsverwalter bestellt werden sollte. Dies ist aber nicht obligatorisch. Vielmehr sollen sich die Insolvenzgerichte untereinander darauf verständigen, ob ein einheitlicher Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger aller Schuldnerunternehmen sinnvoll ist oder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, unterschiedliche Verwalter zu bestellen. Diese Entscheidung kann auch das sog. Gruppengericht treffen, an das Verfahren konzernangehöriger Unternehmen verwiesen werden können, für die aufgrund ihres Sitzes andere Gerichte zuständig wären. Bleiben verschiedene Gerichte zuständig, so sind diese ebenfalls zur Kooperation verpflichtet. Dies betrifft sowohl die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen, die Bestellung vorläufiger Insolvenzverwalter, die Verfahrenseröffnung, alle wesentlichen verfahrensleitenden Entscheidungen sowie die Vorlage von Insolvenzplänen (§ 269b InsO-DiskE 2013). Gemäß § 269a InsO-DiskE 2013 sind die bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter gruppenangehöriger Unternehmen untereinander zur gegenseitigen Unterrichtung und Zusammenarbeit verpflichtet. Daneben kann gemäß § 269e InsO-DiskE 2013 ein sog. Koordinationsverwalter auch bereits für das Eröffnungsverfahren bestellt werden, der bindende Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenanhörigen Unternehmen, zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten und zu vertraglichen Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Verwaltern machen kann. Will ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter vom Vorschlag eines Koordinationsverwalters abweichen, so bedarf dies einer eingehenden Begründung. Im Falle, dass seitens der Gläubigerversammlung der Antrag auf Erstellung eines sog. Koordinationsplans gestellt wird, ist jeder einzelne Verwalter an diese Weisung gebunden (§ 269e InsO-DiskE 2013). Der DiskE orientiert sich an der bisherigen Praxis der Abwicklung von konzernangehöri- 380 gen Unternehmen.238) Er fördert die schwierige Koordinationsaufgabe, die bislang der jeweils bestellte vorläufige Insolvenzverwalter nach pflichtgemäßem Ermessen treffen muss. Diese Aufgabe ist seit Einführung der InsO in den meisten Fällen ohne größere Probleme bewältigt worden. Die für Betriebsfortführungen einzelner Schuldnerunternehmen geltenden Grundsätze werden bei Abwicklungen im Konzern lediglich – wie in einem Baukastensystem – um weitere Verfahren erweitert. Beim Anforderungsprofil an den Einheitsverwalter ist daher im Wesentlichen dessen Bereitschaft und Fähigkeit zur Bewältigung der damit verbundenen Organisationsaufgaben zu berücksichtigen. Ob dazu eine gesetzliche Regelung erforderlich ist, mag dahinstehen.239) ___________ 237) Fölsing, ZInsO 2013, 413 ff., 415, 416; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765 ff., 1768. 238) Frind, ZInsO 2013, 429 ff., 433. 239) Skeptisch auch Frind, ZInsO 2013, 429, 434; das Bundeskabinett hat am 28.8.2013 den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen beschlossen – www.bmj.de, ZIP Aktuell 2013, A 68 Nr. 252.

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§ 11 6.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Verwaltung von Kleinverfahren

381 Immer noch betreffen Insolvenzen Unternehmen, die – zu etwa 50 % – weniger als fünf Mitarbeiter aufweisen. Auch wenn es keine Insolvenzabwicklung „light“ gibt, darf nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden. Aber auch die Fortführung einer Imbissbude, eines kleinen Handwerksbetriebes oder eines Einzelhandelsgeschäftes erfordert eine umfassende Betreuung, eine sorgfältige Planung und eine regelmäßige Überwachung. Es ist zwar üblich, die Erfüllung dieser Aufgaben in kleineren Fortführungen auf sog. Grau-Verwalter zu delegieren, doch bleibt der vom Gericht bestellte vorläufige Insolvenzverwalter auch dann in der Verantwortung und hat dafür zu sorgen, dass alle wesentlichen Abwicklungsentscheidungen in Abstimmung mit ihm oder unmittelbar durch ihn persönlich getroffen werden. 382 Werden Kleinverfahren in Eigenverwaltung abgewickelt, mag es vertretbar sein, wenn der vorläufige Sachwalter zur Begrenzung des Aufwandes von seinem Büro aus arbeitet und nur sporadisch die Abläufe vor Ort prüft. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls. Jede Fortführung verläuft prozesshaft und unabhängig von der Größe des jeweiligen Unternehmens kommt es darauf an, die vier tragenden Säulen jeder Fortführung – Führung, Finanzierung, Markt und Produktion – unter Kontrolle zu halten und die gesetzlichen Pflichtaufgaben zu erfüllen. IV.

(Zwangs-)Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

1.

Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe (§ 20 Abs. 1 InsO)

1.1

Art und Umfang der Mitwirkung

383 Grundsätzlich ist der Schuldner nicht zu Dienstleistungen für die Insolvenzmasse verpflichtet. Er hat aber den vorläufigen Insolvenzverwalter bei der Erfüllung von dessen Aufgaben zu unterstützen und ist in diesem Zusammenhang auch zur aktiven Mitwirkung insbesondere i. R. einer Betriebsfortführung verpflichtet. Die Pflichten des Schuldners sind in § 22 Abs. 3 Satz 3 InsO geregelt. Gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter – egal ob „stark“ oder „schwach“ – ist der Schuldner zur Erteilung von Auskünften verpflichtet. Ferner hat er die Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere sowie das Betreten seiner Geschäftsräume zu gestatten. Nicht ausdrücklich geregelt sind Mitwirkungspflichten gegenüber dem vorläufigen Verwalter, was sich vor allem auch auf die Einbeziehung bzw. Einbindung des Schuldners in eine Betriebsfortführung auswirken kann. Die Pflicht zur aktiven und passiven Mitwirkung des Schuldners und seiner organschaftlichen Vertreter im Eröffnungsverfahren folgt aus § 97 InsO, die über die Verweisung in § 22 Abs. 3 InsO auch bereits für das Eröffnungsverfahren gelten.240) 1.2

Pflicht zur Mitarbeit, Vergütung

384 Allerdings gehen die aktiven Mitwirkungspflichten nicht soweit, dass der Schuldner zur Mitarbeiter im Unternehmen verpflichtet ist. Insbesondere kann der vorläufige Insolvenzverwalter nicht verlangen, dass der Schuldner unentgeltlich mitarbeitet und dazu seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt.241) Stellt der Schuldner seine Arbeitskraft zur Verfügung muss die Honorierung geklärt sein. Dies gilt auch für den organschaftlichen Vertreter eines Schuldnerunternehmens. Auch dieser ist nicht verpflichtet, seine Aufgaben als ___________ 240) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 214; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 41; Schmerbach in: FKInsO, § 20 Rz. 5; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 171; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 20 Rz. 34. 241) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 14 m. w. N.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

Geschäftsführer oder Vorstand ohne besonderes Entgelt zu erfüllen. In jedem Fall hat die Masse für die aktive Mitarbeit des Schuldners oder eines organschaftlichen Vertreters eine angemessene Vergütung zu entrichten.242) Alternativ zur Zahlung einer Vergütung kommt auch die Gewährung von Unterhalt aus 385 der Masse gemäß § 100 InsO in Betracht. Hierüber entscheidet der vorläufige Insolvenzverwalter, sofern er verwaltungs- und verfügungsbefugt ist, nach pflichtgemäßem Ermessen. Eine endgültige Entscheidung trifft im eröffneten Verfahren die Gläubigerversammlung. Letzteres ist vor allem dann die Regel, wenn es sich bei dem Schuldner um einen Freibe- 386 rufler handelt, dessen Praxis weitergeführt wird, was aber voraussetzt, dass der Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer die zulassungspflichtige Tätigkeit fortsetzt.243) Siehe dazu den Beitrag von Mönig/Coordes, unten § 28 Rz. 13 ff. 1.3

Mitarbeit bei Eigenverwaltung

Im Falle einer Eigenverwaltung wird aus der Pflicht zur Mitwirkung eine echte Mitar- 387 beitspflicht. Denn in der Eigenverwaltung übernimmt der Schuldner einen Großteil der Aufgaben, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Darüber hinaus führt er das operative Geschäft. 1.4

Zutrittsrecht

Das Zutrittsrecht ist i. R. einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren nur dann 388 von Bedeutung, wenn die Fortführung gegen den Willen des Schuldners oder ohne ihn erfolgt und dieser deshalb die Fortführung nicht unterstützt sondern boykottiert. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Geschäftsräume zu betreten und Nachforschungen anzustellen. Dies gilt uneingeschränkt für Geschäftsräume einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder juristischer Personen. Übt der Schuldner seinen Geschäftsbetrieb in Privaträumen aus, so ist das Betreten dieser Räume vom Zutrittsrecht nicht umfasst. Will der vorläufige Insolvenzverwalter gleichwohl Privaträume betreten, um dort Nachforschungen anzustellen oder Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu nehmen, ist dies gegen den Widerstand des Schuldners nur aufgrund richterlicher Anordnung möglich.244) Das Recht die Geschäftsräume zu betreten und Nachforschungen anzustellen, umfasst 389 sowohl die Besichtigung der Räume und Einrichtungen sowie der dort lagernden Warenbestände und sonstigen Wirtschaftsgüter.245) Das Zutrittsrecht dient dazu, an Ort und Stelle in den Geschäftsräumen Nachforschun- 390 gen anzustellen. Wie dies geschieht, bestimmt der vorläufige Insolvenzverwalter nach eigenem Ermessen. Gleiches gilt für den vorläufigen Sachwalter, der über die Verweisung in § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO die gleichen Rechte hat wie der vorläufige Insolvenzverwalter. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem vorläufigen Sachwalter sind alle Unterlagen 391 vorzulegen, die mittelbar oder unmittelbar erforderlich sind, um gesetzliche Überwachungspflichten zu erfüllen oder Informationen über das fortzuführende Unternehmen vermitteln. Zeitpunkt und Häufigkeit von Nachforschungen sind am Ende vom Verlauf der Abwicklung, der Kooperation des Schuldners und der Geschäftsentwicklung abhän___________ 242) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 8/2010, § 97 Rz. 17; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 16. 243) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 16. 244) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 211; Mönning in: Kübler, HRI, § 47 Rz. 81. 245) Mönning in: Kübler, HRI, § 47 Rz. 82.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

gig. Grundsätzlich kann der Insolvenzverwalter innerhalb der üblichen Geschäftszeiten jederzeit Zutritt zur Durchführung von Prüfungshandlungen verlangen.246) 1.5

Pflicht zur Auskunftserteilung

392 Über das Zutrittsrecht hinaus besteht zu Lasten des Schuldners oder der organschaftlichen Vertreter eines Schuldnerunternehmens die Pflicht, dem vorläufigen Insolvenzverwalter sowie dem vorläufigen Sachwalter jederzeit und in jeder gewünschten Art und Weise Auskünfte zu erteilen, die diese für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Die Erfüllung der Auskunftspflicht ist nicht auf die Geschäftsräume beschränkt. Sie kann in jeder Form, fernmündlich, schriftlich, per Brief, Fax, SMS oder Email angefordert werden, da die Art der Auskunftserteilung ausschließlich der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. vorläufige Sachwalter bestimmt.247) 1.6

Durchsetzung der Pflichten

393 Die den Schuldner treffenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten können zwangsweise durchgesetzt werden (§§ 98 ff. InsO). Dabei gelten die gesetzlich geregelten Pflichten auch für organschaftliche Vertreter und Angestellte (§ 101 InsO). Diese Maßnahmen sind im Falle von Betriebsfortführungen eher selten, weil Schuldner, organschaftliche Vertreter oder auch leitende Angestellte, die über notwendiges Wissen verfügen, an der ordnungsgemäßen Abwicklung im besonderen Maße interessiert sind. Müssen Zwangsmaßnahmen zur Erfüllung von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten durchgesetzt werden, scheiden Betriebsfortführungen meist aus, sofern der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund gesetzlicher Kompetenzzuweisung nicht ausnahmsweise verpflichtet ist, einen Geschäftsbetrieb auch dann fortzuführen, wenn Schuldner und organschaftliche Vertreter sowie leitende Angestellte die Fortführung nicht unterstützen oder in die Fortführung nicht eingebunden sind. 2.

Absicherung der Betriebsfortführung gegen Ein- und Übergriffe von Gläubigern und Dritten

2.1

Mögliche Störpotentiale: Verbotene Eigenmacht, Faustrecht, Drohungen

394 Insolvenzabwicklung bedeutet Konfliktbewältigung. Dies gilt auch dann, wenn allgemein das Ziel einer Erhaltungslösung verfolgt wird. Gleichwohl kommt es immer wieder vor, dass Lieferanten Vorbehaltsware abholen wollen und dabei auch vor Gewalt oder Drohungen mit Gewalt nicht zurückschrecken. Derartige Maßnahmen sind vor allem in den ersten Tagen nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu befürchten. Auch deshalb kommt es darauf an, dass der vorläufige Insolvenzverwalter schnell die notwendigen Sicherungsmaßnahmen durchführt, Lieferanten und Kunden informiert und notfalls sofort von der Möglichkeit Gebrauch macht, Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO zur Anordnung von Verwertungsstopps durch das Insolvenzgericht herbeizuführen. 395 Schlösser und Schließanlagen auszuwechseln, die Festplatten zu sichern und sofort Sicherungskopien zu erstellen, sind mögliche, oftmals sogar unverzichtbare Maßnahmen. 2.2

Diebstähle und Sabotage

396 Zu den Tabuthemen gehören Diebstähle und Sabotage. Gemeint sind Diebstähle von Material und Anlagegegenständen, meist durch Mitarbeiter des insolventen Unternehmens, ___________ 246) Mönning in: Kübler, HRI, § 47 Rz. 84. 247) Mönning in: Kübler, HRI, § 47 Rz. 85.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

die unter den Bedingungen einer Betriebsfortführung weit verbreitet sind. Ein Unrechtsbewusstsein ist bei den Betroffenen häufig nicht auszumachen. Aufgefallene Mitarbeiter geben zur Begründung unerfüllte Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen an, die angeblich zur Selbsthilfe berechtigen. Ebenso oft wird auf eine allgemeine betriebliche Übung verwiesen, insbesondere dann, wenn das insolvente Unternehmen Verbrauchsgüter für den täglichen Bedarf herstellt. Bereits in der ersten Betriebsversammlung sollte der vorläufige Verwalter auf die Konsequenzen hinweisen, die dann aber bis hin zur Erstattung von Strafanzeigen angewendet werden müssen. Trotz ausgeklügelter Schutzsysteme wird insbesondere im EDV-Bereich Datenmaterial 397 kopiert, das entweder zum Aufbau einer eigenen Existenz wichtig ist oder den Marktwert bei einem Wechsel zum Wettbewerb erhöht. Belastend für eine Betriebsfortführung kann sich diese gängige Praxis auswirken, wenn sie zugleich mit einer Löschung von Datensätzen verbunden wird, um eine Fortführung gezielt zu torpedieren. Es ist daher erforderlich, bereits am ersten Tag nach Anordnung vorläufiger Maßnahmen Sicherungskopien zu fertigen und diese an einem sicheren Ort zu verwahren. Der Diebstahl beweglicher Wirtschaftsgüter sowie geistigen Eigentums oder auch das 398 Ausbuchen von debitorischen Forderungen gegen Provision wird selten offen thematisiert, obwohl diese Vorfälle in vielen Insolvenzverfahren vorkommen. Der vorläufige Verwalter muss sich entscheiden, ob er enttarnte Übergriffe verfolgt, was häufig unmittelbare Auswirkungen auf die betrieblichen Strukturen hat oder ein Auge zudrückt, um die Fortführung nicht zu gefährden. In jedem Fall müssen die Kontrollen verschärft, die Zugänge kontrolliert und auch eingeschränkt werden, und Alarm- und Überwachungssysteme intakt bleiben.248) 2.3

Korruption

Krisenlagen sind in besonderem Maße korruptionsanfällig. Wer um seine eigene Stellung 399 fürchtet oder sich Vorteile verspricht, mag auf die Idee kommen, sich die Gunst eines vorläufigen Verwalters mit zweifelhaften Angeboten aller Art zu erkaufen. Hierfür muss der vorläufige Verwalter eine besondere Sensibilität entwickeln und jeden Anschein einer Bereitschaft zur Vorteilsnahme vermeiden. Bei Verhandlungen im Ausland mit dort ansässigen Lieferanten, Kunden oder Übernah- 400 meinteressenten müssen landeseigene Gepflogenheiten beachtet werden. Dazu gehört auch die vor allem in Osteuropa weit verbreitete Praxis, Verhandlungen mit opulenten Abendessen und reichlich Alkoholgenuss zu beschließen. Fehlverhalten, Missverständnisse, Verstöße gegen Landessitten, wozu im asiatischen Bereich das Ausschlagen von Einladungen gehört, können sich unmittelbar auf den Erfolg einer Betriebsfortführung auswirken. In jedem Fall gilt, dass sich der vorläufige Verwalter umfassend informiert, derartige Veranstaltungen nur in Begleitung aufsucht und diese weit vor Mitternacht wieder verlässt. 2.4

Zwangsweise Durchsetzung von Ansprüchen

In der sensiblen Phase unmittelbar nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens – unabhän- 401 gig davon ob als Regelverfahren oder in Eigenverwaltung – muss sorgfältig überlegt werden, ob (titulierte) Ansprüche gegen Kunden und Vertragspartner zwangsweise durchgesetzt werden sollen. Der vorläufige Verwalter läuft dann Gefahr, Konflikte, die auf das Verhalten des Schuldners zurückgehen, zu verschärfen. Richtig ist, in derartigen Fällen zunächst den Kontakt und das Gespräch zu suchen, selbst dann, wenn der Schuldner selbst auf ein energisches Vorgehen drängt. Für die Betriebsfortführung im Eröffnungs___________ 248) Mönning, Vorauflage, Rz. 1258.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

verfahren gilt allgemein der Grundsatz, Konflikte zu vermeiden und bestehende Konflikte zu entschärfen. 2.5

Nutzung von Gegenständen mit Aussonderungsrechten

402 Die früher problematische Nutzung insbesondere von Vorbehaltsware ist durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 geregelt worden. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO sieht die Möglichkeit vor, einen Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis auch für Aussonderungsgüter anzuordnen. Diese Regelung dient vorrangig dem Ziel, eine Betriebsfortführung zu erleichtern, indem dem vorläufigen Verwalter die Möglichkeit eingeräumt wird, Vermögensgegenstände, die grundsätzlich einem Aussonderungsanspruch unterliegen, im Zuge der Betriebsfortführung zu nutzen und somit die materielle Substanz eines Unternehmens zusammenzuhalten.249) Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO sind sowohl im Regelinsolvenzverfahren als auch beim Antrag auf Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO und im Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) nach § 270b InsO zulässig. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird und der betreffende Gegenstand für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist. 403 Mit dieser Regelung ist ein wesentliches Konfliktpotential i. R. von Betriebsfortführungen entschärft worden. Seit Einführung der Vorschrift werden üblicherweise ohne Rückgriff auf die Möglichkeit zur gerichtlichen Anordnung Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen zwischen dem vorläufigen Verwalter und dem aussonderungsberechtigten Gläubiger getroffen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der vorläufige Verwalter den betroffenen Gegenstand veräußern, verbrauchen oder verarbeiten will.250) 2.6

Nutzung und Einziehung/Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten

404 Die Nutzung von Gegenständen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und das hieran anknüpfende Verwertungsrecht waren auch bereits vor Einführung des HBeglG im eröffneten Verfahren eindeutig geregelt. Für das Eröffnungsverfahren hingegen war strittig, ob die Verwaltungs- und Verwertungskompetenz des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren bereits analog im Eröffnungsverfahren galt. Auch insoweit ist jetzt durch die Regelung in§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Klarheit geschaffen worden. Sie hat besondere Bedeutung bei der Einziehung von absonderungsbelasteten Forderungen. Dabei ist es anders als bei Aussonderungsgütern nicht erforderlich, dass die Forderungen für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. Denn nach h. M. können eingezogene Forderungen, an denen Absonderungsrechte bestehen, nicht für eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren eingesetzt werden.251) 405 Will der vorläufige Insolvenzverwalter von ihm eingezogene absonderungsbelastete Forderungen für eine Betriebsfortführung verwenden, ist dazu eine gesonderte Vereinbarung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger erforderlich. Diese wird im Zusammenhang mit Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren nahezu regelmäßig gegen die Abrede ___________ 249) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = ZInsO 2010, 714; vgl. auch die Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 15. 250) Schroeder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d; a. A.: Ganter, NZI 2007, 549; Haarmeyer in: MünchKommInsO, § 21 Rz. 99, die in der Nutzungsbefugnis auch das Recht zur Verarbeitung, Veräußerung und Verbrauch von Eigentumsvorbehaltsware sehen. 251) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = ZInsO 2010, 714; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 7/2007, § 21 Rz. 40; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38; Schroeder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69h; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 114.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

erteilt, dass die Sicherheit, durch die auf diese Weise generierten Neuforderungen, wieder in der ursprünglichen Höhe hergestellt wird. 2.7

Erfüllung von Verträgen, Lösungsklauseln

Das Eröffnungsverfahren hat keine unmittelbare Auswirkung auf die Vertragserfüllung. 406 Die bei gegenseitigen Verträgen wechselseitigen Rechte und Pflichten bleiben bestehen. Das Wahlrecht gemäß § 103 InsO kann im Eröffnungsverfahren nicht ausgeübt werden. Ebenso wenig können sich Vertragspartners des Schuldners unter Berufung auf sog. Lösungsklauseln, also für den Insolvenzfall geltende Vereinbarungen, die ein Sonderkündigungsrecht ermöglichen, nicht berufen. In Verträgen enthaltene Lösungsklauseln, die ausschließlich an den Insolvenzantrag oder an die Insolvenzeröffnung anknüpfen sind unwirksam, weil insoweit ein Verstoß gegen § 119 InsO vorliegt.252) 2.8

Sicherung der Beschaffungsstrukturen

Zur Sicherung der Beschaffungsstrukturen im Eröffnungsverfahren ist es notwendig, dass 407 der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter oder auch der sich selbstverwaltende Schuldner zweifelsfrei Masseverbindlichkeiten begründen kann. Dies gilt uneingeschränkt nur im Falle der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes, da der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter durch seine Handlungen unmittelbar Masseverbindlichkeiten begründet (§ 55 Abs. 2 InsO). Für den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter gilt dies nur im Falle von Einzel- 408 ermächtigungen, die das Insolvenzgericht erteilt, um im Zuge von Betriebsfortführungen einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Masse eingehen zu können.253) Aus Gründen der Praktikabilität sind dabei auch sog. Gruppenermächtigungen oder sog. Projektermächtigungen zulässig.254) Alternativ zur Einzelermächtigung, die insbesondere bei größeren Verfahren schwer zu handhaben ist, ist auch die Erfüllung, von im Eröffnungsverfahren begründeten Verbindlichkeiten über das sog. Treuhandkontenmodell möglich.255) Über jeden Zweifel erhaben sind Bargeschäfte, denen der „schwache“ vorläufige Insolvenz- 409 verwalter zustimmt. Im Falle der Eigenverwaltung ergibt sich die Möglichkeit, den Schuldner zur Begrün- 410 dung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen für den Fall eines Verfahrens zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren) unmittelbar aus dem Gesetz (§ 270b Abs. 3 InsO) oder im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO analog zu § 22 Abs. 3 InsO.256) In jedem Fall kommt es darauf an, den beteiligen Verkehrskreisen Art und Umfang der 411 gesetzlichen Kompetenzen oder der zur Begründung von Verbindlichkeiten eingeräumten gerichtlichen Anordnung transparent zu vermitteln, und die Beschaffungsstrukturen zu sichern. ___________ 252) 253) 254) 255)

BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, S. 274 ff.; Huber ZIP 2013, 493 BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625. Kirchhof, ZInsO 2004, 57, 61; Schroeder in: HambKomm-InsO, § 22, Rz. 93. Vgl. dazu Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 132; Undritz, NZI 2003, 136; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 194; Werres, ZInsO 2005, 1233; zweifelnd Schroeder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 98 ff. m. w. N. zum Meinungsstand. 256) AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 = ZInsO 2012, 790; LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, NZI 2013, 91 m. Anm. Andres.

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§ 11 2.9

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Sicherung des Standorts

412 Miet- und Pachtverhältnisse bleiben mit Wirkung für die Insolvenzmasse erhalten. Die Nutzung von gemieteten, gepachteten oder geleasten Gegenständen durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründet in Bezug auf die Gegenleistung Masseschulden (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das gesetzliche Kündigungsverbot umgehende Lösungsklauseln für den Insolvenzfall sind unzulässig.257) 413 Ist der Schuldner Eigentümer des Betriebsgrundstücks und dieses mit Grundpfandrechten zugunsten von absonderungsberechtigten Gläubigern belastet, kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters die einstweilige Einstellung eines von den absonderungsberechtigten Gläubigern betriebenes Zwangsversteigerungsverfahren beantragen (§§ 30d, 30e Abs. 1, 2 ZVG); siehe dazu auch den Beitrag von Schorisch/ Cornelius, unten § 13 Rz. 63 ff. 2.10 Sicherung des Wettbewerbs 414 Durch die ausdrückliche Zulassung einer Betriebsfortführung unter Insolvenzbedingungen wird die bisherige Spannungslage zwischen Wettbewerbsrecht und Insolvenzrecht entschärft. Die Herstellung und Veräußerung von Waren unter Insolvenzbedingungen stellt keine unzulässige Sonderveranstaltung dar, da es sich hierbei um einen regelmäßigen Geschäftsverkehr unter Insolvenzbedingungen handelt.258) Siehe dazu auch den Beitrag von Goeb/Wirth, unten § 20 Rz. 9 ff. 2.11 Konzessionen und Genehmigungen 415 Die Ausübung von Handwerk und Gewerbe und der Betrieb von Anlagen sind vielfach von Konzessionen, Erlaubnissen und Genehmigungen abhängig. Ungeordnete Vermögensverhältnisse wurden früher im deutschen Verwaltungsrecht traditionell als ein die persönliche Zuverlässigkeit des Konzessionsinhabers beseitigendes Tatbestandsmerkmal gewertet, so dass die Einleitung eines Konkursverfahrens regelmäßig als Grund für eine Rücknahme von Konzessionen ausreichte. 416 Nunmehr ist die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder der Widerruf einer Zulassung allein wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse ausgeschlossen. Diese Regelung gilt bereits im Eröffnungsverfahren, sofern das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen angeordnet hat (§ 12 GewO i. d. F. des Art. 71 EG InsO). Dies gilt unabhängig von der Verfahrensart, also sowohl im Eröffnungsverfahren eines Regelverfahrens als auch in der vorläufigen Eigenverwaltung. 2.12 Altlasten 417 Werden im Eröffnungsverfahren i. R. einer Betriebsfortführung entsorgungspflichtige Abfälle produziert, so sind der vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbstverwaltende Schuldner zur Durchführung der notwendigen Entsorgungsmaßnahmen nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet. Die hieraus begründeten Verbindlichkeiten werden von den Verwaltungsgerichten auch dann als Masseschulden eingestuft, wenn es sich dabei um Abfälle handelte, die bereits vor Einleitung eines Insolvenzverfahrens anfielen.259) Zwecks frühzeitiger Klärung und zur Vermeidung der Einleitung straf___________ 257) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 153. 258) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 156. 259) BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – BVerwG 7 C 38.97, ZIP 1998, 2167; a. A. BGH, Urt. v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZIP 2001, 1469 ff. = NZI 2001, 531 ff.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

rechtlicher Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen umweltrechtliche Bestimmungen soll der vorläufige Verwalter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Verbindung zu den zuständigen Behörden aufnehmen, um eine Klärung in Bezug auf die Beseitigungspflichten oder eine evtl. Ersatzvornahme gegen Kostenerstattung herbeizuführen.260) 2.13 Belegschaft/Personalmaßnahmen Der richtige Umgang mit der Belegschaft, deren frühzeitige Einbeziehung, die umgehen- 418 de und vor allem zutreffende Vermittlung notwendiger Informationen über den Stand des Verfahrens, die mit der Abwicklung verfolgte Zielsetzung und geplante Personalmaßnahmen, ist unabdingbare Voraussetzung für den Fortführungserfolg. Der vorläufige Insolvenzverwalter, der zwangsweise die Arbeitgeberfunktion übernimmt, ist ein „unerwünschter Arbeitgeber“. Der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter rückt unmittelbar in die Rechtsstellung des Arbeitgebers ein. Auch bei lediglich „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung durch Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes kann der Schuldner seine Funktion als Arbeitgeber nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wahrnehmen. Ziel des Insolvenzverfahrens ist dabei nicht die bestmögliche Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktion, sondern die gemeinschaftliche Befriedigung der am Verfahren beteiligten Gläubiger durch Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung des Erlöses. Jede Form der Verwertung steht im Gegensatz zur unternehmerischen Tätigkeit, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist, was im Regelfall einen nachhaltigen und auf Dauer angelegten Gewerbebetrieb erfordert. Insolvenzrecht und Arbeitsrecht stehen damit von vornherein im Widerspruch zueinander, sofern als Verfahrensziel nicht die Erhaltung des insolventen Unternehmensträgers, also eine Reorganisation, beabsichtigt ist. Die organisierte Arbeitnehmerschaft und die Betriebsräte verfolgen vorinsolvenzlich das 419 Ziel, die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu vermeiden. Lohn- und Gehaltsrückstände werden selbst unter Überschreitung des Insolvenzgeldzeitraumes hingenommen. Vielfach haben Belegschaften Lohnverzichten zugestimmt, um ihre Arbeitsplätze zu sichern. Dies hängt auch damit zusammen, dass Arbeitnehmer und Betriebsräte aber auch die Gewerkschaft nur mit geringen Erwartungen, vielfach eher mit Befürchtungen auf die Einleitung eines Insolvenzverfahrens reagieren. Das Misstrauen der Arbeitnehmerschaft gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter als Unternehmer hat vielfältige Gründe: x

Der (vorläufige) Insolvenzverwalter kennt das Unternehmen nicht. Wäre dies anders, dürfte er wegen Vorbefassung oder Interessenkollision nicht ernannt werden. Er muss sich einarbeiten und ist häufig von „gefärbten“ Auskünften und nicht immer korrekten Geschäftsbüchern abhängig.

x

Die Auswahl des Verwalters konnte bislang von den Arbeitnehmern nicht beeinflusst werden. Ob ein Branchenkenner mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und nachgewiesenen Fortführungs- und Sanierungsverfahren ernannt wird, war bislang einzig und allein Sache des zuständigen Insolvenzgerichts. Ob und inwieweit sich der Einfluss der Arbeitnehmer durch Mitwirkung in einem vorläufigen Gläubigerausschuss ändert, bleibt abzuwarten.

x

Insolvenzverwalter sind vielbeschäftigt und daher häufig nicht in der Lage, ihre Tätigkeit voll und ganz auf nur ein Krisenunternehmen auszurichten. Es kommt also nicht nur auf die Qualifikation des Insolvenzverwalters, sondern auch auf die Qualität seines Netzwerkes an.

___________ 260) Dazu Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 163 – 166.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

x

Die Entscheidungskompetenz zur Weiterführung eines Unternehmens, liegt nicht allein beim vorläufigen Insolvenzverwalter. Er hat die Mitwirkungs- und Entscheidungsbefugnis eines vorläufigen Gläubigerausschusses und nach Verfahrenseröffnung auch der Gläubigerversammlung zu beachten.

x

Die Handlungsspielräume des vorläufigen Insolvenzverwalters sind durch die Verfahrensziele der InsO und zwingende gesetzliche Vorschriften begrenzt. Die Fortführung darf nur in engen Grenzen zu einem Vermögensverzehr führen. Sie ist kein Selbstzweck und auch keine Dauerlösung.

x

Die Funktion als Arbeitgeber ist nur ein Teilaspekt innerhalb der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters.261)

420 Der vorläufige Insolvenzverwalter, aber auch der vorläufige Sachwalter, haben daher unmittelbar nach Einleitung des Verfahrens die Aufgabe, das mindestens latent vorhandene Misstrauen zu überwinden. Neben der kontinuierlichen Vermittlung zutreffender Informationen gehören dazu auch nachvollziehbare und sachgerechte Entscheidung im Zuge der Unternehmensführung bis hin zu der Frage, ob die bisherigen Führungskräfte weiterbeschäftigt oder ausgewechselt werden. 421 In besonderem Maße ist der vorläufige Insolvenzverwalter gefordert, Zugang zu Mitarbeitern in Vertrauensstellungen und Schlüsselpositionen zu erhalten. Denn diese bündeln vielfach die für eine Fortführung des Unternehmens notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, die sie nur dann bereitwillig an einen fortführenden vorläufigen Insolvenzverwalter weitergeben, wenn dieser ihre Stellung respektiert. Im Umgang mit der Belegschaft haben soft skills eine überragende Bedeutung. Sie ergänzen die fachliche Kompetenz und machen sich bei Betriebsversammlungen, Mitarbeitergesprächen sowie Verhandlungen mit dem Betriebsrat in besonderer Weise bemerkbar und bezahlt, da hier Rhetorik und Umgangsformen, Witz und Schlagfertigkeit sowie vor allem auch Einfühlungsvermögen verlangt werden. Hieraus leitet sich unmittelbar die Fähigkeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters zur Motivation der Belegschaft, was umgekehrt aber auch zu Demotivation führen kann, wenn diese Fähigkeiten ebenso wenig vorhanden sind, wie fachliche Kompetenz und Offenheit.262) 422 Der von unnötigen Konflikten befreite Umgang mit Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern hängt vor allem davon ab, dass der vorläufige Insolvenzverwalter aber auch der den Eigenverwalter überwachende vorläufige Sachwalter die weitgehend durch das BetrVG dokumentierten Errungenschaften der Arbeitnehmer, vor allem in der Form der organisierten Mitwirkung und Mitbestimmung achtet (siehe dazu die Ausführungen von Schäfer, unten § 15 Rz. 1 ff.). Den Betriebsrat nicht oder nicht ausreichend zu beteiligen, führt unmittelbar zu nachteiligen finanziellen Auswirkungen aber insbesondere auch zu einer Konfliktlage, die sich nachteilig auf die Betriebsfortführung und die gesamte Verfahrensabwicklung auswirkt. 423 Im Eröffnungsverfahren gelten die Bestimmungen des Insolvenzarbeitsrechtes (§§ 113 ff. InsO) nicht. Der vorläufige Insolvenzverwalter und der sich selbstverwaltende Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung sind in vollem Umfang an die arbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen und die hieraus resultieren Individualrechte der einzelnen Arbeitnehmer aus Gesetz, Tarifvertrag und Betriebsvereinbarungen gebunden (siehe dazu i. E. die Ausführungen von Dreschers, unten § 14 Rz. 5 ff.). Die Umsetzung notwendiger Personalmaßnahmen gestaltet sich daher im Eröffnungsverfahren ___________ 261) Mönning in: Heinrich, Wirtschaft im Umbruch, S. 31 ff., 34. 262) Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157, 165.

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Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren

§ 11

überaus schwierig. Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens stellt keinen Kündigungsgrund dar. Nur der Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen, wenn erhebliche Lohnrückstände vorliegen.263) Auch die Möglichkeit Insolvenz in Anspruch zu nehmen, führt nicht zum Wegfall des Kündigungsrechts. Wegen offener Lohn- und Gehaltszahlungen kann der Arbeitnehmer zudem ein Zurück- 424 behaltungsrecht ausüben, allerdings nur dann, wenn eine Insolvenzgeldvorfinanzierung nicht durchgeführt wird.264) Alle arbeitsrechtlichen Regelungen der §§ 113, 120 – 128 InsO gelten erst ab Verfahrenseröffnung. Dies gilt insbesondere auch für die verkürzte Kündigungsfrist des § 113 InsO. Auch der vollbefugte vorläufige Insolvenzverwalter ist hieran gebunden.265) Dem vorläufigen Verwalter und dem sich selbstverwaltenden Schuldner bleiben daher al- 425 lenfalls die Möglichkeiten zur Freistellung eines Arbeitnehmers im Eröffnungsverfahren, was jedoch keinerlei Auswirkung auf den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers hat. Diese Lage muss der vorläufige Insolvenzverwalter kennen und akzeptieren. Ist als Sanie- 426 rungslösung eine übertragende Sanierung geplant, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter darauf achten, dass der zukünftige Übernehmer nicht bereits im Eröffnungsverfahren die Leitungsmacht übernimmt und wichtige unternehmerische Entscheidungen trifft, da dieser dann im Falle eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) ohne jede Haftungsbeschränkung für Vergütungsrückstände einzutreten hat. V.

Betriebsfortführung und Öffentlichkeit

Die Rundfunkfreiheit hat bewirkt, dass neben den herkömmlichen Rundfunk- und Fern- 427 sehanstalten eine unüberschaubare Fülle von regionalen Fernseh- und Rundfunksendern entstanden ist. Die permanente Berichterstattung wirkt sich unmittelbar auf die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens aus. Dies gilt in erster Linie für Betriebsfortführungen, während eine bereits bei Einleitung des Insolvenzverfahrens vollzogene Stilllegung die Öffentlichkeit meist nicht mehr berührt. Der fortführende vorläufige Insolvenzverwalter oder der sich selbstverwaltende Schuld- 428 ner im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung und hier zusätzlich auch der vorläufige Sachwalter, sind daher permanenten Anforderungen ausgesetzt, Printmedien, Fernsehund Rundfunkstationen und auch internetgestützten Informationsdiensten Auskünfte i. R. von Interviews, Hintergrundgesprächen und Presseerklärungen zu erteilen. Der Umgang mit der (Medien-)Öffentlichkeit ist daher ein wesentlicher Teil der Insolvenzabwicklung geworden und stellt an den (vorläufigen) Verwalter Anforderungen, die häufig nur mit Hilfe einer auf Krisenfälle spezialisierten PR-Agentur bewältigt werden kann. Siehe dazu auch den Beitrag von Voskuhl, oben § 10 Rz. 19 ff. Die permanente Öffentlichkeit verlangt vom (vorläufigen) Verwalter auch die Fähigkeit 429 zu einem angemessenen Auftreten auf Pressekonferenzen, in Interviews sowie Fernsehund Rundfunksendungen. Die meist auf wenige Minuten zusammengeschnittenen Erklärungen können, positiv wie negativ, erhebliche Auswirkung auf eine Betriebsfortführung haben. Unsicheres Auftreten, widersprüchliche Aussagen und/oder arrogante Erscheinungsformen können dazu führen, dass der Verwalter die Akzeptanz in der Öffentlichkeit verliert und als Folge einer überkritischen Beobachtung ausgesetzt ist. ___________ 263) BAG, Urt. v. 26.7.2007 – 8 AZR 796/06, NZA 2007, 1419. 264) Blank, ZInsO 2007, 426 ff. 265) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = ZInsO 2005, 1342; LAG Hamburg, Urt. v. 16.10.2003 – 8 Sa 63/03, ZIP 2004, 869.

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§ 11

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

430 Seiner Wirkung in der Öffentlichkeit muss sich ein fortführender Verwalter bewusst sein. Defizite in diesem Bereich können durch gezielte Schulungsmaßnahmen (Coaching) ausgeglichen werden. Die Öffentlichkeitsarbeit in der Krise ist Bestandteil eines einheitlichen und strategisch ausgerichteten Kommunikationskonzeptes. Es ist von enormer Bedeutung, dass der Verwalter als entscheidender Träger eines Sanierungskonzeptes als glaubwürdig und kompetent empfunden wird, die zu übermittelnden Nachrichten einfach formuliert und für den Empfänger nachvollziehbar übermittelt werden und alle öffentlichen Erklärungen in sich konsistent sind und den bisherigen (Sanierungs-)Prozess zutreffend darstellen. Dabei müssen alle verfügbaren Kommunikationskanäle gleichmäßig genutzt werden, um zu verhindern, dass Medien, die sich in der Informationserteilung vernachlässigt fühlen, eine aggressive oder kritische Haltung einnehmen.266) VI.

Übergang

431 Das Eröffnungsverfahren endet mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder seiner Abweisung mangels Masse. War die Betriebsfortführung kurzfristig nur auf den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens angelegt, hat die Stilllegung unmittelbar auf die Eröffnungsentscheidung zu erfolgen, um eine Belastung der Masse mit weiterlaufenden Kosten, die als Masseschulden zu berichtigen sind, zu vermeiden. 432 Sieht die Planung vor, dass die Betriebsfortführung über den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinausgeht, muss vorher i. R. einer to do-Liste festgelegt werden, welche Entscheidungen nach Eröffnung unter Berücksichtigung geänderter rechtlicher Rahmenbedingungen (z. B. Insolvenzarbeitsrecht, Wahlrecht nach §§ 103 ff., Beendigung von Aufträgen und Geschäftsbesorgungen gemäß §§ 115, 116 InsO) bestätigt oder abweichend vom Eröffnungsverfahren neu getroffen werden müssen, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten.

___________ 266) Dazu auch Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 63 ff.

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§2 Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung Übersicht I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen ................................................. 1 II. Die klassischen Verfahrensgrundsätze .............................................................. 2 1. Verfassungsrechtlich garantierte Verfahrensgrundsätze .................................. 3 1.1 Rechtsstaatsprinzip........................... 3 1.2 Gesetzlicher Richter ......................... 6 1.3 Rechtliches Gehör............................. 7 1.4 Justizgewährung................................ 8 1.5 Willkürverbot .................................... 9 1.6 Materieller Grundrechtsschutz............................................... 10 1.7 Informationelle Selbstbestimmung..................................... 11 2. Allgemeine Verfahrensgrundsätze ............ 12 2.1 Dispositionsmaxime ....................... 12 2.2 Untersuchungsgrundsatz ............... 13 2.3 Amtsbetrieb..................................... 14 2.4 Mündlichkeit ................................... 15 2.5 Unmittelbarkeit .............................. 16 2.6 Öffentlichkeit.................................. 17 2.7 Konzentrationsmaxime .................. 18 2.8 Förderung gütlicher Einigung .......................................... 19

3.

Spezielle insolvenzrechtliche Verfahrensgrundsätze ................................ 20 3.1 Gleichmäßige Gläubigerbefriedigung .................................... 20 3.2 Universalität .................................... 21 3.3 Geldliquidation ............................... 24 3.4 Formalisierung ................................ 25 3.5 Gläubigerautonomie ....................... 26 3.6 Einheit des Verfahrens.................... 27 3.7 Nachforderung und Entschuldung .................................. 28 III. Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung .................... 29 1. Grundsatz ................................................... 29 2. Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit........ 30 3. Die Sanierungsinstrumente ....................... 32 4. Abweichung von Verfahrensgrundsätzen? ........................................................ 35 4.1 Einheit des Verfahrens.................... 35 4.2 Dispositionsmaxime ....................... 37 4.3 Förderung gütlicher Einigung........ 38 4.4 Untersuchungsmaxime................... 39 IV. Ethik und Betriebsfortführung ............... 40 V. Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung?.... 43

Literatur: Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, 2011; Prütting, Allgemeine Verfahrensgrundsätze der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung (Kap. 1), 3. Aufl., 2009, S. 1; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren (Zugleich Besprechung LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831 – Suhrkamp), ZIP 2013, 1937.

I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen

Strukturprinzipien und Verfahrensabläufe lassen sich in jedem geordneten Verfahren i. R. 1 gewisser Grundsätze systematisieren. Solche Grundsätze sind für eine prozedurale Gerechtigkeit von erheblicher Bedeutung. Denn sie verweisen auf das Gesamtverständnis einer Verfahrensordnung und auf die dahinter stehenden Gerechtigkeitsmaßstäbe des Gesetzgebers. Nur durch solche Verfahrensgrundsätze lassen sich der allgemeine Aufbau einer Prozessordnung, seine tragenden Elemente und letztlich die Gesamtstruktur des Verfahrens ermitteln und darstellen. Durch die Herausarbeitung von Verfahrensgrundsätzen kann also eine Diskussion über konkrete einzelne Fragen durchaus erleichtert werden. Auch jede Rechtsvergleichung setzt solche allgemeinen Strukturmerkmale und Verfahrensgrundsätze voraus. Schließlich baut die methodische Fortentwicklung einer Verfahrensordnung auf solchen Strukturmerkmalen auf. Es erstaunt daher, dass sich im Insolvenzrecht nur sehr selten Überlegungen zu den Verfahrensmaximen finden lassen.1) ___________ 1) Eine Ausnahme machen Stürner in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., 2013, Einl. Rz. 46 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff.

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29

§2 II.

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Die klassischen Verfahrensgrundsätze

2 Will man sich einen Überblick über die Verfahrensgrundsätze des geltenden Insolvenzrechts verschaffen, so liegt es nahe, eine Dreiteilung vorzunehmen. x

Zunächst wirkt das Verfassungsrecht auf das Insolvenzrecht ein. Daher lassen sich diejenigen verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensgrundsätze zusammenstellen, die sich unmittelbar aus der Verfassung herauslesen lassen.

x

Darüber hinaus verweist § 4 InsO bekanntlich auf die Vorschriften der ZPO, die i. R. des Insolvenzverfahrens subsidiär zur Anwendung kommen können. Daher ist es sinnvoll, im Anschluss an die verfassungsrechtlichen Grundlagen eine Zusammenstellung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze zu geben, wie sie typischerweise auch in einem zivilprozessualen Verfahren zu erörtern wären.

x

Schließlich kann man eine dritte Gruppe von Verfahrensgrundsätzen zusammenstellen, die sich in dieser Form allein aus dem geltenden Insolvenzrecht herauslesen lassen und die durch ganz spezielle insolvenzrechtliche Aspekte geprägt sind.

1.

Verfassungsrechtlich garantierte Verfahrensgrundsätze2)

1.1

Rechtsstaatsprinzip

3 An erster Stelle ist hier das Rechtsstaatsprinzip zu nennen, wie es in Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Kennzeichen des Rechtsstaatsprinzips ist es, dass es von der Rechtsprechung des BVerfG nach Art einer grundlegenden Generalklausel herangezogen wird, um einzelne speziellere Verfahrensgrundsätze aus ihm heraus zu entwickeln. Zu diesen Grundsätzen gehören die Gesetzesbindung der Gerichte sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Verfahrens, den man nicht selten mit dem Schlagwort der „Justizförmigkeit“ zum Ausdruck bringt. 4 Weiterhin ist aus dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot des effektiven Rechtsschutzes entwickelt worden. Damit wird vor allem die wirksame Kontrolle aller Rechtsakte durch die zuständige Gerichtsbarkeit charakterisiert. Ein Teilaspekt des Gebots des effektiven Rechtsschutzes ist der Beschleunigungsgrundsatz. Er soll sicherstellen, dass jedes Verfahren in einer zügigen und rechtsstaatlich vertretbaren Weise abgewickelt wird. Das insolvenzrechtliche Eröffnungsverfahren ist als ein Eilverfahren in besonderer Weise dem Beschleunigungsgrundsatz unterstellt. 5 Aus dem Zusammenwirken von materiellen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip hat das BVerfG den Anspruch auf ein faires Verfahren entwickelt. Soweit also einer Partei (insbesondere in der Zwangsvollstreckung) große materielle Verluste drohen, ergibt sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren die Forderung an den Richter, diese Partei gesondert über die Rechtslage zu belehren. Schließlich ist das Gebot der Waffengleichheit im Prozess sowie das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer ein Ausschluss des Rechtsstaatsprinzips. Das Problem der überlangen Verfahrensdauer ist daneben insbesondere in Art. 6 Abs. 1 EMRK ausdrücklich geregelt. 1.2

Gesetzlicher Richter

6 Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich die Garantie des gesetzlichen Richters und damit das Gebot, für jede einzelne Rechtssache den zuständigen Spruchkörper und den zuständigen Richter im Voraus möglichst eindeutig in einer allgemeinen Norm festzulegen. Die einzelnen Normen der Gerichtsverfassung, die jeweiligen Zuständigkeitsnormen der Pro___________ 2) Zu den verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., 2013, Einl. Rz. 77 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff, Rz. 7 ff.

30

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Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

zessordnungen und die ergänzenden Regeln aus dem Geschäftsverteilungsplan sind daher Ausprägungen dieses grundgesetzlichen Gedankens. Insbesondere soll durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verhindert werden, dass innerhalb der Gerichtsorganisation Manipulationen vorkommen. 1.3

Rechtliches Gehör

In Art. 103 Abs. 1 GG ist der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör nie- 7 dergelegt. Er kann heute als ein absolut zentrales prozessuales Grundrecht gelten. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in drei verschiedenen Schritten zu realisieren ist. Für die Parteien besteht zunächst ein Recht auf Orientierung, also auf Benachrichtigung vom Verfahren, auf Mitteilung von Äußerungen anderer Beteiligter sowie auf Akteneinsicht. In einem zweiten Schritt gibt der verfassungsrechtliche Grundsatz rechtlichen Gehörs jeder Partei das Recht auf Äußerung. Schließlich und in zentraler Weise wird in einem dritten Schritt durch diesen Grundsatz das Gericht verpflichtet, das Parteivorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. 1.4

Justizgewährung

Verfassungsrechtlich garantiert ist weiterhin der Justizgewährungsanspruch (auch Rechts- 8 schutzgarantie genannt). So ergibt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG unmittelbar eine solche Garantie des Zugangs zu Gericht für jedermann bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Über diesen Wortlaut der Verfassung hinaus ist aber auch für alle privatrechtlichen Streitigkeiten anerkannt, dass sich eine Garantie des umfassenden Rechtsschutzes aus der Verfassung ableiten lässt. Neben Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG werden als Rechtsgrundlagen häufig das Rechtsstaatsprinzip sowie Art. 2 Abs. 1 GG genannt. 1.5

Willkürverbot

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren von Bedeutung. 9 Das BVerfG hat aus ihm das Willkürverbot entwickelt, das sich auch für die konkrete Ausgestaltung von Verfahrensnormen fruchtbar machen lässt. 1.6

Materieller Grundrechtsschutz

Das BVerfG hat ferner konkrete Folgerungen für das Verfahrensrecht auch unmittelbar 10 aus einzelnen materiell-rechtlichen Grundrechten gezogen. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG sowie für den Gesichtspunkt der Berufsfreiheit des Art. 12 GG. 1.7

Informationelle Selbstbestimmung

Prozessuale Bedeutung hat auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der information- 11 ellen Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht hat das BVerfG aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt.

Prütting

31

§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

2.

Allgemeine Verfahrensgrundsätze3)

2.1

Dispositionsmaxime

12 Die Verfahrenseinleitung und die Verfahrensherrschaft werden je nach Ausgestaltung im Einzelnen durch den Gegensatz von Dispositionsmaxime und Offizialprinzip gekennzeichnet. Im Insolvenzrecht gibt es keine Verfahrenseinleitung ohne Antrag. Darin spiegelt sich die Dispositionsmaxime deutlich wider. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wird freilich die Parteiherrschaft über den Verfahrensgegenstand und über das Verfahrensende sehr stark eingeschränkt. Insofern kann man nur von einer beschränkten Dispositionsmaxime sprechen. Durch das ESUG ist jedoch die Dispositionsfreiheit der Gläubiger deutlich erweitert worden. Die moderne Entwicklung des Insolvenzrechts strebt also nach einer Verstärkung der Dispositionsmaxime. 2.2

Untersuchungsgrundsatz

13 Die Sammlung und Beibringung des Tatsachenstoffs in einem Verfahren wird durch den Gegensatz von Verhandlungsmaxime und Untersuchungsgrundsatz geprägt. Das Insolvenzrecht hat hier in § 5 Abs. 1 InsO ganz klar den Untersuchungsgrundsatz gesetzlich festgeschrieben. Daran ändern die im Einzelnen vorhandenen Mitwirkungspflichten der Beteiligten nichts. 2.3

Amtsbetrieb

14 Der formale Verfahrensgang ist durch den Amtsbetrieb gekennzeichnet. Danach ist das Insolvenzgericht zuständig für Terminsanberaumungen, Ladungen, Zustellungen, Bekanntmachungen und Eintragungen. 2.4

Mündlichkeit

15 Die Form des wirksamen prozessualen Handelns von Gericht und Parteien wird durch den Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit näher bestimmt. In der InsO gilt insoweit der Grundsatz der fakultativen Mündlichkeit. Dies ergibt sich insbesondere aus § 5 Abs. 2 und Abs. 3 InsO. Dabei ist i. R. der Änderungen durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 15.7.20134) das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Weise neu geregelt worden, dass nunmehr das schriftliche Verfahren insoweit der Regelfall sein soll. 2.5

Unmittelbarkeit

16 Im Zivilprozess ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit anerkannt, wonach die mündliche Verhandlung und insbesondere die Beweisaufnahme unmittelbar vor dem erkennenden Gericht durchzuführen sind (vgl. im Einzelnen §§ 128 Abs. 1, 355 Abs. 1, 309 ZPO). Im Insolvenzrecht wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit regelmäßig nicht näher behandelt. Denn da das Insolvenzrecht keine zwingende Mündlichkeit des Verfahrens kennt, kann insoweit auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht streng durchgeführt werden. Soweit aber auch im Insolvenzrecht die Mündlichkeit des Verfahrens beachtet wird, muss ebenfalls der Grundsatz der Unmittelbarkeit gelten. Dagegen verliert der Grundsatz der Unmittelbarkeit im eröffneten Verfahren aufgrund der Kompetenzen des Insolvenzverwalters vollkommen an Bedeutung. ___________ 3) Zu den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., 2013, Einl. Rz. 47 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff., Rz. 38 ff. 4) Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, Nr. 38, S. 2379.

32

Prütting

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung 2.6

§2

Öffentlichkeit

Ähnlich wie die Unmittelbarkeit beruht auch der Grundsatz der Öffentlichkeit auf dem 17 Prinzip der Mündlichkeit. Soweit daher Mündlichkeit nur fakultativ vorgesehen ist, kann auch der Grundsatz der Öffentlichkeit nur fakultativ Beachtung finden. Im Übrigen bezieht sich der Grundsatz der Öffentlichkeit nur auf die Gerichtsverhandlungen (§ 169 Satz 1 GVG). Dagegen ist eine Gläubigerversammlung grundsätzlich nicht öffentlich. Öffentlich ist demgegenüber die Bekanntgabe einer Entscheidung des Insolvenzgerichts (§§ 23, 30, 252 InsO). 2.7

Konzentrationsmaxime

Vielfältige verfahrensrechtliche Einzelregelungen, die der Beschleunigung und der Kon- 18 zentration des Verfahrens dienen, werden teilweise auch unter dem Begriff der Konzentrationsmaxime zusammengefasst. Hierher gehören also gesetzliche oder richterliche Fristen, Vorschriften zur Straffung des Verfahrensablaufs sowie insbesondere Präklusionsmöglichkeiten. 2.8

Förderung gütlicher Einigung

Besonderes Gewicht hat in jüngerer Zeit der Verfahrensgrundsatz der Förderung einer 19 gütlichen Einigung erhalten. Im Zivilprozess ist dieser Grundgedanke insbesondere in § 278 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 und Abs. 6 sowie in § 278a ZPO niedergelegt. Im Insolvenzrecht wird man die sich aus den §§ 278, 278a ZPO ergebenden Grundgedanken ebenfalls anwenden können. Jedenfalls ist anerkannt, dass auch im Insolvenzverfahren eine Mediation sowohl außergerichtlich als auch während des Verfahrens möglich erscheint. 3.

Spezielle insolvenzrechtliche Verfahrensgrundsätze5)

3.1

Gleichmäßige Gläubigerbefriedigung

An erster Stelle ist der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (par conditio 20 creditorum) zu nennen, der im Insolvenzrecht als das beherrschende Prinzip anzusehen ist. Er steht im Gegensatz zum Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung und sichert im Insolvenzverfahren den grundlegenden Vorgang einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger in der Form einer anteiligen und gleichmäßigen Befriedigung. 3.2

Universalität

Ein weiteres zentrales insolvenzrechtliches Prinzip ist der Universalitätsgrundsatz. Er 21 weist allerdings unterschiedliche Inhalte und Ausprägungen auf. Im nationalen Insolvenzrecht wird der Universalitätsgrundsatz vor allem in der Form der personellen Universalität verstanden. Damit kommt zum Ausdruck, dass in einem Insolvenzverfahren alle Gläubiger ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Stellung am Insolvenzverfahren teilnehmen müssen und ihnen eine isolierte Befriedigung durch Einzelzwangsvollstreckung verwehrt ist. Insofern ist der Gedanke der personellen Universalität eine zwingende Folge des Gedankens der Gläubigergleichbehandlung. Der Grundgedanke der Universalität lässt sich im nationalen Insolvenzrecht aber auch 22 mit der Frage nach der Insolvenzfähigkeit i. S. von § 11 InsO verknüpfen. Im Gegensatz zum Gedanken des Kaufmannskonkurses, wie er etwa im französischen Recht ausgeprägt ist, geht das deutsche Insolvenzrecht davon aus, dass jede natürliche und jede juristische ___________ 5) Zu den speziellen insolvenzrechtlichen Verfahrensgrundsätzen im Einzelnen vgl. Stürner in: MünchKommInsO, 3. Aufl., 2013, Einl. Rz. 62 ff.; Prütting in: Kölner Schrift, S. 1 ff., Rz. 61 ff.

Prütting

33

§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Person sowie jede Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i. S. von § 11 InsO insolvenzfähig ist. 23 Demgegenüber stehen sich i. R. des internationalen Insolvenzrechts die beiden Grundprinzipien des Territorialitätsgrundsatzes und des Universalitätsgrundsatzes gegenüber. Bei der Frage nach der internationalen Universalität geht es um das Problem, in welchem Umfang ein nationales Insolvenzverfahren Auslandswirkungen aufweist und ob durch ein ausländisches Insolvenzverfahren Inlandswirkungen herbeigeführt werden. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH6) wird in Deutschland der Gedanke der internationalen Universalität vertreten. Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken in Art. 102 EGInsO übernommen. Im Rahmen der EU ist insbesondere auf Art. 16 EuInsVO hinzuweisen. Diese europäische Universalität findet freilich in Art. 16 Abs. 2 EuInsVO insoweit eine starke Einschränkung, als in jedem Mitgliedstaat der Union ein eigenes Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann. 3.3

Geldliquidation

24 Im Gegensatz zum Grundsatz der Naturalvollstreckung in der Einzelzwangsvollstreckung ist das Insolvenzrecht im Hinblick auf die Forderungen nach gleichmäßiger und anteiliger Befriedigung aller Gläubiger vom Grundsatz der Geldliquidation geprägt. Dies setzt in verschiedener Weise eine Umwandlung von Forderungen in Geldbeträge sowie eine Umwandlung noch nicht fälliger Forderungen, Auflösen bedingter Forderungen oder Forderungen auf wiederkehrende Leistungen voraus (im Einzeln vgl. §§ 41, 42, 45, 46 InsO). 3.4

Formalisierung

25 Trotz aller Unterschiede zwischen Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenz dient auch das Insolvenzrecht ebenso wie der Bereich der Einzelzwangsvollstreckung letztlich der Befriedigung der Gläubiger. Insolvenzrecht ist also im Kern ebenfalls Vollstreckungsrecht. Daher muss sich das Insolvenzrecht wie jede Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Stärke des Grundrechtseingriffs und den Gedanken der Rechtssicherheit durch eine strenge Formgebundenheit auszeichnen. Vollstreckungsmaßnahmen sind daher stets an strikte formelle Voraussetzungen geknüpft. Daher erzwingen i. R. des Insolvenzrechts der Gedanke der Effizienz und der Rechtssicherheit ebenfalls ein Verfahren, in dem einerseits formalisierte Kriterien die Prüfung der materiellen Gläubigerberechtigung ablösen und andererseits die materielle Berechtigung in einem eigenen Streitverfahren außerhalb des Insolvenzverfahrens geklärt werden kann. Insolvenzrechtlich umgesetzt wird dies durch das Feststellungsverfahren der §§ 174 ff. InsO. 3.5

Gläubigerautonomie

26 Von besonderer Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang ist der Grundsatz der Gläubigerautonomie. In einem engen Zusammenhang mit der möglichst marktkonformen Insolvenzabwicklung und einer Verstärkung der Verteilungsgerechtigkeit i. R. der Insolvenz sowie vor allem einer Verbesserung der Sanierungsmöglichkeiten soll die Gläubigerautonomie den Ablauf des Verfahrens positiv beeinflussen. Grundsätzlich stehen hierzu die Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger i. R. einer Gläubigerversammlung und i. R. des Gläubigerausschusses zur Verfügung. Ein zentrales Mittel zur autonomen Abwicklung ist darüber hinaus die Aufstellung eines Insolvenzplans. Von besonderer Bedeutung ist weiterhin die Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 56a, 57 InsO). ___________ 6) BGH, Urt. v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = ZIP 1983, 961; BGH, Urt. v. 11.7 1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 = ZIP 1985, 944.

34

Prütting

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung 3.6

§2

Einheit des Verfahrens

Die InsO ist im Gegensatz zum früheren deutschen Recht und zum Recht vieler anderer 27 Staaten durch den Grundsatz der Einheit des Verfahrens geprägt. Dies zeigt sich äußerlich in der Zusammenfassung aller wesentlichen insolvenzrechtlichen Regelungen i. R. eines einheitlichen Gesetzes, nämlich der InsO. Inhaltlich zeigt sich dies i. R. der verfahrensmäßigen Einheit einer Insolvenz. So wird insbesondere die Frage nach der Liquidation oder Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht durch eine notwendige Entscheidung zwischen einem Konkursantrag und einem Vergleichsantrag präjudiziert, wie ihn das frühere Recht kannte. Vielmehr eröffnet der einheitliche Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. 3.7

Nachforderung und Entschuldung

Ein zentrales Anliegen des Insolvenzrechts ist der Grundsatz der Restschuldbefreiung. 28 Allerdings stehen sich hier wiederum die konträren Gesichtspunkte der Nachforderung und der Entschuldung gegenüber. So ist auch im neuen Insolvenzrecht jedenfalls für natürliche Personen am Grundsatz der Nachforderung festgehalten worden (vgl. § 201 InsO). Nur auf Antrag kann in einem besonderen Verfahren Restschuldbefreiung gewährt werden. Diese Restschuldbefreiung ist allerdings auch i. R. eines Insolvenzplans möglich. Dies gilt allerdings nicht für juristische Personen und insolvenzfähige Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Bei diesen juristischen Personen und Gesellschaften tritt freilich im Falle einer insolvenzrechtlichen Liquidation des Rechtsträgers eine faktische Schuldbefreiung ein. III.

Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung

1.

Grundsatz

Aus dem Grundgedanken der Einheit des Insolvenzverfahrens und den gleichgelagerten 29 Verfahrenszielen des § 1 InsO lässt sich der allgemeine Gedanke entnehmen, dass die Verfahrensabläufe eines Insolvenzverfahrens sowohl im Falle der Liquidation als auch der insolvenzmäßigen Sanierung gleichgelagert sind. Man könnte also die naheliegende These aufstellen, dass dieselben Verfahrensprinzipien einschlägig sind, auch wenn eine Betriebsfortführung und der Versuch einer Sanierung gegeben sind. Der Belastbarkeit dieses Grundgedankens und der möglichen Abweichung vom dargestellten Grundsatz muss im Folgenden nachgegangen werden. 2.

Die Prüfung der Sanierungsfähigkeit

Im Einzelnen gibt das Gesetz dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Möglichkeit, bis 30 zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag das schuldnerische Unternehmen fortzuführen (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Darüber hinaus kann der vorläufige Insolvenzverwalter Prüfungen ansetzen, inwieweit Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Nichts anderes gilt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Insolvenzverwalter. Auch dieser hat grundsätzlich die Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens und die verschiedenen Möglichkeiten einer Sanierung im Einzelnen zu prüfen. Dies ergibt sich neben der allgemeinen Zielsetzung in § 1 InsO vor allem auch aus § 156 InsO, wonach der Insolvenzverwalter im Berichtstermin die Chancen einer Sanierung oder einer übertragenden Sanierung darzulegen hat. Sodann beschließt nach § 157 InsO die Gläubigerversammlung über eine vorläufige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens.

Prütting

35

§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

31 Der BGH hat für eine Prüfung der Sanierungsfähigkeit verlangt, dass ein schlüssiges Konzept vorliegt, das ernsthafte und begründete Aussichten auf Erfolg rechtfertigt.7) Nach dem neuen IDW-Standard über die Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) ist ein Unternehmen sanierungsfähig nur dann, wenn die Annahme der Unternehmensfortführung i. S. von § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB bejaht werden kann und daher keine rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Für einen längeren Prognosezeitraum sind in diesem Zusammenhang sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen (sog. nachhaltige Fortführungsfähigkeit). Eine solche positive Fortführungsprognose setzt zunächst jedenfalls voraus, dass die Gefahr des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung für einen prognosefähigen Zeitraum abzuwenden oder behebbar ist. 3.

Die Sanierungsinstrumente

32 Soweit die Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens zu bejahen ist, bietet die Gesetzeslage verschiedene Sanierungsinstrumente an. In erster Linie ist hier als vorläufige Maßnahme an die Fortführung des Unternehmens zu denken (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Weiteres zentrales Sanierungsinstrument ist das Insolvenzplanverfahren. Hintergrund ist der Gedanke der Gläubigerautonomie und die Möglichkeit, eine privatautonome Bewältigung der Insolvenz in einem bestimmten Rechtsrahmen abzuwickeln. Daher bietet der Insolvenzplan die Möglichkeit, Sanierungskonzepte rechtlich festzuschreiben und umzusetzen und dabei auch vom Regelinsolvenzverfahren (also vom Gesetz) abzuweichen. Es lässt sich also sagen, dass die Möglichkeit einer privatautonomen Insolvenzplanerstellung zugleich einer Förderung des Gedankens der gütlichen Einigung dient. Umgekehrt wird die in § 5 Abs. 1 InsO angeordnete Untersuchungsmaxime i. R. eines Planverfahrens deutlich zurückgedrängt. 33 Innerhalb des Insolvenzplanverfahrens ermöglicht das Gesetz seit der Änderung durch das ESUG, die Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln (debt to equity swap). Diese Neuregelung in § 225a InsO beruht auf der bahnbrechenden Änderung in § 217 Satz 2 InsO, wonach im Falle der Insolvenz eines Schuldners, der keine natürliche Person ist, auch die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können. Weiterhin zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Konsequenzen einer solchen Forderungsumwandlung. Gemäß § 225a Abs. 4 InsO sind dabei nämlich change-of-controlKlauseln ohne Wirksamkeit und können nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen führen, an denen der Schuldner beteiligt ist. Schließlich ist § 225a Abs. 5 InsO zu erwähnen, der den am Schuldner beteiligten Personen die Möglichkeit zum Austritt aus der juristischen Person oder der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit gibt. 34 Als weitere zentrale Sanierungsinstrumente kommen die erheblich erweiterte Eigenverwaltung sowie insbesondere das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO in Betracht. Auch die Möglichkeit einer übertragenden Sanierung ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Das in jüngster Zeit viel diskutierte Schutzschirmverfahren stellt dem Schuldner einen Zeitraum von maximal drei Monaten zur Verfügung, um einen Insolvenzplan vorzulegen. Während dieses Zeitraums können Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder vorläufig eingestellt werden. Nur hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass sich i. R. der verschiedenen Sanierungsmöglich___________ 7) BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279.

36

Prütting

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung

§2

keiten komplizierte Probleme des Zusammenspiels von Gesellschafts- und Insolvenzrecht ergeben, wie dies der Fall Suhrkamp paradigmatisch gezeigt hat.8) 4.

Abweichung von Verfahrensgrundsätzen?

4.1

Einheit des Verfahrens

Der dargestellte Grundsatz der Einheit des Insolvenzverfahrens bedarf in diesem Zu- 35 sammenhang näherer Prüfung. Denn dieser Grundsatz beschreibt nicht nur die integrierende Wirkung der Gläubigergleichbehandlung, der Formalisierung und damit der Verfahrenseinheit in dem Sinne, dass neben dem Schuldner alle Gläubiger an einem Insolvenzverfahren beteiligt sind. Vielmehr lässt sich dieser Grundsatz umgekehrt auch durch eine Ausschlusswirkung Dritter charakterisieren. Dies bedeutet, dass an einem Insolvenzverfahren niemand beteiligt sein kann, der nicht Schuldner, Gläubiger oder Verwalter (bzw. gleichgestellte Person) ist. Von diesem Grundsatz hat nun § 217 Satz 2 InsO eine bemerkenswerte Ausnahme ge- 36 bracht. Nunmehr können auch die Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten am Schuldner in den Insolvenzplan einbezogen werden. Die revolutionäre Bedeutung dieses unscheinbaren Satzes ist im insolvenzrechtlichen Schrifttum noch nicht ausreichend gewürdigt worden. Konsequenterweise werden diese an der schuldnerischen Gesellschaft beteiligten Personen i. R. des Planverfahrens in eine eigene Gruppe eingeordnet (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Im Rahmen des Obstruktionsverbotes können diese Personen also auch letztlich gegen ihren Willen von gesellschaftsrechtlichen Veränderungen betroffen werden. 4.2

Dispositionsmaxime

Interessante Überlegungen zu Einschränkungen der Dispositionsmaxime i. R. eines Sanie- 37 rungsverfahrens können sich daraus ergeben, dass nach Antragstellung starke Einschränkungen der Dispositionsfreiheit gegeben sind. Im Grundsatz läuft das Insolvenzverfahren nach Verfahrenseinleitung seinen gesetzlich vorgezeichneten Weg.9) Das Gericht kann weiterhin im Falle der beantragten Eigenverwaltung einen solchen Antrag nach Prüfung zurückweisen. Die Dispositionsmöglichkeiten des Antrag stellenden Schuldners begrenzen sich in diesem Fall darauf, dass er den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurücknimmt (§ 270a Abs. 2 InsO). Die weiteren Möglichkeiten der Beteiligten i. R. ihrer Dispositionsfreiheit bestehen gemäß § 218 InsO vor allem in der Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht. Diese Hinweise zeigen, dass i. R. von Sanierungsbemühungen weder von einer eindeutigen Dispositionsmaxime im Hinblick auf die Befugnisse der Parteien noch vom Offizialprinzip ausgegangen werden kann. Vielmehr entsteht hier eine insolvenzrechtliche Maxime gemischter Befugnisse. 4.3

Förderung gütlicher Einigung

Die erhebliche Ausweitung von Möglichkeiten i. R. des Insolvenzplanverfahrens und der 38 Eigenverwaltung sowie die Schaffung des Schutzschirmverfahrens stärken in erheblichem Umfang den Gedanken der Förderung einer gütlichen Einigung. Die Chance zu parteiautonomen Lösungen ist jedenfalls verstärkt gegeben. Freilich ist auch in diesem Zusammenhang als gegenläufige Tendenz festzustellen, dass unterschiedliche Interessen der Be-

___________ 8) Vgl. dazu Thole, ZIP 2013, 1937. 9) Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, S. 70.

Prütting

37

§2

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

teiligten zu besonders heftigen Auseinandersetzungen i. R. parteiautonomer Lösungen führen können. Das Suhrkamp-Verfahren ist hierfür wiederum ein deutlicher Beleg. 4.4

Untersuchungsmaxime

39 Im gesamten Insolvenzverfahren gilt gemäß § 5 Abs. 1 InsO generell die Untersuchungsmaxime. Diese erfährt freilich i. R. von Planverfahren und Eigenverwaltung starke Einschränkungen. Lediglich bei der Entscheidung über den Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) und dessen Voraussetzungen, also vor allem dem Vorliegen eines Eröffnungsgrundes i. S. von §§ 16 ff. InsO kommt insoweit eine Amtsermittlung in Betracht. IV.

Ethik und Betriebsfortführung

40 Der Zwiespalt zwischen konsensualen Lösungen i. R. von Sanierungsbemühungen und dem extrem harten Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen der Gläubiger, der Gesellschafter sowie der an der Existenz des Unternehmens Interessierten führt zu der weitergehenden Frage, ob die Beteiligten sich hier Fragen eines ethischen Verhaltens stellen müssen oder ob umgekehrt die existenzielle Bedrohung des Schuldners alle Überlegungen eines ethischen Verhaltens zur Seite stellt. Im Einzelnen könnte der Gedanke eines ethischen Einwirkens bedeuten, dass die nach § 15a InsO einer Antragspflicht unterliegenden Mitglieder des schuldnerischen Vertretungsorgans unter Abwägung der Interessen der Gesellschaft, der eigenen Haftungsinteressen sowie der Interessen der Gläubiger und der Arbeitnehmer die Entscheidung über einen möglichen Insolvenzantrag nicht ausschließlich aus der Sicht einer möglichen eigenen Haftung treffen, sondern i. R. der Prognoseentscheidung alle realen Möglichkeiten einer Unternehmensrettung bedenken und gegenüberstellen. 41 Ganz ähnlich ist von einem Sanierungsberater zu erwarten, dass er nicht ausschließlich aus dem Gesichtspunkt von Haftungsfolgen zu einer möglichst frühzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags rät. Vielmehr wäre diesem Ratschlag die Chance einer Sanierung außerhalb der Insolvenz und ohne ein Insolvenzverfahren in der Abwägung gegenüberzustellen. Exakt solche Abwägungen unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen werden durch die Möglichkeiten des ESUG jedenfalls gestärkt. Das Schutzschirmverfahren und die Möglichkeit einer Antragsrücknahme nach § 270a Abs. 2 InsO sind hierzu ein wichtiger Ansatzpunkt. Der dort vorgesehene maximale Zeitraum von drei Monaten wird allerdings im Zweifel nicht immer ausreichend sein. Er setzt voraus, dass die handelnden Personen (Geschäftsführer, Gesellschafter, Sanierungsberater) schon vorher einen Sanierungsplan ausgearbeitet haben. Genau dieser Weg ist aber sicherlich Teil eines nunmehr auch vom Gesetzgeber gewünschten wirtschaftsethischen Verhaltens. Grundlage ist insoweit § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO, der die Vorlage eines Insolvenzplans durch den Schuldner ausdrücklich auch in dem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens gestellt wird. 42 Die hier geforderten ethischen Aspekte bei der Abwägung von Sanierungsentscheidungen und Insolvenzanträgen lassen sich in gewissem Umfang auch auf das eröffnete Verfahren übertragen. Dies gilt jedenfalls für die Durchführung der Eigenverwaltung. Dies betrifft darüber hinaus in abgeschwächter Form auch den Insolvenzverwalter eines Regelverfahrens. Auch er wird heute neben dem Grundgedanken der Liquidation in verstärktem Maße die gemeinsame Prüfung der Interessen der Gläubiger, der Arbeitnehmer, der Anteilseigner und des betroffenen Umfeldes zu erwägen und auszutarieren haben.

38

Prütting

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung V.

§2

Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung?

Die bisherigen Erwägungen führen letztlich auch zu der Frage, ob den am Insolvenzver- 43 fahren Beteiligten und insbesondere dem das schuldnerische Unternehmen fortführende Insolvenzverwalter als Ausgleich für das im Zusammenhang mit der Fortführung übernommene Risiko verfahrensmäßige Erleichterungen, also die Befreiung von Pflichten und Lasten sowie die Freistellung von Risiken zugesprochen werden können. Diese Frage ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur noch keiner Klärung zugeführt. Die Ambivalenz der Fragestellung liegt freilich auf der Hand. Man könnte zweifellos argumentieren, dass sich für eine Pflichtenentlastung oder eine Freistellung von Risiken der handelnden Personen im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt findet. Umgekehrt ließe sich argumentieren, dass die Unternehmensfortführung und alle weiteren Sanierungsbemühungen im Interesse aller Beteiligten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Allgemeinheit sind. Pflichtenentlastungen und Risikofreistellungen könnten daher aus diesem Blickwinkel ein sinnvoller Ausgleich für die besonderen Bemühungen der Beteiligten sein. Zur Beantwortung der gestellten Frage bedarf es eines normativen Ansatzpunktes. Dieser 44 ist speziell für die Haftung des Insolvenzverwalters in § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO zu suchen. Danach hat der Verwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen. Diese Formulierung ist geeignet, die Haftungsnorm des § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO zu konkretisieren und auszufüllen, wonach der Insolvenzverwalter in dem Umfang haftet, in dem er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Es erscheint hier denkbar und naheliegend, im Einzelnen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters unter Einbeziehung der eingegangenen Risiken und Belastungen zu bestimmen.10) Dieser Gedanke könnte zu einer gewissen Absenkung des strengen Haftungsmaßstabes des § 60 Abs. 1 InsO führen. Der Verschuldensmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters ist individuell anhand seiner konkreten Aufgaben zu bestimmen.11) In künftigen Fällen ist hier die Rechtsprechung aufgerufen, die Sorgfaltsmaßstäbe im Einzelfall zu konkretisieren. Gleiches (nämlich die Haftung nach § 60 InsO einschließlich des Haftungsmaßstabs des § 60 45 Abs. 1 Satz 2 InsO) gilt für den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), für den Sachwalter (§ 274 Abs. 1 InsO), für den Treuhänder (§ 313 Abs. 1 Satz 3 InsO) und für Sanierungsberater sowie Sachverständige aus vertraglichen Anspruchsgrundlagen mit dem Haftungsmaßstab des § 276 BGB.

___________ 10) Vgl. insbesondere Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 36. 11) So wohl auch Brandes/Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., 2013, § 60 Rz. 90, 90a.

Prütting

39

Teil III Einzelfragen

§ 12 Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen ............................ 5 1. Aussonderungsrechte................................... 6 1.1 Eigentum ......................................... 11 1.2 Einfacher Eigentumsvorbehalt....... 12 1.3 Factoring ......................................... 15 2. Absonderungsrechte .................................. 17 2.1 Sicherungsübereignung................... 20 2.1.1 Sicherungseigentum........................ 21 2.1.2 Sicherungsabtretung ....................... 22 2.2 Verlängerter Eigentumsvorbehalt.......................................... 24 3. Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten................................................ 31 3.1 Vermieterpfandrecht....................... 32 3.2 Spediteur- und Frachtführerpfandrecht ....................................... 35 3.3 Werkunternehmerpfandrecht......... 38 III. Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase.................................. 40 1. Aussonderungsrechte................................. 41 1.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ............................... 43 1.2 Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO................................................. 48 2. Absonderungsrechte .................................. 53

I.

2.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht ............................... 54 2.2 Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO................................................. 58 IV. Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren .......................... 62 1. Aussonderungsrechte ................................ 63 1.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ............................... 64 1.2 Ersatzaussonderung ....................... 70 2. Absonderungsrecht.................................... 71 2.1 Geltendmachung und Auskunftsrecht ............................... 72 2.2 Verwertung unbeweglicher Gegenstände.................................... 75 2.3 Verwertung beweglicher Gegenstände.................................... 76 2.4 Verzögerung der Verwertung ........ 79 2.5 Schutz vor Wertverlust................... 81 2.6 Ersatzabsonderung ......................... 83 V. Konkurrenz von Sonderrechten ............. 84 1. Kollisionslagen ........................................... 86 1.1 Verarbeitung von Ware................... 87 1.2 Kollision verschiedener Absonderungsrechte....................... 89 2. Verwertungsgemeinschaften ..................... 92

Einleitung

Im Fall der Fortführung der Betriebstätigkeit werden Sicherungsrechte an beweglichen 1 Gegenständen oder Forderungen in ihrem Bestand gefährdet. Unbezahlte Warenvorräte, halbfertige Waren, Fertigwaren und auch Forderungen werden regelmäßig i. R. der Betriebsfortführung eingesetzt und bestehende Aus- und Absonderungsrechte dadurch zerstört oder zumindest umgewandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erfassung und ggf. spätere Geltendmachung von Sicherungsrechten in der Regel von der Mitwirkung des Verwalters abhängt (zum Auskunftsanspruch in den verschiedenen Verfahrensstadien vgl. Rz. 43 ff. und 54 ff. sowie Rz. 64 ff.). Dieses potentielle Verlustrisiko führt in der Praxis zu Handlungsbedarf der betroffenen Sonderrechtsgläubiger. Zur Gewährleistung einer reibungslosen Betriebsfortführung sind eine schnelle Erfassung 2 dieser Rechte und eine offene Kommunikation gegenüber den Sonderrechtsgläubigern unerlässlich. Anderenfalls steht zu befürchten, dass durch Maßnahmen der Sonderrechtsgläubiger die betrieblichen Strukturen als Grundvoraussetzung der Fortführung stark beschädigt werden oder sogar verlorengehen. Ähnliches gilt für Forderungen gegen Kunden, die nicht selten zur Deckung der Anlauf- 3 finanzierung einer Betriebsfortführung revolvierend eingesetzt werden müssen. Diese sind in der Regel aufgrund von Vorausabtretungen im Wege verlängerter EigentumsvorBoddenberg

355

§ 12

Teil III Einzelfragen

behaltsrechte (siehe Rz. 24 ff.) der Lieferanten oder auf der Grundlage von Globalzessionsverträgen mit den finanzierenden Banken nicht frei verfügbar. Wird eine dahingehende Zession offengelegt, zahlen die Kunden infolge der so entstehenden Unsicherheit oft erst einmal gar nicht mehr, wodurch die für die Betriebsfortführung notwendige Liquidität ausbleibt. 4 Die Findung einer schnellen Regelung zum Umgang mit den bestehenden Aus- und Absonderungsrechten ist damit eine der Kernaufgaben zu Beginn einer jeden Betriebsfortführung. Ohne entsprechende Vorbereitung und Umsetzung ist die Sicherung der für eine Betriebsfortführung notwendigen Liquidität sowie die in der Regel erforderliche Weiterversorgung mit Waren nicht möglich und die Betriebsfortführung zum Scheitern verurteilt. Nachfolgend werden die zu diesem Themenbereich einschlägigen rechtlichen Grundlagen sowie die in den jeweiligen Verfahrensabschnitten typischen Problemlagen dargestellt. II.

Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen

5 Sonderrechtsgläubiger sind solche, die i. R. des Verfahrens Aus- und/oder Absonderungsrechte geltend machen können. 1.

Aussonderungsrechte

6 Mit dem Aussonderungsrecht (§ 47 InsO) wird geltend gemacht, dass ein bestimmter Gegenstand nicht im Eigentum der Gemeinschuldnerin steht.1) Zu Beginn eines jeden Verfahrens findet der Verwalter eine Vielzahl an Vermögenswerten vor, die er regelmäßig in Besitz nimmt, sog. „Ist-Masse“. Abzüglich der nicht im Eigentum der Schuldnerin stehenden Vermögenswerte verbleibt die sog. „Soll-Masse“. Letztere umfasst die verbleibenden Gegenstände und bildet damit die Insolvenzmasse i. S. des § 35 InsO einschließlich der mit Absonderungsrechten belasteten Vermögenswerte.2) 7 Damit wird das erste in der Betriebsfortführung bestehende Spannungsverhältnis deutlich: Wer Aussonderungsrechte bezüglich in der Betriebsfortführung benötigten Gegenständen geltend macht, reduziert mittelbar nicht nur das den Gläubigern haftende Vermögen und damit die Quotenerwartung; er greift ggf. auch unmittelbar in die Handlungsfähigkeit des Unternehmens ein und bedroht so die Machbarkeit der Fortführung. 8 Mit dem Aussonderungsrecht wird typischerweise ein Herausgabeanspruch geltend gemacht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder Herausgabeanspruch ein Aussonderungsrecht begründet. Ein solches ist nach dem Wortlaut des § 47 InsO vielmehr nur gegeben, wenn der Gläubiger geltend macht, dass der betroffene Gegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners gehört. Im Regelfall handelt es sich hierbei um dingliche Rechte; vereinzelt berechtigen aber auch schuldrechtliche Ansprüche zur Aussonderung (z. B. Ansprüche aus Treuhandverhältnissen, Insolvenzanfechtungsansprüche).3) 9 Die Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs erfolgt gegenüber dem (vorläufigen) Verwalter und dabei sollte der Gläubiger möglichst alle zum Nachweis seiner Eigentümerposition erforderlichen Nachweise einreichen.

___________ 1) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 1. 2) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 2. 3) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 66; Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rz. 328.

356

Boddenberg

Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

§ 12

Grundlagen des Aussonderungsanspruchs können sein: x

Eigentum

x

Einfacher Eigentumsvorbehalt

x

Grundschuldrückgewähranspruch

x

Uneigennützige Treuhand

x

Heimfallanspruch gemäß § 2 Nr. 4 ErbbauVO

10

Die in der Praxis häufigsten Aussonderungsfälle werden nachfolgend kurz umrissen: 1.1

Eigentum

Der wichtigste und gleichzeitig in der Praxis häufigste Fall des Aussonderungsrechts ist 11 das Eigentum. Letzteres gewährt dem Gläubiger an dem Gegenstand gemäß § 985 BGB einen Anspruch auf Herausgabe gegen den Besitzer.4) Für den Fall, dass der Schuldner ein Recht zum Besitz hat (z. B. Leihe, Miete oder Leasing etc.), beschränkt sich der Anspruch des Gläubigers allerdings zunächst nur auf die Feststellung seines Eigentums. Dies gilt jedenfalls bis zur Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse. 1.2

Einfacher Eigentumsvorbehalt

Anwendungsfall des einfachen Eigentumsvorbehalts ist die Situation, dass beide Parteien 12 eines Kaufvertrages diesen noch nicht vollständig erfüllt haben. Seitens des Käufers steht die (vollständige) Bezahlung des Kaufpreises aus und der Verkäufer hat das Eigentum an der Sache noch nicht übertragen.5) In dieser Situation bleibt der Verkäufer bis zum Bedingungseintritt (Kaufpreiszahlung) gemäß § 449 Abs. 1 BGB Eigentümer der Kaufsache. Der Schuldner erwirbt als Käufer durch die nur bedingte Übereignung der Kaufsache gemäß § 929 BGB allerdings ein Anwartschaftsrecht am Kaufgegenstand.6) Damit steht dem Schuldner als Käufer aus dem Kaufvertrag ab der Übergabe ein Besitzrecht 13 an dem Kaufgegenstand zu. Dies gilt in der Situation der Betriebsfortführung solange, wie der Verkäufer nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist (vgl. § 449 Abs. 2 BGB). Die mit dem Aussonderungsanspruch verbundene Herausgabepflicht entsteht also erst mit Wegfall des Besitzrechts durch dem Rücktritt vom Kaufvertrag.7) Bis zum Widerruf bzw. Rücktritt kann i. R. der Betriebsfortführung über das Anwart- 14 schaftsrecht ebenso wie über das Vollrecht verfügt werden.8) Der Lieferant hat es also selbst in der Hand, seine Rechte am Aussonderungsgut durch entsprechende Erklärungen zu sichern. Wegen der Gefährdung seiner Rechte ist er mit dem Eintritt der Insolvenzsituation gemäß § 490 Abs. 1 BGB jederzeit zu diesem Widerruf berechtigt. Zumindest im Fall von Betriebsfortführungen im produzierenden Gewerbe bewirkt diese Ausgangslage je nach Verfahrensstadium verschiedene Problemlagen. 1.3

Factoring

Ein weiterer in der Praxis häufig vorkommender Anwendungsfall für Aussonderungsan- 15 sprüche ist das Factoring. Beim „echten“ Factoring kauft der Factor Forderungen, die der Schuldner gegenüber seinen Debitoren hat. Inhaltlich übernimmt der Factor dabei das ___________ 4) Palandt-Bassenge, BGB, § 985 Rz. 8. 5) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 8; Staudinger-Beckmann, BGB, § 449 Rz. 39. 6) BGH, Urt. v. 24.6.1958 – VIII 205/57, BGHZ 28, 16, 21 ff.; Staudinger-Beckmann, BGB, § 449 Rz. 60 ff. m. w. N. 7) BGH, Urt. v. 1.7.1970 – VIII ZR 24/69, BGHZ 54, 214, 222; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 8. 8) BGH, Urt. v. 22.2.1956 – IV ZR 164/55, BGHZ 20, 88, 100 f.; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 13.

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Teil III Einzelfragen

Risiko der Zahlung durch den Debitor (sog. Delkredere-Risiko)9) und hat dabei grundsätzlich kein Rückgriffsrecht gegenüber dem Schuldner. In der Insolvenz wird so ein Aussonderungsanspruch begründet,10) d. h. die verkaufte Forderung ist dem Vermögen des Schuldners gänzlich entzogen. 16 Das Delkredere-Risiko ist zeitgleich die Grundlage zur Abgrenzung zwischen dem echten und dem unechten Factoring. Im Gegensatz zum echten Factoring geht das Ausfallrisiko beim unechten Factoring nämlich nicht auf den Factor über.11) Daher begründet das unechte Factoring wegen des Sicherungscharakters der Forderungsabtretung im Insolvenzfall auch kein Aus- sondern ein Absonderungsrecht.12) 2.

Absonderungsrechte

17 Der mit einem Absonderungsrecht (§§ 49 ff. InsO) belastete Vermögenswert gehört in Abgrenzung zu den Aussonderungsgut haftungsrechtlich zur Insolvenzmasse.13) Grundlage des Absonderungsrechts sind Sicherungsrechte, die dem Gläubiger vom Schuldner vor der Verfahrenseröffnung eingeräumt wurden. 18 Ohne solche insolvenzfesten Sicherungsrechte würde der Wirtschaftsverkehr nicht funktionieren. Jeder Lieferant oder sonstige Vertragspartner hat ein von der Rechtsordnung anerkanntes Interesse, dass er sich wegen seiner Ansprüche für den Fall der Insolvenz absichert. Diese Sicherung erfolgt in der Regel derart, dass der Schuldner (Sicherungsgeber) einen Teil seines Vermögens als Sicherheit zur Verfügung stellt, aus dem der Gläubiger (Sicherungsnehmer) im Fall der Insolvenz seine Forderung befriedigen kann. Bezogen auf den zur Sicherheit gegebenen Vermögenswert ist der Gläubiger also nicht auf die sonst im Insolvenzverfahren zu erwartende Quotenzahlung beschränkt, sondern wird aus dem Erlös bevorzugt befriedigt. Im Ergebnis erhält der Berechtigte aus dem erzielten Erlös seine Forderung in voller Höhe, einschließlich Nebenforderungen unter Berücksichtigung der Kostenbeiträge gemäß den §§ 170 ff. InsO.14) 19 Absonderungsrechte können an sämtlichen Vermögenswerten des Schuldners bestehen, d. h. beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie an Rechten. In der Praxis der Betriebsfortführung kann es gerade beim Zusammentreffen verschiedener Absonderungsrechte (vgl. dazu unter Rz. 89 ff.) sowie bei der Abgrenzung von Aus- und Absonderungsrechten im Zusammenhang mit Eigentumsvorbehaltsrechten (vgl. dazu unter Rz. 87 f.) zu Problemen kommen. Nachfolgend werden zunächst die speziell i. R. der Betriebsfortführung regelmäßig zu berücksichtigen Absonderungsrechte kurz zusammengefasst. 2.1

Sicherungsübereignung

20 In nahezu jeder Betriebsfortführung findet der Verwalter sicherungshalber übertragene Vermögenswerte vor. Abhängig davon, ob bewegliche Gegenstände oder Forderungen übertragen wurden, spricht man von Sicherungseigentum oder Sicherungsabtretung.15)

___________ 9) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 93; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 37 f. 10) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 82. 11) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 39. 12) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 39. 13) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 49 Rz. 2. 14) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 49 Rz. 2. 15) Palandt-Bassenge, BGB, § 930 Rz. 13 ff.; Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 1, 23 ff.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

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2.1.1 Sicherungseigentum Mit der (Sicherungs-)Übereignung einzelner Gegenstände oder Sachgesamtheiten wird der 21 Gläubiger Eigentümer dieser Gegenstände. Im Verhältnis zum Schuldner ist er aber verpflichtet, die so entstandene Eigentümerposition nur im Zusammenhang zu seinem Sicherungsbedürfnis wahrzunehmen.16) Im Gegensatz zum Volleigentum kann der Sicherungsnehmer infolge des begrenzenden Sicherungszwecks nicht frei über den Gegenstand verfügen. Im Rahmen der Betriebsfortführung bzw. Überprüfung möglicher Absonderungsrechte wird der Verwalter prüfen, ob die Sicherungsübertragung wirksam vorgenommen wurde. Dies ist nur dann der Fall, wenn die von der Eigentumsübertragung betroffenen Sachen bestimmt, d. h. exakt bezeichnet sind. Bestimmbarkeit des zur Sicherheit übertragenen Gegenstandes reicht nicht aus.17) 2.1.2 Sicherungsabtretung Häufigster Abwendungsfall und praxisrelevant für nahezu jede Betriebsfortführung ist die 22 Sicherungsabtretung von Forderungen aus Lieferung und Leistungen des Schuldners. Wie im Fall des Sicherungseigentums, kann sich auch die Sicherungsabtretung auf einzelne Rechte oder auf die Gesamtheit von Rechten beziehen. Anders als bei der Sicherungsübereignung reicht es allerdings aus, wenn die zur Sicherheit übertragenen Forderungen bestimmbar sind. Damit ist eine wirksame Abtretung schon anzunehmen, wenn sich aus weiteren Informationen und Unterlagen durch Auslegung feststellen lässt, ob ein Recht von der Zession erfasst ist oder nicht.18) Gegenstand der Sicherungsabtretung können sämtliche Rechte des Schuldners, d. h. Forde- 23 rungen, Beteiligungsrechte, Markenrechte, Herausgabeansprüche etc. sein. 2.2

Verlängerter Eigentumsvorbehalt

Eine weitere wichtige Grundlage für ein Absonderungsrecht im Insolvenzverfahren bildet 24 der sog. verlängerte Eigentumsvorbehalt. In der Regel ermächtigt der Verkäufer einer Ware den Käufer i. R. des ordnungsgemäßen Geschäfts- und Wirtschaftsführung über die Vorbehaltssache zu verfügen. Mit der Verfügung/Verarbeitung/Vermischung (vgl. §§ 946 – 950 BGB) verliert er sein Eigentum und zeitgleich seine Rechte aus dem einfachen Eigentumsvorbehalt.19) Zur Kompensation sehen die meisten allgemeinen Geschäftsbedingungen deshalb die Abtretung derjenigen Forderungen an den Verkäufer vor, die der Käufer aus dem Weiterverkauf der Ware gegen dessen Kunden (Dritterwerber) erlangen wird. Zur Sicherstellung seiner Rechte muss der Verkäufer seine Ansprüche allerdings nachweisen, 25 was ihn im Fall der Betriebsfortführung oftmals vor erhebliche Probleme stellt (siehe Rz. 92 f.). Im Zeitpunkt des Zugriffs, d. h. der Verfügung durch den Schuldner, ist zunächst weder die Höhe der Forderung, noch die Person des Drittschuldners bekannt. Für die notwendige Bestimmbarkeit genügt es aber, wenn sich die Forderung im Zeitpunkt ihrer Entstehung auf andere Weise individualisieren lässt.20) Problematisch wird es, wenn der Schuldner die unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren 26 in gleicher Art und Güte gleichzeitig von mehreren Lieferanten bezieht. In dem Fall gelingt es dem Lieferanten oftmals nicht, den erforderlichen Nämlichkeitsnachweis (siehe ___________ 16) BGH, Urt. v. 28.6.1978 – VIII ZR 60/77, BGHZ 72, 141, 144 ff.; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 2. 17) Palandt-Bassenge, BGB, § 930 Rz. 2. 18) BGH, Urt. v. 12.10.1999 – XI ZR 24/99, ZIP 1999, 1058 = NJW 2000, 276; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 51 Rz. 12; zur Bestimmbarkeit: Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 14. 19) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 15. 20) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 28; Palandt-Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 18.

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Rz. 86 ff.), d. h. den konkreten Zusammenhang zwischen der von ihm gelieferten Ware und dem Verkaufserlös des Schuldners infolge der Weiterveräußerung, nachzuweisen. Außerdem ist der Lieferant mangels Zugriff auf die zum Nachweis seiner Ansprüche notwendigen Unterlagen oftmals gar nicht in der Lage, seine Ansprüche in der erforderlichen Form nachzuweisen. 27 Durch die Abtretung der künftigen Forderungen aus der Weiterveräußerung ist der Lieferant aber Inhaber der Forderung geworden, weshalb diese zunächst nicht zur Fortführung der Betriebstätigkeit eingesetzt werden dürfen.21) Der Verwalter ist gehalten, die dazu eingehenden Gelder von der sonstigen Masse zu separieren oder aber vom Sicherungsnehmer die Zustimmung zur Einsetzung der dazu eingehenden Gelder zu erwirken. Letzteres wird immer dann gelingen, wenn der Gläubiger selbst ein Interesse an der Betriebsfortführung hat, was wegen des so erreichten Werterhalts sonstiger Sicherungsrechte oftmals der Fall ist. 28 Unabhängig von den Nachweisschwierigkeiten hat der Lieferant die Möglichkeit, seine Ansprüche unmittelbar beim Dritterwerber anzuzeigen und selbst geltend zu machen. Dazu ist er allerdings erst berechtigt, wenn seine Forderung aus dem Verkauf an den Schuldner nicht befriedigt wird.22) 29 Da beim verlängerten Eigentumsvorbehalt keine Voll-, sondern nur eine Sicherungsabtretung der künftigen Forderungen vorliegt, ist der Sicherungsnehmer (Lieferant) im Fall der Insolvenz des Sicherungsgebers (Schuldner) wie bereits erwähnt lediglich zur Absonderung dieser Forderung berechtigt.23) Gerade zu Beginn der Betriebsfortführung besteht unter der Lieferanten aber nicht selten der Wunsch, die Kunden des Schuldners selbst zu kontaktieren um sich so die Ansprüche aus dem verlängerten Eigentumsvorbehalt zu sichern. Hierzu ist der Sicherungsgläubiger grundsätzlich auch berechtigt und in der Insolvenzantragsphase kann er durch Offenlegung der Zession das Einzugsrecht für die Forderung an sich ziehen. 30 Dem muss im Interesse einer erfolgreichen Fortführung der Betriebstätigkeit möglichst entgegengewirkt werden, da es anderenfalls zu erheblichen Irritationen unter den Kunden kommt. Die Folge ist regelmäßig das Ausbleiben jeglicher Zahlungen, da die Kunden erst die Bezugsrechte geklärt wissen wollen. In einem solchen Fall gilt es im Interesse einer erfolgreichen Fortführung der Betriebstätigkeit schnell eine Einigung über den Einzug zu finden und diese gegenüber den Gläubigern zu kommunizieren. Die Einigung besteht im Regelfall darin, dass der Sicherungsgläubiger auf die Offenlegung der Zession verzichtet und der vorläufige Insolvenzverwalter im Gegenzug sicherstellt, dass die, auf die betroffenen Forderungen, eingehenden Zahlungen an den Sicherungsgläubiger ausgekehrt werden. 3.

Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten

31 Pfandrechte gelten als „klassische“ Absonderungsrechte, was sich u. a. durch ihre gesonderte Regelung in § 50 InsO niederschlägt.24) Die Sicherungszweckabrede und die gesicherte Forderung ergeben sich bei der Verpfändung aus dem Verpfändungsvertrag bzw. beim gesetzlichen Pfandrecht aus dem gesetzlichen Sicherungszweck.25) Nachfolgend werden ___________ 21) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38d; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j; zur Bedeutung der Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO in der Betriebsfortführung vgl. Rz. 48 ff. und 58 ff. 22) BGH, Urt. v 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 = NZI 2003, 496; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38c. 23) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 20; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 23. 24) Gottwald-Gottwald, Hdb. InsR, § 42 Rz. 1; Uhlenbruck-Brinkman, InsO, § 50 Rz. 1. 25) Palandt-Bassenge, BGB, § 1204 Rz. 2 ff.

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auch zu diesem Themenkreis diejenigen Pfandrechte kurz weiterführend dargestellt, die in der Betriebsfortführung eine besondere Rolle spielen. 3.1

Vermieterpfandrecht

Das Pfandrecht des Vermieters (§ 562 BGB) setzt einen zwischen den Parteien wirksam 32 begründeten Mietvertrag voraus und entsteht mit der Einbringung der Sache in den Mietgegenstand.26) Das Pfandrecht erlischt gemäß §§ 562a, 562b, 581 Abs. 2, 592 Satz 3 BGB mit dem Entfernen der Mietsache. Etwas anders gilt nur, wenn die Entfernung ohne Wissen des Vermieters geschehen oder der Vermieter widersprochen hat. Im Insolvenzverfahren steht dem Vermieter dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 48 InsO ein Ersatzabsonderungsanspruch zu.27) Im Insolvenzantragsverfahren und damit zu Beginn einer Betriebsfortführung können 33 Miet- oder Pachtverhältnisse nur unter den Einschränkungen des § 112 InsO gekündigt werden.28) Später d. h. mit Verfahrenseröffnung bietet das ungekündigte Mietverhältnis eine weitere Sicherheit dadurch, dass die ab Eröffnung des Verfahrens entstehende Ansprüche aus der Masse auszugleichen sind (§§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 2 Nr. 2, 3 InsO). Im Zusammenhang mit bestehenden Ansprüchen des Vermieters spielt die Konkurrenz 34 von Sicherungsrechten eine besondere Rolle.29) Dabei gilt der Prioritätsgrundsatz, d. h. dasjenige Recht, welches früher begründet wurde, hat Vorrang.30) 3.2

Spediteur- und Frachtführerpfandrecht

Gemäß § 441 HGB hat der Spediteur/Frachtführer31) wegen aller durch den Frachtvertrag 35 begründeten Forderungen sowie wegen unbestrittener Forderungen aus anderen mit dem Absender geschlossenen Fracht-, Speditions- und Lagerverträgen ein Pfandrecht an dem Gut.32) Dieses Pfandrecht erfasst alle frachtvertraglichen Geldforderungen gegen den Absender oder Empfänger, sowohl die Forderungen, welche gerade mit der aktuellen Beförderung des dem Pfandrecht unterfallenden Gegenstandes zusammenhängen (konnexe Forderung), als auch solche aus bereits zurückliegenden Transportvorgängen (inkonnexe Forderungen).33) Auf dieses, ebenfalls ein Absonderungsrecht begründendes Pfandrecht muss der Verwalter 36 vor und nach der Verfahrenseröffnung unbedingt achten. Denn es steht zu befürchten, dass der Spediteur die zu versendenden Waren gleich nach der Aufladung unter Berufung auf sein Pfandrecht zurückhält und die Ablieferung beim Kunden von der Zahlung seiner Forderungen abhängig macht. Unabhängig von der Frage der Anfechtbarkeit kann es so zu Lieferverzögerungen kommen, die im Interesse einer erfolgreichen Betriebsfortführung vermieden werden sollten. Verhindert werden kann diese Situation z. B. durch die Beauftragung anderer Spediteure, 37 bei denen der Schuldner keine Verbindlichkeiten hat. Ersatzweise sollte sich der Verwalter vom Spediteur vor der Übergabe der Ware unbedingt bestätigen lassen, dass er wegen seiner ___________ 26) Palandt-Weidenkaff, BGB, § 562 Rz. 6; Staudinger-Emmerich, BGB, § 562 Rz. 11. 27) BGH, Urt. v. 4.12.2003 –IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 328. 28) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, InsO, § 112 Rz. 2; Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 112 Rz. 6 f. 29) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 50 Rz. 24; Büchler in: HambKomm-InsO, § 50 Rz. 37. 30) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 50 Rz. 18. 31) Zur Begrifflichkeit vgl. Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 43 Rz. 3 f. 32) Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 441 Rz. 1. 33) Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 43 Rz. 26 ff.

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Teil III Einzelfragen

Altforderungen das Spediteurpfandrecht nicht an den zukünftig zu transportierenden Waren geltend macht. 3.3

Werkunternehmerpfandrecht

38 Zum Themenbereich der Absonderungsrechte in der Situation der Betriebsfortführung spielt daneben das Werkunternehmerpfandrecht eine besondere Rolle. Es entsteht an dem Gegenstand, an dem die Werkleistung erbracht wurde. Voraussetzung für die Entstehung ist die Eigentümerposition des Bestellers.34) Inhaltlich sichert das Werkunternehmerpfandrecht alle Ansprüche, die sich aus dem konkreten Werkvertrag ergeben. Nicht umfasst sind hingegen Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, Bereicherung oder Forderungen aus früheren Werkverträgen.35) Das Werkunternehmerpfandrecht erlischt mit der Ablieferung des Gewerks an den Besteller und entsteht auch bei erneuter Besitzerlangung nicht neu.36) 39 Solange der Werkunternehmer den Gegenstand allerdings im Besitz hat, begründet das so entstehende Pfandrecht in der Insolvenzsituation ein Absonderungsrecht. Im Rahmen einer Betriebsfortführung stellen sich die damit verbundenen Fragen immer dann, wenn der Schuldner mit Subunternehmern, z. B. zur Weiterbearbeitung seiner Produkte, zusammenarbeitet (vgl. Rz. 87 f.). Aber auch die Notwendigkeit z. B. in der Werkstatt befindliche Fahrzeuge für das laufende Geschäft „frei“ zu bekommen, begründet oftmals die frühzeitige Einbeziehung dahingehender Ansprüche. III.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase

40 Aufbauend auf den Ausführungen zu den gesetzlichen Grundlagen wird nachfolgend näher auf die Stellung der Sonderrechtsgläubiger eingegangen. Dabei wird zunächst die Betriebsfortführung in der Insolvenzantragsphase, d. h. zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung, betrachtet. 1.

Aussonderungsrechte

41 Das Recht auf Aussonderung eines Gegenstandes besteht unabhängig vom Beginn und Verlauf des Insolvenzverfahrens. Andererseits wird der Begriff „Aussonderung“ nur in der InsO verwendet, d. h. außerhalb des Anwendungsbereichs der InsO gibt es keine Aussonderungsrechte in der definierten Form.37) Man spricht also nicht von Aussonderung, wenn der Sonderrechtsgläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens seinen Herausgabeanspruch geltend macht.38) 42 Ungeachtet dessen, haben Aussonderungsrechte gerade zu Beginn einer Betriebsfortführung enorme Bedeutung. Im Fall der tatsächlichen Herausgabe von Waren oder von geliehenen Maschinen kann eine erfolgreiche Fortführung der Betriebstätigkeit nicht gelingen, da diese in der Regel benötigt werden. Das so entstehende Spannungsverhältnis zwischen den gegenläufigen Interessen der Beteiligten muss deshalb unbedingt frühzeitig geregelt werden.

___________ 34) 35) 36) 37) 38)

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Soergel in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 5. BGH, Urt. v. 18.5.1983 – VIII ZR 86/82, ZIP 1983, 950; Busche in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 14. BGH, Urt. v. 18.12.1968 – VIII 214/66, BGHZ 51, 250; Busche in: MünchKomm-BGB, § 647 Rz. 15. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 18; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 75; zu § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO vgl. auch Rz. 48 ff. und 58 ff.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung 1.1

§ 12

Geltendmachung und Auskunftsrecht

Es liegt im Interesse des Sonderrechtsgläubigers, sein Aussonderungsrecht möglichst bereits 43 bei der Einleitung des Verfahrens geltend zu machen. Anderenfalls liefe er Gefahr, dass sei Eigentum im Zuge der Betriebsfortführung, z. B. durch Verarbeitung oder Veräußerung, untergeht (siehe Rz. 11 ff.). Der vorläufige Insolvenzverwalter trifft in der Phase des Antragsverfahrens keine aus- 44 drücklich geregelte Pflicht zur Prüfung der Aussonderungsrechte.39) Die von Aussonderungsansprüchen erfassten Gegenstände gehören allerdings nicht zur Soll-Masse und unterliegen damit auch nicht dem Verwertungsrecht des späteren Insolvenzverwalters. Diesen trifft damit grundsätzlich die Pflicht, fremde Rechte, insbesondere fremdes Eigentum zu beachten, zu sichern und den Eigentümern zur Verfügung zu stellen.40) Die Insolvenzgerichte erstrecken diese, auch die Aussonderungsrechte erfassende Sicherungspflicht durch den Bestellungsbeschluss in der Regel schon auf den vorläufigen Insolvenzverwalter. In diesem Zusammenhang gilt weiter, dass der Verwalter jedenfalls immer dann, wenn er Kenntnis von der Existenz fremden Eigentums erlangt, die daran bestehenden Ansprüche auch beachten muss.41) Der Sonderrechtsgläubiger sollte deshalb seine Rechte gleich zu Beginn des Verfahrens 45 schriftlich beim vorläufigen Insolvenzverwalter anzeigen. Dessen Kenntnis verpflichtet ihn allerdings nicht zur Zustimmung zu dem Herausgabeverlangen. Im Interesse der Fortführung der Betriebstätigkeit als Grundvoraussetzung einer späteren Sanierung wird der vorläufige Insolvenzverwalter allein darauf abstellen, ob der Gegenstand zum Erhalt der Betriebstätigkeit notwendig ist (siehe Rz. 64 ff.). Um seine Rechte verfolgen zu können, muss der Sonderrechtsgläubiger selbst aber erst 46 einmal Kenntnis über den Verbleib und den Zustand seines Eigentums erhalten. Eigene Informationsmöglichkeiten bestehen nahezu nicht, da der Gläubiger kein Recht zum Betreten der Geschäftsräume des Schuldners hat oder gar im Wege der Selbsthilfe das Aussonderungsgut herausholen darf.42) Eine dahingehende Auskunftspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters ist gesetzlich nicht geregelt, wobei über den Bestand dieser Pflicht Einigkeit besteht.43) Art und Umfang der Auskunft richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und finden ihre Grenzen in der Zumutbarkeit.44) Zur Ermöglichung einer späteren Abarbeitung von Aus- und Absonderungsrechten wird 47 der vorläufige Verwalter zu Beginn der Betriebsfortführung aber ohnehin eine umfassende, lieferantenbezogene Inventur veranlassen. Zur Beruhigung der Sonderrechtsgläubiger und Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs der Betriebsfortführung ist der Verwalter in der Praxis gut beraten, diese Informationen an den beteiligten Sonderrechtsgläubiger weiterzugeben und dem Sonderrechtsgläubiger so die gewünschten Informationen zu verschaffen. 1.2

Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO

Nach der Regelung des § 21 Abs. 2 InsO die Nr. 5 kann das Insolvenzgericht anordnen, 48 dass Gegenstände, die im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von § 166 InsO erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger bereits in der ___________ Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 98; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 98; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 74. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 98. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 103; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 100. 44) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 86, 91; Gottwald-Gottwald, Hdb. InsR, § 40 Rz. 83. 39) 40) 41) 42) 43)

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§ 12

Teil III Einzelfragen

Antragsphase nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen. Daneben ermöglicht die Norm Beschlüsse, wonach Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden dürfen, sofern sie hierfür von „erheblicher Bedeutung“ sind. 49 Im Zuge dessen werden die Wirkungen der §§ 166 ff. InsO teilweise in das Eröffnungsverfahren vorverlagert und bezüglich der Nutzungsbefugnis auf künftige Aussonderungsgüter erstreckt.45) Auf diese Art und Weise soll das Vermögen des Schuldners im Interesse der Erhaltung der Sanierungschancen und bestmöglichen Verwertung zusammengehalten sowie die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren erleichtert werden.46) 50 Diese Möglichkeit zur Anordnung eines Verwertungsstopps für künftige Aus- und Absonderungsgüter brachte für die Praxis nicht viel Neues. Schon vor Inkrafttreten des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO entsprach es der h. M. dass sich die Sicherungsmaßnahmen auch auf Vermögensgegenstände erstrecken, die nach Insolvenzeröffnung mit Aus- und Absonderungsrechten belastet sind.47) Der Grund dafür liegt auf der Hand, da nur durch ein Verwertungsverbot ein vorzeitiges Auseinanderreißen des schuldnerischen „Ist-Vermögens“ als Grundlage der Betriebsfortführung verhindert werden kann.48) 51 Ohne einen das Nutzungsrecht in der Betriebsfortführung bestätigenden Beschuss des Gerichts richtet sich die Nutzungsbefugnis des Schuldners bzw. vorläufigen Insolvenzverwalters nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften,49) also z. B. nach dem Inhalt des Leasingvertrages, des Kaufvertrages oder sonstigen Absprachen. Mittels des gerichtlichen Beschlusses kann damit selbst im Fall der Nutzungsuntersagung durch den Gläubiger erreicht werden, dass die für die Betriebsfortführung notwendigen Gegenstände weiterhin eingesetzt werden dürfen. An das damit verbundene Kriterium der Notwendigkeit dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden; es ist bereits zu bejahen, wenn der Betriebsablauf ohne die Nutzungsmöglichkeit nicht nur geringfügig gestört würde.50) 52 Im Fall der Anordnung der Nutzungsbefugnis gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO hat der vorläufige Insolvenzverwalter an den Gläubiger einen wirtschaftlichen Ausgleich zu entrichten. Der Sonderrechtsgläubiger kann neben einem nach Maßgabe des § 169 Satz 2 und Satz 3 InsO zu berechnenden Nutzungsentgelt51) zusätzlich Wertersatz für einen ggf. eingetretenen Wertverlust52) verlangen. 2.

Absonderungsrechte

53 Durch die Insolvenzantragsstellung verändert sich die Situation des Sonderrechtsgläubigers zunächst nicht. Er kann versuchen, den Schuldner zur freiwilligen Herausgabe des Sicherungsguts zu bewegen oder im Fall abgetretener Forderungen die Zession offenlegen. 2.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht

54 Mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht verändert sich diese Situation. Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist es, das Vermögen ___________ 45) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 47. 46) Begr. RegE, BT Drucks. 16/3227, S. 27. 47) BGH, Beschl. v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, BGHZ 165, 266, 269 = ZIP 2006, 621; BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 173 = ZIP 2001, 296. 48) Vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, BGHZ 165, 266, 269 = ZIP 2006, 621. 49) BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 173 = ZIP 2001, 296; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 48. 50) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 49; zur verbotenen Eigenmacht durch den Ausoder Absonderungsgläubiger vgl. LG Leipzig, Beschl. v. 26.5.2006 – 05 HK O 1796/06, ZInsO 2006, 1003. 51) Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 29; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38j. 52) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38k; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 51.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

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des Schuldners zu sichern, um so das mit Verfahrenseröffnung entstehende Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zu erhalten.53) Im Fall der Betriebsfortführung ist der vorläufige Verwalter zudem gehalten, den Betrieb des Schuldners fortzuführen. Die Durchsetzung von Absonderungsrechten in der Antragsphase verträgt sich damit nicht und würde die Betriebsfortführung als Voraussetzung späterer Sanierungsmaßnahmen erschweren oder sogar verhindern. Die InsO sieht die Geltendmachung von Absonderungsrechten daher erst im Verlauf des eröffneten Verfahrens vor. Etwas anderes kann gelten, wenn sich das Absonderungsrecht auf verderbliche Waren 55 bezieht. § 107 Abs. 2 InsO regelt dazu, dass der Verwalter zur Vermeidung einer Vernichtung bzw. Entwertung des Sicherungsguts eine Entscheidung direkt nach der Verfahrenseröffnung herbeiführen muss. Diese Situation kann auf die Antragsphase übertragen werden. Im Fall drohender Entwertungen obliegt es der Sicherungspflicht des vorl. Insolvenzverwalters, das Absonderungsrecht schon vor der Eröffnung des Verfahrens zu beachten. Von den Beschränkungen durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ausgeschlossen 56 sind zudem Absonderungsrechte an unbeweglichen Gegenständen. Diese können ungeachtet der Antragsstellung durch Zwangsverwaltung oder Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden.54) Zu den Auskunftsansprüchen der Sonderrechtsgläubiger gilt das zuvor zum Bereich der 57 Aussonderungsrechte Gesagte (Rz. 41 ff.). Die InsO sieht für den vorläufigen Insolvenzverwalter keine Auskunftspflicht vor, weshalb der Gläubiger auf das, seinem Anspruch zugrunde liegende Vertragswerk beschränkt ist. Faktisch besteht für ihn daher in dieser Phase des Verfahrens nahezu keine Möglichkeit, aus eigener Kraft an die zur Geltendmachung seiner Rechte erforderlichen Informationen zu gelangen. 2.2

Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO

Bezogen auf die Absonderungsrechte erfasst der § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO bewegliche Sachen 58 und Forderungen. Gegenüber den Sonderrechtsgläubigern soll so erreicht werden, dass insbesondere die Nutzung lediglich als Sicherheit dienender Gegenstände gewährleistet wird. Zu dem damit für den Sicherungsnehmer verbundenen Anspruch auf eine wirtschaftliche Kompensation gelten die zum Aussonderungsrecht gemachten Ausführungen gleichermaßen (siehe Rz. 41 ff.). Das daneben vom Gesetz vorgesehene Verbot zur Einziehung sicherungsabgetretener 59 Forderungen durch den Gläubiger soll dem späteren Verwalter die Möglichkeit geben, die Wirksamkeit der Sicherungsabtretung zu prüfen, bevor der Gläubiger die Forderung einzieht.55) Eine besondere Bedeutung der Forderung i. R. der Betriebsfortführung ist damit als Voraussetzung für den entsprechenden gerichtlichen Beschluss nicht erforderlich. Damit ist auch klar, dass das so eingezogene Geld vom Verwalter nicht i. R. der Betriebs- 60 fortführung zu deren Finanzierung eingesetzt werden darf. Im Fall des Einzugs abgetretener Forderungen auf der Basis eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO hat der vorläufige Insolvenzverwalter dieses Geld auf einem gesonderten Konto zu separieren, um in der Lage zu sein, dieses später ggf. an den Sicherungsnehmer auskehren zu können.56) ___________ 53) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 14. 54) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 30; dort auch zur Einstellung von Zwangsmaßnahmen gemäß § 30d Abs. 4 ZVG. 55) Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 28; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 53. 56) BGH, Urt. v. 21.2.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 = ZIP 2010, 739; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38e.

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Teil III Einzelfragen

61 Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter die zur Sicherheit abgetreten Forderung i. R. der Antragshase auf der Grundlage eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ein, fallen die Kostenbeiträge nach §§ 170, 171 InsO an.57) Ohne den Beschluss hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch bei Einzug der Forderung keinen Anspruch auf die Verfahrenspauschalen und hat später ohne jeden Abzug mit dem Sicherungsgläubiger abzurechnen. Letzterer ist im Fall der Abrechnung für den Zeitraum der Antragsphase gut beraten, wenn er den Bestand eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO aktiv hinterfragt. IV.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren

62 In Abgrenzung zur Insolvenzantragsphase wird nachfolgend auf die Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren in der Situation der Betriebsfortführung eingegangen. 1.

Aussonderungsrechte

63 Der Sonderrechtsgläubiger kann nach Verfahrenseröffnung die Aussonderung jederzeit verlangen, wobei er sein Begehren nunmehr direkt an den Insolvenzverwalte zu richten hat. Die Betroffenen Gegenstände gehören nicht zur sog. „Soll-Masse“ und unterliegen auch nicht dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters. Obwohl dies gesetzlich nicht gefordert ist, sollte der Insolvenzverwalter zur Ermöglichung einer reibungslosen Abwicklung das Aussonderungsgut in das Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO aufnehmen.58) Denn nicht immer ist schon am Anfang des Verfahrens sicher, welche Gegenstände in fremdem Eigentum stehen. Mit der Aufnahme in das Verzeichnis nach § 151 InsO besteht die Möglichkeit, das Verzeichnis der Massegegenstände zu ergänzen, wenn nachträglich Aussonderungsrechte bekannt werden. 1.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht

64 Der Insolvenzverwalter ist generell nicht verpflichtet, eigene Nachforschungen zum Bestand von Aussonderungsrechten anzustellen. Der Sonderrechtsgläubiger ist daher angehalten, seine Rechte selbst und möglichst frühzeitig anzuzeigen (vgl. Rz. 11 und 54 ff.). Eine Ausnahme von dieser Grundregel ist nur dann gegeben, wenn „typischerweise“ Aussonderungsansprüche bestehen, insbesondere, weil bestimmte Gegenstände regelmäßig nur unter einfachen Eigentumsvorbehalt geliefert werden. In diesen Fällen kann den Verwalter eine erhöhte Prüfungspflicht treffen.59) 65 Die Entscheidung darüber, ob der Verwalter dem Aussonderungsbegehren nachkommt oder nicht, wird der Verwalter innerhalb der Betriebsfortführung von der Frage der Notwendigkeit zur Vertragsfortführung abhängig machen. Entscheidet sich der Verwalter für die Herausgabe, hat er den Gegenstand auf Kosten der Masse dem Aussonderungsgläubiger zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht ist erfüllt, wenn der Gegenstand zur Abholung bereitgestellt wird. Die bei der anschließenden Abholung entstehenden Kosten kann der Sonderrechtsgläubiger zur Insolvenztabelle anmelden. 66 Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers wird der Herausgabeanspruch des Sonderrechtsgläubigers allerdings vom Wahlrecht des Verwalters gemäß § 103 InsO überlagert. Diese Regelung hat in der Betriebsfortführung eine wichtige Bedeutung und stellt ein zent-

___________ 57) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Sander, FA InsR, § 21 Rz. 54; Büchler in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69i. 58) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 97. 59) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rz. 99; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 65.

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rales Werkzeug im Sanierungsprozess dar.60) Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllungswahl, so hat er den (restlichen) Kaufpreis an den Sonderrechtsgläubiger zu bezahlen. Beim einfachen Eigentumsvorbehalt (vgl. Rz. 12 ff.) hat der Verwalter durch sein Wahl- 67 recht und die damit ggf. verbundenen Zahlung so also die Möglichkeit, das dingliche Recht des Verkäufers (Eigentum) zu vernichten. Zahlt der Verwalter den vollständigen Kaufpreis, geht das Eigentum auf den Schuldner über und das Aussonderungsrecht erlischt. Die InsO mutet dem Vorbehaltsverkäufer in dem Zusammenhang über § 107 Abs. 2 InsO 68 allerdings zu, dass er sich mit einer Entscheidungsfindung durch den Verwalter bis zum Berichtstermin gedulden muss. Lediglich für den Fall, dass bis dahin mit einer erheblichen Verminderung des Wertes der Sache zu rechnen ist, muss der Verwalter sein Wahlrecht unverzüglich ausüben.61) Wichtig dabei ist, dass der Verwalter über diesen Umstand Kenntnis haben muss, die er regelmäßig erst durch einen entsprechenden Hinweis des Sonderrechtsgläubigers erhält. Auch hier muss der Sonderrechtsgläubiger also aktiv werden. Voraussetzung für die Geltendmachung ist selbstverständlich eine entsprechende eigene 69 Kenntnis des Sonderrechtsgläubigers. Mit Verfahrenseröffnung gehört es zu den Pflichten des Insolvenzverwalters, dem Aussonderungsberechtigten Auskunft über den Verbleib, Zustand nach einer etwaigen Verarbeitung oder Belastung des Aussonderungsguts zu erteilen. Gesetzlich geregelt ist dieser Auskunftsanspruch allerdings auch für das eröffneten Verfahren nicht, wobei über seinen Bestand Einigkeit besteht.62) 1.2

Ersatzaussonderung

In der Praxis der Betriebsfortführung kommt es vor, dass der Schuldner vor der Insolvenz- 70 eröffnung – oder später der Insolvenzverwalter – einen Gegenstand unberechtigt veräußert. Mit § 48 InsO trifft das Gesetz für diesen Fall die Regelung, dass der Aussonderungsberechtigte die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung (Kaufpreis) verlangen kann. Dies gilt solange, wie die Gegenleistung in der Masse unterscheidbar vorhanden ist.63) 2.

Absonderungsrecht

Nach der Insolvenzeröffnung liegt das Verwertungsrecht für mit Absonderungsrechten 71 belastete, bewegliche Gegenstände gemäß § 166 Abs. 1 InsO allein beim Insolvenzverwalter, sofern dieser den Gegenstand in Besitz hat. Gleiches gilt gemäß § 166 Abs. 2 InsO für mit Sicherungsrechten belastete Forderungen, die allein vom Verwalter eingezogen werden dürfen. Im Fall der Betriebsfortführung ist der Verwalter damit berechtigt, das sonstige Absonderungsgut zu benutzen und es sogar mit anderen Sachen zu verbinden, vermischen und zu verarbeiten. Wirtschaftlich gehört das Sicherungsgut aber nach wie vor dem Sonderrechtsgläubiger, dessen Rechte und Möglichkeiten zur optimierten Durchsetzung in der Situation der Betriebsfortführung nachfolgend dargestellt werden. 2.1

Geltendmachung und Auskunftsrecht

Zur Verfahrenseröffnung werden die Sonderrechtsgläubiger gemäß § 28 Abs. 2 InsO aufge- 72 fordert, dem Insolvenzverwalter eine Mitteilung zu ihren Sicherungsrechten an beweg___________ 60) Uhlenbruck-Wegener; InsO, § 103 Rz. 2; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, FA InsR, § 103 Rz. 2. 61) Uhlenbruck-Wegener; InsO, § 107 Rz. 14; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Flöther/Wehner, FA InsR, § 107 Rz. 13. 62) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 47 Rz. 100; Büchler in: HambKomm-InsO, § 47 Rz. 70. 63) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 48 Rz. 22; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 48 Rz. 20.

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lichen Sachen oder Rechten anzuzeigen. Der Verwalter ist seinerseits gemäß § 151 Abs. 2 InsO verpflichtet, ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse, zu denen ein Sicherungsrecht gehört, aufzustellen. Dieses Verzeichnis der Massegegenstände muss bei Gericht hinterlegt werden, und kann vom Sonderrechtsgläubiger als Informationsquelle dort eingesehen werden. 73 Zudem ist der Insolvenzverwalter gemäß § 167 Abs. 1 InsO verpflichtet, dem Sonderrechtsgläubiger Auskunft über den Zustand des Absonderungsguts zu erteilen oder ihm zu erlauben, das Sicherungsgut zu besichtigen. Ähnliches gilt für Forderungen, an denen der Sonderrechtsgläubiger gesichert ist. In diesem Fall kann der Verwalter gemäß § 167 Abs. 2 InsO anstelle einer Auskunft den Sonderrechtsgläubiger auf eine Einsichtnahme in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners verweisen. Sowohl Besichtigungsrechte als auch die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Bücher werden in der Praxis durch die Sonderrechtsgläubiger allerding nur sehr selten wahrgenommen. 74 Der Verwalter ist i. Ü. selbst daran interesseiert, möglichst umgehend einen Überblick zu den zu berücksichtigenden Absonderungsrechten zu erhalten. Dies ist für die Erstellung des Gläubigerverzeichnisses gemäß 152 InsO wichtig sowie für die Erstellung der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO. 2.2

Verwertung unbeweglicher Gegenstände

75 Mit § 165 InsO regelt das Gesetz als Regelfall, dass der Verwalter nicht zur freihändigen Verwertung unbeweglicher Gegenstände befugt ist. Der Verwalter kann allerdings seinerseits die Zwangsversteigerung/Zwangsverwaltung betreiben.64) Davon wird er i. R. einer Betriebsfortführung allerdings nur selten Gebrauch machen, und zwar nur dann, wenn eine mit dem Grundpfandgläubiger abgestimmte freihändige Verwertung nicht zustande kommt.65) 2.3

Verwertung beweglicher Gegenstände

76 Trotz des Verwertungsrechts des Verwalters66) trifft diesen keine grundsätzliche Verwertungspflicht. Dies lässt sich unmittelbar dem Wortlaut des § 166 InsO entnehmen, wonach der Insolvenzverwalter bewegliche Sachen verwerten bzw. Forderungen einziehen „darf“. Mit § 166 InsO ist für den Verwalter damit eine Veräußerungsermächtigung verbunden,67) die für ihn in der Situation er Betriebsfortführung nur problematisch wird, wenn er überhaupt keine Entscheidung trifft. Letzteres insofern, als die Masse in diesem Fall eine Zinszahlungsverpflichtung gemäß § 169 InsO treffen würde (siehe Rz. 79 f.). 77 Insbesondere im Fall des Verkaufs des Sicherungsguts ist der Sonderrechtsgläubiger aber über § 168 InsO unmittelbar in die Verwertungshandlung einzubeziehen. Bevor der Verwalter eine bewegliche Sache oder Forderung verwerten will, muss er den Sonderrechtsgläubiger nach dieser Norm Mitteilung von der beabsichtigten Veräußerung machen und diesem Gelegenheit geben, innerhalb einer Woche auf eine andere, für ihn ggf. bessere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen. 78 Ein solcher Hinweis des Sonderrechtsgläubigers bindet den Verwalter bei seiner Verwertungsentscheidung allerdings nicht. Selbst wenn ihm eine „günstigere“ Verwertungsmöglichkeit angezeigt wird, ist er nicht verpflichtet, dem Folge zu leisten. Im Ergebnis muss ___________ 64) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 165 Rz. 1; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 165 Rz. 8. 65) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 165 Rz. 12; Büchler in: HambKomm-InsO, § 165 Rz. 19. 66) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 1; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 166 Rz. 2. 67) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 1.

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er den Absonderungsgläubiger wirtschaftlich allerdings so behandeln, als ob er dem Hinweis gefolgt wäre.68) 2.4

Verzögerung der Verwertung

Mit der Zuordnung der Veräußerungs- und Einzugsermächtigung an den Insolvenzverwalter 79 verliert der Sonderrechtsgläubiger jeden Einfluss auf die Verwertungsgeschwindigkeit und damit die Frage, wann die Grundlage für die Auskehr des auf ihn entfallenden Verwertungserlöses erfolgt. Der gesetzliche Rahmen sieht für den Verwalter mit § 156 InsO vor, dass dieser die Verwertung erst unter Berücksichtigung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung einleiten soll. Im Anschluss soll die Verwertung im Einklang mit den Beschlüssen der Gläubiger unverzüglich durchgeführt werden. Zum Schutz des absonderungsberechtigten Gläubigers vor einer Verzögerung der Verwertung bestimmt § 169 InsO, dass ab dem Berichtstermin Zinsen an den Sonderrechtsgläubiger zu zahlen sind. Die Zinszahlungspflicht entsteht, wenn trotz einer konkreten Verwertungsmöglichkeit 80 kein entsprechender Verkauf stattfindet.69) Die Höhe der Zinsen richtete sich nach den vertraglichen Vereinbarungen, die zwischen Schuldner und dem Sonderrechtsgläubiger vereinbart wäre. Liegen solche Regelungen nicht vor, geltend die gesetzlichen Vorgaben für den Fall des Verzugs.70) Grundlage für die Zinsberechnung ist der Betrag der anlässlich der Verwertung voraussichtlich an den Absonderungsgläubiger fließen wird. Letzerer ist notfalls zu schätzen. 2.5

Schutz vor Wertverlust

Gerade im Fall der Fortführung der Betriebstätigkeit bringt die Einbeziehung der Ab- 81 sonderungsrechte eine ggf. dauerhafte „Entrechtung“ der Sonderrechtsgläubiger mit sich. Soweit durch die Benutzung des Absonderungsguts ein Wertverlust eintritt, ist die Insolvenzmasse gemäß § 172 InsO verpflichtet, in gleicher Höhe Zahlung an den Absonderungsgläubiger zu leisten. Dies gilt jedenfalls insoweit, als dieser aus der Verwertung Befriedigung erlangt hätte.71) Anders als die Zinszahlungspflicht nach § 169 InsO, besteht die Zahlungspflicht wegen 82 Wertverlusts ab der Verfahrenseröffnung und erstreckt sich bis zur endgültigen Verwertung des Sicherungsguts. Der Hinweis im Gesetz auf „laufende“ Zahlungen legt nahe, dass diese aus der Masse wohl monatlich zu leisten sind.72) 2.6

Ersatzabsonderung

In der Praxis der Betriebsfortführung kommt es daneben vor, dass ein Gegenstand, an dem 83 ein Absonderungsrecht besteht, vom Schuldner oder Verwalter unberechtigt veräußert wird. Für diese Fälle ist anerkannt, dass die Regelungen zur Ersatzaussonderung entsprechend angewendet werden. Der Absonderungsgläubiger kann vom Insolvenzverwalter die Abtretung der Rechte auf Gegenleistung verlangen, soweit diese noch ausstehen. Ist die Gegen___________ 68) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 168 Rz. 9; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 168 Rz. 23. 69) Zum Streit Büchler in HambKomm-InsO, § 169 Rz. 7; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, Stand: 20. Lfg. 2010, § 169 Rz. 12 f. 70) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 169 Rz. 5 m. w. N. 71) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 172 Rz. 1b; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 172 Rz. 9. 72) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 172 Rz. 5; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 172 Rz. 14.

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leistung schon eingegangen, d. h zur Masse gelangt, kann der Sonderrechtsgläubiger sie herausverlangen, soweit sie noch unterscheidbar vorhanden ist.73) V.

Konkurrenz von Sonderrechten

84 Eine besondere Schwierigkeit in der Praxis der Betriebsfortführung entsteht, wenn mehrere Gläubiger gleiche oder unterschiedliche Sonderrechte an ein und demselben Gegenstand bzw. Recht geltend machen. Dies betrifft gerade zu Beginn einer Fortführungssituation oftmals Sicherungsgut (Warenbestände, Halbfertige etc.), dem im Fall einer Betriebsschließung bestenfalls ein Schrottwert zugeordnet werden kann. Streitigkeiten müssen im Interesse einer erfolgreichen Betriebsfortführung und zur Erreichung eines optimalen Verwertungsergebnisses unbedingt vermieden werden. 85 Dies erreicht der Verwalter in der Regel durch eine direkte und umfassende Abstimmung mit den Sonderrechtsgläubigern. Auch in diesem Zusammenhang ist schon zu Beginn des Verfahrens eine offene Informationspolitik, ggf. durch Übersendung lieferantenbezogener Inventurlisten oder die Möglichkeit zur Inaugenscheinnahme durch den Gläubiger, unerlässlich. 1.

Kollisionslagen

86 Die Kollision von Sonderrechten ist in verschiedensten Weisen denkbar.74) Für die Praxis der Betriebsfortführung können allerdings zwei Hauptfälle unterschieden werden: 1.1

Verarbeitung von Ware

87 Wenn mehrere Lieferanten Ware unter Eigentumsvorbehalt und Verwendung einer Verarbeitungsklausel an den Schuldner geliefert haben und letzterer aus diesen Gegenständen eine neue Sache herstellt, erwachsen den Lieferanten Miteigentumsrechte an der in der Betriebsfortführung produzierten Ware.75) Die Lieferanten stehen bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche in diesem Fall nebeneinander. Im Fall der späteren Verwertung der neu hergestellten Ware sind diese Lieferanten anteilig, d. h. in der Höhe des Wertes der von ihnen gelieferten und in die Ware eingebrachten Teile, zu befriedigen.76) 88 Die damit quotal zu befriedigenden Ansprüche machen nicht nur bei der späteren Aufteilung Probleme. Schon die Erfassung und anschließende Bewertung stellt den Verwalter vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten, da er meist mit überzogenen Vorstellungen von der Wertigkeit der Waren auf Seiten der Lieferanten konfrontiert wird. Umso wichtiger ist die frühzeitige Einbeziehung dieser Lieferanten und die Offenlegung der Verwertungsaussichten, um so die Grundlage für die spätere Vereinbarung zur Aufteilung zu legen (vgl. Rz. 92 f.). 1.2

Kollision verschiedener Absonderungsrechte

89 Häufig kommt es in der Situation der Fortführung der Betriebstätigkeit daneben zur Kollision „hintereinander geschalteter“ Absonderungsrechte. In dem Fall, in dem der Schuldner einen Gegenstand mehrfach sicherungsübereignet hat, muss der Verwalter prüfen, welches Sicherungsrecht zeitlich zuerst begründet wurde. Denn die zeitlich frühere Verfügung

___________ 73) 74) 75) 76)

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Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 48 Rz. 30; Büchler in: HambKomm-InsO, § 48 Rz. 31. Umfassende Übersicht: Mitlehner, Mobiliarsicherheiten, S. 241 ff. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 12; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Homann, FA InsR, § 50 Rz. 8 f. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 18.

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Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung

§ 12

bzw. das zeitlich früher entstandene Recht, geht der späteren Verfügung und dem jüngeren Recht vor (sog. Prioritätsprinzip).77) Ähnliches gilt auch im Fall der Kollision zwischen dem Vermieterpfandrecht mit Raum- 90 sicherungsübereignungsverträgen. Auch hier gilt grundsätzlich der Prioritätsgedanke, d. h. für die Frage, wessen Absonderungsrecht sich durchsetzt, ist die zeitliche Abfolge entscheidend. Hinterfragt werden muss also, welches Recht zeitlich früher begründet wurde.78) Die Rechtsprechung hat dem Vermieterpfandrecht allerdings im Verhältnis zu Raumsicherungsübereignungsverträgen einen Vorrang eingeräumt. Dies gilt für Fälle, in denen zum Zeitpunkt der Einbringung der Sache in die Mieträume oder auf das Mietgrundstück der Raumsicherungsübereignungsvertrag bereits bestand. Selbst dann wird die Sache in dem Moment vom Vermieterpfandrecht erfasst, indem es auf das Grundstück oder in die Räumlichkeit eingebracht wird.79) Nahezu in jeder Betriebsfortführung wird der Verwalter mit der Kollision von Eigentums- 91 vorbehaltsrechten der Lieferanten und Ansprüchen aus Raumsicherungsübereignungsverträgen der beteiligten Banken konfrontiert. Den Kreditinstituten werden in der Regel zur Deckung bestehender Finanzierungen sämtliche Waren im Warenlager sicherungsübereignet. An den Gegenständen machen die Lieferanten im weiteren Verlauf dann aber in der Regel erweiterte Eigentumsvorbehaltsrechte geltend, wobei auch die Bank auf die späteren Verwertungserlösen zugreifen will. In diesem Spannungsverhältnis ist den Eigentumsvorbehaltsrechten der Lieferanten der Vorrang einzuräumen, d. h. der Raumsicherungsübereignungsvertrag muss vorsehen, dass Eigentumsvorbehaltsware ausgeschlossen ist. 2.

Verwertungsgemeinschaften

Ein Sonderrechtsgläubiger, der seine Rechte zweifelsfrei gegenüber dem Insolvenzverwalter 92 nachweisen kann, wird keine Notwendigkeit sehen, seine Aus- und Absonderungsrechte i. R. einer Sicherheitenverwertungsgemeinschaft80) geltend zu machen. In den Fällen, in denen der Nachweis allerdings nicht gelingt, macht die gemeinschaftliche Verfolgung verstärkt Sinn und muss als notwendiger Baustein zur Ermöglichung einer erfolgreichen Betriebsfortführung angesehen werden. Das angesprochene Nachweisproblem ist immer dann gegeben, wenn der sog. Nämlich- 93 keitsnachweis nicht gelingt. Letzterer erfordert den Beweis, dass ein ganz bestimmter Gegenstand im Eigentum des Lieferanten steht. In der Praxis werden häufig gleichartige Waren mehrere Lieferanten in die Produktion einbezogen und diese können in der Regel nicht eindeutig zugeordnet werden. In dieser Situation ist die Gründung eines Lieferantenpools zur gemeinschaftlichen Durchsetzung nahezu unverzichtbar, da nur so eine Entschärfung des Konflikts zwischen den konkurrierenden Gläubigern einerseits und die Lösung des Nachweisproblems gegenüber dem Insolvenzverwalter andererseits erreicht werden kann.

___________ 77) BGH, Urt. v. 6.3.1997 – IX ZR 74/95, ZIP 1997, 632; vgl. auch §§ 879, 1209 BGB, § 804 Abs. 3 ZPO, § 10 ZVG. 78) BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 140 Rz. 7. 79) OLG Hamm, Urt. v. 11.12.1980 – 4 U 131/80, ZIP 1981, 165, 166; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 51 Rz. 14. 80) Ausführlich dazu: Mitlehner, Mobiliarsicherheiten, S. 225 ff.

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§ 13 Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung Übersicht I. Vorbemerkung ............................................ 1 II. Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks.......................................... 8 1. Vorbemerkung ............................................. 8 2. Das Grundstück im anfänglichen Eigentum des Schuldners........................... 13 2.1 Sicherung des Grundstücks/ Überwachungspflichten des vorläufigen Verwalters.................... 13 2.2 Aufrechterhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks/ Dauerschuldverhältnisse................. 16 2.3 Versicherung ................................... 18 2.4 Grundbuchauszug/Insolvenzvermerk im Grundbuch .................. 20 2.5 Der obstruktive Schuldner: Antrag auf Anordnung der starken vorläufigen Verwaltung?................. 32 2.6 Eigentumsübergang auf Dritte....... 35 2.6.1 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch Handlungen des Schuldners .................... 40 2.6.1.1 Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 878 BGB...................... 42 2.6.1.2 Gutgläubiger Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB..................... 47 2.6.1.3 Schutz des vormerkungsgesicherten Käufers nach § 106 InsO ................................. 52 2.6.1.4 Grenzen des Schutzes ............... 57 2.6.2 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch die von Dritten betriebene Zwangsversteigerung ................................... 58 2.6.2.1 Zuschlag gemäß § 90 ZVG während des Antragsverfahrens................................... 58 2.6.2.2 Abwehrmöglichkeiten............... 60 2.7 Besitzübergang auf Dritte .............. 69 2.7.1 § 148 ZVG – Beschlagnahme während des Antragsverfahrens ..... 69 2.7.2 Räumungspflicht aus § 93 ZVG – Verbotene Eigenmacht ................... 83 2.7.3 Vermietung durch Schuldner im Antragsverfahren ............................ 88 2.7.4 Fehlende öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigungen ............... 89

3.

Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück.............................. 92 3.1 Sicherung des Grundstücks............ 92 3.2 Kündigungssperre gemäß § 112 InsO/Aussonderungssperre nach Kündigung .............................. 95 III. Eröffnetes Verfahren .............................. 104 1. Die Nutzung des im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks........ 104 1.1 Versicherung und Sicherung nach Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis .............. 104 1.2 Haftung des Grundstücks (auch für die Vergangenheit).................. 107 1.2.1 Wohnungseigentum (Teileigentum), § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG ..................................... 108 1.2.2 Öffentliche Lasten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ................. 109 1.2.2.1 Beiträge gemäß Satzung .......... 110 1.2.2.2 Grundsteuer/maßgeblicher Zeitpunkt ................................. 114 1.2.3 Grundpfandrechte i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG ................. 117 1.3 Haftung der Insolvenzmasse (nur für die Zukunft).................... 119 2. Gefährdung der Betriebsfortführung durch Zwangsvollstreckungen des Grundpfandrechtsgläubigers ................... 121 2.1 Zwangsverwaltung ........................ 126 2.1.1 Antragsbefugnis ............................ 126 2.1.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters ...................... 127 2.1.3 Vereinbarung einer sog. „kalten Zwangsverwaltung“ ...................... 136 2.1.4 Spannungsverhältnis zwischen § 100 InsO und § 149 ZVG (Unterhaltsgewährung an den Schuldner) ..................................... 140 2.2 Zwangsversteigerung .................... 148 2.2.1 Antragsbefugnis ............................ 148 2.2.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters ...................... 150 3. Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück............................ 153 3.1 Fortbestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO .............. 153

Schorisch/Cornelius

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§ 13

Teil III Einzelfragen

3.1.1 Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters .............................. 154 3.1.2 Mietzahlungspflicht des Verwalters insbesondere: Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters ...................... 155 3.2 Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO..................... 163 3.2.1 Kündigungsfrist max. drei Monate § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO................................ 165 3.2.2 Schadensersatzanspruch des Vermieters (nur) Insolvenzforderung § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO....... 166 3.3 Nutzungsüberlassung durch den nicht unwesentlich beteiligten Gesellschafter des Schuldners (mit Sonderfall Betriebsaufspaltung), § 135 Abs. 3 InsO ... 167 3.3.1 Aussonderungssperre für ein Jahr ................................................ 169 3.3.2 Entschädigung statt Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung ........................................... 170 3.3.3 Berechnung der Höhe der Entschädigung/Nichtberücksichtigung anfechtbar erlangter Beträge........................................... 171 IV. Exit-Strategien des Insolvenzverwalters................................................. 174 1. Grundstück als Teil eines Asset Deals – Verwertung des (grundpfandrechtlich belasteten) Grundstücks durch den Insolvenzverwalter............................ 176 1.1 Verhandlungen mit Interessenten für den Geschäftsbetrieb........ 176

1.2

2.

3.

Ermittlung des Kaufpreisanteils auf Grundlage des Verkehrswertes ............................................ 177 1.3 Abschluss einer Verwertungsvereinbarung mit dem/den Absonderungsberechtigten .......... 179 1.3.1 Einigung über Erlösanteil............. 183 1.3.2 Einigung über Massebeitrag (Vereinbarung erforderlich, da gesetzliche Regelung fehlt) .......... 184 1.3.3 Beteiligung etwaiger Nachranggläubiger nur aus dem Erlösanteil der vorrangigen Gläubiger; nicht(!) aus dem der Masse, sog. Schornsteinhypothek ................... 187 Grundstück als Teil eines Share Deals (bei Insolvenzplan-Regelung im gestaltenden Teil) .............................................. 189 2.1 Ablösung des Verkehrswertes durch einen Teil der Einlage des Investors........................................ 192 2.2 Alternativ: Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen.................................. 194 2.3 Debt-Equity-Swap nach § 225a InsO: Sacheinlage der Forderung gegen Anteile am Schuldner (ESUG) ......................................... 195 Die Freigabe des Grundstücks ................ 198 3.1 Zweck und Wirkung der Freigabe ......................................... 198 3.2 Form der Freigabe ........................ 201 3.3 Insbesondere: Altlasten................ 202 3.4 Spätestmöglicher Zeitpunkt der Freigabe ......................................... 208

Literatur: Bitter, Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Treue- und Aufopferungspflichten zum Sanierungserfolg, ZGR 2010, 147; Büchler, Befriedigung von Immobiliargläubigern – Anmerkung zu BGH, ZInsO 2010, 764 und ZInsO 2010, 914, ZInsO 2011, 718; Dahl/Schmitz, Eigenkapitalersatz nach dem MoMiG aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 2009, 325; Eckardt, Grundpfandrechte im Insolvenzverfahren, RWS-Skript 35, 13. Aufl., 2013; Eickmann, Probleme des Zusammentreffens von Konkurs und Zwangsverwaltung, ZIP 1986, 1517; Frege/Keller, „Schornsteinhypothek“ und Lästigkeitsprämie bei Verwertung von Immobiliarvermögen in der Insolvenz, NZI 2009, 11; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten, NZI 2007, 549; Ganter/Brünink, Insolvenz und Umsatzsteuer aus zivilrechtlicher Sicht, NZI 2006, 257; Geißler, Die insolvenzrechtliche Qualität des Anspruchs des Vermieters auf Miete für unbewegliche Gegenstände oder Räume bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters im Laufe des Bemessungs- bzw. Nutzungszeitraums, ZInsO 2012, 1206; Gerhardt, Verfügungsbeschränkungen in der Eröffnungsphase und nach Verfahrenseröffnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 193; Haas, Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, ZInsO 2007, 617; Heyn, Zur Qualität von Mietzinsforderungen bei Verfahrenseröffnung am Monatsersten, InsbürO 2012, 485; Heyn, Sachbearbeitende Tätigkeiten in der Insolvenzverwaltung, ZInsO 2006, 980; Hirte, Neuregelung mit Bezug zum gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz und im Insolvenzverfahren durch das MoMiG, ZInsO 2008, 689; Hölzle, Die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzeröffnungsverfahren, ZIP 2011, 1889; Hölzle, Gibt es noch eine Finanzierungsfolgenverantwortung im MoMiG?, ZIP 2009, 1939; Kesseler, Der Schutzumfang der Vormerkung im Insolvenzverfahren, MittBayNotK 2005, 108; Kirchhof, Probleme bei der Einbeziehung von Absonderungsrechten in das Insolvenzeröffnungsverfahren, ZInsO

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Schorisch/Cornelius

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

2007, 227; Klenk/Kronthaler, Die Rechtsprechung des V. (Umsatzsteuer-)Senats des Bundesfinanzhofs, NZI 2006, 369; Knees, Die Bank als Grundpfandrechtsgläubiger in der Unternehmensinsolvenz, ZIP 2001, 1568; Lütcke, Leistungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters nach Verwertung des Vermieterpfandrechts, NZI 2012, 262; Marotzke, Gesellschaftsinterne Nutzungsverhältnisse nach Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, ZInsO 2008, 1281; Molitor, Verwaltung einer Immobilie in der Insolvenz des Eigentümers, ZInsO 2011, 1486; Mönning/Zimmermann, Die Einstellungsanträge des Insolvenzverwalters gem. §§ 30d I, 153b I ZVG im eröffneten Insolvenzverfahren, NZI 2008, 134; Piegsa, Der Grundstückskaufvertrag in der Insolvenz, RNotZ 2010, 433; Piekenbrock, Das ESUG – fit für Europa?, NZI 2012, 905; Rokitta-Liedmann (Hrsg.), Jurion Online Kommentar, ZVG, Stand: 13.12.2006 (zit. JurionOK-ZVG); Rosenmüller, Zur Qualität von Mietzinsforderungen bei Verfahrenseröffnung am Monatsersten, ZInsO 2012, 1110; Schmerbach, Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, InsbürO 2007, 202; Schuschke, Die „Berliner Räumung“ bei der Vollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss gem. § 93 ZVG, NZM 2011, 685; Wallner/Neuenhahn, Ein Zwischenbericht zur Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, NZI 2004, 63; Undritz, Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren – Die Quadratur des Kreises?, NZI 2007, 65; Zimmer, Das Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters bei Erlösauskehr nach Verwertung von Absonderungsgut, ZInsO 2010, 1261.

I.

Vorbemerkung

Grundstücke sind der Natur der Sache nach ortsfest („immobil“), sämtliche Rechte an ihnen 1 sind im Grundbuch, einem öffentlichen Register, erfasst und für jedermann mit berechtigtem Interesse hieran einsehbar. Vertraglich begründete Änderungen der Rechtsverhältnisse an Grundstücken verlangen, sieht man von der Ausnahme der partiellen Universalsukzession aufgrund von Vorgängen nach dem Umwandlungsgesetz ab, gemäß §§ 873, 875, 877 BGB zu ihrer rechtlichen Wirksamkeit eine Eintragung im Grundbuch. Dieses Grundbuchverfahren ist seinerseits in der Grundbuchordnung bis ins Einzelne gehend geregelt und folgt strengen formalen Anforderungen. Grundstücke sind auch nicht von Menschenhand vermehrbar. In ihnen ruht nicht nur im wörtlichen Sinne das Fundament einer Unternehmung. Dies erklärt, warum Grundstücke im Vergleich zu anderen Anlageklassen als wertbeständige 2 Formen des Vermögens begehrt und demzufolge auch für die Besicherung von Darlehen besonders geeignet sind. Dies gilt bereits in der Zeit des reibungslosen und ertragreichen Verlaufs der Geschäfts- 3 tätigkeit eines Unternehmens. Zwar sind – soweit ersichtlich – empirische Untersuchungen über den relativen Anteil der Grundstücke am Gesamtwert der Insolvenzmassen noch nicht angestellt worden. Auch das, als Art. 7 des ESUG1) eingeführte und gemäß Art. 10 ESUG am 1.1.2013 in Kraft getretene, Insolvenzstatistikgesetz sieht Erhebungen in dieser Richtung nicht vor. Jeder Insolvenzpraktiker wird jedoch aus seiner Erfahrung bestätigen können, dass die Rechte an schuldnereigenen Grundstücken im Fall der Krise und einer sich etwa anschließenden Insolvenz noch an Bedeutung gewinnen und die Verwertung von Grundstücken eines der Hauptfelder der Auseinandersetzung ist. Der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sei es durch den Schuldner 4 selbst, sei es durch einen seiner Gläubiger, geht üblicherweise eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs des schuldnerischen Unternehmens voraus. Spätestens mit Bekanntwerden des Insolvenzantrages werden die Gläubiger danach trachten, ihre wirtschaftliche Position optimal zu wahren. Im Gegensatz dazu ist es die Pflicht des vorläufigen Verwalters, nicht nur das Vermögen des Schuldners zu sichern, sondern auch – im Falle einer Unternehmensinsolvenz – die Sanierung vorzubereiten. Hierfür wird es meist unverzichtbar sein, das Betriebsgrundstück weiter nutzen zu können.

___________ 1) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

5 Im eröffneten Verfahren wird sodann – insbesondere bei einer übertragenden Sanierung – die Verwertung des Grundstücks, als nicht hinweg zu denkender Bestandteil der für eine Fortführung des Unternehmens notwendigen Produktionsmittel, das besondere Augenmerk des Insolvenzverwalters erfordern. 6 Nicht behandelt werden demgemäß etwaige im Schuldnervermögen vorhandene Grundstücke, die für die Fortführung des vom Schuldner betriebenen Unternehmens nicht notwendig sind. 7 Der äußerste Grad an Betriebsnotwendigkeit eines Grundstücks besteht darin, dass die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren ohne es scheitern würde. Steht das Grundstück nicht mehr zur Verfügung, bleibt nur die Liquidation, mit der Folge, dass die Verluste aller anderen Gläubiger deutlich höher ausfallen.2) Dies entspräche logisch/denkgesetzlich dem Wortsinne. Bitter3) schränkt dies jedoch ein, wonach dieses Maximum an Intensität für die Anwendung der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 135 Abs. 3 InsO nicht erforderlich sein soll. Dies ist auch konsequent: So spricht der Gesetzestext in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO und in § 135 Abs. 3 InsO von der Voraussetzung, dass die betroffenen Massegegenstände für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung sind. Insoweit wäre es zutreffender, von „in erheblicher Weise fortführungsbedeutsamen“ Gegenständen (hier: Grundstücken) zu sprechen. Nachdem sich jedoch die Bezeichnung als „betriebsnotwendig“ gleichwertig eingebürgert hat, soll der Begriff ebenfalls – mit der beschriebenen Einschränkung – verwendet werden. Festzuhalten bleibt, dass die Bestimmung der Fortführungserheblichkeit oder -notwendigkeit einer wertenden Entscheidung auf Grundlage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zugänglich ist und eine solche erfordert. II.

Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks

1.

Vorbemerkung

8 Besonderes Augenmerk verdient bei jeder Betriebsfortführung die Phase des Eröffnungsverfahrens, da sich hier die Verhältnisse im Umbruch befinden. Hölzle4) beschreibt zutreffend und anschaulich die Komplexität der an einen vorläufigen Verwalter gestellten Aufgaben; der gesetzliche Auftrag eines jeden vorläufigen Insolvenzverwalters umfasse dreierlei: Aufsicht, Sicherung, Gestaltung. „Allein die Sicherung des schuldnerischen Vermögens in der risikobehafteten Zeit zwischen Insolvenzantragstellung und Entscheidung über den Antrag ist nicht die ausschließliche Aufgabe des Eröffnungsverfahrens im Kontext einer sozialen Marktwirtschaft. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der vorläufige Insolvenzverwalter nämlich nicht lediglich zurückhaltend sichernd tätig sein und damit eine passive Rolle im Eröffnungsverfahren einnehmen; er soll vielmehr aktiv das Insolvenzeröffnungsverfahren betreiben, ein noch am Markt befindliches Unternehmen fortführen, die Sanierungswürdigkeit prüfen und erhalten, die Insolvenzmasse nach Möglichkeit anreichern, Außenstände einziehen, übertragende Sanierungen oder andere Sanierungsmaßnahmen vorbereiten, Anfechtungs- und Haftungstatbestände ermitteln, mit potenziellen Investoren Vorverhandlungen führen, Insolvenzgeld vorfinanzieren, mit Absonderungsberechtigten verhandeln und vieles mehr.“5)

9 Gleichwohl steht bei Grundstücken in der Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter die Sicherungsaufgabe im Vordergrund. Dies ergibt sich aus den Besonderheiten der vom Grundpfandrechtsgläubiger etwa bereits eingeleiteten Immobiliarzwangsvoll___________ 2) 3) 4) 5)

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Bitter, ZGR 2010, 147, 176. Bitter, ZGR 2010, 147, 159. Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1890 f. Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1890 f.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

streckung, die vom Insolvenzverfahren unabhängig fortbetrieben werden kann. Daneben sind beim Grundstück eine Vielzahl von möglichen tatsächlichen und rechtlichen Gefährdungen zu betrachten und ggf. abzuwehren, weshalb auch hier die Sicherungsaufgabe des vorläufigen Verwalters großen Raum einnimmt. Normativer Ausgangspunkt für den starken vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefug- 10 nis ist § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO, dort insbesondere Nr. 1, wonach der vorläufige Verwalter das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten hat. Wird hingegen ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass dem Schuldner ein 11 allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt das Gericht gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters. Jedoch ist anerkannt, dass auch bei einem vorläufigen Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis es sich bei der Sicherungspflicht um eine generelle Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters handelt, die unabhängig von dem gesetzlich oder gerichtlich eingeräumten Grad der Befugnisse eingreift.6) Dessen ungeachtet sind die Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Verwalters weniger 12 weitreichend als die des mit Verfügungsbefugnis ausgestatteten. Sie dürfen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht über die Pflichten eines verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen Verwalters hinausgehen. Insoweit sollen im Folgenden immer auch die schwierigeren Aufgaben des vorläufigen Verwalters ohne Verfügungsbefugnis im Blick behalten werden. 2.

Das Grundstück im anfänglichen Eigentum des Schuldners

2.1

Sicherung des Grundstücks/Überwachungspflichten des vorläufigen Verwalters

Den vorläufigen Verwalter – gleichgültig ob mit Verfügungsbefugnis oder nur mit Zu- 13 stimmungsvorbehalt ausgestattet – trifft durch die Verweisungsnorm des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO die Haftung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten wie einen (endgültigen) Verwalter.7) Findet der vorläufige Verwalter ein Grundstück vor, das im Eigentum des Schuldners steht, 14 muss er für die Erhaltung des wirtschaftlichen Wertes des Grundstücks als Betriebsmittel sorgen. Dazu muss er die vom Schuldner abgeschlossenen Dauerschuldverhältnisse, insbesondere zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechterhalten. Daneben hat der vorläufige Verwalter die Substanz des Gebäudes durch Abschluss entsprechender Versicherungen zu schützen. Gleichzeitig muss er sicherstellen, dass das schuldnerische Unternehmen gegen Schadensersatzansprüche, die von der Grundbesitzerhaftung gemäß § 836 BGB ausgehen, ausreichend geschützt ist. Eine öffentlich rechtliche Pflicht besonderer Art ist die Verkehrssicherungspflicht gegen 15 alle von dem Betriebsgrundstück ausgehenden möglichen Gefahren. Die Verkehrssicherungspflicht trifft den vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht persönlich, doch kann die Verletzung der Pflicht durch das schuldnerische Unternehmen zu erheblichen nachteiligen Folgen für die Vermögenslage des Schuldners führen. Hierzu hat er die Befugnis zur Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere aus § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO.

___________ 6) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 7. 7) Undritz, NZI 2007, 65, 69; Wallner/Neuenhahn, NZI 2004, 63.

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§ 13 2.2

Teil III Einzelfragen Aufrechterhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks/ Dauerschuldverhältnisse

16 In der Phase der vorläufigen Verwaltung vor Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens ist der vorläufige Verwalter gehalten, zur Gewährleistung der Betriebsfortführung die üblichen Verträge zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechtzuerhalten. Er wird deshalb mit den Vertragspartnern in Verbindung treten, ihnen sein Interesse an der Fortsetzung der Belieferung (bspw. mit Strom) anzeigen und ihnen anbieten, die Zahlung zukünftiger Lieferungen bis zur Eröffnungsentscheidung sicherzustellen, sofern Leistungsverweigerung zu gewärtigen ist. In dieser Phase gilt allgemeines Vertragsrecht. Aus Sicht des Vertragspartners ist der sicherste Weg, um Zahlungen zu erhalten und – nach Eröffnung – anfechtungsfest behalten zu können, die Vereinbarung von Bargeschäften, die den Anforderungen des § 142 InsO entsprechen, also die eigene Leistung nur zu erbringen, wenn gleichzeitig vom Gemeinschuldner auch die Gegenleistung erbracht wird.8) 17 Zahlungen auf Altverbindlichkeiten des schuldnerischen Unternehmens darf der vorläufige Verwalter nicht zustimmen. Wird er von einem Anbieter mit starker Verhandlungsposition in dieser Richtung unter Druck gesetzt, wird er Zahlungen nur unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung im Wege der Insolvenzanfechtung seine Zustimmung geben können: Höchstrichterlich9) geklärt ist, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung von Altverbindlichkeiten anfechten kann. Undritz10) spricht in dieser Konstellation von „Erpressungsfällen“ und stellt die Frage, ob die Anführungszeichen um das Wort „Erpressung“ angebracht sind oder nicht. 2.3

Versicherung

18 Da die Erhaltung des schuldnerischen Vermögens zu den grundlegenden Pflichten eines jeden vorläufigen Verwalters gehört, wird er seine Aufmerksamkeit auf die Aufrechterhaltung oder den Neuabschluss von dem Substanzschutz dienenden Versicherungen richten. Hierfür wird üblicherweise ein Versicherungsmakler zur Ermittlung des Versicherungsbedarfs eingeschaltet. 19 Auch hier ist es unerlässlich, dass sich der vorläufige Verwalter einen schnellen Überblick darüber verschafft, ob das Unternehmen über eine geordnete Verwaltung und Buchhaltung verfügt. Aus ihr ergibt sich, welche der folgenden Versicherungen vom schuldnerischen Unternehmen abgeschlossen worden sind: x

Gebäudeversicherung (Substanzschutz); wenn erforderlich: Elementarschäden, z. B. Hochwasser. Dabei hat der vorläufige Verwalter keinen Ermessensspielraum, ob er eine Versicherung abschließen will oder nicht. Vielmehr treffen ihn nach der Rechtsprechung des BGH11) Sorgfalts- und Obhutspflichten auch für die von ihm verwalteten Gegenstände des Schuldnervermögens, die mit Absonderungsrechten belastet sind. Das gilt unabhängig davon, ob die Verwertung der belasteten Gegenstände einen Erlös für die Masse erbringen wird oder ob die Verwaltung sonst vorteilhaft für die Masse ist. Deshalb darf er aus dem von ihm verwalteten Schuldnervermögen die Kosten notwendiger Erhaltungs- und

___________ 8) Hierzu und zu den weiteren in Betracht kommenden Möglichkeiten vgl. Reul/Heckschen/WienbergWienberg, Kap. M. VII. Rz. 131 – 133. 9) BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. 10) Undritz, NZI 2007, 65, 67. 11) BGH, Urt. v. 29.9.1998 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411, ergangen zu dem im Konkursverfahren bestellten Sequester.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

Verwaltungsmaßnahmen bestreiten, auch wenn dadurch die künftige Masse geschmälert wird. Zwar begründet nach dem BGH das Unterlassen der dem Grundstückseigentümer nach § 1134 Abs. 2 BGB obliegenden Schutzvorkehrungen (im entschiedenen Fall handelte es sich um eine Feuerversicherung) für sich noch keinen Schadensersatzanspruch des Grundpfandrechtsgläubigers gegen den Eigentümer. Schadensersatz kann erst gefordert werden, wenn durch eine schuldhafte Verletzung der Obliegenheiten aus den §§ 1133, 1134 BGB das Grundpfandrecht selbst entwertet worden ist. Das gilt auch für einen Schadensersatzanspruch gegen den das Grundstück verwaltenden vorläufigen Verwalter. x

Grundbesitzer-Haftpflicht Daneben muss der vorläufige Verwalter überprüfen, ob die Grundbesitzerhaftpflichtversicherung besteht und ggf. neu abschließen. Sie deckt das Risiko ab, das dem zu sichernden Vermögen aus der Haftung gemäß § 836 BGB und den damit etwaig entstehenden neuen Verbindlichkeiten erwächst. Nur durch eine Bewertung aller tatsächlichen Umstände des Grundstücks, der auf ihm verkehrenden Personen und der aus der konkreten Situation möglicherweise erwachsenden Gefahren kann der Umfang der erforderlichen Versicherungsdeckungen ermittelt werden. So macht es einen großen Unterschied, ob sich auf dem Grundstück nur eine Lagerhalle befindet, in der einige wenige Logistik-Mitarbeiter beschäftigt sind, oder ob es sich bspw. um ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung handelt, auf dessen Gelände sich körperlich eingeschränkte Patienten oder Bewohner ständig aufhalten, die zudem regelmäßig von einer Vielzahl von Besuchern aufgesucht werden. In diesen Fällen kann bspw. die Beachtung der Brandschutzvorschriften besonderes Augenmerk verlangen.

x

Prämienzahlung: Gegebenenfalls Anzeige gegenüber dem Grundpfandrechtsgläubiger zur Erlangung von Mitteln für Prämienzahlung Der vorläufige Verwalter ist verpflichtet, für ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen. Er hat sich zudem kurzfristig durch Erkundigung bei den Versicherern ein Bild darüber zu verschaffen, ob hinsichtlich einzelner oder mehrerer der abgeschlossenen Versicherungsdeckungen Prämienrückstände bestehen. In aller Regel wird sich der vorläufige Verwalter auch hierzu eines professionellen Versicherungsmaklers bedienen, der kostenneutral Bestand und Umfang sowie Bezahlung der einzelnen Versicherungen prüft. Ist er nicht in der Lage, die Beiträge aus der von ihm verwalteten Masse zu erbringen, muss er zumindest dafür Sorge tragen, dass der wirtschaftlich Interessierte ausreichend informiert ist und seinerseits ggf. eine Versicherung abschließen kann.12) Es ist in dessen Interesse, dass der grundpfandrechtlich belastete Gegenstand in seinem Wert erhalten bleibt und insoweit versichert wird. Der Grundpfandrechtsgläubiger wird deshalb im Zweifel die Prämien vorschießen.

2.4

Grundbuchauszug/Insolvenzvermerk im Grundbuch

§ 32 InsO ordnet an, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Grundbuch einzutragen.

20

Damit ist zunächst nach dem unmittelbaren Wortlaut der Vorschrift die Verfügungsbe- 21 schränkung des Schuldners über sein Vermögen eintragungsfähig, die sich aus Gesetz gemäß § 80 Abs. 1 InsO durch die Eröffnung des Verfahrens ergibt. ___________ 12) Heyn, ZInsO 2006, 980, 985.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

22 Über die Verweisung in § 23 Abs. 3 InsO gilt § 32 entsprechend auch für die durch Entscheidung des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO (allgemeines Verfügungsverbot für den Schuldner) und Alt. 2 (Zustimmungsvorbehalt) im Eröffnungsverfahren angeordneten Verfügungsverbote. 23 Mit Einführung der InsO wurde die unter der Geltung der KO umstrittene Frage geklärt, ob die genannten Verfügungsbeschränkungen bloß als relative oder auch als eine absolute Verfügungsbeschränkung wirken. Gemäß § 24 Abs. 1 InsO gelten §§ 81 und 82 InsO entsprechend für jede der nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordneten Beschränkungen, so dass eine Verfügung, die gegen eine der genannten Verfügungsbeschränkungen im vorläufigen Verfahren verstößt, absolut, d. h. gegenüber jedermann unwirksam ist.13) Auf Grund des Wortlautes von § 24 Abs. 1 InsO abzulehnen ist daher die Ansicht von Vallender14), für den vom Gericht angeordneten Zustimmungsvorbehalt würden die gleichen Grundsätze wie für das besondere Verfügungsverbot gelten. 24 Streitig geblieben ist allein die Frage, ob vom Gericht angeordnete besondere Verfügungsverbote hinsichtlich einzelner besonders gefährdeter Vermögensgüter des Schuldners lediglich die Wirkung relativer Veräußerungsverbote i. S. von §§ 135, 136 BGB zugunsten der Gläubiger haben.15) Sie führen damit nicht zur Grundbuchsperre. Die Anordnung eines besonderen Verfügungsverbotes kommt insbesondere in Betracht, soweit der vorläufige Verwalter nur einen Teilbetrieb des schuldnerischen Unternehmens fortführen soll. 25 Die Verfügungsbeschränkungen werden im Zeitpunkt ihrer Anordnung durch das Insolvenzgericht wirksam.16) Sie entfalten damit unabhängig von der Eintragung des entsprechenden Vermerks im Grundbuch Wirkung. Jedoch bleiben gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 2 InsO die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nach §§ 892, 893 BGB unberührt. Zweck von § 32 InsO ist es deshalb, die Insolvenzmasse gegen einen gutgläubigen Erwerb durch Dritte zu sichern.17) 26 Während nach einhelliger Auffassung die Eintragung des Insolvenzvermerks einen gutgläubigen Erwerb im eröffneten Verfahren unmöglich macht, ist umstritten, ob die Eintragung der (aufgrund Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts im Eröffnungsverfahren eintretenden) Verfügungsbeschränkung im Grundbuch ebenfalls den gutgläubigen Erwerb ausschließt. Holzer18) spricht sich ohne nähere Begründung dafür aus, dass nur der Vermerk über die Eröffnung selbst, nicht aber ein nach §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 3 InsO eingetragenes allgemeines Verfügungsverbot die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs ausschließt. Dies müsste dann erst recht auch für den Zustimmungsvorbehalt gelten. 27 Dem ist nicht zu folgen. Zum einen spricht das Gesetz in § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO von der Pflicht zur Bekanntmachung eines Beschlusses, mit dem eine der in § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen (Plural!) angeordnet wird. Von § 23 InsO erfasst ist also auch ein Zustimmungsvorbehalt. Zum anderen verweist § 24 Abs. 1 InsO in gleicher Weise für beide Arten der Verfügungsbeschränkungen auf die §§ 81, 82 InsO. Aufgrund dieses weitgehenden Gleichlaufs der im Eröffnungsverfahren bei Bestellung eines vorläufigen Verwalters angeordneten Verfügungsbeschränkungen mit den Rechtswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gebietet der Sicherungszweck von § 32 InsO, der Eintragung ___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18)

Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 24 Rz. 1; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 2. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 25. So Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 24 Rz. 2; a. A. Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 24 Rz. 8. BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 32 Rz. 1, 5. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 32 Rz. 4.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

der Verfügungsbeschränkung im Eröffnungsverfahren gleichfalls die Wirkung des Ausschlusses gutgläubigen Erwerbs beizumessen. Die Eintragung des Sperrvermerks oder der Verfügungsbeschränkung bewirkt weiterhin, 28 dass das Grundbuchamt hinsichtlich Verfügungen über Rechte am Grundstück nur noch solche Eintragungen vornehmen darf, die von verfügungsberechtigten Personen, wie etwa vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters, beantragt worden sind.19) Umstritten und von der Rechtsprechung bisher nicht entschieden ist die Frage, ob ein An- 29 trag auf Eintragung des Insolvenzsperrvermerks oder einer der Verfügungsbeschränkungen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO gleichsam „auf der Überholspur“ entgegen dem Prioritätsprinzip des § 17 GBO an bereits beantragten, aber noch nicht erledigten Eintragungsanträgen vorbei sofort einzutragen sind.20) In einer Entscheidung, die in der Konstellation eines Eröffnungsverfahrens mit Bestellung eines vorläufigen Verwalters und Anordnung (lediglich) eines Zustimmungsvorbehalts erging, hat der BGH jüngst21) jedenfalls klargestellt, dass i. R. des § 81 InsO die Verfügungshandlung des Schuldners und nicht der etwa erst später eintretende Verfügungserfolg maßgeblich ist. Der Insolvenzverwalter wie auch der vorläufige Verwalter sind nicht nur gemäß § 32 Abs. 2 30 Satz 2 InsO berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Eintragung des Insolvenzvermerks herbeizuführen. Dies gehört zu den insolvenzspezifischen Pflichten i. S: von § 60 InsO.22) Da die Verfügungsbeschränkung des Schuldners durch Gerichtsbeschluss außerhalb des Grundbuchs entstanden ist, beantragt der Verwalter die Berichtigung des Grundbuchs, sofern dies nicht durch das Insolvenzgericht selbst erfolgt.23) Für einen Antrag des Verwalters reicht Schriftform aus, doch muss er die Unrichtigkeit des Grundbuchs in öffentlicher Form gemäß § 29 GBO nachweisen, üblicherweise durch Vorlage einer Ausfertigung des Anordnungsbeschlusses. Aufgrund der dargelegten weitreichenden Folgen für den Ausschluss gutgläubigen Erwerbs 31 ist besonderes Augenmerk gerade im Eröffnungsverfahren erforderlich, da in aller Regel zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsbeschränkung erstmals nach Eintritt der Krise des Schuldnerunternehmens eingetragen wird. 2.5

Der obstruktive Schuldner: Antrag auf Anordnung der starken vorläufigen Verwaltung?

Zwar hatte der Gesetzgeber die Ausstattung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Ver- 32 waltungs- und Verfügungsbefugnis vorgesehen, doch stellt die Anordnung lediglich eines Zustimmungsvorbehaltes oder einzelner, gegenständlich beschränkter Verfügungsverbote oftmals das mildere Mittel dar.24) Mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist zwangsläufig die Bestellung eines Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbunden.25) Der Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bedarf jedoch wegen der weitreichenden Folgen und Eingriffe in die Grundrechte des Schuldners einer besonderen Rechtfertigung. Bestehen demnach Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner entgegen der Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes ___________ 19) Zu Recht differenzierend und gegen den unzutreffenden Begriff einer allgemeinen „Sperre“ des Grundbuchs: Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 32 Rz. 5. 20) Ausführlich zum Streitstand: Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 18 – 22. 21) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256. 22) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 14. 23) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256. 24) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 24. 25) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 4.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

versuchen wird, Gegenstände des schuldnerischen Vermögens beiseite zu schaffen, oder dass er in anderer Form nicht ausreichend zusammenarbeitet, kann dies die nachträgliche Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes rechtfertigen. Sicherungsmaßnahmen dieser Art sind regelmäßig erforderlich, wenn gegen den Schuldner oder das Schuldnerunternehmen wegen eines Bankrottdeliktes nach §§ 283 ff. StGB ermittelt wird, der Verdacht auf sonstige Straftaten besteht oder wenn der Schuldner oder sein organschaftlicher Vertreter flüchtig ist. 33 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsbefugnis hat in erster Linie Aufsichts- und Sicherungsfunktionen zu erfüllen.26) Dies sind originäre Pflichten, die nicht ausdrücklich im Beschluss festzulegen sind, wohl aber aufgeführt werden können. Die allgemeine Sicherungs- und Erhaltungspflicht erfordert es, dass der vorläufige Insolvenzverwalter bei Gericht Maßnahmen i. S. von § 21 InsO anregt.27) 34 Im Ergebnis ist der Gewinn an Sicherungsmöglichkeiten im besonderen Hinblick auf Grundstücke des Schuldners bzw. des Schuldnerunternehmens allerdings gering: x

Zum einen sind, wie im Kapitel über den Insolvenzvermerk und seine Wirkungen dargelegt, auch ohne Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Verwalters vorgenommene Verfügungen nach §§ 24, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO absolut unwirksam.

x

Zum anderen ist gutgläubiger Erwerb gemäß § 24 Abs. 1 i. V. m. § 81 Abs. 1 InsO an Grundstücken und Grundstücksrechten bis zur Eintragung des Sperrvermerks möglich. Hat der Schuldner zudem die im folgenden Kapitel näher beschriebenen, für eine Eigentumsübertragung erforderlichen Übertragungstatbestände vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits vorgenommen, ist der Eigentumsverlust – sofern nicht anfechtbar – insolvenzfest. Dies ist unabhängig davon, ob der vorläufige Verwalter im Eröffnungsverfahren lediglich mit Zustimmungsvorbehalt oder mit Verfügungsbefugnis ausgestattet wird.

2.6

Eigentumsübergang auf Dritte

35 Vorwegzuschicken ist, dass zwischen einer „ordnungsgemäßen Verwaltung“ einerseits und einer „veräußernden Verfügung“ andererseits unterschieden wird, wenn es um die Frage der „Verwertung“ des Grundstückes geht. 36 Danach betrifft die Verwaltung die notwendige Erhaltung und die ordnungsgemäße Pflege des Vermögens in Erfüllung der Pflicht zur Sicherung und Erhaltung i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO. Dabei ist es i. R. einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens anerkannt, dass die ordnungsgemäße Verwaltung auch dingliche Verfügungen über Bestandteile des Vermögens umfassen darf. Insoweit wird auch von einem Verwertungsrecht „innerhalb“ der erlaubten Verwaltungstätigkeit des vorläufigen Verwalters gesprochen.28) 37 Trotz der vorstehend beschriebenen Sicherungsmöglichkeiten ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass bis zu deren Wirksamwerden das Eigentum durch Verfügung des Schuldners auch ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters oder durch Zwangsversteigerung auf Betreiben eines Dritten verlorengeht. 38 Da die Vorschriften über einen Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO für Grundstücke nicht ausgeschlossen sind, bewirkt erst die Eintragung des ___________ 26) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 12, mit Verweis auf Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 202. 27) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 12 a. E. 28) Nerlich/Kreplin-Bornheimer, MAH Sanierung und Insolvenz, § 29 Kap. XVI Rz. 295, 296.

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Schorisch/Cornelius

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

Eröffnungsvermerks im Grundbuch den Ausschluss der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs.29) Hinsichtlich der Eintragung eines Sperrvermerks aufgrund der Anordnung eines allgemeinen 39 Verfügungsverbotes im Eröffnungsverfahren hat der BGH30) entschieden, dass dies bereits mit seinem Erlass wirksam wird und nicht erst mit der Zustellung. Gleichwohl ergibt sich hinsichtlich der Eintragung und des gutgläubigen Erwerbs von Grundstücken die gleiche Problematik wie bei der Eintragung des Eröffnungsbeschlusses.31) 2.6.1 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch Handlungen des Schuldners Zu einem Zeitpunkt, zu dem weder Insolvenzantrag gestellt ist noch eine vorläufige Ver- 40 waltung angeordnet wurde, kann es sich bei der Verwertung des Grundstückes nur um den vom Schuldner noch vorgenommenen Grundstücksverkauf handeln. Ungeachtet einer etwaigen Anfechtbarkeit der zur Veräußerung führenden Handlungen bestimmt sich das Schicksal des Grundstückskaufvertrages zunächst nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften.32) Vor Stellung eines Insolvenzantrages und Anordnung einer vorläufigen Verwaltung ist der 41 Schuldner frei, über sein Grundstück zu verfügen. Die Gefahr des Eigentumsverlusts aus Nachwirkungen des schuldnerischen Handelns vor Stellung des Insolvenzantrags besteht unter den folgenden drei Gesichtspunkten: 2.6.1.1

Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 878 BGB

§ 878 BGB dient dem Schutz des Erwerbers in der Zeit zwischen Verfügungserklärung 42 und Grundbucheintragung der Rechtsänderung vor bestimmten nachteiligen Konsequenzen aus dem Grundbuchzwang des Liegenschaftsrechts.33) Ist eine rechtsgeschäftliche Verfügungserklärung bindend abgegeben und der Grundbuchantrag gestellt worden, verliert sie nicht ihre Wirkung, wenn der Erklärende noch vor Eintragung seine Verfügungsbefugnis verliert. § 878 gilt entsprechend für die materiell-rechtliche Vormerkungsbewilligung.34) Weil es 43 ausreicht, dass die Vormerkung einseitig bewilligt wird, tritt Bindung der Bewilligung entweder gemäß §§ 873 Abs. 2 Fall 4, 875 Abs. 2 Fall 2 BGB mit Aushändigung einer beglaubigten Eintragungsbewilligung an den Gläubiger oder – in entsprechender Anwendung von § 875 Abs. 2 BGB – mit Zugang der Bewillligung beim Grundbuchamt ein.35) Für unwiderrufliche Grundbucherklärungen, die eine verfahrensrechtliche Verfügung 44 über ein Grundstücksrecht zum Gegenstand haben, also alle Arten von Bewilligungen i. S. von § 19 GBO, gilt § 878 BGB ebenfalls entsprechend. Das gilt für Eintragungs-, insbesondere Berichtigungsbewilligungen, ferner für den vom Verfügenden gestellten Eintragungsantrag.36) Der Eintragungsantrag muss beim zuständigen Grundbuchamt nach den Maßgaben von § 13 GBO eingegangen sein – ein Schutz gegen die unkalkulierbare Dauer ___________ 29) 30) 31 32) 33) 34)

Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 17. BGH, Urt. v. 9.9.1996 – IX ZR 277/95, ZIP 1996, 1909. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZIP 2008, 1028; Ganter, NZI 2007, 549. Zur Anfechtbarkeit s. Reul/Heckschen/Wienberg-Reul, Kap K VII. Rz. 128–F 25. Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 1, 6; Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 2. Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 24, dort Fn. 1 m. w. N.; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 9; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 106 Rz. 70 f. 35) Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 24; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 35. 36) Kohler in: MünchKomm-BGB, § 878 Rz. 26; Staudinger-Gursky, BGB, 2007, § 878 Rz. 11.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

des Eintragungsverfahrens ist nur angebracht, wenn dieses Verfahren überhaupt eingeleitet worden ist. 45 Für die Praxis ist deshalb vor allem die Frage relevant, welche Verfahrensschritte des Grundstückskaufvertrages noch nicht abgewickelt sein dürfen, damit der vorläufige Verwalter die Möglichkeit hat, eine bereits eingeleitete Grundstücksveräußerung noch aufzuhalten: x

Hat der Notar, den einschlägigen Empfehlungen in der Literatur folgend,37) den Eintragungsantrag auch namens des Verfügungsempfängers gestellt, kann der Verfügende den Antrag nicht mehr allein zurücknehmen.

x

Nach überwiegender Meinung38) ist jedoch für die Herbeiführung der Bindungswirkung und damit des Erwerbsschutzes aus § 878 BGB auch ein allein vom Verfügenden gestellter Antrag ausreichend. Ist der Antrag demzufolge allein vom Verfügenden bzw. für ihn gestellt worden, kann der Insolvenzverwalter den Antrag ohne weiteres zurücknehmen und damit den Schutz des § 878 BGB wieder zunichtemachen. Dem Insolvenzverwalter steht die Rücknahmebefugnis aufgrund des umfassenden Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse hinsichtlich des schuldnerischen Vermögens gemäß § 80 InsO zu.39) Gleiches muss für den vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO gelten. Ein lediglich mit Zustimmungsvorbehalt ausgestatteter vorläufiger Verwalter hat hingegen keine Befugnis zur Antragsrücknahme.

46 Stellt sich bei den gutachterlichen Ermittlungen heraus, dass ein einseitig gestellter Eintragungsantrag beim Grundbuchamt noch nicht erledigt wurde, ist somit höchste Eile geboten, den Antrag zurückzunehmen oder – im Falle des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt – beim Insolvenzgericht entweder die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes oder die Übertragung der Verfügungsbefugnis hinsichtlich des verkauften Grundstücks auf den vorläufigen Verwalter zu beantragen und sodann aufgrund der Anordnung den Vollzugsantrag zurückzunehmen. 2.6.1.2

Gutgläubiger Rechtserwerb eines Dritten gemäß § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB

47 Liegen die Voraussetzungen von § 878 BGB nicht vor, ist ggf. ein Rechtserwerb nach den Gutglaubensvorschriften möglich, denn gutgläubiger Erwerb wird durch die Insolvenzeröffnung nicht ausgeschlossen. Vielmehr erklären §§ 81 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 2 InsO die Gutglaubensvorschriften ausdrücklich für anwendbar. 48 Für das Eröffnungsverfahren gilt allerdings nur § 81 entsprechend über die Verweisung in § 24 Abs. 1 InsO. Es fehlt in § 24 Abs. 1 InsO die Verweisung auf die Erwerbssperre des § 91 InsO, der demzufolge auch bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO mangels planwidriger Regelungslücke nicht entsprechend anwendbar ist.40) 49 Ist die Bindungswirkung des § 878 BGB bereits eingetreten und ist der Eintragungsantrag wirksam vor Verfahrenseröffnung gestellt worden, kommt es nicht einmal auf den guten Glauben des Erwerbers an (vgl. § 91 Abs. 2 InsO, § 878 BGB). Trotz nachfolgender Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers erwirbt der Käufer Eigentum. Ein vor Verfahrenseröffnung bindend bewilligtes und beantragtes Recht ist trotz der mit Insolvenzeröffnung eintretenden Grundbuchsperre noch einzutragen, ___________ 37) 38) 39) 40)

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Vgl. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434 f. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434 m. w. N. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 434. Nerlich/Römermann-Wittkowski/Kruth, InsO, § 91 Rz. 31.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

selbst wenn der Insolvenzvermerk unter Verstoß gegen die §§ 17, 45 GBO früher eingetragen sein sollte.41) War die Bindungswirkung des § 878 BGB noch nicht eingetreten, aber der Eintragungs- 50 antrag beim Grundbuchamt gestellt, so kommt es auf den guten Glauben des Erwerbers zum Zeitpunkt der Eintragung an. Somit kann ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellter Eintragungsantrag noch zum gutgläubigen Erwerb führen. Der Grundbuchrechtspfleger muss, solange der Sperrvermerk nicht eingetragen ist, die Eintragung vollziehen, auch wenn er weiß, dass sie von einem nicht Verfügungsberechtigten beantragt ist. Ist der Insolvenzvermerk nicht rechtzeitig im Grundbuch eingetragen worden, hat das Grundbuchamt dem Eintragungsantrag eines im Zeitpunkt des § 892 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Verfahrenseröffnung redlichen Erwerbers trotzdem zu entsprechen, damit dieser gutgläubig Eigentum erwirbt.42) § 892 BGB wird durch § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift legitimiert gerade den Erwerb von einem nicht Berechtigten oder nicht mehr Verfügungsberechtigten. Im Ergebnis räumt das Gesetz demjenigen, der im Zeitpunkt der Antragstellung auf den Rechtsstand des Grundbuches vertraut, Vorrang vor den Interessen der Gläubiger ein, einen Rechtsverlust für die Masse zu verhindern.43) Damit ist ein gutgläubiger Erwerb möglich, wenn im Grundbuch kein Insolvenzvermerk 51 eingetragen ist und der Käufer von der Insolvenz des Verkäufers keine Kenntnis hat.44) 2.6.1.3

Schutz des vormerkungsgesicherten Käufers nach § 106 InsO

Wie ausgeführt, gilt § 878 BGB entsprechend für die materiell-rechtliche Vormerkungs- 52 bewilligung i. S. von § 883 BGB. § 106 führt i. V. m. § 878 BGB u. U. zu einer weitreichenden Nachwirkung der vom Schuldner vor Insolvenzantragstellung eingegangenen Verpflichtungen. Die Vormerkung schützt den vorgemerkten Anspruch auf Änderung der dinglichen 53 Rechtslage – jedoch nicht der sonstigen Erfüllung kaufvertraglicher Verpflichtungen (siehe unten Rz. 57). Der Schutz umfasst auch künftige und aufschiebend bedingte Ansprüche, wenn ein „sicherer Rechtsboden“ dadurch bereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des demnächst Berechtigten abhängt.45) Die Vorschrift des § 106 InsO entzieht den vorgemerkten Anspruch der haftungsrechtlichen 54 Zuordnung46) und wirkt einem Aussonderungsrecht ähnlich.47) Der Vormerkungsberechtigte ist nicht Insolvenzgläubiger nach § 38, sondern kann Erfüllung aus der Insolvenzmasse verlangen.48) Der Insolvenzverwalter muss ungeachtet des andernfalls anwendbaren § 103 InsO49) den Anspruch des Vormerkungsberechtigten im Umfang der Sicherungswirkung der Vormerkung so erfüllen, wie es der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens tun müsste.50) ___________ 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50)

Zum Vorstehenden Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 18. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 19. Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 32 Rz. 22; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 32 Rz. 20. Piegsa, RNotZ 2010, 433, 435. BGH, Urt. v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, ZIP 2001, 2008; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 106 Rz. 15; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 8. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 106 Rz. 2. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 1. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 27; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 106 Rz. 21. BGH, Urt. v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, ZIP 1998, 836. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 106 Rz. 28; Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 106 Rz. 4.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

55 Für die Praxis bedeutet dies: Der vorläufige Verwalter muss sich schnellstmöglich ein Bild über die Grundbuchsituation verschaffen. Insbesondere dann, wenn es ihm wegen der zugunsten des Käufers bestehenden Nachwirkung von § 878 BGB nicht mehr möglich sein sollte, eine Eintragung der Vormerkung zu verhindern (siehe oben Rz. 45 f.), kann diese Erkenntnis für die Entscheidung maßgeblich sein, ob eine Betriebsfortführung überhaupt noch möglich ist, wenn absehbar das Betriebsgrundstück in dinglicher Erfüllung des vom Schuldner geschlossenen Kaufvertrages übereignet werden muss. Die der Masse als Gegenleistung zufließende Kaufpreissumme wird in aller Regel keine kurzfristige Beschaffung gleichwertigen Ersatzes ermöglichen. 56 Die Vormerkung wie auch der gesicherte Anspruch nach § 106 InsO stehen zwar wegen ihrer beschriebenen weitreichenden Sicherungswirkung unter dem Vorbehalt der Anfechtbarkeit,51) die der endgültige Verwalter im eröffneten Verfahren dem Erfüllungsanspruch ggf. einredeweise entgegenhalten kann. Ob jedoch in der Kürze der für eine Entscheidung über die Betriebsfortführung zur Verfügung stehenden Zeit das Bestehen des Anfechtungsanspruchs mit der notwendigen Sicherheit geprüft werden kann, dürfte fraglich sein. 2.6.1.4

Grenzen des Schutzes

57 Hier offen mag die Frage bleiben, ob der Erwerber denn – z. B. vertraglich bedungene – Lastenfreiheit erhält.52) Soweit dies mit der wohl h. M. nicht der Fall ist, öffnet sich meist die Gelegenheit zur Beendigung des Vollzuges und der Sicherung des Grundstücks für die Betriebsfortführung, da der Käufer zwar Eigentum erwirbt, aber Schadensersatzansprüche aus Nichterfüllung sonstiger Zusagen des Verkäufers nur Tabellenforderungen darstellen. 2.6.2 Gefahr des Eigentumsverlustes am Grundstück durch die von Dritten betriebene Zwangsversteigerung 2.6.2.1

Zuschlag gemäß § 90 ZVG während des Antragsverfahrens

58 Wird das Zwangsversteigerungsverfahren während des vorläufigen Insolvenzverfahrens durch Zuschlag abgeschlossen, erwirbt der Ersteher das Eigentum originär durch konstitutiven staatlichen Hoheitsakt.53) 59 Der Zuschlag hat weitreichende Rechtsfolgen. Der Eigentumserwerb vollzieht sich ohne Rücksicht auf den Willen der Verfahrensbeteiligten und unabhängig davon, ob Verfahrensmängel vorliegen, die nur im Rechtsmittelwege nach den §§ 96 bis 104 ZVG geltend gemacht werden können. Anders als beim rechtsgeschäftlichen Erwerb (§ 873 Abs. 1 BGB) ist er unabhängig von der Grundbucheintragung, die erst nach der Erlösverteilung im Wege der Grundbuchberichtigung erfolgt. Die Wirkungen des Zuschlags treten bereits ohne Rücksicht auf die Rechtskraft des Beschlusses mit dessen Verkündung durch das Versteigerungsgericht oder mit seiner Zustellung an den Ersteher ein.54) Dies führt vor Augen, warum bei der Sachverhaltsermittlung durch den Gutachter und vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich eines etwaigen laufenden Zwangsversteigerungsverfahrens besondere Eile geboten ist, um ggf. dem Verfahren Einhalt zu gebieten. ___________ 51) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 106 Rz. 23; Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 127. 52) Verneinend die Rspr. des BGH zu § 24 KO (Vorgängervorschrift von § 106 InsO), zuletzt BGH, Beschl. v. 22.9.1994 – V ZR 236/93, NJW 1994, 3231 = ZIP 1994, 1705. Ebenso verneinend Reul/Heckschen/Wienberg-Reul, Kap. B Rz. 76 f. (in Auseinandersetzung mit BGH, Urt. v. 9.3.2006 – IX ZR 55/04, WM 2006, 918 = ZIP 2006, 859) sowie schließlich Kesseler, MittBayNotK 2005, 108. 53) Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 90 Rz. 2; BGH, Urt. v. 4.7.1990 – IV ZR 174/89, ZIP 1990, 1202. 54) Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 90 Rz. 2; instruktiv zur materiellen Reichweite des Zuschlags: OLG Brandenburg, Urt. v. 28.6.2012 – 5 U 151/09, BeckRS 2012, 18294 = NZI 2012, 774.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung 2.6.2.2

§ 13

Abwehrmöglichkeiten

§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO schafft grundsätzlich die Möglichkeit, Zwangsvollstreckungs- 60 maßnahmen auch im Insolvenzeröffnungsverfahren wirksam zu unterbinden. Auch durch § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, der durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.200755) eingefügt wurde, wurden bestimmte Wirkungen des eröffneten Verfahrens in das Eröffnungsverfahren vorverlagert. Die Sicherung der Masse vor Herausgabeverlangen und Verwertungshandlungen dinglich gesicherter Gläubiger im Eröffnungsverfahren soll die Fortführung und spätere Veräußerung des weitgehend intakten schuldnerischen Betriebs ermöglichen.56) Beide Normen erfassen hingegen nicht unbewegliches Vermögen; für dies steht in der 61 InsO keine entsprechende Regelung zur Verfügung. Hier bleibt die Verwertungsbefugnis des Absonderungsberechtigten erhalten. Auch im Eröffnungsverfahren bleibt die Anordnung der Zwangsversteigerung und Zu- 62 lassung des Beitritts für absonderungsberechtigte Gläubiger möglich. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass das vorläufige Insolvenzverfahren nicht zur Eröffnung gelangt, etwa weil der Antrag zurückgenommen wird oder aber das Verfahren mangels Masse abgewiesen wird. Damit wird dem Gläubiger, sogar dem eines persönlichen Anspruchs, ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG sowie Sicherung dieses Anspruches durch Beschlagnahme nach § 22 ZVG ermöglicht. Deshalb wird § 21 Abs. 2 InsO durch § 30d Abs. 4 ZVG ergänzt. Nach dieser Vorschrift 63 kann im Eröffnungsverfahren die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung beantragt werden, insbesondere gemäß Nr. 2, wenn das Grundstück für eine Fortführung des Betriebs oder für die Vorbereitung der Veräußerung eines Betriebs benötigt wird. Antragsberechtigt ist auch der vorläufige Verwalter.57) Dieses Antragsrecht erfordert 64 nicht, dass er mit einem allgemeinen Verfügungsverbot die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erlangt hat, antragsberechtigt ist auch jeder sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter. Er muss jedoch vortragen und glaubhaft machen, dass eine vorzeitige Versteigerung zu nachteiligen Veränderungen führen wird, etwa wenn absehbar eine Betriebsfortführung in Betracht kommt.58) Entscheidungsbefugt ist hier nicht das Insolvenzgericht aus § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO, sondern 65 das Vollstreckungsgericht.59) Hierfür sprechen nach Auffassung von Pape60) Gründe der rationellen Verfahrensführung; seien doch die sachlichen Möglichkeiten zur vorläufigen Einstellung nicht wesentlich eingeschränkt.61) Kritisch gegenüber der Entscheidungskompetenz der Vollstreckungsgerichte äußern sich vor 66 allem Mönning/Zimmermann62) aus der hier maßgeblichen Sicht der Praxis der Betriebsfortführung mit dem Ziel der Sanierung: Nach deren Auffassung wirkt sie sich vor allem sanie___________ 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61)

Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13.4.2007, BGBl. I 2007, 509. Ganter, NZI 2007, 549. Braun-Dithmar/Schneider, InsO, § 165 Rz. 7, dort Fn. 7. Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 30d Rz. 11. Gerhardt in: Kölner Schrift, S. 193 ff. Rz. 22. Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 21 Rz. 27. Kritisch zum gesamten Regelungskomplex Gerhardt in: Kölner Schrift, S. 193 ff. Rz. 22, der wegen des hierdurch erforderlichen Antrags des vorläufigen Verwalters die Möglichkeit zur Untersagung von Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung durch ein Vollstreckungsverbot auch hinsichtlich unbeweglicher Gegenstände für vorzugswürdig hält, sowie zur „fatalen“ Wirkung dieser Zuständigkeitsentscheidung auf europäischer Ebene im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO vgl. den Beispielsfall 2 von Piekenbrock, NZI 2012, 905, 910. 62) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

rungshemmend aus, da Vollstreckungsgerichte häufig den betriebswirtschaftlich begründeten Sanierungsansatz einer Betriebsfortführung, für die die weitere Nutzung belasteter Immobilien im Regelfall unverzichtbar ist, nicht nachvollziehen. Damit ist der Druck durch Verwertungshandlungen absonderungsberechtigter Gläubiger, die aus den zu ihren Gunsten eingetragenen Grundpfandrechten die Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung betreiben, trotz angeblich erleichterter Einstellungsvoraussetzungen erhalten geblieben. 67 Der Sicht von Mönning/Zimmermann ist zuzustimmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung haben ihre Grundlage durchweg in insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten. Die Insolvenzgerichte haben die größere Sachnähe, deren Vorliegen zu beurteilen. De lege ferenda sind deshalb die insolvenzbedingten Einstellungsgründe aus dem ZVG in die Insolvenzordnung zu verlegen. Dies dient auch der Gleichbehandlung der absonderungsberechtigten Sicherungsnehmer unabhängig von der Wahl des konkreten Sicherungsmittels. 68 Der vorläufige Verwalter muss mit den Mitteln des § 294 ZPO glaubhaft machen, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. 2.7

Besitzübergang auf Dritte

2.7.1 § 148 ZVG – Beschlagnahme während des Antragsverfahrens 69 Hat der Grundpfandrechtsgläubiger einen vollstreckbaren Titel, kann er aus diesem – alternativ oder kumulativ zur Zwangsversteigerung – zur Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück gemäß § 866 Abs. 1 ZPO die Zwangsverwaltung des Grundstücks beantragen. 70 Durch den Beschluss des Vollstreckungsgerichts auf Anordnung der Zwangsverwaltung wird eine Beschlagnahme des Grundstücks bewirkt, §§ 20, 146 ZVG, durch die dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen und auf den Zwangsverwalter übertragen wird, §§ 148, 152 ZVG. 71 Die Beschlagnahme umfasst nicht nur das Grundstück und seine Bestandteile, sondern erstreckt sich auch auf das im Eigentum des Grundstückseigentümers stehende Zubehör, das in den Haftungsverband des Grundpfandrechts nach § 1120 BGB fällt, sowie die laufenden und zukünftigen Miet- und Pachtforderungen. Der Zwangsverwalter zieht mithin ab Beschlagnahme die Miet- und Pachterlöse ein, wenn er auch gemäß § 156 ZVG die laufenden Beiträge der öffentlichen Lasten zu berichtigen hat. 72 Wird die vorläufige Insolvenzverwaltung vor der Zwangsverwaltung angeordnet, muss das Vollstreckungsgericht gleichwohl von Amts wegen dafür sorgen, dass der Zwangsverwalter Besitz am Grundstück erlangt. Dieser kann über § 150 ZVG i. V. m. §§ 885, 892 ZPO die Herausgabevollstreckung betreiben.63) Dies gilt auch gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter; das Besitzrecht des Zwangsverwalters verdrängt dasjenige des (vorläufigen) Insolvenzverwalters.64) Dementsprechend bleibt das Besitzrecht des Zwangsverwalters mit Vorrecht bestehen, wenn die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder eine andere diesbezügliche Sicherungsanordnung des Insolvenzgerichts erst nach dem Beginn eines Zwangsverwaltungsverfahrens ergeht. 73 Eine Möglichkeit zur einstweiligen Einstellung der Zwangsverwaltung während des Eröffnungsverfahrens sieht der Gesetzeswortlaut von § 153b ZVG nicht vor. Soweit dies problematisiert wird, schließt ein Teil der Literatur daraus, während des Eröffnungsver___________ 63) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 16/05, ZIP 2005, 1195. 64) Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 364.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

fahrens bestehe keine Einstellungsmöglichkeit,65) insbesondere sei der vorläufige Insolvenzverwalter nicht antragsberechtigt.66) Die fehlende Einstellungsmöglichkeit wird jedoch von anderen als unbefriedigend67) emp- 74 funden und als problematisch angesehen, da es das erklärte Ziel der Insolvenzordnung sei, die Entscheidung über die Art und Weise der Verwertung des Schuldnervermögens bis zum Berichtstermin offenzuhalten.68) Dieses gesetzgeberische Ziel würde durch die fehlende Einstellungsmöglichkeit konterkariert. Kirchhof 69)weist hinsichtlich der Entstehungsgeschichte von § 30d Abs. 4 ZVG zutreffend 75 auf den vom Regierungsentwurf ursprünglich beabsichtigten umfassenden Vollstreckungsschutz hin. Der systematischen Argumentation von Eckardt70) ist zu folgen: Es handelt sich bei 76 § 153b ZVG nicht um eine abschließende Sonderregelung nur für das eröffnete Insolvenzverfahren. Vielmehr sind im Hinblick auf den beschriebenen Gesetzeszweck der Insolvenzordnung und das Schutzbedürfnis der Gläubigergesamtheit § 30d Abs. 4 ZVG i. V. m. § 146 Abs. 1 ZVG analog anzuwenden, so dass auch eine Einstellung der Zwangsverwaltung im Eröffnungsverfahren möglich ist, insbesondere wenn das Grundstück für eine Betriebsfortführung benötigt wird (Nr. 2). Nur für den grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb, d. h. einen Gewerbetrieb, dessen 77 wirtschaftlicher Schwerpunkt unabtrennbar und erkennbar auf dem Grundstück liegt, hat der BGH71) entschieden, dass ein Zwangsverwalter befugt ist, den auf dem beschlagnahmten Grundstück geführten grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb des Schuldners fortzuführen, wenn dies zur ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks erforderlich ist und er dabei nicht in Rechte des Schuldners an Betriebsmitteln eingreift, die unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu dem Gewerbebetrieb absolut geschützt sind. Es fehlt jedoch eine höchstrichterliche Entscheidung, wie die Rechtslage ist, wenn die 78 Zwangsverwaltung mit einem Insolvenzverfahren kollidiert. In der Literatur werden unterschiedliche Meinungen vertreten: x

Eckardt 72) betont, dass die haftungsrechtliche Zuweisung der Erträge aus dem Grundstück an die dinglich Befriedigungsberechtigten maßgeblich sei. Umfasse diese auch den grundstücksbezogenen Gewerbebetrieb, wie vom BGH entschieden, dürfe sie während eines Insolvenzverfahrens keinen geringeren Umfang haben als außerhalb.

x

Demgegenüber sollen nach der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur strengere Maßstäbe angebracht sein als bei der „isolierten“ Zwangsverwaltung. Dabei wird vor allem auf die ratio legis von § 153b ZVG abgestellt, dass die weitergehenden Verwaltungsrechte des Insolvenzverwalters Vorrang vor den Rechten des Zwangsverwalters haben sollen, soweit diese seine Tätigkeit behindern.73)

Der h. M. ist zu folgen. Gerade in Betriebsfortführungsfällen ist die weitere Nutzungsmög- 79 lichkeit des Grundstücks entscheidend für die Sanierungsaussichten des schuldnerischen ___________ 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73)

Sievers in: JurionOK-ZVG, § 153b Rz. 2. Stöber-Stöber, ZVG, § 153b Rz. 3.1. Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 Kap. VI. Rz. 66. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 407. Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 47. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 408 f. m. umfangreichem Literaturnachweis in Fn. 346. BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – V ZB 16/05, ZIP 2005, 1195. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 383. Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 237.

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389

§ 13

Teil III Einzelfragen

Betriebs als Ganzem. Diese Aufgabe hat Vorrang vor der Einzelzwangsvollstreckung und verdrängt diese. Es gibt regelmäßig kein Aufeinandertreffen von gleichsam konkurrierenden Betriebsfortführungen. Eine Vermietung oder Verpachtung des Betriebsgrundstücks würde die Zerschlagung des Betriebs präjudizieren – eine Entscheidung, die selbst der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren vor dem Berichtstermin gemäß §§ 156, 157 InsO grundsätzlich nicht ohne Beschluss der Gläubigerversammlung entscheiden darf. Die Fortführung des Gewerbebetriebs unterscheidet sich grundsätzlich von der Konstellation der Fortführung von Vermietung und Verpachtung, für die auch die Möglichkeit einer sog. „kalten“ Zwangsverwaltung (Verwaltung durch den Insolvenzverwalter aufgrund vertraglicher Abrede mit dem Grundpfandrechtsgläubiger „wie“ ein gerichtlich bestellter Zwangsverwalter, jedoch ohne gerichtliche Bestellung) besteht, da dort keine über die reine Verwaltung der Mietobjekte hinausgehenden Gesichtspunkte der Unternehmensverwertung von Bedeutung sind. 80 Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsverwaltung ist jedoch ein entsprechender Antrag des (vorläufigen) Insolvenzverwalters nach § 153b ZVG. Dazu muss er die tatbestandlichen Voraussetzungen i. S. von § 294 ZPO glaubhaft machen. 81 Folge eines stattgebenden Einstellungsbeschlusses des Vollstreckungsgerichts ist gemäß § 153b Abs. 2 ZVG der von Amts wegen anzuordnende Anspruch des betreibenden Gläubigers auf Ausgleich der Nachteile durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse. Die Ausgleichspflicht setzt zudem, anders als bei der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung, sofort und nicht erst nach dem Berichtstermin ein.74) 82 Wirtschaftlich bringt die Beantragung einer Zwangsverwaltung den Grundpfandrechtsgläubigern also etwas, weswegen eine frühzeitige und faire Kommunikation – wie stets – vorzugswürdig ist. 2.7.2 Räumungspflicht aus § 93 ZVG – Verbotene Eigenmacht 83 Hat das Vollstreckungsgericht den Zuschlagsbeschluss gemäß § 90 ZVG während des Antragsverfahrens erteilt, dient dieser dem Ersteher als Vollstreckungstitel auf Räumung und Herausgabe der Immobilie.75) 84 Vollstreckungsschuldner ist jeder Besitzer des Grundstücks, der sein Recht zum Besitz infolge des Zuschlags verloren hat. Ist im Eröffnungsverfahren ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter bestellt worden, bleibt der Schuldner Besitzer der Insolvenzmasse sowie verfügungs- und prozessführungsbefugt.76) 85 Zu beachten ist, dass – im Gegensatz zur sog. Berliner Räumung von Mietwohnungen77) – bei nicht zu Wohnzwecken dienenden Grundstücken die Aufspaltung der nach dem Titel geschuldeten Leistung x

in die Außerbesitzsetzung des Schuldners sowie

x

die eigentliche Räumung des Grundstücks (Entfernung der auf dem Grundstück gelagerten Gegenstände)

und die Erteilung eines diesbezüglichen Teilauftrags an den Gerichtsvollzieher nach wie vor als unproblematisch angesehen wird.78) Mit dieser Beschränkung der Zwangsvollstre___________ Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 242. Claßen-Kövel in: JurionOK-ZVG, § 93 Rz. 2. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 11, 16a. Näher hierzu Schuschke, NZM 2011, 685; BGH, Beschl. v. 17.11.2005 – I ZB 45/05, NZM 2006, 149 = NJW 2006, 848. 78) Zuletzt AG Forchheim, Beschl. v. 15.6.2010 – 1 M 684/10, BeckRS 2010, 27974. 74) 75) 76) 77)

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

ckung auf eine Teilvollstreckung kann es der betreibende Zwangsvollstreckungsgläubiger vermeiden, den andernfalls nach § 885 Abs. 3 ZPO erforderlichen Kostenvorschuss für die Räumung und Einlagerung der zu entfernenden beweglichen Sachen erbringen zu müssen.79) Damit muss der vorläufige Verwalter befürchten, dass der Ersteher den schuldnerischen Betrieb kurzfristig außer Besitz setzen lässt, da die faktischen Hürden hierfür gering sind. Da der Schuldner im Eröffnungsverfahren auch bei Anordnung einer der Verfügungsbe- 86 schränkungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Rechtsmacht behalten hat, sich zu verpflichten, ist er in der Lage, das ihm gehörende Betriebsgrundstück an einen Dritten zu vermieten oder zu verpachten. Dem darauf gestützten Besitzverschaffungsanspruch kann der vorläufige Verwalter nicht 87 mit Hilfe eines Antrags nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO entgegentreten, da sich ein solcher Antrag nur gegen Aus- und Absonderungsberechtigte richten kann. 2.7.3 Vermietung durch Schuldner im Antragsverfahren Um die Betriebsfortführung nicht durch den Entzug des Grundstücks zu gefährden, 88 bleibt dem vorläufigen Verwalter nur die Möglichkeit, die Herausgabe bis zur Eröffnung zu verweigern: Anders als in der Insolvenz des Mieters steht dem Verwalter kein Rücktrittsoder Kündigungsrecht zu. Allerdings besteht das Mietverhältnis nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nur dann fort, wenn die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Mieter bereits überlassen war, da der BGH80) die Vorschrift teleologisch reduziert. Wurde die Mietsache dem Mieter noch nicht überlassen, steht dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zu.81) 2.7.4 Fehlende öffentlich-rechtliche Nutzungsberechtigungen Vor abschließender Entscheidung über die Betriebsfortführung ist i. R. der Sorgfalt zu 89 untersuchen, ob für den schuldnerischen Betrieb die erforderlichen öffentlich-rechtlichen Erlaubnisse und Genehmigungen vorliegen. Erfahrungsgemäß bestehen bei vielen Unternehmen, gegen die ein Insolvenzantrag gestellt wird, nicht nur in der Buchhaltung Defizite. In Betracht kommen genehmigungspflichtige Eingriffe in den Wasserhaushalt, bauordnungsrechtliche, immissionsschutzrechtliche sowie alle anderen Genehmigungen nach der Gewerbeordnung. Es mag einen Schuldner zu Beginn eines Antragsverfahrens und den dortigen Problemen 90 irritieren, z. B. nach einer baurechtlichen Nutzungsgenehmigung im Antragsverfahren befragt zu werden. Die diesbezüglichen Defizite sind aber häufig. Sie belasten eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren und werden später im eröffneten Verfahren jedweden Verwertungsprozess oder Investoreneintritt nachhaltig erschweren und Massenachteile bringen. Derlei Defizite konsequent und früh aufzuspüren und deren Behebung anzugehen, kann nur empfohlen werden. Im Eröffnungsverfahren als Störer in Anspruch genommen werden kann nur der „starke“ 91 vorläufige Verwalter, da auf ihn gemäß §§ 22 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übergeht. Führt der starke vorläufige Insolvenzverwalter etwa den Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungs-

___________ 79) Schuschke, NZM 2011, 685, dort Fn. 15. 80) BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087. 81) Gottwald-Huber, InsR-Hdb., § 37 Rz. 24; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 108 Rz. 11; eingehend zur Problematik Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 108 Rz. 19a.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

bedürftigen Anlage des Schuldners fort, so rückt er auf diese Weise in die Betreiberstellung ein. Dementsprechend treffen ihn die Betreiberpflichten des § 5 BImSchG.82) Zur Freigabe von altlastenbehafteten Grundstücken siehe unten Rz. 202 ff. 3.

Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück

3.1

Sicherung des Grundstücks

92 Hinsichtlich der Sicherung des Grundstücks, der Verkehrssicherungspflicht, der Aufrechterhaltung der Ver- und Entsorgung des Grundstücks sowie hinsichtlich der vom Schuldner eingegangenen Dauerschuldverhältnisse, gilt für den Pflichtenkreis des vorläufigen Insolvenzverwalters das gleiche wie bei einem Betriebsgrundstück, das sich im Eigentum des Schuldners befindet. 93 Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen jedoch der Mietvertrag und seine Bestimmungen. Üblicherweise wird im Mietvertrag die gesamte Verkehrssicherungspflicht, die den Eigentümer trifft, auf den Mieter übertragen. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten, jedoch können sich Verpflichtungen des schuldnerischen Unternehmens gegenüber dem Vermieter etwa zur Instandhaltung oder gar zur Instandsetzung der gemieteten Sache ergeben. 94 Von dem Insolvenzantrag und ggf. der Anordnung der vorläufigen Verwaltung werden solche Nebenpflichten aus dem Mietvertrag grundsätzlich nicht berührt. Der Vermieter kann sie üblicherweise nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen, insbesondere wenn das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordnet hat. Der Vermieter kann jedoch bei schuldhafter Verletzung der Nebenpflichten den Mieter in Verzug setzen. Ist die verletzte Nebenpflicht von solcher Bedeutung, dass es dem Vermieter unzumutbar wird, das Mietverhältnis fortzusetzen, kann er hierauf eine außerordentliche Kündigung stützen. 3.2

Kündigungssperre gemäß § 112 InsO/Aussonderungssperre nach Kündigung

95 Nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Mieter x

für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder

x

in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete i. H. eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.

96 Ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, kann der andere Teil nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst wegen eines Verzugs von Miete und Pacht, der vor dem Antrag eingetreten ist, gemäß § 112 Nr. 1 InsO nicht kündigen. Ebenso wenig ist eine Kündigung wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners möglich, § 112 Nr. 2 InsO. § 112 InsO enthält insofern eine Privilegierung des Schuldners ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. 97 Diese Privilegierung aus § 112 InsO Nr. 1 hinsichtlich Verzugs gilt aber nicht für die Zeit nach dem Eröffnungsantrag. Unbedingt zu beachten sind deshalb die „Fallstricke“, die sich aus § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB für die Zeit ab Eröffnungsantrag ergeben. 98 Der Vermieter kann das Mietverhältnis also sehr wohl kündigen, wenn sich einer der Tatbestände des § 543 BGB in der Zeit nach Eröffnungsantrag verwirklicht. ___________ 82) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 75.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

Fallbeispiel: Fälligkeit der Miete üblicherweise am 3. Werktag eines Kalendermonats x

Miete für Monat 01 rückständig Rückstand nach Antrag: 0 Monatsmieten

x

EÖ-Antrag gestellt am 30.1. Rückstand nach Antrag: 0 Monatsmieten

x

Miete für Monat 02 fällig am 3.2. Rückstand nach Antrag: 1 Monatsmiete

x Miete für Monat 03 fällig am 3.3. Rückstand nach Antrag: 2 Monatsmieten Damit steht dem Vermieter für den Fall, dass der Schuldner die Miete auch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht zahlt, bereits am 4.3. ein außerordentliches fristloses Kündigungsrecht zu – nur knappe fünf Wochen nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dieses Recht steht grundsätzlich auch dem Gesellschafter zu, der dem schuldnerischen 99 Unternehmen ein Grundstück zur Nutzung überlassen hat.83) Der vorläufige Verwalter muss demzufolge i. R. seiner Überwachungspflichten darauf 100 achten, dass der Schuldner genügend Liquidität zur Verfügung hat, um die zweite, während des Antragsverfahrens fällig werdende Miete rechtzeitig zu überweisen, oder mit dem Vermieter anderweitige Vereinbarungen treffen lassen und zustimmen. Allerdings kann der vorläufige Verwalter die Anordnung einer Herausgabeuntersagung 101 nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO zu erwirken versuchen. Nach überwiegender Literaturmeinung ist auch Grundvermögen, wie z. B. eine gemietete Immobilie, vom Wortlaut der Vorschrift erfasst. Somit kann eine Anordnung eine Herausgabe bzw. Räumung des Grundstücks bei wirksam gekündigtem Mietverhältnis verhindern.84) Dem Vermieter steht in den ersten drei Monaten nach der Anordnung kein Nutzungs- 102 entgelt („Zinsen“) i. S. von § 169 Satz 2 InsO zu.85) Dies entspricht weitgehend der Rechtslage bei Einstellung der Zwangsversteigerung einer pfandrechtsbelasteten Immobilie gemäß § 30d Abs. 4 ZVG. Die Verfassungsmäßigkeit des § 169 Satz 2 InsO, insbesondere die Vereinbarkeit mit Art. 12 und Art. 14 GG, hat das BVerfG86) bestätigt. Der Vermieter ist jedoch nicht gehindert, einen Anspruch auf Ausgleich des während des 103 Insolvenzeröffnungsverfahrens durch die Nutzung entstandenen Wertverlusts geltend zu machen.87) III.

Eröffnetes Verfahren

1.

Die Nutzung des im Eigentum des Schuldners stehenden Grundstücks

1.1

Versicherung und Sicherung nach Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

Hierfür gelten die zum Grundstück im Eröffnungsverfahren gemachten Ausführungen 104 entsprechend. Der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren muss somit die Dauerschuldverhältnisse zur Ver- und Entsorgung des Grundstücks aufrechterhalten.88) ___________ 83) Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1292. 84) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38; Ganter NZI 2007, 549, 555; Schmerbach, InsbürO 2007, 202, 207; grundsätzlich bejahend, wenn auch skeptisch hinsichtlich der Auswirkungen im Einzelfall Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 229, 230. 85) KG Berlin, Urt. v. 11.12.2008 – 23 U 115/08, ZIP 2009, 137; BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779. 86) BVerfG (2. Kammer), Beschl. v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252. 87) BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779. 88) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 103 Rz. 106 f.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

105 In der Insolvenz des Versicherungsnehmers gilt für Versicherungsvertragsverhältnisse grundsätzlich § 103 InsO. Der Vertrag ist beiderseits nicht vollständig erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer noch künftige oder in der Vergangenheit fällig gewordene Prämien zu zahlen hat und der Versicherer auch nur bei künftigem Eintritt eines Versicherungsfalles Entschädigung schuldet.89) Der Insolvenzverwalter hat somit die Wahl, Erfüllung zu wählen. In diesem Fall muss er die Prämien ab Eröffnung aus der Masse zahlen, dafür hat im Gegenzug der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren.90) 106 In der Praxis wird der Verwalter jedoch vor der Erfüllungswahl durch einen Versicherungsmakler prüfen lassen, ob der Versicherungsschutz optimiert werden sollte und ob dies möglich ist. Findet er eine nach den Gesamtumständen bessere Versicherung, kann er neuen Versicherungsschutz abschließen und hinsichtlich der bestehenden Versicherungen die Nichterfüllung erklären. 1.2

Haftung des Grundstücks (auch für die Vergangenheit)

107 § 10 Abs. 1 ZVG regelt die Rangfolge der Ansprüche, die im Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren zu berücksichtigen sind. Aus dem Gesichtspunkt der Haftung des Grundstücks für Ansprüche, die in der Vergangenheit begründet wurden, kommen insbesondere die Rangklasse Nr. 2 (Ansprüche der WE-Gemeinschaft bei Gewerbeeinheiten), Nr. 3 (öffentliche Lasten) und Nr. 4 (Ansprüche der dinglich Berechtigten) in Betracht. Daneben gilt für das laufende Insolvenzverfahren die Rangklasse Nr. 1a. Durch diese Vorschrift wird das Grundstück mit den Kosten belastet, die durch die Feststellung entstehen, dass Gegenstände, die in den Haftungsverband der Hypothek oder Grundschuld einbezogen sind, nicht zur Insolvenzmasse gehören.91) 1.2.1 Wohnungseigentum (Teileigentum), § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG 108 Wird der Betrieb eines Unternehmens fortgeführt, das einen Teilbetrieb wie bspw. ein Außendienst-Büro oder eine Einzelhandelsfläche in einer rechtlich als Teileigentum gestalteten Fläche unterhält, gewinnt die Rangklasse 2 aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG Bedeutung. In diese Rangklasse fallen die fälligen Ansprüche auf Zahlung der Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums, die nach § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2 und 5 WEG geschuldet werden, einschließlich der Vorschüsse und Rückstellungen sowie der Rückgriffansprüche einzelner Wohnungseigentümer. Das Vorrecht erfasst auch die laufenden und die rückständigen Beträge aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren. Das Vorrecht ist der Höhe nach einschließlich aller Nebenleistungen begrenzt auf Beträge i. H. von nicht mehr als 5 % des nach § 74a Abs. 5 ZVG vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Verkehrswertes. Prozessual ist zu beachten, dass die Anmeldung der Ansprüche wie auch etwaiger Rückgriffansprüche einzelner Wohnungseigentümer durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erfolgt. 1.2.2 Öffentliche Lasten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG 109 Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG haftet das Grundstück für die Entrichtung der öffentlichen Lasten wegen der rückständigen Beträge aus den letzten vier Jahren; wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge oder Rentenleistungen, sowie Beträge, die zur allmählichen Tilgung einer Schuld als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichten sind, genießen dieses Vorrecht nur für die laufenden Beträge und für die Rückstände aus ___________ 89) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 103 Rz. 106. 90) Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rz. 44. 91) Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 10 Rz. 8.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

den letzten zwei Jahren. Untereinander stehen öffentliche Grundstückslasten, gleichviel, ob sie auf Bundes- oder Landesrecht beruhen, im Range gleich. 1.2.2.1

Beiträge gemäß Satzung

Für die Praxis von Bedeutung sind die Beiträge der Kommunen oder der Zweckverbände 110 für Wasser- und Abwasseranschlüsse sowie für den Straßenausbau. Mangels gesetzlicher Begriffsbestimmung im ZVG beurteilt sich die Frage, ob eine Abgaben- 111 verpflichtung diese Eigenschaft hat, nach der gesetzlichen Regelung, auf der die Verpflichtung beruht. Es muss sich um eine Abgabenverpflichtung handeln, welche auf öffentlichem Recht beruht, durch wiederkehrende oder einmalige Geldleistungen zu erfüllen ist und nicht nur die persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks voraussetzt. Das für die Abgaben maßgebende öffentliche Bundes- oder Landesrecht entscheidet mithin darüber, ob die Abgabenverpflichtung zu den öffentlichen Grundstückslasten i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gehört. Dabei muss die Verpflichtung in dem Abgabengesetz nicht unbedingt als öffentliche Last bezeichnet sein; es genügt vielmehr, wenn sich diese Eigenschaft aus der rechtlichen Ausgestaltung der Zahlungspflicht und aus ihrer Beziehung zum Grundstück ergibt. Im letzteren Fall muss jedoch aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit aus der gesetzlichen Regelung eindeutig hervorgehen, dass die Abgabenverpflichtung auf dem Grundstück lastet und mithin nicht nur eine persönliche Haftung des Abgabenschuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks besteht. Zweifel in dieser Hinsicht schließen eine Berücksichtigung der Zahlungspflicht als öffentliche Last aus.92) Die genannten Ansprüche der Klasse 3 werden bevorrechtigt berücksichtigt, ohne dass der 112 Berechtigte hieraus das Verfahren betreiben muss. Sie müssen lediglich rechtzeitig (§ 37 Nr. 4 ZVG) zum Verfahren angemeldet werden, da sie, wie sich aus §§ 45 Abs. 1, 114 Abs. 1 ZVG ergibt, nicht aus dem Grundbuch ersichtlich sind.93) Für die Praxis ebenfalls bedeutsam ist die Unterscheidung hinsichtlich der Möglichkeit, 113 rückständige Beträge geltend zu machen. Bei wiederkehrenden Leistungen sind Beträge, die älter sind als der letzte, vor der Beschlagnahme fällig gewordene Betrag, Rückstände i. S. des Gesetzes, § 13 Abs. 1 ZVG. Nur Rückstände aus den letzten zwei Jahren fallen in die Rangklasse 3. Hingegen können einmalige Leistungen hinsichtlich der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge mit der bevorrechtigten Rangklasse 3 geltend gemacht werden. 1.2.2.2

Grundsteuer/maßgeblicher Zeitpunkt

Die Grundsteuer ruht gemäß § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück. 114 Grundsteuergläubiger können trotz des Vollstreckungsverbotes aus § 89 Abs. 1 InsO, wonach Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldner zulässig sind, dem Zwangsversteigerungsverfahren beitreten, weil sie auch hinsichtlich älterer Grundbesitzabgaben ein Recht auf abgesonderte Befriedigung haben. Die Rangklassenbestimmungen des § 10 ZVG beseitigen nicht die dingliche Haftung des Grundstücks und damit das Recht auf abgesonderte Befriedigung i. S. von § 49 InsO.94)

___________ 92) BGH, Urt. v. 30.6.1988 – IX ZR 141/87, NJW 1989, 107, 108. 93) Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG § 10 Rz. 11. 94) BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – V ZB 18/11, ZIP 2012, 147 Rz. 18.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

115 Dies hat Auswirkungen auch für die freihändige Veräußerung. Nach dem BGH95) kann der Inhaber einer öffentlichen Last gemäß § 12 GrStG, wenn der Insolvenzverwalter das belastete Grundstück freihändig veräußert hat, zwar keine abgesonderte Befriedigung aus dem Veräußerungserlös verlangen; für eine dingliche Surrogation am Veräußerungserlös bestehe keine Notwendigkeit, da das Grundstück weiterhin hafte.96) Er kann aber weiter in das verkaufte Grundstück vollstrecken. Dem folgt auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: Die dingliche Haftung für rückständige Grundsteuern ist nicht durch § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG beschränkt.97) 116 Eine Gefährdung für die Betriebsfortführung kann sich damit auch bei öffentlichen Grundstückslasten dadurch ergeben, dass der Inhaber des entsprechenden Anspruchs daraus die Zwangsversteigerung betreibt. 1.2.3 Grundpfandrechte i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG 117 Zwar im Range nach den öffentlichen Lasten, von den Beträgen her aber in aller Regel weitaus bedeutender ist die Haftung des Grundstücks für Grundpfandrechte nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG. In dieser Klasse gibt es für einmalige Leistungen, also insbesondere die auf Rückzahlung der gesicherten Darlehensforderungen gerichteten Hauptansprüche, keine zeitliche Begrenzung. Das Grundstück haftet zeitlich unbegrenzt. 118 Hingegen sind Zinsen nur zeitlich begrenzt berücksichtigungsfähig. Sind sie älter als die nach § 13 ZVG errechneten zwei Jahre, so werden sie nur nach Rangklasse 8 bedient, es sei denn, der Gläubiger betreibt auch wegen der Zinsen das Verfahren; sie fallen dann in die Klasse 5.98) 1.3

Haftung der Insolvenzmasse (nur für die Zukunft)

119 Alle Ansprüche der Vertragspartner aus Schuldverhältnissen, die der Insolvenzverwalter für und gegen die Masse abschließt, sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.99) 120 Soweit der Insolvenzverwalter gegenseitige Verträge nach den §§ 103 ff. durch Erfüllungswahl fortführt, werden die Ansprüche der Vertragspartner Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Bei teilbaren Leistungen, insbesondere Dauerschuldverhältnissen, bewirkt § 105 Satz 1 InsO, dass lediglich die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters entstehenden Ansprüche des Vertragspartners Masseverbindlichkeiten werden, während die Ansprüche aus der Zeit vor Eröffnung nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können.100) 2.

Gefährdung der Betriebsfortführung durch Zwangsvollstreckungen des Grundpfandrechtsgläubigers

121 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert den dinglich gesicherten Gläubiger nicht daran, die Zwangsvollstreckung aus dem dinglichen Titel in das Grundstück im Wege der Zwangsverwaltung oder der Zwangsversteigerung zu betreiben, § 49 InsO. Dies schließt ___________ 95) 96) 97) 98) 99) 100)

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BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994 Rz. 11. Sächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2009 – 5 A 168/08, BeckRS 2009, 32731 = NJW-RR 2009, 950 (LS). Rokitta-Liedmann in: JurionOK-ZVG, § 10 Rz. 16, 17. Braun-Bäuerle/Schneider, InsO, § 55 Rz. 1. Braun-Bäuerle/Schneider, InsO, § 55 Rz. 36, 37.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

nicht aus, dass der dinglich Berechtigte zugleich Inhaber einer persönlichen Forderung und damit Insolvenzgläubiger i. S. von § 38 InsO ist. Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, gehören haftungsrechtlich zur In- 122 solvenzmasse, doch wird dies von dem privilegierten Zugriffsrecht des Absonderungsberechtigten überlagert.101) Wie Eckardt weiterhin zutreffend verdeutlicht, gehören die dinglichen Ansprüche aus Grundpfandrechten gewissermaßen zum Inhalt des jeweiligen Rechts. Ist dieses Recht wirksam vor Verfahrenseröffnung erworben und wird es weder durch eine Insolvenzanfechtung noch durch die Rückschlagsperre in seinem Bestand beeinträchtigt, so kann der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das Grundstück auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einleiten. Diese gesicherte Rechtsposition erlaube es ihm, in der Krise seines Schuldners „weitgehend gelassen abzuwarten“.102) Auch wenn Grundpfandrechte ebenso wie Mobiliarsicherheiten im Insolvenzverfahren 123 einbezogen sind, sich also Einschränkungen ihrer Rechtsposition im Vergleich zur Rechtslage außerhalb des Insolvenzverfahrens gefallen lassen müssen, sind die Konsequenzen der Einbeziehung bei Grundpfandrechten weit weniger tiefgreifend als bei den Mobiliarsicherheiten: dort hat der Absonderungsberechtigte keine Möglichkeit, seine Sicherheit auf eigene Initiative zu verwerten, sondern muss dies dem Insolvenzverwalter überlassen (vgl. § 166 InsO). Darüber hinaus steht dem Insolvenzverwalter ein pauschalierter Kostenbeitrag für die Kosten der Feststellung des beweglichen Gegenstandes und seiner Verwertung zu, § 171 InsO. Eckardt weist zur Gesetzgebungsgeschichte darauf hin, dass dem Gesetzgeber der InsO der langfristige Bodenkredit und die Sicherheit der Pfandbriefe so wichtig erschienen, dass er weitergehende Einschränkungen in das Verwertungsrecht des Grundpfandrechtsgläubigers nicht regeln wollte.103) Aus diesem Grunde wurde auch eine Möglichkeit zur Einschränkung der Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger im Insolvenzplan, wie sie gesetzlich nach § 223 InsO möglich ist, von der Insolvenzrechtsreformkommission nicht vorgesehen.104) Aus dieser nicht unerheblichen Privilegierung des Grundpfandrechtgläubigers ergeben sich konkurrierende Verwertungsrechte von Grundpfandrechtsgläubiger und Insolvenzverwalter. Üblicherweise unterwirft sich der Darlehensnehmer bei der Bestellung eines Grundpfand- 124 rechtes als Sicherheit auch der sofortigen Zwangsvollstreckung hinsichtlich der persönlichen und der dinglichen Forderung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Dem Grundpfandrechtsgläubiger steht somit von Beginn ein Vollstreckungstitel zur Verfügung. Dabei nötigt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht generell zu einer Titelumschrei- 125 bung auf den Insolvenzverwalter. Nur wenn die Vollstreckung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnen soll, bedarf es einer Vollstreckungsklausel gegen den Verwalter. Ist die Beschlagnahme hingegen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits wirksam geworden, wird sie von den Wirkungen der Insolvenz nicht mehr berührt (§ 80 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das bedeutet, dass eine auf den Schuldner lautende Vollstreckungsklausel nicht umgeschrieben werden muss. Der Insolvenzverwalter tritt zwar wegen der auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte an die Stelle des Schuldners. Gegen ihn müssen aber nicht die bereits gegenüber dem Schuldner erfüllten Vollstreckungsvoraussetzungen wiederholt werden. Die Notwendigkeit einer Umschreibung auf den Insolvenzverwalter besteht somit nur, wenn die Vollstreckung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitet wird. Sie beruht dann aber nicht auf dem Gedanken der ___________ 101) 102) 103) 104)

Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 13. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 17. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 24. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 399.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

Rechtsnachfolge, auch wenn § 727 ZPO herangezogen wird, sondern sie beruht darauf, dass allein der Insolvenzverwalter wegen der auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechte (§ 80 Abs. 1 InsO) Adressat von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sein kann.105) 2.1

Zwangsverwaltung

2.1.1 Antragsbefugnis 126 Die Antragsbefugnis zur Einleitung eines Zwangsverwaltungsverfahrens steht neben dem dinglich gesicherten Gläubiger gemäß § 165 InsO auch dem Insolvenzverwalter zu. Es ist der Praxis jedoch nur schwer eine Konstellation denkbar, in der der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Zwangsverwaltung des von ihm i. R. der Betriebsfortführung weiter genutzten Betriebsgrundstückes stellen sollte, da die Zwangsverwaltung zur Folge hat, dass die Grundstückserträge auch im Fall des parallel stattfindenden Insolvenzverfahrens nicht zur Insolvenzmasse fließen, sondern eine Sondermasse bilden.106) 2.1.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters 127 Häufiger ist deshalb die Konstellation anzutreffen, dass der Grundpfandrechtsgläubiger die Zwangsverwaltung beantragt, § 49 InsO i. V. m. § 153 ZVG. 128 Im eröffneten Insolvenzverfahren steht dem Insolvenzverwalter zur vollständigen oder teilweisen Einstellung der Zwangsverwaltung die Abwehrmöglichkeit des § 153b ZVG zu Gebote. Er muss i. S. von § 294 ZPO glaubhaft machen, dass durch die Fortsetzung der Zwangsverwaltung eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert wird. 129 Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse ist dann anzunehmen, wenn die Masse dem Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirklichung der Insolvenzgläubiger am nächsten kommt. Ein Anhaltspunkt ist dafür das im Berichtstermin von der Gläubigerversammlung beschlossene Verwertungskonzept des Verwalters oder ein Insolvenzplan.107) 130 Die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ist nur dann i. S. der Vorschrift wesentlich erschwert, wenn die Auswirkungen auf die Nutzung der Insolvenzmasse über das durch die Zwangsverwaltung übliche Ausmaß der Behinderung eines gleichzeitigen Insolvenzverfahrens hinausgehen. Wesentlich ist die Erschwerung dann, wenn wegen der Fortführung der Zwangsverwaltung ein zulässiges Verwertungskonzept zu scheitern droht, z. B. eine übertragende Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht erfolgen kann oder die Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse nach § 228 InsO im Wege des Insolvenzplans misslingen würde.108) 131 Zwar wird vertreten, die Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung nach § 153b ZVG seien nicht mehr gegeben, wenn der Zwangsverwalter bereit sei, das zwangsverwaltete Betriebsgrundstück an den Insolvenzverwalter zu vermieten oder zu verpachten.109) Dies überzeugt jedoch nicht. § 153b ZVG muss nach seinem Schutzzweck bereits dann eingreifen, wenn der Insolvenzverwalteter des zwangsverwalteten Grundstücks Verhandlungen mit ___________ 105) BGH, Urt. v. 14.4.2005 – V ZB 25/05, DNotZ 2005, 840 = Rpfleger 2006, 423. 106) Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 338; s. zur Diskussion über die Sinnhaftigkeit weiter Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 346; Eickmann, ZIP 1986, 1517; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 165 Rz. 21. 107) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 138; Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, § 165 Rz. 57. 108) Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, § 165 Rz. 58. 109) So Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 397.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

einem potentiellen Erwerber des schuldnerischen Betriebs aufnimmt,110) da dieser im Zweifel nur am Erwerb des Betriebs samt Grundstück interessiert ist. Nicht beachtlich ist die Ankündigung des betreibenden Gläubigers, er werde an einer Ver- 132 äußerung durch den Insolvenzverwalter mitwirken: Der Einwand ist zum einen gesetzlich nicht geregelt, zum anderen hat der Insolvenzverwalter keine Möglichkeit, seine daraus erwachsende potentielle Haftung abzuwenden.111) In seinem Beschluss über die Einstellung der Zwangsverwaltung hat das Vollstreckungs- 133 gericht von Amts wegen einen Nachteilsausgleich zugunsten des betreibenden Grundpfandrechtsgläubigers festzusetzen, der durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse erfolgt, § 153b Abs. 2 ZVG.112) Allerdings führt eine Entscheidung des Gerichtes nach § 153b ZVG lediglich zur Einstellung 134 des Verfahrens, nicht jedoch zur Aufhebung. Damit bleibt auch die Beschlagnahme durch den Zwangsverwalter bestehen. Hauptauswirkung ist, dass der Zwangsverwalter keine Verfahrenshandlungen über das betreffende Grundstück mehr vornehmen kann.113) Hinsichtlich des Einstellungsantrags ist auch deshalb Eile geboten, da der Insolvenzverwalter ein von dem Zwangsverwalter zwischenzeitlich abgeschlossenen Mietvertrag nicht aufgrund der Einstellung des Zwangsverwaltungsverfahrens auflösen kann, sondern lediglich nach den Vorschriften des BGB kündigen.114) Auf die sanierungshemmende Belassung der Entscheidungszuständigkeit bei den Voll- 135 streckungsgerichten anstelle der Insolvenzgerichte wurde bereits eingegangen. 2.1.3 Vereinbarung einer sog. „kalten Zwangsverwaltung“ Auch um den etwaigen Schwierigkeiten bei der Auslegung der Einstellungsschutzvorschrift 136 des § 153b ZVG aus dem Wege zu gehen, kommt die Vereinbarung einer sog. „kalten Zwangsverwaltung“ zwischen dem vollstreckungsbereiten Gläubiger und dem zur Verwaltung bereiten Insolvenzverwalter in Betracht.115) Die kalte Zwangsverwaltung ist gesetzlich nicht geregelt. Sie kann demzufolge nicht gericht- 137 lich angeordnet werden, sondern bedarf einer Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Grundpfandrechtsgläubiger. Danach bewirtschaftet der Insolvenzverwalter für den Grundpfandrechtsgläubiger wie ein gerichtlich bestellter Zwangsverwalter die vermieteten oder verpachteten Immobilien. Er zieht für diesen die Miet- oder Pachtzinsen ein und führt sie unter Anrechnung auf deren Forderungen gegen anteilige Vergütung ab.116) Die kalte Zwangsverwaltung kann für absonderungsberechtigte Gläubiger wie auch den 138 Insolvenzverwalter Vorteile bieten.117) Ihre Vereinbarung bietet sich insbesondere zur Entschärfung eines etwa aufkommenden Streits über die Zulässigkeit einer Fortführung des grundstücksgeprägten Gewerbebetriebs des Insolvenzschuldners an.

___________ 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117)

Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 158. Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 139. Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 139. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 391. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 393 m. w. N. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 394. Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, § 165 Rz. 55 a; Gottwald-Adolphsen, InsR-Hdb., § 42 Rz. 111 Zu den Einzelheiten s. Eckardt, Grundpfandrechte, Rz. 418, 419; Molitor, ZInsO 2011, 1486.

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399

§ 13

Teil III Einzelfragen

139 Eine Vereinbarung zur kalten Zwangsverwaltung sollte nach den Empfehlungen von Lwowski/Tetzlaff118)sowie von Eckart119) folgende Punkte berücksichtigen: x

Festlegung von Beginn und Dauer der kalten Zwangsverwaltung: Bestimmung eines fiktiven Beschlagnahmezeitpunktes, ggf. Abtretung der zukünftigen Mieten durch den Insolvenzverwalter an den Grundpfandrechtsgläubiger;

x

ggf. Regelung zu den rückständigen Mieten;

x

ggf. Regelung zur Aufteilung derjenigen Mieten, die vor dem Abschluss der Verwertungsvereinbarung bereits bei dem Insolvenzverwalter eingegangen sind;

x

Befriedigung von Kautionsansprüchen der Mieter/Pächter;

x

Regelung zur Abführung der Umsatzsteuer;

x

Regelung der Höhe der Beteiligung der Insolvenzmasse am Nettoertrag sowie Festlegung von Pauschalzahlungen;

x

Regelung zur Verrechnung der Mieterlöse mit den Forderungen des Grundpfandrechtsgläubigers (Hauptforderung und Zinsen);

x

Festlegungen hinsichtlich der Durchführung von Renovierungen, Werbeaktionen (für Neuvermietung) und Maßnahmen der Objektpflege, -verbesserung und -entwicklung, insbesondere Kostentragung für diese Maßnahmen;

x

Freistellung der Insolvenzmasse von den Kosten für die Unterhaltung der Immobilie (Grundsteuer, Bewachungskosten u. a.);

x

Regelungen über die Art und Weise der Verwaltung des Grundstücks: x Verwaltung durch Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter, x Verwaltung durch die Mitarbeiter des Schuldners (sog. „kalte Eigenverwaltung“), x Bestellung eines externen Verwalters (sog. „kalte Institutszwangsverwaltung“).

2.1.4 Spannungsverhältnis zwischen § 100 InsO und § 149 ZVG (Unterhaltsgewährung an den Schuldner) 140 § 149 Abs. 1 ZVG gibt dem Schuldner, der zum Zeitpunkt der Beschlagnahme auf dem Grundstück wohnt, einen Anspruch auf unentgeltliche Überlassung der für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume. Beim Zusammentreffen von Zwangsverwaltungsverfahren und Insolvenzverwaltungsverfahren stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Vorschrift zu § 100 InsO. 141 In der Literatur wird mehr oder weniger apodiktisch behauptet, § 149 Abs. 1 ZVG sei bei gleichzeitiger Insolvenz nicht anwendbar.120) 142 Das OLG München121) hat hingegen in einem Fall, in dem zunächst ein Zwangsverwaltungsverfahren eröffnet worden war, gegenteilig entschieden: In dem hinzugetretenen Insolvenzverwaltungsverfahren verlangte der Insolvenzverwalter offenbar (Tatbestand ist nicht mitgeteilt) vom Schuldner ein Nutzungsentgelt für die Überlassung der unentbehrlichen Wohnräume mit der Begründung, es gebe einen „subsidiären Kollisionsrechtssatz“ dahin, dass der Schuldner durch die Zwangsverwaltung nicht besser als im Insolvenzverfahren dastehen dürfe. ___________ 118) 119) 120) 121)

400

Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 182a. Eckart, Grundpfandrechte, Rz. 423. So Eickmann, ZIP 1986, 1517, 1521. OLG München, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 U 2553/05, juris.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

Dieser Ansicht ist das OLG München aus drei Gründen nicht gefolgt:

143

x

Der Schuldner habe nach § 149 Abs. 1 ZVG einen Rechtsanspruch auf Belassen der unentbehrlichen Wohnräume;

x

die Regelungen in § 153b Abs. 2 ZVG und § 49 InsO schlössen einen Übergang des dem Zwangsverwalter ohnehin nicht zustehenden Rechts auf Nutzungsentschädigung aus;

x

eine Überlassung nach § 100 InsO könne ohne Zustimmung des Betroffenen nicht rückwirkend kostenpflichtig gestellt werden.

Nach dem OLG München beansprucht die dem Schuldner günstige Regelung in § 149 144 Abs. 1 ZVG auf unentgeltliche Nutzungsüberlassung, jedenfalls bei einem nach Beginn des Zwangsverwaltungsverfahrens hinzutretenden Insolvenzverfahren, den Vorrang. Dies würde jedoch dazu führen, dass das Ergebnis von der – zufälligen – Reihenfolge der 145 jeweiligen Verfahrenseröffnung abhängt: Bei hinzutretender Zwangsverwaltung bliebe die Schlechterstellung aus dem Insolvenzverfahren erhalten (so die h. M.), während bei hinzutretender Insolvenzverwaltung die Besserstellung aus der Zwangsverwaltung fortgesetzt würde (so das OLG München). Dabei sprechen gute Gründe für die Ansicht der h. M., unabhängig von der zeitlichen 146 Reihenfolge, in beiden Konstellationen § 100 InsO gegenüber § 149 Abs. 1 ZVG den Vorrang zuzusprechen: x

Insolvenz als das materiell umfassendere Verfahren Die Zwangsverwaltung ist Maßnahme der Einzelzwangsvollstreckung in einen einzelnen Vermögensgegenstand des Schuldners für einen oder nur wenige seiner Gläubiger. Für diesen Fall trifft § 149 Abs. 1 ZVG eine Sonderregelung. Das Insolvenzverfahren ist hingegen Gesamtvollstreckung über das gesamte Vermögen des Schuldners im Interesse der Gesamtheit seiner Gläubiger. Vollstreckungsschutz und Unterhaltsgewährung sind im Lichte aller betroffenen Vermögenswerte und der wirtschaftlichen Gesamtlage des Schuldners zu betrachten. Dies gewährleistet die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung nach § 100 InsO. Unter dem Gebot der „par conditio creditorum“ ist es nicht zu rechtfertigen, warum der die Zwangsverwaltung betreibende dinglich gesicherte Gläubiger im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern allein den (Wohnungs-)Unterhalt zugunsten des Schuldners durch unentgeltliche Überlassung des Wohnraums tragen soll. Die Gläubigergleichbehandlung gebietet das Zurücktreten der schuldnerschützenden Spezialvorschrift des § 149 Abs. 1 ZVG hinter § 100 InsO.

x

Verfahrensrechtlicher Vorrang des Insolvenzverfahrens trotz grundsätzlicher Parallelität der Verfahren, § 153b ZVG Der Konflikt zwischen den Rechten des Insolvenzverwalters und denen des Zwangsverwalters wird durch § 153b ZVG gelöst.122) In beiden Konstellationen der Reihenfolge123) darf der Insolvenzverwalter die Einstellung der Zwangsverwaltung beantragen, wenn die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse durch die Fortsetzung der Zwangsverwaltung wesentlich erschwert wird. Zwar muss das Gericht den Zwangsverwalter und den betreibenden Gläubiger vor Entscheidung anhören, § 153b Abs. 3 ZVG. Es gibt jedoch keine vom Gesetzgeber vorgesehene „spiegelbildliche“ Möglichkeit des Zwangsverwalters, die Initiative zur denkbaren gerichtlichen Anordnung der Freigabe des Grundstücks aus der Insolvenz-

___________ 122) Stöber-Zeller, ZVG, § 153b Rz. 2.1. 123) Stöber-Zeller, ZVG, § 153b Rz. 2.2.

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401

§ 13

Teil III Einzelfragen

masse zu ergreifen. Auch dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber dem Insolvenzverfahren im Konfliktfall den Vorrang vor dem Einzelzwangsvollstreckungsverfahren geben wollte. Dann ist es auch folgerichtig, die Frage der Unterhaltsgewährung (durch etwaige unentgeltliche Überlassung) nach den dafür maßgeblichen Vorschriften der InsO zu entscheiden. 147 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass in der Konkurrenz zwischen eröffnetem Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltungsverfahren die Sonderregelung des § 149 Abs. 1 ZVG (Verpflichtung zur Gewährung von Unterhalt durch unentgeltliche Überlassung der für den Hausstand unentbehrlichen Räume) von der allgemeinen Regelung zur Unterhaltsgewährung im Insolvenzfalle aus § 100 InsO verdrängt wird. Dies ergibt sich zum einen aus materiellen Gründen (Gebot der Gleichbehandlung der Gläubiger), zum anderen aus der im Verfahrensrecht getroffenen Regelung zur Konfliktlösung, wie sie in § 153b ZVG zum Ausdruck kommt. 2.2

Zwangsversteigerung

2.2.1 Antragsbefugnis 148 § 165 InsO i. V. m. §§ 172 ff. gibt dem Insolvenzverwalter das Recht, selbst die Zwangsversteigerung eines zur Masse gehörenden Grundstücks zu betreiben. Damit in Konkurrenz steht das trotz Insolvenzeröffnung gegebene Recht des Grundpfandrechtsgläubigers, die Zwangsversteigerung nach § 49 InsO zu betreiben. 149 Auch hier ist festzustellen, dass eine isolierte Zwangsversteigerung des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter dann nicht sinnvoll, sondern kontraproduktiv ist, wenn er das Betriebsgrundstück für die Betriebsfortführung weiter benötigt. 2.2.2 Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters 150 Betreibt ein Grundpfandrechtsgläubiger die Zwangsversteigerung des Grundstücks, kann der Verwalter im eröffneten Verfahren unter den Voraussetzungen von § 30d Abs. 1 ZVG die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens beantragen. 151 Die Entscheidung des Gerichts erfolgt als gebundene Entscheidung („ist auf Antrag … einstweilen einzustellen, …“). In der Frühphase nach Eröffnung gewährt zunächst Nr. 1 die Einstellungsmöglichkeit, solange die Gläubigerversammlung zum Berichtstermin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO noch nicht stattgefunden hat. Aufgrund des Ergebnisses des Berichtstermins ist das Verfahren einstweilig einzustellen, wenn das Grundstück für eine Fortführung des Unternehmens oder die für die Vorbereitung der Veräußerung eines Betriebes oder einer anderen Gesamtheit von Gegenständen benötigt wird. Zum Nachweis muss der Insolvenzverwalter den Beschluss der Gläubigerversammlung im Berichtstermin mit dem entsprechenden Inhalt vorlegen.124) In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass gemäß § 30d Abs. 3 ZVG die Voraussetzungen für die Einstellung i. S. von § 294 ZPO glaubhaft gemacht werden müssen. Nach zutreffender Auffassung von Mönning/Zimmermann125) ist lediglich erforderlich, dass der Verwalter den Gläubigern im Berichtstermin ein Verwertungskonzept für das unter Zwangsverwaltung stehende Grundstück vorlegt. 152 Für welche Dauer etwa eine Fortführung beschlossen wird, soll hingegen nicht entscheidend sein, da § 157 Satz 1 InsO ohnedies von einer nicht unbegrenzten Fortführung ausgeht. Es gibt also keine Mindestdauer für die Fortführung. Andererseits fehlt es auch an einer ___________ 124) Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 VI. Rz. 59. 125) Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134, 135.

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§ 13

Höchstdauer.126) Die Dauer der Einstellung stößt jedoch an die Grenze des § 30f ZVG, wonach der betreibende Gläubiger einen Aufhebungsantrag stellen kann, wenn er darlegt, dass die Voraussetzungen für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung weggefallen sind. 3.

Das vom Schuldner gemietete oder gepachtete Grundstück

3.1

Fortbestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO

Während die Vorschrift des § 103 InsO, wie dargelegt, im Zusammenhang mit der Siche- 153 rung des Betriebsgrundstückes gegen Eigentumsverlust zulasten der Insolvenzmasse von Bedeutung ist, gelten für die mit der Nutzung des Betriebsgrundstückes üblicherweise verbundenen langfristigen Verträge (Miete, Pacht) entscheidende Modifikationen in den §§ 108 – 112 InsO. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. 3.1.1 Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters Rechtsfolge ist zunächst, dass der Vermieter zur Überlassung des Gebrauchs der Mietsache 154 verpflichtet bleibt. 3.1.2 Mietzahlungspflicht des Verwalters insbesondere: Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters127) Setzt der Verwalter den Mietvertrag und die Nutzung des gemieteten Grundstücks nach 155 Eröffnung fort, sind die Mietzinsansprüche des Vermieters Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO.128) Aufgrund zweier amtsgerichtlicher Entscheidungen129) ist nunmehr die Frage problemati- 156 siert worden, ob bei einer zu geschäftsüblicher Uhrzeit am Monatsersten erfolgenden Verfahrenseröffnung die gesamten Mietzinsen des Eröffnungsmonats nicht als Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich als Insolvenzforderungen einzuordnen sind, weil sie an demselben Tag bereits um 0.00 Uhr und damit vor Eröffnung entstanden sind.130) Dem ist Geißler131) zunächst mit einer Rechtsfolgenüberlegung entgegengetreten: Der 157 Ansatz laufe darauf hinaus, dass der Vermieter in der Insolvenz des Mieters für den gesamten im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung laufenden Bemessungszeitraum bloßer Insolvenzgläubiger sei. Richtig sei es daher, den Eröffnungszeitpunkt als die maßgebliche Zäsur anzusehen. Aus § 108 Abs. 3 InsO ergebe sich die Teilbarkeit der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Gebrauchsüberlassungsverhältnisses und des korrespondierenden Entgeltanspruches. Deshalb seien nur die Ansprüche, die dem vor Eröffnung liegenden Anteil des Bemessungszeitraums zuzuordnen seien, als Insolvenzforderungen zu qualifizieren, die danach liegenden hingegen als Masseverbindlichkeiten.132) Obergerichtliche Rechtsprechung liegt zu dieser Frage noch nicht vor, so dass eine klare Positionierung derzeit nicht ___________ 126) 127) 128) 129)

Nerlich/Kreplin-Goebel, MAH Sanierung und Insolvenz, § 33 VI. Rz. 59. Dazu OLG Dresden, Urt. v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2012, 2266. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 108 Rz. 16. AG Berlin-Spandau, Urt. v. 30.11.2011 – 13 C 376/11, JurionRS 2011, 36836; AG Berlin-Tempelhof, Urt. v. 2.2.2012 – 16 C 316/11, ZInsO 2012, 1137. 130) So auch Rosenmüller, ZInsO 2012, 1110, der nach Angaben in seinem Aufsatz die beiden amtsgerichtlichen Entscheidungen erstritten hat. 131) Geißler, ZInsO 2012, 1206. 132) Geißler, ZInsO 2012, 1206, 1208.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

möglich ist. Insofern trifft der Hinweis von Rosenmüller133) zu, dass die Insolvenzverwalter gehalten sind, ihre gängige Praxis im Lichte seiner Auffassung zu überprüfen.134) 158 Im Fall des Vorliegens von Masseverbindlichkeiten betrifft eine jüngere Entscheidung des OLG Dresden135) eine „Komplikation“ von deren Abwicklung: Nachdem der Insolvenzverwalter die als Masseverbindlichkeiten einzuordnende Miete zunächst nicht bezahlt hatte, beglich er die Rückstände nach Verwertung der mit dem Vermieterpfandrecht belasteten Gegenstände. 159 Nach der vorliegenden Entscheidung ist der Insolvenzverwalter berechtigt, bei Auskehr des Verwertungserlöses für Gegenstände, die dem Vermieterpfandrecht unterliegen, nach § 366 Abs. 1 BGB zu bestimmen, dass zunächst die Mietzinsforderungen des Vermieters getilgt werden sollen, die als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind, und sodann erst offene Mietzinsen und Insolvenzforderungen (siehe amtlicher Leitsatz). Nach Verwertung von Massegegenständen, die dem Vermieterpfandrecht unterlagen, kehrte der Insolvenzverwalter, jedenfalls vor der angekündigten Zustellung des für vollstreckbar erklärten erstinstanzlichen Urteils, den Erlös – abzüglich der Kostenpauschalen – an den Vermieter aus. Dabei erklärte er, dass der Erlös zunächst auf die im Jahr nach Eröffnung entstandenen Nebenkosten, sodann auf die Mietzinsansprüche zwischen Eröffnung und Beendigung des Mietvertrags jeweils monatlich rückwärts angerechnet werden, nicht jedoch zur Tilgung der Insolvenzforderungen des Vermieters verwendet werden sollte. 160 Die Entscheidung wird unter dem Gesichtspunkt problematisiert, ob das Tilgungsbestimmungsrecht aus § 366 BGB auf die Verwendung von Erlösen in der Insolvenz überhaupt anwendbar ist: x

Nach Auffassung des OLG Dresden wird das Tilgungsbestimmungsrecht des Insolvenzverwalters nicht ausgeschlossen. Zum einen verneine der BGH136) die dafür erforderliche Freiwilligkeit der Leistung nur innerhalb der Zwangsvollstreckung, nicht jedoch bei Kenntnis von angekündigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Zum anderen sei das Recht zur Tilgungsbestimmung nicht explizit durch die §§ 170, 171 InsO ausgeschlossen sei. Das alleinige Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 166 InsO sei kein Selbstzweck, sondern schaffe den Spielraum für die optimale Haftungsverwirklichung, die Ziel des Insolvenzverfahrens ist. Ohne ein Tilgungsbestimmungsrecht des Verwalters sei dies nicht möglich.

x

Zimmer137) leitet das Tilgungsbestimmungsrecht ebenfalls aus dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 166 InsO ab, nimmt aber nicht zu der von Lütcke138) aufgeworfenen Frage Stellung, ob Forderungen, die insolvenzrechtlich unterschiedliche Qualität haben (Insolvenzforderungen vs. Masseforderungen) einer Tilgungsbestimmung durch den Insolvenzverwalter zugänglich sind. Unter diesem Gesichtspunkt lehnt Lütcke139) die Entscheidung des OLG Dresden als unsystematisch, weil den insolvenzrechtlichen Verteilungsvorschriften widersprechend, ab.

161 Da das Urteil des OLG Dresden trotz zugelassener Revision rechtskräftig geworden ist, wird die Praxis die Entscheidung bis auf weiteres zu berücksichtigen haben. Ob man so ___________ 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139)

404

Rosenmüller, ZInsO 2012, 1110. Heyn, InsbürO 2012, 485. OLG Dresden, Urt. v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2012, 2266. BGH, Urt. v. 23.2.1999 – XI ZR 49/98, ZIP 1999, 550. Zimmer, ZInsO 2010, 1261. Lütcke, NZI 2012, 262. Lütcke, NZI 2012, 262.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

weit gehen muss wie Zimmer140), der aus der möglichen Besserstellung der Gesamtheit der Gläubiger auf eine insolvenzspezifische Pflicht zur Ausübung des Tilgungsbestimmungsrechts folgert, soll hier nicht weiter vertieft werden. Auch das OLG Dresden hat den von ihm entschiedenen Fall von der Konstellation im 162 Urteil des OLG Hamburg141) abgegrenzt. Nach der letztgenannten Entscheidung bleibt der Vermieter, der vor Eröffnung eine vertragsgemäße Mietsicherheit erhalten hat, in der Insolvenz des Mieters berechtigt zu bestimmen, ob diese zur Tilgung von Schulden des Mieters eingesetzt werden soll und ggf. für welche Schuld. 3.2

Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO

Will der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis kündigen, weil er das Grundstück in einem 163 späteren Zeitpunkt nicht mehr für die Betriebsfortführung benötigt, etwa weil im Wege der Sanierung der Betrieb verlegt wird, hat er ein Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Sätze 1, 3 InsO. Zu beachten ist, dass das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters dann nicht gegeben ist, 164 wenn der Vermieter bei Eröffnung des Verfahrens die vermieteten Räume dem Schuldner noch nicht überlassen hatte.142) Dies kann für die Fortführung und Sanierung des Schuldnerunternehmens ausnahmsweise dann von Bedeutung sein, wenn etwa der Schuldner bereits vor Eröffnung Mietverträge über Grundstücke, die für die Sanierung erforderlich sind, eingegangen war, von denen der Vermieter im Verfahren zurücktritt.143) 3.2.1 Kündigungsfrist max. drei Monate § 109 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO Der Regelungszweck des § 109 InsO liegt in der Begrenzung von Masseverbindlichkeiten 165 ohne gleichwertigen Vorteil der Masse und dient damit dem Ziel, die Masse nicht mit Miet- oder Pachtansprüchen zu belasten, wenn eine wirtschaftliche Nutzung des Objektes nicht mehr möglich ist. Die Gestaltungsrechte, die § 109 InsO dem Verwalter an die Hand gibt, vermeiden, dass das Dauerschuldverhältnis die Masse über die Kündigungsfrist hinaus belastet, ohne dass sie den Vertragsgegenstand angemessen nutzen oder überhaupt einen Gegenwert erlangen kann.144) Da der Verwalter das Datum der Vertragsbeendigung bestimmt, kann er das Schuldnerunternehmen bis zur Veräußerung oder Stilllegung in gemieteten Räumen fortführen, ohne bei längerer Vertragslaufzeit für die Zukunft vor der Alles- oder Nichts-Entscheidung des § 103 InsO zu stehen.145) 3.2.2 Schadensersatzanspruch des Vermieters (nur) Insolvenzforderung § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO Hat der Verwalter das Mietverhältnis nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO gekündigt, so kann 166 der Vermieter wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses lediglich als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen. Demzufolge ist eine Schadensersatzforderung ausgeschlossen, falls der Schuldner mit derselben Frist hätte kündigen können.146) Es handelt sich um eine bloße Differenzforderung, nicht um einen echten Anspruch auf Schadensersatz. Der Vermieter kann also im Höchstfalle die Insolvenzquote auf denjenigen ___________ 140) Zimmer, ZInsO 2010, 1261. 141) OLG Hamburg, Urt. v. 24.4.2008 – 4 U 152/07, ZMR 2008, 714, dazu EWiR 2008, 567 (Schoppe). 142) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 103 Rz. 5; BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, ZIP 2007, 2087. 143) Wegener in: FK-InsO, § 109 Rz. 23. 144) Kübler/Prütting/Bork–Tintelnot, InsO, § 109 Rz. 4. 145) Kübler/Prütting/Bork–Tintelnot, InsO, § 109 Rz. 9. 146) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 109 Rz. 48.

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405

§ 13

Teil III Einzelfragen

Mietbetrag verlangen, den er außerinsolvenzlich vom Schuldner bis zu dessen erster Kündigungsmöglichkeit erhalten hätte.147) 3.3

Nutzungsüberlassung durch den nicht unwesentlich beteiligten Gesellschafter des Schuldners (mit Sonderfall Betriebsaufspaltung), § 135 Abs. 3 InsO

167 Einigkeit besteht zunächst über folgende Punkte: x

Vermietet der Gesellschafter sein ihm gehörendes Grundstück an die GmbH, an der er mit mehr als 10 % beteiligt ist, so ist die vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung gezahlte Miete gemäß § 135 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO bis ein Jahr vor Stellung des Insolvenzantrages anfechtbar. Denn i. H. der gezahlten Miete hat die Schuldnerin dem Gesellschafter Befriedigung gewährt. Bei pünktlicher Zahlung kann der Anfechtung nach § 130 InsO der Bargeschäftseinwand aus § 142 InsO entgegenstehen (sofern diese Privilegierung dem Gesellschafter als „Insider“ überhaupt zustehen kann148)). Trotzdem kann bei einem deutlich überhöhten Nutzungsentgelt noch eine Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in Betracht kommen.149)

x

Sind in der Zeit vor Insolvenzeröffnung dem Gesellschafter nach dem jeweiligen Nutzungsvertrag geschuldete Entgelte nicht ausgeglichen worden, kann der die Nutzung gewährende Gesellschafter diese Forderungen nur als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend machen. Die Nichteinziehung der geschuldeten Nutzungsentgelte durch den Gesellschafter ist eine Kreditierung der Entgeltforderung und entspricht damit wirtschaftlich einer Darlehensgewährung.150)

x

Gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 109 Abs. 1 Satz 1 InsO wird, wie dargelegt, das Nutzungsverhältnis über das Betriebsgrundstück von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht berührt, wenn auch der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ordentlich kündigen kann.

168 Es ist in diesem Zusammenhang nicht der Raum, auf die Einzelheiten des Meinungsstreites zur zutreffenden dogmatischen Einordnung von § 135 Abs. 3 InsO einzugehen.151) Im Falle der Nutzungsüberlassung durch den Gesellschafter werden in der Zeit nach Insolvenzeröffnung die Rechtsfolgen der §§ 108, 109 InsO durch § 135 Abs. 3 InsO in folgender Weise modifiziert: 3.3.1 Aussonderungssperre für ein Jahr 169 Der mit mehr als der Kleinbeteiligung gemäß § 39 Abs. 5 InsO beteiligte Gesellschafter darf seinen Aussonderungsanspruch für ein Jahr nicht geltend machen, wenn das Grundstück – wie im Falle der Betriebsfortführung regelmäßig – für die Unternehmensfortführung von erheblicher Bedeutung ist. Bezüglich des maßgeblichen Zeitpunktes für den Beginn des Berechnungszeitraumes besteht – soweit ersichtlich – die ganz h. M.,152) dass hierfür der Tag der Insolvenzantragstellung maßgeblich ist. Zwar normiert das Gesetz ___________ 147) 148) 149) 150)

Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 109 Rz. 49. Insoweit kritisch Hirte, ZInsO 2008, 689, 694 mit Verweis auf Haas, ZInsO 2007, 617, 624. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Gehrlein, FA InsR, § 135 Rz. 23. A. A. jedoch OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885: kein Nachrang mangels Rechtshandlung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspricht. 151) Für die Konstituierung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses: Ahrens/Gehrlein/RingstmeierGehrlein, FA InsR, § 135 Rz. 23. 152) Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 135 Rz. 16; Schröder in: HambKomm-InsO, § 135 Rz. 70; UhlenbruckHirte, InsO, § 135 Rz. 23; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 330.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

stattdessen den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch wird dies allgemein als redaktionelles Versehen angesehen, das im Wege teleologischer Reduktion zu korrigieren ist, da der die Nutzung überlassende Gesellschafter keinen Einfluss mehr darauf hat, in welchem Umfang der Insolvenzschuldner nach Antragstellung und – wie im Falle der Betriebsfortführung ganz überwiegend anzunehmen – der vorläufige Insolvenzverwalter seine Befugnisse oder seine Zustimmungsvorbehalte ausüben wird. 3.3.2 Entschädigung statt Pflicht zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung Ungeachtet der Frage, ob es nach der Insolvenzrechtsreform durch das MoMiG noch eine 170 Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters gibt153) und der Gesellschafter deshalb nicht mehr verpflichtet ist, der Gesellschaft sein Grundstück unentgeltlich zu überlassen, versagt § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO dem Gesellschafter die Geltendmachung seines Aussonderungsanspruches. Er wird dadurch gezwungen, das Betriebsgrundstück dem Insolvenzverwalter zur Fortführung des Unternehmens zu überlassen. Als Ausgleich dafür gesteht § 135 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 InsO dem Gesellschafter einen Entschädigungsanspruch zu, der dem Grunde nach Masseforderung ist. 3.3.3 Berechnung der Höhe der Entschädigung/Nichtberücksichtigung anfechtbar erlangter Beträge Der als Ausgleich für die Pflicht zur Nutzungsüberlassung an den Gesellschafter zu zahlende 171 Betrag richtet sich im Ausgangspunkt nach den Konditionen des vorinsolvenzlich geschlossenen Vertrages.154) Bei der Durchschnittsberechnung wird sodann auf die tatsächlich gezahlte Vergütung 172 abgestellt; die nicht ernstlich eingeforderten Vergütungen bleiben außen vor. Von den tatsächlich geleisteten Entgelten sind sodann solche Zahlungen abzuziehen, die 173 der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter unterliegen. Das Durchschnittsentgelt soll nur aus den Beträgen gebildet werden, die der Gesellschafter des Schuldners trotz der Insolvenz auf Dauer behalten darf.155) Hirte156) vergleicht die Regelung mit einer Rückschlagsperre (§ 88 InsO) unter umgekehrten Vorzeichen: So wie dort in kritischer Zeit erlangte Sicherheiten unwirksam würden, würden hier Ansprüche für undurchsetzbar erklärt, weil sie schon in der kritischen Zeit nicht wirklich durchgeführt worden seien. IV.

Exit-Strategien des Insolvenzverwalters

Die Sicherung und Erhaltung des Grundstücks ist kein Selbstzweck. Der Insolvenzver- 174 walter hat gemäß § 159 InsO eine Verwertungspflicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger. Dabei hat er neben der Verwertungsmöglichkeit durch Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, die in § 165 InsO vorgesehen sind, das sich aus §§ 159, 160 Abs. 2 Nr. 1, 164 InsO ergebende157) Recht, Grundvermögen zu veräußern, auch wenn es mit Absonderungsrechten belastet ist.158) Im Falle der Zwangsversteigerung ermittelt das Vollstreckungsgericht die für das geringste 175 Gebot maßgeblichen Ansprüche der absonderungsberechtigten Gläubiger und führt an___________ 153) 154) 155) 156) 157) 158)

Kritisch hierzu: Hölzle, ZIP 2009, 1939. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Gehrlein, FA InsR, § 135 Rz. 23. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Gehrlein, FA InsR, § 135 Rz. 23. Hirte, ZInsO 2008, 689, 693 f. Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M Rz. 9. Büchler, ZInsO 2011, 719; Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 178 ff.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

schließend die Erlösverteilung durch. Da hingegen bei der freihändigen Veräußerung alle eingetragenen dinglichen Rechte am Grundstück bestehen bleiben und hinsichtlich der nicht eingetragenen dinglichen Verbindlichkeiten des Grundstücks kein gutgläubig lastenfreier Erwerb möglich ist, muss der Insolvenzverwalter selbst die dinglich berechtigten Anspruchsinhaber ermitteln und dafür sorgen, dass sie auf ihre Rechte am Grundstück verzichten.159) 1.

Grundstück als Teil eines Asset Deals – Verwertung des (grundpfandrechtlich belasteten) Grundstücks durch den Insolvenzverwalter

1.1

Verhandlungen mit Interessenten für den Geschäftsbetrieb

176 Im Falle der erfolgreichen Betriebsfortführung steht die Planbestätigung oder Verwertung des Geschäftsbetriebs als Ganzes im Vordergrund, für dessen Aufrechterhaltung der Schuldner oder der Erwerber in aller Regel das Grundstück ebenfalls benötigen wird. 1.2

Ermittlung des Kaufpreisanteils auf Grundlage des Verkehrswertes

177 Unterschiedliche Interessen ergeben sich vor allem, wenn das isoliert bewertete Grundstück einen deutlich höheren Verkehrswert hat als es seinem Anteil i. R. des Geschäftsbetriebsverkaufs entspricht, weil dieser vornehmlich nach dem Ertragswert des Gesamtunternehmens berechnet wird, während sich der Verkehrswert des Grundstücks aus dessen Ertragsmöglichkeiten ergibt. Fallbeispiel Die gute Verkäuflichkeit des Geschäftsbetriebs als Ganzes kann sich daraus ergeben, dass das Unternehmen sein eigenes Grundstück nutzen kann: Da das Grundstück nicht abgeschrieben wird, fallen ergebniswirksame Abschreibungen nur hinsichtlich der aufstehenden Gebäude an. Je geringer Grundstück und Gebäude bewertet werden, desto geringer ist der Aufwand, was die Ertragsaussichten des Unternehmens verbessert und damit den Kaufpreis für die zu verkaufende Gesamtheit der Vermögensgegenstände erhöht. Ist dagegen bei Vermietung an ein anderes, solventeres Unternehmen eine höhere als die fiktive Miete zu erzielen, erhöht dies den Verkehrswert des Grundstücks. Der Grundpfandrechtsgläubiger kann dann versucht sein, seine Zustimmung zum Verkauf i. R. des Asset Deals zu verweigern und eine isolierte Verwertung des Grundstücks zu betreiben. 178 Gegen einen etwaigen Zwangsversteigerungsantrag des Grundpfandrechtsgläubigers kann der Insolvenzverwalter jedoch einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 30d Abs. 1 Nr. 2 ZVG stellen, wenn das Grundstück für die Fortführung des schuldnerischen Betriebs benötigt wird (siehe oben Rz. 150 ff.). 1.3

Abschluss einer Verwertungsvereinbarung mit dem/den Absonderungsberechtigten

179 Sind sich Insolvenzverwalter und Grundpfandrechtsgläubiger grundsätzlich darüber einig, dass der Insolvenzverwalter das belastete Grundstück freihändig (mit-)veräußern soll, muss darüber eine Vereinbarung geschlossen werden, die im wesentlichen folgende Punkte enthalten sollte:160) x

Angabe der Grundpfandrechte des gesicherten Gläubigers sowie der Höhe der gesicherten Forderungen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens;

___________ 159) Büchler, ZInsO 2011, 718, 720. 160) Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 180.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

x

Vereinbarung von Mindesterlösen und ggf. Regelung eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Grundpfandrechtsgläubigers;

x

Regelung der Höhe der Beiträge zugunsten der Insolvenzmasse;

x

Regelungen bezüglich der Ablösung dritter (nachrangiger) Grundpfandrechtsgläubiger und etwaiger weiterer Absonderungsberechtigter, deren Rechte nicht im Grundbuch eingetragen sind (Höhe der „Lästigkeitsprämie“);

x

Regelung für den Fall einer Rückabwicklung des Kaufvertrages (Herausgabe des Geldes, Wiederbestellung des Grundpfandrechts) und für den Fall der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen

x

Vereinbarung über die Kostentragung für zwischenzeitliche Unterhaltung der Immobilie (Grundsteuern, Bewachungskosten, für die Beseitigung von Umweltaltlasten entstehende Kosten u. a.);

x

Vereinbarung über die Tragung der bei der Veräußerung bzw. Lastenfreistellung anfallenden Kosten (Notar, Makler);

x

Regelung der Zahlung von Umsatzsteuer;161)

x

Abwicklung der Pfandfreigabe und der Verrechnung des Verwertungserlöses.

Büchler162) weist auf das Bedürfnis eines Vorbehalts zur Regulierung etwaig nicht berück- 180 sichtigter Absonderungsberechtigter in der Verwertungsvereinbarung hin. In einem der vom BGH entschiedenen Fälle hatte der Insolvenzverwalter bei der Veräußerung eines Grundstücks rückständige Grundsteuerforderungen der Gemeinde nicht berücksichtigt,163) in einem anderen Falle hatte er ein Erbbaurecht veräußert, für das noch offene Erbbauzinsen bestanden.164) Beiden Belastungen ist gemeinsam, dass sie aus dem Grundbuch nicht ersichtlich sind, das 181 Grundstück aber gleichwohl für sie haftet. Der BGH165) hat entschieden, dass der Befriedigungsfehler nicht durch eine dingliche Surrogation (Ersatzaussonderungsrecht) am Veräußerungserlös berichtigt wird, wie es die Kläger geltend gemacht hatten, da dies einen Rechtsverlust voraussetzt. Dieser ist aber nicht eingetreten, da die Grundstücke mit den Rechten der Gläubiger belastet bleiben. Die Absonderungsberechtigten können mithin weiterhin Befriedigung aus dem Grundstück suchen, weshalb in aller Regel der Grundstückserwerber zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Zahlung auf die Rechte leisten wird. Hat der Insolvenzverwalter – wie üblich – mit dem Versprechen der Lastenfreiheit verkauft, 182 kann der Erwerber seine Regressforderung im Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeit geltend machen. Führt dies zwar nicht zu einer Schlechterstellung des Käufers, steht gleichwohl die Masse schlechter, da der Insolvenzverwalter die Zahlungen an den Erwerber nicht ohne weiteres als Verminderung des vereinnahmten Erlöses an die absonderungsberechtigten Gläubiger weiterbelasten kann. Hier ist die Aufnahme eines Vorbehalts in die Verwertungsvereinbarung angezeigt.

___________ 161) 162) 163) 164) 165)

Klenk/Kronthaler: NZI 2006, 369. Büchler, ZInsO 2011, 718, 720. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994. BGH, Urt. v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZIP 2010, 791. BGH, Urt. v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZIP 2010, 791.

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§ 13

Teil III Einzelfragen

1.3.1 Einigung über Erlösanteil 183 Bei wertausschöpfender oder den Kaufpreisanteil übersteigender Belastung des Grundstücks muss der Insolvenzverwalter eine Einigung der absonderungsberechtigten Gläubiger untereinander herbeiführen, da er andernfalls nicht lastenfrei verkaufen kann. 1.3.2 Einigung über Massebeitrag (Vereinbarung erforderlich, da gesetzliche Regelung fehlt) 184 Daneben ist es erforderlich, dass sich der Insolvenzverwalter mit den Absonderungsberechtigten über den Erlösanteil zugunsten der Masse einigt. § 10 ZVG sieht – anders als § 171 InsO für die Verwertung beweglicher Gegenstände durch den Insolvenzverwalter – keinen gesetzlichen Anspruch der Masse auf einen Erlösanteil durch pauschalierte Feststellungs- und Verwertungskosten vor. Ist das Grundstück wertausschöpfend belastet, würde allein nach der gesetzlichen Regelung in § 49 InsO der gesamte Erlös an den bzw. die zur abgesonderten Befriedigung hieraus Berechtigten fließen; die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger hätte hiervon keinen Vorteil. Der Insolvenzverwalter muss deshalb bei der freihändigen Verwertung des Grundstücks dafür Sorge tragen, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger der Insolvenzmasse einen Anteil am Erlös zugesteht. 185 Die Höhe des Erlösanteils der Masse ist reine Verhandlungssache. Weder ist der Gläubiger verpflichtet, der Masse einen Beitrag zu versprechen, noch ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, an einer freihändigen Verwertung mitzuwirken, die die Masse nicht erhöht.166) 186 Der BFH167) ist der Ansicht, bei einer freihändigen Veräußerung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks führe der Insolvenzverwalter neben der Grundstückslieferung an den Erwerber eine sonstige entgeltliche Leistung an den Grundpfandrechtsgläubiger auf Grundlage eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages aus, weshalb der für die Masse einbehaltene Betrag als Entgelt für eine Leistung anzusehen sei. Er hat nunmehr in seinem Urteil vom 28.7.2011168) trotz der überzeugenden systematischen Gegenauffassung in der Literatur, wonach die Verwertungsleistung des Insolvenzverwalters nicht zu Gunsten des gesicherten Gläubigers, sondern zu Gunsten der Masse und damit der Gläubigergesamtheit erbracht wird169), seine Auffassung auf die gesetzlich geregelte Verwertungskostenpauschale bei der Veräußerung beweglicher Gegenstände mit Absonderungsrechten ausgedehnt und auch diese der Umsatzsteuerpflicht unterworfen.170) 1.3.3 Beteiligung etwaiger Nachranggläubiger nur aus dem Erlösanteil der vorrangigen Gläubiger; nicht(!) aus dem der Masse, sog. Schornsteinhypothek 187 Die, auf den Insolvenzverwalter gemäß § 80 InsO übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf das zur Insolvenzmasse gehörende Schuldnervermögen wird be___________ 166) Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M. Rz. 9; a. A. Knees, ZIP 2001, 1568, 1570, der sogar den vorläufigen Verwalter für verpflichtet hält, an einer vom Grundpfandrechtsgläubiger initiierten freihändigen Verwertung mitzuwirken, und in der Differenz zu einem etwaigen geringeren Erlös in der Zwangsversteigerung einen ersatzfähigen Schaden sieht, für den der (vorläufige) Insolvenzverwalter einzustehen habe. Dies Argument verfängt nicht, da jedenfalls im eröffneten Verfahren der Insolvenzverwalter als Veräußerer auftritt und damit die Masse für etwaige Gewährleistungsansprüche einzustehen hat. Vermittelnd argumentieren Lwowski/Tetzlaff (in: MünchKomm-InsO, § 165 Rz. 179), dass eine garantiemäßig unterlegte Freistellungsverpflichtung durch den Grundpfandrechtsgläubiger dem Insolvenzverwalter das Recht nehme, die Mitwirkung zu verweigern. 167) BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119. 168) BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, DStRE 2011, 1853 = ZIP 2011, 1923. 169) Vgl. Ganter/Brünink, NZI 2006, 257 m. umfangreichem Nachweisen in Fn. 21 ff. 170) Zu den sanierungsfeindlichen Auswirkungen dieser Rechtsprechung vgl. Berliner Erklärung zu Sanierung und Insolvenz v. 5.10.2011, ZInsO 2011, 2077.

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Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

stimmt und ist begrenzt durch den Insolvenzzweck.171) Dies ist der tragende Grund für die Entscheidung des BGH172), in der dieser die Zahlung von Lästigkeitsprämien an nachrangige Grundpfandrechtsgläubiger zwar nicht schlechthin als insolvenzzweckwidrig angesehen hat, dies jedoch für die Fälle bejaht, in denen das nachrangige Recht tatsächlich wertlos ist.173) Zulässig ist es hingegen, wenn i. R. der Verwertungsvereinbarung der vorrangige Grund- 188 pfandrechtsgläubiger es übernimmt, dem Nachrangigen eine Lästigkeitsprämie aus dem auf ihn entfallenden Erlösanteil zu bezahlen, da hierdurch nichts aus der Masse weggegeben wird. 2.

Grundstück als Teil eines Share Deals (bei Insolvenzplan-Regelung im gestaltenden Teil)

Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger des schuldnerischen Unternehmens selbst 189 durch finanzielle und leistungswirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen saniert werden.174) Zwar steht als gleichrangige Verwertungsart neben Liquidation oder Sanierung (durch Insol- 190 venzplan) auch die übertragende Sanierung auf Grundlage eines Insolvenzplanes.175) Allerdings wird diese meist i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens durchgeführt, wie bereits dargestellt. Im gestaltenden Teil gemäß § 221 InsO wird festgelegt, wie in die Rechte der Beteiligten 191 gemäß § 222 Abs. 1 InsO (absonderungsberechtigte Gläubiger, Insolvenzgläubiger und Anteilsinhaber sowie der Schuldner) eingegriffen wird, um den Rechtsträger zu sanieren.176) Soweit der Plan keine anderweitige Regelung trifft, wird gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger zur Befriedigung aus den absonderungsverhafteten Gegenständen nicht berührt. In diesen Fällen sind die absonderungsberechtigten Gläubiger befugt, nach den gesetzlichen Regelungen Befriedigung aus den (absonderungsbehafteten) Gegenständen zu suchen.177) Der Immobiliarsicherungsgläubiger bleibt damit befugt, das Zwangsversteigerungs- und/oder Zwangsverwaltungsverfahren zu betreiben. Ist eine Immobilie betriebsnotwendig, kann das Fehlen einer abweichenden Regelung den Insolvenzplan insgesamt gefährden. Eingriffe in das Recht der Immobiliarsicherungsgläubiger können etwa sein: x x x x x x

der Verzicht (Kürzung), das Hinausschieben der Verwertung einer Sicherheit, der Austausch von Sicherheiten, der Zinsverzicht, der Verzicht auf Wertverlust oder aber die sogleich vollständige (hierzu nachfolgend Rz. 192 f.) oder sukzessive (hierzu nachfolgend Rz. 194) Ablösung der Absonderungsrechte sowie eine Umwandlung der Sicherheiten in Eigenkapital gegen Gewährung von Anteilen am Schuldner (hierzu nachfolgend Rz. 195 ff.)

___________ 171) Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. M Rz. 2. 172) BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. 173) Kritisch zu den praktischen Auswirkungen Frege/Keller, NZI 2009, 11, die die Zahlung einer Lästigkeitsprämie aus der Insolvenzmasse als oftmals einzige Möglichkeit ansehen, überhaupt einen freihändigen Verkauf zeitnah zu bewerkstelligen, was unter dem Strich immer noch ein besseres Ergebnis für die Masse erbringe als die Durchführung der Zwangsversteigerung. 174) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 223 Rz. 2. 175) Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. 2 Rz. 93. 176) Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. 2 Rz. 104. 177) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 223 Rz. 1 - 4

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§ 13 2.1

Teil III Einzelfragen Ablösung des Verkehrswertes durch einen Teil der Einlage des Investors

192 Wird in die Rechte der Absonderungsgläubiger eingegriffen, ist für diese (mindestens) eine eigene Gruppe zu bilden, § 223 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Diese Gruppe muss dem Insolvenzplan als Voraussetzung für dessen Annahme gemäß § 244 Abs. 1 InsO zustimmen, es sei denn, die Zustimmung gilt unter den Voraussetzungen des § 245 InsO als erteilt. Wesentlich für die Zustimmung des Absonderungsgläubigers zum Insolvenzplan ist die Bewertung seiner Sicherheit und damit auch der Immobilie. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Grundpfandrechte abgelöst werden sollen. 193 Eine Höchstgrenze des fiktiven Wertes für die Sicherheit dürfte im Fortführungswert des Grundstücks liegen. Sieht der Plan gleichwohl einen höheren Wert vor, um die Zustimmung des solchermaßen begünstigten Absonderungsberechtigten zu erlangen, stellt dies eine Zusage dar, die nicht in der Person oder der Rechtsposition des Gläubigers liegt.178) 2.2

Alternativ: Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen

194 Alternativ zur sofortigen Einmalzahlung kann der Insolvenzplan auch die Ablösung der Grundpfandrechte aus künftigen Erträgen regeln. Dies setzt voraus, dass der Grundpfandrechtsgläubiger hinreichendes Vertrauen in das Fortführungskonzept des Unternehmens hat. Vorteilhaft ist für ihn, dass seine Sicherheit mit dem Fortführungswert bemessen wird und sich hieran die weitere Kreditierung orientiert.179) Bei übertragender Sanierung, Einzelverwertung oder Zwangsversteigerung wird dieser Wert regelmäßig nicht erreicht. Zins und Tilgung müssen sich allerdings, um den Schuldner nicht zu überfordern, an der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Schuldners des insolventen Unternehmens nach erfolgter Sanierung orientieren. 2.3

Debt-Equity-Swap nach § 225a InsO: Sacheinlage der Forderung gegen Anteile am Schuldner (ESUG)

195 Für Absonderungsrechtsgläubiger ist nunmehr das durch das ESUG in § 225a Abs. 2 InsO ausdrücklich geregelte „debt equity swap“-Verfahren – auch gegen den Willen der Gesellschafter – denkbar, also die Umwandlung einer einzulegenden Gläubigerforderung in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Insolvenzschuldner.180) 196 Der Gläubiger legt bei diesem Verfahren eine Forderung ein und überträgt das zu deren Sicherung bestellte Grundpfandrecht auf den Schuldner, an dem er im Gegenzug gesellschaftsrechtlich beteiligt wird. Die Fremdgrundschuld wird damit zur Eigentümergrundschuld, §§ 1192, 1196 BGB. Etwaige Grundbucherklärungen können im gestaltenden Teil des Insolvenzplans abgegeben werden und erlangen Wirksamkeit mit gerichtlicher Bestätigung des Plans, wobei die Rechtsänderung erst mit Eintragung im Grundbuch eintritt.181) 197 Unter der Voraussetzung, dass der dem Absonderungsrecht unterliegende Vermögensgegenstand sacheinlagefähig ist, besteht damit jedenfalls grundsätzlich die Möglichkeit, den Absonderungsberechtigten im Umfang des Werts des Absonderungsrechts am Kapital der Gesellschaft zu beteiligen. ___________ 178) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, FA InsR, § 223 Rz. 4 a. E. Ein Verstoß gegen § 226 Abs. 3 InsO, der als Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB ausgestaltet ist und damit zur Nichtigkeit führt, ist hingegen zweifelhaft, da § 226 Abs. 3 InsO eine im Insolvenzplan nicht offengelegte Abrede voraussetzt, vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 13, 14. 179) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier-Silcher, FA InsR, § 223 Rz. 3. 180) Nerlich/Römermann-Braun, InsO, § 223 Rz. 21 f. 181) Nerlich/Kreplin-Nerlich, MAH Sanierung und Insolvenz, § 24 Kap. IV. Rz. 108.

412

Schorisch/Cornelius

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung 3.

Die Freigabe des Grundstücks

3.1

Zweck und Wirkung der Freigabe

§ 13

Schließlich ist in der Betriebsfortführung die Konstellation denkbar, dass ein einzelnes 198 Grundstück für die Fortführung nicht allein entbehrlich ist, sondern zudem das Risiko in sich trägt, die Masse mit zusätzlichen vermeidbaren Kosten zu belasten, etwa weil sich nachträglich ergibt, dass Altlasten vorliegen. Hier ist der Insolvenzverwalter zur Masseschonung verpflichtet,182) das Grundstück freizugeben: x

Erklärt der Insolvenzverwalter die Freigabe eines zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögenswertes, scheidet dieser aus dem Insolvenzbeschlag aus.183)

x

Die Freigabe hat konstitutive Wirkung, weil sie den unter Beschlag stehenden Vermögensgegenstand verfahrensrechtlich aus dem zugunsten der Gläubiger bestehenden Haftungsverband entlässt.184)

x

Zur Freigabe befugt ist nur der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren.185)

Zwar hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbe- 199 fugnis übergegangen ist, nach §§ 22 Abs. 1, 24 InsO im Außenverhältnis grundsätzlich dieselben Rechte wie ein endgültiger Insolvenzverwalter gemäß §§ 80 ff. InsO, dessen Rechtshandlungen im Außenverhältnis voll wirksam sind, weshalb eine Freigabe durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter gleichermaßen möglich erscheint. Allerdings gibt es im Insolvenzeröffnungsverfahren noch keine Insolvenzmasse, so dass einer Überführung des Vermögensgegenstandes in das „insolvenzfreie Vermögen“ des Schuldners zum einen rechtsdogmatische Erwägungen entgegenstehen, zum anderen der verfahrensrechtliche Aspekt, dass im Falle der späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Vermögensgegenstand ohnehin vom Insolvenzverwalter wieder nach § 148 Abs. 1 InsO in Besitz zu nehmen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH186), des BVerwG187) und der h. M. in der Litera- 200 tur188) ist die Freigabe auch gegenüber juristischen Person oder einer anderen insolvenzfähigen Personenvereinigung i. S. von § 11 InsO möglich.189) 3.2

Form der Freigabe

Die Freigabeerklärung ist auf Änderung der haftungsrechtlichen Zuordnung des freizu- 201 gebenden Gegenstandes gerichtet.190) Sie ist deshalb eine einseitige, empfangsbedürftige ___________ 182) 183) 184) 185) 186) 187) 188) 189)

190)

Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D. IV. Rz. 4. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 6; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 305. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 35 Rz. 24. Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D. IV. Rz. 18 m. w. N.; a. A. Braun-Bäuerle, InsO § 35 Rz. 10. BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034; BGH, Urt. v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.3, ZIP 2004, 2145. A. A. jedoch Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 35 Rz. 21. Obwohl die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft nach der Regel zu deren Vollabwicklung führt, kann sie trotzdem insolvenzfreies Vermögen haben. Diese Gesellschaften werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar aufgelöst. Daran schließt sich jedoch die Liquidation an. Erst nach Verteilung des gesamten Vermögens tritt die Vollbeendigung ein. Von daher kann Vermögen, das für das Insolvenzverfahren ohne Bedeutung ist, auch hier freigegeben werden (Reul/Heckschen/Wienberg-Wienberg, Kap. D III. Rz. 16). Es ist zudem mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, die verteilungsfähige Masse zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewirken, (Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 72). Eickmann in: HK-InsO, § 35 Rz. 42.

Schorisch/Cornelius

413

§ 13

Teil III Einzelfragen

Willenserklärung ohne materiell-rechtlichen Gehalt.191) Als verfahrensrechtliche Erklärung ist die Freigabe aus Gründen der Rechtssicherheit unwiderruflich, wegen Irrtums nach § 119 BGB nicht anfechtbar und kann nicht unter einen Vorbehalt gestellt werden.192) Erklärungsempfänger ist der vormals Verfügungsbefugte.193) 3.3

Insbesondere: Altlasten

202 Von praktischer Bedeutung ist die Freigabe für den Insolvenzverwalter, wenn sich auf einem Betriebsgrundstück gesundheits- oder umweltgefährdende Altlasten (Schadstoffanreicherungen in Boden oder Grundwasser) befinden, da die Inanspruchnahme der Masse für die Kosten der Ersatzvornahme der Beseitigung der Altlasten drohen kann. 203 Zu unterscheiden ist zunächst, ob der Insolvenzverwalter aufgrund eigenen Handelns oder pflichtwidrigen Unterlassens nach vorangegangener konkretisierender Beseitigungsverfügung (Grundbescheid) der Ordnungsbehörde als Verhaltensstörer (i. S. des Ordnungsrechts) anzusehen ist, oder ob er Adressat einer Beseitigungspflicht lediglich aufgrund der – für ihn verpflichtenden – Inbesitznahme der Massegegenstände nach § 148 InsO ist. Während bspw. § 3 Abs. 5 KrW-/AbfG an ein Verhalten des Pflichtigen anknüpft, die eine Verantwortlichkeit nur des tatsächlich Handelnden begründen kann,194) setzt § 4 BBodSchG für eine Beseitigungspflicht aus Zustandsstörerhaftung lediglich das Innehaben der tatsächlichen Gewalt voraus. 204 Während der BGH195) die bloße Inbesitznahme als noch nicht haftungsbegründend angesehen hat, ist diese nach der Rechtsprechung des BVerwG196) ausreichend zur Begründung einer persönlichen Sanierungspflicht des Insolvenzverwalters. 205 Einigkeit besteht aber zwischen beiden Gerichtszweigen darüber, dass der Insolvenzverwalter die Entstehung von Masseverbindlichkeiten durch Freigabe des störenden Grundstücks vermeiden kann, auch wenn damit die Beseitigungskosten der Allgemeinheit „aufgebürdet“ werden.197) 206 Demzufolge kann der Verwalter umgekehrt die Insolvenzmasse nicht durch Freigabe des Grundstücks schonen, wenn er durch sein Verhalten (Fortführung des Betriebs) in die (fortbestehende) Beseitigungspflicht des Schuldners „eingetreten“ ist und dieser nicht nachkommt. Immerhin sehen einzelne Instanzgerichte198) bloße Wartungsarbeiten, Funktionsprüfungen und Probeläufe noch nicht als ausreichend für ein „Betreiben“ einer Anlage an. 207 Kritik: Letztlich führen beide Störer-Konstellationen zu einer Bevorrechtigung der öffentlichen Hand „durch die Hintertür“, denn aus insolvenzrechtlicher Sicht soll eine Pflicht erfüllt werden, die auch schon vor Verfahrenseröffnung bestanden hat und deshalb

___________ 191) 192) 193) 194) 195)

Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 35 Rz. 27. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 6. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 10. BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.3, ZIP 2004, 1766. BGH, Urt. v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NJW 2001, 2966 = ZIP 2001, 1469; BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, NJW-RR 2002, 1198 = ZIP 2002, 1043. 196) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145. 197) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145. 198) OVG Münster v. 1.6.2006 – 8 A 4495/04, n. v., zit. nach Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 32 a. E.

414

Schorisch/Cornelius

Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung

§ 13

Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO ist.199) Lediglich im Falle der Inanspruchnahme als Zustandsstörer kann die insolvenzrechtlich zutreffende Rechtslage durch Freigabe des Grundstücks wiederhergestellt werden. 3.4

Spätestmöglicher Zeitpunkt der Freigabe

Eine latente Beseitigungspflicht führt nicht zur etwaigen Haftung. Vielmehr muss die Be- 208 seitigungspflicht durch Ordnungsverfügung konkretisiert worden sein. Eine Freigabe zur Vermeidung von „Masseverbindlichkeiten“ i. S. der Rechtsprechung des BVerwG ist möglich, solange der erlassene Ordnungsbescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist.200) Der Insolvenzverwalter kann jedenfalls keine Masseverbindlichkeiten aus Räumungskosten 209 vermeiden, wenn er das Grundstück erst freigibt, nachdem er rechtskräftig zur Räumung verurteilt worden ist.201)

___________ 199) Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 32 a. E.; AG Essen, Beschl. v. 4.4.2001 – 160 IN 49/00, ZIP 2001, 756: Ersatzvornahmekosten für die Beseitigung von bereits aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung herrührenden Altlasten sind keine Masseverbindlichkeiten, sondern einfache Insolvenzforderungen. Durch die Neuregelung der Masseverbindlichkeiten in § 55 InsO sollen lediglich diejenigen Kosten und Verbindlichkeiten privilegiert werden, die notwendigerweise entstehen, bevor der Verfahrenszweck der Verteilung des Schuldnervermögens an die Gläubiger erreicht werden kann. 200) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 102 m. w. N. 201) BGH, Urt. v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583.

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§ 14 Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren ............ 5 1. Die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts .............................. 5 2. Der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots ....................................... 9 3. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei Beantragung einer Eigenverwaltung......................................... 10 4. Die Voraussetzungen einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ................ 11 4.1 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung nach herkömmlichem Muster.............................................. 11 4.2 Sonderfall: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren .............................. 17 III. Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren................ 23 1. Die Freistellung von Arbeitnehmern........ 23 1.1 Zulässigkeit auf individualvertraglicher Ebene ......................... 23 1.2 Freistellung und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung...... 33 2. Rechtliche Voraussetzungen einer Änderung der Arbeitsbedingungen........... 36 3. Personalabbau innerhalb einer Betriebsfortführung ....................................... 42 3.1 Das Recht zur Beendigungskündigung........................................ 42 3.2 Einzelvertragliche, kollektivrechtliche und gesetzliche Formvorschriften............................ 44 3.3 Die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung .......... 46 3.3.1 Gesetzlicher Sonderkündigungsschutz............................................... 46 3.3.2 Die Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen ..................... 51 3.3.3 Befristete oder auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse ......................... 53

3.3.4 Vereinbarter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts..... 54 3.3.5 Tariflicher Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung .......... 55 3.4 Kündigungsfristen und -termine in der Insolvenz............................... 56 3.4.1 Gesetzliche Regelungen ................. 56 3.4.2 Einzelvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen und -termine........................ 58 3.5 Die Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter.......................... 59 3.6 Ersatz des „Verfrühungsschadens“......................................... 62 3.7 Die betriebsbedingte Beendigungskündigung .................. 64 3.7.1 Dringende betriebliche Erfordernisse................................... 65 3.7.2 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung im Insolvenzverfahren ......................... 72 3.7.2.1 Allgemeine Grundsätze ............ 72 3.7.2.2 Die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur .... 82 3.7.2.3 Die Leistungsträgerregelung..... 85 3.7.3 Die Anhörung des Betriebsrats...... 86 3.7.4 Beurteilungszeitpunkt, Darlegungs- und Beweislast ........... 88 3.8 Der Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Insolvenz.......... 91 3.8.1 Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs........................... 95 3.8.2 Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs......................................... 99 3.8.2.1 Das Kündigungsverbot gemäß § 613a Abs. 4 BGB .................... 99 3.8.2.2 Die Haftungsprivilegierung des Erwerbers .......................... 103 3.8.2.3 Informationspflichten und Widerspruch des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 5 und 6 BGB ........ 107 3.9 Das Verfahren bei Massenentlassungen ....................................... 115

Literatur: Annuß, Der Vorrang der Änderungs- vor der Beendigungskündigung, NZA 2005, 443; Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, 2005; Annuß/Stamer, Die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Erwerberkonzept, NZA 2003, 1237; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, 2011; Ascheid, Beschäftigungsförderung durch Einbeziehung kollektivvertraglicher Regelungen in das Kündigungsschutzgesetz, RdA 1997, 333; Ascheid, Die betriebsbedingte Kündigung – § 1 KSchG – § 54 AGB-DDR – § 613a IV 2 BGB, NZA 1991, 873; Bayreuther,

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§ 14

Teil III Einzelfragen

Sanierungs- und Insolvenzklauseln im Arbeitsverhältnis, ZIP 2008, 573; Berscheid, Vorschläge zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften der Insolvenzordnung, ZInsO 2001, 64; Berscheid, Ausgewählte arbeitsrechtliche Probleme im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2000, 1; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, 1999; Berscheid, Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach § 113 (Teil I), ZInsO 1998, 115; Berkowsky, Das neue Insolvenz-Kündigungsrecht, NZI 1999, 129; Bertram, Die Kündigung durch den Insolvenzverwalter, NZI 2001, 625; Boemke, Schwerbehinderung und Namensliste in der Insolvenz, NZI, 2005, 209; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997; Buchalik, Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO (incl. Musteranträge), ZInsO 2012, 349; Bütefisch, Die Sozialauswahl, 2000; Däubler/Hjort/Schubert/Wollmerath, Arbeitsrecht, 2013; Düwell, Änderungs- und Beendigungskündigungen nach dem neuen Insolvenzrecht, in: Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., 2000, S. 1433; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, Bd. 2, 2012; Gaul/Bonanni, Änderungen der Gewerbeordnung – Gesetzliche Niederlegung allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsätze, ArbRB 2002, 234; Gaul/Bonanni/Naumann, Betriebsübergang: Neues zur betriebsbedingten Kündigung aufgrund Erwerberkonzepts, DB 2003, 1902; Henkel, Zur Anwendbarkeit von § 113 InsO bei Neu-Einstellungen durch den Insolvenzverwalter, ZIP 2008, 1265; Henckel, Die Anpassung des Rechts der Betriebsübernahme (§ 613a BGB) an die Insolvenzsituation de lege lata und de lege ferenda, ZGR 1984, 225; Krieger/Willemsen, Der Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang, NZA 2011, 1128; Lauer, Die Gratwanderung bei der Freistellung von Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren, ZIP 2006, 983; Leithaus, Zur „Nachkündigung“ nach § 113 InsO und zur Anfechtungsproblematik bei Kündigungen von Arbeitsverhältnissen im Vorfeld eines Insolvenzantrags, NZI 1999, 254; Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989; Lembke, Besonderheiten beim Betriebsübergang in der Insolvenz, BB 2007, 1333; Lipinski, Reichweite der Kündigungskontrolle durch § 613a IV Satz 1 BGB, NZA 2002, 75; Meyer, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer vor Betriebsübergang, 2007; Mückl, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz – jetzt erst Recht ein Sanierungshindernis? ZIP 2012, 2373; Oetker, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes, ZIP 2000, 643; Opolony, Die Beendigung von Berufsausbildungsverhältnissen, BB 1999, 1706; Pils, Umgehung von § 613a BGB durch Einsatz einer Transfergesellschaft, NZA 2013, 125; Risse, Betriebswirtschaftliche Aspekte der Sanierung durch Unternehmensfortführung nach der Insolvenzordnung, KTS 1994, 465; Schubert, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz, ZIP 2002, 554; Schulte, Direktionsrecht à la § 106 GewO – mehr Rechtssicherheit? Neue Konturierung des Direktionsrechts, ArbRB 2003, 245; Schumacher-Mohr, Zulässigkeit einer betriebsbedingten Kündigung durch den Veräußerer bei Betriebsübergang, NZA 2004, 629; Sieger/Hasselbach, Veräußererkündigung mit Erwerberkonzept, DB 1999, 430; Simon/Greßlin, Eine Sorge weniger beim Personalabbau: Die Entlassungssperre hindert nicht den Ausspruch von Kündigungen, BB 2009, 727; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2010; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlaß des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Warbein, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB – ein Sanierungshindernis in der Insolvenz? DZWiR, 2006, 11; Willemsen, Aktuelles zum Betriebsübergang, NJW 2007, 2065.

I.

Einleitung

1 Ungeachtet der Tatsache, dass die Lohn- und Gehaltsforderungen der Arbeitnehmerschaft – statistisch gesehen – in der Mehrzahl der Insolvenzverfahren den geringsten Teil der betroffenen Forderungen ausmachen, steht dennoch regelmäßig die Behandlung von Arbeitnehmerfragen im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit eines jeden in der Betriebsfortführung befindlichen Unternehmens. Nicht zuletzt haben Fälle wie die SchleckerInsolvenz1) gezeigt, dass ohne eine befriedigende Klärung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen – einschließlich einer Finanzierung der für eine Fortsetzung der operativen Tätigkeit notwendigen Personalkosten – eine aussichtsreiche Fortführung zum Scheitern verurteilt ist. Das „Human Capital“ stellt mit wenigen Ausnahmen die wesentliche Ressource dar, ohne die an eine Weiterführung der geschäftlichen Tätigkeit (auch) unter Insolvenzbedingungen nicht zu denken ist. 2 Trotz dieser Erkenntnis trägt das gültige Arbeits- und Sozialrecht diesem Umstand bis heute nur unvollkommen Rechnung. Insbesondere innerhalb des Insolvenzeröffnungsverfahrens fehlen nach wie vor arbeitsrechtliche Sondervorschriften, die z. B. eine schnelle und ___________ 1) Vgl. etwa (exemplarisch) die Zeitungsberichte in der FAZ v. 19.3.2012, v. 30.3.2012 (nach dem Scheitern der Transfergesellschaft) und v. 8.6.2012.

418

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

vor allem rechtssichere Umstrukturierung im Personalbereich ermöglichen. Diese wird jedoch im Regelfall zwingend erforderlich sein, da zumeist eine am Umsatz gemessen zu hohe Fixkostenbelastung – und damit regelmäßig auch die Personalkostenbelastung – einen der wesentlichen Insolvenzgründe darstellt, die es im Interesse einer kostendeckenden Weiterführung des Unternehmens möglichst zeitnah zu beseitigen gilt.2) Hier bedarf es regelmäßig eines Rückgriffs auf allgemeine arbeitsrechtliche Normen, die naturgemäß den Notwendigkeiten des bereits eingeleiteten Insolvenzverfahrens und der Knappheit der finanziellen Mittel keine Rechnung tragen. Flankierend hilft hier allenfalls das Sozialrecht, welches über das – auf europäischer Ebene lange Zeit umstrittene – Insolvenzgeld zumindest eine zeitlich befristete Finanzierungshilfe bietet sowie über die finanzielle Förderung von Transfermaßnahmen i. R. der §§ 110 ff. SGB III eine Unterstützungsleistung zur Wiedereingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den (zweiten) Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Das klassische „Insolvenzarbeitsrecht“3) setzt in seiner Anwendbarkeit eine Insolvenz- 3 eröffnung zwingend voraus. Jedoch auch innerhalb der sich dann anschließenden Phase beschränken sich die wesentlichen insolvenzrechtlichen Vorschriften des Arbeitsrechts darauf, zu bereits existenten kollektivrechtlichen Phänomenen Sonderregelungen vorzusehen. Aus dieser rechtlichen Unvollkommenheit folgt die Erkenntnis, dass unter Zugrundelegung 4 der derzeitigen Rechtslage die schnelle Schließung eines insolventen Unternehmens und die unterschiedslose Entlassung sämtlicher Arbeitnehmer im Regelfall arbeitsrechtlich unproblematisch zu realisieren ist, hingegen eine Fortsetzung der operativen Tätigkeit, verbunden mit einer auch nur teilweisen Reduktion des Personalbestandes oftmals zu erheblichen Konflikten und Risiken führt. Deren erfolgreiche Bewältigung setzt eine umfassende und vor allem rechtzeitige Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Vertretung auf der Grundlage der zu beachtenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Zuge einer angedachten Betriebsänderung voraus. II.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren

1.

Die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts

Folgt die InsO – gleichermaßen wie vorher die KO – dem Grundsatz, dass die Eröffnung 5 eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers keinerlei Einfluss auf die Fortgeltung des allgemeinen Arbeitsrechts hat,4) gilt dies erst recht für die vorgeschaltete Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Der Schutz des zwingenden Arbeitsrechts soll den Arbeitnehmern auch in der Insolvenz des Arbeitgebers erhalten bleiben, soweit insolvenzrechtliche Ausnahmebestimmungen keine abweichenden Regelungen enthalten.5) Ist damit die Frage nach dem anwendbaren Arbeitsrecht mit einem Verweis auf die allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen (insbesondere des KSchG, des Betriebsverfassungsrechts sowie sonstiger arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen zugunsten spezieller Personengruppen) schnell geklärt, stellt sich regelmäßig innerhalb dieser frühen Phase des Insolvenzverfahrens die Frage nach der Person des Arbeitgebers als Adressat der arbeitsrechtlichen Bestimmungen. ___________ 2) Risse KTS 1994, 465, 475 ff.; dazu auch schon Mönning, Vorauflage, Rz. 846. 3) Vgl. hierzu die bereits 1997 veröffentlichte zusammenfassende Darstellung bei Braun/Uhlenbruck, S. 10d130. 4) Vgl. statt vieler etwa Küttner-Kania, Personalbuch 2012, Insolvenz des Arbeitgebers, Rz. 3. 5) Küttner-Kania, Personalbuch 2012, Insolvenz des Arbeitgebers, Rz. 3.

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419

§ 14

Teil III Einzelfragen

6 Nach Eingang des Insolvenzantrags hat das Insolvenzgericht alle Maßnahmen zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der Insolvenzschuldnerin zu treffen (vgl. § 21 Abs. 1 InsO); insbesondere ist regelmäßig gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein vorläufiger Verwalter zu bestellen. Dessen Rechtsstellung hängt gemäß § 22 InsO davon ab, ob ihm die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übertragen wird oder nicht. 7 Wird dem Insolvenzschuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bestimmt das Insolvenzgericht die Befugnisse des vorläufigen Verwalters und dessen Pflichten (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO, sog. „schwacher“ vorläufiger Verwalter). Diese dürfen nicht über die Pflichten eines starken vorläufigen Verwalters gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO hinausgehen (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO). Der vorläufige Insolvenzverwalter ist in diesen Fällen nicht allgemeiner Vertreter des Schuldners, sondern hat (nur) die Aufgabe, durch Überwachung des Schuldners dessen Vermögen zu sichern und zu erhalten. 8 Der „schwache“ vorläufige Verwalter wird damit nicht Arbeitgeber und ist deshalb auch nicht Adressat der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften. Die Arbeitgeberfunktion verbleibt beim schuldnerischen Unternehmen und somit bei der dortigen jeweiligen Geschäftsführung, die jedoch aufgrund des regelmäßig gleichzeitig angeordneten Zustimmungsvorbehalts arbeitsrechtliche Maßnahmen – insbesondere den Ausspruch von Kündigungen – nur mit der vorherigen Zustimmung des vorläufigen Verwalters umsetzen kann.6) Die Einwilligung des vorläufigen Verwalters ist beim Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer schriftlich vorzulegen.7) Unterbleibt dies, kann der Arbeitnehmer die Kündigung gemäß § 182 Abs. 3 i. V. m. § 111 Sätze 2 und 3 BGB zurückweisen. 2.

Der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots

9 Mit der Bestellung eines vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner (auch) seine Arbeitgeberfunktion vollständig. Damit ist ausschließlich der vorläufige Verwalter Adressat der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, insbesondere auch der Kündigungsbefugnis.8) 3.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei Beantragung einer Eigenverwaltung

10 Im Falle der Anordnung einer Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO durch das Insolvenzgericht verbleibt die Position des Arbeitgebers naturgemäß beim Insolvenzschuldner; allerdings kann das Insolvenzgericht auch hier anordnen, dass für bestimmte Rechtsgeschäfte die Zustimmung des Sachwalters erforderlich ist (§ 277 InsO). Hieran hat auch die Neuregelung der Eigenverwaltung durch das ESUG9) zum 1.3.2012 nichts geändert. 4.

Die Voraussetzungen einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

4.1

Die Insolvenzgeldvorfinanzierung nach herkömmlichem Muster

11 Hängt die Möglichkeit einer Fortführung des operativen Geschäftsbetriebs der Insolvenzschuldnerin mithin regelmäßig von einer Aufrechterhaltung der hierfür erforderlichen ___________ 6) Auch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses stellt eine Vermögensverfügung dar, vgl. dazu BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, NZA 2003, 909 ff. = ZIP 2003, 1161; LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.8.2001 – 18 Sa 671/01, LAG-Report 2002, 38 ff. 7) BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, NZA 2003, 909, 910 r. Sp. = ZIP 2003, 1161. 8) Grundlegend BAG, Urt. v. 17.9.1974 – 1 AZR 16/74, AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972 m. Anm. Richardi; vgl. auch Berscheid, NZI 2000, 1, 2 m. w. N. 9) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, BGBl. I, 2582.

420

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

vertraglichen Beziehungen ab, ist neben der Kontaktierung der Lieferanten und Versorgungsträger auch für eine Finanzierung der laufenden Löhne der Arbeitnehmerschaft Sorge zu tragen, um diese von der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts oder sogar vom Ausspruch von (außerordentlichen) Eigenkündigungen abzuhalten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steht gegenüber der Agentur für Arbeit ein An- 12 spruch auf Insolvenzgeld zu, wenn x

sie im Inland beschäftigt waren und

x

bei einem Insolvenzereignis

x

für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Als „Insolvenzereignis“ gilt x

entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1),

x

die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) oder

x

die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland ohne Stellung eines Insolvenzantrags und offensichtlicher Undurchführbarkeit eines Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3).

Diese deutsche gesetzliche Regelung widersprach lange Zeit den einschlägigen europarecht- 13 lichen Bestimmungen der Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 80/987/EWG.10) Nach dieser Richtlinie ist x

entweder der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder

x

der Zeitpunkt der Kündigung zwecks Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bzw.

x

der Beendigung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses des betreffenden Arbeitnehmers wegen Zahlungsunfähigkeit i. R. der Bestimmung des „Insolvenzereignisses“

maßgebend.11) Im Rahmen einer Modifikation des Gemeinschaftsrechts durch die Richtlinie 2002/74/EG12) wurde dieser Widerspruch aufgehoben: Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser geänderten Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn x

die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist […] und

x

die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde entweder x die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder x

festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.

___________ 10) Richtlinie 80/987/EWG des Rates v. 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 283 v. 28.10.1980, S. 23 – 27. 11) Vgl. dazu auch EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-160/01 (Mau/Bundesanstalt für Arbeit), ZIP 2003, 1000 = NZA 2003, 713 ff., wo festgestellt wurde, dass die nationale deutsche Regelung über den Insolvenzgeldzeitraum (damals § 183 Abs. 1 SGB III, seit 1.4.2012 § 165 Abs. 1 SGB III) nicht europarechtskonform sei. 12) Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und Rats v. 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates v. 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 270 v. 8.10.2002, S. 10.

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§ 14

Teil III Einzelfragen

Damit dürfte die Europarechtswidrigkeit der deutschen gesetzlichen Regelung jedenfalls derzeit ausgeräumt sein.13) 14 Aus der gesetzlichen Regelung folgt jedoch zwingend, dass die Zahlung von Insolvenzgeld zunächst eine gerichtliche Entscheidung über die Insolvenzeröffnung voraussetzt. Da dieser Zeitpunkt die Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens naturgemäß beendet, kommt die reguläre Auszahlung des Insolvenzgeldes regelmäßig zu spät, um dem Versorgungsinteresse der Arbeitnehmerschaft innerhalb des überwiegend mehrere Monate andauernden Insolvenzeröffnungsverfahrens Rechnung zu tragen. Gerade in dieser finanziell angespannten Situation wird jedoch kaum ein Mitarbeiter des schuldnerischen Unternehmens über ausreichende Rücklagen verfügen, um den Zeitraum bis zur Eröffnung zu überbrücken. Im Interesse einer Abmilderung dieser Situation ergeben sich folgende Alternativen: x

Die Zahlung eines Vorschusses auf das Insolvenzgeld setzt nach § 168 SGB III neben der Stellung eines Insolvenzantrags und der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Erfüllung der Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs voraus, dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist (§ 168 Satz 1 Nr. 2 SGB III); bereits aus diesem Grunde stellt der Vorschuss regelmäßig keine Möglichkeit der Zwischenfinanzierung einer (auch) dem Erhalt von Arbeitsplätzen dienenden Betriebsfortführung dar.

x

Als Alternative verbleibt die in der Praxis häufig praktizierte Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes innerhalb der Eröffnungsphase. Hierzu wird seitens des Arbeitgebers mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ein Darlehen bei einer finanzierenden Bank aufgenommen; aus dessen Valuta werden sodann die Nettolöhne der Arbeitnehmerschaft ausbezahlt. Zur Absicherung des Rückzahlungsanspruchs lässt sich der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. die finanzierende Bank seitens der Arbeitnehmerschaft den zukünftigen Insolvenzgeldanspruch gegen die Agentur für Arbeit abtreten. Diese Verfügung über das Insolvenz- bzw. Arbeitsentgelt bedarf zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen Zustimmung seitens der Agentur für Arbeit, die nur erfolgen darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III).

15 Nach Maßgabe der derzeit gültigen Durchführungsanweisungen der Agentur für Arbeit ist vom Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen arbeitstechnischen Zwecks die betriebliche Funktion zumindest teilweise erhalten bleibt (die betriebliche Tätigkeit insoweit fortgeführt wird) und der Arbeitsmarkt nicht nur unwesentlich begünstigt wird.14) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hierbei zu beachten. Zur Orientierung wird seitens der Agentur für Arbeit einheitlich für alle Betriebe die Grenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zugrunde gelegt: Ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze bleibt demzufolge dann erhalten, soweit deren Umfang die Mindestgrenze von 10 % zu erhaltender Arbeitsplätze erreicht oder überschreitet.15) 16 Nach Maßgabe der Vorschrift des § 169 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf ___________ 13) Dauert die in einem ersten Insolvenzverfahren nachgewiesene Zahlungsunfähigkeit trotz dessen Aufhebung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens an, gilt das sodann eröffnete (zweite) Insolvenzverfahren nicht als neues Insolvenzereignis i. S. des § 165 SGB III; so zur Vorgängervorschrift des § 183 SGB III BSG, Urt. v. 6.12.2012 – B 11 AL 11/11R, NZI 2013, 454. 14) Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2., Stand: 4/2012, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/ zentraler-Content/A07-Geldleistung/A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 26.5.2013). 15) Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 8, Stand: 4/2012, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/ zentraler-Content/A07-Geldleistung/A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 26.5.2013).

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

die Bundesagentur über. Durch die Neuregelung des § 55 Abs. 3 InsO16) ist der anfangs bestehende Streit darüber, ob durch den Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit der Regressanspruch als Masseverbindlichkeit oder als einfache Insolvenzforderung zu qualifizieren ist,17) im letzteren Sinne entschieden worden. 4.2

Sonderfall: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren

Beim Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO handelt es sich um einen durch das 17 ESUG zum 1.3.2012 eingeführten Sonderfall der Eigenverwaltung, in dessen Rahmen die angestrebte Sanierung des Unternehmens über einen zeitlich befristet vorzulegenden Insolvenzplan erfolgen soll. Ein erfolgversprechender Antrag zur Einleitung des Schutzschirmverfahrens setzt dabei das Bestehen einer (lediglich) drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 InsO oder einer Überschuldung i. S. des § 19 InsO voraus; darüber hinaus bedarf es einer diesbezüglichen Bescheinigung eines externen Fachmanns verbunden mit der Aussage, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. § 270b Abs. 1 Sätze 1, 3 InsO). Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines für den Insolvenz- 18 geldanspruch und damit auch für dessen Vorfinanzierung maßgeblichen Insolvenzereignisses; darüber hinaus besteht in den Fällen einer (nur) drohenden Zahlungsunfähigkeit bei Eigenverwaltung regelmäßig auch die Gefahr einer Rücknahme des Insolvenzantrags. Die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele und Vorteile eines Schutzschirmverfahrens würden 19 jedoch ins Gegenteil verkehrt, wenn hier in Anbetracht der aufgezeigten Risiken keine Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Verfügung stünde. Im Rahmen einer Ergänzung ihrer Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld in Nr. 3.2 Abs. 2 zu § 170 SGB III18) hat die Bundesagentur für Arbeit daher bereits im April 2012 klargestellt, dass auch i. R. eines Schutzschirmverfahrens die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen möglich sein soll, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270b Abs. 1 InsO getroffen hat. Im Rahmen dieser Durchführungsanweisung wurde jedoch ebenfalls unterstrichen, dass im Falle einer Sanierung des Unternehmens ohne Entscheidung über den Insolvenzantrag die Gewährung von Insolvenzgeld ausscheidet.19) Da die Vorschrift des § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO für das Schutzschirmverfahren ausdrück- 20 lich lediglich eine entsprechende Geltung des § 55 Abs. 2 InsO anordnet, ist in der Insolvenzpraxis – und damit insbesondere bei den das Insolvenzgeld vorfinanzierenden Banken – die Frage nach einer entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschrift des § 55 Abs. 3 InsO im Schutzschirmverfahren aufgekommen. In der Praxis haben in der unmittelbaren Folgezeit innerhalb der zweiten Jahreshälfte 2012 21 offensichtlich einige kreditierende Banken versucht, sich diese scheinbare Gesetzeslücke zunutze zu machen und in ihren Rahmenvereinbarungen die Forderung aufgestellt, dass „es sich bei den angekauften Nettoarbeitsentgelten um Masseforderungen handeln muss und ___________ 16) Eingefügt durch das InsOÄndG v. 26.10.2001, BGBl. I, 2710. 17) Durch einen Forderungsübergang wird die Rechtsqualität eines Anspruchs grundsätzlich nicht tangiert (§§ 412, 401 Abs. 2 BGB; hierzu Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 101); dazu auch LAG Hamm, Urt. v. 10.1.2000 – 19 Sa 1638/99, ZIP 2000, 590 = NZI 2000, 189; LAG Köln, Urt. v. 25.2.2000 – 12 Sa 1512/99, ZIP 2000, 805 = NZI 2000, 288. 18) HEGA 03/12-08, Geschäftszeichen OS – 71187/71187, 1/71188; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 2, Stand: 4/2012, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07-Geldleistung/ A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 26.5.2013). 19) HEGA 03/12-08, Geschäftszeichen OS – 71187/71187, 1/71188; Insg-DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2 Abs. 2, Stand: 4/2012, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07-Geldleistung/ A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum: 26.5.2013).

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§ 14

Teil III Einzelfragen

die Insolvenzschuldnerin vor Durchführung der Ankäufe daher einen Beschluss des zuständigen AG vorzulegen hat, nachdem die zum Ankauf vorgesehene Nettoarbeitsentgelte Masseforderungen sind“.20) Sollte sich diese Vorgehensweise durchsetzen, wäre das Schutzschirmverfahren als Sanierungsinstrument gescheitert. 22 In der Folgezeit hat sich jedoch rasch die Auffassung durchgesetzt, das ungeachtet der gesetzgeberischen Lücke innerhalb des § 270b Abs. 3 Satz 2 die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO auch i. R. eines Schutzschirmverfahrens gegeben ist.21) Auch die Bundesagentur für Arbeit geht offensichtlich aufgrund einer Stellungnahme vom 16.7.2012 von einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO (auch) auf das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO aus.22) III.

Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren

1.

Die Freistellung von Arbeitnehmern

1.1

Zulässigkeit auf individualvertraglicher Ebene

23 Eine erfolgreiche Betriebsfortführung mit dem Ziel einer Reduzierung (auch) der Personalkosten führt zwangsläufig zur Notwendigkeit, dem durch den Auftragsrückgang reduzierten Beschäftigungsvolumen möglichst zeitnah durch eine Personalreduzierung Rechnung zu tragen. Selbst wenn die im Vorfeld des Ausspruchs einer Kündigung zu beachtenden formalen Hürden (Betriebsratsanhörung, ggf. Einholung von Behördenzustimmungen im Falle des Sonderkündigungsschutzes, Abschluss eines Interessenausgleichs bei Betriebsänderung) erfüllt sind, setzt eine ordentliche Kündigung erst eine in der Regel mehrmonatige Kündigungsfrist in Lauf, während derer das Arbeitsverhältnis mit seinen wechselseitigen Pflichten fortbesteht. Dies mag innerhalb der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens zu vernachlässigen sein, da eine Finanzierung der Lohn- und Gehaltskosten über das Insolvenzgeld erfolgt, spätestens jedoch nach der Insolvenzeröffnung stellen diese Kosten Masseschulden dar, die i. R. einer Fortführungsplanung zu berücksichtigen sind. 24 Dabei lässt sich in der Praxis beobachten, dass die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern auf mittelfristig nicht mehr benötigten Arbeitsplätzen regelmäßig wenig sinnvoll erscheint. Zum einen fehlt es oftmals an der Motivation der betroffenen Arbeitnehmer, zum anderen ist angesichts der Knappheit der Ressourcen auf Arbeitgeberseite nur ein geringes Interesse vorhanden, vakante Arbeitsverhältnisse gezwungenermaßen bis zum vertraglich geschuldeten Ende abzuwickeln. Auch hier stellt es im eröffneten Insolvenzverfahren ein weiteres Mittel der (Zwischen-)Finanzierung der Fortführung dar, Arbeitnehmer vorzeitig von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen. Auf Arbeitgeber- und damit Insolvenzverwalterseite birgt dies den Vorteil, i. R. der aufoktroyierten Masseschulden die entsprechenden Lohn- und Gehaltskosten nicht mehr i. R. der Rangklasse des § 55 Abs. 1 Nr. 1, sondern nunmehr i. R. der Rangklasse des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO berücksichtigen zu müssen; erfolgt darüber hinaus die Freistellung unwiderruflich, hat dies auf Arbeitgeberseite gleichzeitig den Vorzug, dass durch diese Freizeitgewährung bei entsprechender Formulierung im Freistellungstext etwaige noch offene Resturlaubsansprüche verbraucht werden23) und damit zum Beendigungszeitpunkt nicht mehr abgegolten werden

___________ 20) 21) 22) 23)

424

So u. a. der Bericht aus der Insolvenzpraxis unter www.buchalik-broemmekamp.de. Vgl. dazu Buchalik, ZInsO 2012, 349, 356. So der Erfahrungsbericht abrufbar bei www.buchalik-broemmekamp.de. BAG, Urt. v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186, 2188.

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

müssen.24) Auf Arbeitnehmerseite bietet diese vorzeitige Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung den Vorteil, i. R. der sog. Gleichwohlgewährung gemäß § 157 Abs. 3 SGB III ungeachtet des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits Arbeitslosengeld beanspruchen zu können, da die Zahlungsansprüche aus der Insolvenzmasse tatsächlich nicht erfüllt werden. Ungeachtet der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile einer Freistellung vor oder auch 25 nach Ausspruch einer Kündigung stellt sich die Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit einer derartigen einseitigen Maßnahme. Das BAG hat insoweit in zwei maßgeblichen Entscheidungen vom 11.10.195525) und 27.2.198526) auf Arbeitnehmerseite das Bestehen eines Beschäftigungsanspruchs dem Grunde nach bestätigt. Nach Auffassung des BAG stellt die Arbeitsleistung nicht nur ein Wirtschaftsgut dar, sondern ist regelmäßig auch Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Mitarbeiters; dieses findet seine Verankerung in der Verfassung und konkurriert mit den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten des Arbeitgebers (Art. 12, Art. 14 GG). Nach Ansicht des BAG ist das Konkurrenzverhältnis jedenfalls im ungekündigten Arbeitsverhältnis zugunsten der Interessen des Beschäftigten zu lösen. Seine Rechtsposition überwiegt grundsätzlich diejenige des Arbeitgebers.27) Treten auf Seiten des Unternehmens jedoch weitere Umstände hinzu, kann die Abwägung der Rechtspositionen anders ausfallen. Dies gilt namentlich dann, wenn auf Arbeitgeberseite ein berechtigtes Interesse besteht, einen Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.28) Mithin gelten im Insolvenzeröffnungsverfahren im Falle einer Freistellung durch den 26 bisherigen Arbeitgeber mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Vorfeld des Ausspruchs einer etwaigen Kündigung die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze. Für das eröffnete Insolvenzverfahren folgt der Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit einer 27 Freistellung aus dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985. Im Rahmen der dortigen Entscheidung wurde der arbeitsrechtliche Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auf der Grundlage von § 242 BGB hergeleitet; ferner führte der Große Senat i. R. eines obiter dictum mehrere Beispiele dafür an, wann konkret die Interessen des Arbeitgebers an einer Freistellung des Arbeitnehmers die Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers überwiegen. Dies soll u. a. dann der Fall sein, wenn Auftragsmangel besteht.29) Hierauf wird sich ein Insolvenzverwalter – jedenfalls im Regelfall – ohne weiteres berufen können.30) Auf einen Rückgriff auf das seitens des LAG Hamm in seinen beiden Urteilen vom 27.9.200031) und vom 7.9.200132) formulierte insolvenzspezifische Freistellungsrecht kommt es mithin voraussichtlich nicht an. Nach Auffassung des LAG Nürnberg33) ist der Insolvenzverwalter bei der Ausübung seines 28 Freistellungsrechts an die Grenzen des billigen Ermessens gemäß § 315 BGB gebunden. ___________ 24) Es ist bei vakanten Urlaubsansprüchen im Übrigen sinnvoll, im Zuge der Freistellungserklärung den genauen Urlaubstermin konkret festzulegen, vgl. dazu BAG, Urt. v. 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, 1032. 25) BAG, Urt. v. 11.10.1955 – 2 AZR 591/54, BAGE 2, 221 = NJW 1956, 359. 26) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214. 27) So ausdrücklich LS 1 Abs. 2 Satz 2 des Urteils des BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214. 28) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214, 1221. 29) BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214, 1221. 30) Berscheid, ZInsO 2001, 64; Weisemann, DZWIR 2001, 151 (Urteilsanm.); Bertram, NZI 2001, 625; Lauer, ZIP 2006, 983; Bayreuther, ZIP 2008, 573; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 130 m. w. N. 31) LAG Hamm, Urt. v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435 ff. 32) LAG Hamm, Urt. v. 6.9.2001 – 4 Sa 1276/01, ZInsO 2002, 45 ff. 33) LAG Nürnberg, Beschl. v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05, ZIP 2006, 256 (LS); Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 130.

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425

§ 14

Teil III Einzelfragen

Insoweit können i. R. der Auswahl der freizustellenden Mitarbeiter auch soziale Gesichtspunkte i. S. von § 1 KSchG wie etwa Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und besonderer finanzielle Interessen sowie Sonderkündigungsschutztatbestände von Bedeutung sein.34) 29 Vom seitens des BAG in seinen beiden Entscheidungen von 1955 und 1985 hergeleiteten allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ist der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu unterscheiden: Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben, ist der Arbeitgeber – und damit auch der Insolvenzverwalter – verpflichtet, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Von dieser Beschäftigungsverpflichtung kann sich auch ein Insolvenzverwalter lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 – 3 BetrVG im Wege einer einstweiligen Verfügung des ArbG entbinden lassen. 30 Wird ein Teil der Belegschaft durch den Insolvenzverwalter mangels ausreichender Masse von der Arbeit freigestellt, besteht die Rechtsschutzmöglichkeit der betroffenen Arbeitnehmer über eine einstweilige Verfügung im Übrigen lediglich dann, wenn die Auswahlentscheidung des Insolvenzverwalters willkürlich war oder offensichtlich unwirksam ist und besondere Beschäftigungsinteressen dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den freigestellten Arbeitnehmer erfordern.35) 31 Aufgrund einer Handhabung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger hatte sich die unwiderrufliche Freistellung im Interesse einer Erfüllung der etwaigen Resturlaubsansprüche und Freizeitguthaben der freigestellten Arbeitnehmer vorübergehend als problematisch erwiesen: Im Rahmen der gemeinsamen Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit am 5. und 6.7.2005 schlussfolgerten diese aus einer solchen Freistellung, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des BSG, ein Ende der Versicherungspflicht mit der Folge, dass damit die Pflichtmitgliedschaft der betroffenen freigestellten Arbeitnehmer in der Krankenversicherung und auch in der Arbeitslosenversicherung ende.36) Nach Auffassung der Organisationen und Spitzenverbände verzichte der Arbeitgeber im Falle einer unwiderruflichen Freistellung auf sein Direktionsrecht; damit werde die ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 7 SGB IV kennzeichnende zweiseitige Beziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgehoben.37) 32 Das BSG hat dieser Auffassung jedoch zwischenzeitlich mit zwei Entscheidungen vom 24.9.2008 eine Absage erteilt und das Fortbestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses trotz (unwiderruflicher) Freistellung festgestellt.38)

___________ 34) So etwa Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 131 m. w. N. 35) LAG Hamm, Urt. v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435 = NZI 2001, 499; a. A. ArbG Kaiserslautern, Entsch. v. 4.5.2001 – 7 Ca 193/01, ZInsO 2002, 96; LAG Hamm, Urt. v. 6.9.2001 – 4 Sa 1276/01, ZInsO 2002, 45; zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 145. 36) Vgl. zur einschlägigen Rechtsprechung des BSG etwa Urt. v. 25.4.2002 – B 11 AL 65/01 R, NZA-RR 2003, 105; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 150. 37) Besprechung über Fragen des sog. Beitragseinzugs zur Kranken-, Pflege-, Renten und Arbeitslosenversicherung vom 5./6.7.2005, zit. bei Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 150. 38) BSG, Urt. v. 24.9.2008 – B 12 KR 22/07 R, BB 2009, 782 = NZA-RR 2009, 272 und BSG, Urt. v. 24.9.2008 – B 12 KR 27/07 R, NZA 2009, 559 = NZA-RR 2009, 269.

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung 1.2

§ 14

Freistellung und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung

Im Falle der ersatzlosen Freistellung eines Arbeitnehmers von seiner Verpflichtung zur 33 Arbeitsleistung werden diesem seine bisherigen Arbeitsaufgaben entzogen, ohne dass ihm gleichzeitig neue Tätigkeiten zugewiesen werden. Mithin liegt hierin keine mitbestimmungspflichtige Versetzung i. S. von §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.39) Die Freistellung eines Arbeitnehmers während der Laufzeit der Kündigungsfrist führt 34 nach der Rechtsprechung auch nicht zur Mitbestimmung des Betriebsrates vor dem Hintergrund einer vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit i. S. von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder infolge der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie der Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG40). Für Aufsehen gesorgt hat insoweit eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 35 2.3.2012:41) Stellt der Insolvenzverwalter alle Arbeitnehmer unwiderruflich von der Arbeit frei, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, so liege hierin bereits der Beginn einer Betriebsänderung, der den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs i. S. von § 113 Abs. 3 BetrVG – als Masseschuld – entstehen lässt. Gleichermaßen wie eine Kündigung als einseitig gestaltende Willenserklärung sei die unwiderrufliche Freistellung nicht mehr umkehrbar. Dieser Konflikt lässt sich im (drohend) masseunzulänglichen Verfahren bei fehlenden finanziellen Mitteln zur Darstellung sämtlicher Löhne und Gehälter daher einmal mehr nur im Wege der verständnisvollen Kooperation mit dem amtierenden Betriebsrat lösen. Allerdings stellt das Unterlassen einer Freistellung durch den Insolvenzverwalter bei Masseunzulänglichkeit keine zum Schadensersatz nach §§ 60, 61 InsO führende (insolvenzspezifische) Pflichtverletzung dar.42) 2.

Rechtliche Voraussetzungen einer Änderung der Arbeitsbedingungen

Die Betriebsfortführung im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren stellt regelmäßig 36 keinen Selbstzweck dar, sondern dient jeweils der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung als Hauptziel eines jeden Insolvenzverfahrens.43) Unabhängig davon, ob dies i. R. einer x

„zerschlagenden“ Sanierung durch Einstellung des Geschäftsbetriebs durch Liquidation i. S. einer Veräußerung der Betriebsmittel und Beendigung der Arbeitsverhältnisse,

x

einer „übertragenden“ Sanierung i. S. einer Veräußerung der Assets des Unternehmens in der Regel durch Einzelrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger44) oder

x

einer „investiven“ Verwertung i. S. einer Sanierung und Erhaltung des Rechtsträgers infolge eines Insolvenzplans

geschieht, bedarf es regelmäßig bei allen drei Optionen (auch) einer Umstrukturierung im Personalbereich, um möglichst zeitnah eine Kostensenkung zu realisieren. Als mildestes Mittel einer personellen Umstrukturierung ist im Vorfeld einer ersatzlosen 37 Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses an eine Änderung der Arbeitsbedingungen ___________ 39) So BAG, Beschl. v. 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, NZA 2000, 1355. 40) LAG Köln, Urt. v. 16.3.2000 – 10 (11) Sa 1280/99, ZInsO 2000, 571; so auch LAG Hamm, Beschl. v. 20.9.2002 – 10 TaBV 95/02, ZInsO 2003, 531; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 155. 41) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429, dazu auch Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 507. 42) BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, NZI 2013, 234 = ZIP 2013, 638. 43) So statt vieler Schmerbach in: FK-InsO, § 1 Rz. 12. 44) Hierzu etwa Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 2 – 5 m. w. N.

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§ 14

Teil III Einzelfragen

zu denken, die – sofern eine einvernehmliche Regelung nicht möglich ist – notfalls in Form des Ausspruchs einer Änderungskündigung zu erfolgen hat.45) 38 Eine Änderungskündigung enthält zunächst gleichermaßen wie die Beendigungskündigung die Erklärung, dass das (bisherige) Arbeitsverhältnis sein Ende findet. Insoweit kommt die Änderungskündigung wie die Beendigungskündigung in ordentlicher wie auch außerordentlicher/fristloser Form in Betracht. Der Unterschied zur ersatzlosen Beendigungskündigung besteht darin, dass im Vorfeld oder – spätestens gleichzeitig – mit der Kündigung ein Änderungsangebot unterbreitet wird, das nach dem Willen des Arbeitgebers im Falle seiner Annahme nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Rechtswirkungen entfaltet. 39 Eine Änderungskündigung ist indes rechtlich nur zulässig und wirksam, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht auf milderem Wege, z. B. durch Ausübung des Direktionsrechts46) erreicht werden kann. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Umschreibung des Arbeitsgebiets im Arbeitsvertrag (auch) die erstrebte Änderung zulässt und durch die Änderung der Tätigkeit kein wesentlicher Ansehens-, Status- oder auch finanzieller Verlust eintritt. Vermag mithin eine geringer dotierte Tätigkeit durch bloße Ausübung des Direktionsrechts nicht zugewiesen zu werden, verbleibt lediglich der Ausspruch einer Änderungskündigung i. S. einer einseitig gestaltenden Willenserklärung. 40 Im Zuge einer Betriebsfortführung innerhalb eines Insolvenzverfahrens wird die Änderung der Arbeitsbedingungen im Regelfall entweder zur Herabsetzung des Entgelts oder aber zur (zusätzlichen) Übertragung eines weiteren Aufgabengebietes gewollt sein. Derartige Maßnahmen sind typischerweise nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht umfasst. 41 Im Übrigen gelten (auch) innerhalb der Insolvenz unabhängig davon, ob es sich um das Insolvenzeröffnungsverfahren oder das eröffnete Insolvenzverfahren handelt, die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze. Dies gilt insbesondere für das nach § 623 BGB einzuhaltende Schriftformerfordernis, das sich nicht nur auf die Beendigungserklärung, sondern auch auf das Änderungsangebot bezieht.47) Weiterhin muss das Änderungsangebot eindeutig formuliert sein, wobei der Vorbehalt einer näheren Gestaltung der geänderten Arbeitsbedingungen i. R. einer späteren Klärung zulässig ist. 3.

Personalabbau innerhalb einer Betriebsfortführung

3.1

Das Recht zur Beendigungskündigung

42 Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Berechtigung, die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis wahrzunehmen, vom Insolvenzschuldner auf den Insolvenzverwalter über. Da innerhalb der nunmehr beginnenden Phase des Insolvenzverfahrens die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmerschaft nicht mehr über Drittmittel (Insolvenzgeld) finanziert werden, hat dieser regelmäßig ein Interesse daran, zur Vermeidung eines Masseverzehrs sowie im Interesse einer Optimierung des Verfahrensergebnisses personelle Umstrukturierungsmaßnahmen zeitnah umzusetzen. 43 Die Arbeitsverhältnisse im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin bestehen nach Verfahrenseröffnung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO unverändert, d. h. mit allen Rechten

___________ 45) „Vorrang der Änderungskündigung“; ständige Rspr. d. BAG, vgl. etwa BAG, Urt. v. 27.9.1984 – 2 AZR 62/83, BAGE 47, 26; BAG, Urt. v. 29.11.1990 – 2 AZR 282/90, n. v.; zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 223 ff.; Annuß, NZA 2005, 443. 46) Vgl. § 106 GewO; hierzu Gaul/Bonanni, ArbRB 2002, 234 ff.; Schulte, ArbRB 2003, 245. 47) Vgl. BAG, Urt. v. 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, ZIP 2005, 366 = DB 2005, 395.

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und Pflichten, fort,48) so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt mit den Vorbereitungen zum Ausspruch von Beendigungskündigungen begonnen werden sollte. Im Interesse eines Zeitgewinns erscheint es darüber hinaus sinnvoll, entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen bereits innerhalb des Eröffnungsverfahrens zu beginnen; dies gilt namentlich dann, wenn im Unternehmen ein Betriebsrat vorhanden ist, mit dem sowohl auf individueller (Rz. 86 f.) als auch auf kollektiver Ebene (dazu Schäfer, nachfolgend § 15 I.1.) Verhandlungen durchzuführen sind. Zwar beginnen – rein formal – sämtliche einzuhaltenden Konsultationspflichten mit der Insolvenzeröffnung mit dem hierdurch vollzogenen, gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel erneut und sind grundsätzlich ein zweites Mal durchzuführen, jedoch wird im Zweifelsfalle ein verständiger Betriebsrat dazu bereit sein, angesichts einer innerhalb des Eröffnungsverfahrens bereits ausführlich behandelten und diskutierten Umstrukturierungsmaßnahme auf das Verhandlungsergebnis Bezug zu nehmen und die erneut anlaufenden Anhörungsfristen zu verkürzen.49) 3.2

Einzelvertragliche, kollektivrechtliche und gesetzliche Formvorschriften

Da die in verschiedenen Gesetzen verstreuten arbeitsrechtlichen Bestimmungen durch die 44 Insolvenzeröffnung nicht tangiert werden, hat auch der Insolvenzverwalter bei Ausspruch einer Kündigung die vertraglich vereinbarten oder kollektivrechtlich vorgeschriebenen Formvorschriften einzuhalten; § 113 Satz 1 InsO eröffnet lediglich das Recht zur jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit, enthält jedoch nicht gleichzeitig auch eine Freistellung von vertraglich vereinbarten Formerfordernissen.50) Mithin ist auch seitens des Insolvenzverwalters gemäß § 623 BGB die gesetzlich postulierte 45 Schriftform der Kündigung zu beachten; die Nichteinhaltung dieser oder der durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung vorgeschriebenen ergänzenden Formvorschriften hat gemäß § 125 Satz 1 BGB die Nichtigkeit der ausgesprochenen Kündigung zur Folge. 3.3

Die Beschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung

3.3.1 Gesetzlicher Sonderkündigungsschutz Enthält § 113 InsO ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbar- 46 ten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung das jederzeitige Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters verbunden mit einer Maximalfrist (Kappungsgrenze) von drei Monaten zum Monatsende, folgt daraus im Umkehrschluss, dass ein etwaig bestehender gesetzlicher Sonderkündigungsschutz in der Insolvenz nicht ausgeschlossen werden sollte. Damit ist der Sonderkündigungsschutz namentlich folgender Arbeitnehmergruppen zu beachten:51) Schwerbehindertenschutz bei Schwerbehinderten und Gleichgestellten gemäß § 85 SGB IX, ___________ x

48) Statt vieler Berscheid, ZInsO 1998, 115; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 518; Arens/ Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 101. 49) Selbst wenn sich der der Kündigungsentscheidung zugrunde liegende Sachlage alleine durch die Insolvenzeröffnung nicht geändert hat, hört nunmehr i. S. d. § 102 BetrVG – formal – ein neuer Arbeitgeber an; i. R. des Informationspflichten ist zwingend darauf zu achten, dass insbesondere auch die auf durch § 113 InsO nunmehr geänderte Kündigungsfrist und deren Auswirkung auf jeden Einzelfall hingewiesen wird. 50) So etwa Düwell in: Kölner Schrift, S. 1433, 1454, Rz. 62; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 542 m. w. N. 51) Es handelt sich um einen Auszug der wichtigsten einen Sonderkündigungsschutz genießenden Personengruppen; weitere Vorschriften wie z. B. zum Schutz von Personen während der Ableistung von Wehroder Zivildienst (gemäß § 2 ArbPlSchG/§ 78 ZDG) oder von Kämpfern gegen den Faschismus und Verfolgte des Faschismus (§ 58 Abs. 1a i. V. m. § 59 Abs. 2 AGB-DDR) spielen heute in der Praxis keine maßgebliche Rolle mehr.

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x

Sonderkündigungsschutz von Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins (§ 1 BVSG Nds.; §§ 11, 12 BVSG NRW; §§ 11, 12 BVSG Saarland),

x

Sonderkündigungsschutz für Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte (§ 58 Abs. 2 BImSchG und § 58d i. V. m. § 58 Abs. 2 BImSchG),

x

amtsbezogener Kündigungsschutz für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§ 9 Abs. 3 ASIG) und sonstige Betriebsbeauftragte,

x

amtsbezogener Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte (§ 36 Abs. 3 Satz 4 BDSG),

x

Sonderkündigungsschutz von Mitgliedern des Betriebsrats oder anderer Organe der Betriebsverfassung (§ 15 Abs. 1 KSchG, ferner nach § 15 Abs. 3 KSchG von Mitgliedern des Wahlvorstandes sowie Wahlbewerbern, Mitgliedern einer Jugendvertretung etc.),

x

Sonderkündigungsschutz von Mitgliedern der Schwerbehindertenvertretung (§ 96 Abs. 3 SGB IX unter Verweis auf den Kündigungsschutz des Betriebsrats),

x

Mutterschutz (§ 9 Abs. 1 MuSchG),

x

Elternzeit (vormals: Erziehungsurlaub) gemäß § 18 BEEG,

x

pflegende Angehörige nach § 26 PflegeZG.

47 Der Schutz dieser Personengruppen ist grundsätzlich insolvenzfest, es sei denn, es kann seitens des Insolvenzverwalters nachgewiesen werden, dass der betreffende Arbeitsplatz insolvenzbedingt entfällt. Teilweise kann sodann ordentlich zum Zeitpunkt des Wegfalls des Arbeitsplatzes, teilweise muss außerordentlich mit einer der maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist, gekündigt werden.52) In einigen Fällen – namentlich im Falle der Schwerbehinderten sowie des Mutterschutzes/Erziehungsurlaubes – bedarf der Insolvenzverwalter gleichermaßen wie der Arbeitgeber vor Verfahrenseröffnung zur Kündigung der vorherigen Zustimmung von Behörden. Weiterhin bleibt zu beachten, dass die Kündigung im Bereich des Mutterschutzes schriftlich unter Angabe der Kündigungsgründe zu erfolgen hat (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG). Mitglieder des Betriebsrats können nach Maßgabe der § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ordentlich frühestens zum Zeitpunkt einer Betriebs- oder Betriebsteilstilllegung gekündigt werden. Im Falle der Betriebsfortführung führt dies regelmäßig zur zwingenden Weiterbeschäftigung des (gesamten) Betriebsrats, es sei denn, ein abgrenzbarer Betriebsteil wird vorzeitig geschlossen. 48 Behinderten Arbeitnehmern bzw. Gleichgestellten i. S. von § 2 Abs. 3 SGB IX kommt ein besonderer Kündigungsschutz zu, indem – falls das Arbeitsverhältnis mit dem Schwerbehinderten/Gleichgestellten zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate andauerte – der Kündigung durch den Arbeitgeber/Insolvenzverwalter gemäß § 85 SGB IX die Erteilung einer vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt vorausgehen muss. Dabei setzt der Bestand des Sonderkündigungsschutzes dann ein, wenn dem Arbeitgeber dieser im Zeitpunkt der Kündigung nachgewiesen ist (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Die rein präventive Stellung eines Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft ins Blaue hinein im Vorfeld einer erwarteten Kündigung macht angesichts dieser zum 1.4.2004 in Kraft getretenen Neuregelung keinen Sinn mehr. Die Kündigungsfrist beträgt gemäß § 86 SGB IX mindestens vier Wochen. 49 Im Übrigen gelten für das sodann vom Insolvenzverwalter durchzuführende Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt keine Besonderheiten. ___________ 52) So etwa Beraufsausbildungsverhältnisse im Falle einer Betriebsstilllegung, BAG, Urt. v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, ZIP 1993, 1316.

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Allerdings ergeben sich Sonderregelungen für den Fall der Durchführung einer interessen- 50 ausgleichspflichtigen Betriebsänderung im eröffneten Insolvenzverfahren: Hier soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn der Schwerbehinderte im Interessenausgleich mit Namensliste bezeichnet ist, die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs beteiligt wurde, der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen an der Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer und die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenausgleich im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin verbleiben sollen, zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX ausreicht (vgl. hierzu im Einzelnen § 89 Abs. 3 SGB IX). Im Falle einer völligen Betriebsstilllegung (auch im Insolvenzverfahren) besteht für das Integrationsamt kein Ermessensspielraum. Die Zustimmung ist in diesem Fall zu erteilen, wenn zwischen der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Lohn oder Gehalt bezahlt wird, mindestens drei Monate liegen (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). 3.3.2 Die Kündigung von Berufsausbildungsverhältnissen Ausbildungsverhältnisse können (auch) durch den Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 51 BBiG innerhalb der ein- bis dreimonatigen Probezeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Nach deren Ablauf bedarf (auch) ein Insolvenzverwalter eines wichtigen Grundes zur Kündigung (§ 22 Abs. 2 BBiG). Für den Fall des Vorliegens einer Betriebsstilllegung ist es dem Insolvenzverwalter erlaubt, 52 eine außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen in entsprechender Anwendung des § 622 BGB auszusprechen.53) 3.3.3 Befristete oder auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse Befristete und auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse enden gemäß § 620 Abs. 1 BGB mit 53 dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind. Sofern vertraglich nicht noch zusätzlich das Recht zur ordentlichen Kündigung vorbehalten wurde, ist daher nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen innerhalb der Laufzeit nur eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB möglich. Die Vorschrift des § 113 InsO ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, ein Dienstverhältnis ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer jederzeit zu kündigen.54) Aufgrund dieser gesetzgeberischen Anordnung sind auch tarifvertragliche Kündigungsbeschränkungen bei befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren unbeachtlich.55) 3.3.4 Vereinbarter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts Durch § 113 Satz 1 InsO wird klargestellt, dass eine einzelvertraglich vereinbarte Unkünd- 54 barkeit in der Insolvenz generell unbeachtlich ist.56) Die Kündigungsfrist bemisst sich nach den maßgeblichen gesetzlichen oder tariflichen Fristen, wenn diese kürzer als drei Monate sind, ansonsten gilt als Kappungsgrenze die Höchstfrist bis § 113 Satz 2 InsO von drei Monaten zum Monatsende. ___________ 53) Für das z. Zt. einer Geltung der KO maßgebliche Recht BAG, Urt. v. 27.5. 1993 – 2 AZR 601/92, ZIP 1993, 1316; für eine entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren auch Opolony, BB 1999, 1706, 1707. 54) So bereits für das Konkursrecht LAG Frankfurt/Main, Entsch. v. 13.9.1985 – 13 Sa 332/85, EWiR 1985, 899 (Grunsky), dazu auch Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 554. 55) Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 554. 56) Vgl. zur Rechtslage z. Zt. der KO Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Rz. 556.

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3.3.5 Tariflicher Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung 55 Manche Tarifverträge sehen unter gewissen Voraussetzungen (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter) eine ordentliche Unkündbarkeit betroffener Mitarbeiter vor;57) in diesen Fällen der Kündigung eines sog. „altersgeschützten“ Arbeitnehmers bedurfte es früher nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen mithin eines wichtigen Grundes i. S. von § 626 BGB, um dennoch eine Beendigungsmöglichkeit – mit entsprechender Auslauffrist – zu eröffnen. Wie im Falle der Auszubildenden hat auch hier das BAG die Konstellation einer Betriebsstilllegung als solchen wichtigen Grund anerkannt, um eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise zu rechtfertigen. In diesem Fall sollte eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zulässig sein, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen und auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, ggf. durch Umorganisation eines Betriebes oder eine Versetzung, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausgeschlossen war.58) Mithin war im Falle einer Kündigung als Auslauffrist die bis dahin erdiente gesetzliche/tarifliche Kündigungsfrist einzuhalten, die gegolten hätte, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen gewesen wäre.59) Nach aktueller Rechtsprechung des BAG auf der Grundlage der InsO ist nunmehr eine tarifvertraglich vereinbarte Unkündbarkeit älterer Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit als ein vereinbarter Kündigungsausschluss i. S. von § 113 Satz 1 InsO anzusehen.60) Die insbesondere unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken haben sich in der Praxis nicht durchsetzen können.61) 3.4

Kündigungsfristen und -termine in der Insolvenz

3.4.1 Gesetzliche Regelungen 56 Die Vorschrift des § 113 Satz 2 InsO bestimmt, dass die Kündigungsfrist im eröffneten Insolvenzverfahren maximal drei Monate zum Monatsende beträgt, sofern nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Damit ist für das Insolvenzverfahren eine Höchstfrist bestimmt; sie kommt nur zur Anwendung, wenn außerhalb des Insolvenzverfahrens keine kürzere einzelvertragliche, tarifliche oder gesetzliche Kündigungsfrist zur Anwendung gelangt.62) Mithin bedarf es in jedem Einzelfall einer Überprüfung der (einzel-)vertraglichen Kündigungsfristenregelung; selbst wenn jedoch im Individualvertrag eine kurze Kündigungsfrist niedergelegt ist, hat in Anbetracht des im Arbeitsrecht geltenden Günstigkeitsprinzips noch eine parallele Überprüfung anhand der gesetzlichen Kündigungsfristenregelung des § 622 BGB zu erfolgen, die in Absatz 2 für den Fall der Arbeitgeberkündigung i. R. einer Bemessung der Frist auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers zurückgreift. Entgegen der derzeit noch im Gesetz befindlichen Anordnung sind (auch) ___________ 57) So etwa § 20 Nr. 4 Satz 1 MTV Metall NRW. 58) So bejaht für den Fall einer Betriebsstilllegung (außerhalb des Konkurses/der Insolvenz) BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, ZIP 1985, 1351; so nachfolgend auch BAG, Urt. v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, ZIP 1998, 1119. 59) BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, ZIP 1985, 1351. 60) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, NZA 2000, 658, 659 = ZIP 2000, 985, so auch zuvor schon zur Verkürzung längerer tarifvertraglicher Kündigungsfristen durch die Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331. 61) Vgl. etwa ArbG Limburg, Entsch. v. 2.7.1997 – 1 Ca 174/97, InVo 1998, 46; ArbG Stuttgart, Beschl. v. 4.8.1997 – 18 Ca 1752/97, 1758/97, ZIP 1997, 2013, darauffolgend BVerfG v. 8.2.1999 – 1 BvL 25/97, ZIP 1999, 1221; zum Ganzen auch Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 7/2012, § 113 Rz. 124 ff.; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 113 Rz. 73 – 76. 62) Berscheid, ZInsO 1998, 159, 162; Düwell in: Kölner Schrift, S. 1433, 1449 Rz. 47; Weigand in: KR, § 113 InsO Rz. 16.

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Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, voll berücksichtigungsfähig.63) Im Übrigen gelten jenseits der Kappungsgrenze von drei Monaten für eine Insolvenzkündi- 57 gung keine Besonderheiten; insbesondere sind die Sonderkündigungsfristen besonderer Personengruppen (Kündigungsfristen in Heimarbeitsverhältnissen, Heuerverhältnissen, Kündigungsfristen für Schwerbehinderte, Kündigungsfristen für Ersatzkräfte für Erziehungsurlaub etc.) auch in der Insolvenz bis zur Maximalfrist von drei Monaten zu beachten. 3.4.2 Einzelvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen und -termine Vom einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss ist die einzelvertragliche Modi- 58 fikation der Kündigungsfrist zu unterscheiden. Die – auch nach dem Günstigkeitsprinzip ohne weiteres zulässige – vertragliche Überschreitung der gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB wird durch die Maximalfrist von drei Monaten des § 113 Satz 2 InsO begrenzt.64) Dem gegenüber beurteilt sich die Zulässigkeit einer Unterschreitung der gesetzlichen Kündigungsfristen – insolvenzunabhängig – nach § 622 Abs. 5 BGB. 3.5

Die Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter

Jedes Insolvenzverfahren zeichnet sich von Beginn an durch eine gewisse Dynamik aus. 59 Dabei kann es vorkommen, dass gegenüber ein- und demselben Arbeitnehmer im Zuge des zeitlichen Verlaufs wiederholt eine Kündigung ausgesprochen werden muss. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Insolvenzschuldner bereits vor Beginn des Verfahrens im Interesse einer Sanierung seines notleidenden Unternehmens Kündigungen ausgesprochen hatte und sich nunmehr innerhalb des Eröffnungsverfahrens oder des eröffneten Insolvenzverfahrens diese Notwendigkeit verfestigt. Die Notwendigkeit des Ausspruchs einer erneuten Kündigung (Nachkündigung) kann insbesondere dann gegeben sein, wenn entweder die erste Kündigung an formalen oder materiellen Mängeln leidet, die durch eine Nachkündigung geheilt werden sollen oder etwa der Ausspruch der erneuten Kündigung lediglich vor dem Hintergrund erfolgt, die Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO im Interesse einer weitergehenden Kostenminimierung zur Anwendung zu bringen. Insbesondere im Zuge einer Betriebsfortführung kann es erforderlich sein, vom Insolvenzschuldner bereits im Vorfeld eingeleitete Sanierungsmaßnahmen durch überholende zweite Kündigungen in ihrer Kostenfolge zu beschleunigen. Das ArbG Köln hatte in einer viel beachteten Entscheidung der Wirksamkeit einer Nach- 60 kündigung unter ausschließlicher Ausnutzung der privilegierten (kürzeren) Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO eine Absage erteilt.65) Das BAG hat sich seinerseits einige Jahre später mit der Problematik beschäftigt und die Nachkündigung in der Insolvenz auch für den Fall der bloßen Ausnutzung der kürzeren Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO für zulässig erklärt und das Vorliegen einer unzulässigen Wiederholungskündigung verneint.66) ___________ 63) EuGH, Urt. v. 19.1.2010 – Rs. C-555/07 (Seda Kücükdeveci/Swedex GmbH & Co KG), NJW 2010, 427 = Slg. 2010, I-365; nachfolgend BAG, Urt. v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, ZIP 2011, 140 = NJW 2010, 3740; BAG, Urt. v. 9.9.2010 – 2 AZR 714/08, ZIP 2011, 444 = NJW 2011, 1626. 64) Dies gilt – verfassungsrechtlich unbedenklich – auch für längere tarifliche Kündigungsfristen, vgl. BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331. 65) ArbG Köln, Urt. v. 8.12.1998 – 4 (15) Ca 5991/98, NZI 1999, 282; dazu auch Leithaus, NZI 1999, 254; Berscheid, NZI 2000, 1, 5; zur Zulässigkeit und Unzulässigkeit von sog. Nach- oder Wiederholungskündigungen – auch in der Insolvenz – s. zuvor auch schon LAG Hamm, Urt. v. 13.8.1997 – 14 Sa 566 – 568/ 97, ZIP 1998, 161; LAG Hamm, Urt. v. 23.9.1999 – 4 Sa 1007/98, ZIP 2000, 246; LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.1999 – 12 Sa 1810/98, ZInsO 1999, 544. 66) BAG, Urt. v. 8.4.2003– 2 AZR 15/02, ZIP 2003, 1260; BAG, Urt. v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 399 – 401 m. w. N.

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61 Im Zuge der Dynamik einer Betriebsfortführung kann es umgekehrt auch vorkommen, dass es erforderlich wird, neue Arbeitskräfte einzustellen. Hier hat sich in der Vergangenheit die Frage gestellt, ob auch in dieser Konstellation im Falle der Notwendigkeit einer anschließenden Kündigung das Privileg der Kappungsgrenze des § 113 Satz 2 InsO Anwendung findet. Das LAG Berlin-Brandenburg hat diese Frage – gleichermaßen wie der Großteil des arbeitsrechtlichen Schrifttums – bejaht.67) In der Praxis wird diese Problematik kaum relevant sein, da ein neu eingestellter Arbeitnehmer jedenfalls im Regelfall (noch) über keine die Grundperiode von vier Wochen überschreitende Kündigungsfrist verfügen wird. 3.6

Ersatz des „Verfrühungsschadens“

62 Als Ausgleich für die gesetzliche Anordnung, der zufolge die durch mehrjährige Betriebszugehörigkeit erdienten längeren Kündigungsfristen auf eine Maximalfrist von drei Monate reduziert werden, hat der Gesetzgeber in § 113 Satz 3 InsO dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz zugebilligt (sog. „Verfrühungsschaden“). Dieser Schadenersatzanspruch begründet allerdings keine Masseschuld, sondern ist entsprechend der eindeutigen gesetzlichen Anordnung i. S. von § 174 InsO als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden. 63 Im Rahmen der Schadensberechnung ist grundsätzlich die Differenz zur – durch § 113 Satz 1 InsO auf drei Monate verkürzten – Kündigungsfrist zugrunde zu legen. Ein innerhalb der hypothetischen längeren Kündigungsfrist anderweitig erzielter oder erzielbarer Verdienst ist i. R. der Schadensberechnung anzurechnen.68) Falls der Arbeitnehmer mit dem Insolvenzverwalter einen (vorzeitigen) Aufhebungsvertrag abschließt, soll dies allerdings nicht gelten.69) Im Falle des vertraglichen/tarifvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit bspw. eines altersgeschützten Arbeitnehmers ist i. R. der Bemessung des Schadens die ohne die vereinbarte Unkündbarkeit geltende längste ordentliche Kündigungsfrist maßgebend.70) 3.7

Die betriebsbedingte Beendigungskündigung

64 Während noch innerhalb des Insolvenzeröffnungsverfahrens eine Darstellung der Arbeitnehmerlöhne regelmäßig über das Insolvenzgeld (ggf. unter Inanspruchnahme einer Vorfinanzierung) gesichert ist, stellt sich das Problem einer Finanzierung der Betriebsfortführung in seiner gesamten Schärfe ab dem Stichtag der Verfahrenseröffnung. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion und rückt damit in den gesamten Pflichtenkreis ein, zu dem insbesondere auch eine Erfüllung der Lohnzahlungsverpflichtung als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO gehört.71) Im Interesse einer Optimierung des Fortführungsergebnisses gehört daher die zeitnahe Umsetzung von personellen Anpassungsmaßnahmen regelmäßig zu den Grundvoraussetzungen der Rentabilität einer Betriebsfortführung.72) Jenseits der Bestimmungen des kollektiven Ar___________ 67) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.7.2007 – 23 Sa 450/07, ZIP 2007, 2002; hierzu auch Müller-Glöge in: ErfK, § 113 InsO Rz. 5; Weigand in: KR, §§ 113, 120 InsO Rz 19; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1, Rz. 169; ablehnend Henkel, ZIP 2008, 1265. 68) Hierzu etwa Berkowsky, NZI 1999, 129, 131; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 165; etwaige Nachteile durch den eventuell früher endenden Bezugszeitraum für Arbeitslosengeld sind nicht zu berücksichtigen; vgl. dazu etwa LAG Hessen, Urt. v. 22.1.2013 – 13 Sa 1108/12, NZI 2013, 363. 69) BAG, Urt. v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/04, ZIP 2007, 1875. 70) BAG, Urt. v. 16.5. 2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829. 71) Allg. Ansicht, statt vieler etwa Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 4 Rz. 1. 72) So schon Mönning, Vorauflage, Rz. 852.

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beitsrechts73) ergeben sich hier dem Grunde nach für das Kündigungsrecht innerhalb des Insolvenzverfahrens keine Besonderheiten. 3.7.1 Dringende betriebliche Erfordernisse In denjenigen Fällen, in denen der Anwendungsbereich des KSchG eröffnet ist,74) unterfällt 65 eine im Interesse der Erhaltung/Optimierung der Rentabilität ausgesprochene Kündigung dem Bereich der betriebsbedingten Kündigung i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG. Nach der gesetzlichen Vorgabe bedarf es mithin „dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen“, um die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Diese Erfordernisse können sich dabei aus innerbetrieblichen oder aus außerbetrieblichen Umständen ergeben:75) x

Zu außerbetrieblichen Gründen gehören etwa Auftragsmangel, Umsatzrückgang oder Absatzschwierigkeiten;

x

innerbetriebliche Gründe bestehen regelmäßig in einer von der Geschäftsleitung/dem Insolvenzverwalter geplanten Umstrukturierungsmaßnahme aus Kostengründen, Betriebseinschränkungen, einer Verlagerung der Produktion ins Ausland oder einer (Teil-) Betriebsstilllegung.76)

Auf der Grundlage entsprechender innerbetrieblicher oder außerbetrieblicher Gründe muss 66 sich der Insolvenzverwalter im Wege einer unternehmerischen Entscheidung zu organisatorischen Maßnahmen entschließen, als deren Folge das Bedürfnis für die weitere Beschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer gänzlich entfällt.77) Ob eine solche unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen wurde, ist von den ArbG i. R. einer Beweisaufnahme voll überprüfbar. In der Praxis empfiehlt sich hier regelmäßig eine entsprechende schriftliche Dokumentation bspw. in Form eines Protokolls der Sitzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses. Ob sodann die unternehmerische Entscheidung angesichts der wirtschaftlichen Situation sachlich gerechtfertigt oder zweckmäßig ist, unterliegt hingegen nicht der richterlichen Überprüfung; diese beschränkt sich vielmehr i. R. eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabs auf eine Willkürkontrolle.78) Insbesondere für den Bereich der außerbetrieblichen Gründe hat das BAG klargestellt, dass 67 eine soziale Rechtfertigung der Kündigung in diesem Sinne dann vorliegt, wenn bei Ausspruch der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Prognose zu erwarten ist, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden, betrieblichen Grundes gegeben ist und keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht.79) In dieser Konstellation wird der Rückgang der Beschäftigung dem Insolvenzverwalter gleichsam von außen „aufgezwungen“, ohne ___________ S. hierzu nachfolgend Schäfer, § 15. Vgl. die Anwendbarkeitsvoraussetzungen gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 178. Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 179, 180. BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 184. 78) BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, ZIP 1999, 1721; im Zuge mehrerer Entscheidungen v. 17.6.1999 hat das BAG hinsichtlich der „Unternehmerentscheidung" die abgestufte Darlegungs- und Beweislast klar umrissen. Insbesondere muss die Umsetzung der Maßnahme im Zweifelsfalle durch ein nachvollziehbares Konzept aufgezeigt werden können. 79) BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 255/01, ZInsO 2003, 51; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, BB 2002, 2184 = NJW 2002, 3795; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 740/00, NZA 2002, 1175; unlängst bestätigt durch BAG, Urt. v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, ZIP 2008, 2091; instruktiv hierzu auch Arens/ Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 182.

73) 74) 75) 76) 77)

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dass er selbst gestaltend eingewirkt hat. Hier trifft der Insolvenzverwalter in der Konsequenz eine sich selbst bindende Entscheidung, die im Streitfall insbesondere auch hinsichtlich der außerbetrieblichen Zwänge und deren Auswirkungen auf den einzelnen betroffenen Arbeitsplatz gerichtlich voll überprüft werden kann.80) 68 In der Praxis hat sich die Heranziehung von außerbetrieblichen Gründen zur Rechtfertigung einer Kündigung angesichts der Notwendigkeit einer quasi rechnerischen Herleitung des Wegfalls einer Beschäftigungsmöglichkeit infolge Auftragsmangels regelmäßig als problematisch erwiesen. Oftmals ist es einfacher, innerbetriebliche Gründe – bspw. eine Umstrukturierung aus Kostengründen – zur Rechtfertigung für das Entfallen eines Arbeitsplatzes heranzuziehen. In den Fällen innerbetrieblicher Gründe wirkt die Unternehmerentscheidung gestaltend. Der Insolvenzverwalter hat in diesem Falle vorzutragen, wie er sich die Umsetzung der unternehmerischen Maßnahme vorstellt und wie sich diese betrieblich auswirken wird, insbesondere, wie der unternehmerische Entschluss organisatorisch und betrieblich umgesetzt wird.81) 69 Auch hier stellt sich einmal mehr die Entscheidung zur Fortsetzung der operativen Tätigkeit unter Einsatz eines Teils der Arbeitnehmerschaft mit gleichzeitiger Personalreduzierung als gegenüber einer vollständigen Betriebsstilllegung weitaus anspruchsvollere Maßnahme dar; für die Rechtfertigung letzterer genügt demgegenüber eine Dokumentation des Entschlusses des Arbeitgebers, ab sofort keine neuen Aufträge mehr anzunehmen, allen Arbeitnehmern zum nächstmöglichen Termin zu kündigen, zur Abarbeitung der vorhandenen Aufträge einige Arbeitnehmer nur noch während der jeweiligen Kündigungsfristen einzusetzen und so den Betrieb schnellst möglichst stillzulegen.82) 70 Im Rahmen der Überprüfung, ob ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung von Arbeitnehmern vorliegt, kommt es darauf an, ob unter Respektierung einer bindenden Unternehmerentscheidung mit dem geringeren Arbeitsanfall auch das Bedürfnis einer Weiterbeschäftigung für die gekündigten Arbeitnehmer entfallen oder innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gesunken ist.83) 71 Im Vorfeld der Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung im Zusammenhang mit einer Personalreduzierung zur Ermöglichung einer Betriebsfortführung bedarf es regelmäßig einer ins Einzelne gehenden Darstellung des „unternehmerischen Konzepts“, welches insbesondere die Belastungen bzw. die Kapazitätsreserven der verbliebenen Arbeitnehmer detailliert darstellt.84) 3.7.2 Die Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung im Insolvenzverfahren 3.7.2.1

Allgemeine Grundsätze

72 Für die nach § 1 Abs. 3 KSchG sodann durchzuführende Sozialauswahl gelten für eine vom Insolvenzverwalter auszusprechende ordentliche, betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich keine Besonderheiten. Sofern keine kollektivrechtlich verankerten Vermutungstatbestände greifen (vgl. dazu etwa § 1 Abs. 5 KSchG, § 125 InsO) ergeben sich regelmäßig an dieser Stelle erhebliche Risiken für eine erfolgreiche soziale Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung. In der Praxis lässt sich die allgemeine Tendenz feststellen, das erst___________ 80) Ascheid, NZA 1991, 873, 876 unter 4.b. und c. 81) Zum Ganzen auch Ascheid, NZA 1991, 873, 876. 82) So etwa BAG, Urt. v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, ZIP 2001, 1022; BAG, Beschl. v. 7.3.2002 – 2 AZR 147/01, NZA 2002, 1111 (LS); dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 186. 83) BAG, Urt. v. 24.4.1997 – 2 AZR 352/96, NZA 1997, 1047. 84) So auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 207.

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mals innerhalb des Insolvenzverfahrens längst überfällige Umstrukturierungen im Personalbereich in Angriff genommen werden; oftmals wird dabei erst jetzt quasi in letzter Minute auch noch versucht, leistungsbezogene Aspekte mit den maßgeblichen Kriterien einer betriebsbedingten Kündigung zu vermengen. Auch innerhalb des Insolvenzverfahrens sind bei einer Auswahl des von einer betriebsbe- 73 dingten Kündigung betroffenen Personenkreises die vom Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgegebenen Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung zu berücksichtigen.85) Die soziale Auswahl ist dabei betriebsbezogen, also immer abteilungsübergreifend, nicht jedoch unternehmens- oder konzernbezogen durchzuführen.86) Unter Zugrundelegung der aktuellen, seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung des KSchG87) 74 ist die Sozialauswahl dabei in drei Stufen zu prüfen: x

an erster Stelle bleibt festzustellen, welche Arbeitnehmer überhaupt miteinander vergleichbar und damit in die Sozialauswahl einzubeziehen sind;

x

hieran schließt sich die Feststellung an, wie sich deren soziale Schutzbedürftigkeit anhand der vom Gesetz vorgegebenen Kriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, etwaige Schwerbehinderung) darstellt;

x

außerdem ist zu überprüfen, welche berechtigten betrieblichen Interessen der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl zusätzlich zu berücksichtigen hat.

Bevor eine ins Einzelne gehende Auswahl unter Berücksichtigung der Kriterien Dauer der 75 Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und etwaiger Schwerbehinderung durchgeführt wird, hat mithin zunächst an erster Stelle eine Feststellung der Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer stattzufinden.88) Wer in den Kreis der von einer sozialen Auswahl betroffenen Arbeitnehmer einzubeziehen ist, richtet sich dabei nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und mithin nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.89) Je enger und konkreter die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag definiert und umbeschrieben ist, umso kleiner ist auch die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer.90) Der Vergleich vollzieht sich dabei ausschließlich auf derselben Ebene der Betriebshierarchie (sog. „horizontale Vergleichbarkeit“); eine Erweiterung durch die Bereitschaft des betroffenen Arbeitnehmers, ggf. freiwillig auch auf einer geringer dotierten Stufe der Betriebshierarchie zu arbeiten, führt nicht zu einer Erweiterung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer.91) ___________ 85) Vgl. dazu auch Boemke, NZI 2005, 209. 86) BAG, Urt. v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00, NZA 2002, 1349; BAG, Urt. v. 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, BB 2002, 2335 zur möglichen Weiterbeschäftigung in einem anderen konzernangehörigen Unternehmen; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 238; die Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl ist selbst dann gegeben, wenn sich der Arbeitgeber selbst vertraglich ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG, Urt. v. 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, ZIP 2005, 2077 = NZA 2005, 1175). 87) BGBl. I 2003, 3002 ff.; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 259; während früher innerhalb der zweiten Stufe i. R. der Sozialauswahlkriterien ohne weiteres auch weitere Gesichtspunkte wie etwa Doppelverdienerehe, Berufskrankheiten, unverschuldete Arbeitsunfälle und Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden konnten; ist diese Möglichkeit seit dem 1.1.2004 ausgeschlossen; hierzu auch Küttner-Eisemann, Personalbuch 2012, Kündigung, betriebsbedingte, Rz. 34. 88) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 238. 89) BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798. 90) Hierzu etwa BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97; BAG, Urt. v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, ZIP 2000, 1069; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 241. 91) BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332.

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76 Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmerschaft ist dabei i. S. einer Austauschbarkeit zu verstehen, die ihrerseits wiederum zum einen die Zuweisung der Tätigkeit ohne Notwendigkeit einer Änderungskündigung und zum anderen das Fehlen einer längeren Einarbeitungszeit voraussetzt.92) Eine Vergleichbarkeit liegt mithin nicht vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern nicht einseitig aufgrund seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts auf einen anderen Arbeitsplatz versetzen kann.93) Alleine aus dem Umstand, dass der betroffene Arbeitnehmer jahrelang immer am gleichen Arbeitsort eingesetzt wurde, ergibt sich noch keine die Austauschbarkeit ausschließende nachträgliche Beschränkung des Einsatzortes.94) Kann jedoch ein Arbeitnehmer aufgrund der mit ihm getroffenen vertraglichen Vereinbarung nur innerhalb eines bestimmten Arbeitsbereichs versetzt werden, ist im Falle des Wegfalls dieses Arbeitsbereichs keine soziale Auswahl unter Einbeziehung der vom Tätigkeitsfeld her vergleichbaren Arbeitnehmer anderer Arbeitsbereiche vorzunehmen.95) 77 Im Rahmen einer Durchführung der Sozialauswahl sind Vollzeit- und Teilzeitkräfte grundsätzlich nicht miteinander vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit ist ausnahmsweise dann eröffnet, wenn in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abgebaut werden soll, ohne dass eine konkrete, auf Arbeitsplätze bezogene Organisationsentscheidung vorliegt. In dieser Konstellation sind sämtliche in diesem Bereich gleichartig beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihre Arbeitszeitvolumen in die soziale Auswahl einzubeziehen.96) 78 Innerhalb des Kreises der Teilzeitbeschäftigten ist eine soziale Auswahl jedenfalls dann möglich, wenn sich hinsichtlich der geschuldeten Arbeitszeit nur geringfügige Unterschiede ergeben und der kündigungsbedrohte Arbeitnehmer die fortbestehende Stelle eines anderen Arbeitnehmers übernehmen kann, ohne dass eine Anpassung anderer Arbeitsverträge erforderlich wird.97) 79 Die vier Auswahlkriterien sind dabei abschließend und untereinander vollkommen gleichwertig. Die Berücksichtigung des Lebensalters als Auswahlkriterium verstößt dabei auch nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000.98) 80 Durch die Formulierung in § 1 Abs. 3 Satz 1 „… nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat“ ist klargestellt, dass dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein gewisser Bewertungsspielraum zusteht und der gekündigte Arbeitnehmer sich nur dann erfolgreich auf eine Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl berufen kann, wenn er sich i. R. seines Vergleichs auf

___________ 92) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 240; dazu auch BAG, Entsch. v. 5.5.1995 – 2 AZR 91/93, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 31. 93) BAG, Entsch. v. 5.5.1995 – 2 AZR 91/93, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 31. 94) BAG, Urt. v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03, NZA 2005, 175. 95) BAG, Urt. v. 17.2.2000 – 2 AZR 142/99, ZIP 2000, 1069 = NZA 2000, 822; beschränkt sich etwa das vertragliche Einsatzgebiet einer Verkäuferin auf ein konkretes Filialgeschäft, kommt die Einbeziehung der Verkäufer einer benachbarten Filiale nicht in Betracht. 96) BAG, Urt. v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, NJW 1999, 1733; BAG, Urt. v. 12.8.1999 – 2 AZR 12/99, NJW 2000, 533 = NZA 2000, 30; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 251. 97) LAG Niedersachsen, Urt. v. 11.6.2001 – 5 Sa 1832/00, BB 2001, 2379 unter Hinweis auf BAG, Entsch. v. 3.12.1998 – 2 AZR 341/98, BB 1999, 847 und EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs. C-322/98 (Kachelmann/ Bankhaus Lampe), ZIP 2000, 1947 = NZA 2000, 1155. 98) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044, 1048 ff. = ZIP 2012, 1623; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234.

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einen mit ihm austauschbaren, nicht gekündigten Arbeitnehmer zu beziehen vermag, der deutlich ungünstigere Sozialdaten aufweist.99) Der vom BAG in der Vergangenheit als „Dominotheorie“ aufgestellte Grundsatz, demzu- 81 folge im Falle eines Sozialauswahlfehlers automatisch die Kündigungen aller sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer als unwirksam angesehen wurden, auch wenn bei fehlerfreier Erstellung der Rangfolge ggf. nur ein einziger Arbeitnehmer von der Kündigungsliste zu streichen gewesen wäre, wurde zwischenzeitlich wieder aufgegeben. Nunmehr können sich nur noch diejenigen Arbeitnehmer auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen, deren Position auf einer Kündigungsliste sich bei korrekter Rangfolge tatsächlich konkret verbessert hätte.100) 3.7.2.2

Die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur

Auch im Zuge einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren erscheint es 82 oftmals sinnvoll, die Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens in personeller Hinsicht zu sichern, um es für eine spätere Übertragung an einen Investor attraktiver zu gestalten. Insoweit erkennt das Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG u. a. die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur i. R. der Sozialauswahl als „sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse“ an. Das Gesetz selbst enthält darüber hinaus jedoch keine konkreten Vorgaben zu deren Umsetzung. In der Praxis wird – in Übereinstimmung mit einer mittlerweile umfangreichen Rechtspre- 83 chung – versucht, dieses anerkannte Ziel auf der Grundlage einer Altersgruppenbildung zu erreichen. Insoweit kommt dem Arbeitgeber bei deren Bildung grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu.101) Demgegenüber unterliegt die Frage, ob die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung tatsächlich zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur geeignet ist, einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung.102) Im Interesse einer Bewahrung der bestehenden Personalstruktur muss die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu Kündigenden finden.103) Lediglich dann, wenn die Anzahl der Entlassungen vergleichbarer Arbeitnehmer innerhalb einer Altersgruppe im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, wird ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerlegbar – indiziert.104) Im Übrigen trifft den Arbeitgeber – und mithin auch den Insolvenzverwalter – die volle Beweis- und Darlegungslast.105) Im Interesse der Erzielung einer größeren Übersichtlichkeit und damit einer Erleichterung 84 der Sozialauswahl werden in der Praxis häufig vom Arbeitgeber/Insolvenzverwalter einseitig erstellte Punktesysteme verwendet. Die rechtlichen Wirkungen einer auf kollektiver Ebene abgeschlossenen Vereinbarung i. S. von § 1 Abs. 4 KSchG ist hiermit allerdings nicht ver___________ 99) BAG, Urt. v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791; BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120. 100) Zur (veralteten) Dominotheorie: BAG, Urt. v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, ZIP 1985, 953 = NJW 1985, 2046; aktuell BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, BB 2007, 1393. 101) BAG, Beschl. v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, ZIP 2005, 1803; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rz. 1142. 102) BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 103) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 104) BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040, 1043; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044, 1051 = ZIP 2012, 1623; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234. 105) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 87, 89 = ZIP 2013, 234.

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bunden; vielmehr ist dieses Schema und die daraus folgende Auswahlentscheidung gerichtlich voll überprüfbar,106) sie kann aber jedenfalls zur Orientierung dienen. 3.7.2.3 Die Leistungsträgerregelung 85 Entsprechend der Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (sog. Leistungsträgerregelung)107). Nach aktuellem, seit dem 1.1.2004 geltendem Recht ist die Erfüllung eines der drei genannten Kriterien (Kenntnisse, Fähigkeiten, Leistungen) unter Nützlichkeitsgesichtspunkten ausreichend;108) dabei kann die Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer auch aufgrund von Kriterien erfolgen, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen.109) Je schwerer das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen allerdings die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.110) Der Hinweis auf eine höhere Krankheitsquote eines an sich sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmers kann die Ausklammerung eines Leistungsträgers alleine nicht begründen.111) 3.7.3 Die Anhörung des Betriebsrats 86 Auch bei einer durch den Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung ist die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unabdingbare Voraussetzung. Dies gilt auch im Falle einer Nachkündigung, die bspw. zur Heilung formaler Fehler oder zur Erzielung einer kürzeren Kündigungsfrist gemäß § 113 Satz 1 InsO gestützt auf denselben (und dem Betriebsrat an sich bereits bekannten) Kündigungsgrund wiederholt wird.112) Im Übrigen gelten zum Umfang der Anhörung keinerlei Besonderheiten; in der Regel sind hier daher die notwendigen Angaben zu den Sozialdaten der betroffenen Arbeitnehmer, die Kündigungsgründe sowie im Falle einer betriebsbedingten Kündigung die Aspekte der Sozialauswahl ins Einzelne gehend darzulegen. In diesem Zusammenhang hat eine Erläuterung der Kündigungsgründe so ausführlich zu erfolgen, dass die Betriebsratsmitglieder in die Lage versetzt werden, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich darüber klar zu werden, wie die Reaktion auf die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers aussehen soll.113) Maßgeblich ist insoweit die subjektive Sichtweise des Arbeitgebers; er hat daher die nach seiner Ansicht maßgeblichen Kündigungsgründe vorzutragen (sog. „subjektive Determination“).114) 87 Auch wenn das Gesetz in § 102 BetrVG keine Form vorsieht, empfiehlt es sich bereits aus Beweisgründen die Anhörung schriftlich zu formulieren und parallel i. R. eines persön___________ 106) BAG, Urt. v. 18.10.1984 – 2 AZR 543/83, ZIP 1985, 953; hierzu auch Ascheid, RdA 1997, 333, 335. 107) Nach früherem Recht war die Herausnahme eines Leistungsträgers zur Sozialauswahl nur möglich, wenn die Leistungsunterschiede derart erheblich waren, dass der Arbeitgeber im Interesse eines geordneten Betriebsablaufs auf ihn nicht verzichten konnte; vgl. etwa BAG, Urt. v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, ZIP 1983, 1105; BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, NJW 2002, 3797 = NZA 2003, 42. 108) Vgl. dazu Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 275; nach BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA 2008, 72 (LS) = NZA-RR 2007, 460 setzt das „berechtigte betriebliche Interesse“ keine Zwangslage voraus. 109) BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA 2008, 72 (LS) = NZA-RR 2007, 460 für den Fall eines als Reinigungskraft beschäftigten Mitglieds der freiwilligen Feuerwehr. 110) BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120, 1122 unter Hinweis auf das Regel-/Ausnahmeprinzip. 111) BAG, Urt. v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362. 112) BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491. 113) Ständige Rspr. des BAG, vgl. etwa BAG, Urt. v. 15.11.1995 – 2 AZR 974/94, ZIP 1996, 648. 114) BAG, Urt. v. 6.2.1997 – 2 AZR 265/96, NZA 1997, 656 = MDR 1994, 697.

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lichen Gesprächs zu erläutern. Bei der betriebsbedingten Kündigung ist der Entschluss des Insolvenzverwalters möglichst detailliert zu schildern, und zwar hinsichtlich des Zeitpunkts und der näheren Umstände, in deren Folge Arbeitsplätze im insolventen Betrieb entfallen. Hier ist plausibel darzulegen, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Erfüllung der bislang von den entfallenden Arbeitsplätzen zu erbringende Leistung hat und wie die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung künftig erfüllt werden soll. Fällt der Arbeitsplatz ersatzlos fort, muss dargelegt werden, dass die Arbeit nicht mehr das ursprüngliche Volumen erreicht. In diesem Zusammenhang kann es zu einer Arbeitsverdichtung kommen, ggf. folgt hieraus jedoch auch eine Überbelastung, die die Kündigung nicht rechtfertigt. 3.7.4 Beurteilungszeitpunkt, Darlegungs- und Beweislast Zur Beurteilung der Wirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung kommt es grundsätz- 88 lich auf die Sachlage zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an.115) Erforderlich ist etwa im Falle einer geplanten (teilweisen) Betriebsstilllegung, dass der Arbeitgeber – und mithin auch der Insolvenzverwalter – zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den betroffenen Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.116) Wird zum Kündigungszeitpunkt etwa noch über eine Veräußerung von Gesellschaftsanteilen verhandelt, scheidet eine Kündigung wegen geplanter Betriebsstilllegung aus.117) War die Kündigung zu diesem Zeitpunkt sozial gerechtfertigt, können spätere Änderungen 89 der Umstände hieran nichts mehr ändern.118) Die zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Gründe sind in ihrer Natur nach zukunftsbezogen; in der Folgezeit eintretende Veränderungen der Prognose haben auf ihre Wirksamkeit als Gestaltungserklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich keinen Einfluss.119) Auswirkungen ergeben sich insoweit in diesem Zusammenhang allerdings im Bereich der Beweislast: Wird der Betrieb etwa nach der wegen geplanter Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigung von einem Erwerber fortgeführt, begründet dies eine gegen die Stilllegungsabsicht sprechende Vermutung, die der Arbeitgeber/Insolvenzverwalter dadurch widerlegen kann, indem er substantiiert darlegt, dass die Veräußerung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung weder vorhersehbar noch geplant war. Dabei ist es ohne Belang, ob die Betriebsfortführung durch den Erwerber vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist stattgefunden hat.120) Als weiteres Korrektiv hat die Rechtsprechung im Interesse der Vermeidung von unan- 90 gemessenen Rechtsfolgen auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter bestimmten Voraussetzungen einen Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch entwickelt, auf dessen Grundlage der Arbeitnehmer eine Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses verlangen kann, sofern sich durch nachträglich eintretende Umstände eine dauerhafte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt, der Arbeitgeber noch keine anderweitigen Dispositionen getroffen hat sowie ihm die unveränderte Fort___________ 115) Ständige Rspr. des BAG; vgl. etwa BAG, Urt. v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, ZIP 1989, 326 = NZA 1989, 265; BAG, Urt. v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, ZIP 1989, 1012 = NZA 1989, 461; BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251. 116) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999. 117) BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251. 118) BAG, Urt. v. 28.4.1988 – 2 AZR 623/87, ZIP 1989, 326 = NZA, 1989, 265; i. Ü. BAG, Urt. v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, ZIP 1989, 1012 = NZA 1989, 461; BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122 = NZA 1997, 251; hierzu auch Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128. 119) Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128; vgl. etwa zur personenbedingten Kündigung BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328; zur Verdachtskündigung vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.7.1956 – VI ZR 88/55, NJW 1956, 1513. 120) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999.

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Teil III Einzelfragen

setzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.121) Der Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch wurde dabei vom BAG anhand von Konkurs- bzw. Insolvenzfällen entwickelt.122) Jedenfalls in dieser Konstellation ist nach der Rechtsprechung ein Wiedereinstellungsanspruch auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen sich die nachträglich eintretenden Umstände innerhalb der Kündigungsfrist (mithin maximal innerhalb des Drei-MonatsZeitraums des § 113 Satz 2 InsO) ergeben; nach Ablauf der Kündigungsfrist hat das BAG einen Wiedereinstellungsanspruch – jedenfalls für Insolvenzfälle – abgelehnt.123) Gleichermaßen ist ein Wiedereinstellungsanspruch dann nicht gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis wirksam befristet war oder das KSchG nicht anwendbar ist.124) 3.8 Der Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Insolvenz 91 Die Fortführung der operativen Tätigkeit eines Schuldnerunternehmens stellt regelmäßig keinen Selbstzweck dar, sondern dient – jenseits der Erwirtschaftung eines Überschusses zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung – regelmäßig der Vorbereitung von Verwertungsmaßnahmen, entweder in Form der Sanierung des Rechtsträgers i. R. eines Insolvenzplans gemäß §§ 217 ff. InsO oder der Vorbereitung einer übertragenden Sanierung i. S. der Veräußerung des Unternehmens oder von Unternehmensteilen, in der Regel durch Einzelrechtsnachfolge i. R. eines Asset Deals.125) 92 Ungeachtet der Erleichterung einer Restrukturierung durch eine Modifikation des Insolvenzplanverfahrens durch das ESUG mit Wirkung zum 1.3.2012 wird in der Praxis auch zum heutigen Zeitpunkt in der überwiegenden Zahl der Fälle die zweite Alternative gewählt.126) Bei jeder Übertragung von Vermögenswerten des schuldnerischen Unternehmens taucht sodann automatisch die Frage nach dem Vorliegen eines (Teil-) Betriebsüberganges i. S. des § 613a BGB auf, der sich in der Vergangenheit angesichts seiner empfindlichen Rechtsfolgen oftmals als Sanierungshindernis erwiesen hat.127) 93 Dabei war die Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz lange Zeit durchaus umstritten:128) Eingeführt wurde die Vorschrift durch die EG-Richtlinie Nr. 77/187/EWG ___________ 121) Vgl. zum Wiedereinstellungsanspruch nach (wirksamer) Kündigung die Grundsatzentscheidung des BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, DB 1997, 1414 = NJW 1997, 2257; BAG, Urt. v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BB 1998, 538 = NZA 1998, 254; BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BB 1998, 1108; BAG, Urt. v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, ZIP 1999, 670 = NZA 1999, 311; zum ganzen auch Oetker, ZIP 2000, 643; Schubert, ZIP 2002, 554; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 365 ff. 122) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, DB 1997, 1414 = NJW 1997, 2257. 123) BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610; dazu Berkowsky, NZI-aktuell 1/2005; Arens/ Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 369; zur Geltung der KO so schon BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97 (Dörries Scharmann I), ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422. Im Bereich der Instanzenrechtsprechung ist das Vorliegen eines Fortsetzungs- oder Wiedereinstellungsanspruchs im Insolvenzfall nach wie vor umstritten; nach Auffassung des LAG Frankfurt soll etwa ein Fortsetzungsanspruch hier generell nicht bestehen (vgl. LAG Frankfurt/Main, Entsch. v. 25.1.2001 – 11 Sa 908/99, ZInsO 2002, 48; so auch LAG Hessen, Urt. v. 27.2.2003 – 11 Sa 799/02, ZInsO 2003, 1060; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 385. 124) BAG, Urt. v. 20.2.2002 – 7 AZR 600/00, ZIP 2002, 1162; LAG Hessen, Entsch. v. 7.3.2000 – 9 Sa 1077/99, ZInsO 2000, 625; LAG Hamm, Entsch. v. 26.8.2003 – 5/11 Sa 589/03, NZA-RR 2004, 76; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 369. 125) Dazu auch Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 2–5 mit weiteren Nachweisen. 126) Ausweislich der auf der Grundlage einer Insolvenzverwalterbefragung vorgenommenen Ermittlungen von Prof. Bitter/Universität Mannheim betrug im Jahre 2007 bei fortgeführten Unternehmen mit einem Umatzvolumen zwischen 5 Mio.–50 Mio. der Anteil von Insolvenzplänen 10 % zu 56 % übertragenden Sanierungen, s. die vom Zentrum für Insolvenz und Sanierung (ZIS) und der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG durchgeführte Studie „Rettung aus der Insolvenz“, abrufbar unter www.zis.uni-mannheim.de. 127) Hierzu etwa Warbein, DZWiR, 2006, 11 – 17; Mückl, ZIP 2012, 2373. 128) Gegen eine Anwendbarkeit des § 613a BGB für das Insolvenzverfahren etwa LAG Hamm, Entsch. v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZInsO 2000, 292.

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vom 14.2.1977;129) die dieser nachfolgende Richtlinie Nr. 98/50/EG des Rates vom 29.6.1998130) bestimmt in ihrem Art. 4a, dass die insoweit maßgeblichen Art. 3 und 4 der Ausgangsrichtlinie vom 14.2.1977 – sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen – nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen gelten, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde. Die hierdurch eröffnete Chance wurde jedoch spätestens durch die gesetzliche Neuregelung 94 im Zuge einer Einführung der InsO zum 1.1.1999 vertan: In § 128 InsO wird die Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt bzw. vorausgesetzt, so dass jedenfalls hiermit der Vorbehalt einer mitgliedstaatlichen Regelung i. S. von Art. 4a der Richtlinie Nr. 98/50/EG ausgefüllt wurde.131) 3.8.1 Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs Die zuverlässige Beurteilung der Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt bzw. stattfindet, 95 ist in der Vergangenheit in der Praxis nicht zuletzt in Anbetracht des Einflusses der Rechtsprechung des EuGH immer wieder auf Schwierigkeiten gestoßen.132) Innerhalb der letzten Jahre hat die Rechtsprechung des insoweit zuständigen 8. Senats des BAG im Zuge eines stetigen Wandels unter dem Einfluss der Urteile des EuGH eine Reihe von Kriterien aufgestellt, die es i. R. einer Überprüfung zu beachten gilt: Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH definiert das BAG in ständiger Recht- 96 sprechung den Betriebsbegriff i. S. von § 613a BGB als eine „auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit“; ein Betriebsübergang liegt vor, wenn diese wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf einem neuen Inhaber übergeht. Maßgeblich ist insoweit eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände.133) In diesem Zusammenhang wird insbesondere abgestellt auf x

den Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva (Gebäude, bewegliche Güter, Produktionsanlagen),134)

___________ 129) Richtlinie 77/187/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer bei Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen v. 14.2.1977, ABl. Nr. 61/26. 130) Richtlinie 98/50/EG des Rates v. 29.6.1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, Abl. L 201 v. 17.7.1998, S. 88. 131) Hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 475; die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a BGB wird in der Rechtsprechung seither auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen; vgl. etwa BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013 = ZInsO 2004, 1325; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. 132) Vgl. etwa das vielbeachtete Urteil des EuGH i. S. „Christel Schmidt“ EuGH, Urt. v. 14.4.1994 – Rs. C392/92 (Schmidt/Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen), ZIP 1994, 1036. 133) Vgl. dazu unter Übernahme fast gleichlautender Formulierungen etwa BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, ZIP 2011, 2023 = NZA 2011, 1143; BAG, Urt. v. 24.4.2008 – 8 AZR 268/07, NZA 2008, 1314; hierzu auch Küttner-Kreitner, Personalbuch 2012, Betriebsübergang, Rz. 10. 134) Maßgeblich insb. bei sog. „betriebsmittelintensiven" Betrieben; vgl. hierzu im Anschluss an EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01 (Abler), ZIP 2003, 2315 = NZA 2003, 1384; sowie EuGH, Urt. v. 15.12.2005 – Rs. C-232, 233/04 (Güney-Görres), ZIP 2006, 95 m. Anm. Kock = NZA 2006, 29 etwa BAG, Urt. v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, ZIP 2006, 1268 = NZA 2006, 723; BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, ZIP 2006, 1917 = NZA 2006, 1101; BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382 = NZA 2007, 793; BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021.

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x

den Wert der übergehenden immateriellen Aktiva (Patente, Geschmacksmuster, Knowhow, Goodwill etc.),

x

die Übernahme der maßgeblichen Belegschaft,135)

x

den Übergang der Kundschaft/des Kundenstammes,136)

x

den Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten operativen Tätigkeiten,137)

x

sowie schließlich die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser betrieblichen Tätigkeit.138)

97 Demgegenüber stellt die bloße Auftrags- oder Funktionsnachfolge i. S. der Übernahme einer bestimmten Tätigkeit beim Erwerber ohne Übertragung eines betrieblichen Substrats regelmäßig keinen Betriebsübergang dar.139)

___________ 135) Insbesondere maßgeblich bei „betriebsmittelarmen" Betrieben; hierzu etwa BAG, Urt. v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162; BAG, Urt. v. 28.4.2011 – 8 AZR 709/09, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 397/07, ZIP 2009, 1128 = NZA 2009, 485. Insoweit kommt es nach der besagten Rechtsprechung maßgeblich darauf an, dass ein „nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil der Belegschaft vom Erwerber übernommen bzw. neu eingestellt worden ist“; so BAG, Urt. v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, NZA 2011, 197; BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, ZIP 1998, 666 = NZA 1998, 534; umgekehrt kann aus einer unterbliebenen Übernahme von Personal jedoch nicht grundsätzlich darauf geschlossen werden, dass ein Betriebsübergang nicht vorliegt, so etwa LAG Köln, Urt. v. 8.3.2004 – 4 Sa 1115/03, NZA-RR 2004, 464. 136) Die ausschließliche Übernahme nur des Kundenstammes eines Unternehmens begründet für sich betrachtet allerdings noch keinen Betriebsübergang, so etwa ArbG Frankfurt v. 5.11.2002 – 7/12 Ca 2593/02, n. v.; hierzu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 570; allerdings kann die Übertragung einer Kundenkartei oder der Übergang einer Vertriebsberechtigung für ein bestimmtes Gebiet bei der Frage der Wahrung der wirtschaftlichen Einheit Berücksichtigung finden; dazu etwa EuGH, Urt. v. 7.3.1996 – Rs. C-171, 172/94 (Cour du travail Brüssel), Slg. 1996, I-1253 = ZIP 1996, 882. 137) Hierzu BAG, Urt. v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, ZIP 1998, 36 = NZA 1998, 31; BAG, Urt. v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, ZIP 2000, 711 = NZA 2000, 369; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, ZIP 2006, 2181 = NZA 2006, 1357; BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382 = NZA 2007, 793; BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 m. Anm. Kock = NZA 2007, 1431. 138) BAG, Urt. v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, ZIP 1997, 1555 = NZA 1997, 1050; die für die Ablehnung eines Betriebsübergangs maßgebliche Dauer der Unterbrechung ist dabei abhängig vom jeweiligen Unternehmensgegenstand; bei einer Kindertagesstätte kann bereits eine dreimonatige Unterbrechung gegen einen Betriebsübergang sprechen, vgl. etwa LAG Köln, Urt. v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, NZA-RR 1998, 290; hierzu auch ausführlich Küttner-Kreitner, Personalbuch 2012, Betriebsübergang, Rz. 12 ff. Bei Betrieben des Saisongeschäfts führt bspw. eine reguläre Schließung und Fortführung zur nächsten Saison für sich alleine noch nicht zum Identitätsverlust der wirtschaftlichen Einheit, so EuGH, Urt. v. 17.12.1987 – Rs. 287/86 (Ny Molle Kro), Slg. 1987, 5465 = EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 3; bei Modefachgeschäften hat das BAG jedenfalls eine neun Monate währende tatsächlich Einstellung jeglicher Verkaufstätigkeit als erhebliche Zeitspanne angesehen, vgl. BAG, Urt. v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, ZIP 1997, 1555 = = NZA 1997, 1050. 139) EuGH, Urt. v. 20.1.2011 – Rs C-463/09 (CLECE), ZIP 2011, 488 – Gebäudereinigung; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, ZIP 1998, 167 = NZA 1998, 251 – Gebäudereinigung im Krankenhaus; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 52/96, EzA BGB § 613a Nr. 166 – Verpackungsabteilung; BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 699/96, AuR 1998, 202 – Buchhalter; BAG, Urt. v. 22.1.1998 – 8 AZR 197/95 n. v. – Reinigungskraft im Schuhgeschäft; BAG, Entsch. v. 23.4.1998 – 8 AZR 665/96 n. v. – Auslieferungsfahrer im Einzelhandel; BAG, Urt. v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96, NZA 1999, 483 – Bewachungsauftrag; BAG, Entsch. v. 4.6.1998 – 8 AZR 644/96, n. v. – Kinderklinik; BAG, Urt. v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147 – Möbelauslieferung und -montage; BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 693/06, NZA 2007, 1296 – Handling auf Großflughafen; BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 m. Anm. Kock = NZA 2007, 1431 – technische Dienstleistung in Universitätsklinik; BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 – Lagerbetrieb; LAG Köln, Urt. v. 24.7.2003 – 10 Sa 86/03, NZA-RR 2004, 236 – Kinderbetreuung; vgl. i. Ü. auch die ausführliche Darstellung bei KüttnerKreitner, Personalbuch 2012, Betriebsübergang, Rz. 11.

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§ 14

Der Verweis auf die einzelnen Hilfskriterien darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, 98 dass sowohl die Rechtsprechung des EuGH als auch des BAG die Frage nach dem Vorliegen eines Betriebsübergangs i. S. eines identitätswahrenden Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit als organisierter Gesamtheit von Personen und Sachen regelmäßig im Zuge einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vornimmt. 3.8.2 Die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs 3.8.2.1

Das Kündigungsverbot gemäß § 613a Abs. 4 BGB

Lässt sich i. R. einer Gesamtbetrachtung aller Umstände unter Beachtung der vorstehend 99 genannten Kriterien das Vorliegen eines Betriebsübergangs nicht in Abrede stellen, ist insoweit bei in zeitlicher Nähe zu einer Veräußerung erfolgenden Kündigungen die Verbotsvorschrift des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB zu beachten. Eine Kündigung wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist demzufolge unwirksam; allerdings bleibt das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unberührt (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB). Demzufolge ist der Ausspruch einer i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigten Kündigung aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen ohne weiteres zulässig; für die Beurteilung kommt es insoweit nach allgemeinen Grundsätzen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Ist etwa zum betreffenden Zeitpunkt der betriebsbedingten Kündigung eine (Teil-)Betriebsstilllegung endgültig geplant und eingeleitet, wird diese ursprünglich sozial gerechtfertigte Kündigung nicht etwa dadurch unwirksam, dass es später doch noch zu einer Betriebsveräußerung kommt.140) Der in der Praxis (oftmals im Zusammenhang mit der Durchführung von Transfermaß- 100 nahmen i. S. des § 110 SGB III und dem Übertritt der Arbeitnehmerschaft in eine BQG) unternommene Versuch, das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags beim (alten) Arbeitgeber und den gleichzeitigen Abschluss eines Neuvertrags beim Erwerber zu umgehen, ist jedenfalls dann zum Scheitern verurteilt, wenn dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags vom Betriebserwerber bereits ein neues Arbeitsverhältnis verbindlich in Aussicht gestellt wurde oder es für den Arbeitnehmer nach den gesamten Umständen klar gewesen ist, dass er vom Betriebserwerber eingestellt werde.141) Da die Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren regelmäßig (auch) dem 101 Zweck dient, das Unternehmen für einen Investor attraktiv und verkaufsfähig zu gestalten, gelten für zu diesem Zweck ausgesprochene – betriebsbedingte – Kündigungen die allgemeinen Grundsätze.142) Insoweit war es bereits in der Vergangenheit dem bisherigen Betriebsinhaber (und mithin auch dem Insolvenzverwalter) vor der Veräußerung des Betriebs unbenommen, ein eigenes Sanierungskonzept zu entwickeln und umzusetzen.143) ___________ 140) BAG, Urt. v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147; zum Korrektiv des Fortsetzungs- oder Wiedereinstellungsanspruchs vgl. oben unter Rz. 90. 141) Nach der Rspr. des BAG wird die vom Schutzzweck des § 613a BGB gewollte Kontinuität des Arbeitsverhältnisses hier im Falle des Fehlens eines „Risikogeschäfts“ für den Arbeitnehmer künstlich unterbrochen; der Aufhebungsvertrag ist in einem solchen Fall wegen Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB nichtig gemäß § 134 BGB; vgl. etwa BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203; zur Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang vgl. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, (Dörries Scharmann I) ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422; BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148 = NZA 2006, 145; BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2007, 866; BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 313/10, ZInsO 2012, 291 (Losverfahren); zum Ganzen auch Pils, NZA 2013, 125. 142) Hierzu BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. 143) Dazu etwa BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, ZIP 1983, 1377.

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§ 14

Teil III Einzelfragen

Die Absicht einer dauerhaften anschließenden eigenen Fortsetzung der operativen Tätigkeit ist dabei nicht zwingende Voraussetzung.144) In konsequenter Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat das BAG in der Folgezeit seit dem Jahre 2003 die Kündigung eines Insolvenzverwalters als Betriebsveräußerer (auch) auf der Grundlage eines Erwerberkonzepts akzeptiert. Diese wird als betriebsbedingt und nicht gegen das Verbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB verstoßend angesehen, sofern ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (zulässigerweise auch des Insolvenzverwalters) bereits greifbare Formen angenommen hat;145) hierbei soll es für die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung – jedenfalls in der Insolvenz – nicht maßgeblich darauf ankommen, ob das Konzept auch beim Veräußerer hätte durchgeführt werden können.146) 102 Trotz des seit der grundlegenden Entscheidung des BAG vom 20.3.2003 vergangenen Zeitraums sind bis heute eine Reihe damit zusammenhängender Fragen höchstrichterlich noch ungeklärt: x

Soweit die Kündigung (noch) vom veräußernden Insolvenzverwalter ausgesprochen wird, ist es allerdings allg. M., dass insoweit die (verkürzte) Kündigungsfrist des § 113 InsO zur Anwendung kommt.147) Hierbei handelt es sich um eine automatische Folge der im Insolvenzverfahren vorgesehenen Erleichterungen.148)

x

Ebenso dürfte es keinen Bedenken begegnen, dass vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich der beim veräußernden Insolvenzverwalter bestehende Betriebsrat und nicht etwa auch diejenige des Erwerbers gemäß § 102 BetrVG zu beteiligen ist.149)

x

Auch hinsichtlich des Verhandlungsmandats für einen abzuschließenden Interessenausgleich nach § 125 InsO, der das Erwerberkonzept ggf. im Zuge der erstellten Namensliste umsetzt, ist die ausschließliche Beteiligung des Insolvenzverwalters auf Arbeitgeberseite ohne Berücksichtigung des Erwerbers bislang unbestritten.150) Auch im Zuge einer Beurteilung des flankierend verhandelten Sozialplanvolumens dürfte es insoweit ausschließlich auf die Spezialvorschrift des § 123 InsO und nicht etwa auf die Leistungsfähigkeit des Erwerbers ankommen.151)

Umfassendere Auseinandersetzungen gibt es auf der Ebene des arbeitsrechtlichen Schrifttums in Bezug auf die personelle Reichweite der durchzuführenden Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG: Nach ganz h. M. im Schrifttum152) soll diese – ___________

x

144) BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028, dazu EWiR 1996, 1115 (Joost). 145) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. Die auszusprechenden Kündigungen dürfen dabei nicht alleine durch den Druck des Erwerbers motiviert sein, den Betrieb nicht zu übernehmen, da die dort beschäftigen Arbeitnehmer „zu teuer“ seien; vgl. die genannten BAG Entscheidungen. 146) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = = NZA 2007, 387, dazu auch EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis). 147) Dies findet bereits Anklang in der Entscheidung v. 20.3.2003, vgl. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671, 1674 unter ee). 148) So auch Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 149) Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt-Willemsen, Kap. H 118, so auch Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 150) Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 151) Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt-Willemsen, Kap. H 118; Annuß/Stamer, NZA 2003, 1237, 1248. 152) Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430, 434; Henckel, ZGR 1984, 225, 234 ff.; Vossen, BB 1984, 1557, 1560; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Moll, Münch-AHB ArbR, Rz. 181; für eine umfassende, auch den aufnehmenden Erwerberbetrieb einbeziehende Sozialauswahl Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, S. 110 ff.; zum Ganzen auch Küttner-Kreitner, Personalbuch 2012, Betriebsübergang, Rz. 76.

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

nicht zuletzt unter formaler Bezugnahme auf den Betriebsbegriff – per se ausschließlich auf den Betrieb des Veräußerers und damit auf den Betrieb der Insolvenzschuldnerin beschränkt sein. Andere Auffassungen differenzieren: So gibt es Meinungen, die in Fällen der eingliedernden Betriebs(Teil-)übernahme (alleine) die Arbeitnehmer des aufnehmenden Betriebs bei der Sozialauswahl berücksichtigen wollen;153) andere wiederum vertreten in diesen Fällen generell eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl unter Einbeziehung der Arbeitnehmer des Erwerbers.154) Eine weitere Literaturmeinung differenziert danach, ob das zur Kündigung führende Sanierungskonzept (auch) vom veräußernden Insolvenzverwalter hätte durchgeführt und umgesetzt werden können: In diesem Fall soll es sich materiell–rechtlich um eine Kündigung des Veräußerers mit entsprechender Beschränkung der Sozialauswahl auf den abgebenden (insolventen) Betrieb handeln.155) Ist dies nicht gegeben, wird die Kündigung der Sphäre des Erwerbers zugerechnet mit entsprechender Ausdehnung des Sozialauswahlkreises (auch) auf den aufnehmenden Betrieb.156) Eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Punkt ist bislang nicht bekannt.157) 3.8.2.2

Die Haftungsprivilegierung des Erwerbers

Nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmung in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der neue 103 Inhaber kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Für den Fall eines (Teil-)Betriebsübergangs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt allerdings eine in ihren Grundzügen bereits zur Zeit der KO entwickelte Haftungserleichterung:158) Wird ein Betrieb oder ein Betriebsteil vom Insolvenzverwalter i. R. eines eröffneten Insolvenzverfahrens veräußert, haftet der Betriebserwerber nicht für vor Insolvenzeröffnung entstandene Verbindlichkeiten (sog. „Altverbindlichkeiten“).159) Begründet wird dieses Haftungsprivileg mit einem Vorrang der Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung.160) Insbesondere auch für den Bereich der Versorgungsleistungen tritt für die bis zur Insolvenzeröffnung erdienten unverfallbaren Anwartschaften der Arbeitnehmer der Pensionssicherungsverein (PSV) ein.161) Vom Grundsatz der Haftungsbeschränkung eines Betriebserwerbers in der Insolvenz 104 werden Urlaubsansprüche allerdings lediglich dann erfasst, sofern sie – angesichts einer bereits erfolgten zeitlichen Festlegung – der Zeitspanne vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden können.162) Bringt der (übernommene) Arbeitnehmer noch nicht ___________ 153) Bütefisch, Die Sozialauswahl, S. 99. 154) So etwa Preis in: ErfK, § 613a BGB, Rz. 172 a. E.; Däubler/Hjort/Schubert/Wollmerath, Arbeitsrecht, Rz. 258. 155) So Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632. 156) Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629, 632; dazu auch Gaul/Bonanni/Naumann, DB 2003, 1902. 157) Vgl. zur Instanzenrechtsprechung ArbG München, Entsch. v. 19.10.2011 – 1 Ca 496/11, abrufbar unter http://www.arbg.bayern.de. 158) Vgl. dazu bereits zur Zeit der KO BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914. 159) BAG, Urt. v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, ZIP 1987, 525; BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247; so auch zur InsO BAG, Entsch. v. 9.12.2009 – 3 AZR 384/07, BB 2010, 191. 160) BAG, Urt. v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, ZIP 1987, 525; BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247; ergänzende Rechtsprechung zur InsO auch BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; hierzu auch Berscheid, NZI 2000, 1, 5; Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 5/2011, § 128 Rz. 5. 161) Vgl. dazu bereits BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247. 162) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = NZA 2004, 654; dazu auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 737.

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Teil III Einzelfragen

erfüllte Urlaubsansprüche in das übergegangene Arbeitsverhältnis mit, haftet der Erwerber für deren Erfüllung, sofern diese nach dem Stichtag des Betriebsübergangs vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden. Dies gilt gleichermaßen für die Urlaubsabgeltung.163) 105 Zu beachten bleibt allerdings, dass der Erwerber jenseits des Haftungsprivilegs auch für nach Insolvenzeröffnung entstandene und bereits vor Betriebsübergang fällig gewordene Masseschulden aus dem Arbeitnehmerbereich haftet. So tritt er nach der Rechtsprechung des BAG in die zwar gekündigten, aber noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten ein; hierzu zählt auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug aus dem Zeitraum vor Betriebsübergang.164) 106 Es ist vor diesem Hintergrund dringend davon abzuraten, einen Betrieb oder Betriebsteil vor Verfahrenseröffnung zu übernehmen. Die Haftungsprivilegierung findet lediglich nach Insolvenzeröffnung Anwendung; auch erscheint es im Interesse einer Vermeidung der Erwerberhaftung sinnvoll, eine Konkretisierung bzw. zeitliche Festlegung der Urlaubsansprüche vor dem Stichtag des Betriebsübergangs herbeizuführen. 3.8.2.3

Informationspflichten und Widerspruch des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 5 und 6 BGB

107 Das in der Vergangenheit auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH165) sowie des BAG166) entwickelte Widerspruchsrecht angesichts eines Betriebsübergangs ist seit dem 1.4.2002167) durch eine Neuaufnahme der Absätze 5 und 6 in § 613a BGB gesetzlich normiert. Zur Ermöglichung der Beurteilung, ob ein Widerspruch des Arbeitnehmers erfolgen soll oder nicht, hat der Gesetzgeber dem bisherigen Arbeitgeber und dem Erwerber in § 613a Abs. 5 BGB Informationspflichten auferlegt, die vor dem Übergang in Textform zu erfüllen sind. 108 Demzufolge müssen die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer über die im Gesetz angesprochenen Umstände unterrichtet werden, namentlich also über x

den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Überganges,

x

den Grund für den Übergang,

x

die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer (z. B. die Haftungsregelung gemäß § 613a Abs. 1, 2 BGB),

x

die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen und

x

die Identität des Erwerbers (vollständiger Name, Vertretungsverhältnisse, Anschrift und Kontaktmöglichkeiten).168)

___________ 163) Vgl. BAG, Urt. v. 18.3.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013. 164) BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849; BAG, Urt. v. 23.9.2009 – 5 AZR 518/08, NZA 2010, 781; so zur Zeit der KO schon BAG, Urt. v. 4.12.1986 – 2 AZR 246/86, ZIP 1987, 454 = NJW 1987, 1966. 165) Vgl. etwa EuGH v. 7.3.1996 – Rs. C-171, 172/94 (Cour du Travail Brüssel), Slg. 1996, I-1253 = ZIP 1996, 882; EuGH, Urt. v. 24.1.2002 – Rs. C-51/00 (Tempco), Slg. 2002, I-969 = BB 2002, 464. 166) BAG, Urt. v. 22.4.1993 – 2 AZR 313/92, ZIP 1994, 391 = DB 1994, 941; BAG, Urt. v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, ZIP 1998, 1080. 167) Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vom 23.3.2002, verkündet in BGBl. 2002, S. 1163. 168) Hierzu im Einzelnen mit Beispielen Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 618, 621 ff.

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

Die Unterrichtung erfordert dabei eine verständliche, arbeitsplatzbezogene und inhaltlich 109 zutreffende Information i. R. einer konkreten, betriebsbezogenen Darstellung in einer auch für einen juristischen Laien möglichst verständlichen Sprache.169) Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung hat der 8. Senat des BAG den Umfang der 110 Unterrichtungsverpflichtung in einer Fülle von Entscheidungen sukzessive konkretisiert.170) Dabei lässt sich nicht verhehlen, dass die vom BAG stetig i. R. von Einzelfallentscheidungen ausgeweitete Unterrichtungsverpflichtung in gewissem Gegensatz zum gleichzeitig aufgestellten Gebot der sprachlichen Verständlichkeit für einen juristischen Laien steht.171) Jenseits der im Gesetzestext konkret aufgeführten Punkte empfiehlt es sich, die Unterrich- 111 tungsverpflichtung in Form eines möglichst umfassenden Standardschreibens zu erfüllen, welches – trotz der Standardisierung – auch tatsächliche oder rechtliche Unterschiede, die nur einzelne Bereiche oder einzelne Arbeitsverhältnisse betreffen, ausreichend berücksichtigt. Unterbleibt die Unterrichtung bzw. wird diese nicht vollständig und ordnungsgemäß vor- 112 genommen, bleibt den Arbeitnehmern die Möglichkeit unbenommen, das in § 613a Abs. 6 BGB enthaltene Widerspruchsrecht unbeachtlich der darin festgelegten Monatsfrist auch noch nach dem Betriebsübergang zu einem späteren Zeitpunkt auszuüben; die Frist für die Erhebung des Widerspruchs wird in dieser Konstellation nicht ausgelöst.172) Der Widerspruchsmöglichkeit ist sodann in zeitlicher Hinsicht – jenseits der Verwirkungsgrundsätze173) – keine Grenze gesetzt.174) Auch eine auf anderem Wege erlangte (vollständige) Kenntnis des Arbeitnehmers von den Umständen des Betriebsübergangs ist unbeachtlich.175) Im Falle einer Inanspruchnahme des Widerspruchsrechts durch den Arbeitnehmer kommt 113 ein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nicht zustande; vielmehr bleibt das alte Arbeitsverhältnis zum veräußernden Betrieb – mithin vorliegend mit dem insolventen Unternehmen – bestehen.176) ___________ 169) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 625; Meyer, Die Unterrichtung der Arbeitnehmer vor Betriebsübergang, Rz. 309 ff.; instruktiv auch Willemsen, NJW 2007, 2065. 170) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 277/10, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de; BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 407/07, ZIP 2009, 1295 = NZA-RR 2009, 62; BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, ZIP 2010, 46 = NZA 2010, 89; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, ZIP 2006, 2143 = NZA 2006, 1273; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050 = NZA 2006, 1268; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, BB 2007, 1340 = NZA 2007, 682; BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, ZIP 2009, 929 = NZA 2009, 552; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 188/07, NZA 2009, 752 (LS) = DB 2009, 1077; BAG v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354. 171) Kritisch zur zum Perfektionismus tendierenden Auslegung der Informationspflicht auch Willemsen, NJW 2007, 2065, 2068. 172) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050 = NZA 2006, 1268. 173) Zur Verwirkung des Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers hat es ebenfalls in der Zwischenzeit eine Reihe von Entscheidungen des BAG gegeben, die tendenziell eine Verwirkung lediglich in engen Grenzen annehmen. Nach herkömmlichen Grundsätzen reicht alleine das Zeitmoment nicht aus; i. Ü ist die Tatsache alleine, dass der Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang zunächst seine Tätigkeit bei dem (neuen) Betriebsinhaber weitergeführt hat, für das Vorliegen eines Umstandsmoments nicht ausreichend, so etwa BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, BB 2007, 1340 = NZA 2007, 682; zur Verwirkung i. Ü. BAG, Urt. v. 25.4.2001 – 5 AZR 497/99, ZIP 2001, 1647 = NZA 2001, 966; BAG, Urt. v. 18.12.2003 – 8 AZR 621/02, ZIP 2004, 1068 = NZA 2004, 791; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, ZIP 2007, 87. 174) Vgl. etwa Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 89; so auch BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07, ZIP 2009, 2310 = ZInsO 2010, 496. 175) So Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 671. 176) Statt vieler Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 678.

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Teil III Einzelfragen

114 Im Falle der fristgerechten Ausübung des Widerspruchsrechts ist sodann der Insolvenzverwalter als neuerlicher Arbeitgeber berechtigt, das wiedererlangte Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zu kündigen, da im insolventen Unternehmen angesichts der Veräußerung kein vakanter Arbeitsplatz mehr vorhanden ist. Bei dieser betriebsbedingten Kündigung ist eine Sozialauswahl nicht erneut durchzuführen, da im Regelfall eine Vergleichsmöglichkeit mangels weiterbeschäftigter anderer Arbeitnehmer nicht gegeben sein wird. Für diese Kündigung gilt gleichermaßen die Kappungsgrenze des § 113 InsO.177) Dies mag allenfalls dann anders sein, wenn der Insolvenzverwalter lediglich einen Betriebsteil veräußert und der widersprechende Arbeitnehmer geltend macht, in der Vergangenheit auch in einer anderen – im Insolvenzverfahren noch fortgeführten – Betriebsabteilung beschäftigt gewesen zu sein. In dieser Konstellation dürften die allgemeinen Grundsätze einer betriebsbedingten Kündigung einschließlich der nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführenden Sozialauswahl gelten. 3.9

Das Verfahren bei Massenentlassungen

115 Soweit die Anzahl der durchzuführenden Entlassungen den Schwellwert des § 17 KSchG erfüllen, muss der Insolvenzverwalter in der Rolle des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigungen den Betriebsrat konsultieren und der örtlichen Agentur für Arbeit unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats diese Massenentlassung schriftlich anzeigen. Die inhaltlichen Vorgaben der Konsultation des Betriebsrates ergeben sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 – 6 KSchG; die Mindestinhalte der schriftlichen Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit folgen aus § 17 Abs. 3 KSchG, der insoweit zwischen Pflicht- und Sollangaben unterscheidet. 116 Üblicherweise wird die Massenentlassungsanzeige auf der Grundlage von seitens der Bundesagentur für Arbeit angebotenen Formularen durchgeführt.178) 117 Fordert die gesetzliche Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG die Vorlage der Massenentlassungsanzeige vor Durchführung einer „Entlassung“, wurde dies in der Vergangenheit mit dem Zeitpunkt gleichgesetzt, in welchem das Arbeitsverhältnis seine rechtliche Beendigung fand und der Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausschied.179) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 27.1.2005180) („Junk“-Entscheidung) festgelegt, dass entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung die Konsultation des Betriebsrats und die Anzeige an die Bundesagentur für Arbeit bei Massenentlassungen i. S. von § 17 KSchG vor Ausspruch der Kündigungen stattzufinden hat, mithin als „Entlassung“ die Abgabe der Kündigungserklärung anzusehen ist. Die Praxis der Vergangenheit, zunächst die Kündigungen auszusprechen und sodann innerhalb des Laufs der Kündigungsfristen das Anzeigeverfahren bei der Agentur für Arbeit einzuleiten, ist damit obsolet. Das BAG hat sich in der Folgezeit dieser Rechtsprechung angeschlossen und allenfalls für Altfälle, in denen bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH auf der Grundlage der nationalen Rechtsprechung vorgegangen worden war, spezielle Grundsätze des Vertrauensschutzes aufgestellt.181) ___________ 177) Zum Ganzen Lembke, BB 2007, 1333. 178) Abrufbar unter www.arbeitsagentur.de. 179) Vgl. BAG, Urt. v. 6.12.1973 – 2 AZR 10/73, BAGE 25, 430 = NJW 1974, 1263; BAG, Urt. v. 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, BAGE 84, 267 = NJW 1997, 2131; BAG, Urt. v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, ZIP 1999, 1568. 180) EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03, (Junk/Kühnel), ZIP 2005, 230. 181) Vgl. etwa BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, ZIP 2006, 1644 = NZA 2006, 971; BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, ZIP 2006, 2396; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598 = BB 2008, 1460;. zum Ganzen auch Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 768 ff., 772.

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Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung

§ 14

Gemäß § 18 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf 118 eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam (sog. „Entlassungssperre“). Die Zustimmung kann dabei auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden. Ferner kann die Agentur für Arbeit im Einzelfall bestimmen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige wirksam werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). Infolge der „Junk“-Entscheidung des EuGH war es unklar, welche Auswirkungen dem 119 modifizierten Entlassungsbegriff im Hinblick auf die in § 18 KSchG enthaltene Entlassungssperre zukommt. Teilweise wurde hierzu die Auffassung vertreten, angesichts des neuen Entlassungsbegriffs könnten die Kündigungen erst zeitversetzt nach Ablauf der Sperrfrist ausgesprochen werden.182) Das LAG Berlin-Brandenburg ging davon aus, dass die Kündigungsfrist nach Vorlage der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG erst nach Ablauf der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG beginne.183) Das BAG hat zwischenzeitlich klargestellt, dass die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG weder den Ausspruch einer Kündigung (unmittelbar) nach Vorlage der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit während des Laufs der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 oder 2 KSchG hindere, noch die Sperrfrist die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängere.184) Eine – auch unter dem Blickwinkel der aktuellen Rechtsprechung des EuGH und nach- 120 folgend des BAG – unterbliebene, fehlerhafte oder verspätete Massenentlassungsanzeige führt in ihrer Rechtsfolge jedenfalls dann zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung, wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer im Prozess hierauf beruft.185)

___________ 182) Hierzu etwa Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 1 Rz. 783. 183) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 21.12.2007 – 6 Sa 1846/07, AE 2008, 112 = DB 2009, 236; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.2.2007 – 6 Sa 2152/06, BB 2007, 2296. 184) BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, ZIP 2009, 487; vgl. dazu auch die Anm. v. Simon/Greßlin, BB 2009, 727. 185) So BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 219/06, n. v.; BAG, Urt. v. 12.7.2007 – 2 AZR 619/05, n. v.; BAG, Urt. v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, ZIP 2008, 428; BAG, Urt. v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, BB 2008, 563; BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZIP 2010, 246; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845 = ZIP 2013, 742; BAG Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966 = ZIP 2013, 1589; vgl. zur Beweislastverteilung auch BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZA 2013, 864.

Dreschers

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§3 Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Der Insolvenzverwalter und das Klavier.................................................... 6 1. Das Instrument ......................................... 10 1.1 Schaffung der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage ......................................... 11 1.2 M&A-Prozess, Insolvenzplan........ 13 1.3 Gläubigerrechte............................... 14 1.4 Sonderrechte ................................... 15 1.5 Individualarbeitsrechtliche Pflichten ......................................... 16

1.6

2. 3. III. IV. V. VI.

Kollektivarbeitsrechtliche Pflichten ......................................... 19 1.7 Immaterielle Wirtschaftsgüter ....... 21 1.8 Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeiten...................... 22 1.9 Erfüllung steuerlicher Pflichten .... 24 Geeignete Spieler........................................ 26 Das Konzert .............................................. 31 Verantwortlichkeit .................................. 39 Normierungs-/Messbarkeitsversuche .... 42 ESUG.......................................................... 47 Zusammenfassung .................................... 51

Literatur: Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Entscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Jäger/Weber, Konkursordnung, Kommentar, 8. Aufl., 1958 – 1973; Mönning, Insolvenzverwalter als Arbeitgeber: Chancen und Risiken für Arbeitnehmer und Betriebsrat, in: Heinrich (Hrsg.), Wirtschaft im Umbruch, Neue Aufgaben für die Arbeits- und Insolvenzrechtspraxis, 2010; Rattunde, Sanierung durch Insolvenz, ZIP 2003, 2103; Stapper, Das Profil des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Wilhelm Nordemann, 1999, S. 259; Wellensiek, Die Fachanwaltschaft für Insolvenzrecht, NZI 1999, 169; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199.

I.

Einleitung

Nach wie vor präsent und zutreffend ist die Aussage von Jäger, wonach die Auswahl des 1 Insolvenzverwalters die Schicksalsfrage des Insolvenzverfahrens ist.1) Im letzten Jahrzehnt hat die Zahl der bestellten Insolvenzverwalter stark zugenommen. 2 Laut statistischer Erfassung von INDat2) stieg die Zahl der bestellten Insolvenzverwalter von 1.265 im Jahr 2001 auf 2.002 im Jahr 2010 an. Diese Entwicklung ist u. a. dem Umstand geschuldet, dass an die Zulassung als Insolvenzverwalter, welchen das BVerfG3) ausdrücklich als Beruf anerkannt hat, zunächst keine detaillierten und genauen Voraussetzungen verbunden sind. Grundsätzlich wird der Insolvenzverwalter durch einen, das Insolvenzverfahren eröffnen- 3 den Beschluss gemäß § 27 InsO bestellt. Dabei schreibt § 56 InsO lediglich vor, dass zum Insolvenzverwalter eine für den Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestellen ist, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Weitere Voraussetzungen für die Bestellung normiert § 56 InsO nicht. Die Rechtsprechung hat ergänzend neben der Geschäftskundigkeit auch die persönliche 4 Integrität, insbesondere die Ehrlichkeit, als weitere persönliche Anforderung an einen Insolvenzverwalter festgelegt ebenso wie das Nichtvorliegen von strafbaren Handlungen im

___________ 1) Jäger/Weber, KO, § 78 Rz. 7. 2) www.INDat.info/Statistikenvorjahre.php. 3) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 und 1086/01, NZI 2004, 574.

Rebholz

41

§3

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Zusammenhang mit der Verwaltung fremden Vermögens, die die Ablehnung der Bestellung bzw. auch eine Entlassung rechtfertigen.4) 5 Die genannten Vorgaben reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um hieraus auch nur annähernd den Rückschluss ziehen zu können, ob eine Person die Anforderungen, die eine Betriebsfortführung mit sich bringt, erfüllt bzw. über die erforderlichen unternehmerischen Qualitäten hierzu verfügt. II.

Der Insolvenzverwalter und das Klavier

6 Das Insolvenzverfahren selbst als auch die Betriebsfortführung sind mit einem Klavier vergleichbar, das der Insolvenzverwalter zu spielen hat. Damit das Konzert im Ergebnis auch ein Erfolg für alle Beteiligten wird, sind bestimmte Anforderungen zu erfüllen. 7 Voraussetzung ist, dass der Insolvenzverwalter zunächst die Belegung sämtlicher Tasten kennt und weiß, wann er welche zu spielen hat. Hierbei hat er die Saiten, sprich Beteiligten, i. R. der Betriebsfortführung so anzusprechen, dass im Ergebnis eine Komposition entsteht, die zu dem in § 1 InsO normierten Ziel der bestmöglichen Befriedigung aller Gläubiger führt. Hierzu ist es nicht ausreichend, allein das Instrument und dessen Tastenbelegung zu kennen, der Insolvenzverwalter muss das Instrument auch beherrschen, um gerade auch die sich aus § 158 InsO ergebende Grundidee zu realisieren, einen laufenden schuldnerischen Betrieb zumindest bis zur Gläubigerversammlung fortzuführen, sofern dies ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse möglich ist. 8 Im Hinblick auf die bereits oben erwähnte Vielzahl der zwischenzeitlich bestellten Verwalter kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass es bereits ausreichend für eine Listung bzw. auch Bestellung ist, wenn man behauptet zu wissen, was ein Klavier ist. 9 Gerade hinsichtlich eines laufenden, fortzuführenden Geschäftsbetriebs und den darin verkörperten Wert, bedarf es jedoch umfangreicherer und weiterer Voraussetzungen und Qualifizierungen, um die in der InsO normierten Ziele im Hinblick auf die Erhaltung von Geschäftsbetrieben erfüllen zu können. 1.

Das Instrument

10 Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Dies bewirkt eine Vielzahl einerseits gesetzlicher als auch aufgabenimmanenter Pflichten auch i. R. der Betriebsfortführung, die durch den Insolvenzverwalter zu erfüllen sind. Auf diese wird in den folgenden Kapiteln des Werks dezidiert eingegangen werden. Insbesondere handelt es sich um folgende Parameter: 1.1

Schaffung der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage

11 Der Insolvenzverwalter ist hier i. R. der obligatorischen Betriebsfortführung zu allen Maßnahmen berechtigt und verpflichtet, die der Fortführung des Schuldnerbetriebes dienen und eine vorzeitige Stilllegung verhindern. Zu diesem Zweck hat er insbesondere Finanzund Liquiditätspläne, Plan-, Gewinn- und Verlustrechnungen zu erstellen sowie diese fortlaufend den tatsächlichen Entwicklungen des Unternehmens anzupassen.5) ___________ 4) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, ZIP 2011, 671 = NZI 2011, 282; LG Stendal, Beschl. v. 11.8.2010 – 25 T 107/10, NZI 2010, 993; BGH, Beschl. v. 31.1.2008 – III ZR 161/07, ZIP 2008, 446 = NZI 2008, 241; LG Halle, Beschl. v. 22.10.1993 – 2 T 247/93, ZIP 1993, 1739. 5) Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§3

Ebenfalls hat er ein entsprechendes Controlling durchzuführen und Soll- und Istergeb- 12 nisse zu vergleichen.6) 1.2

M&A-Prozess, Insolvenzplan

Der Insolvenzverwalter muss sowohl mit der Durchführung von M&A-Prozessen, im 13 Hinblick auf eine eventuelle Veräußerung des Betriebes i. R. einer übertragenden Sanierung, als auch mit dem Instrument des Insolvenzplans vertraut sein und diese auch beherrschen sowie entscheiden, welches der Instrumente zur Anwendung kommen kann. 1.3

Gläubigerrechte

Die in der InsO normierten Rechte der Gläubiger, insbesondere in Form der Einberufung 14 von Gläubigerversammlungen bzw. des Gläubigerausschusses sind zu wahren. 1.4

Sonderrechte

Er hat geltend gemachte Sonderrechte zu prüfen und entsprechend zu berücksichtigen, 15 was insbesondere in den §§ 48 ff. InsO normiert ist. Aus- und Absonderungsrechte hat der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren grundsätzlich zu berücksichtigen und deren Rechtspositionen zu achten.7) 1.5

Individualarbeitsrechtliche Pflichten

Der Insolvenzverwalter tritt funktionell in die Arbeitgeberposition mit der Folge ein, dass 16 er sämtliche Rechte und Pflichten hat, die sich aus der Arbeitgeberstellung des Insolvenzschuldners ergeben. Er ist an die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehende arbeitsrechtliche Rechtslage gebunden.8) Ebenso muss der Insolvenzverwalter mit dem Belangen des Insolvenzgeldes vertraut sein, 17 insbesondere i. R. des vorläufigen Verfahrens mit der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB III. Dies umfasst auch sozialversicherungsrechtliche Pflichten, insbesondere die Abführung 18 der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d Satz 1 SGB IV bzw. auch die Beiträge zu Berufsgenossenschaft nach §§ 150 ff. SGB VII. 1.6

Kollektivarbeitsrechtliche Pflichten

Der Insolvenzverwalter ist an geltende Betriebsvereinbarungen gebunden.9) Er hat die be- 19 triebsverfassungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere auch im Hinblick auf Betriebsänderungen und damit verbundene Pflichten zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans – unter Berücksichtigung der speziellen insolvenzrechtlichen Vorschriften der §§ 120 ff. InsO – zu beherrschen. Der Insolvenzverwalter hat sämtliche Rechte des Betriebsrats in personellen und wirtschaft- 20 lichen Angelegenheiten zu beachten.10) Auch die tariflichen Bindungen wirken gegenüber dem Insolvenzverwalter.11) ___________ 6) Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 167. 7) BGH, Urt. v. 1.12.2005 – IX ZR 115/01, ZIP 2006, 194, 195. 8) Gottwald-Heinze/Bertram, Hdb. InsR, § 103 Rz. 24; BAG, Urt. v. 30.1.1991 – 5 AZR 32/90, ZIP 1991, 744 = NJW 1991, 1971. 9) Gottwald-Heinze/Bertram, Hdb. InsR, § 103 Rz. 24. 10) BAG, Urt. v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62, 72; Ott in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 126. 11) BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727; Nerlich/Römermann-Wittkowski, InsO, § 80 Rz. 111.

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§3 1.7

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Immaterielle Wirtschaftsgüter

21 Der Insolvenzverwalter muss in der Lage sein die, eventuell bei der Schuldnerin bestehenden und vorhandenen, immateriellen Wirtschaftsgüter in Form von Patenten, Konzessionen etc. zu erfassen, zu bewahren und deren weitere Anwendungen i. R. der Betriebsfortführung sicherzustellen. 1.8

Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeiten

22 Grundsätzlich wird das Ordnungsrecht durch das Insolvenzrecht nicht verdrängt.12) Die Bestimmungen des Ordnungsrechts gelten im eröffneten Verfahren fort. Adressat der Ordnungsverfügung ist nach Insolvenzeröffnung der Verwalter. 23 Dies ist insbesondere problematisch bei Vorhandensein von umweltbelastenden Gegenständen bzw. hinsichtlich eventuell erforderlicher Genehmigungen zur Fortsetzung bzw. Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, bspw. nach dem BImSchG.13) 1.9

Erfüllung steuerlicher Pflichten

24 Der Schuldner selbst bleibt auch während des Insolvenzverfahrens Steuersubjekt und damit auch Steuerschuldner i. S. von § 43 AO bzw. Steuerpflichtiger nach § 33 AO.14) Gemäß § 34 Abs. 3 AO hat der Insolvenzverwalter jedoch die steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners wahrzunehmen. 25 Im Rahmen der Fortführung, insbesondere auch im Zusammenhang mit insolventen Konzernen, hat er sich mit x

ggf. bestehenden steuerrechtlichen Organschaften,

x

der eventuellen Besteuerung des Sanierungsgewinns sowie

x

sämtlichen weiteren Steuern wie Körperschaftsteuer, Lohnsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Grundsteuer, Kraftfahrzeugsteuer etc.

auseinanderzusetzen, die insolvenzrechtlich erforderlichen Abgrenzungen vorzunehmen und entsprechende Pflichten der Insolvenzmasse zu erfüllen.15) 2.

Geeignete Spieler

26 Die hier dargestellten Themen stellen die wesentlichen Bereiche der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren dar. Aus der Komplexität ergibt sich bereits, dass eine nicht hinreichend qualifizierte Person nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann. 27 Ersichtlich muss ein Insolvenzverwalter Kenntnisse über eine große Bandbreite von Rechtsgebieten, insbesondere im Gesellschafts-, Handels-, Arbeits-, Steuerrecht und den angeschlossenen Nebenrechtsgebieten besitzen, da das Insolvenzrecht eine Schnittmaterie verschiedenster Rechtsgebiete ist.16) 28 Neben diesen Rechtskenntnissen sind des Weiteren betriebswirtschaftliche Kenntnisse erforderlich, um zumindest theoretisch und vom Wissenshorizont her die Aufgaben i. R. einer Betriebsfortführung bewältigen zu können.

___________ 12) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51, 52 = ZIP 2004, 2145; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 170. 13) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 170. 14) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 167. 15) Hierzu im Einzelnen: Uhlenbruck-Maus, InsO, § 80 Rz. 26 ff. 16) Eickmann in: HK-InsO, § 56 Rz. 19.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§3

Daher werden insbesondere Berufsgruppen wie Juristen, Wirtschaftsprüfer oder Steuerbe- 29 rater und ähnlich vorgebildete Personen als Insolvenzverwalter bestellt, die jedoch nicht nur auf ihren berufsspezifischen Wissensbereich beschränkt sein dürfen, sondern insbesondere das Zusammenspiel der einzelnen rechtlichen und wirtschaftlichen Bereiche beherrschen müssen.17) Lediglich umfangreiches theoretisches Wissen bzw. die Kenntnis der Belegung der Tasten 30 des Klaviers führen nun nicht dazu, dass eine in sich stimmige Komposition erklingt und damit ein gelungenes Konzert gespielt wird. Hierzu bedarf es weiterer, nicht normierter und auch schwer messbarer Voraussetzungen und Fähigkeiten. 3.

Das Konzert

Bei den im vorigen Abschnitt dargestellten Voraussetzungen handelt es sich um die fach- 31 lichen Voraussetzungen, über die jeder Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung grundsätzlich verfügen muss. Alleine die fachliche Kompetenz an sich ist jedoch nicht ausreichend, um eine Betriebsfortführung erfolgreich durchführen zu können. Hinzukommen müssen hier weitere persönliche, insbesondere auch unternehmerische 32 Voraussetzungen, die gesetzlich nicht normiert, aber vom Gesetzgeber unausgesprochen intendiert sind. Das sind diejenigen Anforderungen, die sich im Laufe der Ausübung des Berufs herauskristallisiert haben. Danach ist unerlässlich, dass der Insolvenzverwalter für eine erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit i. R. der Fortführung über zahlreiche sog. Softskills verfügt.18) Bei der Ausübung seiner Tätigkeit auch und gerade i. R. der Betriebsfortführung ist der 33 unternehmerisch handelnde Insolvenzverwalter als zentrale Figur des Insolvenzverfahrens nicht nur den Normierungen der InsO unterworfen, vielmehr muss der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidungsfindung eine Vielzahl von Interessen berücksichtigen, die seine Entscheidungsfreiheit zumeist stark reduzieren.19) Insbesondere bei der Betriebsfortführung übt der Insolvenzverwalter eine Unternehmer- 34 funktion aus und hat unternehmerische Entscheidungen zu treffen.20) Zur optimalen Wahrung der Gläubigerinteressen werden an einen Insolvenzverwalter gerade im Falle der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, insbesondere bei der Sanierung, Anforderungen gestellt, die auch mit den Anforderungen an aktive Unternehmer, Kaufleute und im besten Sinne des Wortes Manager gestellt werden.21) Der Insolvenzverwalter nimmt daher grundsätzlich dieselben Aufgaben wie ein Kaufmann, Geschäftsführer oder Vorstand wahr. Er ist auf Grund seines wirtschaftlichen Betätigungshintergrunds mit einem Unternehmensleiter vergleichbar.22) Er hat strategische und operative Entscheidungen, gerade auch im Hinblick auf die 35 künftige Positionierung des Unternehmens mit seinen Produkten, zu treffen. Dies erfordert eine selbstbewusste, erfahrene, wirtschaftlich denkende und auf Ausgleich völlig widerstreitender Interessen bedachte Persönlichkeit mit Entscheidungsfreude, pragmatischer Tendenz zu schnellen Lösungen, guter Menschenkenntnis und peinlicher finanzieller

___________ 17) 18) 19) 20) 21) 22)

Stapper in: FS Nordemann, S. 259, 261; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 18. Mönning in: Heinrich, Wirtschaft im Umbruch, S. 31. Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 9 II. 1. Rz. 1. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 290. Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321, 322.

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§3

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Korrektheit. Gefordert wird Mut, Rückgrat, Entscheidungsfreude, Ehrlichkeit und Erfahrung.23) 36 Die gesamte, bisher dargestellte, fachliche Kompetenz kann in einer Betriebsfortführung lediglich ein- und umgesetzt werden, sofern der Insolvenzverwalter über die Fähigkeit der Kommunikation mit allen Beteiligten verfügt. Insbesondere in Sanierungsfällen braucht der Insolvenzverwalter nicht nur Kompetenz, sondern vor allem Akzeptanz, denn Sanierung beruht auf Konsens.24) 37 Im Rahmen der Betriebsfortführung wird nur derjenige Insolvenzverwalter erfolgreich sein, der insbesondere gegensätzliche Interessen von Beteiligten erkennt und durch sinnvolle Kommunikation und Akzeptanz in der Lage ist, die widerstreitenden Interessen so auszugleichen, dass die Betriebsfortführung erfolgreich durchgeführt werden kann. Kommunikationstalent ist hierbei in vielfältiger Weise gefordert, da der Insolvenzverwalter mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten vor dem Hintergrund deren jeweiliger Individualinteressen und auch dem vorhandenen Verständnis für die Rahmenbedingungen eines Insolvenzverfahrens Konsens schaffen muss. Hier ist insbesondere auch diplomatisches Geschick Voraussetzung,25) um das für eine erfolgreiche Betriebsfortführung bzw. Unternehmenssanierung erforderliche positive Insolvenzklima zu schaffen.26) 38 Nur wenn diese Voraussetzungen in der Person des Insolvenzverwalters vorhanden sind, wird es ihm gelingen, durch das Spielen der richtigen Tasten zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Stärke dem Klavier die Komposition zu entlocken, die im Ergebnis den Erfolg bei den Insolvenzgläubigern schaffen wird. III.

Verantwortlichkeit

39 Bei Durchsicht der InsO ist festzustellen, dass der Insolvenzverwalter selbst nur in ganz geringem Umfang hinsichtlich der direkten Vornahme von Handlungen eingeschränkt ist. 40 Lediglich in § 158 Abs. 2 InsO ist normiert, dass das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners und nach Anhörung des Verwalters die Stilllegung oder Veräußerung eines schuldnerischen Betriebes untersagt, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann. Zwar sehen die §§ 160 – 163 InsO eine Vielzahl von Konstellationen vor, für deren Umsetzung der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung benötigt. Gleichwohl ist jedoch in § 164 InsO festgehalten, dass durch einen Verstoß gegen diese Vorschriften die Wirksamkeit der Handlungen des Insolvenzverwalters an sich nicht berührt wird. Entsprechende Verfügungen des Insolvenzverwalters sind lediglich unwirksam, sofern sie dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung offenbar zuwiderlaufen.27) 41 Ansonsten verbleiben den Geschädigten lediglich Ersatzansprüche gemäß §§ 60 ff. InsO. Gerade aber die Tatsache, dass der Insolvenzverwalter im Hinblick auf Verfügungen lediglich in ganz geringem Umfang zunächst bezüglich deren Wirksamkeit eingeschränkt werden kann, erfordert es einen verantwortungsvollen Umgang unter Berücksichtigung sämtlicher widerstreitender Interessen mit dem anvertrauten Vermögen, insbesondere dem laufenden Geschäftsbetrieb und damit einhergehend die Charakterstärke, die in so großem Umfang ___________ 23) BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, ZIP 2011, 671 = NZI 2011, 282; Leonhardt/Smid/ZeunerSmid, InsO, § 56 Rz. 6; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 55. 24) Rattunde, ZIP 2003, 2103. 25) Wellensiek, NZI 1999, 169, 170. 26) Rattunde, ZIP 2003, 2103, 2109. 27) Ausführlich hierzu: Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 150 ff.

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Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil

§3

übertragene Entscheidungsmacht sinnvoll zur bestmöglichen Zielerreichung der Beteiligten einzusetzen. IV.

Normierungs-/Messbarkeitsversuche

In der Vergangenheit ist vielfach versucht worden, durch diverse Normierungsregularien Kriterien für den „idealen“ Insolvenzverwalter zu entwickeln. Beispielhaft sind hier zu nennen die Empfehlungen der Uhlenbruck-Kommission,28) die teilweise auch von Eigeninteressen gesteuerten Bemühungen diverser Berufsverbände wie des VID oder des Gravenbrucher Kreises, die diverse Zertifizierungsmodelle bzw. Verhaltungskodizes entwickelt haben als auch Messbarkeitsversuche des Erfolgs eines Insolvenzverwalters, wie es bspw. das AG Hannover durch Auswertung diverser Verfahrenszahlen vornimmt. Das Erfüllen all dieser objektiven Voraussetzungen, wie das Einhalten eines Verhaltenskodexes, persönliche Integrität etc., ist ohnehin Grundvoraussetzung zur verantwortungsvollen Ausübung des Verwalteramts. Gerade nicht messbar sind jedoch die oft entscheidenden Erfolgsparameter, die Softskills bzw. die Persönlichkeit eines einzelnen Verwalters, für den Erfolg einer Betriebsfortführung. So ist erfahrenen Praktikern durchaus bekannt, dass es Betriebsfortführungen gibt, bei denen es ohne größere Probleme möglich ist, den Betrieb fortzuführen und nahezu sämtliche bzw. sämtliche bei der Schuldnerin bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten, was im Ergebnis dazu führt, dass dieser Insolvenzverwalter als „guter“ Verwalter wahrgenommen wird. Andererseits ist derjenige Verwalter, dem es gelingt, unter schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wenigstens einen Teilbetrieb zu erhalten und einen Teil der Arbeitsplätze zu bewahren, deswegen nicht automatisch ein schlechter Insolvenzverwalter, wenngleich oftmals hier das Ergebnis von allen Beteiligten oder dem breiten Publikum als minderwertig wahrgenommen wird, auch wenn es inhaltlich mit höheren qualitativen Anforderungen verbunden war. Da jede Betriebsfortführung, aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, als Einzelfall betrachtet werden muss und hier grundsätzlich keine objektiv messbaren Erfolgskriterien angelegt werden können, kann hier aus der Erfüllung objektiver Kriterien wie der Inhaberschaft eines Zertifikats, die zudem lediglich meist Abläufe und nicht Inhalte erfassen, noch kein Rückschluss auf die jeweilige Eignung bzw. die qualitative Abwicklung des einzelnen Fortführungsfalles gezogen werden, da die hierfür u. a. sehr ausschlaggebenden persönlichen Qualitäten des Insolvenzverwalters objektiv nicht messbar sind. V.

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ESUG

Gemäß dem durch das ESUG per 1.3.2012 eingeführten § 56a InsO besteht nun die Mög- 47 lichkeit, dass die Gläubiger „ihren“ Insolvenzverwalter selbst bestimmen können. Das früher bei der Bestellung alleinherrschende Insolvenzgericht ist hier nunmehr stark bzw. vollständig eingeschränkt, wenn eine entsprechend professionelle Vorbereitung dieses Punktes erfolgt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt war, um im obigen Bild zu bleiben, den Gläubigern vielfach bekannt, 48 dass ein Klavierkonzert stattfindet. Unter dem Programmpunkt Klavierspieler war jedoch immer vermerkt: Überraschung des Veranstalters, die dann oftmals auch für die Gläubiger sehr groß war. Diese haben nun entsprechend hohen Einfluss auf die Verwalterwahl, womit sich auch ein Insolvenzverwalter nunmehr bei den potenziellen Gläubigern bzw. auch den Koordinatoren im Vorfeld, insbesondere Sanierungsberatungen bzw. Sanierungsabteilungen größerer Dienstleistungseinheiten wie Wirtschaftsprüfern etc. präsentieren muss. ___________ 28) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 29.

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§3

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

49 Hierzu gehört zu der vorerwähnten Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten heutzutage auch eine repräsentative Außendarstellung einschließlich entsprechender Werbe- und Marketingmaßnahmen. Auch hier haben in den letzten zehn bis zwanzig Jahren starke Umwälzungen stattgefunden, was sich an den Darstellungen vieler Büros durch Erarbeitung einer corporate identity, den Bezug repräsentativer Büroflächen oder eben auch der Entwicklung der Printmedien und auch in den letzten Jahren der zeitgemäßen Internet-Medien und der Selbstdarstellung auf vielfach von Profis ausgefeilten Internetpräsentationen ablesen lässt. 50 Die Abdeckung dieser Bereiche ist erforderlich, um auch in Zeiten des ESUG für die nun zum Teil bezüglich der Bestellung des Verwalters relevanten Beteiligten präsent zu sein. VI.

Zusammenfassung

51 Neben der Beherrschung der relevanten, sämtlicher ein Insolvenzverfahren berührender Rechtsgebiete und betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten, sind insbesondere Softskills in der Person des Insolvenzverwalters erforderlich, mit denen er in der Lage ist, die oftmals widerstreitenden Interessen der Beteiligten zu einen, und durch Kommunikation und diplomatisches Geschick das angestrebte Verfahrensziel zu erreichen. Hierbei muss es dem Insolvenzverwalter insbesondere gelingen, sich innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen der Beteiligten zu erarbeiten, um erfolgreich den der InsO innewohnenden Grundgedanken der Sanierung und Betriebsfortführung unter enormem Zeitdruck umsetzen zu können. 52 Diese Erfordernisse sind jedoch nur eingeschränkt normierbar. Deren Auswirkungen auf das Verfahrensergebnis sind zwar von entscheidender Bedeutung, jedoch im Hinblick auf das Verfahrensergebnis leider schwer messbar.

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§ 15 Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme Übersicht I. 1.

2.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme ...................................................... 1 Der Betriebsrat im Insolvenzverfahren ...... 1 1.1 Allgemeine Stellung des Betriebsrates ...................................... 1 1.2 Allgemeine Rechte des Betriebsrates im Insolvenzverfahren ........................... 4 1.3 Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters ........................ 10 1.4 Rechte des Betriebsrates in der Betriebsfortführung ........................ 12 1.4.1 Rechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren ......................... 12 1.4.2 Rechte des Betriebsrates beim Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Betriebsfortführung (übertragende Sanierung) ............... 45 1.5 Betriebsvereinbarungen in der Betriebsfortführung ........................ 53 1.5.1 Beratungsgebot gemäß § 120 InsO....................................... 56 1.5.2 Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen .................. 62 1.5.2.1 Ordentliche Kündigung............ 63 1.5.2.2 Außerordentliche Kündigung.... 71 1.5.2.3 Wegfall der Geschäftsgrundlage.................................... 75 1.5.3 Nachwirkung................................... 76 Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz .............................................. 80 2.1 Betriebsänderung nach §§ 121, 122 InsO............................. 89 2.2 Interessenausgleich nach § 125 InsO..................................... 106 2.2.1 Zustandekommen des Interessenausgleiches.................... 111 2.2.1.1 Voraussetzungen ..................... 111 2.2.1.2 Beteiligung des zuständigen Betriebsrates ............................ 112 2.2.1.3 Erfordernis einer Betriebsänderung .................................. 116 2.2.1.4 Zeitpunkt ................................. 118 2.2.1.5 Anforderungen an die Namensliste ............................. 123 2.2.2 Wirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste ........ 127

Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse .... 127 2.2.2.2 Sozialauswahl........................... 129 2.3 Beschlussverfahren nach § 126 InsO..................................... 143 2.4 Bindungswirkung nach § 127 InsO..................................... 158 2.5 Betriebsänderung ohne Interessenausgleich ....................... 164 2.6 Der Nachteilsausgleich................. 166 2.6.1 Abweichung von einem Interessenausgleich ....................... 167 2.6.2 Unterbliebener Versuch eines Interessenausgleiches.................... 172 2.6.3 Entstehung des Nachteilsausgleichsanspruchs ...................... 177 2.6.4 Entlassung von Arbeitnehmern ... 183 2.6.5 Andere wirtschaftliche Nachteile ...................................... 185 2.6.6 Höhe des Nachteilsausgleichs und Verhältnis zu einem Sozialplan....................................... 186 2.6.7 Nachteilsausgleich als Masseverbindlichkeit .................... 191 2.7 Betriebsveräußerung nach § 128 InsO..................................... 192 2.8 Sozialplan nach §§ 123, 124 InsO........................... 197 2.8.1 Absolute Obergrenze ................... 205 2.8.2 Relative Obergrenze ..................... 212 2.8.3 Verteilung des Sozialplanvolumens ...................... 215 2.8.4 Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans ..................................... 225 2.8.5 Widerruf des Sozialplans .............. 229 2.9 Transfermaßnahmen..................... 239 II. Tarifrechtliche Probleme ....................... 250 1. Tarifgebundenheit des Insolvenz verwalters.................................................. 250 1.1 Begriff der Tarifgebundenheit...... 251 1.2 Mitglieder der Tarifvertrags parteien .......................................... 252 1.3 Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei... 254 1.4 Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz...................................... 258 1.5 Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Tarifgebundenheit................................. 261

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2.2.2.1

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§ 15

Teil III Einzelfragen

1.5.1 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Schuldners....... 261 1.5.2 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters ..................................... 262

1.6 1.7 2.

Nachwirkung ................................ 265 Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität ........................................ 269 Sanierungstarifverträge ............................ 271

Literatur: Annuß/Hohenstadt, Betriebsidentität und Sozialauswahl beim gemeinsamen Betrieb, NZA 2004, 420; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, 2. Aufl., 2010; Giesen, Die Betriebsverfassung nach dem neuen Insolvenzrecht, ZIP 1998, 142; Karthaus, Betriebsübergang als interessenausgleichspflichtige Maßnahme nach der Richtlinie 2004/14/EG, AuR 2007, 114; Mückl/Krings, Rettung des durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste, ZIP 2012, 106; Oetker/Friese, Massebelastende Betriebsvereinbarungen in der Insolvenz (§ 120 InsO), DZWIR 2000, 397; Ries/Zobel, Der Insolvenzplan in der Insolvenz, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, Kap. 35; Schwerdtner, Zur absoluten Höchstgrenze des Sozialplans, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 1605.

I.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme

1.

Der Betriebsrat im Insolvenzverfahren

1.1

Allgemeine Stellung des Betriebsrates

1 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens allein hat auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen keinen Einfluss. Damit bleiben auch die gewählten Betriebsratsmitglieder bis zur Auflösung des Betriebsrates oder der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Amt.1) 2 Die Bestimmungen des BetrVG – insbesondere über Interessenausgleich, Sozialplan und Nachteilsausgleich – und das SprAUG gelten auch in der Insolvenz des Unternehmens.2) Der Betriebsrat behält somit seine betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte, die auch im Insolvenzverfahren nur durch den Betriebsrat als Gremium und nicht durch den Vorsitzenden allein ausgeübt werden können.3) 3 Dies gilt – mit wenigen Ausnahmen (vgl. Rz. 85 ff. und 89 ff.) – auch dann, wenn der Betriebsrat erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählt wurde (zur Unterrichtungspflicht des Insolvenzverwalters bei Betriebsänderung vgl. Rz. 12 ff.). 1.2

Allgemeine Rechte des Betriebsrates im Insolvenzverfahren

4 Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ggf. auch bereits mit Beschluss des Gerichtes gemäß § 22 Abs. 1 InsO) übernimmt der Insolvenzverwalter (bzw. der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter) die Arbeitgeberstellung. Dieser gesetzlich geregelte Arbeitgeberwechsel hat jedoch keine einschränkenden Auswirkungen auf die im BetrVG geregelten Rechte des Betriebsrates. Der Betriebsrat übt die betriebsverfassungsrechtlichen Informations-, Beratungs-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nun allerdings ausschließlich gegenüber dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter oder dem Insolvenzverwalter aus. 5 Die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Betriebsrates werden im Insolvenzverfahren durch das Recht des Betriebsrates, im Berichtstermin (erste Gläubigerversammlung) zum Bericht des Insolvenzverwalters Stellung nehmen zu können (§ 156 Abs. 2 InsO) und die Möglichkeit, gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO Mitglied des Gläubigerausschusses zu werden, erweitert. 6 Mit Inkrafttreten des ESUG ist es nicht mehr zwingend erforderlich, dass die vom Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer Insolvenzgläubiger mit „nicht unerheblichen Forderungen“ ___________ 1) Fitting, BetrVG, § 24 Rz. 30. 2) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. 3) BAG, Beschl. v. 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, BB 1979, 522.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

sind. Damit ist gerade in der Betriebsfortführung die Rolle des Betriebsrates gestärkt worden, was für ein Verfahren mit Fortführungsaussichten unverzichtbar sein dürfte.4) Die Auskunftsrechte des Betriebsrates ergeben sich im Wesentlichen aus § 80 Abs. 2 7 BetrVG. Auch der Insolvenzverwalter ist bereits dann zur Auskunft gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet, wenn dieser die Auskünfte benötigt, um einschätzen zu können, ob Mitbestimmungsrechte bestehen.5) Die wesentlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ergeben 8 sich bei personellen Maßnahmen aus §§ 99, 102 BetrVG, bei Betriebsänderungen aus §§ 111 ff. BetrVG und bei sozialen Angelegenheiten aus § 87 BetrVG. Missachtet der Insolvenzverwalter die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte des Be- 9 triebsrates, kann der Betriebsrat diese in der gleichen Art und Weise wie zuvor gegen den schuldnerischen Arbeitgeber durchsetzen (arbeitsgerichtliches Erkenntnisverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, arbeitsgerichtliches Vollstreckungsverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BetrVG, Einigungsstellenverfahren nach §§ 76 f. BetrVG). 1.3

Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters

Die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Kosten für notwendige Aufwendungen des Betriebs- 10 rates zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben zu tragen, ergibt sich aus § 40 BetrVG. Der Betriebsrat kann zudem gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG einen Sachverständigen hinzuziehen, der die beim Betriebsrat ggf. fehlende Sachkunde ersetzt, wobei Rechtsanwälte zur rechtlichen Beratung des Betriebsrats als Sachverständige zu bewerten sind. Die Hinzuziehung bedarf jedoch einer Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Insolvenzverwalter, anderenfalls muss der Insolvenzverwalter diese Kosten nicht übernehmen.6) Hinzuweisen ist auch auf die aktuelle Entscheidung des BGH vom 25.10.2012, wonach 11 Betriebsratsmitglieder, die einen Beratungsvertrag mit einem Beratungsunternehmen abschließen und hierbei Aufgaben vereinbaren, die nicht zur Erfüllung der Betriebsratsaufgaben erforderlich sind, nach § 179 BGB gegenüber den Beratungsunternehmen haften können. Ein Freistellungs- und Kostenerstattungsanspruch gegen den Arbeitgeber (und damit auch gegen den Insolvenzverwalter) besteht nur i. R. der erforderlichen Beratungstätigkeit i. H. des marktüblichen Honorars. Bezüglich des überschießenden Betrages kommt eine Haftung der Betriebsratsmitglieder in Frage, die sich mit dem Kennen bzw. Kennenmüssen der Berater nach § 179 Abs. 3 BGB exkulpieren können.7) 1.4

Rechte des Betriebsrates in der Betriebsfortführung

1.4.1 Rechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren Reorganisation und übertragende Sanierung sind Verfahrensziele (§ 1 InsO). In diesen 12 Fällen sind notwendigerweise Betriebe fortzuführen. Mit dem Erhalt des Unternehmens ist der Erhalt von Arbeitsplätzen verbunden. Im Insolvenzeröffnungsverfahren hilft im Wesentlichen die Zahlung des Insolvenzgeldes bei der Fortführung des Unternehmens, da während des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes (§ 165 SGB III) das schuldnerische Unternehmen die Löhne nicht zahlen muss. Während der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren bleibt zunächst die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens weiterhin verantwortlich, so dass der Betriebsrat die vorgenannten Auskunfts-, Mitwirkungs___________ 4) 5) 6) 7)

Vgl. auch Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 4. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 5. BAG, Beschl. v. 19.4.1989 – 7 ABR 87/87, NZA 1989, 936. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – III ZR 266/11, ZIP 2012, 2363 = NZA 2012, 1382.

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Teil III Einzelfragen

und Mitbestimmungsrechte gegenüber der Geschäftsführung ausübt. Der Betriebsrat hat jedoch zu beachten, dass jede Verfügung der bisherigen Geschäftsleitung des Unternehmens über die schuldnerische Masse der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf, sofern das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Legt das Gericht dem Schuldner bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren ein allgemeines Verwaltungs- und Verfügungsverbot auf (§ 22 Abs. 1 InsO), führt allein der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter den Betrieb fort und ist alleiniger Verhandlungspartner des Betriebsrates. 13 Die Betriebsfortführung ist regelmäßig mit Betriebsänderungen i. S. des § 111 BetrVG verbunden, d. h. mit x

Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,

x

Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,

x

Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,

x

grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszweckes oder der Betriebsanlagen,

x

Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.

14 Sowohl im vorläufigen als auch im eröffneten Insolvenzverfahren muss der Betriebsrat über geplante vorgenannte Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend durch den Insolvenzverwalter unterrichtet werden. Für die Beteiligungsrechte des Betriebsrates ist es dabei unerheblich, ob sich die Betriebsänderung zwingend aus der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ergibt.8) 15 Bei den vorgenannten, in § 111 BetrVG aufgezählten, Betriebsänderungen handelt es sich um eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst ist aber keine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG, weshalb der Betriebsrat bei der Stellung des Insolvenzantrages nicht zu beteiligen ist.9) 16 Die Unterrichtungspflicht des Betriebsrates setzt voraus, dass mit der Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft verbunden sind. Diese Nachteile können sowohl materieller Art (Entgeltminderung, Entstehung von Fahrtkosten durch längere Arbeitswege, Verlust des Arbeitsplatzes und Eintritt von Arbeitslosigkeit) als auch immaterieller Art (Leistungsverdichtung oder geringere Anforderungen an die auszuführenden Tätigkeiten, verstärkte Kontrollen) sein.10) Bei den in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Betriebsänderungen wird der Eintritt solcher Nachteile fingiert, da mit der Aufzählung der Betriebsänderungen in § 111 Satz 3 BetrVG nur solche genannt werden, die nach § 111 Satz 1 BetrVG auch beteiligungspflichtig sind.11) 17 Ob der in § 111 Satz 1 BetrVG verlangte „erhebliche Teil der Belegschaft“ von der Betriebsänderung betroffen ist, richtet sich nach den Schwellenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG, wobei aber mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein müssen. Zudem muss es sich um eine einheitliche unternehmerische Planung handeln.12) Der Vier-Wochen-Zeitraum nach § 17 Abs. 1 KSchG ist allerdings unerheblich, da auch mehrere Personalabbaumaß___________ 8) 9) 10) 11) 12)

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Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 38. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 39. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 47. Kania in: ErfK, § 111 BetrVG Rz. 8. BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, ZIP 2006, 1460 = NZA 2006, 932.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

nahmen hintereinander und in einem Zeitraum von nur wenigen Wochen auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen können.13) Der Betriebsrat ist nur dann rechtzeitig unterrichtet, wenn er mit der Unterrichtung noch 18 in die Lage versetzt wird, auf das „Ob“ und „Wie“ der geplanten Betriebsänderung Einfluss nehmen zu können. Allerdings hat der Betriebsrat bei der Frage „ob“ und „wie“ der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung durchführt lediglich ein eingeschränktes Mitwirkungsrecht, d. h. er kann die Durchführung der Betriebsänderung gegen den Willen des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber weder verhindern, noch eine andere Durchführung erzwingen.14) Der Insolvenzverwalter ist somit lediglich verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung zu unterrichten und hat diese mit ihm zu beraten. Ziel der Beratung ist ein Interessenausgleich (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, vgl. hierzu Rz. 80 ff.) Es ist unschädlich, wenn der Arbeitgeber – und so auch der Insolvenzverwalter – den Ent- 19 schluss zur Betriebsänderung bereits gefasst hat, ohne diesen zuvor mit dem Betriebsrat zu beraten.15) Um eine sinnvolle Information des Betriebsrates zu ermöglichen, muss der Insolvenzverwalter den Betriebsrat jedoch noch nicht über erste Vorüberlegungen unterrichten, da diese noch keine Planung darstellen. Die Unterrichtung des Betriebsrates ist nicht mehr rechtzeitig, wenn mit der Durchführung der Betriebsänderung bereits begonnen wurde.16) Gerade bei Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren, deren kurzfristige Umsetzung er- 20 forderlich ist, um eine erfolgreiche Betriebsfortführung zu gewährleisten, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Insolvenzverwalter einleiten darf, bevor er den Betriebsrat von der Betriebsänderung unterrichtet und die Interessenausgleichsverhandlungen abgeschlossen sind. Diese Frage ist im Insolvenzverfahren gerade deshalb von Bedeutung, da trotz der Beschleunigungsregelungen in den §§ 121, 122 InsO der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, mit dem Betriebsrat den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen. Er kann sich nicht darauf berufen, die Beteiligung des Betriebsrates sei wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation ausnahmsweise entbehrlich.17) Dies gilt auch, wenn der Betriebsrat erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens errichtet wurde.18) Vgl. aber Rz. 85. Wenngleich der Betriebsrat die Betriebsänderung an sich nicht verhindern bzw. eine andere 21 Durchführung erzwingen kann, so kann er doch im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO sein Informationsrecht erzwingen. Die umstrittene Frage, ob dem Betriebsrat ein durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung 22 einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über den Interessenausgleich zusteht oder ob ein solcher Unterlassungsanspruch i. R. des § 111 BetrVG bereits vom Grundsatz her nicht gegeben ist, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Das LAG Hamm hat mit Beschluss vom 28.8.2003 seine bis dahin einen Unterlassungsanspruch verneinende Auffassung aufgegeben, da bessere Argumente dafür sprächen, einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates zu bejahen.19) Dem Unterlassungsanspruch des Betriebsrates steht nach Auffassung des LAG Hamm auch nicht der Umstand entgegen, dass der Betriebsrat letztlich die Durchführung der Betriebsänderung nicht verhindern ___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, ZIP 2006, 1460 = NZA 2006, 932. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 102. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510; Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 109. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. LAG Hamm, Beschl. v. 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA-RR 2004, 80.

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kann. Wenn der Betriebsrat schon keine direkte Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung habe, so sei es umso notwendiger, dem Betriebsrat ein abgesichertes Verfahren zur Verfügung zu stellen, um die Arbeitnehmerinteressen in den Entscheidungsprozess des Arbeitgebers einfließen zu lassen. Im Juni 2010 bestätigte das LAG Hamm die Rechtsprechung, der Betriebsrat habe einen Anspruch darauf, dass Betriebsänderungen zu unterlassen sind, „bis von Seiten des Arbeitgebers den Anforderungen des § 111 Abs. 1 BetrVG Rechnung getragen worden ist“. Nur so kann nach Auffassung des LAG Hamm sichergestellt werden, dass der Betriebsrat die ihm durch §§ 111, 112 BetrVG zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen kann. Bei der Gewährung des Unterlassungsanspruches gehe es ausschließlich darum, den Weg bis zum ordnungsgemäßen Zustandekommen eines Interessenausgleiches oder seines Scheiterns verfahrensrechtlich abzusichern. Anderenfalls würde man den Betriebsrat hinsichtlich seiner Rechte auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung im Ergebnis schutzlos stellen.20) 23 Das LAG Köln hat mit Urteil vom 30.8.2003 bei einem Teilbetriebsübergang als Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG keinen Unterlassungsanspruch gesehen.21) Das LAG vertritt die Auffassung, dass grundsätzlich ein im Wege des Beschlussverfahrens oder einer einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch des Betriebsrates gegen den Arbeitgeber auf Einhaltung des Interessenausgleichs nicht besteht, weil es dem Arbeitgeber gemäß § 113 BetrVG gestattet ist, von Vereinbarungen im Interessenausgleich abzuweichen und die vom Arbeitgeber im Interessenausgleich eingegangenen Verpflichtungen nur als Naturalobligationen anzusehen sind. Dem Betriebsrat steht nach Auffassung des LAG auch kein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch vor Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu. Dies gelte umso mehr in einem Fall, in dem aufgrund einer bevorstehenden Betriebsänderung (Teilbetriebsübergang) für die davon betroffenen Arbeitnehmer wegen des umfassenden Schutzes gemäß § 613a BGB keine mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vergleichbaren Nachteile drohen. Das Gericht sieht lediglich für Fälle einer mit Kündigung verbundenen Betriebsänderung einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates. Das Gericht weist zugleich darauf hin, dass bei Durchführung der Betriebsänderung im Wege des Teilbetriebsübergangs Verhandlungen über den Ausgleich der hiermit ggf. drohenden Nachteile für die Arbeitnehmer auch noch nach dem Betriebsübergang geführt werden können, ohne dass dadurch die Verhandlungsposition des Betriebsrates wesentlich geschwächt wird. 24 Auch Fitting sieht bei der Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach § 111 BetrVG materiell-rechtlich keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung der Durchführung der Betriebsänderung, da das BetrVG einen derartigen Anspruch nicht regelt.22) Fitting zeigt zur effektiven Durchsetzung der Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen den Weg des einstweiligen Rechtsschutzes auf.23) Danach hat das Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG und § 935 ZPO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen die erforderlichen Anordnungen zu treffen, die auch darin liegen können, eine Handlung zu verbieten, konkret also die einstweilige Durchführung der Betriebsänderung zu verhindern. Diese Auffassung wird vom LAG Hamm bestätigt.24)

___________ 20) 21) 22) 23) 24)

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LAG Hamm, Beschl. v. 28.6.2010 – 13 Ta 372/10, openJur 2011, 72536. LAG Köln, Beschl. v. 30.8.2004 – 5 Ta 166/04, ZIP 2004, 2155. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 135. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 138. LAG Hamm, Beschl. v. 28.6.2010 – 13 Ta 372/10, openJur 2011, 72536.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

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Der Insolvenzverwalter sollte prüfen, welche Auffassung das jeweilige LAG hinsichtlich 25 des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrates vertritt, um seine Taktik in Verhandlungen mit dem Betriebsrat darauf abstellen zu können. Allerdings ergeben sich gemäß §§ 121 ff. InsO Besonderheiten im Interesse einer zügigen 26 Abwicklung des Insolvenzverfahrens, worauf unter Rz. 89 ff. näher eingegangen wird. Sehr oft bedingen Betriebsänderungen im Insolvenzverfahren Personalabbaumaßnahmen, 27 bei denen die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschritten werden, so dass der Insolvenzverwalter vor den Kündigungen die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit abzugeben hat. Die Anzeigepflicht aus § 17 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 KSchG gilt uneingeschränkt auch für den Insolvenzverwalter.25) Beabsichtigt der Insolvenzverwalter, anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er 28 gemäß § 17 Abs. 2 KSchG auch dem Betriebsrat rechtzeitig zweckdienliche Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über x

die Gründe für die geplanten Entlassungen,

x

die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

x

die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

x

den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,

x

die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,

x

die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG hat der Insolvenzverwalter (als Arbeitgeber) mit dem 29 Betriebsrat in einem Konsultationsverfahren Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. § 17 KSchG regelt nicht ausdrücklich, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat gemäß Absatz 2 der Bestimmung hat. Ebenso wenig lässt sich dies aus § 18 KSchG entnehmen. Auch die Richtlinie 98/59/EG bestimmt nicht selbst die Rechtsfolgen eines Unterbleibens des nach Art. 2 MERL vorgesehenen Konsultationsverfahrens.26) Das BAG hat am 21.3.2013 entschieden, dass eine i. R. einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung – unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 KSchG – wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i. S. v. § 134 BGB rechtsunwirksam ist, wenn kein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt wird. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens ist ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die Kündigung.27) Ob die Unterrichtung des Betriebsrates gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG der Schriftform 30 gemäß § 126 BGB bedarf, hat das BAG auch in seinem Urteil vom 20.9.2012 offengelassen.28) In der Literatur wird einerseits die Auffassung vertreten, dass eine eigenhändige Unterschrift zum Abschluss der entsprechenden Informationen und eine körperliche Verbundenheit verschiedener Dokumente bei § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht geboten sind.29)

___________ 25) BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, ZIP 2012, 1259 = NZA 2012, 1058. 26) Richtlinie 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen (MERL), Abl. EGI.225/16. 27) BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966, s. a. Weigand in: KR, § 17 KSchG Rz. 63. 28) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32. 29) Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht, 2011, Bd. 2, S. 420 f.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

31 Andererseits wird aber auch geäußert, dass die gesetzliche Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB für die Unterrichtung des Betriebsrates einzuhalten sei.30) Eine lediglich mündliche Unterrichtung genügt nach Weigand nicht, da der Betriebsrat bei nur mündlicher Unterrichtung nicht verpflichtet ist, eine Stellungnahme abzugeben. Die Stellungnahme des Betriebsrates ist jedoch Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige. Weigand hält den Verstoß gegen die Formvorschriften jedoch für unschädlich, wenn der Betriebsrat trotzdem eine Stellungnahme i. S. des § 17 KSchG abgibt. Ein Verstoß gegen die Pflicht, der Arbeitsagentur eine Durchschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, hat nach Auffassung von Weigand allerdings keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige.31) 32 Das BAG hält mit Entscheidung vom 20.9.2012 die Vorlage des Entwurfes eines Interessenausgleiches zunächst als ausreichend für eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Durch die Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass die Verbindung der Interessenausgleichsverhandlung mit der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrates richtlinienkonform ist. Aus dem Wortlaut der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) folgt, dass die Auskünfte des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmervertretung im Verlauf und nicht unbedingt im Zeitpunkt der Eröffnung der Konsultationen zu erteilen sind. Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmervertretung nach dem Grundgedanken der Richtlinienvorgabe während der gesamten Konsultation die entsprechenden Informationen zu geben.32) 33 Sollten sich aus dem bisherigen Verhalten des Betriebsrates Zweifel ergeben, dass dieser in der gebotenen Eile einen Interessenausgleich unterzeichnen, in diesem seine ausreichende Information bestätigen oder eine gesonderte Stellungnahme abgeben wird, empfiehlt es sich, den Text des im Regelfall vom Insolvenzverwalter vorbereiteten Interessenausgleichsentwurfes dem Betriebsrat gesondert und unterzeichnet mit dem Zusatz „Information gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG“ zuzuleiten und zeitgleich die Agentur für Arbeit unter Beifügung dieser Information an den Betriebsrat in Kenntnis zu setzen, dass im insolventen Unternehmen wegen einer beabsichtigten Betriebsänderung anzeigepflichtige Entlassungen bevorstehen. 34 Dieses Schreiben empfiehlt sich gemäß § 17 Abs. 3 KSchG bereits vor Abgabe der eigentlichen Massenentlassungsanzeige, auch wenn in der Literatur bislang die Meinung vertreten wird, dass ein Verstoß gegen die Pflicht gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige habe. 35 Mit der Massenentlassungsanzeige, für welche das Formular der Bundesagentur für Arbeit (Anzeige von Entlassungen gemäß § 17 KSchG) ausgefüllt werden sollte, ist auch eine Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen zu übermitteln (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Wird der Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt und sind auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt (Glaubhaftmachung des Insolvenzverwalters, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat), kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Die Beifügung der Stellungnahme ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige.33) ___________ 30) Weigand in: KR, § 17 KSchG Rz. 56. 31) Weigand in: KR, § 17 KSchG Rz. 65. 32) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32. Richtlinie 98/59/EG des Rates v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL), ABl. EG L 225/16. 33) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZI 2013, 447 = NZA 2013, 864.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Von der Zuleitung einer Stellungnahme des Betriebsrates an die Agentur für Arbeit kann 36 nur in folgenden Fällen abgesehen werden: x

Ein Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG (im vorläufigen Insolvenzverfahren) oder gemäß § 125 Abs. 1 InsO (im eröffneten Verfahren) wird abgeschlossen und dieser der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit beigefügt. Gemäß §§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG und 125 Abs. 2 InsO ersetzt der Interessenausgleich mit einer Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Da sich Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Interessenausgleich mit Namensliste auf namentlich genannte Arbeitnehmer einigen, die von der Betriebsänderung betroffen und deren Arbeitsverhältnis gekündigt werden soll, entspricht dies einer Stellungnahme des Betriebsrates zu den beabsichtigten Entlassungen.

x

Wird ein Interessenausgleich ohne Namensliste abgeschlossen, ersetzt die Beifügung dieses Interessenausgleiches die Stellungnahme des Betriebsrates nur dann, wenn der Interessenausgleich eine eindeutige Feststellung enthält, dass mit Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen auch die Beteiligung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen ist und dass dieser Interessenausgleich zugleich die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG sein soll. Fehlt eine solche eindeutige Feststellung im Interessenausgleich ohne Namensliste, ist dessen Beifügung zur Massenentlassungsanzeige allein nicht ausreichend.

x

Kommt lediglich ein Interessenausgleich ohne Namensliste zu Stande und enthält dieser Interessenausgleich auch nicht die vorgenannte eindeutige Feststellung zum Abschluss der Beteiligung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG, muss der Insolvenzverwalter gegenüber der Agentur für Arbeit glaubhaft machen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG, d. h. schriftlich, unterrichtet hat. Zeitgleich muss der Insolvenzverwalter den Stand der Beratungen zum Zeitpunkt der Massenentlassung darlegen.

In einem Interessenausgleich ohne Namensliste sollte zur Wahrung der erforderlichen 37 Stellungnahme des Betriebsrates folgende Regelung aufgenommen werden: „Die gemäß § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte wurden dem Betriebsrat am (TTMMJJ) vom Insolvenzverwalter erteilt. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeit, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist somit abgeschlossen. Der Interessenausgleich dient als Stellungnahme des Betriebsrates gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.“ Zeichnet sich ein destruktives Verhalten des Betriebsrates ab, welches sich meistens 38 schon im vorläufigen Insolvenzverfahren und vor Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen zeigt, muss sich der Insolvenzverwalter die Möglichkeit offenhalten, die Massenentlassungsanzeige ohne Stellungnahme des Betriebsrates, aber mit Glaubhaftmachung dessen rechtzeitiger Unterrichtung bei der Arbeitsagentur einzureichen. Auch hierfür ist es ratsam, den Betriebsrat bei Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen schriftlich und unter Berücksichtigung der in § 17 Abs. 2 Nr. 1 – 5 KSchG geforderten Angaben zu unterrichten. Für eine eventuell notwendige Glaubhaftmachung, dass der Betriebsrat auch rechtzeitig, 39 d. h. mindestens zwei Wochen vor der Massenentlassungsanzeige unterrichtet wurde, sollte die Übergabe der schriftlichen Unterrichtung an den Betriebsrat mittels Empfangsbekenntnis dokumentiert werden. Ob eine Stellungnahme des Betriebsrates für eine wirksame Massenentlassungsanzeige 40 ausreichend ist, ist in der Praxis unter Umständen schwierig zu beurteilen, da § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht den erforderlichen Inhalt der Stellungnahme des Betriebsrates regelt.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

Die Stellungnahme des Betriebsrates soll aber gegenüber der Arbeitsverwaltung belegen, ob und welche Möglichkeiten dieser sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden bzw. welche sozialen Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten und ggf. gefunden wurden.34) Aus der Stellungnahme des Betriebsrates muss die Arbeitsverwaltung damit zumindest beurteilen können, ob die Betriebsparteien tatsächlich über eine Massenentlassung beraten haben, auch wenn die Parteien keine Möglichkeit sehen, eine solche zu vermeiden, ob der Betriebsrat mit einer Massenentlassung nicht einverstanden ist, oder hierzu keine Stellungnahme abgeben will. Auch eine eindeutige Äußerung des Betriebsrates, keine Stellung nehmen zu wollen, ist für eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige ausreichend.35) 41 Gibt der Betriebsrat nur eine ungenügende Stellungnahme ab, hat der Insolvenzverwalter gleichwohl die Möglichkeit, eine wirksame Massenentlassungsanzeige einzureichen. Auch in diesem Fall bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, glaubhaft zu machen, dass er den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet hat. Der Massenentlassungsanzeige ist in diesem Fall die (ggf.) ungenügende Stellungnahme des Betriebsrates, das Empfangsbekenntnis des Betriebsrates zu dessen Unterrichtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG und eine Darstellung über den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat beizufügen. Auf das bereits mit Beginn der Unterrichtung des Betriebsrates an die Agentur gerichtete Infoschreiben kann Bezug genommen werden. 42 Es war bislang umstritten, ob Fehler, die dem Arbeitgeber und damit auch dem Insolvenzverwalter bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterlaufen, durch einen Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung geheilt werden können (für eine Heilung: BAG vom 24.10.1996;36) offengelassen durch BAG vom 18.9.2003;37) gegen eine Heilung: Kiel).38) 43 Das BAG hat nun mit Urteil vom 28.6.201239) entschieden, dass auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nach § 18 KSchG vorangegangene Fehler des Arbeitgebers (und so auch des Insolvenzverwalters) bei der Massenentlassungsanzeige nicht heilen kann. Der Bescheid der Arbeitsverwaltung entfaltet zunächst weder gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer noch gegenüber der Arbeitsgerichtsbarkeit (entgegen bisheriger Rechtsprechung des BAG) materielle Rechtskraft. Zudem umfasst die Bindungswirkung des Bescheides der Arbeitsagentur nach § 20 KSchG nur den eigentlichen Inhalt des Bescheides (Sperrfrist, Zeitpunkt des Ablaufs der Sperrfrist oder die Genehmigung, Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist vorzunehmen), nicht aber die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst. Die Einhaltung der formalen Anforderungen des § 17 KSchG ist nach jetziger Auffassung des BAG nur eine Vorfrage des Bescheides nach § 20 KSchG und gehört damit nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen nicht zum Regelungsinhalt des Bescheides. Da weder Arbeitnehmer noch Betriebsrat am Verwaltungsverfahren beteiligt sind und ihnen damit der Klageweg gegen Bescheide der Arbeitsverwaltung nicht offensteht, würde dem Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen, sich im Kündigungsschutzprozess auf Formfehler bei den Anforderungen des § 17 Abs. 3 KSchG zu berufen, sofern ein Bescheid nach §§ 18, 20 KSchG vorangegangene Fehler des Arbeitgebers heilen würde. Damit wäre auch das von Art. 6 MERL geforderte Schutzniveau unterschritten.40) ___________ 34) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029; LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.4.2013 – 15 Sa 1892/12, openJur 2013, 31827. 35) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 36) BAG vom 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, NZA 1997, 373. 37) BAG vom 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, ZIP 2004, 677 = NZA 2004, 375. 38) Kiel in: ErfK, § 20 KSchG Rz. 6. 39) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 40) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, Rz. 77, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Die aktuelle Rechtsprechung des BAG zeigt, dass auch und gerade in Insolvenzverfahren, 44 in denen es auf schnelle Entscheidungen zu Betriebsänderungen und deren Umsetzung im Interesse einer Betriebsfortführung ankommt, die Beteiligungsrechte des Betriebsrates sorgfältig beachtet werden müssen, wenn die Wirksamkeit von Kündigungen nicht gefährdet werden soll. 1.4.2 Rechte des Betriebsrates beim Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Betriebsfortführung (übertragende Sanierung) Geht ein Betrieb als Ganzes auf einen Erwerber über, liegt allein darin nach ganz überwie- 45 gender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur keine Betriebsänderung i. S. der §§ 111 ff. BetrVG vor.41) Für den Fall, dass im Zusammenhang mit einem Teilbetriebsübergang Teile eines Betriebes 46 abgespalten werden und sich dadurch die Betriebsorganisation oder der Betriebszweck ändern, wird zumindest in der Literatur die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Spaltung des Betriebes bzw. um eine Betriebsänderung i. S. des § 111 Satz 3 Nr. 3, 4 BetrVG handelt.42) Die Beurteilung, dass der Übergang des ganzen Betriebes keine Betriebsänderung i. S. von 47 § 111 BetrVG darstellt, hält Fitting für gemeinschaftsrechtlich problematisch.43) Betrachtet man den anlässlich eines Betriebsübergangs eintretenden Wechsel des Arbeitgebers als eine wesentliche Änderung der Arbeitsverträge, dürfte nach Auffassung von Fitting die vorherige Unterrichtung und Anhörung des Betriebsrates entsprechend der RL 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer44) (für Unternehmen mit mindestens 50 Arbeitnehmern oder für Betriebe mit mindestens 20 Arbeitnehmern in einem Mitgliedsstaat) erforderlich sein.45) Dass die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG (Nachteilsausgleich) meist daran scheitert, dass die Arbeitnehmer in Folge des Betriebsübergangs nicht entlassen werden, könnte ein Argument für den allgemeinen Unterlassungsanspruch sein, so Karthaus.46) Mit dem am 28.7.2001 in Kraft getretenen § 21a BetrVG werden die Voraussetzungen und 48 die Dauer eines allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Übergangsmandates für den Betriebsrat geregelt. Für das Entstehen des Übergangsmandates ist es dabei unerheblich, ob die Spaltung von Betrieben oder deren Zusammenfassung auf einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613a BGB oder eine Umwandlung i. S. des UmwG beruht. Sinn und Zweck des Übergangsmandates ist es, die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte während einer betrieblichen Umstrukturierung zu erhalten und betriebsratslose Zeiten zu vermeiden. Ein Übergangsmandat ist jedoch ausgeschlossen bei einer ausschließlich räumlichen Verlegung des Betriebes, einer Änderung des Betriebszwecks unter Beibehaltung der Betriebsorganisation, bei einem bloßen Betriebsinhaberwechsel, bei einem Gesellschafterwechsel oder einer Änderung der Rechtsform des Unternehmens.47) Das Übergangsmandat setzt voraus, dass die neu entstandene Einheit betriebsratsfähig 49 ist. Werden in der neu entstandenen Einheit weniger als fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer ___________ BAG, Beschl. v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, ZIP 2000, 2039; Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 49 ff. Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 52; LAG Köln, Beschl. v. 30.8.2002 – 5 Ta 166/04, ZIP 2004, 2155. Fitting, BetrVG, § 1 Rz. 137. Richtlinie 2002/14/EG des Rates v. 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der EG, ABl. L 80 v. 23.3.2002. 45) Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 50. 46) Karthaus AuR 2007, 114, 118 f. 47) Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 7. 41) 42) 43) 44)

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§ 15

Teil III Einzelfragen

beschäftigt oder werden die Arbeitnehmer auf eine Einrichtung einer Religionsgemeinschaft übertragen (§ 118 Abs. 2 BetrVG), kann ein Restmandat in Betracht kommen (§ 21b BetrVG). Kein Übergangsmandat entsteht, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil in einem Betrieb eingegliedert wird, für den bereits ein Betriebsrat gewählt ist. Die übernommenen Arbeitnehmer werden vom Betriebsrat des übernehmenden Betriebes vertreten. Ein Nebeneinander zweier Betriebsräte ist vom Gesetzgeber nicht gewollt, es widerspräche dem Prinzip einer einheitlichen betriebsbezogenen Interessenvertretung.48) 50 Die Dauer des Übergangsmandates ist auf die Höchstdauer von sechs Monaten zeitlich befristet, sofern diese nicht durch eine Kollektivvereinbarung um ein weiteres halbes Jahr verlängert wird. Der Fristbeginn wird durch das BetrVG nicht geregelt. Es ist hierfür an die tatsächliche Änderung bestehender betrieblicher Strukturen anzuknüpfen.49) 51 Das Übergangsmandat endet vor Ablauf der geregelten Höchstdauer von sechs Monaten sobald in dem neuen, noch betriebsratslosen, Betrieb ein Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde. Wird der Betrieb in mehrere selbstständige Betriebsteile zergliedert und damit das Übergangsmandat auf mehrere Betriebe erstreckt, endet das Übergangsmandat mit der letzten Bekanntgabe des Wahlergebnisses. 52 Die Rechte und Befugnisse des Betriebsrates während des Übergangsmandates sind nicht eingeschränkt. Dem Betriebsrat obliegt nicht nur die Betriebsratsneuwahl. Er behält alle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte und bleibt zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen befugt. Der Betriebsrat bleibt befugt, Beschlussverfahren zu führen, auch dann, wenn eine gerichtliche Entscheidung erst nach Ende des Übergangsmandates ergehen sollte. Allerdings wird das Verfahren nach Ablauf des Übergangsmandates vom neu gewählten Betriebsrat als Funktionsnachfolger fortgesetzt.50) 1.5

Betriebsvereinbarungen in der Betriebsfortführung

53 Die Betriebsvereinbarung ist ein eigenes Rechtsinstrument der Betriebsverfassung und die wichtigste Form der Einigung zwischen den Organen der Betriebsverfassung (Arbeitgeber und Betriebsrat). Sie ist das durch die Betriebsparteien geschaffene Gesetz des Betriebes.51) 54 Betriebsvereinbarungen sind gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG schriftlich niederzulegen und von beiden Seiten zu unterzeichnen, es sei denn, dass die Betriebsvereinbarung auf einem Spruch der Einigungsstelle beruht. Die Betriebsvereinbarung hat gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG Normwirkung, d. h. sie wirkt wie eine Rechtsnorm auf Arbeitsverhältnisse. Die normativen Regelungen einer Betriebsvereinbarung gelten ebenso wie die Tarifnormen gemäß § 4 Abs. 1 und 3 TVG unmittelbar und zwingend. 55 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Fortgeltung der Betriebsvereinbarungen. Besonderheiten ergeben sich allenfalls aus § 120 InsO. 1.5.1 Beratungsgebot gemäß § 120 InsO 56 Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG, insbesondere freiwillige Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, enthalten oft Verpflichtungen des Arbeitgebers, die das Unternehmen finanziell erheblich belasten. Gerade in der Betriebsfortführung und unabhängig davon, ob eine Reorganisation oder eine übertragende Sanierung im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB angestrebt wird, ist es kaum möglich, ___________ 48) 49) 50) 51)

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Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 14. Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 24. Fitting, BetrVG, § 21a Rz. 20. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 11 f.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

in Betriebsvereinbarungen geregelte Sonderleistungen, wie z. B. Beihilfen im Krankheitsfall, Essensgeldzuschüsse, Gratifikationszahlungen, Jubiläumszuwendungen, Belegschaftsaktien, Treueprämien, Zusatzurlaube zu gewähren. Es muss daher möglich sein, das schuldnerische Unternehmen kurzfristig von solchen Verbindlichkeiten zu entlasten, wenn das Unternehmen nicht ohnehin stillgelegt, sondern fortgeführt werden soll. Gerade bei einer beabsichtigten übertragenden Sanierung gemäß § 613a BGB wird es für den Investor maßgeblich darauf ankommen, welche Betriebsvereinbarungen auf die übernommenen Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Da die Identität des Betriebes bei der übertragenden Sanierung erhalten bleibt, gelten die geschlossenen Betriebsvereinbarungen bei dem Erwerber fort.52) Das BAG hat in 2009 entschieden, dass die Kollektivnormen eines Tarifvertrages in dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Erwerber ihren kollektivrechtlichen Charakter behalten.53) Versteht man § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Anordnung einer kollektivrechtlichen Rechtsnachfolge entsprechend dieser Rechtsprechung des BAG, gelten auch Betriebsvereinbarungen für die übernommenen Arbeitnehmer in der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung normativ beim Erwerber fort. Nur in Ausnahmefällen werden diese Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung beim Erwerber individualrechtlich fortgelten.54) Der (vorläufige) Insolvenzverwalter sollte sich umgehend einen Überblick über Umfang 57 und Inhalt geschlossener Betriebsvereinbarungen verschaffen und Beratungen mit dem Betriebsrat aufnehmen, welche Betriebsvereinbarungen beibehalten werden können und welche Betriebsvereinbarungen dringend geändert oder beendet werden müssen. § 120 InsO findet auf belastende freiwillige und erzwingbare Betriebsvereinbarungen, 58 auch Gesamtbetriebsvereinbarungen, die ein Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG unternehmensbezogen abgeschlossen hat, Anwendung. Eine belastende Betriebsvereinbarung liegt vor, wenn sich aus ihr eine unmittelbare Leistungspflicht ergibt, die die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) belastet. Jedoch ist nicht jede Leistung zugleich auch eine Belastung der Insolvenzmasse. Eine Belastung liegt aber stets dann vor, wenn durch die Leistungspflicht der Insolvenzmasse Finanz- und/oder Sachmittel entzogen oder solche gebunden werden.55) Der Vorschrift selbst ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Leistungen von der Regelung des § 120 InsO erfasst werden.56) Auch Regelungsabreden mit belastenden Leistungen werden von § 120 InsO erfasst. 59 Dabei handelt es sich um formlose Einigungen zwischen den Betriebsparteien, die als Regelungsabrede, Regelungsabsprache, Betriebsabrede oder Betriebsabsprache bezeichnet werden. Die Regelungsabreden sind schuldrechtliche Verträge zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und haben keine normative Auswirkung auf den Inhalt der einzelnen Arbeitsverhältnisse. Der Inhalt der Regelungsabreden muss gesondert in die einzelnen Arbeitsverträge transformiert werden, welches ggf. durch Ausübung des Direktionsrechtes oder durch den Abschluss von einvernehmlichen Änderungsverträgen möglich ist. Die Regelungsabrede ist an keine bestimmte Form gebunden, gleichwohl ist nicht jede wegen fehlender Schriftform unwirksame Betriebsvereinbarung eine Regelungsabrede. Es kommt darauf an, ob die Vereinbarung zwischen den Betriebsparteien unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse wirken soll.57) Regelungsabreden werden häufig zur Regelung von Ein___________ 52) 53) 54) 55) 56) 57)

BAG, Beschl. v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, ZIP 1995, 235 = NZA 1995, 222. BAG, Urt. v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, ZIP 2009, 2461 = NZA 2010, 41. Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 116. So wörtlich Oetker/Friese, DZWIR 2000, 397, 398; s. a. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 6. Vgl. Katalog belastender Leistungen: Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 7. Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 218.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

zelfällen und Angelegenheiten, die keine Dauerwirkung haben, abgeschlossen. In Regelungsabreden werden häufig organisatorische Fragen der Betriebsratstätigkeit geregelt (Zeit und Ort der Sprechstunden des Betriebsrates, Ort der Betriebsratssitzungen, Durchführung von Betriebsversammlungen, Umgang mit Beschwerden, Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungsmaßnamen). 60 Der Betriebsrat hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Regelungsabreden einhält und umsetzt, was ggf. im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren durchgesetzt werden kann.58) 61 Regelmäßig enden Regelungsabreden durch Zweckerreichung, Zeitablauf oder auflösende Bedingung. Sie können jedoch auch durch Aufhebungsvertrag einvernehmlich beendet werden. Die Kündigung der Regelungsabrede ist in analoger Anwendung des § 77 Abs. 5 BetrVG möglich. Hieraus wird in der Literatur abgeleitet, dass § 120 InsO auch auf Regelungsabreden anzuwenden ist.59) 1.5.2 Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen 62 Kann zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat keine einvernehmliche Regelung zur Herabsetzung der in Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden enthaltenen Leistungen herbeigeführt werden, können gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Gemäß § 120 Abs. 2 InsO bleibt das Recht, eine Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, unberührt. 1.5.2.1

Ordentliche Kündigung

63 Es können sowohl freiwillige als auch erzwingbare Betriebsvereinbarungen gemäß § 120 InsO gekündigt werden, sofern sich aus diesen eine unmittelbare Belastung der Insolvenzmasse ergibt (vgl. oben Rz. 58 ff.). Damit sollen Betriebsvereinbarungen z. B. über Schichtpläne oder Fragen der Betriebsordnung und auch Betriebsvereinbarungen, die tarifvertragliche Leistungspflichten lediglich ergänzen oder konkretisieren, nicht von § 120 InsO erfasst werden.60) 64 Die Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters nach § 120 InsO ist lex specialis zu § 77 Abs. 5 BetrVG, d. h. im Insolvenzverfahren können Betriebsvereinbarungen auch dann mit der Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden, wenn eine längere Kündigungsfrist in der Betriebsvereinbarung vereinbart ist, die nach § 77 Abs. 5 BetrVG zwingend zu berücksichtigen wäre, wobei im Gegensatz zu § 113 Satz 2 InsO (Kündigung von Arbeitsverhältnissen) die Kündigung von Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden nicht zum Monatsende ausgesprochen werden muss. Für Fristbeginn und Fristende gelten für Kündigungen nach § 120 InsO die Vorschriften der §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Dies gilt auch für Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden, die eine ordentliche Kündigung ausschließen, ohne Kündigungsmöglichkeit befristet abgeschlossen sind oder bestimmte Kündigungstermine vorsehen.61) 65 Ist in Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden eine kürzere als dreimonatige Kündigungsfrist vereinbart, gilt diese auch für den Insolvenzverwalter. ___________ 58) 59) 60) 61)

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Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 221. Vgl. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 5; Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 154. Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 154. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 14; a. A. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Nach § 120 InsO ist auch eine Teilkündigung von Betriebsvereinbarungen möglich, sofern 66 die Betriebsvereinbarung entweder eine Teilkündigung ausdrücklich zulässt oder die Betriebsvereinbarung einen selbstständigen Teilkomplex enthält, der die Insolvenzmasse belastende Leistungen regelt. Dieser Teil der Betriebsvereinbarung kann gemäß § 120 InsO mit der Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden, während der restliche Teil der Betriebsvereinbarung entweder mit der in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Kündigungsfrist gekündigt oder ungekündigt fortgesetzt wird.62) Die Kündigungserklärung gemäß § 120 InsO ist an keine Form gebunden. Ist in der Be- 67 triebsvereinbarung ausdrücklich die Schriftform der Kündigung vereinbart, aber auch zu Beweiszwecken, sollte der Insolvenzverwalter die Kündigung generell schriftlich erklären. Die Kündigungsmöglichkeit gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO besteht unabhängig davon, 68 ob Insolvenzverwalter und Betriebsrat zuvor eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten haben, da § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO als Sollvorschrift ausgestaltet ist.63) Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der bei Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen zu beachtende ultima-ratio-Grundsatz verlangt, dass auch vor der Kündigung von Betriebsvereinbarungen durch den Insolvenzverwalter gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO die gesetzlich geregelte Beratung und Verhandlung gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO durchzuführen ist.64) Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 „sollen“ Insolvenzverwalter und Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Hieraus ergibt sich weder ein Beratungsanspruch des Betriebsrates, noch eine Beratungspflicht des Insolvenzverwalters. Zudem regelt § 120 Abs. 1 Satz 2 nicht, dass die Kündigung erst nach erfolgloser Beratung ausgesprochen werden kann.65) Da eine analoge Anwendung des § 120 InsO auch auf Regelungsabreden, die sich belas- 69 tend auf die Insolvenzmasse auswirken, geboten ist, kann der Insolvenzverwalter auch derartige Regelungsabreden kündigen. Die Rechtswirkung ist jedoch eine andere als bei Betriebsvereinbarungen. Da Regelungsabreden nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirken, hat die Kündigung der Regelungsabrede zumindest dann keine unmittelbare Auswirkung auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse, wenn die Regelungsabrede auf der arbeitsvertraglichen Ebene bereits umgesetzt wurde. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter auch die Herabsetzungsvereinbarung und die Kündigung der Regelungsabrede auf der Arbeitsvertragsebene umsetzen, so dass § 120 Abs. 1 InsO nicht voll durchschlägt.66) Die Kündigung von Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden ist während er gesamten 70 Dauer des Insolvenzverfahrens möglich. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede bedarf – wie auch außerhalb des Insolvenzverfahrens – keiner Rechtfertigung und unterliegt keiner inhaltlichen Kontrolle. Dies gilt unabhängig vom Regelungsgegenstand, also auch dann, wenn es um eine betriebliche Altersversorgung geht.67) 1.5.2.2

Außerordentliche Kündigung

Gemäß § 120 Abs. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter eine Betriebsvereinbarung aus 71 wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. ___________ 62) Vgl. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 14 und Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156; a. A. Beck/DepréZobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 33. 63) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 12; Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 33. 64) Vgl. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 12. 65) Vgl. auch Giesen, ZIP 1998, 142. 66) Vgl. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 5. 67) BAG, Urt. v. 11.5.1999 – 3 AZR 21/98, ZIP 2000, 421.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

72 Wie jedes Dauerschuldverhältnis kann auch eine Betriebsvereinbarung dann außerordentlich gekündigt werden, wenn das Festhalten an der Betriebsvereinbarung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder dem vereinbarten Ende der Betriebsvereinbarung nicht zumutbar ist. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an sich und das Fehlen von Geldmitteln zur Erbringung der in der Betriebsvereinbarung vereinbarten Leistungen stellen allerdings noch keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar. 68) 73 Unter Beachtung der gesetzlichen Höchstkündigungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO (drei Monate) wird der Insolvenzverwalter vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beurteilen müssen, ob ihm die Durchführung der Betriebsvereinbarung auch nicht bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist möglich ist. Eine außerordentliche Kündigung der Betriebsvereinbarung kann auch dem Insolvenzverwalter nur dann empfohlen werden, wenn der Nachweis gelingt, dass auch bei nur dreimonatiger Durchführung der Betriebsvereinbarung die Fortführungssanierung oder die übertragende Sanierung unmöglich wird. 74 Auch hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass unter Berücksichtigung des ultima-ratio-Grundsatzes vor deren Ausspruch die Beratung des Insolvenzverwalters mit dem Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderlich ist. Dies ist mit der unter Rz. 68 ff. genannten Begründung zu verneinen. Da jedoch die außerordentliche Kündigung zu ihrer Wirksamkeit eines wichtigen Grundes bedarf, der nicht in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst und dem damit verbundenen Geldmangel besteht, sind einvernehmliche Regelungen mit dem Betriebsrat zur sofortigen Beendigung der Betriebsvereinbarungen unerlässlich und zumeist einzige Chance einer schnellen und rechtssicheren Lösung im Interesse der Betriebsfortführung. 1.5.2.3

Wegfall der Geschäftsgrundlage

75 Auch für Betriebsvereinbarungen (insbesondere für Sozialpläne) ist anerkannt, dass diese eine Geschäftsgrundlage haben können, bei deren Wegfall die getroffene Regelung den geänderten tatsächlichen Umständen anzupassen ist, wenn dem Vertragspartner im Hinblick auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Festhalten an der Vereinbarung nicht mehr zuzumuten ist.69) Der Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung führt jedoch nicht dazu, dass diese von selbst und ggf. auch rückwirkend unwirksam wird. Folge ist vielmehr, dass die Regelung der Betriebsvereinbarung den geänderten tatsächlichen Umständen anzupassen ist, so dass das Festhalten an der getroffenen Regelung dem Vertragspartner noch zuzumuten ist. Damit unterscheidet sich der Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung von der außerordentlichen Kündigung insoweit, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht zur Beendigung der Betriebsvereinbarung führt, sondern diese mit einem anderen Inhalt fortbestehen lässt. Die Anpassung der Regelung müssen die Betriebspartner jedoch vereinbaren. Beruft sich der Insolvenzverwalter also auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, hat er gegenüber dem Betriebsrat einen Anspruch auf Verhandlungen über die Anpassung der Betriebsvereinbarung. Verweigert der Betriebsrat eine solche Anpassung oder kann diese nicht einvernehmlich vereinbart werden, verbleibt dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, den Spruch der Einigungsstelle herbei zu führen.

___________ 68) Vgl. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 32 m. w. N. 69) BAG, Beschl. v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, ZIP 1995, 1037.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

1.5.3 Nachwirkung Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen, die durch Anrufung der Eini- 76 gungsstelle erzwungen werden können, bei vorzeitiger Kündigung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies gilt auch im Insolvenzverfahren, da § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO lediglich lex specialis zu § 77 Abs. 2 Satz 5 BetrVG ist, nicht aber zu § 77 Abs. 6 BetrVG. Der Grundsatz der Nachwirkung beendeter erzwingbarer Betriebsvereinbarungen bleibt durch die Vorschrift des § 120 InsO unberührt. Werden vom Insolvenzverwalter erzwingbare Betriebsvereinbarungen gekündigt, gelten sie grundsätzlich so lange fort, bis sie durch eine neue Betriebsvereinbarung oder eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt werden. Es handelt sich hierbei insbesondere um Betriebsvereinbarungen die soziale Angelegenheiten gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG regeln. Die Nachwirkung besteht auch im Falle der außerordentlichen Kündigung erzwingbarer Betriebsvereinbarungen. Freiwillige Betriebsvereinbarungen können bei fehlender Einigung zwischen den Betriebs- 77 parteien nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden. Sie unterliegen daher nicht dem Nachwirkungsgrundsatz gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. Diese Betriebsvereinbarungen kann der Insolvenzverwalter ordentlich kündigen, ohne dass dies eine Nachwirkung entfaltet. Die in der freiwilligen Betriebsvereinbarung geregelten Leistungen entfallen mit Ablauf der Kündigungsfrist. Entfallene Ansprüche können auch nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden, da § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO keinen Schadenersatzanspruch analog des in § 113 Satz 3 InsO geregelten sog. Verfrühungsschadens vorsieht.70) Haben die Betriebsparteien in einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung deren Nachwirkung 78 im Falle der Beendigung ausgeschlossen, so sind sie auch im Insolvenzverfahren an diese Vereinbarung gebunden.71) Hingegen entfalten gewillkürte Nachwirkungsvereinbarungen in freiwilligen Betriebsvereinbarungen im Falle einer insolvenzspezifischen Kündigung gemäß § 120 InsO keine Wirkung. Dies würde dem Normzweck des § 120 InsO zuwiderlaufen. Die Regelungen des § 120 InsO sollen der Entlastung der Insolvenzmasse dienen. Wäre der Insolvenzverwalter an freiwillige Vereinbarungen der Betriebsparteien, die über dem gesetzlichen Mindestgebot liegen, wie etwa längere Kündigungsfristen als in § 77 Abs. 5 BetrVG geregelt oder auch gesetzlich nicht vorgeschriebene Nachwirkungsvereinbarungen gebunden, führe dies zwangsläufig zu einer Belastung der Insolvenzmasse, was dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen würde.72) Regelungsabreden entfalten, da § 77 Abs. 6 BetrVG die Nachwirkung ausdrücklich nur 79 für erzwingbare Betriebsvereinbarungen regelt, keine Nachwirkung i. S. von § 77 Abs. 6 BetrVG. Dies gilt auch dann, wenn in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit eine Regelungsabrede statt einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung geschlossen wurde.73) Wegen der fehlenden normativen Wirkung der Regelungsabrede besteht keine Notwendigkeit der Nachwirkung von Regelungsabreden. Wurde die Regelungsabrede arbeitsvertraglich umgesetzt, löst die Beendigung der Regelungsabrede auch keinen regelungslosen Zustand aus, da die auf der Grundlage einer Regelungsabrede getroffenen vertraglichen Vereinbarungen vom Ablauf der Regelungsabrede unberührt bestehen bleiben.

___________ 70) Giesen, ZIP 1998, 142. 71) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 16. 72) Vgl. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 35 f.; Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 156; UhlenbruckBerscheid/Ries, InsO, § 120 Rz. 18. 73) Vgl. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 226.

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§ 15 2.

Teil III Einzelfragen Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz

80 Die Vorschriften des BetrVG über Interessenausgleich, Sozialplan und Nachteilsausgleich bei Betriebsänderungen (§§ 111 – 113 BetrVG) gelten auch in der Insolvenz des Unternehmens. 81 Im Eröffnungsverfahren hat der Schuldner die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten und Interessenausgleichs- sowie Sozialplanverhandlungen zu führen, sofern ihm kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde. Verfügungen des Schuldners bedürfen dann jedoch der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (§ 22 InsO), hat der sogenannte „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen im Eröffnungsverfahren zu führen. 82 Mit Verfahrenseröffnung ist der Schuldner wegen des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter nicht mehr berechtigt, Verhandlungen mit dem Betriebsrat zum Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan zu führen. Da der Insolvenzverwalter mit Verfahrenseröffnung in die Rechtsstellung des Arbeitgebers eintritt, obliegen ihm mit Verfahrenseröffnung alle Rechte und Pflichten des Arbeitgebers.74) 83 Im Falle der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner, welcher gemäß § 279 InsO seine Rechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben soll. Die Rechte nach §§ 120, 122 und 126 InsO kann der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben (§ 279 Satz 3 InsO). 84 Der Insolvenzverwalter hat mit der Verfahrenseröffnung die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten und bei beabsichtigten Betriebsänderungen die Regelungen der §§ 111, 112 BetrVG einzuhalten, wenn er Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer vermeiden will. Der Insolvenzverwalter hat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bei Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG den Betriebsrat zu unterrichten und den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen. Er kann sich nicht darauf berufen, die Beteiligung des Betriebsrates sei wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation ausnahmsweise entbehrlich75) (vgl. hierzu auch Rz. 20 ff.). Unterlässt der Insolvenzverwalter den Versuch eines Interessenausgleiches, haben die Arbeitnehmer gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 BetrVG einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.76) 85 Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, den Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung zu unterrichten, diese mit ihm zu beraten und den Versuch eines Interessenausgleiches zu unternehmen, besteht auch dann, wenn der Betriebsrat erst nach der Verfahrenseröffnung gewählt wurde.77) Voraussetzung für die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Unterrichtung, Beratung und zum Versuch eines Interessenausgleiches ist allerdings, dass der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt besteht, zu welchem der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebsänderung beginnt. Ein hingegen erst während der Durchführung der Betriebsänderung gewählter Betriebsrat kann weder den Versuch eines Interessenausgleiches noch den Abschluss eines Sozialplanes verlangen.78) Selbst wenn dem Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsänderung bekannt ist, dass im Unternehmen ein Betriebsrat gewählt werden soll und mit den Vorbereitungen zur ___________ 74) So bereits BAG, Urt. v. 9.7.1985 – 1 AZR 323/83, ZIP 1986, 45 = NZA 1986, 100; BAG, Urt. v. 20.11.1997 – 2 AZR 52/97, ZIP 1998, 437 = NZA 1998, 334. 75) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. 76) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. 77) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. 78) BAG, Beschl. v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, ZIP 1982, 982; BAG, Beschl. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Wahl des Betriebsrates begonnen wurde, ist er nicht gehindert, mit der Durchführung der Betriebsänderung zu beginnen.79) Zuständiges Betriebsverfassungsorgan ist grundsätzlich der Betriebsrat des betroffenen 86 Betriebes. Wenn die Betriebsänderung mehrere Betriebe betrifft, wie z. B. bei einer Zusammenlegung von Betrieben, und deshalb betriebsübergreifende Regelungen notwendig werden, ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.80) Allerdings folgt aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für einen Interessenausgleich 87 nicht zwingend auch seine Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplanes. Vielmehr ist hierfür Voraussetzung, dass die Regelung des Ausgleichs oder der Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile zwingend unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend erfolgen muss.81) Wird ein von zwei Unternehmen geführter Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst, weil eines der 88 beiden Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit einstellt, führt dies grundsätzlich nicht zur Beendigung der Amtszeit des für den Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrates. Dieser nimmt für die verbleibenden Arbeitnehmer des anderen Unternehmens weiterhin die ihm nach dem BetrVG zustehenden Rechte und Pflichten wahr.82) Da nach der Auffassung des BAG im Urteil vom 19.11.2003 die Insolvenzeröffnung allein nicht zur Auflösung des gemeinsamen Betriebes führt, sondern dafür stets noch eine tatsächliche Trennung der Betriebsorganisation erforderlich ist, bleibt der im Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat auch nach Verfahrenseröffnung für Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zuständig.83) 2.1

Betriebsänderung nach §§ 121, 122 InsO

Die §§ 112, 112a BetrVG regeln die Voraussetzungen, das Zustandekommen und den Inhalt 89 von Interessenausgleich und Sozialplan. Diese Vorschriften finden auch im Insolvenzverfahren grundsätzlich Anwendung. Insbesondere im Eröffnungsverfahren ist das Prozedere des § 112 BetrVG uneingeschränkt einzuhalten. Im eröffneten Insolvenzverfahren und im Falle der Eigenverwaltung wird § 112 Abs. 2 90 Satz 1 BetrVG dahingehend geändert, dass der Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes nur bei einem übereinstimmenden Ersuchen von Insolvenzverwalter und Betriebsrat stattfinden muss. Beide Parteien sind also berechtigt, unmittelbar die Einigungsstelle anzurufen, wenn die Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder den Sozialplan scheitern (§ 121 InsO).84) Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Dauer der Interessenausgleichsverhandlung abkürzen, um im Interesse einer Betriebsfortführung oder übertragenden Sanierung schnellstmöglich mit der Betriebsänderung beginnen zu können. Die Vorschrift ist jedoch wenig praxiswirksam, da auch die Einschaltung des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG keine Voraussetzung für die Anrufung der Einigungsstelle ist und die Einigungsstelle gemäß ___________ 79) BAG, Beschl. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289; BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. 80) BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 81) BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 82) BAG, Urt. v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, ZIP 2004, 426. 83) Abweichend von BAG, Urt. v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, ZIP 1987, 1588 = NZA 1988, 32; vgl. auch Annuß/Hohenstadt, NZA 2004, 420 ff. 84) BAG, Urt. v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, ZIP 2004, 426.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG von jeder Seite angerufen werden kann, wenn es nicht zu einem Vermittlungsversuch kommt.85) 91 Von größerer Bedeutung ist die in § 122 InsO geregelte Möglichkeit zur Beschleunigung der Betriebsänderung im Insolvenzverfahren. Hiernach kann der Verwalter die Zustimmung des ArbG dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. Dieser Antrag kann bereits drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung des Betriebsrates zur Aufnahme von Verhandlungen gestellt werden. Dabei muss der Insolvenzverwalter weder die Vermittlung durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes versucht, noch zuvor die Einigungsstelle angerufen haben (§ 112 Abs. 2 BetrVG). Allerdings muss der Insolvenzverwalter den Betriebsrat nach § 111 Satz 1 BetrVG rechtzeitig und umfassend unterrichtet haben. Für den Beginn der Drei-Wochen-Frist ist entweder die Aufnahme tatsächlicher Beratungen der Betriebsparteien oder die schriftliche Aufforderung an den Betriebsrat zur Aufnahme der Beratungen entscheidend. 92 Werden Beratungen mit dem Betriebsrat aufgenommen empfiehlt es sich, im Protokoll der ersten Sitzung festzuhalten, dass mit diesem Datum die Beratungen hinsichtlich des Abschlusses eines Interessenausgleiches und Sozialplanes begonnen wurden, um damit den Beginn der Drei-Wochen-Frist gemäß § 122 Abs. 1 InsO eindeutig zu bestimmen. Der Betriebsrat könnte anderenfalls behaupten, dass es sich bei diesem Termin nur um die Ankündigung demnächst aufzunehmender Verhandlungen gehandelt hat. 93 Zeichnet sich bereits im Vorfeld ein destruktives Verhalten des Betriebsrates ab, sollte der Betriebsrat vor dem ersten Sitzungstermin schriftlich zur Aufnahme von Beratungen aufgefordert werden. Zusammen mit dieser Aufforderung empfiehlt sich die schriftliche Unterrichtung über den Inhalt und den Umfang der vom Insolvenzverwalter geplanten Betriebsänderung unter Vorlage entsprechender Unterlagen an den Betriebsrat (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Unterrichtung des Betriebsrates vor Massenentlassungsanzeige, Rz. 27 ff.). 94 Versucht der Betriebsrat sodann erkennbar, den Beginn der Beratungen über die Betriebsänderung zu verzögern oder erklärt er gar dem Insolvenzverwalter, dass er nicht bereit sei, mit ihm über die geplante Betriebsänderung zu verhandeln, kann der Insolvenzverfahren das Scheitern der Verhandlungen erklären und das Verfahren vor der Einigungsstelle einleiten. 95 Der tatsächliche Beginn der Beratungen mit dem Betriebsrat sollte durch ein gemeinschaftlich unterzeichnetes Protokoll dokumentiert werden. Wird der Betriebsrat zur Aufnahme der Beratungen schriftlich aufgefordert, sollte das Aufforderungsschreiben dem Vorsitzenden des Betriebsrates gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt werden. 96 Das Fristende bestimmt sich nach § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Sie endet mit dem Ablauf desjenigen Tages der dritten Woche, welcher dem Tag entspricht, an dem die Beratungen tatsächlich begonnen worden oder die schriftliche Aufforderung zur Beratung dem Betriebsrat zugegangen ist. Ist dieser letzte Tag der Frist ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, tritt an dessen Stelle der nächste Werktag (§ 193 BGB). 97 Das Verfahren vor dem ArbG muss im beschleunigten Beschlussverfahren nach § 122 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO nach Maßgabe des § 61a Abs. 3 – 6 ArbGG entschieden werden. Demnach gilt gemäß § 83 ArbGG der Untersuchungsgrundsatz. Das bedeutet, dass das ArbG den Sachverhalt zu erforschen hat, um entscheiden zu können, ob „die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer ___________ 85) Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 27 ff.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird“ (Gesetzestext § 122 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im normalen Beschlussverfahren dürfte damit keine nennenswerte Beschleunigung zu er- 98 warten sein. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter zu einem Antrag gemäß § 122 InsO, sollte er den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens (§ 85 Abs. 2 a ArbGG) wählen. Da § 122 Abs. 2 InsO generell auf die Vorschriften des ArbGG über das Beschlussverfahren verweist, dürfte der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 2 AGG zulässig sein.86) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass eine solche einstweilige Verfügung nur in seltenen Ausnahmefällen möglich ist, da gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verstoßen wird.87) Die einstweilige Verfügung soll dann zulässig sein, wenn anderenfalls die Einstellung des Verfahrens nach § 207 Abs. 1 InsO drohen würde, weil die Insolvenzmasse bei Durchführung des Hauptverfahrens soweit aufgezehrt wird, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse nicht mehr vorhanden wäre.88) Die Vorschrift des § 122 InsO soll aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur den Weg zur Einigungsstelle abkürzen (§ 121 InsO), sondern der Eilbedürftigkeit der Durchführung der Betriebsänderung Rechnung tragen. Die Eilbedürftigkeit darf dabei nicht nur in extremen Ausnahmefällen bejaht werden. Denn wenn bereits eine Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nach § 207 Abs. 1 InsO droht, dürften die sich an das Verfahren gemäß § 122 InsO anschließenden Sozialplanverhandlungen als reine Formalität erweisen. Die Zustimmung des ArbG bewirkt, dass der Verwalter trotz Nichtabschlusses des Ver- 99 fahrens nach §§ 111 ff. BetrVG keinen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zahlen muss (§ 122 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das ArbG entscheidet allerdings nicht, ob die Betriebsänderung zulässig ist, sondern lediglich wann mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen werden kann. Zudem bleibt die Pflicht zur Verhandlung und zum Abschluss eines Sozialplanes gemäß § 112 BetrVG auch nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 122 InsO bestehen. Soll die Betriebsänderung im Interesse einer Erhaltungslösung zügig umgesetzt werden, 100 ist der sicherste Weg die Herstellung einer einvernehmlichen Regelung mit dem Betriebsrat. Umfassende, wenn auch zeitintensive Besprechungen mit dem Betriebsrat führen meist schneller zum Ziel als die vom Gesetzgeber vorgesehenen Beschlussverfahren, zumal mit den Informationen gegenüber dem Betriebsrat bereits im Eröffnungsverfahren begonnen werden kann. Unabhängig vom Antrag auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der Betriebsän- 101 derung gemäß § 122 InsO hat der Insolvenzverwalter das Recht, einen besonderen Interessenausgleich nach § 125 InsO zu Stande zu bringen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen (§ 122 Abs. 1 Satz 3 InsO). Die Bestimmung des § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO, die das Recht des Insolvenzverwalters, einen 102 Interessenausgleich nach § 125 InsO zu schließen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen, parallel zum Antrag an das ArbG auf Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung zulässt, gestattet dem Betriebsrat auch, das Einigungsstellenverfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleiches zu führen. Wegen der Möglichkeit, dass das ArbG den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 122 InsO zurückweist, aber auch wegen der Wirkungen eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 InsO (vgl. hierzu Rz. 106 ff.), ist die Weiterverhandlung mit dem Betriebsrat dringend zu empfehlen. ___________ 86) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 121, 122 Rz. 90. 87) Giesen, ZIP 1998, 142. 88) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 121, 122 Rz. 91.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

103 Stimmt das ArbG gemäß § 122 InsO zu, bevor dieser einen Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO mit dem Betriebsrat vereinbart hat, kann der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebsänderung, die im Regelfall mit betriebsbedingten Kündigungen verbunden ist, beginnen. Der Zustimmungsbeschluss hat Gestaltungswirkung und schließt Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG aus. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Betriebsänderung, wenngleich die Frage des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrates in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist (vgl. vorn Rz. 22 ff.). 104 Kommt es nach Zustimmung des ArbG zur Durchführung der Betriebsänderung doch noch zum Abschluss eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 InsO, ist fraglich, welche Rechtsfolgen dieser nachträglich zu Stande gekommene Interessenausgleich hat. § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO enthält hierzu keine Regelung. Nach dem Wortlaut des § 125 InsO kann die dort geregelte Vermutungswirkung nur dann entstehen, wenn mit der Durchführung der Betriebsänderung im Zeitpunkt des Zustandekommens des besonderen Interessenausgleiches noch nicht begonnen wurde. In der Literatur wird angenommen, dass eine analoge Anwendung der Norm auf einen nachträglich zu Stande gekommenen Interessenausgleich wegen des Ausnahmecharakters dieser Norm ausscheidet.89) 105 Mit der Zustimmung des ArbG zur Durchführung der Betriebsänderung muss der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er die Kündigungen ausspricht und Kündigungsschutzverfahren ohne die für ihn günstige Vermutungswirkung des § 125 InsO führt, oder aber das präventive Beschlussverfahren gemäß § 126 InsO einleitet (vgl. Rz. 143 ff.). 2.2

Interessenausgleich nach § 125 InsO

106 Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren ist häufig nur dann gewährleistet, wenn gleichwohl Arbeitsplätze abgebaut und Arbeitnehmer entlassen werden. Oft sind Massenentlassungen unumgänglich. Um eine Betriebsfortführung nicht zu gefährden, muss der Insolvenzverwalter schnell Sicherheit erlangen können, ob das Unternehmen nach Durchführung der Änderungsmaßnahmen fortgeführt und ggf. auf einen potentiellen Erwerber übertragen werden kann, der genau wissen muss, welche Arbeitsverhältnisse mit dem Betrieb gemäß § 613a BGB auf ihn übergehen werden. Langwierige Kündigungsschutzprozesse stehen dem entgegen. 107 Im Interessenausgleich wird mit dem Betriebsrat vereinbart, ob, wann und wie die Betriebsänderung durchgeführt wird. 108 Bei dem Interessenausgleich handelt es sich nicht um eine Betriebsvereinbarung i. S. des § 77 Abs. 4 BetrVG. Er entfaltet nur dann normative Wirkung auf Einzelarbeitsverhältnisse, wenn die Betriebsparteien dies eindeutig und unmissverständlich vereinbaren und den Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung qualifizieren. Durch die Regelung des § 125 InsO werden dem Interessenausgleich in Einzelfällen besondere Rechtswirkung kraft Gesetzes auferlegt. In diesen Fällen handelt es sich um einen Interessenausgleich eigener Art.90) Den Verwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen. Ein solcher Interessenausgleich ist jedoch in jedem Fall empfehlenswert (vgl. Rz. 109, 127 ff.). Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 InsO nicht zu Stande, wird die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen in Kündigungsschutzverfahren nach den Grundsätzen des KSchG geprüft. (§ 1 KSchG). ___________ 89) Eisenbeis in: FK-InsO, § 122 Rz. 25. 90) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 47, 105.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Kommt ein Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 1 InsO i. V. m. §§ 112, Abs. 1 – 3, 111 109 BetrVG zu Stande, können die Prozessrisiken erheblich eingeschränkt werden, da bei wirksamem Abschluss eines solchen Interessenausgleiches x

vermutet wird, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO),

x

die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden kann,

x

sich die Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auch darauf erstreckt, dass im Falle eines Betriebsübergangs nach Verfahrenseröffnung die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt (§ 128 Abs. 2 InsO).

x

die Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil bei einer Betriebsteilung ebenfalls nur auf grobe Fehlerhaftigkeit geprüft wird (§323/2 UmwG analog)

Kommt bei einer Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG ein Interessenausgleich mit 110 Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 InsO zu Stande, muss der Insolvenzverwalter in einem Kündigungsschutzverfahren zunächst lediglich darlegen x

dass der Interessenausgleich wegen einer Betriebsänderung wirksam zu Stande gekommen ist,

x

der Arbeitnehmer wegen dieser Betriebsänderung gekündigt wurde, und

x

der Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich auf der Namensliste, die Bestandteil des Interessenausgleiches ist, namentlich genannt ist.

2.2.1 Zustandekommen des Interessenausgleiches 2.2.1.1

Voraussetzungen

Voraussetzung für die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum Versuch eines Interes- 111 senausgleiches ist, dass der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt besteht, zu welchem mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen werden soll. Ein erst während der Durchführung der Betriebsänderung gewählter Betriebsrat kann weder den Versuch eines Interessenausgleiches noch den Abschluss eines Sozialplanes verlangen.91) Auch wenn dem Insolvenzverwalter bekannt sein sollte, dass im schuldnerischen Unternehmen Betriebsratswahlen vorbereitet werden, hindert dies ihn nicht an der Durchführung der Betriebsänderung, wenn im Zeitpunkt des Beginns der Durchführung der Betriebsänderung der Betriebsrat noch nicht konstituiert ist.92) 2.2.1.2

Beteiligung des zuständigen Betriebsrates

Wurde im schuldnerischen Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat gewählt, ist zu prüfen, 112 ob dieser evtl. entsprechend den Regelungen der §§ 50, 59 BetrVG für die Verhandlungen zum Interessenausgleich zuständig ist. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Dies kann i. R. einer Betriebsfortführung bei Zusammenlegung von Betrieben der Fall sein.93) Der betriebsübergrei___________ 91) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. 92) Vgl. auch Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 64. 93) BAG, Urt. v. 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, ZIP 1996, 1391.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

fende Regelungsbedarf bestimmt sich nach der vom Insolvenzverwalter geplanten Maßnahme. Liegt ein unternehmenseinheitliches Konzept vor, ist der Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren.94) Ein mit dem unzuständigen Betriebsrat abgeschlossener Interessenausgleich ist unwirksam.95) 113 Ob der Gesamtbetriebsrat im Falle seiner Zuständigkeit auch für die Aufstellung der Namensliste i. S. v. § 125 InsO zuständig ist, wird diskutiert.96) 114 Der Gesamtbetriebsrat kann gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch für betriebsratslose Betriebe zuständig sein, sofern er gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen, originär zuständig ist. 115 In Zweifelsfällen sollten die Verhandlungen zum Interessenausgleich sowohl mit dem Betriebsrat als auch mit dem Gesamtbetriebsrat geführt werden. Es empfiehlt sich zugleich, Interessenausgleich und Namensliste von beiden Gremien unterzeichnen zu lassen. 2.2.1.3

Erfordernis einer Betriebsänderung

116 Die Anwendung des § 125 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Interessenausgleich wegen einer bestimmten Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG abgeschlossen wird. Die Vermutungswirkung gilt nicht, wenn der Interessenausgleich abgeschlossen wird, weil den Arbeitnehmern aus Gründen, die keine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG darstellen, gekündigt werden soll. Ebenso wenig gilt die Vermutungswirkung bei Abschluss eines Interessenausgleiches in Betrieben mit weniger als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern oder wenn nur ein geringer Personalabbau geregelt werden soll, der noch keine Betriebsänderung darstellt, weil er unterhalb der Werte gemäß § 17 Abs. 1 KSchG liegt. Die Schwelle der Sozialplanpflichtigkeit nach § 112a BetrVG muss allerdings nicht überschritten werden.97) Vgl. auch Rz. 202. 117 Die Vermutungswirkung des § 125 InsO gilt nicht bei lediglich freiwillig abgeschlossenen Interessenausgleichen.98) 2.2.1.4

Zeitpunkt

118 Der Interessenausgleich mit Namensliste muss vor Ausspruch der Kündigung zu Stande gekommen sein. Würde man Betriebsrat und Insolvenzverwalter die Möglichkeit eröffnen, bereits ausgesprochene Kündigungen durch einen nachträglichen Interessenausgleich zu sanktionieren, führe dies zu Rechtsunsicherheit und eröffnete zudem die Möglichkeit, vom Arbeitgeber geschaffene Fakten nachträglich zu sanktionieren.99) 119 Häufig verlangt der Betriebsrat zeitgleich mit dem Abschluss des Interessenausgleiches die Unterzeichnung eines Sozialplanes, um der Belegschaft nicht nur den im Interessenausgleich geregelten Stellenabbau erklären zu müssen, sondern auch Abfindungszahlungen oder die Errichtung einer Transfergesellschaft in Aussicht stellen zu können. Betriebsräte meinen schon mal, mit der Forderung nach zeitgleichem Abschluss eines Sozialplanes ein Druckmittel zu haben, wenn der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich mit Na___________ 94) BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, ZIP 1994, 1466; BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 95) Vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498. 96) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 66. 97) Gallner in: ErfK, § 125 InsO Rz. 3; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 17. 98) Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 18. 99) Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 11.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

mensliste gemäß § 125 InsO beabsichtigt. Allerdings wird dabei die Beschränkung der Sozialplanhöhe gemäß § 123 InsO übersehen, ebenso wie die Tatsache, dass unter den Voraussetzungen des § 112a BetrVG ein Sozialplan erzwingbar ist, ein Interessenausgleich jedoch nicht (vgl. hierzu auch Rz. 197 ff.). Der Betriebsrat sollte bereits zu Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen über die 120 gesetzlichen Beschränkungen zur Höhe des Sozialplanes im Insolvenzverfahren informiert werden. Gleichzeitig sollte dem Betriebsrat mitgeteilt werden, dass der Insolvenzverwalter bereit ist, bereits im Interessenausgleich die Höhe des geplanten Sozialplanvolumens zu regeln. Dies erleichtert die weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat, insbesondere zur Namensliste. Der Interessenausgleich muss nach Verfahrenseröffnung abgeschlossen werden, wenn 121 der Insolvenzverwalter die Vermutungswirkung des § 125 InsO für sich nutzen will. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit auch im Eröffnungsverfahren findet § 125 InsO keine Anwendung.100) Der ggf. im Eröffnungsverfahren vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insol- 122 venzverwalters geschlossene Interessenausgleich mit Namensliste entfaltet allerdings die Wirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG und bietet damit ebenfalls weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten.101) Ob allerdings der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossene Interessenausgleich mit Namensliste vom Insolvenzverwalter nach der Eröffnung genehmigt werden kann und in diesem Fall rückwirkend auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung die Vermutungswirkung des § 125 InsO entfaltet, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Nach Auffassung von Mückl/Krings soll ein vom vorläufigen Verwalter abgeschlossener Interessenausgleich nach § 125 InsO vom endgültigen Verwalter zumindest mittels ausdrücklicher Genehmigung, die auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zurückwirken soll, „gerettet“ werden können.102) Auch mit Urteil vom 28.6.2012 hat das BAG die Beantwortung dieser Frage dahinstehen lassen.103) Bis zur Beantwortung dieser Frage durch das BAG muss dem Insolvenzverwalter dringend empfohlen werden, nach Verfahrenseröffnung einen neuen Interessenausgleich gemäß § 125 InsO abzuschließen. Dies ist nicht zeitaufwendig, wenn die Interessenausgleichsverhandlung im Eröffnungsverfahren soweit vorbereitet wird, dass diese in nur einer weiteren Besprechung mit dem Betriebsrat zum Abschluss gebracht und der Interessenausgleich unterzeichnet werden kann. 2.2.1.5

Anforderungen an die Namensliste

Voraussetzung für die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist, dass 123 die zu kündigenden Arbeitnehmer im schriftlich abgeschlossenen Interessenausgleich namentlich genannt sind. Aus der Namensliste muss eindeutig hervorgehen, welcher Arbeitnehmer gemeint ist. Es empfiehlt sich daher, Vor- und Nachnamen anzugeben. Bei Namensidentitäten sollten die Abteilungen, in denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind und ggf. auch das Geburtsdatum der Arbeitnehmer hinzugefügt werden. Der Interessenausgleich ist schriftlich niederzulegen und vom Insolvenzverwalter und 124 Betriebsrat zu unterschreiben (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Da gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO die zu kündigenden Arbeitnehmer „im“ Interessenausgleich namentlich zu bezeichnen sind, ist es erforderlich, die Arbeitnehmer entweder im Text des Interessenausgleiches zu benennen, die Namensliste als Anlage zum Interessenausgleich mit Bezugnahme auf den ___________ 100) 101) 102) 103)

LAG Hamm, Urt. v. 22.5.2002 – 2 SA 1560/01, NZA-RR 2003, 378 = ZInsO 2002, 1104. Vgl. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 108. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 111. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

Interessenausgleich gesondert zu unterschreiben oder aber die nicht unterschriebene Namensliste als Anlage zum Interessenausgleich mit diesem fest zu verbinden.104) Wird die Namensliste z. B. mittels Heftmaschine fest mit dem Interessenausgleich verbunden, muss sie nicht ausdrücklich als Anlage zum Interessenausgleich bezeichnet werden.105) Allerdings muss die Namensliste dann bereits vor der Unterzeichnung fest mit dem Interessenausgleich verbunden werden, damit eine Gesamturkunde erkennbar ist. Das Zusammenheften der nicht unterschriebenen Namensliste mit dem Interessenausgleich erst nach dessen Unterzeichnung ist nicht ausreichend.106) Eine Verbindung der nicht unterschriebenen Namensliste mit dem Interessenausgleich mittels Büroklammer ist nicht ausreichend, da zur Wahrung des Schriftformerfordernisses erkennbar sein muss, dass die Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste endgültig und dauerhaft gewollt ist. Eine Verbindung durch Büroklammer kann jederzeit ohne Substanzzerstörung aufgehoben werden.107) Die Unterzeichnung des Interessenausgleiches auf dem letzten Blatt der Vertragsurkunde ist ausreichend.108) Allerdings muss die Unterschrift unter der letzten Textzeile stehen. 125 Auch wenn der überwiegende Teil der Belegschaft gekündigt werden muss und nur eine sehr geringe Anzahl der Arbeitnehmer im fortzuführenden Betrieb verbleiben sollte, ist es dringend erforderlich, in der Namensliste die zu kündigenden und nicht die im Unternehmen verbleibenden Arbeitnehmer zu benennen. Der Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO ist insoweit eindeutig, denn es wird gefordert, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet werden. Praktikabilitätsgründe sind dabei unerheblich.109) Auch die Stilllegung ganzer Abteilungen oder eines Betriebsteiles erfordert die namentliche Benennung der einzelnen zu kündigenden Arbeitnehmer, wenn die Vermutungswirkung nach § 125 InsO nicht entfallen soll. 126 Die Namensliste muss in einem Interessenausgleich vereinbart sein. Zwar ist es zulässig und üblich, Interessenausgleich und Sozialplan in einer Urkunde nieder zu legen und diese ggf. auch nur als Sozialplan zu bezeichnen, allerdings ist eine Ausdehnung des § 125 auf Sozialpläne, die durch den Spruch der Einigungsstelle festgelegt worden sind, nicht zulässig, da der Interessenausgleich nicht erzwingbar ist (§ 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG).110) Zu beachten ist außerdem, dass es sich bei der Verteilungsliste des Sozialplanes und der Entlassungsliste des § 125 InsO um unterschiedliche und nicht vergleichbare Namenslisten handelt. 111) 2.2.2 Wirkung des Interessenausgleiches mit Namensliste 2.2.2.1

Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse

127 Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 wird vermutet, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der im Interessenausgleich namentlich bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist. Trotz dieses Wortlautes spricht der Gesetzeszweck des § 125 dafür, die Vermutungswirkung ___________ 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111)

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BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885. BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 26. LAG Hamm, Urt. v. 23.3.2000 – 4 SA 910/99, ZInsO 2000, 570. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 24. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 28. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 29.

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§ 15

auch auf das Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens zu erstrecken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn i. R. der Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat erörtert wurde, ob anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens bestehen. Vorsorglich sollte das Ergebnis dieser Prüfung im Interessenausgleich dargelegt werden.112) Die Vermutungsregel des § 125 InsO erfasst auch die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen, wenngleich der Wortlaut in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nur fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu „unveränderten Arbeitsbedingungen“ nennt.113) Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ändert die allgemeine Beweis- 128 lastregel. Der Insolvenzverwalter hat zunächst lediglich darzulegen, dass die Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung erfolgte, wegen der ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen wurde, in welchem der gekündigte Arbeitnehmer namentlich benannt ist und welcher schriftlich niedergelegt wurde. Hat der Insolvenzverwalter dies dargelegt, wird vermutet, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis besteht. Die Vermutung ist allerdings durch den Arbeitnehmer widerlegbar. Es gilt § 292 Abs. 1 ZPO (§ 46 Abs. 2 Satz 1 AGG). Die Vermutung kann nur durch Beweis des Gegenteils beseitigt werden. Der Arbeitnehmer muss dabei aber substantiierten Sachvortrag leisten, der das dringende betriebliche Erfordernis ausschließt und nicht nur in Zweifel zieht.114) 2.2.2.2

Sozialauswahl

Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur 129 im Hinblick auf x

die Dauer der Betriebszugehörigkeit,

x

das Lebensalter und

x

die Unterhaltspflichten und

x

auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden.

Die soziale Auswahl ist zudem nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene 130 Personalstruktur erhalten oder sogar erst geschaffen wird. Grob fehlerhaft ist eine Sozialauswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender 131 schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.115) Bei der Gewichtung der sozialen Daten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten besteht keine Rangfolge. Dem Insolvenzverwalter bleibt insoweit ein Wertungsspielraum. Die Sozialauswahl ist jedoch dann grob fehlerhaft, wenn eines der Auswahlkriterien vollständig außer Acht gelassen wird.116) Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl auch dann, wenn bei der Bestimmung des Kreises 132 der vergleichbaren Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt wird oder bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (keine Einbeziehung von Arbeitnehmern in die Sozialauswahl, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personal___________ 112) Vgl. auch BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387. 113) Vgl. zu § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG: BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 671/06, openJur 2011, 98316. 114) BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, ZIP 2007, 2136; BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023. 115) BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 284/06, openJur 2011, 97155 m. w. N.; BAG, Urt. v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, DB 2008, 1688. 116) LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.1.1998 – 5 (4) (3) Sa 1 913/97, DB 1998, 1235.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

struktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt) die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind.117) 133 Vergleichbar sind die Arbeitnehmer, die austauschbar sind. Die Austauschbarkeit bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, d. h. nach der ausgeübten Tätigkeit. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen, allerdings muss der Arbeitgeber berechtigt sein, den Arbeitnehmer einseitig, d. h. im Wege seines Direktionsrechtes, auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen, um von einer arbeitsvertraglichen Austauschbarkeit sprechen zu können, vgl. hierzu auch Dreschers, § 14 Rz. 72 ff., 76. 134 Dem Insolvenzverwalter ist es mit Abschluss eines Interessenausgleiches gemäß § 125 InsO nicht nur möglich, die vorhandene Personalstruktur zu erhalten (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG), sondern es steht ihm frei, bei der Prüfung der Fortführungsaussichten von einer Personalstruktur auszugehen, die mit der Durchführung der Betriebsänderung erst geschaffen wird. Gerade in insolventen Unternehmen ist häufig eine überalterte Personalstruktur anzutreffen, da vorangegangene Rationalisierungsmaßnahmen meist zur Kündigung der jüngeren Belegschaft geführt haben. Um für diese Betriebe einen Investor zu finden, ist es zumeist nicht ausreichend, die vorhandene Personalstruktur lediglich zu sichern. Aus § 125 Abs. 1 Nr. 2 geht jedoch nicht hervor, wie eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.118) 135 In der Praxis wird die Personalstruktur im Wesentlichen durch die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl erhalten oder geschaffen. Dabei ist zu beachten, dass die Bildung von Altersgruppen auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO grob fehlerhaft sein kann, wenn diese Altersgruppen in völlig wahllos getroffenen Zeitsprüngen gebildet werden und der Schluss naheliegt, dass sie nur gebildet wurden, um bestimmte Arbeitnehmer wegen ihrer ansonsten zu berücksichtigenden Sozialdaten nicht kündigen zu müssen. Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall aber auch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nutzen, wonach er Arbeitnehmer, die über besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen verfügen, nicht in die Sozialauswahl einbeziehen muss, wenn deren Weiterbeschäftigung im Betrieb im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Auch bei der Herausnahme von sog. Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG findet der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Anwendung.119) Der Insolvenzverwalter muss allerdings konkret darlegen und beweisen, welche konkreten Erwägungen zur Herausnahme des Leistungsträgers geführt haben. Eine schlagwortartige Bezeichnung der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten ist dafür jedoch nicht ausreichend. Es reicht nicht, dass die Weiterbeschäftigung einzelner Arbeitnehmer bloß vorteilhaft oder nützlich ist.120) 136 Der Insolvenzverwalter kann mit dem Betriebsrat allerdings auch Auswahlrichtlinien über die Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte vereinbaren (§ 1 Abs. 4 KSchG). Dies gilt auch beim Abschluss eines Interessenausgleiches mit Namensliste gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Betriebsparteien haben bei der Festlegung der Auswahlrichtlinien einen sehr weiten Gestaltungsspielraum, sofern sie sich an den Vorgaben des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG orientieren und dabei nicht eines der genannten Sozialkriterien völlig außer Acht lassen.121) ___________ 117) BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774. 118) Vgl. zu den Ansatzpunkten für die Beschaffung bzw. den Erhalt einer ausgewogenen Personalstruktur Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 132 f. 119) LAG Köln, Urt. v. 10.5.2005 – 1 Sa 1510/04, ZIP 2005, 1524; BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774. 120) Vgl. dazu im Einzelnen LAG Niedersachsen, Urt. v. 30.6.2006 – 10 Sa 1816/05, openJur 2012, 44478; BAG, Urt. v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, NJW 1999, 3796 = NZA 1999, 702. 121) BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504.

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§ 15

Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

Auch wenn in § 125 InsO das Auswahlkriterium „Schwerbehinderung“ nicht ausdrück- 137 lich genannt ist, ist die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass auch in der Insolvenz die Schwerbehinderung ein zu beachtender sozialer Gesichtspunkt ist. Eine andere Auslegung würde zu Wertungswidersprüchen im Verhältnis zu § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG führen.122) Die Sozialauswahl darf nicht objektiv falsch sein, d. h. der Insolvenzverwalter muss die 138 richtigen Sozialdaten kennen und darf sich dabei nicht nur auf Informationen durch den Betriebsrat, den Personalleiter oder die Buchhaltung verlassen. In Anbetracht dessen, dass für Sozialplanverhandlungen und damit auch die Durchführung der Sozialauswahl nach Verfahrenseröffnung meist wenig Zeit bleibt, ist es ratsam, dass bereits der vorläufige Insolvenzverwalter bei sich abzeichnenden Personalmaßnahmen jeden Arbeitnehmer konkret nach seinen aktuellen Sozialdaten befragt. Dies klingt zunächst aufwendig, kann jedoch durch folgenden Fragebogen kurzfristig umgesetzt werden. 139

Fragebogen zu den Sozialdaten 1. Name: 2. Geburtsdatum: 3. Betriebszugehörigkeit seit: 4. Familienstand:

ledig / verheiratet / geschieden / verwitwet

5. Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder: 6. Vorliegen einer Schwerbehinderung

͘ ja

͘ nein

wenn ja: Grad der Behinderung: ……… % Gleichstellung beantragt:

ja

nein

Gleichstellung festgestellt:

ja

nein

ja

nein

7. Schwerbehinderung beantragt, die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde: wenn ja: Datum des Antrags: Datum des Widerspruchs: 8. Schwangerschaft: 9. Erziehungsurlaub:

͘ ja

͘ nein

͘ ja

͘ nein

wenn ja: Dauer des Erziehungsurlaubes: Datum, Unterschrift:

___________ 122) LAG Hamm, Urt. v. 16.5.2007 – 2 Sa 1830/06, openJur 2011, 49194; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 125 Rz. 62.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

140 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich hinsichtlich der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft ein „Recht zur Lüge“ und braucht diese auch bei der Einstellung nicht zu offenbaren. Nach einem aktuellen Urteil des BAG vom 16.2.2012 besteht hiervon jedoch eine Ausnahme, wenn zulässigerweise nach der Schwerbehinderteneigenschaft gefragt wurde und hierauf wahrheitswidrige Angaben gemacht worden sind. Für die Frage des Insolvenzverwalters nach der Schwerbehinderung besteht jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht, ein berechtigtes Interesse, wenn die Frage im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer betriebsbedingten Kündigung steht, da vor einer Kündigung bei der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung und der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu beachten ist.123) Bei wahrheitswidriger Beantwortung der rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist es dem Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft im Kündigungsschutzprozess zu berufen. Es liegt dann der Fall einer unzulässigen Rechtsausübung vor.124) 141 Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist gemäß § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig.125) Lässt der Insolvenzverwalter das mit dem Betriebsrat vereinbarte Punkteschema unbeachtet, kann die Sozialauswahl grob fehlerhaft sein. 142 § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches wesentlich geändert hat. Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt z. B. vor, wenn eine ursprünglich entschiedene Betriebsstilllegung, die zu einem Interessenausgleich geführt hat, nicht umgesetzt wird, weil ein Interessent gefunden wurde, der einen reorganisierten Betrieb übernimmt. Nicht wesentlich hingegen sind Einzelfalländerungen, die z. B. dazu führen, dass einzelne Arbeitnehmer, die auf der Namensliste genannt sind, nicht mehr gekündigt werden müssen, weil z. B. andere Arbeitnehmer den Betrieb durch Eigenkündigung verlassen oder der Betrieb einzelner Maschinen entgegen ursprünglicher Überlegungen fortgesetzt wird. Wesentlich ist eine Änderung der Sachlage dann, wenn die Betriebsparteien in Kenntnis dieser Sachlage einen Interessenausgleich mit anderem Inhalt abgeschlossen hätten. Die Änderung der Sachlage muss jedoch vor dem Ausspruch der Kündigung eingetreten sein.126) Ändert sich die Sachlage nach Ausspruch der Kündigungen, kann ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen.127) 2.3

Beschlussverfahren nach § 126 InsO

143 Besteht im Betrieb der Insolvenzschuldnerin kein Betriebsrat oder kommt es innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn mit dem Betriebsrat oder schriftlicher Aufforderung an den Betriebsrat zur Aufnahme von Verhandlungen nicht zum Abschluss eines Interessenausgleiches nach § 125 Abs. 1 InsO (Interessenausgleich mit Namensliste), obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend nach § 111 BetrVG informiert hat, so kann der Insolvenzverwalter beim ArbG beantragen festzustellen, dass die Kündigung der namentlich genannten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. 144 Der Insolvenzverwalter kann den Antrag gemäß § 126 InsO auch dann stellen, wenn die geplante Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll. ___________ 123) 124) 125) 126) 127)

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BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, ZIP 2012, 1572. BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, ZIP 2012, 1572. BAG, Beschl. v. 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005, 1372. BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, Lexetius com/2004, 486. BAG, Urt. v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

In diesem Fall ist der Erwerber des Betriebes am Verfahren nach § 126 InsO zu beteiligen (§ 128 Abs. 1 InsO). Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann dabei gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO nur 145 im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten nachgeprüft werden. Die Überprüfung ist allerdings nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit begrenzt. Das Verfahren vor dem ArbG ist im Wege des Beschlussverfahrens zu führen. Beteiligte 146 des Verfahrens sind der Insolvenzverwalter, der Betriebsrat und die namentlich bezeichneten Arbeitnehmer, soweit sie nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder mit den geänderten Arbeitsbedingungen einverstanden sind. Zwar gilt der Untersuchungsgrundsatz (Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen), das Gericht kann allerdings an den Sachvortrag anknüpfen und ist nicht zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet.128) Der Insolvenzverwalter muss somit wie in einem Kündigungsschutzverfahren zum Grund 147 der Kündigung und zur Sozialauswahl umfassend vortragen, da nach § 1 KSchG geprüft wird. Es gilt allerdings die Leistungsträgerklausel aus § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (in die soziale Auswahl sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung – nicht Schaffung! – einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt) und die Erleichterung durch kollektivrechtliche Vereinbarungen aus § 1 Abs. 4 KSchG (ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden). Sonstige Unwirksamkeitsgründe, wie z. B. die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebs- 148 rates, werden nicht geprüft, wenngleich sich das empfehlen würde, um einen späteren Kündigungsschutzprozess, der sich wegen der Bindungswirkung des § 127 InsO nur auf sonstige Unwirksamkeitsgründe stützen kann, eventuell zu vermeiden.129) Hat der Insolvenzverwalter wegen der Zustimmung des ArbG gemäß § 122 InsO die Ar- 149 beitnehmer gekündigt und diese Kündigungsschutzklage vor dem ArbG erhoben, so ist die rechtskräftige Entscheidung im Verfahren nach § 126 InsO für die Parteien bindend. Das Kündigungsschutzverfahren ist ggf. bis zur Rechtskraft im Verfahren nach § 126 InsO auszusetzen (siehe auch Rz. 152). Umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 150 auch dann einleiten kann, wenn weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Unternehmen beschäftigt sind. Das BAG hat diese Frage bislang nicht beantwortet.130) In der Literatur wird einerseits darauf hingewiesen, die Vorschrift setze voraus, dass ein Interessenausgleich nach § 125 InsO grundsätzlich möglich ist, welcher wiederum nur im Falle einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG und damit in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern abgeschlossen werden kann. Andererseits wird vertreten, dass der Antrag nach § 126 InsO ohne Rücksicht auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer gestellt werden kann, da der Wortlaut des § 126 InsO auch ausdrücklich den betriebsratslosen Betrieb erfasse.131) Der ersten Auffassung ist zu folgen, da in § 126 InsO auf die Regelung des § 125 Abs. 1 InsO Bezug genommen wird, wonach eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG geplant sein muss. Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG ___________ 128) 129) 130) 131)

Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge-Matthes, ArbGG, § 83 Rz. 84. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 126 Rz. 16. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180. Vgl. Eisenbeis in: FK-InsO, § 126 Rz. 3.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

sind nur solche, die in Betrieben mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern durchgeführt werden sollen. 151 In der Antragsschrift des Insolvenzverwalters nach § 126 InsO ist u. a. auch die Kündigungsbefugnis darzulegen. Die Kündigungsberechtigung ist durch das BAG zur Voraussetzung einer wirksamen Antragstellung erhoben worden.132) Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner gleichzeitig ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). Damit gehen zwingend auch die Arbeitgeberstellung und die Kündigungsbefugnis auf den sog. „starken“ vorläufigen Verwalter über. Dass der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung mit den entsprechenden Kompetenzen einrückt, führt jedoch nicht zur Anwendbarkeit der Normen der §§ 113, 120 ff. InsO. Von der Spezialregelung dieser Normen kann nur der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung Gebrauch machen.133) Die arbeitsrechtlichen Vorschriften der InsO (§§ 113, 120 – 122, 125 – 128) stehen im 3. Teil der InsO unter „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“. Nach der Systematik der InsO gelten sie demgemäß nur ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht für das Eröffnungsverfahren. Auch fehlt – im Gegensatz zu § 279 InsO für den Schuldner im Fall der Eigenverwaltung – in den Vorschriften für den vorläufigen Insolvenzverwalter ein ausdrücklicher Verweis auf diese Normen.134) 152 Der Insolvenzverwalter kann das spezielle Beschlussverfahren nach § 126 InsO zum Kündigungsschutz sowohl für beabsichtigte als auch bereits ausgesprochene Kündigungen nutzen.135) Dass der Insolvenzverwalter zunächst die Kündigungen aussprechen darf und abwarten kann, welche Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben, bevor er den Antrag nach § 126 InsO stellt, ergibt sich auch aus § 127 Abs. 2 InsO, wonach der Kündigungsausspruch zumindest vor Rechtskraft der Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 126 InsO vorausgesetzt wird. Hieraus wird allerdings nicht abzuleiten sein, dass der Insolvenzverwalter zunächst das Verfahren nach § 126 InsO einleiten muss, bevor er die Kündigungen aussprechen darf. Der Gesetzgeber will dem Insolvenzverwalter eine weitere Möglichkeit geben, in einem vom Gericht beschleunigt durchzuführenden Verfahren die soziale Rechtfertigung mehrerer Kündigungen, die aufgrund einer Betriebsänderung notwendig werden, prüfen zu lassen. Zudem widerspräche es den allgemeinen Grundsätzen der Verfahrensökonomie, wäre der Verwalter zunächst gehalten, das Verfahren nach § 126 InsO hinsichtlich aller ausgesprochenen Kündigungen einzuleiten, bevor überhaupt bekannt ist, ob und welche Arbeitnehmer beabsichtigen, sich gegen die Kündigung zu wehren.136) 153 Eine weitere Antragsvoraussetzung ist die fehlgeschlagene Interessenausgleichsverhandlung. Es kommt allerdings nicht darauf an, warum kein Interessenausgleich zu Stande gekommen ist. Der Insolvenzverwalter muss jedoch nachweisen, dass bei Vorhandensein eines Betriebsrates dieser rechtzeitig und umfassend nach § 111 Satz 1 BetrVG über die beabsichtigte Betriebsänderung unterrichtet wurde und dass innerhalb von drei Wochen nach tatsächlichem Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zu Stande gekommen ist.

___________ 132) BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180 ff. 133) Vgl. BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352. 134) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352. 135) BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180. 136) Vgl. auch Eisenbeis in: FK-InsO, § 126 Rz. 2.

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§ 15

Der Insolvenzverwalter kann das Verfahren nach § 126 InsO somit auch dann führen, wenn lediglich ein Interessenausgleich ohne Namensliste geschlossen wurde.137) Auch in § 126 InsO wird die Verpflichtung des Insolvenzverwalters wiederholt, den Be- 154 triebsrat „rechtzeitig und umfassend zu unterrichten“. Der Betriebsrat muss also auch nach dieser Vorschrift die Möglichkeit haben, auf das „Ob“ und das „Wie“ der geplanten Betriebsänderung Einfluss zu nehmen. Hinsichtlich der Form der Unterrichtung und des Ablaufs der Drei-Wochen-Frist kann auf die Ausführungen zu § 122 InsO verwiesen werden (vgl. Rz. 89 ff.) Tritt der Insolvenzverwalter in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat ein, die entweder 155 bereits der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner vor Verfahrenseröffnung begonnen haben, und haben diese vorangegangenen Verhandlungen im Eröffnungsverfahren bereits länger als drei Wochen gedauert, kann er unmittelbar die Zustimmung des ArbG zur vorzeitigen Durchführung der Betriebsänderung nach § 122 Abs. 1 InsO beantragen bzw. das präventive Kündigungsschutzverfahren nach § 126 Abs. 1 InsO einleiten. Zudem wird hinsichtlich des Ablaufs der Drei-Wochen-Frist nicht auf den Zeitpunkt der Einleitung des Beschlussverfahrens, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung im Beschlussverfahren abgestellt (§ 83 ArbGG).138) Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO bleibt das Recht des Insolvenzverwalters, einen Interessen- 156 ausgleich nach § 125 InsO zu Stande zu bringen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu stellen, unberührt. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter nach dem Willen des Gesetzgebers das Verfahren nach § 126 InsO zeitgleich mit dem Verfahren auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung einleiten kann. Da nach § 127 InsO das präventive Kündigungsschutzverfahren gemäß § 126 InsO auch für zu diesem Zeitpunkt bereits ausgesprochene Kündigungen geführt werden kann, bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, zeitgleich mit dem Antrag auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung die vorgesehenen Kündigungen auszusprechen. Es verbleibt jedoch das nicht zu vernachlässigende Risiko, dass das ArbG den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 122 InsO auf Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen nach § 112 BetrVG zurückweist. Hat in diesem Fall der Insolvenzverwalter die Kündigungen bereits ausgesprochen, ohne dass ein Interessenausgleich zu Stande gekommen ist, drohen Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG.139) Moll sieht die Reihenfolge der Verfahren nach § 122 und 126 InsO beliebig austauschbar.140) Da die Wirksamkeit der Kündigungen, die Gegenstand des Verfahrens nach § 126 InsO sind, nicht von dem ordnungsgemäßen Versuch eines Interessenausgleiches abhängen, muss nach Moll das Verfahren nach § 122 InsO nicht dem Verfahren nach § 126 InsO vorausgehen.141) Will der Insolvenzverwalter Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer verhindern, 157 sollte die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung gemäß § 122 InsO abgewartet werden, um nicht zu riskieren, dass auch bei erfolgreichem Beschlussverfahren nach § 126 InsO die Kündigungen verfrüht ausgesprochen wurden und Nachteilsausgleichsansprüche begründen.

___________ 137) 138) 139) 140) 141)

Uhlenbruck-Berscheid, InsO, §§ 126, 127 Rz. 10. Vgl. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, §§ 126, 127 Rz. 13. Vgl. Uhlenbruck-Berscheid, InsO, §§ 126, 127 Rz. 14. Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 12/2009, § 122 Rz. 65. Kübler/Prütting/Bork-Moll, InsO, Stand: 12/2009, § 122 Rz. 65.

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§ 15 2.4

Teil III Einzelfragen Bindungswirkung nach § 127 InsO

158 Erhebt ein im Verfahren nach § 126 InsO beteiligter Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, so sind die Feststellungen des Beschlussverfahrens für die Parteien des Kündigungsschutzrechtsstreites bindend, sofern sich die Sachlage nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht wesentlich geändert hat, § 127 Abs. 1 InsO (siehe unten Rz. 161). 159 Die Bindungswirkung nach Absatz 1 umfasst sowohl positive als auch negative Feststellungen des Gerichtes. Wird im Beschlussverfahren festgestellt, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, werden im individuellen Kündigungsschutzprozess weder die Betriebsbedingtheit noch die Sozialauswahl geprüft. Die Kündigungsschutzklage kann somit nur auf sonstige Unwirksamkeitsgründe (Nichtzustimmung des Integrationsamtes bei Schwerbehinderung, Missachtung des Mutterschutzes oder Erziehungsurlaubes, nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates) gestützt werden. 160 Hat das ArbG hingegen im Beschlussverfahren entschieden, dass die beantragte Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist, wird sich der Insolvenzverwalter daran auch im individuellen Kündigungsschutzverfahren festhalten lassen müssen, sofern er keine wesentliche Änderung der Sachlage vortragen kann. 161 Die Bindungswirkung entfällt, wenn sich die Sachlage vor Ausspruch der Kündigung wesentlich geändert hat. Wesentlich ist die Änderung dabei nur, wenn sich die Gesamtlage geändert hat. Dies kann z. B. eintreten, wenn die vom Insolvenzverwalter geplante Betriebsfortführung im Wege der Reorganisation nicht mehr möglich ist, aber gleichzeitig ein potentieller Erwerber gefunden wurde. Die Bindungswirkung entfällt allerdings nur, wenn im Zeitpunkt der Änderung der Sachlage die Kündigung noch nicht ausgesprochen war, da für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung immer auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abzustellen ist.142) 162 Im Falle eines Betriebsübergangs gilt die Bindungswirkung für den individuellen Kündigungsschutzprozess auch für den Erwerber (§ 128 Abs. 1 Satz 1 InsO), wenn er die Kündigungen ausspricht. Die Bindungswirkung erstreckt sich dann auch auf die Feststellung des Beschlussverfahrens, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs i. S. des § 613a BGB erfolgt ist (§ 128 Abs. 2 InsO).143) Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die beabsichtigte oder bereits ausgesprochene Kündigung wegen des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam ist, muss er diese Einwendungen bereits im Beschlussverfahren erheben.144) 163 Hat der Arbeitnehmer die Kündigung bereits vor der Rechtskraft der Entscheidung des Beschlussverfahrens nach § 126 erhalten und Kündigungsschutzklage erhoben, so wird die Verhandlung über die Kündigungsschutzklage auf Antrag des Verwalters bis zum Abschluss des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO ausgesetzt (§ 127 Abs. 2 InsO). Dieser Antrag ist dem Insolvenzverwalter dringend zu empfehlen, da er anderenfalls Gefahr läuft, in beiden Verfahren unterschiedliche Entscheidungen zu erlangen. Ihm bleibt dann nur die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach § 580 Abs. 6 ZPO.145) 2.5

Betriebsänderung ohne Interessenausgleich

164 Lediglich in den Fällen, in denen im Betrieb der Insolvenzschuldnerin weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden oder ein Betriebsrat vor Beginn der ___________ 142) 143) 144) 145)

Ständige Rspr., so z. B. BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 5. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 5; Uhlenbruck-Berscheid, InsO, §§ 126, 127 Rz. 43 ff. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 127 Rz. 6; Gallner in: ErfK, § 127 InsO Rz. 5.

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§ 15

Durchführung der Betriebsänderung nicht gewählt wurde, kann der Insolvenzverwalter sanktionslos die Betriebsänderung durchführen, ohne zuvor einen Interessenausgleich schließen zu müssen. Ist der Insolvenzverwalter jedoch gemäß §§ 111, 112 BetrVG zur Beratung mit dem Be- 165 triebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleiches verpflichtet, muss er mit empfindlichen Sanktionen rechnen, wenn er die geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder von dem geschlossenen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht (§ 113 Abs. 1 BetrVG) und die Arbeitnehmer infolge der Abweichung vom Interessenausgleich andere wirtschaftliche Nachteile erleiden (§ 113 Abs. 2 BetrVG). 2.6

Der Nachteilsausgleich

Die Vorschrift des § 113 BetrVG gilt auch im Insolvenzverfahren. Weicht der Insolvenz- 166 verwalter im Laufe des Verfahrens von einem geschlossenen Interessenausgleich ab oder unterlässt er den Versuch des Abschlusses eines Interessenausgleiches, haben die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ggf. einen individual-rechtlichen Nachteilsausgleichsanspruch. Bei der Vorschrift des § 113 BetrVG handelt es sich um eine Sanktionsnorm, die betriebsverfassungsrechtliche Rechte des Betriebsrates sichern soll. Als Sanktionsmittel werden allerdings nicht dem Betriebsrat, sondern den Arbeitnehmern individual-rechtliche Ausgleichsansprüche eingeräumt, welche unabhängig vom Verschulden des Insolvenzverwalters und damit ggf. auch unabhängig von Ansprüchen aus einem abgeschlossenen Sozialplan bestehen.146) 2.6.1 Abweichung von einem Interessenausgleich Gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG führt aber nicht jede Abweichung von einem Interessen- 167 ausgleich zu Sanktionen. Bestehen zwingende Gründe für den Insolvenzverwalter, von der geplanten Betriebsänderung abzuweichen, kann dies ggf. ohne die gesetzliche Sanktion des § 113 BetrVG erfolgen. Als zwingende Gründe kommen allerdings nur nachträglich entstandene oder erkennbar gewordene Umstände in Betracht.147) Es müssen zudem zwingende und nicht nur wichtige Gründe vorliegen. Ein zwingender Grund wird dann zu bejahen sein, wenn es dem Insolvenzverwalter nach Treu und Glauben nicht mehr möglich ist, an der Vereinbarung festzuhalten, ihm insbesondere zur Abwendung drohender Gefahren praktisch keine andere Wahl bleibt (z. B. Insolvenz eines Hauptkunden, Verlust von Großaufträgen, Entziehung eines entscheidenden Bankkredites).148) Der Insolvenzverwalter ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass ein zwingender 168 Grund für die Abweichung von dem geschlossenen Interessenausgleich besteht. Die Abweichung vom Interessenausgleich muss nicht zwingend mit einer neuen Betriebs- 169 änderung verbunden sein, weshalb auch nicht zwingend ein neuer Interessenausgleich abzuschließen ist. Neue Interessenausgleichsverhandlungen werden jedoch dann erforderlich, falls sich der Insolvenzverwalter statt zur geplanten Betriebsfortführung doch noch zu einer Stilllegung entschließt. Keine Abweichung vom Interessenausgleich liegt allerdings vor, wenn der Insolvenzverwalter die geplante Betriebsänderung schließlich unterlässt, was allerdings in der Praxis selten vorkommen dürfte.149) ___________ 146) 147) 148) 149)

Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 1 ff. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 7. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 8, vgl. auch Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 184. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 10.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

170 Der Insolvenzverwalter ist nicht verpflichtet, sämtlichen im Interessenausgleich genannten Arbeitnehmer zu kündigen. Ihm darf die Auswahl aber nicht beliebig überlassen werden.150) 171 Sollten sich nach Abschluss des Interessenausgleiches Umstände ergeben, die eine Abweichung vom Interessenausgleich erfordern, sollte vorsorglich mit dem Betriebsrat erneut verhandelt und ein neuer Interessenausgleich zur Ablösung des alten Interessenausgleiches vereinbart werden. 2.6.2 Unterbliebener Versuch eines Interessenausgleiches 172 Gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG steht der unterbliebene Versuch eines Interessenausgleiches dem Abweichen vom Interessenausgleich gleich. Führt der Insolvenzverwalter ohne ausreichenden Versuch eines Interessenausgleiches die Betriebsänderung durch und erleiden die hierdurch entlassenen Arbeitnehmer wirtschaftliche Nachteile, tritt die Sanktionswirkung des § 113 BetrVG ein. Der Insolvenzverwalter muss, um einen „hinreichenden Versuch“ eines Interessenausgleiches nachweisen zu können, alle Möglichkeiten einer Einigung über den Interessenausgleich ausschöpfen. Das Gesetz verpflichtet den Insolvenzverwalter – wie jeden Arbeitgeber –, mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleiches mit dem ernsthaften Willen einer Verständigung zu beraten. Der Betriebsrat muss in diesen Beratungen die Möglichkeit haben, Alternativen zu der geplanten Betriebsänderung vorzuschlagen und der Insolvenzverwalter muss sich darauf einlassen und damit argumentativ auseinandersetzen. 173 Können sich Insolvenzverwalter und Betriebsrat nicht auf einen Interessenausgleich verständigen, kann der Insolvenzverwalter entweder unmittelbar die Einigungsstelle anrufen (ohne den Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes, § 121 InsO) oder die Zustimmung des ArbG beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist (§ 122 InsO). § 122 InsO eröffnet dem Insolvenzverwalter daher die Möglichkeit, nach dreiwöchigen ergebnislosen Verhandlungen über einen Interessenausgleich Betriebsänderungen durchzuführen, ohne die Einigungsstelle anzurufen, wenn er zuvor die Zustimmung des ArbG eingeholt hat. Das Gericht hat nach § 122 Abs. 2 InsO den Antrag vorrangig zu erledigen und die Zustimmung zu erteilen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer die Durchführung der Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG erfordert (vgl. Rz. 89 ff.). 174 Hat der Insolvenzverwalter die Interessenausgleichsverhandlungen zugleich mit dem Ziel des Abschlusses eines Interessenausgleiches gemäß § 125 Abs. 1 aufgenommen (was empfehlenswert ist, vgl. Rz. 109 ff.), kann er im Falle des Scheiterns dieser Verhandlungen gemäß § 126 InsO beim ArbG beantragen festzustellen, dass die Kündigungen der im Antrag benannten Arbeitsverhältnisse durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt sind. 175 Diese vorgenannten Vorschriften regeln die Abweichungen vom sonst einzuhaltenden Beteiligungsverfahren, die wegen der Besonderheiten der Insolvenz geboten sind, abschließend.151) 176 Der Insolvenzverwalter sollte zeitgleich mit seinem Antrag beim ArbG gemäß § 122 InsO die Einigungsstelle anrufen. Sollte das ArbG die Zustimmung zur Betriebsänderung versagen, kann ggf. das eingeleitete Einigungsstellenverfahren kurzfristig zu einem Erfolg führen. ___________ 150) Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 125 Rz. 7. 151) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99.

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2.6.3 Entstehung des Nachteilsausgleichsanspruchs Der Anspruch entsteht, sobald der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebs- 177 änderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit einem Betriebsrat versucht zu haben. Nach der neuerlichen Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg kann die Durchführung 178 auch mit einer unwiderruflichen Freistellung der Arbeitnehmer beginnen.152) In dem entschiedenen Fall hatte der Insolvenzverwalter nach einer Stilllegungsentscheidung die Interessenausgleichsverhandlungen aufgenommen und noch vor Unterzeichnung des Interessenausgleiches alle Arbeitnehmer der Betriebsstätte unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freigestellt. Nach ständiger Rechtsprechung beginnt der Unternehmer mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft.153) Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg ist die unwiderrufliche Freistellung nicht mehr umkehrbar, da der Arbeitgeber damit selbst bindend erklärt, dass er auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers „für immer“ verzichtet. Anders als im Fall einer widerruflichen Freistellung, über welche das BAG in der Entscheidung vom 30.5.2006 zu entscheiden hatte oder im Fall einer befristeten unwiderruflichen Freistellung, kann der Insolvenzverwalter bei unwiderruflicher Freistellung der Arbeitnehmer einseitig den Betrieb nicht mehr fortführen, da er hierfür das Einverständnis der Arbeitnehmer benötigt.154) Das LAG hat in seiner Entscheidung zwar berücksichtigt, dass der Insolvenzverwalter durch die unwiderrufliche Freistellung vor Abschluss des Interessenausgleiches den Arbeitnehmern die Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosengeld im Wege der sog. Gleichwohlgewährung gemäß § 143 Abs. 3 SGB III (jetzt: § 157 Abs. 1 SGB III) eröffnet hat. Dies wirkt sich nach Auffassung des LAG allenfalls auf die Höhe des Nachteilsausgleiches, nicht jedoch auf den entstandenen Anspruch an sich aus. Auch bei der Betriebsfortführung, die im Insolvenzverfahren regelmäßig nur nach einer 179 Massenentlassung möglich sein wird, ist es oft erforderlich, Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freizustellen. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte in der unwiderruflichen Freistellung von Arbeitnehmern nicht nur den Beginn einer Betriebsstilllegung, sondern auch den Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung in Form einer Betriebseinschränkung oder Verlegung des Betriebes/Betriebsteilen sehen werden. Will der Insolvenzverwalter vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist gemäß § 122 Abs. 1 InsO 180 Arbeitnehmer von der Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen freistellen, um die Insolvenzmasse zu schonen, sollte er den Betriebsrat hierüber gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterrichten und seine Zustimmung einholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zur Freistellung, kann der Insolvenzverwalter im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 2 AGG i. V. m. §§ 935, 940 ZPO beantragen, ihm zu gestatten, bestimmte Arbeitnehmer bis zum Abschluss des Einigungsstellenverfahrens von der Arbeit freizustellen und zwar vorbehaltlich einer ggf. anderen späteren Regelung durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat oder Spruch der Einigungsstelle.155) Diese Freistellung, die vorbehaltlich einer späteren anderen Regelung, mithin also wider- 181 ruflich erfolgen sollte, dürfte trotz der geänderten Rechtsprechung zum Nachteilsausgleich ___________ 152) 153) 154) 155)

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. Vgl. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 121, 122 Rz. 104.

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bei Freistellung vor Abschluss eines Interessenausgleiches keine Nachteilsausgleichsansprüche begründen.156) 182 Sofern mit der Bundesagentur für Arbeit keine Übereinkunft erzielt werden kann, dass auch im Falle einer widerruflichen Freistellung Arbeitslosengeld gemäß § 157 Abs. 1 SGB III (vormals § 143 Abs. 3 SGB III – sog. Gleichwohlgewährung) gezahlt wird, sollten die Arbeitnehmer vor Abschluss eines Interessenausgleiches allenfalls befristet unwiderruflich freigestellt werden. 2.6.4 Entlassung von Arbeitnehmern 183 Entlassungen i. S. des § 113 BetrVG sind nicht nur arbeitgeberseitig bedingte Kündigungen, sondern auch Aufhebungsverträge oder Eigenkündigungen von Arbeitnehmern, die aufgrund der beabsichtigten Betriebsänderung vom Arbeitgeber und damit vom Insolvenzverwalter veranlasst wurden.157) Der Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BetrVG erfasst aber nur solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis von der Betriebsänderung unmittelbar nachteilig betroffen sein kann.158) 184 Keine Entlassung liegt vor, wenn i. R. eines Kündigungsschutzverfahrens die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung festgestellt wird, oder die Kündigung vom Insolvenzverwalter im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer zurückgenommen wird.159) 2.6.5 Andere wirtschaftliche Nachteile 185 Werden Arbeitnehmer aufgrund der Abweichung vom Interessenausgleich oder beim unterbliebenen Versuch des Interessenausgleiches nicht entlassen, hat der Unternehmer gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ggf. entstehende andere wirtschaftliche Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen. Hierunter können nur vermögensrechtliche Nachteile gefasst werden, wie z. B. erhöhte Fahrtkosten oder Umzugskosten bei Betriebsverlagerungen oder Lohneinbußen bei anderen Arbeitsaufgaben.160) 2.6.6 Höhe des Nachteilsausgleichs und Verhältnis zu einem Sozialplan 186 Werden Arbeitnehmer entlassen, ohne dass der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich versucht hat oder weil der Insolvenzverwalter von einem geschlossenen Interessenausgleich ohne zwingenden Grund abgewichen ist, können die Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen, deren Höhe sich aus § 10 KSchG ergibt. Damit erhält der Arbeitnehmer je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer Abfindungen bis zu 12, 15 oder 18 Monatsverdiensten. 187 Bei der Festlegung der Höhe der jeweiligen Abfindung sind x

das Lebensalter,

x

die Betriebszugehörigkeit und

x

die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt

zu berücksichtigen.161) ___________ 156) Vgl. zum Nachteilsausgleich bei unwiderruflicher Freistellung vor Abschluss des Interessenausgleiches LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, rkr., ZIP 2012, 1429 ff. 157) Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 21 ff. 158) BAG, Urt. v. 22.1.2013 – 1 AZR 873/11, DB 2013, 1500. 159) BAG, Urt. v. 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, ZIP 2005, 1174. 160) Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 24 ff. 161) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Das Gericht kann darüber hinaus das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens 188 des Insolvenzverwalters berücksichtigen. Dagegen spielen wirtschaftliche Verhältnisse des Arbeitgebers für die Höhe der Abfindung keine Rolle.162) Auch im Insolvenzverfahren gilt § 10 KSchG uneingeschränkt und ist nicht etwa in analoger Anwendung des § 123 InsO auf zweieinhalb Monatsverdienste begrenzt.163) Umstritten ist, ob der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers aus einem Sozialplan auf den 189 Anspruch auf Nachteilsausgleich anzurechnen ist. BAG164) und LAG Berlin-Brandenburg165) bejahen eine Anrechnung, allerdings nur, sofern die Sozialplanabfindung bereits ausgezahlt wurde. Andererseits wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass mit der Möglichkeit der Anrechnung der Sanktionscharakter des Nachteilsausgleiches geschmälert würde.166) Im Sozialplan sollte konkret vereinbart werden, dass und in welcher Höhe Ansprüche 190 aus dem Sozialplan auf Abfindungsansprüche aus einem gerichtlichen Vergleich im Kündigungsschutzverfahren, auf evtl. gerichtlich festgesetzte Abfindungen (§§ 9, 10 KSchG) und auch den Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) anrechenbar sind. 2.6.7 Nachteilsausgleich als Masseverbindlichkeit Nachteilsausgleichsansprüche sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO 191 und können im Wege der Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter verfolgt werden, wenn das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Insolvenzverwalter der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen ist. x

Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich zwar nach Verfahrenseröffnung, aber vor einer Masseunzulänglichkeitsanzeige des Insolvenzverwalters begründet, ist der Anspruch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen, da nach § 210 InsO die Vollstreckung einer zuvor begründeten Masseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist.

x

Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich aber erst nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet, handelt es sich um Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt werden können.167)

2.7

Betriebsveräußerung nach § 128 InsO

Gemäß § 128 Abs. 1 sind die Vorschriften der §§ 125 – 127 (Interessenausgleich mit Namens- 192 liste, Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz, Bindungswirkung des Beschlussverfahrens) auch dann anwendbar, wenn die im Interessenausgleich zwischen den Betriebsparteien oder dem Feststellungsantrag nach § 126 InsO zu Grunde liegende Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll. Gemäß § 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, 193 sowie die gerichtliche Feststellung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsüberganges erfolgt ist. Der Arbeitnehmer trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast, dass ein Betriebsübergang vorliegt und die Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen wurde und deshalb gegen § 613a Abs. 4 BGB verstößt. Die ohnehin für den Arbeitnehmer ___________ 162) Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 30. 163) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZI 2004, 99. 164) BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287. 165) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 1429. 166) Vgl. Fitting, BetrVG, § 113 Rz. 32 ff. 167) BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510.

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Teil III Einzelfragen

bestehende Darlegungs- und Beweislast wird durch § 128 InsO verstärkt, da durch diese Vorschrift der ansonsten ausreichende Anscheinsbeweis entkräftet wird.168) 194 Die Vermutungswirkung setzt voraus, dass Insolvenzverwalter und Betriebsrat den Interessenausgleich gemäß § 125 InsO bereits vor dem Betriebsübergang abgeschlossen haben oder der Feststellungsantrag nach § 126 gestellt wurde. Im Interessenausgleich oder im Beschlussverfahren nach § 126 muss zudem auf die Betriebsveräußerung hingewiesen werden, wenn nicht riskiert werden soll, dass durch eine Änderung der Sachlage die Bindungswirkung entfällt (§§ 125 Abs. 1 Satz 2; 127 Abs. 1 Satz 2). 195 Gemäß § 279 InsO gilt die Vorschrift des § 128 InsO auch bei der Eigenverwaltung (§ 270 InsO). An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt jedoch der Schuldner, der seine Rechte nach dieser Vorschrift im Einverständnis mit dem Sachwalter ausüben soll. 196 Der vorläufige Insolvenzverwalter hingegen kann die Vorschrift des § 128 InsO nicht für sich in Anspruch nehmen. Die Vorschriften des 3. Teils der InsO gelten nur im eröffneten Insolvenzverfahren. 2.8

Sozialplan nach §§ 123, 124 InsO

197 Während im Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geregelt wird, wie im Einzelnen die geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll, regelt der Sozialplan den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen.169) 198 Im Gegensatz zum Interessenausgleich ist ein Sozialplan unter den Voraussetzungen des § 112 Abs. 4 bzw. § 112a BetrVG erzwingbar. 199 Voraussetzung für die Aufstellung eines Sozialplanes ist die Existenz eines Betriebsrates. Ein existierender Gesamtbetriebsrat ist nur zuständig, wenn betriebsübergreifende Regelungen getroffen werden müssen. Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für die Vereinbarung eines Interessenausgleiches folgt allerdings nicht zwangsläufig die gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplanes. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Dies kann im Fall der Betriebsfortführung bei einer Zusammenlegung von Betrieben der Fall sein.170) 200 Regelt ein mit dem Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG vereinbarter Interessenausgleich Betriebsänderungen, die einzelne Betriebe unabhängig voneinander betreffen oder solche, die sich auf einen Betrieb beschränken, ist ein unternehmensweit zu findender Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile im Sozialplan nicht zwingend. Erfassen die im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderungen mehrere oder gar sämtliche Betriebe des Unternehmens und ist die Durchführung des Interessenausgleichs abhängig von betriebsübergreifend einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan, so kann diese Aufgabe von den Betriebsräten der einzelnen Betriebe nicht mehr wahrgenommen werden; sie ist dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen.171)

___________ 168) 169) 170) 171)

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Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 260. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 123 Rz. 4; Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 123, 124 Rz. 9 ff. BAG, Urt. v. 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, ZIP 1996, 1391. BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Der Sozialplan ist eine Betriebsvereinbarung besonderer Art und bedarf gemäß § 77 Abs. 2 201 Satz 1 BetrVG der Schriftform. Insbesondere muss die Unterzeichnung auf derselben Urkunde erfolgen.172) Gemäß § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG ist ein Sozialplan erzwingbar im Falle einer Betriebsän- 202 derung gemäß § 111 BetrVG. Besteht die geplante Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, so findet § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG nur Anwendung, wenn die Grenzwerte des § 112a BetrVG überschritten werden, wobei auch ein stufenweiser Personalabbau erzwingbar sozialplanpflichtig sein kann, wenn er auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung beruht. Zu beachten ist, dass nach §112a BetrVG auf die Unternehmensgröße abzustellen ist, während § 17 KSchG hinsichtlich einer interessenausgleichspflichtigen Maßnahme auf die Betriebsgröße abstellt. In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen für eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein.173) Wann eine Betriebsänderung in Form von Personalreduzierungen nur interessenausgleichspflichtig und wann auch sozialplanpflichtig ist, kann der Übersicht von Berscheid/Ries in Uhlenbruck174) entnommen werden. Ist ein Sozialplan nicht erzwingbar, sollte der Insolvenzverwalter auch keinen Sozialplan 203 aufstellen, da er sich ansonsten schadenersatzpflichtig gemäß § 60 InsO machen könnte.175) In einem Sozialplan werden regelmäßig Abfindungszahlungen für die Arbeitnehmer verein- 204 bart, die aufgrund der geplanten Betriebsänderung entlassen werden müssen. Entlassungen i. S. des § 123 InsO sind dabei nicht nur die vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen, sondern auch Aufhebungsverträge, die auf Veranlassung des Insolvenzverwalters wegen der Betriebsänderung mit den Arbeitnehmern geschlossen werden (§ 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und ggf. auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, soweit nachweisbar ist, dass der Arbeitnehmer mit der Eigenkündigung lediglich einer beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung durch den Insolvenzverwalter zuvorgekommen ist. Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis, weil ihm die Situation des Betriebes unsicher erscheint, er hingegen ein anderes Arbeitsangebot erhalten hat, ist das nicht ausreichend, um diesen Arbeitnehmer zum Kreis der Berechtigten hinzuzuziehen.176) Nach der Entscheidung des BAG liegt eine Veranlassung zur Eigenkündigung oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, um so eine ansonsten notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. Ein bloßer Hinweis des Arbeitgebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende Betriebsänderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügt nicht. 2.8.1 Absolute Obergrenze In einem Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wird, kann ein 205 Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen werden (absolute Obergrenze). x

Die Berechnung des der Abfindung zu Grunde liegenden Monatsverdienstes richtet sich nach § 10 Abs. 3 KSchG. Demgemäß sind bei der Berechnung des Monatsver-

___________ 172) 173) 174) 175) 176)

Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 123 Rz. 1. BAG, Urt. v. 9.11 2010 – 1 AZR 708/09, ZIP 2011, 730. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 123, 124 Rz. 14. Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 123 Rz. 2. Vgl. BAG, Urt. v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, ZIP 1995, 1915.

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dienstes sämtliche Geld- und Sachleistungen, die dem betroffenen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seiner regelmäßigen Arbeitszeit zustehen, zu beachten. Hierzu zählen x

neben dem monatlichen Gehalt,

x

dem Stundenlohn,

x

dem Fixum oder Akkordverdienst

x

auch Zulagen und Zuschläge, wie z. B. Erschwerniszuschläge, Schicht- und Nachtarbeitszuschläge, Gefahrenzulagen.

206 Nicht zu berücksichtigen sind reine Aufwandsentschädigungen wie z. B. Fahrtkostenerstattung und Spesen. 207 Unregelmäßig geleistete Überstunden werden nicht berücksichtigt. Kurzarbeit wirkt sich nicht anspruchsmindernd aus. Sonderzuwendungen mit Entgeltcharakter (13. Monatsgehalt) werden anteilig hinzu gerechnet. 208 Für die Bestimmung des Monatsverdienstes gilt der Monat, in dem das jeweilige Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers endet. Hinsichtlich der regelmäßigen Arbeitszeit ist auf die individuelle und nicht betriebsübliche Arbeitszeit abzustellen. Die so ermittelten einzelnen Monatsverdienste der Arbeitnehmer werden addiert und mit dem Faktor 2,5 multipliziert um die Obergrenze zu errechnen. 209 Umstritten ist, ob bei der Berechnung des Gesamtvolumens für den Sozialplan gemäß § 123 Abs. 1 InsO auch die Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, die zwar wegen der geplanten Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile erleiden, aber nicht entlassen werden. Hierzu zählen z. B. Arbeitnehmer, die wegen einer Zusammenlegung von Betrieben versetzt werden und höhere Fahrtkosten in Kauf nehmen müssen oder wegen veränderter Arbeitsaufgaben geringeres Entgelt erzielen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist ein Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen. Bei einschränkender Auslegung führt dies dazu, dass § 123 InsO auf den Ausgleich „sonstiger Nachteile“ nicht anwendbar und die Obergrenze für diese Fälle nicht zu berücksichtigen wäre. Damit müsste der Insolvenzverwalter die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden „sonstigen Nachteile“ durch freiwillige Sozialplanleistungen ausgleichen, welche unzulässig und für den Insolvenzverwalter haftungsrelevant sind. Es ist deshalb von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen, die durch eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 InsO zu schließen ist.177) § 123 Abs. 1 InsO wird deshalb dergestalt auszulegen sein, dass bei der Ermittlung des Sozialplanvolumens sowohl die Arbeitnehmer, die wegen der Betriebsänderung entlassen werden müssen, als auch die Arbeitnehmer, die in sonstiger Weise wirtschaftliche Nachteile wegen der Betriebsänderung erleiden, zu berücksichtigen sind.178) 210 Wird die absolute Obergrenze überschritten, ist der Sozialplan gemäß § 134 BGB nichtig. Ob eine Gesamtnichtigkeit vorliegt, oder eine sog. geltungserhaltende Reduktion erfolgt, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Einerseits wird vertreten, dass der gesamte Sozialplan nichtig ist und von den Betriebsparteien neu verhandelt werden muss. Andererseits soll die Überschreitung der absoluten Obergrenze des Sozialplanvolumens nicht zu einer Gesamtnichtigkeit des Sozialplanes führen, wenn entsprechend § 140 BGB die Verteilungsmaßstäbe des Sozialplanes erkennbar sind, diese von einer Reduzierung des Sozialplanvolumens unberührt bleiben und Anhaltspunkte bestehen, dass die Beteiligten den Sozialplan bei einem reduzierten Volumen mit gleichen Verteilungsmaßstäben abgeschlossen hätten. In diesem Fall ist der Sozialplan mit dem Volumen aufrechtzuerhalten, ___________ 177) Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 8 m. w. N. 178) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 206.

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welches § 123 Abs. 1 InsO entspricht.179) Zobel sieht sogar die Gefahr, dass die Behauptung aufgestellt werden kann, die Überschreitung der Obergrenze sei gewollt und die Betriebsvereinbarung sei hinsichtlich des überschreitenden Teils als freiwillige Betriebsvereinbarung zu bewerten, die dann Haftungsansprüche gegen den Insolvenzverwalter auslösen würde (§ 60 InsO).180) Regelmäßig wird die geltungserhaltende Reduktion statt der erneuten Verhandlung eines Sozialplanes anzustreben sein, damit die Arbeitnehmer schnell Klarheit über die Höhe der zu beanspruchenden Abfindung aus einem Sozialplan haben, was sich positiv auf Vergleichsgespräche in Kündigungsschutzverfahren auswirkt. Zur Vermeidung eines nichtigen Sozialplanes sollte eine eindeutige Regelung aufgenom- 211 men werden, dass zwischen beiden Parteien beabsichtigt ist, die gesetzliche Höchstgrenze gemäß § 123 Abs. 1 InsO nicht zu überschreiten und welche Wirkung eintreten soll, falls die Obergrenze dennoch ungewollt überschritten wurde. 2.8.2 Relative Obergrenze Nach § 123 Abs. 2 InsO darf für die Berichtigung von Sozialplanforderungen, wenn ein 212 Insolvenzplan nicht zustande kommt, nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne den Sozialplan für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stünde (relative Obergrenze). Übersteigt der Gesamtbetrag aller Sozialplanforderungen diese Grenze, sind die einzelnen 213 Forderungen anteilig zu kürzen. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass der wegen der Kürzung ggf. verbleibende Differenzbetrag nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend gemacht werden kann (§§ 215 Abs. 2, 201 Abs. 1 InsO).181) Beim Zustandekommen eines Insolvenzplanes findet weder die absolute noch die relative 214 Obergrenze des Sozialplanvolumens Anwendung, die Sozialplangläubiger sind Beteiligte nach § 217 InsO.182) 2.8.3 Verteilung des Sozialplanvolumens Bei der Verteilung des Sozialplanvolumens haben die Betriebsparteien insbesondere § 75 215 BetrVG zu beachten, wonach alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden müssen, insbesondere jede Benachteiligung von Personen aus Gründen x ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, x ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, x ihrer Nationalität, x ihrer Religion oder Weltanschauung, x ihrer Behinderung, x ihres Alters, x ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder x ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleiben muss. ___________ 179) ArbG Düsseldorf, Beschl. v. 24.4.2006 – 2 BV 2/06, DB 2006, 1384. 180) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 226. 181) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 123, 124 Rz. 21; a. A. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 3 und Caspers in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 123 Rz. 65 ff., § 201 Rz. 15 f., die das Nachforderungsrecht nur für Insolvenzgläubiger sehen. 182) Schwerdtner in: Kölner Schrift, 2. Aufl., S. 1632 Rz. 87; so auch Ries/Zabel in: Kölner Schrift, Kap. 35 Rz. 49.

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216 Bei der Verteilung des Sozialplanvolumens sind nach der Rechtsprechung insbesondere Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Teilzeitbeschäftigung und Schwerbehinderteneigenschaft zu berücksichtigen. Jedoch müssen die Abfindungen nicht nach bestimmten Formeln berechnet werden, sondern können auch für jeden Arbeitnehmer einzeln individuell bestimmt werden.183) 217 Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG haben die Betriebspartner bei der Aufstellung der Verteilungsregelungen im Sozialplan einen weiten Ermessensspielraum in den Grenzen von Recht und Billigkeit. 218 Sozialpläne haben nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die von ihnen vorgesehenen Leistungen stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar, sondern sollen die künftigen Nachteile ausgleichen, die dem Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung entstehen können.184) Daher ist es unzulässig, in einem Sozialplan ausschließlich auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des jeweils betroffenen Arbeitnehmers abzustellen.185) Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnis der Kündigungsschutz noch keine Anwendung findet, sind allerdings nicht vom Kreis der Berechtigten auszuschließen. 219 Die Zahlung einer Sozialplanabfindung darf auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer gegen die ausgesprochene Kündigung nicht gerichtlich vorgeht.186) Jedoch ist es zulässig, die Fälligkeit der Sozialplanabfindung von dem rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens abhängig zu machen.187) 220 Die Betriebsparteien können in einem Sozialplan eine Stichtagsregelung vereinbaren, die diejenigen Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausnimmt, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran anknüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist.188) 221 Zulässig ist es, Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen auszunehmen, die einen angebotenen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen.189) Dies gilt auch für den Fall, dass ein Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB auf den Betriebserwerber widerspricht, da der Erhalt des Arbeitsplatzes bei dem Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB in der Regel als zumutbar angesehen wird.190) Allerdings ist es nicht zulässig, die Zahlung der Sozialplanabfindung vom Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebsübernehmer abhängig zu machen.191) 222 Sozialpläne können geringere Abfindungen für Arbeitnehmer in rentennahen Jahrgängen vorsehen.192)

___________ 183) Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 123, 124 Rz. 25. 184) BAG, Urt. v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, ZIP 2009, 336; BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495. 185) Vgl. BAG, Beschl. v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, ZIP 1995, 771 = NZA 1995, 440. 186) Vgl. BAG, Urt. v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, ZIP 2005, 1468. 187) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.1985 – 2 AZR 427/84, NZA 1986, 258. 188) BAG, Urt. v. 12.4.2011 – 1 AZR 505/09, ZIP 2011, 2074. 189) BAG, Urt. v. 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, ZIP 2000, 815 = NZA 2000, 732; LAG Köln, Urt. v. 4.12.2000 – 8 Sa 914/00, ZInsO 2001, 1072. 190) Vgl. Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO, §§ 123, 124 Rz. 30. 191) LAG Baden-Württemberg 16.9.1997 – 8 Sa 77/97, NZA-RR 1998, 358. 192) BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495; vgl. zu Ausschluss rentennaher Jahrgänge auch LAG Hamm, Urt. v. 29.8.2012 – 4 Sa 668/11, openJur 2013, 5244.

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Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Zahlung eines Zu- 223 schlages für unterhaltsberechtigte Kinder von deren Eintragung auf der Lohnsteuerkarte abhängig gemacht wird.193) Zulässig ist es, bei der Bemessung der Sozialplanabfindung Teilzeit- und Vollzeitbeschäf- 224 tigung gesondert zu berücksichtigen.194) 2.8.4 Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans Der Sozialplan muss nicht wie der Interessenausgleich vor Beginn der Betriebsänderung 225 abgeschlossen sein. Es ist sogar für den Insolvenzverwalter ratsam, den Sozialplan erst nach Durchführung der Betriebsänderung abzuschließen, da zu diesem Zeitpunkt die tatsächlich für die einzelnen Arbeitnehmer mit der Betriebsänderung entstehenden Nachteile besser erkennbar sind. Zudem ist der Umfang der Insolvenzmasse, die der Verteilung für Sozialplanansprüche zur Verfügung steht, im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens besser absehbar, wobei der tatsächliche Umfang ja sogar erst im Schlusstermin feststeht. Ein späterer Abschluss des Sozialplanes kann auch vor zu frühen Abschlagszahlungen schützen. Der Insolvenzverwalter soll gemäß § 123 Abs. 3 InsO mit Zustimmung des Insolvenz- 226 gerichtes Abschlagszahlungen auf die Sozialplanforderungen leisten, so oft hinreichende Barmittel in der Masse vorhanden sind. Die Abschlagszahlung kann sowohl von den Arbeitnehmern, als auch vom Gläubigerausschuss, dem der Betriebsrat angehören kann, gefordert werden, was regelmäßig erfolgt, sobald ein Sozialplan abgeschlossen ist. Zwar handelt es sich bei der Vorschrift des § 123 Abs. 3 InsO um eine Sollvorschrift, weshalb auch eine Zwangsvollstreckung in die Masse wegen einer Sozialplanforderung unzulässig ist, dies hindert Arbeitnehmer und Betriebsrat gleichwohl nicht, Abschlagszahlungen zu fordern, insbesondere dann, wenn das Insolvenzverfahren noch längere Zeit nach Abschluss des Sozialplanes andauert. Regelmäßig fordern Betriebsräte und ihre Vertreter allerdings die zeitgleiche Verhandlung 227 von Interessenausgleich und Sozialplan und nutzen dies als Druckmittel insbesondere dann, wenn vom Insolvenzverwalter ein Interessenausgleich mit Namensliste angestrebt wird. Der Betriebsrat kann jedoch überzeugt werden, dass ein späterer Abschluss des Sozialplanes wegen der dann besser erkennbaren tatsächlichen Nachteile der Arbeitnehmer sachdienlicher ist. Dies wird vom Betriebsrat erfahrungsgemäß akzeptiert, wenn im Interessenausgleich eine Regelung dahingehend aufgenommen wird, in welcher konkreten Höhe (Anzahl der Gehälter der betroffenen Arbeitnehmer) das Sozialplanvolumen innerhalb der absoluten Höchstgrenze gebildet wird. Der Abschluss des Sozialplanes erst nach Durchführung der Betriebsänderung ist auch 228 gerade unter Beachtung der Haftungsbeschränkungen des § 613a Abs. 2 BGB bei einer geplanten Betriebsveräußerung im Insolvenzverfahren empfehlenswert. Die Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan im Insolvenzverfahren sind Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die relative Begrenzung des Sozialplanvolumens (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO) hat zur Folge, dass die Sozialplanforderungen im Nachrang zu herkömmlichen Masseforderungen stehen, d. h. nur erfüllt werden können, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) berichtigt werden konnten. Führt die hiernach für die Insolvenzgläubiger verbleibende Teilungsmasse zur Kürzung der Sozialplanforderungen gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 InsO, besteht das Risiko, dass die Zahlung des gekürzten Teilbetrages des Sozialplanes vom Betriebserwerber gefor___________ 193) BAG, Urt. v. 12.3.1997 – 10 AZR 648/96, NZA 1997, 1058; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.2.2013 – 11 Sa 130/12, openJur 2013, 27520. 194) BAG, Urt. v. 13.2.2007 – 9 AZR 729/05, NZA 2007, 860.

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dert werden kann. In der Praxis wird oft davon ausgegangen, dass die Haftung gemäß § 613a Abs. 2 BGB in der Insolvenz beschränkt ist auf die Ansprüche von Gläubigern für den Zeitraum nach dem Betriebsübergang bzw. nach Übernahme der Leitungsmacht und dass Masseforderungen gemäß § 55 InsO für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor Übernahme der Leitungsmacht durch den Betriebserwerber, nicht gegenüber Letzterem geltend gemacht werden können. Das BAG hat aber u. a. mit Urteil vom 22.10.2009195) entschieden, dass der Betriebserwerber auch in die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs zwar gekündigten, aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten eintritt (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Hierzu gehöre nach der zitierten Entscheidung des BAG auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug und gelte gleichfalls, wenn ein Erwerber den Betrieb in der Insolvenz übernimmt. Aus dieser Rechtsprechung des BAG wird auch abzuleiten sein, dass verbleibende Sozialplandifferenzen, welche Masseverbindlichkeiten sind, vom Betriebserwerber gefordert werden können, vorausgesetzt der Sozialplan wurde nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen und das Arbeitsverhältnis des von der Kürzung betroffenen Arbeitnehmers nach dem Betriebsübergang beendet. 2.8.5 Widerruf des Sozialplans 229 Ein Sozialplan, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 Abs. 1 InsO). 230 Für die Ausübung des Widerrufsrechtes bedarf es keines Grundes. Der Widerruf ist deshalb auch nicht zu begründen; er ist an keine Form und Frist gebunden. Der Widerruf kann allerdings verwirkt werden. Das LAG Köln sieht das für die Verwirkung neben dem Umstandsmoment erforderliche Zeitmoment nach Ablauf von über einem Jahr nach Insolvenzeintritt als gegeben an.196) 231 Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, einen Sozialplan, welcher innerhalb von drei Monaten vor Eröffnungsantrag vereinbart wurde, zu widerrufen. Durch den Widerruf werden die sich aus dem widerrufenen Sozialplan ergebenden Ansprüche gegenstandslos. Die in dem widerrufenen Sozialplan aufgestellten Verteilungskriterien sind obsolet.197) Wird der Sozialplan nicht widerrufen, bleiben die Sozialplanforderungen aus diesem Sozialplan als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO bestehen.198) 232 Für den Widerruf des Sozialplanes durch den Insolvenzverwalter ist auch nicht entscheidend, ob dieser Sozialplan die Obergrenzen gemäß § 123 InsO einhält und ob der Insolvenzverwalter diesen Sozialplan evtl. in seiner Funktion als vorläufiger Insolvenzverwalter selbst abgeschlossen hat. Ausschlaggebend für den Widerruf durch den Insolvenzverwalter ist, ob Forderungen aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan bereits erfüllt wurden. Gemäß § 124 Abs. 3 InsO können Leistungen, die ein Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Verfahrens auf seine Forderung aus dem widerrufenen Sozialplan erhalten hat, nicht wegen des Widerrufs zurückgefordert werden. Wird im Insolvenzverfahren ein neuer Sozialplan aufgestellt, so können die Arbeitnehmer, die bereits unter den Geltungsbereich des vorinsolvenzlichen Sozialplanes fielen, erneut bei der Aufstellung des Sozialplanes im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden (§ 124 Abs. 2 InsO). ___________ 195) 196) 197) 198)

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BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849. LAG Köln, Beschl. v. 17.10.2002 – 5/4 TaBV 44/02, NZI 2003, 335. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 237. Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 234 m. w. N.

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§ 15

Hat ein Arbeitnehmer aus dem widerrufenen vorinsolvenzlichen Sozialplan bereits Leis- 233 tungen erhalten und wird er im Sozialplan nach Verfahrenseröffnung wieder berücksichtigt, ist die Abfindung, die er bereits aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan erhalten hat, bei der Berechnung des Gesamtbetrages der Sozialplanforderung im Insolvenzverfahren nach § 123 Abs. 1 InsO bis zur Höhe von zweieinhalb Monatsverdiensten abzusetzen. Sofern geprüft werden muss, ob überhaupt eine Sozialplanpflicht im Insolvenzverfahren besteht, sind diese Arbeitnehmer aber hinzuzurechnen. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer, die aus dem vorinsolvenzlichen Sozialplan be- 234 reits einen höheren Abfindungsbetrag erhalten haben, als ihnen aus dem Sozialplan im Insolvenzverfahren zusteht, die Differenz nicht zurückzahlen müssen. Arbeitnehmer, die aus dem Sozialplan im Insolvenzverfahren einen höheren Anspruch erwerben, erhalten die Differenz unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Verteilungsregelungen. Nach Zobel lässt die Vorschrift des § 124 Abs. 2 InsO, dass Arbeitnehmer, denen Forde- 235 rungen aus einem widerrufenen Sozialplan zustanden, bei der Aufstellung eines neuen Sozialplans im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden können, den Schluss zu, dass der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer aus dem widerrufenen Sozialplan nicht in den Insolvenzsozialplan aufnehmen muss, sofern es sich bei dem vorinsolvenzlichen Sozialplan um einen freiwilligen Sozialplan handelte. Wurde hingegen ein erzwingbarer Sozialplan widerrufen, besteht die Sozialplanpflicht nach Widerruf unverändert fort und die Aufnahme dieser Arbeitnehmer in den Insolvenzsozialplan ist zwingend und erzwingbar.199) Dem Insolvenzverwalter wird der Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans nur dann 236 anzuraten sein, wenn Leistungen aus diesem Sozialplan nicht oder nur unwesentlich geflossen sind, und wenn der vorinsolvenzliche Sozialplan weit über den Höchstgrenzen des § 123 InsO liegt und die Insolvenzmasse damit erheblich schmälert. Für den Betriebsrat wird der Widerruf dann von Interesse sein, wenn ein vorinsolvenzlicher 237 Sozialplan gerade wegen der versuchten Sanierung des Unternehmens die maximalen Obergrenzen des § 123 Abs. 1 InsO wesentlich unterschreitet. Sozialpläne, die außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums vor Antrag auf Eröffnung des Insol- 238 venzverfahrens abgeschlossen wurden, unterliegen nicht dem Widerrufsrecht gemäß § 124 InsO. Soweit Leistungen aus diesen Sozialplänen noch nicht geflossen sind, sind die Forderungen gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Diese Sozialpläne sind weder ordentlich noch außerordentlich kündbar; ebenso wenig finden die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage Anwendung.200) 2.9

Transfermaßnahmen

Gerade in Insolvenzverfahren, die eine Betriebsfortführung zum Ziel haben ist eine kurz- 239 fristige Umsetzung der geplanten Betriebsänderung erforderlich. Die Kurzfristigkeit scheitert meist daran, dass in schuldnerischen Unternehmen mit einer überalterten Personalstruktur für einen Großteil der Belegschaft die Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gemäß § 113 InsO zu beachten und einzuhalten ist. Dies kann eine übertragende Sanierung erheblich erschweren und das Investoreninteresse senken. Daher empfiehlt es sich, nicht nur Sozialplanabfindungen zu verhandeln, sondern auch über Transfermaßnahmen/Transferkurzarbeitergeldmaßnahmen mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Hierbei beraten die Agenturen für Arbeit die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung 240 über die Einführung von Transfermaßnahmen, insbesondere i. R. der Verhandlungen über ___________ 199) Beck/Depré-Zobel, Praxis der Insolvenz, § 28 Rz. 236. 200) Vgl. Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a, Rz. 328 ff.

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Teil III Einzelfragen

einen die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan. Diese Transferberatungen durch die Agenturen für Arbeit sind seit dem 1.1.2011 (Einfügung des Beschäftigungschancengesetzes in das SGB III) eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung für die Förderung durch die Arbeitsagenturen (vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 1, § 111 Abs. 1 Nr. 4 SBG III; mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I, 2854) wurden die §§ 216a und 216b SGB III a. F. durch die §§ 110 und 111 SGB III n. F. ersetzt). 241 Transfermaßnahmen sind gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 SGB III alle Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt, an deren Finanzierung sich der Arbeitgeber angemessen beteiligt. Diese sehr weit gefasste Formulierung eröffnet einen sehr großen Gestaltungsspielraum. Zu diesen Maßnahmen gehören u. a. das Profiling, Bewerbungs- und Orientierungstraining, Praktika, Kurzqualifizierungsmaßnahmen und Maßnahmen der arbeitsplatzbezogenen Qualifizierung (Gabelstaplerschein, Schweißerpass), Existenzgründer- und Outplacementberatungen. 242 Grundlage für die Regelung von Transfermaßnahmen ist der Sozialplan. Ziel des Transfersozialplanes ist es, Arbeitnehmern, die von der Betriebsänderung betroffen sind, nicht nur einen finanziellen Ausgleich durch Zahlung einer Abfindung zu verschaffen, sondern ihnen die Möglichkeit einzuräumen, durch Vermittlungs- und Qualifizierungsangebote den Übergang in eine andere Beschäftigung zu ermöglichen. Der Insolvenzverwalter verpflichtet sich in dem Transfersozialplan, die erforderlichen Mittel zur Finanzierung der Durchführung von Transfermaßnahmen/Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft mit Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld bereitzustellen (§ 110 Abs. 1 Nr. 4 und § 111 Abs. 3 Nr. 3 SGB III). 243 Regelungen über Transfermaßnahmen und Transferkurzarbeitergeld bieten sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für die Arbeitnehmer Vorteile: x

Die Vorteile für den Insolvenzverwalter liegen im Wesentlichen in der Vermeidung von Kündigungsfristen, da die Arbeitnehmer mit Abschluss des dreiseitigen Vertrages (Aufhebungsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Verwalter, befristeter Arbeitsvertrag mit Transfergesellschaft) unverzüglich in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wechseln. Die Aufhebungsverträge zwischen Insolvenzverwalter und Arbeitnehmer vermeiden Kündigungsschutzklagen. Die Kosten des Personalabbaus sind damit besser kalkulierbar. Zudem kann die Errichtung einer Transfergesellschaft die Kosten des Personalabbaus erheblich minimieren, da der Insolvenzverwalter nicht die Löhne der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist, sondern lediglich die sog. Remanenzkosten, d. h. die Beiträge zur Sozialversicherung, ausgehend von 80 % des Bruttoentgeltes, den mit dem Betriebsrat ausgehandelten Aufstockungsbetrag zum Kurzarbeitergeld (in der Regel auf 80 % des Nettoentgeltes), evtl. vereinbarte Sonderzahlungen für die jeweilige Verweildauer der Arbeitnehmer in der Transfergesellschaft tragen muss.

x

Die Vorteile für den Arbeitnehmer liegen in der Hinauszögerung oder sogar in der Vermeidung des Eintrittes von Arbeitslosigkeit. Die Verweildauer in der Transfergesellschaft kann bis zu zwölf Monate betragen. Der Arbeitnehmer erhält zudem die Möglichkeit zur Teilnahme an Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und professionelle Unterstützung bei der Vorbereitung von Bewerbungsgesprächen. Führen diese Bewerbungsgespräche zu einer Arbeitserprobung bei einem neuen Arbeitgeber, muss das Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft nicht beendet werden, sondern ruht, damit der Arbeitnehmer ggf. bei erfolgloser Arbeitserprobung in die Transfergesellschaft zurückkehren kann. Da sich der Arbeitnehmer während der Verweildauer in Kurzarbeit befindet, kann er die Freistellungszeiten aktiv für eine berufliche Neuorientierung nutzen. Führt die professionelle Betreuung bei der beruflichen Neuorientierung während der Verweildauer in der Transfergesellschaft nicht zu einer Vermittlung

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§ 15

in ein neues Arbeitsverhältnis, tritt die Arbeitslosigkeit somit erst nach Ablauf der befristeten Verweildauer in der Transfergesellschaft ein. Das Arbeitslosengeld wird auf der Basis der Verdienste bei der Insolvenzschuldnerin vor Eintritt in die Transfergesellschaft berechnet. Eine etwaig gezahlte Abfindung wird bei einem Jahr Kurzarbeit in der Transfergesellschaft nicht mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Ein Transfersozialplan kann auch durch eine Gewerkschaft mit einem Streik erzwungen 244 werden, da Gewerkschaften auch zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen können, in welchem die wirtschaftlichen Nachteile, die durch eine Betriebsänderung entstehen, ausgeglichen oder gemildert werden sollen.201) Gewerkschaften können hierdurch die Betriebsräte bei den Verhandlungen zu einem Transfersozialplan unterstützen (§ 2 Abs. 3 BetrVG), wenngleich der Transfersozialplan selbst vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat auszuhandeln und zu unterzeichnen ist. In der Literatur wird allerdings vertreten, dass die Erstreikung eines Tarifsozialplanes jedenfalls dann rechtswidrig sein soll, wenn die Verhandlungen über einen betriebsverfassungsrechtlichen Sozialplan noch nicht abgeschlossen oder das Einigungsstellenverfahren noch nicht beendet wurde.202) Der Transfersozialplan regelt neben der Zahlung einer Abfindung für ausscheidende Mit- 245 arbeiter auch Transferleistungen, z. B. durch Outplacementberatung und/oder Übertritt in eine Transfergesellschaft. Der Transfersozialplan lässt somit den Arbeitnehmern die Wahl, verschiedene Transferangebote wahrzunehmen oder aber die Zahlung einer Abfindung zu maximieren. Wegen der geringen finanziellen Möglichkeiten im Insolvenzverfahren werden regelmäßig Sozialpläne abgeschlossen, die eine Anrechnung der Kosten für die Transfergesellschaft auf das Sozialplanvolumen vorsehen, dennoch ist der spätere Eintritt in die Arbeitslosigkeit für die meist älteren Arbeitnehmer in insolventen Betrieben von größerer Bedeutung als eine Abfindungszahlung. Die oben genannten förderungsfähigen Maßnahmen können im Transfersozialplan ver- 246 einbart werden,203) sofern folgende betriebliche Voraussetzungen erfüllt sind: x

wenn die Arbeitnehmer aufgrund von Betriebsänderungen von Arbeitslosigkeit bedroht sind,

x

wenn eine arbeitsmarktpflichtzweckmäßige Maßnahme zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt von einem Dritten durchgeführt wird, wobei dieser ein internes System zur Qualitätssicherung anwenden muss,

x

wenn der Dritte ab 1.1.2013 eine Trägerzulassung nach § 178 SGB III (Übergangsregelung § 443 SGB III) hat,

x

wenn die Durchführung der Maßnahme bis zu deren planmäßigem Ende gesichert ist und

x

der Arbeitgeber mindestens 50 % der ihm verbleibenden Maßnahmekosten trägt.

Als Betriebsänderungen gelten solche i. S. des § 111 BetrVG, unabhängig von der Unter- 247 nehmensgröße und der Anwendbarkeit des BetrVG im jeweiligen Betrieb. Eine Förderung ist für jene Arbeitnehmer ausgeschlossen, die eine solche der vorgenann- 248 ten Maßnahmen nicht benötigen, weil sie unverzüglich in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden können. Die Förderung ist ebenfalls ausgeschlossen, wenn die vorgenannten Maßnahmen lediglich dazu dienen sollen, die Arbeitnehmer auf eine Anschlussbeschäftigung im gleichen Betrieb oder einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens ___________ 201) BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, ZIP 2007, 1768. 202) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 3 Rz. 528. 203) Vgl. auch Merkblatt 8c der Bundesagentur für Arbeit (Transferleistungen) unter www.arbeitsagentur.de und Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit (Transferleistungen §§ 110, 111 und 134 SGB III) gültig ab 1.4.2012 unter www.arbeitsagentur.de.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

vorzubereiten. Eine Förderung ist ebenfalls nicht möglich in Betrieben des öffentlichen Dienstes, es sei denn die Beschäftigung erfolgt in Unternehmen, die in selbstständiger Rechtsform erwerbswirtschaftlich betrieben werden. Die Arbeitsagenturen fördern die vorgenannten Maßnahmen durch einen Zuschuss i. H. von 50 % der erforderlichen und angemessenen Maßnahmekosten, maximal i. H. von 2 500 € je Arbeitnehmer. Auf diesen Zuschuss besteht bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch. 249 Zum 1.4.2012 wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 eine erfolgsabhängige Pauschale eingeführt, um die Vermittlung bei Transfermaßnahmen zu verbessern und zu beschleunigen. Diese gilt zunächst befristet bis zum 31.12.2014, um deren Wirkung prüfen zu können. Die erfolgsabhängige Pauschale wird i. H. von bis zu 1 000 € je gefördertem Arbeitnehmer für die Vermittlung aus einer Transfermaßnahme in eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die länger als sechs Monate fortbesteht, gezahlt. Es darf sich kein Transferkurzarbeitergeldbezug anschließen, d. h. die Leistung ist für Fälle des Übertritts in eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit nach § 111 SGB III (Transferkurzarbeitergeld) ausgeschlossen. Diese Prämie kann zu verstärkten Vermittlungsversuchen der Transfergesellschaft führen, was wiederum die Bereitschaft der Arbeitnehmer zum Wechsel in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft erhöhen würde. Die Entwicklungen bleiben abzuwarten. II.

Tarifrechtliche Probleme

1.

Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters

250 Tarifliche Regelungen zur Entlohnung aber auch zu den Rahmenbedingungen von Beschäftigungsverhältnissen können für eine Betriebsfortführung belastend sein. Ob und in welchem Umfang Insolvenzverwalter tarifgebunden sind, ist damit für die Frage einer möglichen Änderung vorn Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung. 1.1

Begriff der Tarifgebundenheit

251 Gemäß § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, tarifgebunden. Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG). 1.2

Mitglieder der Tarifvertragsparteien

252 Tarifgebunden sind nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften). Die Tarifvertragsparteien sind als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereine organisiert. Für die Mitgliedschaft ist das Satzungsrecht des Vereins maßgeblich. Die Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens in einem Arbeitgeberverband ist für den Insolvenzverwalter meist schnell festgestellt. Allerdings muss auch der Mitgliedschaftsstatus ermittelt werden, da es möglich sein kann, dass das Unternehmen lediglich ein sog. „OT-Mitglied“ ist. In diesem Fall läge trotz Mitgliedschaft keine Tarifbindung vor (ohne Tarifbindung). Ob dieser Status allerdings wirksam begründet wurde, oder nicht doch Tarifbindung vorliegt, weil z. B. durch eine fristlose Kündigung der Status gewechselt wurde, ist detailliert, sofort zu Beginn des Verfahrens zu prüfen, um realistisch einschätzen zu können, welche Ansprüche der Arbeitnehmer bestehen.204) ___________ 204) Vgl. hierzu z. B. BAG, Urt. v. 18.5.2011 – 4 AZR 457/09, NZA 2011, 1378; BAG, Urt. v. 15.12.2010 – 4 AZR 256/09, NZA-RR 2012, 260.

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§ 15

Schwieriger gestaltet sich die Feststellung, welche Arbeitnehmer Mitglied welcher Ge- 253 werkschaft sind. Zwar ist die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit vor der Einstellung des Arbeitnehmers nicht zulässig, jedoch darf die Frage im bestehenden Arbeitsverhältnis gestellt werden. Finden sich in den Arbeitsverträgen, die bereits zu Beginn des vorläufigen Insolvenzverfahrens zu prüfen sind, keine Bezugnahmeklauseln auf die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge, sollten im Falle der Tarifbindung des Arbeitgebers die Arbeitnehmer nach ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft befragt werden. Ebenso wichtig ist es für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter, unverzüglich den Kontakt zur zuständigen Gewerkschaft herzustellen. 1.3

Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei

Der Erwerb der Mitgliedschaft erfordert einen Antrag und die Aufnahme durch die Organi- 254 sation. Die Mitglieder der Tarifvertragspartei sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt (§ 39 Abs. 1 BGB). Der Insolvenzverwalter selbst ist im Regelfall nicht tarifgebunden, da er nicht Mitglied eines Unternehmerverbandes ist. Die Insolvenz des Mitgliedes berührt die Mitgliedschaft nicht, es sei denn, die Satzung des 255 Vereins bestimmt etwas anderes oder Grundlage der Mitgliedschaft ist eine Geschäftsbesorgung. Die InsO enthält keine Vorschriften über die Geltung von Tarifnormen während des Insolvenzverfahrens. In Literatur und Rechtsprechung wird jedoch übereinstimmend vertreten, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht beseitigt. Soweit aus der Satzung des Arbeitgeberverbandes bzw. aus § 116 InsO (vgl. Rz. 258) folgt, dass die Mitgliedschaft des Schuldnerunternehmens durch die Insolvenz endet, bleibt die Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ende des Tarifvertrages bestehen. Gemäß § 38 BGB ist die Mitgliedschaft nicht übertragbar. Die Ausübung der Mitglied- 256 schaftsrechte kann nicht einem anderen überlassen werden, wenn die Verbandssatzung insoweit nicht etwas anderes bestimmt (§ 40 BGB). Der Insolvenzverwalter kann sich in einem Rechtsstreit vor Gericht deshalb jedenfalls dann nicht durch den Vertreter eines Arbeitgeberverbandes vertreten lassen, wenn nach der Verbandssatzung die Mitgliedschaft des Gemeinschuldners geendet hat und der Verwalter nicht selbst Mitglied des Verbandes ist.205) Wird ein Betrieb von dem Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages 257 erfasst, so müssen die Rechtsnormen dieses allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages auch über die Insolvenzeröffnung hinaus eingehalten werden (§ 5 Abs. 4 TVG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer weiter in der bisherigen betriebsüblichen Weise oder nur noch mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt.206) 1.4

Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz

Mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erlischt die Mitgliedschaft des schuldnerischen 258 Unternehmens im Arbeitgeberverband gemäß §116 InsO. Kennzeichen des Geschäftsbesorgungsvertrages ist einerseits die wirtschaftliche, mit dem Vermögen des Geschäftsstandes zusammenhängende Natur der Tätigkeit und andererseits die Selbständigkeit des Handelns im Interesse des Geschäftsstandes auf Grund eigener Willensentschließungen. Der Geschäftsbesorger besorgt fremde Geschäfte für fremde Rechnungen im eigenen oder fremden Namen, aber immer unter Wahrung seiner Selbständigkeit. Dienst- oder Werkverträge, denen diese Merkmale fehlen, fallen nicht unter § 116 InsO. ___________ 205) BAG, Urt. v. 20.11.1997 – 2 AZR 52/97, ZIP 1998, 437 = NZA 1998, 334. 206) Vgl. BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727.

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§ 15

Teil III Einzelfragen

259 Regelmäßig besteht der Zweck eines Arbeitgeberverbandes in der Wahrnehmung der Interessen seiner Mitglieder auf allen Gebieten des Tarifwesens, des Arbeits- und Sozialrechts und der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, der Bildungs- und Gesellschaftspolitik sowie der branchenspezifischen Regional- und Strukturpolitik. In Erfüllung dieses Zweckes des Verbandes gehört es zu seinen Hauptaufgaben, Vereinbarungen mit den zuständigen Gewerkschaften zu kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen zu treffen (Abschluss von Tarifverträgen) und die Mitglieder auf allen genannten Gebieten zu beraten, zu unterstützen und zu vertreten, sowie den Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern zu fördern. Die Tätigkeit eines Arbeitgeberverbandes ist mithin auf rechtsgeschäftliches Handeln gerichtet. Sie ist auch selbständig, da genügend Raum für eigenverantwortliche Überlegungen und Willensbildungen des Verbandes bleibt. Die Tätigkeit des Verbandes ist auch wirtschaftlicher Art, da sie, insbesondere bei Tarifabschlüssen Bezug zum Vermögen der Mitglieder des Verbandes hat. Die Tätigkeit des Verbandes erfolgt darüber hinaus in fremdem Interesse, d. h., sie ist auf solche Geschäfte gerichtet, für die die Mitglieder des Verbandes selbst sorgen könnten (z. B. Abschluss eines Tarifvertrages aufgrund bestehender Tariffähigkeit des Mitgliedes), die dem Mitglied aber durch den Verband abgenommen werden (Verband ist regelmäßig Tarifvertragspartei). Die Tätigkeit des Verbandes erfolgt entgeltlich. Gemäß den Satzungen werden zur Aufbringung der durch die Erfüllung des Verbandszweckes entstehenden Kosten von den Verbandsmitgliedern Beiträge erhoben. 260 Dem Mitgliedschaftsverhältnis im Unternehmerverband liegt somit ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde. Es gilt § 115 InsO entsprechend, weshalb mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Mitgliedschaft im Unternehmerverband erlischt. 1.5

Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Tarifgebundenheit

1.5.1 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Schuldners 261 Auch das Ende der Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens im Arbeitgeberverband berührt zunächst nicht die Tarifgebundenheit, welche bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG). Diese Nachbindung endet, sobald z. B. der Tariflohn im Tarifgebiet geändert wird. Das BAG hat sich aus Gründen der Rechtsklarheit dahingehend geäußert, dass viel dafür spräche, dass jede Änderung eines Tarifvertrages als Beendigung i. S. des § 3 Abs. 3 TVG – auch hinsichtlich der unveränderten Bestimmungen – anzusehen sei.207) 1.5.2 Auswirkungen auf die Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters 262 Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Insolvenzverwalter durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO keine weitergehenden Rechte als der Schuldner erlangt. Er ist vielmehr an die Rechtslage gebunden, die bei Eröffnung des Verfahrens besteht. Der Insolvenzverwalter rückt in die Arbeitgeberposition ein mit der Folge, dass er sämtliche Rechte und Pflichten hat, die sich aus der Arbeitgeberstellung des Insolvenzschuldners ergeben. Somit ist der Insolvenzverwalter auch an die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Tarifverträge und/oder Betriebsvereinbarungen in gleicher Weise wie die Gemeinschuldnerin gebunden, selbst dann, wenn nur noch Restaufträge abgewickelt werden.208) 263 Die Rechtsprechung des BAG entspricht der Auffassung der Vertreter der Amtstheorie, wonach der Verwalter kraft des ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen ausübt. Das heißt, er handelt als ___________ 207) BAG, Urt. v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 – 701. 208) BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, ZIP 1987, 727 = NZA 1987, 455 – 456.

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Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme

§ 15

Amtswalter in eigenem Namen und im Prozess als Partei Kraft Amtes, wobei er ein privates Amt ausübt. Da der Insolvenzverwalter trotz Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an 264 die Bestimmungen des Tarifvertrages bis zu dessen Ablauf gebunden bleibt, sind hinsichtlich möglicher Masseverbindlichkeiten ggf. entstandene Differenzen zwischen Tariflohn und gezahltem Lohn zu ermitteln und Rückstellungen zu bilden. Bei der Höhe der Rückstellungen sind nicht nur die Bruttolohndifferenzen für die Arbeitnehmer, sondern auch die abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen. 1.6

Nachwirkung

Nach Ablauf des Tarifvertrages tritt die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein. Die 265 Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ist jedoch statisch, d. h., sie beschränkt sich darauf, den materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten, der bei Eintritt der Nachwirkung bestand.209) An weiteren Änderungen nehmen die nachwirkenden Tarifnormen nicht teil. Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach seinem Ablauf 266 weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine „andere Abmachung“ i. S. des § 4 Abs. 5 TVG kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG auch eine einzelvertragliche Abrede sein. Der Sinn der Nachwirkung besteht darin, ein inhaltsloses Arbeitsverhältnis zu verhindern. Daher kann gemäß der Rechtsprechung des BAG eine „andere Abmachung“ nur eine rechtlich relevante Vereinbarung sein, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die andere Abmachung muss den nachwirkenden Tarifvertrag ersetzen, sollte daher in zeitlicher Hinsicht erst nach Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden. Allerdings wird in der Literatur auch vertreten, dass es genüge, wenn die andere Abmachung bereits im Zeitpunkt der noch normativen und zwingenden Wirkung des Tarifvertrages, aber bereits im Hinblick auf das Ende des Tarifvertrages und auf die Nachwirkung vereinbart wird.210) Gemäß ständiger Rechtsprechung des BAG erstreckt sich die Nachwirkung von Inhalts- 267 normen eines Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG trotz Tarifbindung der Parteien aber nicht auf ein erst im Nachwirkungszeitraum begründetes Arbeitsverhältnis, sondern besteht nur für solche Arbeitsverhältnisse, die in der Laufzeit des Tarifvertrages bestanden haben und ihm unterlagen,211) weshalb mit Arbeitnehmern, die im Nachwirkungszeitraum eingestellt werden, Löhne wirksam vereinbart werden können, die unter dem Tariflohn liegen. Insoweit ist allenfalls zu berücksichtigen, dass die vereinbarten Löhne nicht sittenwidrig sind. Andere Abmachungen als individualrechtliche Vereinbarungen können auch Tarifverträge 268 (Sanierungstarifvertrag mit der Gewerkschaft im Wege eines Haustarifvertrags) und Betriebsvereinbarungen in den Grenzen des § 77 Abs. 3 BetrVG sein. In größeren Betrieben sollte zur Vermeidung vieler individual-rechtlicher Änderungsvereinbarungen geprüft werden, ob durch den Abschluss eines Sanierungstarifvertrages die Bedingungen der Arbeitsverhältnisse geändert werden kann.

___________ 209) Vgl. BAG, Urt. v. 17.6.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453 – 458. 210) Vgl. hierzu weiterführend Franzen in: ErfK, § 4 TVG Rz. 64. 211) BAG, Urt. v. 22.7.1998 – 4 AZR 403/97, NZA 1998, 1287 – 1288; BAG, Urt. v. 7.5.2008 – 4 AZR 288/07, NZA 2008, 886.

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§ 15 1.7

Teil III Einzelfragen Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität

269 Wird ein Sanierungstarifvertrag bereits während der Laufzeit des Flächentarifvertrages geschlossen, entsteht eine sog. Tarifkonkurrenz, wenn beide Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Diese wird nach ständiger Rechtsprechung zugunsten des spezielleren Tarifvertrages gelöst.212) Der Sanierungs-/Haustarifvertrag ist der jeweils speziellere Tarifvertrag. 270 Tarifpluralität liegt hingegen vor, wenn im Unternehmen mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Tarifvertragsparteien für verschiedene Arbeitnehmer gelten. Dies kann eintreten, wenn der tarifgebunde Schuldner an einen Flächentarifvertrag mit der Gewerkschaft A gebunden ist, einen Haustarifvertrag aber mit einer tariffähigen Gewerkschaft B geschlossen hat. Nach geänderter Rechtsprechung des BAG ist Tarifpluralität möglich (Tarifeinheit nicht mehr zwingend).213) In diesem Fall wird der Verwalter den Sanierungstarifvertrag mit der Gewerkschaft schließen müssen, in der die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert ist.214) 2.

Sanierungstarifverträge

271 Regelmäßig dienen Sanierungstarifvertrag der Aussetzung von Sonderzahlungen (Urlaubsund Weihnachtsgeld) und der Hinauszögerung von Entgelterhöhungen. Aber auch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten kann Gegenstand des Sanierungstarifvertrages ein. Hierbei ist an die Erhöhung von Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich bei guter Auslastung des Unternehmens, an den Aufbau von Mehrarbeitsstunden ohne Zuschläge bei absehbar nur vorübergehend erhöhter Auslastung und den Aufbau von Minusstunden bei absehbar nur vorübergehender Stagnation der Auftragslage, zu denken. 272 Im Gegenzug verlangt die Gewerkschaft vom Verwalter meist einen Verzicht auf den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen während der Laufzeit des Tarifvertrages (wegen § 113 InsO von geringer Bedeutung), oder zumindest die Regelung konkreter Ausnahmetatbestände für betriebsbedingte Kündigungen. Die Wirksamkeit des Sanierungstarifvertrages kann auch vom Abschluss eines Insolvenzplanes und/oder vom Fortbestehen der Eigenverwaltung abhängig gemacht werden.215) 273 Im Falle der Betriebsfortführung eines tarifgebunden Schuldners sind unverzüglich Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft zum Abschluss eines Sanierungstarifvertrages aufzunehmen. Da der Sanierungstarifvertrages nur für Mitglieder der Gewerkschaft gilt und für nicht organisierte Arbeitnehmer einzelvertragliche Regelungen gefunden werden müssen, wenn die Arbeitsverträge keine wirksame Bezugnahmeklausel enthalten, sind in den Verhandlungen möglichst die Namen der Gewerkschaftsmitglieder zu ermitteln. Ist dies nicht möglich, sollte nach Abschluss des Sanierungstarifvertrages mit jedem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbart werden, dass der Sanierungstarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

___________ 212) 213) 214) 215)

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Vgl. hierzu i. E. Franzen in: ErfK, § 4 TVG Rz. 65; Schöne in: Kübler, HRI, § 55 Rz. 59. BAG, Urt. v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, ZIP 2010, 1618 = NZA 2010, 1068. Vgl. hierzu i. E. Franzen in: ErfK, § 4 TVG Rz. 66; Schöne in: Kübler, HRI, § 55 Rz. 61 ff. Schöne in: Kübler, HRI, § 55 Rz. 73 ff.

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§4 Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht Übersicht I. 1.

Konkurs und Vergleich .............................. 1 Die Entwicklung des Konkurs- und Vergleichsrechts ........................................... 1 2. Der Funktionsverlust des Konkursrechtes .......................................... 11 3. Selbsthilfe der Praxis – Änderung des Sequestrationszweckes .............................. 19 4. Akzeptanz der Betriebsfortführung als zulässige Verwaltungsmaßnahme ............. 22 II. Gesamtvollstreckungsverfahren ............ 25 1. Liquidation oder Betriebsfortführung ...... 25

2.

Betriebsfortführungen, Verfahrensziele, gesetzliche Sanierungsförderung............... 27 III. Die Insolvenzordnung ............................ 32 1. Verfahrenszwecke ...................................... 32 2. Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren ......................................... 43 3. Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren..................................... 47 4. Reformen des Insolvenzrechts durch das ESUG ................................................... 51 IV. Zusammenfassung ................................... 61

Literatur: Beule, Die Umsetzung der Insolvenzrechtsreform in der Justizpraxis, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 23; BMJ, Erster und Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985 und 1986; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, 1999; Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, 1978; Gravenbrucher Kreis, „Große“ oder „kleine“ Insolvenzrechtsreform?, ZIP 1992, 657; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Gesamtvollstreckungsordnung, 4. Aufl., 1998; Jaeger, Die Konkursordnung 1879 – 1904, DJZ 1904, Sp. 904; Jaffé, Restrukturierung nach der InsO: Gesetzesplan, Fehlstellen und Reformansätze innerhalb einer umfassenden InsO-Novellierung aus Sicht eines Insolvenzpraktikers, ZGR 2010, 248; Kilger/Schmidt, KO, 16. Aufl., 1993; Kreft, Aktuelle Schwerpunkte der BGH-Rechtsprechung zum Gesamtvollstreckungsrecht, in: Prütting, RWS-Forum 9, 1997, S. 21; Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl., 1994, Landfermann, Sanierungsförderung und Gesamtvollstreckung, ZIP 1991, 826; Paulus, Zum Verhältnis von Aufrechnung und Insolvenzanfechtung, ZIP 1997, 569; Smid, Probleme von Unternehmenssanierung und Gesamtvollstreckung, WM 1991, 1621; Smid/Zeuner, Gesamtvollstreckungsordnung, 2. Aufl., 1994; Undritz, Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren – die Quadratur des Kreises?, NZI 2007, 65; ZIP-Report, Insolvenzstatistik 1995, ZIP 1996, 1150.

I.

Konkurs und Vergleich

1.

Die Entwicklung des Konkurs- und Vergleichsrechts

Das Verständnis der Funktion der Betriebsfortführung im Deutschen Insolvenzrecht erfor- 1 dert zunächst einen Blick auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Deutschen Insolvenzrechts und ihrer Verfahrenszwecke. Der Antrag auf Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens setzt den Schlusspunkt 2 hinter ein gescheitertes wirtschaftliches Engagement. Im Bewusstsein der Menschen bedeutet Insolvenz Zerschlagung im Anschluss an eine rasche oder bereits bei Antragstellung abgeschlossene Betriebsstilllegung. Dieser Satz von Mönning in der 1. Auflage des Werkes1) hat auch heute, nach 16 Jahren, nichts von seiner Richtigkeit verloren. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist nach wie vor die Auffassung von Ernst Jaeger zu finden 3 vom „Konkurs als Wertevernichter schlimmster Sorte und teuerstem Schuldentilgungsverfahren“.2) Man wird sich die Frage stellen müssen, ob dieser Sachverhalt nicht schon in der Konkurs- 4 und Vergleichsordnung angelegt war. Die KO von 1877 war seinen Vorschriften und dem ___________ 1) Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, Vorauflage. 2) Jaeger, DJZ 1904, Sp. 904, 911.

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§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

Verständnis der Konkursabwicklung nach darauf angelegt, dass das Unternehmen des Schuldners liquidiert werden müsse. Der Grund dafür, dass die Liquidation des Schuldnervermögens ausschließlich im Vordergrund des Konkursgeschehens stand, ergab sich anscheinend aus dem Zweck jedes Insolvenzverfahrens, die Haftung des Schuldners für alle seine Verbindlichkeiten zu verwirklichen. Ursächlich für diese einseitige Ausrichtung des deutschen Konkursrechts war wohl der Umstand, dass bei der Neuregelung des Konkursrechts 1877 anstelle der deutschen Gemeinschuldordnung, die auch die Möglichkeit zur Sanierung des Schuldners bot,3) die KO zum Gesetz wurde. So kam weder die Lehre, noch die Konkurspraxis auf die Idee, das Geschäft des Schuldners fortzuführen, um es im Ganzen zu verwerten, obwohl in den §§ 130, 132 I KO dafür durchaus Ansatzmöglichkeiten gegeben waren. 5 Auch in der Literatur spielte die Möglichkeit der Betriebsfortführung im Konkursverfahren keine Rolle. Noch in der 3. Auflage des Kurzkommentars von Böhle-Stamschräder zur KO aus dem Jahre 1953 findet sich weder im Stichwortverzeichnis noch in den §§ 130, 132, 117 KO irgendein Hinweis auf die Möglichkeit, dass das Unternehmen des Schuldners anstelle der Zerschlagung auch als Geschäftsfortführung und späterer Veräußerung im Ganzen verwertet werden könnte. 6 Die Erkenntnis, dass das Unternehmen des Schuldners als Sach- und Rechtsgesamtheit zur Konkursmasse gehört und der Verwertungskompetenz des Verwalters unterstand, war nicht vorhanden. Auch dass der i. R. der Betriebsfortführung erwirtschaftete Überschuss einen Aktivposten der Konkursbilanz darstellte, wurde in der Konkurspraxis nicht erkannt.4) 7 Trotz dieser Möglichkeiten, hat die Betriebsfortführung als Verwertungs- und Verwaltungsinstrument in der Hand des Verwalters lange Zeit in der Praxis keine Rolle gespielt. Eine auf die damalige Bundesrepublik bezogene Untersuchung belegt, dass nur in 4 % der untersuchten Konkursfälle, Betriebe zeitweilig durch den Konkursverwalter fortgeführt worden sind.5) 8 Ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Konkursrechts zeigt, dass die KO von 1877 schon kurze Zeit nach ihrem Inkrafttreten Gegenstand erster Reformbemühungen war. Es lässt sich dabei feststellen, dass die Schwerpunkte der Reformdiskussionen sich im Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse und der wirtschaftspolitischen Grundströmungen wechselten. Erste Reformbemühungen bezogen sich auf die Notwendigkeit eines konkursabweisenden Vergleichsverfahrens. Hatte der Reichsgesetzgeber in der KO noch die Notwendigkeit betont, gescheiterte Schuldner aus dem Wirtschaftsverkehr auszuscheiden, so erkannte man bereits vor dem Ersten Weltkrieg, dass die alleinige Gesamtvollstreckung zum „Wertevernichter schlimmster Art“ wurde.6) Die vordringlichste Reformaufgabe wurde darin gesehen, den Konkurs abzuwenden. Diese Überlegungen führten dazu, dass 1935 die Vergleichsordnung erlassen wurde. 9 Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die Reformthemen der Vorkriegszeit wieder. Das wiederauflebende Interesse an der Rechtsvergleichung brachte darüber hinaus vom geltenden Recht völlig abweichende Verfahrenskonzeptionen in den Blick. Die Forderung nach einer großen Insolvenzrechtsreform, insbesondere nach der Zusammenfassung von Kon___________ 3) Deutsche Gemeinschuldordnung, 1873, 4. Buch, §§ 233–256. 4) Z. B. RG, Urt. v. 26.1.1909 – VII 146/08, RGZ, 70, 228; RG, Urt. v. 2.4.1919 – I 221/18, RGZ 95, 237; BGH, Urt. v. 26.2.1960 – I ZR 159/58, BGHZ 32, 103, 105. 5) Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 218, zitiert nach Riering, Die Betriebsfortführung durch den Konkursverwalter, 1987, S. 16. 6) Jaeger, DJZ 1904, Sp. 904, 911.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§4

kurs und Vergleich in einem einheitlichen, durchgängig am Gläubigerinteresse ausgerichteten Verfahren, wurde seitdem immer nachdrücklicher vorgetragen und mündete schließlich in der InsO, die am 1.1.1999 in Kraft trat. Trotz dieser Tendenzen und Überlegungen blieb das Konkursrecht noch bis weit in die 1980 10 Jahre einseitig haftungsorientiert. Betriebsfortführungen spielten, wie oben bereits dargelegt, so gut wie keine Rolle. 2.

Der Funktionsverlust des Konkursrechtes

Die durch die Ölpreiskrise 1973 ausgelöste Rezession, die 1972 bis 1975 zu einer Verdoppe- 11 lung der Konkurs- und Vergleichsanträge führte, verschaffte den Reformforderungen die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Die zunehmende Funktionsunfähigkeit von Konkurs- und Vergleichsverfahren wurde eindringlich mit dem Schlagwort vom „Konkurs des Konkurses“ belegt. Im Jahre 1970 wurden in der Bundesrepublik 4 201 Konkursverfahren beantragt, die Er- 12 öffnungsquote lag bei nahezu 50 %. Diese Tendenz hielt bis zum Jahre 1973 mit lediglich geringfügigen Veränderungen (plus 3,6 %) an. Im 1974 stieg die Zahl der Konkurse sprungartig um 40 % auf 7 722 Verfahren an. Während 1970 die Zahl der eröffneten Konkursverfahren die der mangels Masse abgewiesen Anträge noch überstieg, standen 1974 3 870 abgelehnte Verfahren 3 482 eröffneten Verfahren gegenüber. Erstmals 1981 wurde die Schwelle von 10 000 Konkursverfahren mit insgesamt 11 635 be- 13 antragten Verfahren überschritten. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Insolvenzkurve 1985 mit 18 876 Verfahren. Dabei ging die Zahl der Vergleichsverfahren oder Anschlusskonkurse kontinuierlich seit 1970 von 258 auf noch 72 Verfahren im Jahre 1985 zurück. Die Zahl der eröffneten Konkursverfahren stagnierte trotz der gestiegenen Gesamtzahl bei ca. 4 000 Verfahren.7) Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung stellte sich die Frage, welche Ursachen dem 14 Funktionsverlust des Konkurs- und Vergleichsrechts zugrunde lagen. Eine Analyse der Rechtspraxis zeigt verschiedene Ursachen für den Funktionsverlust des Konkursrechts. Zu nennen wären hier zunächst die zunehmenden Sonderrechte der Kreditwirtschaft 15 sowie der Warenkreditgeber. Die daraus abgeleitete Sicherungspraxis erfasste den werthaltigen Teil der vorhandenen Wirtschaftsgüter und führte zu einer erheblichen Belastung der Masse mit Aussonderungs- und Absonderungsrechten. Während die Konkursmasse durch die bestehenden Aussonderungs- und Absonderungs- 16 rechten wertmäßig ausgehöhlt wurden, wuchsen die Masseverbindlichkeiten aus dem Lohnund Gehaltsbereich an. Zu nennen sind hier die Ansprüche aus Gegenseitigkeitsschuldverhältnissen, deren Erfüllung für die Zeit nach Konkurseröffnung bis zu ihrer ordnungsgemäßen Beendigung aus der Konkursmasse zu erfolgen hatte (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 KO). Dies betraf vor allem Ansprüche der von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer, deren Lohnforderungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach Konkurseröffnung als echte Masseschulden zu berücksichtigen waren.8) Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass sämtliche Kündigungs- 17 schutzbestimmungen im Konkursverfahren ihre Gültigkeit behielten.9) Gesetzliche Kündigungsfrist von bis zu sieben Monaten, teilweise verlängert um vom Arbeitsamt verfügte Sperrfristen, Sonderkündigungsschutzregelungen für Betriebsräte, Schwerbehinderte, ___________ 7) ZIP-Report, ZIP 1996, 1150. 8) BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 420/87, ZIP 1988, 327. 9) BAG, Urt. v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, ZIP 1983, 205 = NJW 1983, 1341.

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Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

werdende Mütter und andere Personengruppen führten unter den Bedingungen zunehmender Sockelarbeitslosigkeit zum „Konkurs im Konkurs“ einer alsbaldigen Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse gemäß § 204 KO oder der Ablehnung einer Verfahrenseröffnung mangels Kostendeckung (§ 107 KO). 18 Wo mangels Masse nichts mehr zu eröffnen oder nach Eröffnung keine Deckung der echten Masseverbindlichkeiten und der Massekosten zu bewerkstelligen war, drohte der Funktionsverlust des geltenden Konkurs- und Vergleichsrechts. So wurden 1983 von vier Konkursanträgen drei bereits mangels Masse abgelehnt. 3.

Selbsthilfe der Praxis – Änderung des Sequestrationszweckes

19 Es war zunächst nicht Gesetzgeber der versuchte, Abhilfe zu schaffen. Bereits in der 70er Jahren als die Krise des Konkursrechts immer stärker in die Diskussion kam, entdeckte die Praxis das Rechtsinstitut der Sequestration für das Konkursverfahren. Man sah in ihm insbesondere ein probates Mittel, die Entstehung von Masseansprüchen zu verhindern oder abzubauen. Dem Sequester wurden weitreichende Befugnisse zugestanden, die es ihm ermöglichen sollten, i. R. einer sog. „dynamischen Sequestration“ bei problematischer Massekostendeckung durch planmäßiges Vorgehen das Verfahren überhaupt erst eröffnungsfähig und das Konkursverfahren durchführbar zu machen. Die Sequestration wurde bald routinemäßig in den meisten Eröffnungsverfahren angeordnet. 20 Die Unternehmensfortführung durch den Sequester, früher kaum anzutreffen, war nicht mehr ungewöhnlich. In Rechtsprechung und Literatur bestand weitgehend Einigkeit, dass der Sequester den schuldnerischen Betrieb nicht einfach schließen darf.10) Begründet wurde dies damit, dass der Sequester in unzulässiger Weise einen endgültigen Zustand schaffen würde, obwohl zu dieser Zeit noch gar nicht feststehe, ob der beantragte Konkurs eröffnet werde oder nicht.11) 21 Vorgetragen wurde außerdem, dass die KO davon ausgehe, dass nach Eröffnung des Konkursverfahrens der Geschäftsbetrieb des Schuldners fortzuführen sei. Dies ergäbe sich daraus, dass über die Schließung des Geschäftsbetriebes erst die Gläubigerversammlung (§ 132 KO) zu beschließen habe. 4.

Akzeptanz der Betriebsfortführung als zulässige Verwaltungsmaßnahme

22 Die oben geschilderte Entwicklung, insbesondere die rechtliche Ausgestaltung der Sequestration als dynamische Sequestration war die Antwort der Insolvenzpraxis und der insolvenzrechtlichen Literatur auf die Anfang der 80er Jahre drohende Funktionsunfähigkeit des geltenden Konkurs- und Vergleichsrechts. 23 Dabei diente die Fortführung des Geschäftsbetriebes während der Sequestration zunächst nur dem Ziel, die für die Eröffnung eines Konkursverfahrens erforderliche Kostendeckung im Verfahrensstadium zu erwirtschaften und die Zahl der mangels Masse nicht eröffnungsfähigen Insolvenzverfahren nicht weiter zu erhöhen. Schon bald zeigte sich, dass das Instrument der Betriebsfortführung als Vehikel fungierte, um die Diskussion über die Verfahrensziele des Insolvenzrechts anzustoßen. Darauf wird noch einzugehen sein. 24 In Zeiten zunehmender Insolvenzanträge war aus ordnungspolitischen Gründen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewünscht. Ein geordnetes Verfahren bot Gewähr, dass das Verhalten der Schuldnerin geprüft wurde, dass das verbliebene Vermögen gesichert und ___________ 10) BGH, Urt. v. 27.3.1961 – II ZR 294/59, NJW 1961, 1304; OLG Schleswig, Urt. v. 22.2.1985 – 14 U 187/84, ZIP 1985, 556, 558; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 106 Rz. 13a; Kilger/Schmidt, KO, § 106 Rz. 4. 11) Mohrbutter/Ringstmeier-Mohrbutter, Hdb. der Insolvenzverwaltung, § 106 I. 27, Fn. 1.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§4

bestmöglichst verwertet und das insbesondere Auskunfts-, Anzeige- und Nachweispflichten im steuerlichen Bereich erfüllt wurden. II.

Gesamtvollstreckungsverfahren

1.

Liquidation oder Betriebsfortführung

Anstelle der Übernahme der KO auch für das Gebiet der ehemaligen DDR entschied 25 sich der Gesetzgeber 1990 für die Beibehaltung der GesO bis zum Inkrafttreten eines angestrebten einheitlichen Insolvenzrechts für das vereinigte Deutschland. Mit dem Erlass der Gesamtvollstreckungsverordnung am 1.7.1990 durch den Einigungsvertrag geändert und umbenannt in „Gesamtvollstreckungsordnung“12), sollte zusammen mit der Zweiten Verordnung über die Gesamtvollstreckung vom 25.7.1990, ebenfalls durch den Einigungsvertrag geändert und umbenannt in „Gesetz über die Unterbrechung von Gesamtvollstreckungsverfahren“13), dem Problem Rechnung getragen werden, dass der Anpassungsprozess in der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden DDR zu einem raschen Anstieg der Insolvenzen führen würde, wobei es rechtspolitisch darauf ankam, den Unternehmen einen gesetzlichen Rahmen zu geben, die Betriebe auch nach Einleitung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens fortzuführen. Betriebsfortführung und Liquidation sollten gleichwertig nebeneinander stehen. Im 26 Einzelfall sollte zu entscheiden sein, ob eine sofortige Verwertung der vorhandenen Wirtschaftsgüter erfolgen muss oder eine begrenzte Betriebsfortführung auch mit dem Ziel einer Sanierung möglich ist.14) 2.

Betriebsfortführungen, Verfahrensziele, gesetzliche Sanierungsförderung

Durch den Einigungsvertrag ist die GesO mit nur geringen Änderungen in den Rang eines 27 eigenständigen Bundesgesetzes erhoben worden. Die GesO definierte als Verfahrensziele nunmehr auch wirtschafts-, sozial-, arbeitsmarkt- und strukturpolitische Ziele. So sollte die GesO mit ihren Nebengesetzen dazu beitragen, den zwar erwarteten, in seinen 28 Ausmaßen aber falsch eingeschätzten Anpassungsprozess der DDR-Planwirtschaft und den Übergang in eine marktwirtschaftliche Ordnung zu erleichtern, die erwarteten Massenentlassungen zu verlangsamen und den Rechtsfrieden in der ehemaligen DDR zu sichern.15) Bereits vom Verfahrenszweck her waren KO und GesO nicht identisch.16) Werden 29 Probleme der wirtschaftlichen Neuordnung und Anpassung an regionale und überregionale Strukturfragen zu einem eigenständigen Insolvenzverfahrenszweck, so verabschiedet sich das Spannungsfeld der tradierten Insolvenzverfahrensziele von Liquidation durch Einzelveräußerung und der damit verbundenen Zerschlagung hin zur Gesamtverwertung mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung oder zur Reorganisation und Sanierung des insolventen Unternehmensträgers selbst. ___________ 12) Verordnung über die Gesamtvollstreckung v. 6.6.1990, GBI. I Nr. 32, S. 285, geändert durch Anlage II Kap. III A Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrages v. 31.8.1990, BGBl. II 1990, 889, 1153, Bekanntmachung der Neufassung v. 23.5.1991, BGBl. I, 1185, zuletzt geändert durch Gesetz 18.6.1997, BGBl. I, 1430, 1441. 13) Zweite Verordnung über die Gesamtvollstreckung – Unterbrechung des Verfahrens – v. 25.7.1990, GBl. Nr. 45, S. 762, geändert durch Anlage II Kap. III A Abschn. II Nr. 2 des Einigungsvertrages v. 31.8.1990, BGBl. II 1990, 889, 1155, i. d. F. der Bekanntmachung v. 23.5.1991, BGBl. I, 1191. 14) Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, § 1 Rz. 6 ff.; Landfermann, ZIP 1991, 826 ff.; Smid/Zeuner-Smid, GesO, § 1 Rz. 7. 15) Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, § 1 Rz. 6 ff., Landfermann, ZIP 1991, 826; Smid, WM 1991, 1621 ff. 16) Kreft in: Prütting, RWS-Forum 9, S. 21, 23 f.; Paulus, ZIP 1997, 569, 574 ff.

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§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

30 Auch im Gesamtvollstreckungsverfahren war der Verwalter Sachwalter der Gläubigerinteressen. Nicht anders als im Konkursverfahren diente auch im Gesamtvollstreckungsverfahren das Mittel der Betriebsfortführung durch den Verwalter allen Verfahrenszielen – Liquidation, übertragenden Sanierung, Reorganisation. 31 Dass dabei die Betriebsfortführung im besonderen Maße die Erfüllung der erweiterten rechtspolitischen Zielsetzung der GesO gewährleistete, lag auf der Hand, da durch die Betriebsfortführung der unvermeidbare Absturz eines insolventen Unternehmens zumindest zeitlich verzögert wurde. Der Gesetzgeber hat dafür zumindest versucht, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Betriebsfortführung zu schaffen. III.

Die Insolvenzordnung

1.

Verfahrenszwecke

32 Am 1.1.1999 trat die InsO in Kraft. Mit ihr wurde die innerdeutsche Rechtseinheit durch Schaffung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens herbeigeführt.17) Die inhaltliche Auseinandersetzung um die Insolvenzrechtsreform war geprägt, um die Auseinandersetzung über die von der Insolvenzrechtsreform verfolgten Verfahrenszwecke. 33 Während die vom BMJ 1978 berufene Insolvenzrechtskommission in ihrem Abschlussbericht vom Dezember 1984 sowie in dessen Ergänzung aus dem Jahre 198618) den Schwerpunkt auf die Entwicklung eines besonderen Reorganisationsverfahrens zum Zwecke der Sanierung des insolventen Unternehmensträgers zur Vermeidung einer Insolvenz legten, betonten zunächst der RefE eines Gesetzes zur Reform des Insolvenzrechts vom November 1989 und der davon nur leicht abweichende RegE vom November 1991 als Verfahrensziel wieder das Prinzip der kollektiven Haftungsverwirklichung, wonach das Insolvenzverfahren zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger durch bestmögliche Liquidation des Schuldnervermögens führen sollte.19) 34 Die nachhaltige Kritik, die der RegE durch Literatur und Praxis erfuhr,20) veranlassten den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu substantiellen Änderungen und Ergänzungen, die insbesondere auch das Vorverfahren betrafen, das jetzt auch dazu dienen sollte, die Fortführungsaussichten mit dem Ziel einer nachhaltigen Sanierung zu prüfen.21) Zusammen mit der Regelung, dass ein Verfahren nur eröffnet werden darf, wenn die Kosten des gesamten Verfahrens gedeckt sind, wurden wesentliche Kritikpunkte der Insolvenzpraxis übernommen.22) 35 Dem vorläufigen Insolvenzverwalter wird die Möglichkeit eingeräumt, die Weichen auf eine Fortführung des Geschäftsbetriebes auszurichten, um die Option für die nunmehr gleichwertigen Verfahrensziele Liquidation, übertragende Sanierung oder Sanierung des Rechtsträgers bis zur Gläubigerversammlung offenzuhalten.23) Der Betriebsfortführung kommt damit im Insolvenzeröffnungsverfahren eine zentrale Bedeutung zu. 36 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der InsO kommt der Gläubigerversammlung die Entscheidungskompetenz über den Fortgang des Insolvenzverfahrens zu. Sowohl durch die Form und die Art der Masseverwertung als auch durch die Gestaltung des Ver___________ 17) Beule in: Kölner Schrift, S. 23 ff. Rz. 2–4. 18) BMJ, Erster und Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht. 19) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 77 ff., abgedr. in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 97 f. 20) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1992, 657 ff. 21) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 5 f. 22) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625. 23) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. 1, 1. Aufl., 1994, S. 5 f.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§4

fahrens (Fortführung des schuldnerischen Unternehmens) würden die Interessen der Beteiligten unmittelbar berührt.24) Die Entscheidungsmöglichkeit über den Ablauf des Verfahrens ist Ausfluss einer besonde- 37 ren Betonung der Gläubigerautonomie. Prägende Intention dieser Ausgestaltung war die Überlegung des Gesetzgebers, dass die Entscheidungen über das Verfahrensziel grundsätzlich von denjenigen Personen zu treffen sind, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen. Die Bestimmung des Verfahrensziels obliegt der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO). 38 Die Gläubiger bestimmen dabei im Berichtstermin die Aufgaben des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse.25) Die Gläubigerversammlung kann demnach entscheiden über x

die Stilllegung oder

x

die vorläufige Fortführung des Betriebes oder

x

den Verkauf des Betriebes als Ganzes sowie

x

die Erstellung eines Insolvenzplans.

Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren kein 39 Selbstzweck ist. Ziel und Rechtfertigung der Betriebsfortführung liegen vielmehr allein darin, die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse im Vergleich zu anderen Formen der Insolvenzabwicklung zu maximieren; dies stellt § 1 InsO klar.26) Neben der Vollabwicklung des Schuldnervermögens und der Liquidation des Rechts- 40 trägers27) eröffnen das Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO und auch die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO28) die Möglichkeit, durch Fortführung des Unternehmens bei gleichzeitigem Erhalt des Rechtsträgers die Haftung des Schuldnervermögens zu verwirklichen. Zwischen den Arten der Massenverwertung besteht Gleichrang.29) Es gibt weder eine Zer- 41 schlagungsautomatik noch ist die Sanierung ein vorrangiges Verfahrensziel. Den Wettbewerb um die beste Verwertungsart entscheidet allein das eben genannte Ziel des Verfahrens nach § 1 InsO, das darin besteht, die Befriedigungschancen für die Gesamtheit der Gläubiger zu optimieren. Demnach ist „eine Betriebsfortführung betriebswirtschaftlich sinnvoll, volkswirtschaftlich erwünscht und juristisch geboten, wenn der Wert des Unternehmens im Falle der Fortführung größer ist als bei einer Liquidation“.30)

Aus dieser strikten Zweckbindung ergibt sich auch, dass es im Falle des Gelingens der Sa- 42 nierung allein darum geht, die positive Differenz zwischen Zerschlagungs- und Fortführungswert unter den Beteiligten aufzuteilen.

___________ 24) Vgl. Allgemeine Begr. RegE Nr. 3. a) kk) in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2000, S. 96. 25) Vgl. Allgemeine Begründung RegE Ziff. 3. a) kk) in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2000, S. 96. 26) Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 50. 27) Zur Aufgabe der Vollabwicklung s. etwa Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 11 Fn. 3. 28) Zu dem Zwecke der Eigenverwaltung, insbesondere in Fortführungsfällen ein effizienteres Verfahren anzubieten s. Gottwald-Haas/Kahlert, Hdb. InsR, § 86 Rz. 13 ff. 29) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 1 Fn. 3. 30) Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rz. 4 Fn. 3.

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§4 2.

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren

43 Nach der Konzeption der InsO sollen weder der Insolvenzantrag noch die Verfahrenseröffnung eine Vorentscheidung zur Betriebseinstellung treffen. Daher ist sowohl der vorläufige als auch der endgültige Verwalter gehalten, den Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens regelmäßig bis zum Berichtstermin aufrechtzuerhalten. 44 Wurde einem vorläufigen Verwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen, handelt es sich also um einen „starken“ vorläufigen Verwalter, so bestimmt § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO, dass das Unternehmen des Schuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen ist.31) Die Unternehmensfortführung steht dabei nicht im Ermessen des vorläufigen Verwalters, sondern stellt eine Pflichtaufgabe dar.32) 45 Das Unternehmen des Schuldners ist nur dann stillzulegen, wenn durch die Betriebsfortführung eine erhebliche Minderung des Haftungsvermögens droht.33) 46 Die gleiche Pflicht obliegt auch dem sog. „schwachen“ vorläufigen Verwalter. Obwohl der „schwache“ vorläufige Verwalter nur über den Zustimmungsvorbehalt Einfluss nehmen kann und er für die Masse keine Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäfte vornehmen darf, hat er seine Entscheidungen am Ziel der Betriebsfortführung zu orientieren.34) Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 1 InsO, wonach es Ziel aller Sicherungsmaßnahmen ist, nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Hierzu zählt – darauf weist der Gesetzgeber ausdrücklich hin –, dass ein Unternehmen des Schuldners vorläufig fortgeführt werden soll.35) Mangels eigener Verfügungsbefugnis besteht die Fortführungspflicht des „schwachen“ vorläufigen Verwalters auf der Ebene der Ausübung des Zustimmungsvorbehalts. Rein passives Verhalten des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Ausübung der Zustimmungserklärung, die sich nicht am Ziel der Betriebsfortführung orientiert, wäre pflichtwidrig; der vorläufige Insolvenzverwalter liefe Gefahr, sich wegen Verletzung der Fortführungsverpflichtung schadensersatzpflichtig zu machen.36) 3.

Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren

47 Der Insolvenzverwalter hat das Unternehmen der Schuldnerin regelmäßig bis zum Berichtstermin fortzuführen. Die Pflicht zur Betriebsfortführung ist zwar nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich aber stillschweigend aus der Gesetzessystematik, insbesondere aus den Bestimmungen der §§ 157, 158 InsO. Die Pflicht zur Betriebsfortführung bedeutet gleichzeitig ein vorläufiges Verwertungsverbot. Nach § 159 InsO darf der Verwalter erst nach dem Berichtstermin das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen verwerten. 48 Die Fortführung des Geschäftsbetriebes der Schuldnerin ist dabei niemals Selbstzweck, sondern allenfalls Mittel zur Verwirklichung eines zulässigen Verfahrensziels. Häufig wird die Betriebsfortführung nur i. V. m. Sanierungsbestrebungen der Schuldnerin gesehen. Übersehen wird dabei jedoch, dass die Betriebsfortführung auch die spätere Einzel- oder Gesamtliquidation des Unternehmens der Schuldnerin vorbereiten bzw. erst ermöglichen kann. Auch darin besteht die Funktion der Betriebsfortführung. ___________ 31) 32) 33) 34) 35) 36)

56

Vgl. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 23. Vgl. Blersch/Goetsch/Haas-Blersch, BK-InsO, § 22 Rz. 13. Vgl. Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 109 ff. Vgl. Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 149 ff. Begr. RegE zu § 21, Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2000, S. 178. Undritz, NZI 2007, 65, 68.

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Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht

§4

Die Betriebsfortführung in der Insolvenz der Schuldnerin eröffnet demnach i. S. der oben 49 geschilderten Verfahrensziele die nachfolgenden Optionen:37) x

Kurzzeitige Betriebsfortführung, begrenzt auf den Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens zur Schaffung der Masse für die Verfahrenskostendeckung;

x

Betriebsfortführung i. R. einer Auslaufproduktion, auch über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus, mit anschließender Liquidation des Geschäftsbetriebes;

x

Betriebsfortführung (auch mittel- bis langfristig) mit dem Ziel einer übertragenden Sanierung;

x

dauerhafte Betriebsfortführung zum Zwecke der Reorganisation (Insolvenzplanverfahren).

Aus alledem ergibt sich, dass die Entscheidung über die Betriebsfortführung im eröffneten 50 Insolvenzverfahren nicht von den gesetzlichen Verfahrenszielen getrennt werden kann. Die Betriebsfortführung in der Insolvenz ist nicht Zweck, sondern allenfalls Mittel zur Realisierung eines zugelassenen Verfahrensziels. 4.

Reformen des Insolvenzrechts durch das ESUG

Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), in 51 Kraft getreten am 1.3.2012, hat der Gesetzgeber das als Paradigmenwechsel angekündigte, bislang größte Reformpaket in der Geschichte der InsO umgesetzt. Ziele des ESUG sind u. a. die seit langem geforderten Verbesserungen der Sanierungs- 52 möglichkeiten überlebensfähiger Krisenunternehmen und die stärkere Beteiligung der Gläubiger am Insolvenzverfahren. Durch die Neuerungen sollen im Wesentlichen die Schwachstellen im Insolvenz- 53 planverfahren, insbesondere durch den Abbau von Blockadepotential einzelner Gläubiger und von Gesellschaftern beseitigt, die Eigenverwaltung gestärkt und die frühzeitige Stellung von Eröffnungsanträgen erleichtert werden. Dazu werden für das deutsche Recht zum Teil völlig neue Wege beschritten und teilweise 54 im deutschen Insolvenzrecht nicht bekannte bzw. in der InsO bislang nicht kodifizierte Instrumente eingeführt. Zu nennen sind insbesondere: x

Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren;

x

die Einflussnahme des vorläufigen Gläubigerausschusses auf die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Sachwalters sowie des Insolvenzverwalters und des Sachwalters.

x

Zur Vorbereitung eines Sanierungsplans in Eigenregie des Schuldners wurde ein sog. „Schutzschirmverfahren“ (§ 270b InsO) eingeführt.

x

Schließlich wurde der Debt-Equity-Swap (Umtausch von Forderungen in Anteile bei der Insolvenzschuldnerin) im Insolvenzplanverfahren ohne Zustimmung bzw. Mitwirkung der Altgesellschafter eingeführt.

In einer Pressemitteilung des BMJ zum Inkrafttreten des ESUG vom 29.2.2012 heißt es:

55

„Insgesamt wollen wir durch das neue Gesetz einen Mentalitätswechsel für eine neue Insolvenzkultur in Deutschland einleiten“.

Die Frage bleibt, welche Auswirkungen das Inkrafttreten des ESUG auf die Funktion 56 der Betriebsfortführung hat? Zunächst bleibt festzustellen, dass das Inkrafttreten des ___________ 37) Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, Vorauflage.

Feser

57

§4

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

ESUG die Verfahrensziele der InsO, wie sie in § 1 Satz 1 InsO festgelegt sind, nicht geändert hat. § 1 Satz 1 InsO bestimmt nach wie vor, „dass das Insolvenzverfahren dazu dient, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, in dem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird“.

57 Das gesetzgeberische Ziel des ESUG ist die Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. Dies soll durch die Stärkung des Einflusses der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, durch den Ausbau und die Straffung des Insolvenzplanverfahrens und die Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung erreicht werden. 58 Die Grenze dieser Sanierungsbemühungen ist jedoch in § 1 InsO festgelegt. Das Insolvenzverfahren ist ein kollektives Gesamtvollstreckungsverfahren im Interesse der Gläubiger. Die Sanierung des Schuldners ist ein Reflex, wenn es den Gläubigern dient, nicht aber der Hauptzweck des Verfahrens.38) Daraus ergibt sich, dass eine Sanierung des Unternehmens nur dann erfolgen kann, wenn der Fortführungswert höher ist als der Zerschlagungswert.39) 59 Die Funktion der Betriebsfortführung besteht darin, den Gläubigern des Insolvenzverfahrens die bestehenden Verwertungsoptionen bis zum Berichtstermin zu erhalten. Insoweit hat das ESUG keine Änderungen gebracht. 60 Gesetzlich nicht geregelt sind die Fragen der Fortführungsfinanzierung. Die Finanzierung der Unternehmensfortführung ist conditio sine qua non für jede Betriebsfortführung und für jede beabsichtigte Sanierung des Rechtsträgers, sei es im Wege eines Insolvenzplanes oder sei es mit Hilfe des Instituts der Eigenverwaltung. Lassen sich keine Quellen zur Fortführungsfinanzierung erschließen, bleibt kein Raum mehr für die Sanierungsinstrumente des ESUG. IV.

Zusammenfassung

61 Das Insolvenzverfahren ist ein kollektives Gesamtvollstreckungsverfahren im Interesse der Gläubiger, das dazu dienen soll, eine gemeinschaftliche Befriedigung durch Verwertung des Vermögens des Schuldners zu erreichen (§ 1 Satz 1 InsO). 62 Die Sanierung des Schuldners ist ein Reflex, wenn es den Gläubigern dient, nicht aber der Hauptzweck des Verfahrens. Eine Sanierung des Unternehmens des Schuldners soll und muss dann erfolgen, wenn der Fortführungswert höher ist als der Zerschlagungswert. 63 Die Funktion der Betriebsfortführung besteht zum einen darin, die Eröffnungsvoraussetzungen des Insolvenzverfahrens zu schaffen und zum anderen die im Insolvenzverfahren bestehenden Verwertungsoptionen bis zum Berichtstermin für die Gläubiger zu erhalten.

___________ 38) Jaffé, ZGR 2010, 248, 251. 39) K. Schmidt/Uhlenbruck-Wellensiek/Schluck-Amend, GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 4.13.

58

Feser

§ 16 Die Finanzierung der Betriebsfortführung Übersicht I. 1.

Theoretische Grundlagen .......................... 1 Betriebsfortführung und Unternehmensfinanzierung................................... 1 2. Regel- und Insolvenzplanverfahren ............ 2 3. Systematisierung der Finanzierungsformen........................................................... 4 4. Umfang der Darstellung .............................. 8 II. Liquiditätsplanung...................................... 9 III. Finanzierung durch Verwertung ............ 13 1. Überblick .................................................... 13 2. Verwertung unbelasteter Gegenstände ..... 16 3. Verwertung belasteter Gegenstände ......... 22 4. Insbesondere: Forderungseinzug .............. 25 IV. Finanzierung durch Eigenkapital ........... 30 1. Überblick .................................................... 30 2. Kapitalerhöhung/Nachschüsse ................. 32 2.1 Grundlagen...................................... 32 2.2 Durchführung ................................. 33 2.3 Vorteile und Risiken ....................... 38 2.4 Personengesellschaften................... 40 3. Kapitalschnitt ............................................. 41 3.1 Grundlagen...................................... 41

3.2 Durchführung ................................. 42 3.3 Vorteile und Risiken ....................... 45 3.4 Personengesellschaften................... 46 4. Debt-Equity-Swap ..................................... 47 4.1 Grundlagen...................................... 47 4.2 Durchführung ................................. 48 4.3 Vorteile und Risiken ....................... 51 4.4 Personengesellschaften................... 56 V. Finanzierung durch Fremdkapital.......... 57 1. Überblick.................................................... 57 2. Langfristige Kreditfinanzierung ................ 58 2.1 Massedarlehen ................................. 58 2.2 Gesellschafterdarlehen.................... 74 3. Kurzfristige Kreditfinanzierung................ 76 3.1 Handelskredit.................................. 76 3.2 Kontokorrentkredit ........................ 77 4. Kreditsubstitute ......................................... 79 4.1 Factoring ......................................... 80 4.2 Leasing............................................. 86 VI. Finanzierung durch die öffentliche Hand ........................................................... 89

Literatur: Altmeppen, Zur Rechtsstellung der Gläubiger im Konkurs gestern und heute, in: Festschrift für Peter Hommelhoff, 2012, S. 1; Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter in der Unternehmensinsolvenz, 2002; Andres/Hees, Weiterveräußerung von Vorbehaltsware im Insolvenzeröffnungsverfahren trotz Erlaubnis, NZI 2011, 881; Arnold, The Handbook of Corporate Finance, 2005; Bauer/Dimmling, Endlich im Gesetz(entwurf): Der Debt-Equity-Swap, NZI 2011, 517; Berger, Die Verwertung verpfändeter Aktien in der Insolvenz des Sicherungsgebers, ZIP 2007, 1533; Beyer, Die handels- und steuerrechtliche Behandlung eines Debt-Equity-Swap mit Genussrechten bei Kapitalgesellschaften, DStR 2012, 2199; Born, Aktuelle Steuerfragen im Zusammenhang mit DebtEquity-Swap-Transaktionen, BB 2009, 1730; Braun/Frank, Der Kreditrahmen gem. § 264 InsO als Finanzierungsinstrument des Sanierungsplans, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, S. 859; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz – Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, 1997 (zit. Unternehmensinsolvenz); Decher/Voland, Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG, ZIP 2013, 103; Ehricke, Grundprobleme staatlicher Beihilfen an ein Unternehmen in der Krise im EG-Recht, WM 2001, Beilage 3; Ehricke, Die neuen Leitlinien der EG-Kommission über Sofort- und Umstrukturierungsbeihilfen, EuZW 2005, 71; Eilers, Der Debt Equity Swap – Eine Sanierungsmaßnahme für unternehmerische Krisensituationen, GWR 2009, 3; Engert, Die Haftung für drittschädigende Kreditgewährung, 2005; Ferran, Principles of Corporate Finance, 2008; Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz, 1998 (zit. Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung); Flitsch, Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens – Großer Wurf oder Stückwerk?, BB 2006, 1805; Fritze/Heithecker, Insolvenzplansanierung und EUBeihilfenrecht, EuZW 2010, 817; Ganter, Sicherungsmaßnahmen gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2007, 549; Gehrlein, Banken – vom Kreditgeber zum Gesellschafter – neue Haftungsfallen? (Debt-Equity-Swap nach ESUG), NZI 2012, 257; Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Stand: 49. Lfg. 2012; Haarmeyer/Pape, Das Ende des zu allen Rechtshandlungen ermächtigten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, ZInsO, 2002, 845; Hess, Sanierungshandbuch, 4. Aufl., 2009; Hess/Fechner/ Freund/Körner, Sanierungshandbuch, 3. Aufl., 1998; Kirchhof, Masseverwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, NZI 1999, 436; Knebel/Schmidt, Gestaltungen zur Eigenkapital-Optimierung vor dem Hintergrund der Finanzkrise, BB 2009, 430; Koenig/Pickartz, Stolpersteine in Brüssel umgehen: Genehmigungsfähige staatliche Umstrukturierungsbeihilfen müssen gut vorbereitet sein, BB 2001, 633; Krieger, Beschlusskontrolle bei Kapitalherabsetzungen, ZGR 2000, 885; Kuder, Besitzlose

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§ 16

Teil III Einzelfragen

Mobiliarsicherheiten im Insolvenzantragsverfahren nach dem geänderten § 21 InsO, ZIP 2007, 1690; Kuntz, Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, DStR 2006, 519; Laroche, Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter, NZI 2010, 965; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität in Insolvenzverfahren, 2010 (zit. Planung und Beschaffung von Liquidität); Lohkemper, Die Zwangsvollstreckung während der Sequestration und in einem vorläufigen Insolvenzverfahren, ZIP 1995, 1641; Lwowski/Wunderlich, Insolvenzanfechtung von Kapitalerhöhungsmaßnahmen, NZI 2008, 129; Lwowski/Wunderlich, Insolvenzanfechtung von Kapitalherabsetzungs- und Umwandlungsmaßnahmen, NZI 2008, 595; Müller, Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, ZGR 2004, 842; Müller, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Müsgen, Die GmbH in Konkurs und Insolvenz, MittRhNotK 1997, 409; Oppermann/Smid, Ermächtigung des Schuldners zur Aufnahme eines Massekredits zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes im Verfahren nach § 270a InsO, ZInsO 2012, 862; Pape, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzeröffnungsverfahren, ZIP 2002, 2277; Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, 16. Aufl., 2012; Pleister/Kindler, Kapitalmaßnahmen in der Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, ZIP 2010, 503; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998 (zit. Befugnisse und Funktionen); Prütting/Stickelbrock, Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters – aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung, ZIP 2002, 1608; Redeker, Kontrollerwerb an Krisengesellschaften: Chancen und Risiken des Debt-Equity-Swap, BB 2007, 673; Reger/Stenzel, Der Kapitalschnitt auf null als Mittel zur Sanierung von Unternehmen – Gesellschaftsrechtliche, börsenzulassungsrechtliche und kapitalmarktrechtliche Konsequenzen, NZG 2009, 1210; Richter/Pernegger, Betriebswirtschaftliche Aspekte des RegE-ESUG, BB 2011, 876; Römermann, Ein Jahr ESUG. Eine Bestandsaufnahme aus dem Blickwinkel der GmbH-Beratung, GmbHR 2013, 337; Runge, Covenants in Kreditverträgen: Grenzen der Einflussnahme von Kreditinstituten, 2010; Schmidt, K., Die sanierende Kapitalerhöhung im Recht der Aktiengesellschaft, GmbH und Personengesellschaft, ZGR 1982, 519; Schönfelder, Die Besicherung von Massekrediten im Insolvenzeröffnungsverfahren, WM 2007, 1489; Sinz, Leasing und Factoring im Insolvenzverfahren, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, S. 593; Stöber, Die Kompetenzverteilung bei Kapitalerhöhungen im Insolvenzverfahren, ZInsO 2012, 1811; Strotmann/Tetzlaff, Besicherung von Massekrediten aus Sicht des Kreditinstituts, ZInsO 2011, 559; Undritz, Der vorläufige „schwache” Insolvenzverwalter als Sanierungsbremse?, NZI 2003, 136; Undritz, Ermächtigung und Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten beim Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung, BB 2012, 1551; Wansleben, Werthaltigkeitsprüfung und Offenlegung beim Debt Equity Swap, WM 2012, 2083; Weber, Sanieren oder Ausscheiden – Treuebindungen bei der Sanierung von Personengesellschaften, DStR 2010, 702; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199; Wilde, Nachschusspflichten in KG und GbR, NZG 2012, 215; Wirsch, Debt Equity Swap und Risiko der Insolvenzanfechtung, NZG 2010, 1131; Wöhe/ Bilstein/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung; Wuschek, Massekredite als Sanierungsbeitrag, InsbürO 2012, 456; Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, 3. Aufl., 2011.

I.

Theoretische Grundlagen

1.

Betriebsfortführung und Unternehmensfinanzierung

1 Die Finanzierung der Betriebsfortführung in der Insolvenz ist eine spezielle Form der Unternehmensfinanzierung. Sie ist Unternehmensfinanzierung, weil sie der Finanzierung eines am Markt tätigen Unternehmens dient. Um eine spezielle Form der Unternehmensfinanzierung handelt es sich, weil die Insolvenz des Unternehmens zu besonderen tatsächlichen und rechtlichen Problemlagen führt, die gelöst werden müssen. Die Einordnung der Finanzierung der Betriebsfortführung als besondere Form der Unternehmensfinanzierung ist von doppeltem Erkenntniswert: Zum einen eröffnet dieser Verständniszugang den Zugriff auf den theoretischen Unterbau, den die Betriebswirtschaftslehre für die Unternehmensfinanzierung geschaffen hat und noch schafft. Zum anderen sensibilisiert er dafür, dass herkömmliche Finanzierungsmodelle nicht unverändert auf die Situation der Insolvenz übertragen werden können, sondern dass sie im rechtlichen Detail der Abstimmung auf diese besondere Situation bedürfen. 2.

Regel- und Insolvenzplanverfahren

2 Die Finanzierung eines Betriebs ist im Kontext dieses Handbuches die Finanzierung eines Unternehmens, über das ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dieses Insolvenzverfahren kann die Gestalt eines Regel- oder eines Insolvenzplanverfahrens annehmen. Ob das 508

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§ 16

eine oder das andere der Fall ist, hat auf die in Betracht kommenden Finanzierungsmöglichkeiten maßgeblichen Einfluss: Liegt ein Regelinsolvenzverfahren vor, so stellt sich die Frage der Finanzierung der Betriebsfortführung nur dann, wenn der Betrieb überhaupt fortgeführt werden soll. Das ist keineswegs immer, sondern nur dann der Fall, wenn die Veräußerung des Betriebs oder eines Teils hiervon im Wege der übertragenden Sanierung geplant ist. Wo dies nicht der Fall ist, ist das Regelinsolvenzverfahren ein reines Liquidationsverfahren, i. R. dessen Fragen der Betriebsfortführung oder ihrer Finanzierung regelmäßig keine Bedeutung erlangen. Anders im Insolvenzplanverfahren: Das Insolvenzplanverfahren ist auf die Erhaltung sowohl des Unternehmens als auch des Unternehmensträgers ausgerichtet, weshalb beider Finanzierung eine seiner zentralen Fragen ist. Dem hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen: Die Vorschriften über das Insolvenzplanverfahren enthalten anders als diejenigen über das Regelinsolvenzverfahren Spezialvorschriften über die Finanzierung des fortzuführenden Unternehmens. Das eröffnete Insolvenzverfahren – sei es Regel- oder Planverfahren – ist nicht der einzige 3 Hintergrund, vor dem sich die Frage nach der Finanzierung der Betriebsfortführung stellt: Sie stellt sich auch schon im vorläufigen Insolvenzverfahren. Die Finanzierung der Betriebsfortführung wird in diesem Kapitel im Hinblick auf das eröffnete Insolvenzverfahren entwickelt. Das vorläufige Insolvenzverfahren findet nur dort Erwähnung, wo sich Unterschiede in der Implementierung eines Finanzierungsinstruments ergeben. 3.

Systematisierung der Finanzierungsformen

Die Finanzierung eines insolventen Unternehmens ist im wesentlichen Außenfinanzie- 4 rung. Ihr Gegenstück, die Innenfinanzierung, ist bei der Finanzierung eines insolventen Unternehmens regelmäßig von untergeordneter Bedeutung. Das hat zwei Gründe: Erstens: Innenfinanzierung ist die Finanzierung des Unternehmens aus Umsatzüberschüssen (cashflow).1) Ein insolventes Unternehmen wird in der Regel aber nicht mehr über eine tragfähige Innenfinanzierung verfügen, auf die der (vorläufige) Insolvenzverwalter zurückgreifen kann. Vielmehr ist umgekehrt das Fehlen einer tragfähigen Innenfinanzierung in unheilvollem Verbund mit einer zu geringen Eigenkapitalquote die am häufigsten anzutreffende Insolvenzursache: Der betriebliche Umsatzprozess bildet kein Kapital mehr, sondern verbraucht es nur noch.2) Zweitens: Selbst wenn das Unternehmen aus dem betrieblichen Umsatzprozess noch Liquidität schöpfen kann, ändert sich der Befund nicht. Innenfinanzierung ist die Finanzierung des Unternehmens mit der Liquidität, die dem Unternehmen von seinen Kunden zufließt. Die insolvenzrechtliche Praxis zeigt indes, dass Forderungen gegen Kunden praktisch immer zur Sicherheit an Fremdkapitalgeber abgetreten sind.3) Sie stehen deshalb zur Finanzierung der Betriebsfortführung nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, selbst wenn der erzielte Umsatzgewinn an sich zur Finanzierung der Betriebsfortführung geeignet wäre. Hierauf wird später – im Abschnitt über den Forderungseinzug – zurückzukommen sein. Im Rahmen der Außenfinanzierung kann die Eigenfinanzierung von der Fremdfinanzie- 5 rung unterschieden werden.4) Mit diesen Oberbegriffen korrespondieren auf Ebene des Unternehmens die Begriffe Eigenkapital und Fremdkapital. Eigenfinanzierung ist die Finanzierung durch Eigenkapital, Fremdfinanzierung diejenige durch Fremdkapital. Eigen___________ 1) 2) 3) 4)

Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 281, 286. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 1. Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 116. Damit folgen wir Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 43. A. A. Wöhe/Bilstein/ Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 22 f., 190, wonach Eigen- und Fremdfinanzierung sowohl Außen- als auch Innenfinanzierung sein können.

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§ 16

Teil III Einzelfragen

und Fremdkapital entsprechen den in § 266 Abs. 3 A. bzw. C. HGB ausgewiesenen Positionen. Während die Darstellung der Instrumente der Fremdfinanzierung weitestgehend ohne rechtsformspezifische Differenzierungen auskommt (mit der wichtigen Ausnahme des Rechts der Gesellschafterdarlehen), ist dies bei der Eigenfinanzierung anders: Die Art der Eigenfinanzierung unterscheidet sich je nachdem, ob Unternehmensträger eine natürliche Person, eine Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft ist. Die Darstellung der Eigenfinanzierung wird hier aus Raumgründen exemplarisch anhand der Kapitalgesellschaften deutschen Rechts – GmbH und AG – entwickelt.5) Den Personengesellschaften ist jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem die sie jeweils betreffenden Besonderheiten komprimiert dargestellt sind. Unternehmensträger anderer Rechtsformen finden nur Erwähnung, wo dies zum besseren Verständnis erforderlich ist. 6 Eigen- und Fremdfinanzierung weisen eine Reihe von Charakteristika auf, die sich wie folgt systematisieren lassen:6) x

Eigenkapital zeichnet sich aus durch das Risiko des Totalverlusts in der Insolvenz (vgl. § 199 InsO), die Vermittlung von Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, den unmittelbaren Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, die Beteiligung am Unternehmenswert und die Beteiligung am Gewinn des Unternehmens. Das Paradigma des Eigenkapitalgebers ist der Gesellschafter.

x

Fremdkapital ist gekennzeichnet durch die quotale Beteiligung an der Insolvenzmasse, das Fehlen von Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, den fehlenden Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, das Fehlen einer Beteiligung am Unternehmenswert und die feste Verzinsung. Das Paradigma des Fremdkapitalgebers ist der Darlehensgeber. Die Forderung des Darlehensgebers ist regelmäßig besichert, was den fehlenden Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen und den fehlenden Zugang zu Informationen über die Gesellschaft ausgleichen soll.

7 Der Gewinnanteil des Gesellschafters und die Verzinsung des Darlehensgebers unterliegen unterschiedlicher Besteuerung. Schließlich ist zu beachten, dass Eigen- und Fremdfinanzierung nicht beziehungslos nebeneinander stehen: Je größer die Eigenkapitalquote ist, desto geringer sind die Kosten der Aufnahme von Fremdkapital. Diese Charakteristika sind die wesentlichen Parameter der Finanzierungsentscheidung.7) Sie werden bei der Gegenüberstellung von Risiken und Vorteilen bestimmter Finanzierungsinstrumente später in diesem Kapitel nicht mehr eigens erwähnt, denn dort geht es nur noch um die spezifischen Vorteile und Risiken eines bestimmten Finanzierungsinstruments. Sie müssen aber stets mitbedacht werden.

___________ 5) Eine vollständige rechtsformspezifische Darstellung der Eigenfinanzierung findet sich bei Zantow/ Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 60 – 115 oder Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 49 – 168. Monografische Abhandlungen zur Finanzierung der Betriebsfortführung sind Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität in Insolvenzverfahren (2010) und Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung in der Unternehmensinsolvenz (1998). 6) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 371 f. Die folgende Systematisierung bedarf in zweierlei Hinsicht der Erläuterung. Erstens: Die dargestellten Merkmale müssen nicht alle gemeinsam und nicht alle in maximaler Ausprägung vorliegen; sie stellen ein bewegliches System dar, das Mischformen zwischen Fremd- und Eigenkapital (sog. Mezzanine) zulässt (dazu Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 173 – 179). Zweitens: Darlehensgeber streben danach, ihre Rechtsstellung namentlich in puncto Entscheidungsbefugnis und Informationszugang vertraglich an die eines Gesellschafters anzunähern (monografisch Runge, Covenants in Kreditverträgen: Grenzen der Einflussnahme von Kreditinstituten, 2010). Geschieht dies im Übermaß, ist die Anwendung der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO die Folge. 7) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 373 – 376.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung 4.

§ 16

Umfang der Darstellung

Dieses Kapital enthält im Folgenden eine Skizze der von jedem Insolvenzverwalter zu 8 leistenden Liquiditätsplanung. Es enthält sodann eine nach Verwertungsmaßnahmen, Eigen- und schließlich Fremdfinanzierung geordnete Darstellung der Instrumente, von denen ein Insolvenzverwalter Gebrauch machen kann, wenn er – wie Mönning in der ersten Auflage dieses Buches schrieb – bei Amtsantritt leere Kassen vorfindet.8) Den Schluss des Kapitels bildet ein Überblick über die Möglichkeiten, die Betriebsfortführung aus öffentlichen Finanzierungshilfen zu bestreiten. Dieses Kapitel enthält keine steuerliche Beurteilung der einzelnen Finanzierungsinstrumente; insofern muss der Leser auf speziellere Publikationen verwiesen werden, die, wenn sie von besonderer Bedeutung, Sachnähe oder Prägnanz sind, im Fußnotenapparat ausgewiesen sind. Ferner enthält dieses Kapitel keine Darstellung des Insolvenzgelds. Diese wichtige Finanzierungsquelle wird dem Grundsatz möglichst geschlossener Darstellung Rechnung tragend im Kapitel über die arbeitsrechtlichen Aspekte der Betriebsfortführung ausführlich behandelt (siehe dazu oben § 14 (Dreschers)). Die Insolvenzanfechtung9) und der Lastschriftwiderruf10) schließlich, die, werden sie schnell und erfolgreich durchgeführt, ebenfalls der Finanzierung der Betriebsfortführung dienen können,11) finden nur in Form dieses Hinweises Erwähnung. II.

Liquiditätsplanung

Es ist heute unbestritten, dass zur Betriebsfortführung im vorläufigen oder eröffneten In- 9 solvenzverfahren die Erstellung einer Liquiditätsplanung gehört.12) Die Erstellung, laufende Überprüfung und Aktualisierung einer Liquiditätsplanung ist eine insolvenzspezifische Sorgfaltspflicht i. S. der §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 61 Satz 1 InsO.13) Ihre Verletzung kann deshalb zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters führen. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur dann, wenn vom Insolvenzverwalter begründete Masseverbindlichkeiten nicht bedient werden können.14) Eine sorgfältig erarbeitete und tragfähige Liquiditätsplanung erleichtert darüber hinaus die Verhandlungen mit potentiellen Eigen- oder Fremdkapitalgebern.15) Die Liquiditätsplanung besteht sowohl für den vorläufigen als auch den endgültigen In- 10 solvenzverwalter in einer (in Anlehnung an § 275 HGB) vertikalen Gegenüberstellung von fälligen Verbindlichkeiten und verfügbarer Liquidität.16) Als Planungseinheit sollte auf die Kalenderwoche zurückgegriffen werden.17) Der Planungshorizont reicht aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters bis zum Zeitpunkt der geplanten Eröffnung des Insol___________ 8) 9) 10) 11) 12) 13)

14) 15) 16) 17)

Mönning, Vorauflage, Rz. 314. Mönning, Vorauflage, Rz. 1033 ff. Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 150 – 154. Mönning, Vorauflage, S. 250 ff. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 186; Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 130; Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199, 211. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 43/08, ZIP 2004, 1107; ausführlich zu dieser Entscheidung und den daraus abzuleitenden Anforderungen an die Liquiditätsplanung Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 100 – 108; OLG Karlsruhe, Urt. v. 4.2.2005 – 12 U 227/04, VersR 2005, 1681; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 39 – 43; zur Möglichkeit der Entlastung durch einen Liquiditätsplan BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311 und LG Dortmund, Urt. v. 21.10.2010 – 2 O 10/10, ZIP 2010, 2413 (LS). Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 283 f. Buth/Hermanns-Gless/Schmelzner, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 39 Rz. 59. Muster: Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 108. Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 104.

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§ 16

Teil III Einzelfragen

venzverfahrens, wobei Besonderheiten – wie etwa die Insolvenzgeldvorfinanzierung – zu berücksichtigen sind.18) Wie weit der Planungshorizont des endgültigen Insolvenzverwalters reicht, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig: Bei Umsetzung eines Insolvenzplans kann der Planungshorizont ausnahmsweise ein Jahr oder sogar mehrere Jahre umfassen.19) 11 Die Planung ist originär oder derivativ aus anderen geprüften Teil- oder Vorplänen, wie z. B. einer Ertragsplanung, zu bilden. Der Verwalter kann extrapolierende, kausale und pragmatische Prognosemethoden anwenden,20) sofern keine Methode isoliert Gegenstand der Planungsprognose ist. Bei der Quantifizierung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Prognoseansätzen – sie muss mehr als 50 % betragen – sind alternative Szenarien zu erstellen. Bei der Erstellung der Liquiditätsplanung hat der Insolvenzverwalter mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit erfüllt werden können. Zur Absicherung der Zahlungsfähigkeit sollte eine Liquiditätsreserve vorgehalten werden. Über die Erstellung einer Bilanz- und Ertragsplanung kann eine integrierte Rechnung aufgebaut werden, die eine Kontrolle und Plausibilisierung der Liquiditätsplanung ermöglicht. 12 Der Insolvenzverwalter kann die Liquiditätsplanung selbst erstellen oder die Aufgabe an qualifizierte eigene Mitarbeiter oder externe Fachkräfte delegieren. Für eigene Mitarbeiter haftet der Verwalter nach § 278 BGB. Für externe Mitarbeiter wird die Haftung auf das Auswahlverschulden begrenzt. Setzt der Verwalter Mitarbeiter des Schuldners ein,21) so findet die Haftungserleichterung des § 60 Abs. 2 InsO Anwendung. Eine ungeprüfte Übernahme von Daten oder Plänen des Schuldnerunternehmens ist aber nicht exkulpationsfähig. III.

Finanzierung durch Verwertung

1.

Überblick

13 Das Primärinstrument der Finanzierung der Betriebsfortführung ist die Verwertung der Insolvenzmasse, im Wesentlichen also der Verkauf von nicht betriebsnotwendigem Anlage- und Umlaufvermögen und der Einzug von Forderungen. Zur Verwertung der Insolvenzmasse gehört auch der Verkauf von im betrieblichen Prozess erzeugten Waren und Dienstleistungen. Systematisch handelt es sich um Maßnahmen der Innenfinanzierung. 14 Bei der Darstellung ist zwischen der Verwertung unbelasteter und der Verwertung belasteter Gegenstände zu unterscheiden, wobei belastete Gegenstände solche sind, an denen Dritten Absonderungsrechte i. S. der §§ 49 f. InsO zustehen. Nicht gemeint ist der Fall, dass Dritten an den betreffenden Gegenständen Aussonderungsrechte i. S. des § 47 InsO zustehen. Gegenstände, die einem Aussonderungsrecht unterliegen, sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse. Sie dürfen nicht durch den Insolvenzverwalter verwertet werden. Geschieht dies doch, ist ein Ersatzaussonderungsanspruch nach § 48 InsO die Folge und, kann dieser nicht erfüllt werden, die persönliche Haftung des Verwalters nach § 61 InsO.22)

___________ 18) Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 61. 19) Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 104; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 49 ff., 61. 20) Pape/Graeber-Gerbers, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 107; Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 62. 21) Was empfehlenswert sein kann, s. Buth/Hermanns-Gless/Schmelzner, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 39 Rz. 60. 22) Braun-Bäuerle, InsO, § 48 Rz. 34; Ganter in: MünchKomm-InsO, § 48 Rz. 64.

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§ 16

Ferner ist zwischen der Situation des eröffneten und des vorläufigen Insolvenzverfahrens 15 zu unterscheiden. Dem Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter ist aufgrund der sehr ausdifferenzierten Rechtsprechung ein eigener Abschnitt gewidmet. Nicht Gegenstand der Darstellung ist die Frage, wie bestimmte Gegenstände zu verwerten sind. Hierüber geben speziellere Veröffentlichungen Auskunft.23) 2.

Verwertung unbelasteter Gegenstände

Primärquelle der Finanzierung der Betriebsfortführung ist die Verwertung unbelasteter 16 Gegenstände des Schuldnervermögens. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist die Verwertung der Insolvenzmasse nach § 159 InsO die vornehmste Pflicht des Insolvenzverwalters und steht der Verwertungserlös zur Finanzierung der Betriebsfortführung ungeschmälert zur Verfügung. Komplizierter ist die Lage im vorläufigen Insolvenzverfahren: Der vorläufige Insolvenz- 17 verwalter ist grundsätzlich nicht verwertungsbefugt.24) Das gilt unabhängig davon, ob es sich um einen „starken“ oder einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter handelt. Das Verwertungsverbot ergibt sich zum einen aus einem Umkehrschluss zu § 159 InsO, der das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zuweist, indem er für deren Beginn auf den Zeitpunkt des Berichtstermins abstellt: Der aber findet erst im eröffneten Verfahren statt. Zum anderen ergibt es sich aus der dogmatischen Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung: Sie ist eine Sicherungsmaßnahme. Das folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO,25) wonach der vorläufige Insolvenzverwalter die Aufgabe hat, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, um die Verfahrenseröffnung zu ermöglichen und das folgende Verfahren vorzubereiten.26) Da im Antragsverfahren die Eröffnung des Verfahrens aber noch nicht feststeht, müssen nicht nur die Gläubiger, sondern muss auch der Schuldner vor Vermögenseinbußen geschützt werden.27) Eine Verwertung in diesem Verfahrensstadium würde diesem schuldnerbezogenen Schutzzweck zuwiderlaufen. Wenn es nun aber einerseits die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist, den Be- 18 trieb des Schuldners fortzuführen, er andererseits aber nicht dazu befugt ist, die für die Fortführung des Betriebs notwendige Liquidität aus der Verwertung des Vermögens des Schuldners zu generieren, dann wird klar, dass in der Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung ein Spannungsverhältnis angelegt ist, das der Auflösung bedarf. Der BGH sucht zur Lösung beizutragen, indem er der Praxis erlaubt, den Begriff der Verwertung nach § 159 InsO i. S. der endgültigen Umwandlung des Schuldnervermögens in Geld ___________ 23) Mohrbutter/Ringstmeier-Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22. 24) BGH, Urt. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296; BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632; BGH, Urt. v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42; BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40; Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 500; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 73; Hess, Sanierungshandbuch, 4. Aufl., 2009, S. 782; Braun-Böhm, InsO, § 22 Rz. 14; Kirchhof in: HK-InsO, § 22 Rz. 14; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen, Rz. 14 m. Fn. 5, dort auch weitere Nachweise aus der umfangreichen Rechtsprechung zu § 106 KO. Eine unter Missachtung dieses Grundsatzes vorgenommene Verwertungshandlung ist rechtswirksam. § 159 InsO ist kein Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB. Mit seinem übereilten, der Gläubigerversammlung vorgreifenden Handeln kann der Verwalter allerdings Aufsichtsmaßnahmen bis hin zur Abberufung (§§ 58 ff. InsO) sowie Haftpflicht wegen Verkürzung von Befriedigungschancen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 InsO) auf sich ziehen (Becker, InsR, Rz. 1334) 25) S. auch die Begründung zu § 26 RegE/§ 22 InsO, wonach der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter die ihm eingeräumten Befugnisse zur Vermögenssicherung auszuüben habe (BT-Drucks. 12/2443, S. 117). 26) Pohlmann, Befugnisse und Funktionen, Rz. 388 und 390; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 2; zur Möglichkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters, eine verjährungsbedrohte Forderung in eigenem Namen einzuziehen, s. BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737 = NZI 2012, 365. 27) Wegener in: FK-InsO, § 159 Rz. 3.

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zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung von der dem vorläufigen Verwalter i. R. einer Fortführung gebotenen kaufmännischen Verwaltungstätigkeit als Teil laufender Umsatzgeschäfte zu unterscheiden.28) In der Literatur wurde der Satz geprägt, das für den vorläufigen Insolvenzverwalter geltende Verwertungsverbot erfasse nur Verwertungshandlungen im technischen Sinne.29) Gemeint ist in beiden Fällen dasselbe, nämlich, dass dem vorläufigen Verwalter solche Veräußerungen von Anlage- und Umlaufvermögen erlaubt sein müssen, die sich bei wertender Betrachtung nicht als Maßnahme der Verwertung i. S. der Liquidation des schuldnerischen Unternehmens, sondern als Maßnahme der Betriebsfortführung darstellen. 19 So sinnvoll das Bemühen ist, das in der Konzeption der vorläufigen Insolvenzverwaltung angelegte Spannungsverhältnis durch begriffliche Abgrenzungsarbeit aufzulösen, so klar ist auch, dass allein das Hantieren mit Begriffen das Problem nicht löst, sondern verschärft. Immerhin können allerdings die in der Literatur präsentierten Formulierungen Anhaltspunkte dafür liefern, was noch erlaubte Verwaltungsmaßnahme und was schon verbotene Verwertung ist: Ampferl schreibt, zulässig seien zunächst alle Veräußerungen, die i. R. des „gewöhnlichen Geschäftsbetriebs“ stattfinden (also z. B. Verkäufe von Lagerware oder von nicht mehr im Betrieb benötigtem Anlagevermögen). Außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs seien dagegen nur „kaufmännisch vernünftige Veräußerungen“ zulässig.30) Solche sollen vorliegen, wenn sie entweder der Beschaffung dringend benötigter Liquidität dienen31) oder der Betrieb auch ohne den verkauften Gegenstand aufrechterhalten werden kann32). Kirchhof schlägt für die Unterscheidung zwischen Verwaltungsund Verwertungstätigkeit eine Orientierung an den Grundsätzen der Bruchteils- und Erbengemeinschaft vor.33) Nach Becker soll die subjektive Sicht des Verwalters entscheidend sein, also ob dieser selbst die Maßnahme als Bewirtschaftungsmaßnahme mit dem Nebeneffekt eines Erlöses oder als Maßnahme allein mit dem Zweck der Erlöserzielung ansieht.34) Anders argumentiert Reischl, nach dem es darauf ankommen soll, ob durch die konkrete Maßnahme in die „betriebsnotwendige Substanz“ eingegriffen wird.35) Nach Haarmeyer darf der vorläufige Insolvenzverwalter alle Handlungen vornehmen, „die in einem Schuldnerunternehmen vergleichbaren Umfangs anfallen würden“ und die „ein ordentlicher Kaufmann unter den jeweils gegebenen Umständen zur Unternehmensfortführung vornehmen würde“, also etwa Rohstoffe verarbeiten, Fertigprodukte verkaufen und Forderungen aus dem Erlös zur Masse einziehen.36) Die solchermaßen erlaubte Verwaltung des Schuldnervermögens umfasse ferner dessen Einsatz zur Absicherung nötiger Kredite und eine vermehrte, aber kaufmännisch vertretbare Veräußerung von Umlaufvermögen.37) 20 Über diesen Ansatz hinausgehend würden wir auch die Veräußerung von Teilen des Anlagevermögens für zulässig halten, sofern dem ein schlüssiges betriebswirtschaftliches Konzept über die Verkleinerung des Betriebs (z. B. einer Verminderung der Produktionskapazitäten) oder eine Änderung seines Schwerpunktes (z. B. Einstellung eines verlust___________ 28) BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632. 29) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 493 f.; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76. 30) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 498, 502 f. 31) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 509. 32) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, Rz. 498. 33) Kirchhof, ZInsO 1999, 436. 34) Becker, InsR, Rz. 1326. 35) Reischl, InsR, Rz. 156. 36) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76. 37) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 76.

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bringenden Produktionszweigs oder Aufgabe eines Werkes) zu Grunde liegt. Derartige Veräußerungen bedürfen allerdings als Teil einer grundlegenderen betriebswirtschaftlichen Entscheidung der Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot ist mit Haarmeyer und der h. M. schließlich 21 dann zu machen, wenn entweder Einvernehmen über die Verwertung mit allen Beteiligten besteht, also sowohl mit dem Schuldner als auch mit den Gläubigern und dem Insolvenzgericht, oder wenn nur der Beteiligte und allein Betroffene einer Verwertung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zustimmt.38) Dies folgt unmittelbar aus der doppelten Zweckbindung des Eröffnungsverfahrens, nämlich der Bestandsschutzgarantie und der Werterhaltungskomponente des Sicherungszwecks. Während die Bestandsschutzgarantie dazu dient, dem Schuldner für den Fall der Nichteröffnung des Verfahrens seine Vermögenswerte für eine Fortsetzung des Betriebes nach Möglichkeit zu erhalten, schützt die Werterhaltungskomponente die Gläubiger davor, i. R. des Eröffnungsverfahrens in ihren Befriedigungsaussichten durch nicht optimale oder unzulässige Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters verletzt zu werden.39) 3.

Verwertung belasteter Gegenstände

Die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters erstreckt sich im eröffneten Insol- 22 venzverfahren gemäß §§ 165 – 172 InsO auch auf Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht. Vom Erlös der Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung darf der Verwalter gemäß §§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 InsO grundsätzlich40) 9 % Feststellungs- und Verwertungskosten einbehalten, und diese stehen in vollem Umfang zur Finanzierung der Betriebsfortführung zur Verfügung. Der übrige Verwertungserlös steht zur Finanzierung der Betriebsfortführung dagegen nur in sehr engen Grenzen zur Verfügung, denn er ist gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO unverzüglich an den absonderungsberechtigten Gläubiger auszukehren. Nun heißt, worauf Beck zu Recht hinweist,41) unverzüglich nicht sofort, sondern nur ohne schuldhaftes Zögern. Gleichwohl ist zu empfehlen, den Erlös aus der Verwertung von Absonderungsgut grundsätzlich nicht zur Finanzierung der Betriebsfortführung einzusetzen, denn geht der Erlös verloren, kann die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters die Folge sein.42) Wiederum komplizierter ist die Lage im vorläufigen Insolvenzverfahren. Grundsätzlich 23 gilt für belastete Gegenstände insofern nichts anderes als für unbelastete Gegenstände: Ein vorläufiger Insolvenzverwalter ist zur Verwertung grundsätzlich nicht befugt (siehe oben Rz. 17 f.). Insbesondere verleiht eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO dem vorläufigen Insolvenzverwalter keine Verwertungsbefugnis. Nach dieser Vorschrift kann das Insolvenzgericht zwar anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 InsO erfasst würden, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen, und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind. Nach ganz h. M. verleiht eine solche Anordnung dem Insolvenzverwalter aber lediglich

___________ 38) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 78. 39) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 78. 40) Lagen die tatsächlich entstandenen, für die Verwertung erforderlichen Kosten erheblich niedriger oder erheblich höher, so sind gemäß § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO diese Kosten anzusetzen. 41) Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 40. 42) BGH, Urt. v. 2.12.1993 – IX ZR 241/92, ZIP 1994, 140, dazu EWiR 1994, 229 (Stadler); Andres/Hees, NZI 2011, 881, 884; Pape/Graeber-Gundlach, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3, Rz. 266 – 2 69.

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Teil III Einzelfragen

das Recht zur Nutzung, nicht das Recht zur Verwertung.43) Will der vorläufige Insolvenzverwalter eingezogene Forderungen zur Finanzierung einer Betriebsfortführung einsetzen, bedarf es dazu einer Verwertungsvereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger.44) 24 Wie im Falle unbelasteter Gegenstände, so kann auch im Falle belasteter Gegenstände die Situation eintreten, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ausnahmsweise zur Verwertung berechtigt ist. Ein denkbarer Fall ist der, dass einem mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand Verderb droht. Ist dem so, steht der Verwertungserlös zur Finanzierung der Betriebsfortführung nicht zur Verfügung. § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO betreffend die Festellungs- und Verwertungspauschale ist nicht analog anwendbar. Anderes gilt nur i. R. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO.45) 4.

Insbesondere: Forderungseinzug

25 Für den Einzug von Forderungen gilt grundsätzlich das soeben zur Verwertung von unbelasteten und belasteten Gegenständen der Insolvenzmasse Ausgeführte. Im Detail weist der Einzug von verpfändeten oder zur Sicherheit abgetretenen Forderungen jedoch einige Besonderheiten auf, die eine gesonderte Darstellung rechtfertigen. Darum geht es nun. 26 Im eröffneten Insolvenzverfahren ist beim Einzug von verpfändeten oder zur Sicherheit abgetretenen Forderungen zu unterscheiden: x

Forderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, werden vorbehaltlich der Insolvenzanfechtung von einer vor Insolvenzeröffnung vereinbarten Sicherungsabtretung oder einem vor Insolvenzeröffnung vereinbarten Forderungspfandrecht erfasst. Geht es um eine Forderungsabtretung, so steht das Verwertungsrecht gemäß § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Der Erlös aus dem Einzug der Forderung steht dem Insolvenzverwalter wegen der Verpflichtung zur unverzüglichen Herausgabe nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO wiederum nur in engen Grenzen zur Finanzierung der Betriebsfortführung zur Verfügung (siehe oben Rz. 22). Geht es um ein Forderungspfandrecht, so steht das Verwertungsrecht nach h. M. nicht dem Insolvenzverwalter, sondern dem Pfandgläubiger zu;46) der Erlös aus der Verwertung der Sicherheit steht zur Finanzierung der Betriebsfortführung in diesem Fall überhaupt nicht zur Verfügung.

x

Forderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, werden von einer vor Eröffnung des Insolvenzerfahrens vereinbarten Sicherungszession nicht erfasst (§ 91 Abs. 1 InsO).47) Anders ist nur zu entscheiden, wenn der Insolvenzverwalter selbst eine neue Sicherungszession vornimmt, etwa um einen Massekredit zu besichern (dazu unten Rz. 66 ff.). Tritt dann der Sicherungsfall ein, steht der Erlös aus dem Forderungseinzug dem Sicherungszessionar zu. In allen genannten Fällen gilt, dass

___________ 43) Braun-Böhm, InsO, § 21 Rz. 58 und 61; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 7/2007, § 21 Rz. 40y; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 30 a. E. 44) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 82; Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 3; Nerlich/ Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 226; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d; GottwaldUhlenbruck, InsR-Hdb., § 14 Rz. 103. 45) BGH, Urt. v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42; BGH, Urt. v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40; Büchler in: HambKomm-InsO, § 170 Rz. 12; 46) OLG Jena, Urt. v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550, 552; LG Tübingen, Urt. v. 17.11.2000 – 4 0 233/00, NZI 2001, 263, 264; AG Karlsruhe, Urt. v. 7.2.2008 – 12 C 490/07, ZIP 2009, 143 m. w. N.; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 38; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 15; Kübler/ Prütting/Bork-Flöther, InsO, Stand: 11/2008, § 166 Rz. 9; Landfermann in: HK-InsO, § 166 Rz. 27; Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 166 Rz. 45; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 13; Wegener in: FK-InsO, § 166 Rz. 9. 47) BGH, Urt. v. 22.4.2010 – IX ZR 8/07, NZI 2010, 682, 683 Rz. 9 m. w. N.

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Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger selbstverständlich eine Verwertungsvereinbarung anderen Inhalts schließen können. Was den Forderungseinzug im vorläufigen Insolvenzverfahren angeht, so können hinsicht- 27 lich des Einzugs verpfändeter oder zur Sicherheit abgetretener Forderungen zwei Konstellationen voneinander unterschieden werden: Möglich ist einerseits, dass der Sicherungsgläubiger die dem Schuldner im Sicherungsver- 28 trag erteilte Einziehungsermächtigung nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung widerruft. In diesem Fall ist weiter zu unterscheiden: x

Hat das Gericht eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO getroffen, so kann der Insolvenzverwalter die Forderung einziehen. Wie aus dem Verweis auf §§ 170, 171 InsO folgt, muss er den Erlös allerdings unverzüglich unter Abzug seiner Kostenpauschale an den Sicherungsgläubiger herausgeben.48) Nach dem Willen des Gesetzgebers dürfen Erlöse aus dem Forderungseinzug auf der Grundlage einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO nicht zur Finanzierung der Betriebsfortführung verwendet werden.49) Geschieht dies doch, droht die persönliche Haftung des Verwalters.50) Der Einsatz von Erlösen zur Finanzierung der Betriebsfortführung ist bei einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO nur auf der Grundlage einer Verwertungsvereinbarung möglich.51)

x

Hat das Insolvenzgericht keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO getroffen und zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherheit abgetretene oder verpfändete Forderung ein, so geschieht dies „unberechtigt“ i. S. des § 48 InsO und steht dem Sicherungszessionar ein Ersatzabsonderungsrecht zu.52) In diesem Fall ist der vorläufige Insolvenzverwalter schlecht beraten, wenn er die aus dem Forderungseinzug erzielten Erlöse ohne Verwertungsvereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger für die Finanzierung der Betriebsfortführung verbraucht und deshalb später nicht mehr in der Lage ist, das Ersatzabsonderungsrecht zu bedienen: Er haftet dann persönlich.

Denkbar ist ferner, dass der Sicherungszessionar die Einziehungsermächtigung nicht 29 widerruft. Auch hier ist zu unterscheiden: x

Liegt eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO vor, so gilt das oben Gesagte entsprechend.

Liegt keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO vor, so darf der Insolvenzverwalter die Forderung zwar einziehen. Allerdings muss er den Erlös nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 von der übrigen Masse separieren und unterscheidbar verwahren. Denn das an der zur Sicherheit abgetretenen Forderung bestehende Absonderungsrecht setzt sich kraft dinglicher Surrogation in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO am Erlös fort.53) Zu beachten ist allerdings, dass der BGH die Globalzession in seiner Entscheidung ausdrücklich von dieser Regel ___________

x

48) Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 29; Kuder, ZIP 2007, 1690, 1695; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 7/2007, § 21 Rz. 40y; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 38e. 49) BT-Drucks. 16/3227 S 16; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 38e. 50) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 38e; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j. 51) Flitsch, BB 2006, 1805, 1806; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69j m. w. N. 52) Henkel, NJW 2010, 2590 (Urteilsanm.). 53) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, NZI 2010, 339 = ZIP 2010, 739; zuvor bereits Ganter in: MünchKomm-InsO, § 51 Rz. 181; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rz. 101. A. A. OLG Frankfurt, Urt. v. 6.12.2006 – 23 U 149/05, WM 2007, 1178; Büchler in: HambKomm-InsO, § 48 Rz. 38a; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 54, 109; Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 5 Rz. 107. Henkel weist in seiner Anmerkung zum Urteil des BGH (in NJW 2010, 2590) zu Recht darauf hin, dass auch der BGH zur KO anders entschieden habe: s. BGH, Urt. v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, ZIP 2000, 895.

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Teil III Einzelfragen

ausnimmt.54) Mithin kann der vorläufige Insolvenzverwalter den Erlös aus dem Einzug globalzedierter Forderungen zur Betriebsfortführung einsetzen. Hintergrund dieser Besonderheit dürfte sein, dass der Sicherungszessionar bei der Globalzession durch die im laufenden Geschäftsbetrieb ständig neu entstehenden Forderungen fortlaufend gesichert ist. Der Globalzessionar erleidet durch die Betriebsfortführung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter deshalb keine Vermögenseinbuße. Allerdings dürfte die so erlangte Sicherheit des Globalzessionars eher flüchtig sein, da ihm nach Eröffnung wegen dieser später entstandenen Forderungen die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO droht. Die Entscheidung des BGH ist nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Neben dogmatischen Einwänden wurde ihr entgegengehalten, sie schaffe ein Spannungsverhältnis zur gesetzlichen Fortführungsverpflichtung des vorläufigen Insolvenzverwalters und erschwere die Betriebsfortführung. Als Lösungsmöglichkeit wurde vorgeschlagen, der vorläufige Insolvenzverwalter solle mit dem Sicherungszessionar eine Verwertungsvereinbarung abschließen, nach der der Erlös aus dem Einzug der sog. Altforderungen für die Betriebsfortführung verwendet wird, dem Sicherungszessionar im Gegenzug der Erlös aus den nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung erwirtschafteten sog. Neuforderungen zusteht, die ansonsten nach Anfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO in die freie Masse fallen würden. Unter diesen Voraussetzungen hält Ganter i. R. einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO den Verbrauch des Erlöses aus den abgetretenen Forderungen für zulässig.55) IV.

Finanzierung durch Eigenkapital

1.

Überblick

30 Unter dem Begriff der Eigenfinanzierung (auch Einlagen- oder Beteiligungsfinanzierung genannt) wird eine Reihe von Finanzierungsinstrumenten zusammengefasst, deren übereinstimmendes Charakteristikum ist, dass die vom Kapitalgeber hingegebenen Mittel Bestandteil des Eigenkapitals der Gesellschaft werden. Das Paradigma der Eigenfinanzierung ist die Finanzierung durch die Einlage des Gesellschafters (§ 266 Abs. 3 A. I. HGB). Diese Form der Finanzierung findet obligatorisch bei Gründung der Gesellschaft, später nur noch fakultativ im Wege der Kapitalerhöhung oder des Nachschusses statt. Zur Eigenfinanzierung rechnen ferner die Finanzierung durch Zuzahlungen in die freien Rücklagen56) (§ 266 Abs. 3 A. II. HGB), durch das Stehenlassen von Gewinnen57) (§ 266 Abs. 3 A. III. HGB) und eigenkapitalähnliche Mezzaninfinanzierungen wie die atypische stille Beteiligung (§ 230 HGB)58). Den drei zuletzt genannten Finanzierungsformen kommt im Bereich der Finanzierung der Betriebsfortführung praktisch keine nennenswerte Bedeutung zu. Die Eigenkapitalfinanzierung kann in Abhängigkeit von Rechtsform, Größe und Kapitalbedarf des Unternehmens am oder außerhalb des Kapitalmarktes stattfinden,59) ___________ 54) Wörtlich heißt es in den Entscheidungsgründen (BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, NZI 2010, 339 = ZIP 2010, 739): „Zieht er kraft einer ihm vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung Forderungen ein, die der Schuldner zur Sicherheit abgetreten hatte, hat er – abgesehen von dem Sonderfall einer Globalzession… – den eingezogenen Betrag an den Sicherungsnehmer abzuführen oder ihn jedenfalls unterscheidbar zu verwahren …“. 55) Ganter, NZI 2007, 549, 551 ff. Ganter hat diesen Gedanken nach dem Urteil v. 21.1.2010 (BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, NZI 2010, 339 = ZIP 2010, 739) noch einmal aufgegriffen in NZI 2010, 551, 554. Ihm folgt Henkel, NZI 2010, 2590, 2591 (Urteilsanm.). A. A. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 21 Rz. 38d; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 7/2007, § 21 Rz. 40y; Schröder in: HambKomm-InsO, § 21 Rz. 69d, 69j; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 21 Rz. 165. 56) Knebel/Schmidt, BB 2009, 430, 431, auch zur steuerlichen Behandlung solcher Zahlungen. 57) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 504. 58) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 174. 59) Eingehend Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 60 – 115.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§ 16

wobei die Finanzierung der Betriebsfortführung eines insolventen Unternehmens in der Praxis typischerweise außerhalb des Kapitalmarkts erfolgt. Die Finanzierung des insolventen Unternehmens durch Eigenkapital kommt praktisch 31 nur in Betracht, wenn ein Sanierungskonzept vorliegt.60) Unter anderen Umständen wird ein potentieller Kapitalgeber nicht bereit sein, das mit der Hingabe von Eigenkapital verbundene Risiko des Totalverlusts zu tragen. Konkret kommt eine Finanzierung des insolventen Unternehmens durch Eigenkapital nur in Betracht, wenn es durch einen Insolvenzplan saniert werden soll. Im Falle der übertragenden Sanierung findet zwar auch eine Finanzierung durch Eigenkapital statt – aber nicht der insolventen, sondern der übernehmenden Gesellschaft: Das Akquisitionsvehikel wird mit Eigen- und Fremdkapital ausgestattet, übernimmt im Wege eines Asset Deals das Unternehmen des Schuldners und führt es fort. Weil es sich dabei aber um herkömmliche Akquisitionsfinanzierung ohne insolvenzrechtliche Besonderheiten handelt, ist sie hier nicht von Interesse.61) Im Rahmen eines Insolvenzplans dagegen bleibt der insolvente Unternehmensträger als solcher erhalten und muss mit Kapital und Liquidität ausgestattet werden. Das geschieht in der Regel durch eine Mischung aus Fremd- und Eigenkapital. Vielfach werden die Fremdkapitalgeber es zu einer Bedingung ihrer Zustimmung zum Insolvenzplan machen, dass die Gesellschafter einen eigenen Sanierungsbeitrag in Form der Hingabe neuen Eigenkapitals leisten.62) 2.

Kapitalerhöhung/Nachschüsse

2.1

Grundlagen

Soll der insolvente Unternehmensträger im Wege eines Insolvenzplanverfahrens saniert 32 werden, kommt eine Finanzierung der Betriebsfortführung durch Kapitalerhöhung (bei Kapitalgesellschaften) oder Nachschüsse (bei Personengesellschaften) in Betracht.63) Die Kapitalerhöhung bzw. die Leistung von Nachschüssen kann dabei während des vorläufigen oder des eröffneten Insolvenzverfahrens durchgeführt werden. Sie kann, muss aber nicht mit einer Änderung der Gesellschafterstruktur einhergehen. 2.2

Durchführung

Eine Kapitalerhöhung besteht aus zwei Akten: Dem Kapitalerhöhungsbeschluss und der 33 Leistung der Einlage. Der Kapitalerhöhungsbeschluss64) muss als Satzungsänderung der Anforderungen der §§ 53 f. GmbHG, §§ 182 ff. AktG genügen. Er bedarf einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen, sofern nicht die Satzung andere Mehrheitserfordernisse vorsieht. Sofern neue Gesellschafter aufgenommen werden sollen, ist im Kapitalerhöhungsbeschluss das Bezugsrecht auszuschließen und der/die Übernahmeberechtigte/n zu bestimmen. Für die Bestimmung des/der Übernahmeberechtigten genügt die einfache Mehrheit. Allein durch den Kapitalerhöhungsbeschluss besteht noch keine Pflicht der Gesellschafter, eine neue Einlage zu übernehmen. Eine solche Verpflichtung wird erst durch Abschluss des Übernahmevertrages gemäß § 55 Abs. 1 GmbHG bzw. der Zeichnung der neuen Aktien gemäß § 185 AktG begründet. ___________ 60) H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f., Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 58 und Spindler/StilzServatius, AktG, § 182 Rz. 72 für die Kapitalerhöhung; Vetter in: MünchKomm-GmbHG, Vorb. zu § 58 Rz. 86 a. E. für den Debt-Equity-Swap; umfassend Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503. 61) S. stattdessen Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 248 ff. 62) Michalski-Hermanns, GmbHG, § 55 Rz. 62. 63) H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f.; Kuntz, DStR 2006, 519. 64) Muster: Pfisterer in: Beck‘sches Formularbuch GmbH-Recht, Teil J., Muster I für die GmbH und SillerBauer/Pfisterer in: Beck‘sche Online-Formulare Vertragsrecht, Abschn. 7.9.8.1.1 für die AG.

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§ 16

Teil III Einzelfragen

34 Eine bei Insolvenzeröffnung bereits beschlossene Kapitalerhöhung (was auch den Fall des Beschlusses im vorläufigen Insolvenzverfahren erfasst) kann nach h. M. im eröffneten Insolvenzverfahren zu Ende geführt werden.65) Zwar werden GmbH und AG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Die Organstellung der Gesellschafterversammlung/Hauptversammlung bleibt davon nach h. M. jedoch unberührt. Wird die Kapitalerhöhung durchgeführt, fallen sowohl die Forderungen auf Leistung der Einlage als auch die Einlage selbst als Neuerwerb in die Insolvenzmasse und werden deshalb von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erfasst (§ 35 Abs. 1 i. V. m. § 80 Abs. 1 InsO).66) Dieser zieht die ausstehenden Einlagen ein. Eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 2 GmbHG bedarf es dazu nicht.67) 35 Allerdings steht den Gesellschaftern nach h. M. das Recht zu, die Kapitalerhöhung durch gegenläufige Beschlussfassung abzubrechen und so die Entstehung der Verpflichtung zur Leistung der Einlage zu verhindern.68) Zwar gehören die durch die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister aufschiebend bedingten Forderungen auf Leistung der Einlage der Gesellschaft zur Insolvenzmasse.69) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt aber nicht dazu, dass die Gesellschafter gehindert wären, die von ihnen beschlossene Kapitalerhöhung wieder aufzuheben und damit einen endgültigen Bedingungsausfall herbeizuführen. Alternativ können sie den Geschäftsführer veranlassen, die Anmeldung der Kapitalerhöhung zurückzunehmen.70) Bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister unterliegt die Durchführung der Kapitalerhöhung mithin der Autonomie der Gesellschafter. Gesellschafter, die bei Übernahme der neuen Geschäftsanteile die prekäre Finanzlage der Gesellschaft nicht kannten, können vom Übernahmevertrag unter den Voraussetzungen des § 313 BGB zurücktreten.71) Sofern bereits Einzahlungen erfolgt sind, können diese lediglich aus § 812 Abs. 1 Satz Alt. 1 BGB als einfache Insolvenzforderungen geltend gemacht werden, es sei denn die Einzahlung wurde aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister geleistet.72) 36 Daneben kann eine Kapitalerhöhung nach ganz h. M. auch erst im eröffneten Insolvenzverfahren begonnen werden.73) Auch genehmigte Kapitalien können bei GmbH und AG

___________ 65) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 57 f.; Baumbach/Hueck-Zöllner, GmbHG, § 55 Rz. 5; Ulmer/Habersack/Winter-Ulmer, GmbHG, § 55 Rz. 33 f.; Scholz-Priester, GmbHG, § 55 Rz. 31; Michalski-Hermanns, GmbHG, § 55 Rz. 62; Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 182 Rz. 72; Hüffer, AktG, § 182 Rz. 32; Peifer in: MünchKomm-AktG, § 182 Rz. 78. Für den früheren Zwangsvergleich und eine AG bereits LG Heidelberg, Urt. v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257, 1257 f., dazu EWiR 1988, 945 (Timm). 66) KG, Urt. v. 19.7.1999 – 23 U 3401/97, NZG 2000, 103, 104; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 193; Eickmann in: HK-InsO, § 35 Rz. 18; Müsgen, MittRhNotK 1997, 409, 429; Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, Rz. 613 sowie die in Fn. 65 Genannten; a. A. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 88 f. 67) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 43. 68) Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 59. 69) Dennoch soll es nach Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42 nicht möglich sein, den Abbruch der Kapitalerhöhung nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO anzufechten. 70) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 42. 71) Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 59. 72) Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 43. 73) S. die in Fn. 65 Genannten.

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§ 16

im Insolvenzverfahren neu geschaffen werden.74) Zur Begründung wird ins Feld geführt, dass das Insolvenzverfahren seit Inkrafttreten der InsO nicht mehr nur auf die Liquidation, sondern auch auf die Sanierung des insolventen Unternehmens gerichtet sei, und dieser Zweck die Zulassung von Kapitalmaßnahmen als Sanierungsmaßnahmen erfordere.75) Dass die Kapitalmaßnahme explizit auf dieses Ziel gerichtet ist, ist aber keine Zulässigkeitsvoraussetzung.76) Auch in diesem Fall stellen sowohl die Forderungen auf Leistung der Einlage als auch die Einlage selbst Bestandteile der Insolvenzmasse in Form von Neuerwerb dar und werden deshalb von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erfasst (§ 35 Abs. 1 i. V. m. § 80 Abs. 1 InsO), der die Einlage gegenüber den Gesellschaftern geltend macht.77) Eine Verpflichtung der Gesellschafter, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen, besteht 37 grundsätzlich nicht, weder vor noch nach Insolvenzeröffnung. Im Einzelfall können sie aufgrund der sie treffenden gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht jedoch ausnahmsweise verpflichtet sein, an sanierenden Kapitalmaßnahmen mitzuwirken.78) Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens kann eine Kapitalerhöhung auch gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden (§§ 217, 225a Abs. 2 Satz 3, 245 Abs. 3 InsO).79) 2.3

Vorteile und Risiken

Die Kapitalerhöhung hat den Vorteil einer juristisch simplen Struktur, die zu geringen 38 Kosten und geringer Fehleranfälligkeit führt. Zu den Risiken der Kapitalerhöhung gehört die Differenzhaftung: Werden Einlagen nicht oder nicht vollständig erbracht und scheitert die Sanierung, so wird der Insolvenzverwalter in einer Folgeinsolvenz den noch ausstehenden Teil der Einlagen zzgl. Zinsen einziehen. Dazu gehört auch der Fall, dass die Kapitalerhöhung nicht in bar, sondern mit Sacheinlagen erfolgt und sich herausstellt, dass die Sacheinlagen überbewertet wurden. Für diesen Anspruch haften die Mitgesellschafter nach § 24 GmbHG solidarisch. Ob Kapitalerhöhungen in einer Folgeinsolvenz der Insolvenzanfechtung unterliegen, ist 39 umstritten, nach h. M. aber zu bejahen.80) Dabei muss allerdings bedacht werden, dass sich diese Frage regelmäßig nur im Zusammenhang mit der Insolvenz des an der Kapitalerhöhung teilnehmenden (Neu)Gesellschafters stellt, und auch hier nur, sofern eine Kapitalerhöhung gegen Einlage in Rede steht.81) Denn unabhängig davon, ob die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder aus Einlagen erfolgt, fehlt es auf Ebene der Gesellschaft an einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO). Das liegt auf der Hand, wenn es um eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen geht, denn dann verbessert sich die Situation der Gläubiger. Aber auch die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ver___________ 74) Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, Rz. 614; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 193. Die Ausnutzung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossenen genehmigten Kapitals ist aber mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich (Hirte in: GroßKomm-AktG, § 202 Rz. 205; Lutter in: KölnKomm-AktG, § 202 Rz. 17; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 504 f.). 75) Müsgen, MittRhNotK 1997, 409, 429; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 57. 76) H.-F. Müller, ZGR 2004, 842, 843 f.; Lieder in: MünchKomm-GmbHG, § 55 Rz. 58. 77) S. die in Fn. 65 Genannten. 78) BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289; OLG Celle, Urt. v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, ZIP 2006, 807 = NZG 2006, 225; OLG Celle, Urt. v. 17.8.2005 – 9 U 33/05, NZG 2006, 17; Vetter in: MünchKomm-GmbHG, Vorb. zu § 58 Rz. 68 – 85. 79) Bork/Schäfer-Arnold/Born, GmbHG, § 55 Rz. 44; ausführlich Stöber, ZInsO 2012, 1811. 80) Nachweise zum Meinungsstand bei Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 f. 81) Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 unter 2.

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Teil III Einzelfragen

schlechtert die Zugriffsmöglichkeiten der Gesellschaftsgläubiger regelmäßig nicht, denn es wird lediglich eine Eigenkapitalposition – Gewinnrücklage – in eine andere – gezeichnetes Kapital – umgewandelt. Das gilt auch unter Berücksichtigung der der Gesellschaft regelmäßig auferlegten Kosten der Kapitalerhöhung,82) zumal sich die hierin liegende Gläubigerbenachteiligung einfacher durch eine Insolvenzanfechtung der Zahlung dieser Kosten gegenüber dem Kostengläubiger als durch eine Anfechtung der Kapitalmaßnahme selbst wird neutralisieren lassen. 2.4

Personengesellschaften

40 Auch die Fortführung des Betriebs einer insolventen Personengesellschaft kann durch Erhöhung der Einlagen der Gesellschafter finanziert werden.83) Man spricht allerdings nicht von Kapitalerhöhung, sondern von der Leistung von Nachschüssen. Dazu sind die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich nicht verpflichtet (§ 707 BGB i. V. m. § 105 Abs. 3 HGB).84) Entsprechendes gilt für den Kommanditisten (§ 161 Abs. 2 HGB). Abweichendes kann jedoch im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, und zwar auch und gerade für den Fall einer Insolvenz. Voraussetzung für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist allerdings das Vorliegen eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses, ohne den dem Insolvenzverwalter die Einziehung der Nachschüsse nicht möglich ist.85) Analog dem zu den Kapitalgesellschaften Ausgeführten sind die Gesellschafter nicht gehindert, die Verpflichtung zur Leistung eines Nachschusses durch gegenläufige Beschlussfassung zu verhindern oder sich unter den Voraussetzungen des § 313 BGB von der vertraglichen Vereinbarung über den Nachschuss zu lösen. Im Einzelfall kann der Gesellschafter auch ohne gesellschaftsvertragliche Regelung aufgrund der ihn treffenden Treuepflicht dazu verpflichtet sein, einen Nachschuss zu leisten.86) 3.

Kapitalschnitt

3.1

Grundlagen

41 Auf einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung beruht der sog. Kapitalschnitt.87) Beim Kapitalschnitt handelt es sich um eine Finanzierungsmaßnahme eigener Art, die Elemente der bilanziellen Restrukturierung mit solchen der Eigenkapitalfinanzierung verbindet.88) Ihr Hauptanwendungsgebiet ist die vorinsolvenzliche Sanierung; sie dient dort der Beseitigung der rechnerischen Überschuldung (§ 19 InsO) und der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 bzw. § 18 InsO).89) Sie ist

___________ 82) Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 129, 130 unter 1. 83) K. Schmidt, ZGR 1982, 519; Wilde, NZG 2012, 215; zur steuerlichen Behandlung dieser Finanzierungsform Lüdicke/Sistermann-Häuselmann, Unternehmenssteuerrecht, § 7 Rz. 79 ff. 84) Nerlich/Kreplin-Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 26 Rz. 155; Gottwald-Haas/Vogel, InsR-Hdb., § 94 Rz. 53, beide m. w. N. 85) S. die in Fn. 84 Genannten. 86) S. die in Fn. 78 Genannten. 87) Näher Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210. Muster: Pfisterer in: Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, Teil J., Muster IX. 88) Zu den steuerlichen Auswirkungen Nerlich/Kreplin-Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 9 Rz. 24 und 25. 89) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 m. w. N.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§ 16

darauf aber nicht beschränkt, sondern kann auch i. R. eines eröffneten Insolvenzverfahrens – namentlich eines Insolvenzplanverfahrens90) – durchgeführt werden.91) 3.2

Durchführung

Bei einem Kapitalschnitt wird zunächst eine vereinfachte Kapitalherabsetzung durchge- 42 führt. Die Voraussetzungen und die Durchführung einer vereinfachten (oder nominellen) Kapitalherabsetzung ergeben sich aus §§ 58a ff. GmbHG, §§ 229 ff. AktG. Das Charakteristikum der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist, dass es nicht zur Auszahlung von Gesellschaftsmitteln an die Gesellschafter kommt.92) Bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung wird lediglich das Stamm- bzw. Grundkapital an das noch vorhandene Reinvermögen der Gesellschaft angepasst. Dadurch wird nach außen dokumentiert, dass das ursprüngliche Eigenkapital endgültig nicht mehr an die Gesellschafter zurückbezahlt wird.93) Eine vereinfachte Kapitalherabsetzung ist nur unter besonderen Voraussetzungen zuläs- 43 sig: Sie ist nur zulässig zum Ausgleich von Wertminderungen, zur Deckung sonstiger Verluste oder zur Verschiebung von Kapital in die Kapitalrücklage. Dabei sind die Gewinnrücklage sowie derjenige Teil der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage vorweg aufzulösen, um den diese zusammen über 10 % des nach der Herabsetzung verbleibenden Grundkapitals hinausgehen (§ 58a Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 229 Abs. 2 Satz 1 AktG). Auch darf kein Gewinnvortrag vorhanden sein (§ 58a Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 229 Abs. 2 Satz 2 AktG). Wird Eigenkapital in die Kapitalrücklage eingestellt, so bewirkt die Kapitalherabsetzung eine höhere Liquidität. Die umgeschichteten Mittel können schneller verwendet werden, insbesondere zur Deckung etwaiger Fehlbeträge.94) Bei der AG müssen außerdem weniger Jahresüberschüsse in die gesetzliche Rücklage eingestellt werden (§ 150 Abs. 2 AktG), wodurch kurzfristig Ausschüttungen ermöglicht werden.95) Eine Kapitalherabsetzung kann unter die Grenze des gesetzlichen Mindeststamm- oder -grundkapitals i. H. von 25.000 bzw. 50.000 € (§ 5 Abs. 1 GmbHG, § 7 AktG) bis zu einem Stamm- oder Grundkapital i. H. von 0 € erfolgen, wenn zugleich das Stamm- oder Grundkapital mindestens wieder auf einen Betrag erhöht wird, der dem des Mindestkapitals entspricht (§ 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG). Nach der Kapitalherabsetzung erfolgt eine Kapitalerhöhung. Damit werden neue Ge- 44 schäftsanteile bzw. Aktien geschaffen, die von den bisherigen Gesellschaftern oder Dritten gegen Leistung einer Einlage übernommen werden können. Soweit das Stamm- oder Grundkapital unter den Mindestnennbetrag herabgesetzt wurde, ist eine damit verbundene Kapitalerhöhung nur gegen Bareinlage zulässig. Insbesondere eine Sachkapitalerhöhung, eine bedingte Kapitalerhöhung, eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und die Ausnutzung genehmigten Kapitals scheiden aus.96) Wird allerdings die Mindestgrenze des § 5 Abs. 1 GmbHG, § 7 AktG durch eine Barkapitalerhöhung erreicht, sind darüber ___________ 90) Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 505 – 510; Decher/Voland, ZIP 2013, 103. 91) BGH, Urt. v. 9.2.1998 – II ZR 278/96 (Sachsenmilch), NJW 1998, 2054 betraf den Fall einer vereinfachten Kapitalherabsetzung im Insolvenzverfahren. Der Entscheidung kann entnommen werden, dass der BGH einen Kapitalschnitt (zu dem es damals letztendlich nicht kam) in einem Insolvenzverfahren grundsätzlich für zulässig hält. Zu dieser Entscheidung Weber, DStR 2010, 702. 92) Zur steuerlichen Behandlung der zu Sanierungszwecken vorgenommenen Kapitalherabsetzung s. Budde/ Förschle/Winkeljohann-Förschle/Heinz, Sonderbilanzen, Teil Q., Rz. 301 – 304. 93) Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 145. 94) Hommel/Knecht/Wohlenberg-Reger, Hdb. Unternehmensrestrukturierung, S. 810. 95) Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211. 96) Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211; Oechsler in: MünchKomm-AktG § 228 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 228 Rz. 2; Bürgers/Körber-Becker, AktG, § 228 Rz. 4.

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Teil III Einzelfragen

hinaus im selben Kapitalerhöhungsbeschluss auch Sacheinlagen festsetzbar.97) Das allgemeine Bezugsrecht der Altgesellschafter (gemäß oder analog98) § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG) besteht auch bei einem Kapitalschnitt auf null, auch wenn sie für eine juristische Sekunde durch die Kapitalherabsetzung ihre Gesellschafterstellung verlieren.99) Das Bezugsrecht kann ausgeschlossen werden.100) 3.3

Vorteile und Risiken

45 Der Vorteil des Kapitalschnitts ist seine juristisch simple Struktur, die geringe Kosten und geringe Fehleranfälligkeit zur Folge hat. Weil der Kapitalschnitt eine Kapitalerhöhung enthält, ist er mit den diesem Finanzierungsinstrument immanenten Risiken verbunden, also dem Risiko der Differenzhaftung und dem Risiko der Insolvenzanfechtung in einer Folgeinsolvenz (siehe oben bei Rz. 39 und in Fn. 80). Die Kapitalherabsetzung ist – anders als die Kapitalerhöhung – jedenfalls dann nicht mehr anfechtbar, wenn sie in das Handelsregister eingetragen ist. Ab diesem Zeitpunkt geht der Bestandsschutz der jeweiligen Maßnahmen im Interesse des Rechtsverkehrs dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung vor. Die Interessen der hiervon nachteilig betroffenen Insolvenzgläubiger werden durch die Vorschriften des Gesellschaftsrechts hinreichend geschützt.101) 3.4

Personengesellschaften

46 Das Recht der Personengesellschaften kennt den Kapitalschnitt als solchen genauso wenig wie es Kapitalherabsetzungen oder -erhöhungen kennt. Dennoch werden die Grundsätze des Kapitalschnitts sinngemäß auf Personengesellschaften übertragen. Dies geschieht, indem zunächst die Anpassung der Kapitalkonten der Gesellschafter an das Reinvermögen der Gesellschaft und sodann ein Nachschuss beschlossen werden. Der BGH hatte eine solche Sanierungsmaßnahme in seiner Entscheidung vom 19.10.2009102) zu beurteilen und hielt sie dort für zulässig. 4.

Debt-Equity-Swap

4.1

Grundlagen

47 Eine Weiterentwicklung des Kapitalschnitts ist der sog. Debt-Equity-Swap.103) Wie der Kapitalschnitt, so ist auch der Debt-Equity-Swap eine Finanzierungsmaßnahme eigener Art, die Elemente der bilanziellen Restrukturierung und der Eigenkapitalfinanzierung verbindet.104) Daneben stellt der Debt-Equity-Swap ein Akquisitionsinstrument dar, mit dem Unternehmensbeteiligungen erworben werden können.105) Wie der Kapitalschnitt, so beruht auch der Debt-Equity-Swap typischerweise auf einer Kombination von vereinfachter

___________ 97) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 228 Rz. 7; Spindler/Stilz-Marsch-Barner, AktG, § 228 Rz. 5. 98) Eine dem § 182 AktG entsprechende Regelung fehlt im Recht der GmbH; die Vorschrift wird nach h. M. (w. N. bei Seibt in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 2 Rz. 71 m. Fn. 159) dort analog angewendet. 99) Krieger, ZGR 2000, 885, 898. 100) Näher Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1211 unter b). 101) Näher Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 595, 598. 102) BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289. 103) Muster: Meyer-Landrut, Formularbuch GmbH-Recht, Teil F. 104) Zur steuerlichen Behandlung Born, BB 2009, 1730 und Beyer, DStR 2012, 2199. 105) Zu diesem Aspekt Redeker, BB 2007, 673. Zu den Vorteilen des Debt-Equity-Swap als Akquisitionsinstrument gegenüber der übertragenden Sanierung Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817.

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§ 16

Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung.106) Anders als beim Kapitalschnitt ist das Hauptanwendungsgebiet des Debt-Equity-Swap tatsächlich aber das eröffnete Insolvenzverfahren. Dort dient er – typischerweise i. R. eines Insolvenzplanverfahrens107) – der Sanierung des Unternehmens. Aufgrund seiner Bedeutung hat er für das Insolvenzplanverfahren in § 225a Abs. 2 InsO und für die Reorganisation von Banken in § 9 KredReorgG eine – wenn auch fragmentarische – gesetzliche Regelung erfahren. 4.2

Durchführung

Ein Debt-Equity-Swap ist die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital durch 48 eine Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung und Sachkapitalerhöhung. Dieses Verständnis des Debt-Equity-Swap liegt auch § 225a Abs. 2 InsO zu Grunde, der in Satz 3 ausdrücklich auf die Kombination der beiden Kapitalmaßnahmen verweist. Das Element der vereinfachten Kapitalherabsetzung dient beim Debt-Equity-Swap nicht nur der bilanziellen Neutralisierung aufgelaufener Verluste, sondern es dient – der Natur des DebtEquity-Swap als Akquisitionsinstrument Rechnung tragend – der Vermeidung einer Verwässerung der Anteile der Altgesellschafter.108) Wegen der Voraussetzungen und Formalia der Durchführung der vereinfachten Kapitalherabsetzung wird auf die Ausführungen zum Kapitalschnitt verwiesen (oben Rz. 42 ff.). Im Rahmen der anschließenden Sachkapitalerhöhung gegen Ausgabe neuer Anteile werden 49 Forderungen gegen die Gesellschaft im Wege der Sachkapitalerhöhung in die Gesellschaft eingebracht (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO). Die Forderungen gegen die Gesellschaft erlöschen durch Konfusion. Die Bezugsrechte der Altgesellschafter werden typischerweise ausgeschlossen (vgl. erneut § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO).109) Zur Durchführung des DebtEquity-Swap sind mithin ein Sachkapitalerhöhungsbeschluss110) sowie ein Prüfungsbericht, in dem die Werthaltigkeit der Forderung nachgewiesen wird, erforderlich (§§ 5 Abs. 4, 19 Abs. 2 Satz 2, 56 GmbHG).111) Dabei ist als Wert der Betrag zu Grunde zu legen, den der Forderungsinhaber auf seine Forderung in der Liquidation zum Einbringungsstichtag oder i. R. eines Insolvenzverfahrens erhalten würde. Eine Einbringung der Forderung zum Nennwert kann daher nur erfolgen, wenn der Anspruch fällig, liquide und vollwertig ist. Da sich die GmbH aber in einer Krise befindet, wird der tatsächliche Wert der Forderung regelmäßig nicht mehr ihrem Nennwert entsprechen.112) Soll der Debt-Equity-Swap i. R. des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans beschlossen 50 werden, ergeben sich hinsichtlich der Zuständigkeiten Abweichungen.113) Anders als sonst ist dann nämlich nicht mehr die Gesellschafterversammlung für den Beschluss über die Kapitalherabsetzung und -erhöhung zuständig, sondern die Beteiligtenversammlung, die über den Insolvenzplan abstimmt. Das hat zur Folge, dass gesonderte Beschlüsse der Haupt- oder Gesellschafterversammlung über Kapitalherabsetzung und -erhöhung nicht ___________ 106) Alternativ können bereits bestehende Anteile von Altgesellschaftern erworben und als Gegenleistung Forderungen gegen die Gesellschaft erlassen werden. Zu Struktur des Debt-Equity-Swap Wansleben, WM 2012, 2083 (der selbst für ein anderes Verständnis plädiert) oder – kürzer – Eilers, GWR 2009, 3 sowie Braun-Frank, InsO, § 225a Rz. 7. 107) Dazu H. F. Müller, KTS 1012, 419, 441 und Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 510 – 512. 108) Gottwald-Drukarczyk/Brüchner, InsR-Hdb., § 3 Rz. 69. 109) Ausführlich zum Bezugsrechtsausschluss H. F. Müller, KTS 2012, 419, 440. 110) Zur Verpflichtung der Altgesellschafter zur Mitwirkung an Debt-Equity-Swaps aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Redeker BB 2007, 673, 675 f. 111) Aus diesem Grund für ein Alternativmodell streitend Wansleben, WM 2012, 2083. 112) Zur Frage der Bewertung Altmeppen in: FS Hommelhoff, S. 10 – 16 m. w. N. sowie Römermann, GmbHR 2013, 337, 343 f. 113) Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 f.

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erforderlich sind.114) Der Debt-Equity-Swap kann i. R. eines Insolvenzplanverfahrens sogar gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden.115) Die Handelsregistereintragung bleibt jedoch auch bei der Einbettung des Debt-Equity-Swap in einen Insolvenzplan erforderlich.116) 4.3

Vorteile und Risiken

51 Der Vorteil des Debt-Equity-Swap ist, dass er die Eigenschaften eines Akquisitions- mit denen eines Sanierungsinstruments verbindet: Er dient zwei Zwecken. 52 Die Nachteile des Debt-Equity-Swap sind seine juristische Komplexität und die hierdurch versursachten Kosten. Ferner ist der Debt-Equity-Swap mit einer Reihe juristischer Risiken behaftet, die sich, scheitert die Sanierung, in einem Folgeinsolvenzverfahren verwirklichen.117) Dazu gehört zunächst – wie bei Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt – die Differenzhaftung (auch in Form der Solidarhaftung nach § 24 GmbHG), die beim DebtEquity-Swap namentlich dann droht, wenn die eingebrachten Forderungen zu hoch bewertet wurden.118) Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und es – allerdings nur für den Debt-Equity-Swap i. R. eines Insolvenzplans – in § 254 Abs. 4 InsO einer Lösung zugeführt. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner – und damit auch der Insolvenzverwalter in einem Folgeinsolvenzverfahren – nach der gerichtlichen Bestätigung des Plans keine Ansprüche gegen den bisherigen Gläubiger wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan geltend machen.119) 53 Der Anteilserwerb kann im Falle des Scheiterns der Sanierung i. R. der Folgeinsolvenz ferner dazu führen, dass die verbleibenden Restforderungen nur noch als nachrangige Insolvenzforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltend gemacht und dass Rückzahlungen auf die Forderungen nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten werden können. Der ehemalige Fremdkapitalgeber ist ja nun Gesellschafter und unterliegt mit seinen verbleibenden Fremdkapitalforderungen dem für Gesellschafterdarlehen geltenden Rechtsregime.120) 54 Abgesehen von diesem Sonderfall wird das Anfechtungsrisiko bei einem Debt-EquitySwap als gering angesehen: Wirsch121) hat dargelegt, dass es für eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen fehlt, und zwar unabhängig davon, ob die eingebrachten Forderungen vor Einbringung bereits den Charakter einer Forderung auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens i. S. des § 39 Abs. 1 ___________ 114) 115) 116) 117)

118) 119) 120)

121)

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Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 – für den Kapitalerhöhungsbeschluss. Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1818. Stöber, ZInsO 2012, 1811, 1817 m. w. N. Als Alternativen zum Debt-Equity-Swap werden in der Literatur (neben Kapitalerhöhung und Kapitalschnitt) die atypische stille Beteiligung und die Ausgabe von Genussscheinen (Nerlich/Kreplin-Nerlich/ Rhode, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 4 Rz. 250 und 251; zu diesen Instrumenten Wöhe/ Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 313) genannt. Sie sollen angeblich kostengünstiger sein (u. E. sehr zweifelhaft), haben geringere Publizität, sind schneller durchzuführen und leichter rückgängig zu machen. Sie können beide so ausgestaltet werden, dass die Leistungen haftendes Eigenkapital werden und damit eine Überschuldung mindern bzw. beseitigen können. Allerdings besteht auch bei stillen Gesellschaftern und Genussrechtsinhabern das Risiko, dass sie den Regeln über Gesellschafterdarlehen unterfallen. Ferner stellt sich die Frage, ob die Grundsätze über die Einbringung von Sacheinlagen anzuwenden sind. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 84. Kritisch Braun-Frank, InsO, § 225a Rz. 10 und Römermann, GmbHR 2013, 337, 344. Gehrlein, NZI 2012, 257; Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 146; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 449. Dieses Risiko kann vermieden werden, wenn der Inferent seine sämtlichen Forderungen gegen die Gesellschaft in Eigenkapital umwandelt. Wirsch, NZG 2010, 1131, 1132 ff.; ebenso H. F. Müller, KTS 2012, 419, 449.

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Die Finanzierung der Betriebsfortführung

§ 16

Nr. 5 InsO hatten. Bauer/Dimmling122) weisen darauf hin, dass der Debt-Equity-Swap nach Ansicht des Gesetzgebers dem Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO unterfällt. Für Debt-Equity-Swaps im Anwendungsbereich des KredReorgG ist die Anfechtung durch dessen § 9 Abs. 3 ausdrücklich ausgeschlossen worden.123) Hölzle schließlich hat mit überzeugenden Gründen dargelegt, dass eine Haftung unter 55 dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Neugründung beim Debt-Equity-Swap nicht in Betracht kommt.124) 4.4

Personengesellschaften

Der Debt-Equity-Swap ist grundsätzlich auch bei Personengesellschaften denkbar. Er wird, 56 weil Neugesellschafter für die vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten haften, in der Situation einer Insolvenz aber kaum je eine Alternative darstellen. Ein zusätzliches Risiko ergibt sich auch bei Personengesellschaften aus der Überbewertung des umgewandelten Fremdkapitals. Das Personengesellschaftsrecht kennt zwar keine Differenzhaftung nach dem Vorbild des Kapitalgesellschaftsrechts. Dennoch kann sich auch hier bei Scheitern der Sanierung in einer Folgeinsolvenz das Problem ergeben, dass die eingebrachten Forderungen zu hoch bewertet wurden und der Insolvenzverwalter deshalb den noch ausstehenden Teil der Einlage fordern kann. Erfolgt der Debt-Equity-Swap i. R. eines Insolvenzplans, ist § 254 Abs. 4 InsO zumindest analog125) anzuwenden. V.

Finanzierung durch Fremdkapital

1.

Überblick

Unter der Überschrift Fremdfinanzierung werden die Finanzierungsinstrumente zusammen- 57 gefasst, die zu einer Erhöhung des Fremdkapitals der Gesellschaft führen (§ 266 Abs. 3 C. HGB). Das sind die Darlehen i. S. des § 488 BGB und die darlehensähnlichen Geschäfte. Bei den Darlehen werden üblicherweise die langfristigen Darlehen von den kurzfristigen Darlehen unterschieden, wobei die Grenze bei einer Laufzeit von einem Jahr verläuft. Darlehensähnliche Geschäfte sind das Factoring, das Leasing und die Verbriefung von Forderungen (sog. Asset Backed Securitization). Nicht alle dieser Finanzierungsformen spielen im Bereich der Finanzierung der Betriebsfortführung eine Rolle. Namentlich die kapitalmarktgebundenen Finanzierungsformen (wie die Anleihe, der Genussschein oder die Verbriefung von Forderungen) spielen hier keine Rolle, ganz ähnlich, wie dies schon im Bereich der Eigenfinanzierung zu beobachten war. Eine große Rolle spielen dagegen das Massedarlehen und das Gesellschafterdarlehen als Formen langfristiger und das Kontokorrentdarlehen sowie der Handelskredit als Form kurzfristiger Darlehensfinan___________ 122) Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. Die Rolle des Sanierungsprivilegs bei Debt-Equity-Swaps behandelt ausführlich Gehrlein, NZI 2012, 257, 261. Auch er ist (bei Fn. 23) der Auffassung, dass das Sanierungsprivileg Anwendung finde. 123) Die Vorschrift ist rechtssystematisch nicht recht greifbar: Einerseits scheint ihr die Vorstellung zu Grunde zu liegen, ein Debt-Equity-Swap könne angefochten werden, denn sonst hätte es ihrer nicht bedurft. Dann aber muss man die Frage stellen, ob die Vorschrift auf Debt-Equity-Swaps außerhalb des KredReorgG – z. B. i. R. des § 225a InsO – nicht analog angewendet werden kann. Dagegen spricht, dass die Vorschrift eine Sonderregelung zu sein scheint, die keinen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, sondern alleine der Begünstigung der dort genannten Institutionen dient. 124) Hölzle in: Kübler, HRI, § 31 Rz. 55 ff. 125) Die Vorschrift schließt ihrem (auf Kapitalgesellschaften zugeschnittenen) Wortlaut nach nur Forderungen des Schuldners aus. Ansprüche, die sich aus einer Überbewertung der umgewandelten Forderungen ergeben, können bei Personengesellschaften aber nicht nur von dieser selbst (dem Schuldner), sondern im Wege der actio pro socio auch von Mitgesellschaftern geltend gemacht werden. Diesen Fall erfasst § 254 Abs. 4 InsO zwar nicht nach seinem Wortlaut, wohl aber nach seiner Ratio, weshalb er analog angewendet werden sollte (Braun-Frank, InsO, § 225a Rz. 11 und 12).

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§ 16

Teil III Einzelfragen

zierung. Bei größeren Fortführungszeiträumen können diese Instrumente ergänzt werden durch die Kreditsubstitute des Factoring und des Leasing. 2.

Langfristige Kreditfinanzierung

2.1

Massedarlehen

58 Der Begriff des Massedarlehens ist kein Begriff der Gesetzessprache, sondern ein in Wissenschaft und Praxis verwendeter Kunstbegriff. Er bezeichnet üblicherweise das Darlehen einer Bank, dessen Zweck die Finanzierung der Betriebsfortführung während des vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahrens ist.126) 59 Wer Vertragspartner der Bank ist, hängt davon ab, in welcher Phase des Insolvenzverfahrens das Darlehen gewährt wird. Wird es im eröffneten Insolvenzverfahren gewährt, ist Vertragspartner der Insolvenzverwalter. Der Schuldner selbst ist im eröffneten Verfahren nur dann Vertragspartner, wenn Eigenverwaltung (§ 270 InsO) angeordnet ist. Wird das Massedarlehen – wie typischerweise – schon im vorläufigen Insolvenzverfahren gewährt, kommt es für die Frage des Vertragspartners darauf an, ob ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde und wenn ja, mit welchen Befugnissen er ausgestattet wurde: Wurde kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ist Vertragspartner der Schuldner. Gleiches gilt im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO).127) Wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und gleichzeitig ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 i. V. m. § 22 Abs. 2 InsO), so ist Vertragspartner ebenfalls der Schuldner; die Aufnahme des Darlehens bedarf zu ihrer Wirksamkeit dann allerdings der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und diesem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), ist Vertragspartner der vorläufige Insolvenzverwalter. 60 Das Kernproblem des Massedarlehens ist die Sicherstellung des Rückzahlungsanspruches.128) Das Problem liegt in den – typischen – Fällen klar zu Tage, in denen das Darlehen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens gewährt wird. Liegt nicht ausnahmsweise der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter vor (dann § 55 Abs. 2 InsO), ist der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO,129) die nur mit der Insolvenzquote, schlimmstenfalls also gar nicht bedient wird. Die Praxis hat deshalb verschiedene Modelle entwickelt, wie der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gesichert werden kann. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Begründung der persönlichen Haftung des Verwalters und die Besicherung des Massedarlehens durch neue Real- oder Personalsicherheiten. 61 Die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters kann über die Vorschrift des § 61 InsO erschlossen werden. Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger nach Satz 1 dieser Vorschrift zum Schadenersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit ___________ 126) So – mit Unterschieden im Detail – Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 47; Haarmeyer/ Wutzke/Förster, Hdb. vorl. Insolvenzverwaltung, Kap. 3, Rz. 376; Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. Muster: Mohrbutter/Ringstmeier-Voigt-Salus, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 22 Rz. 148; Haarmeyer/ Pape/Stephan/Nickel, Formularbuch Insolvenzrecht, Muster 68; Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 191; Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559, 560 f. 127) Dazu Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862; Wuschek, InsbürO 2012, 456, 459. 128) Strotmann/Tetzlaff, ZInsO 2011, 559 und Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 156 – 190. 129) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 47; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. vorl. Insolvenzverwaltung, Kap. 3, Rz. 444; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 22 Rz. 221.

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nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Daraus folgt, dass die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn ein während des eröffneten Insolvenzverfahrens aufgenommenes Massedarlehen nicht zurückbezahlt werden kann. Denn der Insolvenzverwalter begründet, nimmt er während des eröffneten Verfahrens ein solches Darlehen auf, eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Dasselbe gilt im vorläufigen Insolvenzverfahren, wenn das Massedarlehen von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) aufgenommen wird. Denn auch der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter begründet durch sein Handeln Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 InsO). Bedenkt man nun, dass einerseits die Aufnahme eines Massedarlehens typischerweise be- 62 reits im vorläufigen Insolvenzverfahren erforderlich ist, dass andererseits die Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nach wie vor die Ausnahme ist,130) wird klar, dass § 61 InsO im Regelfall schon aus strukturellen Gründen nicht dazu geeignet ist, den Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens sicherzustellen. Denn ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 i. V. m. § 22 Abs. 2 InsO) begründet keine Masseverbindlichkeiten; § 55 Abs. 2 InsO ist nicht analog anwendbar.131) Die Praxis hat deshalb das Modell der sog. Einzelermächtigung geschaffen: Dabei wird dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter durch gerichtlichen Beschluss die Befugnis verliehen, selbst ein Massedarlehen aufzunehmen. Dadurch wird der Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens in den Stand einer Masseverbindlichkeit erhoben.132) Keine Strategie der Sicherstellung des Darlehensrückzahlungsanspruchs ist die Erklärung 63 des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, dass das Darlehen aus der Insolvenzmasse zurückgeführt werden wird (sog. Zahlungszusage). Zwar liegen zwei oberlandesgerichtliche Urteile vor, nach denen der Verstoß gegen eine solche Zahlungszusage die persönliche Haftung des Verwalters begründet: Das OLG Celle meint, dass die Aussage, die Zahlung durch das Insolvenzsonderkonto sei sichergestellt, einen Garantievertrag begründe;133) das OLG Schleswig ist der Ansicht, dass der vorläufige Verwalter sich in diesem Fall einer Haftung aus culpa in contrahendo aussetze.134) Eine solche Zahlungszusage ist nach h. M. aber unzulässig, weil der „schwache“ vorläufige 64 Insolvenzverwalter, gibt er eine solche Zusage, die ihm durch die InsO verliehenen Kompetenzen überschreitet.135) Dass derartiges Verwalterhandeln nicht die Grundlage einer Strategie zur Sicherstellung des Anspruchs auf Rückzahlung eines Massedarlehens sein kann, bedarf keiner näheren Darlegung. Im Schutzschirmverfahren kann das Gericht gemäß § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO anord- 65 nen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet; § 55 Abs. 2 InsO ist im Falle einer solchen Anordnung entsprechend anwendbar.136) Die Vorschrift könnte es ihrer

___________ 130) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. 131) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 LS 2; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 93 m. w. N. 132) Grundlegend BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 m. Besprechung Prütting/ tickelbrock, ZIP 2002, 1608. S. ferner Laroche, NZI 2010, 965. 133) OLG Celle, Urt. v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89, dazu EWiR 2004, 445 (Undritz). 134) OLG Schleswig, Urt. v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92, dazu EWiR 2004, 393 (Undritz). 135) AG Hamburg, Beschl. v. 16.12.2002 – 67g IN 419/02 (UfA), NZI 2003, 153, 154 = ZIP 2003, 43; Undritz, NZI 2003, 136, 139; Pape, ZIP 2002, 2277, 2285 ff.; Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845, 848 f. 136) Zu dieser Vorschrift und ihrem Verhältnis zu § 270a InsO Undritz, BB 2012, 1551.

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Konzeption nach dem Schuldner ermöglichen, Massedarlehen aufzunehmen.137) Bei näherer Betrachtung erweist sich die Vorschrift allerdings als für diesen Zweck unzulänglich: Im Falle der Einzelermächtigung und der dadurch geschaffenen Möglichkeit, Masseverbindlichkeiten zu begründen, ist es die Vorschrift des § 61 InsO, die der Sicherstellung des Anspruchs auf Rückzahlung des Massedarlehens Substanz und Kredibilität verleiht. § 270b Abs. 3 InsO kennt eine solche komplementäre Haftungsvorschrift aber nicht, so dass der potentielle Darlehensgeber im Hinblick auf das Risiko der Masseunzulänglichkeit jedenfalls dann ungesichert ist, wenn für das Darlehen keine Real- oder Personalsicherheiten bestellt werden.138) Dieses Risiko zu tragen, wird er nicht bereit sein. 66 Das Massedarlehen kann durch die Bestellung von Realsicherheiten am beweglichen und unbeweglichen Vermögen des Schuldners gesichert werden, also durch Fahrnispfandrechte, Sicherungsübereignungen und -abtretungen oder Grundpfandrechte. Geschieht dies, steht dem Darlehensgeber in der späteren Insolvenz des Schuldners ein Absonderungsrecht i. S. der §§ 49 ff. InsO zu. Die Schwierigkeit der Besicherung eines Massedarlehens durch Realsicherheiten besteht darin, dass zum Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags das Vermögen des Schuldners in der Regel wertausschöpfend belastet ist – wäre dem anders, hätte er selbst noch Kredit bekommen und hätte kein Insolvenzantrag gestellt werden müssen. Faktisch steht zur Besicherung des Massekredits in der Regel deshalb nur die Wertschöpfung ab Insolvenzantrag zur Verfügung.139) 67 Die mit der Bestellung von Realsicherheiten verbundenen rechtlichen Risiken sind moderat.140) Auch der personengleiche Insolvenzverwalter ist zwar grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm zur Absicherung eines vorinsolvenzlich aufgenommenen Darlehens bestellten Sicherheiten anzufechten. Maßnahmen während einer Betriebsfortführung bilden hier keine Ausnahme.141) Tatsächlich dürfte eine Anfechtung jedoch kaum je in Betracht kommen. Das solchermaßen begründete Absonderungsrecht ist nämlich dann nicht anfechtbar, wenn die Voraussetzungen eines Bargeschäfts nach § 142 InsO vorliegen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn keine Übersicherung vorliegt142) und die Besicherung in dem von § 142 InsO geforderten engen zeitlichen Zusammenhang zu Auszahlung des Darlehens steht. § 142 InsO ist nicht anwendbar, wenn ein Fall der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung i. S. des § 133 InsO vorliegt. Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn der Schuldner im Zustand eigener, erkannter (drohender) Zahlungsunfähigkeit an einen Dritten (nicht notwendigerweise einen Insolvenzgläubiger) eine Leistung erbringt und dieser Dritte zum nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt weiß, dass der Schuldner zahlungsunfähig war oder zumindest drohte, zahlungsunfähig zu werden (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO).143) Beide Voraussetzungen können bei Vergabe eines Massekredits leicht vorliegen.144) Besonde___________ 137) Dass dies im Schutzschirmverfahren überhaupt erforderlich werden kann, bestreiten wegen des vorverlegten Antragszeitpunktes Richter/Pernegger, BB 2011, 876, 878. 138) K. Schmidt-Undritz, InsO, § 270b Rz. 11. 139) Zur Abtretung von Anfechtungsansprüchen: Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 173 f. Diese sind nach neuester Ansicht des BGH abtretbar und können daher als Sicherungsmittel eingesetzt werden. 140) Vgl. dazu Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 57 ff. 141) BGH, Urt. v. 30.1.1986 – IX ZR 79/85, ZIP 1986, 448, dazu EWiR 1986, 387 (Kilger); BGH, Urt. v. 22.12.1982 – VIII ZR 214/81, ZIP 1983, 191; BGH, Urt. v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, ZIP 1992, 1005, dazu EWiR 1992, 807 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 29.9.1988 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411, dazu EWiR 1988, 1113 (Lüke). 142) Dazu Palandt-Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 97. 143) BGH, Urt. v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261, Rz. 14, 18; BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190, Rz. 32; BGH, Urt. v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841, Rz. 19. 144) Zu optimistisch daher Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 51.

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re Sorgfalt sollte deshalb darauf verwandt werden, die Voraussetzungen des sog. Sanierungseinwandes herbeizuführen und zu dokumentieren.145) Verwertet der Insolvenzverwalter die dem Absonderungsrecht unterliegenden Gegenstände, 68 so steht ihm die Feststellungs- und Verwertungspauschale nach § 171 InsO zu, im gesetzlichen Regelfall also 9 % des Verwertungserlöses. Ein sorgfältig formulierter Massedarlehensvertrag enthält deshalb Regelungen dazu, wem die Verwertung der Sicherheiten zusteht und, wird sie dem Insolvenzverwalter zugewiesen, welche Erlösbeteiligung der Insolvenzmasse insofern zusteht. In der Praxis haben sich – in Abhängigkeit von der Verhandlungsposition der Parteien – Prozentsätze zwischen 3 % und 5 % eingebürgert, wobei gilt, dass der Massebeitrag umso kleiner ausfällt, je größer das Volumen der Sicherheitenverwertung insgesamt ist. Schließlich kommt die Bestellung von Personalsicherheiten in Betracht, also Bürgschaften, 69 Garantien und Schuldbeitritte. Als Sicherungsgeber kommen grundsätzlich alle Personen ausreichender Bonität in Betracht, mit Ausnahme des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Die Übernahme einer persönlichen Garantie bzw. einer persönlichen Bürgschaft des (vorläufigen) Insolvenzverwalters kommt nicht in Betracht, weil er Treuhänder fremden Vermögens ist. Er darf keinerlei Eigeninteresse haben; würde er eine persönliche Garantie oder Bürgschaft übernehmen, wäre er ab sofort in seinen Entscheidungen nicht mehr frei; er würde seine Entscheidungen unter Haftungsvermeidungsaspekten treffen.146) Zum anderen sagt bereits das bürgerliche Recht, dass der Insolvenzverwalter keinerlei Eigengeschäft mit der Insolvenzmasse vornehmen darf. § 450 Abs. 2 BGB verbietet Erwerbsgeschäfte mit der Insolvenzmasse. § 181 BGB verbietet ein Selbstkontrahieren. Die Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie gegenüber dem Kreditinstitut geht jedoch mit dem gleichzeitigen Abschluss eines Auftrages oder Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem Hauptschuldner, der Masse, einher.147) Die Gesellschafter dürften wegen des aus § 135 Abs. 2 InsO folgenden Anfechtungsrisikos 70 in einer Folgeinsolvenz nur dann als Sicherungsgeber in Betracht kommen, wenn sie in den Genuss entweder des Sanierungs- oder des Kleinbeteiligungsprivilegs kommen (§ 39 Abs. 4 Satz 2 bzw. Abs. 5 InsO). Wird das Darlehen im vorläufigen Insolvenzverfahren gewährt, so wird seine Laufzeit typi- 71 scherweise auf die prognostizierte Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens – typischerweise drei Monate (§ 183 Abs 1 SGB III) – begrenzt.148) Kommt es zur Verfahrenseröffnung, wäre entweder der Massekredit zurückzuführen oder aber eine Anschlussvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter zu treffen. Wird die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt, muss das Darlehen zurückgeführt oder die Sicherheiten verwertet werden. Neben allgemeinen verhaltens- oder erfolgsbedingten vertraglichen Kündigungstatbeständen, also z. B. die Erfüllung bestimmter wirtschaftlicher Voraussetzungen oder Planzahlen, ist vor allem darauf zu achten, auch drohende insolvenzspezifische Ereignisse zu erfassen. Dies bedeutet zum einen, dass ein Kündigungsrecht sowohl für die Fälle vorbehalten ___________ 145) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137 m. w. N. in Rz. 11. Ein erfolgversprechender, den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ausschließender Sanierungsversuch kann nach dieser Entscheidung gegeben sein, wenn Vereinbarungen mit einzelnen Gläubigern dem Schuldner neue Liquidität verschaffen sollen, mittels der er die übrigen Gläubiger befriedigen kann. Ob diese Voraussetzung ohne Modifikation auf die Situation eines im Eröffnungsverfahren gewährten Massedarlehens übertragbar ist, erscheint uns zweifelhaft. Weiterführend Ganter, WM 2009, 1441 und Gehrlein, WM 2012, 577. 146) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 53; Uhlenbruck-Maus, InsO, § 22 Rz. 193 f. 147) Beck/Depré-Depré, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 54; Palandt-Sprau, BGB, Einf. § 764 Rz. 5. 148) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490.

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werden sollte, dass eine Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse droht oder erfolgt, wie auch für die Fälle, dass die Einstellung des eröffneten Insolvenzverfahrens mangels Masse oder wegen Masseunzulänglichkeit droht oder erfolgt.149) 72 Bei der Aufnahme eines summenmäßig erheblichen Darlehens bedarf diese – ebenso wie dessen Besicherung – der Genehmigung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses oder, sofern ein solcher nicht eingesetzt ist, der Genehmigung der Gläubigerversammlung (§ 160 InsO).150) Ein Verstoß hiergegen berührt indes die Wirksamkeit des Kreditvertrages nicht (§ 164 InsO), selbst wenn dies dem Kreditgeber bekannt war.151) Die Zustimmung des Gläubigerausschusses resp. der Gläubigerversammlung sollte zur aufschiebenden Bedingung für die Wirksamkeit des Darlehensvertrags gemacht werden. 73 Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann gemäß § 264 InsO vorgesehen werden, dass die Insolvenzgläubiger nachrangig sind gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen und sonstigen Krediten152), die der Schuldner oder die Übernahmegesellschaft während der Zeit der Überwachung aufnimmt oder die ein Massegläubiger in die Zeit der Überwachung hinein stehen lässt.153) In diesem Fall ist zugleich ein Gesamtbetrag für derartige Kredite festzulegen (Kreditrahmen). Dieser darf den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen, die in der Vermögensübersicht des Plans (§ 229 Satz 1 InsO) aufgeführt sind. Der Nachrang der Insolvenzgläubiger gemäß § 264 Abs. 1 InsO besteht nur gegenüber Gläubigern, mit denen vereinbart wird, dass und in welcher Höhe der von ihnen gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt, und gegenüber denen der Insolvenzverwalter diese Vereinbarung schriftlich bestätigt. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bleibt unberührt. § 264 InsO stellt sicher, dass das planmäßig fortzuführende Unternehmen in die Lage versetzt wird, zur Deckung der Fortführungsverbindlichkeiten Kredite in Anspruch zu nehmen, ohne dass der Kreditgeber im Falle des Scheiterns der Sanierung einen Ausfall hinnehmen muss.154) 2.2

Gesellschafterdarlehen

74 Auch ein Darlehen der Gesellschafter des Schuldners an den Insolvenzverwalter kann zur Finanzierung der Betriebsfortführung dienen.155) Die Hingabe eines Gesellschafterdarlehens kann für den Gesellschafter sinnvoll sein, wenn er so durch einen Beitrag zu einem Sanierungskonzept den Totalverlust seiner Einlage vermeiden kann. Zu den Vorteilen des Gesellschafterdarlehens gegenüber der Teilnahme an einer Kapitalerhöhung gehören die größere kautelarische Flexibilität,156) die schlichtere Struktur und, daraus folgend, geringere Kosten, fehlende Registerpublizität und die steuerliche Attraktivität für die Gesellschaft. Ein Gesellschafterdarlehen ist auch dann das Mittel der Wahl, wenn einzelne

___________ 149) Schönfelder, WM 2007, 1489, 1490. 150) Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 266 f.; Mönning, Vorauflage, Rz. 1024; Theiselmann-Bähr, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Kap. 18 Rz. 142. 151) Breuer in: Insolvenzrechts-Formularbuch, Anm. zu Formular Nr. 15 Massekredit. 152) Das Tatbestandsmerkmal des „sonstigen Kredits“ ist weit auszulegen und umfasst alle Maßnahmen der Fremdkapitalfinanzierung mit Ausnahme der Gesellschafterdarlehen, die Eigenkapital darstellen, s. Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 32 Rz. 21. 153) Zu dieser Vorschrift Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 356 ff. und Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 32. 154) Mönning, Vorauflage, Rz. 1024; Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 859 ff. Rz. 17 – 19. 155) Fink, Maßnahmen des Verwalters zur Finanzierung, Rz. 320 ff. 156) Lüdicke/Sistermann-Loose/Maier, Unternehmenssteuerrecht, § 17 Rz. 27.

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Gesellschafter überquotale Beiträge zur Krisenüberwindung erbringen möchten, ohne dass die Mitgesellschafter daran partizipieren.157) Zu den Nachteilen des Gesellschafterdarlehens gehört das aus §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO 75 sich ergebende Risiko des insolvenzrechtlichen Nachrangs und der Anfechtung im Falle einer Folgeinsolvenz. Risikomindernd wirkt § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, wonach sanierungswillige Gläubiger, die zum Zwecke der Sanierung Anteile erwerben, von der Anwendung der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO verschont werden (Sanierungsprivileg). Auch i. R. der Anfechtung nach § 133 InsO ist der sanierende Gläubiger nach ständiger Rechtsprechung des BGH i. R. eines „ernsthaften Sanierungsversuchs“ privilegiert.158) Zu den Risiken der Kreditgewährung in Krise und Insolvenz gehört schließlich dasjenige der Haftung aus § 826 BGB. Zu dieser Haftung kommt es, wenn der Darlehensgeber das Darlehen nur deshalb gewährt oder prolongiert, um seine eigene Position im Falle einer Folgeinsolvenz auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern.159) 3.

Kurzfristige Kreditfinanzierung

3.1

Handelskredit

Als die wichtigste Form der kurzfristigen Kreditfinanzierung wird international der Han- 76 delskredit angesehen.160) Seine Vorteile sind, dass es sich um eine kostengünstige und einfach zu erlangende Finanzierung handelt. Er steht grundsätzlich jeder Art von Unternehmen zur Verfügung.161) Von diesen Vorteilen wird regelmäßig auch i. R. der Betriebsfortführung in der Insolvenz profitiert. Unter dem Begriff des Handelskredits werden der Lieferantenkredit und erhaltene Kundenanzahlungen zusammengefasst: x

Unter Lieferantenkredit im engeren Sinn versteht man den Kredit, der vom Verkäufer einer Ware dem Käufer im Zusammenhang mit dem Warenabsatz gewährt wird.162) Wesentliches Merkmal des Lieferantenkredits ist seine enge Verbundenheit zum Warenabsatz. In Form des Lieferungskredits soll er den Zeitraum zwischen Beschaffung und Wiedergeldwerdung der Ware überbrücken. Die Tilgung erfolgt aus dem Umsatzerlös der kreditierten Ware. Geldmittel werden dem Kreditnehmer hierbei nicht zur Verfügung gestellt, sondern die Kreditierung liegt in der Stundung des Kaufpreises der Ware durch den Lieferanten. Daneben werden auch Einrichtungs- oder Ausstattungskredite, die der Lieferant seinen Abnehmern gewährt, zu den Lieferantenkrediten gezählt.163) Sie sind – insbesondere in der Situation der Betriebsfortführung in der Insolvenz – von untergeordneter Bedeutung und werden hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

x

Während beim Lieferantenkredit eine Kreditierung durch Zulieferer der Unternehmen erfolgt, treten beim Anzahlungskredit Abnehmer als Kreditgeber auf.164) Der Besteller einer Ware leistet hier im Voraus, d. h. vor Lieferung, teilweise oder vollständige Bezahlung. Die Anzahlung oder Vorauszahlung stellen für das produzierende Unternehmen eine Finanzierungshilfe dar. Ferner wird das Risiko verringert, dass der Auftraggeber die bestellte Ware nicht abnimmt oder keine Zahlung leistet. Anzahlungen können zinslos

___________ 157) 158) 159) 160) 161) 162) 163) 164)

Lüdicke/Sistermann-Loose/Maier, Unternehmenssteuerrecht, § 17 Rz. 27. S. die Nachweise in Fn. 145. Ausführlich Engert, Die Haftung für drittschädigende Kreditgewährung, 2005. Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 382. Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 385. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 455. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 456. Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 457.

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Teil III Einzelfragen

zur Verfügung gestellt werden, oder die Berücksichtigung der Kreditzinsen erfolgt durch einen unter dem normalen Barpreis liegenden Rechnungsbetrag. 3.2

Kontokorrentkredit

77 Der Kontokorrentkredit stellt eine klassische Form des kurzfristigen Kredits dar.165) Unter dem Begriff wird typischerweise der von einer Bank gewährte Kredit verstanden, der durch die Einräumung der Möglichkeit gewährt wird, ein Kontokorrentkonto (oder Girokonto) zu überziehen. Mit der Eröffnung eines Kontokorrentkontos ist freilich nicht automatisch eine Krediteinräumung verbunden. In der Regel setzt diese einen Kreditantrag und eine Kreditwürdigkeitsprüfung durch die Bank voraus. Die Zusage des Kredits erfolgt dann in Form einer vertraglich eingeräumten Kontokorrentkreditlinie. 78 Der Vorteil des Kontokorrentkredits ist, dass er, ist er erst einmal vereinbart, sofort und flexibel zur Verfügung steht.166) Er ist insbesondere geeignet für den Ausgleich von Liquiditätsschwankungen hingen in der Abwicklung des Zahlungsverkehrs,167) nie jedoch für die Finanzierung (gar langfristiger) Investitionen.168) Der Nachteil des Kontokorrentkredits ist, dass er verhältnismäßig teuer ist: Die Kosten für die Inanspruchnahme eines Kontokorrentkredits setzen sich zusammen aus den (verglichen mit Habenzinsen) hohen Sollzinsen, der Bereitstellungsprovision, der Überziehungsprovision (typischerweise 3 – 4 % p. a.), der Umsatzprovision und den Gebühren.169) Ein weiterer Nachteil ist, dass der Kontokorrentkredit typischerweise sehr kurzfristig kündbar ist.170) 4.

Kreditsubstitute

79 Neben den verschiedenen Formen des kurz- und langfristigen Kredits haben sich in den letzten Jahrzehnten Finanzierungsinstrumente herausgebildet, die Kredite substituieren können. Die wichtigsten Kreditsubstitute sind das Factoring und das Leasing. 4.1

Factoring

80 Factoring ist der laufende Ankauf von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen durch einen Factor, der typischerweise vor Fälligkeit und unter Übernahme bestimmter Servicefunktionen und des Delkredererisikos erfolgt.171) Geschieht dies, spricht man von echtem Factoring172) und kommen dem Factoringvertrag drei Funktionen zu:173) x

Die Finanzierungsfunktion, die in der Schaffung sofort verfügbarer Liquidität besteht;

___________ 165) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 457. 166) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 458. 167) Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 189. Vgl. Ferran, Principles of Corporate Finance, S. 319, wonach in Großbritannien viele Unternehmen den Kontokorrentkredit als Notfallkredit ansehen und gar nicht laufend in Anspruch nehmen. 168) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 378. 169) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 349 – 354; Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 189. 170) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 377. Das Problem tritt in Deutschland mit der aus Großbritannien bekannten Schärfe (wo grundsätzlich jederzeit sofortige Rückzahlung verlangt werden kann) nur in den Fällen der ungenehmigten Kontoüberziehung auf. 171) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 485. 172) Von unechtem Factoring spricht man, wenn der Factor das Delkredererisiko des Forderungsschuldners nicht übernimmt (Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39 und 40). Unechtes Factoring birgt das juristische Risiko, dass die dem Factoring zugrunde liegende Zession nach Maßgabe der sog. Vertragsbruchtheorie nichtig ist (Palandt-Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 40). Sie sind deshalb nicht besonders verbreitet. 173) Larenz-Canaris, Schuldrecht, S. 85; Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 334 und 337.

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x

die Dienstleistungsfunktion, die in der Übernahme von Debitorenbuchhaltung, Inkasso- und Mahnwesen liegt;

x

und schließlich die Kreditsicherungsfunktion, die in der Übernahme des Ausfallrisikos durch den Factor liegt.

In juristischer Hinsicht können beim Factoring der Rahmenvertrag zwischen dem Factor 81 und dem Anschlusskunden sowie die Verträge über den Ankauf einzelner Forderungen unterschieden werden. Im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens bleibt der Rahmenvertrag in seinem 82 rechtlichen Bestand grundsätzlich unberührt. Verträge über den Ankauf der einzelnen Forderungen können bei Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch mit dessen Zustimmung, bei Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch durch diesen geschlossen werden. Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so erlischt der Rahmenvertrag ipso iure (§§ 115, 83 116 InsO).174) Praktisch gesehen bedeutet dies, dass, will der Insolvenzverwalter Factoring für die Finanzierung der Betriebsfortführung nutzen, er den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung dazu nutzen sollte, mit dem Factor einen Anschlussvertrag zu verhandeln. Der Abschluss eines solchen im eröffneten Insolvenzverfahren ist von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters gedeckt, wenn er sich i. R. des Insolvenzzwecks hält und der Betriebsfortführung dient.175) Ist der Abschluss des Anschlussvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Weiterführung oder der Neuabschluss eines Factoringvertrags wird allerdings nur in Betracht kommen, wenn die Fortführung des Betriebs längerfristig angelegt ist, also z. B. zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung oder i. R. eines Insolvenzplans erfolgt. Das Factoring hat folgende Vorteile: Durch die Gewährung von Zahlungszielen erleidet 84 das fortzuführende Unternehmen an sich einen Liquiditätsverlust, so dass es zu Zahlungsengpässen und zum Verlust von Barzahlungsskonti kommen kann.176) Ein Unternehmen, das seinen Kunden Zahlungsziele einräumt, muss überdies Rechnungen schreiben, eine Debitorenbuchhaltung führen und Zahlungseingänge überwachen.177) Die Weiterführung oder der Neuabschluss eines Factoringvertrags kann wegen der Vermeidung dieser Nachteile sowohl liquiditätsschonend als auch kostensenkend178) wirkend. Als Vorteil wird in Abgrenzung zum Kontokorrent auch die Finanzierungssicherheit genannt, und zwar in Form typischerweise längerer Kündigungsfristen und starrer vertraglicher Konditionen.179)

___________ 174) Sinz in: Kölner Schrift, Rz. 101 f. Nach der Gegenansicht findet § 103 Abs. 1 InsO auf das echte Factoring Anwendung, so dass der Insolvenzverwalter über die Fortsetzung oder Beendigung des Rahmenvertrags entscheiden kann; nur beim unechten Factoring führe die Insolvenz des Anschlusskunden nach §§ 115, 116 InsO zum Erlöschen des Rahmenvertrags. In der Praxis wird ohnehin regelmäßig ein fristloses Kündigungsrecht des Factors bei Insolvenz des Anschlusskunden vereinbart und ausgeübt, so dass der Meinungsstreit kaum je relevant wird. 175) Allgemein Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 186. 176) Larenz-Canaris, Schuldrecht, S. 85. 177) Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 334. 178) Gewiss muss bedacht werden, dass der Factor für die Übernahme der drei genannten Funktionen ein Entgelt verlangt. Dies liegt nach Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker (Unternehmensfinanzierung, S. 337) je nach Arbeitsaufwand zwischen 0,8 % bis 2,5 % des Forderungsumsatzes und kann sich mithin als kostengünstiger erweisen als der Unterhalt einer Debitorenbuchhaltung. 179) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 392.

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85 Als Nachteil des Factoring wird der erhebliche organisatorische und finanzielle Aufwand genannt, der nach dem Ende eines längerfristigen Factoringvertrags getrieben werden muss, um die drei genannten Funktionen wieder unternehmensintern abzudecken. Ferner kann insbesondere das offene Factoring von Geschäftspartnern als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche gedeutet werden.180) Beide Gesichtspunkte sind in der speziellen Situation der Betriebsfortführung in der Insolvenz aber von nachrangiger Bedeutung. Ein Nachteil, der bedacht werden sollte, ist dagegen stets der, dass das unechte Factoring als Kreditsubstitut den §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO unterfallen kann, wird der Vertrag mit einem Gesellschafter geschlossen.181) 4.2

Leasing

86 Rechtlich und steuerlich können mehrere Arten des Leasings unterschieden werden: x

Beim Finanzierungsleasing erwirbt der Leasinggeber nach Abschluss des Leasingvertrags den Leasinggegenstand und überlässt ihn dem Leasingnehmer gegen Zahlung der Leasingraten für eine bestimmte Zeit zur Nutzung. Der Leasingnehmer trägt die Gefahr des Untergangs und der Beschädigung.182) Ziel des Leasingebers ist, die Vollamortisation der Anschaffung des Leasinggegenstandes zu erreichen, indem der Leasingnehmer durch seine Zahlungen den Kaufpreis des Leasinggegenstands zzgl. aller Kosten, Zinsen, Kreditrisiko und Gewinn vergütet.183) Enthält der Leasingvertrag – wie typischerweise – eine Kaufoption, ähnelt er einem finanzierten Kaufvertrag, worin die Finanzierungsfunktion dieser Form des Leasings besonders deutlich zum Ausdruck kommt.

x

Das Sale-and-Lease-Back-Geschäft ist eine Weiterentwicklung des Finanzierungsleasing. Dabei wird der Leasinggegenstand vom Leasinggeber nicht von einem Dritten, sondern vom Leasingnehmer erworben und diesem dann gegen Entgelt zur Nutzung überlassen. Neben die Finanzierungsfunktion in ihrer allgemeinen Ausprägung tritt der besondere Effekt, dass durch den Zufluss des Kaufpreises beim Leasingnehmer ein einmaliger Liquiditätseffekt geschaffen wird.

x

Das Operating Leasing schließlich zielt auf Amortisation der Kosten der Anschaffung des Leasinggegenstands durch mehrfaches Überlassen des Leasinggegenstands an verschiedene Leasingnehmer ab. Es handelt sich jeweils um Mietverträge.184)

87 Im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens bleibt der Leasingvertrag in seinem rechtlichen Bestand grundsätzlich unberührt. Der Neuabschluss solcher Verträge kann in dieser Phase bei Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch mit dessen Zustimmung, bei Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters nur noch durch diesen stattfinden. Bestehen bei Insolvenzeröffnung ungekündigte185) Leasingverträge, so steht dem Insolvenzverwalter im Falle beweglicher Sachen das Wahlrecht des § 103 InsO zu Gebote. Im Falle unbeweglicher Sachen gilt § 108 InsO und besteht der Vertrag zunächst fort. War der Leasinggegenstand noch nicht überlassen, gilt § 109 Abs. 1 InsO und besteht ein beiderseitiges Rücktrittsrecht. Der Abschluss neuer Leasingverträge ist dann von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO gedeckt, wenn er sich i. R. des Insolvenzzwecks hält und der Betriebsfortführung ___________ 180) 181) 182) 183) 184) 185)

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Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Unternehmensfinanzierung, S. 337. v. Gerkan/Hommelhoff-Johlke/Schröder, Hdb. Kapitalersatzrecht, Rz. 5.55 f. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 37. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 39 a. E. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 40. Für Leasingverträge gilt die Kündigungssperre des § 112 InsO, s. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 73.

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dient.186) Ist der Neuabschluss eines Leasingvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ganz generell ist dabei zu beachten, dass die Weiterführung oder der Neuabschluss von Leasingverträgen wegen der typischerweise längeren Vertragsdauer187) nur in Betracht kommt, wenn sie Teil eines längerfristigen Sanierungskonzeptes – etwa i. R. eines Insolvenzplans – sind. Sowohl das Finanzierungsleasing als auch das Sale-and-Lease-Back-Geschäft können 88 Bausteine der Finanzierung der Betriebsfortführung sein. Zu ihren Vorteilen zählen ihre gute Verfügbarkeit, die Bequemlichkeit der Finanzierung, die Vertragsklarheit, die aus der Vereinbarung typischerweise starrer Konditionen folgende Finanzierungssicherheit und steuerliche Vorteile.188) Insbesondere das Sale-and-Lease-Back-Geschäft ist i. R. der Finanzierung der Betriebsfortführung reizvoll: Der Insolvenzverwalter verkauft betriebsnotwendiges Anlagevermögen an eine Leasinggesellschaft, die es dem Insolvenzverwalter gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Dem Unternehmen fließen auf diese Weise liquide Mittel (der Kaufpreis) zu, ohne dass auf eine betriebliche Nutzung des veräußerten Gegenstands verzichtet werden muss.189) Ein solches Geschäft setzt allerdings voraus, dass der betreffende Gegenstand nicht mit einem Sicherungsrecht belastet ist (oder die Zustimmung des Sicherungsgebers vorliegt) und dass der Anspruch auf Zahlung der Leasingraten Masseverbindlichkeit ist. Ähnlich wie beim Massedarlehen kann dies dort, wo ein Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet und kein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist, durch eine Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts sichergestellt werden. Zu den Nachteilen des Leasing gehört das Risiko, dass es als Kreditsubstitut dem Regime der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO unterfallen kann, wenn ein Gesellschafter der Leasinggeber ist.190) VI.

Finanzierung durch die öffentliche Hand

Zur Sanierung von Unternehmen stehen bisweilen auch Finanzierungshilfen der öffentlichen 89 Hand zur Verfügung.191) Systematisch handelt es sich um Maßnahmen der Außenfinanzierung, wobei sowohl (selten) Maßnahmen der Eigenfinanzierung als auch (fast ausschließlich) Maßnahmen der Fremdfinanzierung Anwendung finden. Typische Formen der Finanzierung durch die öffentliche Hand sind die Hingabe von Darlehen,192) die Gewährung von Investitionszulagen und die Bestellung von Sicherheiten für Bank- oder Lieferantenkredite.193) Wie stets, so gilt auch im Sondergebiet der Finanzierung durch die öffentliche Hand, dass nicht alle Finanzierungsformen für die Finanzierung der Betriebsfortführung in der Insolvenz in Betracht kommen. Hinzu kommt erschwerend, dass die meisten der angebotenen Finanzierungsprogramme langfristig angelegt sind, die Betriebsfortführung ___________ 186) Allgemein Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 186. 187) Die Laufzeit eines typischen Finanzierungsleasingvertrags beträgt typischerweise 40 – 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Gegenstands, mithin in Abhängigkeit vom konkreten Gegenstand zwischen zwei und sieben Jahren, s. Palandt-Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 535 Rz. 39. 188) Arnold, The Handbook of Corporate Finance, S. 395; Zantow/Dinauer, Finanzwirtschaft des Unternehmens, S. 345 ff. 189) Lixfeld, Planung und Beschaffung von Liquidität, S. 154. 190) v. Gerkan/Hommelhoff-Johlke/Schröder, Hdb. Kapitalersatzrecht, Rz. 5.71 und 5.73; Sinz in: Kölner Schrift, Rz. 55 ff. 191) Ehricke, WM 2001, Beilage 3; Hess/Fechner/Freund/Körner-Hess, Sanierungshandbuch, S. 468 ff.; Mönning, Vorauflage, Rz. 1082 ff.; Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 60. 192) Schimansky/Bunte/Lwowski-Peters, Bankrechts-Hdb., § 89. 193) Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 60.

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Teil III Einzelfragen

in der Insolvenz sich ihrer Natur nach aber auf einen eher kürzeren Zeitraum beschränkt. Tatsächlich dürften zur Finanzierung der Betriebsfortführung nur kurzfristige Darlehen und Bürgschaften der öffentlichen Hand in Betracht kommen.194) In der Regel schließen die Bürgschaftsrichtlinien zwar Bürgschaften zum Zwecke der Unternehmenssanierung aus und gestatten diese nur zur Förderung von Investitionen. Tatsächlich aber werden Bürgschaften gerade zu diesem Zweck gewährt; finanzielle Sanierungen sind gewöhnlich auch mit der Umsetzung investiver Maßnahmen verbunden. Es existieren verschiedene Bürgschaftsprogramme, die in der Regel alle eine maximale Besicherung i. H. von 80 % des Kreditbetrages erlauben.195) Ist der Abschluss des Darlehens- oder Bürgschaftsvertrags von erheblicher Bedeutung für die Insolvenzmasse, ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wo ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 90 Bei der Gewährung einer öffentlichen Finanzierungshilfe in der Krise des Unternehmens handelt es sich in der Regel um eine Beihilfe i. S. von Art. 107 AEUV. Solche Beihilfen sind mit dem Binnenmarkt grundsätzlich nicht vereinbar. Etwas anderes gilt gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV aber für Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Unter diese Ausnahmevorschrift werden auch die sog. Rettungsbeihilfen196) subsumiert, wenn sie die Voraussetzungen der Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten197) erfüllen.198) Ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist danach einerseits ein Unternehmen, hinsichtlich dessen die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfüllt sind, bezogen auf Deutschland also Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen.199) Daneben befindet sich ein Unternehmen aber auch dann in Schwierigkeiten, wenn ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist.200) Mithin kann sowohl eine im vorläufigen als auch im eröffneten Insolvenzverfahren gewährte öffentliche Finanzierungshilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. 91 Die Genehmigungsvoraussetzungen für eine Rettungsbeihilfe201) sind in Kapitel 3.1 der Leitlinie aufgezählt: x

Es muss sich um Liquiditätsbeihilfen in Form von Darlehensbürgschaften oder Darlehen handeln. In beiden Fällen muss für das Darlehen ein Zinssatz verlangt werden, der mindestens mit den Zinssätzen vergleichbar ist, die für Darlehen an gesunde Unternehmen zu beobachten sind, insbesondere den von der Kommission festgelegten Referenzzinssätzen. Für die Rückzahlung von Darlehen und die Laufzeit von Bürgschaften

___________ 194) Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 62. 195) Wellensiek/Schuck-Amend in: Münch-AHB GmbH-Recht, § 23 Rz. 62. 196) Die dem europäischen Recht ebenfalls bekannte Umstrukturierungsbeihilfe ist im Unterschied zur Rettungsbeihilfe für die langfristige Sanierung des Unternehmens gedacht. Sie ist i. R. der Betriebsfortführung im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren daher tendenziell weniger geeignet als die Rettungsbeihilfe. 197) Mitteilung der Kommission, Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. EU Nr. C 2004 C 244/2 v. 1.10.2004; dazu Ehricke, EuZW 2005, 71. 198) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 Rz. 228. 199) Mitteilung der Kommission, Leitlinie, ABl. EU Nr. C 2004 C 244/2 v. 1.10.2004, Rz. 10 c); Ehricke, EuZW 2005, 71, 73. 200) arg. e Mitteilung der Kommission, Leitlinie, ABl. EU Nr. C 2004 C 244/2 v. 1.10.2004, Rz. 11. 201) Zu praktischen Problemen und ihrer Lösung Koenig/Pickartz, BB 2001, 633.

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gilt eine höchstens sechsmonatige Frist ab Auszahlung der ersten Rate an das Unternehmen. x

Die Liquiditätsbeihilfen müssen aus akuten sozialen Gründen gerechtfertigt sein und dürfen keine unverhältnismäßig gravierenden Ausstrahlungseffekte in anderen Mitgliedstaaten haben.

x

Bei der Anmeldung muss sich der Mitgliedstaat verpflichten, der Kommission innerhalb von sechs Monaten nach Genehmigung der Rettungsbeihilfe entweder einen Umstrukturierungsplan oder einen Liquidationsplan vorzulegen oder aber den Nachweis zu erbringen, dass das Darlehen vollständig zurückgezahlt und/oder die Bürgschaft ausgelaufen ist.

x

Ihre Höhe muss auf den Betrag begrenzt sein, der für die Weiterführung des Unternehmens während des Zeitraums, für den die Beihilfe genehmigt wird, erforderlich ist. Der erforderliche Betrag sollte sich am verlustbedingten Liquiditätsbedarf des Unternehmens orientieren. Zu seiner Bestimmung wird die Formel im Anhang der Leitlinien herangezogen. Rettungsbeihilfen, die über den anhand der Formel errechneten Betrag hinausgehen, müssen eingehend begründet werden.

x

Es muss sich um die erstmalige Gewährung einer Finanzierungshilfe handeln, denn Sofortbeihilfen dürfen nur einmal gewährt werden (one time – last time).

x

Der EuGH verlangt über die in der Leitlinie genannten Voraussetzungen hinaus zusätzlich, dass ein tragfähiges Finanzierungskonzept vorliegt.202)

Auch wenn eine Finanzierungshilfe unter die Leitlinie fällt, ist Voraussetzung ihrer Zulässig- 92 keit allerdings, dass das Notifizierungsverfahren nach Art. 108 AEUV durchgeführt wird. Sofern die Rettungsbeihilfen die vorstehenden Voraussetzungen erfüllen, wird die Kommission im sog. Vereinfachten Verfahren innerhalb eines Monats entscheiden, wenn x

das in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen entweder die nach nationalem Recht notwendigen Voraussetzungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfüllt oder, so ist u. E. zu ergänzen, ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet wurde,

x

die Rettungsbeihilfe sich der Höhe nach auf verlustbedingten Liquiditätsbedarf begrenzt und

x

der Betrag von 10 Mio. € nicht überschritten wird.

Für die Gewährung von Rettungsbeihilfen ist kein Raum mehr, wenn ein Umstrukturie- 93 rungs- oder Liquidationsplan, für den ein Antrag auf Beihilfe vorliegt, erstellt ist oder durchgeführt wird.

___________ 202) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 Rz. 227; zur Bedeutung des Beihilfenrechts im Insolvenzplanverfahren Fritze/Heithecker, EuZW 2010, 187.

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§ 17 Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechte, Pflichten, Konfliktpotential Übersicht I.

Einleitung: Die Rolle des Schuldners in der insolvenzrechtlichen Praxis............ 1 1. Der Schuldner als „Sanierungsfaktor“ ........ 2 1.1 Der Schuldner als Know-howTräger................................................. 3 1.2 Der Schuldner als Autoritätsperson ................................................ 6 2. Der Schuldner als destabilisierender Faktor ........................................................... 9 2.1 Gefahr der Verdunkelung und Verfahrensverzögerung ................. 10 2.2 Gefahr der Einflussnahme auf den Investorenprozess.................... 14 II. Der schuldnerische Personenkreis.......... 16 III. Schuldnerische Gestaltungsmöglichkeiten i. R. des Insolvenzantrags............. 18 IV. Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Insolvenzverfahren ........ 22 1. Auskunftspflichten im Antragsverfahren .......................................................... 22 2. Mitwirkungspflichten des Schuldners....... 24 3. Schutzschirmverfahren .............................. 26 3.1 Rechtsstellung der Geschäftsleitungsorgane ................................. 26 3.1.1 Vollumfängliche Beibehaltung der bisherigen Rechtsposition .............. 26 3.1.2 Verstärkung des sanierungs- und insolvenzrechtlichen Know-hows durch einen CRO als zusätzliches Organ oder Berater ......................... 31 3.2 Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ........... 32 3.2.1 Haftung für Masseverbindlichkeiten, die während des Schutzschirmverfahrens begründet wurden......... 33

3.2.2 Haftungsmasse................................ 35 3.2.3 Persönliche Haftung der Geschäftsleitungsorgane, Haftungsmaßstab............................ 38 V. Die Rechtsstellung des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren .......... 41 1. Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts ....................................... 41 2. Auskunftspflicht des Schuldners im eröffneten Verfahren.................................. 44 3. Einsichtsrecht des Schuldners im eröffneten Verfahren.................................. 47 4. Rechte des Schuldners bei Betriebsstilllegung.................................................... 48 5. Eigenverwaltungsbefugnis, Insolvenzplaninitiative ............................................... 51 5.1 Befugnis zur Fortsetzung der Eigenverwaltung.............................. 51 5.2 Vorlage eines Insolvenzplans ......... 53 5.3 Widerspruchsmöglichkeiten gegen „Fremdinsolvenzplan“, § 247 InsO....................................... 55 6. Restzuständigkeiten im höchstpersönlichen und insolvenzfreien Gesellschaftsbereich................................... 56 6.1 Insolvenzfreier Gesellschaftsbereich ............................................. 58 6.1.1 Registerrechtliche/börsenrechtliche Angelegenheiten ............ 58 6.1.2 Umfirmierung/Verkauf der „Handelsfirma“ ............................... 61 6.1.3 Organwechsel.................................. 62 6.1.4 Kapitalmaßnahmen ......................... 66

Literatur: Frind, Das „Anforderungsprofil“ gem. § 56a InsO – Bedeutung und praktische Umsetzung, NZI 2012, 650; Grub, Die Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren, in: Kölner Schrift, 1997, S. 513; Grub/Streit, Börsenzulassung und Insolvenz, BB 2004, 1397; Hohnel, Selbstbelastungsfreiheit in der Insolvenz, NZI 2005, 152; Oechsler, Der Aufsichtsrat in der Insolvenz, AG 2006, 606; Uhlenbruck, Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner organschaftlichen Vertreter im Insolvenzverfahren, NZI 2002, 401; Uhlenbruck, Gesellschaftsrechtliche Defizite der Insolvenzordnung, in: Festschrift für Hans-Joachim Lüer, 2008, S. 461; Uhlenbruck, Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner organschaftlichen Vertreter nach der Konkursordnung, Vergleichsordnung, Gesamtvollstreckungsordnung sowie Insolvenzordnung, KTS 1997, 371; Wellensiek/Flitsch, Das Verhältnis von insolvenzrechtlichem Verdrängungs- und insolvenzfreiem Gesellschaftsbereich, in: Haftung und Insolvenz, Festschrift für Gero Fischer, 2008, S. 579.

Flitsch/Birnbreier

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§ 17 I.

Teil III Einzelfragen Einleitung: Die Rolle des Schuldners in der insolvenzrechtlichen Praxis

1 Die Tätigkeit der Geschäftsleitung eines schuldnerischen Unternehmens nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens spielt in der öffentlichen Wahrnehmung regelmäßig eine untergeordnete Rolle. Vom Insolvenzverwalter wird erwartet, dass er seine Befugnisse in strikter Weise gegen die schuldnerische Geschäftsführung durchsetzt und auf etwaige Befindlichkeiten keine Rücksicht nimmt. In der Berichterstattung über größere Unternehmensinsolvenzen wird die schuldnerische Geschäftsleitung lediglich dann thematisiert, wenn es um mögliche insolvenzauslösende Faktoren oder Vermögensverschiebungen zu Lasten des Unternehmens geht. In dem (zugegebenermaßen erheblichen) Teil der Unternehmensinsolvenzen, die auf klassische Managementfehler, wie ein fehlendes Controlling, bestehende Finanzierungslücken oder ein unzureichendes Debitorenmanagement zurückzuführen sind,1) erscheint diese Wahrnehmung auch konsequent. 1.

Der Schuldner als „Sanierungsfaktor“

2 In einer Vielzahl erfolgreicher Restrukturierungsfälle haben schuldnerische Vorstände und Geschäftsführer demgegenüber – von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – einen erheblichen Anteil an der Sanierung des jeweiligen schuldnerischen Unternehmens geleistet. Die Gründe für die Wichtigkeit des (Fort-)Bestehens einer effektiven Geschäftsführung nach Insolvenzantragstellung sind vielfältig; folgende Konstellationen spielen hierbei häufig eine Rolle: 1.1

Der Schuldner als Know-how-Träger

3 In der gerichtlichen Praxis hat sich die Einsetzung eines „Branchen-Insolvenzverwalters“ mit entsprechenden, fachspezifischen Kenntnissen lediglich in Teilbereichen etabliert; im Regelfall hat der betreffende Insolvenzverwalter noch keine Vielzahl von Insolvenzen im betreffenden Wirtschaftszweig geleitet, um über eine fundierte branchenspezifische Erfahrung zu verfügen. Der Informationsbedarf des Insolvenzverwalters bei einer Betriebsfortführung geht daher regelmäßig über den Inhalt hinaus, der i. R. der in der InsO geregelten Auskunftspflichten vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund ist es von großem Vorteil, wenn auch nach Insolvenzantragstellung auf branchenspezifisches Know-how seitens der schuldnerischen Geschäftsleitung zurückgegriffen werden kann. Insofern ist es gerade für den Fall einer möglichen Betriebsfortführung unerlässlich, dass die Unternehmensleitung den Insolvenzverwalter auch über diverse sog. „Soft-Facts“ informiert.2) 4 Hierbei bezieht sich das „Kommunikations-Know-how“ naturgemäß nicht nur auf die internen Betriebsstrukturen, sondern auch auf die Kommunikation mit den wesentlichen Lieferanten und Kunden des Unternehmens.3) Dies ist umso wichtiger, als die Kunden und Lieferanten durch die eingetretene Insolvenzsituation zum einen regelmäßig finanziellen Schaden erlitten haben und zum anderen auch psychologisch verunsichert sind, wie die künftige Geschäftsbeziehung weitergehen kann. Ein betriebsfortführender Insolvenzverwalter, der mit dem entsprechenden (d. h. vom Schuldner weitergegebenen) ___________ 1) Vgl. hierzu Pressemitteilung zur Studie: Ursachen von Insolvenzen des Zentrums für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim e. V. (ZIS) v. 27.9.2006, abrufbar unter http://www.zis.unimannheim.de/presse/mitteilungen_des_zis/index.html (Abrufdatum: 29.4.2013). 2) Informationen über solche weichen Faktoren (etwa bzgl. der allgemeinen Geschäftslage und Stimmung im Unternehmen) erhält der Insolvenzverwalter regelmäßig nur von der Unternehmensleitung bzw. von der zweiten Ebene im Unternehmen. Im Rahmen der insolvenzrechtlichen Auskunftspflichten kann hierbei selbstverständlich kein Rechtsanspruch darauf geltend gemacht werden. 3) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 20 Rz. 41.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

Know-how ausgestattet ist, wird üblicherweise viel einfacher über die Fortsetzung der Vertragsverhältnisse zugunsten der Insolvenzmasse verhandeln können. Die Tatsache, dass die Geschäftsleitung den Sektor und den Markt besonders kennt, 5 spielt insbesondere auch für einen etwaigen Investorenprozess eine Rolle. Somit ist die schuldnerische Unternehmensleitung naturgemäß der erste Ansprechpartner, wenn es darum geht, strategische Investoren aus der betreffenden Branche für eine übertragende Sanierung zu gewinnen. Häufig handelt es sich bei den Interessenten um langjährige Mitbewerber oder Geschäftspartner, die mit der Geschäftsleitung gut bekannt sind. So hätten einzelne Investoren ohne die Initiative der schuldnerischen Geschäftsleitung unter Umständen nie den Kontakt zum Insolvenzverwalter gesucht oder gar einen Erwerb schuldnerischer Vermögenswerte in Erwägung gezogen. 1.2

Der Schuldner als Autoritätsperson

Weiterhin können Unternehmensleiter gegenüber den Angestellten in manchen Fällen 6 besser ihre Autorität durchsetzen als ein erst kürzlich bestellter und persönlich unbekannter Insolvenzverwalter. Infolge der Einleitung eines Insolvenzverfahrens ist der Erhalt der schuldnerischen Arbeitsplätze in Frage gestellt, was immer zu einer erheblichen Verunsicherung auf Seiten der Belegschaft führt. Der Insolvenzverwalter wird in diesem Zusammenhang oft als externer Störfaktor wahrgenommen, denn als möglicher Sanierer.4) Sofern die Geschäftsleitung im Insolvenzfall von der Belegschaft nicht als Hauptursache für die Insolvenz wahrgenommen wird,5) wird der Insolvenzverwalter diese regelmäßig als Autorität im (noch funktionierenden) Unternehmen benötigen, um in dem einen oder anderen Fall unliebsame Maßnahmen zu kommunizieren und ggf. durchzusetzen. Insoweit kann ein eingespieltes und grundsätzlich intaktes Verhältnis zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft, ggf. über Arbeitnehmervertreter wie Betriebsrat oder Gewerkschaft,6) positiv zu einer verhältnismäßigen Normalisierung des Geschäftsbetriebs beitragen. Besonders ausgeprägt ist die Rolle des Unternehmensleiters als Autoritätsperson etwa in 7 inhabergeführten Klein- und mittelständischen Unternehmen, die über einen langen Zeitraum wirtschaftlichen Erfolg hatten. Der hierin oft vorzufindende „Patriarch“, der sein kaufmännisches Können zwar über lange Zeit bewiesen, aber ggf. nicht rechtzeitig auf Marktveränderungen reagiert hat, wird von der Belegschaft meist weiterhin als glaubwürdiger eingestuft als der externe Verwalter, für den das betreffende Verfahren nur eines von vielen darstellt. Dem Insolvenzverwalter ist es daher auch nicht verwehrt, sich seinerseits in die vorgefundenen Unternehmensstrukturen einzufügen, sofern diese Strukturen nicht gerade die wesentliche Ursache für die Insolvenz bilden. Im Idealfall kann die schuldnerische Geschäftsleitung somit gleich in mehrfacher Hin- 8 sicht Zeichen für eine optimale Betriebsfortführung setzen. 2.

Der Schuldner als destabilisierender Faktor

Gleichwohl lässt sich das zuvor gezeichnete Idealbild einer vorbehaltlosen und konstruk- 9 tiven Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Insolvenzverwalter in der Praxis ___________ 4) Dies ist häufig auf eine Verkomplizierung des internen Geschäftsablaufs durch die Implementierung von zusätzlichen Genehmigungs- und Kontrollmechanismen zurückzuführen. 5) Ob die Insolvenz im Einzelfall dann tatsächlich auf Managementfehlern beruht, spielt in diesen Fällen praktisch keine Rolle mehr, da der bei der Belegschaft eingetretene Vertrauensverlust letztendlich nicht mehr reparabel ist. 6) Zu einer effizienten Unternehmensleitung, die Grundlage jeder Betriebsfortführung ist, gehört es demnach auch, zu wissen, mit welchen Betriebsräten am besten in welcher Weise kommuniziert wird.

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§ 17

Teil III Einzelfragen

nur in wenigen Fällen vorfinden. Häufiger dagegen werden seitens der Unternehmensleitung auch Interessen verfolgt, die dem Verfahrenszweck diametral entgegenstehen: 2.1

Gefahr der Verdunkelung und Verfahrensverzögerung

10 Als Grundlage für eine mögliche Betriebsfortführung muss der Insolvenzverwalter zunächst die wirtschaftliche Lage des schuldnerischen Unternehmens zutreffend ermitteln und auswerten. Hierbei sieht er sich häufig mit einer negativen Grundhaltung und Motivationslage seitens der Unternehmensleitung konfrontiert: 11 Zunächst gibt es dabei den – menschlich durchaus verständlichen – Fall, dass die Geschäftsleitung unrealistischen Vorstellungen über ihre Geschäftslage nachhängt und sich aufgrund des – von ihr ggf. (mit-)verursachten – geschäftlichen Misserfolges passiv verhält. Darin begründet, sind Vorstände und Geschäftsführer oft nur zögernd oder widerwillig – im Einzelfall gar nur unter Androhung oder Anwendung von Zwangsmitteln – bereit, im Hinblick auf interne Ursachen, Auskunft und Unterstützung im Insolvenzverfahren zu leisten.7) 12 Noch weitaus gravierende Interessenkonflikte können sich allerdings dann ergeben, wenn ein Unternehmensleiter der Versuchung unterliegt, länger bestehende Unterdeckungen seitens des Unternehmens zu vertuschen oder gar Teile der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen.8) Denn wer bereits vorsätzlich Gläubiger benachteiligt oder die Insolvenz unter Verstoß gegen insolvenzstrafrechtliche Vorschriften herbeigeführt hat, will an einer Aufklärung nicht mitwirken, um sich nicht selbst zu belasten.9) 13 An der Einsichtsfähigkeit seitens der Geschäftsleitung fehlt es regelmäßig in den Verfahren, in denen die Einleitung auf einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) beruht. Oftmals sind der Antragstellung heftige Auseinandersetzungen zwischen schuldnerischer Geschäftsleitung und antragstellendem Gläubiger vorangegangen. Der sich nunmehr in diese „Schusslinie“ begebende Insolvenzverwalter muss i. S. der Gläubigergemeinschaft handeln und hierbei die Gefahr in Kauf nehmen, sich sowohl der Missgunst des Schuldners als auch derjenigen des antragstellenden Gläubigers auszusetzen. 2.2

Gefahr der Einflussnahme auf den Investorenprozess

14 Aus dem oben beschriebenen Näheverhältnis der Unternehmensleitung gegenüber einzelnen Investoren können auch negative Effekte für den Investorenprozess resultieren. Favorisiert die Geschäftsleitung etwa einen bestimmten, ihr nahestehenden Investor, so ist sie ggf. geneigt, erlangtes Sonderwissen an diesen weiterzugeben. Kennt der potentielle Erwerber über diesen Informationsweg z. B. die gutachterlich ermittelten Fortführungsbzw. Zerschlagungswerte für das massezugehörige Vermögen, kann er die „absolute Schmerzgrenze“ seitens des Insolvenzverwalters gut einschätzen. In diesen Fällen wird der Verwalter einen höheren Kaufpreis, welcher dann der Gläubigergemeinschaft zugutekäme, von vornherein nicht erzielen können, wenn keine Gebote anderer Interessenten vorliegen. Umgekehrt kann sich die Geschäftsleitung im Einzelfall der Zusammenarbeit mit einem anderen Investor verweigern und den Verwalter hierdurch unter Druck setzen, den von ihr vorgegebenen Weg mitzugehen. ___________ 7) Vgl. Schmahl in: MünchKomm-InsO, § 20 Rz. 3. 8) Nach Schätzungen der in Konkurssachen tätigen Gutachter/Sequester/Verwalter fallen unter diese Gruppe oft Geschäftsführer, die unter der Rechtsform der Einmann-GmbH handeln, mit einem Anteil von ca. 10 bis 15 % aller Verfahren, s. Schmahl in: MünchKomm-InsO, § 20 Rz. 3. 9) Schmahl in: MünchKomm-InsO, § 20 Rz. 3.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

Somit ist das Störpotential seitens der Unternehmensleitung keinesfalls geringer als ihre 15 Möglichkeiten zur positiven Einflussnahme. II.

Der schuldnerische Personenkreis

Bevor auf die Rechtsstellung des Schuldners im Einzelnen eingegangen wird, soll geklärt 16 werden, welche Personen überhaupt als Adressaten der betreffenden Vorschriften in Betracht kommen. In den Fällen, in denen der Schuldner keine natürliche Person ist, muss also geklärt werden, welcher Personenkreis als Schuldner i. S. der insolvenzrechtlichen Vorschriften anzusehen ist. Da es sich bei den fortführungsrelevanten Unternehmensinsolvenzen regelmäßig um juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften handelt, sind unter dem Begriff „Schuldner“ im Wesentlichen x

Mitglieder der Vertretungsorgane, GmbH-Geschäftsführer, Vorstände von Aktiengesellschaften, Vereinen und Genossenschaften; Abwickler und Liquidatoren,

x

Mitglieder der Aufsichtsorgane: auch die eines fakultativen Aufsichtsgremiums,

x

vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners wie OHGGesellschafter, Komplementäre, BGB-Gesellschafter

zu verstehen.10) Im Bereich der Auskunftspflichten werden die Angestellten des Schuldners den organ- 17 schaftlichen Vertretern gleichgestellt (§ 101 Abs. 2 InsO). Daher wird auch auf das Verhältnis zwischen (vorläufigem) Insolvenzverwalter und den Angestellten des schuldnerischen Unternehmens noch näher einzugehen sein. III.

Schuldnerische Gestaltungsmöglichkeiten i. R. des Insolvenzantrags

Eine erste Möglichkeit, die Weichen in Richtung einer Betriebsfortführung zu stellen, 18 hat die Unternehmensleitung bereits i. R. der Insolvenzantragstellung. Die durch das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“11) (ESUG) zum 1.3.2012 neu eingeführten Regelungen ermöglichen dem Schuldner weitergehende – zum Teil faktische – Einflussmöglichkeiten gegenüber der früheren Rechtslage. So hat der Schuldner zunächst bei Vorliegen entsprechender Finanzkennzahlen12) gemäß 19 §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO die Möglichkeit, die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses mit vom ihm vorgegebener Besetzung zu beantragen. Schlägt dieser vorläufige Gläubigerausschuss sodann einstimmig einen bestimmten Verwalter vor, so darf das Gericht von diesem Vorschlag nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist, § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO. Die schuldnerische Geschäftsleitung hat somit zu einen die Möglichkeit, bestimmte 20 Gläubiger von vornherein aktiv in das Verfahren miteinzubeziehen. Hierunter können bspw. Repräsentanten von Lieferanten oder Kunden des Schuldnerunternehmens sein, die eine Fortsetzung der Zusammenarbeit über das Insolvenzverfahren hinaus anstreben. ___________ 10) Vgl. Wendler in: HambKomm-InsO, § 101 Rz. 3; Passauer/Stephan in: MünchKomm-InsO, § 101 Rz. 19; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 101 Rz. 6. 11) BGBl. I 2011, 2582. 12) Nach § 22a Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale erfüllt hat: 1. mindestens 4.840.000 € Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags i. S. des § 268 Abs. 3 HGB; 2. mindestens 9.680.000 € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; 3. im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer.

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§ 17

Teil III Einzelfragen

21 Zum anderen hat die Geschäftsleitung, sofern sie diesbezüglich Einigkeit mit sämtlichen Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses erzielt, die Möglichkeit, auf einen Insolvenzverwalter hinwirken, der durch seine fachlichen und personellen Ressourcen die Gewähr dafür bietet, den schuldnerischen Betrieb fortführen zu können.13) IV.

Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Insolvenzverfahren

1.

Auskunftspflichten im Antragsverfahren

22 Sofern ein zulässiger Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegt, ist der Schuldner nach § 20 Abs. 1 InsO verpflichtet, dem Insolvenzgericht diejenigen Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über den Antrag erforderlich sind. Ist ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so hat der Schuldner auch ihm alle für seine Tätigkeit erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 22 Abs. 3 Satz 3 InsO).14) Bei der in § 20 InsO geregelten Auskunftspflicht handelt es sich um eine höchstpersönliche Pflicht, derer sich der Schuldner nicht durch Delegation auf einen Rechtsanwalt oder Steuerberater entziehen kann.15) Hierbei darf sich der Schuldner nicht lediglich darauf beschränken, sein präsentes Wissen mitzuteilen; er hat überdies Vorarbeiten zu erbringen, um eine sachdienliche Auskunft leisten zu können; insbesondere hat er die erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen16) und auf Verlangen schriftliche Verzeichnisse und Übersichten vorzulegen.17) 23 Durch die Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 InsO können das Insolvenzgericht bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter die (öffentlich-rechtlichen) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners im Eröffnungsverfahren ggf. auch zwangsweise durchsetzen.18) In der Praxis hat sich die Regelung gerade für diesen Verfahrensabschnitt daher als äußerst wichtig erwiesen. Die zutreffende Aufklärung der maßgebenden Sachverhalte im Antragsverfahren liefert regelmäßig die Grundlage dafür, dass das schuldnerische Unternehmen nach Verfahrenseröffnung erfolgreich fortgeführt werden kann. Regelmäßig soll eine übertragende Sanierung unmittelbar mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzogen werden, weshalb die Zeit im Antragsverfahren knapp bemessen und wertvoll ist. Wenn es in diesem wichtigen Verfahrensstadium auf Seiten des Schuldners an dem Bewusstsein fehlt, die Lage des Unternehmens noch positiv beeinflussen zu können, kann sich die ultima ratio einer zwangsweisen Durchsetzung als verfahrensförderlich erweisen. 2.

Mitwirkungspflichten des Schuldners

24 Ebenfalls in § 20 Abs. 1 InsO ist geregelt, dass der Schuldner das Insolvenzgericht bzw. den vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterstützen und bei der Vorbereitung der Entscheidung über den Insolvenzantrag mitzuwirken hat. Wie bereits aus dem Wortlaut deutlich wird, bezieht sich diese Mitwirkungspflicht lediglich auf die Ermittlung des Insolvenzgrundes, die ___________ 13) Zum Anforderungsprofil gemäß § 56 a InsO s. Frind, NZI 2012, 650. 14) Schmahl in: MünchKomm-InsO, § 20 Rz. 4. 15) Vgl. Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 20 Rz. 14; Schmerbach in: FK-InsO, § 20 Rz. 17; Schröder in: HambKomm-InsO, § 20 Rz. 15; s. s. h. BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264. S. hierzu auch Uhlenbruck, NZI 2002, 401. 16) Vgl. BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264, sofern die Einleitung des Insolvenzverfahrens auf einem Schuldnerantrag nach § 13 InsO beruht, wird das Auskunftsbegehren des vorläufigen Verwalters an den im Eröffnungsantrag gemachten Angaben anknüpfen. 17) Vgl. Schröder in: HambKomm-InsO, § 20 Rz. 15; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 20 Rz. 11. 18) Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten aus § 20 InsO bestehen zwar grundsätzlich nur gegenüber dem Insolvenzgericht; das Gericht kann seine Auskunfts- und Mitwirkungsansprüche jedoch auch auf einen Sachverständigen als gerichtlichen Gehilfen gemäß § 4 InsO i. V. m. § 404a ZPO, § 5 InsO übertragen.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

der vorläufige Insolvenzverwalter als gerichtlich bestellter Sachverständiger vorzunehmen hat.19) Die Leitung des schuldnerischen Betriebs bleibt grundsätzlich nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen auch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens beim Schuldner, sofern das Gericht diesem kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter anordnet (§ 22 Abs. 1 InsO).20) Somit hat die Geschäftsleitung nach wie vor die Initiativfunktion in Bezug auf die Unter- 25 nehmensfortführung im Antragsverfahren, und dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter bleibt lediglich die Möglichkeit, über den gerichtlich angeordneten Zustimmungsvorbehalt Vermögensabflüsse aus dem schuldnerischen Vermögen zu verhindern. Daraus wird deutlich, dass ein schwacher vorläufiger Verwalter sich regelmäßig nicht von vornherein konfrontativ gegenüber der Geschäftsleitung verhalten wird, da diese insbesondere im Antragsverfahren entscheidenden Einfluss auf die Betriebsfortführung nehmen kann. 3.

Schutzschirmverfahren

3.1

Rechtsstellung der Geschäftsleitungsorgane

3.1.1 Vollumfängliche Beibehaltung der bisherigen Rechtsposition Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO stellt zwar auch ein vorläufiges Insol- 26 venzverfahren i. S. der InsO dar.21) Gleichwohl soll das Gericht, sofern der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist, nach § 270a InsO im Eröffnungsverfahren davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Vielmehr bestellt das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren dann anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter.22) Die Geschäftsleitungsorgane sind deshalb in einem solchem „Schutzschirm-Eröffnungs- 27 verfahren“ nicht durch Beschränkungen nach § 21 InsO in ihrer Verfügungsgewalt eingeschränkt.23) Vielmehr werden sie lediglich durch den Sachwalter überwacht. Betriebsleitende Entscheidungen können deshalb in uneingeschränkter Weise für eine 28 Betriebsfortführung eigenständig durch die bisherige Geschäftsleitung getroffen werden. Dies gilt sowohl für strategische oder operative Entscheidungen als auch für arbeitsrechtliche Einzel- oder Kollektiventscheidungen. Da es sich bei der Betriebsfortführung durch die Geschäftsleitung unter einem Schutz- 29 schirm jedoch auch um eine operative Tätigkeit i. R. eines Insolvenzeröffnungsverfahrens handelt, sind von der Geschäftsleitung gleichwohl die sonstigen insolvenzrechtlichen Regularien zu beachten. Insbesondere greifen auch i. R. eines Schutzschirmverfahrens die Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG oder §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG. Auch bei einer Betriebsfortführung darf die Geschäftsleitung bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit ___________ 19) Vgl. dazu auch Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 20 Rz. 38. 20) In der Praxis werden jedoch regelmäßig vorläufige Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass ihnen die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übertragen wird. 21) Vgl. zu den einzelnen Anträgen Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 9 ff. 22) Die Ausführungen zum Schutzschirmverfahren gelten entsprechend auch für das „normale“ vorläufige Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO – abgesehen von den Ausführungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, die beim Verfahren nach § 270a InsO noch einer erheblichen Rechtsunsicherheit unterliegt; vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 = ZInsO 2013, 460. 23) Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 39 f.

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Teil III Einzelfragen

keine Zahlungen mehr auf Altverbindlichkeiten leisten.24) Zwar setzt der zulässige und begründete Antrag auf ein Schutzschirmverfahren eine Bescheinigung voraus, wonach noch keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist. In der Praxis stellt sich die Realität allerdings so dar, dass mit Stellung des Schutzschirmantrages auch sämtliche Kreditforderungen von den Waren- und Finanzkreditgebern fällig gestellt werden bzw. werden müssen. Dies bedeutet, dass automatisch auch im Schutzschirmverfahren die insolvenzrechtliche Zahlungsunfähigkeit des Schuldners eintritt. Die Zahlungsbeschränkungen greifen daher für den Schuldner in der Praxis umgehend. 30 Ebenfalls insolvenzrechtlich „eingeschränkt“ ist der Schuldner durch die zu beachtenden Aus- und Absonderungsrechte, die bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren ihre Geltung beanspruchen. Zwar kann sich die Geschäftsleitung während des Schutzschirmverfahrens auch auf die üblichen insolvenzrechtlichen Schutzmechanismen berufen (z. B. Kündigungssperren, aufschiebendes Erfüllungswahlrecht bis zum Berichtstermin bei Eigentumsvorbehaltsware etc.). Gleichwohl sind allerdings – analog zu einem vorläufigen Insolvenzverwalter – Sicherungsmaßnahmen in Form von Inventarisierung und Inventur zum Antragsstichtag vorzunehmen. 3.1.2 Verstärkung des sanierungs- und insolvenzrechtlichen Know-hows durch einen CRO als zusätzliches Organ oder Berater 31 Damit die Geschäftsleitung des Schuldnerunternehmens die genannten insolvenzrechtlichen Vorgaben während eines Schutzschirmverfahrens beachtet und sich nicht selbst potentiellen Haftungsansprüche aussetzt, ist es üblich und sachgemäß, dass die bisherige Geschäftsleitung durch einen sog. „Chief Restructuring Officer“ (CRO) ergänzt wird.25) Hierbei handelt es sich üblicherweise um einen Insolvenzrechtsspezialisten, der auch bei allen Beteiligten Gläubigergruppen dafür sorgen kann, dass das nötige Vertrauen in die schuldnerische Eigenverwaltung beibehalten oder neu gewonnen wird.26) Die Implementierung eines CRO kann in unterschiedlicher Weise erfolgen. Entweder erfolgt dies i. R. eines Beraterstatus oder aber sogar durch den Eintritt in die formale Organstellung als zusätzlicher Restrukturierungs-Geschäftsführer. 3.2

Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten

32 Ausfluss der vorläufigen Eigenverwaltung als „Standardsituation“ im Schutzschirmverfahren ist es auch, dass der Schuldner durch seine bisherige (oder neu bestellte bzw. insolvenzrechtlich verstärkte) Geschäftsleitung Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO begründen kann.27) Voraussetzung hierfür ist allerdings nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO, dass der Schuldner dies ausdrücklich beantragt und das Insolvenzgericht einen entsprechenden Beschluss fasst.28) Hierdurch wird der Schuldner im Hinblick auf die Betriebsfortführung während des Schutzschirmverfahrens allerdings soweit gestärkt, dass er – gleich einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis29) – die Geschicke der Unternehmung

___________ 24) Vgl. dazu auch Koch in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 99. 25) S. zur Rolle eines Chief Restructuring Officers in der Unternehmenskrise ausführlich Kaufmann in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 23. 26) S. dazu auch M. Hofmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 117. 27) Vgl. dazu auch Koch in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 87. 28) Foltis in: FK-InsO, § 270b Rz. 41. 29) Vgl. Braun-Riggert, InsO, § 270b Rz. 13.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

autonom weiterlenken und die erforderlichen Maßnahmen in Form von Einkäufen, Warenentnahmen, Abschluss von sonstigen Dienstleistungsverträgen etc. kann.30) 3.2.1 Haftung für Masseverbindlichkeiten, die während des Schutzschirmverfahrens begründet wurden Die Masseverbindlichkeiten, die i. R. eines Beschlusses nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO 33 begründet wurden, gelten nach § 270b Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 2 InsO auch im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten. Hierin ausdrücklich eingeschlossen sind auch Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit die Gegenleistung für das verwaltete Vermögen in Anspruch genommen wurde. Diese Ansprüche teilen – z. B. bei einer etwaigen Masseunzulänglichkeit nach Verfahrenseröffnung – damit das Schicksal der übrigen Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO im eröffneten Insolvenzverfahren. Dies hat aus Sicht des Schuldners den sehr großen Vorteil, dass Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung innerhalb der üblichen Zahlungsziele beglichen werden können und nicht etwa zwingend flächendeckend auf eine (oftmals ohnehin nachgefragte) Vorkasseregelung umgestellt werden muss.31) Für Gläubiger, die während des Schutzschirmverfahrens Forderungen mit Masseschuld- 34 charakter generieren, empfiehlt sich deshalb nach wie vor die genauere Überprüfung dahingehend, ob Sicherungsrechte bereits bestehen (z. B. aufgrund von einfachen Eigentumsvorbehaltsrechten) oder ob zusätzliche Sicherungsinstrumente notwendig sind, für den Fall, dass im eröffneten Verfahren nicht genügend Insolvenzmasse vorhanden sein sollte. 3.2.2 Haftungsmasse Als Haftungsmasse steht für den Gläubiger, der bei einer Betriebsfortführung während 35 des Schutzschirmverfahrens gegenüber dem Schuldner Forderungen mit Masseschuldcharakter generiert hat, zunächst nur die (spätere) Insolvenzmasse zur Verfügung. Reicht diese bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aus, um die fälligen Masseverbindlichkeiten vollumfänglich zu befriedigen, so werden die Geschäftsleitung bzw. der Sachwalter bei einer Eigenverwaltung oder aber auch der Insolvenzverwalter bei einer Regelverfahrensabwicklung die Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO anzeigen. Der Gläubiger muss in einem solchen Fall dann auf eine entsprechende Masseschuldquote hoffen. Für den Gläubiger, welcher i. R. eines Schutzschirmverfahrens im vorläufigen Insolvenz- 36 verfahren neue Verbindlichkeiten zu seinen Lasten begründen lässt, stellt sich damit die schwierige Situation, dass die Finanzverhältnisse seines Vertragspartners, der sich ja bereits in einem insolvenzrechtlichen Verfahren befindet, noch schwieriger einsehbar bzw. überprüfbar sind, als dies bereits zuvor außerhalb der Insolvenz war. Während die Finanzkraft bzw. die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Vertragspartners außerhalb der Insolvenz zumindest einigermaßen über branchenübliche Informationsdienste (Rating bei den Warenkreditversicherern, Auskünfte über Creditreform oder Schufa) greifbar ist, fehlen solche Anhaltspunkte nach Beantragung eines Schutzschirmverfahrens vollständig. Der Gläubiger weiß in dieser Situation nur, dass die Finanzmittel nicht für alle fällig werdenden Verbindlichkeiten ausgereicht haben. Wie stark oder wie schwach die finanzielle Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt des andauernden Schutzschirmverfahrens allerdings ist bzw. sein wird, ist für ihn in keiner Weise mehr einsehbar. Zusätzlich riskant wird die Situation für ihn dadurch, dass er zwar generell davon ausgehen 37 kann, dass die freie Insolvenzmasse als Haftungsmasse für die neu generierten Verbindlich___________ 30) S. a. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 25 f. 31) Vgl. Koch in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 88.

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§ 17

Teil III Einzelfragen

keiten zur Verfügung steht. Nicht einsehbar ist allerdings die Sachlage dahinghend, welche Vermögensgegenstände überhaupt als „freie“ Insolvenzmasse zur Verfügung stehen und welche bereits vor Stellung des Schutzschirmantrages mit Sicherungsrechten zugunsten anderer Gläubiger belegt waren. Die Frage nach einer potentiellen persönlichen Haftung wird deshalb ebenfalls recht schnell virulent werden. 3.2.3 Persönliche Haftung der Geschäftsleitungsorgane, Haftungsmaßstab 38 Ob die Geschäftsleitungsorgane, die die Masseverbindlichkeiten während des Schutzschirmverfahrens begründen, im Falle der Masseunzulänglichkeit auch persönlich haften können, ist in der InsO nicht ausdrücklich geregelt.32) Der von seinen Organen vertretene Schuldner selbst haftet im Insolvenzverfahren ohnehin mit seinem gesamten Vermögen. Durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten i. R. einer Betriebsfortführung wird lediglich die Gläubigerrangstufe verändert, die zur Verfügung stehende Haftungsmasse bleibt jedoch stets dieselbe – wenngleich sie bei einer erfolgreichen Betriebsfortführung eigentlich größer werden sollte. 39 Der Sachwalter haftet grundsätzlich nicht für Masseverbindlichkeiten, die im Schutzschirmverfahren begründet wurden. Denn die Ermächtigung nach § 270b Abs. 3 InsO wird dem Schuldner erteilt, nicht dem Sachwalter. Darüber hinaus findet sich in § 274 Abs. 1 InsO gerade keine Verweisung auf § 61 InsO.33) Etwas anderes gilt ausdrücklich nur dann, wenn der Sachwalter bei einem gerichtlich angeordneten Zustimmungsvorbehalt im eröffneten Insolvenzverfahren der Begründung der Masseverbindlichkeiten zustimmt; § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO. 40 Vor diesem Hintergrund sind bereits Erwägungen anzutreffen, wonach die handelnden Geschäftsleitungsorgane einer „analogen Haftung nach §§ 60, 61 InsO“ unterworfen sein sollen, falls Masseverbindlichkeiten aus dem Schutzschirmverfahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen werden können.34) Ob eine solche Analogie mit dem durch das ESUG bezweckten Ziel einer deutlichen Erleichterung der Sanierung allerdings in Einklang zu bringen ist, erscheint zweifelhaft. V.

Die Rechtsstellung des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren

1.

Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts

41 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren der Schuldner bzw. die Geschäftsführungsorgane einer Kapitalgesellschaft ihre Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Diese geht gemäß § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Sämtliche Maßnahmen i. R. einer Betriebsfortführung – mögen sie das reine Tagesgeschäft betreffen oder in ihrer Bedeutung darüber hinausgehen – sind fortan vom Insolvenzverwalter zu treffen.35) 42 Dies bedeutet einerseits im operativen Geschäft, dass der Schuldner keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten mehr hat, wenn der Insolvenzverwalter i. R. einer angestrebten Sanierung die Betriebsfortführung dahingehend gestaltet, dass bspw. Produkte aus der Produktion genommen werden oder die Kundenstruktur bereinigt wird. Andererseits liegt es nach ___________ 32) 33) 34) 35)

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Vgl. Flöther in: Kübler, HRI, § 17 Rz. 39. Weitzmann in: HambKomm, InsO, § 61 Rz. 5. Flöther in: Kübler, HRI, § 17 Rz. 39. Eine Ausnahme besteht hierbei gemäß § 35 Abs. 2 InsO im (bereits eröffneten) Insolvenzverfahren natürlicher Personen: Übt hier der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zunächst zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

Verfahrenseröffnung auch in der ausschließlichen Entscheidungskompetenz des Insolvenzverwalters, arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.36) Dies gilt in gleichem Maße für arbeitsrechtliche Einzelentscheidungen wie auch für Kollektivmaßnahmen, die ganze Arbeitnehmergruppen oder die gesamte Betriebsstruktur betreffen. Für den Schuldner selbst verbleibt im eröffneten Insolvenzverfahren bei einer Betriebsfort- 43 führung lediglich der sog. insolvenzfreie Gesellschaftsbereich. Alle Aufgaben und Befugnisse, die dem sog. insolvenzrechtlichen Verdrängungsbereich zuzuordnen sind, unterstehen der ausschließlichen Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Trotz dieser weitgehenden Verdrängung seiner Befugnisse durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Schuldner in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, aktiv am Insolvenzverfahren mitzuwirken. Umgekehrt ist er nicht auf bloße „Duldung“ beschränkt, sondern hat die Möglichkeit, das Insolvenzverfahren aktiv durch vielfältige Gestaltungsbefugnisse zu beeinflussen.37) 2.

Auskunftspflicht des Schuldners im eröffneten Verfahren

Nach § 97 Abs. 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insol- 44 venzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben. Hierbei hat der Schuldner auch diejenigen Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Jedoch darf eine Auskunft, die der Schuldner gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 erteilt, in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen den Schuldner oder einen in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen des Schuldners nur mit Zustimmung des Schuldners verwendet werden. Präzisiert werden Inhalt und Umfang der Mitwirkungspflichten in § 97 Abs. 3 InsO: 45 Der Schuldner ist verpflichtet, sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu stellen, um seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Er hat alle Handlungen zu unterlassen, die der Erfüllung dieser Pflichten zuwiderlaufen. Die Auskunftspflicht besteht nicht nur für den Schuldner selbst, sondern auch insbesondere für die gesetzlichen Vertreter wie Geschäftsführer, Vorstände oder Liquidatoren.38) Der Schuldner hat dem Insolvenzverwalter Auskünfte zu den Vermögensverhältnissen, dem Gläubigerund Schuldnerverzeichnis und den Ursachen der Krise zu geben, ebenso wie zu Anfechtungslagen, Auslandsvermögen und Sachverhalten, die unmittelbar oder mittelbar die Insolvenzmasse betreffen.39) Damit zusammenhängend sind vom Schuldner auch eigenschädliche Umstände zu offen- 46 baren, selbst wenn sie ihn einer Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen (§ 97 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zwar dürfen die entsprechenden Angaben nicht ohne seine Zustimmung in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht gegen ihn oder seine nahen Angehörigen verwendet werden (§ 97 Abs. 1 Satz 2 InsO). Voll verwertbar sind die vom Schuldner offenbarten Umstände dagegen im Hinblick auf eine zivilrechtliche Haftung.40) Ergeben sich aus den Auskünften des Schuldners Anzeichen oder Beweise für eine verspätete Insolvenzantragstellung, so hat der Insolvenzverwalter regelmäßig Ansprüche gegen die Unternehmensleitung, etwa nach § 64 GmbHG, §§ 92, 93 AktG oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO durchzusetzen. ___________ 36) 37) 38) 39) 40)

App in: FK-InsO, § 80 Rz. 15. Gottwald-Klopp/Kluth, InsR-Hdb., § 18 Rz. 5. Grub in: Kölner Schrift, 1997, S. 513, 527 Rz. 44. Gottwald-Klopp/Kluth, InsR-Hdb., § 18 Rz. 6; Uhlenbruck KTS 1997, 371, 386. Vgl. hierzu Hohnel, NZI 2005, 152; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403 f.

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§ 17 3.

Teil III Einzelfragen Einsichtsrecht des Schuldners im eröffneten Verfahren

47 Mit den unter Rz. 44 dargestellten Auskunftspflichten der schuldnerischen Unternehmensleitung korrespondieren keine entsprechenden Rechte, ihrerseits Auskunft über verfahrenserhebliche Informationen vom Insolvenzverwalter zu erhalten. Ob der Insolvenzverwalter somit im Einzelfall Auskunft erteilt, ist seinem pflichtgemäßen Ermessen vorbehalten.41) Der Schuldner ist für den Fall, dass der Insolvenzverwalter seine Informationen nicht freiwillig mit ihm teilt, grundsätzlich auf die Einsicht in die Insolvenzakte angewiesen.42) Insoweit kommt dem Insolvenzverwalter indes regelmäßig ein beträchtlicher Informationsvorsprung zugute, da er (innerhalb der gesetzlichen Grenzen) bestimmen kann, wann welche Information Eingang in die Insolvenzakte findet. Beispiel: Will der Schuldner sich bspw. umfänglich über Verhandlungen im Zuge eines Asset Deals informieren und insoweit ggf. gestaltend mitwirken, ist er hierzu regelmäßig auf die Zustimmung seitens des Insolvenzverwalters angewiesen. Wie eingangs bereits beschrieben, liegt häufig ein Näheverhältnis zwischen der schuldnerischen Unternehmensleitung und der Interessentenbzw. Erwerberseite vor. In derartig gelagerten Fällen werden Schuldnervertreter regelmäßig versuchen, über diesen Weg Informationen über den Verkaufsprozess zu erhalten. Die Verwalterpraxis sichert dieses Risiko regelmäßig durch entsprechende (ggf. bereits vorvertraglich vereinbarte) Verschwiegenheitsklauseln ab. 4.

Rechte des Schuldners bei Betriebsstilllegung

48 Nach dem gesetzlichen Leitbild hat der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen bis mindestens zum Berichtstermin fortzuführen. Ist ihm dies aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, so hat der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 158 Abs. 1 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. Das Insolvenzgericht untersagt allerdings auch auf Antrag des Schuldners und nach Anhörung des Insolvenzverwalters die Stilllegung oder Veräußerung, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann (§ 158 Abs. 2 Satz 2 InsO). 49 Der Schuldner kann deshalb i. S. einer Betriebsfortführung des Unternehmens bei wirtschaftlicher Vertretbarkeit Gegenmaßnahmen gegen eine Stilllegung einleiten. Er muss, um Erfolgsaussichten zu haben, seinen Untersagungsantrag nach § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO allerdings ausreichend begründen und darlegen, weshalb keine wesentliche Verminderung der Insolvenzmasse durch die Betriebsfortführung zu befürchten ist.43) 50 Gleiches gilt für die Situation im vorläufigen Insolvenzverfahren. Die InsO geht davon aus, dass der Schuldner selbst bzw. dessen Organe die Fortführung des Unternehmens betreiben. Für den vorläufigen Insolvenzverwalter, dem die vollumfängliche Verwaltungsund Verfügungsbefugnis übertragen wurde, regelt § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausdrücklich, dass er das Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens fortzuführen hat. Eine Stilllegung kann auch der vorläufige Insol___________ 41) In der Regel reichen hierbei die dargelegten Anhörungs-, Anwesenheits- und Einsichtsrechte aus; s. Gottwald-Klopp/Kluth, InsR-Hdb., § 18 Rz. 18. 42) Das Recht zur Einsicht in Gerichtsakten ergibt sich aus § 4 InsO i. V. m. § 299 ZPO. Dem Schuldner wird regelmäßig bereits im Antragsverfahren Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Gerichts gewährt. 43) Decker in: HambKomm, InsO, § 158 Rz. 9, weist ausdrücklich darauf hin, dass die gesetzliche Regelung zwar diese Darlegung durch den Schuldner nicht zwingend verlangt, gleichwohl aber die Erfolgsaussichten nur dann gegeben sein werden, wenn dem Insolvenzgericht entsprechende Informationen zur Verfügung gestellt werden. Denn der Insolvenzverwalter, der anzuhören ist, wird seine Entscheidung zur Betriebseinstellung ebenfalls entsprechend begründen.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

venzverwalter nur dann betreiben, wenn das Insolvenzgericht einer solchen ausdrücklich zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). 5.

Eigenverwaltungsbefugnis, Insolvenzplaninitiative

5.1

Befugnis zur Fortsetzung der Eigenverwaltung

Im Anschluss an ein Schutzschirmverfahren oder im Verfahren einer vorläufigen Eigen- 51 verwaltung wird regelmäßig im eröffneten Verfahren ebenfalls der Insolvenzschuldner – sofern keine wesentlichen Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind – auch die Befugnis erhalten, die Eigenverwaltung fortzusetzen. In diesem Zusammenhang werden dann sämtliche Entscheidungen, die für eine erfolgreiche Betriebsfortführung getroffen werden müssen, vom Schuldner selbst unter Aufsicht des gerichtlich bestellten Sachwalters getroffen (zu den Einzelheiten der Eigenverwaltung siehe unten Spies, § 24). Aber auch dann, wenn keine Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren stattfindet, sondern 52 die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen Insolvenzverwalter übergegangen ist, verbleiben dem Schuldner, der an einer Betriebsfortführung interessiert ist, mehrere Möglichkeiten, aktiv auf das Insolvenzverfahren Einfluss zu nehmen: 5.2

Vorlage eines Insolvenzplans

Nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner neben dem Insolvenzverwalter gleichbe- 53 rechtigt dazu befugt, einen Insolvenzplan vorzulegen.44) Die Vorlage des Insolvenzplans durch den Schuldner erfolgt völlig autonom. Die Regelung in § 218 Abs. 3 InsO, wonach bei der Aufstellung des Plans durch den Verwalter der Gläubigerausschuss, der Betriebsrat, der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten und schuldnerberatend mitwirken, greift nicht (auch nicht teilweise) bei einem Eigeninsolvenzplan, der durch den Schuldner aufgestellt wird. Wird also der Insolvenzverwalter nicht tätig, so bleibt es dem Schuldner unbenommen, zur Betriebsfortführung auf mittelfristiger Ebene einen Insolvenzplan selbst zu erstellen bzw. in Auftrag zu geben. Eine Kostentragung bzw. -erstattung durch die Insolvenzmasse erfolgt hierbei allerdings auch nicht.45) Weiterhin kann der Schuldner i. S. einer Betriebsfortführung und Rettung der Unterneh- 54 menseinheit gemäß § 233 Satz 1 InsO die Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse beantragen, wenn durch eine solche die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde.46) Dies bedeutet, dass auch der Schuldner – neben dem Insolvenzverwalter – gerichtliche Maßnahmen ergreifen kann, um die Betriebsfortführung (auch wenn er nicht in Eigenverwaltung handelt) sicherzustellen. 5.3

Widerspruchsmöglichkeiten gegen „Fremdinsolvenzplan“, § 247 InsO

Der Schuldner kann nach dem gesetzgeberischen Leitbild einem Insolvenzplan, der nicht 55 durch ihn selbst, sondern durch den Insolvenzverwalter erstellt wurde, nach § 247 Abs. 1 widersprechen.47) Allerdings gilt die Zustimmung als erteilt, wenn der Schuldner nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht. Zudem verhindert die InsO in § 247 Abs. 2 InsO den rechtsmissbräuchlichen Widerspruch bereits dadurch, dass der Widerspruch als unbeachtlich angesehen wird, wenn der Schuldner durch den Plan vor___________ 44) S. dazu näher Jaffé in: FK-InsO, § 218 Rz. 6 ff. 45) Jaffé in: FK-InsO, § 218 Rz. 22. 46) Braun-Braun/Frank, InsO, § 233 Rz. 7, weisen zutreffend darauf hin, dass ein Aussetzungsantrag praktisch nur in den Fällen relevant werden wird, in denen der Schuldner selbst einen Insolvenzantrag vorgelegt hat. 47) S. dazu auch Schreiber in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 24 Rz. 91 f.

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553

§ 17

Teil III Einzelfragen

aussichtlich nicht schlechter gestellt wird und kein Gläubiger durch den Plan mehr erhält als ihm nominal zusteht. 6.

Restzuständigkeiten im höchstpersönlichen und insolvenzfreien Gesellschaftsbereich

56 Die Entscheidungskompetenz der schuldnerischen Unternehmensleitung wird jedoch nur insoweit durch die insolvenzrechtlichen Vorgaben beschränkt, als die Verfahrensziele es gebieten; daher besteht neben dem insolvenzrechtlichen Verdrängungsbereich ein insolvenzfreier Bereich, innerhalb dessen der Schuldner uneingeschränkt entscheidungsbefugt bleibt: Nicht übertragbare Rechte 57 Zunächst bleibt der Schuldner weiterhin Eigentümer der massezugehörigen Sachen und Rechte und wird auch aus höchstpersönlichen, nicht übertragbaren Rechtsmachtstellungen nicht verdrängt.48) Dies gilt bspw. für Persönlichkeitsrechte und daraus resultierende Abwehrmaßnahmen. Gleiches gilt etwa für die kassenärztliche Zulassung eines insolventen Vertragsarztes.49) 6.1

Insolvenzfreier Gesellschaftsbereich

6.1.1 Registerrechtliche/börsenrechtliche Angelegenheiten 58 Um die Kapitalmarktfähigkeit börsennotierter Gesellschaften zu erhalten, hat der Gesetzgeber nicht davon abgesehen, den Vorstand einer börsennotierten AG bereits während des vorläufigen Insolvenzverfahrens oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von seinen Mitteilungspflichten nach dem WpHG zu entbinden. Vielmehr gelten diese auch während des vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahrens weiter fort.50) Dies mag in den Fällen, in denen eine Betriebsfortführung u. U. auch davon abhängen wird, dass frisches Kapital durch die Aktionärsseite zugeführt wird, durchaus Sinn machen. 59 Eine Verlagerung von Zuständigkeiten hat i. R. der gesetzgeberischen Regelung hier jedoch nicht stattgefunden.51) Dies bedeutet, dass der Schuldner bzw. seine Organe und nicht der Insolvenzverwalter zuständige Person i. S. des WpHG bleiben. Der Insolvenzverwalter (sogar bereits der vorläufige) muss dem Schuldner jedoch die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, damit die gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt werden können (vgl. § 11 Abs. 1 WpHG).52) 60 Bei börsennotierten Gesellschaften kann damit festgehalten werden, dass die bisherigen Organe nach Verfahrenseröffnung auch i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens keineswegs ihre Aufgaben und Funktionen voll umfänglich verloren haben. Gerade im Hinblick auf kapitalmarktrechtliche Vorgaben muss auch während einer Betriebsfortführung gewährleistet bleiben, dass funktionierende und ordnungsgemäß besetzte Organgremien vorhanden sind. 6.1.2 Umfirmierung/Verkauf der „Handelsfirma“ 61 Kann die Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht innerhalb der bisherigen unternehmerischen Einheit, respektive der bisherigen Rechtsträger erfolgen, sondern muss im Zuge einer übertragenden Sanierung der Betrieb übertragen und inner___________ 48) 49) 50) 51) 52)

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Braun-Kroth, InsO, § 80 Rz. 10. Vgl. Braun-Kroth, InsO, § 80 Rz. 10 m. w. N. S. dazu auch Uhlenbruck in: FS Lüer, S. 461, 473. Vgl. Wellensiek/Flitsch in: FS Fischer, S. 579, 599. S. hierzu kritisch Wellensiek/Flitsch in: FS Fischer, S. 579, 599.

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Der Schuldner in der Betriebsfortführung

§ 17

halb eines neuen Rechtsträgers fortgeführt werden, so kann es erforderlich sein, die bisherige Firma mitzuveräußern und den alten Rechtsträger ggf. umzufirmieren. Diese Vorgehensweise einer Veräußerung nebst Umfirmierung der alten (Abwicklungs-)Gesellschaft ist eine Vorgehensweise, die vom Unternehmenserwerber in der Praxis oft gefordert wird. Gerade um dem Grundsatz der Firmenklarheit Rechnung zu tragen, wird regelmäßig verlangt, die alte Firma aufzugeben. Die Firmenveräußerung, aber auch die Firmenänderung i. R. des Unternehmensverkaufs, fällt damit nicht mehr in die Hände des bisherigen Schuldners (oder seiner Gesellschafter), sondern obliegt dem Insolvenzverwalter. In diesem Bereich wird demnach der gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsbereich deutlich zugunsten des Insolvenzverwalters zurückgedrängt. 6.1.3 Organwechsel Nicht vom insolvenzrechtlichen Verdrängungsbereich überlagert wird der Kompetenzbereich 62 des Schuldners, welcher sich auf die gesellschaftsrechtliche Bestellung oder Abberufung von Organen bezieht.53) Bei Gesellschaftsorganen wird zwischen x

der dienst-/arbeitsrechtlichen Vertragsbeziehung einerseits und

x

der gesellschaftsrechtlichen Organbestellung

unterschieden. Die dienstvertragliche Vereinbarung, in welcher neben der Vergütung des Geschäftsfüh- 63 rers oder Vorstandes auch die sonstigen Rechte und Pflichten gegenüber der Gesellschaft geregelt sind, unterfällt – da sie vermögensrechtlich geprägten Charakter hat – dem insolvenzrechtlichen Verdrängungsbereich. Es obliegt damit dem Insolvenzverwalter, über die Fortsetzung oder Beendigung des Dienstvertrages zu entscheiden. Anders hingegen verhält es sich bei der formalen gesellschaftsrechtlichen Organbestel- 64 lung. Da diese Ausfluss der Gesellschafterrechte ist, kann der Insolvenzverwalter weder Organe abberufen noch neu bestellen.54) Zu einer Änderung im Handelsregister ist daher ebenfalls nur der Geschäftsführer/Vorstand eines Unternehmens antragsbefugt. Eine Aufweichung dieser Trennlinie hat der Gesetzgeber – wiederum durch das ESUG 65 mit Wirkung zum 1.3.2012 – nunmehr bei der Eigenverwaltung vorgenommen. Durch die Neuregelung des § 276a InsO ist es den Gesellschaftern nicht mehr ohne weiteres möglich, einen unliebsam gewordenen Geschäftsführer als Organ abzuberufen und somit über den Hebel des Organtausches Einfluss auf die weitere Entwicklung des Insolvenzverfahrens zu nehmen.55) 6.1.4 Kapitalmaßnahmen Ebenfalls in den Bereich der insolvenzfreien Gesellschaftssphäre fallen Kapitalmaßnahmen 66 während des Insolvenzverfahrens. Um eine mittel- und langfristige Betriebsfortführung gewährleisten zu können, kann es erforderlich sein, dass während des Insolvenzverfahrens Kapitalmaßnahmen umgesetzt werden. So können bspw. Kapitalerhöhungen bereits während des Insolvenzverfahrens erfolgen. Das insolvenzrechtliche Regime hindert die Gesellschafter (GmbH-Anteilsinhaber oder Aktionäre) nicht daran, diese Kapitalerhöhung zu beschließen und umzusetzen. Gleiches gilt für die Kapitalherabsetzung (Kapitalschnitt), um denjenigen Gesellschaftern, die frisches Kapital zuführen auch entsprechend geänderte Mehrheitsverhältnisse zuweisen zu können. ___________ 53) Dazu ausführlich Wellensiek/Flitsch in: FS Fischer, S. 579, 586 f. 54) Nerlich/Römermann-Wittkowski, InsO, § 80 Rz. 34. 55) Vgl. dazu Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 60 f.

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§ 17

Teil III Einzelfragen

67 In diesem Kontext wird oftmals die Frage erörtert, wer die Kosten solcher Gesellschafterversammlungen zu tragen hat.56) Von größerer praktischer Relevanz ist diese Fragestellung allerdings nur im Hinblick auf (u. U. börsennotierte) AGs.57) Die Versammlung von GmbHGesellschaftern wird überwiegend nicht sehr kostenintensiv erfolgen müssen. Bei Kapitalmaßnahmen, die durch eine Hauptversammlung einer AG beschlossen werden, ist danach zu unterscheiden, welche Maßnahmen auf der Hauptversammlung beschlossen werden sollen. Handelt es sich um Maßnahmen, die der Sanierung und damit der Ermöglichung der Betriebsfortführung dienen, wird der Insolvenzverwalter keine Bedenken haben, die für eine Hauptversammlung anfallenden Kosten aus der Insolvenzmasse zu begleichen.58) Rein faktisch würde sonst eine Sanierung, die auch einen Beitrag seitens der Gesellschafter benötigt, bereits daran scheitern, dass neben dem insolvenzbefangenen Vermögen naturgemäß kein weiteres insolvenzfreies Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist. Letztlich müsste ansonsten die Hauptversammlung durch die Gesellschafterkreise „gesponsert“ werden, was insbesondere einer börsennotierten Gesellschaft regelmäßig rein faktisch nicht möglich.

___________ 56) S. hierzu auch Uhlenbruck in: FS Lüer, S. 461, 471 f. 57) Vgl. Wellensiek/Flitsch in: FS Fischer, S. 579, 588. 58) Wenngleich auch durch die Einberufung einer Hauptversammlung nicht automatisch Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO generiert werden; vgl. Oechsler, AG 2006, 606, 611; Mohrbutter/ Ringstmeier-Homann, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 26 Rz. 152; Wellensiek/Flitsch in: FS Fischer, S. 579, 588.

556

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§ 18 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz Übersicht I. II. III. IV. 1.

2. 3.

Problemaufriss............................................. 1 Typen von Genehmigungen ..................... 2 Realkonzessionen in der Insolvenz .......... 4 Personalkonzessionen in der Insolvenz ...................................................... 9 Gewerberechtliche Personalkonzessionen ............................................. 11 1.1 Widerruf der Erlaubnis .................. 14 1.1.1 Unzuverlässigkeit............................ 16 1.1.2 Geltung von § 12 GewO ............... 24 1.2 Fortführung in der Insolvenz......... 30 Personalkonzessionen außerhalb der Gewerbeordnung ....................................... 35 Sonderfall: Freiberufler.............................. 37 3.1 Widerruf der Berufszulassung........ 40

3.1.1 Gesundheitsberufe .......................... 42 3.1.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer .............. 48 3.1.3 Architekten ..................................... 56 3.2 Möglichkeiten der Fortführung ..... 57 3.2.1 Gesundheitsberufe .......................... 59 3.2.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer .............. 68 V. Alternativszenarien .................................. 75 1. Verwertung öffentlich-rechtlicher Befugnisse................................................... 76 2. Freigabe zur Fortführung durch den Schuldner .................................................... 81 VI. Fazit ............................................................ 86

Literatur: Arens, Steuerforderungen im Zusammenhang mit dem Neuerwerb nach Neuregelung des § 35 InsO, DStR 2010, 446; Berger, Die unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO, ZInsO 2008, 1101; Braun/Gründel, Approbationsentzug wegen Unwürdigkeit und Anspruch auf Wiedererteilung der Approbation, MedR 2001, 396; Friauf, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblatt, Stand: 10/2011; Graf/Wunsch, Eigenverwaltung und Insolvenzplan – gangbarer Weg in der Insolvenz von Freiberuflern und Handwerkern, ZIP 2001, 1029; Haarmeyer, Die Freigabe selbständiger Tätigkeit des Schuldners und die Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters, ZInsO 2007, 696; Hahn, Einige Rechtsprobleme des § 12 GewO, GewA 2000, 361; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2007; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., 2010; Hess/Röpke, Die Insolvenz der kammerabhängigen freien Berufsangehörigen, NZI 2003, 233; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl., 2000; Jaeger, Konkursordnung, Kommentar, 9. Aufl., 1997; Janca, „Endlich Rechtsanwalt bleiben?“, ZInsO 2005, 242; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kommentar, 89. Aufl., 2012; Jarass, Wirtschafsverwaltungsrecht, 3. Aufl., 1997; Kluth, Die freiberufliche Praxis „als solche“ in der Insolvenz – Viel Lärm um nichts?, NJW 2002, 186; Kotulla, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Kommentar, Loseblatt, Stand: 6/2011; Krumm, Die Auslegung des § 12GewO zwischen Sonderinteresse und gemeinwohlorientierter Gefahrenabwehr, GewA 2010, 465; Landmann/ Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblatt, Stand: 2/2013; Leitherer, Kasseler Kommentar zum Sozialrecht, 77. Aufl., 2013, Stand: 3/2013; Mai, Die selbständig tätige natürliche Person im Insolvenzverfahren – Besonderheiten im Hinblick auf Pfändungsschutz und Unternehmensfortführung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009, Kap. 19; Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 67. Aufl., 2013; Piekenbrook, Das ESUG – fit für Europa?, NZI 2012, 905; Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch zum Sozialrecht, 3. Aufl., 2009; Ruthig/ Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2011; Schick, Der Konkurs des Freiberuflers – Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 1990, 2359; Schaeffer, Der Begriff der Unzuverlässigkeit in § 35 Abs. 1 GewO, WiVerw 1982, 100; Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, Kommentar, 8. Aufl., 2012; Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2008; Schmittmann, Freie Kammerberufe und Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2004, 725; Smid, Freigabe des Neuerwerbs in der Insolvenz selbstständig tätiger Schuldner, DZWIR 2008, 133; Spickhoff, Medizinrecht, 2011; Stober/Eisenmenger, Besonderes Wirtschaftsverwaltungsrecht, 15. Aufl., 2011; Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, Kommentar, 8. Aufl., 2011; Tetztlaff, Rechtliche Probleme in der Insolvenz des Selbstständigen, ZInsO 2005, 393; Uhlenbruck, Die Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter, in: Festschrift für Wolfram Henckel, 1995, S. 877; Vallender, Gewerbeuntersagung während des Insolvenzverfahrens, VIA 2010, 55; Vallender, Die Arztpraxis in der Insolvenz, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Metzeler, 2003, S. 21; Vallender, Rechtliche und tatsächliche Probleme bei der Abwicklung der Arztpraxis in der Insolvenz, NZI 2003, 530; Voigt/Gerke, Die insolvenzfreie, selbständige Arbeit, ZInsO 2002, 1054; Wischemeyer, Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO – Praxisfragen und Lösungswege, ZInsO 2009, 2121.

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§ 18 I.

Teil III Einzelfragen Problemaufriss

1 Die Führung eines Gewerbes, Handwerks oder einer freiberuflichen Praxis ebenso wie der Betrieb einer Anlage ist in vielen Fällen von der Erteilung einer Genehmigung abhängig. Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Begünstigten der Genehmigung hat unterschiedliche Auswirkungen – je nachdem, welche inhaltliche Ausgestaltung die Genehmigung hat. ) II.

Typen von Genehmigungen

2 Genehmigungen sind öffentlich-rechtliche Befugnisse zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten, zum Bau und Betrieb von Gebäuden und Anlagen oder zur Nutzung von Sachen, welche die öffentliche Verwaltung hoheitlich, also in der Form eines Verwaltungsakts, erteilt. Traditionell wird zwischen sog. Sach- oder Realkonzessionen einerseits und Personalkonzessionen andererseits unterschieden.1) x

Realkonzessionen werden einem Unternehmen als solchem erteilt, sie knüpfen an bestimmte dingliche oder sachliche Voraussetzungen, wie etwa bestimmte Erfordernisse einer Anlage, an (z. B. §§ 4 ff. BImschG).2)

x

Personalkonzessionen dagegen knüpfen an die Person des Unternehmers an, der bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllen muss (z. B. § 34c GewO).3)

x

Häufig finden sich zudem gemischte Konzessionen bzw. sachgebundene Personalerlaubnisse, die beide Arten der Voraussetzungen kombinieren.4) Ein typisches Beispiel für eine solche gemischte Konzession ist die Gaststättenerlaubnis als raumbezogene Personalkonzession.

3 Bedeutsam ist die Unterscheidung vor allem im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit. Während eine Sachkonzession auf den Rechtsnachfolger übertragen werden kann, muss der Rechtsnachfolger in den Fällen der Personalkonzession in seiner Person die Voraussetzungen erfüllen. Er muss daher eine neue Genehmigung beantragen.5) Insbesondere die Personalkonzessionen bereiten vor diesem Hintergrund i. R. der Betriebsfortführung in der Insolvenz Probleme. Deshalb wird der Schwerpunkt der nachfolgenden Betrachtung auf den Personalkonzessionen liegen. III.

Realkonzessionen in der Insolvenz

4 Realkonzessionen sind auf die Sache (Anlage, Grundstück etc.) und nicht auf die Person des Inhabers bezogen.6) Es handelt sich um Rechte zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes, die gleichsam dinglichen Charakter haben, nämlich veräußerlich und vererblich sind.7) Deshalb lässt ein Wechsel der Person, etwa des Betreibers einer Anlage, ihre Wirksamkeit unberührt.8)

___________ *) 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

558

Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung von Mareike Götte erstellt. Jarass-Tünnessen-Harmes, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 9 Rz. 12 ff. Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 8 Rz. 25. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 4 Rz. 406. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 232; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rz. 282. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 232. Peters in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 35 Rz. 516. Sydow in: BeckOK GewO, § 10 Abs. 12. Jarass, BImSchG, § 15 Rz. 5b.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 18

Die Sachbezogenheit eröffnet die Möglichkeit, den Vermögenswert der Konzession un- 5 mittelbar zu Gunsten der Insolvenzmasse zu realisieren: x

Setzt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsverbot und mit Zustimmungsvorbehalt (sog. „halbstarker“ Insolvenzverwalter) ein, kann eine (bspw. nach BImSchG) genehmigungsbedürftige Anlage durch den bisherigen Betreiber fortgeführt werden, sofern der vorläufige Insolvenzverwalter hierzu seine Zustimmung erteilt. Dies wird und muss der vorläufige Insolvenzverwalter jedenfalls dann tun, wenn es sich um eine grundsätzlich profitable Anlage handelt.9)

x

Im eröffneten Insolvenzverfahren stellen die Realkonzessionen einen Teil der Insolvenzmasse dar, da ihnen regelmäßig ein Vermögenswert zukommt.10) Der Insolvenzverwalter übernimmt spätestens jetzt, soweit nicht durch einen Insolvenzplan etwas anderes bestimmt wurde und auch keine Eigenverwaltung angeordnet wurde, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Unternehmen. Er übernimmt nicht lediglich die schuldnerische Betriebsstätte und dessen Anlagen, sondern rückt durch die Übernahme einer Anlage in die Betreiberstellung ein.

Dies folgt daraus, dass Betreiber einer Anlage derjenige ist, der unter Berücksichtigung 6 der rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Umstände einen bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage hat.11) Einer förmlichen Übertragung bedarf es nicht. Als reine Sachkonzession geht die Genehmigung ohne Übertragungsgenehmigung oder Anzeige auf den neuen Betreiber über.12) Hieraus folgt, dass der Insolvenzverwalter sämtliche Rechte und Pflichten in Bezug auf den Betrieb der Anlage zu beachten hat, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beachten waren. Er hat insbesondere eine ordnungsgemäße Betriebsorganisation und die Einhaltung aller (v. a. öffentlich-rechtlicher) Pflichten eines Anlagenbetreibers sicherzustellen. Bedeutung hat der Eintritt des Insolvenzverwalters in die Betreiberposition u. a. für Alt- 7 lastenfälle. So trifft bspw. den Insolvenzverwalter als letzten Betreiber einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage die Nachsorgepflicht zur ordnungsgemäßen Beseitigung von Abfällen gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG, wenn er die Anlage des Insolvenzschuldners nach Insolvenzeröffnung kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen fortbetrieben hat. Die dadurch begründete Pflicht des Insolvenzverwalters ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Masseschuld zu erfüllen13) – ein Umstand, den der Insolvenzverwalter bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat, ob er den Betrieb fortführt. Zu dem Themenkomplex „Altlasten/Immissionsschutz und Haftung“ siehe auch nachfolgend Zimmermann, § 19. Auf ein bereits eingeleitetes, aber noch nicht abgeschlossenes Genehmigungsverfahren 8 für einen zur Masse gehörigen Gegenstand hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 240 Satz 1 ZPO eine unterbrechende Wirkung. Der Grund für die Unterbrechung liegt darin, dass der Insolvenzschuldner gemäß § 80 InsO seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse verliert, sobald ein Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt ist. Die Unterbrechung soll dem Insolvenzverwalter die Gelegenheit geben, sich mit dem Prozessstoff vertraut zu ___________ 9) Braun-Böhm, InsO, § 22 Rz. 21. 10) Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 1 Rz. 82; Peters in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 35 Rz. 516. 11) OVG Münster, Beschl. v. 27.11.2008 – 8 B 1476/08, UPR 2009, 238; Jarass, BImSchG, § 3 Rz. 81; Kotulla, BImschG, § 4 Rz. 77. 12) Jarass, BImSchG, § 15 Rz. 5b. 13) VGH Mannheim, Beschl. v. 17.4.2012 – 10 S 3127/11, GewArch 2012, 272.

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§ 18

Teil III Einzelfragen

machen.14) Dies gilt auch für den Fall, dass das Insolvenzgericht eine Eigenverwaltung des Schuldners nach den §§ 270 ff. InsO anordnet hat.15) IV.

Personalkonzessionen in der Insolvenz

9 Aufgrund der Tatsache, dass Personalkonzessionen nicht ohne weiteres auf einen Rechtsnachfolger übertragen werden können, drängt sich die Frage geradezu auf, ob und in welchem Rahmen eine Fortführung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Praxis, welches bzw. welche einer Personalkonzession bedarf, in der Insolvenz möglich ist. Hier kollidiert das Insolvenzrecht mit dem jeweiligen Berufsrecht. Wegen ihres höchstpersönlichen Charakters gehen die berufsrechtlichen Verpflichtungen und Befugnisse nicht wie andere öffentlich-rechtliche Rechte und Verpflichtungen auf den Insolvenzverwalter über. Anders als bspw. in den Fällen einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage kann der Insolvenzverwalter nicht ohne weiteres an die Stelle des Schuldners treten.16) Dies gilt jedenfalls insoweit, als ihm die entsprechende Qualifikation für die betreffende Tätigkeit fehlt. 10 Allgemein ist zunächst zu beachten: Nach keiner der berufsrechtlichen Regelungen erlöschen Qualifikation oder Zulassung des Berufsangehörigen automatisch kraft Gesetzes.17) Immer sind ein besonderes Verfahren und ein Ausspruch der zuständigen Stelle erforderlich. Je nach Anknüpfungspunkt der Personalkonzessionen gilt sodann: 1.

Gewerberechtliche Personalkonzessionen

11 Unter den Personalkonzessionen dürfte die gewerberechtliche Personalkonzession vom Insolvenzverwalter in der Praxis am häufigsten anzutreffen sein. Als Gewerbe i. S. der Gewerbeordnung wird gemeinhin jede nicht sozial unwertige, erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete, selbstständige Tätigkeit bezeichnet, die fortgesetzt und nicht nur gelegentlich ausgeübt wird. Ausgenommen von dem Gewerbebegriff sind die Urproduktion18), die freien Berufe und die Verwaltung bloßen Vermögens.19) 12 Grundsätzlich steht es jedem frei, ein Gewerbe zu eröffnen (§ 1 GewO). Allerdings besteht für zahlreiche Gewerbe ein Erlaubnisvorbehalt, um besonderen Schutzanforderungen in bestimmten Bereichen des Wirtschafts- und Arbeitslebens gerecht werden zu können.20) Unterschieden werden deshalb zulassungsfreie und zulassungspflichtige Gewerbe. Zur Ausübung eines zulassungspflichtigen Gewerbes bedarf der Betreiber einer Erlaubnis, i. d. R. einer Personalkonzession. Zu den zulassungspflichtigen Gewerben gehören bspw. der Betrieb von Schank- und Speisewirtschaften sowie Beherbergungsbetrieben, die Maklertätigkeit, die Erbringung von Finanzdienstleistungen, die Anlageberatung und –vermittlung, das Aufstellen von Automaten, die Altenpflege und die Kinderbetreuung sowie der Handel mit Waffen. 13 Die Zulassung eines Gewerbes ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die teils in der Gewerbeordnung, teils in Spezialgesetzen, etwa dem Gaststättengesetz, der Handwerksordnung, dem Heimgesetz oder dem Waffengesetz geregelt sind. Die meisten Vorschriften stellen dabei besondere Anforderungen an die Person des Gewerbetreibenden. ___________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

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OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.7.2003 – 14 U 207/01, DZWIR 2004, 123. Schumacher in: MünchKomm-InsO, § 85 Rz. 6. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033. Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 110; Schick, NJW 1990, 2359. Hierzu zählen insb. Landwirtschaft, Garten- und Weinbau, Tierzucht, Jagd, Fischerei und Bergbau. BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 – I C 56.74, NJW 1977, 772; Stober, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 10 f. Landmann/Rohmer-Kahl, GewO, Bd. I, § 1 Rz. 2, 6.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 18

Dabei stehen je nach der Art des Gewerbes spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten oder auch allgemeinere Anforderungen, etwa die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, im Vordergrund. 1.1

Widerruf der Erlaubnis

Ist ein vorläufiger Insolvenzverwalter oder Sachwalter durch das Gericht bestellt, sollte 14 dieser prüfen, ob erforderliche Personalkonzessionen für den Gewerbetreibenden fortbestehen oder bereits behördlich widerrufen wurden. Ist ein Widerruf erfolgt, ist dessen Rechtmäßigkeit zu prüfen und – soweit er noch nicht bestandskräftig ist – der Widerruf bei Rechtswidrigkeit anzufechten. Die Gewerbeordnung sowie die für einzelne Gewerbe bestehenden Spezialgesetze kennen 15 unterschiedliche Widerrufstatbestände. In keinem der Spezialgesetze ist aber die Beantragung oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als konkreter Widerrufstatbestand genannt. In Betracht kommt insofern nur ein Widerruf wegen Unzuverlässigkeit. 1.1.1 Unzuverlässigkeit Nach § 35 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Unzuverlässigkeit des Gewerbe- 16 treibenden zwingend zu untersagen, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Parallelvorschriften finden sich in einigen Spezialgesetzen, etwa § 15 i. V. m. § 4 GastG, § 19 i. V. m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 HeimG sowie § 45 i. V. m. § 21 Abs. 1 WaffG. Der Begriff der Unzuverlässigkeit ist in der Gewerbeordnung nicht definiert. Es handelt 17 sich um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG ist gewerberechtlich unzuverlässig, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft sein Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.21) Die Behörde hat somit eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob in Zukunft ein Fehl- 18 verhalten des Gewerbetreibenden wahrscheinlich ist.22) Dabei reichen bloße Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Vermutungen für eine Untersagung nicht aus. Im Interesse eines umfassenden Schutzes der Allgemeinheit ist hingegen die Wahrscheinlichkeit eines späteren Schadenseintrittes, mithin eine abstrakte Gefahr für die Schutzgüter des § 35 Abs. 1 GewO ausreichend.23) Die Rechtsprechung hat mehrere Fallgruppen entwickelt, wann ein Gewerbe wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu untersagen ist. Hierzu zählen etwa Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, Steuerrückstände, Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Pflichten, aber auch mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.24) Für sich genommen führt das Vorliegen solcher Umstände noch nicht zum Widerruf der Erlaubnis oder – bei nicht zulassungspflichtigen Gewerben – zur Gewerbeuntersagung. Im Rahmen der Prognoseentscheidung sind vielmehr alle Umstände, etwa ihre Bedeutung für das fragliche Gewerbe, die Häufigkeit und Intensität etwaiger Verstöße, aber auch durchgeführte oder intendierte Gegenmaßnahmen des Gewerbetreibenden in die Betrachtung einzustellen. So kann bspw. ein einmaliger Verstoß gegen ein Strafgesetz die Unzuverlässigkeit indizieren, wenn es sich um ein gravierendes Delikt handelt.25) Allerdings ist ein

___________ 21) 22) 23) 24) 25)

BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, BVerwGE 65, 1 f. Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rz. 32. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 31. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 36 ff. VG Stuttgart, Urt. v. 22.10.1999 – 4 K 6116/98, GewArch 2000, 25, 26.

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561

§ 18

Teil III Einzelfragen

Bezug der Straftat zum ausgeübten Gewerbe erforderlich, der aber z. B. bei Eigentumsund Vermögensdelikten für alle Gewerbezweige zu bejahen ist.26) 19 Für die i. R. dieser Betrachtung maßgebliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Gewerbetreibender gilt: Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs wird vom Gewerbetreibenden erwartet, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt.27) Führt der Gewerbetreibende sein Gewerbe bei wirtschaftlicher Schieflage ohne ein tragfähiges, erfolgversprechendes Sanierungskonzept fort, so erweist er sich als unzuverlässig.28) Die Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes ist zu widerrufen. 20 Anknüpfungspunkt für die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ist folglich weniger die Vermögenslosigkeit als die unterlassene Betriebsaufgabe trotz mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.29) Wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Gewerbetreibende in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn er sich in einer ausweglosen wirtschaftlichen Krise befindet. Diese ist nicht erst dann festzustellen, wenn das Gewerbe nicht mehr sanierungsfähig ist, sondern schon dann, wenn der Gewerbetreibende bei Eintritt der Krise kein wirtschaftlich sinnvolles Sanierungskonzept vorlegt. Erforderlich für die Feststellung der Tragfähigkeit des Sanierungskonzepts ist es, dass der Gewerbetreibende sowohl das Konzept als auch seine laufenden Einnahmen und Ausgaben offenlegt.30) 21 Die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden wird von dem betroffenen Gewerbezweig beeinflusst. Vereinzelt wird sogar angenommen, in bestimmten Gewerbezweigen komme es für die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht darauf an, ob dieser wirtschaftlich noch leistungsfähig ist. Nach dieser Auffassung führt die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit nur für solche Gewerbetreibende zur Unzuverlässigkeit und damit zum Widerruf ihrer Erlaubnis, die ein Gewerbe führen, zu dessen Ausübung ausreichende finanzielle Mittel erforderlich sind oder bei denen mit Rücksicht auf die Eigenart des Geschäftsbetriebs, insbesondere die dazugehörige Verwaltung fremder Vermögensteile oder die treuhänderische Verwaltung von Geldern, eine besondere Vertrauenswürdigkeit verlangt werden muss.31) Diese Ansicht dürfte zu weit gehen: Ein Gewerbe, zu dessen Ausübung keine ausreichenden finanziellen Mittel erforderlich sind, erscheint kaum vorstellbar. Für einen in seiner Leistungsfähigkeit stark geschwächten Gewerbetreibenden – gleich welchen Gewerbes – besteht jedenfalls eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Notlage ausweitet. Prognostisch steigt damit auch das Risiko, dass der Gewerbetreibende aus diesem Anlass Handlungen vornimmt, welche die Annahme der Unzuverlässigkeit stützen.32) 22 Gleichwohl lässt sich die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht für jeden Gewerbezweig in gleicher Weise beurteilen.33) In diesem Sinne stellt auch das BVerwG bei bestimmten Gewerben, namentlich den sog. Vertrauensgewerben, erhöhte Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Zu den Vertrauensgewerben zählen bspw. solche Gewerbe, bei denen ___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)

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Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 39. BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, DVBl. 1982, 694 ff. BVerwG, Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 146.80, DVBl. 1982, 694 ff. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 63. OVG Münster, Beschl. v. 26.1.2004 – 4 B 2469/03, juris. Friauf-Heß, GewO, § 35 Rz. 61. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 69. So aber: Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rz. 48.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 18

die Vorleistung der Kunden charakteristisch ist34) oder die sonst besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, wie es etwa bei Maklern35) oder Versicherungsmittlern36) der Fall ist. Bei diesen Gewerbezweigen soll die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit grundsätzlich zur Annahme der Unzuverlässigkeit führen. Aber auch bei den übrigen Gewerbezweigen muss nicht erst abgewartet werden, dass der Gewerbetreibende auf Grund seiner mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Handlungen vornimmt, die für sich genommen wiederum die Annahme seiner Unzuverlässigkeit begründen. Vielmehr kann auf Grundlage der vorzunehmenden Prognose jedenfalls dann bereits von dessen Unzuverlässigkeit ausgegangen werden, wenn die wirtschaftliche Krisensituation, in der er sich befindet, ausweglos erscheint. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist mithin ebenso wenig wie die förmliche Ein- 23 tragung in das Schuldnerverzeichnis Voraussetzung für den Entzug der Gewerbeerlaubnis. Die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die beharrliche Weigerung, trotz gesetzlicher Verpflichtung seinen Gläubigern Einblick in die eigenen Vermögensverhältnisse zu gewähren37), sowie die Nichteinhaltung von Zahlungsverpflichtungen oder das Wirtschaften ohne sinnvolles Sanierungskonzept38) können für sich genommen bereits zur Begründung der Unzuverlässigkeit ausreichen – die insbesondere auch nicht dadurch beseitigt wird, dass der leistungsunfähige Gewerbetreibende einen auf Restschuldbefreiung gerichteten Insolvenzeröffnungsantrag stellt.39) 1.1.2 Geltung von § 12 GewO Der Widerruf wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden gestützt auf dessen wirt- 24 schaftliche Leistungsunfähigkeit findet seine Grenzen in § 12 GewO. Nach dieser Norm soll eine Untersagungsvorschrift, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse abstellt, während eines Insolvenzverfahrens bzw. der Überwachung der Insolvenzplanerfüllung keine Anwendung finden. Nach § 12 GewO ist die Gewerbeuntersagung damit im laufenden Insolvenzverfahren allein wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse unzulässig. § 12 GewO sichert den Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber den gewerberechtlichen Rücknahme- und Widerrufsverfahren.40) Sinn und Zweck der Norm ist es, Konflikte mit den Zielen des Insolvenzverfahrens zu vermeiden, indem er die Anwendung der Untersagungs-, Rücknahme- und Widerrufsvorschriften der Gewerbeordnung für bestimmte Zeitabschnitte aussetzt.41) Während dieser Zeitabschnitte ist zudem nach Nr. 5 des BMFErlasses vom 17.12.200442) die Anregung einer Gewerbeuntersagung durch das Finanzamt unzulässig und die Offenbarung entsprechender Daten nicht durch § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO gedeckt. § 12 GewO ist nicht auf den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung be-

___________ 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42)

Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 35 Rz. 68. BVerwG, Beschl. v. 27.4.1971 – I B 7/71, GewArch 1972, 150. Schaeffer, WiVerw 1982, 100, 109. VGH Mannheim, Beschl. v. 4.11.1993 – 14 S 2322/93, GewArch 1994, 30, 31; VGH Kassel, Urt. v. 28.9.1992 – 8 UE 2976/90, GewArch 1993, 159. VGH Mannheim, Beschl. v. 4.11.1993 – 14 S 2322/93, GewArch 1994, 30, 31. OVG Münster, Beschl. v. 2.6.2004 – 4 A 223/04, NVwZ-RR 2004, 746. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 272. Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 1. BMF-Schreiben v. 17.12.2004 –IV A 4 – S 0130 – 113/04, BStBl. I, S. 1178, abgedr. unter Nr. 19 in Bd. II, ersetzt durch BMF-Schreiben v. 14.12.2010 – IV A 3 – S 0130/10/10019, BStBl. 2010, 1430.

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563

§ 18

Teil III Einzelfragen

schränkt, sondern gilt auch für die Versagung und den Widerruf gewerberechtlicher Personalkonzessionen nach diversen Parallelvorschriften.43) 25 Nach § 12 GewO finden die entsprechenden Vorschriften „während eines Insolvenzverfahrens“ keine Anwendung. Zu den erfassten Zeitabschnitten gehören damit all jene, die mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens zusammenhängen und deren Ziel durch § 1 InsO vorgeben ist, nämlich der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger durch die Verwertung des Vermögens des Schuldners, der Erlösverteilung oder der durch abweichende Regelung im Insolvenzplan vorgesehenen Maßnahmen.44) Hierzu gehören x

das Insolvenzeröffnungsverfahren,

x

der Zeitraum des Insolvenzverfahrens selbst sowie

x

die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplanes.

26 Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens hat das Insolvenzgericht solche Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Damit unterliegt der Insolvenzschuldner bereits in diesem Zeitraum der Überwachung durch das Insolvenzgericht. Angesichts dieser richterlichen Kontrolle soll eine Untersagung des Gewerbes aufgrund ungeordneter Vermögensverhältnisse nicht ergehen. Schließlich besteht auch während dieses Zeitraums bereits das Bedürfnis, eine Sanierung des insolventen Unternehmens nach Möglichkeit offenzuhalten.45) Gleichwohl führt die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nicht dazu, dass der unzuverlässige Schuldner seinen Gewerbebetrieb weiterführen darf, wenn bereits vor Beantragung ein Verbotsverfahren durch die Gewerbeaufsicht eingeleitet wurde.46) Insofern behalten die von der Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit entwickelten Grundsätze, wann von einer den Widerruf begründenden Unzuverlässigkeit auszugehen ist, weiterhin Bedeutung. 27 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (§§ 35, 80 InsO) Die Sicherstellung der Masse und die Befriedigung der Gläubiger obliegt fortan dem Insolvenzverwalter. Versagungsgründe, die an die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit des Schuldners anknüpfen, verlieren damit ihre Relevanz. Überdies obliegt die Entscheidung darüber, ob das insolvente Unternehmen fortgeführt werden soll, der Gläubigerversammlung, §§ 156, 157 InsO. Ein Widerruf der Erlaubnis gestützt auf die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit – andere Widerrufsgründe behalten ihre uneingeschränkte Geltung – würde diese Vorschriften unterlaufen. Mit Vollzug der Schlussverteilung und dem darauffolgenden Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens können Untersagungs-, Rücknahme- und Widerrufsverfahren wieder unbeschränkt durchgeführt werden. 28 Das Insolvenzplanverfahren zielt insgesamt auf Erhaltung des insolventen Unternehmens. Nach Annahme eines Insolvenzplans durch die Gläubigerversammlung, Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht und Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzschuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurück. Der Insolvenzplan wird dabei regelmäßig vom Insolvenzschuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegenüber den Insolvenzgläubigern zu erfüllende Pflichten vorsehen. Auch hier liefe eine Untersagung durch die Gewerbeaufsicht gestützt auf die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit, deren Wiederherstellung die Durchführung des Insolvenzplan___________ 43) Teilweise über entsprechende Verweisungen in den Spezialgesetzen; so etwa § 31 GastG oder § 24 HeimG. 44) Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 1. 45) Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 6. 46) OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2001 – 4 A 5159/00, GewArch 2003, 335.

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verfahrens dient, den Zielen des Insolvenzrechts zuwider. Überdies befreit ein erfolgreich durchgeführter Insolvenzplan den Insolvenzschuldner von den Verbindlichkeiten gegenüber dessen Gläubigern. Die Verhältnisse des Schuldners können also ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als finanziell ungeordnet angesehen werden.47) Die Wohlverhaltensperiode bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO 29 dürfte nicht von § 12 GewO umfasst sein. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung wird allerdings der Schuldner wie auch im Falle des Insolvenzplanes von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit, weshalb ein Untersagungs-, Rücknahme- oder Widerrufsgrund i. S. ungeordneter Vermögensverhältnisse nicht mehr besteht.48) 1.2

Fortführung in der Insolvenz

Soweit ein Widerruf nicht bereits vor Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 30 erfolgt ist, besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Fortführung des Gewerbes. Sie ist, wie § 12 GewO zeigt, mit Blick auf die Möglichkeiten der Masseanreicherung auch ausdrücklich erwünscht. Möglich ist zunächst eine Fortführung des Gewerbes durch den (vorläufigen) Insolvenz- 31 verwalter. Zu prüfen ist dabei, ob der Insolvenzverwalter die dazu jeweils durch das Gewerberecht geforderte Qualifikation besitzt. Soweit keine nennenswerten, über die Anforderungen der persönlichen Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden hinausgehenden Anforderungen an den Betreiber des Gewerbes gestellt werden, sollten der Fortführung des Gewerbes durch den Insolvenzverwalter Gründe nicht entgegenstehen. Er kann dabei entweder selbst als gewerberechtlicher Stellvertreter i. S. von § 45 GewO tätig werden oder einen gewerberechtlich geeigneten Betriebsleiter bestellen.49) Letzteres ist zwingend, wenn der Insolvenzverwalter nicht die erforderliche Qualifikation besitzt.50) Auch der gewerberechtliche Stellvertreter muss nämlich die materiellen Voraussetzungen der Befugnis zur Ausübung des jeweiligen Gewerbes in seiner Person erfüllen. Die Möglichkeiten, die Verantwortung über das Gewerbe als Stellvertreter zu übernehmen, 32 sind jedoch nicht unbegrenzt. So ist etwa umstritten, ob der Insolvenzverwalter für die Fortführung einer Gastwirtschaft des Schuldners eine spezielle Stellvertretererlaubnis nach § 9 GastG benötigt.51) Überwiegend wird allerdings vertreten, aus § 80 InsO folge, dass der Insolvenzverwalter grundsätzlich keiner neuen Erlaubnis bedarf, sondern er die dem Schuldner zustehenden öffentlichen Rechte und Befugnisse an dessen Stelle ausüben kann, solange sie nicht widerrufen worden sind.52) Ausnahmen gelten allerdings für solche Konzessionen, die an die Person des Schuldners 33 gebunden sind, etwa Genehmigungen nach § 3 GüKG bzw. § 2 Abs. 1 PersBefG. Für solche höchstpersönliche Genehmigungen kommt eine Fortführung allein dergestalt in Betracht, dass der Insolvenzverwalter den Schuldner selbst für Rechnung der Insolvenzmasse und unter seiner Führung und Kontrolle einsetzt (vgl. zu dieser Konstruktion Rz. 60). Soll die Genehmigung für die Zwecke der Durchführung des Insolvenzverfahrens erhal- 34 ten bleiben, bleibt stets der Rückgriff auf das Insolvenzplanverfahren bzw. die Eigenverwaltung. Voraussetzung hierfür ist freilich, dass nicht die Regelungen über das Verbrau___________ 47) Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 12; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 7. 48) Hahn, GewArch. 2000, 361, 365; Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 12; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 9. 49) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 12 f. 50) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 271. 51) So für die KO Jaeger-Henckel, KO, § 1 Rz. 11. 52) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 111.

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Teil III Einzelfragen

cherinsolvenzverfahren greifen (§ 312 Abs. 2 InsO). Nach der Neufassung von § 304 Abs. 1 InsO, der die aktuell wirtschaftlich Tätigen unabhängig vom Umfang der gewerblichen Tätigkeit dem Regelinsolvenzverfahren zuweist, stehen die genannten Verfahren mittlerweile insoweit allen Gewerbetreibenden, gleich ob es sich um Kleingewerbetreibende handelt, zu.53) 2.

Personalkonzessionen außerhalb der Gewerbeordnung

35 Traditionell aus dem Gewerbebegriff ausgenommen sind die Urproduktion, die freiberufliche Tätigkeit und die bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens.54) Für Personalkonzessionen i. R. der Urproduktion gelten im Hinblick auf den Widerruf der Genehmigung sowie die Fortführung einer entsprechenden Tätigkeit im Prinzip dieselben Grundsätze wie auch für die oben genannten Gewerbe. Insbesondere ist § 12 GewO nach ganz h. M.55) analog anwendbar. Die Interessenlage unterscheidet sich hier nicht von der § 12 GewO zugrundeliegenden. 36 Für die Verwaltung eigenen Vermögens, das in der Regel keiner Genehmigung bedarf, stellen sich die hinsichtlich des Betriebes eines Gewerbes dargestellten Schwierigkeiten nicht. 3.

Sonderfall: Freiberufler

37 Die Freiberufler bilden im Hinblick auf das Schicksal ihrer jeweiligen Berufszulassungen im Falle einer Insolvenz einen Sonderfall. 38 Der Begriff des Freiberuflers ist gesetzlich nicht abschließend normiert. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG umfasst der steuerrechtliche Begriff des Freiberuflers die selbstständig ausgeübte, wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Berufstätigkeit der x

Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte,

x

Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte,

x

Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten,

x

Handelschemiker,

x

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, Steuerbevollmächtigten,

x

Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten,

x

Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer,

x

Lotsen und ähnlicher Berufe.

Gemeinhin wird unter den Begriff auch noch die Berufsgruppe der Apotheker56) gefasst. 39 Aus verfassungsrechtlicher Sicht liegt das spezifische Berufsethos des freien Berufs in der Nicht-Gewerblichkeit bzw. im Verzicht auf ein (vorrangiges) Gewinnstreben.57) Aufgrund dieser Nicht-Gewerblichkeit verbietet es sich, für die freien Berufe auf die Grundsätze der Gewerbeordnung zurückzugreifen. Vielmehr richtet sich das Recht der freien Berufe vornehmlich nach dem jeweiligen Berufsrecht, etwa der BRAO für Rechtsanwälte, der BNotO ___________ 53) 54) 55) 56) 57)

Vgl. hierzu auch Braun-Buck, InsO, § 304 Rz. 1 ff.; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 304 Rz. 18. BVerwG, Beschl. v. 16.2.1995 – 1 B 205.93, ZIP 1995, 563 = DöV 1995, 644. Tettinger/Wank/Ennuschat-Ennuschat, GewO, § 12 Rz. 3. Vgl. nur: Landmann/Rohmer-Kahl, GewO, Bd. I, Einl. Rz. 65, 66. Maunz/Düring-Scholz, GG, Art. 12 Rz. 268.

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§ 18

für Notare oder dem StBerG für Steuerberater. Die Besonderheit der freien Berufe besteht in deren höchstpersönlichem Einschlag. Zum Teil verrichten Freiberufler Dienste, die nur sie selbst verrichten können, wie etwa im Fall der Künstler. In den meisten Fällen ist eine aufwändige Ausbildung notwendig. Schließlich kommen viele Angehörige der freien Berufe mit sensiblen Daten ihrer Klienten, Mandanten oder Patienten in Berührung, die auch in der Insolvenz besonders schutzwürdig sind. Diese Besonderheiten machen den Umgang mit Freiberuflern in der Insolvenz besonders schwierig. Hauptproblem in der Insolvenz des Schuldners ist die Kollision insolvenzrechtlicher Bestimmungen mit den Vorgaben des jeweiligen Berufsrechts. Hier gilt es, einen interessengerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen herzustellen. 3.1

Widerruf der Berufszulassung

§ 12 GewO findet in der Insolvenz des Freiberuflers keine Anwendung, auch keine ent- 40 sprechende.58) Eine Fortführung der freiberuflichen Praxis kommt für den Freiberufler aber nur in Betracht, soweit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zum Wegfall der Erlaubnis zur Berufsausübung führt. Auch hier kommt es auf die Entziehung der Erlaubnis durch die zuständige Stelle, häufig die entsprechende Kammer, an. Das Recht der freien Berufe ist vor allem durch die verschiedenen Berufsordnungen ge- 41 prägt. Wie auch im Gewerberecht finden sich on den Berufsordnungen Regelungen zum Widerruf bzw. Entzug der Zulassung. 3.1.1 Gesundheitsberufe Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten erlangen mit dem Abschluss ihrer Ausbildung 42 ihre Approbation – also die staatliche Zulassung, ihren Beruf auszuüben und die Berufsbezeichnung zu führen. Der Entzug der Approbation erfolgt auf Grundlage des jeweiligen Berufsrechts, bei den Ärzten bspw. auf Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO. Grund für den Entzug der Approbation ist hier, wie auch nach den übrigen Berufsordnungen des Gesundheitssektors, dass sich der Berufsträger eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich eine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit ergibt. x

Unzuverlässig i. S. des § 31 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Es müssen Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten. Ausschlaggebend ist die Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Arztes und seiner Lebensumstände.59)

x

Unwürdig i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht besitzt. Der Arzt muss also langanhaltend und in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten verstoßen haben, so dass er nicht mehr das Vertrauen und Ansehen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar notwendig ist.60)

Die bloße Insolvenz eines Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten wird isoliert be- 43 trachtet niemals zum Entzug der Approbation führen. Gerade ein angestellter Arzt in einem Krankenhaus kommt wenig bis gar nicht mit Geldern seiner Patienten bzw. derer Versicherungen in Berührung. Aber auch bei einem niedergelassenen Arzt müssen weitere Gründe für einen Entzug der Approbation hinzutreten, zumal hier – auch in Hinblick auf ___________ 58) BVerwG, Beschl. v. 17.3.2008, 6 B 7/08, ZInsO 2009, 1811, 1812; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290. 59) Spickhoff-Eichelberger, Medizinrecht, § 2 Rz. 12. 60) Eingehend zur Entziehung der Approbation wegen Unwürdigkeit: Braun/Gründel, MedR 2001, 396 ff.

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die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG – der Entzug der Praxiszulassung ein milderes, aber ebenso effektives Mittel darstellen dürfte. Erst wenn sich ein Arzt bspw. auf Grund seiner Vermögenslosigkeit dazu hinreißen ließe, die persönliche Notlage seiner Patienten auszunutzen und sie zu nicht erfolgversprechenden Therapien zu verleiten, käme ein Entzug der Approbation in Betracht. Grundlage des Entzugs wäre dann aber das ärztliche Fehlverhalten und nicht die Insolvenz. 44 Die Approbation des Arztes berechtigt den Arzt zwar, als angestellter Arzt in einem Krankenhaus tätig zu werden oder eine private Arztpraxis zu gründen. Für die Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist hingegen eine Zulassung erforderlich (§ 95 SGB V, §§ 19 ff. Ärzte-ZV). Die Entziehung der Zulassung richtet sich nach § 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Ärzte-ZV. Sie zielt darauf ab, Ärzte aus der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen, welche die vertragsärztliche Tätigkeit trotz Zulassung nicht ausüben oder wegen gröblicher Pflichtverletzung zur Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ungeeignet sind. Auch hier gilt: Allein die Insolvenz eines Vertragsarztes beendet seinen Zulassungsstatus nicht und begründet auch für sich keinen Entziehungstatbestand.61) 45 Jedenfalls aber die Nicht- bzw. Nicht-mehr-Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit führt zum Entzug der Zulassung (§ 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Ärzte-ZV). Um diese zu vermeiden, ist es also Voraussetzung, dass der Schuldner die Praxis – unter Umständen gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter – fortführt. 46 Weiterhin ist die Zulassung zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. In verfassungskonformer Auslegung reicht allerdings die bloße gröbliche Pflichtverletzung für sich noch nicht aus. Hinzukommen muss, dass der Arzt durch die gröbliche Pflichtverletzung nicht mehr zur Ausübung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet erscheint.62) Hierzu zählen etwa die fortgesetzte unrichtige Abrechnung von Leistungen63), fortgesetzte Verstöße gegen administrative Pflichten des Vertragsarztes, etwa das jahrelange Nichtbeantworten von Anfragen der Krankenkasse und verspätete Honorarabrechnungen trotz Ordnungs- und disziplinarer Maßnahmen64) sowie eine über Jahre fortgesetzte und trotz Disziplinarmaßnahmen im Ausmaß immer mehr gesteigerte Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes.65) Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände kommt somit ein Zulassungsentzug aufgrund der durch die Insolvenzeröffnung offenbarten Vermögenslosigkeit in Betracht.66) Solange der Arzt seiner Verpflichtung zur lückenlosen Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nachkommt, seine Abrechnungen korrekt sind und er nicht nachhaltig und schwerwiegend gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat, scheidet ein Entzug der Vertragsarztzulassung aufgrund Insolvenz regelmäßig aus. 47 Ärzte, die eine reine Privatpraxis betreiben, bedürfen hierfür außer ihrer Approbation keiner weiteren Zulassung. Die entsprechenden Anforderungen für die Berufsausübung regeln die jeweiligen Landesgesetze (z. B. die Heilberufsgesetze), konkretisiert durch die von den Ärztekammern erlassenen Berufsordnungen. Bei Zuwiderhandlung gegen ihre ärztlichen Pflichten kommen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Feststellung der Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs in Betracht. Insofern unterliegen auch Ärzte in pri___________ 61) 62) 63) 64) 65) 66)

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Plagemann in: Münch-AHB SozR, § 20 Rz. 91; Schallen, Zulassungsverordnung, § 21 Rz. 11. Hess in: Kasseler Kommentar zum SozR, § 95 SGB V Rz. 96. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.5.1971 – L 1 Ka 8/73, SozSich, 1974, 276. BSG, 2.7.1980 – 6 RKa 10/78, ArztR 1980, 325. BSG, Urt. v. 18.8.1972 – 6 RKa 4/72, BSGE 34, 253. In diesem Sinne auch BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, NJW 2001, 2823.

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§ 18

vater Praxis kontinuierlicher Kontrolle. Auch hier gilt: Die Insolvenz kann, muss aber nicht zu Konsequenzen für den Arzt führen – und wird es i. d. R., wenn keine weiteren Umstände hinzutreten, auch nicht. 3.1.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer Die Entziehungspraxis bei Angehörigen dieser Berufsgruppen ist strikter als bei den zu- 48 vor erwähnten Gesundheitsberufen. Grund dafür ist der erhebliche Umgang mit Fremdgeldern. Das Berufsrecht der Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater sieht einen Widerruf der Zulassung für den Fall vor, dass sie „in Vermögensverfall“ geraten sind (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG). Ein Vermögensverfall ist dann zu vermuten, wenn ein Insolvenzverfahren über das Ver- 49 mögen des Berufsträgers eröffnet worden ist oder der Berufsträger in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis nach § 26 Abs. 2 InsO bzw. § 915 ZPO eingetragen ist. Die Rechtsprechung geht zudem immer dann von Vermögensverfall aus, wenn der Schuldner in ungeordnete schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und er außerstande ist, seine finanziellen Verpflichtungen in absehbarer Zeit zu erfüllen.67) Die Vermögenslosigkeit ist dabei ebenso wenig Voraussetzung wie die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Freiberuflers.68) Hinreichend für das Vorliegen „ungeordneter, finanzieller Vermögensverhältnisse“ kann es vielmehr bereits sein, dass seine Gläubiger darauf angewiesen sind, ihre berechtigten Forderungen gegen ihn i. R. der Zwangsvollstreckung durchzusetzen.69) Die Rechtsprechung macht keinen Unterschied, ob es sich bei dem Freiberufler um einen Selbstständigen oder einen Angestellten handelt. So führt der BGH im Falle des Entzugs der Zulassung eines angestellten Anwalts aus, dass dieser ja auch weiterhin Mandantengelder in Empfang nehmen könne. Zudem habe er bei Fortbestand seiner Zulassung die Möglichkeit, selbstständig in eigener Praxis oder nebenher tätig zu werden.70) Bei Wirtschaftsprüfern wird gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPrO darauf abgestellt, ob sie in 50 „geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen“ leben, wobei nach der Rechtsprechung auch hier das entscheidende Kriterium das des Vermögensverfalls ist.71) Damit gleichen die Argumente, die für die Entziehung der Zulassung im Falle der Insolvenz des Wirtschaftsprüfers sprechen, den vorstehend genannten. Allerdings kann die Zulassung als Wirtschaftsprüfer nicht allein deshalb entzogen werden, weil der Wirtschaftsprüfer infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist. Der Insolvenzschuldner kann die gesetzliche Vermutung, dass er als Rechtsanwalt, Steu- 51 erberater oder Wirtschaftsprüfer in Vermögensverfall geraten ist, sofern das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet wurde, widerlegen. Er trägt hierfür die Beweislast.72) Für die Widerlegung der Vermutung reicht es nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nicht aus, dass sich der Freiberufler mit seinen Hauptgläubigern geeinigt hat.73) Erforderlich ist vielmehr, dass der Insolvenzschuldner auch alle anderen Vollstreckungsgläubiger befriedigt hat. Andernfalls kann von geordneten Lebensverhältnissen nicht ge___________ 67) S. nur BGH, Beschl. v. 22.3.2004 – NotZ 23/03, ZIP 2004, 1006 = NJW 2004, 2018; BGH, Beschl. v. 13.3.2000 – AnwZ (B) 28/99, ZIP 2000, 1018 = NJW-RR 2000, 1228. 68) Schmittmann, ZInsO 2004, 725. 69) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290. 70) BGH, Beschl. v. 25.6.1984 – AnwZ (B) 7/84, BRAK-Mitt. 1984, 194; BGH, Beschl. v. 23.2.1987 – AnwZ (B) 52/86, BRAK-Mitt. 1987, 206. 71) BVerwG, Urt. v. 17.8.2005 – 6 C 15.04, NJW 2005, 3795. 72) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. 73) BGH, Beschl. v. 16.6.2004 – AnwZ (B) 3/03, ZVI 2004, 598.

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sprochen werden.74) Ebenso hat allein die Tatsache, dass die wirtschaftliche Situation des insolventen Freiberuflers i. R. des Insolvenzverfahrens bereinigt werden könnte, noch nicht zur Folge, dass dessen wirtschaftliche Verhältnisse nunmehr als geordnet angesehen werden können.75) Zu geordneten Vermögensverhältnissen gehört vielmehr, dass die Schulden in absehbarer Zeit entfallen und der Freiberufler-Schuldner frei über sein Vermögen verfügen kann.76) 52 Überdies ist ein etwaiger Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG, § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO unschädlich, wenn durch ihn die Interessen der Auftraggeber, Rechtsuchenden oder anderer Personen nicht gefährdet sind. Dem Grunde nach gilt dies gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 5 BNotO auch für Notare. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem in Vermögensverfall geratenen Freiberufler.77) Erforderlich ist ein substantiierter Vortrag, auf dessen Grundlage die Gefährdung von Auftraggebern, Mandanten und Klienten mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden kann.78) Auch hierfür gelten strenge Maßstäbe. 53 Nicht ausreichend für den Ausschluss einer Gefährdung ist es etwa, dass der angestellte Freiberufler einer Gesellschaft keine umfassende Vertretungsmacht, sondern lediglich Prokura besitzt und ein erfolgsunabhängiges Gehalt bezieht. Dies würde nämlich bedeuten, dass der in Vermögensverfall geratende Freiberufler durch den Geschäftsführer der Gesellschaft dauerhaft kontrolliert und beaufsichtigt werden müsste, da nur auf diese Weise die Interessen der Auftraggeber gewahrt werden könnten.79) Eine derart ausgeprägte Beaufsichtigung wäre nachzuweisen, was erheblichen Schwierigkeiten begegnet. Ebenso wenig ist es ausreichend, dass der Freiberufler-Insolvenzschuldner keine Gelder seiner Mandanten oder Auftraggeber mehr über eigene Konten abwickelt. Hier besteht weiterhin die Möglichkeit von Barzahlungen.80) 54 Zwar hat das BVerfG entschieden, dass die Anforderungen an eine Widerlegung des gesetzlich vermuteten Vermögensverfalls mit Blick auf die Berufsfreiheit des Freiberuflers aus Art. 12 GG nicht zu hoch angesetzt werden dürfen.81) Gleichwohl gelingt die Widerlegung in der Praxis sehr selten. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2004 dar.82) Unter Berücksichtigung des dem Freiberufler zustehenden Grundrechts auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG hatte der BGH hier einem angestellten Anwalt dessen Berufszulassung belassen. Der Anwalt hatte zuvor selbst einen Insolvenzantrag gestellt und es bestanden keine Forderungsanmeldungen von Insolvenzgläubigern, die aus Mandaten des Arbeitgebers herrührten. Allerdings hatte sich der Anwalt, der seinen Beruf bislang ohne jede Beanstandung ausgeübt hatte, beachtlichen Beschränkungen in seinem Arbeitsvertrag unterworfen. Er war weder auf dem Briefkopf noch auf dem Praxisschild genannt. Jegliche Mandate wurden im Auftrag und auf Rechnung der Sozietät geschlossen. Eigene Mandate bearbeitete der Rechtsanwalt somit nicht mehr. Schließlich überwies sein Arbeitgeber den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an den Insolvenzverwalter. ___________ 74) BGH, Beschl. v. 16.6.2004 – AnwZ (B) 3/03, ZVI 2004, 598. 75) BFH, v. Beschl. v. 28.8.2003 – VII B 79/02, DStR 2004, 974; BFH, Beschl. v. 20.4.2006 – VII B 188/05, BFH/NV 2006, 1522. 76) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291. 77) BFH, Beschl. v. 8.2.2000 – VII B 245/99, DStR 2000, 670; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291, 292. 78) BFH, Beschl. v. 4.3.2004 – VII R 21/02, ZVI 2004, 302. 79) Henssler/Prütting, BRAO, § 14 Rz. 62 m. w. N. 80) BGH, Beschl. v. 25.3.1991 – AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102. 81) BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057. 82) BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, ZInsO 2005, 213.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

§ 18

Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass nach der bisherigen Rechtsprechung im Falle 55 der Insolvenz von einem Widerruf der Zulassung nur in den seltensten Fällen abgesehen wird. Auch wenn hierdurch die Quotenerwartung verringert werden dürfte: Die besondere Vertrauensstellung, die Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer beanspruchen, rechtfertigt die Unterordnung der Interessen der am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger. 3.1.3 Architekten Die Löschung eines Architekten aus der Architektenliste aufgrund von Vermögensverfall 56 ist gesetzlich nicht einheitlich geregelt. Vielmehr sind hier unterschiedliche landesrechtliche Bestimmungen zu beachten. Ausdrücklich genannt ist die Löschung wegen Vermögensverfalls bspw. in § 7 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 1 ArchG Baden Württemberg. Die bislang zu dieser Frage vorliegende Rechtsprechung gleicht der Rechtsprechung, die auch zu Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern ergangen ist, und nimmt teilweise sogar hierauf Bezug.83) Ein Architekt ist danach aus der Architektenliste zu löschen, wenn er in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, fremde Vermögensinteressen oder öffentliche Belange sind nicht gefährdet.84) Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des Rechtsdienstleistungsgesetzes, nach dem Architekten in gewissem Umfang auch rechtsberatend tätig werden dürfen (§ 5 Abs. 1 RDG), gilt dies umso mehr. 3.2

Möglichkeiten der Fortführung

Die Entscheidung, ob eine freiberufliche Praxis i. R. eines Insolvenzverfahrens fortge- 57 führt werden kann, wird maßgeblich beeinflusst von der Frage, ob dem Freiberufler die Zulassung zu entziehen ist. Die Wahl der Verfahrensart steht dabei in engem Zusammenhang mit der Frage des Zulassungsentzugs. Grundsätzlich wird die Fortführung einer freiberuflichen Praxis davon abhängig gemacht, 58 ob diese vom Insolvenzbeschlag umfasst ist. Dies ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Praxis eines Freiberuflers der Fall, da diese veräußerbar ist.85) Eine andere Frage ist indes, ob das Unternehmen in der Insolvenz grundsätzlich fortführbar ist. 3.2.1 Gesundheitsberufe Für die Fortführung einer Arzt-, Zahnarzt- oder Psychotherapeutenpraxis in der Insol- 59 venz kommen folgende Wege in Betracht: x

Eine einstweilige Praxisfortführung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter (§ 157 Satz 1 InsO bzw. § 22 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 InsO),

x

die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (§ 217 ff. InsO) sowie

x

die Eigenverwaltung durch den freiberuflich tätigen Insolvenzschuldner (§§ 270 ff. InsO).86)

___________ 83) OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.11.2006 – 8 ME 146/06, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 17.5.2006 – 9 S 2538/05, DÖV 2006, 748. 84) Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 399. 85) BFH, Urt. v. 22.3.1994 – VII R 58/93, ZIP 1994, 1283, 1284; BGH, Urt. v. 18.12.1954 – II ZR 76/54, NJW 1955, 337; BGH, Urt. v. 11.4.1958 – VIII ZR 190/57, NJW 1958, 950; BGH, Urt. v. 20.1.1985 – VmZR 53/63, NJW 1985, 580. 86) So auch Kluth, NJW 2002, 186 ff.

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§ 18

Teil III Einzelfragen

60 Die Fortführung einer ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis kann in der Regel nicht durch den Insolvenzverwalter allein erfolgen, sondern setzt das Zusammenwirken von Insolvenzverwalter und Arzt voraus. Grundsätzlich ist ein solches Zusammenwirken aus insolvenzrechtlicher Sicht möglich: Der Insolvenzverwalter kann den Freiberufler-Schuldner selbst zur einstweiligen Fortführung der Praxis einsetzen.87) Der Freiberufler-Schuldner wird dann für Rechnung und unter der wirtschaftlichen Kontrolle und Verwaltung des Insolvenzverwalters tätig. Es entsteht eine Art „abgeschwächte Eigenverwaltung“, bei welcher der Insolvenzschuldner unter einer besonders strikten Aufsicht und Führung des Insolvenzverwalters steht.88) 61 Allerdings wird der Insolvenzverwalter den Freiberufler nicht zur Fortführung unter Aufsicht zwingen können: Eine Verpflichtung zur Bereitstellung der Arbeitskraft scheitert am Wortlaut von § 97 Abs. 2 InsO, der lediglich eine Unterstützungspflicht des Schuldners vorsieht. Ein solcher Zwang wird daher zu Recht abgelehnt.89) In der Praxis wird der Arzt jedoch an einem einvernehmlichen Zusammenwirken regelmäßig bereits deshalb interessiert sein, weil er im Falle der Beantragung einer Restschuldbefreiung andernfalls Gefahr liefe, dass ein Insolvenzgläubiger seinerseits erfolgreich einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO wegen eines Obliegenheitsverstoßes aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft stellt.90) 62 Auch wenn es zweifellos wünschenswert ist, dass im Zusammenwirken zwischen dem freiberuflichen Angehörigen eines Gesundheitsberufes und dem Insolvenzverwalter die Masse angereichert werden kann, konnten die damit verbundenen Probleme bislang nur zum Teil i. S. einer gemeinschaftlichen Fortführung durch Insolvenzverwalter und Arzt geklärt werden.91) Dies liegt weitgehend an der weiterhin mangelnden Abstimmung des Berufsrechts mit den Regeln des Insolvenzrechts. 63 Zunächst stellt sich die Frage, wie ein Zusammenwirken von Arzt, Zahnarzt oder Psychotherapeut mit dem Insolvenzverwalter generell ausgestaltet werden kann: Schick möchte eine Fortführung durch den Insolvenzverwalter dergestalt zulassen, dass Schuldner und Verwalter eine Art „Kondominium“ bilden, wobei der Insolvenzverwalter dem Schuldner das erforderliche sachliche und personelle Substrat zur Verfügung stellt, in fachlichen Fragen aber dem Schuldner freie Hand lässt.92) Ob dies aber mit dem Berufsrecht vereinbar ist, darf bezweifelt werden: Ein Arzt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht den Weisungen eines Nichtarztes unterwerfen.93) Zwar kann ein Arzt unter der Voraussetzung, dass seine fachliche Unabhängigkeit gewahrt bleibt, in eine wirtschaftliche Abhängigkeit treten.94) Ob sich diese, vom Berufsrecht geforderte fachliche Unabhängigkeit bei wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Insolvenzverwalter aber begründen lässt, ist fraglich. Außerdem kommt es nicht allein auf eine faktische Unabhängigkeit an, sondern auch in ___________ 87) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 14. 88) Kluth, NJW 2002, 186, 188. 89) Wendler in: HK-InsO, § 97 Rz. 17; Passauer/Stephan in: MünchKomm-InsO, § 97 Rz. 33; Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 29 f.; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1057. 90) Vallender, NZI 2003, 530. 91) Weiterführend Vallender in: FS Metzeler, S. 21 ff. m. w. N. 92) Schick, NJW 1990, 2369, 2361 f. 93) So auch Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 29; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034 unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 der MBO-Ä. 94) Dies ist z. B. gängige Praxis im Bereich der sog. Ärzte-GmbH, die der BGH als zulässig erachtet hat, BGH, Urt. v. 30.11.1977 – IV ZR 69/76, BGHZ 70, 158, 166 f., oder in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

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rechtlicher Hinsicht darf eine Abhängigkeit nicht bestehen. Da, von der der Eigenverwaltung abgesehen, der Schuldner mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verliert, lässt sich eine rechtliche Unabhängigkeit des Insolvenzschuldners in der Insolvenz nicht verwirklichen. Überdies ist Ärzten eine berufliche Kooperation mit Angehörigen von Berufen außerhalb des Gesundheitssektors aus berufsrechtlichen Gründen nur in engen Grenzen möglich. Auch wenn damit zwar noch nicht von einer generellen Unzulässigkeit einer Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung durch den Schuldner ausgegangen werden kann, so zeigen schon diese Komplikationen im Zusammenspiel des Berufsrechts mit der Insolvenzordnung die Schwierigkeiten auf, die diese Form der Mitwirkung mit sich bringt. Daher verweist Kluth zu Recht auf die Gefahr eines Entzugs der Vertragsarztzulassung gerade aufgrund der Schwierigkeiten des Zusammenwirkens von Insolvenzverwalter und Arzt.95) Bei den Gesundheitsberufen stellt sich zudem in besonderer Weise die Frage, inwieweit 64 der Insolvenzverwalter auf sensible Daten, etwa die Patientendatei des Arztes, zugreifen darf. Will der Insolvenzverwalter Ansprüche des Arztes gegen den Patienten geltend machen, benötigt er nähere Angaben zur Person bzw. Einblick in die Patientendatei. Der Insolvenzschuldner ist grundsätzlich gemäß § 97 Abs. 1 und 2 InsO zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet. Die dort normierten Pflichten können ggf. mit den Mitteln des § 98 InsO erzwungen werden und dienen primär der Haftungsverwirklichung. Von ihnen umfasst sind alle rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können.96) Hierzu gehören dem Grunde nach auch diejenigen Patientendaten, die der Insolvenzverwalter benötigt, um die Ansprüche für die Insolvenzmasse vollumfänglich durchsetzen zu können. Auf der anderen Seite ist der Arzt aber zur Geheimhaltung verpflichtet und macht sich 65 ggf. gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB bei der Weitergabe von Patientendaten sogar strafbar. Diese Kollision des Berufsrechts mit den Befugnissen des Insolvenzverwalters wurde durch die Gerichte unter Hinweis auf den Vorrang überragender Interessen des Gemeinwohls oder vorrangige Belange Dritter bislang weitgehend zugunsten der Verwalterbefugnisse entschieden.97) Die Verletzung des Sozialgeheimnisses durch Preisgabe dieser Daten wird insofern den Drittinteressen untergeordnet, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Dies erscheint überzeugend, auch weil der Insolvenzverwalter einer dem Berufsträger entsprechenden Geheimhaltungspflicht unterliegt.98) Die früher höchst umstrittene Frage, wie die i. R. einer Praxisfortführung begründeten 66 Verbindlichkeiten zu qualifizieren sind, ist durch die Neufassung des § 35 InsO weitgehend geklärt. Schon seit Einführung der Insolvenzordnung steht fest, dass Einkünfte, die der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus selbstständiger Tätigkeit erwirbt, nunmehr in vollem Umfang und nicht nur i. H. des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse zählen.99) Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens ist nunmehr auch über die i. R. der Fortführung begründeten Verbindlichkeiten entschieden: Soweit eine Freigabe des Insolvenzverwalters ___________ 95) Kluth, NJW 2002, 186, 188. 96) Passauer in: MünchKomm-InsO, § 97 Rz. 14. 97) BVerfG, Beschl. v. 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373; AG Köln, Beschl. v. 5.11.2003 – 71 IN 25/02, NZI 2004, 155, 156 und AG Köln, Beschl. v. 28.2.2005 – 71 IN 25/02, NZI 2005, 226 (für den Arzt); BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 = NJW 2004, 2015 (für den Rechtsanwalt). 98) BGH, Urt. v. 25.3.1999 – IX ZR 223/97, ZIP 1999, 621 = NZI 1999, 191. 99) BGH, Beschl. v. 5.4.2006 – IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78 m. w. N.

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nicht erfolgt, gehören diese zu den Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie durch den Verwalter begründet worden sind. Dies gilt unproblematisch dann, wenn der Verwalter ausdrücklich die Beiziehung der freiberuflichen Praxis zur Masse erklärt hat. Aber auch, wenn der Verwalter die Beiziehung lediglich duldet, muss davon ausgegangen werden, dass die Verbindlichkeiten als durch den Verwalter begründet anzusehen sind, da dieser sich mit seiner Erklärung, ob er die Praxis zur Masse beizieht oder freigibt, in der Bringschuld befindet.100) Weiterhin nicht geklärt ist allerdings die Frage, wie mit solchen Verbindlichkeiten zu verfahren ist, die der Schuldner i. R. einer Fortführung ohne Wissen bzw. gegen den Willen des Insolvenzverwalters begründet.101) 67 Es zeigt sich, dass aufgrund unterschiedlicher Kollisionslagen zwischen Berufs- und Insolvenzrecht, die im Wesentlichen deshalb entstehen, weil Weisungsrechte und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter übergehen, eine Art der Betriebsfortführung zu wählen ist, in der dieses Konfliktpotential minimiert werden kann. Dies ist in den Gesundheitsberufen bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen die Eigenverwaltung.102) 3.2.2 Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer 68 Die bei den Gesundheitsberufen dargestellten Grundsätze gelten in weiten Teilen auch für die rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe. Soweit es sich bei dem Freiberufler um einen angestellten Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer handelt, kommt für diesen eine Fortführung seiner Tätigkeit unter den bereits beschriebenen Vorgaben der Rechtsprechung für den angestellten Anwalt in Frage. 69 Für die Fortführung der Praxis eines insolventen Berufsträgers dieser Berufsgruppen bestehen prinzipiell ebenfalls die Möglichkeiten einer Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung des Insolvenzschuldners, der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens sowie der Eigenverwaltung. 70 Die Fortführung durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung des Insolvenzschuldners wird nach der derzeitigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung aufgrund der Vermutung des Vermögensverfalls schon daran scheitern, dass die Zulassung des Schuldners zu widerrufen ist. Um einen solchen Widerruf zu verhindern, wäre nämlich der Nachweis zu führen, dass die Interessen der gegenwärtigen und künftigen Mandanten nicht beeinträchtigt werden.103) Hierzu müsste vordringlich sichergestellt werden können, dass ein Missbrauch von Fremdgeldern ausgeschlossen werden kann. Dies allerdings wird auch bei enger Überwachung durch den Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung kaum gewährleistet werden können, da die Möglichkeiten einer zweckwidrigen Verwendung aufgrund der besonderen Vertrauensstellung der Angehörigen dieser Berufsgruppen vielfältig sind. Organisatorische Maßnahmen, die eine derart enge Überwachung durch den Insolvenzverwalter ermöglichen, dass jeder Missbrauch ausgeschlossen ist, sind kaum vorstellbar. Dieserhalb erscheint eine Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter schon deshalb nicht möglich, weil dem Schuldner die Zulassung zu entziehen ist. 71 Ist die Zulassung noch nicht widerrufen, könnte dem Widerruf durch die Wahl der Eigenverwaltung und der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zuvorgekommen werden. ___________ 100) Lüdke in: HK-InsO, § 35 Rz. 249; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1103 ff.; Wischemeyer, ZInsO 2009, 2121, 2122; RegE BT-Drucks. 16/3227, S. 17; a. A. Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 55 Rz. 41; Mai in: Kölner Schrift, Kap. 19 Rz. 65. 101) Hierzu Arens, DStR 2010, 446, 447 ff.; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696 ff.; Smid, DZWIR, 2008, 133 ff. 102) So auch: Vallender in: FS Metzeler, S. 21, 32. 103) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 17.

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Es ist schnellstmöglich ein Insolvenzplan auszuarbeiten und dieser gemeinsam mit dem 72 Eigenantrag beim Insolvenzgericht einzureichen.104) Im Regelfall des Insolvenzplanverfahrens wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. Insofern könnten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Freiberufler-Schuldners nach Planbestätigung wieder als geordnet gelten, wodurch ein Widerruf der Zulassung obsolet werden könnte. Um die wirtschaftlichen Verhältnisse wieder zu ordnen – wodurch die Zulassung u. U. 73 „gerettet“ werden kann –, kommt auch die Beantragung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO in Betracht.105) Im Rahmen dieses Verfahrens soll dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, bereits im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren einen Insolvenzplan auszuarbeiten. In den drei Monaten, die der Schuldner hierzu höchstens Zeit hat, erhält er eine dem starken vorläufigen Verwalter insofern vergleichbare Stellung, als er gemäß § 270b Abs. 3 InsO Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 2 InsO begründen kann.106) Überdies kann auf Antrag des Schuldners ein Vollstreckungsschutz gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordnet werden, so dass der Schuldner für den Zeitraum seiner Sanierungsbemühungen durch ein Moratorium geschützt ist.107) Eben diese Mechanismen ermöglichen dem lediglich drohend zahlungsunfähigen bzw. überschuldeten Schuldner weitergehend als bisher, rechtzeitig seine wirtschaftlichen Verhältnisse außerhalb des eröffneten Verfahrens zu ordnen, was auf den Widerruf der Zulassung Einfluss hat. Ob hierdurch allerdings eine Abkehr von der restriktiven Entziehungspraxis der Kam- 74 mern zu erreichen ist, erscheint fraglich. Die über den Widerruf der Zulassung geschützten Rechtsgüter sind bei „nur“ drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kaum weniger gefährdet als bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Diese Gefährdung dürfte durch die Wahl eines Eigenverwaltungs- bzw. Insolvenzplanverfahrens kaum beseitigt werden können. Vielmehr sind die Vermögensverhältnisse regelmäßig erst mit erfolgreicher Durchführung des Insolvenzverfahrens in einem Maße geordnet, wie es die zu schützenden Rechtsgüter verlangen. Deshalb sollte die Widerrufspraxis bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern trotz der durch das ESUG geschaffenen weitergehenden Sanierungsmöglichkeiten im Regelfall nicht aufgeweicht werden. V.

Alternativszenarien

Neben der Fortführung kommen nach Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzver- 75 fahrens auch Alternativszenarien in Betracht. Dies sind insbesondere die Verwertung sowie die Freigabe. 1.

Verwertung öffentlich-rechtlicher Befugnisse

Ob der Insolvenzverwalter die öffentlich-rechtlichen Befugnisse durch Veräußerung für 76 die Masse verwerten kann, hängt von ihrer Zugehörigkeit zur Masse und diese wiederum davon ab, ob ihnen ein Vermögenswert zukommt.108) Für die Sachkonzession ist die Frage leicht zu beantworten. Ihr kommt regelmäßig ein 77 Vermögenswert zu, so dass sie grundsätzlich auch übertragbar ist. Die Verwertung erfolgt ___________ 104) Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 399; Janca, ZInsO 2005, 242 ff.; Schmittmann, ZInsO 2004, 725, 727. 105) Dies gilt im Ergebnis auch für die zuvor dargestellten Praxen der Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. 106) Braun-Riggert, InsO § 270b Rz. 13. 107) Piekenbrock, NZI 2012, 905, 907. 108) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 13 ff., 270.

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gemeinsam mit der Sache, dem Grundstück oder der Anlage, deren Wert sie steigert. Mit Übertragung des Grundstücks oder der Anlage selbst geht die Sachkonzession automatisch auf den Rechtsnachfolger über.109) 78 Anders stellt sich die Rechtslage bei der Verwertung einer Personalkonzession dar. Nicht zur Insolvenzmasse gehören solche Genehmigungen, die ein höchstpersönliches Recht begründen.110) Aber auch soweit letzteres nicht der Fall ist, die Genehmigung also etwa durch einen Stellvertreter nach § 45 GewO oder § 9 GastG ausgeübt werden kann, ist die Zugehörigkeit zur Masse nicht ohne weiteres zu bejahen. Denn hierzu muss der Genehmigung zusätzlich auch ein Vermögenswert zukommen. Sofern die Genehmigung auf die Person des Insolvenzschuldners bezogen und damit eine Personalkonzession ist, ist sie zwar Grundlage der durch die Fortführung realisierbaren Vermögenswerte, aber nicht selbst Vermögenswert, da sie weder einzeln noch durch Verkauf des ganzen Unternehmens verwertet werden kann.111) Beispiel Für die Verwertung eine Gaststätte bedeutet dies bspw., dass der Insolvenzverwalter zwar die Gaststätte an sich, also die Räumlichkeiten und ihr Inventar verwerten kann, der etwaige Nachfolger wiederum muss aber selbst über eine Erlaubnis verfügen, um diese fortführen zu können. Eine Übernahme der Gaststättenerlaubnis i. S. einer Rechtsnachfolge findet nicht statt. 79 Die Veräußerung einer freiberuflichen Praxis wirft weitere Fragen auf. Hierbei setzen sich die schon bei der Erörterung der Fortführung genannten Probleme fort. Wenngleich mittlerweile, anders als noch unter Geltung der KO,112) generell von einer Veräußerbarkeit der freiberuflichen Praxis auch in Bezug auf ihren „Goodwill“ ausgegangen wird, ist hier doch vieles im Einzelnen streitig. Streit besteht dabei insbesondere darüber, ob der Insolvenzverwalter einer Zustimmung durch den Insolvenzschuldner zur Verwertung der Praxis bedarf. Dies wird teilweise aufgrund der persönlichen Vertrauensbeziehung zu den Mandanten bzw. Patienten verlangt.113) Überwiegend wird aber zu Recht dem Interesse der Gläubiger Vorrang gegeben.114) Sowohl Praxis als auch die Patientendatei gehören gemäß § 35 Abs. 1 bzw. § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO zur Insolvenzmasse. Zu weitgehend ist zwar die Ansicht, dass der Freiberufler als Insolvenzschuldner in die Patientendatei auf Grund deren Massezugehörigkeit nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters Einblick nehmen darf.115) Andererseits hat aber auch der Insolvenzverwalter kein allgemeines Einsichtsrecht. Dennoch muss es ihm möglich sein, die Praxis wie bei einem regulären Ver___________ 109) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 133 ff.; Vierhaus, NVwZ 2001, 743, 745. 110) BVerfG, Beschl. v. 22.3.2013 – 1 BvR 791/12, NZS 2013, 543 m. w. N. (für die vertragsärztliche Zulassung, selbst im Falle eines Medizinischen Versorgungszentrums in der Rechtsform einer GmbH); BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, BSGE 86, 121, 123 (ebenfalls für die vertragsärztliche Zulassung); BVerwG, Urt. v. 27.6.1969 – VII C 46.68, MDR 1970, 80 (für die Güternahverkehrserlaubnis nach § 80 GüKG; entspr. heute § 3 Abs. 2 GüKG bzw. § 3 Abs. 1 PersBefG); OVG Münster, Beschl. v. 2.10.2003 – 13 A 3696/02, GewArch 2004, 73 (für Genehmigungen nach dem nordrhein-westfälischen Rettungsgesetz); Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 110 m. w. N. 111) Beck/Depré-Depré/Kothe, Praxis der Insolvenz, § 36 Rz. 111; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 270. 112) Der Veräußerung des nicht materiellen Vermögenswertes stand nach der KO entgegen, dass er dem Geheimschuldner erhalten bleiben musste, um die Praxis außerhalb des Insolvenzverfahrens fortführen zu können und die Einnahmen als Neuerwerb für seinen Lebensunterhalt zu verwenden. Hierzu: Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 14. 113) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 9.09; Eickmann in: HK-InsO, 2. Aufl., 2001, § 35 Rz. 28; Nerlich/ Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 73. 114) Lüdtke in: HK-InsO, § 35 Rz. 106; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 288 sowie § 159 Rz. 31; Peters in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 35 Rz. 158; Beck/Depré-Viniol, Praxis der Insolvenz, § 42 Rz. 29. 115) So aber: Schick, NJW 1990, 3359, 2361.

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Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz

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kauf unter Zustimmung der Patienten zur Übernahme der Patientendatei durch den Nachfolger zu verwerten.116) Vor dem Hintergrund der nicht abschließend geklärten Rechtsfragen in diesem Themen- 80 komplex ist dem Insolvenzverwalter jedenfalls anzuraten, den Insolvenzschuldner in den Veräußerungsprozess intensiv einzubinden. Auf diese Weise kann möglichen Versuchen des Schuldners vorgebeugt werden, die Verwertung durch Einflussnahme auf Klienten, Patienten oder Mandanten zu verhindern.117) 2.

Freigabe zur Fortführung durch den Schuldner

Eine weitere Möglichkeit, die Fortführung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Pra- 81 xis durch den Schuldner zu ermöglichen, ist die Freigabe. Mit ihr endet der Insolvenzbeschlag. Der Gewerbetreibende oder Freiberufler erhält die Verwertungs- und Verfügungsbefugnis zurück. Da mit der Freigabe des Gewerbes oder der freiberuflichen Praxis eine Vielzahl von Gegenständen dem Zugriff der Masse entzogen wird und nicht nur, wie es dem Konzept der Freigabe an sich entspricht, einzelne Gegenstände, kann die Freigabe der gesamten Praxis bzw. des gesamten Gewerbebetriebes nur als Ausnahme in den Fällen gelten, in denen weder durch die Fortführung noch die Veräußerung eine Massemehrung zu erzielen ist. Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen einer solchen Freigabe sollte der Insolvenzverwalter den gesamten Betrieb nur in Absprache mit den Gläubigern freigeben.118) Bei der Freigabe eines Gewerbes ist umstritten, wie sie sich auf eine zuvor eingeleitete 82 Gewerbeuntersagung auswirkt. Rechtsfolge einer solchen Freigabe ist, dass der Insolvenzverwalter den aus der selbstständigen Tätigkeit zu erwartenden Neuerwerb nicht zur Insolvenzmasse zieht und dass Verbindlichkeiten, die der Schuldner i. R. seiner selbstständigen Tätigkeit begründet, nicht im Range von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO befriedigt werden.119) Der Insolvenzschuldner wird also aus Verträgen, die er i. R. seiner selbstständigen Tätigkeit neu begründet, selbst berechtigt und verpflichtet.120) Gegen eine Sperrwirkung des § 12 GewO spricht, dass die Vermögensgegenstände infolge der Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ausscheiden und der Insolvenzverwalter deshalb nicht mehr auf den Schuldner und die Vermögensgegenstände einwirken kann. Die Nutzung der Vermögensgenstände kommt infolge der Freigabe nicht mehr der Masse zugute, auf die durch das freigebende Gewerbe erwirtschafteten Gewinne kann nicht zugegriffen werden, es werden keine Masseverbindlichkeiten begründet.121) Aus diesem Grunde erscheint es zunächst gerechtfertigt, dem schuldnerischen Gewerbe auch den Schutz des § 12 GewO zu entziehen. Das Gewerbe nimmt schließlich in vollem Umfang nicht mehr an dem Insolvenzverfahren teil, für das § 12 GewO seiner Konzeption nach entwickelt wurde.122)

___________ 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122)

Uhlenbruck in: FS Henckel, S. 877, 886 ff. In diesem Sinne auch: Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 400. Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 497. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 72. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 101. Krumme, GewArch 2010, 465, 471 ff. In diesem Sinne OVG Koblenz, Urt. v. 3.11.2010 – 6 A 10676/10, OVG, GewArch 2011, 37.

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Teil III Einzelfragen

83 Der größere Teil in Rechtsprechung und Literatur geht allerdings von einer Sperrwirkung des § 12 GewO aus.123) § 12 GewO verbietet nach seinem Wortlaut eine Anwendung der genannten Vorschriften für den gesamten Zeitraum eines laufenden Insolvenzverfahrens. Sinn und Zweck der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO ist, dass der Insolvenzschuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bereits vorher ausgeübte selbstständige Tätigkeit fortsetzen bzw. eine selbstständige Tätigkeit neu aufnehmen kann.124) Dieses Ziel würde vereitelt, wenn gleichwohl eine Untersagung bzw. der Widerruf des Gewerbes möglich wäre. Schließlich wird den Gläubigerinteressen durch die entsprechende Anwendung von § 295 InsO Genüge getan, nach dem der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner eine Ausgleichszahlung zu konkretisieren hat. 84 Schließlich steht den Neugläubigern nach erfolgter Freigabe der Neuerwerb als Haftungsmasse zur Verfügung. Insofern erscheint es sachgerecht, von einer Sperrwirkung des § 12 GewO auszugehen. 85 Sie kann aber nur solange gelten, wie im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht über die Unzuverlässigkeit des Gewerbetriebenden entschieden worden ist und die Verbindlichkeiten, die nach Ansicht der Behörde die Unzuverlässigkeit des Schuldners begründen, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.125) Soweit zum Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags bereits eine abschließende Entscheidung unter Anordnung des Sofortvollzugs i. S. einer Untersagung des betreffenden Gewerbes ergangen ist, kommt § 12 GewO nicht mehr zur Anwendung.126) Keine Anwendung findet § 12 GewO ferner in dem Fall, dass die Unzuverlässigkeit des gewerbetreibenden Schuldners mit Rückständen begründet wird, die aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit herrühren.127) VI.

Fazit

86 Die Auswirkungen, die ein Insolvenzverfahren auf Genehmigungen hat, sind vielfältig. Sie können positiv sein, etwa bei der Veräußerung übertragbarer Rechte zur Generierung von Liquidität, aber auch ein Hindernis, das einer erfolgreichen Betriebsfortführung entgegensteht. Die Prüfung der Rechtslage in Bezug auf bestehende Genehmigungen sollte angesichts ihrer weitreichenden Bedeutung einen festen Bestandteil in der Abfolge der Maßnahmen bilden, die in Vorbereitung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens ergriffen werden.

___________ 123) VGH München, Urt. v. 5.5.2009 – 22 BV 07.2776, ZIP 2009, 2162 = NZI 2009, 527; VG Oldenburg, Beschl. v. 14.7.2008 – 12 B 1781/08, ZIP 2009, 334 = GewArch 2008, 413; OVG Münster, Beschl. v. 19.5.2011 – 4 B 1707/10, NVwZ-RR 2011, 813; VG Trier, Urt. v. 14.4.2010 – 5 K 11/10, VIA 2010, 55 m. Anm. Vallender; Friauf-Heß, GewO, § 12 Rz. 14; Landmann/Rohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 12 Rz. 7a. 124) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 90. 125) Vallender, NZI 2010, 55. 126) So im Ergebnis: OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.12.2008 – 7 ME 144/08, GewArch 2009, 162. 127) VGH München, Urt. v. 5.5.2009 – 22 BV 07.2776, ZIP 2009, 2162 = NZI 2009, 527.

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§ 19 Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung Übersicht I. Allgemeines ................................................. 1 II. Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme............................ 12 1. Strategische Sanierung ............................... 12 2. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme .... 16 III. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen................... 31 1. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ..... 31 2. Sonstige vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) ............................................. 35 3. „Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO).......................................... 36 4. „Starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO).......................................... 42 5. Eröffnetes Verfahren ................................. 45 5.1 Allgemeines ..................................... 45 5.2 Formelle Fehler bei Inanspruchnahme............................ 47

5.3

Materielle Fehler bei Inanspruchnahme............................ 50 5.3.1 Allgemeine Argumentationslinien .. 50 5.3.2 Verstoß gegen Treu und Glauben ... 52 5.3.3 Fehlerhafte Störerauswahl.............. 53 5.3.4 Nichtberücksichtigung der Opfergrenze .................................... 57 5.3.5 Präventive (negative) Feststellungklage ............................ 61 5.3.6 Sonderkonstellation: Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltungsverfahren.......................................... 62 5.4 Folgen der Inanspruchnahme wegen Alt-Kontaminationen.......... 65 5.4.1 Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit.............................. 65 5.4.2 Regressansprüche............................ 69 5.5 Freigabe gemäß § 32 Abs. 3 InsO bei Inanspruchnahme ausschließlich als Zustandsstörer ........ 71 IV. Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber ......... 74

Literatur: Bickel, BBodSchG, Kommentar, 3. Aufl., 2004; Bisle, Fiskusprivileg „light“: Der neue § 55 Abs. 4 InsO, GWR 2011, 352; Brühl, Verwaltungsrecht, 7. Aufl., 2006; Drasdo, Anmerkung zur Entscheidung des BVerwG v. 23.9.2004, BVerwG 7 C 22.03, ZfIR 2005, 31; Erdmann, Praktische Konsequenzen der Behandlung des Konkursverwalters als Organ der Konkursmasse, KTS 1967, 87; Finger, Neues von den Altlasten, NVwZ 2011, 1288; Grunwaldt, Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche unter mehreren polizeirechtlichen Störern, Diss., 1994; Gundlach/Rautmann, Änderungen der Insolvenzordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, DStR 2011, 82; Heßler, Der Störerausgleich im Bodenschutzrecht, Diss., 2004; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz, NZI 2010, 808; Kahlert, „Wiedereinführung“ des Fiskusvorrechts im Insolvenzverfahren?, ZInsO 2010, 1274; Knieper, W., Treu und Glauben im Verwaltungsrecht, Diss., 1932; Kothe, Die Verantwortlichkeit bei der Altlastensanierung, VerwArch (88) 1997, 456; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt-Kommentar, 67. Aufl., 2013, Stand: 11/2012; Lwowski/Tetzlaff, Umweltaltlasten in der Insolvenz und gesicherte Gläubiger, WM 2005, 921; Lwowski/Tetzlaff, Altlasten in der Insolvenz – Freigabe, Insolvenzplan und parallele Zwangsverwaltungsverfahren, NZI 2004, 225; Meyer, Die Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters, in: Heinze/Stürner/Uhlenbruck, KTS-Schriften, Bd. 15, 2003, S. 196; Onusseit, Zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 641; Oerder/Numberger/ Schönfeldt, BBodSchG, 1999; Pape, Anmerkung zur Entscheidung des BVerwG vom 22.7.2004, BVerwG 7 C 17.03, ZIP 2004, 1768; Pöhlmann, Wer bezahlt die Beseitigung von Altlasten in der Insolvenz? NZI 2003, 486; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998; Schäling, Zur Haftungsbegrenzung bei Inanspruchnahme des Inhabers der tatsächlichen Gewalt als Verantwortlicher im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes, NVwZ 2004, 543; Schmidt, K., Klage und Rechtshängigkeit bei der Konkurseröffnung vor Klageerhebung, NJW 1995, 911; Schmidt, K., Der Konkursverwalter als Gesellschaftsorgan und als Repräsentant des Gemeinschuldners, KTS 1984, 345; Sinz/Oppermann, § 55 Abs. 4 InsO und seine Anwendungsprobleme in der Praxis, DB 2011, 2185; Versteyl/Sondermann, BBodSchG, Kommentar, 2. Aufl., 2005; de Wall, Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999, JusPubl. 46; Wittern/Baßlsperger, Verwaltungsund Verwaltungsprozessrecht, 19. Aufl., 2007; Zeiß/Schreiber, Zivilprozessrecht, 10. Aufl., 2003; Zimmermann, F., Beschlussfassung des Gläubigerausschusses/der Gläubigerversammlung bezüglich besonders bedeutsamer Rechtshandlungen (§ 160 InsO), ZInsO 2012, 245; Zimmermann, F., Mobiliarund Unternehmenshypotheken in Europa, 2005.

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579

§ 19 I.

Teil III Einzelfragen Allgemeines

1 Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Verwalter Gesetz und Recht zu beachten hat. Dies gilt umso mehr, wenn der Insolvenzverwalter einen schuldnerischen Betrieb fortführt, nicht zuletzt, da der Insolvenzverwalter gerichtlich bestellt wird. Mindestens problematisch und enorm haftungsträchtig ist dies allerdings dann, wenn gesetzlich eindeutige Grundlagen, die für eine Fortführung von entscheidender Bedeutung sind, fehlen und die höchstrichterliche Rechtsprechung antipodisch ist. War man überwiegend der Auffassung, dass insbesondere in der Nachwendezeit die Altlastenproblematik relevant war1) und zwischenzeitlich weitgehend überholt sei, da in den meisten Fällen die als besonders problematisch zu beurteilenden Altlastenflächen mittlerweile saniert wurden, muss die Thematik von Umweltkontaminationen unter den Bedingungen eines Insolvenzverfahrens gleichwohl nach wie vor als akut bezeichnet werden. 2 Es geht nicht nur um – die in der Praxis nur noch selten vorkommenden – Altlasten i. S. des BBodSchG,2) das Altlasten definiert als stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie sonstige Grundstücke, auf denen Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert worden sind (Altablagerungen), und Grundstücke stillgelegter Anlagen und sonstige Grundstücke, auf denen mit umweltgefährdenden Stoffen umgegangen worden ist, ausgenommen Anlagen, deren Stilllegung einer Genehmigung nach dem Atomgesetz bedarf (Altstandorte), durch die schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgerufen werden.3) 3 Vielmehr geht es generell um die Frage der Behandlung von Kontaminationen der Umwelt im Insolvenzverfahren, wobei in der Praxis am bedeutsamsten Kontaminationen des Grund und Bodens sind, deren Beseitigung in der Regel zu hohen Kostenbelastungen führen. Hierdurch kommt der Frage, ob die Beseitigungskosten vorrangig aus der Insol___________ 1) Vgl. hierzu insbesondere die in dieser Zeit ergangene Rechtsprechung: BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, NZI 1999, 246 = WM 1999, 818; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.6.2000 – 2 M 175/00, ZInsO 2000, 506; Hessischer VGH, Beschl. v. 22.10.1999 – 8 TE 4371/96, ZIP 1999, 2102; VG Hannover, Urt. v. 16.5.2001 – 12 A 1401/99, ZIP 2001, 1727 = NZI 2002, 171; OVG Sachsen, Urt. v. 16.8.1994 – 1 S 173/94, ZIP 1995, 852; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 12.4.1994 – 2 M 31/93, ZIP 1994, 1130; OVG Schleswig, Urt. v. 20.10.1994 – 4 L 73/92, ZIP 1993, 283, u. a. 2) Zu beachten ist, dass Grundvoraussetzung für eine Inanspruchnahme wegen Altlasten i. S. des BBodSchG die Anlage im Fall der § 2 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 1 und § 2 Abs. 5 Nr. 2 Alt. 1 BBodSchG bereits vollständig stillgelegt sein muss (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; BT-Drucks. 13/6701, S. 30; Versteyl/Sondermann–Sondermann/Hejma, BBodSchG, § 4 Rz. 77; Bickel, BBodSchG, § 2 Rz. 12) bzw. im Falle eines sonstigen Grundstückes, auf dem Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert worden sind i. S. der §§ 2 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 2 und Abs. 5 Nr. 2 Alt. 2 BBodSchG die Anlage nicht mehr in Betrieb ist (vgl. BT-Drucks. 13/6701, S. 30; Bickel, BBodSchG, § 2 Rz. 29). Eine Stilllegung ist hierbei – wie der BGH festgestellt hat – ausschließlich dann anzunehmen, wenn sämtliche Stilllegungsmaßnahmen vollständig abgeschlossen sind (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403), wobei dem gleichzusetzen ist, wenn der Betrieb vollständig anders geführt wird, mithin ein aliud zu dem ursprünglichen Betrieb darstellt (BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; Kothe, VerwArch 1997, 456 ff.), wozu ein bloßer Inhaberwechsel oder eine Umfirmierung nicht ausreicht. Ist die Anlage nicht stillgelegt in diesem Sinne, kommt eine Inanspruchnahme für Sanierungsmaßnahmen nur wegen „schädlicher Bodenveränderungen“ i. S. des § 2 Abs. 3 BBodSchG in Betracht, wobei eine bloße Gefährdung für eine Inanspruchnahme nicht ausreicht. Vielmehr muss eine physikalische, chemische oder biologische Veränderung der Beschaffenheit des Bodens bereits eingetreten sein (vgl. BT-Drucks. 13/6701, S. 19; BGH, Urt. v. 18.2.2010 – III ZR 295/09, NZM 2010, 403; Versteyl/Sondermann– Sondermann/Hejma, BBodSchG, § 4 Rz. 77). Ist auch dies nicht der Fall, kann der Insolvenzverwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse bereits nicht zu Sanierungsmaßnahmen, sondern allenfalls zu Vorsorgemaßnahmen gemäß § 7 BBodSchG i. V. m. §§ 9 ff. BBodSchVO herangezogen werden. 3) Vgl. § 2 Abs. 5 BBodSchG.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

venzmasse zu begleichen sind, überragende Bedeutung für den Verfahrensablauf und somit insbesondere auch für die Betriebsfortführung zukommt. Mit Insolvenzverfahrenseröffnung geht die allgemeine Vermögensverwaltungs- und -ver- 4 fügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 148 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter eine unverzügliche Inbesitznahmepflicht bezüglich der Massegegenstände. Zudem ist die – zumindest vorläufige – Betriebsfortführung gesetzliche Pflichtaufgabe und greift bereits bei angeordneter vorläufiger Insolvenzverwaltung ein.4) Dadurch ist der Verwalter grundsätzlich gezwungen, den schuldnerischen Betrieb auf den Betriebsflächen (mindestens) bis zum Berichtstermin fortzuführen, unabhängig davon, ob die Betriebsflächen im schuldnerischen Eigentum stehen oder i. R. eines Nutzungsverhältnisses genutzt werden. Bei Grundstücken, die im schuldnerischen Vermögen stehen oder durch den schuldneri- 5 schen Betrieb genutzt werden, kennt der Verwalter die Bodenbeschaffenheit zumeist nicht. Ein Prüfungszeitraum zum Zwecke der Analyse des Bestehens von etwaigen Kontaminationen ist dem Verwalter nach Insolvenzverfahrenseröffnung nicht eingeräumt. Lediglich in den Fällen, in denen eine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet war, hatte der Verwalter die Möglichkeit zu prüfen, ob es sich um ein kontaminiertes Grundstück handelt. Dabei hat der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch zumeist keine Veranlassung zur Bodenuntersuchung oder -prüfung, es sei denn, dass sich aus den Umständen konkrete Hinweise auf schädliche Bodenveränderungen ergeben (z. B. beim Betrieb besonders kontaminierungsgeeigneter Anlagen, sichtbaren Kontaminationen o. Ä.). Haben sich während der vorläufigen Insolvenzverwaltung solche Hinweise ergeben, kann 6 der vorläufige Insolvenzverwalter bei Anordnung der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO) aufgrund der begrenzten Kompetenzzuweisung (Zustimmungsvorbehalt) in der Regel keine eingehenderen, kostenauslösenden und -intensiven Untersuchungen/Maßnahmen ergreifen, um Gewissheit zu erlangen. Hierzu müsste der Insolvenzverwalter von dem Insolvenzgericht eine Einzelermächtigung zur Begründung der entsprechenden Masseverbindlichkeit erhalten, für deren Beantragung seitens des vorläufigen Verwalters aus unterschiedlichen Gründen zumeist keine konkrete Veranlassung besteht. Zumeist fehlt es zudem auch an den erforderlichen Mitteln, sodass es sich daher bei einer Anfrage des vorläufigen Insolvenzverwalters beim Altlastenverzeichnis/Bodenbelastungskataster bewenden wird, um eine Einschätzung zu erhalten, wie mit dem Grundstück im eröffneten Verfahren zu verfahren und mit welchen Kosten für eine Sanierung zu rechnen ist. In den meisten Fällen wird der Insolvenzverwalter erst nach Verfahrenseröffnung 7 Kenntnis von einer etwaigen Bodenkontamination oder einem entsprechenden Verdacht erlangen, regelmäßig durch die behördliche Inanspruchnahme in Form eines Erlasses einer gegen ihn gerichteten Untersuchungsanordnung oder aber eines Duldungs-/Haftungsbescheides. Hierdurch gerät der Verwalter in ein Haftungsspannungsfeld, das nicht lediglich die durch 8 den Verwalter verwaltete Masse, sondern auch ihn höchstpersönlich betrifft: x

Saniert der Verwalter aus Massemitteln das Grundstück oder bezahlt der Verwalter die Kosten einer etwaigen Ersatzvornahme aus den von ihm verwalteten Mitteln, obwohl der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse an sich nicht gehaftet hätte, war also der zugrunde liegende Bescheid unrichtig bzw. rechtswidrig, dann haftet der Verwalter gemäß § 60 InsO den Verfahrensbeteiligten persönlich, wenn bei ordentlicher

___________ 4) Decker in: HambKomm-InsO, § 158 Rz. 1.

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§ 19

Teil III Einzelfragen

und gewissenhafter Prüfung erkennbar war, dass die Maßnahme/Sanierung nicht hätte aus der Masse finanziert werden müssen.5) x

Andererseits haftet der Verwalter gemäß § 61 InsO, wenn er berechtigte Masseverbindlichkeiten nicht begleicht.

x

Ebenso haftet der Verwalter nach § 61 InsO den übrigen Massegläubigern, wenn er in Anbetracht bekanntwerdender Altschäden des Betriebsgrundstückes vorschnell Masseunzulänglichkeit anzeigt, die Umweltbehörde jedoch erst danach die Ordnungsverfügung erlässt, die Behörde die Beseitigungskosten als Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend macht und der Verwalter diese als solche begleichen muss.6)

9 Begründet wird dieses Haftungsspannungsfeld durch unterschiedliche Herangehensweisen, die rein ordnungs-/verwaltungsrechtliche (BVerwG), sog. „massefeindliche“, einerseits und die insolvenzrechtliche (BGH), sog. „massefreundliche“ andererseits. Nach der verwaltungsrechtlichen Herangehensweise haften – verallgemeinert – der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse auch für Umweltschäden, die in der Vergangenheit liegen, mithin bereits vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden sind, da zwar auch das Verwaltungsrecht grundsätzlich das Verursacherprinzip zu berücksichtigen hat, jedoch harte zeitliche Zäsuren, wie durch die InsO in § 38 InsO vorgegeben, in dieser Form nicht kennt. Dies führt dazu, dass der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse nach verwaltungsrechtlicher Sichtweise aufgrund die Zustandsverantwortlichkeit regelnden umweltrechtlichen Normen, wie etwa § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG oder §§ 3 Abs. 9, 13, 22 KrWG7) i. V. m. §§ 22, 24 BImSchG8) auch für solche Schäden haften soll, die weit vor Verfahrenseröffnung entstanden sind.9) Solche Forderungen sollen nicht lediglich im Rang des § 38 InsO, sondern ähnlich Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO),10) nach vereinzelter Ansicht gar Masseschulden (§ 54 InsO) sein. 10 Lediglich in dem Fall, das Kontaminationen auf Handlungen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zurückzuführen sind, besteht Kongruenz zwischen Verwaltungsrecht und Insolvenzrecht: In solchen Fällen haftet der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Insolvenzmasse stets aufgrund bestehender Handlungsverantwortlichkeit oder als Anlagenbetreiber, wobei die damit einhergehenden Verbindlichkeiten im Rang des § 55 InsO stehen. Allerdings kann auch in solchen Konstellationen das Problem von Alt-Kontaminationen virulent ___________ 5) Selbstverständlich ist bei der Bezifferung eines solchen Haftungsanspruchs die durch die Sanierung zumeist eintretende Wertsteigerung des Grundstückes zu berücksichtigen, die den Haftungsumfang entsprechend reduzieren würde. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Grundbesitz nicht umfänglich mit (unanfechtbaren) Sicherungsrechten belastet ist und hierdurch vorrangig der absonderungsberechtigte Gläubiger durch die aufgrund der Sanierung eingetretene Wertsteigerung profitiert, jedoch keine oder nur eine geringe freie Spitze für die Gläubiger im Range des § 38 InsO verbleibt. 6) Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 923. 7) Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen – KrWG: Art. 1 des Gesetzes v. 24.2.2012, BGBl. I 2012, 212, in Kraft getreten am 1.3.2012 bzw. 1.6.2012 geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 8) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge – Bundes-Immissionsschutzgesetz, i. d. F. der Bekanntmachung v. 26.9.2002, BGBl. I 2002, 3830, zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 9) Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, NZI 1999, 246 = WM 1999, 818; BVerwG, Urt. v. 20.1.1984 – 4 C 37.80, NJW 1984, 2427; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 16.1.1997 – 3 L 94/96, ZIP 1997, 1798 = NJW 1998, 175; VGH Mannheim, Urt. v. 11.12.1990 – 10 S 7/90, ZIP 1991, 393 = NJW 1992, 64. 10) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, NZI 1999, 246 = WM 1999, 818.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

werden, selbst wenn die relevanten Kontaminationen bereits vor Verfahrenseröffnung vorhanden waren und die Betriebsfortführung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter entweder zu keinen weiteren Kontaminationen geführt hat oder aber die Betriebsfortführung (lediglich) zu weiteren Kontaminationen führte, die der (vorläufige) Insolvenzverwalter isoliert, also beschränkt auf die Neuschäden, ordnungsgemäß beseitigt hat. Im Kern führt die verwaltungsrechtliche Sichtweise dazu, dass der Verwalter seinen gesetz- 11 lichen Auftrag zur Betriebsfortführung – zumindest bis zum Berichtstermin11) – oft nicht ordnungsgemäß erfüllen könnte und gegen die ihn besonders bindende Rechtsordnung (InsO) verstoßen müsste, um Haftungsgefahren aus etwaigen Bodenkontaminationen, gleich aus welchem Zeitpunkt, zu vermeiden. Jede (vorläufige) Fortführung in der Insolvenz von Betrieben in den Bereichen Lackiererei, Färberei, Tierzucht, Bau, Tankstellen, Chemie, Biogaserzeugung und dergleichen wäre in wirtschaftlicher Hinsicht unwägbar bis hin zu unkalkulierbar und würden den Insolvenzverwalter regelmäßig dazu veranlassen, den Betrieb umgehend stillzulegen oder den Betrieb/das Betriebsgrundstück freizugeben. II.

Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme

1.

Strategische Sanierung

Allerdings kann die Sanierung eines Grundstückes durch den Insolvenzverwalter durch- 12 aus im Interesse der (Insolvenz-)Gläubiger liegen. Dies insbesondere dann, wenn das Grundstück im Eigentum des Schuldners steht und durch die Sanierung eine so erhebliche Wertsteigerung herbeigeführt wird, dass sie die Ausgaben aus der Masse rechtfertigt. Dies wird allerdings zumeist nur dann in Betracht kommen, wenn der Grundbesitz nicht oder nur in geringem Umfang mit Grundpfandrechten belastet ist. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter von sich aus zu einer solchen Sanierung zu Lasten 13 der von ihm verwalteten Masse mit dem Ziel, den Grundstückswert im Interesse der Insolvenzgläubiger zu erhöhen, ist die Erstellung von Wertgutachten bezogen auf den kontaminierten Grundbesitz einerseits und bezogen auf den sanierten Zustand andererseits vor Auslösung der entsprechenden Maßnahmen zur eigenen Haftungsvermeidung unumgänglich. Denn für den Fall, dass der Grundbesitz im sanierten Zustand – wider Erwarten – nicht den durch die Durchführung der Sanierungsmaßnahme angestrebten Marktwert erreicht, sieht sich der Verwalter der Gefahr des Vorwurfs der Masseverschleuderung und damit einer Inanspruchnahme gemäß § 60 InsO ausgesetzt, wenn er nicht belastbar nachweisen kann, dass er zum Zeitpunkt der Auslösung der (freiwilligen, d. h. nicht behördlicherseits erzwungenen) Sanierungsmaßnahme bei einer Kosten-Nutzen-Analyse davon ausgehen durfte, dass die Sanierungsmaßnahme – trotz Aufwendung von Massemitteln – letztlich zu einer Erhöhung des Massebestandes führen würde. Da Bodensanierungen in der Regel kostenintensiv sind, handelt es sich bei einer solchen 14 (freiwilligen) Sanierung in der Regel um eine besonders bedeutsame Rechtshandlung i. S. des § 160 Abs. 1 InsO.12) Unabhängig davon empfiehlt es sich in solchen Fällen stets, eine besondere Gläubigerversammlung einzuberufen. Zwar verhindert die Zustimmung der Gläubigerversammlung zu einer solchen Maßnahme die Inanspruchnahme des Verwalters nach § 60 InsO nicht, wenn wider Erwarten die Sanierung mit Massemitteln nicht zu der angestrebten Wertsteigerung und Massemehrung führt. Denn die Zustimmung der Gläubigerversammlung bzw. deren Fiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO hat keine exkulpierende Wirkung bezüglich der Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO. ___________ 11) Vgl. insbesondere §§ 1, 22 Abs. 1 Nr. 2, 112, 157, 158 InsO. 12) Vgl. zu dem Kriterium der besonders bedeutsamen Rechtshandlung i. S. des § 160 InsO: Zimmermann, ZInsO 2012, 245 ff.

Zimmermann

583

§ 19

Teil III Einzelfragen

Vielmehr hat der Insolvenzverwalter ggf. sogar entgegen dem Abstimmungsergebnis der Gläubigerversammlung zu handeln, da er sein Amt grundsätzlich unabhängig auszuüben hat. Jedoch führt die erteilte Zustimmung der Gläubigerversammlung zu der beabsichtigen Sanierung und, damit einhergehend, zu den damit im Zusammenhang stehenden Kosten zum Zwecke einer letztendlich verfolgten Massemehrung zu erhöhten Anforderungen bezüglich des Nachweises einer Pflichtverletzung des Verwalters bei einer etwaigen Inanspruchnahme gemäß § 60 InsO durch die (Insolvenz-)Gläubiger, wenn der angestrebte Massemehrungszweck nicht erreicht werden konnte. 15 Zu beachten ist – insbesondere vor dem Hintergrund der regelmäßig hohen wirtschaftlichen Bedeutung von Sanierungsmaßnahmen –, dass die besondere Gläubigerversammlung ordnungsgemäß einberufen wird. Der BGH hat in seinen Entscheidungen vom 20.3.200813) und 21.7.201114) klargestellt, dass in der Ladung zur Gläubigerversammlung wenigstens schlagwortartig die Tagesordnungspunkte genannt sein müssen. Folge einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Gläubigerversammlung ist, dass die gefassten Beschlüsse nichtig sind und auch die Zustimmungsfiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO ins Leere ginge.15) Der Verwalter hat daher bereits in seinem Antrag auf Einberufung einer besonderen Gläubigerversammlung darauf zu achten, dass er konkretisiert, für welche Sanierungsmaßnahme, für welches Grundstück welche Mittel aufgewandt werden sollen. Zur Vorbereitung dessen bietet es sich an, dass der Insolvenzverwalter ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gibt, um die voraussichtlich entstehenden Sanierungskosten hinreichend präzise beziffern zu können. Darüber hinaus sollte der Verwalter – zumindest mündlich – in der Gläubigerversammlung erläutern, aus welchem Grunde mit einer für die Masse günstigen Wertsteigerung durch die Sanierungsmaßnahme zu rechnen ist. Auch dies sollte der Verwalter durch ein entsprechendes Gutachten unterlegen können. 2.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme

16 In der Praxis kommen jedoch zumeist nicht die Fälle vor, in denen der Verwalter zum Wohle aller Gläubiger aufgrund einer von sich aus erkannten Kontamination und einer wohlabgewogenen Kosten-Nutzen-Abwägung die Entscheidung trifft, dass das Grundstück zu sanieren ist, sondern weil eine Inanspruchnahme durch die zuständige Behörde erfolgt. 17 Das ESUG16) soll einen wesentlichen Schritt zu einer neuen Sanierungskultur darstellen. Erklärtes Ziel ist es,17) dass das Insolvenzrecht mehr denn je auf Sanierung statt auf Abwicklung von Unternehmen ausgerichtet ist.18) Zur Sanierung von Betrieben ist die Fortführung des Betriebes zwingend. Diese kann allerdings aus vorgenannten Gründen nach verwaltungsrechtlicher Herangehensweise nicht durchgeführt werden und somit Deutschland – entgegen der Zielsetzung des ESUG – kein Sanierungsstandort sein. 18 Das BVerwG hat bereits mehrfach19) – tendenziell, tendenziös – entschieden, dass Forderungen im Zusammenhang mit der Sanierung von Bodenkontaminationen ähnlich Masseverbindlichkeiten im Rang des § 55 InsO stehen würden und daher vorrangig aus der ___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

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BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030 = WM 2008, 1036. Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626 = NZI 2011, 713. Vgl. ergänzend Zimmermann, ZInsO 2012, 245 ff. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 17/5712, S. 1 f. Erklärung Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am 27.10.2011 zum ESUG. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51; BVerwG, Urt. v. 10.2.1999 – 11 C 9.97, NZI 1999, 246 = WM 1999, 818; BVerwG, Urt. v. 20.1.1984 – 4 C 37.80, NJW 1984, 2427.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

Masse zu regulieren seien, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Kontaminationen entstanden sind. Das BVerwG hat bei diesen Entscheidungen zwar die Regelungen der InsO zur Kenntnis genommen, jedoch rein formal verwaltungsrechtlich entschieden: Bestimmte ordnungsrechtliche Vorschriften stellten nicht auf den Verursacher oder den Zeitpunkt einer Verursachung ab, sondern ließen eine Inanspruchnahme des Inhabers der tatsächlichen Gewalt über das schädliche Objekt (Zustandsstörer) zu. Dies habe zur Folge, dass unabhängig von der Frage, wer zu welchem Zeitpunkt die Bodenverunreinigungen verursacht hat, der Inhaber der tatsächlichen Gewalt als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden kann, wobei der Anspruch lediglich an die tatsächliche Sachherrschaft anknüpft, die der Verwalter gemäß § 148 InsO aufgrund gesetzlicher Anordnung und in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages erlangt. Diese Argumentation greift allerdings zu kurz und verkennt das wesentliche, für Insol- 19 venzrechtler geläufigste, in § 38 InsO geregelte Stichtagsprinzip, wonach alle Forderungen, die vor Insolvenzverfahrenseröffnung begründet wurden, lediglich zur Insolvenztabelle angemeldet werden können und zwar auch solche, die im Zusammenhang mit Bodenkontaminationen stehen.20) Zudem berücksichtigt das BVerwG in seinen vorgenannten Entscheidungen nicht, dass der durch den Verwalter in Übereinstimmung mit seiner gesetzlichen Verpflichtung ausgeübte Besitz (§ 148 InsO) nicht gleichzusetzen ist mit der Zustandsstörereigenschaft im ordnungsrechtlichen Sinne. Denn die in § 148 InsO geregelte Besitzergreifung dient – wie der BGH festgestellt hat – zunächst nur dem allseitigen Interesse der Sicherstellung.21) Eine vollständige Integration in die Insolvenzmasse erfolgt mit Inbesitznahme noch nicht,22) und ist daher nicht geeignet, die vom BVerwG angenommene Zustandsstörerhaftung auszulösen. Auch besteht in der Inbesitznahme des (kontaminierten) Grundstücks keine Verwaltung 20 des Massegegenstandes. Eine Begründung von Masseverbindlichkeiten durch Handlungen des Verwalters scheidet bei bloßer Inbesitznahme des Grundstücks im insolvenzrechtlichen Sinne daher aus. Auch sind solche Verbindlichkeiten nicht in anderer Weise i. S. der InsO begründet, da zu den in anderer Weise23) begründeten Masseverbindlichkeiten nur solche gehören, die durch den Verwalter ausgelöst wurden.24) Nicht einmal die Herstellung entsprechenden Versicherungsschutzes für das Grundstück stellt eine Verwaltung des Grundstückes dar.25) Eine Verwaltung liegt bei einer Immobilienbewirtschaftung und eine solche erst bei Vermietung, Sicherung und Erhalt der Immobilie oder Sicherstellung der Energie-/Wasserversorgung vor. Erst wenn der Verwalter den Grundbesitz tatsächlich in die Masse vollständig integriert, ergibt sich – entgegen der Auffassung des BVerwG – überhaupt erst die Möglichkeit, den Verwalter als Zustandsstörer haftbar machen zu können. Sachlich unrichtig ist zudem, dass sich das BVerwG in seinen früheren26) Entscheidungen 21 nicht vertieft mit dem verwaltungsrechtlichen Verursacherprinzip, das sowohl eine zeitliche, wie auch personelle Komponente beinhaltet, befasst hat. Bei hinreichender Berücksichtigung dieses Grundsatzes und der daraus folgenden Konsequenzen hätte das BVerwG zu anderen Ergebnissen gelangen müssen: Es kann als weitgehend unbestritten gelten, dass der Insol___________ 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26)

Sofern nicht Ab- oder Aussonderung verlangt werden kann. BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff., 49 = ZIP 2003, 1043. BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff., 49 = ZIP 2003, 1043. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Vgl. Jäger-Henckel, InsO, § 55 Rz. 29; Jarchow in: HambKomm-InsO, § 55 Rz. 8. Vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, BGHZ 130, 38 ff. = ZIP 2003, 1043. In einer neueren Entscheidung des BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55, wurde diese Frage zumindest am Rande erörtert.

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venzverwalter gerade nicht Vertreter27), Vertretungsorgan28) oder gar Rechtsnachfolger29) des Schuldners ist und bereits hieran eine direkte zeitliche Zurechnung scheitern muss. Gleiches gilt auch für die personelle Komponente. Auch in dieser Hinsicht besteht zwischen dem Insolvenzverwalter bzw. der von ihm verwalteten Masse und dem Verursacher keine Personenidentität. Vielmehr ist der Verwalter kraft seiner Bestellung Abwickler mit den durch die InsO ausgestatten Befugnissen und handelt lediglich in eigenem Namen und aus eigenem Recht mit Wirkung für die Masse.30) Erschwerend kommt hinzu, dass das durch den Verwalter verwaltete Vermögen zwar durch ihn zu verwalten, jedoch der Umsetzung des Grundsatzes des par conditio creditorum dient, damit wirtschaftlich der Gläubigergesamtheit zugeordnet ist. Diese ist ebenfalls nicht personenidentisch mit dem Schuldner. 22 Im Kern verdichtet sich die Problematik auf die Frage der Rangordnung zwischen Insolvenzrecht und Ordnungsrecht, wenn das Ordnungsrecht die Verantwortlichkeit nicht an die Vornahme von Handlungen (Verhaltensstörer), sondern an einen Zustand (Zustandsstörer) knüpft. Das BVerwG vertritt diesbezüglich die Auffassung,31) dass allein die Regelungen des Ordnungsrechts maßgeblich sind, falls diese auf eine Haftung als Zustandsstörer abstellen, und dass insoweit das Ordnungsrecht mit dem Insolvenzrecht nicht konkurrieren würde, da allein das Ordnungsrecht regele, unter welchen Voraussetzungen eine Störung der öffentlichen Sicherheit vorliege, wie dieser Störung zu begegnen sei und wer dafür in Anspruch genommen werden könne.32) 23 Zwar ist dem BVerwG zuzugeben, dass das Insolvenzrecht nicht in erster Linie Ordnungsrecht, allenfalls Wirtschafts-Ordnungsrecht, jedoch nicht Ordnungsrecht i. S. des BBodSchG oder anderer verwaltungs-/ordnungsrechtlicher Gesetze ist. Jedoch wird verkannt, dass die Folgen der Anordnungen des Ordnungsrechts (Inanspruchnahme) wirtschaftliche Auswirkungen haben und die wirtschaftlichen Auswirkungen im Insolvenzfall abschließend und ausschließlich durch die InsO geregelt werden. § 55 InsO privilegiert gegenüber den Insolvenzgläubigern im Rang des § 38 InsO lediglich und ausschließlich die in der Vorschrift enumerativ aufgezählten Fälle. Durch die ordnungsrechtliche Inanspruchnahme des Verwalters als Zustandsstörer wird mittelbar ein Fiskalprivileg für Bodenkontaminationsforderungen geschaffen,33) das gesetzlich nicht vorgesehen und auch nicht intendiert ist. Bereits das Ringen um das jüngst in die InsO eingefügte Fiskalprivileg gemäß § 55 Abs. 434) InsO und die daran geäußerte,35) berechtigte Kritik zeigt, wie begehrt zwar die Bevorrechtigung ist, wie schwer sich der Gesetzgeber jedoch mit einer solchen Regelung tut, wenn er die Insolvenzverfahrensziele nicht grundsätzlich in Frage stellen will. Insbesondere aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber nicht die seit Jahrzehnten bestehenden ___________ 27) Vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034; a. A. K. Schmidt, KTS 1984, 345; K. Schmidt, NJW 1995, 911. 28) Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 80 Rz. 35; a. A. Erdmann, KTS 1967, 87. 29) BAG, Beschl. v. 7.4.2003 – 5 AZB 2/03, NZA 2003, 630; BAG, Beschl. v. 9.7.2003 – 5 AZB 34/03, ZIP 2003, 1617 = NZA 2004, 400; LAG Berlin, Beschl. v. 6.12.2002 – 9 Ta 1726/02, NZA 2003, 630; LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2004 – 5 Ta 153/03, NZI 2004, 682. 30) Vgl. RG. Urt. v. 30.3.1892 – V 255/91, RGZ 29, 29 ff., 36; BFH, Urt. v. 22.1.1997 – I R 101/95, ZIP 1997, 797; Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 6; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 78. 31) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51. 32) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51. 33) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 487. 34) Eingefügt durch Art. 3 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 188. 35) Vgl. etwa Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808; Onusseit, ZInsO 2011, 641 ff.; Sinz/Oppermann, DB 2011, 2185 ff.; Bisle, GWR 2011, 352 ff; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 82, 84 f.; Kahlert, ZInsO 2010, 1274 ff.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

und bekannten Unsicherheiten dadurch aufgelöst hat, dass eine Regelung entsprechend § 55 Abs. 4 InsO für Bodenkontaminationen geschaffen wurde, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber eine solche Privilegierung der Umweltbehörden bezüglich Alt-Kontamination nicht einmal in Betracht zieht. Gegen die Auffassung des BGH, dass die Verantwortlichkeit des Verwalters für Alt-Kon- 24 taminationen sich darauf beschränkt, dass die entsprechenden Forderungen der Behörde als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden können, wird vereinzelt eingewandt, dass dies in Bezug auf die Adressierung der Inanspruchnahme problematisch wäre, da ein Adressat für die ordnungsrechtliche Verfügung bzgl. Alt-Kontaminationen fehlen würde,36) wenn dem Schuldner/schuldnerischen Unternehmen die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis aufgrund der Insolvenzverfahrenseröffnung entzogen ist. Dieses Argument geht jedoch in der Sache fehl, insbesondere dadurch, dass die formale Frage der Zustellbarkeit einer ordnungsrechtlichen Verfügung nicht zur Folge haben kann, dass die Masse mit vorrangig zu regulierenden Zahlungsverpflichtungen (§ 55 InsO) belastet wird. Zudem besteht auch die angenommene Problematik der Adressierung nicht. Die gleiche Frage stellt sich auch für Steuerforderungen aus Zeiträumen vor Insolvenzverfahrenseröffnung, für die noch keine Festsetzungen erfolgt sind. Diesbezüglich ist unbestritten und anerkannt, dass die Finanzverwaltung nach Insolvenzverfahrenseröffnung Bescheide nicht gegen den Schuldner oder den Verwalter erlassen,37) sondern lediglich Steuerberechnungen durchführen und zur Insolvenztabelle anmelden kann. Denn diese Forderungen sind vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden und können somit gemäß § 87 InsO ausschließlich nach den Vorschriften der InsO angemeldet werden.38) Gleiches Vorgehen würde den vermeintlichen Konflikt um die Adressierung bezüglich ordnungsrechtlicher Verfügungen lösen. Unabhängig davon ist der Rechtsprechung des BVerwG entgegenzuhalten, dass bei konse- 25 quenter Anwendung der in den genannten Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Auffassung ein widersinniger Anreiz für die Umweltbehörden geschaffen würde, gegen relevante, bekannt gewordene Umweltverstöße nicht unmittelbar vorzugehen, sondern ggf. die Insolvenzverfahrenseröffnung abzuwarten, um sodann die Insolvenzmasse mit den Beseitigungskosten privilegiert belasten zu können. Der Anreiz zu einer solchen Vorgehensweise verstärkt sich umso mehr, als dass bei Einordnung der Forderung als Masseverbindlichkeit eine Beschränkung nicht stattfindet und die gesamte vorhandene Masse vorrangig haften würde. Es ist offensichtlich, dass ein strategisches oder anders motiviertes Zuwarten der Umweltbehörde nicht dahingehend privilegiert werden kann, dass die Verzögerung eine Aufwertung zu einer Masseverbindlichkeit zur Folge hat und die bei rechtzeitiger Inanspruchnahme entstandenen Forderungen lediglich im Rang des § 38 InsO gestanden hätten. Häufig wird dem Verwalter der Beweis eines solchen strategischen oder anders motivierten Zuwartens durch die Behörde jedoch kaum möglich sein. Anhaltspunkte für ein solches beabsichtigtes Zuwarten ergeben sich in diesen Fällen regelmäßig daraus, dass die Behörde bereits vor Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner einen Untersuchungs- und/oder eine Sanierungsanordnung erlassen hatte. Andererseits führt allerdings auch die kompromisslose Anwendung des in § 38 InsO 26 geregelten Stichtagsprinzips dann zu unbilligen Ergebnissen, wenn das Grundstück im schuldnerischen Eigentum steht und umfassend mit (valutierenden) Grundpfandrechten belastet ist. Denn die Ersatzvornahme auf Kosten der Allgemeinheit, die nur als Insolvenz___________ 36) Vgl. Drasdo, ZfIR 2005, 31; Jarchow in: HambKomm-InsO, § 55 Rz. 74. 37) Eine Ausnahme bildet der Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO. 38) Vgl. auch Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) § 122 Rz. 2.9.1.

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§ 19

Teil III Einzelfragen

forderung zur Tabelle angemeldet werden kann, führt insofern zu einer Verteilungsungerechtigkeit, als dass das Grundpfandrecht und damit das Absonderungsrecht aufgewertet39) und auf der anderen Seite die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden durch die Teilnahme der Inanspruchnahmeforderung als Forderung im Rang des § 38 InsO, wodurch wiederum die Befriedigungsquote belastet wird. Insbesondere in solchen Konstellationen ist einzelfallbezogen vorzugehen40) und eine eingehende Abstimmung sowohl mit der Umweltbehörde, wie auch mit den (Grundpfand-) Gläubigern für den Insolvenzverwalter unerlässlich. 27 Aus einer jüngeren, abfallrechtlichen Entscheidung41) des BVerwG ergeben sich erste Anhaltspunkte darauf, dass das BVerwG die ursprünglich verfolgte Linie nicht um jeden Preis beibehält und auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften als maßgeblich in seine Entscheidung miteinbezieht. Das Gericht hat in seiner Entscheidung vom 22.7.2004 als Hilfsargument darauf abgestellt, dass die zu Grunde liegende Verantwortlichkeit und die daraus resultierenden Verbindlichkeiten vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden und damit Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) wären.42) Zu Recht hat die Entscheidung in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden.43) Jedoch führt dies nicht dazu, dass der Insolvenzverwalter sich auf diese Rechtsprechung verlassen, die Forderung der Verwaltung mit einem Hinweis auf die Entscheidung des BVerwG und die Vorschrift des § 38 InsO abweisen und dem Haftungskonflikt entkommen könnte. Denn das BVerwG hat im Übrigen an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und den entschiedenen Fall zu den bisherigen Fällen abgegrenzt.44) 28 Die längst überfällige Kehrtwende der Umweltbehörden und der Verwaltungsgerichte ist somit bislang nicht erfolgt. Auch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß Art. 95 Abs. 3 GG wurde bisher nicht einberufen, gleichwohl bei den sich widersprechenden Entscheidungen des BGH einerseits und des BVerwG andererseits die Voraussetzungen nach dem RsprEinhG45) vorgelegen haben. 29 Daher ist nach wie vor von einem erheblichen Haftungspotential des Insolvenzverwalters auszugehen, insbesondere da § 185 InsO der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, ihre Forderungen auf dem Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen und festzusetzen. Erlässt die Behörde einen wirksamen Haftungsbescheid oder erwirkt sie eine unanfechtbare verwaltungsgerichtliche Entscheidung, ist der Verwalter hieran – trotz der zuvor dargelegten Inkonsistenz der Begründung des BVerwG für seine die Ordnungsbehörden bevorrechtigende Auffassung – gebunden. 30 Trotzdem bzw. aus diesem Grund ist der Insolvenzverwalter jedoch nicht davon entbunden, etwaige Inanspruchnahmen umfassend zu prüfen und zu versuchen abzuwehren; er kann sich somit nicht seiner eigenen Haftung dadurch entziehen, dass er die Inanspruchnahme der Masse unangefochten hinnimmt.

___________ 39) Vgl. hierzu auch Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958a. 40) Vgl. auch Kübler/Prütting/Bork-Pape/Schaltke, InsO, Stand: 2/2011, § 55 Rz. 39; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958a (ebenso). 41) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55. 42) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff., 1768 = = NZI 2005, 55. 43) Vgl. etwa Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 926; Pape, ZIP 2004, 1768; Uhlenbruck, EWiR 2004, 1025, 1026. 44) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff. = NZI 2005, 55; s. ergänzend auch Lwowski/ Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 926. 45) Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

III.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen

1.

Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO)

Wurde die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO (Schutzschirmverfahren) ange- 31 ordnet, wird dem Schuldner/schuldnerischen Unternehmen ein vorläufiger Sachwalter zur Seite gestellt (§ 270b Abs. 2 InsO). Dieser verfügt gemäß § 270a Abs. 1 InsO nicht über die für die Annahme einer Zustandsstörereigenschaft erforderliche Vermögensverwaltungs- und -verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen, sodass eine Inanspruchnahme des vorläufigen Sachwalters selbst unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG – und ohnehin unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH – bereits von vornherein ausgeschlossen ist. Zwar dient die Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters auch der Sicherung der (zukünfti- 32 gen) Masse, indem dieser die Aufsicht über den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner (§ 274 Abs. 2 Halbs. 2 InsO) hat und Interventionsrechte (vgl. insbesondere § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) ausüben kann. Jedoch führen die Befugnisse des vorläufigen Sachwalters nicht dazu, dass er als Handlungs-, Zustandsstörer oder Betreiber, etwa i. S. des BImSchG, in Anspruch genommen werden kann. Ein etwaig gegen den vorläufigen Sachwalter erlassener Bescheid der Umweltbehörde ist daher rechtswidrig und zwar sowohl unter Zugrundelegung der bereits benannten Rechtsprechung des BGH, als auch der des BVerwG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht in den Fällen, in denen der vorläufige Sachwalter die 33 Kassenführung an sich gezogen hat (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) und damit den Zahlungsverkehr des Schuldners kontrolliert. Denn die Übernahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter ändert nichts an den Kompetenzen des Schuldners im Übrigen: Dieser kann gleichwohl durch seine Rechtshandlungen die Masse verpflichten mit der Folge, dass der vorläufige Sachwalter diese Masseverbindlichkeiten auch bei Kassenführung durch ihn zu begleichen hat.46) Zu beachten ist, dass durch die Inanspruchnahme, die ggf. äußerst kostenintensiv ausfallen 34 kann, die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung entfallen können, da die Inanspruchnahme aufgrund der regelmäßig nicht einkalkulierten hohen Kostenbelastungen zu einer Aussichtslosigkeit der Sanierung des schuldnerischen Betriebes führen kann (§ 270b Abs. 4 InsO). Da die Inanspruchnahme somit erheblichen Einfluss auf den weiteren Verfahrensverlauf haben kann, ist der Sachwalter in diesen Fällen gemäß §§ 270a Abs. 1, 274 Abs. 3 InsO verpflichtet, den vorläufigen Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht hierüber zu unterrichten. Zugleich sollte der vorläufige Sachwalter in Abstimmung mit dem vorläufig eigenverwaltenden Schuldner die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme umfassend prüfen und auf die Einlegung von Rechtsmitteln zur Abwehr hinwirken. Zu den einzelnen Angriffspunkten und Argumenten wird auf die Ausführungen oben unter Rz. 19 ff. und unten unter Rz. 47 ff. verwiesen. 2.

Sonstige vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO)

Vorige Ausführungen gelten in jeder Hinsicht auch für den Fall der sonstigen vorläufigen 35 Eigenverwaltung i. S. des § 270a InsO, da die Rolle des vorläufigen Sachwalters und dessen Kompetenzen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren bei den vorläufigen Eigenverwaltungen gemäß § 270b InsO einerseits und gemäß § 270a InsO andererseits strukturell gleich sind. ___________ 46) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 5.

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§ 19 3.

Teil III Einzelfragen „Schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO)

36 Auch im Fall der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) kann der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. die von ihm vorläufig verwaltete Masse nicht durch die Umweltbehörde in Anspruch genommen werden. Dies weder als Handlungs- oder Zustandsstörer noch als Betreiber. Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung verfolgt ausschließlich den Zweck, eine für die Gläubiger nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. Zwar übt auch der vorläufige Insolvenzverwalter zu diesem Zweck und in dieser Eigenschaft ein privates Amt im eigenen Namen mit Wirkung für das von ihm verwaltete Vermögen aus, ist aber andererseits ebenso wenig wie der Verwalter im eröffneten Verfahren Vertreter des Schuldners.47) 37 In der Praxis wird zumeist lediglich ein Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) verbunden mit allenfalls begrenzten Verfügungsbeschränkungen oder Verfügungsbefugnissen angeordnet, wobei es nach der Rechtsprechung des BGH auch unzulässig wäre, bei Nichtanordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter umfassend zu ermächtigen, für den Schuldner zu handeln (Nichtigkeit).48) 38 Kernfunktion des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Überwachung des Schuldners.49) Zwar folgt daraus auch eine originäre Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens.50) Diese führt jedoch nicht bei Bestehen einer entsprechenden Notwendigkeit dazu, dass dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter im Bedarfsfall automatisch weitergehende Verfügungsbefugnisse zufallen würden. Vielmehr besteht in einem solchen Fall lediglich die Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters, das Gericht hierüber zu informieren, sodass dieses die Sicherungsmaßnahmen verstärken kann.51) Eine Inbesitznahmepflicht bzgl. des Schuldnervermögens trifft den „schwachen“ vorläufigen Verwalter jedoch nicht,52) es sei denn, dass eine solche angeordnet wurde, etwa gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Eine Anknüpfung an den Besitz als Zustandsstörer i. S. der eingangs genannten Rechtsprechung des BVerwG scheidet daher in Fällen, in denen lediglich eine „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet ist, aus. 39 Dies ändert sich auch dann nicht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter – wie in der Praxis üblich – mit der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens beauftragt wird. Denn bei der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung verbleibt gleichwohl die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei dem Schuldner, sodass auch der Inhalt des Fortführungsauftrages bei angeordneter „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwaltung von dem Inhalt bei angeordneter starker vorläufiger Insolvenzverwaltung abweicht und lediglich zu einem Zusammenwirken des vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Schuldner führt,53) ohne dass jedoch der vorläufige Insolvenzverwalter hierdurch Verfügungskompetenzen erhielte. ___________ 47) Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 8. 48) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 = NJW 2002, 3326. 49) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463; Kübler/Prütting/BorkPape, InsO, Stand: 10/2007, § 22 Rz. 54; Schröder in: HambKomm-InsO, § 22 Rz. 105a; Meyer in: Heinze/ Stürner/Uhlenbruck, KTS-Schriften, Bd. 15, S. 196 f. 50) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463; Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 29. 51) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = ZInsO 2011, 1463. 52) OLG Celle, Beschl. v. 11.12.2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87 = ZInsO 2003, 31. 53) Ausführlich Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rz. 230.

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

Bei angeordneter vorläufiger Insolvenzverwaltung ist in der Regel abzusehen, dass diese 40 in einem eröffneten Insolvenzverfahren münden wird. Da die aufgezeigte Rechtsprechung des BVerwG in vielen Fällen zu weitgehend unkalkulierbaren Risiken des Insolvenzverwalters im eröffneten Insolvenzverfahren führen kann, sollte der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter bereits in diesem Verfahrensstadium – sofern absehbar ist, dass die auf Masse zukommenden Belastungen wegen der Beseitigungskosten unverhältnismäßig hoch sein werden – auf eine Stilllegung des Betriebes hinwirken,54) um zumindest eine Verantwortlichkeit als Handlungsstörer im eröffneten Verfahren ebenso wie eine Betreiberhaftung, etwa nach dem BImSchG und sonstigen Gesetzen, die eine Betreiberhaftung regeln, auszuschließen. Soweit es das in diesem Verfahrensstadium absehbare Haftungsrisiko im eröffneten Verfah- 41 ren als Zustandsstörer anbelangt, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter in den geeigneten Fällen ins Kalkül ziehen, noch während der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Veräußerung des Betriebes auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorzubereiten, um diese punktuell auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung umsetzen zu können. Gelingt dies, bestehen Haftungsrisiken des Verwalters bzw. der durch ihn verwalteten Insolvenzmasse im eröffneten Verfahren nicht. Weder ist der Verwalter in diesen Fällen Handlungsstörer noch Betreiber. Da selbst nach der Rechtsprechung des BVerwG eine nachlaufende Zustandsstörerhaftung des Verwalters nicht besteht,55) kommt somit auch eine Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse als Zustandsstörer durch die Umweltbehörde in derartigen Konstellationen nicht in Betracht. Allerdings müssen dann i. R. des Kauf-/Übernahmevertrages Regelungen bezüglich der Kontaminationen getroffen werden. Ein Verschweigen des Mangels an dem Kaufgegenstand führt nicht zu entsprechenden Haftunsansprüchen, selbst wenn ein umfassender Haftungsausschluss vereinbart wurde (vgl. § 444 BGB), sondern damit einhergehend wiederum zu einer Belastung der Masse mit Masseverbindlichkeiten, dann in Gestalt von Haftungsansprüchen. Ohnehin verbietet sich ein solches Vorgehen bei ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung. Es ist daher zu empfehlen, die Kontamination und Art und Umfang – soweit bekannt – in dem Kauf-/Übernahmevertrag umfassend zu benennen und die Kontamination i. R. der Kaufpreisfindung „einzupreisen“. 4.

„Starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO)

Anders, als im vorigen Abschnitt beschrieben, ist die Sachlage bei angeordneter vorläufiger 42 Insolvenzverwaltung gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO („starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung). In diesem Fall geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Hierdurch ist es der Umweltbehörde grundsätzlich möglich, bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren den vorläufigen Insolvenzverwalter in Anspruch zu nehmen. Dies unter den Gesichtspunkten der Zustandsstörerhaftung für Altschäden, wie auch der Verhaltensstörerhaftung für Neuschäden i. R. der Betriebsfortführung und schließlich auch unter dem Gesichts-

___________ 54) Lwowski/Tetzlaff, NZI 2004, 225 ff., 226. 55) BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51.

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§ 19

Teil III Einzelfragen

punkt der Betreiberhaftung, sofern die Umweltgesetze eine solche vorsehen, wie etwa nach den Vorschriften des BImSchG56) oder des WHG57). 43 Eine Inanspruchnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters wird zwar in der Praxis aufgrund des typischerweise kurzen Zeitraums der vorläufigen Insolvenzverwaltung – zumeist maximal drei Monate – nicht erfolgen, jedoch kann eine solche Inanspruchnahme nicht generell ausgeschlossen werden. In diesem Verfahrensstadium sollte sich der vorläufige Insolvenzverwalter unbedingt mit der Umweltbehörde abstimmen. In der Praxis wird der Hinweis an die Behörde darüber, dass die vorläufige Insolvenzverwaltung lediglich ein Schwebezustand bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Insolvenzantrag ist und somit die Inanspruchnahme während dieses Zeitraums der Behörde keine hinreichende Sicherheit verschafft, zumeist dazu führen, dass die Behörde mit dem Erlass eines entsprechenden Bescheides die Eröffnungsentscheidung abwartet. Hierdurch gewinnt der Verwalter wertvolle Zeit, um in die Zukunft planen zu können. Auch wenn die Behörde die Eröffnungsentscheidung nicht abwartet, sondern noch während der vorläufigen Insolvenzverwaltung einen entsprechenden Bescheid gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter erlässt, hat der Verwalter die Möglichkeit, durch Einlegung von Rechtsmitteln die Inanspruchnahme anzugreifen, ebenso wie im eröffneten Verfahren, sodass auf die nachstehenden Ausführungen verwiesen werden kann. 44 Unbedingt sollte der Insolvenzverwalter bereits in diesem Fall für eine ausreichende Deckung seiner Vermögensschadenshaftpflichtversicherung sorgen, wobei die hierdurch entstehenden Zusatzkosten („Aufsicherung“) im Verhältnis zu den Kosten der regulären Verwalterhaftpflichtversicherung, die grundsätzlich durch die Verwaltervergütung abgegolten sind, von ihm gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 InsVV als gesonderte Auslagen geltend gemacht und beansprucht werden können.58) 5.

Eröffnetes Verfahren

5.1

Allgemeines

45 Die Inanspruchnahme des Verwalters als Zustands- und/oder Verhaltensstörer bzw. Betreiber im eröffneten Verfahren ist in der Praxis der Regelfall. Ebenso wie im Fall der Inanspruchnahme im vorläufigen Insolvenzverfahren, bei dem die Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist, sind Inanspruchnahmen in diesem Verfahrensstadium am haftungsträchtigsten, sodass der Verwalter umgehend für ausreichenden persönlichen Versicherungsschutz Sorge tragen sollte. 46 Zugleich ist zu empfehlen, dass sich der Verwalter umfassend mit der Umweltbehörde dahingehend abstimmt, wie diese die Betriebsfortführung bzw. den gesetzlich geregelten Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ordnungsrechtlich qualifiziert. Signalisiert die Behörde, dass sie die Betriebsfortführung als Bezugspunkt für eine Haftung auch für entstandene Altlasten nimmt, sollte der Insolvenzverwalter umgehend die Gläubiger hierüber informieren, dies dokumentieren und abwägen, ob eine Betriebsfortführung wirtschaftlich für die Insolvenzmasse sinnvoll ist. Ungeachtet dessen trifft den Verwalter, nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von gegen ihn gerichteten Haftungsan___________ 56) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge – Bundes-Immissionsschutzgesetz, i. d. F. der Bekanntmachung v. 26.9.2002, BGBl. I 2002, 3830, zuletzt geändert durch Gesetz v. 8.4.2013, BGBl. I 2013, 734, m. W. v. 13.4.2013. 57) Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts – Wasserhaushaltsgesetz: Art. 1 des Gesetzes v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2585, in Kraft getreten am 7.8.2009 bzw. 1.3.2010 zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.1.2013, BGBl. I 2013, 95, m. W. v. 29.1.2013. 58) Wimmer/Kind in: FK-InsO, § 60 Rz. 37.

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sprüchen, sondern insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Masseschutzes, die Pflicht, die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme im Vorfeld in formeller und materieller Hinsicht umfassend zu prüfen. 5.2

Formelle Fehler bei Inanspruchnahme

Nicht selten sind bereits die Adressierungen in den entsprechenden Bescheiden fehlerhaft, 47 indem diese an den Schuldner als Bekanntgabe- und Inhaltsadressat gerichtet werden und der Insolvenzverwalter durch die Behörde lediglich („nachrichtlich“) in Kenntnis gesetzt wird. Dies hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt dem Insolvenzverwalter gegenüber als nicht bekannt gegeben zu behandeln, nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nichtig und damit unwirksam ist.59) Wurde vor Insolvenzverfahrenseröffnung ein Inanspruchnahmebescheid noch gegen den 48 Schuldner selbst erlassen und will die Behörde im eröffneten Verfahren den Verwalter bzw. die durch den Verwalter verwaltete Masse in Anspruch nehmen und ihre Forderungen nicht lediglich zur Insolvenztabelle anmelden, reicht ein Hinweis der Behörde auf den zuvor gegen den Schuldner erlassenen Bescheid nicht aus. Vielmehr ist die Behörde gehalten, wenn sie ihre Forderungen als Masseverbindlichkeiten geltend machen will, einen neuen Bescheid zu erlassen, da der Insolvenzverwalter weder Vertreter noch Rechtsnachfolger des Schuldners ist.60) Selbstverständlich sollte der Insolvenzverwalter – wie auch sonst im Hinblick auf verwal- 49 tungsrechtliche Inanspruchnahmen – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtmittelfristen prüfen, ob die nach dem einschlägigen Recht ggf. notwendige, im Bescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung vollständig und inhaltlich richtig ist. 5.3

Materielle Fehler bei Inanspruchnahme

5.3.1 Allgemeine Argumentationslinien Wird der Verwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse in Anspruch genommen, obgleich 50 der Verwalter auf dem kontaminierten Grundstück weder zuvor als „starker“ vorläufiger, noch als endgültiger Verwalter einen Betrieb fortgeführt hat, steht also das kontaminierte Grundstück lediglich im Eigentum des Schuldners, kommt nur eine Inanspruchnahme als Zustandsstörer, nicht jedoch als Verhaltensstörer oder Betreiber in Betracht. In diesen Fällen sollte der Verwalter die eingangs61) genannten Kritikpunkte an der Auffassung des BVerwG, wonach bereits die Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund des Übergangs der Vermögensverwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu einer Zustandsstörerhaftung führen soll, aufzeigen und i. R. des Rechtsmittels vortragen.

___________ 59) Vgl. hierzu insb. die Rechtsprechung zum Erlass von Steuerbescheiden gegen den Schuldner, die entsprechend anwendbar ist: BFH, Beschl. v. 26.3.2012 – VII B 191/11, BFH/NV 2012, 1410; BFH, Urt. v. 15.3.1994 – XI R 45/93, BStBl. II 1994, 600 = ZIP 1994, 1371; BFH, Urt. v. 17.3.1970 – II 65/63, BStBl. II 1970, 598; BFH, Beschl. v. 14.5.1968 – II B 41/67, BStBl. II 1968, 503; VG Darmstadt, Beschl. v. 14.3.2008 – 7 L 172/08.DA. 60) Vgl. Kuleisa in: HambKomm-InsO, § 80 Rz. 4 ff. m. w. N.; BAG, Beschl. v. 7.4.2003 – 5 AZB 2/03, NZA 2003, 630; BAG, Beschl. v. 9.7.2003 – 5 AZB 34/03, ZIP 2003, 1617 = NZA 2004, 400; LAG Berlin, Beschl. v. 6.12.2002 – 9 Ta 1726/02, NZA 2003, 630; LAG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2004 – 5 Ta 153/03, NZI 2004, 682. 61) Vgl. die einzelnen Argumente oben unter Rz. 19 ff.

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51 Auch ist der Verwalter gehalten, unter Bezugnahme auf die zivilrechtliche Rechtsprechung, die Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten der Behörde auf die Teile der Masse vorzutragen, die objektbezogen zur Verfügung stehen.62) 5.3.2 Verstoß gegen Treu und Glauben 52 Da auch das Verwaltungsrecht von dem in § 242 BGB niedergelegten Grundsatz von Treu und Glauben geprägt ist,63) und aus einem Verstoß die Rechtswidrigkeit64) bzw. Verwirkung65) eines Bescheides folgen kann, ist die Behörde unter diesem Gesichtspunkt aufzufordern, nachzuweisen, dass sie ihren Handlungspflichten im Vorfeld der Inanspruchnahme nachgekommen ist, die Entstehung der Altschäden zu verhindern66) und dass ihr eine Inanspruchnahme des Schuldners vor etwaig angeordneter „starker“ vorläufiger Verwaltung bzw. vor Insolvenzverfahrenseröffnung nicht möglich war. Nicht selten waren den Behörden Alt-Kontaminationen bereits vor der Anordnung der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bekannt. Von einer umgehenden Inanspruchnahme des Schuldners wurde jedoch entweder unter strategischen Erwägungen abgesehen, etwa weil zu vermuten stand, dass der Schuldner/das schuldnerische Unternehmen wirtschaftlich nicht dazu in der Lage sein würde, die erforderliche Maßnahme durchzuführen, oder aber weil sich der Geschäftsführer des schuldnerischen Unternehmens erfolgreich dem Zugriff der Behörde entzogen hat.67) Das in Kenntnis der Alt-Schäden Abwarten der Behörde, dass eine „starker“ vorläufiger oder aber endgültiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird, um diesen und die von ihm verwaltete Masse in Anspruch nehmen zu können, verstößt gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und führt dazu, dass die Inanspruchnahme bzw. entsprechende Forderungen durch die Behörde nicht als Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können. 5.3.3 Fehlerhafte Störerauswahl 53 In inhaltlicher Hinsicht ist in Abhängigkeit von der jeweiligen Konstellation auch die Ermessensausübung durch die Behörde kritisch zu überprüfen. Häufig steht das kontaminierte Grundstück zwar im Eigentum des Insolvenzschuldners, wird jedoch nicht durch diesen selbst genutzt, sondern durch einen Dritten, der auf diesem Grundstück einen Betrieb unterhält, durch den die Schäden verursacht wurden. Hierdurch bestehen unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG mehrere Sanierungsverantwortliche, der („starke“ vorläufige) Insolvenzverwalter als Zustandsstörer einerseits und der Nutzer des Grundstücks als Betreiber oder Handlungsstörer andererseits. In einem solchen Fall steht die Auswahl des Sanierungspflichtigen im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde.68)

___________ 62) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 63) Vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 26.3.2003 – 9 C 4.02, NVwZ 2003, 993; OVG Münster, Beschl. v. 26.10.1994 – 22 B 997/94, NVwZ 1995, 395; OVG Münster, Urt. v. 27.2.1992 – 13 A 1860/90, NJW 1992, 2245; de Wall, Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 274 ff.; Knieper, Treu und Glauben im Verwaltungsrecht; Brühl, Verwaltungsrecht, S. 32. 64) Wittern/Baßlsperger, Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht, S. 56. 65) BVerwG, Urt. v. 10.8.2000 – 4 A 11.99, BVerwGE 44, 343; OVG Münster, Urt. v. 12.4.1989 – 3 A 1637/88, NVwZ-RR 1990, 435. 66) Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 67) Vgl. Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Rz. 958. 68) Oerder/Numberger/Schönfeldt-Oerder, BBodSchG, § 4 Rz. 29 ff.; Landmann/Rohmer-Dombert, UmweltR, § 4 BBodSchG Rz. 17; Finger, NVwZ 2011, 1288 ff., 1289.

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Entsprechend den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts hat sich die 54 Störerauswahl an der Effektivität der Störungsbeseitigung zu orientieren,69) wobei bei gleichwertiger Effektivität der Heranziehung i. R. des Anwendungsbereichs des BBodSchG die Aufzählungsreihenfolge in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG maßgeblich ist und die Behörde x

zunächst den Verursacher,

x

sodann den etwaigen Gesamtrechtsnachfolger,

x

danach den Grundstückseigentümer und

x

schließlich erst den Inhaber der tatsächlichen Gewalt

heranziehen darf.70) Daher ist in den entsprechenden Fällen die Ordnungsverfügung entsprechend und (auch) unter dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Ermessensausübung bei der Störerauswahl anzugreifen und die Behörde durch den Insolvenzverwalter darauf hinzuweisen, dass vorrangig ein anderer Pflichtiger heranzuziehen ist. Besonderes Augenmerk hat der (vorläufige) Insolvenzverwalter aufgrund einer jüngeren 55 verwaltungsrechtlichen,71) durch das BVerwG bestätigten72) Entscheidung in den Fällen, in denen schuldnerische Flächen einem Dritten aufgrund eines Nutzungsvertrages (Miete, Pacht) zur Ausübung eines Betriebes überlassen wurden, auf den Nutzungsvertrag zu richten. Ergibt sich aus diesem, dass auf den überlassenen Flächen ein kontaminationsgeeigneter Betrieb geführt wird, kann eine Inanspruchnahme nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zustandsstörung, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Verhaltensstörung in Betracht kommen. Nach durch das BVerwG bestätigter73) Auffassung des VGH Bayern74) ist darauf abzustellen, ob mit Abschluss des Nutzungsvertrages und in Kenntnis der Gefahrgeneigtheit bei wertender Gesamtschau die polizeirechtliche Gefahrenschwelle durch den Grundstückseigentümer (Schuldner) überschritten wurde, die es rechtfertigt, den Eigentümer/ Schuldner auch als Verhaltensstörer heranzuziehen. Die Verwaltungsgerichte haben ein solches Überschreiten der polizeirechtlichen Gefahrenschwelle etwa für den Fall bejaht, dass das Nutzungsverhältnis dem Nutzer auf dem Grundstück die Ablagerung von „Ölabfall“ und „übelriechenden Industrieabfällen“ in einer Sandgrube ohne abdichtende Erdschichten ermöglicht.75) Da der Verwalter sich in solchen Fällen – anders als in den Fällen der reinen Inanspruch- 56 nahme als Zustandsstörer, der er sich zumindest durch Entledigung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, etwa durch Freigabe – der Inanspruchnahme nicht entziehen kann, sind solche Nutzungsverhältnisse extrem risikoreich, insbesondere nachdem diese gemäß § 108 Abs. 1 InsO nach Insolvenzverfahrenseröffnung qua Gesetz zu Lasten der Insolvenzmasse fortbestehen. In diesen Fällen sollte der Verwalter umgehend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – bei zuvor angeordneter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwaltung bereits zu diesem Zeitpunkt – dem Nutzer schriftlich und nachweisbar untersagen, das Grundstück risikoreich zu nutzen, um sich auf diese Weise von der Duldung der risikoreichen Nutzung des Grundstückes zu distanzieren und dies gegenüber der Behörde nach___________ 69) Vgl. auch RegE BT-Drucks. 13/6701, S. 35; Landmann/Rohmer-Dombert, UmweltR, § 4 BBodSchG Rz. 15 ff.; Schäling, NVwZ 2004, 543 ff.; Finger, NVwZ 2011, 1288 ff., 1289. 70) Vgl. Begr. BT-Drucks. 13/6701, S. 35; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 8.11.2007 – OVG 11 B 14.05, NJ 2008, 281. 71) VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031. 72) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684. 73) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684. 74) VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031. 75) BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 – 7 B 12.08, NVwZ 2008, 684; VGH Bayern, Urt. v. 28.11.2007 – 22 BV 02.1560, IWW 081031.

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weisen zu können. Zugleich sollte der Verwalter – um eine Schadensvertiefung zu vermeiden – eine Kündigung des Nutzungsverhältnisses in Betracht ziehen. 5.3.4 Nichtberücksichtigung der Opfergrenze 57 Sofern der (vorläufige) Insolvenzverwalter bzw. die von ihm (vorläufig) verwaltete Masse lediglich als Zustandsstörer und nicht als Verhaltensstörer oder Betreiber in Anspruch genommen wird, etwa weil die kontaminierte Fläche zwar im schuldnerischen Eigentum steht, jedoch i. R. der Betriebsfortführung nicht genutzt wird, es sich mithin eindeutig um Altschäden handelt und Neukontaminationen ausgeschlossen sind, ist auf die Entscheidung des BVerfG vom 16.2.200076) hinzuweisen. Hiernach ist die Belastung eines Zustandsstörers mit Kosten einer Sanierungsmaßnahme nicht als gerechtfertigt anzusehen, soweit sie nicht zumutbar ist, gemessen am Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung. In der vorgenannten Entscheidung des BVerfG hat dieses dargelegt, dass das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sein kann, wenn die kostenmäßigen Belastungen außer Verhältnis zum Wert des Grundbesitzes im sanierten Zustand stehen. 58 Das BVerfG führt hierzu aus, dass zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer hierdurch an Belastungen zugemutet werden kann, als Anhaltspunkt das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert nach Durchführung der Sanierung dienen kann. Zwar weist das BVerfG darauf hin, dass es sich bei dieser Grenzziehung der Zulässigkeit lediglich um einen Anhaltspunkt handelt, jedoch wird diese Kosten-Nutzen-Abwägung zumeist bei Erlass von Sanierungsanordnungen durch die Umweltbehörden nicht beachtet. 59 Die vorgenannte Entscheidung des BVerfG ist zwar gegen einen Grundstückseigentümer ergangen, jedoch ist diese Rechtsprechung auch im Falle einer Inanspruchnahme des („starken“ vorläufigen) Insolvenzverwalters nutzbar zu machen. Führt eine etwaige Inanspruchnahme bei der Behandlung als Zustandsstörer zu einer so hohen Belastung, dass für die Insolvenzmasse kein Restwert verbleibt, mithin mindestens die durch die Sanierung eintretende Wertsteigerung nicht dazu ausreicht, die aufzuwendenden Mittel (Masseverbindlichkeiten) aufzufangen, so muss hierin, die Grenze der zumutbaren Inanspruchnahme und damit die Begrenzung der Haftung der Masse i. R. einer Masseverbindlichkeit gesehen werden. Die Interessenlage ist vergleichbar, sodass bei übergebührlichen, finanziellen Belastungen dieser Einwand des Verwalters Platz greifen kann. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass insoweit die Erwägungen des BVerfG nicht zu einer abschließenden Sicherheit des Verwalters – bei entsprechender Anwendung – führen, da oft die hypothetischen Verkehrswerte nach durchgeführter Sanierung auf dem Markt nicht erzielt werden können. Gleichwohl ist die Entscheidung des BVerfG i. R. des Erlasses von Verfügungen der Umweltbehörde bzgl. insolvenzbefangenen Grundbesitzes von erheblicher Bedeutung, da eine Kosten-Nutzen-Abwägung zumeist in den ordnungsrechtlichen Verfügungen fehlt, sodass diese bereits hierdurch angreifbar sind. 60 Dem („starken“ vorläufigen) Insolvenzverwalter ist daher zu empfehlen, das Rechtsmittel auch und insbesondere auf diesen Umstand zu stützen. Allerdings kann die vorgenannte Argumentation nur eingeschränkt zur Anwendung kommen, wenn der Schuldner das Grundstück in Kenntnis des Vorhandenseins der Altschäden erworben oder – wie zuvor erörtert – bewusst zugelassen hat, dass das Grundstück in risikoreicher Weise genutzt wurde.77) Zwar muss sich der Verwalter dieses Verhalten des Schuldners nicht zurechnen ___________ 76) BVerfG, Urt. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91, BVerfGE 102, 1 = NJW 2000, 2573. 77) Vgl. hierzu auch allgemein VG Regensburg, Urt. v. 7.12.2009 – RO 8 K 09.01987, openJur 2012, 105265.

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lassen, jedoch führte es zu unbilligen Ergebnissen, wenn etwa der bewusst durch den Schuldner kontaminiert erworbene Grundbesitz auf Kosten der Allgemeinheit saniert und nach Verwertung des sanierten Grundstücks der Erlös unter den Insolvenzgläubigern verteilt würde, die ohne die Sanierung zu Lasten der Allgemeinheit lediglich geringere Befriedigungsaussichten hätten. 5.3.5 Präventive (negative) Feststellungklage Handelt es sich ausschließlich um Altschäden, deretwegen die Umweltbehörde beabsichtigt, 61 den Verwalter bzw. die von ihm (vorläufig) verwaltete Insolvenzmasse in Anspruch zu nehmen und die Forderungen im Rang des § 55 InsO geltend zu machen, bestehen gute Erfolgsaussichten, diesen Anspruch durch Erhebung einer (negativen) Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO vor den Zivilgerichten abwehren zu können. Die Zivilgerichte werden in aller Regel der eingangs genannten, massefreundlichen Rechtsprechung des BGH folgen. Durch Erhebung einer (negativen) Feststellungsklage mit dem Ziel, festzustellen, dass etwaige Forderungen der Umweltbehörde wegen Altschäden weder im Rang des § 54 InsO noch im Rang des § 55 InsO stehen und damit nur im Rang des § 38 InsO im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, kann aufgrund des rechtsgebietsübergreifenden Verbots der doppelten Rechtshängigkeit78) verhindert werden, dass die voraussichtlich tendenziell der massefeindlichen Rechtsprechung des BVerwG folgenden VG ihre Forderungen auf dem Verwaltungsrechtsweg mit dem Ziel der Klassifizierung als Masseverbindlichkeit durchsetzen können.79) 5.3.6 Sonderkonstellation: Insolvenzverfahren und Zwangsverwaltungsverfahren Häufig wird das Insolvenzverfahren eröffnet, wobei bzgl. des (kontaminierten) Grundstücks 62 bereits die Zwangsverwaltung angeordnet ist. In einem solchen Fall versagt selbst die eingangs dargestellte, für die Masse nachteilige, Argumentation des BVerwG, dass mit Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. Anordnung einer „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß §§ 80, 148 InsO auf den (vorläufigen) Insolvenzverwalter übergeht und dieser hierdurch als Zustandsstörer auch für Alt-Kontaminationen in Anspruch genommen werden kann (vgl. hierzu oben Rz. 18 ff.). Denn bei Anordnung der Zwangsverwaltung vor Verfahrenseröffnung hat der Zwangsverwalter das Objekt bereits in Besitz und Verwaltung (§ 152 ZVG). Diese Wirkung der angeordneten Zwangsverwaltung wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO auch nicht mit der Insolvenzverfahrenseröffnungsentscheidung durchbrochen. Der Insolvenzverwalter übt in diesen Fällen keinen Besitz und keine Verwaltung bzgl. des Grundstückes aus, sodass es an dem Anknüpfungspunkt einer Zustandsstörerhaftung des Insolvenzverwalters fehlt. Vielmehr kann in diesen Fällen nur der Zwangsverwalter als Zustandsstörer für Alt-Kontaminationen in Anspruch genommen werden.80) Gleiches gilt aus genannten Gründen auch für den Zeitraum einer etwaigen vorangegangenen vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO. Entsprechendes gilt ab dem Zeitpunkt einer nach Insolvenzverfahrenseröffnung angeordne- 63 ten Zwangsverwaltung, da selbst nach der „massefeindlichen“ Rechtsprechung des BVerwG bei einer Inanspruchnahme als Zustandsstörer keine nachlaufende Haftung besteht, mithin ___________ 78) Thomas/Putzo-Reichhold, ZPO, § 261 Rz. 10; Zeiß/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rz. 346; ZöllerGreger, ZPO, § 261 Rz. 8 ff. 79) Ähnlich auch Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 80) Vgl. auch VG Dresden, Urt. v. 19.6.2003 – 13 K 862/02, ZfIR 2003, 695 = ZIP 2004, 373; s. ergänzend auch Lwowski/Tetzlaff, NZI 2004, 224 ff., 229.

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die Haftung nach dieser Rechtsprechung ausschließlich an die andauernde Inhaberschaft der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gekoppelt ist.81) 64 Eine Enthaftung kann der Insolvenzverwalter in den Fällen, in denen Grund der Inanspruchnahme ausschließlich die Zustandsstörereigenschaft ist, entgegen dem ersten Anschein nicht dadurch herbeiführen, dass er selbst bezüglich des kontaminierten Grundstücks ein Zwangsverwaltungsverfahren einleitet. Zwar ist der Verwalter gemäß § 165 InsO berechtigt, die Zwangsverwaltung zu betreiben, selbst wenn der Grundbesitz mit Absonderungsrechten belastet ist. Jedoch führt die Einleitung des Zwangsverwaltungsverfahrens durch den Insolvenzverwalter nur zu einer Umschichtung der Problemlagen, da der eingesetzte Zwangsverwalter bei dessen Inanspruchnahme als Zustandsstörer bei dem die Zwangsverwaltung betreibenden Insolvenzverwalter entsprechende Vorschüsse abfordern wird. Diese Vorschussanforderungen hat der Verwalter als Masseverbindlichkeiten zu begleichen, da anderenfalls das Zwangsverwaltungsverfahren gemäß § 161 Abs. 3 ZVG eingestellt wird. Da insoweit mittelbar die Inanspruchnahmekosten wiederum die Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeiten treffen, kann auf die beschriebene Weise keine für die Masse günstigere Lösung, namentlich eine Enthaftung, herbeigeführt werden. Insofern ist es für den Insolvenzverwalter und die von ihm verwaltete Masse sinnvoller, auf die Betreibung des Zwangsverwaltungsverfahrens durch den etwaigen Grundpfandgläubiger hinzuwirken. 5.4

Folgen der Inanspruchnahme wegen Alt-Kontaminationen

5.4.1 Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit 65 Konnte eine Inanspruchnahme des Verwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse wegen Altschäden nicht abgewendet werden und wurde unanfechtbar festgestellt, dass die hieraus resultierenden Forderungen als Masseverbindlichkeiten zu regulieren sind, wird der Verwalter – in Abhängigkeit von der Höhe der Inanspruchnahme – in einer Vielzahl der Fälle die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO anzeigen müssen. Diesbezüglich ist darauf zu achten, dass die Anzeige zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, da eine vorschnelle Anzeige der Masseunzulänglichkeit – etwa unmittelbar nach Bekanntwerden der Altschäden und noch vor Erlass der Ordnungsverfügung – das Risiko birgt, dass die Umweltbehörde die Forderungen als Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen kann, die als solche durch den Verwalter reguliert werden müssten.82) Dies wiederum kann gegen den Verwalter gerichtete Haftungsansprüche auslösen, wie eingangs genannt (vgl. oben Rz. 8 ff.). 66 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum richtigen Zeitpunkt wird in der Regel dazu führen, dass die Behörde durch den Einsatz öffentlicher Mittel die Maßnahmen zur Erfüllung der Pflichten etwa nach § 4 BBodSchG umsetzt. Hierdurch erwirbt die Behörde für den Fall, dass das kontaminierte, zu sanierende Grundstück im Eigentum des Schuldners steht, einen entsprechenden Wertausgleichsanspruch, den die Behörde gemäß § 25 Abs. 6 BBodSchG durch eine öffentliche Grundstückslast absichern kann. Dies hat zur Folge, dass die Behörde in solchen Fällen einer etwaigen Versteigerung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sogar den erstrangigen Grundpfandrechten (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG) vorgeht. 67 Hat die Behörde von der ihr eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine Grundstückslast gemäß § 25 Abs. 6 BBodSchG erworben, wird – in Abhängigkeit von der Höhe des gesicherten Wertausgleichs – auch eine freihändige Verwertung des Grundstückes allenfalls unter sehr erschwerten Bedingungen in Betracht kommen, da die Behörde vorran___________ 81) Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, NZI 2005, 51. 82) Lwowski/Tetzlaff, WM 2005, 921 ff., 923.

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gig zu bedienen ist und eine Einigung mit den etwaigen weiteren Grundpfandgläubigern nur selten gelingen dürfte. In jedem Fall hat der Verwalter in gleichgelagerten Situationen auch zu prüfen, ob die Be- 68 hörde bei der Bemessung des Wertausgleichs gemäß § 25 Abs. 4 BBodSchG ordnungsgemäß die Aufwendungen abgezogen hat, die der Schuldner für eigene Maßnahmen der Sicherung oder Sanierung oder für den Erwerb des Grundstücks im berechtigten Vertrauen darauf verwendet hat, dass keine schädlichen Bodenveränderungen oder Altlasten vorhanden sind. 5.4.2 Regressansprüche Nach Regulierung der Kosten als Masseverbindlichkeit aus der Behandlung als Zustands- 69 störer kann ein Haftungsanspruch der Insolvenzmasse gegen den Verursacher der Kontaminierung insbesondere gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG entstehen,83) den der Insolvenzverwalter weiterzuverfolgen hat, wenn die Kontamination nicht durch den Schuldner bzw. schuldnerischen Betrieb selbst verursacht wurde und wenn nicht ein vertraglicher Ausschluss oder eine vertragliche Begrenzung des Schuldners/schuldnerischen Unternehmens mit dem Verursacher vereinbart wurde. Im letztgenannten Fall ist zu prüfen, ob dieser Vertrag anfechtbar ist. Weitere Haftungsansprüche gegen den Verursacher kommen aus Delikt (§§ 823 ff. BGB), 70 § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, aus § 89 WHG, aus §§ 1 ff. UmweltHG und aus §§ 280 ff. BGB wegen Pflichtverletzung bei Bestehen eines Miet-/Pacht- oder sonstigen Nutzungsvertrages84) sowie gemäß §§ 437 ff. BGB in Betracht, wenn etwa der Schuldner den Grundbesitz in Unkenntnis der Altschäden kontaminiert erworben hat. Auch solche Ansprüche hat der Verwalter (spätestens) nach Inanspruchnahme durch die Umweltbehörde geltend zu machen und weiterzuverfolgen. 5.5

Freigabe gemäß § 32 Abs. 3 InsO bei Inanspruchnahme ausschließlich als Zustandsstörer

Ins Kalkül zu ziehen ist durch den Insolvenzverwalter stets auch, ob eine Freigabe des sa- 71 nierungsbedürftigen Grundstücks in Betracht kommt, wozu eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen ist. Insbesondere bei umfangreich mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücken dürfte eine Freigabe des sanierungsbedürftigen Grundstückes zu erwägen sein, es sei denn, dass bei hypothetischer Betrachtung nach Durchführung der Sanierungsmaßnahme eine derart hohe freie Spitze erzielt werden kann, dass sämtliche als Masseverbindlichkeit für die Sanierung aufgewandten Beträge in die Insolvenzmasse zurückfließen und darüber hinaus ein Übererlös als freie Masse verbleibt. In der Praxis hat der Versuch des Verwalters, sich der Inanspruchnahme als Zustandsstörer 72 für Altschäden durch isolierte Freigabe der Alt-Kontaminationen unter Beibehaltung des kontaminierten Grundstücks im Übrigen zu entziehen, vor den VG nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die Verwaltungsgerichte, sondern auch die Zivilgerichte ein solches „cherry picking“ auch zukünftig nicht zulassen (können), da die Freigabe sachenrechtlich eine Verfügung darstellt und die Freigabe von Massegegenständen daher den sachenrechtlichen Prinzipien, insbesondere dem Spezialitätsprinzip, zu folgen hat. Der freigegebene Gegenstand müsste daher konkret be___________ 83) Umfassend zum Anspruch gemäß § 24 Abs. 2 BBodSchG: Heßler, Der Störerausgleich im Bodenschutzrecht. 84) Vgl. auch Grunwaldt, Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche unter mehreren polizeirechtlichen Störern, S. 57 ff.

Zimmermann

599

§ 19

Teil III Einzelfragen

stimm-, individualisier- und unterscheidbar sein,85) was bei Bodenkontaminationen aufgrund der Vermischung der schädlichen Stoffe mit dem Boden nicht möglich ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die kontaminierten Flächen von den nicht-kontaminierten Flächen räumlich trennbar sind. In diesem Fall ist durch den Verwalter in Erwägung zu ziehen, gemäß § 19 BauGB das Grundstück entsprechend aufzuteilen – sofern dies sinnvoll möglich ist – und die kontaminierten Flächen hiernach freizugeben.86) 73 Weder der BGH noch das BVerwG beanstanden eine Freigabe des kontaminierten Grundbesitzes zur Vermeidung der Inanspruchnahme als Zustandsstörer, sodass die Freigabe als ultimo-ratio-Lösung dem Verwalter zur Verfügung steht, wenn die Inanspruchnahme durch die Behörde ausschließlich auf die Inhaberschaft der tatsächlichen Gewalt (Zustandsstörer) gestützt werden kann. IV.

Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber

74 Soweit es Neu-Schäden anbelangt, also solche, die i. R. der Betriebsfortführung unter Aufsicht und Verantwortung des („starken“ vorläufigen) Verwalters in der Insolvenz entstehen, sind diese als Masseverbindlichkeiten zu regulieren, da sie direkt auf Verwalterhandeln zurückführbar sind.87) Daher hat der Verwalter i. R. der Betriebsfortführung besondere Sorgfalt darauf zu verwenden, dass im fortgeführten Betrieb ordnungsgemäß mit risikoreichen Stoffen umgegangen wird. Dies insbesondere nachdem der Verwalter– anders als im Fall der Verantwortlichkeit als reiner Zustandsstörer – sich bzw. die verwaltete Insolvenzmasse seiner/ihrer Verantwortung nicht durch eine Freigabe der Kontaminationen oder des Grundstückes entziehen kann,88) da die Verhaltensstörerhaftung nicht an einen Zustand, sondern an ein Verhalten anknüpft, welches dem Verwalter konkret zuzurechnen ist. 75 Als besonders problematisch sind die Fälle zu beurteilen, in denen der Verwalter den Betrieb entweder als „starker“ vorläufiger oder endgültiger Insolvenzverwalter auf einem Betriebsgrundstück fortführt, der Grundbesitz bereits mit Alt-Kontaminationen belastet ist und i. R. der Betriebsfortführung entweder keine Neu-Kontaminationen hinzukommen, oder aber solche durch den Verwalter beseitigt werden. Anknüpfungspunkt für eine Inanspruchnahme ist in diesen Fällen zumeist eine Anlagen-Betreiberhaftung, da es sich in einer Vielzahl der Fälle um eine Anlage i. S. der §§ 4 ff. BImschG bzw. des UmweltHG handeln wird89) und diese Art der Inanspruchnahme des Verwalters bzw. der von ihm verwalteten Masse durch die Umweltbehörde auch für Altschäden scheinbar erleichtert möglich ist: Für diese Fälle hatten die VG entschieden, dass der Verwalter durch die Betriebsfortführung in der Insolvenz unter seiner Aufsicht und Verantwortung als Betreiber der Anlage zu behandeln wäre und daher auch Alt-Kontaminationen durch diesen zu beseitigen sind bzw. die Ersatzvornahmekosten Masseverbindlichkeiten seien.90) ___________ 85) Vgl. ergänzend auch AG Waiblingen, Beschl. v. 4.3.2011 – M 955/11, DGVZ 2011, 94 f.; zum Spezialitätsprinzip/Bestimmtheitsgrundsatz s. a. Zimmermann, Mobiliar- und Unternehmenshypotheken in Europa, S. 206. 86) Vgl. auch Pöhlmann, NZI 2003, 486 ff., 489. 87) Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, 24. Lfg., § 22 Rz. 163, 166; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, 24. Lfg., § 55 Rz. 76. 88) Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 143. 89) Subsidiär kommen auch Inanspruchnahmen aufgrund des Umweltschadensgesetzes (Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden) Art. 1 des Gesetzes v. 10.5.2007, BGBl. I 2007, 666, in Kraft getreten am 14.11.2007, zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.4.2013, BGBl. I 2013, 831, m. W. v. 25.4.2013, in Betracht. 90) BVerwG, Urt. v. 22.10.1998 – 7 C 38.97, ZIP 1998, 2167; OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.1.1993 – 7 M 5684/92, ZIP 1993, 1174; OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.9.1994 – 7 M 5048/93, NJW 1995, 413.

600

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Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung

§ 19

Zutreffend ist hierbei zwar, dass der Insolvenzverwalter bei Weiterbetrieb der Anlage 76 zumindest wie der Anlagenbetreiber zu behandeln ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass über diesen, im Verhältnis zur Zustandsstörerhaftung anders gearteten Ansatz der Haftungsanknüpfung die Masse verpflichtet werden kann, Alt-Kontaminationen vorrangig zu Lasten der Masse zu begleichen. Auch hierbei wird durch die VG die in § 38 InsO abschließend geregelte Zäsur verkannt, die eine zwingende Unterscheidung auf den Zeitpunkt des Entstehens einer Forderung abstellt: Die Betriebsfortführung durch den „starken“ vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwalter verläuft unter gänzlich anderen Prämissen als durch den Schuldner bis zum Zeitpunkt der Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung bzw. der Verfahrenseröffnung. Nach dem gesetzgeberischen Leitbild des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens wird die Betriebsfortführung aus wohlerwogenen Gründen gerade nicht mit einer Verantwortlichkeit für und Belastung durch die Vergangenheit vollzogen. Auch i. R. der Inanspruchnahme als Betreiber ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter nicht Vertreter oder Rechtsnachfolger mit einer Wirkung, die einem Betriebsübergang gleichkäme, die es rechtfertigen könnte, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter auch die Verantwortung für Alt-Schäden aufzuerlegen. Aus einer jüngeren Entscheidung des BVerwG91) ergibt sich, dass diese Grundsätze nun- 77 mehr auch von den VG zu berücksichtigen sind, sodass der Verwalter die Behörde auf diese Entscheidung – auch wenn es sich hierbei nicht um eine Grundsatzentscheidung handelt – bei einer Inanspruchnahme für Alt-Kontaminationen als Betreiber hinweisen sollte.

___________ 91) BVerwG, Urt. v. 22.7.2004 – 7 C 17.03, ZIP 2004, 1766 ff., 1768 = NZI 2005, 55.

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601

§5 Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung Übersicht I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung........ 1 1. Entstehungsgeschichte ................................ 1 2. GOI: Verpflichtender Qualitätsstandard im VID........................................... 7 II. Überblick über die Regelungen der GOI ............................................................ 11 1. Gliederungsübersicht ................................. 11 2. Die wichtigsten Grundaussagen einzelner Regelungen ...................................... 12 2.1 Geltungsbereich .............................. 12 2.2 Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro.......... 13 2.3 Regeln zum Verfahrensablauf ........ 21 III. GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion ............ 40 1. Betriebsfortführung ................................... 41

1.1 1.2

2.

Die spezielle GOI-Regelung .......... 41 Weitere einschlägige Qualitätsstandards.......................................... 45 1.2.1 Höchstpersönlichkeit ..................... 46 1.2.2 Externe Dienstleistung ................... 49 1.2.3 Compliance ..................................... 51 1.2.4 Verfahrensannahme und Kontaktaufnahme ......................................... 52 1.2.5 Transparenz und Kommunikation gegenüber Beteiligten ..................... 53 1.2.6 Behandlung von Masseverbindlichkeiten ......................................... 56 1.2.7 Rechnungswesen und Abschlüsse....................................... 57 1.2.8 Eigenverwaltung und Insolvenzplan .................................................. 60 Regelung zur Auslaufproduktion.............. 62

Literatur: Ahrendt, Qualität in der Insolvenzverwaltung, InsVZ 2010, 363; Dettmer, Neue Qualitätsstandards im VID e. V. – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung GOI, ZInsO 2013, 170; Römer, QMS und GOI: Chancen und Herausforderungen für die Insolvenzpraxis! Ein Erfahrungsbericht aus Auditoren-, Berater- und Insolvenzverwaltersicht, KSI 2012, 218; Siemon, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung des VID – des Guten zu viel!, ZInsO 2013, 666.

I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

1.

Entstehungsgeschichte

Die Spiele der Fußball-Bundesliga werden vom Anpfiff bis zum Abpfiff nach den Regeln 1 des Deutschen Fußball-Bundes durchgeführt. Trotzdem hält die samstägliche Sportschau neben Spieltag-Highlights immer auch „schmale Kost“ bereit. Der Einfluss von Spielregeln auf die Güte des Spiels ist offensichtlich begrenzt. Die materiell- und verfahrensrechtlichen Bestimmungen der InsO sind die normierten 2 Spielregeln des Insolvenzverfahrens. Sie enthalten Regelungen zur Verfahrenschronologie und begründen Rechte und Pflichten Verfahrensbeteiligter. Indes zeigt auch hier die Praxis, dass allein eine an den Maßstäben der InsO gemessen regelkonforme Verfahrensabwicklung noch kein Gütesiegel verdient. Seit jeher waren im Kreis der Konkurs- und Insolvenzverwalter unterschiedliche Abwick- 3 lungsmentalitäten erkennbar. Die Gründe dafür sind vielschichtig. So waren bis zur Einführung der InsO im Jahr 1999 noch nicht einmal die Verfahrensziele normiert. Auch die rechtliche Einordung des Konkurs-/Insolvenzverwalters selbst stand im Streit.1) Im Spannungsfeld zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen konnte so ein generell unterschiedliches Aufgabenverständnis bei der Handhabung ein und desselben Abwicklungssachverhalts zu Recht unterschiedlichen Sachbehandlungen führen. ___________ 1) Zum Theorienstreit: Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 20 ff.

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59

§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

4 In jüngerer Zeit ist die Praxis der Insolvenzabwicklung zunehmend in den Fokus der Fachöffentlichkeit, aber auch der Medien allgemein geraten. Gegenstand der Kritik war dabei immer häufiger unzulängliches Verwalterhandeln, das im schlimmsten Fall sogar die Strafbarkeitsschwelle überschritt.2) Es kann dahinstehen, ob diese zunehmende Aufmerksamkeit tatsächlich mit einer Zunahme an schlechter Verwaltung korreliert. Tatsache ist jedenfalls, dass das Ansehen des Berufsstands der Insolvenzverwalter unter dieser Presse zunehmend litt. 5 Zudem wirkten auch weitere äußere Einflüsse in den letzten Jahren maßgeblich auf den Verwalterberuf ein: In der Folge eines Beschlusses des BVerfG vom August 20043) waren die bis dahin in der Praxis üblichen geschlossenen Listen bei den Insolvenzgerichten nach und nach abgeschafft worden. Die Konkurrenzsituation hat sich vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren stetig verschärft. Weitere Konkurrenz erwächst dem Berufsstand der Insolvenzverwalter neuerdings durch die Beraterbranche. Hier hat das ESUG mit der Novellierung des Rechts der Eigenverwaltung ein umkämpftes Betätigungsfeld bereitet. 6 Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) hatte diese Entwicklungen auf seiner Frühjahrstagung im Jahr 2010 aufgenommen. Nach eingehender Diskussion hatte die Mitgliederversammlung beschlossen, einen Kodex für gute Insolvenzverwaltung zu erarbeiten, der über die schon damals existierenden (allgemeinen) Berufsgrundsätze des VID hinausgehen sollte. Deshalb wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die nachfolgend behandelten Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) erarbeitete, die letztendlich auf der Frühjahrstagung des VID am 5.5.2012 verabschiedet wurden. 2.

GOI: Verpflichtender Qualitätsstandard im VID

7 Wie sich bereits aus der Präambel ergibt, schaffen die im VID zusammengeschlossenen Insolvenzverwalter mit den GOI, aufbauend auf den gesetzlichen Vorschriften und den bereits 2006 verabschiedeten Berufsgrundsätzen, nunmehr erstmals einen Qualitätsstandard der Berufsausübung. Zwar handelt es sich dabei durchaus um einen Mindeststandard für die Abwicklung von Insolvenzverfahren4) gleichwohl sind die GOI so konzipiert, dass sie ein aus heutiger Sicht gutes fachliches Niveau der Verwaltertätigkeit („State of the art“) in allen wesentlichen Aufgabenbereichen sicherstellen sollen. Sie sind alles andere als der „Marketinggag“ eines Berufsverbandes. 8 Im Dienste der Sache kam weder eine Orientierung am untersten Abwicklungsniveau noch an etwaigen besonderen Schutzbedürfnissen kleiner (Einzel-) Verwalterbüros in Betracht. Vielmehr verlangte der ausschließliche Qualitätsfokus, bei der Formulierung der GOI einzig die sachlichen Erfordernisse in den Mittelpunkt zu rücken. Bei der Formulierung der Qualitätsstandards wurden deshalb vornehmlich die Erwartungen der (anderen) Verfahrensbeteiligten in den Mittelpunkt gestellt.5) Die GOI sind darauf angelegt, die Abwicklungspraxis schon kurzfristig durch eine Vielzahl verpflichtender Qualitätsvorgaben zu verbessern, indem insbesondere jeder Insolvenzverwalter aufgerufen ist, seine Abwicklungsprozesse in qualitativer Hinsicht an jene der GOI anzugleichen. 9 Die GOI werden schon kurzfristig über die Implementierung einer Zertifizierungsverpflichtung faktisch ein gelebter Standard sein. Über die Satzung des VID wurde die Anerkennung und Einhaltung der GOI für dessen Mitglieder verbindlich normiert. Zudem ___________ 2) Vgl. bspw. Rechtsprechungs- und Literaturnachweise bei Frind in: HambKomm-InsO, § 59 Rz. 6, die nahezu ausschließlich jüngeren Datums sind. 3) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00 u. 1086/01, ZIP 2004, 1649 ff. 4) Dettmer, ZInsO 2013, 170. 5) Ahrendt, InsVZ 2010, 363 ff.

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Runkel/Fliegner

Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

haben sich die Mitglieder verpflichtet, für ihre Tätigkeit als Insolvenzverwalter ein Qualitätsmanagementsystem zu installieren und dieses durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle nach ISO 9001 in der jeweils aktuellen Fassung zertifizieren zu lassen. Die Einhaltung der GOI wird zukünftig durch die Zertifizierung nachzuweisen sein. Maßgeblich sind insoweit alle Verfahren ab dem 1.1.2013.6) Die Einhaltung der GOI wird i. R. der Zertifizierung jährlich anhand einer eigenständig hierfür erarbeiteten Prüfungsordnung überprüft.7) Zertifizierte Verwalter führen das Zertifikat VID-CERT. Wenn mit der verbindlichen Verpflichtung auf Einhaltung der GOI zukünftig eine Ausle- 10 se, etwa i. R. von Bestellungsentscheidungen, verbunden ist, so ist dies seitens des VID sicherlich beabsichtigt. Die durchaus fordernden, aktivierenden Qualitätsanforderungen der GOI sollen Richtern und Gläubigern gleichermaßen ein maßgebliches Unterscheidungskriterium etwa i. R. von Bestellungsentscheidungen sein.8) Die GOI sollen eben nicht nur schlechte Verwaltung im Bereich des Berufsstands der Insolvenzverwalter erschweren, sie sollen auch Begehrlichkeiten der Beraterbranche zurückdrängen, die häufig insbesondere schon den hohen Anforderungen an eine spezialisierte Büroorganisation nicht genügen wird.9) II.

Überblick über die Regelungen der GOI

1.

Gliederungsübersicht

Die GOI enthalten einführend zunächst Standards zu allgemeinen Anforderungen an den 11 Verwalter und sein Büro. Der Verfahrenschronologie folgend werden im Anschluss Standards typischer Verwaltertätigkeiten gesetzt. Die aktuelle Fassung der GOI ist unter www.VID.de jederzeit abrufbar. Aus Platzgründen sowie aus Gründen der Übersichtlichkeit wird nachstehend lediglich die Gliederung wiedergegeben. Präambel I. Geltungsbereich II. Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro 1. Höchstpersönlichkeit 2. Externe Dienstleister 3. Vertretungsregelungen (Urlaub, Krankheit) 4. Personelle und sachliche Büroausstattung 5. Haftpflichtversicherung 6. Fortbildung 7. Sachbearbeiterfortbildung 8. Compliance 9. Erfolgskontrolle

___________ 6) 7) 8) 9)

Zum konkreten Nutzen der Zertifizierung: Römer, KSI 2012, 218 ff. Text der Prüfungsordnung abrufbar unter www.VID.de Grundsätzlich zustimmend neuerdings Frind in: HambKomm-InsO, § 56 Rz. 19. Kritisch hierzu Siemon, ZInsO 2013, 666 f. der verkennt, dass die „bürokratischen Vorgaben“ unabdingbare Grundlage für qualitätsvolle Verwaltung sind.

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

III. Regeln zum Verfahrensablauf 1. Annahme des Amtes/Erklärung gegenüber dem Gericht 2. Kontaktaufnahme 3. Sicherungsmaßnahmen 4. Arbeitnehmerfragen 5. Gläubigerausschuss 6. Gutachten 7. Einrichtung von Treuhandkonten 8. Informationen gegenüber Gericht und Verfahrensorganen 9. Gläubigerinformation 10. Regeln für Buchhaltung, zeitnahes Buchen 11. Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen 12. Behandlung von Aus- und Absonderungsrechten 13. Behandlung der Masseverbindlichkeiten 14. Betriebsfortführung 15. Auslaufproduktion 16. Vermögensverwertung 17. Unternehmensveräußerung 18. Forderungsprüfung und Tabellenführung 19. Verteilung 20. Verfahrensabschluss 21. Schlussrechnungslegung 22. Eigenverwaltung 23. Insolvenzplan 24. Besonderheiten bei Auslandberührungen 25. Öffentlichkeitsarbeit 2.

Die wichtigsten Grundaussagen einzelner Regelungen

2.1

Geltungsbereich

12 Der Geltungsbereich der GOI umfasst die Tätigkeit als x

Sachverständiger,

x

(vorläufiger) Insolvenzverwalter,

x

Sonderinsolvenzverwalter, (vorläufiger)

x

Sachwalter und

x

Treuhänder.

2.2

Allgemeine Anforderungen an den Verwalter und sein Büro

13 Die GOI unterstreichen die höchstpersönliche Natur des Verwalteramts. Danach ist das Kriterium persönlicher Aufgabenwahrnehmung nicht erfüllt, wenn der Verwalter sich nur formal zum Insolvenzverwalter bestellen lässt, die Abwicklung aber umfassend anderen Personen überlässt. Die grundlegenden, verfahrensleitenden Entscheidungen muss der Ver-

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

walter immer selbst treffen. Gleichzeitig wird der Einsatz von Mitarbeitern für eine effiziente Verfahrensabwicklung allerdings als unverzichtbar anerkannt. Die für den Zertifizierer maßgebliche Prüfungsordnung geht zur Sicherstellung der 14 Höchstpersönlichkeit von Regelungen im Qualitätsmanagementsystem aus, die sicherstellen, dass ggf. eingesetzte Mitarbeiter dem Verwalter alle Sachverhalte vorlegen, die einer grundsätzlich verfahrensleitenden Entscheidung bedürfen. Die Regelung zu externen Dienstleistern zielt durch Erstellung einer Positivliste u. a. dar- 15 auf ab, die sog. „Kofferraumverwaltung“ zu bekämpfen, die sich durch die regelmäßige Beauftragung externer Dienstleister zur Bewerkstelligung ureigener Verwalteraufgaben, z. B. Insolvenzbuchhaltung, Tabellenführung oder Erstellung von Schlussrechnungen, auszeichnet. Aus Transparenzgründen sollen im Übrigen alle Beauftragungen stets dem Insolvenzgericht in geeigneter Weise angezeigt werden. Bei der Büroausstattung verlangen die GOI in personeller Hinsicht den Einsatz qualifi- 16 zierten Personals für alle relevanten Bereiche der Insolvenzverwaltung, namentlich für die Personalsachbearbeitung, die Lohn- und Finanzbuchhaltung, das Vertragswesen und die Verwaltung der Dauerschuldverhältnisse, die Behandlung der Aus- und Absonderungsansprüche, die Tabellenführung, das Forderungsmanagement, die Qualitätssicherung sowie für die Fristenkontrolle und die Terminverwaltung. In sachlicher Hinsicht setzen die GOI den Einsatz einer leistungsfähigen und gerichtskompatiblen elektronischen Datenverarbeitung voraus. Nach den GOI unterhält der Insolvenzverwalter eine seinem Risiko angemessene, auf das 17 spezielle Risiko des Verwalters zugeschnittene Berufshaftpflichtversicherung, wobei ein Mindestversicherungsschutz von 2 Mio. € pro Fall und Jahr festgeschrieben ist. Auch ist der Insolvenzverwalter gehalten, seinen Versicherungsschutz ständig zu überprüfen, um einen Nachversicherungsbedarf jederzeit erkennen zu können. In deutlicher Abweichung von den Vorschriften der Fachanwaltsordnung regeln die GOI 18 einen Fortbildungsumfang von mindestens 30 Stunden im Jahr, wobei allerdings Autoren- und Vortragstätigkeiten anrechenbar sind. Auch sorgt der Insolvenzverwalter für eine regelmäßige Aus- und Fortbildung der eingesetzten Sacharbeiter. Nach den GOI garantiert er, dass mindestens ein „Mann-Tag“ pro Sachbearbeiter und pro Jahr für Ausund Fortbildungskurse aufgewandt wird. Im Rahmen der Compliance hat der Verwalter nach den GOI durch schriftliche Arbeits- 19 anweisung oder entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass auch seine Mitarbeiter Kontrahierungs-, Erwerbs- und Nutzungsverbote beachten, welche der Verwalter bereits gemäß § 8 der Berufsgrundsätze des VID zu beachten hat. Insbesondere Vorschläge des BRAK-InsO aufnehmend, sehen die GOI auch erstmals 20 verpflichtend eine Erfolgskontrolle vor, welche allerdings zunächst als rein interne Erfolgskontrolle ausgestaltet ist. Danach prüft der Verwalter einmal jährlich die Ergebnisse abgeschlossener Verfahren unter Bildung geeigneter Bezugs- und Referenzwerte nach bestimmten Kriterien, bspw. Eröffnungsquote, durchschnittliche Verfahrensdauer, Massemehrung durch insolvenzspezifische Ansprüche etc. Eine externe Erfolgskontrolle, bspw. durch Abgleich der Daten verschiedener Verwalter, ist angesichts der fast unüberschaubaren Vielzahl an verfahrens- und verwalterbezogenen Besonderheiten nach heutigem Stand nicht seriös möglich.10) Eine wissenschaftlich anerkannte vergleichende externe Erfolgskontrolle gibt es bisher nicht. Die GOI möchten deshalb – begleitend zu den neuen Vorgaben des Insolvenzstatistikgesetztes – zunächst einmal einen eigenen Datenbestand ___________ 10) Vgl. dazu auch Ahrendt, InsVZ 2010, 363 ff.

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

schaffen, der intern durch Datenabgleiche durchaus schon in einem überschaubaren Zeitraum Verbesserungspotenzial aufdecken kann. 2.3

Regeln zum Verfahrensablauf

21 Nach den Regeln zum Verfahrensablauf darf der Insolvenzverwalter sein Amt nur annehmen, wenn er nach seiner aktuellen Belastung, der Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter und der vorhandenen Infrastruktur in der Lage ist, den Anforderungen des konkreten Verfahrens zu genügen. 22 Für die Umsetzung angeordneter Sicherungsmaßnahmen setzen die GOI in bestimmten Bereichen konkrete Standards: x

So soll die Inventur des beweglichen Anlage- und Vorratsvermögens (lieferantenbezogen) an allen relevanten Standorten durch hierfür qualifiziertes Personal oder Sachverständige erfolgen.

x

Bei Bauinsolvenzen haben eine Sicherung der Baustelle und die Erfassung der Bautenstände zu erfolgen. Zudem sind die Bauvertragsunterlagen einschließlich Korrespondenz sowie die Avalunterlagen (insbesondere Subunternehmer-Avale) sicherzustellen.

23 Im Bereich des Arbeitnehmersektors sehen die GOI ganz konkrete Kommunikationspflichten des Verwalters vor. In einer Betriebsversammlung sind die Arbeitnehmer regelmäßig unmittelbar nach Insolvenzantragstellung über den generellen Verfahrensablauf, die Situation des Unternehmens und die geplanten Maßnahmen und insbesondere über ihre Rechte zu informieren. Auch sind konkrete Maßnahmen des Verwalters vorgesehen, die gerade im Interesse der Arbeitnehmer liegen. So hat der Verwalter auf die Insolvenzgeldvorfinanzierung hinzuwirken, eine Funktionsfähigkeit der Personalabteilung sicherzustellen und Urlaubs- und Überstundenansprüche der Arbeitnehmer zeitnah zu ermitteln. 24 Da zu einem professionellen Verständnis von Insolvenzverwaltung die möglichst frühzeitige und intensive Einbindung der Gläubiger in alle Entscheidungen und Maßnahmen des Verwalters gehört, regt der (vorläufige) Insolvenzverwalter, wenn Entscheidungen von besonderer Bedeutung zu treffen sind und soweit dies für den Einzelfall zweckmäßig und angemessen erscheint, die Einsetzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses an. Nach der Intention der GOI soll § 22a Abs. 3 InsO aus Sicht des Verwalters eher restriktiv ausgelegt werden. 25 Zu Form und Inhalt des Insolvenzgutachtens setzen die GOI konkrete Mindeststandards. So soll sich etwa die Darstellung des Aktivvermögens an der Gliederung des § 266 Abs. 2 HGB orientieren und jeweils auch die an den Vermögensgegenständen bestehenden Fremdrechte benennen. Zudem ist stets auf die insolvenzspezifischen Ansprüche (z. B. Anfechtung, Haftungsansprüche gegen Organe und Gesellschafter) einzugehen. 26 Zur Einrichtung von Treuhandkonten regeln die GOI das Verbot von Sammelkonten. Sofern in einem Verfahren gesonderte Treuhandkonten genutzt werden (z. B. Projekt-, Sonderkonten), hat der Verwalter diese Konten unabhängig von der rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Zuordnung vollständig, umfassend und transparent gegenüber dem Insolvenzgericht abzurechnen. Gleiches gilt nach den GOI, wenn der Insolvenzverwalter Dritte als Treuhänder beauftragt. Die rechtliche Gestaltung ist in diesem Fall zu dokumentieren. 27 Ausführlich regeln die GOI auch den Informationsumfang gegenüber Gericht und Verfahrensorganen sowie die Gläubigerinformation. Letztere wird verpflichtend über ein elektronisches passwortgeschütztes Gläubigerinformationssystem gewährleistet.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Ambitioniert sind die Regeln für Buchhaltung und das zeitnahe Buchen. Danach soll die 28 insolvenzrechtliche Rechnungslegung mittels eines Systems, das Radierbuchungen ausschließt, erfolgen. In ab dem 1.1.2013 eröffneten Verfahren muss ein Insolvenzverwalter die Standardkontenrahmen InsO-SKR 04 oder InsO-SKR 03 verwenden. Zahlungswirksame Geschäftsvorfälle auf den Treuhandkonten sind regelmäßig innerhalb von zehn Arbeitstagen buchhalterisch zu verarbeiten. Wenngleich der Beginn dieser Zehn-Tages-Frist nach den Erläuterungen der GOI erst am vierten Tag ab dem Datum des Auszugs zu rechnen ist, so wird gerade diese Anforderung die meisten Verwalterbüros doch zu erheblichen Anpassungsanstrengungen zwingen. Die GOI enthalten weiterhin Mindeststandards bei der Behandlung von Aus- und Ab- 29 sonderungsrechten und Masseverbindlichkeiten. Hier geht es insbesondere um die Wahrung der Rechte der Aus- und Absonderungsgläubiger und der Massegläubiger. Der Verwalter muss i. R. seiner Verfahrensführung Sorge dafür tragen, dass die Rechte dieser Gläubiger – etwa auch durch Anträge nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO oder gerichtliche Einzelermächtigung – erhalten bleiben. Diesem Ziel dient auch die oben beschriebene Regelung bei den Sicherungsmaßnahmen, lieferantenbezogen zu inventarisieren. Beauftragt der Insolvenzverwalter für die Be- und/oder Verwertung des Anlage- und 30 Umlaufvermögens einen Dritten, so muss dieser (wie auch der Verwalter selbst) grundsätzlich zertifiziert sein, eine ausreichende Haftpflichtversicherung nachweisen und die Verwertungserlöse für jedes einzelne Verfahren auf gesonderten Treuhandkonten vereinnahmen. Im Bereich der Unternehmensveräußerung gehen die GOI von einer aktiven Suche nach 31 Kaufinteressenten aus. Der Verwalter hat vorhandene Interessenten kurzfristig zu kontaktieren. Auch soll der Verwalter selbst oder über einen geeigneten Dienstleister die jeweiligen Voraussetzungen für einen strukturierten M&A–Prozess schaffen. Zur optimalen Gestaltung des Veräußerungsprozesses sehen die GOI weitere konkrete Vorgaben vor. Begleitend soll der Verwalter aktiv notwendige Restrukturierungsmaßnahmen als Voraussetzung einer optimalen Veräußerung angeben. Im Bereich der Tabellenführung gehen die GOI davon aus, dass der Verwalter zum Prü- 32 fungstermin die eingegangenen Forderungsanmeldungen regelmäßig materiell geprüft hat. Vorläufiges Bestreiten soll vermieden werden. Die Forderungsprüfung soll laufend fortgesetzt werden. Wie sich aus der aktivierenden Intention der GOI ergibt, soll von Abschlagsverteilungen 33 frühzeitig Gebrauch gemacht werden. Die „kann“-Bestimmung des § 187 Abs. 2 Satz 1 InsO soll von den Verwaltern als eine „Soll“-Bestimmung verstanden werden. Konsequenterweise fordern die GOI auch den frühestmöglichen Verfahrensabschluss, 34 ggf. unter dem Vorbehalt der Nachtragsverteilung. Zukünftig fordert die Prüfungsordnung zur GOI die Vorlage von Zwischenberichten, aus denen hervorgehen muss, wann der Verwalter mit einem Abschluss des Verfahrens rechnet und von welchen Arbeitsschritten der Verfahrensabschluss noch abhängt. Für die Schlussrechnungslegung halten die GOI das Erfordernis fest, an die Vermö- 35 gensübersicht (§ 153 InsO) anzuknüpfen. Die anschließende Vermögensentwicklung ist unter Bezugnahme auf die Zwischenberichte umfassend und detailliert darzustellen. Die Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Verfahrensbeteiligten soll so erhöht werden. Die GOI sieht eine konstruktive Begleitung von Eigenverwaltung durch den Verwalter 36 vor. Herausgestrichen wird, dass der Verwalter für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters als objektiver und unabhängiger Vertreter der Gläubigerinteressen zur Verfügung steht.

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§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

37 Für den Insolvenzplan normieren die GOI die Verpflichtung des Verwalters zu prüfen, ob sich durch einen Plan die Verfahrensergebnisse gegenüber einer Regelabwicklung verbessern lassen. Insoweit besteht eine Äußerungspflicht im Bericht zur Gläubigerversammlung. 38 Soweit Verfahren Auslandsbezug aufweisen, muss der Verwalter gewährleisten, dass er oder die von ihm in den jeweiligen Verfahren eingesetzten Sachbearbeiter über ausreichende Kenntnisse des internationalen Insolvenzrechts und über entsprechende Sprachkenntnisse, zumindest aber verhandlungssicheres Business-english verfügen. Auch muss sichergestellt sein, dass der Verwalter rechtliche Problemstellungen in fremder Jurisdiktion prüfen und Lösungen erarbeiten kann. 39 Die GOI betonen abschließend die Notwendigkeit, eine die Verfahrensziele fördernde aktive, professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. III.

GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion

40 Eingebettet in die Regeln zum Verfahrensablauf enthalten die GOI zwei spezielle Regelungen, die sich mit der Fortführung und Einstellung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs befassen: III. 14. Betriebsfortführung a) In jedem Verfahren sind alle Möglichkeiten der Betriebsfortführung zwecks Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze auszuschöpfen. b) Die Betriebsfortführung erfordert eine zeitnahe Liquiditätsplanung in Anlehnung an den IDW-Standard. Die Einhaltung der Planung wird in regelmäßigen Abständen durch einen Soll-/Ist-Vergleich überprüft. III. 15. Auslaufproduktion Der Insolvenzverwalter erstellt in Fällen, in denen ein dauerhafter Erhalt des Unternehmens nicht möglich ist, für den Auslaufzeitraum ausreichende Planungen in den Bereichen Personal, Liquidität und Produktion in Abhängigkeit realistischer Auftragsvolumina. Der Insolvenzverwalter sorgt für die notwendige Kommunikation – insbesondere mit den beschäftigten Arbeitnehmern – über die Besonderheiten, den Ablauf und die Folgen einer Auslaufproduktion. Während der auslaufenden Beschäftigungsverhältnisse macht der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern in geeigneten Fällen die jeweiligen Förderungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zugänglich. 1.

Betriebsfortführung

1.1

Die spezielle GOI-Regelung

41 Wie oben bereits deutlich wurde, haben die GOI im Hinblick auf den Verwalter eine fordernde, aktivierende Intention. Dies zeigt sich auch bei der Betriebsfortführung. Der Verwalter soll – durch Schaffung entsprechender Standardprozesse – alle Möglichkeiten der Betriebsfortführung ausschöpfen, die dem Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze dienen könnten. Die GOI-Arbeitsgruppe hat den Diskussionsstand, der für die Formulierung der jeweiligen GOI-Regelungen maßgeblich war, als „Motive/Erläuterungen“ festgehalten. Danach setzt das Ausschöpfen aller Möglichkeiten einer Betriebsfortführung in einem ersten Schritt voraus, die Fortführungsfähigkeit positiv festzustellen.

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Vorab ist zu klären:

42

x

Stehen der Fortführung schutzrechtliche Aspekte entgegen, z. B. fehlende Patente, Lizenzen?

x

Sind die schuldnerischen Produkte aus irgendwelchen Gründen nicht mehr absetzbar?

x

Stehen die erforderlichen Mitarbeiter, insbesondere eventuelle Know-how-Träger zur Verfügung oder sind diese bereits „auf dem Sprung“?

x

Stehen die bisherigen Betriebswege, etwa Vertreter etc., noch zur Verfügung und besteht weitere Abnahmebereitschaft der Kunden, Stichwort: Delisting?

x

Können die erforderlichen Vormaterialien noch bezogen werden oder verweigern eventuelle (Key-)Lieferanten die weitere Belieferung?

x

Bestehen sonstige unternehmens- oder marktbedingte Besonderheiten?

Ergeben die vorbezeichneten grundsätzlichen Überlegungen zur Fortführungsfähigkeit 43 einen positiven Befund, so hat der Verwalter in einem zweiten Schritt eine realistische Planrechnung unter Berücksichtigung der liquiditätswirksamen Zu- und Abflüsse aufzustellen. Nach den Motiven/Erläuterungen der GOI-Arbeitsgruppe entspricht die Planrechnung ihrer Form nach einer in die Zukunft gerichteten GuV mit der Maßgabe der Aufzeichnung der liquiditätswirksamen Einnahmen und Ausgaben. Hieraus muss sodann ein eventueller Kreditbedarf wegen des zeitlichen Auseinanderfallens zwischen Ausgabenerfordernis und Einnahmenzufluss zu ersehen sein. Die Besonderheit der Implementierung der GOI in das Qualitätsmanagementsystem der 44 Verwalterkanzleien besteht angesichts des vorbezeichneten Regelungsinhalts weniger in einer Verschärfung der ohnehin hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH an die Liquiditätsplanung gestellt hat. Vielmehr führt die mit der Implementierungsverpflichtung verbundene Zertifizierungspflicht in den Verwalterbüros dazu, dass die geforderte Liquiditätsplanung auch tatsächlich zeitnah erstellt wird und körperlich vorliegen muss. Denn die Prüfungsordnung zu GOI sieht für den Fall der Betriebsfortführung die Vorlage der entsprechenden Liquiditätsplanungen sowie eventuell erforderliche Aktualisierungen vor. Der Wert der GOI liegt damit in der Beseitigung eines (vermeintlichen) Vollzugsdefizits. 1.2

Weitere einschlägige Qualitätsstandards

Oben wurden bereits die wichtigsten Grundaussagen der einzelnen GOI-Regelungen in 45 allgemeiner Form behandelt. Nahezu jeder in den GOI geregelte Standard hat schon bei Betriebsfortführungen kleineren Zuschnitts seinen Anwendungsbereich. Auf die besonders fortführungsrelevanten Standards soll nachstehend eingegangen werden. 1.2.1 Höchstpersönlichkeit Wie vorstehend bereits ausgeführt wurde, unterstreichen die GOI die höchstpersönliche 46 Natur des Verwalteramts. Lässt sich der Verwalter nur formal zum Insolvenzverwalter bestellen, so ist das Kriterium persönlicher Aufgabenwahrnehmung nicht erfüllt. Nach den GOI sollen folgende Tätigkeiten deshalb regelmäßig höchstpersönlich ausgeführt werden: x

Grundlegende, verfahrensleitende Entscheidungen;

x

Terminwahrnehmung beim Insolvenzgericht;

x

Teilnahme an Gläubigerausschusssitzungen;

x

Informationserteilung zumindest in der ersten Betriebsversammlung;

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67

§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

x

Grundlegende Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten;

x

Interne und externe Verfahrensleitung.

47 Fraglos kann ein Verwalter, der pro Jahr 50 oder sogar 100 neue Verfahren annimmt, die übernommenen Aufgaben nur durch erhebliche Delegation erfüllen. Er wird nur in der Lage sein, einen kleinen Teil der Arbeit höchstpersönlich zu erledigen. Unabhängig von der Arbeitsbelastung ist allerdings unabdingbar, dass der Verwalter die das Verfahren prägenden Entscheidungen stets selbst trifft und auch die insoweit wesentlichen Termine selbst wahrnimmt. Dies soll „regelmäßig“ der Fall sein. Vertretungen sind nach der Prüfungsordnung zur GOI zwar zulässig. Sie sind aber sachlich zu begründen und zu dokumentieren. Gerechtfertigt ist eine Vertretung insbesondere bei Krankheit, Urlaub und Doppelterminierung. Auch der Einsatz eines jüngeren Kollegen zum Zwecke der Ausbildung wird von der Prüfungsordnung akzeptiert. 48 Regelmäßig wird die höchstpersönliche Aufgabenwahrnehmung im ureigenen Interesse des Verwalters liegen. Dies gilt schon aus Marketinggründen für die Teilnahme an einer Gläubigerausschusssitzung und die Terminwahrnehmung beim Insolvenzgericht. Es gilt aber auch für die Betriebsversammlung und Übernahmeverhandlungen, wo der Verwalter für sich regelmäßig eine größere Überzeugungskraft in Anspruch nehmen kann. 1.2.2 Externe Dienstleistung 49 Die GOI definieren Bereiche, in denen sich der Insolvenzverwalter externer Dienstleister auf Kosten der Masse bedienen kann. Dies sind: x

Die Inventarisierung sowie die Be- und Verwertung von Wirtschaftsgütern;

x

die Unterstützung bei der Suche nach Investoren zur Vorbereitung der übertragenden Sanierung eines insolventen Unternehmens durch M&A-Berater;

x

Erstellung der Buchführung sowie von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen;

x

Rechtsberatung und Steuerberatung, soweit es sich um „besondere Aufgaben“ i. S. der InsVV handelt;

x

Be- und Verwertung von Immobilien;

x

die Einschaltung von branchen- und insolvenzerfahrenen Zeitmanagern, sofern das vorhandene Management entweder nicht vertrauenswürdig genug oder nicht qualifiziert genug erscheint, oder wenn es aus anderen Gründen nicht zur Verfügung steht;

x

bei Bauinsolvenzen die Beauftragung von Fachingenieuren, die zur Sicherung der Bautenstände und zur Sicherung der entsprechenden Werklohnansprüche erforderlich sind.

50 Hier ist auf das Übliche abgestellt worden und dies nicht zuletzt mit Blick auf die InsVV. Die natürliche Bremse für ein totales outsourcen sind die Zuschlagsfaktoren, die jeder Verwalter im eigenen Interesse im Blick haben wird. Zugleich ist umgekehrt festzuhalten, dass der vergütungsneutrale Einsatz hochspezialisierter Unterstützungskräfte zur sachgerechten Verfahrensbearbeitung unabdingbar ist. Insoweit sind die GOI gerade bei Betriebsfortführungen auch eine Argumentationshilfe gegenüber einer hin und wieder noch anzutreffenden, allzu naiven gerichtlichen Sichtweise. Aus Transparenzgründen ist die Beauftragung externer Dienstleister dem Insolvenzgericht im Übrigen anzuzeigen. Nach Auffassung der GOI-Arbeitsgruppe war hier letztlich auch der Rechtsgedanke des § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen.

68

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

1.2.3 Compliance Nach den GOI stellt der Verwalter durch schriftliche Arbeitsanweisungen oder entspre- 51 chende arbeitsvertragliche Vereinbarungen sicher, dass auch seine Mitarbeiter die Kontrahierungs-, Erwerbs- und Nutzungsverbote des § 8 der Berufsgrundsätze des VID beachten. Dadurch soll verhindert werden, dass Mitarbeiter des Verwalterbüros und auch die ihnen nahestehenden Personen während der Dauer des Insolvenzverfahrens eine Beratung oder Vertretung des Schuldners übernehmen. Erst Recht soll verhindert werden, dass Mitarbeiter der Insolvenzverwalters mit Unternehmen, an denen sie persönlich unmittelbar oder mittelbar – etwa über Familienangehörige oder andere Gesellschaften – beteiligt sind, kontrahieren. Mitarbeiter dürfen zudem keine Vergütung für Leistungen annehmen, die i. R des Insolvenzverfahrens erbracht werden. Hierzu zählen insbesondere von dritter Seite angebotene Provisionen für die Vermittlung von Grundstücken, Gewerbebetrieben etc. Schließlich soll auch verhindert werden, dass Mitarbeiter des Insolvenzverwalters Massegegenstände selbst oder durch Dritte erwerben. Eine solche Compliance-Regelung war längst überfällig, da Zweifel an der Unabhängigkeit des Verwalters auch durch Handlungen seiner Mitarbeiter hervorgerufen werden können. 1.2.4 Verfahrensannahme und Kontaktaufnahme Die Förderung der Transparenz, der Kommunikation und einer an den berechtigten Inte- 52 ressen der Beteiligten orientierten Abwicklung ist ein Leitbild der GOI. Im Falle der Betriebsfortführung haben alle Beteiligten ein besonderes Interesse daran, dass schnell Klarheit über den Verwalter besteht. Manchmal kommt es auf wenige Stunden an, weil unter Umständen dringend Erklärungen gegenüber Arbeitnehmern, Lieferanten, Kunden usw. abgegeben werden müssen. Dem tragen die GOI Rechnung. Nach sofortiger Prüfung der aktuellen Belastung und potenzieller Interessenkollisionen hat der Verwalter „unverzüglich“ zu erklären, ob er das ihm übertragene Amt annimmt. Ebenso „unverzüglich“ hat der Verwalter Kontakt zum Schuldner aufzunehmen. Wie die GOI ausdrücklich festhalten, muss diese Kontaktaufnahme bei einem laufenden Geschäftsbetrieb innerhalb von 24 Stunden vor Ort erfolgen. 1.2.5 Transparenz und Kommunikation gegenüber Beteiligten Die GOI soll dazu beitragen, im wohlverstandenen Eigeninteresse des Berufsstands der 53 Insolvenzverwalter die Transparenz der Verfahrensabwicklung zu erhöhen. Deshalb sehen die GOI – unabhängig von normierten gesetzlichen Verpflichtungen – gesteigerte Kommunikationspflichten des Verwalters vor. So sind die Mitarbeiter in der Regel unmittelbar nach Insolvenzantragstellung auf einer Betriebsversammlung durch den vorläufigen Verwalter über den generellen Verfahrensablauf, die Situation des Unternehmens und die geplanten Maßnahmen sowie ihre Rechte zu informieren. Die Betriebsversammlung soll regelmäßig innerhalb von drei Tagen nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung erfolgen. Dabei regeln die GOI sogar im Detail, welche einzelnen Rechte der Arbeitnehmer anzusprechen sind. Auch halten die GOI fest, dass Arbeitnehmer während des Verfahrensablaufs über den Sachstand, geplante Maßnahmen und die Verfahrensoptionen zu informieren sind. Die GOI verlangen den fortlaufend kommunikativen Verwalter. Zum Zwecke der (laufenden) Gläubigerinformation sehen die GOI standardmäßig die 54 Bereitstellung eines elektronischen, passwortgeschützten Gläubigerinformationssystems vor. Der Verwalter hat die Bereitstellung aktueller Informationen zu den Ergebnissen der Forderungsprüfung, zur voraussichtlichen Verfahrensdauer und zur Quote zu gewährleisten. Damit beheben die GOI einen nach wie vor in vielen Kanzleien festzustellenden Missstand: Natürlich müssen Sachstandsanfragen nach der Rechtsprechung des BGH

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69

§5

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung

nicht beantwortet werden und sind auf den ersten Blick häufig lästig. Auch gibt es sicherlich bei manchen Gläubigern (noch verbreiteter in bestimmten Anwaltsbüros) die Unsitte, unreflektiert in regelmäßigen Abständen bei dem Verwalter nach dem Stand der Sache anzufragen, obwohl Änderungen nicht absehbar sind. Andererseits muss hervorgehoben werden, dass ein Insolvenzverfahren gerade im wirtschaftlichen Interesse der Gläubiger stattfindet. Deshalb wird zwar weiterhin die Bearbeitung von Einzelanfragen nicht beansprucht werden können. Die Bereitstellung der verfahrensspezifischen Informationen über einen Zugangscode (PIN) ist aus Transparenzgründen allerdings geboten und jedem professionellen Büro zumutbar. 55 Gegenüber dem Gericht und den weiteren Verfahrensorganen sehen die GOI im Hinblick auf das Transparenz- und Kommunikationsgebot rechtzeitige, ausführliche und transparente Informationen vor, die die Beteiligten in die Lage versetzen, jederzeit die ihnen gesetzlich zugewiesenen Entscheidungen treffen zu können. 1.2.6 Behandlung von Masseverbindlichkeiten 56 Nach den Motiven/Erläuterungen zur GOI ist eine Betriebsfortführung ohne das Vertrauen des geschäftlichen Umfelds nicht möglich. Es liegt im ureigenen Interesse des Insolvenzverwalters, gerade jene Gläubiger als besonders schützenswert anzusehen, die durch Leistungen an die Insolvenzmasse eine Fortführung des Betriebs erst ermöglichen. Die GOI sehen deshalb nicht nur eine sorgfältige Liquiditätsplanung vor. Sie verweisen auch auf das Erfordernis, zum Schutz der Gläubiger ggf. gerichtliche Einzelermächtigungen einzuholen. Zusätzlich soll er sich bemühen, Zahlungszusagen adäquat abzusichern. Zu denken ist hier bspw. an eine (zulässige) Vereinbarung von Sicherheiten an Neuforderungen. Persönliche Garantieübernahmen eines Verwalters sind mit solchen „adäquaten Absicherungen“ nicht gemeint. 1.2.7 Rechnungswesen und Abschlüsse 57 Nach den GOI müssen Insolvenzverwalter zukünftig im Interesse der Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit die Standardkontenrahmen InsO-SKR 04 oder InsO-SKR 03 verwenden. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung (GoB) sind zu beachten und vor allem die in vielen Kanzleien immer noch übliche Methode sog. Radierbuchungen ist zu unterlassen. 58 Weiterhin sind Geschäftsvorfälle auf den Treuhandkonten regelmäßig innerhalb von zehn Arbeitstagen buchhalterisch zu verarbeiten. In der GOI-Arbeitsgruppe war diese Regelung lange diskutiert worden. Die Extrempositionen lagen bei drei Tagen einerseits und jahres- oder quartalsmäßigem Verbuchen andererseits. Selbst bei den abschließenden Formulierungsdiskussionen wurden immer noch Stimmen laut, die Zehn-Tages-Frist sei nicht praxisgerecht. – Richtigerweise ist zu differenzieren: Liegen dem professionell eingerichteten Verwalterbüro alle für die Buchung erforderlichen Belege innerhalb der Frist vor, sollte das Verwalterbüro auch in der Lage sein, die Verbuchungen fristgemäß vorzunehmen. Dabei kommt dem Verwalterbüro schon zu Gute, dass der Beginn der Zehn-Tages-Frist nach den Motiven/Erläuterungen der GOI-Arbeitsgruppe erst mit dem vierten Tag ab dem Datum des Kontoauszugs beginnt. Wie immer im Leben, kann allerdings Unmögliches nicht verlangt werden. Können Geschäftsvorfälle wegen fehlender Belege nicht verbucht werden, so stellt dies einen Entschuldigungsgrund i. S. der Prüfungsordnung dar. Allerdings wird auf eine Dokumentation der jeweiligen Unzulänglichkeiten bei der Belegbeschaffung zu achten sein. 59 Die GOI halten die Pflicht fest, Steuererklärungen und Jahresabschlüsse grundsätzlich auf Kosten der Masse erstellen zu müssen. Hierdurch wird nicht zuletzt die schon zur 70

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Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung

§5

Haftungsvermeidung gebotene, aber häufig übersehene Geltendmachung von Verlustvorträgen gefördert. Gleichwohl tragen die GOI der schon bisher in der Praxis verbreiteten Einsicht Rechnung, dass die Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht zu einem unverhältnismäßigen Verbrauch von Massemitteln führen soll. Die GOI heben daher – auch i. S. des Kommunikationsgebots – den Versuch einer „Verständigung mit der Finanzverwaltung“ hervor. Der Verwalter hat im Interesse optimaler Verfahrensergebnisse (Quoten) ein ganz besonderes Bemühen an den Tag zu legen. 1.2.8 Eigenverwaltung und Insolvenzplan Wenngleich die Formulierungen der GOI erst im Mai 2012 verabschiedet wurden, so 60 stammen diese doch aus einer Zeit, als noch keine praktischen Erfahrungen mit den Verfahren nach den §§ 270a, 270b InsO vorlagen. Insbesondere die Regelung zur Eigenverwaltung muss deshalb jetzt den neuen Marktbedingungen angepasst werden. Der Ausschuss Sanierung, Insolvenzplan und Eigenverwaltung im VID hat hierzu erste Formulierungsvorschläge unterbreitet, welche nach Abstimmung mit der GOI-Arbeitsgruppe und einer Beschlussfassung durch die Mitgliederversammlung voraussichtlich im Laufe des Jahres 2013 in Kraft treten. Im Hinblick auf die für die Unabhängigkeit des Verwalters streitende Transparenz ist 61 eine Regelung absehbar, die Kontakte des (vorläufigen) Sachwalters mit Beteiligten vor Beauftragung stets offenbarungspflichtig macht. Nach einem gemeinsamen Entwurfstext der Arbeitsgruppen ist es dem (vorläufigen) Sachwalter zudem verboten, vor Beauftragung Verpflichtungen oder Zusagen im Hinblick auf die spätere Amtsausübung zu machen. Zudem wird voraussichtlich der Umfang der i. R. einer Betriebsfortführung seitens des (vorläufigen) Sachwalters einzuholenden Informationen definiert, sodass eine sachgerechte Ausübung des Sachwalteramtes gewährleistet ist. 2.

Regelung zur Auslaufproduktion

Kann der Verwalter eine weitere Betriebsfortführung nicht gewährleisten, so sehen die GOI 62 für die dann anstehende Auslaufproduktion eine gesonderte Regelung vor. Unter Auslaufproduktion wird nach den Motiven/Erläuterungen der GOI-Arbeits-gruppe sowohl die ausschließliche Verwendung der vorgefundenen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, sog. RHB, (ohne Zukäufe) verstanden als auch die bloße Abarbeitung/Fertigstellung einzelner Aufträge. Die Anforderungen an die Einnahme-/Ausgabe-Planung sind nach Auffassung der GOI- 63 Arbeitsgruppe reduziert, da lediglich bestands- oder einzelfallauftragsbezogen geplant werden muss. Auch in diesem Kontext liegt der Wert der GOI letztendlich in der Tatsache, dass die ohne- 64 hin aus Haftungsgründen geforderten zukunftsorientierten Planungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Überlegungen auch rein tatsächlich stets und zeitnah dokumentiert werden. Da die Implementierung der GOI mit einer Zertifizierungsverpflichtung verzahnt ist und die Prüfungsordnung zur GOI die Vorlage der Planrechnung verlangt, sind entsprechende Dokumentationen bei jedem Audit vorzulegen. Andernfalls droht der Entzug des Zertifikats.

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§ 20 Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung Übersicht I. 1. 2. 3.

4.

Wettbewerbsrecht........................................ 1 Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage ................................................ 1 Konflikt zwischen Insolvenz- und Wettbewerbsrecht ........................................ 5 Entwicklungen des UWG und Einfluss auf das Insolvenzverfahren .......................... 6 3.1 Rechtslage nach dem UWG bis 2004.................................................... 7 3.2 Rechtslage nach der Reform von 2004 und der Novellierung von 2008 .......................................... 10 Fallgruppen nach aktuellem Recht............ 12 4.1 Reklame mit Insolvenzwarenverkauf bei Betriebsfortführung – Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG?......................... 13 4.1.1 Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG .......................... 14 4.1.2 Irreführung durch Betriebsfortführung? .......................................... 16 4.1.3 Irreführung durch Preissenkungen ohne Ausverkauf?..................................... 23 4.1.4 Irreführung durch Zukauf von Waren beim Insolvenzwarenverkauf? ........................................... 27 4.1.5 Irreführung durch Rückkehr zu alten Preisen? .................................. 31 4.2 Irreführung durch Unterlassen bei Verschweigen der Insolvenz, § 5a Abs. 1 UWG? ......................... 35 4.3 Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 4 Nr. 4 UWG?.............................. 39 4.3.1 Insolvenzwarenverkauf als Verkaufsförderungsmaßnahme? .... 40 4.3.2 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf Betriebsfortführung? ...................... 43

4.3.3 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf zeitlichen Rahmen des Insolvenzwarenverkaufs? ............... 44 4.3.4 Möglichkeit der Beschränkung des Insolvenzwarenverkaufs auf bestimmte Waren? .......................... 47 5. Zusammenfassung...................................... 50 II. Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter........................................ 53 1. Wirtschaftliche Bedeutung für die Betriebsfortführung .................................. 53 2. Rechtliche Ausgangslage ........................... 57 3. Betriebsfortführung und einzelne Immaterialgüterrechte ............................... 62 3.1 Urheberrechte ................................. 62 3.2 Patentrechte .................................... 66 3.3 Arbeitnehmererfindungen.............. 70 3.4 Gebrauchsmusterrechte.................. 72 3.5 Geschmacksmusterrechte............... 73 3.6 Markenrechte .................................. 74 3.7 Know-how....................................... 75 3.8 Firma................................................ 76 3.9 Unternehmensgeheimnisse ........... 77 3.10 Domains .......................................... 78 4. Betriebsfortführung und Lizenzen ........... 79 4.1 Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers ................................... 80 4.1.1 Voraussetzungen des Wahlrechts....................................... 81 4.1.2 Ausübung des Wahlrechts und dessen Folgen ................................. 82 4.1.2.1 Ausschließliche Lizenzen ......... 83 4.1.2.2 Einfache Lizenzen ..................... 84 4.2 Lizenzen in der Insolvenz des Lizenznehmers ................................ 89 4.3 Rückblick: Gesetzgebungsvorhaben ......................................... 92 5. Sicherungsrechte an immateriellen Wirtschaftsgütern und Lizenzen – Einzelne Aspekte ....................................... 93

Literatur: Bausch, Patentlizenz und Insolvenz des Lizenzgebers, NZI 2005, 289; Benkard, PatG, 10. Aufl., 2006; Berger, Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers, GRUR 2013, 321; Berger, Immaterielle Wirtschaftsgüter in der Insolvenz, ZInsO 2013, 569; Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2008; Bork, Die Doppeltreuhand in der Insolvenz, NZI 1999, 337; Breithaupt/Ottersbach, Kompendium Gesellschaftsrecht, 2010; Brinkmann, Schiedsverfahren über Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers – eine Gleichung mit drei Unbekannten, NZI 2012, 735; Brinkmann, Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, WM 2011, 97; Dahl/ Schmitz, Das Schicksal der Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers – der erneut gescheiterte Versuch einer gestzlichen Regelung und deren Notwendigkeit, BB 2013, 1032; Dreier/Schulze, UrhG, Kommentar, 3. Aufl., 2008; Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, Kommentar, 4. Aufl.,

Wirth/Göb

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§ 20

Teil III Einzelfragen

2010; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl., 2012; Enders, Know How Schutz als Teil des geistigen Eigentums, GRUR 2012, 25; Fezer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Bd. 2, 2. Aufl., 2010; Fezer, Markenrecht, Kommentar, 4. Aufl., 2009; Fischer, Nicht ausschließliche Lizenzen an Immaterialgüterrechten in der Insolvenz des Lizenzgebers, WM 2013, 321; v. Frentz/Masch, Lizenzverträge in der Insolvenz des Lizenzgebers nach den Entscheidungen Reifen Progressiv, Vorschaubilder, M2Trade und Take Five des Bundesgerichtshofes – insolvenzfester Fortbestand der Lizenzen, ZUM 2012, 886; v. Frentz/Masch, Die Insolvenzfestigkeit von Nutzungsrechten an Schutzrechten, ZIP 2011, 1245; Ganter, Patentlizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers, NZI 2011, 833; Gloy/Loschelder/Erdmann (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., 2010; Götting/Nordemann (Hrsg.), UWG Handkommentar, 1. Aufl., 2010; Gundlach/ Frenzel/N. Schmidt, Die Verwertungsbefugnis aus §§ 166 ff. InsO, NZI 2001, 119; Himmelmann/ Leuze/Rother/Kaube/Trimborn, ArbEG, Kommentar, 8. Aufl., 2007; Hölder/Schmoll, Insolvenz des Lizenzgebers, GRUR 2004, 830; Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch, Loseblatt, 26. Lfg. 2008; Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 30. Aufl., 2012; Koehler/Ludwig, Die Behandlung von Lizenzen in der Insolvenz, NZI 2007, 79; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl., 2010; Marotzke, Das M2Trade-Urteil des BGH v. 19.2.2012 (ZInsO 2012, 1611): Ein Stolperstein auf dem Weg zur gesetzlichen Regelung des Insolvenzfestigkeit von Lizenzen?, ZInsO 2012, 1737; Marotzke, Die dinglichen Sicherheiten im neuen Insolvenzrecht, ZZP 109 (1996), 429; McGuire, Nutzungsrechte an Computerprogrammen in der Insolvenz – Zugleich eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, GRUR 2009, 13; Mes, PatG, GebrMG, Kommentar, 3. Aufl., 2011; Meyer-van Raay, Der Fortbestand von Unterlizenzen bei Erlöschen der Hauptlizenz, NJW 2012, 3691; Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mit Preisgabenverordnung, Kommentar, 5. Aufl., 2010; Raeschke-Kessler/Christopeit, Sukzessionsschutz für Lizenzketten (UrhG), ZIP 2013, 345; Schmid/Kampshoff, Lizenzen in der Insolvenz – (Wie) kann sich der Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers absichern?, GRUR-Prax 2009, 50; Scholz, Zum Fortbestand abgeleiteter Nutzungsrechte nach Wegfall der Hauptlizenz – Zugleich Anmerkung zu BGH „Reifen Progressiv“, GRUR 2009, 1107; Simon, Der Debt Equity Swap nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), CF Law 2010, 448; Steinbeck, Die Verwertbarkeit der Firma und der Marke in der Insolvenz, NZG 1999, 133; Tappmeier, Wettbewerbsrechtliche Probleme des Konkurswarenverkaufs, ZIP 1992, 679; Ullmann (Hrsg.), juris PraxisKommentar UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2006; Wallner, Sonstige Rechte in der Verwertung nach den §§ 166 ff. InsO, ZInsO 1999, 453.

I.

Wettbewerbsrecht

1.

Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage

1 Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Unternehmens eröffnet, so haben die Gläubiger die Wahl, ob sie das Unternehmen zerschlagen und den Erlös verteilen wollen oder ob das Unternehmen mit dem Ziel der Sanierung fortgeführt werden soll, § 1 Satz 1 InsO.1) Der Liquidation wird regelmäßig eine temporäre Betriebsfortführung vorangehen, um die Waren i. R. des allgemeinen Geschäftsganges zu veräußern, womit häufig erhebliche Preissenkungen einhergehen. 2 Aber auch bei der Betriebsfortführung kommt es oft zu insolvenzbedingten Verkäufen. Jedenfalls dann, wenn sich das bisher verfolgte Konzept des Unternehmens gerade nicht als effektiv herausgestellt hat. Die Betriebsfortführung wird dann zu einer Neuausrichtung am Markt genutzt. Produkte, die im neuen Sortiment nicht mehr vorgesehen sind, werden möglichst zügig verkauft. Hierbei ist es für den Insolvenzverwalter besonders reizvoll mit der Insolvenz für den Verkauf der Waren zu werben, weil diese dem Kunden besonders günstige Preise verspricht. Der Erlös aus dem Warenverkauf, kann dann wieder in andere Marketingkonzepte investiert werden. 3 Fällt die Wahl auf die Betriebsfortführung, so hat der Insolvenzverwalter unverzüglich die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sanierung zu schaffen. Die Insolvenz kann dabei durchaus auch positive Effekte auf den operativen Fortgang des Unternehmens haben. So sind Insolvenzen von Unternehmen, die zumindest regional bedeutsam sind immer mit einer Publizitätswirkung verbunden und finden in den lokalen Medien und ggf. auch überregionalen oder gar bundesweiten Medien Erwähnung. Nicht selten schafft dies einen ___________ 1) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Stand: 4/2012, § 1 Rz. 16.

604

Wirth/Göb

Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

§ 20

Imagegewinn, etwa durch die Solidarisierung der Öffentlichkeit mit den nun von der Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeitern. Das Bemühen des Insolvenzverwalters, den Betrieb fortzuführen wird zudem von einer 4 Reihe gesetzlicher Rechtsfolgen der Insolvenz unterstützt. So kann der Insolvenzverwalter unter Ausnutzung des Insolvenzgeldzeitraums zusätzliche Liquidität schöpfen. Zudem müssen Altverbindlichkeiten nicht mehr bedient werden, insbesondere entfällt der Kapitaldienst nebst Zinszahlungen.2) Schließlich kann sich der Insolvenzverwalter i. R. von § 103 InsO von unliebsamen Verträgen lösen und muss teilweise nur verkürzte Kündigungsfristen beachten. 2.

Konflikt zwischen Insolvenz- und Wettbewerbsrecht

Da das insolvente Unternehmen unter der Regie des Insolvenzverwalters weiterhin am Markt 5 teilnimmt, ist es auch dessen gesetzlichen Regeln unterworfen. Insbesondere muss das Unternehmen auch in der Insolvenz die Regelungen des UWG beachten.3) Gemäß § 1 UWG dient das Gesetz dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen.4) Zugleich schützt es das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb, § 1 Satz 2 UWG.5) Gerade das Ausnutzen der Insolvenz zu Werbezwecken birgt Konfliktpotential mit dem Lauterkeitsrecht.6) Das insolvente Unternehmen hat am Markt versagt. Die Konkurrenz hat sich mit besseren Strategien durchgesetzt und die Gunst der Kunden erworben. Mit Hilfe des Insolvenzverfahrens kann dieser Erfolg nun aber konterkariert werden. Durch den Werbeeffekt der Insolvenz und die gesetzlichen Erleichterungen wird das Unternehmen nun möglicherweise für sein schlechtes Abschneiden am Markt zulasten der anderen Marktteilnehmer auch noch belohnt. Es droht eine Verzerrung des Wettbewerbs. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Gläubiger, an einer möglichst hohen Befriedigung ihrer Forderungen. Auch diesen Interessen muss bei der Beantwortung der Frage, inwieweit die Ausnutzung der Insolvenz zu Werbezwecken zulässig ist, Rechnung getragen werden. 3.

Entwicklungen des UWG und Einfluss auf das Insolvenzverfahren

Das UWG unterlag in der Vergangenheit einigen Veränderungen, die auch Einfluss auf den 6 Schutzumfang hatten. Dies hatte auch Einfluss auf die Frage, inwieweit die Werbung mit der Insolvenz wettbewerbsrechtlich zulässig ist. 3.1

Rechtslage nach dem UWG bis 2004

Bis 2004 beinhaltete das UWG ein sehr restriktives Wettbewerbsrecht.7) Die Problematik 7 des Insolvenzwarenverkaufs war in § 6 UWG a. F. spezialgesetzlich geregelt, der einen abstrakten Gefährdungstatbestand darstellte.8) Danach war eine Reklame mit dem Hinweis, die Ware komme aus einer Insolvenzmasse nur zulässig, wenn diese tatsächlich aus einer solchen stammte und vom Insolvenzverwalter selbst verkauft wurde. Die Ware durfte nicht durch die Hände Dritter gegangen sein, weil man anderenfalls die Gefahr einer Täuschung der Kunden sah. Diese würden nicht davon ausgehen, dass eine Ware, die als ___________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Tappmeier, ZIP 1992, 679; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 1 Rz. 9, 14. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 1 Rz. 42. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 16 ff. Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.3.

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Insolvenzware bezeichnet wurde noch durch die Hände weiterer Händler gegangen sei, die den Preis durch ihre Gewinnspanne erhöht hätten.9) 8 Des Weiteren durfte nach überwiegender Auffassung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ nur geworben werden, wenn das Unternehmen später liquidiert werden sollte.10) Im Falle einer Sanierung bzw. übertragenden Sanierung war dies nicht zulässig, da der Verbraucher die Erwartung habe, gerade durch den Ausverkauf der Ware besonders günstige Preise erzielen zu können. Vor allem sollten auf diese Weise die Mitbewerber geschützt werden. Durch die Werbemaßnahme des Rivalen verlieren diese wiederum Marktanteile. Dies mögen sie noch toleriert haben, wenn der insolvente Konkurrent danach liquidiert wird und vom Markt verschwindet. Müssen sie allerdings zusehen, wie das insolvente Unternehmen wieder erstarkt, werden sie auf die Einhaltung der allgemeinen Regeln bestehen. Vor 2004 folgte das UWG diesem Interesse und erlaubte die Werbung nur im Falle der Liquidation. 9 Auch §§ 7, 8 UWG a. F. stellten Bedingungen auf, die einen Warenverkauf erschwerten. Unter gewissen Voraussetzungen wurde dieser als Sonderveranstaltung qualifiziert, woran wiederum erschwerte Anforderungen gestellt wurden. So musste für Sonderveranstaltungen ein genauer Zeitrahmen angegeben werden. Ware, die nicht innerhalb dieses Zeitfensters abgesetzt werden konnte, durfte nicht mehr im freien Verkauf angeboten werden. 3.2

Rechtslage nach der Reform von 2004 und der Novellierung von 2008

10 Im Jahre 2004 kam es zu einer grundlegenden Reform des UWG. Ziel war es das nationale Wettbewerbsrecht an das der anderen EU-Staaten anzupassen. Dabei wurden die Zwecke Modernisierung, Europäisierung, Kodifizierung und Intensivierung verfolgt.11) In diesem Zuge wurden die abstrakten Gefährdungstatbestände wie § 6 UWG a. F. und die Regeln für Sonderveranstaltungen gemäß § 8 UWG a. F. abgeschafft. Nun boten sich mehr Möglichkeiten für Werbeaktionen. Die Grenze bildete das Irreführungsverbot nach § 5 UWG.12) 2008 war dann eine erneute Überarbeitung des UWG notwendig, um dieses an die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.5.2005 (Richtlinie 2005/29/EG) anzupassen.13) Ziel war eine Vollharmonisierung der Wettbewerbsgesetze der Mitgliedstaaten im Binnenmarkt.14) 11 Die nun weitergehenden Werbemöglichkeiten hatten auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen dem Wettbewerbs- und dem Insolvenzrecht. Es war jetzt zumindest ein Hinweis auf die Herkunft aus einer Insolvenzmasse nicht mehr irreführend, wenn die Insolvenzware nicht vom Insolvenzverwalter selbst verkauft, sondern ein Zwischenhändler eingeschaltet war.15) Voraussetzung war nur, dass die Ware tatsächlich aus einer Insolvenzmasse stammte. Des Weiteren mussten die zu veräußernden Gegenstände auch zu reduzierten Preisen angeboten werden, weil andernfalls die Erwartung der Verbraucher, Ware zu besonders günstigen Preisen zu erzielen, enttäuscht werden würde.16) Auch hier tendierte ___________ 9) Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.3. 10) Tappmeier, ZIP 1992, 679, 681. 11) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 20; Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.11. 12) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 33. 13) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.22; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 27, 28. 14) Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 30. 15) Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426; Götting/Nordemann-Nordemann, UWG, § 5 Rz. 1.172. 16) Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426.

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die Rechtsprechung dazu, eine solche Werbung nur zuzulassen, wenn das insolvente Unternehmen später auch tatsächlich liquidiert werden sollte.17) 4.

Fallgruppen nach aktuellem Recht

Nach den grundlegenden Änderungen des UWG ist die Betriebsfortführung in der Insolvenz 12 i. R. der einschlägigen Fallgruppen i. E. zu beleuchten. 4.1

Reklame mit Insolvenzwarenverkauf bei Betriebsfortführung – Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG?

Die Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ hat eine hohe Anziehungskraft. 13 Die Adressaten der Reklame verbinden damit einen Verkauf von Produkten zu deutlich reduzierten Preisen.18) Es wird also ein erheblicher Kaufanreiz geschaffen. Im Sinne aller Marktteilnehmer ist deshalb darauf zu achten, dass dieser Begriff nicht missbräuchlich, also nicht unlauter verwendet wird. 4.1.1 Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG Diesen Zweck verfolgt u. a. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG. Danach ist eine geschäftliche 14 Handlung irreführend, wenn sie x

unwahre oder sonst zur Täuschung geeignete Angaben enthält

x

über den Anlass des Verkaufs,

x

wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils, den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, oder die

x

Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird.19)

Dem Kunden soll bei seiner Kaufentscheidung also klar vor Augen geführt werden, welchen 15 Hintergrund die Preisaktion hat. Gleichzeitig dient dies auch dem Schutz der Mitbewerber vor den wettbewerbsverzerrenden Folgen von irreführender Werbung.20) 4.1.2 Irreführung durch Betriebsfortführung? Die Kunden verbinden mit einem Insolvenzwarenverkauf eine erhebliche Preissenkung. 16 Grund dafür ist nicht zuletzt § 159 InsO. Danach hat der Insolvenzverwalter das zur Masse gehörende Vermögen unverzüglich zu verwerten. Unverzüglich meint dabei ohne schuldhaftes Zögern i. S. des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB.21) Der Insolvenzverwalter steht also unter einem gewissen Zeitdruck, das Vermögen des Schuldners möglichst zügig zu versilbern. Gerade hieraus ergibt sich auch die Erwartung der Kunden auf eine erhebliche Preissenkung. Dieser Druck, die Ware möglichst schnell zu Geld zu machen, ist bei einer Betriebsfort- 17 führung nicht immer im gleichen Maße gegeben.22) Dennoch kann die Reklame mit einem Insolvenzwarenverkauf in der Betriebsfortführung nicht schlechthin unzulässig sein.23) Zunächst stammen die angebotenen Waren tatsächlich aus einer Insolvenzmasse (§ 35 ___________ 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23)

Dahingehend: BGH, Urt. v. 11.5.2006 – I ZR 206/02, ZIP 2006, 1208, 1210. Fezer-Pfeifer, UWG, § 5 Rz. 340. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 14 Rz. 1. Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 1.9. Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 5. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117. A. A.: Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 159 Rz. 23a.

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InsO). Es handelt sich dabei also nicht um eine unwahre Angabe i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG. 18 Des Weiteren ist die Angabe auch nicht grundsätzlich zur Täuschung geeignet. Eine solche wäre nur gegeben, wenn die mit dem Insolvenzwarenverkauf in Aussicht gestellten Preisnachlässe tatsächlich nicht gewährt würden24). In diesem Fall läge in der Tat eine Täuschung vor, weil dem Adressaten der Werbung suggeriert würde, aufgrund der Insolvenz sei eine besonders günstige Kaufgelegenheit entstanden. 19 Eine Betriebsfortführung wird aber oft einen Wechsel des Sortiments erforderlich machen. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen am Markt mit seiner Produktpalette und seiner Verkaufsstrategie versagt hat. Eine Sanierung wird dann nur gelingen, wenn sich das Unternehmen am Markt neu orientiert. Auch die Betriebsfortführung wird daher häufig Räumungsverkäufe zur Folge haben. Der Insolvenzverwalter steht auch hier unter Zugzwang. Er ist gehalten, die alte Ware zeitnah zu verwerten, um den Ertrag in ein neues Verkaufskonzept zu investieren. Die Verwendung des Begriffs „Insolvenzwarenverkauf“ ist also nicht irreführend, weil die Erwartungen der Kunden in einer Preissenkung aufgrund des mit der Insolvenz verbundenen Zeitdrucks nicht enttäuscht werden. 20 Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die Drucksituationen des Insolvenzverwalters in der Liquidation und der Betriebsfortführung durchaus von unterschiedlicher Intensität sein können.25) Soll das Unternehmen liquidiert werden, wird es häufig noch so lange fortgesetzt werden, bis alle Waren zu Geld gemacht wurden. Geschieht dies nicht besonders rasch, sind die Kosten, die die Masse für die Anmietung der Verkaufsfläche sowie für die Löhne der Verkäufer aufbringen muss, unter Umständen höher als die Einnahmen durch den Ausverkauf der Waren. Diese Dringlichkeit ist i. R. der Betriebsfortführung nicht zwingend gegeben. Denn oft sind diese Kosten ohnehin im Sanierungskonzept eingeplant. Auch wenn die Verkaufsfläche regelmäßig schnell für die neuen Waren frei gemacht werden soll, hat es der Insolvenzverwalter in der Betriebsfortführung im Einzelfall nicht ganz so eilig. Dies wird sich auch im Preis widerspiegeln. 21 Gleichwohl ist nicht von einer Irreführung i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG auszugehen. Dies hängt insbesondere mit dem geänderten Verständnis vom Begriff der Insolvenz beim angesprochenen Kundenkreis zusammen. Früher wurde die Insolvenz mit der Zerschlagung des Unternehmens gleichgesetzt. Heute ist die Öffentlichkeit über prominente Beispiele26) in den Medien aber dafür sensibilisiert, dass eine Insolvenz nicht zwingend das Ende eines Unternehmens sein muss. Dem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Kundenkreises ist also durchaus bewusst, dass eine Insolvenz auch zu einer Sanierung des Unternehmens führen kann. Folglich ist er nicht über das Zustandekommen des Preises getäuscht. Dem Kunden ist bewusst, dass die Preissenkung möglicherweise nicht die erhofften Ausmaße annehmen wird.27) 22 Dieses Bild von der Insolvenz in der Öffentlichkeit soll gerade auch durch das ESUG28) gefördert werden. Das ESUG will gerade die Chancen einer erfolgreichen Sanierung verbessern.29) Dazu muss die Öffentlichkeit auch damit vertraut gemacht werden, dass die ___________ 24) 25) 26) 27)

Piper/Ohly/Sosnitza-Sosnitza, UWG, § 5 Rz. 426. Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117. Z. B. „Ihr Platz“, „Sinn Leffers“, „Karstadt“. Kritisch hierzu: Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 117; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 159 Rz. 19. 28) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, Nr. 64, 2582. 29) BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff.

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Insolvenz insbesondere auch Möglichkeiten zur nachhaltigen Sanierung ermöglicht und das diese Möglichkeiten in einem Spannungsverhältnis zum Wettbewerbsrecht stehen. 4.1.3 Irreführung durch Preissenkungen ohne Ausverkauf? Wie bereits erörtert, ist eine Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ i. R. der 23 Betriebsfortführung jedenfalls dann zulässig, wenn es zu einem Räumungsverkauf einer bestimmten Filiale oder eines bestimmten Lagers kommt, weil die Situation sich in diesen Fällen nicht erheblich von der eines zu liquidierenden Unternehmens unterscheidet. Fraglich ist, ob mit diesem Begriff auch geworben werden kann, wenn ein Ausverkauf des 24 bestehenden Sortiments überhaupt nicht angestrebt wird, sondern nur neue Kunden durch die reduzierten Preise angelockt werden sollen. Die Adressaten könnten darüber irregeführt werden, dass es zu einem Ausverkauf der Insolvenzware kommen soll und die damit einhergehenden Preissenkungen verbunden sind. Der Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ suggeriert nach wie vor, dass ein bestimmtes Waren- 25 sortiment mit einem gewissen Zeitdruck ab verkauft werden muss. Insofern wären die Kunden getäuscht, wenn es hierzu gerade nicht käme, sondern nur eine Preissenkung zur Belebung des Geschäfts vorläge. Werden Produkte als Insolvenzware bezeichnet, so entsteht der Eindruck, dass das Unternehmen dieser Ware überdrüssig ist und sie daher schnell verkauft werden soll. Ein Räumungsverkauf zum Zwecke der Liquidierung und ein solcher zum Zwecke der Betriebsfortführung gleichen sich in dieser Hinsicht im Wesentlichen. Dass der Ausverkauf bei einer Betriebsfortführung unter Umständen nicht ganz so eilig ist wie bei der Liquidation, muss mit Blick auf die gesetzgeberische Intention einer nachhaltigen Sanierungsmöglichkeit hingenommen werden. Etwas anderes muss aber gelten, wenn ein Räumungsverkauf überhaupt nicht angestrebt wird. Rechtlich ist die Ware dann zwar Insolvenzware, faktisch hat dies aber keine Auswirkungen. Es ist daher irreführend, wenn mit der Insolvenz eine Dringlichkeit suggeriert wird, die tatsächlich nicht besteht. Soll es also zu keinem Leerverkauf kommen, ist der Insolvenzverwalter bei Werbemaß- 26 nahmen gehalten, dies durch Zusätze hinreichend deutlich zu machen oder den Verweis auf die Insolvenz ganz zu unterlassen. 4.1.4 Irreführung durch Zukauf von Waren beim Insolvenzwarenverkauf? Zur Masse des Schuldners gehört nicht nur dessen Vermögen im Zeitpunkt der Insolvenz- 27 eröffnung. Auch Vermögen, das er während des Insolvenzverfahrens erlangt, wird zur Masse gezogen, § 35 Abs. 1 InsO. Insofern ist es denkbar, dass der Insolvenzverwalter während eines Insolvenzwarenverkaufs weitere Gegenstände hinzukauft und diese dann als Insolvenzware weiterveräußert. Neben der praktischen Frage der Wirtschaftlichkeit eines solchen Vorgehens stellt sich auch 28 hier die der Vereinbarkeit mit dem Lauterkeitsrecht. Da auch der neu erworbene Gegenstand zur Insolvenzmasse gehört, wäre es keine unwahre Angabe, ihn als Insolvenzware zu veräußern. Allerdings wäre die Reklame mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ eine zur Täuschung über den Anlass des Verkaufs geeignete Angabe, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG. Der Adressatenkreis einer solchen Werbung glaubt, dass aufgrund der besonderen Not- 29 situation der Insolvenz ein mehr oder weniger zügiger Verkauf von Ware zu reduzierten Preisen von Nöten ist. Keinesfalls erwartet er jedoch, dass i. R. dieser Aktion noch ein wirtschaftlich lohnendes Geschäft des Werbenden gemacht wird.30) Der Kunde wäre also über entscheidende Hintergründe der Preisgestaltung getäuscht. ___________ 30) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 159 Rz. 19.

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30 Durch ein solches Verhalten wären auch die Interessen der anderen Marktteilnehmer erheblich beeinträchtigt. Die Möglichkeiten des Schuldners mit der Insolvenz zu werben, sind ohnehin starke Beeinträchtigungen des Wettbewerbs, die aber durch die Ziele der InsO gerechtfertigt sind. Versuche über die Überwindung der Notsituation hinaus noch ein Geschäft zu machen, müssen jedoch als unlauter angesehen werden.31) Ein insolventes Unternehmen darf Ware, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinzugekauft worden ist, nicht als Insolvenzware bewerben. 4.1.5 Irreführung durch Rückkehr zu alten Preisen? 31 Werden Produkte zu reduzierten Preisen angeboten, kann das Interesse an ihnen auch unabhängig von der günstigen Einkaufsgelegenheit neu entstehen. Fraglich ist, ob ein Warenbestand, der einmal als Insolvenzware beworben und deshalb im Preis reduziert wurde, wieder zu normalen Konditionen verkauft werden kann, wenn das Interesse daran wieder gestiegen ist. In einer solchen Preiserhöhung könnte ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG liegen. Die Kunden haben sich nämlich zunächst darauf eingerichtet, dass sie die vergünstigten Waren bis zum Ausverkauf erwerben können. Dieses Vertrauen wird nun nachträglich enttäuscht, indem schon vor diesem Zeitpunkt die günstige Verkaufsgelegenheit aufgehoben wird. 32 Die Rechtsprechung bejaht daher eine Irreführung, wenn ein Unternehmen nach einem angekündigten Räumungsverkauf wieder zu alten Preisen zurückkehrt.32) Dies gelte auch, wenn eine solche Rückkehr nicht von vornherein angestrebt, sondern erst nachträglich durch einen Sinneswandel verursacht worden sei. Die subjektive Einstellung des Unternehmers spiele keine Rolle; es komme auf die objektive Wirkung beim angesprochenen Kundenkreis an.33) Eine Rückkehr zu alten Preisen sei daher nicht möglich. 33 Dies gilt auch für den Insolvenzwarenverkauf. Wie bereits dargelegt, ist ein solcher grundsätzlich nur in Form eines Räumungsverkaufs möglich. Anders als bei einem „normalen“ Räumungsverkauf liegt beim Insolvenzwarenverkauf aber erkennbar keine völlig freiwillige kaufmännische Entscheidung zugrunde. Der Insolvenzverwalter ist hierzu vielmehr wegen der finanziellen Notlage gedrängt. Durch die Verwendung des Begriffs „Insolvenz“ wird dies auch den Kunden deutlich. Diese müssen daher ggf. damit rechnen, dass die Preise wieder steigen, wenn die Notlage aufgrund besserer Absatzchancen wieder beseitigt ist. 34 Allerdings wäre damit eine hohe Missbrauchsgefahr verbunden. Es ist kaum messbar, ab wann eine Übernahme der Insolvenzware in den regulären Warenbestand wieder wirtschaftlich lohnenswert ist. Dies wäre vom Gutdünken des Insolvenzverwalters abhängig, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde. Des Weiteren sind auch Räumungsverkäufe nur selten ganz freiwillig. Auch diese werden durch wirtschaftliche Zwänge veranlasst, so dass eine Differenzierung zwischen „normalen“ und insolvenzbedingten Räumungsverkäufen nicht gerechtfertigt erscheint. Die Gläubiger müssen sich also an ihrem einmal getroffenen Entschluss, einen Räumungsverkauf durchzuführen, festhalten lassen. Eine Übernahme der einmal als Insolvenzware beworbenen Produkte in das reguläre Sortiment ist nicht mehr möglich.34) ___________ 31) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, Stand: 4/2008, § 159 Rz. 22; Gloy/Loschelder/Erdmann/HelmHelm, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 59 Rz. 406; a. A.: Görg in: MünchKomm-InsO, § 159 Rz. 14; UllmannLink, UWG, § 5 Rz. 393. 32) OLG Köln, Urt. v. 18.9.2009 – 6 U 79/09, GRUR-RR 2010, 250, hier allerdings nicht in Bezug auf den Räumungsgrund, sondern auf die unrichtige Angabe der Geschäftsschließung in einer Woche; Köhler/ Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.8. 33) OLG Köln, Urt. v. 18.9.2009 – 6 U 79/09, GRUR-RR 2010, 250. 34) OLG Frankfurt, Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung 4.2

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Irreführung durch Unterlassen bei Verschweigen der Insolvenz, § 5a Abs. 1 UWG?

In vielen Fällen ist eine Werbung mit dem Schlagwort „Insolvenzwarenverkauf“ lohnens- 35 wert. Oft wird so ein besonderer Kaufanreiz geschaffen und der Warenabsatz kurzfristig erhöht. In manchen Fällen mag der Insolvenzverwalter jedoch doch lieber davon Abstand nehmen, mit diesem Begriff zu werben. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das insolvente Unternehmen einen besonders guten Ruf hat, der in der Betriebsfortführung erhalten bleiben soll und nicht mehr als unbedingt notwendig mit dem Makel einer Insolvenz in Verbindung gebracht werden soll. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob ein solches Vorgehen aus wettbewerbsrechtlicher 36 Sicht zulässig ist oder gegen § 5 a Abs. 1 UWG verstößt. Danach sind bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache irreführend ist, insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. In der Regel wird die Tatsache der Insolvenz die Kaufentscheidung eines Kunden aber nur 37 positiv beeinflussen. Dies kann im Einzelfall jedoch anders sein. Gerade bei Geschäften, mit denen ein längerer Kontakt mit dem Kunden verbunden ist, kann die Insolvenz die Entscheidung des Kunden maßgeblich beeinflussen. Dies kann der Fall sein, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmens über das konkrete Geschäft hinaus von Bedeutung ist. So kann der Käufer eines Produkts gerade darauf angewiesen sein, dass ihm das insolvente Unternehmen auch in Zukunft für Wartungsarbeiten zur Verfügung steht. Oder es ist für den Kunden erkennbar von wirtschaftlicher Bedeutung, dass das Unternehmen bei Mängeln der Ware haften kann.35) Die Hinweispflicht ist also vom Einzelfall abhängig. In der Regel, insbesondere bei Barge- 38 schäften des täglichen Lebens, wird sie aber nicht notwendig sein.36) 4.3

Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 4 Nr. 4 UWG?

§ 3 UWG gilt als Generalklausel des UWG, die unlautere Geschäftspraktiken verbietet. 39 § 4 UWG konkretisiert die Unlauterkeit, indem dort geschäftliche Handlungen aufgelistet werden, die in jedem Fall als unlauter gelten sollen. § 4 Nr. 4 UWG enthält dabei das sog. Transparenzgebot.37) Unlauter handelt danach derjenige, der bei Verkaufsförderungsmaßnahmen, wie Preisnachlässen, Zugaben oder Geschenken, die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angibt. Der Begriff der Verkaufsförderungsmaßnahme entstammt dem Unionsrecht. Er ist daher richtlinienkonform i. S. von geldwerten Vergünstigungen auszulegen.38) 4.3.1 Insolvenzwarenverkauf als Verkaufsförderungsmaßnahme? Differenziert ist zu betrachten, ob es sich bei einem Insolvenzwarenverkauf um eine Ver- 40 kaufsförderungsmaßnahme handelt. Es käme eine solche in Form eines Preisnachlasses in Frage, weil der Insolvenzwarenverkauf mit Preissenkungen verbunden ist.

___________ 35) Kübler/Prütting/Bork-Onusseit, InsO, § 159 Rz. 21a; Ott/Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 116; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5a Rz. 16. 36) BGH, Urt. v. 11.5.1989 – I ZR 141/87, GRUR 1989, 682, 683 = ZIP 1989, 937; Piper/Ohly/SosnitzaSosnitza, UWG, § 5 Rz. 427; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.3. 37) Köhler/Bornkamm Köhler, UWG, § 4 Rz. 4.1. 38) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, § 4 Rz. 4.7.

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41 Bislang sieht die Rechtsprechung im Insolvenzwarenverkauf keine Verkaufsförderungsmaßnahme.39) Bei der Frage, ob es sich um einen Preisnachlass und damit um eine Verkaufsförderungsmaßnahme handelt, sei nämlich auf die konkrete Situation des Unternehmens in der Insolvenz abzustellen. In dieser Situation handele es sich aber nicht um ermäßigte, sondern um neue, von nun an dauerhaft geltende Preise.40) Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG soll danach bereits aus diesem Grund ausscheiden. 42 Zu beachten ist jedoch, dass sich diese Rechtsprechung bisher nur auf Unternehmen bezog, die später liquidiert werden sollten. Unklar ist, ob die genannten Gedanken auch für die Betriebsfortführung in der Insolvenz fruchtbar gemacht werden können. Dagegen spricht, dass eben nicht dauerhaft reduzierte Preise gefordert werden sollen. Nach Abverkauf eines bestimmten Warensortiments soll das Unternehmen vielmehr neu aufgestellt werden und dann wieder am normalen Marktgeschehen teilnehmen. Die Situation ähnelt damit aber eher der eines Räumungsverkaufes. Preissenkungen i. R. eines Räumungsverkaufes werden von der Rechtsprechung aber als Preisnachlässe und damit als Verkaufs-förderungsmaßnahmen i. S. des § 4 Nr. 4 UWG angesehen.41) Es spricht deshalb viel dafür, einen Insolvenzwarenverkauf in der Betriebsfortführung als Verkaufsförderungsmaßnahme nach § 4 Nr. 4 UWG zu betrachten. 4.3.2 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf Betriebsfortführung? 43 Allein im fehlenden Hinweis auf die Betriebsfortführung kann kein Verstoß gegen das Transparenzgebot erblickt werden. Denn dem angesprochenen Kundenkreis ist bewusst, dass er i. R. der Insolvenz vergünstigte Waren in Anspruch nehmen kann. Ob das Unternehmen später liquidiert oder ob es saniert und fortgesetzt werden soll, hat keinen Einfluss auf die Bedingungen der Inanspruchnahme. Dem Adressaten der Werbung ist klar, dass er die vergünstigten Preise für die Dauer des Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen kann. Die Preise sind aber unabhängig vom Schicksal des Unternehmens reduziert. Die Frage, was mit dem Unternehmen später geschieht, hat für die Kaufentscheidung des Kunden also keine Relevanz. 4.3.3 Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG wegen fehlenden Hinweises auf zeitlichen Rahmen des Insolvenzwarenverkaufs? 44 Mag es für den Kunden irrelevant sein, ob das Unternehmen liquidiert oder saniert wird, so ist es für seine Kaufentscheidung doch von Wichtigkeit, in welchem Zeitrahmen er die im Preis reduzierte Ware in Anspruch nehmen kann. 45 Allerdings sollen Werbungen mit Preisnachlässen ohne Angabe eines zeitlichen Rahmens nur dann gegen das Transparenzgebot verstoßen, wenn ein solcher Rahmen bereits tatsächlich abgesteckt ist.42) Keinesfalls besteht die Pflicht des Werbenden eine solche Begrenzung erst zu schaffen43). Denn eine solche Pflicht würde der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen.44) Mit der Reform des UWG im Jahre 2004 sollte gerade eine Liberalisierung der ___________ 39) OLG Frankfurt, Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092. 40) OLG Frankfurt, Urt. v. 27.3.2008 – 6 U 66/07, ZIP 2008, 1092; in Bezug auf die Rechtlage vor 2004: BGH, Urt. v. 11.5.2006 – I ZR 206/02, ZIP 2006, 1208, 1210. 41) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184. 42) BGH, Urt. v. 11.9.2008 – I ZR 120/06, GRUR 2008, 1114, 1115; BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.6. 43) OLG Köln, Beschl. v. 6.3.2006 – 6 W 27/06, GRUR 2006, 786; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, UWG, § 5 Rz. 6.6. 44) BGH, Urt. v. 11.9.2008 – I ZR 120/06, GRUR 2008, 1114, 1115.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

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Werbemaßnahmen erreicht werden.45) Unter anderem sollten die engen Voraussetzungen der Sonderveranstaltungen nach § 8 UWG a. F. wegfallen. Fortan sollte es möglich sein, zu jeder Zeit Werbeaktionen durchzuführen.46) Würde man nun eine zeitliche Begrenzung fordern, so liefe dies doch wieder auf eine Sonderveranstaltung hinaus, weil diese Grenzen dann auch eingehalten werden müssten und die Preisnachlässe in der Folge gerade nicht beliebig gegeben werden könnten.47) Es muss also kein zeitlicher Rahmen für den Insolvenzwarenverkauf vorgegeben werden. Etwas anderes gilt aber für den Anfang der Maßnahme. Beginnt der Insolvenzwarenver- 46 kauf sofort, ist kein weiterer Hinweis notwendig, da ein durchschnittlich verständiger Kunde, die Reklame in diesem Sinne verstehen wird. Soll der Insolvenzwarenverkauf aber erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen, ist ein Hinweis auf diesen Zeitpunkt erforderlich, um die Bedingungen der Inanspruchnahme klar und eindeutig anzugeben und einen Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG zu vermeiden.48) 4.3.4 Möglichkeit der Beschränkung des Insolvenzwarenverkaufs auf bestimmte Waren? Nicht immer ist ein vollständiger Ausverkauf des alten Sortiments des insolventen Unter- 47 nehmens angezeigt. Der Insolvenzverwalter mag es für sinnvoll halten, bestimmte Produkte weiter am Markt anzubieten und nur einige schlecht laufende Artikel abzustoßen. Eine Werbung mit dem Begriff „Insolvenzwarenverkauf“ wird in diesem Fall jedoch gegen das Transparenzgebot verstoßen, § 4 Nr. 4 UWG. Die Insolvenz erfasst das gesamte Vermögen des Unternehmens.49) Die Kunden erwarten daher auch, dass das Unternehmen als solches in Not geraten ist und dementsprechend alle seine Waren zu vergünstigten Preisen anbietet. Sind nur bestimmte Waren im Preis reduziert, bleibt dem Kunden verborgen, auf welche Produkte sich der Preisnachlass bezieht. Gleichzeitig wird in einem solchen Fall ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 5 UWG vorliegen, weil die universale Wirkung des Wortes „Insolvenz“ suggeriert, dass alle Waren von der Preissenkung betroffen sind. Dies muss auch in solchen Fällen gelten, in denen die Werbung unter dem Schlagwort 48 „Insolvenzwarenverkauf“ in einem Zusatz die reduzierten Produkte genau bezeichnet. Denn auch in solchen Fällen entstünde ein widersprüchlicher Eindruck bei den Kunden. Insolvent kann gerade nur das Unternehmen als solches sein. Insofern wäre es irreführend, wenn dann nur bestimmte Artikel vergünstigt angeboten werden. § 5 und § 4 Nr. 4 UWG wären gleichermaßen verletzt. Der Insolvenzverwalter ist in solchen Situationen also gehalten, von der Werbung mit dem 49 Begriff „Insolvenz“ Abstand zu nehmen. Unbenommen bleibt ihm jedoch, mit Preisnachlässen für die konkreten Artikel zu werben. 5.

Zusammenfassung

Auch i. R. einer Betriebsfortführung darf ein insolventes Unternehmen mit dem Begriff 50 „Insolvenzwarenverkauf“ werben. Da die Kunden damit einen Ausverkauf zu erheblich vergünstigten Preisen erwarten, ist eine solche Werbung nur im Zusammenhang eines Räumungsverkaufes einer Filiale oder eines bestimmten Warenlagers zulässig. Dass die ___________ 45) Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann, Hdb. Wettbewerbsrecht, § 1 Rz. 20; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rz. 20; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 159 Rz. 19. 46) Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, Einl. Rz. 2.12. 47) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1184. 48) BGH, Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 66/07, GRUR 2009, 1183, 1185. 49) Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 1.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

Preissenkungen wegen des geringeren Zeitdrucks in der Betriebsfortführung unter Umständen nicht immer denen in der Liquidation entsprechen, muss mit Blick auf die Intention der InsO, eine nachhaltige Sanierung zu ermöglichen, hingenommen werden. 51 Unzulässig ist die Reklame mit „Insolvenzwarenverkauf“ hingegen, wenn der Preis nur gesenkt wird, ohne dass dabei ein Ausverkauf der Ware angestrebt wird. Die gilt erst recht, wenn der Preis überhaupt nicht reduziert wird. Weiterhin darf sich die Preissenkung beim Ausverkauf nicht nur auf bestimmte Produkte beziehen, während andere weiterhin zum regulären Preis angeboten werden. Ein einmal unter Insolvenzwarenverkauf angebotenes Produkt, darf nicht wieder zum alten Preis in das Sortiment aufgenommen werden. 52 Nicht erforderlich ist hingegen die Angabe eines Zeitrahmens für den Insolvenzwarenverkauf. Lediglich auf den Anfang muss in der Reklame aufmerksam gemacht werden, wenn der Insolvenzwarenverkauf nicht ab sofort, sondern erst später beginnen soll. II.

Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter

1.

Wirtschaftliche Bedeutung für die Betriebsfortführung

53 Die Zulässigkeit der Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern kann je nach Geschäftsmodell für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher oder sogar entscheidender Bedeutung sein. Aber auch die Existenz von Unternehmen, die Rechte an immateriellen Wirtschaftsgütern von dem Insolvenzschuldner ableiten, ggf. als Lizenznehmer oder Unterlizenznehmer, sind von der Behandlung immaterieller Wirtschaftsgüter und Nutzungsrechten in der Insolvenz abhängig. 54 Diese Fragen der Nutzung und Verwertbarkeit immaterieller Wirtschaftsgüter und Lizenzen können den Insolvenzverwalter während des gesamten Insolvenzverfahrens begleiten. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass im eröffneten Insolvenzverfahren sowohl insolvenz- als auch immaterialgüterrechtliche Regelungen beachtet und miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Zudem stellen sich regelmäßig Fragen der insolvenzfesten Bestellung von Sicherheiten an immateriellen Wirtschaftsgütern und Nutzungsrechten. 55 Aber auch schon bei der Erstellung einer Überschuldungsbilanz sind immaterielle Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen und einzustellen, soweit sie tatsächlich veräußerlich sind.50) 56 Bei der Bestimmung des Umfangs der Insolvenzmasse ist zu beachten, dass immaterielle Wirtschaftsgüter nicht an einen Ort gebunden, sondern weltweit belegen sein können. Nach dem immaterialgüterrechtlichen Territorialprinzip können daher in jedem Staat gesonderte Schutzrechte (z. B. Urheber-, Patenrechte) an einem Wirtschaftsgut bestehen, weshalb der Insolvenzverwalter in diesem Fall ein „Rechtebündel“ in der Insolvenzmasse vorfinden wird.51) In Europa ist mit der EuInsVO sichergestellt, dass sich die Sicherung, Verwaltung und Verwertung auch auf außerhalb des Eröffnungsstaats belegene, immaterielle Wirtschaftsgüter erstreckt.52) 2.

Rechtliche Ausgangslage

57 Für die rechtliche Zuordnung zur Insolvenzmasse und somit für die Verwert- und Nutzbarkeit bei der Betriebsfortführung ist zwischen dem Immaterialgüterrecht als solchem und den daraus ableitbaren Nutzungsrechten, insbesondere Lizenzen, zu differenzieren. ___________ 50) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 64; Gehde in: Münch-AHB PersonengesR, § 11 Rz. 215, stellt hierbei auf die tatsächliche Möglichkeit der Veräußerung ab; Breithaupt/Ottersbach-Ehrlichmann, Kompendium GesR, § 1 Rz. 14, stellt hingegen auf die Veräußerlichkeit im Insolvenzverfahren ab. 51) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4. 52) Berger, ZInsO 2013, 569, 570.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

§ 20

Immaterielle Wirtschaftsgüter können vom Insolvenzverwalter zur Betriebsfortführung 58 genutzt werden, wenn sie zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehören und sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO) auf das jeweilige Immaterialgüterrecht erstreckt. Dies richtet sich primär nach spezialgesetzlichen Regelungen für das jeweilige Wirtschaftsgut. Sofern solche nicht existieren, ist zu prüfen, ob das jeweilige Immaterialgüterrecht der Zwangsvollstreckung unterliegt (vgl. §§ 35, 36 InsO). Dies ist bei freier Übertragbarkeit (§§ 851, 857 ZPO) des Rechts der Fall. Diese Übertragbarkeit von Immaterialgüterrechten richtet sich wiederum nach den spezialgesetzlichen Regelungen des jeweiligen Rechts.53) Vom Insolvenzbeschlag wird grundsätzlich auch der Lizenzvertrag erfasst.54) Inwieweit 59 schuldrechtliche Ansprüche aus einem bei Insolvenzeröffnung ungekündigten Lizenzvertrag für die Betriebsfortführung genutzt werden können – sei es als Lizenzgeber oder (Unter-)Lizenznehmer – hängt davon ab, ob dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nach § 103 InsO zusteht und wie er dieses ausübt. Ob neben den schuldrechtlichen Ansprüchen aus dem Lizenzvertrag auch das dem Insol- 60 venzschuldner vor Insolvenzeröffnung erteilte Nutzungsrecht als solches in die Insolvenzmasse fällt, ist umstritten (Einzelheiten und Konsequenzen siehe Rz. 79 ff.).55) Ungeklärt ist bislang auch die Frage, ob dem Insolvenzverwalter ein Verwertungsrecht 61 (analog § 166 InsO) bei Immaterialgüterrechten zusteht, die mit einem Absonderungsrecht (so z. B. bei Sicherungsübertragung oder Verpfändung) belastet sind (Einzelheiten und Konsequenzen vgl. Rz. 93 ff.). 3.

Betriebsfortführung und einzelne Immaterialgüterrechte

3.1

Urheberrechte

Gemäß § 29 Abs. 1 UrhG ist die rechtsgeschäftliche Übertragung von Urheberrechten 62 (vgl. zu den geschützten Werken § 2 UrhG) ausgeschlossen und die Zwangsvollstreckung in das Recht gemäß § 113 Abs. 1 UrhG nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers zulässig. Im Ergebnis gehören Urheberrechte daher nur dann zur Insolvenzmasse, wenn der Schuldner hierzu seine Zustimmung erteilt hat.56) Die Verweigerung der Zustimmung soll in Einzelfällen als rechtsmissbräuchlich anzu- 63 sehen sein, so dass die Zustimmung als erteilt anzusehen ist.57) Rechtsmissbräuchlich kann die Zustimmungsverweigerung dann sein, wenn der Urheber mit anderen Vertragspartnern bereits die Verwertung in einer Weise eingeleitet hat, die seine persönlichen Interessen nicht berücksichtigt.58) Inhaltlich kann das Urheberrecht für die Insolvenzmasse – bei Zustimmung des Schuldners 64 – wegen der Unübertragbarkeit gemäß § 29 Abs. 1 UrhG nur durch die eigene Nutzung

___________ 53) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 238. 54) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 311; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 7/2007, § 35 Rz. 104. 55) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 254; Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Marotzke, ZInsO 2012, 1737, 1744; Berger, ZInsO 2013, 759, 572 f. 56) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 13 Rz. 94; LoewenheimKreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 340, 346; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 44; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 57) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 13 Rz. 95. 58) Berger/Wündisch-Abel, Urhebervertragsrecht, § 13 Rz. 95.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

oder die Gewährung von Nutzungsrechten verwertet werden;59) eine Vollübertragung des Rechts ist ausgeschlossen.60) 65 Werkoriginale können hingegen mit Einwilligung des Schuldners veräußert werden.61) Vervielfältigungsstücke und Kopien gehören nur dann nicht ohne weiteres zur Insolvenzmasse, wenn der Schuldner sich die Veröffentlichung noch vorbehalten hatte.62) 3.2

Patentrechte

66 Das Recht auf das Patent, der Anspruch auf Erteilung des Patents und das Recht aus dem Patent können nach § 15 Abs. 1 Satz 2 PatG beschränkt oder unbeschränkt übertragen werden. Aufgrund der Übertragbarkeit und der daraus folgenden Pfändbarkeit (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO)63), gehören diese Rechte grundsätzlich zur Insolvenzmasse.64) 67 Umstritten ist aber, ab welchem Zeitpunkt das vor der Anmeldung zum Deutschen Marken- und Patentamt bestehende Recht auf das Patent aufgrund seiner Doppelnatur – vermögens- und personenrechtlicher Charakter – pfändbar und damit Bestandteil der Insolvenzmasse ist.65) Nach h. M. entsteht das Recht auf das Patent, wenn der Erfinder seine Erfindung in der Weise verlautbart hat, dass Dritte die Möglichkeit haben von der Erfindung Kenntnis zu nehmen.66) Aufgrund des personenrechtlichen Charakters soll es jedoch erst dann pfändbar sein und damit in die Insolvenzmasse fallen, wenn der Erfinder seine Absicht kundgetan hat, seine Erfindung zu verwerten.67) Der Persönlichkeitsgehalt des Rechts führt dazu, dass dem Erfinder ein Wahlrecht zusteht, ob er seine Erfindung wirtschaftlich verwerten oder ungenutzt lassen möchte.68) 68 Geheimpatente (§ 50 PatG) fallen in die Insolvenzmasse des Schuldners, bei der Verwertung durch Lizenzvergabe oder Veräußerungen sind die Geheimhaltungsvorschriften weiterhin zu berücksichtigen.69) 69 Wurde ein Patent beim Europäischen Patentamt angemeldet (sog. europäisches Patent)70), zerfällt es mit Erteilung in ein „Bündel“ einzelner nationaler Patente in den Staaten, die in der Anmeldung benannt worden sind.71) Die im Ausland belegenen Wirtschaftsgüter ___________ 59) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 43; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 60) Berger, ZInsO 2013, 569, 571; Dreier/Schulze-Schulze, UrhG, § 29 Rz. 3. 61) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 53; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 45; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 62) Loewenheim-Kreuzer/Reber, Hdb. Urheberrecht, § 95 Rz. 52; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 44; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 248. 63) BGH, Urt. v. 24.3.1994 – X ZR 108/91, NJW 1994, 3099 = BB 1994, 1246. 64) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 296; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 70. 65) Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 58; Kilian/Heussen-Kammel, Computerrechts-Hdb., Stand: 26. Lfg. 2008, Software in der Insolvenz Rz. 30; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 301. 66) Benkard-Melullis, PatG, § 6 Rz. 7. 67) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 305; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 58; Kilian/ Heussen-Kammel, Computerrechts-Hdb., Stand: 26. Lfg. 2008, Software in der Insolvenz Rz. 30; Nerlich/ Römermann-Andres, InsO, § 35 Rz. 70; Gottwald-Klopp/Kluth, Hdb. InsR, § 25 Rz. 56; Kübler/ Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 7/2007, § 35 Rz. 98; a. A. auf die Kundgabe der Verwertungsabsicht kommt es nicht an, schon die Verlautbarung ist ausreichend Mes, PatG, GebrMG, § 15 PatG Rz. 8 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 10.11.1970 – X ZR 54/67 (Wildbissverhinderung), GRUR 1971, 210, 213. 68) RG, Urt. v. 3.10.1902 – VII 204/02, RGZ 52, 227, 231; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 305. 69) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 306; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 61. 70) Abzugrenzen vom sog. Gemeinschaftspatent; das europäische Patent entfaltet nicht in der gesamten europäischen Gemeinschaft seine Wirkung, lediglich die Patentanmeldung und das Verfahren der Patenterteilung ist einheitlich; vgl. Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4. 71) Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 4.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

§ 20

werden dann von dem deutschen Insolvenzverfahren erfasst und können zur Insolvenzmasse gehören, wenn x

die Insolvenzeröffnung von dem Staat, in dem die Wirtschaftsgüter belegen sind, anerkannt wird72) und

x

das Patent pfändbar ist.

3.3

Arbeitnehmererfindungen

Die Massezugehörigkeit von Arbeitnehmererfindungen richtet sich nach den insolvenz- 70 rechtlichen Sonderregeln des § 27 ArbnErfG. Die vermögensrechtlichen Werte der Arbeitnehmererfindung fallen in die Insolvenzmasse, wenn der Arbeitgeber die Erfindung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 7 Abs. 1 ArbnErfG in Anspruch genommen hat.73) Hinsichtlich der Verwertung von Arbeitnehmererfindungen ist zwischen den in § 27 ArbnErfG aufgeführten Konstellationen zu unterscheiden: x

Wird die Arbeitnehmererfindung vom Insolvenzverwalter mit dem Geschäftsbetrieb veräußert, so tritt der Erwerber für die Zeit ab Insolvenzeröffnung in die Vergütungspflicht der Arbeitgebers (§ 9 ArbnErfG) ein (§ 27 Nr. 1 ArbnErfG).74)

x

Wird die Erfindung durch Benutzung im insolventen Betrieb verwertet (§ 27 Nr. 2 ArbnErfG), hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

x

Will der Insolvenzverwalter die Diensterfindung ohne den Geschäftsbetrieb veräußern oder das Schutzrecht nicht aufrechterhalten, hat er die Erfindung dem Arbeitnehmer anzubieten (§ 27 Nr. 3 Satz 2 ArbnErfG).

Sofern es zu einer isolierten Veräußerung kommt, kann der Insolvenzverwalter mit dem 71 Erwerber eine angemessene Vergütung des Erfinders i. S. von (§ 9 ArbnErfG) vereinbaren. Ansonsten ist eine angemessen Vergütung aus dem Veräußerungserlös zu zahlen; die Literatur75) hält hier ca. 40 % des Bruttoverkaufspreises, abzüglich etwaiger, nach Fertigstellung erforderliche, anteilige Entwicklungskosten, für angemessen. 3.4

Gebrauchsmusterrechte

Das Recht auf das Gebrauchsmuster, der Anspruch auf seine Eintragung und das durch 72 die Eintragung begründete Recht sind aufgrund ihrer wahlweise beschränkten oder unbeschränkten Übertragbarkeit (§ 22 Abs. 1 Satz 2 GebrMG) pfändbar (§§ 857 Abs. 1, 851 Abs. 1 ZPO) und gehören somit zur Insolvenzmasse. Dies gilt auch für Geheimgebrauchsmuster (§ 9 GebrMG), soweit die Geheimhaltungsvorschriften weiterhin beachtet werden.76) 3.5

Geschmacksmusterrechte

Das angemeldete Geschmacksmusterrecht ist übertragbar, pfändbar und unterliegt dem 73 Insolvenzbeschlag (§§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 3 GeschmMG).77) Vor der Anmeldung des Ge___________ 72) Berger, ZInsO 2013, 569, 570. Innerhalb der Europäischen Union wird die Insolvenzeröffnung unter Geltung der EuInsVO grundsätzlich anerkannt, vgl. Art. 16 Abs. 1 i. V. m. Art. 3, 2 lit. a, Anhang A EuInsVO. 73) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 331; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 240; Himmelmann/Leuze/ Rother/Kaube/Trimborn-Rother, ArbEG, § 27 Rz. 2. 74) Vgl. hierzu LG Düsseldorf, Urt. v. 10.8.2010 – 4 a O 132/09, NZI 2012, 627, 630. 75) Henn-Anschütz in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 112. 76) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 295; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 57. 77) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 325; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 56; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 247; Eichmann/v. Falckenstein-Eichmann, GeschmMG, § 30 Rz. 6.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

schmacksmusters beim Deutschen Patent- und Markenamt ist das geschmacksmusterrechtliche Anwartschaftsrecht nur dann Teil der Insolvenzmasse wenn der Gestalter des Musters das Recht zur Anmeldung dem Insolvenzschuldner eingeräumt hat78) oder das Geschmacksmuster vom Entwerfer erkennbar zur Verwertung bestimmt wurde.79) Unterfällt das Geschmacksmuster zugleich dem Urheberrechtsschutz (§ 2 UrhG; sog. Doppelschutz) sind die urheberrechtlichen Einschränkungen (§§ 112 ff. UrhG, vgl. Rz. 62 ff.) bei der insolvenzrechtlichen Verwertung zu beachten. 3.6

Markenrechte

74 § 29 MarkenG bestimmt ausdrücklich, dass Marken der Zwangsvollstreckung unterliegen und setzt in Absatz 3 voraus, dass sie vom Insolvenzverfahren erfasst werden können. Ab Insolvenzeröffnung liegt das Verfügungs- und Verwertungsrecht beim Insolvenzverwalter, der die Marke unabhängig vom Geschäftsbetrieb – selbst wenn die Marke einen Personenamen enthält80) – verwerten kann.81) Ansprüche aus einer Markenrechtsverletzung (§§ 14 ff. MarkenG) sind ebenso Massebestandteil und können vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.82) 3.7

Know-how

75 Unter dem Begriff des „Know-how“ fällt kaufmännisches, betriebswirtschaftliches und technisches Wissen, das nicht allgemein zugänglich und durch ein Patent geschützt ist.83) Noch kein Bestandteil der Insolvenzmasse ist das Know-how, solange es sich noch im Kopf des Wissensträgers befindet und weder konkretisiert noch fassbar ist.84) Besteht bereits ein Know-how-Vertrag oder wurde ein Preis für den Know-how-Gegenstand vereinbart, so fallen die schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Know-how-Lizenzvertrag in die Insolvenzmasse und in den Anwendungsbereich des § 103 InsO.85) Das Nutzungsrecht am Know-how ist ein unveräußerbares und unpfändbares Recht und soll daher nicht in die Insolvenzmasse des Know-how-Nehmers fallen.86) 3.8

Firma

76 Heute ist weitestgehend anerkannt, dass der Insolvenzverwalter die Firma, unabhängig davon, ob sie den persönlichen Namen eines Einzelkaufmanns oder Gesellschafters enthält, auch ohne dessen Zustimmung vom Insolvenzverwalter veräußern werden kann.87) Entscheidet sich der Einzelkaufmann oder Gesellschafter zur kommerziellen Nutzung

___________ 78) Eichmann/v. Falckenstein-Eichmann, GeschmMG, § 30 Rz. 6; BGH, Urt. v. 2.4.1998 – IX ZR 232/96, NJW-RR 1998, 1057, 1058 = ZIP 1998, 830 (die Notwendigkeit einer Zustimmung des Gestalters lässt der BGH mangels Relevanz im konkreten Fall offen). 79) Eichmann/v. Falckenstein-Eichmann, GeschmMG, § 30 Rz. 6. 80) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 37. 81) BGH, Urt. v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, NJW 2000, 2195, 2198. 82) Fezer, Markenrecht, § 29 MarkenG Rz. 34. 83) Enders, GRUR 2012, 25, 26; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 376. 84) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 377. 85) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 253; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 377, 380. 86) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 381; vgl. Ausführungen zu Rz. 84 ff. 87) Berger, ZInsO 2013, 569, 570; Steinbeck, NZG 1999, 133, 135 ff.; Gehde in: Münch-AHB PersonengesR, § 11 Rz. 295; Bedenken äußert Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rz. 23 ff.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

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seines Namens, die nach § 18 HGB nicht zwingend ist, kann der in der Firma steckende Vermögenswert der Insolvenzmasse nicht entzogen werden.88) 3.9

Unternehmensgeheimnisse

Ungeklärt ist, ob Betriebs- und Unternehmensgeheimnisse in die Insolvenzmasse fallen, da 77 ihnen kein subjektives Vermögensrecht zugrunde liegt und es folglich an einem pfändbaren Recht fehlt.89) Der BGH hat Produktionsgeheimnissen im Geltungsbereich der KO einen Vermögenswert zugewiesen, weshalb sie vom Insolvenzbeschlag erfasst und veräußert werden können.90) 3.10 Domains Nach der Rechtsprechung des BGH91) kann eine „Internetdomain“, d. h. der Domain- 78 name selbst, nicht Gegenstand einer Pfändung sein, da sie als solche kein Vermögensrecht i. S. von § 857 Abs. 1 ZPO darstellt. Die Internetdomain sei lediglich eine technische Adresse, die dem Inhaber keinen Absolutheitsanspruch gewährt, der durch Parteivereinbarung geschaffen werden kann oder vom Gesetzgeber herrührt.92) Vielmehr sei die Gesamtheit der zwischen dem Schuldner und der Registrierungsbehörde abgeschlossenen schuldrechtlichen Verträge als andere Vermögensgegenstände i. S. von § 857 Abs. 1 ZPO Gegenstand der Pfändung in eine Domain.93) Im Einzelnen kann somit der Insolvenzmasse x

der Registrierungsanspruch,

x

der Anspruch auf Aufrechterhaltung der Eintragung,

x

der Anspruch auf Anpassung des Registers an die veränderten persönlichen Daten des Kunden sowie

x

das Nutzungsrecht

zugeordnet werden.94) 4.

Betriebsfortführung und Lizenzen

Lizenzen, d. h. Nutzungsrechte an geistigem Eigentum bzw. immateriellen Gütern, wie z. B. 79 an Patenten (§ 15 Abs. 2 PatG), Marken (§ 30 MarkenG), Gebrauchsmustern (§ 22 Abs. 2 GebrMG) und Geschmacksmustern (§ 31 GeschmMG) werden durch Vertrag erteilt. 4.1

Lizenzen in der Insolvenz des Lizenzgebers

Dem Insolvenzverwalter steht nach § 103 InsO ein Wahlrecht zu, ob er die Erfüllung eines 80 noch nicht vollständig erfüllten Lizenzvertrages verlangt oder ablehnt, wobei die Voraussetzungen und Folgen einer – möglichen – Erfüllungsablehnung im Einzelfall genau zu betrachten sind.

___________ 88) 89) 90) 91) 92) 93)

Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, Stand: 7/2007, § 35 Rz. 71a. Berger, ZInsO 2013, 569, 571. BGH, Urt. v. 25.1.1955 – I ZR 15/53, NJW 1955, 628, 629. BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970. BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970. BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970; Fezer, Markenrecht, G. Domainrecht – Kennzeichen im Internet, Rz. 108; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 382a; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 252. 94) BGH, Beschl. v. 5.7.2005 – VII ZB 5/05, GRUR 2005, 969, 970; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 252.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

4.1.1 Voraussetzungen des Wahlrechts 81 Voraussetzung dafür, dass dem Insolvenzverwalter das Wahlrecht gemäß § 103 InsO zusteht ist neben der nach h. M. gegebenen Anwendbarkeit von § 103 InsO auf Lizenzverträge,95) dass der Lizenzvertrag noch nicht beidseitig vollständig erfüllt ist. Diese Frage ist aufgrund der konkret in dem jeweiligen Lizenzvertrag vereinbarten Pflichten zu beantworten. Bei Verträgen, in denen die Lizenzgebühren ratierlich für die Nutzungseinräumung für bestimmte Zeiträume zu entrichten sind, wird man regelmäßig davon ausgehen können, dass beidseitig noch keine vollständige Vertragserfüllung vorliegt. Anders wird dies zu beurteilen sein, wenn z. B. Standardsoftware gegen einmalige Zahlung eines „Kaufpreises“ überlassen wird oder der Lizenzgeber die Lizenz unwiderruflich und zeitlich unbefristet eingeräumt hat.96) 4.1.2 Ausübung des Wahlrechts und dessen Folgen 82 Sofern eine Erfüllungsablehnung i. S. von § 103 InsO möglich und wirtschaftlich z. B. wegen einer besseren Verwertungsmöglichkeit des lizensierten Rechts aus Sicht der Insolvenzmasse zweckmäßig ist, kann die Insolvenz des Lizenzgebers für den Lizenznehmer gravierende Folgen haben, wenn er durch die Erfüllungsablehnung das Nutzungsrecht an dem immateriellen Gut verliert. Hinsichtlich der Folgen der Erfüllungsablehnung ist zu unterscheiden ob dem Lizenznehmer eine einfache oder eine ausschließliche Lizenz gewährt wurde. 4.1.2.1

Ausschließliche Lizenzen

83 Mit der ausschließlichen Lizenz wird dem Lizenznehmer die alleinige und ausschließliche Nutzungsmöglichkeit an immateriellen Gütern eingeräumt. Sie begründet ein Abwehrrecht gegen Dritte sowie ggf. gegen den Lizenzgeber selber.97) Nach h. M. kann der Lizenznehmer eine ausschließliche Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers – trotz Erfüllungsablehnung – aussondern, (§ 47 InsO) da die ausschließliche Lizenz dem Lizenznehmer eine quasi absolute, dingliche Rechtsposition zuweist.98) Dem Lizenznehmer wird somit ermöglicht die Lizenz für die im Lizenzvertrag vereinbarte Nutzungszeit zu nutzen. Der Inhalt und Umfang des Aussonderungsrechts bestimmen sich sowohl nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten (§ 47 Satz 2 InsO), als auch nach dem Lizenzvertrag.99) 4.1.2.2

Einfache Lizenzen

84 Eine einfache Lizenz gewährt dem Lizenznehmer zwar ein positives Nutzungsrecht, räumt ihm jedoch kein Abwehrrecht gegen die Nutzung Dritter ein.100) Nach aktuellen Entschei-

___________ 95) Nach der wohl h. M. fallen Lizenzverträge unter § 103 InsO; KG Berlin, Beschl. v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759, 761 = ZIP 2012, 990; Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 36 Rz. 356; a. A. wendet § 108 InsO analog an; v. Frentz/Masch, ZIP 2011, 1245, 1249. 96) Brinkmann, NZI 2012, 735, 739 f.; vgl. auch LG München I, Urt. v. 9.2.2012 – 7 O 1906/11, GRUR-RR 2012, 142 ff. = ZIP 2012, 1770. 97) Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 15 Rz. 13. 98) Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rz. 339; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79, 82; Bausch, NZI 2005, 289, 293 ff.; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349 f. 99) Bausch, NZI 2005, 289, 293 ff. 100) Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 15 Rz. 14; Berger, ZInsO 2013, 569, 572.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

§ 20

dungen des BGH101), wird in der Literatur102) diskutiert, ob auch einfache Lizenzen trotz Ablehnung der Erfüllung weiterhin vom Lizenznehmer genutzt werden können. Der BGH103) hat sich in diesen Entscheidungen mit der Frage beschäftigt, ob der Unter- 85 lizenznehmer das lizenzierte Recht unabhängig vom Bestand des Hauptlizenzvertrages – dieser war in den entschiedenen Fällen wegen Kündigung des Hauptlizenzgebers bzw. Rückruf der Hauptlizenz beendet – weiterhin nutzen kann und dies in den konkreten Fällen angenommen. Aus dieser Rechtsprechung wird von Teilen der Literatur gefolgert, dass auch die einfache Lizenz insolvenzfest sei und ihr ein „dinglicher Charakter“ zugesprochen werden könne.104) Dies führe dazu, dass der Lizenznehmer – auch im Zwei-Personen-Verhältnis – trotz Wahl der Nichterfüllung des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Lizenzgebers berechtigt sein soll, die einfache Lizenz zu nutzen.105) Diese Annahme wird zutreffend abgelehnt.106) Aus dieser Rechtsprechung des BGH – 86 die nicht im Zusammenhang mit § 103 InsO oder der Frage des Bestehens eines Aussonderungsrechts erging – könne nicht auf den insolvenzrechtlichen Charakter von einfachen Lizenzen geschlossen werden. Insbesondere hat der BGH in seiner aktuellsten Entscheidung die Behandlung der Unterlizenz bei Wegfall des Hauptlizenzvertrags nicht mehr an dem „dinglichen Charakter“107) der Lizenz, sondern vielmehr an dem sog. Sukzessionsschutz festgemacht.108) Das Institut des Sukzessionsschutzes führt zur Aufrechterhaltung eines abgeleiteten Rechts (z. B. Unterlizenz) auch wenn der Inhaber des Mutterrechts das Mutterrecht überträgt.109) Die Tatsache, dass ein Recht – außerhalb eines insolvenzrechtlichen Zusammenhangs – Sukzessionsschutz genießt, begründet aber weder dessen dinglichen Charakter noch dessen Insolvenzfestigkeit.110) Mithin beurteilt sich das Recht des Lizenznehmers zur Nutzung der nicht ausschließlichen Lizenz alleine nach den Regelungen des Lizenzvertrags.111) Grundsätzlich erlöschen solche Lizenzen, mit der Beendigung des Lizenzvertrags. Die Erfüllungsablehnung gemäß § 103 InsO führt zwar nicht zum Erlöschen der vertraglichen Pflichten112), aber, wegen der daraus resultierenden dauerhaften Undurch___________ 101) BGH, Urt. v. 26.4.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186; BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 69/08 (Vorschaubilder), NJW 2010, 2731; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10 (M2Trade), NJW 2012, 3301, 3303 = ZIP 2012, 1561; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 24/11 (Take Five), NJW-RR 2012, 1127 = ZIP 2012, 1671. 102) Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Marotzke, ZInsO 2012, 1737, 1744; v. Frentz/Masch, ZUM 2012, 886; Meyer-van Raay, NJW 2012, 3691, 3693 f.; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349. 103) BGH, Urt. v. 26.4.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186, 187; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10 (M2Trade), NJW 2012, 3301, 3303 = ZIP 2012, 1561. 104) v. Frentz/Masch, ZUM 2012, 886, 887; Scholz, GRUR 2009, 1107, 1111. 105) Scholz, GRUR 2009, 1107, 1111. 106) Ganter, NZI 2011, 833, 835; Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Berger, GRUR 2013, 321, 324; RaeschkeKessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 349; Fischer, WM 2013, 821, 828 f. 107) Der BGH hat in den Entscheidungen „M2Trade“ und „Take Five“ nicht erneut auf einen dinglichen Charakter des, durch die Lizenz begründeten Nutzungsrechts hingewiesen; so zuvor noch BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 69/08 (Vorschaubilder), NJW 2010, 2731, 2734; BGH, Urt. v. 26.3.2009 – I ZR 153/06 (Reifen-Progressiv), NJW-RR 2010, 186, 189. 108) Brinkmann, NZI 2012, 735, 737; Berger, GRUR 2013, 321, 324; Raeschke-Kessler/Christopeit, ZIP 2013, 345, 347. 109) Berger, GRUR 2013, 321, 323; der Sukzessionsschutz für Lizenzen lässt sich aus § 33 Satz 2 UrhG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 31 Abs. 5 GeschmMG, § 15 Abs. 3 Fall 1 PatG, § 22 Abs. 3 Fall 1 GebrMG herleiten. 110) Brinkmann, NZI 2012, 735, 738; Ganter, NZI 2011, 833, 836; McGuire, GRUR 2009, 13, 16; Dahl/ Schmitz, BB 2013, 1032, 1035; Fischer, WM 2013, 821, 829. 111) Die einfache Lizenz ist untrennbar mit dem schuldrechtlichen Vertrag verbunden, vgl. KG Berlin, Beschl. v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759, 761 = ZIP 2012, 990. 112) Materiell-rechtlich lässt die Erfüllungsablehnung den Vertrag unberührt, vgl. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rz. 157; Kroth in: Braun, InsO, § 103 Rz. 58.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

setzbarkeit des Überlassungsanspruchs aus dem Lizenzvertrag, dazu, dass der Lizenznehmer das Recht verliert, das immaterielle Gut zu nutzen.113) 87 Um den Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers gegen die Erfüllungsablehnung abzusichern werden unterschiedliche Möglichkeiten diskutiert. Als rechtlichen Gestaltungen werden u. a. x

die Einräumung eines Nießbrauchsrechts,

x

die treuhänderische Übertragung des Immaterialgüterrechts auf eine unabhängige Gesellschaft (Doppeltreuhand) oder

x

auch die Sicherungsübertragung bzw. -verpfändung des lizensierten Schutzrechts angeführt.114)

88 Solche Gestaltungen sind im Einzelfall auf ihre Insolvenzfestigkeit zu durchleuchten, z. B. unter dem Gesichtspunkt der Umgehung von § 103 InsO (vgl. § 119 InsO).115) Als wirtschaftlicher Anreiz für die Insolvenzmasse wird zudem vorgeschlagen, in dem Lizenzvertrag entsprechende Regelungen aufzunehmen. So wird z. B. vorgeschlagen gestaffelte Lizenzgebühren über den gesamten, im Lizenzvertrag vorgesehenen, Nutzungszeitraum zu vereinbaren, so dass der Insolvenzverwalter aufgrund der weiteren erwarteten Zahlungseingänge geneigt ist Erfüllung zu wählen.116) 4.2

Lizenzen in der Insolvenz des Lizenznehmers

89 Unabhängig davon, ob man der einfachen Lizenz – wie der ausschließlichen Lizenz – dinglichen Charakter zuspricht117) – fallen die schuldrechtlichen Ansprüche aus dem Lizenzvertrag in die Insolvenzmasse des Lizenznehmers.118) Ob der Insolvenzverwalter die Lizenzen daher für die Masse weiterhin nutzen oder verwerten kann, hängt davon ab, ob er die Erfüllung des noch nicht vollständig erfüllten – und bislang ungekündigten119) – Lizenzvertrages verlangt oder ablehnt (§ 103 InsO).120) Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages kann er die Lizenz nach den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen weiternutzen, der Anspruch des Lizenzgebers auf Lizenzgebühr des Lizenzgebers wird zur Masseforderung (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).121) 90 Trotz der Möglichkeit Lizenzen grundsätzlich mittels Erfüllungswahl nach der Insolvenzeröffnung weiter zu nutzen, besteht oftmals die Problematik, dass diese aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung des Lizenzvertrags unübertragbar und damit rechtsträgergebunden sind. Eine Verwertung i. R. einer übertragenden Sanierung ohne Mitwirkung des Lizenzgebers scheidet damit aus. Allerdings soll der Lizenzgeber diese Zustimmung zur Übertragung im Insolvenzfall nicht treuwidrig verweigern dürfen.122) Im Zusammenhang mit dem Urheberrecht unterliegenden Softwarelizenzen hat der BGH vor dem Hintergrund des ___________ 113) Ganter, NZI 2011, 833, 838; Brinkmann, NZI 2012, 735, 739. 114) Vgl. hierzu Schmid/Kampshoff, GRUR-Prax 2009, 50; Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. unter Hinweis auf Berger, GRUR 2004, 20, 22; Bork, NZI 1999, 337, 339 ff.; Hölder/Schmoll, GRUR 2004, 830, 831 ff. 115) Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. unter Hinweis auf Berger, GRUR 2004, 20, 22; Bork, NZI 1999, 337, 339 ff.; Hölder/Schmoll, GRUR 2004, 830, 831 ff. 116) Commandeur in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 36 Rz. 399. 117) Vgl. zu der Diskussion eines dinglichen Charakters der Lizenz Rz. 85 f. 118) Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 322. 119) Hier sind insbesondere die zwingenden Kündigungsbeschränkungen der §§ 112, 119 InsO zu berücksichtigen. 120) Berger, ZInsO 2013, 569, 572. 121) Heye/Lachmann in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 44 Rz. 71. 122) Berger, ZInsO 2013, 569, 576 f.

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Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung

§ 20

einer fraglichen konkludenten Zustimmung angenommen, dass bei der Weiterübertragung im Zuge der Verwertung der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter in der Regel für den Urheber keine vernünftigen Gründe vorlägen, darauf zu bestehen, dass nur der ursprüngliche Vertragspartner das Werk nutzt. Zudem sei der Rechtsinhaber gehalten, seine Zustimmung zur Weiterübertragung nicht wider Treu und Glauben zu verweigern (§ 34 Abs. 1 Satz 2 UrhG).123) Unter anderem vor dem Hintergrund dass die Übertragung rechtträgergebundener Vermö- 91 genswerte grundsätzlich der Zustimmung des Lizenzgebers bedarf, sind i. R. des ESUG die Vorschriften zur Sanierung des insolventen Rechtsträgers (Lizenznehmers) mittels Insolvenzplan ergänzt worden, um dieses Sanierungsinstrument handhabbarer und damit attraktiver zu machen;124) bei dieser Sanierungsvariante bedarf es keiner Übertragung der Lizenz. Um zu verhindern, dass die – durch §§ 217, 225a InsO möglichen – Änderungen der Gesellschafterstrukturen der insolventen Gesellschaften Lizenzgebern Kündigungsrechte geben („change-of-control-clauses“), wurde § 225a InsO im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens um Absatz 4 ergänzt.125) Danach berechtigen Änderungen in der Gesellschafterstruktur durch Insolvenzplan, nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen und führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge. Auch entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind danach unwirksam. 4.3

Rückblick: Gesetzgebungsvorhaben

Der Gesetzgeber hat sich in der Vergangenheit in zwei Gesetzgebungsinitiativen mit der 92 Insolvenzfestigkeit von Lizenzen befasst. x

Der erste – letztlich nicht in Kraft getretene – Ansatz (§ 108a InsO-RegE 2007)126) sah die Einführung eines § 108a InsO vor, durch den § 103 InsO in Bezug auf Lizenzen ausgeschlossen werden sollte. Danach sollte der Lizenzvertrag für solche Haupt- und Nebenpflichten fortbestehen, die für die Nutzung des lizenzierten Rechts unerlässlich sind. § 108a Satz 3 und 4 InsO-RegE 2007 sah zudem eine Preisanpassungsregel für den Fall vor, dass die Lizenz nach Insolvenzeröffnung fortbesteht.

x

In der Fassung des RefE eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen sah § 108a InsO-RefE 2012 nunmehr vor, dass das Insolvenzverwalterwahlrecht des § 103 InsO bei Lizenzverträgen unberührt bleibt. Die Auswirkungen dieses Wahlrechts wurden aber insoweit abgemildert, dass der Lizenznehmer für den Fall, dass der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers die Erfüllung des Lizenzvertrages ablehnt, vom Insolvenzverwalter oder Rechtsnachfolger den Abschluss eines neues Lizenzvertrages binnen eines Monats nach Ablehnungszugang verlangen kann (vgl. § 108a Abs. 1 InsO-RefE 2012). Bis zum Abschluss des neuen Lizenzvertrages darf der Lizenznehmer das lizensierte Recht weiternutzen (vgl. § 108a Abs. 3 InsO-RefE 2012). § 108a Abs. 2 InsO-RefE 2012 lag die Vorstellung zu Grunde, dass bei Erlöschen des Hauptlizenzvertrages auch die Unterlizenz endet, so dass auch dem Unterlizenzgeber ein Anspruch auf Ab-

___________ 123) BGH, Urt. v. 3.3.2005 – I ZR 111/02 (Fash 2000), NJW-RR, 2005, 1403, 1405. 124) Vgl. RegE v. 23.2.2011, BR-Drucks. 127/11, S. 42, der ausdrücklich Lizenzen als rechtsträgergebundene Positionen nennt. 125) Vgl. hierzu Stellungnahme des Bundesrats v. 15.4.2011, S. 13, BR-Drucks. 127/11 (Beschluss); vgl. zur Kritik an der ursprünglichem Entwurf Brinkmann, WM 2011, 97, 100; Simon, CF Law 2010, 448, 457. 126) RegE eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen v. 5.12.2007, BT-Drucks. 16/7416, S. 1.

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§ 20

Teil III Einzelfragen

schluss eines neuen Lizenzvertrages eingeräumt wurde. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber § 108a InsO-RefE 2012 im RegE127) nicht mehr vorgesehen. 5.

Sicherungsrechte an immateriellen Wirtschaftsgütern und Lizenzen – Einzelne Aspekte

93 An Immaterialgüterrechten bestehen häufig Absonderungsrechte (§§ 50 f. InsO) in Form von Sicherungsübertragungen oder Verpfändungen. Die Sicherungsübertragung führt dazu, dass dem Sicherungsgeber das Recht zur Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts nicht mehr zusteht.128) Soweit das Immaterialgüterrecht aber von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für den Produktionsprozess des Sicherungsgebers ist – was in diesen Fällen regelmäßig der Fall sein dürfte, da es ansonsten faktisch mangels Wert keinen wesentlichen Sicherungsvorteil für den Kreditgeber bringt – ist eine Rücklizensierung erforderlich. 94 Besondere Relevanz kommt der Frage zu, wem die Verwertungsbefugnis bei absonderungsrechtsbelasteten Immaterialgüterrechten in der Insolvenz zusteht.129) Hierbei ist zwischen der Verpfändung und der Sicherungsübertragung des Immaterialgüterrechts zu unterscheiden. Maßgeblich ist hierbei die Auslegung von § 166 Abs. 2 InsO, der dem Insolvenzverwalter das Recht zur Verwertung sicherungsabgetretener „Forderungen“ gibt. 95 In der Begründung zum RegE-InsO wird ausgeführt, dass eine verpfändete Forderung des Schuldners nicht in den Anwendungsbereich des § 166 Abs. 2 InsO fallen soll, so dass die Verwertungsbefugnis beim Pfandgläubiger liegt.130) Dementsprechend steht dem Insolvenzverwalter bei einer Verpfändung von Immaterialgüterrechten kein Verwertungsrecht zu. 96 Im Hinblick auf die Verwertungsbefugnis sicherungsabgetretener (Immaterialgüter-) Rechte ist in der Rechtsprechung ungeklärt und in der Literatur umstritten, ob diese beim Sicherungsnehmer131) oder analog § 166 InsO beim Insolvenzverwalter liegt.132) Eine Analogiebildung wird mit der Rechtslage unter Geltung der KO – nach der dem Verwalter eine Verwertungsbefugnis zustand – gerechtfertigt, da nicht anzunehmen sei, dass an dem bisherigen Rechtszustand etwas geändert werden sollte.133) Liegt die Verwertungsbefugnis nicht beim Insolvenzverwalter könnte eine Unternehmensfortführung erschwert werden, da die wirtschaftliche Einheit (z. B. Maschine und Patent) zerrissen werden könnte.134) Gegen eine Analogie spricht indes der eindeutige Wortlaut des § 166 Abs. 2 InsO, nachdem nur „Forderungen“ und nicht auch „sonstige Rechte“ erfasst sind. Eine Analogiebildung würde mithin die deutliche Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters missachten.135)

___________ 127) RegE eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen v. 10.8.2012, BR-Drucks. 467/12. 128) Berger, ZInsO 2013, 569, 577. 129) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rz. 14; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 18; Berger, ZInsO 2013, 569, 578. 130) BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.; so auch BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, Rz. 15, ZIP 2013, 987 = BeckRS 2013, 07710 m. w. N.; a. A. Marotzke, ZZP 109 (1996), 429, 447 f. 131) Lwowski/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 166 Rz. 66; Gundlach/Frenzel/N. Schmidt, NZI 2001, 119, 123; Landfermann in: HK-InsO, § 166 Rz. 19; Wallner, ZInsO 1999, 453, 454. 132) Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 35; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rz. 18; Berger, ZInsO 2013, 569, 578. 133) Marotzke, ZZP 109 (1996), 429, 450; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rz. 35. 134) Berger, ZInsO 2013, 569, 577. 135) Wallner, ZInsO 1999, 453, 454; Gundlach/Frenzel/N. Schmidt, NZI 2001, 119, 123.

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Wirth/Göb

§ 21 Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters Übersicht I. 1.

Ausgangslage ............................................... 2 Probleme der Begrifflichkeit/ insolvenzrechtlicher Konzernbegriff .......... 6 2. Anwendungsbereich eines Konzerninsolvenzrechts........................................... 17 3. Fazit zu Begrifflichkeit und Anwendungsbereich............................................... 23 II. Betriebsfortführung im Konzern nach gegenwärtigem Recht...................... 26 1. Einzelbetrachtung der jeweiligen Gesellschaft ................................................ 27 2. Insolvenzgründe......................................... 28 2.1 Bürgschaften ................................... 31 2.2 Patronatserklärung.......................... 35 2.3 Cashpooling-Verträge .................... 39 2.4 Sonstige Unternehmensverträge.... 45 2.5 Rangrücktrittserklärung ................. 48 2.6 Sonstige Verträge im Konzern ....... 51 2.7 Steuerliche Haftungstatbestände im Konzern...................... 52 3. Lenkung und Steuerung der Insolvenz in einem nationalen Konzern .................... 55 3.1 Insolvenz der Konzernmutter........ 56 3.1.1 Ausgangslage und Ziele einer Konzerninsolvenz ........................... 57 3.1.2 Konzernleitungsmacht ................... 60 3.1.3 Bilanzielle Bereinigung der Beteiligungsstrukturen........................ 65 3.1.4 Liquiditätsplanung im Konzern ..... 68 3.1.5 Veräußerung der Beteiligung ......... 77 3.1.6 Insolvenzplanverfahren ................. 81 3.1.7 Vorläufiges Insolvenzverfahren ..... 83 3.1.8 Haftung des Insolvenzverwalters der Muttergesellschaft .................... 86 3.1.9 Eigenverwaltung.............................. 88 3.1.10 Einflussmöglichkeiten der Gläubigerorgane.............................. 97 3.2 Insolvenz der Tochtergesellschaft................................................ 98 3.2.1 Gesellschaftsrechtliche Unterwerfung unter die Konzernleitungsmacht .................................. 99 3.2.2 Insolvenzrechtliche Mitwirkungspflichten......................................... 101 3.2.3 Einflussmöglichkeiten der Gläubigerorgane............................ 106 3.2.4 Liquiditätsplanung ........................ 108 3.2.5 Insolvenzplanverfahren ................ 110

3.2.6 Vorläufiges Insolvenzverfahren ... 112 3.2.7 Haftung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaften............. 114 3.2.8 Eigenverwaltung............................ 115 3.3 Insolvenz mehrerer, in einem Konzern verbundenen Gesellschaften, insbesondere von Mutter- und Tochtergesellschaften.......................................... 117 3.3.1 Ausgangslage ................................. 118 3.3.2 Ziele der Koordination ................. 123 3.3.3 Mittel der Verfahrenskoordination.................................. 136 3.3.4 Umsetzung in der Praxis nach gegenwärtigem Recht .................. 142 4. Fortführung eines Konzerns im Anwendungsbereich der EuInsVO .............. 154 4.1 Anwendungsbereich ..................... 155 4.2 Auswirkungen der Zielvorgaben für eine erfolgreiche Sanierung i. R. eines europäischen Insolvenzverfahrens auf deutsche Konzerne ....................................... 159 4.3 Schicksalsfrage COMI.................. 160 4.4 Kollisionsrechtliche Aspekte ....... 161 4.5 Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ........ 165 4.6 Koordination der Verfahren im Konzern......................................... 171 5. Fortführung eines Konzerns im internationalen Bereich außerhalb des Geltungsbereiches der EuInsVO .................. 176 5.1 Wirkungen ausländischer Insolvenzen in Deutschland ................. 177 5.2 Inländisches Insolvenzverfahren mit internationalen Bezügen ........ 185 5.3 Hilfsmittel zur Fortführung ........ 187 III. Reformbestrebungen/Aspekte der Entwürfe auf deutscher und europäischer Ebene .............................................. 189 1. Synopse der wesentlichen Regelungsbereiche..................................................... 190 2. Begriff der Gruppe im Konzerninsolvenzrecht .................................................. 192 3. Konsolidierung, Gruppengerichtsstand, Konzerninsolvenzverwalter.......... 195 4. Kooperation der Beteiligten .................... 203

Hermann/Cranshaw

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§ 21 5.

Teil III Einzelfragen

Verfahrenskoordination und Konzerninsolvenzplan............................................ 210 IV. Vergütungsrechtliche Fragestellungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“ ............................... 222 1. Vorbemerkung ......................................... 222

2. 3.

Überblick – Bestehende Grundstrukturen................................................. 223 Die Vergütungsregelung für den Koordinationsverwalter, das Modell des § 269g InsO-DiskE 2013 bzw. des RegE ........................................... 227

Literatur: Andres/Möhlenkamp, Konzerne in der Insolvenz – Chance auf Sanierung, BB 2013, 579; Assies/Beule//Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts für Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2012; Bernegger/Rosenberger/Zöchling (Hrsg.), Handbuch Verrechnungspreise, 2008; Berner/ Bartelheimer/Schiebe, Stellungnahme der Neuen Insolvenzverwaltervereinigung Deutschland e. V. (NIVD e. V.) zum Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (DiskE Stand 3.1.2013), ZInsO 2013, 434; Böcker, Insolvenz im GmbHKonzern, Teil 1, GmbHR 2004, 1257, Teil 2, GmbHR 2004, 1314; Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, 2001; Brünkmans, Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen: Kritische Analyse und Anregungen aus der Praxis, ZIP 2013, 193; Brünkmans, Die koordinierte Verfahrensbewältigung von Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Schuldner nach dem Diskussionsentwurf zur Konzerninsolvenz, Der Konzern 2013, 169; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen nach deutschem und europäischem Insolvenzrecht, Bd. 55, 2009; Cranshaw, „Solvent Scheme of Arrangement“, ein Sanierungsinstrument des englischen Rechts in der inländischen Rechtspraxis, DZWIR 2012, 223; Cranshaw/Dittmann/Fischer/Freckmann/Jerzembek/Steinwachs u. a. 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Hermann/Cranshaw

Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

§ 21

zerninsolvenzrecht über einen Sanierungsplan?, NZI 1999, 41; Vallender, Einführung eines GruppenGerichtsstands – Ein sachgerechter Ansatz zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen, Der Konzern 2013, 162; Vallender, EuInsVO – Eine neue Herausforderung für Insolvenzgerichte, KTS 2008, 59; Verhoeven, Konzerninsolvenz: Eine Lanze für ein Modernes und wettbewerbsfähiges Insolvenzrecht, ZInsO 2012, 1689; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz: eine Lanze für ein modernes Insolvenzrecht, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht, 2011; Willemsen/Rechel, Cash-Pooling und die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit absteigender Darlehen – Unterschätzte Risiken für Gesellschafter, BB 2009, 2215; Zahrte, Die insolvenzrechtliche Anfechtung im Cash-Pool, Untersuchung zur Behandlung revolvierender Kredite, NZI 2010, 596.

Die Insolvenz eines Konzerns ist noch nicht kodifiziert. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche 1 Regelung sind jedoch bei der Einbeziehung verschiedener Gesellschaften oder Rechtsträger in einen konzernähnlichen Verbund zahlreiche Einzelfragen und Interessenkollisionen zu berücksichtigen, die sowohl auf deutscher als auch internationaler Ebene zu entsprechenden Gesetzesansätzen geführt haben. I.

Ausgangslage

Die Gesellschafter bzw. die Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane erstreben 2 mit der Insolvenz über eine Gruppe die Sanierung ihrer einzelnen Gesellschaften, aber auch der Gruppe insgesamt durch Verzichte der Gläubiger auf einzelne Vermögenswerte zu erreichen. Sie wollen aber auch weiterhin die Kontrolle über die Konzernobergesellschaft und damit auch die einzelnen Konzerngesellschaften erhalten. Letztendlich möchten Gesellschafter und Management eine gemeinsame Insolvenzmasse bilden, um dann alle Gläubiger gleichmäßig befriedigen zu können. Den Gläubigern dagegen geht es neben der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen 3 im Wesentlichen darum, eine optimale Quote zu erhalten. Einer Subventionierung einzelner Gesellschaften werden sie nur dann zustimmen, wenn das für sie selbst wirtschaftlich vorteilhaft ist, also die eigenen Quotenaussichten verbessert werden. Auf Sicherheiten werden sie nicht verzichten. Dem Management stehen Gläubiger eher kritisch gegenüber. Einer Konzernleitung über eine Einheitsmasse werden sie daher kaum zustimmen. Die öffentliche Hand ist in einer Zwitterstellung. Auf der einen Seite möchte sie als 4 Gläubiger z. B. bei offenen Steuer- oder Sozialversicherungsforderungen die bestmögliche Quote erhalten. Auf der anderen Seite geht es ihr im Gemeininteresse darum, die nachteiligen Folgen einer Zerschlagung und die daraus folgenden Lasten der Arbeitslosigkeit, der Ausfälle an Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträgen zu vermeiden. Ein Konzerninsolvenzrecht hat zwischen diesen divergierenden Interessenlagen einen 5 Ausgleich herzustellen. Die gleichen Herausforderungen stellen sich aber auch für die Insolvenz- oder die Eigenverwaltung schon heute, um de lege lata solche Insolvenzverfahren optimal abzuwickeln. 1.

Probleme der Begrifflichkeit/insolvenzrechtlicher Konzernbegriff

Nach derzeitiger Rechtslage gibt es in den beiden Insolvenzrechtsregelwerken, der 6 EuInsVO und der InsO, keinen gesetzlich definierten Begriff des Konzerns. Die Reformvorhaben der EU-Kommission bzw. des BMJ sowie der Bundesregierung in dem Gesetzentwurf vom 28.3.2013 zur Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts (siehe im Folgenden) stehen daher vor dieser definitorischen Aufgabe, der ein Befund über das bestehende Verständnis von „Konzern“ vorausgeht. Beginnt man ausschließlich auf der Ebene nationaler Rechtsordnungen, so ist bereits der 7 inländische Begriff des Konzerns schillernd und keineswegs einheitlich. Der Grund hierfür ist die jeweilige Zielsetzung der entsprechenden Normen. Soll man eine gesellschafts-

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§ 21

Teil III Einzelfragen

rechtliche Betrachtung wählen, die Begriffe des Gleich- oder Unterordnungskonzern1) zugrunde legen und daraus insolvenzrechtliche Folgerungen ableiten? 8 Betrachtet man die Dinge bilanziell nach HGB bzw. IAS, so präsentiert sich der Konzern mit der Verpflichtung zur Aufstellung eines Konzernabschlusses mit Lagebericht (§ 290 HGB) bei der Darstellung der „Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der einbezogenen Unternehmen so, als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges Unternehmen wären“ (§ 297 Abs. 3 Satz 1 HGB).“

9 Damit tritt nach der herrschenden „Einheitstheorie“ an die Stelle der vielen konsolidierten Gesellschaften das Bild oder die Fiktion einer mindestens wirtschaftlich einzigen und einheitlichen Gesellschaft.2) Der ordnungsgemäß erstellte Konzernabschluss vermittelt ein den „tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der größeren Wirtschaftseinheit Konzern“.3) 10 Zugleich werden damit u. a. die Leistungsbeziehungen und sonstige Verflechtungen zu den Tochtergesellschaften transparent. Für die Konzernbetriebsfortführung in der Insolvenz sowie diejenige der Töchter handelt es sich demgemäß um ein wichtiges Informationsinstrument zusammen mit den Prüfberichten. 11 Zutreffend weist aber Merkt darauf hin, dass diese Struktur „primär“ der Information dient und weder für die „Zuordnung von Gläubigeransprüchen“ noch für „steuerliche Zwecke“ Relevanz hat.4) Sie dient also gerade nicht der im Insolvenzverfahren maßgeblichen Haftungsordnung und fällt daher als Definition für insolvenzrechtliche Zwecke aus. 12 Beleuchtet man allein die Insolvenzrechtsregelwerke (oder auch Sanierungsregelwerke außerhalb eines Insolvenzverfahrens),5) so stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen man für eine gesetzliche Regelung der „Konzerninsolvenz“ erwartet. Maßgeblich ist die insolvenz- bzw. sanierungsrechtliche Zielsetzung; das ist die Frage nach dem Anwendungsbereich einer von der Einzelinsolvenz des Konzernunternehmens zu unterscheidenden Konzerninsolvenz (s. dazu auch nachfolgend unter Rz. 17 ff.) Bereits die Definition des Konzerns muss aber die folgenden Fragen beantworten: ___________ 1) Vgl. §§ 17, 18 AktG. Zum Gleichordnungskonzern bzw. dem faktischen Gleichordnungskonzern und den dortigen Voraussetzungen s. aus der Rspr. BGH, Beschl. v. 8.12.1998 – KVR 31/97 (Pirmasenser Zeitung/Deil KG/Rheinpfalz), ZIP 1999, 331 = NJW-RR 1999, 1047. 2) Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 297 Rz. 4 m. w. N.; zu Recht weist aber Merkt auf die Abweichungen von dieser „Fiktion“ durch Einbeziehungswahlrechte (vgl. § 296 HGB) und andere Ausnahmen hin. Zur „Einheitstheorie“ vgl. auch Heidel/Schall-Elprana, HGB, § 297 Rz. 34 m. w. N. sowie IAS 27 und die VO (EG) Nr. 494/2009 bei Doralt/Wagenhofer, IAS 27 Rz. 3, 4 ff., 18 ff. (zum „Konsolidierungsverfahren“). Die steuerrechtliche Organschaft geht in ähnlicher Weise von einer „wirtschaftlichen Unternehmenseinheit“ aus, s. Tipke/Lang-Montag, Steuerrecht, § 14 Rz. 1 m. w. N. sowie OFD Frankfurt/ Main, Vfg. v. 11.3.2013 – S 7105 A – 21 – St 110, ZInsO 2013, 1243 ff., 1244 unter 3. (zur Folge der Beendigung der Organschaft). 3) Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 297 Rz. 2 m. w. N. 4) Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 297 Rz. 2 m. w. N. Zur steuerlichen Organschaft s. Fn. 2. 5) In Deutschland besteht nur für Kreditinstitute ein solches zivilrechtliches bzw. zivilverfahrensrechtliches Regelwerk, nämlich das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz, BGBl. I 2010, 1900 i. d. F. des Art. 2 Abs. 75d des Gesetzes v. 22.11.2011, BGBl. I 2011, 3044, das am 1.1.2011 in Kraft getreten ist. Im Recht von England and Wales ist es das „solvent scheme of arrangement“, ein Instrument des Gesellschaftsrechts, welches insbesondere für die Sanierung von Versicherungen Bedeutung erlangt hatte, s. dazu Eilers/Labes, Zeitschrift für das Versicherungswesen 1998, 625 ff. sowie Cranshaw, DZWIR 2012, 223 ff., 228. Daneben wurden als Folge der Bankenkrise anders strukturierte öffentlich-rechtliche Regularien zur Sanierung und Abwicklung von Banken im Aufsichtsrat geschaffen bzw. sie sind auf europäischer Ebene in Vorbereitung; für Deutschland ist auf die Mechanismen des §§ 47, 47a ff., 48a ff. KWG zu verweisen, zuletzt insbesondere auf das Gesetz v. 7.8.2013, BGBl. I 2013, 3090. Die dortigen Ziele sind andere als die des § 1 InsO.

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§ 21

x

Betrifft das Konzerninsolvenzrecht im Wesentlichen die multinationale börsennotierte Aktiengesellschaft, die an mehreren Börsen der Welt gehandelt wird und die eine Fülle von Tochtergesellschaften und gesellschaftsrechtliche Beteiligungen über die ganze Welt verteilt hält?

x

Oder ist das einzelkaufmännische Großunternehmen mit Beteiligungen in anderen europäischen Staaten Modell der „Konzerninsolvenz“?6)

x

Ist vielleicht die X-GmbH mit einer oder zwei (Mehrheits-)Beteiligungen im Inland bereits darunter zu subsumieren?

x

Gehören dazu Ehegatten, die mehrere Grundstücksgesellschaften des bürgerlichen Rechts betreiben?

Die am 12.12.2012 von der EU-Kommission vorgeschlagene EuInsVO-Novelle7) (im 13 Folgenden: EuInsVO-E) wählt für die Zwecke des internationalen Insolvenzrechts einen weiten Ansatz, wonach ein Konzern (group of companies) nach Merkmalen der Beherrschung der Konzerngesellschaften durch die Konzernspitze definiert wird (Art. 2 lit. i, j EuInsVO-E mit der Kernaussage zu Beginn des Art. 2, dass „for the purposes of this Regulation“ die nachfolgenden Begriffe in lit. a – j die ihnen dort zuerkannte Bedeutung haben.8) Einen ebenso weiten Ansatz für die Definition des Konzerns für insolvenzrechtliche Zwecke 14 wählt der Diskussionsentwurf des BMJ eines „Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ vom 3.1.2013 bzw. der Regierungsentwurf der Bundesregierung vom 28.8.2013.9) Maßgebliche Norm ist § 3a Abs. 4 InsO-DiskE 2013(= § 3e RegE), der wie folgt lautet: „(4) Eine Unternehmensgruppe besteht aus rechtlich selbstständigen Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland haben und die unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden sind durch 1. die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder 2. eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung.“

Die Legaldefinition des Entwurfes des BMJ bzw. des Regierungsentwurfs ist flexibel und mit 15 derjenigen des Art. 2 lit. i, j EuInsVO-E inhaltlich identisch, von dem COMI in Deutschland im Entwurf des BMJ natürlich abgesehen. Die für die beiden Regelwerke EuInsVO und InsO de lege ferenda entwickelte Legaldefini- 16 tion ist jedoch nur für die spezifischen Zwecke des Insolvenzrechts verbindlich, sie stellt keinen einheitlichen Konzernbegriff für die gesamte Rechtsordnung dar, wie die zitierte Beschränkung in Art. 2 EuInsVO-E zeigt. ___________ 6) Das Insolvenzverfahren des Schlecker-Konzerns im Jahre 2012 betraf eine natürliche Person als Konzernspitze, die unternehmerisch in der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns handelte. Es war mit vielen tausend Arbeitnehmern zugleich das größte Insolvenzverfahren seiner Art. 7) S. das Dokument COM (2012) 744 final v. 12.12.2012 sowie die begleitende „Communication from the Commission to the European Parliament, the Council and the European Economic and Social Committee” v. 12.12.2012, Dokument COM(2012) 742 final, beide Dokumente verfügbar über http://ec.europa.eu/ …/… (Abrufdatum: 24.7.2013). 8) K. Schmidt, KTS 2010, 1 ff., weist zutreffend ebenfalls auf das Fehlen einer geeigneten Begrifflichkeit des Konzernbegriffs hin; dem Lösungsansatz der EU-Kommission ist im Grundsatz daher beizupflichten. 9) Der Entwurf steht u. a. über http://www.bmj.de/DE/Buerger/verbraucher/Insolvenzrecht/Stufe3/ _node.html bzw. http://www.zip-online.de zur Verfügung sowie in Printform u. a. als Beilage zur ZIP Heft 2/2013. Im Folgenden wird der Entwurf als „§ … InsO-DiskE 2013“ zitiert. S. bei http://www.bmj.de auch den Gastbeitrag der Bundesjustizministerin für die Börsenzeitung am 8.1.2013 sowie nebst dem Diskussionsentwurf des BMJ v. 3.1.2013 das Rundschreiben an die Verbände vom selben Tag unter http://www.arge-insolvenzrecht.de mit Frist zur Stellungnahme der interessierten Kreise bis 15.2.2013 (Abrufdatum: 24.7.2013). Das BMJ stellt den RegE unter der Internetadresse www.bmj.de/shareddocs/ Downloads/DE/pdfs/RegE_Entwurf_eines_Gesetz_zu_Erleichterung_der_Bewaeltigung_von_Konzerninsolvenzen.pd;jsessionid=2678 zur Verfügung (Abrufdatum: 29.9.2013).

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§ 21 2.

Teil III Einzelfragen Anwendungsbereich eines Konzerninsolvenzrechts

17 Insolvenzrecht ist in weitem Umfang Verfahrensrecht, in Deutschland „Gesamtvollstreckungsrecht“, dessen Ziel allein die (möglichst gleichmäßige) Befriedigung der Gläubiger ist (§ 1 Satz 1 InsO).10) Vor diesem Hintergrund stellt sich u. a. auch die Frage, ob eine „Konzerninsolvenz“ strukturell immer schon dann vorliegt, wenn nur einer der unmittelbar oder mittelbar miteinander in gesellschaftsrechtlicher Verbindung stehenden oder beherrschten Unternehmensträger (i. S. der obigen Konzerndefinition) materiell insolvent ist oder einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellt bzw. ob dies bei allen „konzernzugehörigen“ Gesellschaften der Fall sein muss. Weiter kann man problematisieren, ob sogar Konzerngesellschaften, bei denen kein Insolvenzgrund vorliegt, im Interesse des Konzernverbundes in ein Insolvenzverfahren eingebunden werden können oder müssen;11) ein solches Konzept wäre freilich abzulehnen. Lässt man die Insolvenz einer der beteiligten Gesellschaften hinreichend sein, so muss man überlegen, ob dies die Muttergesellschaft sein muss oder ob eine Tochter genügt. 18 Im Übrigen ist die Insolvenz steuerbar. Man kann sich dazu unter Zugrundelegung des deutschen Rechts ein Szenarium vorstellen, das durch die Krise der Muttergesellschaft, einer AG oder GmbH, geprägt ist, für deren Verbindlichkeiten über Bürgschaften (ohne limitation language)12) alle inländischen Tochtergesellschaften haften, die ihrerseits jeweils die Rechtsform der GmbH haben mögen und die allein oder doch weitgehend das operative Geschäft der Unternehmensgruppe tragen. Die Kreditkündigung gegenüber der Mutter möge deren Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenzantragspflicht auslösen. Bei Inanspruchnahme der Tochtergesellschaften aus der Bürgschaft wären auch diese zahlungsunfähig, ein Umstand, der nicht gewünscht wird. Werden die Konzerngesellschaften unter Aufrechterhaltung der Rechte des Bürgschaftsnehmers und Kreditgebers zunächst nicht in Anspruch genommen und besteht auch keine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung, kommt es nicht zum Insolvenzverfahren bei den Tochtergesellschaften. Sind sie Mithaftende, dann ___________ 10) Daneben steht als weiterer Insolvenzzweck die „Restschuldbefreiung“, § 1 Satz 2 InsO. Die Sanierung mit all ihren volkswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Vorteilen ist allgemein anerkannt in der Insolvenz meist die bessere Alternative. Rechtssystematisch ist sie freilich nur Methode zur optimalen Erreichung der Gläubigerbefriedigung und nicht eigentlicher Zweck (a. A. vereinzelt Stimmen in der aktuellen Literatur). Dieses Ergebnis wiederum wird idealtypisch von den Gläubigern der jeweiligen Gesellschaft definiert. Das makroökonomisch also höchst erwünschte Ziel der Aufrechterhaltung des Unternehmens oder gar der Unternehmensgruppe muss mit den konkreten Vorstellungen der Gläubiger im Einzelfall nicht übereinstimmen. 11) Damit könnte gesellschaftsübergreifend ein Schutz gegen die Gläubiger auch dieser Gesellschaften bewirkt werden. Im deutschen Recht wäre das ein fundamentaler Paradigmenwechsel, das Insolvenzverfahren wäre verfahrensrechtlich in erster Linie ein Verfahren zum Schutz gegen die Gläubiger im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe und der bei allen Gesellschaften engagierten Gläubiger. De lege lata ist diese Lösung in Deutschland nicht möglich, vielmehr wäre ein solcher Insolvenzantrag mangels Insolvenzgrundes offensichtlich unzulässig. 12) Die insbesondere in großvolumigen (internationalen) Darlehensverträgen verbreitete limitation language schützt Konzerngesellschaften und Organmitglieder derselben insbesondere gegen Haftungsrisiken (vgl. § 93 AktG, §§ 43, 64 GmbHG), wenn Drittsicherheiten für andere Konzerngesellschaften zur Verfügung gestellt werden wie Bürgschaften und Mitverpflichtungen oder Sachsicherheiten (z. B. Globalzession aller Forderungen aus Lieferungen und Leistungen), die das gesetzlich geschützte Kapital angreifen (können). Die Überschuldung der Gesellschaft allein wegen der Belastung durch die Sicherheiten gegenüber Dritten kann dabei nicht eintreten, denn die Sicherheit kann nur in Anspruch genommen werden, soweit nicht bestimmte Eigenkapitalparameter unterschritten werden, die im Sicherungsvertrag zu definieren sind. Untergrenze ist das nach GmbH- bzw. Aktienrecht geschützte Kapital. Für den Gläubiger sind dergleichen gekappte Sicherheiten freilich wenig attraktiv bis wertlos. S. zu den Risiken ohne limitation language im Einzelnen bei Kollmorgen/Santelmann/Weiß, BB 2009, 1818 ff., 1822; für die GmbH bestehen dergleiche Risiken trotz der Rechtsänderungen durch das MoMiG. Für die Betriebsfortführung kann die limitation language insbesondere bei Sachsicherheiten essentiell sein; vgl. auch Steinwachs/Sickel in: Cranshaw/Dittmann/Fischer u. a., FCH-Sicherheitenkompendium, Rz. 36 ff.

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§ 21

wird der Kreditgeber erklären müssen, er verfolge derzeit seine Forderungen gegen die Töchter (oder andere Konzerngesellschaften bei mehrstufigen Strukturen) nicht ernsthaft, womit ebenfalls Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantragspflicht nicht eintreten.13) In diesem Zusammenhang, die Insolvenz von Konzerngesellschaften zu vermeiden, wird in 19 einer Stellungnahme zu dem oben erwähnten Diskussionsentwurf des BMJ (siehe Fn. 9) zu einem Konzerninsolvenzrecht festgehalten, es sei „unmittelbar geboten, eine gesetzliche Möglichkeit der Entlassung von durch Konzerngesellschaften gestellten Garantien bzw. Mithaftungen aus der Haftung … vorzusehen.“

Man zieht in dieser Stellungnahme eine Parallele zu der Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 20 SchVG im Kontext mit der Anleiherestrukturierung (tatsächlich handelt es sich aber um § 22 SchVG, „Geltung für Mitverpflichtete“). Geschehe das nicht, so könnten sich nach dieser Meinung Gläubiger „Sondervorteile“ verschaffen, was „unbedingt unterbunden werden sollte.“14) Beauftragt die Konzernobergesellschaft einen erfahrenen Insolvenzverwalter mit Sanierungs- 21 erfahrung als CEO oder CRO,15) wird nicht selten die Sanierung in Eigenverwaltung im „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO gelingen. Bekanntermaßen sind einige größere Verfahren, auch als es das Schutzschirmverfahren noch nicht gab, so abgewickelt worden. Dieses Konzept scheint sich in praxi unter dem ESUG „einzuspielen“. Der Entwurf des BMJ zur Konzerninsolvenz vom 3.1.2013 bzw. der Entwurf der Bundesre- 22 gierung vom 28.8.2013 haben die Koordination der jeweils selbstständigen und selbstständig bleibenden Insolvenzverfahren der Unternehmensgruppe im Auge (nicht jedoch die sog. formelle Konsolidierung, die eine Zusammenfassung aller Einzelverfahren unter ein einziges Konzerninsolvenzverfahren bedeuten würde). Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 InsO-DiskE 2013 (= § 3a Abs. 1 RegE) kann einer der Gruppenunternehmen beantragen, dass das von ihm angerufene Insolvenzgericht sich für die anderen folgenden Insolvenzanträge aller gruppenangehörigen Gesellschaften für zuständig erklärt (sog. Gruppen-Folgeverfahren); die zitierte Norm setzt für die Antragsbefugnis voraus, dass die antragstellende Gesell___________ 13) Das „ernsthafte Einfordern“ ist Abgrenzungskriterium zwischen den fälligen und stets zur Zahlungsunfähigkeit beitragenden Forderungen und den Fällen der ausnahmsweise in mindestens tatsächlicher Hinsicht gestundeten Forderungen, die für die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit folgenlos sind, s. BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 ff. = ZIP 2009, 1235 ff., st. Rspr.; zuletzt zu der Thematik BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 ff. = WM 2013, 88 ff. sowie BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rz. 26, ZIP 2013, 228 ff. = ZInsO 2013, 190 ff. 14) S. die hierzu auffordernde Stellungnahme der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e. V. v. 15.2.2013, insb. Ziff. 4, S. 5 f. des pdf-Dokuments, verfügbar über http://www.tma-deutschland.org (Abrufdatum: 23.7.2013). Dieser Vorschlag bedeutet nichts anderes als die abzulehnende materielle Konsolidierung, vgl. dazu bei Cranshaw, § 22 in diesem Band unter Rz. 92 ff. Auch bei der Anleihe wäre übrigens die entschädigungslose Streichung der Gläubigersicherheit aufgrund Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger wohl rechtswidrig, wenn auch durch die Anleihebedingungen das Risiko von vornherein bekannt ist. Die in der Stellungnahme befürchteten Sondervorteile für Gläubiger können insbesondere durch das Insolvenzanfechtungsrecht egalisiert werden. Der von TMA vorgeschlagene Ansatz der Streichung von zivilrechtlich nicht angreifbaren „Mithaftungen“ würde nicht nur systemwidrig ein Sonderrecht entgegen § 43 InsO für Konzerne generieren. Die Lösung wäre auch bei Verweigerung der Zustimmung zu einem Insolvenzplan (welcher Gesellschaft des Konzerns?) durch die betroffenen Gläubiger nicht durchsetzbar, da sie an § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheitern müsste, es sei denn, die betroffenen Gläubiger würden so gestellt, als ob die Mithaftungen im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten der betroffenen Konzerngesellschaften durchgesetzt worden wären. Das geforderte Konzept ist daher uneingeschränkt abzulehnen, zumal es zu Lasten der betroffenen Gläubiger auch mit Art. 14 GG nicht vereinbar wäre. 15) Chief Executive Officer (CEO) bzw. Chief Restructuring Officer (CRO), d. h. ein Sanierer wird (vorübergehend) zum Vorsitzenden der Geschäftsführung oder zum federführenden „Restrukturierungsgeschäftsführer/-vorstand“ berufen.

Cranshaw

631

§ 21

Teil III Einzelfragen

schaft, der antragstellende Schudner, nicht offensichtlich eine untergeordnete Funktion in der Unternehmensgruppe hat. 3.

Fazit zu Begrifflichkeit und Anwendungsbereich

23 Die oben skizzierte Frage, wann denn aus insolvenz- und sanierungsrechtlichem Blick, aber auch im Lichte ökonomischer Betrachtung, eine Konzerninsolvenz vorliegt, lässt sich damit dahingehend umschreiben, dass x

mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen,

x

die miteinander gesellschaftsrechtlich verflochten oder durch ein Beherrschungsverhältnis miteinander verbunden sind,

x

sich in ihrer „Mitte“ einem Insolvenzereignis gegenübersehen.

24 Die diesem Anliegen entsprechenden gesetzlichen Definitionen der EuInsVO-Novelle und des Diskussionsentwurfs des BMJ bzw. des Regierungsentwurfs vom 28.8.2013, werden in der nachfolgenden Darstellung in diesem Beitrag zugrunde gelegt. 25 Die Verfasser der vorliegenden Darstellung sind überzeugt, dass die Frage, wann eine Konzerninsolvenz anzunehmen ist, nicht schematisch anhand einer normativen Begrifflichkeit beantwortet werden kann (siehe dazu insbesondere unter Rz. 20 f. und Rz. 55 ff.). Dagegen sprechen die gegenseitigen Interdependenzen in der Unternehmensgruppe16) und die gewählten Optionen von Gläubigern und Schuldner (siehe oben unter Rz. 17 ff.). Daher können Normen bzw. Grundsätze des Konzerninsolvenzrechts schon dann herangezogen werden, wenn auch nur eine Gesellschaft der Gruppe insolvent ist.17) Grenzfälle können flexibel gehandhabt werden. II.

Betriebsfortführung im Konzern nach gegenwärtigem Recht )

26 Ein einheitliches Insolvenzrecht für den Konzern gibt es demnach zurzeit nicht. Jede einzelne in einem Konzern eingebundene Gesellschaft ist daher für sich zu betrachten. Dennoch gibt es die verschiedensten Verflechtungen und Auswirkungen untereinander, die bei einer möglichen Betriebsfortführung zu verschiedensten Problematiken führen. 1.

Einzelbetrachtung der jeweiligen Gesellschaft

27 Nicht die Konzernbilanz bildet die Entscheidungsgrundlage für die weitere rechtliche und wirtschaftliche Vorgehensweise, sondern die Eckdaten jeder einzelnen Gesellschaft sind einzubeziehen. Da aber die Untergesellschaften regelmäßig auch in der Einzelbilanz der Muttergesellschaft sowie den Bilanzen anderer Gesellschaften Berücksichtigung finden, z. B. als Beteiligung oder als verbundenes Unternehmen, Forderungen und Verbindlichkeiten untereinander, bei Unternehmensverträgen etc., schlägt die Krise einer einzelnen Gesellschaft auf andere Gesellschaften sowie den gesamten Konzernverbund durch. Wertberichtigungen, Abschreibungen sowie sonstige Inanspruchnahmen aus übernommenen ___________ 16) Ein aktuelles Beispiel für solche Zusammenhänge war im Juli 2013 der Insolvenzfall Praktiker, der die dortige Tochtergesellschaft „Max Bahr in die Insolvenz zieht“, wie die FAZ ihren Beitrag überschrieben hat, s. FAZ v. 27.7.2013, S. 20. Die Interdependenz im Konzern hat sich dort, würdigt man die Vermutung der zitierten Pressepublikation der FAZ, dadurch ausgewirkt, dass ein Warenkreditversicherer Lieferanten nicht mehr versicherte, weil man durch die Insolvenz der Mutter Risiken sah. In einem solchen Fall wäre also ein exogener Faktor, der nicht unmittelbar mit der dann den Insolvenzantrag stellenden Konzerngesellschaft zu tun haben muss, Insolvenzursache. Auslöser wäre das allgemeine Misstrauen als Folge der Insolvenz einer anderen Konzerngesellschaft, insbesondere der Konzernmutter. 17) S. im Einzelnen Liebscher in: MünchKomm-GmbH, Anh. GmbH-Konzernrecht, Rz. 1131. S. auch Bauer in: Wachter, FA-Hdb. Handels- und Gesellschaftsrecht, II. 20., Rz. 399 m. w. N. *) Herr RA Ottmar Hermann, dankt Herrn RA Torsten Steinwachs, Herrn RA Daniel F. Fritz für die Mitarbeit und Unterstützung sowie die Durchsicht des Manuskripts.

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§ 21

Garantien, aus Unternehmensverträgen etc. wirken sich unmittelbar bis zur Konzernspitze aus. Obwohl möglicherweise der Konzern insgesamt durchaus überleben könnte, kann die Insolvenz einer einzelnen Gesellschaft den gesamten Konzern infizieren. In einer möglichen Insolvenz ist der Konzern also nicht so stark wie die Summe seiner Untergesellschaften. Er ist vielmehr so schwach wie das schwächste seiner Glieder. 2.

Insolvenzgründe

Die Insolvenzgründe sind daher isoliert für jede einzelne Gesellschaft zu beurteilen. Auch 28 dann wirken sich jedoch Faktoren in dem Konzernverbund unmittelbar auf die Insolvenzgründe bei anderen verbundenen Gesellschaften aus. Da Fortführung in der Insolvenz immer auch die sinnvolle Vermeidung von Folgeinsolvenzen verbundener Gesellschaften einbeziehen muss, gilt es, sinnvolle Strategien zu entwickeln, um Insolvenzgründe bei anderen Gesellschaften auszuschließen. Hervorzuheben sind:

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x

Bürgschaften,

x

Patronatserklärungen,

x

Cashpooling-Verfahren,

x

sonstige Unternehmensverträge,

x

Rangrücktrittserklärung,

x

sonstige Verträge im Konzern,

x

steuerliche Haftungstatbestände im Konzern,

x

sonstige Garantien.

Bei Fortführung in einem Konzern verbundener Gesellschaften in der Insolvenz gilt es, 30 die sich aus diesem Haftungsverbund folgenden Risiken zu vermeiden, um einerseits verbundene Gesellschaften bei der Sanierung des Gesamtkonzernes zu erhalten oder sie im ganzen übertragen zu können, andererseits aber, wenn die Insolvenz einer nicht zu sanierenden Gesellschaft unvermeidbar geworden ist, nicht andere überlebensfähige Einheiten mit in den Strudel zu ziehen. Es zeigt sich jedoch, dass es in der Krise kaum möglich ist, sich von einmal gegebenen Zusagen zu lösen. 2.1

Bürgschaften

Die Bürgschaft ist bis zur Inanspruchnahme nur gemäß § 251 Satz 1 HGB unter der Bilanz 31 zu vermerken. Droht aber der Rückgriff, so besteht nach den allgemeinen Regelungen Ansatz- und Ausweispflicht sowohl in der Handelsbilanz, als auch im Liquiditäts- und Überschuldungsstatus. Soweit in diesen Fällen die Bürgschaftsverpflichtung zu passivieren ist, entfällt die Vermerkpflicht nach § 251 Satz 1 HGB.18) Eine etwaige Rückgriffforderung – die in diesem Fall ohnehin wertlos und entsprechend auf null wertzuberichtigen wäre – ändert an dieser Passivierungspflicht gemäß § 251 Satz 2 HGB nichts. Konkretisiert sich also das Risiko, so wird der Bürge bestrebt sein, sich von den eingegange- 32 nen Verpflichtungen zu lösen. Im Grundsatz ist eine Kündigung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger nur bei entsprechender Vereinbarung zulässig.19) Ist eine Bürgschaft selbst ___________ 18) Die Formulierung „sofern“ des § 251 Satz 1 HGB ist als „soweit“ zu verstehen: Eine Berücksichtigung der Haftungsverhältnisse in der Bilanz in voller Höhe ist nur gewährleistet, wenn der gesamte Haftungsbetrag sich als Summe aus den betreffenden Positionen über und unter dem Strich der Bilanz ergibt (Ellrott in: BilKomm, § 251 Rz. 3). 19) Palandt-Sprau, BGB, 72. Aufl., § 765 Rz. 16.

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§ 21

Teil III Einzelfragen

zeitlich befristet oder für ein Darlehen mit fest vereinbarter Laufzeit begeben, so ist eine Kündigung der Bürgschaft ausgeschlossen.20) In Betracht käme dann allenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 BGB, der auch für Bürgschaftsverhältnisse gilt.21) Auch eine erhebliche Verschlechterung in der Vermögenslage des Hauptschuldners soll entsprechend den Regeln von Treu und Glauben die Kündigung einer Bürgschaft rechtfertigen.22) Die Einhaltung einer Kündigungsfrist soll nach der Neufassung des § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht mehr erforderlich sein.23) Um den Sicherheitencharakter der Bürgschaft nicht vollständig auszuhöhlen, wird man einen solchen außerordentlichen Kündigungsgrund nur sehr restriktiv annehmen können, wenn durch die Kündigung der Bürgschaftszweck nicht unterlaufen wird.24) 33 Gilt die Bürgschaft dagegen auf unbestimmte Zeit, so war schon nach bisherigem Recht eine Kündigung möglich.25) Ab wann diese Kündigungsmöglichkeit besteht, ist im Einzelfall zu ermitteln. Eingehalten werden muss jedoch in jedem Falle eine angemessene Zeit von drei bis fünf Jahren.26) Einzubeziehen ist dabei auch, ob auch der Gläubiger seinerzeit die Möglichkeit hat, die Hauptverbindlichkeit durch ordentliche Kündigung zu beenden und welche Kündigungsfrist er dabei einzuhalten hat.27) 34 Bedient sich der Gläubiger unmittelbar bei der Gesellschaft, die als Hauptschuldner für die Darlehensverbindlichkeit einzustehen hat, indem er eine Sicherheit verwertet, so ist die bürgende Gesellschaft damit noch nicht endgültig vor einer Inanspruchnahme gefeit. Denn dann kommt die Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 2 InsO in Betracht. Anfechtungsgegenstand ist dabei die Befreiung des Gesellschafters von der durch ihn gegebenen Sicherheit.28) Da auch hierfür wieder zumindest Rückstellungen zu bilden sind, kann dieser Ausgleichsanspruch erneut die Insolvenz der bürgenden Muttergesellschaft auslösen. Dieser Ausgleichsanspruch des Bürgen ist nach § 174 BGB in der Regel wertlos. 2.2

Patronatserklärung

35 Weiteres Sanierungsmittel ist die Patronatserklärung. Nur die insolvenzrechtlich beachtliche harte Patronatserklärung hat festen Verpflichtungscharakter. Sie verpflichtet den Patron zu einer Herstellung oder Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Patronierten.29) Da eine externe Patronatserklärung in der Regel gegenüber dem Kreditgeber der begünstigten Gesellschaft keinen eigenen Anspruch gewährt, ist eine Aktivierung bei der Tochtergesellschaft sowohl für die Handelsbilanz als auch im Überschuldungsstatus oder im Liquiditätsstatus ausgeschlossen.30) ___________ 20) Schimansky/Bunte/Lwowski-Schmitz/Wassermann/Noppe, Bankrechts-Hdb., Rz. 198 m. w. H.; im Ergebnis folgt dies aus dem allgemeinen Grundsatz, dass nur unbefristete Dauerschuldverhältnisse gekündigt werden können (§§ 542 Abs. 1, 488 Abs. 3, 620 Abs. 2 BGB). 21) Palandt-Grüneberg, BGB, § 314 Rz. 5. 22) BGH, Urt. v. 16.4.1959 – VII ZR 37/58, BB 1959, 866 ff. 23) S. hierzu im Allgemeinen zu den Kündigungsgründen einer Bürgschaft Schimansky/Bunte/LwowskiSchmitz/Wassermann/Knobbe, Bankrechts-Hdb., Rz. 197, 203 ff. 24) BGH, Urt. v. 20.7.2011 – XII ZR 155/09, ZIP 2011, 1718 ff. 25) Schimansky/Bunte/Lwowski-Schmitz/Wassermann/Knobbe, Bankrechts-Hdb., Rz. 197. 26) Schimansky/Bunte/Lwowski-Schmitz/Wassermann/Knobbe, Bankrechts-Hdb., Rz. 197, 199 m. w. H. 27) Schimansky/Bunte/Lwowski-Schmitz/Wassermann/Knobbe, Bankrechts-Hdb., Rz. 197, 199 m. umfangreichen Literaturhinweis. 28) S. hierzu Braun-de Bra, InsO, § 135 Rz. 12, 13, 14; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 13 Rz. 15 – 19. 29) S. hierzu Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1011. 30) S. Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1113, 1116 f.; Tetzlaff, WM 2011, 1016, 1019; OLG Celle, Urt. v. 18.6.2008 – 9 U 14/08, ZIP 2008, 2416 = NZG 2009, 308.

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Anders dagegen die interne Patronatserklärung zwischen Mutter- und Tochtergesell- 36 schaft. Die patronierte Gesellschaft hat einen eigenen Anspruch auf Ausgleich gegen den Patron, der bei Werthaltigkeit handels- sowie insolvenzrechtlich zu aktivieren ist.31) Auf Seiten des Patrons tritt Ansatz- und Ausweispflicht sowohl in der Handelsbilanz als auch im Überschuldungs- oder Liquiditätsstatus ein, sobald die Einstandsverpflichtung eingetreten ist.32) Kann diese Verpflichtung nicht erfüllt werden, so hat das regelmäßig die Insolvenz beider Gesellschaften zur Folge, so dass sich erneut die Frage nach einer Beendigung stellt. In der früheren Rechtsprechung und Literatur war schon streitig, ob vertraglich eine auf- 37 lösende Bedingung oder ein ordentliches Kündigungsrecht zulässig sind.33) Verneint wurde dagegen völlig ein außerordentliches Kündigungsrecht. Das sog. Star 21-Urteil34) des BGH hat ein solches außerordentliches Kündigungsrecht des Patrons, insbesondere auch wegen erheblicher Verschlechterung der Vermögenslage des Schuldners jedoch bejaht. Dem Patron könne es nicht zugemutet werden, sehenden Auges das weitere Anwachsen der Haftungsrisiken in Kauf nehmen zu müssen.35) Um eine eigene Haftung zu vermeiden, wird die Geschäftsleitung der Patron-Gesellschaft in jedem Falle diesen Schritt vornehmen müssen. Bei der Beurteilung der Fortführungsmöglichkeit und damit der Fortführungsprognose 38 wirft dieses Urteil erhebliche Probleme auf. Welche Sicherheiten geben Patronatserklärungen, wenn sich gerade dann von ihnen gelöst werden kann, ja muss, sobald es darauf ankommt. Jedenfalls hat sich der Tochter-Geschäftsführer ebenso wie im Cashpooling laufend durch regelmäßige Konsultationen zwischen Mutter und Tochter darüber zu vergewissern, ob das Patronatsmodell noch hält, damit er von einer Kündigung nicht völlig überrascht wird.36) Die Kündigung der Patronatserklärung hat jedoch lediglich Wirkung ex nunc. Bis dahin begründete Ansprüche sind also sowohl in der Bilanz des Patrons als auch des Patronierten mit den jeweiligen insolvenzrechtlichen Folgen auszuweisen und zu bewerten. 2.3

Cashpooling-Verträge

Eines der wichtigsten Mittel zur Finanzierung im Konzern ist das sog. Cashpooling. Um 39 die Zinslasten im Konzernverbund zu verringern, werden auf Grundlage des CashManagement-Vertrages alle Zahlungsein- und ausgänge auf einem Konto des Gesamtkonzerns gebündelt, Es handelt sich dabei um einen Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f Abs. 2 BGB mit Kontokorrentabrede i. S. des § 355 Abs. 1 HGB.37) Beim virtuellen Pooling werden die einzelnen Kontostände nicht tatsächlich, sondern nur virtuell zur Ermittlung eines Gesamtsaldos der Konten zusammengeführt. Guthaben und Sollsalden werden auf den einzelnen Konten virtuell saldiert. Der sich dann ergebende Saldo wird einheitlich verzinst.38) ___________ 31) Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116 f.; OLG Celle, Urt. v. 18.6.2008 – 9 U 14/08, ZIP 2008, 2416 = NZG 2009, 308. 32) Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116 m. w. H. 33) S. hierzu u. a. wiederum Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1115 f.; Tetzlaff, WM 2011, 1016, 1019 ff. 34) BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZIP 2010, 2092 = NJW 2010, 3442 ff. 35) Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116 m. w. H.; krit. hierzu Tetzlaff, WM 2011, 1016, 1022 ff. 36) S. K. Schmidt, ZIP 2013, 485, 492. 37) Kollrus, MDR 2011, 208. 38) Willemsen/Rechel, BB 2009, 2215, 2216.

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40 Üblich ist das sog. physische Cashpooling. Im Rahmen dieses Pooling-Verfahrens werden die Salden der einzelnen Gesellschaftskonten regelmäßig zum Ende des Tages auf ein Zielkonto abgeschlossen, dessen Inhaber die Mutter- oder eine Betreibergesellschaft ist. Wird das Gesellschaftskonto zu Lasten des Zielkontos glattgestellt, gewährt die Muttergesellschaft der Tochter ein Darlehen (sog. „Downstreamloans“). Wird das Gesellschaftskonto zu Gunsten des Pool-Kontos (Zielkonto) glattgestellt, liegt ein Darlehen der Tochter an die Mutter vor (sog. „Upstreamloans“).39) 41 Die jeweiligen, sich aus der Verrechnung ergebenden Darlehen sind in den Bilanzen der jeweiligen Gesellschaften (Zielgesellschaft oder Einzelgesellschaft) als Darlehensforderung oder Darlehensverbindlichkeit auszuweisen. Insolvenzrechtlich führt dies auch zur Erfassung im Liquiditäts- und Überschuldungsstatus. Ist die Zielgesellschaft nicht mehr in der Lage, eine bestehende Verbindlichkeit zu erfüllen, bestehen keine sonstigen Ausgleichsansprüche, so kann das zur Überschuldung und zur Zahlungsunfähigkeit führen. Bei der anderen Gesellschaft besteht dementsprechend Wertberichtigungsbedarf. Ist eine Gesellschaft schon aus anderen Gründen überschuldet oder zahlungsunfähig, so ergibt sich für die Geschäftsleitung aus § 64 Satz 1 GmbHG ein Rückzahlungsverbot. Auch das kann wiederum bei der jeweilig anderen Gesellschaft zu einem entsprechenden Wertberichtigungsbedarf führen. 42 Im Konzern ist das Cashpooling insolvenzrechtlich für alle einbezogenen Gesellschaften und die Geschäftsleitungen von höchster Gefahr. Lässt die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft trotz erkannter oder erkennbarer Krise der Muttergesellschaft noch Zahlungen in den Cashpool zu, so haftet deren Geschäftsleitung ggf. wegen Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften, nach §§ 826, 812 ff. BGB, §§ 43 Abs. 2, 64 Satz 3 GmbHG und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB. Es kommen aber auch Haftungstatbestände nach §§ 69, 34 AO in Betracht, wenn weiter in den Cashpool gezahlt wird und hierdurch Ausfälle bereits realisierter und fälliger Steueransprüche verursacht werden.40) Umgekehrt ist es der Geschäftsleitung der Muttergesellschaft aber nach § 64 Abs. 2 GmbHG untersagt, Darlehen aus dem Cashpool an die Tochtergesellschaft zurückzuführen, wenn die Muttergesellschaft selbst in der Krise ist. 43 Wird die Krise daher erkannt, so stellt sich wiederum die Frage, ob entsprechende Vereinbarungen gekündigt werden können, ja müssen. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kann die Tochtergesellschaft den Zahlungsdiensterahmenvertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gemäß § 675a Abs. 1 Satz 1 BGB kündigen, selbst wenn er auf unbestimmten Zeitraum abgeschlossen ist.41) Eine Kündigungsfrist von länger als einem Monat ist nach § 675h Abs. 1 Satz 2 BGB sogar ausdrücklich untersagt. Die Muttergesellschaft kann einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrag nur bei Vereinbarung eines Kündigungsrechtes gemäß § 675a Abs. 2 Satz 1 BGB beenden. Die Kündigungsfrist darf gemäß § 675a Abs. 2 Satz 2 BGB zwei Monate nicht unterschreiten. 44 Um sich damit rechtzeitig von einem solchen Vertrag lösen zu können, bedarf es sowohl auf Seiten der Tochter- als auch der Muttergesellschaft einer strengen Überwachung. Insbesondere die Solvenz der Muttergesellschaft ist laufend zu überprüfen. Das bedingt

___________ 39) S. insgesamt hierzu Kollrus, MDR 2011, 208, 209. 40) S. insgesamt hierzu Kollrus, MDR 2011, 208, 209. 41) Kollrus, MDR 2001, 208 ff. mit Ausführungen zur Qualifikation eines Cashpooling-Vertrages als Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f Abs. 2 BGB.

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die Einrichtung eines Informations- und Frühwarnsystems42), um jederzeit, ggf. auch fristlos, den Cashpool-Vertrag kündigen zu können.43) 2.4

Sonstige Unternehmensverträge

Geradezu kennzeichnend für einen Konzern sind die Unternehmensverträge nach §§ 291 ff. 45 AktG. Für die Konzernsteuerung sind diese Unternehmensverträge von herausragender Bedeutung.44) Besonderen Einfluss auf die Insolvenzgründe hat der Beherrschungsvertrag, Gewinnab- 46 führungsvertrag nach §§ 291 ff. AktG. Dem Anspruch auf Gewinnabführung zugunsten der Muttergesellschaft steht im Falle des Verlustes der Tochtergesellschaft der entsprechende Verlustausgleichanspruch gegenüber. Der Anspruch ist auf Seiten beider Gesellschaften zu aktivieren und zu verzinsen.45) Ist der Anspruch nicht mehr werthaltig, so hat das in entsprechender Höhe zwingend die Wertberichtigung bei der Tochtergesellschaft zur Folge, so dass Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bei der Tochtergesellschaft eintritt. Aber auch wenn kein Beherrschungsvertrag oder Gewinnabführungsvertrag besteht, so 47 können im Konzernverbund bestehende Verpflichtungen bei der Muttergesellschaft zu einer Passivierungspflicht führen. Nach §§ 311 ff. AktG darf ein herrschendes Unternehmen seinen Einfluss nicht dazu benutzen, eine abhängige AG oder KGaA zu veranlassen, für sie nachteilige Rechtsgeschäfte vorzunehmen, ohne Maßnahmen zum Nachteilsausgleich zu treffen. Wird dagegen verstoßen, ist das herrschende Unternehmen zum Nachteilsausgleich nach § 311 Abs. 2 AktG verpflichtet.46) Besteht danach Passivierungspflicht, so hat dies wiederum Einfluss auf die Insolvenzgründe sowie die bestehende Antragspflicht bei der Muttergesellschaft. Umgekehrt stellt sich nach allgemeinem Insolvenzrecht die Frage, ob und ab wann dieser Anspruch bei der Tochtergesellschaft als werthaltig aktiviert werden kann. 2.5

Rangrücktrittserklärung

Rangrücktrittserklärungen sind nicht erst bei möglicher Insolvenz beachtlich.47) Sowohl 48 auf Seiten der durch den Rangrücktritt belasteten Gesellschaft als auch der begünstigten Gesellschaft können sich Belastungen ergeben, die eine Insolvenz nicht verhindern, sondern geradezu auslösen können. Auf Seiten der begünstigten Gesellschaft bestehen steuerliche Risiken, wenn der Rangrück- 49 tritt nicht einwandfrei formuliert ist.48) Fällt aufgrund falscher Formulierungen die Passivierungsmöglichkeit weg, so folgen aus dem dann angenommenen Verzicht steuerliche Nachforderungen. Auch die den Rangrücktritt erklärende Gesellschaft hat die Folgen aus dem Rangrücktritt schon vor Insolvenz zu beachten. Entgegen der Rangrücktrittserklärung erhaltene Zahlungen sind zurückzugewähren. Entsprechende Verbindlichkeiten sind also zu passivieren, was wiederum zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung führen kann. ___________ 42) Willemsen/Rechel, BB 2009, 2215, 2220. 43) S. hierzu Kollrus, MDR 2011, 208, 210 m. umfangreichen weiteren Literaturhinweisen. 44) Der Organschaftsvertrag als atypische Kreditsicherheit: Assies/Beule/Heise/Strube-Steinwachs, Hdb. FA Bank-/KapitalmarktR. 45) BGH, Urt. v. 11.10.1999 – II ZR 102/98, BGHZ 142, 382 ff., 385 f.; Cranshaw, JurisPR-HaGesR 1/2012, Anm. 4 zu OLG München, Beschl. v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, ZIP 2011, 1912. 46) S. hierzu im Einzelnen Wachter-Rothley, AktG, § 311 Rz. 25 ff. 47) K. Schmidt, ZIP 2013, 485, 492 f.; Henkel/Wentzler, GmbHR, 2013, 239 – 243. 48) S. hierzu K. Schmidt, ZIP 2013, 485, 492 f.; Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 240.

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50 Grundsätzlich kann sich von einer solchen Rangrücktrittserklärung nicht gelöst werden. Eine Befristung hat lediglich einen Stundungseffekt, ist also allenfalls zeitweise bei Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen, führt aber nicht zum Nachrang.49) Im Überschuldungsstatus besteht damit Passivierungspflicht.50) Auch eine einseitige Kündigung ist ausgeschlossen. Grundsätzlich hat der Gläubiger daher keine Möglichkeit, sich – ohne Mitwirkung der Gesellschaft – einseitig von dem Rangrücktritt zu lösen.51) Um eine gewisse zeitliche Beschränkung zu erreichen, wird allgemein eine besondere Abrede empfohlen.52) 2.6

Sonstige Verträge im Konzern

51 Die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften sind vielfältig. Eine abschließende Darstellung ist nicht möglich, die Gestaltungsmöglichkeiten reichen von den verschiedensten Arten der „Konzernumlagen“ über „Intercompany-Loans“ bis zu weiteren, zwischen den Gesellschaften gegebenen Garantien. Nicht nur die unmittelbaren Leistungsbeziehungen, sondern auch die Verletzung anerkannter Grundsätze (Dealing at arms length) haben Auswirkungen auf die gesamte Konzernstruktur und die wechselseitigen Insolvenzgründe. Wie bei anderen wechselseitigen Erklärungen stellt sich ebenfalls die Frage, ob und inwieweit sich noch rechtzeitig vor einer drohenden Insolvenz von den sich ergebenden Verpflichtungen losgesagt werden kann. 2.7

Steuerliche Haftungstatbestände im Konzern

52 Schließlich führt die Konzernstruktur auch zu den verschiedensten steuerlichen Haftungsmöglichkeiten, die eine Insolvenz auslösen können. Die sich hieraus ergebenden Inanspruchnahmen sind nicht nur vor, sondern auch während der Insolvenz von besonderer Relevanz. Sie können Lösungen i. S. der betroffenen Gesellschafter und betroffenen Gläubiger wesentlich erschweren, wenn nicht sogar völlig unmöglich machen. 53 Hervorzuheben sind die steuerlichen Haftungstatbestände nach §§ 73 – 75 AO. Vor allem steuerliche Organschaften können bei der jeweiligen Organgesellschaft erhebliche Risiken in der Krise der Organmutter nach sich ziehen (unbeachtet der Passivierungspflicht auf Seiten der Organmutter aus der Übernahme der steuerlichen Verpflichtungen). Denn nach § 73 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Kommt der Organträger also seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach, so besteht die Möglichkeit des Rückgriffs der Finanzverwaltung auch bei anerkannter steuerlicher Organschaft. 54 Die Haftung nach § 73 AO besteht nicht nur für Betriebssteuern, sondern für alle Steuerarten, für die Organschaft möglich ist (also Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer, bei einer natürlichen Person als Organträger auch Einkommensteuer).53) Die Haftung ist dabei nicht nur auf die Steuern des Organträgers beschränkt, die unmittelbar die Organgesellschaft betreffen, also ihr wirtschaftlich zuzuordnen sind. Vielmehr sind vom Haftungskreis auch solche Steuern umfasst, die im Betrieb des Organträgers oder einer anderen Organgesellschaft begründet worden sind54) Schließlich können Zahlungen im Konzern steuerlich zu Ausgleichspflichten wegen verdeckter Gewinnausschüt___________ 49) 50) 51) 52) 53) 54)

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Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 240 f. Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 240. Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 240. Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239, 240 f. Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 73 Rz. 10. S. soweit zu den Voraussetzungen Klein-Rüsken, AO, § 73 Rz. 7, 12 ff. m. w. H.

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

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tung nach § 8 KStG führen. Gesellschaftsrechtlich kommen nach §§ 29, 30, 31 GmbHG, § 57 AktG Rückerstattungsansprüche in Betracht.55) Auf die Literatur wird wegen der möglichen Fallkonstellationen hingewiesen. 3.

Lenkung und Steuerung der Insolvenz in einem nationalen Konzern

Über jede einzelne Gesellschaft ist ein Insolvenzverfahren zu beantragen und zu eröffnen. 55 Ein einheitliches Insolvenzverfahren über alle im Konzern verbundenen Gesellschaften ist ausgeschlossen.56) Jeder einzelne Insolvenzverwalter hat damit den Grundsatz der optimalen Gläubigerbefriedigung für seine Insolvenzmasse zu befolgen. 3.1

Insolvenz der Konzernmutter

Die Ausgangslagen sind unterschiedlich, je nachdem über welche der im Konzern ver- 56 bundenen Gesellschaften das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Aufgrund der oben dargelegten wechselseitigen Verknüpfungen ist die Insolvenz kaum auf eine Gesellschaft im Verbund begrenzt. Da jedoch nicht über die gesamte Gruppe, sondern nur über jede Gesellschaft einzeln ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, ergeben sich wesentliche Unterschiede für Mutter- oder Holdinggesellschaften und Tochter- bzw. Enkelgesellschaften. 3.1.1 Ausgangslage und Ziele einer Konzerninsolvenz Meistens entfaltet die Muttergesellschaft nicht nur reine Holdingfunktion, sondern hat 57 regelmäßig auch einen eigenen Geschäftsbereich. Soweit sie selbst von der Insolvenz unternehmerisch betroffen ist, kann daher uneingeschränkt auf die allgemeinen Darstellungen verwiesen werden. Im Rahmen der Konzernfunktion geht es dagegen im Wesentlichen darum, ob und inwieweit der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft weiterhin Konzernleitungsmacht ausüben kann, um so Werte zu erhalten und zu heben, um eine Sanierung im Konzernverbund zu ermöglichen. Eine Konzerninsolvenz hat ihre wesentlichen betriebswirtschaftlichen Ursachen. Regel- 58 mäßig sind zumindest auch neben den einzelnen Faktoren in dem eigenen Unternehmensbereich der Muttergesellschaft wirtschaftlich instabile Tochtergesellschaften für die Krise des Gesamtkonzerns verantwortlich. Es gilt daher in jeder Konzerninsolvenz, überlebensfähige Einheiten zu erhalten, möglicherweise selbst von der Insolvenz bedrohte oder betroffene Tochtergesellschaften mit Unterstützung des Insolvenzverwalters der Konzernmutter zu sanieren. Ist das nicht möglich, so muss aber auch trotz erheblichen Drucks der Öffentlichkeit die mutige Entscheidung ergriffen werden, die jeweilige Tochtergesellschaft zu liquidieren und ggf. i. R. einer eigenen Insolvenz alle Chancen für eine isolierte Sanierung zu suchen. Ziel eines Konzerninsolvenzverfahrens muss es daher auch sein herauszuarbeiten, welche 59 Einheiten überlebensfähig sind. In diesem Rahmen müssen die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um einen Erhalt i. R. des Konzernverbundes zu ermöglichen. Kann der Konzernverbund selbst nicht erhalten werden, so müssen die überlebensfähigen Tochtergesellschaften überleben, zunächst in deren eigenem wirtschaftlichen Interesse, aber auch im Interesse der Muttergesellschaft, um die in dieser Beteiligung liegenden Werte durch einen Verkauf für die Gläubiger heben zu können. Um die hierfür bestehenden Möglich___________ 55) S. hierzu die umfangreiche Übersicht von Baumbach/Hueck-Fastrich, GmbHG, § 29 Rz. 29 ff., § 30 Rz. 13 ff., § 31 Rz. 3 ff.; Wachter-Servatius, AktG, § 57 Rz. 8 ff., jeweils m. umfangreicher Literaturübersicht. 56) Insgesamt zur Koordination in einem Konzerninsolvenzverfahren vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 – 569 m. umfangreichen Literaturhinweisen.

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keiten auszuschöpfen, obliegt es dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft soweit als möglich, weiterhin Leitungsmacht auf die betroffenen Gesellschaften ausüben zu können. 3.1.2 Konzernleitungsmacht 60 Ob der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft seine Leitungsmacht weiterhin auf einen Beherrschungsvertrag stützen kann, ist umstritten. Die früher in der KO herrschende Rechtsprechung hat schon bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine automatische Auflösung der Unternehmensverträge bejaht.57) Ein großer Teil der Literatur schließt sich noch heute dieser Auffassung an.58) Dem wird heute zunehmend widersprochen. Soweit nicht andere Tochtergesellschaften insolvent seien, gebiete es das Sanierungsinteresse geradezu, dem Insolvenzverwalter der Obergesellschaft auch das gesellschaftsrechtliche Instrumentarium an die Hand zu geben. Ihm wird lediglich ein Kündigungsrecht zugebilligt.59) 61 Jeder Insolvenzverwalter einer Obergesellschaft steht damit vor der Fragestellung, wie er angesichts dieses unterschiedlichen Meinungsstandes mit dieser Situation umgeht. Da der Beherrschungsvertrag zu einer Verlustausgleichspflicht führt, ist jedenfalls höchste Vorsicht geboten. Denn die Masseerhaltungspflicht steht vor dem Sanierungszweck, jedenfalls darf die eigene, zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehende Masse nicht gefährdet werden, indem ohne erforderliche Kontrolle Risiken aus solchen Beherrschungsverträgen auf sich genommen werden. Da der Kontrollverlust für eine Konzerninsolvenz geradezu kennzeichnend ist, wird regelmäßig zur Kündigung – auch zur formalen Kündigung – solcher Beherrschungsverträge anzuraten sein. 62 Im Nicht-Vertragskonzern oder faktischen Konzern fehlen demgegenüber vertragliche Einflussmöglichkeiten. Die Frage nach einer Kündigung oder automatischer Auflösung stellt sich damit nicht.60) Die Ausübung oder Erduldung von Leitungsmacht sei nur den Gesellschaftsorganen zugewiesen. Der Insolvenzverwalter tritt nicht in diese Funktion ein.61) 63 Unbeachtet dieser Ausgangsfragestellungen hält der Insolvenzverwalter der Obergesellschaft die Anteile an der Tochtergesellschaft in der Insolvenzmasse. Er kann daher diese Anteilsrechte auch ausüben.62) Das schließt die Abberufung und Neubestellung von Geschäftsführern ein.63) Im Rahmen der Gesellschafterversammlung hat er ebenfalls volles Stimmrecht. 64 Regelmäßig bedarf es daher überhaupt nicht der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten i. R. eines Beherrschungsvertrages. Alle wesentlichen Fragen des Leistungsaustausches können durch Einzelverträge mit den jeweiligen Tochtergesellschaften geregelt werden. Das schließt auch den finanziellen Ausgleich von Holdingfunktionen i. R. von Konzernumlageverträgen ein. Werden die Grundsätze der Angemessenheit entsprechend „Dealing at arms length“ gewahrt, so dürfte sich dem kein selbständiger Geschäftsführer entziehen können. Das Bedürfnis nach einer echten „Beherrschung“ stellt sich daher nur in den seltensten Fällen. ___________ 57) S. hierzu BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1 ff., 6 = ZIP 1988, 229. 58) Hüffer, AktG, § 297 Rz. 22a; Emmerich/Habersack-Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52 ff., allgemein zum Meinungsstand Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258; Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005), 528, 546 ff. 59) S. hierzu Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 407, ebenfalls m. umfangreicher Meinungsübersicht. 60) Böcker, GmbHR 2004, 1314, 1315; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 412 f. m. w. H. 61) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 413. 62) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 80 Rz. 184. 63) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 80 Rz. 184.

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3.1.3 Bilanzielle Bereinigung der Beteiligungsstrukturen Um Folgeinsolvenzen der einzelnen Tochter- und Enkelgesellschaften zu vermeiden, damit 65 die Werte im Konzern heben zu können, sind bei einzelnen betroffenen Tochtergesellschaften regelmäßig finanzielle Maßnahmen unumgänglich. Es gilt, die Insolvenzantragspflicht wegen möglicher Überschuldung zu vermeiden. Auch wenn insoweit die zweistufige Überschuldungsprüfung durch das Gesetz vom 5.12.2012 Erleichterung gebracht hat,64) so ist dennoch in der Regel eine bilanzielle Restrukturierung erforderlich. Da die Muttergesellschaft in ihrer eigenen Bilanz im Wesentlichen nur auf der Aktivseite 66 die Buchwerte den tatsächlichen Werten anpassen muss, sind die Risiken für den Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft leichter kalkulierbar. Steuerliche Risiken drohen ihm nur dann, wenn vor Insolvenzeröffnung oder in der Insolvenz vorgenommene Wertberichtigungen später rückgängig gemacht werden müssen. Denn aufgrund der Regeln über die Mindestbesteuerung (vgl. § 10d Abs. 2 EStG) können Verlustvorträge auf solche Buchgewinne möglicherweise nur eingeschränkt ausgenutzt werden. Dem kann durch die Erweiterung des Liquidationsbesteuerungszeitraumes nach § 11 KStG nur eingeschränkt begegnet werden. Anders dagegen auf Ebene der Tochtergesellschaften. Verzichtet der Insolvenzverwalter 67 der Muttergesellschaft auf Forderungen jeglicher Art, stellt das nur eine einseitige Maßnahme dar. Die Voraussetzungen eines steuerfreien Sanierungsgewinnes sind damit regelmäßig nicht erfüllt.65) Dem kann zwar zumindest eingeschränkt durch rechtlich einwandfrei formulierte Rangrücktrittserklärungen begegnet werden.66) Um jedoch nicht später eine Nachversteuerung bei der Tochtergesellschaft auszulösen, muss die zugrunde liegende Forderung unter Aufrechterhaltung der Rangrücktrittserklärung bei einer Veräußerung der Beteiligung mit übertragen werden. 3.1.4 Liquiditätsplanung im Konzern Im Zentrum jeder Betriebsfortführung steht die Liquiditätsplanung und -steuerung. Das 68 gilt schon für jede Einzelinsolvenz, erst recht aber für die Konzerninsolvenz. Wenn der Insolvenzverwalter der Obergesellschaft wesentliche Teile des Konzerns oder gar den Konzern im Ganzen erhalten will, so hat er nicht nur die Fortführung der Muttergesellschaft, sondern auch der einzelnen Tochtergesellschaften zu ermöglichen. Es ergeben sich vier wesentliche Fragestellungen: 69 x Welche Einflussmöglichkeiten stehen dem Insolvenzverwalter noch auf die Tochtergesellschaften zu? x Darf er liquide Mittel aus den Tochtergesellschaften dafür verwenden, um die Muttergesellschaft aufrecht zu erhalten? x Darf er eigene Mittel der Muttergesellschaft verwenden, um Tochtergesellschaften fortführen zu können? x Darf der Insolvenzverwalter von Tochtergesellschaften erwirtschaftete Mittel dazu verwenden, andere konzernverbundene Gesellschaften aufrecht zu erhalten? Zunächst gelten für die Liquiditätsplanung im Konzern die gleichen Grundsätze wie bei 70 der Insolvenz einer Einzelgesellschaft. Zu- und Abflüsse von und zu den Tochtergesellschaften sind auf gleicher Basis in die Planungsgrundlagen einzubeziehen. Zur Abgren___________ 64) Vgl. K. Schmidt, ZIP 2013, 485, 491 ff. 65) S. hierzu Schreiben des BMF v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, „Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen; Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen“. 66) Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239 ff.

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zung sind Kostenstellen für jede Gesellschaft einzurichten. Ohne eine solche Spartenplanung drohen unzulässige Vermischungen. Der Insolvenzverwalter setzt sich der Gefahr aus, unkontrolliert Masse für nicht erhaltungsfähige Einheiten zu verschwenden. 71 Das wirft die weitere Frage auf, ob und in welchem Umfange der Insolvenzverwalter Zuflüsse von den Tochtergesellschaften als sicher einplanen und Abflüsse für die Tochtergesellschaften berücksichtigen kann und muss. Kehrseite jedes Beherrschungsvertrages sind der Ergebnisabführungsvertrag sowie die Verlustübernahmeverpflichtung. Hinsichtlich der Beendigung dieser betriebswirtschaftlichen Komponente gelten die gleichen Grundsätze wie für den Beherrschungsvertrag.67) Selbst wenn man aber annimmt, dass dieser Konzernvertrag auch in der Insolvenz der Obergesellschaft weiter aufrechterhalten werden kann, der Insolvenzverwalter weiterhin das Risiko eingeht, von einer Kündigung abzusehen, so können Zu- und Abflüsse lediglich i. R. des gesetzlichen Gewinnausschüttungsverfahrens einschließlich möglicher Vorabausschüttungen eingeplant werden. Ein kurzfristiger Zugriff ist wechselseitig ausgeschlossen. 72 Kurzfristigen Zugriff auf Mittel der Tochtergesellschaften ermöglicht damit, auch in der Insolvenz der Konzernmutter, nur die Aufrechterhaltung oder Neueinrichtung eines Cashpooling. Ein bestehender Cashpooling-Vertrag als Zahlungsdiensterahmenvertrag endet nach § 115, 116 InsO automatisch in der Insolvenz.68) Damit müsste ein Cashpooling neu eingerichtet werden. Rechtlich besteht sicherlich die Möglichkeit für eine solche Vorgehensweise. Angesichts der erheblichen Haftungsrisiken für die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften nach § 43 Abs. 2 GmbHG wird hierfür jedoch regelmäßig kaum eine entsprechende Bereitschaft bestehen.69) Einseitig kann der Insolvenzverwalter in keinem Falle seinen Willen durchsetzen, da es eines entsprechenden Vertragsabschlusses bedarf. Auch dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft drohen aufgrund der wechselseitigen Darlehensgewährungen erhebliche Haftungsrisiken. Wie will er in der Kürze der Zeit gewährleisten, dass er auf der einen Seite in Anspruch genommene Darlehen auch jederzeit zurückführen kann, auf der anderen Seite an Tochtergesellschaften gewährte Darlehen rechtzeitig zurückerhält? 73 Sollen damit kurzfristige Zu- und Abflüsse ermöglicht werden, so bleibt nur, die wechselseitigen Leistungsbeziehungen auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen, wenn nicht schon bisher ein entsprechendes vertragliches Regelwerk im Konzern bestand. Sämtliche bisher zwischen den Gesellschaften bestehenden Verträge stehen bei Insolvenz auch nur einer der verflochtenen Gesellschaften auf dem Prüfstand, gleichgültig ob Mutter- oder Tochtergesellschaft. Dazu gehören auch Finanzierungen der anderen Konzerngesellschaften wie über eine Finanzierungsholding. In der Insolvenz steht diese Liquidität, z. B. in Folge etwaiger Kündigung aus wichtigem Grunde oder als Folge des § 41 InsO, möglicherweise nicht mehr zur Verfügung. Im eröffneten Verfahren sind diese Verbindlichkeiten für die Schuldnergesellschaft im Allgemeinen als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO oder als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unter den dortigen Voraussetzungen nicht mehr bei der Liquiditätsplanung einzubeziehen. Dazu gehören aber auch die sonstigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen, insbesondere die sog. „Konzernumlagen“.70) Von besonderer Bedeutung sind die Vereinbarungen über immaterielle Rechtsgüter (Patente, Marken, Urheberrechte, Lizenzen usw.).71) ___________ 67) Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258; Böcker, GmbHR 2004, 1314, 1315; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 547 f. 68) S. hierzu Palandt-Sprau, BGB, 72. Aufl., § 675 f. Rz. 24; Uhlenbruck-Sinz, InsO, §§ 115, 116 Rz. 16, jeweils m. w. H. 69) S. hierzu Lieder, GmbHR 2009, 1177 – 1185. 70) S. insoweit den Überblick bei Bernegger/Rosenberger/Zöchling, Hdb. Verrechnungspreise, S. 353 ff. 71) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501 ff., 886 f.

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Auf der einen Seite kann der Insolvenzverwalter der Obergesellschaft diese Leistungsbe- 74 ziehungen anpassen, soweit hierzu die Möglichkeiten insbesondere nach §§ 103 ff. InsO bestehen. Auf der anderen Seite hat er i. R. einer eigenen Due Diligence stets zu ermitteln, ob die Art und der Umfang der Abrechnung nicht nur im Inhalt, sondern vor allem auch bei einem übernationalen Konzern einer steuerlichen Außenprüfung standhalten werden. Zu Recht wird daher gefordert, dass die Erstellung eines ständig zu aktualisierenden Konzernorganigramms eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Analyse und die Einführung der Konzernumlagen ist. Auch in der Insolvenz und erst recht in der Insolvenz ist diese laufende Analyse ein unverzichtbares Element für die Betriebsfortführung.72) Um sich all diesen Risiken nicht auszusetzen, ist es nicht nur für den Insolvenzverwalter der Obergesellschaft unabdingbare Voraussetzung, dass er bei einer Fortführung im Konzern dieses Regelwerk im Konzern neu strukturiert, insbesondere insolvenzrechtlichen und steuerlichen Gegebenheiten anpasst. Dabei hat er auch Sorge dafür zu tragen, dass vonseiten der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft nicht zu Recht Leistungen und Zahlungen verweigert werden können. Diese Neuordnung ist der Kernpunkt einer Betriebsfortführung im Konzern. Sind die Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften entweder 75 auf Grundlage der alten Vertragsbedingungen fortzuführen oder auf eine neue Basis gestellt, so schließt sich die weitere Frage an, ob der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft neben der bilanziellen Bereinigung der Krisensituation, Tochtergesellschaften auch liquide Mittel zuführen kann, um deren Überleben entweder für eine weitere Sanierung oder für eine Veräußerung zu sichern. Der Insolvenzverwalter hat die Masse zu erhalten und zu sichern. Spekulationen sind ihm untersagt. Will er daher Darlehen an Tochtergesellschaften i. R. eines Liquiditätszuschusses vergeben, so müssen hierfür Chancen und Risiken im Einzelnen exakt abgewogen werden. Wie schon bei der Betriebsfortführung i. R. einer Einzelgesellschaft bedarf es hierzu einer genauen Kontrolle der Liquidität. Ohne entsprechende Kontrollinstrumente bei der Tochtergesellschaft ist von vorneherein eine solche Darlehensgewährung ausgeschlossen, da noch nicht einmal feststeht, ob die in der Tochtergesellschaft steckenden Werte gehalten und gehoben werden können. Selbst wenn eine solche Kontrolle aufgrund Absprachen zwischen dem Insolvenzverwalter der Konzernmutter und den Geschäftsführern der Tochtergesellschaften möglich ist, steht die Werthaltigkeit dieses „Assets“ laufend auf dem Prüfstand. Auch wenn der öffentliche Druck noch so stark ist, darf diesem Druck nicht nachgegeben werden, wenn nicht wirtschaftlich in nachvollziehbarer Weise Risiken für die eigene Masse der Muttergesellschaft ausgeschlossen werden können. Das erfordert auch eine genaue Analyse der, i. R. der möglichen Verkaufsverhandlungen von einem potentiellen Erwerber regelmäßig verlangten, Garantien und Haftungsübernahmen. Diese Vorgaben gelten erst recht für eine Querfinanzierung zwischen den einzelnen 76 Gesellschaften. Soweit der Konzernverwalter der Muttergesellschaft von den Tochtergesellschaften erlangte Mittel einsetzen will, so gelten die obigen Regeln. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Gewinnausschüttung oder eine Darlehensgewährung der Tochtergesellschaft an die Insolvenzverwaltung der Obergesellschaft. Unmittelbare Querfinanzierungen zwischen den Tochtergesellschaften bedürfen einzelner vertraglicher Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Geschäftsführern. Es gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen und sonstigen haftungsrechtlichen Grundsätze. Angesichts der Krisensituation des Gesamtkonzernes wird eine solche Querfinanzierung regelmäßig zu erheblichen Haftungsrisiken für die jeweiligen Geschäftsführer führen und kann damit nur in Ausnahmefällen ___________ 72) S. hierzu Bernegger/Rosenberger/Zöchling, Hdb. Verrechnungspreise, S. 361; Fritze, DZWIR 2007, 89 ff., 90.

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in Betracht kommen. Querfinanzierungen werden damit nur dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn der Bestand der darlehensgewährenden Tochtergesellschaft selbst akut bedroht ist. 3.1.5 Veräußerung der Beteiligung 77 Von vorneherein muss der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft immer auch die Veräußerung einzelner Beteiligungen in sein Kalkül einbeziehen. Bevor er stützende Maßnahmen ergreift, muss er auch die Übertragungsmöglichkeiten im Einzelnen analysieren, um in Verkaufsverhandlungen mit potentiellen Erwerbern bestehen zu können. 78 Die Konzernstruktur zieht dabei wieder besondere Risiken nach sich. Die mögliche Veräußerung verhindern können Haftungstatbestände x

aus der Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft auf andere Gesellschaften im Konzern,

x

die nicht ordnungsgemäße Erbringung der gezeichneten Einlagen insbesondere in Cashpooling-Verfahren,73)

x

sonstige Haftungs- und Anfechtungstatbestände im Cashpooling,74)

x

Haftungstatbestände aus Gewährung verdeckter Einlagen bzw. verdeckte Rückzahlungen auf das Stammkapital etc.

79 Vor allem steuerliche Nachforderungen aufgrund vor Insolvenzeröffnung bestehender Organschaften können mögliche Veräußerungen verhindern.75) Denn die Organgesellschaft haftet nach § 73 AO für von dem Organträger nicht abgeführte Umsatzsteuern, Körperschaftsteuern und Gewerbesteuern. Dabei ist nach h. M. die Haftung nicht nur auf von der Organgesellschaft selbst wirtschaftlich verursachte Steuern begrenzt, sondern umfasst alle im Betrieb des Organträgers oder einer anderen Organgesellschaft begründete Steuern.76) Weiterhin sind im Konzern noch Haftungstatbestände nach § 74 AO (Haftung des Eigentümers von Gegenständen, insbesondere bei der Betriebsaufspaltung) und nach § 75 AO (Haftung des Betriebsübernehmers) zu beachten. 80 Im Rahmen von Verkaufsverhandlungen wird jeder Erwerber insbesondere diese steuerlichen Fragestellungen intensiv in seine Prüfung einbeziehen. Will ein Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft die Veräußerbarkeit der Beteiligung erhalten, so hat er vor jeglicher Unterstützungshandlung diese Risiken in seine Erwägung einzubeziehen, um nicht später abrupt zu erwachen. Ohne eine solche Überprüfungsmöglichkeit ist ihm aus Haftungsgründen kaum eine aktive Stützung zu empfehlen. Ob und inwieweit es interessengerecht ist, wegen der schon bei der Konzernmutter anzumeldenden Steuerforderungen weitere Folgeinsolvenzen in Kauf zu nehmen, muss in eine Reform des Konzerninsolvenzrechtes mit einbezogen werden. Denn die Quotenaussichten insbesondere des Fiskus werden durch die gleichzeitige Insolvenz von Mutter- und Tochtergesellschaft wahrlich nicht verbessert. 3.1.6 Insolvenzplanverfahren 81 Sicherlich wäre es wünschenswert, mehrere in einem Konzern verbundene Gesellschaften, einschließlich der Obergesellschaft, einheitlich durch ein Insolvenzplanverfahren sanieren ___________ 73) S. Theusinger, NZG 2009, 1017 – 1019. 74) S. hierzu Zahrte, NZI 2010, 596 – 598; zur Anfechtung allgemein s. Paulus, ZIP 1996, 2141 – 2148. 75) Zur Frage der Beendigung der Organschaft im vorläufigen Insolvenzverfahren BFH, Urt. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, ZInsO 2009, 1262 ff. 76) S. hierzu u. a. Klein-Rüsken, AO, § 73 Rz. 7–11; eine andere Frage ist, inwieweit eine solche Inhaftungnahme für außerhalb der Organgesellschaft wirtschaftlich begründete Steuern ermessensgerecht ist.

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zu können.77) Auch in dieser besonderen Verfahrensart gilt jedoch der Grundsatz, dass jede Gesellschaft für sich zu betrachten ist. Das Insolvenzplanverfahren ist ebenso wie das Regelinsolvenzverfahren rechtsträgerbezogen.78) Daher kann kein einheitlicher Insolvenzplan über mehrere Konzerngesellschaften, möglichst mit einheitlicher Gruppenbildung, vorgelegt und verabschiedet werden.79) Damit ist es vor allem ausgeschlossen, außerhalb eines eigenen Insolvenzverfahrens Tochtergesellschaften und Muttergesellschaften zusammen in der Weise einzubeziehen, dass durch einen Insolvenzplan über die Konzerngruppe latente Risiken der Tochtergesellschaften etwa aus steuerlicher Mithaftung oder sonstige durch die Konzernzugehörigkeit bedingte Haftungsrisiken beseitigt werden. Auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage kann diese Vorstellung kaum verwirklicht werden. 82 Die Beseitigung der Insolvenzgründe bei der Muttergesellschaft erfordert, dass in den Beteiligungen steckende Werte wieder gehoben und positive Zahlungszuflüsse ermöglicht werden. Die Sanierung der Muttergesellschaft wird regelmäßig nur dann gelingen, wenn zumindest auch einzelne Tochtergesellschaften über eigene Insolvenzpläne saniert werden. Der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft hat damit in seine Planung einzubeziehen, auch gezielt Insolvenzverfahren über die Tochtergesellschaften einzuleiten. Aber auch wenn seine unmittelbaren Einflussmöglichkeiten i. R. deren Insolvenz nur eingeschränkt sind, muss er entsprechende Vorbereitungen treffen, etwa indem er die für eine mögliche Insolvenz der Tochtergesellschaft erforderliche Liquidität zur Verfügung stellt. Nicht nur im Insolvenzplanverfahren stellt sich damit die Frage, wie eine Insolvenz über mehrere, in einem Konzern verbundene Gesellschaften koordiniert werden kann. 3.1.7 Vorläufiges Insolvenzverfahren Ohne Einleitung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren, kann die Mutter- 83 gesellschaft nach wie vor ihr Weisungsrecht durchsetzen, setzt sich allerdings dem Risiko aus, dass sie ggf. zur Stellung entsprechender Sicherheiten durch die verbundene Tochtergesellschaft gezwungen werden kann.80) Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die „schwache“ vorläufige Insolvenzverwaltung. Weisungen des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters sind danach gemäß § 21 Nr. 2 InsO zu beachten.81) Bei Anordnung der „starken“ Insolvenzverwaltung gelten die Grundsätze über das eröff- 84 nete Verfahren im Wesentlichen entsprechend. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter muss sich selbst an die konzernrechtlichen Zulässigkeitsgrenzen halten. Bei einem Missbrauch der Konzernleitungsmacht sind sich ergebende konzernrechtliche Ausgleichspflichten im später eröffneten Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen.82) Für die Ausübung von Kündigungsrechten gelten ebenfalls die Grundsätze für das eröff- 85 nete Verfahren entsprechend. Das gilt sowohl für die Mutter- als auch für die Tochtergesellschaft. Grundlage der für beide Seiten möglichen Kündigungsrechte ist, dass die Muttergesellschaft ihre vertraglichen Pflichten im Konzern nicht mehr erfüllen kann.83) ___________ S. Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 43 f. So Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 546 f.; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 414 f. m. w. H. S. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528. S. hierzu im Einzelnen die umfassende Darstellung von Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren. 81) Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 284. 82) Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 285 ff. 83) Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 287 f.

77) 78) 79) 80)

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3.1.8 Haftung des Insolvenzverwalters der Muttergesellschaft 86 Verletzt der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft insolvenzspezifische Pflichten, so haftet er nach Maßgabe der §§ 60, 61 InsO.84) Haftbar macht sich der Insolvenzverwalter also insbesondere dann, wenn er schuldhaft die eigene Masse verringert oder gefährdet hat. Aus § 61 InsO ergibt sich ggf. eine persönliche Einstandspflicht, wenn bei der Fortführung im Konzern aufgenommene Darlehen nicht ordnungsgemäß zurückgeführt werden können. 87 Daneben wird eine persönliche Haftung analog § 309 AktG erwogen.85) Der Insolvenzverwalter ist aber keinesfalls gesellschaftsrechtliches Organ der Gesellschaft, sondern nur deren Masseverwalter. Abgesehen von der inneren Notwendigkeit einer solchen Haftungserweiterung erscheint eine solche Analogie daher nicht angebracht. 3.1.9 Eigenverwaltung 88 In der Konzerninsolvenz stellt die Eigenverwaltung kein Allheilmittel dar. Die Betriebsfortführung steht denselben Problemen gegenüber wie im Regelinsolvenzverfahren, abgesehen von der ggf. positiven Wirkung des „debtor in possession“ auf die Märkte des betroffenen Konzerns, der Mutter- ebenso wie der Tochtergesellschaften.86) 89 Auch in der Eigenverwaltung gilt, dass jede einzelne Gesellschaft für sich zu beurteilen ist. Neben der Ermittlung der Insolvenzgründe muss daher für jede einzelne Gesellschaft Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung gestellt werden. Für jede Gesellschaft müssen weiterhin die Voraussetzungen der §§ 270 ff. InsO erfüllt sein. Dabei besteht i. R. der konzernrechtlichen Leitungsmacht die Möglichkeit der Muttergesellschaft, ihre Organe zu veranlassen, Eigenverwaltung zu beantragen, um einen Sanierungsverbund zu erreichen.87) 90 Die Folge der Eigenverwaltung für Unternehmensverträge und die damit verbundene steuerliche Organschaft sind noch nicht abschließend geklärt.88) Ein automatisches Ende der Unternehmensverträge in der Insolvenz wird einheitlich abgelehnt. Bejaht wird jedoch ein eigenständiges Kündigungsrecht.89). Das Leitbild der Beendigung und Eingliederung des beherrschten Unternehmens durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens (und die Bestellung eines Insolvenzverwalters nach Maßgabe des § 80 InsO), das bisher in Praxis und Rechtsprechung vorherrschte, trifft wegen der zunehmenden Zahl der Eigenverwaltungen nicht mehr zu. Andererseits bleibt die Trennung der verschiedenen Gesellschaften und der Verfall des Einflusses der Gesellschaftsorgane auf die Geschäftsführung während des Insolvenzverfahrens (§ 276a InsO). 91 Bei Ausübung der sich danach ergebenden Wahlrechte bedarf es zunächst nicht der Mitwirkung des Sachwalters. Denn nach § 279 InsO gelten die §§ 103 bis 128 InsO mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner selbst tritt. Es ist lediglich das Einvernehmen des Sachwalters als Sollvorschrift herzustellen. Wenn schon bei der Kündigung solcher Verträge keine Zustimmungspflicht außer i. R. des § 277 InsO besteht, so bedarf es zur Ausübung des Weisungsrechts erst recht nicht der Zustimmung des Sachwalters für die Wirksamkeit im Außenverhältnis.90) Werden Informationspflichten ___________ 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90)

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S. hierzu Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 232 – 235. Auch hierzu s. Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 35 – 246. S. die informative Darstellung von Kübler-Kübler, HRI, § 18, S. 437 – 455. S. hierzu Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 6. S. Tipke/Lang-Montag, Steuerrecht, § 14 AO Rz. 28 ff. (Stichwort Fortentwicklung). S. hierzu Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 15 – 24. S. hierzu Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 3.

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verletzt oder drohen sonstige Nachteile für die Gläubiger, so hat der Sachwalter damit im Wesentlichen nur die entsprechenden Hinweispflichten und Möglichkeiten nach § 274 Abs. 3 InsO. Hinsichtlich der Einbeziehung der Gläubigerausschüsse kann auf die allgemeinen Vorschriften verwiesen werden. Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen werden lediglich durch die insolvenzrechtlichen 92 Beschränkungen überlagert, so dass Weisungsrechte der Mutter- oder Obergesellschaft nicht dem Insolvenzzweck des § 1 InsO zuwiderlaufen dürfen.91) Bestehen bleibt aber die Nachteilsausgleichspflicht im Konzern. Dieser Nachteilsausgleich sollte in einem eigenständigen Vertragswerk geregelt werden. Sind Nachteile offensichtlich, so hat das der Sachwalter entsprechend den gesetzlichen Vorschriften der §§ 270 ff. InsO anzuzeigen, was zum Ende der Eigenverwaltung führen kann.92) Die sich aus dem gesellschaftsrechtlichen Gefüge gründende Möglichkeit zur gemein- 93 schaftlichen Lenkung besteht auch in einem Insolvenzverfahren fort, daher wird ebenfalls im faktischen Konzern bei Eigenverwaltung vom Fortbestand dieser tatsächlichen Konzernleitungsmacht ausgegangen.93) Da gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren die Einflussmöglichkeiten auf den Gesamt- 94 konzern damit in jedem Falle erheblich weitergehen, kann eine Fortführung bei Eigenverwaltung leichter gesteuert werden. Die Rechte der alten Geschäftsleitung gehen weiter als im Regelinsolvenzverfahren. Grenzen finden sich lediglich i. R. des allgemeinen Missbrauchs der Konzernleitungsmacht, die zu einer entsprechenden Haftung aus § 309 AktG führen können. Zwar sollen die Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung nicht nach §§ 60, 61 InsO haften. Überschreiten sie jedoch ihre Konzernleitungsmacht, so müssen die allgemeinen Grundsätze gelten.94) Der Sachwalter dagegen ist – wie oben dargelegt – anders als der Insolvenzverwalter nicht 95 unmittelbar in die Leitungsmacht integriert. Eine eigenständige Haftung des Sachwalters ist damit wegen Verletzung der Konzernleitungsmacht grundsätzlich ausgeschlossen, auch wenn man eine solche Haftung für den Insolvenzverwalter selbst bejaht. Es bleibt bei der allgemeinen Haftung als Sachwalter, wenn insbesondere die Nachteilhaftigkeit des eingeschlagenen Weges nicht rechtzeitig angezeigt wird. Da § 55 Abs. 4 InsO voraussichtlich nicht gilt, ergeben sich im Antragsverfahren positive 96 Liquiditätseffekte. Ebenso wie bei dem Einzelverfahren über eine Gesellschaft oder ein sonstiges Unternehmen können damit unter der Voraussetzung der endgültigen Bestätigung durch die Finanzverwaltung entsprechende Zuflüsse brutto eingeplant werden. 3.1.10 Einflussmöglichkeiten der Gläubigerorgane Regelmäßig liegt die Fortführung im Konzern im Interesse der Gläubiger der Mutterge- 97 sellschaft. Die möglichen Auswirkungen ergeben sich bei den Insolvenzverfahren über Tochtergesellschaften; auf die nachstehenden Ausführungen unter Rz. 98 ff. wird daher verwiesen.

___________ 91) 92) 93) 94)

S. hierzu Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 22 m. w. H. S. Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 22 f. Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 24. Vgl. allgemein zur Haftung der Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung, Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 55 – 58.

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§ 21 3.2

Teil III Einzelfragen Insolvenz der Tochtergesellschaft

98 Nur in Ausnahmefällen wird sich eine Insolvenz auf die Konzernobergesellschaft beschränken lassen. Gerade wegen der Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Insolvenzursachen im Konzern erstreckt sich eine Insolvenz eigentlich immer neben der Konzernmuttergesellschaft auf eine oder mehrere Tochtergesellschaften. Im Gegensatz zu dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft hat sich der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft ausschließlich auf die seiner Verwaltung unterliegende Masse zu konzentrieren. Risiken im Konzerninteresse darf er nur dann eingehen, wenn die eigene Insolvenzmasse nicht gefährdet wird. Damit fragt sich, ob und in welchem Ausmaße der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft bei der Fortführung und Sanierung des Gesamtkonzernes mitzuwirken hat oder mitwirken kann. 3.2.1 Gesellschaftsrechtliche Unterwerfung unter die Konzernleitungsmacht 99 Der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft ist nicht Adressat beherrschungsvertraglicher Weisungen im Konzern.95) Dieses Ergebnis folgt aus der autonomen Stellung des Insolvenzverwalters, die sich mit Weisungen durch Gesellschafter, andere Gesellschaftsorgane oder Dritte nicht verträgt,96) Auch wenn man keine automatische Beendigung des Beherrschungsvertrages annimmt, es der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft weiterhin versäumt hat, die Kündigung auszusprechen, ist der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft damit keinen Weisungen unterworfen. Ein aktives Handeln, etwa eine Kündigung, wird von ihm nicht verlangt. 100 Wird schon eine entsprechende Weisungsabhängigkeit im Vertragskonzern verneint, so gilt das erst recht für den faktischen Konzern. Abhängigkeiten ergeben sich ausschließlich aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse. Gesellschaftsrecht greift aber nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter. 3.2.2 Insolvenzrechtliche Mitwirkungspflichten 101 Damit bestimmt sich die Mitwirkung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaft bei der Betriebsfortführung im Konzern ausschließlich nach Insolvenzrecht. Auf freiwilliger Basis ist eine Mitwirkung immer möglich. Unter welchen Voraussetzungen besteht hierzu jedoch eine Verpflichtung? 102 Zu Recht weist Eidenmüller darauf hin, dass sich die Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters als Funktionsträger im Insolvenzverfahren nach § 1 Satz 1, § 159 InsO auf die Pflicht beschränkt, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen nach dem Berichtstermin bestmöglich zu verwerten.97) Dabei hat der Insolvenzverwalter alle Chancen und Risiken einzubeziehen. Eine sorgfältige Abwägung ist erforderlich. Ergibt sich danach aber, dass die weitere Unterstützung im Konzern – wie regelmäßig gegeben – die Werthaltigkeit der eigenen Insolvenzmasse erhält und verbessert, so hat der jeweilige Insolvenzverwalter diese Chance auch zu nutzen. Auch wenn man zu Recht eine bürgerlich-rechtliche oder sonstige rechtliche Verpflichtung ablehnt, ergibt sich insolvenzrechtlich aus dem Obstruktionsverbot eine Kooperationspflicht.98) Zerschlagungsmaßnahmen sind nicht angebracht, wenn eine Fortführung im Konzern die besseren Aussichten für eine höhere Quote als bei einer isolierten Insolvenzabwicklung ermöglicht. Unter diesen Vorausset___________ 95) S. hierzu m. umfangreichem Nachweis Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 292 ff.; Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258. 96) S. Böcker, GmbHR 2004, 2004, 1257, 1258. 97) Vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 551 f. 98) S. hierzu ausführlich Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 114 ff.

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zungen sind auch weiterhin Service-Leistungen der Konzernmutter in Anspruch zu nehmen. Dann hat der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft auch an einer Reorganisation im Gesamtkonzern, ggf. auch durch Insolvenzplan, mitzuwirken.99) Die Verantwortung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaft ist damit hoch. Ne- 103 ben den Planungen für die eigene Tochtergesellschaft muss er bei der erforderlichen Risikoabwägung immer auch die Chancen und Aussichten im Konzern einbeziehen. Ohne ein geeignetes Informationssystem und ohne Mitwirkung der Obergesellschaft wird er aber zwingend zu einer isolierten Verfahrensabwicklung kommen müssen, da ihm eine nachvollziehbare Einschätzung von Vor- und Nachteilen verwehrt ist. Eine Kooperationspflicht besteht allenfalls, wenn der Insolvenzverwalter der Tochterge- 104 sellschaft die eigene Masse seines Insolvenzverfahrens nicht gefährdet. Hat der Insolvenzverwalter einer Tochtergesellschaft aber auf den Gesamtkonzern und dessen Erhalt im Interesse der dort betroffenen Beteiligten auch dann Rücksicht zu nehmen, wenn seine eigene Vermögensmasse zwar nicht aktuell geschmälert oder gefährdet wird, auf der anderen Seite aufgrund der Konzernverbundenheit aber kein Mehrwert zu erwarten ist? Muss der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft also möglicherweise den Verkauf des Unternehmens der eigenen Gesellschaft zu angemessenen Konditionen zurückstellen, um die weitere Betriebsfortführung des Konzerns oder anderer Konzerngesellschaften sowie deren Sanierung zu ermöglichen? Diese Frage lässt sich ebenfalls nur nach allgemeinem Insolvenzrecht beantworten. In welchem Umfange hat der Insolvenzverwalter also außerhalb seines Verfahrens liegende Interessen des Schuldners oder des Gesellschafters des Schuldners in seine Erwägungen einzubeziehen? Anders als die Muttergesellschaft oder deren Insolvenzverwalter nimmt der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft nicht an dem möglichen Mehrertrag teil, der sich aus dem Erhalt, damit der Partizipation am wirtschaftlichen Gesamterfolg des Konzernes ergibt.100) Auch wenn man eine Mitwirkungspflicht des Insolvenzverwalters an einem fresh start oder an einem positiven Erhalt des Schuldners selbst ablehnt,101) kann eine solche Entscheidung nur im Einzelfall getroffen werden. Die Verweigerung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaft kann ihre Grenze nur in dem aus dem allgemeinen Treuegebot abgeleiteten Obstruktionsverbot finden. Wird er werthaltig durch die Obergesellschaft oder den Insolvenzverwalter abgesichert, unter Einbeziehung eines möglichen Zinseffektes, so muss eine Verletzung seiner, auch gegenüber anderen Beteiligten obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten angenommen werden, wenn er dennoch gegen die Interessen der anderen, im Konzern verbundenen Gesellschaften und sonstigen Beteiligten handelt. Denn dann wird er zumindest nicht schlechtergestellt. Das gilt erst recht dann, wenn ihm ein entsprechender Ausgleich an einem möglichen 105 Mehrwert durch die Betriebsfortführung im Konzern insgesamt gewährt wird. Ein solches Ausgleichssystem zu schaffen, ist die wesentliche Herausforderung im Konzerninsolvenzverfahren. 3.2.3 Einflussmöglichkeiten der Gläubigerorgane Selbst wenn man eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaft unter 106 den oben dargelegten Voraussetzungen erreichen kann, so kann dies immer noch durch die Gläubiger konterkariert werden. Auch wenn die einzelnen Gesellschaften im Konzern untereinander verzahnt sind, agiert jede Gläubigerversammlung und damit auch der jewei___________ 99) S. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 551 f.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 137 f. 100) Vgl. Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 226 f. 101) S. hierzu Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 13, 16 m. w. H.

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lige Gläubigerausschuss autonom, d. h. unabhängig von der Entscheidung in den anderen Insolvenzverfahren.102) An solche Entscheidungen ist der Insolvenzverwalter der jeweiligen Gesellschaft nach Maßgabe des § 159 InsO gebunden. Gläubiger können willkürlich agieren. Selbst wenn möglicherweise eine Fortführung im Konzern auf die Dauer gesehen für sie vorteilhafter sein könnte, kann ihnen ohne Einschränkungen „schnelles Geld“ lieber sein. Sie können damit auf eine schnelle, möglicherweise auch ungünstigere Verwertung drängen. Sogar bei einer Sanierung i. R. des Insolvenzplans findet diese Willkür ihre Grenzen lediglich im insolvenzrechtlichen Obstruktionsverbot.103) Unter Einbeziehung einer wesentlichen Absicherung muss dafür zumindest das gleiche Ergebnis garantiert werden wie im Regelverfahren über das Vermögen der eigenen Gesellschaft, besser noch, wiederum ein angemessener Ausgleich an dem Mehrertrag für den Gesamtkonzern eingeräumt wird.104) 107 Außerhalb des Insolvenzplanverfahrens greift nur § 78 Abs. 1 InsO. Dafür muss der Beschluss der Gläubigerversammlung den gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger widersprechen. Betroffen als Insolvenzgläubiger sind wiederum nur die Gläubiger der jeweiligen Gesellschaft und nicht des Konzernes. Die Chancen für eine Aufhebung sind, anders als bei der Frage der Betriebsfortführung, jedoch nur gering, wenn sich bei sofortiger Zerschlagung die Quotenaussichten für die beteiligten Gläubiger nicht verringern. Man wird dabei auch deren Interesse an einem schnellen Erhalt der Quote gegenüber einer langwierigen Abwicklung im Gesamtkonzern einzubeziehen haben. Gegebenenfalls wird die Konzernleitung daher auf die Entscheidung der Gläubiger nur dann Einfluss ausüben können, wenn in insolvenzrechtlich einwandfreier Weise die Möglichkeit des Forderungskaufes besteht. 3.2.4 Liquiditätsplanung 108 Die für die Fortführung im Insolvenzverfahren erforderliche Liquidität hat der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft ebenfalls autonom zu planen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Zuflüsse von anderen Konzerngesellschaften kann er nur berücksichtigen, soweit entsprechende vertragliche Regelungen oder Verpflichtungen bestehen. Das gilt insbesondere für Konzernumlageverträge und die Leistungsbeziehungen im Konzern allgemein. 109 Soweit darüber hinausgehend Verpflichtungen oder Ansprüche aus Unternehmensverträgen eingeplant werden sollen, gelten die obigen Ausführungen (siehe hierzu Rz. 68 ff.). Insbesondere Ansprüche aus Vorteilsausgleich dürften nicht mehr gegeben sein, da die verpflichtete Gesellschaft oder deren Insolvenzverwalter regelmäßig solche Verträge gekündigt haben dürften, auch wenn man ein automatisches Ende wider der h. M. annimmt. 3.2.5 Insolvenzplanverfahren 110 Die Einbindung in einen „Konzernmasterplan“ kann innerhalb und außerhalb der Insolvenz der Obergesellschaft wiederum dazu führen, dass diese Verbundenheit zur Rücksichtnahme in einem eigenen Insolvenzplan der Tochtergesellschaft führen kann, ja logischerweise sogar führen muss, da außerhalb der Insolvenzmasse der Tochtergesellschaft liegende Interessen einbezogen werden.105) Zu beachten ist lediglich das Obstruktionsverbot der §§ 245 ff. InsO und des Nachteilsausgleiches in § 251 InsO. ___________ 102) 103) 104) 105)

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Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 80 f. S. hierzu nochmals Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 116 ff. Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 121. S. insbesondere zu Gruppenbildung, Verflechtungen miteinander, wechselseitige Forderungen und Verbindlichkeiten, etc., Kübler-Pleister/Theusinger, HRI, § 50 S. 996 – 1018, Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 327 – 364.

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Erleichtert wird die Rücksichtnahme auf die verbundenen Gesellschaften und damit die 111 Steuerung in der Konzerninsolvenz nach ESUG ausdrücklich mit dem in § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO aufgenommenen Nachteilsausgleich. Auch bei entsprechendem Antrag eines Beteiligten kann die Bestätigung des Insolvenzplans nicht versagt werden, wenn in dem Plan für einen möglichen Fall der Schlechterstellung Mittel vorgesehen sind. Der Anspruch ist nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO regelmäßig im Zivilrechtsverfahren außerhalb des Insolvenzverfahrens zu verfolgen. Ob die Mittel ausreichen, ist im Beschwerdeverfahren nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu klären. Verlangt wird eine wesentliche Schlechterstellung, die nur bei einer greifbar fehlerhaften Entscheidung des Insolvenzgerichts angenommen wird.106) Nochmals verbessert wird die Position des Insolvenzverwalters durch sein Antragsrecht nach § 253 Abs. 4 InsO auf Zurückweisung der Beschwerde, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplanes vorrangig erscheint. Diese Vorrangigkeit wird in der Regel schon dann angenommen, wenn ein Geschäftsbetrieb fortgeführt werden und Arbeitsplätze erhalten werden sollen.107) Sieht die Konzernmuttergesellschaft oder deren Insolvenzverwalter entsprechende Mittel für einen Nachteilsausgleich vor, so besteht in der entsprechenden Abstimmung der Insolvenzverwaltungen ein entscheidendes Mittel zur Konsolidierung der Verfahren. 3.2.6 Vorläufiges Insolvenzverfahren Im Vertragskonzern gelten im Wesentlichen dieselben Grundzüge wie im Insolvenzver- 112 fahren der Muttergesellschaft. Der vorläufige Insolvenzverwalter handelt eigenverantwortlich. Soweit er daher i. R. des Zustimmungsvorbehaltes an Maßnahmen mitzuwirken hat, so kann er jederzeit Weisungen der Obergesellschaft außer Kraft setzen. Sind weitergehende Schritte außerhalb des Zustimmungsvorbehaltes zu ergreifen, so bleibt nur die Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung. Kündigungsrechte bestehen im vorläufigen Insolvenzverfahren noch nicht.108) Im faktischen Konzern bleibt nur der Geschäftsführer selbst Weisungen unterworfen. 113 Der Insolvenzverwalter der Gesellschaft hat in keinem Falle solchen Weisungen zu folgen. 3.2.7 Haftung des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaften Wie der Insolvenzverwalter der Obergesellschaft haftet der Insolvenzverwalter der Toch- 114 tergesellschaft vorrangig nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften, also nach Maßgabe der §§ 60, 61 InsO. Wenn eine Verwertung oder Sanierung im Konzerninteresse danach die einzige Handlungsoption darstellt, kann das im Falle einer pflichtwidrigen Verweigerung zu einer derartigen Haftung führen.109) Da im Insolvenzverfahren der Tochtergesellschaft Gesellschaftsrecht durch Insolvenzrecht überlagert wird, dürfte daneben eine gesellschaftsrechtliche Haftung sowohl im Vertrags- als auch im faktischen Konzern ausscheiden. 3.2.8 Eigenverwaltung Hinsichtlich der Vor- und Nachteile der Eigenverwaltung auf die Konzernlenkung in der In- 115 solvenz gelten die Grundsätze der Eigenverwaltung über das Insolvenzverfahren der Mutter___________ 106) Braun-Braun/Frank, InsO, § 253 Rz. 11 – 13. 107) Braun-Braun/Frank, InsO, § 253 Rz. 16. 108) S. hierzu Bous, Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren, S. 309, Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 278 f. 109) S. hierzu weitergehend, Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 215 f.

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gesellschaft entsprechend (siehe hierzu Rz. 88 ff.). Die Muttergesellschaft kann damit weiterhin die bestehende Konzernleitungsmacht mit den sich ergebenden Einschränkungen ausüben. Die Konzernleitungsmacht bleibt sowohl im faktischen als auch im Vertragskonzern bestehen.110) Sie wird lediglich wie für einen Insolvenzverwalter durch die insolvenzrechtliche Verpflichtung zur Maximierung der vorhandenen Haftungsmasse beeinflusst.111) 116 Dem Sachwalter steht nach dem Gesetz nur eine eingeschränkte Einflussmöglichkeit zu, insbesondere hat er kein eigenes Initiativrecht, sondern kann nur Handlungen der Geschäftsleitung daraufhin überprüfen, ob sie zu Nachteilen für die Gläubiger führen.112) In der Praxis wird sich jedoch eine enge Einbindung des Sachwalters anbieten. Wesentliche Fragestellung ist, ob und inwieweit den Vorschlägen der Konzernleitung tatsächlich gefolgt werden wird. Daher sind von vorneherein eine entsprechende Aufgabenteilung und ein enger Koordinationsprozess einzurichten, um alle Chancen für eine Sanierung nicht nur der Tochtergesellschaft, sondern des Gesamtkonzernes auszunutzen. 3.3

Insolvenz mehrerer, in einem Konzern verbundenen Gesellschaften, insbesondere von Mutter- und Tochtergesellschaften

117 Ist eine, in einem Konzern verbundene Gesellschaft von einer Insolvenz betroffen, so führen die wechselseitigen Verflechtungen regelmäßig dazu, dass andere Gesellschaften ebenfalls Insolvenzantrag stellen müssen. Das ist die Regel und nicht die Ausnahme. Die wesentlichen Entscheidungen laufen damit nicht mehr über die Geschäftsleitung, sondern über die jeweiligen Insolvenzverwalter. Damit steht die Fortführung vor zusätzlichen Anforderungen. 3.3.1 Ausgangslage 118 Insolvenzverfahren sind für jede Gesellschaft individuell und selbständig einzuleiten.113) Alle Verfahrensbeteiligten, Gerichte, Gläubigerschaften, Insolvenzverwalter, eingeschränkt die Gesellschafter, sind in ihrer Entscheidungsfindung autonom. Nur i. R. der oben für die Mutter- und jeweiligen Tochtergesellschaften dargelegten Vorgaben ergeben sich Kooperationsmöglichkeiten und Kooperationspflichten. Der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft muss auch bei der Insolvenz mehrerer verbundener Tochtergesellschaften die jeweiligen Synergieeffekte ausnutzen, um im Konzernverbund bestehende Werte zu heben. Der Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft dagegen wird nur kooperieren wollen und müssen, wenn er sich selbst nicht des Risikos aussetzt, eigene Werte zu vernichten. 119 In keiner Gesellschaft besteht mehr eine Geschäftsleitung, die gesellschaftsrechtlich in die bestehende Konstruktion der Gruppe eingebunden ist. Nicht nur im Konzern insgesamt, sondern bei jeder gebundenen Gesellschaft, droht vorhandenes Know-how verloren zu gehen. Wesentliche Entscheidungen werden dennoch in der Konzernzentrale getroffen werden müssen, allein weil hier nach wie vor die persönlichen und operativen Kapazitäten zur Verfügung stehen. Auch die Insolvenzverwalter der jeweiligen Tochtergesellschaften müssen auf dieses Wissen zugreifen. Demgegenüber kann der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft dieses Wissen nur dann zur Verfügung stellen, wenn er hieraus eigene Vorteile ziehen kann. Er kann erforderliche Kapazitäten im Interesse der verbundenen ___________ 110) 111) 112) 113)

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Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 39 f. Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 39. S. hierzu Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 279 f. Böcker, GmbHR 2004, 1314, 1316; Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 394.

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Gesellschaften nicht bereithalten, ohne hierfür entweder durch „insolvenzrechtliche Konzernfees“ einen angemessenen Ausgleich zu erhalten oder durch eine Fortführung im Konzernverbund bzw. durch eine optimale Verwertung anderer, seiner Verwaltung unterliegenden Vermögensgegenstände bessere Erlöse zu erzielen. Gegenüber der Insolvenz einer einzelnen Gesellschaft verschieben sich die Probleme für 120 die auf Seiten der Gesellschaft beteiligten Personen auf das schärfste. Im schlimmsten Falle stürmen auf das Führungspersonal Heerscharen von Insolvenzverwaltern ein, von denen jeder als erster auf Erfüllung der Auskunftspflichten besteht. Jeder Insolvenzverwalter muss auf dieselben Entscheidungsträger zugreifen. Das schon durch eine Einzelinsolvenz bedingte Durcheinander wird nochmals zusätzlich verstärkt. Es droht entweder der völlige Informationsabbruch oder aber, dass der zu den entsprechenden Entscheidungsträgern nächste Insolvenzverwalter seine Machtstellung zum eigenen Vorteil einseitig ausnutzt. Die angerufenen und zuständigen Insolvenzgerichte sind in gleicher Weise involviert, da 121 sie abgestimmte Gutachten und Vorschläge für das Insolvenzverfahren erwarten. Auch wenn man die strategischen Zielvorstellungen im Konzernverbund völlig außer Acht 122 lässt, erfordert alleine schon die bestmögliche Abwicklung der eigenen Insolvenzverfahren Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den betroffenen Insolvenzverwaltern und Insolvenzgerichten. Das gilt erst recht für strategische Optionen, die nur im Verbund gehoben werden können. Ohne abgestimmte Maßnahmen droht in der Konzerninsolvenz das Chaos. 3.3.2 Ziele der Koordination Kurzfristig wird es immer wesentlich sein, die Effektivität der Verfahrensabwicklung zu 123 steigern. Der Informationsfluss muss optimiert werden. Doppelbelastungen sind zu vermeiden. Diese Effekte betreffen sowohl das Team der schuldnerischen Unternehmen als auch das Team der jeweiligen Insolvenzverwalter. Das erfordert in der ersten Stufe eine Personalplanung auf allen Seiten, in der zweiten Stufe muss auf Grundlage dieser Planung Transparenz für die jeweiligen Verfahren hergestellt werden. Für die beteiligten Insolvenzverwalter ist es wesentlich, die Koordination und Abstimmung 124 der Verfahren gegenüber dem Beteiligten rechtfertigen zu können. Soweit für andere Insolvenzverfahren Effekte gehoben werden können, muss nachvollziehbar sein, dass keine Nachteile für das eigene Verfahren bestehen, sondern im Gegenteil mögliche Vorteile erreicht werden. Das erfordert in der ersten Stufe, dass die Liquiditätsplanungen der jeweiligen Gesellschaften aufeinander abgestimmt werden. Nur auf Grundlage einer offenen und nachvollziehbaren Planung ist eine Kooperation möglich. Diese Planung muss den jeweiligen Insolvenzverwaltern die erforderliche Sicherheit geben, die Erfolgsaussichten eigenen abgestimmten Vorgehens beurteilen zu können. Anderenfalls muss der jeweilige Insolvenzverwalter schon wegen fehlender Nachvollziehbarkeit den für ihn sichersten Weg wählen, im Regelfall die Liquidation seines Unternehmens. Soweit sich auf Grundlage dieser Analyse für einen der beteiligten Insolvenzverwalter 125 Nachteile ergeben, so muss ein System des Nachteilsausgleiches in der gesamten Gruppe installiert und integriert werden. Nach der Feststellung möglicher Nachteile kommen die Analyse und Absicherung als wesentliche Elemente hinzu, um weiter in der Gruppe einheitlich agieren zu können. Ergebnis muss damit bei Planung der Fortführung die Optimierung der Verfahrens- 126 abläufe sein. Gegenüber den jeweiligen Gläubigerschaften und sonstigen Beteiligten muss der Insolvenzverwalter für die erforderliche Akzeptanz darlegen können, dass in der Koordination die wesentlichen Vorteile für die eigene Gesellschaft liegen. Soweit weiterge-

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hende Ziele verfolgt werden – was Sinn und Zweck des ganzen Vorhabens ist – müssen die sich aus dem Konzernverbund ergebenden Vorteile nachvollziehbar sein. 127 Ist die Technik der Verfahrensabwicklung geklärt, müssen die strategischen Aussichten im Konzern und in der Insolvenz der einzelnen Gesellschaft bestimmt werden. Ohne Verfahrenskoordination stellt sich die Frage nach einer strategischen Vorteilhaftigkeit überhaupt nicht, da jeder Insolvenzverwalter für sich agieren muss. Strategische Ziele einer Fortführung in der Konzerninsolvenz können sein: x Neukonsolidierung und Restrukturierung des gesamten Konzerns; x Einzelabwicklung aller Gesellschaften; x geordnete Abwicklung einzelner Gesellschaften im Konzernverbund; x teilweise Koordination und teilweise Restrukturierung des Konzernes. 128 Ob und inwieweit diese Vorhaben in der Praxis umsetzbar sind, richtet sich weitestgehend nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. In der Insolvenz wird zu klären sein, inwieweit sich diese Vorgaben mit Hilfe des Insolvenzrechtes verwirklichen lassen. 129 Soll der gesamte Konzern mit all seinen Mitgliedern fortgeführt, erhalten und restrukturiert werden, so sind bei jeder der einzelnen betroffenen Gesellschaften als erstes die Insolvenzgründe zu beseitigen. Da es eine „substantive consolidation“ nach US-amerikanischem Vorbild in europäischem Recht nicht gibt und auch nicht geplant ist, erübrigt sich hier eine weitere Diskussion.114) Die Vorteile für den Konzern und die Einzelgesellschaft sind zu bestimmen. Die durch den Konzern bedingten Prämissen sind mannigfach.115) Grundlage ist, inwieweit die wirtschaftliche Ausrichtung und der Interessengleichlauf durch die Ausübung der einheitlichen Leitung im Zusammenhang mit der Insolvenzverursachung sowie der Verfahrenszielbestimmung in Einklang gebracht werden können, inwieweit also die ökonomische Lage der einzelnen Konzerngesellschaft von der Einbindung in den Konzern (zwingend) abhängt.116) Bedarf es also zur Erreichung der ökonomischen Verfahrensziele überhaupt noch des Konzernes in der bestehenden Form? Das gilt erst recht, wenn aufgrund der Diversifizierung im Konzern Gesellschaften einbezogen sind, die vollständig eigene Geschäftszwecke verfolgen, andere Kundenkreise haben und nicht auf Zulieferungen im Konzern angewiesen sind. Für solche Gesellschaften wird von vorneherein möglicherweise ein Verkauf, der freie Masse erschließt, sinnvoller sein, welche wiederum für die Sanierung der anderen Gesellschaften verwendet werden kann. 130 Auch die Konzernstruktur ist neu zu ordnen, vor allem zu verschlanken. Dabei kann die Verlagerung der Holding-Funktion auf eine andere beteiligte Konzerngesellschaft wesentliche Vorteile bringen, Möglicherweise ist die Verlagerung auf eine andere wesentliche Konzerngesellschaft, z. B. die Produktionsgesellschaft, etwa wegen der dortigen Bindung der Kapazität und aus Kostenersparnisgründen. Eine abschließende Aufzählung dieser Optionen ist schier unmöglich. 131 Auswirkungen des sog. „Domino-Effekts“ sind durch Beseitigung der jeweiligen Insolvenzgründe zu beheben. Das gesamte gesellschaftsrechtliche Vertragswerk ist zu diesem Zwecke auf den Prüfstand zu stellen. Neben dem Recht zu fristlosen Kündigungen bieten die §§ 103 ff. InsO die Möglichkeit, das gesamte Vertragswerk auch leistungswirtschaftlich auf eine völlig neue und wirtschaftlich tragfähige Basis zu stellen.117) Aktivitäten sind ggf. von der Muttergesellschaft auf Tochtergesellschaften zu verlagern.118) ___________ 114) 115) 116) 117) 118)

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S. hierzu z. B. Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 93 ff. S. hierzu umfassend, Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 58 – 67. So zu Recht Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 61. S. hierzu Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 62 – 65. S. hierzu Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 64.

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Möglicherweise lassen sich Insolvenzgründe außerhalb eines eigenen Insolvenzplanverfahrens 132 für einzelne Gesellschaften beseitigen. Durch Neuordnung der wechselseitig übernommenen Garantien im Konzern kann eine Ausgleichsausweispflicht in der Bilanz entfallen, so dass Einstellungen der Verfahren nach §§ 212, 213 InsO in Betracht kommen. Es kann sich weiterhin als sinnvoll erweisen, jede Gesellschaft einzeln zu liquidieren. Er- 133 geben sich keine Vorteile mehr aus dem Konzernverbund, so liegt darin die einzig wirtschaftlich vertretbare Lösung, wenn Rücksichtnahme im Konzern nur Nachteile für die einzelnen Insolvenzgesellschaften bringt. Trotz erheblichen öffentlichen Drucks muss jeder Insolvenzverwalter auch diese Option in seine Entscheidungsfindung einbeziehen und sie nach außen vertreten. Das bedeutet aber immer noch nicht das Ende sinnvoller Kooperation. Auch dann werden Leistungsbeziehungen untereinander aufrechterhalten werden müssen. Darüber hinaus bestehen wechselseitige Verflechtungen in den Vermögensmassen, insbesondere im Gleichordnungskonzern, die eine gemeinschaftliche Verwertungsstrategie, gemeinschaftliche Verhandlungen mit Sicherungsgläubigern, Aufrechterhaltung der operativen Funktionen etc. ermöglichen müssen. Auch das Ziel einer möglichen Zerschlagung ist daher noch nicht zwingend das Ende einer Fortführung im Konzern, sondern bestimmt nur eine andere, gemeinschaftlich festgelegte strategische Vorgehensweise. Zwischenlösungen sind die Regel. Da der Konzern in der Insolvenz eigentlich eher darauf be- 134 ruht, dass einzelne verlustträchtige Tochtergesellschaften nur durch eine Insolvenz aus dem Konzernverbund herausgelöst werden können, wird gerade für diese Tochtergesellschaften immer zu klären sein, ob der Konzernverbund sowohl für die Tochtergesellschaften als auch den Konzernverbund noch Vorteile oder nur noch Nachteile bringt. Ist das zu verneinen, bleibt nur die weitere Liquidation dieser Gesellschaften i. R. des Insolvenzverfahrens. Um insbesondere die Möglichkeiten einer sanierenden Übertragung verbessern zu können, kann dennoch regelmäßig die Fortführung im Konzernverbund erhebliche Vorteile mit sich bringen, indem z. B. andere Einheiten auf diese Gesellschaft/-en übertragen werden. Diese strategischen Optionen kumulieren schließlich in der teilweisen Konsolidierung und 135 Restrukturierung. Die Insolvenzverwalter werden einen neuen, möglicherweise kleineren, aber effizienteren Konzern zu bilden und nach neuen Anteilseignern zu suchen haben. Im Vorfeld sind Auffanggesellschaften zu gründen, die Holding-Funktionen übernehmen können, in welche dann die weitergeführten, durch den Insolvenzplan geretteten Tochtergesellschaften und neu geschaffene Gesellschaften eingebracht werden können. 3.3.3 Mittel der Verfahrenskoordination Sind die taktischen und strategischen Ziele eines Konzerninsolvenzverfahrens bestimmt, 136 sind die besten Mittel einer solchen Verfahrenskoordination festzulegen. Hervorzuheben sind folgende Varianten: x Regelinsolvenzverfahren oder Eigenverwaltung; x Masterplan für alle Insolvenzverfahren; x Koordinationsverträge zwischen den Verwaltern; x Kooperationsverträge mit und zwischen den Gerichten; x Insolvenzplanverfahren. Die Eigenverwaltung bietet Vorteile für die weitere Ausübung der Konzernleitungsmacht. 137 Unternehmensverträge und die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten sind nicht automatisch suspendiert. Die Fortführung setzt allerdings voraus, dass entsprechende Ausgleiche

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geschaffen werden.119) Dabei kann auch für das im Konzernverbund wesentlichste Verfahren ein Insolvenzverwalter eingesetzt werden, der bei den Tochtergesellschaften zum Sachwalter bestellt wird,120) um Großunternehmen mit verschachtelten konzernrechtlichen Beziehungen abzuwickeln.121) Die Gläubiger werden der Eigenverwaltung aber nur dann zustimmen, wenn Schuldner bzw. Schuldnervertreter zuverlässig, kompetent und vertrauenswürdig sind, die Sanierung oder Liquidation in eigener Kompetenz durchzuführen.122) 138 Schon die Fortführung in der Konzerninsolvenz bedarf eines Masterplanes. Dieses Erfordernis stellt sich erst recht im Insolvenzplanverfahren.123) Regelmäßig vorbereiten kann einen solchen Masterplan nur der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft oder der Gesellschaft, die faktisch die Konzernleitungsmacht ausübt. Zur Umsetzung bedarf es jedoch wiederum verbindlicher Regelungen mit den einzelnen Insolvenzverwaltern, wenn nicht nur auf freiwilliger Basis kooperiert werden soll.124) Das gilt vor allem in der Anfangsphase, wenn noch gewisser Druck ausgeübt werden kann, um entsprechende Kapazitäten auch einer rein administrativen Muttergesellschaft weiterhin bereitzustellen. Diese Verträge müssen alle sich ergebenden Fragestellungen einschließlich der Honorierung von wechselseitigen Leistungen im Konzern und vor allem auch einen möglichen Nachteilsausgleich einbeziehen. Dasselbe gilt für Koordinationspflichten, Mitteilungspflichten, Anzeigepflichten und insbesondere auch die Errichtung eines geeigneten Risikokontrollsystems.125) 139 Partner der Insolvenzverwaltungsverträge sollen auch die zuständigen Insolvenzgerichte sein können.126) Eine solche Einbindung kann sich jedoch nur auf die Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO erstrecken. Ob Zuständigkeitsvereinbarungen möglich sind, bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen. 140 Insolvenzpläne stellen das wesentliche Mittel zur Restrukturierung im Konzern dar.127) Wenn auch ein einheitlicher Insolvenzplan für alle von der Insolvenz betroffenen Gesellschaften ausgeschlossen ist, so ist eine Konsolidierung dieser Einzelpläne dennoch möglich, ja zwingend.128) Das erfordert für die führende Gesellschaft, die nicht unbedingt die gesellschaftsrechtliche Muttergesellschaft sein muss, die Erstellung eines Masterplanes.129) Inhaltlich muss dieser Masterplan neben den erforderlichen Ausführungen im darstellenden und gestaltenden Teil zunächst vorsehen, in welcher Weise zukünftig die Leistungsbeziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaften zu regeln sein werden. Die neue Konzernstruktur ist aufzuzeigen. Soweit Zustimmungen, insbesondere der Sicherungsgläubiger, einzuholen sind, müssen diese Maßnahmen regelmäßig über die Muttergesellschaft vorbereitet werden. Die verbundenen Gesellschaften sind i. R. der Gesamtabsicherung einzubeziehen. Ziel des Masterplanes muss die Beseitigung der Insolvenzgründe bei den ___________ 119) S. hierzu insgesamt die Zusammenfassung bei Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 324 – 327; KüblerKübler, HRI, § 18 Rz. 38 – 40, S. 447. 120) Vgl. Kübler-Kübler, HRI, § 18 Rz. 31 f., S. 445. 121) S. hierzu auch Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 9 m. w. H. 122) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 4. 123) S. hierzu Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, S. 134 – 138. 124) S. hierzu vor allem Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 542 f.; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 10 f. 125) S. zu möglichem Inhalt, Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 10 f. 126) Vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 542 f., 553, zur Zulässigkeit allgemein Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 15 – 18. 127) S. hierzu im Einzelnen, Kübler-Pleister/Theusinger, HRI, § 50, S. 996 – 1018, Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 351 – 364. 128) S. Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 43. 129) S. hierzu Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 354 – 359; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, S. 134 – 138.

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einzelnen Gesellschaften sein. Soll die Muttergesellschaft erhalten bleiben, müssen neben den Beteiligungen auf der Aktivseite auch die Forderungen im Konzernverbund wieder werthaltig gemacht werden. Auch wenn die Masterplanung zunächst möglicherweise allein in der Hand des Insolvenzverwalters der Muttergesellschaft liegt, müssen damit die Insolvenzverwalter bei den einzelnen Tochtergesellschaften einbezogen werden, um auch für sie auf dieser Basis ein profitables und damit werthaltiges Unternehmen der Gesellschaft zu gewährleisten. Lassen sich für einzelne Gesellschaften i. R. dieser Masterplanung Mithaftungen vermeiden, so kann wegen Wegfalls der entsprechenden Verpflichtungen möglicherweise sogar erreicht werden, dass für einzelne Gesellschaften die Insolvenzgründe entfallen, so dass die Insolvenzverfahren über deren Vermögen nach §§ 212, 213 InsO eingestellt werden können. Zur Abstimmung über den jeweiligen Insolvenzplan berechtigt sind nur die jeweiligen 141 Gläubiger der betroffenen Gesellschaft. Wenn auch möglicherweise wirtschaftlich sinnvoll, ist es damit ausgeschlossen, Gläubiger anderer Insolvenzverfahren als abstimmungsberechtigte Gruppe für andere Insolvenzverfahren einzubeziehen.130) In der Regel wird eine solche Einbeziehung aber gar nicht erforderlich sein, da im Wesentlichen insbesondere auf Seiten der Sicherungsgläubiger mit den zumeist höchsten Insolvenzforderungen in allen Insolvenzverfahren immer dieselben Beteiligten involviert sein werden. 3.3.4 Umsetzung in der Praxis nach gegenwärtigem Recht Um die Möglichkeiten und Ziele einer koordinierten Fortführung in der Konzerninsolvenz 142 erreichen zu können, müssen zwei wesentliche Beteiligte mitspielen, Gerichte und Insolvenzverwalter. Für die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte heranzuziehen ist § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO, 143 wonach zunächst für jede Konzerngesellschaft das Insolvenzgericht zuständig ist, in dessen Bezirk dessen allgemeiner Gerichtsstand liegt. Abweichend hiervon begründet der Mittelpunkt der selbständigen Tätigkeit die ausschließliche Zuständigkeit des für diesen Bezirk zuständigen Insolvenzgerichtes (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO). Allein aus der Konzernzugehörigkeit ergibt sich keine Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO.131) Um dennoch eine Vorhersehbarkeit zu erreichen, wird zwar häufig versucht, über „Forumshopping“ eine einheitliche Zuständigkeit zu erreichen. Dem sind jedoch enge Grenzen gesetzt.132) Ob bei den einzelnen Gerichten die Konzentration durch Abgabe an einen einzelnen In- 144 solvenzrichter möglich ist, kann sich nur nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen bestimmen. Unabhängig hiervon bestehen Kooperationspflichten zwischen den verschiedenen Gerichten. Auch sie haben ihr Ermessen am Ziel bestmöglicher Haftungsverwirklichung gemäß § 1 InsO pflichtgemäß auszurichten.133) Im eröffneten Verfahren sind Berichtstermine, Abstimmungs- und Erörterungstermine zumindest in der zeitlichen Planung aufeinander eng abzustimmen. Eine koordinierte Vorgehensweise erfordert frühzeitige Entscheidungen, in denen alle betroffenen Gesellschaften einzubeziehen sind. Eine Verfahrenskoordination ist nicht mehr möglich, wenn zwischen den jeweiligen Terminen bei den einzelnen Gesellschaften mehrere Monate liegen. Heftig diskutiert wird nach wie vor, ob ein Insolvenzverwalter für alle Verfahren be- 145 stellt werden kann. Diese Frage stellt sich schon und gerade im Eröffnungsverfahren. ___________ 130) 131) 132) 133)

Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 43. Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, S. 142 f. Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, S 144 – 145. Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 124 – 125.

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146 Wenn auch die Aus- und Abgrenzungskriterien im Laufe des Antragsverfahrens herausgearbeitet werden können, sind sie zumindest bei Antragstellung in den jeweiligen Verfahren nicht offensichtlich. Möglichkeiten einer Kooperation und einer Koordinierung der Verfahren – auch im Gleichordnungskonzern – werden möglicherweise schon definitiv zerschlagen, wenn im Eröffnungsverfahren unterschiedliche vorläufige Insolvenzverwalter oder Sachwalter eingesetzt werden. Es gibt keinen Kooperationsrat der vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter, der erst einmal wesentliche Entscheidungen diskutieren könnte. Für alle Gesellschaften sind schon in den ersten Stunden und Tagen für den Gesamtfortgang des Verfahrens wesentliche Entscheidungen zu treffen. Das macht eine abgestimmte Vorgehensweise über alle betroffenen Gesellschaften dringend erforderlich. Daher kann gerade im Eröffnungsverfahren nur für die Bestellung einer Person über alle Gesellschaften als vorläufiger Insolvenzverwalter oder vorläufiger Sachwalter plädiert werden. Konzernerfahrene und verantwortungsbewusste vorläufige Verwalter müssen und werden das Gericht im Laufe des Eröffnungsverfahrens von sich aus auf bestehende Interessenkonflikte und bessere Abwicklungsmöglichkeiten hinweisen. Wenn das Gericht in diese Unabhängigkeit des von ihm ins Auge gefassten Verwalters nicht das Vertrauen hat, muss es andere Personen einsetzen. 147 Wenn man auch keine Pflicht zur Einsetzung eines einheitlichen Insolvenzverwalters annehmen kann,134) wird jedes sachkundige Gericht bei seiner Entscheidung jedoch verschiedene Umstände in seine Ermessungsentscheidung einzubeziehen haben. Wie dieses Ermessen ausgeübt werden muss, ist höchst umstritten. Die Praxis reicht von der uneingeschränkten Befürwortung der Bestellung eines Insolvenzverwalters bis zur strikten Ablehnung.135) Nachvollziehbar ist aber das Resümee des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Babcock Borsig AG, späteren Insolvenzverwalters Piepenburg, dass bei einer Beauftragung unterschiedlicher Insolvenzverwalter für die einzelnen Tochtergesellschaften, das damalige Kräfteverhältnis auf Biegen und Brechen im Konzern getestet worden wäre.136) 148 Einen wesentlichen Vorteil der einheitlichen Verwalterbestellung stellt die Verbesserung der Verfahrensabwicklung dar. Informationsdefizite lassen sich vermeiden. Dasselbe gilt für die erforderliche, laufende Abstimmung. Eine einheitliche Vorgehensweise gegenüber Gläubigern und insbesondere auch den Sicherungsgläubigern wird erleichtert. Damit werden die Chancen für eine einheitliche Fortführung in den Konzernunternehmen sowie die Sanierungs- und Verwertungsstrategien erheblich verbessert.137) 149 Gegen die Einsetzung eines einheitlichen Insolvenzverwalters spricht vor allem die Möglichkeit von Interessenkollisionen. Das betrifft sowohl die optimale Verwertung der Einzelmassen als auch mögliche Anfechtungsansprüche oder sonstige insolvenzspezifische Ansprüche im Konzern. Dasselbe gilt für die Erfüllung noch unerfüllter Verträge sowie die Ausübung der Wahlrechte nach §§ 103 ff. InsO. Schließlich sind wechselseitig bei den konzernverbundenen Gesellschaften Insolvenzforderungen anzumelden und festzustellen. Solche Interessenkonflikte lassen sich sicherlich durch die Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern im Einzelnen oder auch eines einheitlichen Sonderinsolvenzverwalter in der Konzerninsolvenz eingeschränkt vermeiden oder umgehen;138) ergänzt durch eine verstärkte Dokumentationspflicht in den jeweiligen Berichten zur Absicherung der Verwal___________ S. hierzu Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 157 f. Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 128 f. Piepenburg, zit. nach Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 127. S. hierzu m. umfangreichen weiteren Literaturhinweisen Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 129 – 131. 138) Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 143 – 154.

134) 135) 136) 137)

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terhaftung aus § 60 InsO.139) Auch die Befreiung vom Verbot des In-sich-Geschäftes nach § 181 BGB durch die jeweiligen Gläubigerversammlungen oder Gläubigerausschüsse kann insoweit wesentliche Erleichterung bringen.140) Letztendlich wird jedoch eine sachgerechte Lösung nur im Einzelfall möglich sein. Ergibt 150 sich von vorneherein ein derart hohes Konfliktpotential zwischen den verflochtenen und verbundenen Gesellschaften, dass quasi die gesamte Leistungsbeziehung auf dem Prüfstand steht, so bietet die die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters keine angemessene Lösung. Welchen Sinn hat eine einheitliche Verwalterbestellung, wenn einzelne Gesellschaften vollständig eigenständig abgewickelt werden können und sich für sie keine Vorteile aus der Konsolidierung ergeben? Dasselbe gilt, wenn sich gar kein Koordinationsbedarf ergibt. Wurde in der Vergangen- 151 heit schon eine Gesellschaft völlig eigenständig geführt, hat sie einen eigenen Kundenund Finanzierungskreis sowie eigene Fortführungs- oder Überleitungsmöglichkeiten, so kann uneingeschränkt auch auf einen anderen Insolvenzverwalter zugegriffen werden. Jeder Insolvenzverwalter, der trotzdem auch diese Gesellschaft in seinen Verwaltungsbereich einbeziehen will, setzt sich nur des Verdachtes aus, nur aus Gebührenoptimierung zu handeln. Einzubeziehen ist weiterhin, ob der Insolvenzverwalter selbst, auch unter Einbeziehung 152 eines anderen Verwalters seines Büros und der gesamten Betriebsorganisation, in der Lage ist, mit den vorhandenen Kapazitäten einen Großkonzern zu steuern. Er muss immer noch in der Lage sein, seinen persönlichen Verwaltungsaufträgen nachzukommen. Hierbei ist eine gewissenhafte Selbstprüfung wesentlich.141) Bei mehreren hundert verflochtenen Tochtergesellschaften weiß jeder Insolvenzverwalter, dass er bei der Verfahrensbewältigung an seine Grenzen geht. Sollten sich Zweifel auch nur andeuten, so sollte das auf Grundlage der im vorläufigen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse auch dem Gericht angezeigt werden. Vorschläge auf Hinzuziehung anderer Insolvenzverwalter des betroffenen Insolvenzverwalters wird ein zuständiges Gericht mit Sicherheit in seine Erwägung einbeziehen. Eine Koordination ist aber auch über die Gläubigerausschüsse möglich. Zwar ist für je- 153 des einzelne Insolvenzverfahren ein eigener Gläubigerausschuss einzusetzen. Ein einheitlicher Gläubigerausschuss ist nicht möglich. In den Gläubigerausschüssen werden jedoch zum großen Teil dieselben Beteiligten repräsentiert sein. Meistens werden daher in den Gläubigerausschüssen sogar dieselben Personen sitzen. Soweit tatsächlich ein Interesse an einer Koordination in den jeweiligen Insolvenzverfahren besteht, werden diese Gläubigerausschussmitglieder ihren wesentlichen Einfluss ausüben. Dabei bietet es sich teilweise an, dass die Gläubigerausschüsse gemeinschaftlich tagen, soweit nicht Gründe der Vertraulichkeit oder sonstige, nur die jeweilige Gesellschaft betreffende Entscheidungen dem entgegenstehen. Diese Einflussmöglichkeit der Gläubiger hat das ESUG nochmals verbessert. In Verfahren nach § 270a InsO hat sich aber als wesentliches Problem die Besetzung der Gläubigerausschüsse im Vorfeld erwiesen.

___________ 139) S. a. insoweit Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 145 – 148; Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 583. 140) S. wiederum Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 148 f. 141) Insgesamt zur höchstpersönlichen Amtsführung in der Konzerninsolvenz s. wiederum Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, S. 149 – 157.

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§ 21 4.

Teil III Einzelfragen Fortführung eines Konzerns im Anwendungsbereich der EuInsVO

154 Insolvenzen mit internationalen Aspekten bedeuten im Hinblick auf die Betriebsfortführung eine besondere Herausforderung.142) Auf europäischer Ebene gibt die Europäische Insolvenzverordnung (Verordnung (EG) des Rates über Insolvenzverfahren Nr. 1346/2000 – EuInsVO) i. R. Ihres räumlichen wie sachlichen Anwendungsbereiches immerhin in einigen Bereichen Hilfestellung bzw. Rechtsklarheit. 4.1

Anwendungsbereich

155 Die Verordnung ist nach ihrem Art. 43 auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 31.5.2002 eröffnet wurden. Die EuInsVO betrifft jedoch nur Regelungen zu den europäischen Aspekten eines Insolvenzverfahrens, also für den Fall eines europaweit tätigen Schuldners. Sie regelt nicht das Zusammenspiel mehrerer Verfahren und somit auch keine Konzernsachverhalte.143) Allenfalls mittels der sog. formellen bzw. prozeduralen Konsolidierung im Falle eines einheitlichen COMI gemäß der EuInsVO, kam es in der bisherigen Praxis schon zu Lösungsansätzen für Konzerninsolvenzen.144) 156 Welche Verfahren unter die EuInsVO fallen, ergibt sich aus deren Anhängen A und B. Begrifflich fallen hierunter bislang145) nur Gesamtverfahren, die die materielle Insolvenz des Schuldners, den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag und die Bestellung eines Insolvenzverwalters voraussetzen. 157 Räumlich ist die EuInsVO in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemark unmittelbar anwendbares Recht.146) 158 Ausgenommen aus Ihrem Anwendungsbereich sind Versicherungen. Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Investmentgesellschaften („Organismen für gemeinsame Anlagen“).147) Die Eigenverwaltung nach der InsO dürfte aber in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen.148) Strittig ist hingegen, ob bereits die vorläufige Verwaltung in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt.149) 4.2

Auswirkungen der Zielvorgaben für eine erfolgreiche Sanierung i. R. eines europäischen Insolvenzverfahrens auf deutsche Konzerne

159 Folgeinsolvenzen, gerade auch von Tochtergesellschaften, sind i. S. des Werterhalts zu vermeiden.150) Oftmals geraten an sich gesunde Konzerngesellschaften nur durch den Ausfall von Intercompany-Forderungen in Schieflage und verlieren damit ihren Wert.151) Zur ___________ 142) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Cooper, Unternehmenssanierung, S. 588. 143) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, S. 601; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 156 – 158. 144) Hierbei handelt es sich bislang freilich nicht um ein in der EuInsVO definiertes Konzern-COMI (vgl. etwa Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 943). Vielmehr wird das COMI bei jeder Gesellschaft so ausgelegt, dass es stets am gleichen Ort ist, also meist bei der Zentrale. Es gilt also weiter das Prinzip, das für jeden betroffenen Schuldner mit eigener Rechtspersönlichkeit die Zuständigkeit gesondert geprüft werden muss (vgl. Graf-Schlicker-Kebekus/Sabel/Schlegel, InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 11). 145) Zur Erweiterung des Anwendungsbereiches der EuInsVO vergl. den Reformvorschlag der EUKommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744 final. 146) Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 924. 147) Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert-Stephan, Formularbuch InsR, S. 726. 148) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 14 oder Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 925. 149) Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 925. 150) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Cooper, Unternehmenssanierung, S. 593. 151) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, S. 601.

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Vermeidung von deren Insolvenz ist das strikte deutsche Insolvenzregime nicht von Vorteil, bei dem auch die Überschuldung Insolvenzgrund ist. Daher wird häufig in Betracht gezogen, bei ausländischen Tochtergesellschaften ein deutsches COMI zu vermeiden. Es wird versucht, Maßnahmen einzuleiten, um bislang zentral in einer deutschen Holding geführten Gesellschaften wieder mehr Eigenständigkeit einzuräumen, damit ihr COMI wieder mit deren Sitz im Ausland übereinstimmt. Zudem gilt es die Risiken eines geringeren Verwertungserlöses zu vermeiden. Auch bei verschiedenen Insolvenzverfahren in Europa ist eine einheitliche Verwertungsstrategie zu verfolgen und die Koordination dieser Verfahren erfolgreich zu meistern.152) 4.3

Schicksalsfrage COMI153)

Wie sich schon aus diesen Erwägungen ergibt, besteht gerade bei internationalen (Konzern- 160 )Insolvenzen ein dringendes wirtschaftliches Interesse, eine Fragmentierung der Unternehmen in der Insolvenz und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf Gläubiger und andere Beteiligte zu vermeiden.154) Die Praxis hat in verschiedenen nationalen wie internationalen Fällen versucht, mittels Konzentration des COMI an einem Ort bzw. in einer Jurisdiktion mehre Insolvenzverfahren an einem Gericht zu bündeln und hierdurch die Bestellung eines Verwalters für verschiedene Unternehmen bzw. Verfahren zu erreichen.155) Nicht in jedem Falle übersteigen die Vorteile eines zentralisierten COMI auch dessen mögliche Nachteile. Schon wenn das COMI einer Konzerngesellschaft etwa nur seit kurzer Zeit, gerade auch zum Zwecke der Insolvenz verschoben worden ist, drohen beträchtliche Nachteile. Zum einen fordert dies juristische Auseinandersetzungen über die Frage der Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens heraus. Zum anderen kann dies auch die Effektivität eines Verfahrens beeinträchtigen. Hat etwa ein Unternehmen, dessen COMI verschoben wurde, zuvor die überwiegende Mehrzahl seiner Geschäftsbeziehungen im Land seines Sitzes begründet, trifft fremdes Insolvenzrecht regelmäßig auf dortiges Vertragsrecht. Man denke nur an die Schwierigkeiten die insolvenzbedingte Lösungsklauseln in deutschen Verträgen i. R. deutscher Verfahren mit sich bringen. Kommt noch ein anderes Insolvenzstatut ins Spiel, sind die strittigen und damit kostenträchtigen, vor allem schnelle Lösung verhindernden Auseinandersetzungen vorprogrammiert. 4.4

Kollisionsrechtliche Aspekte

Trotz dieser Bedenken hat die EuInsVO jedoch für die Fälle in denen Vermögen oder 161 Vertragsbeziehungen im Ausland betroffen sind, mit Ihren Kollisionsnormen in den Art. 4 bis 15 EuInsVO zu einem Mehr an Rechtssicherheit geführt. Das erleichtert insbesondere die Fortführung im Konzern auch über die Grenze hinweg. Dies gilt gerade bei den wichtigen Themen wie Masseverbindlichkeiten, Nutzung von Immobilien und Arbeitsverträge (einschließlich der Absicherung der Arbeitnehmer in der Insolvenz). Dem Insolvenzstatut unterfallen dabei u. a. die Fragen, was Bestandteil der Masse ist, wie 162 sich die Eröffnung des Verfahrens auf laufende Verträge auswirkt oder wie mit i. R. der Fortführung begründeten Masseverbindlichkeiten umzugehen ist (vgl. Art. 4 EuInsVO).

___________ 152) 153) 154) 155)

Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Cooper, Unternehmenssanierung, S. 593 f. Vgl. hierzu etwa Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 930. Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1850. In Deutschland etwa der Fall „Automold“, AG Köln, Beschl. v. 23.1.2004 – 7 IN 1/04, ZInsO 2004, 216; vgl. hierzu ausführlich Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, S. 603 ff. sowie zum bekannten Falle „MG Rover“, Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 19.

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Teil III Einzelfragen

Dies gilt bei Masseverbindlichkeiten selbst dann, wenn für die Wirkung der Verfahrenseröffnung wiederum eine Sonderanknüpfung vorgesehen ist, etwa bei Arbeitsverträgen.156) 163 Für die Nutzung ausländischer Immobilien ist aber (insoweit als Ausnahme zu Art. 4 EuInsVO) gemäß Art. 8 EuInsVO ausschließlich das Recht des Belegenheitsortes maßgeblich. Dabei wird Art. 8 EuInsVO als Sachnorm verstanden, die direkt eine Anwendung der lex rei sitae anordnet, womit auch eine anderweitige Rechtswahl nicht greift.157) So richtet es sich etwa allein nach diesem Belegenheitsstatut, ob den Parteien in der Insolvenz ein Sonderkündigungs- bzw. Wahlrecht zusteht oder ob Kündigungsschutzvorschriften beachtlich sind.158) 164 Auch die Wirkungen des Verfahrens auf einem Arbeitsvertrag richten sich nach Art. 10 EuInsVO ausschließlich nach dem Recht des Mitgliedstaates, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Diese Verweisung auf das Recht des Arbeitsortes gilt indes nur für besondere Auswirkungen der Insolvenz auf den Arbeitsvertrag. Dies umfasst die Regeln über Fortsetzung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Kündigungsfristen und Rechtsfolgen der Kündigung oder die Regelungen über die Wirkung einer Betriebsänderung oder eines Betriebsübergangs. Für Fragen, in welcher Weise Arbeitnehmerforderungen in der Insolvenz zu berücksichtigen sind, ist aber wiederum das Insolvenzstatut nach Art. 4 EuInsVO maßgeblich.159) Sieht ein Staat Regelungen zu Gunsten der Arbeitnehmer im Falle deren Forderungsausfalles in der Insolvenz vor, greift das Recht dieses Staates, in dem eine entsprechende Einrichtung oder Lohngarantie besteht.160) 4.5

Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren

165 Aus vorbezeichneten Gründen wird in der Praxis regelmäßig versucht, ein Sekundärverfahren zu vermeiden. Dieses Verfahren ist in bestimmten Fällen aber dennoch sinnvoll, etwa z. B. wenn eine ausländische Betriebsstätte zur Vermeidung von Kosten rasch geschlossen werden muss. Die Eröffnung eines dortigen Sekundärverfahrens bietet Möglichkeiten zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten, z. B. im Bereich der Löhne und Gehälter.161) 166 Wird dann ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet, bestimmen sich die Möglichkeiten der Einflussnahme und Koordination im Wesentlichen nach folgenden Artikeln der EuInsVO: Art. 31: Austausch von Informationen, Pflicht zur Zusammenarbeit, wechselseitige Vorschläge zur Verwertung. x Art. 32: Regelungen zur Wechselseitigen Forderungsanmeldung. x Art. 33: Antrag des Hauptinsolvenzverwalters zur Aussetzung der Verwertung im Sekundärinsolvenzverfahren (bei Sicherstellung der Interessen der dortigen Gläubiger). x Art. 34: Vorschlagsrecht des Hauptinsolvenzverwalters zur Beendigung des Sekundärverfahrens durch Insolvenzplan. x Art. 35: Auskehr eines etwaigen Überschusses im Sekundärinsolvenzverfahren an das Hauptinsolvenz-verfahren. 167 Die bisherige Praxis hat gezeigt, dass diese Abstimmung oft schwierig ist. Dies betrifft insbesondere die Handhabung der doppelten Forderungsanmeldungen. Auch muss in der Praxis beachtet werden, dass in anderen Ländern, die Verfahren viel „gerichtslastiger“ sein können. x

___________ 156) 157) 158) 159) 160) 161)

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Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 32. Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 953. Graf-Schlicker-Kebekus/Sabel/Schlegel, InsO, Art. 8 EuInsVO Rz. 2. Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 954. Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, Art. 10 Rz. 7. Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Cooper, Unternehmenssanierung, S. 594.

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Denn etwa in Frankreich hat die Erhaltung von Arbeitsplätzen Vorrang vor der Befriedigung von Gläubigern. Allein diese Unterschiede machen es im Falle dortiger Sekundärinsolvenzverfahren schwer, eine einheitliche Lösung zu finden. Um hier gleichwohl praxistaugliche Lösungen zu finden, haben etwa die Arbeitsgruppe Europa der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV mit dem französischen Conseil National des Administrateurs Judicaires & des Mandataires Judicaires einen gemeinsamen internationalen Leitfaden mit dem Ziel abgestimmt, den Abschluss von Protokollen zur Abstimmung zwischen Verwaltern von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren zu ermöglichen.162) Als weitere Variante der Verbesserung der Koordination von Hauptinsolvenzverfahren mit 168 Sekundärverfahren besteht zudem – jedenfalls in Deutschland – die Möglichkeit, das Sekundärverfahren in Form der Eigenverwaltung zu beantragen, wobei zugleich der Hauptinsolvenzverwalter selbst oder ein mit ihm gut zusammenarbeitender Insolvenzexperte in die Geschäftsführung geht.163) Auch über die Grenzen hinweg kann damit über die identischen Personen der Geschäftsleitung eine weitergehende Konzentration zur Fortführung im Konzern erreicht werden. Die Einleitung eines Sekundärverfahrens bietet für die Abwicklung im Konzern zwar we- 169 sentliche Vorteile. Bei der Koordination stellt es aber kein Allheilmittel dar, um den Willen des Konzernleiters in Person des Hauptinsolvenzverwalters durchzusetzen. Wesentlich ist zwar, dass er ein eigenes Antragsrecht hat. Seine Einflussmöglichkeiten auf den Sekundärinsolvenzverwalter und dessen Art der Verfahrensabwicklung sind jedoch nur eingeschränkt. Insbesondere wird ihm kein Weisungsrecht zugestanden.164) Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren sind weitestgehend parallel abzuwickeln.165) Auch die Beschränkung auf die Abwicklung des Sekundärinsolvenzverfahrens als Liquidationsverfahren kann für den Gesamtkonzern zu äußerst nachteiligen Konsequenzen führen.166) Vorteilhaft sind zwar die gegenseitigen Pflichten zum Informationsaustausch gemäß Art. 31 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 2 EuInsVO. Damit ist gesetzlich geregelt, dass sich die Verwalter wenigstens in der beabsichtigten Vorgehensweise auszutauschen haben. In Betracht kommt auch für den Hauptinsolvenzverwalter, Einfluss über die Identität der Gläubigerschaften auszuüben.167) Schärfste Waffe für den Hauptinsolvenzverwalter ist jedoch Art. 33 EuInsVO. Danach 170 steht dem Hauptinsolvenzverwalter ein Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung im Sekundärverfahren zu, wenn die Interessen des Hauptinsolvenzverfahrens berührt sind. Den Gerichten wird insofern nur ein eingeschränktes Prüfungsrecht eingeräumt.168) Dieses Antragsrecht korrespondiert mit einer Pflicht zum Nachteilsausgleich, die auch vom Verlangen entsprechender Sicherheitsleistungen abhängig gemacht werden kann.169) Auch über Art. 34 und Art. 34 EuInsVO werden dem Hauptinsolvenzverwalter erhebliche Einflussrechte eingeräumt. Das geht soweit, dass nach Art. 34 EuInsVO im Sekundärverfahren geplante Sanierungsmaßnahmen von der Zustimmung des Hauptverwalters abhängig zu machen sind. Aus Art. 37 EuInsVO ergibt sich das Recht für den Hauptinsolvenzverwalter die Umwandlung in ein Liquidationsverfahren zu verlangen.170) ___________ 162) Abzurufen unter http://www.arge-insolvenzrecht.de/20121217115151567.pdf (Abrufdatum: 1.7.2013). 163) Vgl. Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 sowie das Bsp. „Collins & Aikman“ bei Thierhoff/ Müller/Illy/Liebscher-Cooper, Unternehmenssanierung, S. 595. 164) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 136 – 139. 165) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 139 – 140. 166) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 131 – 134. 167) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 144 – 146. 168) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 147, 148 f. 169) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 147. 170) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S 148.

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§ 21 4.6

Teil III Einzelfragen Koordination der Verfahren im Konzern

171 Über selbstständige Tochtergesellschaften ist ein Sekundärverfahren ausgeschlossen. Dieses Verfahren ist nur bei unselbständigen Vermögensmassen wie z. B. einer Betriebsstätte möglich, nicht aber für selbständige Konzerntochtergesellschaften.171) Es kommen damit nur selbständige Hauptinsolvenzverfahren in Betracht. Die Fortführung in dem grenzüberschreitenden Konzern wird damit wesentlich erschwert. 172 Wie zu Recht betont wird, stellen Konzerninsolvenzen den „Prototyp grenzüberschreitender Insolvenzen schlechthin“ dar.172) Auch im europäischen Insolvenzrecht gibt es keine „substantive consolidation“. Jede Gesellschaft ist – wie nach deutschem nationalen Recht – für sich zu betrachten. Dies betrifft sowohl die Insolvenzgründe, die Antragspflichten als auch die Abwicklung in einer Insolvenz. Außerhalb einer Insolvenz kann der deutsche Insolvenzverwalter damit nur i. R. seiner gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten Einfluss auf die ausländische Tochtergesellschaft ausüben. Art. 18 Abs. 1 EuInsVO sieht diese Möglichkeit auch wirklich vor.173) Hierbei können sich jedoch schon in Europa erhebliche Einschränkungen ergeben, insbesondere wenn staatliche Sicherungsrechte zu beachten sind, wie insbesondere in den neu integrierten osteuropäischen Staaten bei Rüstungskonzernen. Soweit möglich, sollte der Hauptinsolvenzverwalter dennoch versuchen, all diese gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten auszunutzen. Das schließt insbesondere auch die Vertretung in den Aufsichtsorganen ein. 173 Ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unvermeidlich, so ist weiterhin zu prüfen, ob das nationale Recht es nicht zulässt, die Mehrheit von Rechtspersönlichkeiten in eine einheitliche Konzerninsolvenz einzuschließen.174) 174 Über die vorbeschriebene prozessuale Konsolidierung hinaus, bedarf es gerade bei deren Unmöglichkeit der Koordination der verschiedenen Verfahren über verschiedene Gesellschaften eines Konzerns bzw. der dort jeweils bestellten Verwalter untereinander. Wie auch zum Zwecke der Verbesserung der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren wird dieses Ziel in der Praxis auch im Falle von Konzerninsolvenzen mittels sog. Protokolle erreicht.175) Darin können etwa der Umgang mit den Intercompany-Verbindlichkeiten, Auskunft und Unterstützung aber auch die Umlage von Overheadkosten geregelt werden, wenn einzelne Konzerngesellschaft Personal oder andere Ressourcen wie IT zur Verfügung stellen. 175 Im Rahmen von Planverfahren kommt zudem in Betracht, dass sich die verschiedenen Verwalter ggf. auch i. R. solcher Protokolle auf einen Masterplan verständigen. Dieser Masterplan stellt zwar selbst keinen Insolvenzplan i. S. der InsO dar. Er kann aber Regelungen vorsehen, die dann in den einzelnen Insolvenzplänen der Gruppengesellschaften übernommen werden. Zu seiner Annahme bedarf es daher auch nur der Zustimmung der Verwalter.176) Die Zustimmung zur Umsetzung seiner Regelungen ist aber wiederum in jedem Verfahren gemäß den dort geltenden Regelungen den dortigen Gläubigern vorbehalten.177) Auch bei selbständigen Tochtergesellschaften kommt es ebenfalls in Betracht, den Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft gleichfalls zum Insolvenzverwalter oder Sach___________ 171) 172) 173) 174) 175)

Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, S. 601. Pannen und Vallender, zit. nach Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 156. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 158. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 158 m. w. H. S. hierzu ausführlicher Ehricke in: FS MPI für Privatrecht, S. 337, 356 ff., Thierhoff/Müller/Illy/LiebscherPaulus/Geiwitz, Unternehmenssanierung, S. 583 sowie Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 125 ff.; Vallender, KTS 2008, 59 ff. 176) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Paulus/Geiwitz, Unternehmenssanierung, S. 584. 177) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 34 ff.

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§ 21

walter aller betroffenen Tochtergesellschaften zu bestellen, wenn hierfür die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind. 5.

Fortführung eines Konzerns im internationalen Bereich außerhalb des Geltungsbereiches der EuInsVO

Außerhalb des Anwendungsbereiches der EuInsVO fehlt ein internationales verbindliches 176 Regelwerk zur Abwicklung internationaler Insolvenzen. Aus deutscher Sicht ist zwischen ausländischen Insolvenzverfahren und deren Wirkungen in Deutschland und deutschen Insolvenzverfahren mit Bezügen zu Staaten außerhalb des Anwendungsbereiches der EuInsVO zu unterscheiden. 5.1

Wirkungen ausländischer Insolvenzen in Deutschland

Die 2003 in Kraft getretenen §§ 335 bis 358 InsO gelten für ausländische Insolvenzver- 177 fahren, die ab dem 20.3.2003 in Nichtmitgliedstaaten der EU sowie in Dänemark eröffnet wurden.178) Diese Regelungen orientieren sich weitgehend an der EuInsVO und folgen damit dem Prinzip der eingeschränkten Universalität. Das ausländische Verfahren, seine Wirkungen und die Stellung des ausländischen Insolvenzverwalters werden in Deutschland weitgehend anerkannt.179) Zugleich wird das Universalitätsprinzip durch die Möglichkeit unterbrochen, Partikular- und Sekundärverfahren zu eröffnen.180) Wie in der EuInsVO finden sich Regelungen zur Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter (vgl. § 357 InsO). Es dürften sich, von Detailfragen abgesehen, somit für die Fortführung i. R. eines auslän- 178 dischen Verfahrens mit Vermögen in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zu den Ausführungen unter Rz. 154 ff. ergeben. Die derzeitige Regelung des § 355 Abs. 2 InsO gilt aber als Hindernis für das Gelingen 179 einer abgestimmten internationalen Sanierung durch Insolvenzplan in einem deutschem Partikular- oder Sekundärverfahren. Hat ein ausländischer Schuldner, über dessen Vermögen noch kein universales Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden war, in Deutschland eine Niederlassung, kann über deren Vermögen gemäß § 354 InsO ein Partikularverfahren eröffnet werden. Liegt in Deutschland nur Vermögen, ist dieser Antrag möglich, wenn der antragstellende Gläubiger ein besonderes Interesse, insbesondere eine Schlechterstellung in einem etwaigen ausländischen Verfahren nachweist. Ist im Ausland am COMI des Schuldners bereits ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, 180 kann über die deutsche Niederlassung ein Sekundärverfahren nach § 356 InsO eingeleitet werden. Auch bedarf es in dem Falle, in dem in Deutschland nur Vermögen belegen ist, also keine Niederlassung (mehr), dieses besonderen Interesses i. S. von § 354 Abs. 2 InsO.181) Für beide Verfahrensvarianten ist nun in § 355 Abs. 2 InsO vorgesehen, dass ein Insolvenzplan oder sonstige Einschränkungen von Gläubigerrechten im deutschen Partikular- oder Sekundärverfahren (gemeinsam als Territorialverfahren bezeichnet) nur dann bestätigt werden kann, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Plan zugestimmt haben. Soll i. R. einer (außergerichtlichen) Sanierung eines Schuldners mit COMI im Ausland in 181 Deutschland i. R. eines Partikularverfahrens ein Insolvenzplan nach Maßgabe der InsO durchgeführt werden, müssten in Deutschland alle Gläubiger zustimmen, womit auch die ___________ 178) Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 974. 179) Vgl. hierzu ausführlich Nerlich/Kreplin-Mincke, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, S. 1384. 180) Ausführlicher hierzu etwa Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 354 ff. oder Vallender/Undritz-Stephan, Praxis des Insolvenzrechts, S. 974 ff. 181) Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 356 Rz. 7.

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§ 21

Teil III Einzelfragen

ansonsten in § 244 InsO vorgesehenen Mehrheiten und die Zustimmungsersetzung nach §§ 245 ff. InsO abbedungen wären. 182 Im Falle eines Sekundärverfahrens in Deutschland führt die hier notwendige Abstimmung mit dem Hauptinsolvenzverwalter insbesondere im Bereich der Quotenberechnung und Mehrfachteilnahme von Gläubigern zu einem praktisch kaum lösbaren Problem.182) Gerade bei integrierten Konzernen kann es der Fall sein, dass etwa das COMI einer deutschen Gesellschaft im Ausland (und auch außerhalb des Anwendungsbereiches der EuInsVO) liegt, dort ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, das i. R. eins Planes beendet werden soll, in Deutschland dann aber ein Sekundärverfahren eröffnet wurde.183) 183 Hinzu kommt, dass es selbst im Falle abgestimmter Masterpläne, nicht möglich sein soll, eine Majorisierung der Gläubiger im Sekundärverfahren zu erreichen, also auf die Zustimmung aller Gläubiger gemäß § 355 Abs. 2 InsO ausnahmsweise zu verzichten.184) Es scheint eine teleologische Reduktion von § 355 Abs. 2 InsO gerechtfertigt, wenn am COMI ein Hauptverfahren mit Plan durchgeführt wird und in Deutschland parallel ein Sekundärverfahren mittels Plan beendet werden soll. Denn hier haben die Gläubiger immerhin die Möglichkeit, sich auch im Hauptinsolvenzverfahren zu beteiligen. Wenn dort nach den maßgeblichen Vorschriften eine Majorisierung möglich wäre, zugleich im deutschen Sekundärverfahren die ansonsten nach der InsO notwendigen Mehrheiten zur Annahme eines Planes erreicht werden, diese Pläne weiter auch abgestimmt sind, gibt es keinen einleuchtenden Grund, den deutschen Plan als Ausnahme zu den Regelungen des §§ 244 ff. InsO von der Zustimmung aller Gläubiger abhängig zu machen.185) Es wäre wünschenswert, wenn der deutsche Gesetzgeber i. R. der Reform der InsO im Bereich des Konzernrechtes auch diesen international beachtlichen Aspekt aufnähme und zumindest klarstellt, dass § 255 Abs. 2 InsO in dieser Konstellation nicht greift. 184 Zugleich lässt sich hieran aber auch erkennen, warum bislang Maßnahmen ergriffen wurden, Sekundärverfahren in Deutschland zu vermeiden. 5.2

Inländisches Insolvenzverfahren mit internationalen Bezügen

185 Außerhalb des Anwendungsbereiches der EuInsVO gelten bei Eröffnung eines (Haupt-) Insolvenzverfahrens in Deutschland die Regeln des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechtes (§§ 335 bis 342 InsO). Diese Kollisionsnormen regeln, welchem Recht die Wirkung des Verfahrens unterliegt (§ 335 InsO) und welches Recht auf Arbeitsverhältnisse, Anfechtung, Aufrechnung, organisierte Märkte und Pensionsgeschäfte anzuwenden ist (§§ 336 bis 340 InsO). Zum anderen ist geregelt, wie die Gläubiger ihre Forderungen anmelden können und inwieweit diese Gegenstände an die Masse herausgegeben werden müssen (§§ 341 und 342 InsO).186) 186 Weiter ist im Falle einer internationalen Insolvenz zu prüfen, ob es ggf. noch internationale Staatsverträge gibt, die noch wirksam sind. Hierunter fallen etwa Staatsverträge Württembergs mit einzelnen Schweizer Kantonen aus dem 19. Jahrhundert sowie Insolvenzübereinkommen mit südamerikanischen oder skandinavischen Staaten.187)

___________ 182) 183) 184) 185) 186) 187)

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S. hierzu Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 355 Rz. 7 ff. Vgl. Siemon/Frind, NZI 2013, 8. So Siemon/Frind, NZI 2013, 8. Im Ergebnis so auch Wenner/Schuster in: FK-InsO, § 355 Rz. 7 f. Vgl. hierzu Reinhart in: MünchKomm-InsO, §§ 335 ff. Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Holzer, Hdb. FAInsR, S. 1036.

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters 5.3

§ 21

Hilfsmittel zur Fortführung

Diese wenigen Regelungen helfen aber kaum für eine internationale Betriebsfortführung 187 oder Sanierung. Es wird also wiederum auf die Verhandlungen und Abstimmungen der Verwalter (etwa durch Protocols und Vereinbarungen, siehe hierzu die repräsentative Auflistung solcher Vereinbarungen unter: www.iiiglobal.org/component/jdownloads/ ?task=viewcategory&catid=395) ankommen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Kooperation gibt es explizit nur im Falle eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Deutschland (§ 357 InsO), nicht im Falle eines deutschen Hauptinsolvenzverfahrens.188) Aber auch hier ist der deutsche Verwalter an die Maxime, der bestmöglichen Verwertung gebunden, so dass sich eine Verpflichtung zur Kooperation und Koordination zumindest mittelbar ergibt. Schließlich wird vertreten, dass im Falle eines Hauptinsolvenzverfahrens in Deutschland 188 und Konzerngesellschaften im außereuropäischen Ausland auch mittels dieser Protocols oder Vereinbarungen ggf. ein Konzerngerichtsstand in Deutschland oder Regeln zu einer vereinheitlichten Verwalterbestellung finden ließen.189) Ob dies weiterhilft, wird sich aber jeweils aus dem Insolvenzrecht des Staates der Konzerngesellschaft ergeben müssen. III.

Reformbestrebungen/Aspekte der Entwürfe auf deutscher und europäischer Ebene

Insbesondere die Regelungslücken zur Koordination der Insolvenzverfahren von verbun- 189 denen Gesellschaften haben zu Reformbestrebungen geführt. Interessanterweise liegen derzeit zwei Gesetzesentwürfe zur Regelung von Konzerninsolvenzen vor. Das deutsche BMJ hat einen Entwurf zur Einführung eines Konzerninsolvenzrechtes auf Bundesebene mit dem „Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz – Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 3.1.2013“ (nachfolgend „InsO-DiskE 2013“ vorgelegt. Dies mündete zwischenzeitlich – unter überschaubaren Änderungen – in den Regierungsentwurf vom 28.8.2013 (nachfolgende „RegE“). Schon zuvor hatte die Europäische Kommission am 12.12.2012 einen Vorschlag zur Reformierung der EuInsVO unterbreitet, welcher zur Zeit der Verfassung dieses Beitrages nun mit dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union beraten wird, nachfolgend auch „EuInsVO-E“).190) Zu beiden Entwürfen liegen diverse Stellungnahmen vor.191)

___________ 188) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Paulus/Geiwitz, Unternehmenssanierung, S. 588. 189) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Paulus/Geiwitz, Unternehmenssanierung, S. 588. 190) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744 final. Zum letzten Stand vgl. Fn. 7; zuvor hatte auch INSOL Europe, auf Anregung der Europäischen Kommission einen Vorschlag zur Reform der EuInsVO erarbeitet, und darin umfangreiche Vorschläge zur Regelung eines europäischen Konzerninsolvenzrechts gemacht, vgl. hierzu Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744 final. 191) Stellungnahmen zum DiskE des BMJ für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen: Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands v. 15.2.2013; BRAK, Stellungnahme 4/2013, 2/2013; Neue Insolvenzverwalter Vereinigung Deutschlands e. V. (NIVD) v. 14.2.2013; Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e. V. v. 15.2.2013; Bund deutscher Rechtspfleger v. 14.2.2013; DAV, 2/2013, Nr. 9/2013; Stellungnahme zum internationalen Konzerninsolvenzrecht: DAV, 2/2013, Nr. 14/2013; Beiträge: Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, Lienau, Der Konzern 2013, 157 ff.; Vallender, Der Konzern 2013, 162 ff.; Brünkmans, ZIP 2013, 193 ff; Brünkmans, Der Konzern 2013, 169 ff.; Thole, Der Konzern 2013, 182 ff.; Dellit, Der Konzern 2013, 190 ff.; Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 ff; Graeber, ZInsO 2013, 409 ff.; Fölsing, ZInsO 2013, 413 ff.; Frind, ZInsO 2013, 429 ff.; Prager/ Keller, NZI 2013, 57 ff.; Reuß, EuZW 2013, 165 f.; Verhoeven, ZInsO 2012, 1689 f.

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§ 21 1.

Teil III Einzelfragen Synopse der wesentlichen Regelungsbereiche

190 Beide Entwürfe sind in ihrem Regelungsgehalt gegenüberzustellen. In einer Synopse kommen die jeweiligen Besonderheiten besonders gut zur Geltung.192) Die wesentlichen Regelungen stellen sich wie folgt dar: InsO-E

EuInsVO-E

Definition Gruppe

§ 3e – Unternehmensgruppe (1) Eine Unternehmensgruppe besteht aus rechtlich selbständigen Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben und die unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden sind durch 1. die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder 2. eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung.“

Article 2 – Definitions (i) „group of companies” means a number of companies consisting of parent undertaking and and all its subsidiary companies undertakings; (j) „parent company” means an undertaking which controls one or more subsidiary undertakings. An undertaking which is preparing consolidated financial statements in accordance with Directive 2013/34/EU on the annual financial statements, consolidated financial statements and related reports of certain types of undertaking shall be deemed to be a parent undertaking

Materielle Konsolidierung

Nein

Nein

DiskE BMJ: „Der Entwurf verzichtet auf weiter gehende Instrumentarien wie insbesondere die … materielle Konsolidierung der Einzelverfahren … Eine materielle Konsolidierung der Insolvenzmassen würde mit Verteilungseffekten einhergehen, die den Haftungserwartungen des Rechtsverkehrs zuwiderlaufen.“ (Seite 2)

EU-Kommission (12.12.2012): „Die Insolvenzverordnung geht davon aus, dass für jedes Mitglied der Unternehmensgruppe ein eigenes Verfahren eröffnet werden muss und dass die Verfahren völlig unabhängig voneinander geführt werden.“ (Seite 3) „Der Reformvorschlag enthält besondere Vorschriften für die Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe, behält aber gleichzeitig den in der geltenden Insolvenzverordnung angewandten Grundsatz der Einzelinsolvenz bei.“ (Seite 10)

§ 3a – Gruppengerichtsstand (1) Auf Antrag eines Schuldners, der einer Unternehmensgruppe im Sinne von § 3e angehört (gruppenangehöriger Schuldner), erklärt sich das angerufene Insolvenzgericht für die Insolvenz-verfahren über die anderen gruppenangehörigen Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig, wenn in Bezug auf den Schuldner ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt und der Schuldner nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist. Eine un-

Keine ausdrückliche Regelung, …

Gruppengerichtsstand

… aber EU-Kommission, 12.12.2012: „Der Reformvorschlag sieht zwar die Koordinierung der einzelnen Insolvenzverfahren gegen Mitglieder derselben Unternehmensgruppe vor, doch heißt dies nicht, dass er die bei stark integrierten Unternehmensgruppen übliche Praxis unterbinden will, den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen aller Mitglieder der Gruppe an ein und demselben Ort anzunehmen und die

___________ 192) Vgl. auch die Synopse von Brinkmann anlässlich des Workshops „Konzerninsolvenzrecht, beim 10. Deutschen Insolvenzrechtstag, 13. – 15.3.2013, Berlin, abrufbar unter: http://www.jura.uni-bonn.de/ fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Zivilrecht3/LS_Brinkmann/ Homepage/Brinkmann/Brinkmann_-Deutscher_Insolvenzrechtstag.pdf (Abrufdatum: 1.7.2013).

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

§ 21

InsO-E tergeordnete Bedeutung ist in der Regel nicht anzunehmen, wenn im vorangegangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr 1. die Bilanzsumme des Schuldners mehr als zehn Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme der Unternehmensgruppe betrug, 2. die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als zehn Prozent der zusammengefassten Umsatzerlöse der Unternehmensgruppe betrugen und 3. die Zahl der vom Schuldner im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer mehr als zehn Prozent der in der Unternehmens-gruppe im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer ausmachte. Haben mehrere gruppenangehörige Schuldner zeitgleich einen Antrag nach Satz 1 gestellt oder ist bei mehreren Anträgen unklar, welcher Antrag zuerst gestellt worden ist, ist der Antrag des Schuldners maßgeblich, der die größere Bilanzsumme aufweist; die anderen Anträge sind unzulässig. (2) Bestehen Zweifel daran, dass eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt, kann das Gericht den Antrag nach Absatz 1 Satz 1 ablehnen. …

EuInsVO-E Verfahren demzufolge nur an einem Ort zu eröffnen.“ (Seite 10)

Konzerninsolvenzverwalter

§ 56b – Verwalterbestellung bei Schuldnern derselben Unternehmensgruppe (1) Wird über das Vermögen von gruppenangehörigen Schuldnern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt, so haben die angegangenen Insolvenzgerichte darüber abzustimmen, ob es im Interesse der Gläubiger liegt, lediglich eine Person zum Insolvenzverwalter zu bestellen …

Keine ausdrückliche Regelung, … … siehe aber “Article 42b – Communication and cooperation between courts”: … 3. The cooperation referred to in paragraph 1 may be implemented by any means that the court considers appropriate, including (a) coordination in the appointment of an insolvency practitioner; …

Kooperation zwischen Verwaltern

§ 269a – Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter Die Insolvenzverwalter gruppenangehöriger Schuldner sind untereinander zur Unterrichtung und Zusammenarbeit verpflichtet, soweit hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des Verfahrens beeinträchtigt werden, für das sie bestellt sind. Insbesondere haben sie auf Anforderung alle Informationen mitzuteilen, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können.

Article 42a – Cooperation and com-munication between insolvency practitioners 1. Where insolvency proceedings relate to two or more members of a group of companies, an insolvency practitioner appointed in proceedings concerning a member of the group shall cooperate with any insolvency practitioner appointed in proceedings concerning another member of the same group to the extent such cooperation is appropriate to facilitate the effective administration of these proceedings, is not incompatible with the rules applicable to such proceedings and does not entail any conflict

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§ 21

Teil III Einzelfragen InsO-E

EuInsVO-E of interests. That cooperation may take the form of agreements or protocols, or any other form. …

Kooperation zwischen Gerichten

§ 269b – Zusammenarbeit der Gerichte Werden die Insolvenzverfahren über das Vermögen von gruppenangehörigen Schuldnern bei verschiedenen Insolvenzgerichten geführt, sind die Gerichte zur Zusammenarbeit und insbesondere zum Austausch der Informationen verpflichtet, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können. Dies gilt insbesondere für: 1. die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, 2. die Eröffnung des Verfahrens, 3. die Bestellung eines Insolvenzverwalters, 4. wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen, 5. den Umfang der Insolvenzmasse und 6. die Vorlage von Insolvenzplänen sowie sonstige Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens.

Article 42b – Communication and cooperation between courts 1. Where insolvency proceedings relate to two or more members of a group of companies, a court which has opened such proceedings shall cooperate with any other court before which a request to open proceedings concerning another member of the same group is pending or which has opened such proceedings to the extent such cooperation is appropriate to facilitate the effective administration of the proceedings and is not incompatible with the rules applicable to them. For this purpose, the courts may, where appropriate, appoint a person or body to act on its instructions, provided that this is not incompatible with the rules applicable to them. … 3. The cooperation referred to in paragraph 1 may be implemented by any means that the court considers appropriate, including (a) coordination in the appointment of an insolvency practitioner; (b) communication of information by any means considered appropriate by the court; (c) coordination of the administration and supervision of the assets and affairs of the members of the group; (d) coordination of the conduct of hearings; coordination in the approval of protocols where necessary.

Kooperation zwischen Gläubigerorganen

§ 269c – Zusammenarbeit der Gläubigerausschüsse (1) Auf Antrag eines Gläubigerausschusses, der in einem Verfahren über das Vermögen eines gruppen-angehörigen Schuldners bestellt ist, kann das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands nach Anhörung der anderen Gläubigerausschüsse einen GruppenGläubigerausschuss einsetzen, in dem die Gläubigerausschüsse der gruppenangehörigen Schuldner, die nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe sind, durch jeweils eine Person vertreten sind. (2) Der Gruppen-Gläubigerausschuss unterstützt die Insolvenzverwalter und die Gläubigerausschüsse in den

Keine Regelung

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

§ 21

InsO-E einzelnen Verfahren, um eine abgestimmte Abwicklung dieser Verfahren zu erleichtern. Die §§ 70 bis 73 gelten entsprechend. Hinsichtlich der Vergütung gilt die Tätigkeit als Mitglied im Gruppen-Gläubigerausschuss als Tätigkeit in dem Gläubigerausschuss, den das Mitglied im Gruppen-Gläubigerausschuss vertritt. (3) Dem Gläubigerausschuss steht in den Fällen des Absatzes 1 und 2 ein vorläufiger Gläubigerausschuss gleich.

EuInsVO-E

Kooperation zwischen Gerichten und anderen Verwaltern

Keine Regelung, … … siehe aber bei Koordinationsverwalter

Article 42c – Cooperation and communication between insolvency practitioners and courts An insolvency practitioner appointed in insolvency proceedings concerning a member of a group of companies may (a) cooperate and communicate with any court before which a request for the opening of proceedings with respect to another member of the same group of companies is pending or which has opened such proceedings; and (b) request information from that court concerning the proceedings regarding the other member of the group or request assistance concerning the proceedings in which he has been appointed to the extent such cooperation and communication are appropriate to facilitate the coordination of the proceedings, do not entail any conflict of interests and are not incompatible with the rules applicable to them.

Verfahrenskoordination

Vgl. Koordinationsverfahren in §§ 269d ff., insbesondere § 269f – Aufgaben und Rechtstellung Koordinationsverwalter (1) Der Koordinationsverwalter hat für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren über die gruppenangehörigen Schuldner zu sorgen, soweit dies im Interesse der Gläubiger liegt. Zu diesem Zweck kann er insbesondere einen Koordinationsplan vorlegen …

Kein Koordinationsverfahren oder Koordinationsverwalter, aber echte Einwirkungsmöglichkeit: Article 42d – Powers of the insolvency practitioner in insolvency proceedings concerning members of a group of companies – Teilnahme an der Gläubigerversammlung – Antrag auf Aussetzung eines Verfahrens, das gegen ein anderes Mitglied derselben Unternehmensgruppe eröffnet wurde – Vorschlagsrecht zu einem Sanierungsplan, einem Vergleich, insbesondere im Rahmen einer Gläubigerversammlung – Antragsrecht zu verfahrensleitenden Maßnahmen einschließlich Umwandlung des Verfahrens. – Zeitweise Aussetzung des Verfahrens, wenn eine Aussetzung des Ver-

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§ 21

Teil III Einzelfragen

Konzerninsolvenzplan

InsO-E

EuInsVO-E fahrens den Gläubigern dieses Verfahrens nachweislich zugutekäme.

§ 269h – Koordinationsplan Zur abgestimmten Abwicklung der Insolvenzverfahren über das Vermögen von gruppenangehörigen Schuldnern können der Koordinationsverwalter und, wenn ein solcher noch nicht bestellt ist, die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner gemeinsam dem Koordinationsgericht einen Koordinationsplan zur Bestätigung vorlegen. Der Koordinationsplan bedarf der Zustimmung eines bestellten GruppenGläubigerausschusses. Das Gericht weist den Plan von Amts wegen zurück, wenn die Vorschriften über das Recht zur Vorlage, den Inhalt des Plans oder über die verfahrensmäßige Behandlung nicht beachtet worden sind und die Vorlegenden den Mangel nicht beheben können oder innerhalb einer angemessenen vom Gericht gesetzten Frist nicht beheben.

Article 42a – Cooperation and communication between insolvency practitioners 2. In the exercise of the cooperation referred to in paragraph 1, the insolvency practitioner shall (a) as soon as possible communicate to each other any information which may be relevant to the other proceedings, provided appropriate arrangements are made to protect confidential information; (b) consider whether possibilities exist for restructuring group members which are subject to insolvency proceedings and, if so, coordinate with respect to the proposal and negotiation of a coordinated restructuring plan; (c) consider whether possibilities exist for coordinating the administration and supervision of the affairs of the group members which are subject to insolvency proceedings, and if so, coordinate such administration and supervision; … Article 42b – Communication and cooperation between courts 3. … (d) coordination in the approval of protocols where necessary.

191 Wie sich schon aus dieser Synopse ergibt, können bei beiden Entwürfen die folgenden wesentlichen Regelungsbereiche identifiziert werden: x Definition der Gruppe x Konsolidierung x Gruppengerichtsstand x Konzerninsolvenzverwalter x Kooperation der Beteiligten x Verfahrenskoordination x Konzerninsolvenzplan 2.

Begriff der Gruppe im Konzerninsolvenzrecht

192 Die Definition der Gruppe lehnt sich in beiden Fällen an die 7. EG Richtlinie (83/349/EWG) an.193) Dabei wird sich die Definition in der EuInsVO wohl künftig an der neuen Richtlinie zur Konsolidierung (Richtlinie 2013/34/En) orientieren. Vorausgesetzt wird im Falle des ___________ 193) Vgl. hierzu Brinkmann anlässlich des Workshops „Konzerninsolvenzrecht, beim 10. Deutschen Insolvenzrechtstag, 13.–15.3.2013, Berlin, abrufbar unter: http://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/ Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Zivilrecht3/LS_Brinkmann/Homepage/ Brinkmann/Brinkmann_-Deutscher_Insolvenzrechtstag.pdf (Abrufdatum: 1.7.2013) oder LeutheusserSchnarrenberger, ZIP 2013, 98, 100.

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

§ 21

InsO-DiskE 2013 i. S. von § 290 Abs. 2 HGB die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses bzw. die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung („Gleichordnungskonzern“). Dies ist zu begrüßen, da dieser Anknüpfungspunkt in der Praxis bereits bekannt ist. Zudem ist es auch für die Praxis einfacher, dass nicht auf den Konzernbegriff aus § 18 Abs. 1 AktG zurückgegriffen wurde. Von dieser Beherrschungsmöglichkeit muss auch tatsächlich Gebrauch gemacht werden. Nach dem InsO-DiskE 2013 reicht hingegen schon die Beherrschungsmöglichkeit aus. Diese Möglichkeit dürfte sich leicht feststellen lassen und zu keinen Verzögerungen führen194) bzw. in einer sinnvollen Koordination der betroffenen Unternehmen i. R. einer Fortführung münden.195) Kritisiert wird lediglich zum EuInsVO-E in der Fassung vom 12.12.2012, dass Gleichord- 193 nungskonzerne nicht unter diese Regelungen fallen dürften, obschon auch hier eine Koordination nicht nur wünschenswert, sondern ebenfalls erforderlich ist.196) Indes weisen Prager/ Keller daraufhin, dass die derzeit von der deutschen Fassung abweichende englische Version des EuInsVO-E auch so gelesen werden kann, dass Konzerne mit mehreren Muttergesellschaften unter die Definition der „group of companies“ nach Art. 2 lit. j EuInsVO-E fallen können. Damit wäre auch in deren Anwendungsbereich ein Mehrmütterkonzern mitumfasst.197) Der InsO-DiskE 2013 schließt jedenfalls den Gleichordnungskonzern ein.198) Aus deutscher Sicht ist damit der InsO-DiskE 2013 zur Definition der Gruppe als klar 194 vorzugswürdig anzusehen, auch wenn der EuInsVO-E hingegen möglichst vielen Rechtsordnungen gerecht werden muss und daher zur Zeit noch in der Diskussion steht. 3.

Konsolidierung, Gruppengerichtsstand, Konzerninsolvenzverwalter

Beide Entwürfe verzichten auf eine materielle Konsolidierung in einem einheitlichen Ver- 195 fahren, also die Zusammenführung der Massen verschiedener Unternehmensträger. Eine materielle Konsolidierung der Insolvenzmassen ginge mit Verteilungseffekten einher, die den legitimen Haftungserwartungen des Rechtsverkehrs zuwiderliefen199) (siehe oben Synopse Rz. 190) und die einzelnen Gläubiger benachteiligten.200) Erfreulicherweise hat auch der EuInsVO-E, trotz anderslautender Vorschläge des Europäischen Parlamentes,201) ebenfalls hiervon abgesehen und am Prinzip der Einzelverfahren festgehalten.202) Eine prozedurale Konsolidierung in Form eines Gruppengerichtsstandes und Vorschriften 196 zur Bestellung eines einheitlichen Verwalters bei mehreren Gruppen-Unternehmen (siehe hierzu sogleich unten) findet sich im EuInsVO-E anders als im InsO-RegE 2013 nicht. Zutreffend wird in der Begründung der Kommission zu EuInsVO-E (auf Seite 10) ausgeführt: „Der Reformvorschlag sieht zwar die Koordinierung der einzelnen Insolvenzverfahren gegen Mitglieder derselben Unternehmensgruppe vor, doch heißt dies nicht, dass er die bei stark integrierten Unternehmensgruppen übliche Praxis unterbinden will, den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen aller Mitglieder der Gruppe

___________ Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 100, Fölsing, ZInsO 2013, 413 f. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 195. Reuß, EuZW 2013, 165, 168. Prager/Keller, NZI 2013, 57 ff. Fölsing, ZInsO 2013, 413, 415. Krit. hierzu Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 ff. So auch Sester, ZIP 2005, 2099 ff. oder Fölsing, ZInsO 2013, 413 f. Vgl. hierzu die Darstellung der Entschließung des Europäischen Parlaments, die dies in Fällen unübersichtlicher Vermögensmassen als vermeintlich hilfreiches Mittel ansieht, durch Vallender/UndritzStephan, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 15 Rz. 272 ff.; Brünkmans, ZIP 2013, S. 193, 195 oder Mevorach, Insolvency within Multinational Enterprise Groups, S. 254. 202) Reuß, EuZW 2013, 165, 168, explizit hierzu: Sester, ZIP 2005, 2099 ff.

194) 195) 196) 197) 198) 199) 200) 201)

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§ 21

Teil III Einzelfragen an ein und demselben Ort anzunehmen und die Verfahren demzufolge nur an einem Ort zu eröffnen.“

197 Im Europäischen Kontext führte ein Gruppengerichtsstand zur Eröffnung eines Verfahrens an einem anderen Ort, genauer in einer anderen Jurisdiktion als der des tatsächlichen COMI. Ein hoher Verlust an Effizienz und hohe Zumutungen für die Gläubiger wären die Folge. Ein Unternehmen, das mit dieser anderen Rechtsordnung in seinem täglichen Geschäft wenig zu tun gehabt hat, müsste nun i. R. einer ihm fremden Rechtsordnung in der Insolvenz abgewickelt werden. Der Verwalter hätte dann ein Unternehmen fortzuführen, welches z. B. in Deutschland seinen Sitz und tatsächlichen Mittelpunkt, also auch seine ganzen Vertragsbeziehungen zu Lieferanten oder Kunden hatte. Er müsste dann nach einer anderen lex fori concursus prüfen, wie sich die Insolvenz auf die Fortführung oder Beendigung dieser Verträge auswirkte (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e EuInsVO). Hatte ein Unternehmen sein COMI tatsächlich in einem anderen Staat, müsste bei einem richtigen Verständnis des COMI203) als Ort des Schwerpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit, das Unternehmen auch in dieser Jurisdiktion die Vielzahl seiner Außenbeziehungen abwickeln. Daher ist es sinnvoll, dass die Kommission trotz entsprechender Vorschläge204) keine Regelungen für die Bestellung eines Verwalters vorgesehen hat. Die Kommission hat aber eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die Gerichte vorgesehen, eine Person zu bestimmen, die für ein oder mehrere Gerichte die Verfahren koordinieren kann, vgl. Art. 42b EuInsVO. 198 Wie sich an diesen Ausführungen auf europäischer Ebene schon ergibt, führt die Einführung eines Gruppengerichtsstandes zu einer Abkehr vom bisherigen Konzept der InsO, das Verfahren ausschließlich am COMI des Unternehmens zu führen. In der bisherigen Praxis gab es in Deutschland nur Fälle, bei denen dann das COMI am Sitz der Konzernzentrale etabliert wurde.205) Besonders brisant ist, dass nach dem InsO-RegE 2013 nun das Prioritätsprinzip greift. Somit wäre für die Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes das Gericht maßgeblich, bei dem der erste Antrag auf Begründung dieses Gerichtsstandes gestellt wurde.206) Das kann man wie Brünkmans begrüßen, der darauf hinweist, dass dann im Falle einer Gruppeninsolvenz mehrere Gerichte in Frage kommen und daher vor allem die als sanierungserfahren bekannten Gerichte angegangen werden.207) Das entzündet aber zugleich die Forum-Shopping-Debatte auf nationaler Ebene.208) So könnte etwa nach Fölsing der Gruppengerichtstand dazu verwendet werden, die Verfahren unter einen Einheitsverwalter zu zwängen, obwohl eine Loslösung aus dem Konzernverbund ggf. für die Gläubiger besser wäre.209) In diesem Kontext weist Fölsing zu Recht daraufhin, dass es in der Praxis nicht einfach sein wird, wenn das zuerst angegangene Gericht gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 InsO-DiskE 2013 feststellen müsste, ob seine Zuständigkeit im Interesse der Gläubiger liegt. Wie sich dieses Interesse bestimmt, wird im Entwurf der InsO nicht definiert. Der zugehörige DiskE verweist lediglich darauf, dass hierdurch Kooperationsgewinne erzielt werden sollen. Auch hier folgt wieder die Frage, wie das in einer Prognose, zudem noch rasch, festgestellt werden soll.210) Hieran hat auch der InsO-RegE nichts ge___________ 203) Leider ist hier anzumerken, dass trotz der begrüßenswerten Einführung einer Definition des COMI, der EuInsVO-E in dieser Stelle zu Recht Kritik erntet. Vgl. etwa DAV, 2/2013, 14/2013 sowie Reuß, EuZW 2013, 165, 167. 204) Vgl. Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 ff. 205) Vgl. zu den Schwierigkeiten der bisherigen Praxis Vallender, Der Konzern 2013, 162 f. 206) Brünkmans, ZIP 2013, 193, 195. 207) Brünkmans, ZIP 2013, 193, 196. 208) Vallender, Der Konzern 2013, 162, 164. 209) Fölsing, ZInsO 2013, 413, 417. 210) Vgl. hierzu auch kritisch Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 585.

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§ 21

ändert. Die Voraussetzungen für den Gruppengerichtsstand sind sogar noch einfacher zu erfüllen, da die Anforderungen hierfür nur noch als Regelbeispiele definiert sind. Besonders für das Gelingen einer Fortführung ist eine entsprechende sanierungsfreundliche 199 Haltung der Gerichte im Antragsverfahren unerlässlich, allein schon bei der Frage der Begründung von Masseverbindlichkeiten bzw. deren Genehmigung im Antragsverfahren. Daher ist das Anliegen mehr als legitim, gerade bei wirtschaftlich hochkomplexen Konzerninsolvenzen auf sanierungserfahrene Gerichte zu schauen. Auch die Bundesjustizministerin spricht von einer Verbesserung der Planbarkeit von Konzerninsolvenzen durch die Regelungen des InsO-DiskE 2013.211) Deshalb sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Zu Recht weisen Andrews/Möhlenkamp darauf hin, dass auch der Gruppengerichtstand nicht zu einer Verfahrenskonzentration führt. Die Verfahren werden eigenständig, ggf. auch durch verschiedene Richter geführt.212) Daher fordert etwa Vallender bei Konzernfällen eine ergänzende Konzentrationsregelung, wonach es Regelungen zur Bündelung der Verfahren bei einem Richter geben solle. Den Ländern solle erlaubt werden, den GruppenGerichtsstand einem bestimmten Gericht innerhalb des OLG-Bezirkes zuzuweisen und zugleich auch die Schulung der Gerichte zu verbessern.213) Auch die Bestellung eines einzelnen Verwalters für mehrere Unternehmen einer Gruppe 200 ist dem Bereich der prozessualen Verfahrenskonsolidierung zuzurechnen, ist aber nur im InsO-DiskE 2013 und weitgehend unverändert auch im InsO-RegE, nicht im EuInsVO-E, vorgesehen. Dabei schreibt der InsO-DiskE 2013 diesen Verwalter nicht obligatorisch vor. Vielmehr haben sich die Gerichte gemäß § 56 Abs. 1 InsO-DiskE 2013 hierüber abzustimmen.214) Es ist wieder zu prüfen, ob diese Konzentration im Interesse alle Schuldnerunternehmen liegt und sich Interessenkonflikte durch die Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern lösen lassen. Die Entscheidung, ob ein Einheitsverwalter bestellt werden kann, kann sich nicht allein an der Organisationsstruktur des Konzerns orientieren, etwa keinen Einheitsverwalter zu bestellen, wenn es sich um einen Gleichordnungskonzern handelt.215) Denn gerade die Unterschiedlichkeit kennzeichnet die Konzerne in besonderer Weise. Es sollte dabei jeweils im Einzelfall unter dem Primat der Gläubigerinteressen entschieden werden. Der Gesetzgeber hat die mitunter zögerliche Praxis einzelner Gerichte216) bei der Bestellung eines Verwalters gesehen und hier eine rechtliche Vorgabe gegeben, unter welchen Voraussetzungen ein anderer Verwalter bestellt werden kann. Die Chancen für die Fortführung eines Konzerns in der Insolvenz verbessern sich durch 201 die Möglichkeit zur Bestellung eines einheitlichen Verwalters erheblich, da aufgrund des Endes der konzernrechtlichen Leitungsmacht auf diese Art dann im Interesse der Gläubiger eine einheitliche Ausrichtung der Sanierung bzw. Fortführung am einfachsten möglich ist. Bei der Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern ist darauf zu achten, dass deren Aufgabenbereich exakt umrissen wird. Dessen Kompetenz muss auf alle konzerninternen Rechtsgeschäfte erstreckt werden.217) Anderenfalls könnte eine einheitliche, effektive Abwicklung gefährdet werden. In der Praxis werden Sonderinsolvenzverwalter daher vor allem bei der Prüfung wechselseitiger Forderungsanmeldungen bestellt.

___________ 211) 212) 213) 214) 215) 216) 217)

Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 100. Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 583. Vallender, Der Konzern 2013, 162, 167. Fölsing, ZInsO 2013, 413, 417. Fölsing, ZInsO 2013, 413, 417. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 198. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 198.

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Teil III Einzelfragen

202 Ein anderer Ansatz der Praxis ist es, bei Verfahren gruppenangehöriger Unternehmen verschiedene Verwalter aus einer Kanzlei zu bestellen; auch damit kann das Thema eines Interessenkonflikts beseitigt werden, da jeder Verwalter letztlich auch für „sein“ Verfahren haftet. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber des InsO-DiskE 2013 wie auch beim InsO-RegE 2013 auch diese Option berücksichtigt hätte, da teilweise Vorbehalte wegen eines vorweggenommenen Interessenkonfliktes gesehen wurden. Zutreffend und relevant ist in jedem Falle der Hinweis von Brünkmans zu den konzernspezifischen Dokumentations- und Berichtspflichten. Im Falle eines Einheitsverwalters (dies gilt auch bei Verwaltern aus der gleichen Sozietät) sind erhöhte Anforderungen an die Transparenz und Dokumentation zu stellen. Gerade bei konzerninternen Transaktionen ist streng darauf zu achten, dass diese Vorgänge „at-arms-length“ sind. Es muss dokumentiert sein, auf welcher Basis etwa Umlagen oder Konzernpreise vereinbart wurden. Schon von vorneherein darf nicht der Verdacht entstehen, dass ein Verfahren das andere subventioniert. Eine finanzielle Unterstützung einer anderen Konzerngesellschaft muss zu marktüblichen Konditionen vereinbart werden. Die Wirtschaftlichkeit ist aus Sicht beider oder mehrerer Verfahren zu prüfen und zu dokumentieren. Es gelten also die Ausführungen zum innerdeutschen Konzern in gleicher Weise. 4.

Kooperation der Beteiligten

203 Sowohl der InsO-DiskE 2013, der InsO-RegE 2013 als auch der EuInsVO-E enthalten Regelungen zur Kooperation und Zusammenarbeit der Gerichte. Die Regelungen sind im Einzelnen unspektakulär. Sie umfassen eigentlich Selbstverständlichkeiten. Gerade auf europäischer Ebene mangelte es in Konzerninsolvenzen oft an einer Kooperation. Deshalb ist es hilfreich, diese Regelungen aufzunehmen.218) Auch in Deutschland fällt es leichter, wenn nun klare gesetzliche Regelungen vorliegen. Was sich auch schon zuvor aus den Leitlinien der InsO ergab, wird nun nochmals ausdrücklich klargestellt.219) 204 Unterschiedlich ist indes der Regelungsbereich. Beide Vorschläge enthalten Regelungen zur Kooperation von Verwaltern und Gerichten untereinander (vgl. §§ 269a und 269b InsODiskE 2013 und Art. 42a und 42b EuInsVO-E). Nur der InsO-E regelt indes in § 269c InsO-DiskE 2013 die Zusammenarbeit der Gläubiger in verschiedenen Verfahren. Dafür enthält der EuInsVO in Art. 42c EuInsVO-E Regelungen zur Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter mit anderen Gerichten. 205 Beide Regelungen sind an die bereits in der gültigen EuInsVO geregelten Koordinationsregeln im Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren angelehnt.220) In dieser Situation handelt es sich letztendlich immer nur um einen Rechtsträger. Bei Konzerninsolvenzen werden dagegen die Verfahren verschiedener Rechtsträger koordiniert. 206 Daher ist es richtig, wenn beide Entwürfe Regelungen zum Schutz der jeweiligen Massen enthalten. Im Falle des EuInsVO-E wird verlangt, dass diese Zusammenarbeit die effiziente Abwicklung der Verfahren erleichtern kann, mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist und keine Interessenkonflikte nach sich zieht. Beim InsODiskE 2013 ist zu prüfen, ob hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des Verfahrens beeinträchtigt werden. Sinnvoll ist der weite Schutzbereich des der EuInsVO. Eine Kooperation kann nur dann verlangt werden, wenn sie nicht nur Selbstzweck ist, sondern auch der Effizienz dient. Dass lediglich von Interessenkonflikten als Einschränkung für Ko___________ 218) European Commission, Impact Assessement (SWD(2012) 416 final, accompanying the document Revision of Regulatoin (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings, S. 15, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ justice/civil/files/insolvency-ia_en.pdf (Abrufdatum: 1.7.2013). 219) Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 101. 220) Vgl. Verhoeven, ZInsO 2012, 1689, 1694.

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operation oder Informationsaustausch gesprochen wird und nicht nur auf die Interessen der Verfahrensbeteiligten abgestellt wird, macht zudem deutlich, dass ein Verwalter sich i. R. der EuInsVO z. B. auch auf den vereinbarten oder gesetzlich vorgegebenen Schutz der Bieter bzw. Investoren berufen kann. Schließlich sind oftmals Exklusivitäts- oder Verschwiegenheitsvereinbarungen zu beachten. Für die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter enthält die EuInsVO jedoch weiterge- 207 hende Regelungen. Zum Beispiel ist beim InsO-RegE 2013 der Begriff der Zusammenarbeit nicht näher definiert, so dass sein Gehalt unklar sein könnte. Nicht nur aus dem DiskE zur InsO (dort Seite 21) kann abgeleitet werden, dass dieses Gebot z. B. auch zu einer Belieferung des anderen Verfahrens zumindest zu marktüblichen Preisen verpflichtet oder eine Zusammenarbeitspflicht schon dann besteht, soweit dies für die Masse nicht von Nachteil wäre, also mindestens neutral sei. Das kann aus dem Wortlaut der Norm nicht ohne weiteres hergeleitet werden. Zudem ist beim InsO-DiskE 2013 und ebenfalls beim InsORegE ein Informationsaustausch nur „auf Anforderung“ vorgesehen (§ 269a InsO-DiskE 2013). Beim EuInsVO-E besteht dagegen gemäß dessen Art. 42a sogar eine Pflicht zur umgehenden Informationsmitteilung gegenüber den anderen Verfahren.221) Ein Verwalter im Konzern wird nach dieser Regelung also darauf zu achten haben, ob von ihm angegangene Maßnahmen auch Auswirkungen auf andere Verfahren haben. Dies ist nur billig. Denn der andere Verwalter wird oft nicht im Voraus wissen können, was in den anderen Verfahren gerade geschieht. Vorzugswürdig wird der EuInsVO-E auch im Hinblick auf dessen Art. 42a Abs. 2 lit. b angesehen,222) worin es heißt: „Sie prüfen Möglichkeiten für eine Restrukturierung der Gruppe; falls solche Möglichkeiten bestehen, stimmen sie sich in Bezug auf den Vorschlag für einen koordinierten Restrukturierungsplan und dessen Aushandlung ab.“

Dieser vorausschauende Ansatz der EuInsVO erlaubt es, dass die verschiedenen Verwalter 208 gleich zu Beginn der Verfahren oder stets bei neuen Entwicklungen gemeinsam abstimmen. Sie können auch vereinbaren, wie die Erhaltung, Sanierung oder Verwertung einzelner Gruppenunternehmen oder sich über mehrere Rechtsträger erstreckender Produktionseinheiten bzw. Geschäftsfelder gemeinsam zu bewerkstelligen ist. Auch können untereinander Darlehen zur Aufrechterhaltung der Produktion gewährt werden.223) Zugleich ist an dieser Stelle auch das Thema des Kooperationsgewinnes anzusprechen. Es 209 ist stets das Ziel der Verfahrenskoordination bzw. der Kooperation der Beteiligten, im Interesse der Gläubiger einen Mehrwert zu erzielen. Sowohl Brünkmans als auch Fölsing schlagen hierzu vor,224) eine Regelung in Anlehnung an § 254 InsO einzuführen. Damit wäre dieses Thema adressiert. Die Verwalter müssten sich hierüber verständigen. Anderenfalls wäre es der Beliebigkeit oder schieren Verhandlungsmacht Preis gegeben, welcher Masse dieser Mehrwert zusteht. Nach dem Vorschlag von Brünkmans225), kann so etwa das Insolvenzgericht eine gegen das Gruppeninteresse verstoßende, diesen Mehrwert zunichtemachende Vorgehensweise ersetzen, „wenn (1) der auf die die Einzelmasse abfallende Erlös einer Gesamtverwertungsstrategie nicht geringer ist als bei einer Einzelverwertung; (2) durch die Gesamtverwertungsstrategie offensichtlich ein Mehrwert im Vergleich zu einer Einzel-

___________ 221) Vgl. hierzu Brinkmann anlässlich des Workshops „Konzerninsolvenzrecht, beim 10. Deutschen Insolvenzrechtstag, 13.–15.3.2013, Berlin, abrufbar unter: http://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/ Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Zivilrecht3/LS_Brinkmann/Homepage/ Brinkmann/Brinkmann_-Deutscher_Insolvenzrechtstag.pdf (Abrufdatum: 1.7.2013). 222) Fölsing, ZInsO 2013, 413, 418. 223) So auch Fölsing, ZInsO 2013, 413, 418. 224) Vgl. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 199 oder Fölsing, ZInsO 2013, 413, 418. 225) Vgl. Brünkmans, ZIP 2013, 193, 200.

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Teil III Einzelfragen verwertungsstrategie geschaffen wird und die Einzelmassen der gruppenangehörigen Schuldner angemessen am Mehrwert beteiligt werden. Der durch eine konzernweite Gesamtverwertungsstrategie geschaffene Mehrwert ist im Verhältnis zum Wert der Einzelmassen zu Liquidationswerten zu verteilen. Der Wert der Einzelmassen ist anhand der nach § 153 InsO aufzustellenden Vermögensübersicht zu ermitteln; und (3) die Mehrheit der Gläubigerversammlungen oder Gläubigerausschüsse der gruppenangehörigen Schuldner der Konzerngesamtverwertungsstrategie zugestimmt haben.“

5.

Verfahrenskoordination und Konzerninsolvenzplan

210 Auch die bereits erörterten Regelungen betreffen die Verfahrenskoordination. Auf der Ebene der Koordination geht es aber vor allem, um die Zusammenarbeit der Beteiligten untereinander. Unter der Verfahrenskoordination sind darüber hinaus auch von den Gesetzgebern vorgesehene formelle Verfahren(-sweisen) zur Koordination der Verfahren zu verstehen.226) 211 Beim InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013 setzt die weitergehende Verfahrenskoordination implizit voraus, dass nicht zuvor schon eine Koordination in Form der prozessualen Konsolidierung, also durch Gruppengerichtsstand und Konzerninsolvenzverwalter, über mehrere Gesellschaften gewählt wurde. Dieses Verfahren soll also als komplettierendes und fakultatives Element dienen.227) 212 Dieses sog. „Koordinationsverfahren“, besteht dann aus den Bausteinen x

Koordinationsgericht (§ 269d InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013),

x

Koordinationsverwalter (§§ 269e bis 269g InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013) und

x

dem Koordinationsplan (§§ 269h bis 269i InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013).

213 So sinnvoll in der Praxis die Hinzuziehung eines Mediators sein kann, so schwerfällig erscheint das Koordinationsverfahren. Es wird auf Antrag durch das, zuvor für die Gruppenfolgeverfahren zuständige, Gericht – hier als Koordinationsgericht – eingeleitet (§ 269d InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013). Dann bestellt das Koordinationsgericht aus dem Kreise der konzernangehörigen (vorläufigen) Verwalter einen Koordinationsverwalter (§ 269e InsO-DiskE 2013), welcher – soweit dies im Interesse der Gläubiger liegt – für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren zu sorgen hat und hierzu einen Koordinationsplan vorlegen kann.228) Im InsO-RegE 2013 wurde dies dahingehend geändert, dass der Koordinationsverwalter nun eine unabhängige Person sein muss. 214 Dieser Koordinationsverwalter und dieses Verfahren, das eigentlich den Gruppenmehrwert heben soll, verursacht wiederum Mehrkosten.229) Zurecht ist auch aus haftungsrechtlichen Gründen als problematisch angesehen worden, dass der Koordinationsverwalter aus dem Kreise der, für die einzelnen Gruppen bestellten Verwalter stammen soll. Es gibt für diesen Koordinator von vorneherein einen Zielkonflikt zwischen „seinem“ Verfahren und der Gruppe.230) Insoweit wurde zumindest dieser durch den InsO-RegE 2013 entsprochen. 215 Ganz anders ist hingegen der Ansatz des europäischen Gesetzgebers. Nach Art. 42d EuInsVO-E hat der Insolvenzverwalter eines Insolvenzverfahrens, das gegen ein Mitglied der Unternehmensgruppe eröffnet worden ist, bei den jeweils anderen Verfahren Antragsrechte. Insbesondere kann ein Verwalter in den anderen Verfahren der Gruppe beantragen, ___________ 226) 227) 228) 229) 230)

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Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 102. Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 100. Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 102. Fölsing, ZInsO 2013, 413, 418. Hierzu ausführlich Thole, Der Konzern 2013, 182 ff.

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§ 21

Verwertungsverfahren auszusetzen. Auch kann er dort Pläne vorschlagen oder andere verfahrensleitende Maßnahmen beantragen, wenn er jeweils nachweist, dass dies für die betroffenen Verfahren bzw. Verfahrensbeteiligten von Vorteil ist.231) Käme mangels Kooperationsbereitschaft einzelner Insolvenzverwalter eine geordnete Abstimmung bzw. ein Koordinationsplan nicht zustande, so könnte ggf. ein derartiger Weg im Interesse der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung und zur Einbeziehung auch der Verfahren ergriffen werden, deren Verwalter sich ggf. einer Sanierung entgegenstellen.232) Diese weitreichenden Befugnisse mögen aus deutscher Sicht zunächst überraschend erscheinen. Sie sind aber im internationalen Kontext dringend geboten. Andere Europäische Insolvenzverfahren kennen sehr strenge, zeitliche Regelungen zur Verwertung oder Auktion unter Aufsicht des Gerichtes. Sind solche Maßnahmen erst einmal eingeleitet, täte sich ein deutscher, hier viel flexiblerer Insolvenzverwalter, schwer, diesen Prozess in einem anderen Verfahren zu stoppen. Dieses Problem hat die Europäische Kommission in zutreffender Weise erkannt und hierzu ein Signal für die Sanierung gesetzt.233) Damit wurde eine sinnvolle Möglichkeit eröffnet, für die Gruppe bzw. die betroffenen Verfahren ungünstige Verwertungsmaßnahmen zu verhindern.234) Die Koordinierung der Verfahren mittels Plan wurde schon in der Vergangenheit als ge- 216 eignetes Instrument zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen angesehen. Schon Uhlenbruck hatte 1999 zutreffend vertreten, ein Plan sei das richtige Mittel zur Koordinierung in Konzernsituationen.235) Der EuInsVO-E regelt das Thema eines Planes für die Gruppe auf den ersten Blick nur 217 beiläufig, indem er auf die in der internationalen Konzerninsolvenz, zuletzt etwa im Falle Lehman Brothers, angewandten und anerkannten Protocols236) abhebt. Hierbei normiert Art. 42b EuInsVO-E die Pflicht der Konzerninsolvenzverwalter, sich wegen des Vorschlags für einen koordinierten Restrukturierungsplan und dessen Aushandlung abzustimmen. Die Insolvenzgerichte arbeiten dann wiederum gemäß Art. 42b EuInsVO-E, etwa bei der Koordinierung der Zustimmung zu einem Protokoll, zusammen. In der Praxis können sie auf das schon bekannte Mittel der Protocols zurückgreifen. Die Erwähnung bei den Gerichten hat den Hintergrund, diesen insoweit eine klare Ermächtigungsgrundlage vorzugeben. Bei Jurisdiktionen mit wenig Erfahrung in internationalen bzw. Konzerninsolvenzen bestünde die Gefahr, dass ein an sich kooperationswilliger Verwalter die Gerichte z. B. bei zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäften nicht auf bekannte inländische, sondern möglicherweise unbekannte ausländische Normen verweisen müsste. Damit erscheinen die Regelungen des EuInsVO-E auf der einen Seite sehr flexibel und gerade im internationalen Kontext auch als hilfreich für die Praxis. Herzstück der Regelungen zum Koordinationsverfahren nach dem InsO-DiskE 2013 218 und dem InsO-RegE 2013 ist der Koordinationsplan. Dieser Plan kann grundsätzlich vom Koordinationsverwalter vorgeschlagen werden. Wenn ein Konzerninsolvenzverwalter nicht bestellt ist, können die Verwalter der gruppenangehörigen Unternehmen einen solchen Plan nach § 269h Abs. 1 InsO-RegE 2013 auch gemeinsam dem Koordinationsgericht vorlegen. § 269d Abs. 1 InsO-RegE 2013 setzt voraus, dass zunächst nach § 3a InsO___________ Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63. Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 f., 583. Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579, 583. Vgl. hierzu auch Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63. Uhlenbruck, NZI 1999, 41 ff. vgl. auch die sehr weitgehenden Vorschläge von van Galen/André/Fritz/ Gladel/v. Koppen/Marks/Wouters-van Galen, Revision of the European Insolvency Regulation – Proposals by INSOL Europe. 236) Dellit, Der Konzern 2013, 190, 193.

231) 232) 233) 234) 235)

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§ 21

Teil III Einzelfragen

RegE 2013 ein solches Koordinationsgericht mittels vorangegangenen Antrags bestimmt wurde bzw. sich für zuständig erklärte. Damit bedarf es also auch in dem Falle, in dem kein Koordinationsverwalter bestellt und auch ggf. ursprünglich keine gerichtliche Gruppenzuständigkeit beantragt wurde, spätestens dann, wieder der Beachtung dieser gerichtlichen Verfahrensschritte, wenn ein Koordinationsplan durch die verschiedenen Verwalter als sinnvolles Instrument erachtet wird. Das Koordinationsgericht hat dann über den Plan zu befinden. Falls ein Gruppen-Gläubigerausschuss bestellt ist, bedarf er zudem dessen Zustimmung (vgl. § 269h Abs. 1 Satz 2 InsO-RegE 2013). 219 Zum Inhalt des Koordinationsplanes enthält § 269h Abs. 2 InsO-DiskE 2013 und die gleichlautende Vorschrift im InsO-RegE 2013 lediglich Empfehlungen zu dessen „darstellendem Teil“237), von denen im Plan auch abgewichen werden kann.238) So kann der Plan etwa Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Konzernunternehmen, zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten oder zu Vereinbarungen zwischen den Verwaltern beinhalten. Gerade ein Instrumentarium für die Streitbeilegung an die die Hand zu geben, wird zu Recht als eine der Stärken des Planes angesehen. Das kann etwa konzerninterne Anfechtungsthemen betreffen. Im Rahmen der Vorschläge für die Sanierung der Gruppe können aber auch Vorschläge zu finanziellen Ausgleichszahlungen gemacht werden. Ist etwa die gemeinsame Sanierung für ein Unternehmen nachteilig, weil dessen Liquidation bessere Ergebnisse für die Gläubiger erzielt hätte als eine Übertragung nach defizitärer Fortführung, kann das über diesen Plan zumindest als Vorschlag geregelt werden.239) Dagegen trifft der Plan selbst keine verbindlichen Regelungen und hat somit auch keinen gestaltenden Teil oder gilt als Plan im einzelnen Verfahren.240) Der Koordinationsverwalter ist allein nach § 269f Abs. 1 InsO-DiskE 2013 wie auch InsORegE 2013 ermächtigt, den Koordinationsplan in die jeweiligen Gläubigerversammlungen einzubringen. Der jeweilige Verwalter bzw. Planersteller in einem der Gruppen-Insolvenzverfahren ist dagegen frei, diese Vorschläge zu übernehmen. Er muss dann freilich erläutern, warum er von dem Koordinationsplan abwich.241) So sehr damit das mit der Einführung des Koordinationsplanes verbundene Anliegen zu begrüßen ist, den Planinhalt richtig zu erfassen und flexibel zu gestalten, wird dabei wieder deutlich, dass das Modell der Plankoordination im InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013 nur über den Preis einer gesteigerten formellen Komplexität erreicht wird. 220 In diesem Kontext ist auch die die Öffnungsklausel für Vereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern im InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013 (vgl. die Erwähnung in § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InsO-DiskE 2013 und InsO-RegE 2013) grundsätzlich sinnvoll. Den Insolvenzverwaltern soll – unabhängig vom Koordinationsplan – weitreichende Flexibilität zum Abschluss von Vereinbarungen oder Protokollen ermöglicht werden.242) Es stellt sich aber die Frage, warum diese Annahme dann im Abschnitt zum Koordinationsverfahren und dort in den speziellen Regelungen zum Koordinationsplan (§ 268h InsODiskE 2013 und InsO-RegE 2013) enthalten ist. Man könnte vertreten, dass diese Möglichkeit nur i. R. eines solchen Verfahrens eröffnet sein soll. Um diese Beschränkung zu vermeiden und eine vereinbarte Kooperation auch in Fällen einzuräumen, bei denen es nicht zu einem solchen Koordinationsverfahren bzw. -plan kommt, wäre es besser und der Systematik entsprechend, die generelle Möglichkeit Vereinbarungen zu treffen, in die ___________ 237) 238) 239) 240) 241) 242)

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Dellit, Der Konzern 2013, 190, 193. Graeber, ZInsO 2013, 409, 412. Dellit, Der Konzern 2013, 193. Graeber, ZInsO 2013, 409, 412 sowie Dellit, Der Konzern 2013, 190. Graeber, ZInsO 2013, 409, 412. Vgl. S. 16 DiskE v. 3.1.2013.

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Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters

§ 21

Regelungen zu den allgemeinen Kooperationspflichten (hier also in § 269a InsO-DiskE 2013 bzw. InsO-RegE 2013) einzubeziehen. Ergebnis ist, dass einerseits der InsO-DiskE 2013 wie auch InsO-RegE 2013 ein probates 221 Mittel sind, um die derzeitige Reformdiskussion auf europäischer Ebene zu befruchten.243) Andererseits wäre es aber auch wünschenswert, wenn der deutsche Gesetzgeber in Teilen weniger förmliche und flexible Regelungen aus dem EuInsVO-E übernähme. Auch wäre es zu begrüßen, wenn bei allen Reformbestrebungen eine entsprechende Regelung des Art. 33 EuInsVO, die für Sekundärverfahren gilt, auch die selbständige Abwicklung von Insolvenzverfahren über Tochtergesellschaften einbezogen werden könnte, wonach der Konzerninsolvenzverwalter Einfluss auf Veräußerungen des Unternehmens von Tochtergesellschaften oder sonstigen wesentlichen Vermögensgegenständen nehmen kann. IV.

Vergütungsrechtliche Fragestellungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“

1.

Vorbemerkung

Die Betriebsfortführung im Konzern wirft abhängig von der Strukturierung derselben eine 222 Reihe vergütungsrechtlicher Fragen auf. Betrachtet man Extrempositionen, so lässt sich differenzieren: Auf der einen Seite steht die herkömmliche Regelinsolvenz aller Konzernunternehmen mit jeweils einem eigenen Insolvenzverwalter, die warum auch immer ohne Vernetzung „isoliert“ arbeiten können, weil bspw. im Verhältnis einer betroffenen Konzerngesellschaft zur Muttergesellschaft außer der Beteiligung keine weiteren Verbindungen bestehen (z. B. reine „Finanzinvestments“). Dafür bedarf es keiner vergütungsrechtlich gesonderten Überlegung. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen. Auf der anderen Seite steht die Konzerninsolvenz mit hochvernetzten Strukturen, wie sie etwa in dem vorliegenden Beitrag und – mit Blick auf Gläubiger – in dem folgenden Beitrag in diesem Band (siehe § 22) umrissen werden. Solche komplexen Strukturen sind konzerntypisch. Der Leistung und dem Aufwand des Insolvenzverwalters244) müssen adäquate Vergütungsregeln gegenüberstehen. 2.

Überblick – Bestehende Grundstrukturen

Im vorliegenden Rahmen soll u. a. angesichts der weitgehend fehlenden Gesetzeslage nur 223 kursorisch auf die Vergütungsfragen für die Betriebsfortführung im Konzern eingegangen werden. Ausdrücklich die Fortführung im Einzelnen erwähnenden Normen sind die Bestimmungen in § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. b sowie in § 3 Abs. 1 lit. b InsVV. Die letztere Vorschrift ermöglicht einen Zuschlag zur Vergütung, sofern die Fortführung die Masse sich (entsprechend) vergrößert hat. Wurde die Masse als Folge des aus der Betriebsfortführung erzielten Fortführungsgewinns vergrößert, so erhöht sich nach § 1 Abs. 1 InsVV die Basis der Vergütung und damit automatisch deren Höhe. Zur Ermittlung der Erhöhung der Berechnungsbasis wendet der BGH eine Vergleichsrechnung an. Er stellt die Vergütung auf der erhöhten Basis derjenigen auf der Basis eines Zuschlags gegenüber, wäre kein entsprechender Fortführungsgewinn erzielt worden. Ist die Vergütung danach geringer als bei Zugrundelegung der erhöhten Bemessungsbasis, erhält der Insolvenzverwalter einen weitgehenden Ausgleich.245) Ansonsten ist die Vergütung unter § 3 Abs. 1 lit. c und lit. d ___________ 243) So Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 98, 102, aber auch Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 ff. 244) Wenn in diesem Abschnitt vom Insolvenzverwalter die Rede ist, gelten die entsprechenden Überlegungen auch für den Sachwalter in der Eigenverwaltung. 245) Vgl. i. E. BGH, Beschl. v. 12.5.2011 – IX ZB 143/08, ZIP 2011, 1373 ff. = ZInsO 2011, 1422 ff. sowie BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 f. = ZInsO 2007, 438 f. = DZWIR 2007, 377 f. m. Anm. Graeber zur Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters.

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(Zuschläge) zu subsumieren, die bei erheblicher Massemehrung anzusetzen sind, wenn der degressive Charakter der Regelsätze zu einer nicht mehr angemessenen Honorierung führt (lit. c) oder arbeitsrechtliche Fragen eine erhebliche Inanspruchnahme des Verwalters bedeuteten (lit. d). So etwa rechtfertigen die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes sowie Sozialplanverhandlungen bei mehr als 20 Arbeitnehmern beim (vorläufigen) Insolvenzverwalter ebenfalls Zuschläge, die mit der Regelvergütung nicht abgegolten sind.246) 224 Diese Grundsätze gelten erst recht, wenn eine Konzernobergesellschaft fortgeführt wird, zumal die Zuschläge gemäß § 3 InsVV nach jüngster Judikatur des BGH keinen abschließenden Charakter haben, sondern nur „beispielhaft“ sind.247) Für die einzelnen Tochtergesellschaften sind die Vergütungen für den jeweiligen Verwalter der Natur der Sache nach jeweils gesondert zu ermitteln. Für den vorläufigen Insolvenzverwalter und den Sachwalter sind diese Grundsätze im Rahmen ihrer Tätigkeiten entsprechend heranzuziehen. Wird ein einziger Konzerninsolvenzverwalter bestellt, ist die Frage der Vergütung ungelöst, da die InsVV ebenso wie die InsO auf das Insolvenzverfahren über den einzelnen Rechtsträger fokussiert ist und ein „formelles“ Konzerninsolvenzrecht nicht kennt. Es spricht Manches dafür, diese Problematik ebenfalls mit Aufschlägen zu lösen.248) 225 Davon zu unterscheiden ist, welche Vergütung der Koordinationsverwalter gemäß §§ 269e – 269g InsO-DiskE 2013 erhält (siehe dazu nachfolgend unter Rz. 227 ff.). 226 Dieselbe Thematik gilt auch für die Vergütung des Gläubigerausschusses (§ 73 Abs. 1 InsO, § 17 InsVV). Bei dem Gläubigerausschuss kann man freilich nicht nach Prozentsätzen der Vergütung des Verwalters abrechnen, sondern nur nach einem der besonderen Schwierigkeit des Falles angepassten Stundensatz und nach dem Zeitaufwand (§ 17 InsVV).249) Das LG Aurich hat in dem zitierten Beschluss vom 6.3.2013 zu 4 T 204/10 zugleich zu Recht kritisch darauf hingewiesen, dass die Stellung des Vergütungsantrags für die einzelnen Ausschussmitglieder – wie in dem dortigen Fall geschehen – durch den Insolvenzverwalter als deren Vollmachtnehmer zwar wirksam, aber „mit dem Amt eines Insolvenzverwalters möglicherweise schwerlich vereinbar … sei.“250) Diese Problematik stellt sich als Folge der Stärkung der Position des Gläubigerausschusses bzw. des vorläufigen Gläubigerausschusses nach den §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO nach Inkrafttreten des ESUG verschärft dar. Ferner darf an die Mitwirkung des Ausschusses an wesentlichen ___________ 246) BGH, Beschl. v. 22.2.2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826 = ZInsO 2007, 438. 247) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZB 162/11, ZIP 2012, 682 ff. = ZInsO 2012, 753 ff. = DZWIR 2012, 260 f. m. Anm. Keller; s. a. A. Graeber/Th. Graeber, NZI 2012, 355 ff. 248) Nicht vergessen werden dürfen auch die Gerichtsgebühren, bezüglich derer das DIAI Deutsches Institut für angewandtes Insolvenzrecht e. V. in einem in der ZInsO 2013, 25 f. abgedruckten Schreiben („DIAI moniert Gebührenüberhebung bei Betriebsfortführungen und fordert die Politik zu Handeln auf“) an Bundesministerien und Rechtsausschussmitglieder des Bundestages die auf der gebührenrechtlichen Judikatur verschiedener OLG zu § 58 GKG beruhenden Gerichtskosten moniert, die die Sanierung gefährdeten, weil die Bemessungsgrundlage am Umsatz orientiert worden sei. Ob diese Demarche zu gebühren- (oder vergütungsrechtlichen) Ergebnissen führt und ggf. zu welchen, bleibt abzuwarten. 249) Die Entscheidung des BGH, Beschl. v. 8.10.2009 – IX ZB 11/08, ZInsO 2009, 2165 ff. = ZIP 2009, 2453 ff., betrifft einen Sonderfall der masselosen Verbraucherinsolvenz und ist daher nicht zu verallgemeinern. Der BGH hatte dort „eine – niedrigere – Pauschalvergütung, die sich an der Höhe der (Treuhänder-)Verwaltervergütung orientiert“ akzeptiert. Die Festsetzung der Vergütung als Prozentsatz von derjenigen des (vorläufigen) Verwalters ist fehlerhaft und rechtswidrig. Siehe dazu den Beschl. des LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, Rz. 27, ZIP 2013, 1342 = ZInsO 2013, 631 ff., in einem spektakulären Fall, der seit 2008 in den Instanzen abgehandelt wurde. Das LG Aurich, 1. Große Wirtschaftsstrafkammer, hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Rechtspfleger, der wegen Rechtsbeugung verfolgt wurde, „aus tatsächlichen Gründen gem. § 204 Abs. 1 StPO“ abgelehnt, Beschl. v. 13.5.2013 – 15 KLs 1000 Js 55939/12 (2/13), juris. Diese Judikatur gilt natürlich auch für einen Gläubigerausschuss in einem Konzerninsolvenzfall und erst recht für den „Gruppen-Gläubigerausschuss“ gemäß § 269c InsODiskE 2013. 250) LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, Rz. 22, ZIP 2013, 1342= ZInsO 2013, 631 ff.

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unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters (vgl. nur § 160 InsO) erinnert werden. Bei der sensiblen „Vergütungsfrage“ ist daher verantwortungsvolle Distanz der Beteiligten gefordert, will man Interessenkonflikte vermeiden und nicht ggf. widerstreitende Interessenvertretung riskieren. 3.

Die Vergütungsregelung für den Koordinationsverwalter, das Modell des § 269g InsO-DiskE 2013 bzw. des RegE

Der DiskE des BMJ vom 3.1.2013251) sieht in der Konzerninsolvenz für den Koordinations- 227 verwalter in § 269g Abs. 1 InsO-DiskE 2013, ähnlich wie vorstehend unter Rz. 223 ff. dargestellt, einen Zuschlag vor, der sich allerdings auf das Verfahren bezieht, in dem er Verwalter ist. Die Vergütung soll dann anteilig aus den Massen der einbezogenen Konzerngesellschaften nach dem Verhältnis der Massen bezahlt werden (§ 269g Abs. 2 InsO-DiskE 2013; zum RegE v. 28.8.2013 s. Rz. 230). Die Regelung des Diskussionsentwurfs lautete wie folgt: „§ 269g Vergütung des Koordinationsverwalters (1) Die Tätigkeit des Koordinationsverwalters wird durch einen Zuschlag zu der Regelvergütung abgegolten, auf die er als Insolvenzverwalter in dem Verfahren über das Vermögen des gruppenangehörigen Schuldners Anspruch hat. Dabei sind Umfang und Schwierigkeit der Koordinationsaufgabe sowie die Höhe des durch die Koordination erzielten Mehrwerts zu berücksichtigen. (2) Die Vergütung des Koordinationsverwalters ist anteilig aus den Insolvenzmassen der gruppenangehörigen Schuldner zu berichtigen, wobei das Verhältnis des Werts der einzelnen Massen zueinander maßgebend ist.“

Die Lösung wies einige Schwächen und Probleme auf, die nachfolgend Umrissen werden; 228 sie wurde daher im Regierungsentwurf (s. Rz. 230) nicht weiter verfolgt. Eine völlig andere ungelöste Frage ist diejenige der die Höhe der Vergütung bestimmenden Parameter (siehe im Einzelnen die nachfolgend dargestellten Vorschläge von Verbänden der Stakeholder des Insolvenzgeschehens). Für Zuschläge wäre danach für die Koordinationstätigkeit kaum noch Raum. Der Vorschlag des BMJ hat Zustimmung erfahren, er hat aber auch zu erheblichen Bedenken Anlass gegeben, Modifizierungen wurden vorgeschlagen. Die Bewertung der Vergütungsregelung ist in Stellungnahmen zu dem „Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ insgesamt eingebunden. Einige publizierte Äußerungen werden nachfolgend dargestellt:252) x

Der „Deutsche Richterbund“ (DRB) vertritt in seiner Stellungnahme Nr. 02/13 zu dem Gesetzentwurf eine sehr dezidierte Position. Er lehnt für den Koordinationsverwalter jegliche Zusatzvergütung ab mit dem Argument, es gehöre zu den „ureigenen Pflichten eines Insolvenzverwalters“, im Interesse der „optimalen Abwicklung“ mit allen relevanten Personen zu kommunizieren, wozu auch die anderen Insolvenzverwalter gehörten.253)

x

Der „Gravenbrucher Kreis“ empfiehlt eine „einheitliche Vergütungsregelung“ für den externen ebenso wie für den Koordinationsverwalter aus den Reihen der Verwalter der

___________ 251) Der Diskussionsentwurf ist verfügbar über www.bmj.de als pdf-Datei: http://www.bmj.de/SharedDocs/ Downloads/DE/pdfs/Diskussionsentwurf_Gesetz_zur_Erleichterung_der_Bewaeltigung_von_Konzerninsolvenzen.pdf (Abrufdatum: 24.7.2013). 252) Die Auswahl ist aleatorisch, sie soll weder systematisch alle Stellungnahmen erfassen noch repräsentativ sein. Sie ist im Wesentlichen das Ergebnis einer aktuellen Internetrecherche (Stand: 7/2013). 253) Deutscher Richterbund, Stellungnahme Nr. 02/13, Februar 2013, verfügbar über www.drb.de, unter Abschnitt II. 4., u. a. zu § 269g InsO-DiskE 2013( = S. 6 des pdf-Dokuments) (Abrufdatum: 24.7.2013).

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insolventen Konzernunternehmen. Zugleich legt er den Wortlaut einer Änderung von § 269g Abs. 1 InsO-DiskE 2013 vor. Er befürwortet eine Vergütung des Koordinationsverwalters in Höhe des „einfachen Regelsatz(es) auf Basis der Teilungsmasse des massegrößten Insolvenzverfahrens aus dem Konzernverbund“.254) Aus Gläubigersicht ist damit eine transparente und unkompliziert handhabbare Lösung entwickelt worden, wenn man nicht jegliche Vergütung verneint wie die Stellungnahme des DRB. x

Der „Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft“ begrüßt den Diskussionsentwurf und sieht sich als Verband – zutreffend – auf dem Sektor der Kautionsversicherung255) sowie der (Waren)Kreditversicherung256) durch das Gesetz tangiert. Man begrüßt auch die beabsichtigte Einführung eines Koordinationsverwalters, sieht aber Klärungsbedarf im Hinblick auf das Verhältnis zwischen § 269f InsO-DiskE 2013 und Art. 42d Nr. 1 EuInsVO-E. Das mag dahinstehen. Im Hinblick auf die Vergütungsregelung des § 269g InsO-DiskE möchte man eine Konkretisierung. Man stellt sich (ohne konkreten Textvorschlag) als Möglichkeit vor, die Vergütung „z. B.“ in einem Prozentsatz der „Bilanzsumme oder der Insolvenzmasse mit Kappung nach oben.“ auszudrücken.257) Auch dieser Vorschlag geht daher in Richtung vereinfachter Berechnung und Transparenz im Interesse der Gläubiger. Eine Kappungsregelung erscheint strukturell möglich und angemessen.

x

Die „nivd Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V.“258) pflichtet der Vergütungslösung des § 269g Abs. 1 InsO-DiskE 2013 durch Zuschläge bei. Man sieht ein Problem darin, dass die Vergütung nach Abs. 2 der Norm anteilig nach dem Wert der beteiligten Massen zu tragen sei, weil dadurch auch Massen (und damit deren Gläubiger) belastet werden können, die durch die Koordinierung keinen Mehrwert erfahren. Man will dieses Problem aber hinnehmen, da man ansonsten nicht nur einen erheblichen Aufwand zur Ermittlung des Mehrwerts besorgt, sondern auch Rechtsstreitigkeiten über die Frage des Entstehens eines Mehrwerts und dessen Höhe.259) Der Argumentation zu § 269g Abs. 2 InsO-DiskE 2013 ist sicherlich beizupflichten. Ob die Koordination einen Mehrwert gebracht hat, wird häufig bei der einzelnen Gesellschaft kaum nachzuweisen und erst recht nicht „gerichtsfest“ sein. Kosten der Ermittlung würden den Mehrwert tendenziell aufzehren können. Allerdings ist auch nach der Fassung des DiskE (§ 269g Abs. 1 Satz 2) der Mehrwert als vergütungsrelevanter Faktor zu berücksichtigen, so dass rechtliche Auseinandersetzungen darüber nicht ausgeschlossen sind.

___________ 254) Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme v. 15.2.2013 zu dem Diskussionsentwurf, verfügbar über www.gravenbrucher-kreis.de/Pressemitteilungen, s. dort unter Ziff. 4 (= S. 5 der pdf-Datei, „20130215_ Stellungnahme_GK_Konzerninsolvenzrecht.pdf) und unter Ziff. 5e (= S. 9 der pdf-Datei), (Abrufdatum: 24.7.2013). 255) Die Kautionsversicherung (bei den Banken „Avalgeschäft“) ist ein bedeutender Zweig der Unternehmensrefinanzierung u. a. der Baubranche, der Anlagen- und Maschinenbauer, s. dazu Cranshaw/ Steinwachs/Bruhn, ZInsO 2013, 1005 ff. 256) Die Warenkreditversicherer sind bedeutende Protagonisten des Insolvenzgeschehens auf Gläubigerseite. Zu unterscheiden davon sind die im Auftrag des Bundes übernommenen Hermesdeckungen im Auslandsgeschäft (der Unternehmen und Konzerne). 257) Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Stellungnahme ID-Nummer 6437280268-55, verfügbar als pdf-Datei über www.gdv.de//2013/02/, s. dort Ziff. 2.3 (= S. 5/6 der pdf-Datei) (Abrufdatum: 24.7.2013). 258) nivd Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e. V., www.nivd.de, Stellungnahme v. 26.3.2013, verfügbar als download (Abrufdatum: 24.7.2013), publiziert als Votum des nivd von Berner/Bartelheimer/ Schiebe, ZInsO 2013, 434 ff. 259) Berner/Bartelheimer/Schiebe, ZInsO 2013, 434 ff., 438 f.

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Der „Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.“ steht aus verschiedenen interessanten, aber hier nicht zu diskutierenden Gründen, dem Koordinierungsverfahren kritisch gegenüber, so dass er sich – aus diesem Blick konsequent – zu der Vergütungsfrage nicht äußert.260)

x

Der „Deutsche Anwaltverein/Ausschuss für Insolvenzrecht“ hat sich in seiner Stellungnahme Nr. 9/2013 vom Februar 2013 zu der Vergütungsfrage nicht geäußert, das Koordinationsverfahren wie im Entwurf vorgesehen, hält er freilich „in der Praxis für schwer umsetzbar.“261)

x

Der „BAKInsO Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V.“ bezweifelt in seiner Stellungnahme vom 15.2.2013 die „Praxisnotwendigkeit für die entworfenen Regelungen“ des DiskE des BMJ zum Konzerninsolvenzrecht. Die Erörterung der einzelnen interessanten Kritikpunkte ist im vorliegenden Rahmen gleichfalls nicht möglich. Zur Vergütung des Koordinationsverwalters äußert sich die Stellungnahme nicht. Die Vergütung des „Gruppen-Gläubigerausschusses“ sei nicht geregelt, dem muss man beipflichten.262)

Als Fazit bleibt, dass die Vergütungsregelung des Diskussionsentwurfes für den Koordina- 229 tionsverwalter nachbesserungsbedürftig war (s. dazu unter Rz. 230 zum RegE), insbesondere auch im Hinblick auf die Frage der Betriebsfortführung. Eine Vergütungsregelung für den Gruppen-Gläubigerausschuss ist geboten. In beiden Fällen sollten möglichst „einfache“ Lösungen entwickelt werden, die insbesondere auch für die Gläubiger transparent sind. Der Regierungsentwurf vom 28.8.2013 hat die Kritik aufgenommen und schlägt nun fol- 230 genden Text vor: „§ 269g (1) Der Koordinationsverwalter hat Anspruch auf Vergütung für seine Tätigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen. Der Regelsatz der Vergütung wird nach dem Wert der zusammengefassten Insolvenzmassen der in das Koordinationsverfahren einbezogenen Verfahren über gruppenangehörige Schuldner berechnet. Dem Umfang und der Schwierigkeit der Koordinationsaufgabe wird durch Abweichungen vom Regelsatz Rechnung getragen. Die §§ 64 und 65 gelten entsprechend. (2) Die Vergütung des Koordinationsverwalters ist anteilig aus den Insolvenzmassen der gruppenangehörigen Schuldner zu berichtigen, wobei im Zweifel das Verhältnis des Werts der einzelnen Massen zueinander maßgebend ist.“

Die nunmehr gefundene Lösung des Regierungsentwurfes begegnet berechtigter Kritik an 231 dem Diskussionsentwurf. Sie erscheint handhabbar. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, insbesondere der Gang der aktuellen Reformdiskussionen von Stakeholdern des Insolvenzgeschehens um die Vergütungsverordnung.263) Der Verordnungsgeber wird, sollte § 269g Abs. 1 Satz 2 InsO-RegE Gesetz werden, veranlasst werden, um eine sachgerechte Regelung bemüht zu sein. Im Rahmen der zu führenden Diskussion wird auch entschieden werden müssen, welcher Parameter für die Bemessung des Wertes der Fortführung als Grundlage der Vergütung zugrunde zu legen ist, ob der Umsatz oder der Überschuss aus der Fortführung maßgeblich sein soll. Wenn auch mehr für den Überschuss als wertbildender Faktor spricht, lassen sich jedoch Argumente für beide Ansätze finden.264) ___________ 260) VID Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V., Stellungnahme v. 15.2.2013, S. 6 der pdf-Datei, verfügbar über www.vid.de (Abrufdatum: 24.7.2013). 261) Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Insolvenzrecht, Stellungnahme Nr. 09/2013, S. 3; als pdf-Datei verfügbar über www.anwaltverein.de bzw. über www.arge-insolvenzrecht.de (Abrufdatum: 24.7.2013). 262) BAKInsO Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V., Stellungnahme v. 15.2.2013, S. 1, 8 der pdfDatei, verfügbar über www.bak-inso.de (Abrufdatum: 24.7.2013). 263) Dazu wurde in der ZInsO-Jahrestagung vom 27./28.9.2013 in Köln von Prof. Haarmeyer berichtet. 264) Für den Überschuss als Parameter s. AG Osnabrück, Beschl. v. 10.9.2013 – 38 IN 57/01, juris.

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§ 22 Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht Übersicht I.

Die Rolle des Konzerns im Insolvenzverfahren.............................................. 1 1. Probleme der Begrifflichkeit, Reformvorhaben ....................................................... 1 2. Die Sanierung des Konzerns, Interessenlagen und -konflikte ............................... 2 3. Kernprobleme der Konzerninsolvenz......... 8 4. Funktion der Betriebsfortführung des „Konzerns“ in der Insolvenz ..................... 11 II. Die Konzerninsolvenz im internationalen Insolvenzrecht und in einzelstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerken ........................................................ 16 1. Das internationale Insolvenzrecht der EU ............................................................... 16 1.1 Besondere Probleme des internationalen Insolvenzrechts für Konzerne ......................................... 16 1.2 Strukturen der EuInsVO de lege lata und de lege ferenda........... 19 2. Das autonome internationale Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO.................... 23 III. Der Konzern im Regelinsolvenzverfahren und im Verfahren mit Insolvenzplan ..................................................... 24 1. Insolvenzgründe......................................... 24 1.1 Vorbemerkung ................................ 24 1.2 Zahlungsunfähigkeit ...................... 27 1.3 Überschuldung................................ 30 1.4 Drohende Zahlungsunfähigkeit ..... 31 1.5 Fazit: Fortführungsmöglichkeiten .............................................. 32 2. Wesentliche Fragen und Voraussetzungen der Betriebsfortführung in der Insolvenz .................................................... 33 2.1 Aufrechterhaltung des Konzerns in seiner Gesamtheit? ........... 33 2.2 Planungen und Planungsparameter......................................... 35 2.2.1 Planungsgrundlagen........................ 35 2.2.2 Unternehmensverträge .................. 39 2.2.3 Weitere Verträge zwischen den Konzerngesellschaften.................... 43 2.3 Anpassung von Leistungsbeziehungen unter Konzerngesellschaften in der Insolvenz?.............. 44 2.3.1 Intercompany Loans....................... 45 2.3.2 Sonstige Lieferungs- und Leistungsbeziehungen ........................... 46

2.3.3 Konzernverflechtung und „Konzernumlagen“ .................................. 48 2.3.4 Weitergehende Problemfelder der Konzernverflechtung ? ................... 54 2.4 Steuerrechtliche Implikationen...... 58 2.5 Kooperation der Insolvenzverwalter der Konzerngesellschaften............................................ 61 2.5.1 Kooperation der Verwalter de lege lata und de lege ferenda der novellierten EuInsVO .................... 61 2.5.2 Strukturelemente des vom BMJ bzw. der Bundesregierung vorgeschlagenen Konzerninsolvenzrechts ............................................... 65 2.6 Betriebsfortführung und Insolvenz der Konzernobergesellschaft................................................ 74 2.7 Betriebsfortführung in der Insolvenz der Konzerngesellschaft? .... 75 3. Konzerninsolvenzpläne?............................ 76 IV. Folgen der Eigenverwaltung ................... 79 V. Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht ........................................... 87 1. Deutschland................................................ 87 2. Europäische und internationale Entwicklungen zu einem formellen Konzerninsolvenzrecht, materielles Konzerninsolvenzrecht und „substantive consolidation“ ............................................ 90 2.1 Formelles Konzerninsolvenzrecht ................................................. 90 2.2 Materielles Konzerninsolvenzrecht, „substantive consolidation“ in der internationalen Praxis .......... 92 2.3 Anhaltspunkte zur „substantive consolidation“ und deren Schranken in der Rechtsprechung in den USA.................... 96 2.4 Materielle Konsolidierung in Frankreich ...................................... 98 2.5 Die Überlegungen zur materiellen Konsolidierung im Unionsrecht ............................................... 100 2.6 Weitere Entwicklungen ................ 101 VI. Vergütungsrechtliche Erwägungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“................................ 102 VII. Zusammenfassung, Thesen................... 103

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Literatur: Albrecht, Die Reform der EuInsVO nimmt Fahrt auf – der Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission in der Übersicht, ZInsO 2013, 1876; Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts für Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., 2012; Bitter/Hommerich, Die Zukunft des Überschuldungsbegriffs, in: Balz/Kübler/Prütting/Timm (Hrsg.), Beiträge zum Insolvenzrecht, Bd. 44, 2012; Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Brasher, Substantive Consolidation: A Critical Examination, 2006, abrufbar unter http://www.law.harvard.edu/programs/corp_gov/papers/Brudney/2006_Brasher.pdf (Abrufdatum: 27.6.2013); Cranshaw, Haftung, Versicherung und Haftungsbeschränkung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 1151; Cranshaw, Zehn Jahre EuInsVO und Centre of Main Interests – Motor dynamischer Entwicklungen im Insolvenzrecht, DZWIR 2012, 133; Cranshaw, ESUG: Vorfahrt für Sanierung im Insolvenzverfahren?, BankPraktiker 2/2012, 6; Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts auf das Insolvenzverfahren, 2006; Cranshaw/Paulus/Michel (Hrsg.), Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2012; Cranshaw/Portisch, Insolvenzverfahren: Mindestanforderungen an das Outsourcing von Dienstleistungen, ForderungsPraktiker 2012, 275; Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; Cranshaw/Dittmann/Fischer/ Frickmann/Jerzembeck/Steinwachs u. a. (Hrsg.), FCH-Sicherheiten-Kompendium, 4. 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I. Die Rolle des Konzerns im Insolvenzverfahren 1. Probleme der Begrifflichkeit, Reformvorhaben 1 Die Fragestellung der Betriebsfortführung im Konzern „in der Insolvenz“ ist außergewöhnlich vielschichtig und nicht monolithisch strukturiert. Betrachtet man die verschiedenen Facetten, so kann man eine Reihe ganz verschiedener Ebenen unterscheiden. Damit verbunden ist das Phänomen, dass es sowohl in der inländischen als auch der hier ebenfalls zu berücksichtigenden europäischen Rechtsordnung keinen einheitlichen Begriff des Konzerns (oder 688

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der Unternehmensgruppe) gibt. Einer der Gründe mag die Vielgestaltigkeit des Phänomens „Konzern“ sein, der vor allem die betriebswirtschaftliche Tatsache der Konzentration unternehmerischen Handelns in den verschiedensten Formen abbildet, wie Wöhe/Döring überzeugend darstellen.1) Die rechtlichen Strukturen sind den ökonomischen Gegebenheiten entsprechend differenziert. Für Einzelheiten und die Folgerungen hieraus für das Konzerninsolvenzrecht und die Betriebsfortführung in der Insolvenz wird auf die Darstellung in dem vorstehenden § 21 Rz. 6 ff. verwiesen. Der Gesetzgeber hat auf europäischer und inländischer Ebene Reformbedarf erkannt. Die EU-Kommission hat am 12.12.2012 eine Novelle zur EuInsVO (siehe Rz. 20) vorgelegt, das BMJ am 3.1.2013 den Diskussionsentwurf eines Konzerninsolvenzrechts („Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“); am 28.8.2013 hat die Bundesregierung einen Regierungsentwurf(RegE 2013) mit Änderungen im Vergleich zum Diskussionsentwurf vorgelegt, der erst in der 18. Legislaturperiode Gegenstnad der parlamentarischen Beratung sein kann, die etwa weiteren europäischen Entwicklungen können dann noch eingebracht werden.2) Auf diese Reformregelwerke wird nachfolgend verschiedentlich eingegangen. 2.

Die Sanierung des Konzerns, Interessenlagen und -konflikte

Zunehmend setzt sich der Gedanke durch, dass bei geeignetem Geschäftsmodell die Sa- 2 nierung des Rechtsträgers des Unternehmens gegenüber der „Zerschlagung“ der weitaus bessere Weg ist. In der Politik steht dieses Ziel anders als wohl noch bei Inkrafttreten der InsO im Vordergrund. In Deutschland wird nicht zu Unrecht eine Effektuierung der Sanierungskultur gefördert. Das ESUG hat vielfältige Instrumente geschaffen, um auf diesem Wege voranzuschreiten. Man denke insbesondere an die enorme Stärkung der Eigenverwaltung, das dort angesiedelte Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) oder die Einbeziehung der Anteilseigner der Gesellschaften in das Insolvenzplanverfahren bis hin zu Kapitalschnitt und debt equity swap (§ 225a InsO), mag dieser auch für den Bankengläubiger nur ein Nischenprodukt sein. Für die Sanierung steht daher eine ganze Toolbox zur Verfügung.3) Damit ist unter politischem Blick bzw. dem der Öffentlichkeit ein gewisser Wandel ein- 3 getreten. Mitunter erscheint die Sanierung als eigenständiger Wert im allgemein volkswirtschaftlichen oder arbeitsmarktpolitischen bzw. regionalpolitischen Interesse. Der Gesetzesbefehl des § 1 InsO mag da in den Hintergrund treten, wenngleich die Sanierung des Rechtsträgers eben entscheidend von der Geeignetheit des Geschäftsmodells der Insolvenzschuldners abhängt. Die Politik der EU wird in der Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss vom 12.12.2012 damit umschrieben, dass die Modernisierung der Insolvenzrechte zur Erleichterung des Überlebens von Unternehmen und der Ermögli___________ 1) Wöhe/Döring, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, erörtern daher den Konzern zutreffend in dem Abschnitt „Aufbau des Betriebes“ (S. 27 ff.), unter „C. Konstitutive Entscheidungen“ (S. 217 ff.), in diesem Unterabschnitt unter „III. Zusammenschluss von Unternehmen“ (S. 250 ff.) und dort wiederum unter „4. Konzentrationsformen“ (S. 261, 262 ff.). 2) Der Diskussionsentwurf steht u. a. über http://www.bmj.de/DE/Buerger/verbraucher/Insolvenzrecht/ Stufe3/_node.html bzw. http://www.zip-online.de zur Verfügung. Das BMJ stellt den Regierungsentwurf unter der Inernetadresse www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/RegE_Entwurf_eines_ Gesetzes_zur_Erleichterung_der_Bewaeltigung_von_Konzerninsolvenzen.pd;jsessionid=2678 zur Verfügung (Abrufdatum: 29.9.2013). 3) Cranshaw, BankPraktiker 2/2012, 6 ff., 8 f. Zur entscheidenden Bedeutung des „Geschäftsmodells“ des Krisenunternehmens s. Siemon, ZInsO 2012, 1045, 1047 ff. sowie ZInsO 2013, 1861, 1875, der allerdings in Verkennung des § 1 InsO auch meint, danach sei Ziel des Insolvenzverfahrens „eine Erhaltung des Unternehmens und eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung herbeizuführen.“, ZInsO 2013, 1870. Die Unternehmenserhaltung ist nach § 1 InsO Methode, nicht Ziel.

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chung einer zweiten Chance für die Unternehmer eine Schlüsselfunktion für das Funktionieren des Binnenmarktes darstelle.4) Die Interessenlage der Beteiligten an der Konzerninsolvenz könnte strukturell gegensätzlicher nicht sein. Die Gesellschafter bzw. die Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans werden bestrebt sein, das Insolvenzereignis als eine vorübergehende Änderung der Abläufe verstanden wissen, deren Ziel es ist, den Gläubigern den Zugriff auf Vermögenswerte zu verunmöglichen und die Entschuldung durch weitgehende Gläubiger „verzichte“ (welches Instrumentarium hierfür im Einzelnen rechtlich auch verwendet werden mag) voranzutreiben, um auf dem Markt wieder zu reüssieren. Zugleich soll die Kontrolle durch die Konzernobergesellschaft aufrechterhalten werden, ohne dass ein „fremder“ Verwalter oder Gläubiger maßgeblich Einfluss darauf nehmen. Das Interesse des Gläubigers, der für die (europäische) Rechtsordnung stets dem Leitbild des idealtypischen Gläubigers der Marktwirtschaft entspricht, ist allein auf die Realisierung seiner Forderung mit den Mitteln gerichtet, die ihm die Rechtsordnung bietet. Der Staat ist auf zwei Ebenen von der Insolvenz betroffen. Zum einen ist er Gläubiger von zum Zeitpunkt der Insolvenz offenen Steuer- und Sozialversicherungsforderungen, zum anderen leidet er auf allen Ebenen vom Bund bis zu den Kommunen unter den insbesondere auf die etwaige Zerschlagung folgenden Lasten der Arbeitslosigkeit und der Ausfälle an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Er ist dabei gleichzeitig im konkreten Fall tendenziell eher „hilflos“, da staatliche Hilfen an insolvente Unternehmen sich weitgehend als Maßnahmen darstellen können, die gegen das Verbot der staatlichen Beihilfen nach Maßgabe der Art. 107 ff., 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verstoßen (siehe Fn. 5). Das wohlfeile Postulat nach staatlichen Bürgschaften an Krisenunternehmen ist daher stets zweischneidig. Für den damit gesicherten Kreditgeber meist risikofrei,5) führt die unzulässige Beihilfe mit der Folge der Nichtigkeit der Vereinbarungen mit dem staatlichen Beihilfegeber gemäß § 134 BGB zu erheblichen Problemen für

___________ 4) Dokument COM(2012) 742 final, S. 2, 4 und Fn. 8 dort, passim, s. Rz. 20, 97. Eine Grenze stellt das Beihilferecht der Art. 107 ff. AEUV dar, wenn der Entwurf der EuInsVO-Novelle (Dokument COM(2012) 744 final, s. Rz. 20) in Erwägungsgrund 11 ausführt, dass ein Sanierungsverfahren nur zulässig sein soll, wenn die Rückführung rechtswidriger Beihilfen gewährleistet sei („Where the full recovery of … state aid is not possible because the recovery order concerns a company in insolvency proceedings, those proeceedings should always be winding-up proceedings and lead to the definitive cessation of the beneficiary‘s activities and the liquidation of its assets“). Damit entsteht im Interesse des unbeeinträchtigten Wettbewerbs in diesen Fällen ein ernstes Sanierungshindernis. Verwendet man die Terminologie des deutschen Insolvenzrechts, so entsteht dadurch eine vorinsolvenzlich begründete erstrangige gesetzliche Masseverbindlichkeit kraft Unionsrechts, die zudem fortlaufend mit Zinseszinseffekt verzinst wird (Art. 14 Abs. 2 Verordnung 659/ 1999/EG, s. dazu auch nachfolgend Fn. 18 sowie Art. 11 Abs. 2 Verordnung Nr. 794/2004 d. Kommission v. 21.4.2004, ABl. EU L 140 v. 30.4.2004, S. 1 ff.) Die Betriebsfortführungsgewinne werden daher möglichst vollständig zur Befriedigung dieser Forderung herangezogen werden müssen. Das Ziel der zweiten Chance wird damit nachrangig gegenüber dem Ziel des ungestörten Wettbewerbs bzw. gegenüber den durch die unzulässige Beihilfe abstrakt geschädigten Konkurrenten. Vgl. dazu die von der Kommission herangezogene Entscheidung des EuGH, Urt. v. 13.10.2011 – Rs. C-454/09 (Kommission/Italien – New Interline), Internetpublikation des EuGH, Rz. 34 ff., noch nicht in der amtl. Slg., vollständig nur in französischer bzw. italienischer Sprache verfügbar. Die §§ 88, 89 InsO gehen faktisch ins Leere als Folge des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts; § 231 InsO wird zur Zurückweisung des vorgelegten Plans führen, wenn das Problem dort transparent wird. 5) S. dazu EuGH, Urt. v. 8.12.2011 – Rs. C-275/10 (Residex Capital IV CV/Gemeente Rotterdam), Internetpublikation des EuGH, noch nicht in der amtl. Slg. (Abrufdatum: 23.7.2013). Zur tendenziell hohen Bedeutung des Beihilferechts auch für Details von Insolvenzverfahren s. EuGH, Urt. v. 24.1.2013 – Rs. C-73/11 P (Frucona Kosice), ZInsO 2013, 1250 Rz. 73 ff.

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das begünstigte Unternehmen.6) An das Problem des § 8c Abs. 1a KStG als unzulässige Beihilferegelung aus dem Blick der Kommission sei hingewiesen, die Negativentscheidung der Kommission wird wohl „bestandskräftig“ werden.7) Bei der Inanspruchnahme staatlicher Hilfen bei der Betriebsfortführung wird man daher gerade im Konzern darauf achten müssen, dass ein Beihilfeproblem zuverlässig vermieden wird. Will man öffentliche Mittel nutzen, muss dies entweder aus einem von der Europäischen Kommission genehmigten „Bürgschaftsprogramm“ geschehen, das auch Unternehmen in der Krise offensteht, oder die Maßnahme ist der Kommission als sog. Rettungsbeihilfe zur Genehmigung zu notifizieren.8) Die Aufmerksamkeit für beihilferechtliche Probleme hat zugenommen, sie bedarf aber wie die Praxis zu zeigen scheint, noch weiterer Vertiefung bei den Protagonisten des Insolvenz- und Sanierungsgeschehens.9) 3.

Kernprobleme der Konzerninsolvenz

Bei all den oben umrissenen Erwägungen und Problemfeldern ist eine ganz entscheidende 8 Frage nicht beantwortet, nämlich diejenige, warum die „Konzerninsolvenz“ überhaupt dergleichen Probleme bereitet. Die Antwort ist scheinbar einfach: Es gibt kein normiertes Konzerninsolvenzrecht, wobei wiederum die Frage ist, was man denn darunter verstehen will. Die Insolvenzrechtsregelwerke bauen auf der Insolvenz des jeweiligen Rechtsträgers eines Unternehmens auf. Das Insolvenzverfahren ist das Verfahren der einzelnen juristischen Person, der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder der natürlichen Person als Konzernspitze. Die Ausgestaltung eines Konzerninsolvenzrechts stellt sich auch hier jeder der Stakeholder nach seiner Interessenlage vor. ___________ 6) Zur Nichtigkeit s. BGH, Urt. v. 4.4.2003 – V ZR 314/02 (Ausgleichsleistungsgesetz I), ZfIR 2003, 603 = EStAL 2003, 497 ff., st. Rspr. Zu gravierenden delikts- bzw. wettbewerbsrechtlichen Folgen für das begünstigte Unternehmen vgl. BGH, Urt. v. 10.2.2011 – I ZR 136/09, BGHZ 188, 326 ff. = ZIP 2011, 732 ff. (Flughafen Frankfurt-Hahn). 7) Europ. Kommission, Beschl. v. 26.1.2011 – C 7/10 bzw. 2011/527/EU, ABl. EU C 235 v. 10.9.2011, S. 26 ff. (Negativentscheidung). Dagegen hat Deutschland am 7.4.2011 Nichtigkeitsklage zum EuG zu Rs. T-205/11 eingelegt, s. ABl. EU C 186 v. 25.6.2011, S. 28 f. Klagabweisung erfolgte durch Beschl. v. 18.12.2012 wegen Verfristung der Klage. Dagegen hat Deutschland Rechtsmittel zum EuGH eingelegt, dessen Gründe der „Verletzung des Grundsatzes der effektiven Rechtspflege“ durch den angefochtenen Beschluss gewidmet sind, vgl. EuGH, Rs. C-102/13 P, ABl. EU C 164 v. 8.6.2013, S. 8 f. Es geht bei dem Rechtsmittel um die Frage der Klagefrist beim EuG und die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung der Kommissionsentscheidung an Deutschland, also nicht um die Wirksamkeit der Kommissionsentscheidung. Wahrscheinlich dürfte ein Erfolg indes nicht sein. Die AdV der Rückforderungsentscheidung, die das FG Münster wegen „ernstlicher Zweifel“ befristet für möglich gehalten hat, wurde damit wohl gegenstandslos, s. im Einzelnen FG Münster, Beschl. v. 1.8.2011 – 9 V 357/11 K, G, ZIP 2011, 1771 ff. = EFG 2012, 165 ff., die dagegen eingelegte Beschwerde ist erledigt, Az. d. BFH: I B 150/11. Wie auch sonst bei Beihilferückforderungen, ist der Anspruch in der Insolvenz anzumelden und bei Betriebsfortführung mit Sanierungsplan die Liquidität für die umgehende Rückzahlung nebst Zinsen zurückzustellen, soweit Rückforderungsansprüche bestehen. Mit der Wiederherstellung des Steuervorteils aus § 8c Abs. 1a KStG kann nicht mehr gerechnet werden. 8) S. die „Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten“, ABl. EU C 244 v. 1.10.2004, S. 2 ff. sowie die Pressemitteilung IP/12/1042 v. 28.9.2012 über die Verlängerung bis zum Erlass einer Neuregelung nach einem Konsultationsprozess. Im Wesentlichen sollen Neuregelungen Ende 2013 eingeführt werden. Für die bis dahin relevanten Fälle bleibt es beim bisherigen Recht, das noch weit in die Zukunft wirken wird, da es für bereits einmal gewährte illegale Beihilfen eine nahezu beliebig „unterbrechbare“ Rückforderungsfrist von zehn Jahren gibt, s. Art. 15 Verordnung 659/99/EG, ABl. EG L 83 v. 27.3.1999, S. 1 ff., sowie deren Novellierung nach dem Dokument COM(2012) 725 final v. 5.12.2012, zwischenzeitlcih umgestzt duch die Verordnung (EWV) Nr. 734/2013 des Rates v. 22.7.2013, ABl.(EU) L 204 v. 31.7.2013, S. 15 ff., die an den Rückforderungsfristen nichts ändert. die Verordnung regelt das europäische Beihilfeverfahrensrecht, verfügbar jeweils über http://www.ec.europa.eu/… Zu den „Rettungsbeihilfen“ s. in den zitierten „Leitlinien“ Rz. 15, 25 ff. 9) Nicht von ungefähr hat das IDW den Prüfungsstandard „Prüfung von Beihilfen nach Artikel 107 AEUV insbesondere zugunsten öffentlicher Unternehmen (IDW PS 700)“ im Jahr 2011 publiziert, mag dieser auch auf die in der Bezeichnung genannten Unternehmen fokussiert sein, Wpg Supplement 4/2011, S. 3 ff.

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9 Aus dem Blick eines Mehrheitsgesellschafters der gesamten Unternehmensgruppe, aber auch aus dem Blick der Konzernleitung wäre sicher meist die Idealsituation, dass mit der in Eigenverwaltung zu organisierenden Insolvenz der Mutter formell zugleich die Tochtergesellschaften in das Insolvenzverfahren einbezogen werden, um eine gemeinsame Insolvenzmasse (siehe dazu unter Rz. 92 ff.) zu bilden, aus der dann alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt würden. Auf eine materielle Insolvenz der jeweiligen Konzerngesellschaft würde es dann ggf. ebenfalls nicht mehr ankommen. Nach einem solchen Idealbild wäre Insolvenzgerichtsstand der Sitz der Muttergesellschaft, den diese rechtzeitig strategisch im jeweils günstigsten Staat für eine Sanierung aussuchen würde. Es wäre ein einziger Sachwalter zu bestellen, wenn man einmal im deutschen Recht bleibt, das mit der InsO über ein vorzügliches Insolvenzrechtsregelwerk verfügt. 10 Ein solches Modell ist für die Gläubiger scheinbar ideal, da das gesamte Konzernvermögen zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stellt, freilich nur für diejenigen, die identische Forderungen gegen alle Gesellschaften haben und unbesichert sind. Für andere Gläubiger, die nur gegen eine Tochtergesellschaft Ansprüche haben, welche ohne diese Zusammenfassung zu 100 % zu befriedigen wären, i. R. einer so strukturierten Insolvenz aber darunter bleiben, sind solche Strukturen und Ergebnisse einer „materiellen Konsolidierung“ (siehe Rz. 92 ff.) negativ. Die bisherige Rechtslage mit Trennung der Vermögenssphären führt umgekehrt dazu, dass die Gläubiger, die allein bei der Muttergesellschaft oder der einen oder anderen Tochter engagiert sind, die kaum eine Quote abwirft, auch nur eine geringe Quote bekommen. Zugespitzt bedeutet das, dass aus demselben Gebilde „Konzern“ der eine Gläubiger voll befriedigt werden könnte, der andere aber (fast) seine gesamte Forderung verliert. 4.

Funktion der Betriebsfortführung des „Konzerns“ in der Insolvenz

11 Vor einem Blick auf das Internationale Insolvenzrecht soll vor dem vorstehend beschriebenen Hintergrund die Frage nach Funktion und Zielsetzung der „Betriebsfortführung des insolventen Konzerns“ in der Insolvenz umrissen werden. Die Aufrechterhaltung des Betriebs des Schuldnerunternehmens ist der Regelfall nach inländischem Recht, die Schließung die Ausnahme (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 2 InsO; für das eröffnete Verfahren siehe zudem § 158 Abs. 1 InsO). Die Gläubiger haben keine wirkliche Option mehr, über das Verlangen nach Entwicklung und Vorlage eines Sanierungsinsolvenzplans zu entscheiden, wenn der Betrieb oder die Betriebe bereits geschlossen sind. Die „vorläufige“ Eigenverwaltung, ob nach § 270a InsO oder nach § 270b InsO, baut begrifflich auf der Unternehmensfortführung auf, ansonsten machen diese Instrumente wenig Sinn.10) Das gilt auch für die Durchführung des eröffneten Verfahrens in Eigenverwaltung, wenngleich man sich rechtsdogmatisch natürlich auch die übertragende Sanierung – d. h. die Veräußerung der zu dem Unternehmen gehörenden Vermögenswerte unter Liquidation des Rechtsträgers, also unter dessen Zerschlagung – in Eigenverwaltung, vorstellen kann. Gerade die beabsichtigte Stärkung des Insolvenzplans, die Förderung der Sanierung in Deutschland, ist das Anliegen des ESUG,11) worunter die übertragende Sanierung eben nicht zählt.12)

___________ 10) Zu einem für die Beteiligten noch potentiell durchaus problematischen Fall der außergerichtlichen Sanierung mit dem Verfahren nach § 270b InsO als verfahrensrechtlichem Vehikel vgl. AG Göttingen, Beschl. v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360 ff. 11) S. Flöther, ZIP 2012, 1833 ff. 12) Zu einem praktischen Fall der übertragenden Sanierung bei einem internationalen Konzern, der sich von Geschäftsfeldern weltweit und rechtsträgerübergreifend „organisiert“ trennen wollte, vgl. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 ff. = ZInsO 2012, 2386.

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Aber auch dann, wenn die übertragende Sanierung ins Auge gefasst wird, ist die Weiter- 12 führung des Betriebs essentiell und zwar bei allen Einheiten des Konzerns, bei denen eine übertragende Sanierung angedacht ist und ein M&A-Verfahren eingeleitet werden soll. Die Betriebseinstellung als ultima ratio beendet zugleich auch die Chance der übertra- 13 genden Sanierung. Für die Sanierung des insolventen Rechtsträgers selbst sprechen u. a. bestimmte Rechte und Befugnisse, auch solche des öffentlichen Rechts, die nur der Rechtsinhaber als Rechtsposition innehat, die einem Erwerber i. R. der übertragenden Sanierung nicht verbleiben und die er möglicherweise überhaupt nicht, jedenfalls nicht in der vorliegenden Form, erhält.13) Die Nutzung der in der Zukunft immer wichtiger werdenden gewerblichen Schutzrechte und Urheberrechte sowie der die Insolvenz (abhängig von ihrer jeweiligen Konstruktion) ggf. überdauernden Lizenzen14) ist sehr häufig auf den Zusammenhalt der arbeitsteiligen Organisation und die beteiligten Arbeitnehmer des Schuldnerunternehmens sowie auf Werkzeugtools angewiesen. Mit anderen Worten kann das Immaterialgüterrecht, das vielleicht sogar selbst teuer entwickelt wurde, seine ökonomischen Vorteile und Wirkungen vollständig verlieren, wenn die Organisation zerfällt und das betreffende Produkt nicht mehr hergestellt wird, das Patent, die Marke, das Urheberrecht an einem IT-Programm nur noch auf dem Markt bei höchst volatilen Preisstrukturen verkauft werden kann.15) Ein dramatischer Werteverfall kann eintreten. Die Fortführung birgt – freilich auch für Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss- 14 mitglieder (vgl. die §§ 60, 61, 71 InsO) – durchaus Risiken, insbesondere in der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens, wenn ggf. noch völlig unbekannt ist, wo die Insolvenzursachen liegen und wo evtl. mit Verlust produziert wird.16) Diese für einen einzelnen Rechtsträger geltenden Erwägungen gelten erst recht im Konzern. Dort besteht geradezu typisch das Problem der arbeitsteiligen Organisation bzw. der Tiefe derselben. Beispiel Besteht eine Unternehmensgruppe z. B. aus einer Muttergesellschaft, die faktisch nur als XYBeteiligungsholding fungiert, einer Finanzierungsgesellschaft im Ausland (z. B. XY-Finance BV), drei inländischen Spartenproduktionsgesellschaften, die produzieren und ihre Produkte nach Konzernvorgaben über Gruppenvertriebsgesellschaften zu Preisen veräußern, die das Konzernrechnungswesen kalkuliert (siehe unten zu den Konzernumlagen bzw. Konzernverrechnungspreisen unter Rz. 48 ff.), ist die Insolvenz tendenziell problematisch abzuwickeln. Kreditgeber werden bei einer solchen Konstellation jedenfalls neben der XY-Finance BV alle beteiligten und von der Finanzierung mittelbar profitierenden Gesellschaften „mitverpflichten“ und von allen Gesellschaften die Globalzession der Forderungen, auch derjenigen innerhalb des Konzerns, verlangen, zudem die Sicherungsübereignung der produzierten Waren. Abhängig ist dies bei Beteiligung ausländischer Konzerngesellschaften natürlich davon, ob die ggf. heranzuziehende ausländische Rechtsordnung diese Instrumente ermöglicht. Die Betriebsfortführung in Deutschland wird im Insolvenzeröffnungsverfahren europa- 15 weit einzig durch die sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung erheblich gefördert, die zur Liquiditätsverbesserung in den letzten drei Monaten vor Verfahrenseröffnung insoweit beiträgt, als die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer durch Forderungskauf von einem ___________ 13) Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff.; Flöther, ZIP 2012, 1833 ff. 14) Vgl. BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 24/11 (Take Five), ZIP 2012, 1671 ff. = ZInsO 2012, 1611 ff.; BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10 (M2Trade), ZIP 2012, 1561 ff. = GRUR 2012, 916 ff. 15) S. dazu Knapp, FCH-Sicherheitenkompendium, Kap. I, S. 743 ff., 771 ff. Cranshaw, FCH-Sicherheitenkompendium, Kap. K. S. 779 ff., 809 m. w. N. 16) Daher ist das Vorgehen nach § 270b InsO nur dann sinnvoll, wenn es gut vorbereitet wurde, was regelmäßig ein entsprechendes Sanierungsgutachten voraussetzt. Hinter diesem Postulat bleibt § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO zurück, der allerdings lediglich die „Rettung“ des Insolvenzschuldners bis zum Insolvenzplan/Sanierungsplan im Auge hat.

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Teil III Einzelfragen

Kreditinstitut vorfinanziert werden, das dann die Insolvenzgeldleistungen der Bundesagentur erhält. Die auf die Bundesagentur übergegangenen Forderungen sind Insolvenzforderungen (§ 55 Abs. 3 InsO, § 169 SGB III).17) II.

Die Konzerninsolvenz im internationalen Insolvenzrecht und in einzelstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerken

1.

Das internationale Insolvenzrecht der EU18)

1.1

Besondere Probleme des internationalen Insolvenzrechts für Konzerne

16 Der Kern der Problematik eines internationalen Konzerninsolvenzrechts ist noch vielschichtiger als der einer rein nationalen Konzerninsolvenz.19) Hier wie dort geht es aber um die Problematik der divergenten Gläubigerbefriedigung nach den nationalen Rechtsordnungen und zwar im Hinblick darauf, dass Gläubiger in Konzerninsolvenzfällen nicht stets bei allen Konzerngesellschaften engagiert sind, sondern mit ganz unterschiedlicher Rechtsposition nur bei dem einen oder anderen Unternehmen. Der Komplexität der Tatsachenlage aus Gläubigersicht werden daher Auffassungen nicht vollständig gerecht, die ein einheitliches Konzerninsolvenzverfahren ohne jegliches Sekundärverfahren für einzelne Konzerngesellschaften unter einem einzigen Insolvenzverwalter vorsehen. Zum einen sind Interessenkonflikte vorgezeichnet, sofern man nicht implizit die Auffassung vertritt, in

___________ 17) Ob diese Vorgehensweise, die in den meisten Fällen als nahezu unverzichtbarer Sanierungsbeitrag angesehen wird, europarechtlich vor dem Hintergrund des Beihilferechtsregimes „hält“, wofür sehr viel spricht, kann hier offenbleiben, die h. M. verneint hier ein Problem (a. A. noch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1335 ff., 1340). Zur Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung s. im Einzelnen den Überblick bei Cranshaw/Paulus/Michel-Cranshaw, Bankenkommentar, Vor § 120 Rz. 81 ff., 103 – 126, S. 1189 ff., 1202, 1215 sowie Cranshaw, Bemerkungen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2013, 1493; ein gewisses Restrisiko könnte aus § 55 Abs. 3 InsO resultieren, wenn auch die meisten Arbeitnehmeransprüche im Antragsverfahren ohnehin nicht Masseverbindlichkeit werden. Die EU-Kommission hatte 2009 ein Beihilfeproblem verneint, wenn auch vor dem Hintergrund nicht weiter durchschlagender Missverständnisse zu dem System der Vorfinanzierung, s. EU-Kommission, Entscheidung v. 19.11.2009 – Dokument K(2009) 8707 endgültig, verfügbar über http://ec.europa.eu/eu_law/ state_aids/comp-2009/nn055-09.pdf (Abrufdatum: 22.7.2013). Für den Finanzierer besteht kein Risiko. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er darauf besteht, dass seine Forderungen auf "Zinsen" und weitere Entgelte aus der Vorfinanzierung bzw. Ansprüche aus Risikoübernahmen gegen den insolventen Arbeitgeber (sollte die Bundesagentur einen geringeren Betrag als er der Vorfinanzierung entspricht später als Insolvenzgeld festsetzen) zu Masseverbindlichkeiten werden. Dabei geht es nicht um die angekauften und nach §§ 398 ff. BGB an die Bank übergangenen Entgeltforderungen der Arbeitnehmer (s. Cranshaw, ZInsO 2013, 1498, 1505). Soweit in der Praxis Missverständnisse aufgetreten sind, siehe deren Schilderung in diesem Band bei Drescher, § 9 Rz. 21, muss man diese wie vorstehend umrissen auflösen. Vom Charakter der an den Vorfinanzierer übergegangenen Entgeltansprüche der Arbeitnehmer als Masseverbindlichkeit hätte die vorfinanzierende Bank übrigens nichts, da sie auf die Bundesagentur übergehen (§ 169 SGB III) und die Bank "im Gegenzug" den Insolvenzgeldanspruch originär erwirbt (Cranshaw, ZInsO 2013, 1497, 1502). Die geschilderten Ansprüche auf Entgelte usw. gegen den insolventen Arbeitgeber setzen naturgemäß entsprechende Passagen in den üblichen "Rahmenverträgen" zwischen dem Vorfinanzierer und dem Insolvenzschuldner ebenso voraus wie einen Beschluss des Insolvenzgerichts, der zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu diesem Zweck der Besicherung der Entgeltund Risikofreistellungsansprüche des Vorfinanzierers ermächtigt. 18) Dänemark hat die EuInsVO nicht angenommen und ist daher insoweit Drittstaat. 19) Diese Vielschichtigkeit wird aber nicht etwa dadurch generiert, dass die Unternehmen bzw. deren Rechtsträger jederzeit ihren statutarischen bzw. tatsächlichen Sitz als Folge der Rechtsprechung des EuGH in einen anderen Mitgliedstaat verlegen und daher ihr COMI, den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen wirtschaftlichen Interessen (Art. 3 EuInsVO), verändern können. Sogar der grenzüberschreitendende Rechtsformwechsel ist möglich (vgl. EuGH, Urt. v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 ff. = NJW 2012, 2715 ff. = jurisPR-InsR 20/2012, Anm. 1, Cranshaw) mit Folgen für Insolvenz und Betriebsfortführung.

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der Konzerninsolvenz verfolge der gemeinsame Verwalter stets die Interessen aller Beteiligten und lasse sich in Zweifelsfragen durch Gutachten beraten.20) Das rechtliche Problem besteht strukturell im Übrigen auch darin, dass es kein gemeinsames 17 materielles Insolvenzrecht der Staaten gibt, auch nicht innerhalb Europas. Das mag man bedauern oder nicht, jedenfalls ist aufgrund der verschiedenen Traditionen und Entwicklungen auf absehbare Zeit wohl nicht mit einem solchen einheitlichen Recht („Vollharmonisierung“) in Europa trotz der Bemühungen der Europäischen Kommission zu rechnen. Verfahrensrechtlich ist das Problem des europäischen Insolvenzrechts die Möglichkeit von Sekundärverfahren, die bei einem Gläubigerantrag geradezu dazu dienen, dem Hauptinsolvenzverwalter21) die Vermögenswerte der betroffenen Gesellschaft im Interesse der lokalen Gläubiger zu entziehen.22) Der Umstand, dass es bislang über jede Konzerngesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren mit dezentraler Abwicklung gibt, ist einer der Gründe, weshalb es dazu kommen kann, dass der Gläubiger der einen Konzerngesellschaft eine hohe Quote realisiert, während Insolvenzgläubiger einer anderen Gesellschaft nur eine geringe oder keine Quote bekommen. Damit wird die Möglichkeit der Sanierung der Gruppe tendenziell empfindlich gestört. Mit der Frage der Koordinierung hat das im Ergebnis wenig zu tun. Die Problematik kann mit entsprechenden „Garantien“ für die lokalen Gläubiger weitgehend vermieden werden, Art. 29a Abs. 2 EuInsVO-E i. V. m. Art. 18 Abs. 1 EuInsVO-E sieht dies vor.23) Eine Lösung wäre strukturell zuverlässig nur möglich, wenn die Vermögen der Konzernunternehmen als eine einzige Masse verstanden werden könnten, die Insolvenz also verfahrensrechtlich die Schwelle der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Gesellschaften überwindet und materiell alle Gläubiger gleichgestellt würden – nach Maßgabe einer einheitlichen lex fori concursus. Das Verfahrensziel bestünde in der Sanierung des Konzerns und zwar im Interesse der Volkswirtschaft, insbesondere auch des Arbeitsmarktes, der Stärkung des Gedankens der unternehmerischen Betätigung, des „fresh start“ und der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im gesamten Binnenmarkt unter gewisser Hintanstellung der institutionell vorgegebenen Egoismen einzelner Gläubiger (siehe zu dieser materiellen Zusammenfassung Rz. 92 ff.). Eine solche Lösung hätte freilich nachhaltige negative Folgen für die Refinanzierung der Unternehmen. Beispielsweise würde man viel mehr als bisher schon Sachsicherheiten fordern, insbesondere aber die Kreditgewährung deutlich erschweren und verteuern müssen. Den Schaden bei dergleichen Strukturen i. V. m. einer einmal vorgestellten Abschaffung 18 von Sekundärinsolvenzverfahren tragen nicht nur die Kleingläubiger, die ihre Rechte im Ausland aus Kostengründen und aus Gründen der Sprache (was sich ebenfalls einpreisen lässt) kaum werden angemessen verfolgen können. In derselben Situation sind mittelständische Gläubiger, die in Deutschland und in der EU die große Mehrheit der Unternehmen stellen und von außerordentlich großer Bedeutung für die Volkswirtschaft sind. Dazu gehören auch die mittelständischen Kreditinstitute. Wie soll die örtliche Sparkasse oder Volksbank, die z. B. mit 100.000 € bei einer kleineren Konzerngesellschaft gegen Sicher___________ 20) Verhoeven, ZInsO 2012, 2369 ff., 2376. 21) Der Hauptinsolvenzverwalter kann seinerseits Interesse an einem Sekundärverfahren haben, um die landesspezifischen Probleme insbesondere der Fortführung einer effizienten Steuerung zuzuführen. 22) Der vielfach verwandte Begriff des „lokalen“ Gläubigers ist tendenziell irreführend, denn er impliziert, es handele sich um eine Teilgläubigergruppe von minderer Bedeutung im übergreifenden Hauptinsolvenzverfahren. Häufig sind diese Gläubiger aber diejenigen mit der Mehrzahl der Forderungen in der Summe und der Mehrheit nach Köpfen. 23) So im Ergebnis auch die diesbezügliche Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 14, 7/2013, Registernummer 25412265365-88 unter IV. 2., S. 4 der pdf-Datei, verfügbar über http://www.brak.de/ zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2013/juli/stellungnahme-der-brak-201314.pdf (Abrufdatum: 22.7.2013). Zur EuInsVO-E s. Rz. 20, Rz. 86 f.

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Teil III Einzelfragen

heiten engagiert ist, ihre Rechte ggf. kostenträchtig in einem ausländischen Verfahren verfolgen, wenn man etwa an so sperrige Materien wie die Anfechtung oder Aufrechnung denkt? 1.2

Strukturen der EuInsVO de lege lata und de lege ferenda

19 Die EuInsVO geht grundsätzlich von der Struktur der Insolvenz des einzelnen Rechtsträgers aus. Der Versuch, die Tochtergesellschaften als eine Art Niederlassung der Muttergesellschaft zu sehen, ist an der Rechtsprechung des EuGH zu Recht gescheitert.24) Zuletzt hat der Gerichtshof im Urteil Rastelli25) zutreffend darauf erkannt, dass die nach französischem Insolvenzrecht (Art. 621-2 Abs. 2 Code de Commerce, vgl. dazu unter Rz. 98 f.) mögliche Einbeziehung eines anderen Rechtsträgers in eine Insolvenz unter „Konsolidierung“ der Vermögensmassen bei vorheriger Vermögensvermischung nicht grenzüberschreitend möglich ist. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO stehe dem entgegen. 20 Als Folge eines Initiativberichtes aus dem europäischen Parlament bzw. dessen Rechtsausschuss im Jahre 2011 wurde aufgrund einer Anhörung und Evaluation von der Europäischen Kommission im Dezember 2012 ein Vorschlag für eine Novellierung der EuInsVO vorgelegt, die in eigenen Erwägungsgründen (Erwägungsgrund 20 sowie die neuen Erwägungsgründe 20a und 20b) die Konzerninsolvenz in den Blick nimmt.26) Diese Lösung, die bei Verabschiedung der Verordnung im vorgeschlagenen Umfang in allen Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung ohne weitere Umsetzungsakte entfaltet, entwickelt in einem eigenen Kapitel IVa „Insolvency of members of a group of companies“ (in der deutschen Sprachfassung: „Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe“) in den Art. 42a – 42d EuInsVO-E eine Reihe von Instrumenten für eine formelle Konzerninsolvenz. Ergänzt werden diese Normen durch Änderungen des Rechts der Sekundärverfahren. Es handelt sich bei den Art. 42a – 42d nicht um Kollisionsrecht, sondern um Verfahrensrecht, das unmittelbar die mitgliedstaatlichen Verfahren betrifft, soweit grenzüberschreitende Vorgänge berührt werden. Unter Berücksichtigung der Bedeutung gegenseitiger Kooperation sehen die Art. 42a und 42b Kooperation und Kommunikation zwischen den verschiedenen Insolvenzverwaltern („liquidators“) oder den Schuldnern in Fällen mit Eigenverwaltung vor. Die Zusammenarbeit kann, wie das in internationalen Fällen zur Überwindung von Problemfällen üblich ist, in Form von Protokollen27) oder Vereinbarungen geschehen (Art. 42a Abs. 1 Satz 2 EuInsVO-E). Die zentralen Aufgaben fasst Art. 42a Abs. 2 zusammen, insbesondere in lit. b, mit den Worten:

___________ 24) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C- 341/04 (Eurofood/Parmalat), Slg. 2006 I-3880 ff. = ZIP 2006, 907 ff. 25) EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10 (Rastelli), ZIP 2012, 183 ff. = DZWIR 2012, 166 ff. sowie Cranshaw, DZWIR 2012, 133 ff., 136. 26) S. das Dokument COM (2012) 744 final v. 12.12.2012, “Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren“ (anfänglich nur in englischer Sprache vorliegend, die Zitierungen folgen daher dem englischen Text) sowie die begleitende „Communication from the Commission to the European Parliament, the Council and the European Economic and Social Committee – A new European Approach to business failure and insolvency” v. 12.12.2012, Dokument COM(2012) 742 final; beide Dokumente sind verfügbar über http://ec.europa.eu/…/… (Abrufdatum: 22.7.2013). 27) S. dazu schon Paulus, ZIP 1998, 977 ff.

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„(b) explore the possibilities for restructuring the group and, where such possibilities exist, coordinate with respect to the proposal and negotiation of a coordinated restructuring plan;”28)

In der Praxis gibt es international Strukturen, die faktisch diese Kooperation widerspie- 21 geln, wobei das Ziel nicht einmal die rechtliche Aufrechterhaltung des Konzerns als solches sein muss, auch die in Deutschland übertragende Sanierung genannte Verfahrensabwicklung kann auf diese Weise strukturiert werden. In diesem Zusammenhang darf auf das Beispiel eines kanadischen Konzerns aus dem Be- 22 reich der Telekommunikation hingewiesen werden, der jedenfalls teilweise die Sanierung durch Veräußerung von Geschäftsfeldern weltweit über Insolvenzverfahren organisierte. Das Insolvenzverfahren über die deutsche Konzern-GmbH fand in England statt. Für die Fortführung in einem solchen oder vergleichbaren Fällen ist entscheidend, dass auf die Arbeitnehmer (im Allgemeinen) das Arbeitsrecht und das Insolvenzarbeitsrecht des Beschäftigungslandes Anwendung finden, womit die lex fori concursus ausgeblendet bleibt (Folge aus Art. 10 EuInsVO)29) 2.

Das autonome internationale Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO

Das gegenüber Drittstaaten geltende autonome internationale Insolvenzrecht der Bundes- 23 republik (§§ 335 ff. InsO) orientiert sich, von Besonderheiten, die man gegenüber Drittstaaten für erforderlich hält (da ihnen gegenüber nicht der unionsrechtlich determinierte Grundsatz des strukturell unbedingten Vertrauens in die gegenseitigen Rechtsordnungen besteht),30) abgesehen, an den Leitlinien der EuInsVO. Kommt es künftig zu einer novellierten EuInsVO und ggf. zu einer gewissen Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte, so sind in diesem Umfang auch die §§ 335 ff. InsO anzupassen. Eine gesonderte Behandlung dieser Bestimmungen ist im vorliegenden Rahmen nicht geboten. Es ist freilich darauf hinzuweisen, dass die Betriebsfortführung der ausländischen Konzerngesellschaft auch außerhalb des EuInsVO-Raums sich natürlich nach den Regelungen richtet, die das jeweilige ausländische Recht vorsieht.31) Hier liegt der Kern der international gebräuchlichen Protokolle der verschiedenen Insolvenzverwalter. Im Übrigen ist von Bedeutung, ob das inländische Verfahren in einem Staat, der nicht die EuInsVO anwendet, überhaupt und in welchem Umfang anerkannt wird. Umgekehrt kann der ausländische Insolvenzrichter außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 42a – 42d EuInsVO-E nicht für die inländische Tochter die materielle oder formelle Verfahrenskonsolidierung beschließen. Es bleibt bei der bloßen Koordinierung. Abschließend sei nur zur Verdeutlichung ___________ 28) Inhaltlich ist damit wieder die lex fori concursus nach Art. 4 EuInsVO entscheidend. Im deutschen Text lautet die Passage: „Sie prüfen Möglichkeiten für eine Restrukturierung der Gruppe, falls solche Möglichkeiten bestehen, stimmen sie sich in Bezug auf den Vorschlag für einen koordinierten Restrukturierungsplan und dessen Aushandlung ab.“ Die Textfassung bedarf gerade auch in der deutschen Sprache eines etwas „griffigeren“ Wortlauts. Der entsprechende französische Text des dortigen Art. 42 bis ist eleganter und handhabbarer so formuliert, dass die Verwalter („syndics“) „explorent la possibilité de restructurer le groupe et, si cette possibilité existe, coordonnent leurs efforts en vue de proposer et de négocier un plan de restructuration coordonné.“ 29) Vgl. dazu BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 ff. = ZInsO 2012, 2386, Cranshaw/ Paulus/Michel-Cranshaw, Bankenkommentar, § 337 InsO/Art. 10 EuInsVO Rz. 2 – 4, 9, 11 f., 14. Dasselbe gilt für die Insolvenzversicherung der Arbeitnehmer gegen die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nach Art. 9 der Richtlinie 2008/94/EG v. 22.10.2008, ABl. EU L 283 v. 28.10.2008, S. 36 ff.; sie ist die Nachfolgeregelung der novellierten, inhaltlich unveränderten RL 80/987/EWG i. d. F. der RL 2002/ 74/EG und europarechtliche Grundlage des Insolvenzgeldes der §§ 165 ff. SGB III. 30) Vgl. Erwägungsgrund 22 EuInsVO sowie zum autonomen internationalen Insolvenzrecht die BTDrucks. 15/16 v. 25.10.2002, S. 13 f. 31) Neben Bestimmungen des ausländischen Insolvenzrechts ist die gesamte Rechtsordnung, öffentliches Recht wie Zivilrecht und Strafrecht, zu beachten.

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der heutigen Rechtszersplitterung daran erinnert, dass die EuInsVO in der EU nicht in Dänemark gilt, nicht im EWR (Norwegen, Island, Liechtenstein) und nicht im Verhältnis zur Schweiz.32) Der Entwurf des BMJ vom 3.1.2013 bzw. der RegE vom 28.8.2013 (siehe Fn. 2) enthält im autonomen internationalen Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO keine Sonderregelung für Konzerninsolvenzen. Innerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO bedarf es dessen nicht, wenn auch eine Ergänzung des Art. 102 EG InsO in Frage kommen mag. Außerhalb des Raums der EuInsVO muss entschieden werden, wie weit man dort gehen will. § 348 Abs. 2 InsO mit der Option der Kooperation mit ausländischen Insolvenzgerichten ist ein ausbaufähiger Nukleus. III.

Der Konzern im Regelinsolvenzverfahren und im Verfahren mit Insolvenzplan

1.

Insolvenzgründe

1.1

Vorbemerkung

24 Wie die vorstehenden Ausführungen zur Vielschichtigkeit der „Konzerninsolvenz“ sowie einigen Phänomenen des internationalen Insolvenzrechts zeigen, lässt sich die Frage nach der Position der Insolvenzgründe in der „Konzerninsolvenz“ nur näherungsweise beantworten. Das hat wiederum mit der gebotenen individuellen Betrachtung jeder einzelnen Konzerngesellschaft als selbstständiger Rechtsträger zu tun. Die Schranke der rechtlich selbstständigen juristischen Person muss, von extremen Ausnahmenfällen wie dem des Missbrauchs und ähnlichen Konstellationen abgesehen, gewahrt bleiben. Ihr Beiseiteschieben in der Krise um der Vereinfachung der praktischen Handhabung der Konzernsanierung halber hätte schwerwiegende Verwerfungen im Gesellschaftsrecht, in der unternehmerischen Zielsetzung des Konzerns selbst, aber auch in der Refinanzierung der Unternehmen zur Folge. Geht man von dieser Prämisse aus, so hat das auch in Ansehung der Insolvenzgründe eine Einzelbetrachtung der verschiedenen Konzerngesellschaften zur Konsequenz. Grenzüberschreitend kommen die Unterschiede der verschiedenen Rechtsordnungen hinzu. 25 Damit darf nicht der Umstand verwechselt werden, dass im Europa der EuInsVO das Sekundärverfahren ohne Prüfung eines Insolvenzgrundes eröffnet werden muss, wenn ein Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden ist und die weiteren Voraussetzungen eines Sekundärverfahrens vorliegen,33) namentlich ein Antrag des Insolvenzverwalters des Hauptinsolvenzverfahrens. Nur unter der Voraussetzung, dass das COMI, der Mittelpunkt der „hauptsächlichen Interessen“ aller insolventen Gesellschaften des Konzerns, in einem einzigen Mitgliedstaat liegt und daher dessen Insolvenzrecht anwendbar ist, sind die Insolvenzgründe identisch. Weitere Voraussetzung ist natürlich, dass bei allen Gesellschaften Insolvenzgründe vorliegen, seien sie materieller Natur oder seien sie „unechte“ Insolvenzgründe wie in Deutschland die drohende Zahlungsunfähigkeit.34) Nachfolgend werden i. R. dieses Beitrages allein die Insolvenzgründe nach deutschem Recht beleuchtet. Fehlt es an einem Insolvenzgrund, der freilich konzernweit vermutlich problemlos geschaffen werden kann, ist ein Insolvenzverfahren mangels zulässigen Antrags nicht möglich. Ein Insolvenzplan unter Einbeziehung nicht insolventer Gesellschaften des Kon___________ 32) Entscheidungen in Insolvenzsachen gegenüber Tochtergesellschaften im EWR und in der Schweiz können aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. b Lugano-Übereinkommen (II) dort nicht durchgesetzt werden bzw. es bedarf prozessualer Umwege. Liechtenstein ist nicht einmal Partei des Lugano-Übereinkommens, wenn auch Mitglied des EWR. 33) Folge aus § 27 EuInsVO; zu dieser Auslegung s. EuGH, Urt. v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Bank Handlowy u. a./Christianapol), ZInsO 2012, 2380, 2381 ff. m. Abstract dazu von Cranshaw, S. 2380 f. = ZIP 2012, 2403. 34) Vgl. Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid/Leonhardt, InsO, § 18 Rz. 1.

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zerns ist richtiger Weise nicht möglich. Eine in der Krise befindliche, aber nicht materiell insolvente Konzerngesellschaft, bei der auch eine drohende Zahlungsunfähigkeit ausscheidet, kann nicht im Insolvenzverfahren zu Lasten ihrer Gläubiger saniert werden, wenn nicht alle Gläubiger zustimmen. Sie haben auch keine Treuepflicht gegenüber den Gläubigern der anderen insolventen Konzerngesellschaften.35) Die damit aus dem Blick des einen oder anderen Protagonisten bestehende Problematik dürfte zum einen in der Praxis nicht allzu häufig vorkommen, sofern nicht gezielt die Tochterinsolvenz gerade vermieden werden soll. Zum anderen wird der Konzern sicher versuchen, sein COMI in einen Mitgliedstaat zu verlegen, der diese Möglichkeit eröffnet.36) Für die Betriebsfortführung ist das von erheblicher Bedeutung, da über Art. 4 EuInsVO 26 die lex fori concursus weitgehend über die Abwicklung der Insolvenz und damit auch über die insolvenzrechtliche Seite der Betriebsfortführung entscheidet. Bei „fremdem“ COMI wird häufig aus Gründen der Betriebsfortführung ein Sekundärverfahren auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens gemäß Art. 29 lit. a EuInsVO nötig sein, um sachgerecht diesen wesentlichen Teilaspekt auf der Basis der Rechtsordnung des Betriebsstättenstaates steuern zu können. 1.2

Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) liegt nach der Rechtsprechung des BGH bekanntlich 27 regelmäßig dann vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, mindestens 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen.37) Bei den juristischen Personen und den weiteren unter § 15a InsO fallenden Verbänden besteht dann Insolvenzantragspflicht. Die eher noch bedeutsamere Frage ist diejenige, wie die Zahlungsunfähigkeit ermittelt wird. Ihr Eintritt kann sachgerecht nur aus einem funktionierenden Rechnungswesen abgeleitet werden und schließt einen Liquiditätsplan ein, der auf der Zeitachse die liquiditätswirksamen Aktivitäten des betroffenen Unternehmens ausweist. Im Konzern ist das nicht anders. Es kann und wird daher nicht selten der Fall sein, dass einzelne Konzernunternehmen zahlungsunfähig sind, andere nicht. Diese Grundsätze gelten für den (innerhalb der Frist des § 15a InsO gestellten) Eigenantrag des Insolvenzschuldners; davon zu unterscheiden sind die vielen „erratischen“ Fälle, bei denen es an einem ordnungsgemäßen Rechnungswesen fehlt und ein Gläubigerinsolvenzantrag gestellt werden musste. In einer Unternehmensgruppe sollte diese Fallkonstellation nicht vorkommen dürfen.

___________ 35) Vgl. zu dieser Problematik bei Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, S. 143 – 150. 36) Dem werden Gläubiger durch sog. „COMI-Covenants“ entgegenwirken, vertragliche Abreden, die dem Schuldner auferlegen, die beabsichtigte Sitzänderung anzuzeigen und die Zustimmung des Gläubigers einzuholen, um diesem bei (drohender) Verlegung des Sitzes ohne seine Zustimmung die fristlose Kündigung zu ermöglichen, die wiederum den Insolvenzantrag und die Verfahrenseröffnung im Inland ermöglicht oder doch vereinfacht; Art. 2 lit. d, ii EuInsVO-E (Kommissionsvorschlag v. 12.12.2012) erleichtert dieses Vorgehen, indem die Bestellung eines „provisional liquidator“ als Verfahrenseröffnung mit den Wirkungen der automatischen Anerkennung in den EuInsVO-Staaten gemäß Art. 16 EuInsVO fingiert wird. Dazu gehört auch die Eigenverwaltung durch den „debtor in possession“, Art. 2 lit. b, ii EuInsVO-E. Die Verlegung ohne Information des Gläubigers führt wegen Vertragsverstoßes ohne weiteres zu einem Kündigungsrecht. 37) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 ff. = ZInsO 2005, 807 ff. = jurisPR-InsR 6/2006 m. Anm. 1 (Wehdeking).

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Teil III Einzelfragen

28 Das Cashpooling,38) die Liquiditätssteuerung innerhalb eines Konzerns, u. a. zur Senkung von externen Kreditkosten (Umfang der in Anspruch genommenen Kredite, Bonitäts-/ Ratingverbesserung), hat hierauf Einfluss. Solange das System der Steuerung durch die zentrale Stelle des Konzerns funktioniert, tritt keine Zahlungsunfähigkeit ein. Wird der konzerninterne Cashpool-Vertrag gekündigt, stellt sich die Frage, ob die Ansprüche der betroffenen Gesellschaft auf Erstattung bei einem Überhang ihrer Leistungen in den Cashpool werthaltig und innerhalb der Frist von drei Wochen realisierbar sind, wenn ansonsten jedenfalls Zahlungsstockung eingetreten ist. Hat umgekehrt die betroffene Gesellschaft an andere am Cashpool Beteiligte fällige Zahlungen zu leisten, kann dieser Umstand die Zahlungsunfähigkeit als eigenständiger Faktor bewirken.39) 29 Für die Betriebsfortführung ist die Zahlungsunfähigkeit – richtiger: die „Tiefe“ der Zahlungsunfähigkeit und deren Beseitigung – wesentliches Prüfungs- und Planungskriterium, da der Betrieb von der notwendigen Liquidität abhängig ist.40) Entscheidend ist die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit jeder einzelnen Konzerngesellschaft, die Insolvenzantrag stellen muss. Sie besteht auch dann, wenn die Muttergesellschaft dem Gläubiger der Konzerngesellschaft gegenüber eine harte Patronatserklärung übernommen hat und damit dem Gläubiger gegenüber in der Insolvenz der Tochtergesellschaft unmittelbar Zahlung zu leisten hat.41) Nur eine Verpflichtung der Konzerngesellschaft selbst gegenüber und die tatsächliche Erfüllung der Ausstattungspflicht führen zur Verneinung der Zahlungs___________ 38) Unter „Cashpool“ oder „Cashpooling“ bzw. „Cash-Management“ wird vorliegend die zentrale Steuerung der Liquidität im Konzern durch tägliche Übertragung der Kontoguthaben aller Konzerngesellschaften auf ein zentrales Konto in der Verfügung der Muttergesellschaft oder einer von ihr beherrschten Finanzierungsholding des Konzerns verstanden, die die Liquiditätserfordernisse der einzelnen Gesellschaften entsprechend der allerdings notwendig dynamischen Planung befriedigt. Zwischen den Beteiligten entstehen meist Darlehensverhältnisse oder sonstige schuldrechtliche Beziehungen, die die Forderung oder die Verbindlichkeit aus dem Cashpool betreffen, abhängig davon, ob die betroffene Gesellschaft ein Mehr abgeführt hat als sie i. R. der Finanzierung erhalten hat oder umgekehrt. In der Insolvenz sind das im Verhältnis zur Obergesellschaft gewöhnliche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO, im Verhältnis der Obergesellschaft zur Konzerngesellschaft nachrangige Forderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Letzteres gilt auch für Schwestergesellschaften mit gemeinsamer Konzernobergesellschaft, soweit nicht eine der dazwischen geschalteten Konzerngesellschaften eine Aktiengesellschaft ist, bei der der BGH nach bisheriger Judikatur, den Eigenkapitalersatz verneint, weil dem die Eigenverantwortung des Vorstandes gemäß § 76 Abs. 1 AktG entgegensteht, so dass andere Konzerngesellschaften Einfluss darauf nehmen kann, wie die „Finanzierungshilfe“ gewährt, „belassen oder abgezogen wird“, BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 ff. = DZWIR 2008, 380 f., zust. Habersack, ZIP 2008, 2385 ff. Für die Konstellationen nach dem MoMiG gilt das entsprechend für § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 InsO. Nach der Entscheidung des BGH v. 21.2.2013 (IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 = ZInsO 2013, 543, dazu Cranshaw, jurisPR-InsR 7/2013, Anm. 1), sind feilich Zweifel angebracht, ob dies künftig noch gilt. Vgl. zu einem Fall des „CashManagement“ (auch zur Begrifflichkeit) mit sehr weitreichenden Konsequenzen BGH, Urt. v. 21.1.2013 – IX ZR 52/10, Rz. 2 ff., ZIP 2013, 894 ff. = ZInsO 2013, 780 ff. 39) Dies gilt auch dann, wenn die dazu berechtigten Cashpool-Beteiligten nicht unmittelbar Zahlung gefordert haben; die Situation ist insoweit wie bei dem befristeten Bankdarlehen bei Fristablauf zu betrachten, vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, Rz. 8, ZIP 2013, 79 = WM 2013, 88. Umgekehrt scheidet Zahlungsunfähigkeit aus, wenn die eigentlich fällige Forderung gestundet wird, was auch „stillschweigend“ möglich ist, BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, Rz. 8 a. E., ZIP 2013, 79 = WM 2013, 88; st. Rspr. (kein „ernsthaftes Einfordern“). 40) Zur Beurteilung s. den IDW Prüfungsstandard IDW PS 800 „Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen“, Wpg Supplement 2/2009, S. 42 ff. 41) Die Tragweite auch einer „harten“ Patronatserklärung hängt freilich von ihrer vertraglichen Ausgestaltung im Einzelnen ab, die der Vertragsfreiheit unterliegt. Sie ist sogar in der Sanierung mit Wirkung für die Zukunft kündbar, wenn das vorgesehen ist, s. dazu BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 296/08 (STAR 21), BGHZ 187, 69 ff. = ZIP 2010, 2092 ff. Zu der Frage der Rückforderung der von dem Patron hingegebenen Ausstattungsmittel als verzinsliches Darlehen (§ 488 BGB) vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 30.10.2012 – 14 U 141/11, juris; ausführlich zur harten Patronatserklärung: Assies/Beule/Heise/ Strube-Steinwachs, Hdb. FA Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 1323 ff. Zur Haftung aus der harten Patronatserklärung gegenüber dem Gläubiger als „Erklärungsempfänger“ s. BGH, Urt. v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127 ff., 132 ff. = ZIP 1992, 338.

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unfähigkeit,42) sofern die Liquidität der Muttergesellschaft hinreichend ist und innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO die notwendige Zahlung durch die Muttergesellschaft an die Tochter (oder deren Gläubiger) bei Fälligkeit vorgenommen wird. Für die Betriebsfortführung im einmal beantragten Verfahren ist die Frage, welche fälligen Verbindlichkeiten für die Frage des Bestehens der Zahlungsunfähigkeit relevant sind, weniger entscheidend. Dasselbe gilt für das Bestehen eines Unternehmensvertrages als Ergebnisübernahmevertrag, der die Zahlungsunfähigkeit während seines Bestehens im Umfang der Verlustausgleichszahlung häufig verhindern wird (siehe unter Rz. 39 ff.). 1.3

Überschuldung

Der nunmehr auf Dauer geltende mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz43) zunächst 30 vorübergehend eingeführte bzw. geänderte Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO44) hat zur Konsequenz, dass bei Überschuldung die positive Fortführungsprognose für das Bestehen oder Nichtbestehen des Insolvenzgrundes maßgeblich ist.45) Auf die Betriebsfortführung im Verfahren strahlt die Überschuldung insoweit aus, als die fehlende positive Fortführungsprognose, die als Ziel der Sanierung auch die Beseitigung der handelsrechtlichen Überschuldung im Auge hat, zugleich eine gewisse Indizwirkung für die Aussichten der (interimistischen) Fortführung im Verfahren selbst hat; ggf. kommt nur die „Ausproduktion“ in Frage. Im Allgemeinen tritt die Überschuldung als Insolvenzgrund hinter die Zahlungsunfähigkeit weit zurück. In der Konzerninsolvenz ist nicht ein Konzernüberschuldungsstatus maßgeblich, sondern die Einzelüberschuldungsbilanz jeder einzelnen Konzerngesellschaft. Liegt eine ordnungsgemäße Einzelbilanz oder ein Überschuldungsstatus einer Konzerngesellschaft vor,46) scheidet übrigens schon begrifflich eine Zusammenfassung der verschiedenen Insolvenzmassen i. S. einer materiellen Konsolidierung vom Ansatz her aus, da die konzerninternen Verbindlichkeiten identifizierbar sind und damit einer der wesentlichen Beweggründe einer solchen Konsolidierung entfällt (siehe unter Rz. 92 ff.). 1.4

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Die mit der InsO eingeführte drohende Zahlungsunfähigkeit als „unechter“ Insolvenz- 31 grund47) ist seit dem ESUG ein wesentliches Tatbestandsmerkmal des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO. Ihre Prüfung bedarf eines zeitbezogenen Liquiditätsplans, der von dem jeweiligen Unternehmen abhängig ist, im Wesentlichen aber einen Zeitraum von ___________ 42) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, Rz. 19 f., 21, ZIP 2011, 1111 ff. 43) S. Art. 5 Finanzmarkstabilisierungsgesetz – FMStG v. 17.10.2008, BGBl. I, 2008, 1982 ff., 1988 f. 44) S. dazu die BT-Drucks. 17/10490 bzw. die BT-Drucks. 17/11385 v. 7.11.2012, mit Beschlussempfehlung und Beschluss des Rechtsausschusses i. R. des Entwurfs seines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess; der dortige Art. 18, BT-Drucks. 17/11385, S. 27, führt zur „Entfristung“ des bis dahin befristeten § 19 Abs. 2 InsO, s. BGBl. I 2012, 2418 ff., 2424, Aufhebung des Art. 6 Abs. 3 FMStG. Zu der Notwendigkeit der „Entfristung“ s. Bitter/Hommrich, Die Zukunft des Überschuldungsbegriffs, insb. die Empfehlungen in den Rz. 347 – 354. 45) Kirchhof in: HK-InsO, § 19 Rz. 8, empfiehlt sogar in einem ersten Schritt die Prüfung der Fortführungsprognose, um sich ggf. die aufwändige Prüfung der Überschuldung als Folge eines entsprechenden Überschuldungsstatus prüfen zu können. 46) Die Handelsbilanz allein reicht nicht zur Darlegung der Überschuldung, vielmehr bedarf es nach höchstrichterlicher Judikatur einer Überschuldungsbilanz, BGH, st. Rspr.; zuletzt Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, Rz. 5, ZInsO 2012, 732 f. m. w. N. Kann nur eine Handelsbilanz (die „einen nicht durch Eigenkapital gedeckten“ Jahresfehlbetrag ausweist, BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, Rz. 5, ZInsO 2012, 732) vorgelegt werden, bedarf es der Erläuterung der Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen unter insolvenzrechtlichem Aspekt (BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349 f. = ZIP 2008, 72), d. h. es sind u. a. die stillen Reserven aufzuzeigen. 47) Leonhardt/Smid/Zeuner-Leonhardt/Smid, InsO, § 18 Rz. 1.

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Teil III Einzelfragen

bis zu knapp zwei Jahren umfassen wird. Aus dem Blick der Betriebsfortführung ist der Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit trotz der bestehenden Krisensituation der insolvenzrechtliche Idealfall. Das Unternehmen hat noch nicht das Vertrauen seiner Partner verloren und schickt sich an, aus eigener Kraft einen Insolvenzplan zu entwickeln. Die Liquiditätsvorteile durch die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung bleiben auch im „Schutzschirmverfahren“ (wie auch im Verfahren der Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO) aufrechterhalten.48) 1.5

Fazit: Fortführungsmöglichkeiten

32 Bei der Fortführung der einzelnen Gesellschaft innerhalb des Konzerns spielen die im Folgenden näher betrachteten Verflechtungen eine wesentliche Rolle. Abgesehen von der Liquiditätsentlastung durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung bis zur Eröffnung hängt die Fortführung davon ab, woher die notwendige Liquidität kommt und wie sehr man auf diese Quellen und Leistungen vertrauen darf. Sind wesentliche Liquiditätsfaktoren konzerninterne Lieferungen, so kommt es in der wichtigen Startphase vor Eröffnung darauf an, dass der Bargeschäftscharakter (§ 142 InsO) gewahrt wird, um Anfechtungsrisiken weitgehend zu vermeiden. Genau genommen bedarf es zudem einer positiven Fortführungsprognose nach allgemeinen Kriterien,49) um die Risiken des § 133 InsO ebenfalls zuverlässig zu vermeiden. 2.

Wesentliche Fragen und Voraussetzungen der Betriebsfortführung in der Insolvenz

2.1

Aufrechterhaltung des Konzerns in seiner Gesamtheit?

33 Die Betriebsfortführung im Konzern bedarf der Berücksichtigung der gegenseitigen Verflechtungen, indes nicht ohne weiteres deren vollständige Aufrechterhaltung. Wie stets erfolgt die Fortführung im Interesse aller Gläubiger des jeweiligen Unternehmensträgers im Abgleich mit den Konzerninteressen.50) 34 Wie bei einzelnen Gesellschaften ohne Konzernbindung wird es in praxi kaum möglich sein, einen Konzern in seiner Struktur vor dem Insolvenzeintritt vollständig zu erhalten. Wie stets wird es Betriebe oder Betriebsteile oder auch Konzerngesellschaften geben, die geschlossen werden oder bei denen eine übertragende Sanierung durch Veräußerung an einen Dritten stattfindet. Das gilt auch für die Konzernobergesellschaft. Eine der in Frage kommenden Varianten zur Abwicklung der Insolvenz ist auch die u. a. der erleichterten Zusammenschlusskontrolle nach dem GWB (durch Ministererlaubnis gemäß § 42 GWB)

___________ 48) S. Nr. 3.1 der Weisung HEGA 03/12-08-Insolvenzgeld-Auswirkungen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen der Bundesagentur für Arbeit v. 20.3.2012, verfügbar über http://www.arbeitsagentur.de, Abrufdatum: 1/2013. Dies gilt dann trotz etwaiger Genehmigung der Vorfinanzierung nicht, wenn vor Verfahrenseröffnung ein Sanierungsplan angenommen wird, Nr. 3.1 HEGA 03/12aE. Mittlerweile sind die entsprechenden Regelungen in die Sammelweisungen Insolvenzgeld der BA (Stand: 5/2013) aufgenommen, s. Insolvenzgeld DA zu § 170 SGB III Nr. 3.2, Abs. 2 Unterabs. 2, S. 8. Es muss allerdings zur Insolvenzeröffnung kommen. Die Sammelweisungen sind verfügbar unter der Internetadresse der Bundesagentur (Abrufdatum: 22.7.2013). 49) Z. B. nach Maßgabe der Standards von IdW S 6 (Stand: 20.8.2012), Wpg Supplement 4/2012, S. 130 ff. 50) Diesen Umstand verkennt Verhoeven, ZInsO 2012, 2369 ff., 2376, wenn er bei seiner Argumentation für ein „Mutter-COMI für Konzerne“ behauptet, Arbeitnehmer und „nicht-institutionelle Gläubiger“, zu denen er die Warenkreditgeber zählen will, müssten „nolens volens“ darauf vertrauen, dass der Schuldner nicht in die Insolvenz gerate, sie seien auf die Zusammenarbeit mit diesem angewiesen.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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unterliegende sog. Sanierungsfusion.51) Entscheidend sind jeweils das Geschäftsmodell und die zur Umsetzung von Änderungen notwendige bzw. zur Verfügung stehende Zeit. Die Sanierungsziele und Modalitäten bestimmen auf der Zeitachse folglich die sich ggf. dynamisch ändernde Strategie der Betriebsfortführung. Im Rahmen eines Konzerns spielen die etwa wettbewerbsverzerrenden Folgen eine besondere Rolle. Stets bedarf es jedoch fraglos eines tragfähigen Fortführungskonzeptes.52) 2.2

Planungen und Planungsparameter

2.2.1 Planungsgrundlagen Die Betriebsfortführung in der Insolvenz erstreckt sich von dem Zeitpunkt des Insol- 35 venzantrags bis zur Verfahrensbeendigung, d. h. im Planverfahren bis zur Rechtskraft der Bestätigung eines Insolvenzplans. Nur mit Einschränkungen lässt sich die im gestaltenden Teil des (Sanierungs-)Insolvenzplans etwa vorgesehene Zeitdauer der Überwachung der Planerfüllung, die höchstens drei Jahre ab der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beträgt (§§ 260 Abs. 1, 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO), darunter subsumieren. Die Überwachung ist jedoch gerade bei der Sanierung von Konzernen in Eigenverwaltung als Teil des Plans nicht möglich, weil die Norm des § 261 InsO in den Fällen der Eigenverwaltung nicht anwendbar ist. Offen mag bleiben, ob eine Regelungslücke besteht, die zur analogen Anwendung der §§ 261, 274 f. InsO führt. Zudem stellt sich die Frage, ob der vorrangige Kreditrahmen in der Überwachungsphase wirklich realistisch ist, denn er reduziert zwar das Risiko für den Massekreditgeber, der seine Finanzierung in die Überwachungsphase hinein stehen lässt (§§ 264 f. InsO). Zugleich aber erschwert er die Finanzierung des als Folge des bestätigten Insolvenzplans neu startenden Unternehmens, das zugleich gesellschaftsrechtlich nicht mehr in der Liquidation ist, sondern seinen ursprünglichen oder einen angepassten Gesellschaftszweck am Markt verfolgt.53) Insbesondere gilt das für den Konzern, soweit er als komplexe Struktur fortbesteht. Die wirkliche wirtschaftliche Sanie___________ 51) S. dazu Madaus, ZIP 2012, 2133 ff.; aus der Praxis s. BKArtA, Beschl. v. 21.10.2003 – B 7 100/03, WuW/E DE-V 848-852; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2007 – VI-Kart 6/05, AG 2007, 551 ff., Bestätigung durch BGH, Beschl. v. 16.1.2008 – KVR 26/07, BGHZ 175, 333 ff.; keine Heranziehung der Kriterien der Sanierungsfusion bei Krankenhäusern. Auf europäischer Ebene (zur aktuellen EG-Fusionskontrollverordnung 139/2004 v. 20.1.2004, ABl. EU L 24 v. 29.1.2004, S. 1 ff. und der Vorgängerregelung) s. Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1410 ff. m. w. N. Im Ergebnis geht es insbesondere um die „failing company defence“-Doktrin, wonach – verkürzt – eine Wettbewerbsverschlechterung nicht eintritt, wenn die insolvente Gesellschaft und ihre Wettbewerbsaktivitäten ohnehin aus dem Markt als Folge der Insolvenz verschwinden werden. Dann ist die Fusion nicht kausal für die Wettbewerbsbeeinträchtigung; zur Ablehnung der Anwendung der Doktrin vgl. BKartA, Beschl. v. 21.5.2010 – B 9 – 29320 – Fa – 13/10, (Magna/Karmann), verfügbar über http://www.bundeskartellamt.de/. Zu einem Fall der Freigabe s. BKartA, Entsch. v. 23.7.2009 – B6 – 67/09 (Rhein-Neckar-Zeitung/Eberbacher Zeitung), www.bundeskartellamt.de. Aus dem Blick des europäischen Rechts s. Europäische Kommission, Entscheidung v. 10.5.2007 – COMP/M.4381 (JCI/FIAMM), ABl. EU C 241 v. 8.10.2009, S. 12 ff., zu den Kriterien der Sanierungsfusion s. dort Rz. 9. 52) So im Einklang mit Rspr. und Literatur in einer eigentümlichen Haftungsklage gegen einen Insolvenzverwalter (§ 60 InsO) mit mehreren Parallelfällen das LArbG Rostock, Urt. v. v. 4.1.2011 – 5 Sa 138/10 (u. a.), ZInsO 2011, 688 ff. = ZIP 2011, 1169,; zust. Raab. jurisPR-InsR 4/2011, Anm. 4. Das BAG hat auf die Revision des Beklagten hin die Klagen abgewiesen, BAG, Urteile v. 15.11.2012, 6 AZR 321/11, 6 AZR 322/11 und 6 AZR 356/11. Zum „führenden“ Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen s. 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638 ff. sowie Oberhofer, jurisPR-ArbR 18/2013, Anm. 3. 53) Rechtlich ist das ein gesellschaftsrechtliches sowie ein insolvenzrechtliches Thema, das im Insolvenzplan mit und ggf. ohne Gesellschafter gelöst werden kann (vgl. § 225a Abs. 3 InsO), ökonomisch eine Frage der Adaptierung des alles entscheidenden Geschäftsmodells. Das Ziel, am Markt zu bestehen, bedeutet nicht zwingend eine Bardividende für die Eigner, denn ansonsten wären im Allgemeininteresse tätige (gemeinnützige) Organisationen per se in der Insolvenz nicht fortführungs- und sanierungswürdig. Wohl aber ist in diesen Fällen für künftige Investitionen oder als Liquiditätsreserve ein thesaurierbarer Überschuss zu erzielen, der bspw. die steuerliche Gemeinnützigkeit nicht beeinträchtigt.

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§ 22

Teil III Einzelfragen

rungsphase des betroffenen Unternehmens bzw. (der verbliebenen Teile) des Konzerns beginnt erst nach der finanzwirtschaftlichen Sanierung und nach Rechtskraft des Insolvenzplans mit der leistungswirtschaftlichen Sanierung. Sie wird nicht selten Jahre benötigen, worauf jüngst Pluta zutreffend hinweist.54) 36 Die Betriebsfortführung bis zur Aufhebung bzw. Beendigung des Insolvenzverfahrens hat dem gegenüber eine Interimsaufgabe, der auch die Liquiditäts- und Erfolgsplanung zu entsprechen hat. Das ist bei einer Gesellschaft ohne Konzernbezug nicht anders als im Konzern, soweit dieser als Einheit fortbesteht. Während der Betriebsführung muss stets die notwendige Liquidität vorhanden sein, bspw. durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, die natürlich bei hohen Anteilen der Personalkosten an den Gesamtkosten deutlich größere Bedeutung hat als bei Unternehmen, die mit geringeren Personalzahlen oder -kosten auskommen. Die Erfolgsplanung muss Verluste möglichst rasch eindämmen bzw. baldmöglichst egalisieren.55) Ohne einen geeigneten „Ergebnis- und Finanzplan“ (§ 229 InsO), eine Plangewinn- und Verlustrechnung sowie eine Planbilanz und eine detaillierte Liquiditätsplanung bei sachgerechtem Planungszeitraum kann kein Insolvenzplan vorgelegt werden und diese Unterlagen erfordern wiederum eine belastbare Planung der Betriebsfortführung. 37 Bei einem konzerngebundenen Unternehmen, ob Mutter- oder Tochtergesellschaft, kommen die konzerninternen Auswirkungen hinzu, die positiv sein mögen, die aber auch geeignet sein können, die Fortführung und damit die Sanierung zu beeinträchtigen. Diese konzerninternen Faktoren der Betriebsfortführung sind zugleich der Ausdruck des Umstands, dass die Konzernleitung bzw. die Gesellschafter der herrschenden Gesellschaft ihre unternehmerischen Aktivitäten diversifiziert haben, insbesondere x

zur Risikominimierung,

x

zur Optimierung der Marktdurchdringung, aus steuerlichen oder arbeitsrechtlichen/ sozialversicherungsrechtlichen Gründen; dazu gehört bspw. die häufig anzutreffende Konstellation, dass die Tochtergesellschaft in einer Branche mit niedrigerem (tariflichem) Lohnsegment tätig ist, aber auch wenn man Unternehmenssegmente in sog. „Billiglohnländer“ verlagert (nicht selten erweist sich indes diese Maßnahme im Nachhinein als unternehmerische Fehlentscheidung).

x

im Hinblick auf Aktivitäten in einer fremden Rechtsordnung oder aus ähnlichen Gründen.

38 Parallel soll aber die Steuerung auf Konzernebene aufrechterhalten bleiben. Die Planung in der Fortführungsphase während des Insolvenzverfahrens dient der Gewährleistung der Stabilisierung der fortgeführten Gesellschaft und dient zugleich dazu, die Basis für den Insolvenzplan zu liefern. 2.2.2 Unternehmensverträge 39 Unternehmensverträge (§§ 291 ff. AktG), insbesondere in der Form des Beherrschungsund Ergebnisabführungsvertrages (EAV, § 291 AktG), sind in der Praxis der Konzernsteuerung von herausragender Bedeutung.56) Die liquiditäts- und bilanzwirksamen sowie die steuerrechtlichen Effekte sind in die Planung im Insolvenzeröffnungsverfahren bzw. ___________ 54) Pluta, ZInsO 2013, 1404 f., 1405. 55) Ansonsten bleibt nur der schnelle Verkauf der Aktivitäten; die Fortführungsstrategie des Verwalters wird sich an diesen beiden Polen orientieren, denn kein Gläubiger, Insolvenzverwalter oder Sachwalter wird auf längere Sicht eine masseverzehrende Verlustfinanzierung hinnehmen können. 56) Der Organschaftsvertrag als atypische Kreditsicherheit: Assies/Beule/Heise/Strube-Steinwachs, Hdb. FA Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 1349 ff.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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im (eröffneten) Insolvenzverfahren aufzunehmen, jeweils abhängig von dem Schicksal des Vertrages in der Insolvenz. Auf der Ebene der beherrschten Gesellschaft ist der positive Effekt, dass einem Verlust der Gesellschaft ein gleich hoher Anspruch auf Verlustausgleich gegenübersteht. Der Anspruch entsteht jeweils mit dem Beginn des Geschäftsjahres (regelmäßig das Kalenderjahr), bezogen auf den Jahresüberschuss bzw. den Jahresfehlbetrag des abgelaufenen Jahres. Ab diesem Zeitpunkt ist der Anspruch auch zu verzinsen.57) Ggf. mögen Abschlagszahlungen in Frage kommen. Entscheidend für den maßgeblichen Betrag ist jeweils der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses. Im Konzern sind die hierfür vorgeschriebenen Fristen zu beachten, damit bei der herrschenden Gesellschaft im Einzelabschluss der EAV abgebildet werden kann. Der Ergebnisabführungsvertrag verhindert im Allgemeinen die Zahlungsunfähigkeit dann, 40 wenn der Anspruch gegen die herrschende Gesellschaft (zusammen mit der anderweitigen Liquidität) ausreicht, die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen, soweit nicht bis zur Leistung des Verlustausgleichs aus anderen Gründen Zahlungsunfähigkeit eintritt. Da ein Verlust begrifflich während der Laufzeit des EAV ausscheidet, kann auch keine Überschuldung eintreten, die Insolvenz wird zuverlässig vermieden.58) Eine Ausnahme besteht dann, wenn die herrschende Gesellschaft in die Insolvenz gerät 41 und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs ökonomisch, ggf. auch rechtlich, zweifelhaft wird59) oder wenn evident ist, dass eine Zahlung nur als Insolvenzquote erfolgen wird. Dann muss die beherrschte Gesellschaft die Forderung gegen die Mutter jedenfalls wertberichtigen, wenn nicht gar sofort vollständig abschreiben. Ihr fehlt die Liquidität, ferner wandelt sich der die Überschuldung vermeidende Vermögenswert der Forderung gegen die herrschende Gesellschaft rechnerisch in einen Verlust i. H. der Wertberichtigung, so dass buchmäßige Überschuldung eintreten kann. Dann bedarf es einer spezifisch auf die beherrschte Gesellschaft zugeschnittenen positiven Fortbestehensprognose, um die insolvenzrechtlich relevante Überschuldung zu beseitigen (siehe unter Rz. 30). Ansonsten wird die beherrschte Gesellschaft ebenfalls Insolvenzantrag stellen müssen. Die andere Seite der Verlustübernahme, die Gewinnabführung, hat nämlich die Selbstfinanzierungskraft der Tochtergesellschaft durch Unterlassen der Thesaurierung von (anteiligen) Gewinnen geschwächt. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, welchen Effekt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den EAV hat. Nach der Rechtsprechung des BGH zur KO sowie Literaturstimmen endet der EAV mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens.60) Dem widersprechen andere Meinungen.61) Vor dem Hintergrund des ESUG und der zunehmenden Strukturierung der Konzerninsolvenzverfahren kann man sich natürlich fragen, ob nicht ___________ 57) BGH, Urt. v. 11.10.1999 – II ZR 120/98, BGHZ 142, 382 ff., 385 f. = ZIP 1999, 1965; Cranshaw, jurisPRHaGesR 1/2012, Anm. 4, zu OLG München, Beschl. v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, ZIP 2011, 1912. 58) Aus diesem Grunde wird der EAV von den Finanzgläubigern nicht selten als atypische Kreditsicherheit verstanden; die Wirkung des EAV (§ 302 AktG) und die lange Verjährungsfrist des Anspruchs (§ 302 Abs. 4 AktG), aber auch die Gläubigerschutzvorschrift des § 303 AktG sind die Grundlage dafür. Ausführlich hierzu: Assies/Beule/Heise/Strube-Steinwachs, Hdb. FA Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 1349 ff. 59) Zahlt die herrschende Gesellschaft nach Antragstellung den noch offenen Verlustausgleichsbetrag an die Tochter, so ist diese Leistung als kongruent (§ 130 InsO) anfechtbar. Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der herrschenden Gesellschaft handelt es sich um eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO). 60) BGH, Urt. v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1 ff., 6 = ZIP 1988, 229, so auch Bork/SchäferWeller, GmbHG, Anh. § 13 Rz. 37 m. w. N. 61) Vgl. etwa Trendelenburg, NJW 2002, 647 ff., 649 f. Die Autorin empfiehlt u. a., in die Unternehmensverträge die Insolvenz als wichtigen Grund zur Kündigung gemäß § 297 AktG aufzunehmen. Ob dieser sachgerechten Lösung die Anwendbarkeit des § 103 InsO entgegensteht (s. zur Anwendung des § 103 InsO auf Unternehmensverträge Marotzke in: HK-InsO, § 115 Rz. 9) und damit ggf. die jüngste Judikatur des BGH zu § 119 InsO (Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 109/11, ZIP 2013, 274 = ZInsO 2013, 292), muss hier offen bleiben.

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Teil III Einzelfragen

das Recht zur fristlosen Kündigung wie Trendelenburg62) schon 2002 erwogen hat, die heute zutreffende Alternative ist. 42 Das Bestehen eines Unternehmensvertrages ist Voraussetzung der steuerlichen Organschaft (körperschaftssteuerliche, gewerbesteuerliche umsatzsteuerliche Organschaft, siehe unter Rz. 59 ff.). 2.2.3 Weitere Verträge zwischen den Konzerngesellschaften 43 Zu den Planungsgrundlagen gehört zwingend auch die Berücksichtigung der diversen weiteren (vertraglichen) Lieferungs- und Leistungsbeziehungen der Konzerngesellschaften untereinander und zur Konzernobergesellschaft. Diese Thematik, die aufgrund ihres Umfang und ihrer Vielfalt i. R. des vorliegenden Beitrags ebenfalls nur angedeutet werden kann, enthält eine Fülle verschiedener Facetten, die von „intercompany loans“ über Lieferungsbeziehungen innerhalb der Konzerngesellschaften bis hin zu der Frage von „Konzernumlagen“ reicht. Das insolvenzrechtliche Schicksal dieser Vertragsbeziehungen ist von erheblicher Bedeutung dafür, ob bei der einzelnen Gesellschaft ein Insolvenzverfahren ausgelöst wird, wie sich die Befriedigung oder der Ausfall der betroffenen Forderungen auf die Fortführung auswirkt und ob bzw. inwieweit von einer Konzerngesellschaft bezogene Leistungen weiterhin notwendig sind bzw. ob sie, bejaht man das, am Markt für die insolvente Gesellschaft bezahlbar erhältlich sind. 2.3

Anpassung von Leistungsbeziehungen unter Konzerngesellschaften in der Insolvenz?

44 Die in der Insolvenz evtl. notwendige Änderung der Grundlagen der konzerninternen Beziehungen kann sich ergeben als Folge des Wegfalls der vertraglichen Basis in der Insolvenz (z. B. nach den §§ 115 f. InsO), als Konsequenz des § 103 InsO, auf dem Wege der Anfechtung63) oder ähnlicher rechtlicher Erwägungen, denen aber stets eine ökonomische Überlegung zugrunde liegt, nämlich die Frage des Vorteils für die jeweilige Insolvenzmasse (siehe auch im Folgenden unter Rz. 48 ff.). 2.3.1 Intercompany Loans 45 „Intercompany loans“ sind gruppeninterne Finanzierungen, zum einen in Gestalt von evtl. auch nur kurzfristigen Gesellschafterdarlehen (nicht notwendig der Konzernmutter, wenn diese nicht Gesellschafter ist), insbesondere auch in Form von Betriebsmittelfinanzierungen für die Konzerngesellschaften. Dazu gehören auch Finanzierungen durch andere Konzerngesellschaften wie über eine Finanzierungsholding. In der Insolvenz steht diese Liquidität z. B. infolge etwaiger Kündigung aus wichtigem Grund oder als Folge des § 41 InsO ggf. nicht mehr zur Verfügung. Im eröffneten Verfahren sind diese Verbindlichkeiten für die Schuldnergesellschaft im Allgemeinen als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO oder als nachrangige Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unter den dortigen Voraussetzungen nicht liquiditätsrelevant und damit zwar für die Akzeptanz des Insolvenzplans von Bedeutung, aber nicht für die Betriebsfortführung. Umgekehrt fehlt dort die Liquidität, sollte der Rahmen der „intercompany loans“ im Einzelfall einmal nicht ausgeschöpft sein.

___________ 62) Trendelenburg, NJW 2002, 647 ff. 63) Zu der Thematik der Anfechtung im Konzern s. Wenner/Schuster, ZIP 2008, 1512 ff.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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2.3.2 Sonstige Lieferungs- und Leistungsbeziehungen Konzerninterne Lieferungen und Leistungen haben wie die unter Rz. 48 ff.) nachfolgend 46 umrissenen „Konzernumlagen“ drei Problemfelder, nämlich x

zivilrechtliche

x

insolvenzrechtliche und

x

steuerrechtliche Themen.

Zivilrechtlich sind jeweils wirksame Vereinbarungen erforderlich, die ungekündigt sind, 47 da sie ansonsten in der Insolvenz nicht genutzt werden können. Im Insolvenzverfahren lassen sich maßgebliche Themen durch die Stichworte bzw. Fragen umreißen x

insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit, Verwalterwahlrecht nach § 103 InsO oder Fortbestand über die Verfahrenseröffnung hinaus; Kündigungssperre gemäß § 112 InsO (bei Konzernleasing) usf.

x

Fortbestehen oder Beendigung einer steuerlichen Organschaft.

2.3.3 Konzernverflechtung und „Konzernumlagen“64) „Konzernverflechtung“ und Konzernumlagen im hier verwendeten Sinne haben ihre Ur- 48 sache u. a. im Bestreben der Konzernleitung, aus Kosten- und Steuerungsgründen für alle Konzerngesellschaften (evtl. länderübergreifende) einheitliche zentrale Stellen zu schaffen, die bestimmte Funktionen für den gesamten Konzern ausführen, deren Leistungen jeweils den anderen Konzerngesellschaften in Rechnung gestellt werden. Dazu gehört die als schon „klassisch“ zu bezeichnende Konzentration bestimmter Orga- 49 nisationseinheiten auf der Ebene der Konzernmutter, wie etwa x

Personalwesen mit seinen diversen Ausprägungen, beginnend mit der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung bis hin zur Personalbeschaffung einschließlich des Segments der Leiharbeitnehmer,

x

Steuerabteilung,

x

Rechnungswesen,

x

Controlling,

x

Rechtsabteilung,

x

Revision,

x

Compliance,

x

Konzernsteuerung,

x

Beteiligungsmanagement,

x

Real estate management innerhalb des Konzerns, beginnend mit der einfachsten Stufe des facility management bis zu komplexen Stufen der Beschaffung der Immobilien und deren konzernweiter Verwaltung und Vermarktung,

x

Konzernkommunikation,

x

Geschäftsleitungs-/Vorstandssekretariat,

x

zentrale Steuerung und Verwaltung des geistigen Eigentums in der Unternehmensgruppe (gewerbliche Schutzrechte, urheberrechtliche Nutzungsrechte, Leistungsschutzrechte nach dem UrhG, entsprechende Rechte nach ausländischem Recht).

___________ 64) Vgl. den Überblick bei Bernegger/Rosar/Rosenberger-Rosenberger, Hdb. Verrechnungspreise, S. 353 ff.

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Teil III Einzelfragen

50 Eine neuere Entwicklung ist die Konzentration des (ggf. weltweiten) Vertriebs und der Vertriebssteuerung auf die Konzernzentrale.65) Darin inbegriffen wird die Markensteuerung der verschiedenen Konzernmarken sein mit der Fragestellung, auf welchen (ausländischen) Märkten man das Produkt oder die Leistung mit der Marke der Konzerngesellschaft A verkaufe, auf welchem Markt die Leistung mit der Marke der Konzerngesellschaft B usf. Diese Vorgehensweise bedeutet zugleich einen Eingriff des Gesellschafters in die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Konzerngesellschaft als juristische Person. 51 Die Steuerungsmöglichkeiten reichen weit über die vorstehend umrissenen Zwecke hinaus, u. a. können Verrechnungspreise und Konzernumlagen der Ergebnisverlagerung der Ergebnisse von Betriebsstätten bzw. Konzerngesellschaften dienen, auch in andere Staaten (EU, EWR, Drittstaaten).66) In der Praxis sind Vereinbarungen über immaterielle Rechtsgüter (Patente, Marken, Urheberrechtslizenzen usw.) besonders neuralgisch.67) Für die Betriebsfortführung spielen sie im Hinblick auf die Frage der Insolvenzfestigkeit der Leistungsbeziehungen sowie der Liquidität eine bedeutende Rolle. 52 Die insbesondere steuerliche Behandlung der Konzernumlagen (verdeckte Gewinnausschüttung, verdeckte Einlage usw.) spielt gerade in der „cross border“-Fortführung eine bedeutende Rolle. OECD (seit vielen Jahren)68) und EU (2012) befassen sich mit dieser Thematik, die auch handels- und gesellschaftsrechtliche Bezüge hat.69) In der zitierten Kommissionsmitteilung COM (2012) 516 final sind Empfehlungen enthalten, wie Verrechnungspreise grenzüberschreitend steuerrechtlich von den Mitgliedstaaten zu handhaben sind. 53 Diese Funktionen lassen sich je nach Zielsetzung bei der Konzernmuttergesellschaft bündeln, aber auch bei Tochtergesellschaften mit spezifischen Dienstleistungsfunktionen. Daher sind diese Organisationsstrukturen von Fall zu Fall völlig unterschiedlich.70) In den einzelnen abhängigen Gesellschaften können Mitarbeiter der entsprechenden Organisationseinheit implementiert werden, die die vorerwähnten Funktionen in der „lokalen“ Konzerngesellschaft ausüben, aber der Konzernobergesellschaft oder einer anderen Einheit zugeordnet sind. Bei der Gesellschaft, die diese zentralisierten Funktionen ausübt, entstehen Kosten, die insbesondere auch steuerlich unter verschiedenen Aspekten von ___________ 65) S. Kieninger/Lips, FAZ v. 22.7.2013, S. 18. 66) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501 ff., 886 f. Zielsetzung ist die Nutzung der steuerrechtlichen Divergenzen der verschiedenen steuerrechtlichen Sitzstaaten der Konzerngesellschaften (das „Steuergefälle“, Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 505). Vgl. dazu auch Tipke/Lang-Seer, Steuerrecht, § 1 Rz. 89 m. w. N.; Tipke/Lang-Hey, Steuerrecht, § 11 Rz. 85 m. w. N.; s. insbesondere zur „Verrechnungspreisprüfung“ bei Tipke/Lang-Seer, Steuerrecht, § 21 Rz. 175, 209 m. w. N. Die nach § 90 Abs. 3 AO erforderliche Dokumentation bleibt vom Insolvenzverfahren unberührt. Im internationalen Verkehr gilt das ähnlich, s. Tipke/Lang-Seer, Steuerrecht, § 21 Rz. 261 m. w. N. Die Problematik der Steuerverlagerung wird jüngst insbesondere für die global players unter den IT-Konzernen auf der Ebene der OECD und der G 20 diskutiert, die OECD hat einen Aktionsplan vorgestellt, s. OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shiftung, OECD Publishing, verfügbar über http://dx.oi.org/10.1787/9789264202719-en (Abrufdatum: 23.7.2013). Das Beispiel zeigt, dass die Betriebsfortführung eingehend auf die steuerlichen Rahmenbedingungen zu achten hat und sich vorschnelle Schritte verbieten. 67) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 886 f. 68) S. OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 2011. 69) S. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Tätigkeit des EU-Verrechnungspreisforums, Dokument COM (2012) 516 final v. 19.9.2012, verfügbar über http://ec.europa.eu., (Abrufdatum: 23.7.2013; die Mitteilung wurde vom Rat am 4.12.2012 angenommen. S. insgesamt Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501 ff. 70) Daher sieht Bernegger/Rosar/Rosenberger-Rosenberger, Hdb. Verrechnungspreise, S. 361, völlig zu Recht die Erstellung eines ständig zu aktualisierenden Konzernorganigramms als eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Analyse und die Einführung von Konzernumlagen vor. Man wird weitergehend feststellen dürfen, dass es sich dabei um ein Instrument handelt, das wie der dortige „BenefitTest“ (S. 363) für die Konzerngesellschaft ein unverzichtbares Element auch der Betriebsfortführung in der Insolvenz auf allen Ebenen des Konzerns ist. S. das Beispiel bei Fritze, DZWIR 2007, 89 ff., 90.

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hoher Bedeutung sind, gerade auch bei grenzüberschreitender Organisation. Schon aus diesem Grunde, aber auch aufgrund grundsätzlicher betriebswirtschaftlicher Erwägungen, bedarf es einer Kostenverteilung auf die Leistungsbezieher, d. h. die einzelnen Konzerngesellschaften. Keine Frage ist, dass die auf einzelne Gesellschaften bezogene Leistungsabrechnung aufgrund eines spezifischen Vertrages, der bei allen Konzerngesellschaften in der Struktur praktisch deckungsgleich sein wird, zu präferieren ist. Aus betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Gründen (gerade auch des ausländischen Steuerrechts bei international vernetzten Unternehmensgruppen) ist es richtig, dass Vereinbarungen zu Bedingungen wie mit fremden Dritten71) geschlossen und die Transaktionen jeweils einzeln abgerechnet werden.72) Dasselbe gilt umso mehr für Lieferungs- und Abnahmeverträge, wenn die Muttergesellschaft z. B. nicht nur den Vertrieb der Tochter organisatorisch darstellt, sondern vielmehr die Produkte sämtlich aufkauft und weiterverkauft. Bei Vergütungen, die auf der Betrachtung der Leistungsbeziehungen innerhalb des gesamten Konzerns aufbauen, kommt es auf den Verteilungsmaßstab und die Verteilungskriterien an; grenzüberschreitend, so Schreiber zutreffend, scheitere diese sog. „indirekte“ Methode an der fehlenden Steuerharmonisierung.73) 2.3.4 Weitergehende Problemfelder der Konzernverflechtung ? Die Bündelung von Funktionen und Steuerungsmechanismen in der Unternehmensgruppe 54 kann in der Insolvenz – ggf. insbesondere bei Eigenverwaltungsstrukturen – mit der aus Sicht der Konzernspitze grundsätzlich gewünschten Aufrechterhaltung der Beherrschung der Konzerngesellschaften – an anderer Stelle der europaweit/international tätigen Firmengruppe zu Problemen führen. Nur stellvertretend für eine Fülle denkbarer und jeweils länderspezifischer Themenfelder 55 darf paradigmatisch auf die Kosten des meist unvermeidbaren Abbaus von Arbeitsplätzen hingewiesen werden. In Frankreich vertritt bspw. die Cour de Cassation seit ihrer sog. Jungheinrich-Judikatur die Auffassung, dass die Konzernmutter (oder die sonst herrschende Zwischenholding), auch wenn sie überhaupt nicht mit dem jeweiligen Arbeitnehmer in einem Arbeitsvertragsverhältnis steht, „Mitarbeitgeber“ („Coemployeur“) sein kann mit der Folge der Haftung für hohe Abfindungen, Schadenersatz wegen unwirksamer Kündigungen

___________ 71) Nach der aus dem angelsächsischen Rechts- und Wirtschaftskreis stammenden griffigen Formel „at arm’s length“; in deutscher Terminologie muss die gewählte Vertragsstruktur und Preisfestsetzung einem „Fremdvergleich“ standhalten. Diese Situation ist erreicht, wenn der ordentliche Kaufmann oder Geschäftsführer bzw. Vorstand die „verkehrsübliche Sorgfalt“ angewandt hat, um den Preis zu ermitteln, Eingehend hierzu und zur Ermittlung der Verrechnungspreise Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 507 ff. 72) S. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 501, der hier von der „direkten“ Methode spricht. 73) Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 503 f.

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und andere arbeitsrechtliche Ansprüche gemeinsam mit der insolventen Tochter.74) Anknüpfungspunkt sind dort verschiedene Kriterien der Konzernverflechtung, u. a. im Strategie- und Personalbereich mit maßgeblicher Einflussnahme der Konzernobergesellschaft, die praktisch Alleingesellschafterin war. Das Beispiel zeigt, dass jede einzelne Konzernbeziehung mit ihren Eigentümlichkeiten in den Blick genommen werden muss, um die Risikopotentiale einzelner Entscheidungen in der jeweiligen Rechtsordnung zu erkennen und steuern zu können. Das ist kostenaufwendig und ohne aus dem Blick der Konzernobergesellschaft kundige Fachleute (Anwälte, Steuerberater, Ingenieure usf.) nicht zu bewältigen.75) 56 In „Jungheinrich“ und „Metaleurop“ hatten die Arbeitnehmer nach der Cour de Cassation Ansprüche gegen die Obergesellschaft, die nach dem vom Arbeitsrechtsstatut abweichenden Insolvenzstatut, also nach inländischem Recht in einem deutschen Verfahren, Masseverbindlichkeiten, aber auch Insolvenzforderungen sein können. Wird im eröffneten Verfahren gekündigt, handelt es sich um Masseverbindlichkeiten mit all den damit verbundenen Folgen. Die §§ 120 ff. InsO sind in einem inländischen Verfahren auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer mit ausländischem Arbeitsvertragsstatut nicht anwendbar, da es sich dabei funktional um arbeitsrechtliche und nicht um insolvenzrechtliche Normen handelt.76) 57 Die hier nur aleatorisch herausgegriffenen Fälle auf einem wichtigen Feld der Betriebsfortführung sind genau genommen Phänomene der Durchbrechung der Schranken, die durch die Trennung der verschiedenen juristischen Personen im Konzern errichtet werden und die in dergleichen Fällen als Folge enger Konzernverflechtungen partiell nicht mehr aufrechterhalten werden. Welche rechtliche Konstruktion im Einzelnen verwendet wird, um dieses Ergebnis zu erzielen, ist in jeder beteiligten Rechtsordnung unterschiedlich. In der zitierten Rechtsprechung der französischen Cour de Cassation ist es dort im Arbeitsrecht die Rechtsfigur des „Coemployeur“ („qualité d’employeurs conjoints“, Urteil „Metaleurop“). In den USA mag es u. a. der Aspekt die „substantive consolidation“ (siehe Rz. 92 ff.) sein, in Deutschland die Durchgriffshaftung oder die Existenzvernichtungshaftung, mit jeweils anderen Folgen, anderen rechtlichen Anwendungsbereichen und Voraussetzungen. Abstrakt betrachtet ist nur ein Merkmal immer identisch, die enge Verflochten___________ 74) Cour de Cassation, chambre sociale, Arrêt no 199, No 09-69.199, 18.1.2011 (Jungheinrich), veröffentlicht im Bulletin im Januar 2011, verfügbar über www.courdecassation.fr/publications_cour_26/ bulletin_travail_2011-3979 (Abrufdatum: 22.7.2013). Trifft das Verdikt der „Mitarbeitgeberschaft“ nicht nur eine ausländische Holdingtochter der Konzernobergesellschaft, sondern unmittelbar die inländische insolvente Muttergesellschaft, so kann diese bzw. deren Verwalter in Frankreich verklagt werden. Das Urteil ist im Inland vollstreckbar, denn das hier vorliegende arbeitsrechtliche Verfahren aus dem Blick des anwendbaren französischen Recht (das heute aus Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO resultiert) ist unter die EuGVVO zu subsumieren. Es handelt sich auch nicht um eine Streitsache, die unter Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO fiele, da es an dem unmittelbaren und engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren nach der Gourdain/Nadler- bzw. Seagon/Deko Marty-Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C339/07 (Deko Marty), Slg. 2009 I-767 ff. = ZIP 2009, 427) fehlt. Bestätigt bzw. erweitert wurde die Jungheinrich-Judikatur vom Kassationsgerichtshof in dem Urteil Metaleurop bzw. Metaleurop Nord/ Recyclex v. 12.9.2012, No de pourvois 11-12343 u. a., verfügbar über www.legifrance.gouv.fr/… (Abrufdatum: 22.7.2013). Maßgeblich ist, dass eine Vermischung der Interessen, der Geschäftstätigkeit und der Geschäftsleitung vorliegt, insbesondere aber auch die Personalsteuerung der Tochtergesellschaft bei der Konzernspitze liegt („… une confusion d’intérêt, d’activités et de direction“, passim; s. im Einzelnen zum Sachverhalt in „premier moyen de cassation“ der Entscheidung). S. aus der jüngsten Judikatur des Cour de Cassation in diesem Umfeld die Entscheidungen „ELLAT Métallurgie“ v. 16.5.2013 – No de pourvoi 11-25711, verfügbar über www.legifrance.de sowie „Infor France et Infor global solutions Inc.“ v. 29.5.2013 – Node pourvoi 12-13943, verfügbar über www.legifrance.gouv.fr/… (Abrufdatum: 23.7.2013). 75) Der Insolvenzverwalter der Konzernmutter darf und muss sogar solche Leistungen outsourcen (insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr), s. zum Outsourcing Cranshaw/Portisch, ForderungsPraktiker 2012, 275 ff. 76) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 ff. = ZInsO 2012, 2386 ff.

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heit im Konzern, die die Tochtergesellschaft (oder Mehrheitsbeteiligung der Konzernmutter) faktisch weitgehend jeder Selbstständigkeit entkleidet.77) Damit ist das Risiko des „Rückschlags“ der Problematik in der Krise verbunden, so dass dergleichen Phänomene bei der Fortführungsplanung zu bedenken sind, um eine Haftung der Konzernobergesellschaft daraus möglichst zu vermeiden. 2.4

Steuerrechtliche Implikationen

Die Betriebsfortführung im Konzern wird maßgeblich auch von den steuerrechtlichen 58 Gegebenheiten in der jeweiligen Rechtsordnung bestimmt, in der die von der Insolvenz betroffenen Gesellschaften steuerrechtlich beheimatet sind. Dabei wirkt sich immerhin aus dem Blick des Sanierers positiv aus, dass der steuerliche Wegzug eines Unternehmens unter Aufgabe von Betriebsstätten in einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen keiner gesonderten Wegzugsteuer unterworfen werden darf, die anders strukturiert ist als etwaige Steuern bei Betriebsstättenverlagerungen oder Betriebsaufgaben im internen Markt des Mitgliedstaates.78) Dennoch wird man bei Verlagerungen in der Krise mit dem Ziel eines Insolvenzverfahrens in anderer Rechtsordnung vorsichtig sein müssen, zumal wenn die lex fori concursus Insolvenzvorrechte für Forderungen des Fiskus oder der Sozialversicherungsträger kennt, da dadurch die Masse nicht nur belastet wird mit vorrangigen Insolvenzforderungen, sondern ggf. auch mit steuerlich bedingten Masseverbindlichkeiten (siehe § 55 Abs. 4 InsO). Überdies werden durch solche Vorrechte bei „cross border“Aktivitäten nicht nur inländische öffentliche Gläubiger bevorrechtigt, sondern es werden auch bevorrechtigte Forderungen „importiert“ (Art. 39 EuInsVO für die Insolvenzforderungen; § 55 InsO i. V. m. dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot für die Masseverbindlichkeiten). Eine besondere Rolle spielt das Bestehen oder die Beendigung einer steuerlichen Or- 59 ganschaft zwischen der Konzernobergesellschaft als Organträger und Konzerngesellschaften als Organgesellschaft, die sich auf Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer79) und Umsatzsteuer80) erstrecken kann. Es erfolgt eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger. Findet ein „Regelinsolvenzverfahren“ statt, wird also ein Insolvenzverwalter oder ein vor- 60 läufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bei der Organgesellschaft bestellt, endet die steuerliche Organschaft nach der Rechtsprechung des BFH mit der Konsequenz etwa negativer steuerlicher Folgen.81) Die zitierte Entscheidung des BFH zu V R 53/09 macht es schwieriger, das Ende der steuerlichen Organschaft zu beurteilen. Wird das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für alle Konzerngesellschaften geführt, idealiter aus Unternehmenssicht in Form des Verfahrens gemäß § 270b InsO, stellt sich die ___________ 77) Die Eingliederung in den Konzern kann so weit gehen und damit auch dokumentiert sein, als die Tochtergesellschaft im Organigramm der Mutter wie ein Geschäftsbereich mit fortlaufender Organisationskennziffer eingegliedert ist. Nicht selten besteht Personenidentität von Geschäftsführern/Vorständen der Tochter und Führungskräften der Mutter auf verwandten Organisationseinheiten. 78) EuGH, Urt. v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 (Kommission/Portugal), ZIP 2012, 1801 ff., dazu Cranshaw, jurisPR-InsR 21/2012, Anm. 4. 79) Zur körperschaftsteuerlichen bzw. gewerbesteuerlichen Organschaft s. den Überblick bei Tipke/LangMontag, Steuerrecht, § 14 Rz. 2–19 zur körperschaftsteuerlichen Organschaft, Rz. 20 – 27 zur gewerbesteuerlichen Organschaft bzw. Rz. 28 ff. zur „Fortentwicklung“. Zur Organschaft s. a. Schreiber, Besteuerung der Unternehmen, S. 286–295. 80) Zur umsatzsteuerlichen Organschaft s. Tipke/Lang-Englisch, Steuerrecht, § 17 Rz. 61 – 65. 81) S. BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 ff. = ZIP 2011, 2421 ff.; dazu Eversloh, jurisPRSteuerR 9/2012, Anm. 5. Der Senat weist in Rz. 25 des Urteils auf die 2010 Änderung seiner Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung hin.

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Frage, ob nicht die Beherrschung des insolventen Unternehmens auf diese Weise gesichert ist und damit die Organschaft fortbesteht. Die Vor- und Nachteile für jedes der Einzelverfahren sind jeweils abzuwägen. Insbesondere spielt diese Problematik bei der Umsatzbesteuerung eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Thematik beeinflusst ebenfalls die Betriebsfortführung. Die Verfügung der OFD Frankfurt a. M. vom 11.3.201382) „Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft – insbesondere in Fällen der Insolvenz“, befasst sich mit der Eigenverwaltung nicht. Die Insolvenz des Organträgers berührt danach das Fortbestehen der Organschaft im Allgemeinen nicht. Bei der Organgesellschaft soll die Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Verwalters und die Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse gleichfalls unschädlich sein, die Insolvenzeröffnung mit Insolvenzverwalter aber die Organschaft beenden. Angesichts der bei der Eigenverwaltung auf die Insolvenzabwicklung verpflichteten Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und unter Berücksichtigung der Entmachtung der Gesellschafter und Aufsichtsorgane (vgl. § 276a InsO) ist mindestens offen, ob die Organschaft aufrecht erhalten bleibt oder mit Verfahrenseröffnung endet. Hier bedarf es einer Ergänzung der zitierten Verfügung. 2.5

Kooperation der Insolvenzverwalter der Konzerngesellschaften

2.5.1 Kooperation der Verwalter de lege lata und de lege ferenda der novellierten EuInsVO83) 61 Mangels eines materiell einheitlichen Insolvenzverfahrens über alle Konzerngesellschaften (siehe zu einem materiellen Konzept unter Rz. 92 ff.) hinweg kann die übergreifende Strukturierung der Insolvenz der Unternehmensgruppe nur i. R. einer Kooperation der beteiligten Insolvenzverwalter gelingen, die miteinander ihre Vorgehensweise koordinieren, wie das nunmehr in den Art. 42a und 42d EuInsVO-E vorgesehen ist (siehe oben unter Rz. 19 ff.). Dies betrifft nicht nur den Insolvenzplan oder eine Restrukturierung ohne Plan, sondern auch die etwaige Liquidation des Konzern, der einen oder anderen Gesellschaft oder des einen oder anderen Betriebs oder Betriebsteils. 62 Diese Koordination bei der übergreifenden Betrachtung der Abwicklung der Einzelinsolvenz strahlt in gleicher Weise auf die Betriebsfortführung ab, ist diese doch nichts anderes als ein – wenn auch entscheidender Teil – des Gesamtkonzepts, denn ohne Fortführung im sinnvollen Umfang84) scheidet ein Sanierungsinsolvenzplan für den insolventen Unternehmensträger aus. Dabei bedarf es eines Insolvenzverwalters, der die Organisation bzw. „Führung“ der Koordinierung übernimmt, dem Projektleiter eines gemeinsamen Projektes der beteiligten Gesellschaften vergleichbar. 63 Das Problem liegt naturgemäß darin, dass der jeweilige Insolvenzverwalter allein dem Interesse seiner Gläubiger verpflichtet ist, d. h. er kann sich nur austauschen, soweit er Vertraulichkeitsgebote nach Interessenabwägung bzw. entsprechenden Verpflichtungen anderer Beteiligter nicht beachten muss und soweit er die Interessen seiner Gläubiger gewahrt sieht. Die etwaige Beeinträchtigung seiner Masse durch Maßnahmen müssen durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen werden. Besonders neuralgisch sind dabei die Insolvenzanfechtung und die Frage der Erfüllungswahl gemäß § 103 InsO bei gruppeninternen Verträgen. Im Eröffnungsverfahren kann im Interesse des Erhalts von notwendigen Lieferungen ___________ 82) OFD Frankfurt a. M., Verfügung v. 11.3.2013 – S 7105 A – 21 – St 110, ZInsO 2013, 1243 ff. 83) Zum Konzerninsolvenzverwalter s. aus der neueren Literatur Graeber, NZI 2007, 265 ff. 84) Dabei ist bis zur Entscheidung der Gläubiger im Berichtstermin ein Dilemma zu meistern, welches darin besteht, dass der vorläufige Verwalter im Eröffnungsverfahren oder der Verwalter nach Verfahrenseröffnung zwar zum einen das Interesse der Gläubiger an autonomer Entscheidung über die Fortführung zu wahren haben, andererseits aber Zweifel darüber bestehen mögen, ob die Fortführung – und in welcher Gestalt – unklar sein mag.

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und Dienstleistungen das Anfechtungsproblem nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH durch gemeinsam zwischen den beteiligten Verwaltern geschaffene Vertrauenstatbestände gelöst werden.85) Die Art 42a ff. EuInsVO-E zeigen gleichzeitig die Grenzen einer solchen Koordination 64 sehr plastisch auf, wenn es dort heißt, die Kooperation, die auch die Koordination durch Vereinbarungen und „Protokolle“ über das weitere Procedere einschließt, erfolge u. a. in dem Umfang, als sie „… is not incompatible with the rules applicable to such proceedings and does not entail any conflict of interests“ (Art. 42a Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EuInsVO-E). Diese Regelung entspricht dem Stand von Praxis und Wissenschaft, denn sie wahrt die Eigeninteressen der Gläubiger des Einzelverfahrens. Sie steht ferner im Einklang mit Art. 4 EuInsVO, denn die Regeln, die für derartige Verfahren i. S. des Art. 42a Abs. 1 EuInsVO-E herangezogen werden müssen, sind diejenigen der jeweiligen lex fori concursus. Das im Werden befindliche europäische Recht orientiert sich damit einerseits an der sich herauskristallisierenden Praxis in Mitgliedstaaten, andererseits belässt es diesen die Wahl des materiellen Rechts. Die u. a. haftungsrelevante Problematik, ob sich die Beteiligten innerhalb der Grenzen bewegt haben, die die Einzelinsolvenz nach nationalem Recht von ihnen fordert, unterstreicht das Postulat, dass der den Betrieb fortführende Verwalter und die anderen Beteiligten jedenfalls unter den die Haftung reduzierenden Schutz der „Business Judgment Rule“ zu stellen sind.86) 2.5.2 Strukturelemente des vom BMJ bzw. der Bundesregierung vorgeschlagenen Konzerninsolvenzrechts Diesem Konzept der Kooperation und Koordination der EuInsVO-Novelle entspricht 65 auch der Diskussionsentwurf des BMJ eines „Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ vom 3.1.2013 bzw. der weiterentwickelte Entwurf der Bundesregierung vom 28.8.2013 (im Folgenden „InsO-DiskE 2013“ bzw. RegE).87) Hierzu mögen im vorliegenden Rahmen einige wenige Hinweise hinreichen. Zum einen plant man als Basis einer formellen Koordination der diversen Einzelinsolvenzverfahren einen einheitlichen „Gruppengerichtsstand“ nach den §§ 3a, 3b InsO-DiskE 2013 (= §§ 3a–3e InsORegE 2013). Dabei wird in § 3a Abs. 4 (= § 3e desRegE) für insolvenzrechtliche Zwecke der Begriff der Unternehmensgruppe definiert als „rechtlich selbständige Unternehmen“ mit Interessenmittelpunkt im Inland, die „unmittelbar oder mittelbar“ miteinander verbunden sind und zwar durch die „Möglichkeit der Ausübung eines herrschenden Einflusses“ oder „eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung“.88) Die Generalklausel in § 3a Abs. 4 InsO-DiskE 2013 (= § 3e RegE) erscheint gelungener, 66 zumal auch die mittelbare Beteiligung entfernter Gesellschaften erfasst wird. Zur Illustration mag folgendes Beispiel dienen: ___________ 85) Kreft in: HK-InsO, § 129 Rz. 31 m. w. N.; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, BGHZ 165, 285 ff., 286 f. = ZIP 2006, 431. 86) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151 ff., 1154 f. 87) S. Fn. 2. 88) Der Begriff der „group of companies“ in Art. 2 lit. i, j EuInsVO-E ist erheblich detaillierter, wenn lit. i den Konzern als „number of companies consisting of parent and subsidiary companies“ definiert und in lit. j sehr eingehend die „parent company“ definiert (lit. j (i)) Mehrheit der Stimmrechte; lit. j (ii) (aa) Recht zur Bestellung und Abberufung der Leitungsorgane der Gruppengesellschaft bzw. (bb) Recht zur Ausübungen eines beherrschenden Einflusses aufgrund Vertrages mit der Gesellschaft oder aufgrund Inhalts des „Gesellschaftsvertrags“ („articles of association“). S. auch die Synopse von EuInsVO-E und DiskE des BMJ bei Hermann, § 21 Rz. 190 ff., in diesem Band.

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Die Konzernobergesellschaft A.-AG beherrscht die X-AG, an der sie 80 % hält, diese die Y. GmbH, an der sie mit 75,1 % beteiligt ist, und diese wiederum die Z.-KGaA, deren Kapital ihr zu 66 % gehört. Die A. kann ihren beherrschenden Einfluss bis zur Z. durchsetzen, obwohl sie an deren Vermögen – durchgerechnet – nur noch mit knapp über 40 % beteiligt ist, betrachtet man den theoretischen Anteil am Liquidationserlös, Liquidation aller Beteiligungen unterstellt. Zugleich sind „intercompany loans“ von A. an Z. in deren Insolvenz nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 Abs. 4 Satz 1 InsO mit den Folgen des § 135 Abs. 1, 2 InsO, aber auch des Abs. 3, so dass die insolvente Z., hat die A. ihr bspw. das Betriebsgrundstück vermietet, verpachtet oder verleast, eine Miete zahlen muss (§ 135 Abs. 3 Satz 2 InsO). Dieser letztere Aspekt ist bei der Betriebsfortführung der insolventen Konzernobergesellschaft zu beachten. 67 Die Antragsbefugnis an dem Konzerngerichtsstand ist einigermaßen komplex. Antragsteller kann jede Konzerngesellschaft sein, die nicht offensichtlich von untergeordneter Relevanz für die Gruppe ist, was regelmäßig dann nicht angenommen werden darf, wenn die Antragstellerin mehr als 10 % der kumulierten Bilanzsumme und Umsätze aller Gruppengesellschaften repräsentiert oder wenn diese Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung für die Gruppe ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 3 InsO-DiskE 2013).89) Der Regierungsentwurf ist etwas anders strukturiert, er fordert neben den bereits erwähnten Kriterien, dass der antragstellende Schuldner mehr als 10 % der durchschnittlich im Konzern tätigen Arbeitnehmer beschäftigt (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO-RegE). 68 Weitere Voraussetzung des Gruppengerichtsstands und der sog. Gruppen-Folgeverfahren ist die Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der antragstellenden Gesellschaft (oder der natürlichen Person als Konzernspitze). Ferner muss die Verfahrenskonzentration im „gemeinsamen Interesse der Gläubiger“ liegen (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 DiskE-InsO 2013).90) Der Regierungsentwurf bestimmt nunmehr in § 3a Abs. 2 anders, dass bei Zweifeln daran, ob die Verfahrenskonzentration „im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt“, das angerufene Gericht den Antrag auf den Gruppengerichtsstand des § 3a Abs. 1 Satz 1 zurückweisen kann. Die beteiligten Insolvenzgerichte müssen abstimmen, ob ein einziger Konzerninsolvenzverwalter im Gläubigerinteresse ist und ob „Interessenkonflikte durch … Sonderinsolvenzverwalter ausgeräumt werden können“ (§ 56b Abs. 1 InsO-DiskE 2013). 69 Kernstück der Neuregelungen ist die Verfahrenskoordinierung in dem neuen Teil 7 „Koordinierung der Verfahren von Schuldnern, die derselben Unternehmensgruppe angehören“ (§§ 269a – 269i InsO-DiskE 2013). Neben den §§ 269a – 269c des DiskE über die gegenseitige Kooperation der beteiligten Verwalter und die Schaffung eines Gruppengläubigerausschusses, der aus jedem der Einzelgläubigerausschüsse beschickt wird, um deren Kooperation zu gewährleisten,91) steht im Mittelpunkt das Koordinationsverfahren der §§ 269d – 269i InsO. Das Koordinationsgericht (= Insolvenzgericht nach § 3b InsO-DiskE 2013 für die Gruppen-Folgeverfahren des § 3a Abs. 1 Satz 1 InsO-DiskE 2013; vgl. §§ 3b – 3d RegE) kann auf Antrag das Koordinationsverfahren einleiten (§ 269d InsO-DiskE 2013 = § 269d RegE, der zugleich neben dem antragstellenden Schuldner und dessen Insolvenzverwalter auch den (vorläufigen) Gläubigerausschuss das Antragsrecht gibt). ___________ 89) Zur Gesetzesbegründung des § 3a InsO-DiskE 2013 im Einzelnen s. S. 29 – 31 des Dokuments; vgl. S. 27 ff. des RegE. 90) Konsequent geht die Begründung des DiskE auf S. 29 (= RegE, S. 28) davon aus, dass es sich um das Interesse aller Gläubiger der „gruppenangehörigen Schuldner“ handeln muss. Gläubiger sind nicht befugt, den Antrag nach § 3a InsO zu stellen; dem wird man zustimmen müssen. 91) Die Regelung scheint nicht „bis zu Ende“ durchgedacht. Bei einem großen Konzern mit vielen Gesellschaften mit z. B. obligatorischen Ausschüssen gemäß § 22a Abs. 1 InsO, die sich in das eröffnete Verfahren fortsetzen werden, entstehen Ausschüsse mit vielen Mitgliedern, so dass Handlungsunfähigkeit droht. Wählen Gläubiger keinen Ausschuss, entsteht für die betroffene Gesellschaft ein Mitwirkungsdefizit.

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§ 22

Ein Koordinationsverwalter wird aus dem Kreis der (vorläufigen) Insolvenzverwalter der 70 Gruppengesellschaften bestimmt. Seine Aufgabe ist die „im Interesse der Gläubiger“ liegende Abstimmung der Verfahrensabwicklung, insbesondere durch Vorlage eines Koordinationsplans (§§ 269e, 269f, 269h InsO-DiskE 2013). Dieser Plan ist ein besonderer, u. a. auch nur verfahrensrechtlicher Insolvenzplan, der alle 71 für die Abstimmung „sachdienlichen“ Maßnahmen enthalten kann, wie – als Regelbeispiele – Vorschläge … „… 1. zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner und der Unternehmensgruppe, 2. zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten, 3. zu vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern.“ (§ 269h InsO-DiskE 2013).

Mit anderen Worten entspricht diese Lösung dem Modell des Masterinsolvenzplans bzw. des Sanierungsverbundes in der Literatur.92) Die Interessenkonflikte sind vorprogrammiert, wenn kein außerhalb der Einzelverfahren 72 stehender Dritter „Konzern-/Koordinationsverwalter“ wird, so dass es des Sonderinsolvenzverwalters bedarf, um dem entgegen zu wirken. Der Koordinationsplan ist für die Gruppengesellschaft nicht zwingend, vielmehr muss der Verwalter einer Konzerngesellschaft den Plan vorstellen und Abweichungen für seine Gesellschaft aus seinem Blick darlegen und begründen. Die Gläubigerversammlung der jeweiligen Gesellschaft kann umgekehrt für ihre Gesellschaft die Durchsetzung des Koordinationsplans erzwingen (§ 157 Satz 2 InsO), muss dies aber nicht tun. Der DiskE des BMJ vermeidet sorgfältig jede materielle oder formelle Konsolidierung (siehe unter Rz. 92 ff.). Er bleibt hinter Art. 42d Abs. 1 lit. b, c und d bzw. Abs. 2 insoweit zurück, als dort jeder Insolvenzverwalter einer Gruppengesellschaft beim zuständigen Gericht den Fortgang des Insolvenzverfahrens einer anderen Gesellschaft anhalten lassen kann (d. h. die Verabschiedung und den Vollzug eines Plans, die Verwertung des Assets usw.), sofern dies dem Interesse der Gläubiger der Gesellschaft, deren Verwalter den Antrag stellt, entspricht. Ferner können alle Anträge zur Förderung der „Rettung“ („rescue“/Sanierung) gestellt werden. Dem Antragsteller kann auferlegt werden, die Interessen der Gläubiger der betroffenen Gesellschaft zu garantieren (Art. 42d Abs. 2 Satz 3 EuInsVO-E).93) All diese Leitentscheidungen haben prägende Wirkung für die Betriebsfortführung. Für die Eigenverwaltung hat der Diskussionsentwurf keine weitergehenden Regelungen 73 vorgesehen (anders als der EuInsVO-E als Folge der Erstreckung der Definition des „liquidators“ in Art. 2 lit. b, (ii) auf den debtor in possession). Angesichts der zentralen Rolle, die man dem Koordinationsverwalter zumisst, musste danach das Verfahren der §§ 269a ff. InsO in der Eigenverwaltung ausscheiden. Der Regierungsentwurf enthält nun einen neuen § 270d, der u. a. vorsieht, dass „der Schuldner den Kooperationspflichten des § 269a InsO“ unterliege. Die Regelung erscheint vom Ansatz her sachgerecht, wenn man die Eigenverwaltung auch in der Konzerninsolvenz stärken will, wie das aus der Begründung des Regierungsentwurfs (S. 51 des Dokuments, siehe Fn. 2) im Ergebnis hervorgeht.

___________ 92) Ehricke, ZInsO 2002, 393, 394 f. 93) Beispiel wäre, den „eigentlich“ gebotenen Verkauf (vgl. § 159 InsO) einer Produktionsanlage einer insolventen Tochtergesellschaft zur Erzeugung eines ganz bestimmten Vorproduktes zu stoppen, um die Produktion des wichtigen Endproduktes bei der ebenfalls insolventen Muttergesellschaft fortsetzen zu können. Im Gegenzug muss den Gläubigern dieser Gesellschaft durch die Konzernmutter eine geeignete Kompensation aus der Masse gewährt werden.

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§ 22 2.6

Teil III Einzelfragen Betriebsfortführung und Insolvenz der Konzernobergesellschaft

74 Die Betriebseinstellung bei der Konzernobergesellschaft – jedenfalls soweit diese keine reine Beteiligungsholding ist – führt regelmäßig notwendig zum endgültigen Zusammenbruch der Unternehmensgruppe als solcher. Ihre Fortführung kann je nach der Organisationsstruktur von der Kooperation mit den Verwaltern der Tochtergesellschaften abhängen. Die Eigenverwaltung kann hier strukturell etwas ändern, wenn ein geeigneter CEO in der Muttergesellschaft tätig ist und die Sachwalter aller Gesellschaften koordiniert miteinander kooperieren, wie dies in der Praxis in den geeigneten Fällen auch erfolgreich geschieht. Sie müssen freilich die Interessenlage ihrer jeweiligen Masse im Auge haben. Entsprechend gilt das auch für den Gläubigerausschuss. 2.7

Betriebsfortführung in der Insolvenz der Konzerngesellschaft?

75 Die in der Überschrift wiedergegebene Fragestellung ist angesichts der Antwort des Gesetzgebers für die Einzelinsolvenz eigentlich dahingehend zu stellen, ob die Betriebsfortführung im Interesse der Unternehmensgruppe erfolgen soll oder im Interesse der Gläubiger der betroffenen Gesellschaft. Ist sie ausschließlich im Interesse des Gesamtkonzerns sachgerecht, müsste der Betrieb aber eingestellt werden, um Schaden für die Gläubiger der Konzerngesellschaft zu verhüten (vgl. die Konstellationen, die den §§ 22 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2, 158 InsO zugrunde liegen)94), so sind die Betriebsverluste und die weiteren Schäden auszugleichen und der Ausgleich im Vorhinein sicherzustellen. Als weiteres Beispiel möge der Fall dienen, dass die Konzerngesellschaft ein wichtiges Einzelteil für ein Produkt herstellt, das schon Jahre an die Mutter unter Verlust geliefert wurde, wobei die Mutter die Preise festgesetzt hat. Ein gegenteiliger Fall, der nicht selten vorkommen dürfte, kennzeichnet die umgekehrte Situation. Die Mutter erwirbt ohne zählbare Gegenleistung alle gewerblichen Schutzrechte der Konzerngesellschaft und lizenziert sie zurück, um in der Krise der Tochter deren Lizenz zu kündigen. Daraufhin kann die Tochter nicht mehr sinnvoll weiterarbeiten, jedenfalls dann nicht, wenn sie keine Lizenzgebühr bezahlt. Hier muss entweder soweit als möglich bspw. nach § 134 InsO angefochten werden oder das Lizenzentgelt muss nach Abwägung der ökonomischen und rechtlichen Risiken bei Betriebseinstellung oder -fortführung entrichtet werden. Da der Rechtsstreit gegen den formellen Rechtsinhaber des Schutzrechts über dessen Berechtigung längere Zeit dauern wird, wäre die Betriebsfortführung unter Missachtung der formell ordnungsgemäß übergangenen Rechte für die Beteiligten (Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss) usw. hoch riskant; das „Erpressungspotential“ für die formellen Rechtsinhaber ist in dergleichen Fällen daher erheblich.95) 3.

Konzerninsolvenzpläne?

76 De lege lata gibt es keinen Konzerninsolvenzplan. In Literatur und Praxis wird freilich seit längerem die Frage eines Masterinsolvenzplans96) diskutiert, der sich ganz i. S. der EuInsVO-Novelle als koordinierter Plan mit Zustimmung der Gläubiger in jedem einzelnen ___________ 94) Der Insolvenzverwalter, der im absolut berechtigten Interesse des Konzerns die mit evidenten Verlusten arbeitende Konzerntochter auf Kosten der Gläubiger derselben weiterführt oder der Gläubigerausschuss, der dem zustimmt, setzen sich erheblichen Schadenersatzrisiken aus (§§ 60, 61, 71 InsO). 95) Zu Problemfällen in diesem Zusammenhang vgl. paradigmatisch LG Hamburg, Urt. v. 24.5.2012 – 327 O 822/10 (cha cha positive eating), juris, n. rkr, (Berufung anhängig beim OLG Hamburg – 3 U 97/12, Stand: 7/2013); s. zu dem Urteil des LG Hamburg Cranshaw, jurisPR-InsR 22/2012, Anm. 2 sowie zu der Thematik des Missbrauchs einer Konzernstruktur OLG Stuttgart, Urt. v. 28.9.2012 – 5 U 17/12, ZIP 2012, 2162 ff. = ZInsO 2012, 2153 ff., dazu Anm. Cranshaw, jurisPR-InsR 23/2012, Anm. 2. 96) S. zu dem Modell eines „Sanierungsverbundes“ nach Maßgabe eines Masterinsolvenzplans bei Ehricke, DZWIR 1999, 353 ff.; Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 22

Verfahren strukturieren lässt, soweit die betroffenen Gesellschaften sich in der Insolvenz befinden. Man darf bei der Diskussion nicht übersehen, dass es sich dabei ausschließlich um den Fall eines Sanierungsplans handelt, der inhaltlich genauso gut innerhalb einer außergerichtlichen Sanierung möglich ist. Die Eigenverwaltung ist bei dieser Betrachtung eine Art verfahrensrechtlich notwendiger Mittelweg, die Insolvenzverwaltung durch einen „fremden“ Insolvenzverwalter der „extreme“ andere Weg der Sanierung. Berücksichtigt man diese Zusammenhänge, so kann bei Vermeidbarkeit der materiellen 77 Insolvenz von Konzerngesellschaften bei Konzernen mit klarer Fokussierung der wesentlichen Aktivitäten auf die Muttergesellschaft eine Strategie auch darin bestehen, einen Insolvenzplan für die insolvente Konzernobergesellschaft zu entwickeln und die nicht insolventen Konzerngesellschaften dort wie jedes andere Asset (hier die Beteiligung) auch zu behandeln, insbesondere, wenn man sich von einer in einer solchen Gesellschaft etwa gebündelten Produktions- oder Entwicklungssparte trennen und die Beteiligung (mittels eines M&A-Prozesses) veräußern möchte. Dabei spielt es strukturell nicht grundsätzlich eine Rolle, ob ein Gläubiger der insolventen Mutter auch Forderungen daraus gegen die Tochter aus Garantie oder einem ähnlichen Rechtsverhältnis hat oder ob ihm ein Pfandrecht an der Beteiligung als Finanzsicherheit zur Verfügung steht. Im Rahmen des Insolvenzplans ist diese Thematik lösbar, ohne die Rechte der betroffenen Gläubiger zu beeinträchtigen. Der Betrieb der Tochter wird unbeeinträchtigt von deren Insolvenz von der Geschäftsführung fortgeführt. De lege ferenda wollen der Entwurf des BMJ vom 3.1.2013 bzw. der RegE vom 28.8.2013 78 ein Koordinationsplanverfahren einführen, das den Gedanken des Masterinsolvenzplans aufgreift (vgl. §§ 269h, 269i InsO-DiskE 2013 = §§ 269h, 269i RegE).97) IV.

Folgen der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung ändert an den vorstehenden umrissenen Problemfeldern angesichts 79 des gesetzlichen Ziels des Insolvenzverfahrens (§ 1 Satz 1 InsO) und der Methodik, dieses auf dem Wege der Sanierung des insolventen Unternehmensträgers zu erreichen, nicht grundsätzlich etwas. Die Betriebsfortführung als zentraler Teil des durch die Insolvenz verfahrensrechtlich organisierten Sanierungsprozesses steht denselben Problemen gegenüber wie im „Regelinsolvenzverfahren“, abgesehen von der ggf. positiven Wirkung des debtor in possession auf die Märkte des betroffenen Konzerns, der Mutter-, ebenso wie der Tochtergesellschaften. Offen erscheinen die Folgen der Eigenverwaltung für Unternehmensverträge und die 80 damit (noch) verbundene steuerliche Organschaft,98) da eben das Leitbild der Beendigung der Eingliederung des beherrschten Unternehmens durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens (und die Bestellung eines Insolvenzverwalters nach Maßgabe des § 80 InsO), das bisher in Praxis und Rechtsprechung vorherrschte, durch die zunehmende Zahl der Eigenverwaltungen nicht mehr zutrifft. Andererseits bleibt die Trennung der verschiedenen Gesellschaften und der Verfall des Einflusses der Gesellschaftsorgane auf die Geschäftsführung während des Insolvenzverfahrens (vgl. § 276a InsO). Zudem haben die Geschäftsführer bzw. Vorstände in der Eigenverwaltung ausschließlich die Interessen ihrer Gläubiger und ihrer Massen zu wahren, soweit nicht die Gläubiger in jedem der verschiedenen Verfahren einer Planregelung zustimmen, die im Interesse aller Gläubiger des Kon___________ 97) Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 3.1.2013, verfügbar u. a. über http://www.arge-insolvenzrecht.de bzw. www.zip-online.de (Abrufdatum: 22.7.2013). 98) S. Tipke/Lang-Montag, Steuerrecht, § 14 Rz. 28 ff. („Fortentwicklung“) sowie OFD Frankfurt a. M., Verfügung v. 11.3.2013 – S 7105 A – 21 – St 110, ZInsO 2013, 1243 ff.

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Teil III Einzelfragen

zerns getroffen wird.99) Der bereits mehrfach erwähnte DiskE des BMJ vom 3.1.2013 sowie der RegE vom 28.8.2013 ändern auch hieran nichts. Die dortige Koordination und Konsolidierung ist eine rein verfahrensrechtliche Lösung zur Erleichterung des Procedere, wie bereits aus der Gesetzesbezeichnung („zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“) hervorgeht. 81 Ebenfalls zur Illustration darf das folgende (fiktive) Beispiel herangezogen werden, bei dem die Interessen aller Massen gewahrt sind. In der Praxis tritt eine solche Konstellation in ähnlicher Form nicht selten auf. Beispiel A, eine natürliche Person, erwirbt mittelbar über Objektgesellschaften Immobilien zur Vermietung und zum Handel damit (u. a. zur Gründung und zum Vertrieb von Immobilienfonds), wobei jede Immobilie in eine eigene Objektgesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG eingebracht wird. A ist Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH, Alleinkommanditist der KG und Alleingeschäftsführer der GmbH. Es handelt sich jeweils um Volumina in Millionenhöhe, die er weitgehend fremdfinanziert. A verbürgt sich mit Teilbeträgen und verpfändet die KG-und die GmbH-Anteile an seine beiden finanzierenden Banken B und C. Die Unternehmensgruppe bricht zusammen, alle Gesellschaften werden insolvent. Gläubiger aller Gesellschaften und des A sind die Banken B und C mit jeweils weit über 90 % der Insolvenzforderungen. Der Konzern wird im Interesse der Großgläubiger zweckmäßig saniert, da die Marktsituation auf Jahre keine sachgerechte Veräußerung der Immobilien gestattet. Der Ertrag aus dem laufenden Betrieb der Immobilien deckt die Massekosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten. In diesem Fall sollte ein einheitlicher Konzerninsolvenzplan auf die Zustimmung der Hauptgläubiger stoßen. bei denen es im Zweifel nur einen einzigen Großgläubiger, den Fremdkapitalgeber, gibt, der in diesem Ausnahmefall die Sanierung durch Anteilserwerb über „debt equity swap“ zweckmäßig vorantreibt (vgl. § 225a Abs. 2 InsO). Dieselbe Konstellation besteht bei ganz ähnlicher Finanzierungsstruktur bei „Einzweckgesellschaften“(„Projekt-/Objektgesellschaften“), die i. R. eines Konzerns Offshore-Windkraftanlagen betreiben. In deren Insolvenz bleibt dem Finanzier wohl nur übrig, die Betriebsfortführung im Interesse der Realisierung der Einspeisevergütung nach dem EEG (die einzige Ertragsquelle und wohl der einzige wirklich werthaltige Vermögenswert der Gesellschaft) zu ermöglichen und mit Hilfe eines Insolvenzplans die Anteilsmehrheit zu erwerben. Die kritischen Strukturen der sicher vereinbarten Kreditsicherheiten weisen in beiden Fällen im Ergebnis nach der hier vertretenen Auffassung diesen Weg zum Sanierungsplan mit ausnahmsweiser Anteilsübernahme durch die Gläubiger. 82 Für Sanierungsinsolvenzpläne ergeben sich keine Besonderheiten durch die Eigenverwaltung, soweit hiervon die Betriebsfortführung betroffen ist. 83 Allerdings stellt sich in der Eigenverwaltung des Konzerns die Frage, welche Funktion der Sachwalter bzw. der vorläufige Sachwalter des jeweiligen Insolvenzverfahrens haben bzw. der jeweilige Gläubigerausschuss. Begreift man die Funktion dieser beiden Organe des Eigenverwaltungsverfahrens herkömmlich als Überwachungs- und Unterstützungstätigkeit, denkt man beim Gläubigerausschuss gar im Fokus im Wesentlichen an die „Kassenprüfung“100) (= Prüfung des Geldverkehrs nach § 69 Satz 2 Alt. 2 InsO), so gelangt man leicht an die Grenzen. Gerade in der Konzerninsolvenz in Eigenverwaltung haben aber beide Gremien ihre darüber deutlich hinausgehende Funktion und Berechtigung, nämlich als dem Aufsichtsrat bzw. dem Kontrollorgan der Geschäftsführung vergleichbar. ___________ 99) Das ist natürlich ein Schritt im Hinblick auf eine faktische materielle Konsolidierung, s. unter Rz. 92 ff. 100) Ausführlich zur Kassenprüfung: Steinwachs/Vallender-Metoja, Der Gläubigerausschuss, Rz. 378 ff; Muster zum Kassenprüfbericht: Steinwachs/Vallender-Eckert, Der Gläubigerausschuss, Rz. 340; Steinwachs, BP 2006, 246, 249.

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Vor dem Hintergrund des § 276a InsO muss man folgern, dass im Insolvenzverfahren die 84 Aufsichtsfunktionen der Gesellschaftsorgane strukturell und verfahrensbezogen auf Organe des Insolvenzverfahrens übergehen. Dem Aufsichtsrat der Konzernmutter entspricht der Gläubigerausschuss mit dem Sachwalter.101) § 69 InsO muss dazu nur wenig erweiternd gelesen werden. Die Sachwalter und Gläubigerausschussmitglieder der Konzerntochter (sofern es denn einen Gläubigerausschuss gibt) überwachen im Interesse ihrer Masse die Abläufe im Verfahren und hier wieder insbesondere in der Betriebsfortführung. Mit anderen Worten üben sie innerhalb der ihnen gesetzlich übertragenen Funktionen unternehmerische Tätigkeiten aus. So ist die Entscheidung im „vorläufigen“ Eigenverwaltungsverfahren, den Eintritt der Aus- 85 sichtslosigkeit der Sanierung im Schutzschirmverfahren dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO), nicht nur eine Option, sondern eine Pflicht des Gläubigerausschusses. Die Auswirkungen auf die Fortführung sind evident; ggf. kündigt der Absonderungsberechtigte daraufhin den stillen Massekredit, Abnehmer und Lieferanten entscheiden sich bspw., nicht mehr oder nur auf Vorkasse zu liefern. Den Gruppen-Gläubigerausschuss nach § 269c InsO-DiskE 2013 treffen Pflichten im 86 Zusammenhang mit seinen Koordinationsaufgaben und denjenigen im Kontext mit den einzelnen Verfahren. Ihre Haftungsrisiken dürften im Vergleich zu den Gläubigerausschüssen der einzelnen Gesellschaften noch erheblich grösser sein, da sie auf dem Wege ihrer Aufgaben nach § 269c Abs. 2 DiskE-InsO 2013 Funktionen in den einzelnen Gruppengesellschaften und in der Koordination haben. Vieles erscheint hier unklar. V.

Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht

1.

Deutschland

Betrachtet man künftige Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht, so kann man die 87 Entwicklung in Deutschland nicht wirklich von den internationalen Tendenzen trennen, insbesondere aber nicht von der europäischen Rechtsentwicklung. Letzteres ist schon deshalb nicht möglich, weil die von der EU-Kommission gemachten Vorschläge zur EuInsVO (siehe unter Rz. 19 ff.) sicherlich einem Teil der Stakeholder des europäischen Insolvenzgeschehens nicht weit genug gehen, der einer materiellen Konsolidierung jedenfalls in bestimmten Fällen das Wort redet (siehe unter Rz. 92 ff.). Die dem Vorschlag der EuInsVO-Novelle parallele Mitteilung der Kommission (Dokument COM(2012) 742 final) zeigt, dass man wohl eine Richtlinie zur Harmonisierung der mitgliedsstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerke in den zentralen Regelungen des Insolvenzrechts beabsichtigt. Dies wird zugleich bedeutende Konsequenzen für das Konzerninsolvenzrecht ebenso wie für die Unternehmens-/Betriebsfortführung haben. Der noch zu verabschiedende Entwurf der EuInsVO wird unmittelbar anwendbares Recht in den EuInsVO-Staaten werden und damit auch notwendig zur Anpassung des inländischen Konzerninsolvenzrechts führen, soweit nicht das Inkrafttreten der Vorschläge in dem oben erwähnten DiskE des BMJ vom 3.1.2013 bzw. in den RegE vom 28.8.2013 bereits im Wesentlichen parallele Strukturen der EuInsVO umsetzt. Ein Teil der Autonomie der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, was man unter „Konzerninsol- 88 venzrecht“ versteht, wird auf den EuGH im Wege der Auslegung der novellierten EuInsVO übergehen und ihre Wirkung auf die Auslegung der Regelungen der §§ 269a ff. InsO-DiskE 2013 bzw. des RegE nicht verfehlen und zwar im Interesse einer Einheitlichkeit der Ausle___________ 101) Zum Gläubigerausschuss der InsO als Aufsichtsrat s. Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, InsO, § 71 InsO Rz. 3; Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1152, zum vorläufigen Gläubigerausschuss; Steinwachs/VallenderSteinwachs, Der Gläubigerausschuss, Rz. 3.

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gung und der Rechtssicherheit. Zugleich wird dies die Debatte um das Konzern-COMI im internationalen Insolvenzrecht verstärken, wobei wiederum der EuGH bereits die Linien in den Urteilen „Interedil“ und „Rastelli“ vorgezeichnet hat.102) Das bedeutet zugleich, dass die künftige Richtung diejenige der Koordinierung der verschiedenen Einzelverfahren sein wird und der Kooperation der Beteiligten. Ggf. wird ein Masterinsolvenzplan unter einem „Konzerninsolvenzverwalter“ (ggf. als „Koordinationsverwalter“) oder unter Anleitung durch entsprechende Sachwalter in der Eigenverwaltung die Regel sein. 89 Das hat zugleich parallele und entscheidende Auswirkungen auf die Betriebsfortführung. Das Prinzip der Trennung der verschiedenen Gesellschaften wird dabei nicht aufgehoben, sofern nicht die lex fori concursus dies vorsieht und im Wettbewerb der nationalen Insolvenzrechte obsiegt. Sonderinsolvenzverwalter werden kaum vermeidbar sein. Die Kostenstrukturen gilt es dann freilich gegen den Nutzen der Koordinierung abzuwägen. Das autonome internationale Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO wird ebenfalls fortentwickelt werden müssen. Einen Vorschlag dazu gibt es bisher aus dem BMJ nicht. 2.

Europäische und internationale Entwicklungen zu einem formellen Konzerninsolvenzrecht, materielles Konzerninsolvenzrecht und „substantive consolidation“

2.1

Formelles Konzerninsolvenzrecht

90 Zu den Bestrebungen, zu einem koordinierten formellen Konzerninsolvenzverfahren i. R. der EuInsVO zu gelangen, darf auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Dasselbe gilt für die Bundesrepublik, wo die Bundesjustizministerin 2012 die materielle Konsolidierung von Einzelinsolvenzen abgelehnt hat,103) eine Lösung, die in dem oben mehrfach angesprochenen DiskE bzw. im RegE aufrechterhalten wurde. 91 Auf ein weiteres Zeichen der Entwicklung ist ebenfalls hinzuweisen: Die beteiligten Insolvenzverwalterorganisationen Deutschlands und Frankreichs haben ganz i. S. der Koordination und Kooperation am 17.12.2012 der Gesetzgebung vorauseilend einen Leitfaden verabschiedet, der die Zusammenarbeit der Gerichte betrifft, um den Abschluss von Protokollen der Insolvenzverwalter zu ermöglichen, wenn dieser auch nicht spezifisch Konzerninsolvenzen betrifft.104) Diese verfahrensrechtlichen Regelungen und Erwägungen werden der Inhalt der Kodifikationen des Konzerninsolvenzrechts auf Unionsebene und in Deutschland sein. 2.2

Materielles Konzerninsolvenzrecht, „substantive consolidation“ in der internationalen Praxis

92 Daneben stehen Überlegungen bzw. Postulate aus Praxis und Schrifttum zu einer formellen oder materiellen Konzerninsolvenz durch Mechanismen der Zusammenfassung der verschiedenen Verfahren oder gar Vermögensmassen. Die Diskussion wird wie nicht selten auch hier von Rechtsinstrumenten des US-amerikanischen Rechts beeinflusst und zwar bei den Konzerninsolvenzen insbesondere unter dem Aspekt der „substantive consolidation“, ___________ 102) Die Rechtsprechung ist keineswegs gescheitert, wie Verhoeven, ZInsO 2012, 2369 ff., 2371 Fn. 22, meint. Entscheidend hat sich als COMI der „business activities“-Ansatz durchgesetzt, d. h. die nach außen erkennbaren geschäftlichen Aktivitäten einschließlich der Steuerung und Leitung der jeweiligen Gesellschaft bzw. Einzelgesellschaft eines Konzerns. 103) Lührig, AnwBl. 2012, 540; Zum Text der Rede anlässlich des 9. Insolvenzrechtstags des DAV vom 22.3.2012 s. unter http://www.bmj.de, Abrufdatum: 12/2012. 104) Unterzeichner sind die Vertreter der französischen Insolvenzverwaltervereinigung und die Arbeitsgruppe Europa der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung des Deutschen Anwaltsvereins; das Dokument steht unter http://www.arge-insolvenzrecht.de als pdf-Datei zur Verfügung; (Abrufdatum: 22.7.2013).

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

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bei der die dogmatischen Grundlagen keineswegs gesichert scheinen.105) Dieses Instrument führt Vermögensmassen verschiedener rechtlich getrennter Unternehmensträger zusammen und bildet eine einheitliche Vermögensmasse, aus der eine ebenfalls einheitliche Quote für alle Insolvenzgläubiger gebildet wird. In der aktuellen Diskussion in Deutschland wird dieses Instrument ganz weitgehend abgelehnt, vereinzelt dezidiert befürwortet.106) Die bereits im Jahr 2003 von van Galen auf der Ebene der EuInsVO vertretene Position 93 scheint einen vermittelnden Ansatz zu verfolgen, wenn er für die damals noch neue EuInsVO die jetzt offenbar vor dem Durchbruch stehenden Regelungen mit der oben behandelten bloß verfahrensrechtlichen Koordinierung für Unternehmensgruppen postuliert. Der Konzerninsolvenzverwalter sollte nach diesem schon länger zurückliegenden Vorschlag die Verfahren ebenso wie den Verkauf der Aktiva der Konzerntöchter koordinieren. Ferner sollte ein Konzerninsolvenzplan entwickelt werden können. Nur ausnahmsweise, bei untrennbarer Vermischung von Vermögen und Unternehmenstätigkeit der Beteiligten, soll danach eine materielle Konsolidierung möglich sein, die das für die Konzerngesellschaft zuständige Insolvenzgericht beschließt, während das für das Hauptinsolvenzverfahren der Muttergesellschaft zuständige Gericht über die konsolidierten Hauptinsolvenzverfahren aller Gesellschaften entscheidet.107) Den dagegen sprechenden Argumenten des Gläubigerschutzes der Gläubiger der jeweiligen 94 Konzerngesellschaften wird entgegen gehalten, bei den institutionellen Gläubigern stelle man ohnehin auf den Konzern ab, nicht das einzelne Unternehmen. Zudem sei das gesellschaftsrechtliche „Trennungsprinzip“ ohnehin in der Rechtsordnung vielfach durchbrochen. Als Beispiel erwähnt Verhoeven etwa Bürgschaften und Patronatserklärungen. Gerade dieses Beispiel widerlegt den Befürworter; der Finanzier und Bürgschaftsgläubiger stelle sicher auch auf den Konzern als solchen ab, z. T. mit der Erwägung, dieser werde

___________ 105) S. dazu für die USA Brasher, Substantive Consolidation, verfügbar unter http://www.law.harvard.edu …; für die EU s. van Galen, The European Insolvency Regulation and Groups of Companies, verfügbar über http://iii.global.org; vgl. jüngst Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff. Allein schon die Vielfalt der von Brasher zusammengefassten Instrumente zeigt den unterschiedlichen Ansatz: „Substantive Consolidation“ in den hier interessant erscheinenden Fällen des Sanierungsplans nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code hat nach verabschiedetem („rechtskräftigem“) Plan die Bildung eines einheitlichen Unternehmens zur Folge. Die davon zu unterscheidende „deemed consolidation“ führt nach Verfahrensbeendigung wieder zu rechtlich voneinander getrennt handelnden Gesellschaften. Die „partial consolidation“ berücksichtigt Sonderinteressen von Gläubigern, die sich allein auf die Haftung der konkreten Schuldnergesellschaft bei Eingehung ihres wirtschaftlichen Engagements verlassen haben und die daher allein aus deren Vermögen Befriedigung erlangen sollen (mit Nachteilen für die Gläubiger der gesamten Gruppe, wenn der betreffende Gläubiger weitgehend befriedigt wird und die Quoten für die anderen Gläubiger dadurch sinken). Davon wiederum ist als weitere dogmatische Struktur das „piercing the veil“, der Rückgriff auf die Muttergesellschaft durch Überschreitung der Grenze der rechtlichen Selbstständigkeit jeder einzelnen Gesellschaft, zu unterscheiden, das man wirtschaftlich als Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft verstehen kann. Neben diesen Strukturen steht als „procedural consolidation“ das Instrumentarium der „joint administration“ d. h. der formellen Konsolidierung im oben umrissenen Sinne; s. diese Differenzierungen bei Brasher, Substantive consolidation, S. 3 – 7. 106) Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., mit im Ergebnis ablehnender Erörterung der die „materielle Konsolidation“ bezweifelnden Meinungen. 107) van Galen, The European Insolvency Regulation, http://www.iii.global, unter „V. Theses“.

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§ 22

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seine Tochter schon nicht fallen lassen auch ohne Sicherheit.108) Diese Überlegungen sind aus dem Blick der Praxiserfahrung teilweise schlicht unrichtig. Zudem fordert der Gläubiger die Bürgschaft oder die „Mitverpflichtung“ möglichst vieler Konzerngesellschaften auch deshalb, weil der gerne übersehenen Vorschrift des § 43 InsO in ihrem Anwendungsbereich (Gesamtschuld und vergleichbare Konstellationen)109) der Grundsatz der Doppel- oder Mehrfachberücksichtigung innewohnt;110) der Gläubiger bekommt die Quote aus jedem der Verfahren seiner insolventen Schuldner bis hin zur vollen Befriedigung seiner Insolvenzforderungen (§ 38 InsO).111) Ungerechtfertigten Vorteilen begegnet das inländische Recht insbesondere mit der Insolvenzanfechtung bzw. dem Durchgriff auf den Gesellschafter insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff gemäß § 826 BGB nach der „Trihotel“-Judikatur.112)

___________ 108) Darauf kann sich der Gläubiger ohne harte Patronatserklärung oder sonstige Haftung der Konzernobergesellschaft ihm gegenüber nicht verlassen. Die insolvente Konzerngesellschaft wird von der Konzernspitze ggf. aus übergeordneten ökonomischen Gründen fallen gelassen. Um Risiken nicht bei der Mutter zu generieren oder zu belassen, bedient man sich eben gerade der Haftungsbeschränkung. In diesem Kontext darf zudem an die nicht seltenen „Antipatronatserklärungen“ erinnert werden. Bei einem Blick nach Frankreich hat das Phänomen, dass die Mutter nicht zu der Tochter steht, sondern umgekehrt in der Krise noch ihr Vermögen angreift, zu gesetzgeberischen Initiativen geführt, das Tochtervermögen zu schützen; s. das Dokument No 4411 der Assemblé Nationale v. 28.2.2012 zu dem Gesetzesvorschlag No 4400 über eine Ergänzung der Regelungen des Art. L 621-2 Code de Commerce um solche zum Schutz des Vermögens von Konzerngesellschaften, dort S. 15 ff. Grund war der Fall einer Raffinerie im insolventen „Petroplus-Konzern“, ein anderer die „Sodimédical“, eine insolvente Gesellschaft in einem deutsch-österreichischen Konzern, s. zu beiden insbesondere das Dokument No 4400 der Assemblée Nationale, S. 7 ff. Das am 12.3.2012 erlassene Gesetz no 2012-345 wurde durch eine Durchführungsregelung in Art. R 621-8-2 Code de Commerce präzisiert und handhabbar gemacht, Décret no 2012-1190 v. 25.10.2012. Die zitierten Gesetze sind verfügbar über http://www.legifrance.gouv.fr. 109) S. die Übersicht bei Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid/Leonhardt, InsO, § 43 Rz. 3–7. 110) Daher ist es auch nicht zutreffend, wenn Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., 1763 meint, es gehe bei den Personalsicherheiten (bei materieller) Konsolidierung nur um die Bewertung der Personalsicherheit, die aus seinem Blick ohnehin sehr volatil sind. Es ist eben ein erheblicher Unterschied, ob der Bürgschaftsgläubiger bspw. vom Darlehensnehmer und 9 ebenfalls insolventen Gesellschaften, die ihm gegenüber haften, eine Quote von je nur 7 % erhält (also in summa 70 %) oder bei Konsolidierung einmal eine erhöhte Quote von bspw. 40 %. S. die sehr klare Tabelle bei De Franceschi, Substantive consolidation, S. 179, der zutreffend feststellt (S. 180), dass „upon substantive consolidation certain creditors will improve their recoveries and others will suffer.” 111) Daneben steht die Befriedigung aus bestehenden Sachsicherheiten innerhalb des Konzerns, wobei als weitere „Komplikation“ die Beachtung der „Wahlmöglichkeit“ des Gläubigers aus § 44a InsO hinzukommt. Ein erhebliches Problem bereitet dabei die Anrechnungslösung des Art. 20 Abs. 2 EuInsVO, wonach die Mehrfachbefriedigung eines Gläubigers nach Maßgabe des § 43 InsO gerade ausgeschlossen werden soll. Art. 20 Abs. 2 schränkt daher die Doppelberücksichtigung des § 43 InsO ein. 112) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = ZIP 2007, 1552 ff., st. Rspr., zuletzt BGH, Urt. v. 24.7.2012 – II ZR 17/11, ZIP 2012, 1804 ff.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 22

Die Überschreitung der Schwelle der juristischen Person ist keineswegs nur eine Frage 95 des Insolvenzplans, also der Quotenverteilung oder der „Quotengerechtigkeit“.113) Sie ist vielmehr wirtschaftlich von hoher Bedeutung für die Betriebsfortführung, rechtlich u. a. für das Gesellschaftsrecht. Nach Bildung einer rechtlich einheitlichen Masse stellen sich für die Fortführung keine unüberwindbaren, aber gravierende Hindernisse, ganz abgesehen davon, wann diese „materielle Konsolidierung“ geschehen soll. Methodisch könnte das nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung geschehen oder durch Zustimmung aller betroffenen Gläubiger. Im Rahmen dieses Beitrags kann nur auf die Frage des Betriebsübergangs durch materielle Konsolidierung, die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld und steuerliche Gegebenheiten hingewiesen werden. Es würde nicht entfernt genügen, ein Konzerninsolvenzverfahren in einem gesonderten Abschnitt in der InsO zu schaffen, ohne zugleich weitere Eingriffe in das materielle Insolvenzrecht (z. B. Abschaffung des § 43 InsO), das Arbeitsrecht sowie ggf. das Gesellschafts- und das Steuerrecht vorzunehmen. Es fragt sich auch, was die Konsequenz einer solchen Konsolidierung nach Rechtskraft der Bestätigung eines Insolvenzplans wäre. Müsste nach § 225a InsO eine Verschmelzung der beteiligten Gesellschaften stattfinden oder würde dann über den Plan eine Entflechtung der Vermögensmassen herbeigeführt unter Fortführung der konsolidierten Gesellschaften mit oder ohne Haftung für Leistungen aus dem Insolvenzplan ? Dezidiert zu widersprechen ist der Auffassung von Verhoeven, wenn die Gläubiger den vorgelegten Gesamtinsolvenzplan nicht wollten, dann könne man ja wieder zu der Abwicklung der Einzelverfahren übergehen.114) Dafür wäre es dann angesichts der fortgeführten und angepassten Prozessschritte insbesondere in der dynamischen Entwicklung der Betriebsfortführung zu spät. Ausweglose Verflechtungen, einer der aufgeführten Anwendungsfälle der materiellen Konsolidierung mit unaufklärbarer Vermögensvermischung dürften regelmäßig mit gesetzwidrigem Verhalten der Organe der beteiligten Gesellschaften einhergehen und sind mit den herkömmlichen Rechtsinstrumenten des inländischen Rechts zu lösen. Die Erleichterung der Insolvenzabwicklung erscheint kein geeigneter Grund für eine materielle Konsolidierung.

___________ 113) Brasher, Substantive Consolidation, arbeitet sehr deutlich den letztlich im Kern stehenden Ansatz heraus, den er im US-Recht wohl noch nicht hinreichend berücksichtigt sieht, nämlich einer erweiterten Quotengerechtigkeit unter den Gläubigern der Unternehmensgruppe, die deren strukturelles Ungleichgewicht ausgleicht. Er unterscheidet daher konsequent zwischen „voluntary“ und „involuntary creditors“ (in der deutschen Terminologie die aufoktroyierten Gläubiger, die sich ihren Schuldner nicht aussuchen können, wie der Steuerfiskus auf allen Ebenen und die Sozialversicherungsträger bzw. die Gläubiger mit deliktischen Ansprüchen, die auch Brasher, Substantive Consolidation, S. 16 f., 34 f., erwähnt, ebenso wie den Steuerfiskus). Bei den „freiwilligen“ Gläubigern unterscheidet er zwischen Gläubigern, die „sophisticated“ und solchen, die „unsophisticated“ seien (Brasher, Substantive Consolidation, S. 17). Zu der ersten Gruppe gehören Banken und Finanzgläubiger (Brasher, Substantive Consolidation, S. 17). Dieser Klassifizierung muss man zustimmen, sie ist in allen vergleichbaren Volkswirtschaften identisch. Eine der Folgerungen von Brasher (unter Conclusions, S. 46 f.), ist, dass „Courts should not allow sophisticated creditors and shareholders to offload the costs of economic activity on involuntary creditors“. Damit verbunden ist zugleich eine Wertung der Funktion des Gesellschaftsrechts und der Gründe, Konzernstrukturen zu wählen, Ansätze, die vorliegend nicht weiter untersucht werden können. Letzten Endes bedeutet eine materielle Konsolidierung in dem hier beschriebenen Sinne eine neue Definition der par condicio creditorum, die sich im Konzern anders darstelle als bei der Einzelinsolvenz als Folge der Konzernverflechtungen. 114) Verhoeven, ZInsO 2012, 1757 ff., 1764. Folgerichtig aus diesem Blick der materiellen Konsolidierung wird dann auch argumentiert, die Position dissentierender Gläubiger „lediglich einer oder zweier Gesellschaften“ könne seitens des Gerichts durch das cram down des § 245 InsO erledigt werden.

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723

§ 22 2.3

Teil III Einzelfragen Anhaltspunkte zur „substantive consolidation“ und deren Schranken in der Rechtsprechung in den USA

96 Zudem darf keineswegs verkannt werden, dass das Instrument der materiellen Konsolidierung in den USA (also das Modell der Befürworter der Einführung der materiellen Konsolidierung in die inländischen bzw. europäische Rechtsordnung), nicht nur dogmatisch kaum einheitlich beurteilt wird (siehe oben), sondern dass es auch in der Praxis keineswegs flexibel in der Hand der Parteien liegt. Vielmehr sind die Voraussetzungen eng, die „substantive consolidation“ ist die Ausnahme. Nur beispielhaft soll aus der Entscheidung eines US-Bankruptcy Court vom August 2012 zitiert werden, der wiederum die nachfolgenden Grundsätze zur „substantive consolidation“ einer früheren Rechtsmittelentscheidung des US Court of Appeals (3rd Circuit) zur Grundlage seiner Entscheidung nimmt:115) „(1) Limiting the cross-creep of liability by respecting entity separateness is a ‘fundamental ground rule’. … As a result, the general expectation of state law and of the Bankruptcy Code, and thus of commercial markets, is that courts respect entity separateness absent compelling circumstances calling equity (and even then only possibly substantive consolidation) into play. (2) The harms substantive consolidation addresses are nearly always those caused by debtors (and entities they control) who disregard separateness. … (3) Mere benefit to the administration of the case (for example, allowing a court to simplify a case …) is hardly a harm calling substantive consolidation into play. (4) Indeed, because substantive consolidation is extreme (it may effect profoundly creditor’s rights und recoveries) and imprecise, this ‘rough justice’ remedy should be rare and, in any event, one of the last resort after considering and rejecting other remedies … (5) While substantive consolidation may be used defensively to remedy the identifiable harms caused by entangled affairs, it may not be used offensively (for example, having a primary purpose to disadvantage tactically a group of creditors in the plan process or to alter creditor rights).”

97 Diese Rechtsprechung mahnt zur extremen Zurückhaltung bei der Überschreitung der Grenzen der juristischen Person und des Einzelverfahrens durch Umsetzung der „substantive consolidation“.116) In der zitierten Entscheidung „Owens Corning“ hat der Court of Appeals (Third Circuit)117) die materielle Konsolidierung in einem Fall abgelehnt, der durch umfängliche Garantien von Konzerngesellschaften zur Absicherung eines Teils der Forderungen eines großen Bankkonsortiums gegen die Muttergesellschaft gekennzeichnet war.118) Die Aufrechterhaltung der Vermögenstrennung könnte übrigens ganz einfach durch eine entsprechende Regelung in der Vertragsdokumentation bewirkt werden, indem der Gläubiger vertraglich erklärt bzw. vereinbart, ihm komme es im Einvernehmen mit dem jeweiligen Schuldner bzw. Verpflichteten oder Garanten auf die Trennung der Vermögensmassen an. In der US-amerikanischen Literatur warnt eine Stimme geradezu die ___________ 115) S. zu dem folgenden Zitat die Entscheidung des US Bankruptcy Court, District of Kansas v. 17.8.2012 – Case No. 11-11425-11 u. a. (Schubbach Investments LLC), als pdf-Datei verfügbar über http://www.ksb.uscourt.gov …, S. 9 f. der sich mit dem wiedergegebenen Zitat der Auffassung des US Court of Appeals Third Circuit v. 15.8.2005 anschließt – (Re: Owens Corning), No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.); pdf-Datei, S. 37, verfügbar über http://www.ca3.uscourts.gov bzw. US App. LEXIS 17150 (3rd Cir.) (Abrufdatum: 25.7.2013). 116) Vgl. zur Entwicklung der „substantive consolidation“ die Entscheidung des US Court of Appeal Third Circuit zu dem Fall „Owens Corning“, No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.); pdf-Datei, S. 23 ff. 117) Zuständig für die US-Bundesstaaten Delaware, New Jersey, Pennsylvania und die United States Virgin Islands. 118) Court of Appeals, Third Circuit, „Owens Corning”, No. 04-4080, 2005 WL 1939796 (3d. Cir.); pdfDatei, S. 7 – 9.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 22

Gläubiger vor der „substantive consolidation“. Sie werden aufgefordert, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen für ihr Kreditinvestment zu treffen bis zu dem Rat, wonach „such creditors would be well advised to consult legal counsel to help them navigate the stormy waters of substantive consolidation both outside and inside bankruptcy proceedings.“119)

2.4

Materielle Konsolidierung in Frankreich

Im französischen Recht besteht nicht unähnlich der US-amerikanischen Lösung ebenfalls 98 die Möglichkeit der Einbeziehung der Vermögensmassen in das eröffnete Verfahren eines anderen Rechtsträgers, aber nur „en cas de confusion de leur patrimoine avec celui du débiteur ou de fictivité de la personne morale.“ [Art. L 621-2 alinéa. 2, 3 Code de Commerce (Frankreich)]

Der Cour de Cassation hat in einer Entscheidung zu der zitierten Norm in dem hier inte- 99 ressierenden Zusammenhang u. a. vom Missbrauch der Rechtsfigur der juristischen Personen durch die Beteiligten gesprochen.120) Maßstab der Vermögensvermischung („confusion de leur patrimoine“) sind anormale finanzielle Beziehungen der Beteiligten („relations financières anormales …“). 2.5

Die Überlegungen zur materiellen Konsolidierung im Unionsrecht

Im Rahmen der Reform des europäischen internationalen Insolvenzrechts hatte das Eu- 100 ropäische Parlament in seiner Entschließung v. 15.11.2011 u. a. vorgeschlagen, bei nicht mehr trennbaren Vermögensmassen, den „Grundsatz der materiellen Zusammenfassung“121) anzuwenden, also die „substantive consolidation“ in einer eingeschränkten, dem französischen Recht ähnlichen Fassung. In der seit 12.12.2012 vorliegenden EuInsVO-E jedenfalls ist dieser Vorschlag nicht enthalten. Allerdings sollte die materielle Konsolidierung nur in denjenigen Fällen Platz greifen, in denen ausnahmsweise nicht festgestellt werden kann, welches Vermögen welchem Schuldner gehört und wenn eine Bewertung der „gruppeninternen Forderungen“122) nicht möglich sei. 2.6

Weitere Entwicklungen

Nach ihrer über die EuInsVO-E hinausgehenden Verlautbarung vom 12.12.2012 hat die 101 EU-Kommission bekundet, die Entwicklung der nationalen Insolvenzrechte zu beobachten und weitere Analysen im Interesse des Binnenmarktes vorzunehmen. Man darf aus den dortigen Ausführungen wie erwähnt schließen, dass möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft eine Richtlinie zur Harmonisierung der mitgliedsstaatlichen Insolvenzrechte in dem einen oder anderen Punkt erwartet werden darf, wie das der Initiativantrag des Europäischen Parlaments im Jahr 2011 auch erwarten ließ.123) Ob der Weg letzten Endes auch dahin geht, im Interesse der Unternehmen und des Binnenmarktes ein Sanierungsverfahren für Unternehmen ohne materielle Insolvenz und konzernweit, auch für nicht insolvente Gesellschaften, zuzulassen, muss ebenfalls offen bleiben; auf absehbare ___________ 119) De Franceschi, Substantive consolidation, S. 175 ff., 182 unter „Conclusion”. 120) Cour de cassation, chambre commerciale, Arrêt v. 8.10.2012 – No 12-40058, verfügbar über http://www.juricaf.org. bzw. http://www.legifrance.gouv.fr/ …; Abrufdatum: 1/2013. S. a. Cour de Cassation, Arrêt v. 30.10.2012 – No 11-25560, verfügbar über http://www.legifrance.gouv.fr/, zu den „relations financières anormales“ unter 40 der Entscheidung a. E. 121) S. dazu das Dokument A7-0355/2011 des europäischen Parlaments, verfügbar über http://www.europarl.europa.eu …, Abrufdatum: 12/2012. 122) Teil 3 lit. E des Dokuments A7-0355/2011. 123) Dokument A7-0355/2011; s. dazu auch Cranshaw, DZWIR 2012, 133 f.

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§ 22

Teil III Einzelfragen

Zeit dürfte das aber nicht zu erwarten sein. Für die Betriebsfortführung unter der Ägide der Konzernleitung (begleitet von einem erfahrenen Sanierer und unter Überwachung durch einen Sachwalter) mag das die ideale Folge sein, Vorbild ist hier das Chapter 11Verfahren des US-Bankruptcy Code. Die Auswirkungen auf die Gläubiger, das Verhalten der Kreditgeber (Sicherheiten, schnellere Kündigung, Zurückhaltung bei Krediten) und der Märkte (Verteuerung der Refinanzierung) wäre dann abzuwarten, möglichst aber vorher zu evaluieren. Der Vorschlag des DiskE des BMJ sowie der RegE gehen zu Recht keinen dieser problematischen Wege. VI.

Vergütungsrechtliche Erwägungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“

102 Die Betriebsfortführung im Konzern wirft zugleich eine Reihe vergütungsrechtlicher Fragen auf. Diese haben insbesondere mit der jeweiligen Komplexität der Betriebsfortführung zu tun. Auf der einen Seite steht die herkömmliche Regelinsolvenz einzelner Konzernunternehmen mit einem eigenen Insolvenzverwalter ohne vielleicht die Notwendigkeit der Kooperation mit anderen. Ein Beispiel kann die Insolvenz einer Konzernobergesellschaft sein, die eine andere – ebenfalls insolvent gewordene – Beteiligung als reines Finanzinvestment hält ohne weitere Konzernverflechtung. Dafür bedarf es keiner vergütungsrechtlich gesonderten Überlegung. Auf der anderen Seite steht die Konzerninsolvenz mit hochvernetzten Strukturen, wie sie etwa in dem vorliegenden Beitrag umrissen werden und wie sie überwiegend anzutreffen sein dürften. Hier bedarf es vergütungsrechtlich gesonderter Regelungen, die der Leistung und dem Aufwand des Insolvenzverwalters adäquat sind. Gesonderter Vergütungsvorschriften bedarf es de lege ferenda auch für die Tätigkeit des Koordinationsverwalters nach dem DiskE des BMJ zur Konzerninsolvenz (§§ 269g ff. InsO-DiskE 2013 = § 269g RegE). Für weitere Einzelheiten zu der Thematik wird auf die Ausführungen des Verfassers in Abschnitt IV. des vorstehenden § 21 in diesem Band verwiesen werden. VII. Zusammenfassung, Thesen 103 x

Die Betriebsfortführung in der Konzerninsolvenz führt über die ohnehin bei Betriebsfortführungen bestehenden rechtlichen und ökonomischen Problemfelder hinausgehend zu weitergehenden Aufgabenstellungen für die Planung der Fortführung, da sie die konzerninternen Verflechtungen zu beachten hat.

104 x

Die Planung nimmt daher die gesamte Unternehmensgruppe in den Blick und zwar auch aus dem Blickwinkel jeder einzelnen Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere die konzerninternen Beziehungen und die Gegenleistungen dafür, Fragen um die steuerliche Organschaft und die Auswirkungen von Unternehmensverträgen.

105 x

Die Fortführung und deren Planung sind Teil des strategischen Abwicklungskonzepts der Insolvenz der einzelnen Gesellschaft und des Konzerns, es bedarf stets eines tragfähigen Konzeptes.

106 x

Ein formeller Rahmen zur „Erleichterung“ der Abwicklung der Konzerninsolvenz ist wünschenswert, Modellvorschläge hat die EU-Kommission mit dem Entwurf der EuInsVO vom 12.12.2012 ebenso vorgelegt wie das BMJ mit seinem Gesetzgebungsentwurf (DiskE) vom 3.1.2013.124)

107 x

Eine Koordinierung der Verfahren ist, wie die Praxis zeigt, sachgerecht. Sie muss aber die Interessen der Gläubiger jeder einzelnen Gesellschaft wahren. Nicht frei vom Risi-

___________ 124) S. dazu die Synopse in dem vorstehenden § 21 Rz. 190.

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Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht

§ 22

ko des Interessenkonfliktes ist die Bestellung eines einzigen Konzerninsolvenzverwalters im Interesse der Koordination, bei der es aber in praxi bei Vorlage eines Masterinsolvenzplans, wie ihn Literaturstimmen schon lange im Auge haben,125) nicht bleiben dürfte. Es darf nicht übersehen werden, dass die Vielzahl der etwa erforderlichen Sonderinsolvenzverwalter – oder Sachwalter, soweit dieses Konzept in Eigenverwaltung umgesetzt wird – die Kosten des Verfahrens (vgl. § 53 InsO) in die Höhe treibt. Der Koordinationsverwalter nach dem DiskE des BMJ bzw. dem RegE vom 28.8.2013 wird faktisch eine dominierende Rolle haben. Bei diesem Modell handelt es sich dennoch nicht um eine formelle Konsolidierung (Zusammenfassung) der Einzelverfahren mit einem führenden Verfahren, das bestimmend ist.126) x

Die materielle Konsolidierung, die für die Betriebsfortführung erhebliche Folgen hätte, 108 ist deutlich abzulehnen, die Verfahrenserleichterung reicht zur Legitimation nicht aus. Ob man de lege ferenda vor den dogmatischen Hintergrund einer „Quotengerechtigkeit“ für alle Gläubiger im Konzern dieses Instrument für Ausnahmefälle in Erwägung zieht, ist eine andere Frage, es wäre aber ein Paradigmenwechsel im Insolvenzrecht mit tiefgreifenden weiteren Änderungen im materiellen Insolvenzrecht bis hin zum Gesellschafts- und Steuerrecht. Daraus würde sich eine Fülle ungelöster Fragen ergeben, bspw., ob damit ein einziger Betrieb entstünde oder wie § 613a BGB anzuwenden wäre.

x

Sind, wie häufig, ausländische Gruppengesellschaften beteiligt, müssen zudem alle 109 Rechtsvorschriften des ausländischen Rechts bei der Fortführung beachtet werden, nicht nur das dort heranzuziehende Insolvenzrecht, sondern die gesamte Rechtsordnung. Durch unterschiedliche konzernrechtliche Normen bzw. Durchgriffsmöglichkeiten auf die Konzernobergesellschaft können in der Insolvenz unerkannte Risiken entstehen, die den Einsatz von Experten erfordern, die in der entsprechenden Rechtsordnung und in der jeweiligen Branche erfahren sind. Ein solches Outsourcing ist nicht nur zulässig, sondern geboten.

x

Bestimmendes Element bei all den hier diskutierten Fragen wird sicher auch sein, wohin 110 sich das Insolvenzrecht entwickeln wird. Wird es zu einem Schuldnerschutzverfahren oder stehen jedenfalls der Zweck der Unternehmens- bzw. Schuldnersanierung und der Gläubigerbefriedigung gleichwertig nebeneinander, wie dies (entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur) derzeit freilich nicht dem Gesetzesbefehl des § 1 InsO entspricht? Es ist daran zu erinnern, dass das geltende inländische Insolvenzrecht strukturell „Gesamtvollstreckungsrecht“ ist, also Verfahrensrecht, das die Gläubigerbefriedigung zum Gegenstand hat, wobei die Unternehmenssanierung auch nach dem ESUG eine der Gläubigerautonomie unterliegende Methode der Abwicklung des Insolvenzverfahrens bleibt.

___________ 125) Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff., „Sanierungsverbund“. 126) So im DiskE des BMJ v. 3.1.2013, unter C., S. 2, S. 14 („Flexible Koordinierungsmechanismen statt Konsolidierungslösungen“; s. die Regierungsbegründung, S. 16), S. 15 (ausdrückliche Ablehnung der „verfahrensrechtlichen Zusammenfassung“; RegE, S. 16), S. 22 (ausdrückliche Hervorhebung der „Selbstständigkeit der koordinierten Einzelverfahren“; RegE, S. 22), Abhängig vom Einzelfall kann natürlich die Koordinierung im Ergebnis der formellen Konsolidierung nahe kommen, wie auch der DiskE nicht verkennt (S. 15; RegE, S. 16); (Abrufdatum: 22.7.2013; Abrufdatum des RegE: 29.92013).

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§ 23 Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Rechtsformüberlegungen .......................... 5 III. Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung .............................................. 8 1. Vorliegen einer wirtschaftlichen Neugründung ............................................. 10 2. Haftungsrisiken.......................................... 16 2.1 Gesellschafterhaftung ..................... 16 2.2 Geschäftsführerhaftung.................. 21 3. Handelsregisteranmeldung ........................ 22 IV. Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft................................................. 24 1. Sachgründung ............................................. 24

2. Verdeckte Sacheinlage................................ 30 V. Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft ....... 32 1. Entwicklung des Sanierungsprivilegs ........ 34 2. Voraussetzungen des Sanierungsprivilegs....................................................... 36 2.1 Zeitpunkt des Anteilserwerbs ........ 38 2.2 Zeitpunkt der Darlehensgewährung ....................................... 53 2.3 Insolvenzreife.................................. 56 2.4 Sanierungszweck ............................. 57 3. Fazit ............................................................ 58

Literatur: Bärwaldt/Balder, Praktische Hinweise für den Umgang mit Vorrats- und Mantelgesellschaften – Teil 2: Mantelgesellschaften, GmbHR 2004, 350; Blöse, Haftung der Geschäftsführer und Gesellschafter nach dem ESUG, GmbHR 2012, 471; Böttcher, Die gemischte verdeckte Sacheinlage im Rahmen der Kapitalerhöhung – „Rheinmöve“, NZG 2008, 416; Falk/Schäfer, Insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Haftungsrisiken der übertragenden Sanierung, ZIP 2004, 1337; Freytag, Der Umgang mit Haftungsrisiken für Gesellschafter bei wirtschaftlicher Neugründung in der Beratungspraxis, KSzW 2013, 38; Götz, Darlegungs- und Beweislast im Unterbilanzhaftungsprozess bei Erstgründung und bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, GmbHR 2013, 290; Jeep, Leere Hülse, beschränktes Risiko: Die Gesellschafterhaftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicher Neugründung, NZG 2012, 1209; Krause, BGH: Übertragende Sanierung einer Auffanggesellschaft als gemischte verdeckte Sacheinlage-„Rheinmöve“, BB 2008, 1026; Krause, Zulässigkeit und Verbindlichkeit von Vereinbarungen über neben der Einlage zu erbringendes Aufgeld (Agio), BB 2008, 77; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, 2007; Pentz, Die Änderungen und Ergänzungen der Kapitalersatzregeln im GmbHGesetz, GmbHR 1999, 437; Podewils, Unterbilanzhaftung bei unterlassener Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung, GmbHR 2012, 1175; Tavakoli, Begrenzung der Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, NJW 2012, 1855.

I.

Einführung

Bei der Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft stellt sich für den Insol- 1 venzverwalter zunächst eine Frage, die auch jeder andere Unternehmensgründer für sich beantworten muss. Es ist zu entscheiden, in welcher Rechtsform die Auffanggesellschaft geführt werden soll. Ist diese Frage beantwortet, ist es nicht selten so, dass die – u. U. teilweise – Übertragung 2 der Aktiva des insolventen Rechtsträgers auf die Auffanggesellschaft unter zeitlichem Druck zu geschehen hat. Vor diesem Hintergrund wird es vielfach als attraktiv empfunden, nicht den Weg einer rechtlichen Neugründung der Auffanggesellschaft zu beschreiten, sondern einen bereits vorhandenen Rechtsträger zu verwenden. Dies geschieht in diesen Fällen regelmäßig durch den Erwerb und die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft. Wird so verfahren, sind – da der BGH dies als einen Fall der wirtschaftlichen Neugründung betrachtet – die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die sich aus der Rechtsprechung erwachsenden Haftungsrisiken zu vermeiden. Eine ebenfalls i. R. der Gründung zu beantwortende Frage ist – jedenfalls, wenn die Rechts- 3 formüberlegungen zur Wahl einer Kapitalgesellschaft geführt haben, – die der Aufbringung des Stamm- oder Grundkapitals der Auffanggesellschaft. Da diese das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers ganz oder teilweise fortführen, also auffangen soll, kommt in Betracht, den Weg der Sachgründung unter Einbringung des Unternehmens zu beschreiten. Blöse

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§ 23

Teil III Einzelfragen

Gegebenenfalls können sich aber auch – wenn eine Bargründung vollzogen wird – Fragen einer verdeckten Sacheinlage oder eines sog. Hin- und Herzahlens stellen. Denkbar – wenn auch nicht wahrscheinlich – ist der Fall, dass nach einer Bargründung die Übertragung des fortzuführenden Unternehmens erfolgt und dessen Wert gegen null geht. Hier stellt sich die Frage der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen. 4 Ist die Auffanggesellschaft schließlich gegründet, so tritt sie häufig in Rechtsbeziehungen zu dem insolventen Rechtsträger, sprich der Insolvenzmasse. Je nach Gestaltung und Entwicklung dieser Rechtsbeziehungen können sich – insbesondere bei einer Folgeinsolvenz der Auffanggesellschaft – nachteilige Konsequenzen für die Insolvenzmasse ergeben. II.

Rechtsformüberlegungen

5 Die Erwägungen, die im Zusammenhang mit der Gründung einer Auffanggesellschaft angestellt werden, unterscheiden sich nicht wesentlich von den Überlegungen, die im Zusammenhang mit der Gründung einer Gesellschaft für andere Zwecke angestellt werden. 6 Insbesondere dann, wenn das Geschäftsmodell der Auffanggesellschaft risikoreich ist, und also die Verwirklichung eines Verlustrisikos mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit versehen ist, wird für den Insolvenzverwalter, vor allem auch vor dem Hintergrund eigener Haftungsdrohung, der Gesichtspunkt der Risikoabschirmung von besonderer Bedeutung sein. Der praktische Regelfall der Rechtsform einer Auffanggesellschaft ist daher die Kapitalgesellschaft. 7 Etwas anderes kann jedoch insbesondere in den Fällen gelten, in denen die Übernahme der Auffanggesellschaft durch einen Erwerber weitgehend vorbereitet ist und zeitnah zur Gesellschaftsgründung erfolgen soll. In einer solchen Situation mag die Wahl auch auf eine Personengesellschaft fallen, da diese den Vorteil bietet, nicht selbst Ertragsteuersubjekt zu sein. Soll die Übernahme der Auffanggesellschaft unter Inanspruchnahme ihrer Ertragskraft und/oder Substanz erfolgen, wie dies bei Leveraged Buy-Outs geschieht, so kann diese Verlustdurchlässigkeit für den Investor von Interesse sein und ihrerseits einen Finanzierungsbeitrag für die Übernahme der Gesellschaft darstellen. Auch in diesen Fällen wird jedoch regelmäßig Haftungsvorsorge zu betreiben sein, so dass auch bei solchen Gestaltungen die reine Personengesellschaft regelmäßig ausscheiden und die Wahl auf eine gemischte Gesellschaftsform, typischerweise die GmbH & Co. KG, fallen wird. III.

Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung

8 Die Übertragung der Aktiva eines insolventen Rechtsträgers auf eine Auffanggesellschaft vollzieht sich oft in der Notwendigkeit der Beachtung knapper Fristen. Häufig ist es beidseits, d. h. sowohl von Seiten eines Investors als auch von Seiten des Insolvenzverwalters gewünscht, dass die Übernahme des Geschäfts des insolventen Rechtsträgers unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschieht. Es ist dann vor dem Hintergrund dieses zeitlichen Drucks vielfach nicht tunlich, die Auffanggesellschaft im Wege der rechtlichen Neugründung ins Leben zu rufen. Stattdessen wird nicht selten eine Vorratsgesellschaft genutzt. Die Nutzung einer solchen Gesellschaft stellt jedoch eine wirtschaftliche Neugründung dar, so dass die dafür von der Rechtsprechung aufgeführten Grundsätze zu beachten sind. 9 Seit den Entscheidungen des BGH vom 9.12.20021) und 7.7.20032) ist klar, dass sich aus einer sog. wirtschaftlichen Neugründung ganz erhebliche Haftungsrisiken für die beteiligten ___________ 1) BGH, Beschl. v. 9.12.2012 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251. 2) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 23

Personen ergeben können. Der BGH hat damals entschieden, dass bei einer wirtschaftlichen Neugründung die Grundsätze über die Unterbilanzhaftung entsprechend anwendbar sind und dass daneben auch eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG in Betracht kommt. 1.

Vorliegen einer wirtschaftlichen Neugründung

Eine wirtschaftliche Neugründung ist nach der Rechtsprechung des BGH in den vorge- 10 nannten Beschlüssen vom 9.12.2002 und 7.7.2003 in zwei Varianten denkbar: x

zum einen kommt die Erstverwendung einer Vorrats-GmbH in Betracht,

x

zum anderen die Wiederverwendung einer bereits existenten Gesellschaft, deren Geschäftsbetrieb jedoch vorübergehend eingestellt war.

Ein solcher Fall stellt im Zusammenhang mit der Gründung einer Auffanggesellschaft eine 11 Ausnahme dar, die jedoch gleichwohl denkbar ist. Dies insbesondere dann, wenn der insolvente Rechtsträger Inhaber aller Anteile einer Gesellschaft ist, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatte. In einem solchen Fall kann es, sowohl unter dem bereits angesprochenen zeitlichen Aspekt, aber auch unter Kostengesichtspunkten, in Betracht kommen, den Geschäftsbetrieb des insolventen Rechtsträgers auf eine solche inaktive Tochtergesellschaft zu übertragen und diese also als Auffanggesellschaft zu nutzen. Während bei einer Vorrats-Gesellschaft der Umstand, dass nach der zitierten Recht- 12 sprechung des BGH eine wirtschaftliche Neugründung vorliegt, für die Beteiligten regelmäßig leicht zu erkennen ist – zu Abgrenzungsfragen siehe sogleich – und zudem in der Mehrzahl der Fälle die Grundlage einer Haftung gar nicht gegeben sind, gilt für die Wiederverwendung einer zeitweise inaktiven Gesellschaft etwas anderes. Hier bestehen ganz erhebliche Schwierigkeiten, zu beurteilen, ob nach den Kriterien des BGH eine wirtschaftliche Neugründung vorliegt. In seiner Entscheidung vom 7.7.2003 hatte der BGH als Anhaltspunkte benannt: x

Änderung der Firma,

x

Änderung des Unternehmensgegenstandes,

x

Sitzverlegung,

x

Austausch der Geschäftsführung und

x

Veräußerung der Geschäftsanteile.

Diese Aufzählung kann jedoch nicht als in dem Sinne abschließend verstanden werden, 13 dass immer dann, wenn die genannten Umstände vorliegen, eine wirtschaftliche Neugründung gegeben ist bzw. umgekehrt, dass eine solche ausscheidet, wenn die aufgeführten Kriterien nicht erfüllt sind.3) Die Rechtsprechung verwendet regelmäßig den Begriff der „leeren Hülse“, um solche Ge- 14 sellschaften zu beschreiben, die Gegenstand einer wirtschaftlichen Neugründung sind. Diese eingängige Formulierung soll eine Situation kennzeichnen, in der die Gesellschaft kein aktives Unternehmen mehr betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs, sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebietes, in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtigen Weise anknüpfen kann.4) Als entscheidender Gesichtspunkt für die vorzunehmende Differenzierung wird demnach 15 betrachtet, ob die fragliche Gesellschaft in dem Zeitpunkt, in dem sie wieder aktiviert wird, ___________ 3) S. dazu Bärwaldt/Balder, GmbHR 2004, 350. 4) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.

Blöse

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§ 23

Teil III Einzelfragen

überhaupt noch ein Unternehmen betrieben hat oder vielmehr tatsächlich stillgelegt war. Als eindeutig werden dabei die Fälle angesehen, bei denen ein (nahezu) vermögensloser Alt-Mantel für den Betrieb eines neuen Unternehmens verwandt wird.5) Das OLG Celle hat zudem einen geringen, eher symbolischen Kaufpreis bei einer Geschäftsanteilsübertragung als Indiz dafür gewertet, dass die Gesellschaft inaktiv war.6) 2.

Haftungsrisiken

2.1

Gesellschafterhaftung

16 Eine wirtschaftliche Neugründung führt sowohl für die beteiligten Gesellschafter als auch für die Geschäftsführer zu Haftungsrisiken. Die Gesellschafter sehen sich mit dem Problem der Unterbilanzhaftung, teilweise auch Vorbelastungshaftung genannt, konfrontiert. Dies bedeutet, dass die Gesellschafter der Gesellschaft gegenüber anteilig auf Ausgleich haften, wenn durch Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Gesellschaft, also bei Eintragung ins Handelsregister, eine Differenz zwischen Stammkapital und Wert des Gesellschaftsvermögens besteht. 17 Dieser allgemeine Grundsatz der Unterbilanzhaftung ist für die Fälle der analogen Anwendung auf die wirtschaftliche Neugründung zu modifizieren. Aus der Natur der Sache heraus kann es hier nicht auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Handelsregister ankommen, sondern entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Handelsregister angemeldet bzw. offengelegt wird.7) Erfolgt eine Anmeldung bzw. Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung nicht, so wurde teilweise vertreten, dass die Haftung der Gesellschafter zeitlich unbeschränkt sei.8) Dieser Auffassung hat sich der BGH jedoch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 nicht angeschlossen.9) 18 Im Kern geht es bei den unterschiedlichen Auffassungen darum, für welchen Zeitraum sich die Gesellschafter einer unbeschränkten Verlustdeckungshaftung ausgesetzt sehen und ab welchem Zeitpunkt stattdessen die Beschränkung auf eine reine Unterbilanzhaftung eingreift. Diesen Zeitpunkt hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung nunmehr definiert und auf den Zeitpunkt festgelegt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung tritt. Zur Begründung seiner Ansicht führt der BGH aus, dass entscheidend ist, wann die wirtschaftliche Neugründung erstmals offenbar geworden ist. Als Mittel für dieses Offenbarwerden, kann dabei nicht nur die Offenlegung durch Anmeldung zum Handelsregister dienen, sondern auch durch die nach außen wahrnehmbare, d. h. offenbare, Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ab diesem Zeitpunkt gilt dann eine Haftungsbeschränkung, die darin liegt, dass die Gesellschafterhaftung auf die Unterbilanz begrenzt ist, die an dem Tag besteht, an dem die Tatsache der wirtschaftlichen Neugründung dem Rechtsverkehr bekannt geworden ist.10) 19 Für den i. R. der Gründung einer Auffanggesellschaft praxisdominanten Fall der Übernahme einer Vorratsgesellschaft dürfte sich die Haftungsgefahr bei der wirtschaftlichen Neugründung damit weitgehend entschärft haben. Dies deshalb, weil die Vorratsgesellschaft im Zeitpunkt ihrer Übernahme durch den Insolvenzverwalter regelmäßig ein intaktes Stammkapital haben wird. Erfolgt die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung ___________ 5) OLG München, Urt. v. 11.3.2010 – 23 U 2814/09, GmbHR 2010, 425 = ZIP 2010, 579. 6) OLG Celle, Urt. v. 11.5.2005 – 9 U 218/04, GmbHR 2005, 1496, 1497. 7) BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 325 = ZIP 2003, 1698 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790. 8) So OLG München, Urt. v. 11.3.2010 – 23 U 2814/09, GmbHR 2010, 425 = ZIP 2010, 579. 9) BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817. 10) Tavakoli, NJW 2012, 1855, 1856.

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§ 23

dann vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit, so können noch keine Verluste verursacht worden sein, die nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung ausgleichspflichtig sind. Erfolgt die Offenlegung nicht, wird aber vielfach im Ergebnis das Gleiche gelten. Der 20 Stichtag der Feststellung der Unterbilanz ist in diesem Fall der Zeitpunkt, in dem die Neugründung offenkundig wird und also – nach der neuen Rechtsprechung des BGH – der Zeitpunkt der Aufnahme geschäftlichen Kontakts mit Dritten. Dann fallen aber der Stichtag der Feststellung einer Unterbilanz und der Tag, an dem Verbindlichkeiten, die zu einem Verlust führen können, begründet werden, zusammen, so dass ausgleichspflichtige Verluste nicht bestehen dürften.11) 2.2

Geschäftsführerhaftung

Neben die Unterbilanzhaftung tritt die Handelndenhaftung aus § 11 Abs. 2 GmbHG. 21 Diese adressiert die Geschäftsführer oder diejenigen, die wie Geschäftsführer für die künftige GmbH tätig werden.12) Inhalt und Umfang der Handelndenhaftung ergeben sich aus dem Inhalt der von den Handelnden begründeten Rechtsbeziehung. Mit anderen Worten haften die Handelnden auf Erbringung der primären Leistungspflicht, die sich aus dem von ihnen für die Vorgesellschaft abgeschlossenen Rechtsbeziehungen ergibt, und auf sich ggf. ergebende Sekundäransprüche. Die Haftung endet, wenn die fragliche Verbindlichkeit bei Entstehung der GmbH durch deren Handelsregistereintragung auf die Gesellschaft übergeht. 3.

Handelsregisteranmeldung

Das grundlegende Anliegen der Rechtsprechung des BGH zur wirtschaftlichen Neugrün- 22 dung ist es, dass durch eine solche Gestaltung des (Wieder-)Eintritts eines Rechtsträgers ins Wirtschaftsleben die Gründungsvorschriften nicht umgangen werden dürfen. Daher soll die wirtschaftliche Neugründung weitgehend eine Gleichbehandlung mit einer rechtlichen Neugründung erfahren. Dazu gehört im Grundsatz auch, dass eine Anmeldung zum Handelsregister erfolgt. Nach dem vorstehend Gesagten sind zwar die Haftungskonsequenzen des Unterbleibens einer solchen Anmeldung mittlerweile gemildert, gleichwohl ist die Vornahme der Anmeldung nach wie vor der unter Haftungsgesichtspunkten sicherste Weg. In Vorbereitung dieser Anmeldung haben die anmeldeverpflichteten Geschäftsführer einen 23 Vermögensstatus aufzustellen, um die aktuelle Vermögenssituation der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung zu erfassen. Ergibt sich dabei, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Unterbilanzhaftung gegeben sind, dass also das Vermögen der Gesellschaft geringer ist als die Stammkapitalziffer, ist entweder ein Ausgleich durch eine entsprechende Vermögenszuführung oder ein bilanzieller Ausweis, der sich aus der Unterbilanzhaftung ergebenden Einlageforderung der Gesellschaft, vorzunehmen. Im Rahmen der Anmeldung der ohnehin – wegen der regelmäßig erfolgenden Umfirmierung – erforderlichen Satzungsänderung ist dann offenzulegen, dass es sich um einen Fall einer wirtschaftlichen Neugründung handelt. Zugleich ist von den Geschäftsführern die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugeben. Erfolgt ausnahmsweise keine Satzungsänderung, z. B. wenn als Auffanggesellschaft eine Tochterunternehmung des insolventen Rechtsträgers verwandt wird, deren Firmierung ohnehin attraktiv erscheint, und daher also keine Handels-

___________ 11) Zur Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Unterbilanz s. Götz, GmbHR 2013, 290, 291. 12) Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 11 Rz. 47.

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§ 23

Teil III Einzelfragen

registeranmeldung erforderlich ist, hat eine isolierte Mitteilung der wirtschaftlichen Neugründung und eine darauf bezogene Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG zu erfolgen.13) IV.

Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft

1.

Sachgründung

24 Da die Auffanggesellschaft das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers fortführt, kommt es grundsätzlich in Betracht, dass eine Sachgründung unter Einbringung jenes Unternehmens vorgenommen wird: x

Der damit verbundene Nachteil liegt darin, dass eine Bewertung der einzubringenden Vermögensgegenstände vorzunehmen ist.

x

Der Vorteil besteht hingegen darin, dass sich die – nachfolgend unter Rz. 30 f. anzusprechenden – Fragen einer verdeckten Sachgründung nicht stellen.

25 Wird der Weg einer Sachgründung beschritten, so ist zunächst zu klären, was konkret der Einlagegegenstand ist. Besteht dieser also x

in den einzelnen Vermögensgegenständen, die vom insolventen Rechtsträger auf die Auffanggesellschaft übertragen werden, oder

x

in dem Unternehmen als solchem.

26 Im erstgenannten Fall ist eine Einzelbewertung der einzelnen einzubringenden Gegenstände des Anlage- und/oder Umlaufvermögens vorzunehmen. Das Risiko, das dabei das Thema einer Differenzhaftung nach § 9 GmbHG oder für die AG aus der übernommenen Kapitaldeckungszusage14) relevant wird, ist überschaubar. Zwar ist auch eine Überbewertung einzelner Vermögensgegenstände, also des einzubringenden Grundstücks, der einzubringenden Maschine, der einzulegenden Forderung usw.,15) möglich, jedoch erscheinen die Bewertungsschwierigkeiten dabei deutlich geringer, als die mit der Bewertung eines Unternehmens insgesamt verbundenen Unsicherheiten. 27 Wird ein Unternehmen als solches im Zuge einer Sachgründung eingebracht, so ist der Wert dieses Einlagegegenstandes nach dem Ertragswert zu bemessen.16) Untergrenze ist dabei der Liquidationswert, also der Substanzwert, der sich bei einer Einzelveräußerung der zum Unternehmen gehörenden Vermögensgegenstände ergibt. Denkbar ist, dass sich insgesamt ein Unternehmenswert i. H. von null ergibt. Dies dann, wenn das Unternehmen dauerhaft nicht in der Lage ist, Überschüsse zu erwirtschaften, und es sich um ein betriebsmittelarmes Unternehmen handelt bzw. der (Substanz-)Wert des Anlage- und Umlaufvermögens wegen dessen Zustands gegen null geht. In einem solchen Fall ist das Haftungsrisiko aus der Differenzhaftung – nahezu – betragsgleich mit der Stammkapitalziffer. 28 Inwieweit sich dieses Risiko dadurch eingrenzen lässt, dass der – angenommene – Wert des einzubringenden Unternehmens aufgeteilt wird in einerseits eine Kapitaleinlage und andererseits in eine Einzahlung in eine Rücklage, ist von der Gestaltung dieses Vorgangs abhängig. Im Grundsatz gilt insoweit nach der Entscheidung des BGH vom 6.12.2011,17) dass der gesetzliche Differenzhaftungsanspruch auch den Betrag des Aufgeldes, also den in die Kapitalrücklage einzustellenden Teil des Gesamtunternehmenswertes, deckt. Aller___________ 13) S. zum Ganzen Roth/Altmeppen-Roth, GmbHG, § 3 Rz. 14b. 14) Hüffer, AktG, § 27 Rz. 21. 15) Zur verwandten Thematik des Debt-Equity-Swaps im Insolvenzverfahren s. z. B. Blöse, GmbHR 2012, 471. 16) Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 5 Rz. 34; Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 5 Rz. 22. 17) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock/Borsig), BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 23

dings bezieht sich die Differenzhaftung dabei nur auf das sog. statuarische Aufgeld, nicht jedoch auf das rein schuldrechtlich vereinbarte.18) Wirtschaftlich hilft diese Unterscheidung allerdings dem Inferenten nicht weiter, da dieser 29 auch zur Zahlung des schuldrechtlich vereinbarten Aufgeldes eben aus der schuldrechtlichen Abrede verpflichtet ist.19) 2.

Verdeckte Sacheinlage

Häufiger als Probleme i. R. einer Sachgründung können Fragen einer verdeckten Sachein- 30 lage auftreten. Dies sowohl dann, wenn nach einer Bargründung das vom insolventen Rechtsträger geführte Unternehmen bzw. die diesem zuzuordnenden Vermögensgegenstände unmittelbar entgeltlich auf die Auffanggesellschaft übertragen werden, als auch dann, wenn zwar die Übertragung als solche unentgeltlich erfolgt, daneben aber schuldrechtliche Beziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft begründet werden, bei denen das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung fraglich ist. Beispiel: Als Beispiel kann hier der Fall dienen, dass der Auffanggesellschaft sämtliche Aktiva des insolventen Rechtsträgers mit Ausnahme des Betriebsgrundstückes übertragen werden und dieses pachtweise überlassen wird, wobei die Bemessung des Pachtzinses zu Lasten der Auffanggesellschaft unüblich, d. h. im Drittvergleich zu hoch, erfolgt. In einem solchen Fall liegt eine verdeckte Sacheinlage vor, da bei wirtschaftlicher Betrachtung der den Marktpreis übersteigende Teil des Pachtzinses Kaufpreis für die der Auffanggesellschaft übertragenen Vermögensgegenstände ist. Je nach Gestaltung kann dann statt einer verdeckten Sacheinlage auch ein Fall des Hin- und Herzahlens i. S. v. § 19 Abs. 5 GmbHG, § 27 Abs. 4 AktG vorliegen. Da die Übertragung des Unternehmens auf die Auffanggesellschaft und die Gestaltung der 31 schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Auffanggesellschaft und Insolvenzmasse typischerweise im Zusammenhang vorgenommen werden, muss in Fällen wie diesen – jedenfalls, wenn Kenntnis davon besteht, dass der vereinbarte Pachtzins unüblich hoch ist, – von einer bewussten verdeckten Sacheinlage ausgegangen werden. Dies hat für die anmeldeverpflichteten Geschäftsführer/Vorstände relevante nachteilige Konsequenzen. Da die Erfüllung der Einlageverpflichtung bei Fällen der verdeckten Sacheinlage nach § 19 Abs. 4 Sätze 3 und 4 GmbHG bzw. § 27 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AktG im Wege der Anrechnung erfolgt und diese frühestens mit Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister geschieht, ist die von den Geschäftsführern/Vorständen abzugebende Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG bzw. § 37 Abs. 1 AktG notwendigerweise falsch. Daraus erwächst die strafrechtliche Konsequenz nach § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG und § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG.20) Da beide Vorschriften zugleich Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB sind, ergibt sich zugleich gegenüber gegenwärtigen und künftigen Gläubigern der Gesellschaft sowie künftigen Gesellschaftern eine Schadensersatzverpflichtung.21) V.

Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft

Wird eine Auffanggesellschaft gegründet, um in ihrem Rechtskleid über einen gewissen 32 Zeitraum das Unternehmen des insolventen Rechtsträgers fortzuführen, erlangt die Insol___________ 18) S. zur Unterscheidung BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, DB 2007, 2826 = ZIP 2007, 2416; Krause, BB 2008, 77. 19) BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, DB 2007, 2826 = ZIP 2007, 2416. 20) S. dazu für die GmbH: Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 82 Rz. 12. 21) Luther/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 82 Rz. 31.

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§ 23

Teil III Einzelfragen

venzmasse Gesellschafterstellung in der Auffanggesellschaft. Regelmäßig wird sie dabei mittelbarer Gesellschafter sein, da die Anteile an der Auffanggesellschaft häufig vom Insolvenzverwalter treuhänderisch für die Insolvenzmasse gehalten werden. Soweit in diesem Rahmen Gesellschafterleistungen von der Masse an die Auffanggesellschaft erbracht werden, fragt sich, wie diese im Fall einer Insolvenz der Auffanggesellschaft zu behandeln sind. 33 Sind diese also als nachrangige Insolvenzforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu betrachten bzw. unterliegen sie der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO? Eine Anfechtungsfreiheit und eine Behandlung als Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO ergäbe sich dann, wenn das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO anwendbar wäre. Um die Frage nach der Anwendbarkeit des Privilegs beantworten zu können, ist es zunächst notwendig, dessen Hintergründe und Zielrichtungen zu betrachten. 1.

Entwicklung des Sanierungsprivilegs

34 Das Sanierungsprivileg ist ursprünglich durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) in das GmbHG eingefügt worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.1.199822) enthielt diese Ergänzung des § 32a Abs. 3 GmbHG a. F. noch nicht. Erst der Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht vom 4.3.199823) die Ergänzung angeregt. Tragende Erwägung war dabei:24) „Mit dem neu eingeführten Sanierungsprivileg wird es einem Darlehensgeber ermöglicht, in der Krise der Gesellschaft Geschäftsanteile und unternehmerische Kontrolle zu übernehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass seine stehen gelassenen Alt-Kredite allein deshalb in eigenkapitalersetzende Darlehen umqualifiziert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob er neue Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung zeichnet oder bestehende Anteil von den Alteigentümern übernimmt. Auch letzteres, zumeist verbunden mit dem Austausch des Managements kann wichtiger Beitrag zu einer Sanierung sein. Die Regelung macht klar, dass die Umqualifizierung allein durch den Erwerb von Geschäftsanteilen in der Krise ausgeschlossen sein soll. Waren die Alt-Darlehen bereits umqualifiziert, weil der Darlehensgeber schon zuvor Anteile über 10 v. H. besaß, so kann das Sanierungsprivileg sie nicht rückwirkend befreien. Das Privileg gilt auch für Neudarlehen, die von dem Sanierungsgesellschafter in der Krise zum Zweck ihrer Überwindung gegeben werden. Auch bei solchen Krediten soll der Sanierungsgesellschafter nicht schlechter gestellt werden, als er stünde, wenn er die Geschäftsanteile in der Krise nicht erworben hätte, zumal solche Kredite in der Regel kaum besichert werden können und ein hohes Risiko gehen.“

35 Der Gesetzgeber des MoMiG hat sich den grundlegenden Erwägungen des KonTraGGesetzgebers angeschlossen und das Sanierungsprivileg ohne wesentliche sachliche Änderung in die InsO übernommen;25) eine Modifikation wurde lediglich hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals vorgenommen. In der Begründung des RegE zum MoMiG heißt es: „Das Sanierungsprivileg gilt auch zukünftig für Personen, die vor dem Anteilserwerb aus dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 herausfielen, also weder Gesellschafter noch gleichgestellte Personen waren oder vor dem Hinzuerwerb weiterer Anteile dem Kleinbeteiligtenprivileg nach § 39 Abs. 5 unterfielen. Infolge der durchgängigen Aufgabe des Merkmals der „Krise“ greift das Sanierungsprivileg künftig ab dem Zeitpunkt der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung der Gesellschaft und bleibt bis zur „nachhaltigen Sanierung“ bestehen.“26)

___________ 22) 23) 24) 25) 26)

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BT-Drucks. 13/9712. BT-Drucks. 13/10038. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 4.3.1998, BT-Drucks. 16/9737, S. 28. Roth/Altmeppen-Altmeppen, 6. Aufl., Anh. §§ 32a, b Rz. 31. RegE MoMiG v. 25.7.2007, BT-Drucks. 16/6140, S. 138.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft 2.

§ 23

Voraussetzungen des Sanierungsprivilegs

Tatbestandliche Voraussetzungen der Privilegierung sind demnach:

36

x

Anteilserwerb,

x

durch einen Darlehensgeber,

x

bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft,

x

zum Zweck der Sanierung.

Fraglich ist, ob diese Voraussetzungen bei der Gründung einer Auffanggesellschaft und 37 der Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dieser und der Insolvenzmasse vorliegen. 2.1

Zeitpunkt des Anteilserwerbs

Problematisch ist bereits, zu welchem Zeitpunkt der Anteilserwerb stattgefunden haben 38 muss, damit die Privilegierung eingreift. Aus der vorstehend wiedergegebenen Begründung des RegE zum MoMiG könnte geschlossen werden, dass im Erwerbszeitpunkt bereits die Voraussetzungen des fakultativen Eröffnungsgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit bzw. der zwingenden Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung vorliegen müssen. Auch unter Geltung der alten Vorschrift des § 32a Abs. 3 GmbHG a. F. stellte sich eine ähnlich gelagerte Frage. Aus der bis zum Inkrafttreten des MoMiG bestehenden Tatbestandsvoraussetzung des Anteilserwerbs in der Krise hat die h. M. entnommen, dass nur der Neugesellschafter, der sich in der Krise der Gesellschaft an dieser beteiligt, Sanierungsgesellschafter i. S. des Gesetzes sein kann.27) Die gegenteilige Auffassung, nimmt an, dass auch Altgesellschafter, also solche, die an der 39 Gesellschaft bereits vor Kriseneintritt beteiligt waren, die Privilegierung erlangen können.28) Innerhalb dieser Auffassung wird unterschiedlich beurteilt, ob der Erwerb zusätzlicher Anteile notwendig ist oder ob außer der Sanierungskreditwürdigkeit der Gesellschaft und der objektiven Eignung des Gesellschafterkredits zu dieser Sanierung die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. „in rechtsfortbildender Korrektur des Wortlauts beiseite zu lassen sind“.29) Der, der h. M. widersprechenden Auffassung steht der erklärte Wille des Gesetzgebers 40 entgegen. Aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass dieser davon ausgegangen ist, dass der Darlehensgeber erst nach Eintritt der Krise der Gesellschaft in dieser Gesellschafterstellung erworben hat. Auch die Rechtsprechung geht davon ganz selbstverständlich aus.30) Ausgehend von diesem Meinungsbild zur alten Rechtslage wird man für die jetzige ge- 41 setzliche Fassung des Sanierungsprivilegs zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Anteilserwerb vor Eintritt der Voraussetzungen eines Eröffnungsgrundes nicht der Privilegierung unterfällt. Mit diesem Ergebnis wäre dann eine Anwendung des Privilegs auf Auffanggesellschaften regelmäßig ausgeschlossen, da diese im Zeitpunkt ihrer Gründung typischerweise nicht insolvenzreif sind. ___________ 27) Scholz-K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., 2006, §§ 32a, 32b Rz. 214; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, Rz. 428 f. jeweils m. w. N. 28) Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., 2005, § 32a Rz. 59 ff. und 6. Aufl., 2009, Anh. §§ 32a, b Rz. 33; Pentz, GmbHR 1999, 437, 449. 29) Roth/Altmeppen-Altmeppen, 5. Aufl., 2005, § 32a Rz. 66. 30) S. z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2003 – I-17 U 77/03, GmbHR 2004, 564 = ZIP 2004, 508; BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, GmbHR 2006, 311 = ZIP 2006, 279.

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§ 23

Teil III Einzelfragen

42 Fraglich ist aber, ob § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO einer teleologischen Extension zugänglich ist. Ansatzpunkt dafür könnten die Besonderheiten der Situation sein, in der Auffanggesellschaften gegründet werden. Der BGH trägt in seiner Rechtsprechung den Besonderheiten und Notwendigkeiten einer Insolvenzsituation verschiedentlich Rechnung. Ein solcher Gesichtspunkt kommt z. B. i. R. der einschränkenden Auslegung der Haftungsnorm des § 25 Abs. 1 HGB zum Tragen. Der BGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 11.4.198831) ausgeführt: „Letztlich ausschlaggebend ist vielmehr, wie auch das Berufungsgericht nicht zu verkennen scheint, dass die Anwendung von § 25 Abs. 1 HGB und § 419 BGB auf Veräußerungsgeschäfte des Konkursverwalters im Widerspruch zu den bestimmenden Grundsätzen des Konkursverfahrens und der dem Konkursverwalter darin zugewiesenen Funktion stünde. Aufgabe des Konkursverwalters ist es, die Vermögensgegenstände des Gemeinschuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den höchst möglichen Erlös zwecks anschließender Verteilung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB oder § 419 BGB haften müsste. Eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch des bisherigen Trägers geführt haben, wäre nur in den seltensten Fällen erreichbar. Der Konkursverwalter wäre deshalb in aller Regel darauf beschränkt, eine Verwertung des Schuldnervermögens durch Zerschlagung durchzuführen. Dies würde Sinn und Zweck des § 25 Abs. 1 HGB und vor allem des § 419 BGB, der den Gläubiger begünstigen soll, widersprechen …“

43 Maßgebliche Erwägung dieser Rechtsprechung ist es also, zu verhindern, dass durch die Anwendung der Haftungsnorm die Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens erschwert oder unmöglich gemacht wird. Dieser Grundgedanke kann grundsätzlich auch dann zum Tragen kommen, wenn es darum geht, durch eine extensive Auslegung einer Privilegierungsvorschrift den Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu limitieren. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist dabei, dass die unlimitierte Anwendung mit den Zielen des Insolvenzverfahrens kollidiert. 44 Dessen Ziele finden sich in § 1 InsO. Die Vorschrift nennt einerseits die – im vorliegenden Zusammenhang nicht interessierende – Möglichkeit für den Schuldner, sich zu entschulden und andererseits die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Die Begründung des RegE zur InsO32) führt dazu aus: „Ziel des Verfahrens muss die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens und die optimale Abwicklung oder Umgestaltung der Finanzstruktur des Schuldners im Interesse seiner Geldgeber sein. Die einzelwirtschaftliche Rentabilitätsrechnung der Beteiligten folgt im gerichtlichen Verfahren denselben Rationalitätsgesichtspunkten wie bei einer außergerichtlichen Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung. Ein marktkonformes Verfahren ist deshalb an den Vermögensinteressen der Geldgeber des Schuldners auszurichten; es ist vermögens- nicht organisationsorientiert.“

45 In der Begründung zu § 1 InsO – der soweit hier interessierend, in den, dem RegE zugrunde liegenden Grunderwägungen, Gesetz geworden ist33) – heißt es dann:34) „Dennoch liegt dem neuen Verfahren ein einheitliches Hauptziel zugrunde: Die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Dieses Ziel ist in erster Linie maßgeblich für die Entscheidungen, die innerhalb des Verfahrens zu treffen sind. Das Insolvenzrecht dient der Verwirklichung der Vermögenshaftung in Fällen, in denen der Schuldner zur vollen Befriedigung aller Gläubiger nicht mehr in der Lage ist. (…) Das Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger wird zu Beginn des Gesetzes in § 1 Abs. 1 hervorgehoben, da es das gesamte Insolvenzverfahren prägt.“

___________ 31) 32) 33) 34)

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BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151, 154 f. = ZIP 1988, 727. BT-Drucks. 12/2443, S. 79. S. RegE InsO, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 155. RegE InsO, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 110.

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Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 23

Im vorliegenden Zusammenhang ist ausgehend von der dargestellten Intention des Ge- 46 setzgebers zu fragen, ob die Ziele des Insolvenzverfahrens es ebenso wie im Fall des § 25 HGB rechtfertigen, eine Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch eine extensive Auslegung des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass der Gesetzgeber der InsO die 47 übertragende Sanierung, also auch die Übertragung des Geschäftsbetriebs des Schuldnerunternehmens auf eine Auffanggesellschaft als Instrument zur Abwicklung eines Insolvenzverfahrens anerkannt hat. Im RegE zur InsO heißt es insoweit:35) „Die übertragende Sanierung nach Betrieben und Unternehmen hat sich bereits nach dem geltenden Recht als Sanierungsinstrument außerordentlich bewährt. Sie soll den Verfahrensbeteiligten auch künftig zur Verfügung stehen. Unter übertragender Sanierung versteht der Entwurf die Übertragung eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils von dem insolventen Träger auf einen anderen, bereits bestehenden oder neu zu gründenden Rechtsträger. (…) Die übertragende Sanierung soll dem Beteiligten vielmehr neben der Sanierung des Unternehmensträgers als gleichrangiges Sanierungsinstrument angeboten werden.“

Stellt die Übertragung des Geschäftsbetriebs des Schuldners auf eine Auffanggesellschaft 48 die bestmögliche Verwertungsvariante des Schuldnerunternehmens unter dem Gesichtspunkt der optimalen Gläubigerbefriedigung dar, so verbindet sich damit die Erreichung eines zweiten anerkannten Ziels, nämlich des Erhalts eines Betriebs oder zumindest Betriebsteils als organisatorische Einheit und damit zugleich auch die Sicherung der in dieser organisatorischen Einheit vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten, sprich Arbeitsplätze. Die übertragende Sanierung stellt keine Sanierung des insolventen Rechtsträgers selbst 49 dar, sondern führt zum vollständigen oder teilweisen Erhalt der organisatorischen und unternehmerischen Einheit durch deren Übertragung auf einen neuen Rechtsträger. Daher wird durch den Akt der übertragenen Sanierung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise hinsichtlich der durch sie in ihrem Bestand erhaltenen unternehmerischen Einheit eine Sanierung erreicht. Diesem Vorgang ist es immanent, dass die unternehmenstragende Gesellschaft ausgetauscht wird. Gleichfalls immanent ist daher, dass eine Gesellschafterstellung erst im Zuge des Übertragungsaktes begründet wird. Mit anderen Worten und in der Terminologie des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO: Der Anteilserwerb findet in der manifesten Krise, also der Insolvenz des Schuldnerunternehmens und damit der übertragenden Rechtsträgers statt. Aus der Konstruktion der übertragenen Sanierung folgend, findet der Anteilserwerb zwingend, nicht am übertragenden, sondern an dem Rechtsträger statt, auf den übertragen wird. Wird die übertragende Sanierung als Sanierungsinstrument anerkannt, wie dies der Ge- 50 setzgeber der InsO getan hat und stellt die übertragende Sanierung zwar nicht die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers, wohl aber – ganz oder teilweise – den Erhalt des von diesem getragenen Unternehmens dar, so entspricht es der Grundwertung des Gesetzgebers des KonTraG – die der MoMiGGesetzgeber nicht in Zweifel gezogen hat – auch den Gesellschafter als Sanierungsgesellschafter i. S. des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO zu betrachten, der sich zu Sanierungszwecken nicht am insolventen Rechtsträger beteiligt, sondern an einem anderen Rechtsträger, der als Auffanggesellschaft gegründet wird. Insgesamt ist also festzuhalten, dass der Anwendung des Sanierungsprivilegs auf Auf- 51 fanggesellschaften nicht entgegensteht, dass der Erwerb von Anteilen an diesen vor deren Insolvenzreife stattfindet. ___________ 35) RegE InsO Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 96.

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§ 23

Teil III Einzelfragen

52 Zu fragen ist noch, ob die Anwendung des Sanierungsprivilegs, in Fällen, wie dem vorliegend diskutierten, daran scheitert, dass nicht Anteile an einer bereits bestehenden Gesellschaft übernommen werden, sondern der Anteilserwerb im Zuge des Gründungsaktes stattfindet. Der Gesetzgeber des KonTraG war der Auffassung, dass die Privilegierung unabhängig davon ist, ob der Sanierungsgesellschafter neue Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung zeichnet oder bestehende Anteile von Alteigentümern übernimmt. Wenn aber ein Anteilserwerb aus einer Kapitalerhöhung, also der Erwerb neu geschaffener Anteile, für die Erlangung der Privilegierung ausreichend ist, so kann nichts anderes für Anteile gelten, die bei der Gründung der Auffanggesellschaft neu entstehen. Auf dieser Basis ergibt sich hinsichtlich der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Anteilserwerb bei Gründung der Auffanggesellschaft wertungsmäßig einem Anteilserwerb von einem Altgesellschafter oder im Zuge einer Kapitalerhöhung gleichsteht, so dass dieses Tatbestandmerkmal erfüllt ist. 2.2

Zeitpunkt der Darlehensgewährung

53 Nicht ganz unstreitig ist es, ob die Darlehensgewährung bereits vor Begründung der Gesellschafterstellung erfolgen muss oder ob dies auch im Zuge des Eintritts des Sanierungsgesellschafters erfolgen kann. 54 Nach wohl überwiegender Meinung zu § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. ist es nicht erforderlich, dass zuerst die kapitalersetzende Rechtshandlung und danach der Anteilserwerb erfolgen.36) Begründet wird dies damit, dass es ausreichen müsse, dass der Anteilserwerb Sanierungszwecken dient. Wenn das Privileg eine vorausgehende Kreditfinanzierung voraussetzen würde, wäre es ein Kunstfehler, zu Sanierungszwecken zunächst die Beteiligung zu erwerben und die Darlehensfinanzierung daran anzuschließen. Richtigerweise sei auf dieses Merkmal zu verzichten.37) 55 Im Anschluss an die wohl überwiegende Meinung ist daher davon auszugehen, dass auch eine dem Anteilserwerb nachfolgende Darlehensgewährung privilegiert sein kann. Im Falle einer Auffanggesellschaft ist dies sogar zwingend, da der darlehensnehmende Rechtsträger, an dem der Sanierungsgesellschafter Anteile erwirbt, erst geschaffen werden muss, also eine vorhergehende Darlehenshingabe gar nicht möglich ist. 2.3

Insolvenzreife

56 Wie ausgeführt, ist es in Fällen wie dem hier diskutierten, vor dem Hintergrund sowohl des Sinns und Zwecks des Sanierungsprivilegs als auch der Ziele des Insolvenzverfahrens gerechtfertigt, von einem strengen Bezug auf die Rechtsperson des Schuldners Abstand zu nehmen. Das bedeutet, dass zwar die Auffanggesellschaft, auf die zum Zweck der Sanierung das Unternehmen des Schuldners übertragen wird, nicht insolvenzreif ist, der Schuldner seinerseits sich jedoch in der manifesten Krise der Insolvenz befindet und also bei einer Gesamtschau des Schuldners und der dessen Unternehmen aufnehmenden Auffanggesellschaft von einem Anteilserwerb bei Insolvenzreife auszugehen ist. 2.4

Sanierungszweck

57 Da der Gesetzgeber der InsO davon ausgeht, dass eine übertragende Sanierung ein anerkanntes Sanierungsinstrument ist und unter diesem Gesichtspunkt eine Sanierung des Schuldners selbst gleichsteht, erfolgt der Erwerb der Anteile an der Auffanggesellschaft ___________ 36) OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2003 – I-17 U 77/03, GmbHR 2004, 564 = ZIP 2004, 508; Löwisch, Eigenkapitalersatzrecht, Rz. 437 m. w. N. 37) Scholz-K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., 2006, §§ 32a, 32b Rz. 215.

740

Blöse

Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft

§ 23

gerade zum Sanierungszweck. Dies deshalb, weil der Anteilserwerb Voraussetzung für die Durchführung der übertragenden Sanierung ist. 3.

Fazit

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass, vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen 58 Wertungen in der InsO, dem KonTraG und dem MoMiG, eine grundsätzliche Anwendung des Sanierungsprivilegs auch auf den Gesellschafter einer Auffanggesellschaft zulässig ist und die Tatbestandsvoraussetzungen des Sanierungsprivilegs in der Person des Gesellschafters einer Auffanggesellschaft regelmäßig vorliegen.

Blöse

741

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

§6 Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung Übersicht I. Die Entscheidungssituation....................... 1 II. Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse)....................................... 7 1. Krisenstadium............................................... 7 2. Methoden der Krisenanalyse ..................... 17 III. Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen....................................................... 22 1. Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen ................................................ 24

2.

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen ................................................ 34 2.1 Einkauf und Beschaffung ............... 35 2.2 Produktion ...................................... 40 2.3 Vertrieb............................................ 45 3. Planung der Sanierungsmaßnahmen ......... 55 IV. Sanierungskonzept und Planungsrechnung .................................................... 56 V. Umsetzung und Controlling................... 61 VI. Zusammenfassung .................................... 69

Literatur: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung Strategien und Konzepte, 2004; Crone/ Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 2012; Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management in der Praxis, 2009; Gabler, Wirtschaftslexikon, 17. Aufl., 2010; Porter, Wettbewerbsvorteile, 2010.

I.

Die Entscheidungssituation

Die Übernahme von großen und mittleren Insolvenzverfahren als vorläufiger Insolvenz-, 1 Sach- oder Eigenverwalter bedeutet immer auch die Übernahme unternehmerischer Verantwortung. Innerhalb kürzester Zeit müssen in den Verfahren Entscheidungen getroffen werden, deren Tragweite nicht immer vollständig transparent ist, deren wirtschaftliche Dimension aber häufig weitreichend ist. Teilweise übersteigen sie auch die aktuell verfügbaren Mittel, über die man im Verfahren zu Beginn verfügt. Die Beispiele hierfür sind mannigfaltig: Bei einer Druckerei-Insolvenz stehen am Tag der Antragstellung Farblieferungen für die Pressen an. Der Fahrer ist angewiesen, nur dann zu entladen, wenn vom vorläufigen Insolvenzverwalter eine Zahlungszusage für mehrere zehntausend Euro abgegeben wird. Ob und in welchem Umfang die Farbe benötigt wird, weiß der vorläufige Insolvenzverwalter zu diesem Zeitpunkt nicht, da er erst vor ca. einer Stunde vom Gericht bestellt wurde. Die freie Liquidität reicht für die Bezahlung nicht aus. Ohne die Lieferung steht die Produktion wegen umfangreicher Nachrüstarbeiten für mindestens drei Wochen still. Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortfüh- 2 rung sind in erster Linie liquiditätsorientiert. Entscheidungsmaßstab ist die Frage, ob eine Verfügung (z. B. Bestellungen, Produktionsorder, Annahme eines Auftrages etc.) zu einem Einnahmen-Überschuss führt oder nicht. Führt dies zu mehr Liquidität und damit am Ende des Tages zu einer Mehrung der Insolvenzmasse, dann wird diese Verfügung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeführt. Führt dies zu weniger Liquidität, unterbleibt voraussichtlich die Entscheidung. Die Maßstäbe für diese Entscheidungen unterscheiden sich erheblich je nach Verfahrens- 3 stadium und Verfahrensart. Es ist zum einen zu unterscheiden zwischen dem vorläufigen Insolvenzverfahren und dem eröffneten Insolvenzverfahren. Bestimmte Leistungsinanspruchnahmen (z. B. Arbeitsleistungen der Mitarbeiter) führen im Antragsverfahren nicht unmittelbar bzw. nicht in voller Höhe zu Auszahlungsverpflichtungen. Nach Verfahrenseröffnung sind sie bei Leistungsinanspruchnahmen in vollem Umfang zu zahlen. Daneben ist zum anderen zu klären, in welchem spezifischen Stadium sich das Verfahren 4 befindet. Ist i. R. des vorläufigen Verfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Weniger

75

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1. InsO bereits auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter), sind andere Maßstäbe anzusetzen, als ohne diese Anordnung. Auch nach Verfahrenseröffnung kann es unterschiedliche Stadien geben. Liegt z. B. die Anzeige einer Masseunzulänglichkeit vor, ist mit bestimmten Leistungsinanspruchnahmen anders zu verfahren, als ohne eine solche Anzeige. 5 Neben der kurzfristigen Betrachtung der Liquidität ist aber auch der Aspekt der nachhaltigen Wettbewerbs- und Renditefähigkeit des Unternehmens zu beachten. In aller Regel wird der Geschäftsbetrieb nur dann veräußerbar bzw. im Wege einer erhaltenden Sanierung (Insolvenzplanverfahren) dauerhaft fortführbar sein, wenn das Unternehmen rentabel arbeitet. Hier geht es im Kern um die Frage, ob das Unternehmen nachhaltig in der Lage ist, eine im Marktmaßstab angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu erwirtschaften: x

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren sind daher immer kurzfristig anhand der Liquidität zu ermitteln. Maßstab ist hier die Frage, ob ein Einnahmenüberschuss erzielt werden kann oder nicht.

x

Mittel- bzw. langfristig ist eine Ertragsbetrachtung anzustellen. Die Renditeerwartung richtet sich dabei nach den marktspezifischen Besonderheiten.

6 Die betriebswirtschaftliche Abbildung erfolgt in Form von Planungsrechnungen (Cashflow-Rechnung bzw. einer Gewinn- und Verlust-Rechnung und Bilanzplanung). Grundlagen für diese Planungsrechnungen bilden eine Analyse des Krisenstadiums (Ursachenanalyse der Insolvenz) und die Erarbeitung von leistungs- und finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen. Mithilfe der integrierten Planungsrechnung kann eine Potenzialanalyse für das sanierte Unternehmen vorgenommen werden. Ferner ist ein Instrumentarium zu schaffen, das eine laufende Plan-/Ist-Abweichung in Bezug auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und auf die vorzunehmenden Maßnahmen darstellt. II.

Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse)

1.

Krisenstadium

7 Ausgangspunkt der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage für eine Unternehmensfortführung ist die Analyse des konkreten Krisenstadiums. Dabei ist zunächst der Begriff der Unternehmenskrise zu klären: x

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Unternehmenskrise definiert als eine Situation, die für das Unternehmen existenzbedrohend ist und die von einer dynamischen Ergebnis- und Liquiditätsambivalenz gekennzeichnet ist. Das Ausmaß der Krise kann anhand von diversen Kennzahlen (Ergebnis-, Kapital- oder Liquiditätskennzahlen) im Verhältnis zu relevanten Benchmark-Zahlen ermittelt werden.

x

In rechtlicher Hinsicht gibt es verschiedene Vorschriften, die sich auf eine Unternehmenskrise beziehen. Hierunter fällt z. B. der Verzehr des hälftigen Stamm- bzw. Grundkapitals (§ 49 Abs. 3 GmbHG), die Unterbilanz, d. h. das bilanzielle Eigenkapital deckt nicht mehr das Stammkapital (§ 30 Abs. 1 GmbHG) sowie bestandsgefährdende Tatsachen und Risiken (§ 321 Abs. 1 HGB).

x

Insolvenzrechtlich konkretisiert sich der Krisenbegriff beim Vorliegen der Insolvenzauslösetatbestände gemäß §§ 17 und 19 InsO, der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und/ oder der Überschuldung. In der Entscheidungssituation der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren wird jedenfalls eine der beiden Krisenarten vorliegen.

76

Weniger

§6

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

Unternehmenskrisen verlaufen nicht linear, sondern sind von einer Entwicklungsdynamik 8 gekennzeichnet. Gleichwohl ist es für die Erarbeitung eines nachhaltigen Sanierungskonzepts erforderlich, dass die genauen Krisenursachen und das Krisenstadium des Unternehmens analysiert werden. Der Sanierungsstandard 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in der neuen Fassung unterscheidet1) sechs Krisenstadien, die eine idealtypische Abfolge darstellen. Hiernach wird unterschieden zwischen: x

Stakeholderkrise,

x

Strategiekrise,

x

Produkt- und Absatzkrise,

x

Erfolgskrise,

x

Liquiditätskrise,

x

Insolvenzreife.

Aufgrund der dynamischen Entwicklung von Unternehmenskrisen durchläuft ein Unter- 9 nehmen typischerweise nicht jedes Krisenstadium, bevor die Insolvenzreife eintritt. Im Einzelfall ist zu analysieren, welche konkreten Krisengründe und Krisenursachen bzw. Krisenstadien gegeben sind. Der idealtypische Ablauf der Krisenphasen ist auf der einen Seite durch eine zunehmende 10 Erkennbarkeit gekennzeichnet. Spiegelbildlich hierzu reduziert sich aber der Handlungsspielraum für das Management erheblich. Dieser Zusammenhang ist in der folgenden Grafik dargestellt:

Indikatoren

Stakeholderkrise

Strategische Krise

Produkt-/ Absatzkrise

Verluste von relativen Marktanteilen

Erfolgskrise

Liquiditätskrise

Erfolgsfaktoren Starker des Unternehmens Gewinnrückgang sind nicht mehr in bzw. erste der ursprünglichen Verluste Form vorhanden

Ernsthafte Gefährdung der Stagnierende oder Konflikte zwischen Erfolgspotenziale rückläufige und Verlust von InteressenNachfrage nach WettbewerbsHauptumsatz-/ gruppen des Unternehmens fähigkeit Erfolgsträger

Gefahr der Zahlungsunfähigkeit

Insolvenz Zahlungsunfähigkeit Überschuldung

Zeit

Betriebsergebnis

Zunehmende Erkennbarkeit und Handlungsdruck

Abnehmender Handlungsspielraum

Quelle: Eigene Darstellung

Die Stakeholderkrise beschreibt ein über das übliche Maß an Interessenkonflikten hinaus- 11 gehendes Spannungsverhältnis zwischen den Unternehmens-Beteiligten. Hierzu zählen die Gesellschafter, Organe der Gesellschaft (Aufsichtsrat, Beirat), Management und Arbeitnehmer.2) Ferner zählen dazu auch Außenstehende wie Kreditgeber, Finanzierer, Lieferanten, sonstige Gläubiger oder öffentliche Stellen. Es liegt im Wesen der Stakeholderkrise, dass sie weder intern noch extern unmittelbar erkannt wird. Im Rahmen von Insolvenzverfahren

___________ 1) IDW S 6 n. F. (Stand: 20.8.2012). 2) IDW S 6 n. F., Nr. 65 (Stand: 20.8.2012).

Weniger

77

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

konkretisieren sich allerdings häufig die bereits in der Stakeholderkrise angelegten Spannungen (missglückte Unternehmensnachfolge, Konflikte zwischen Gesellschaftern etc.).3) 12 Eine Strategiekrise liegt vor, wenn die Erfolgspotenziale des Unternehmens ernsthaft gefährdet oder bereits aufgebraucht sind bzw. keine neuen Potenziale geschaffen wurden. Das Unternehmen ist zumindest perspektivisch nicht mehr wettbewerbsfähig, da es Marktentwicklungen übersehen bzw. falsch eingeschätzt hat.4) 13 Die Produkt- und Absatzkrise ist durch stagnierende bzw. rückläufige Nachfrage nach den Hauptumsatzträgern des Unternehmens gekennzeichnet.5) Die Gründe liegen in qualitativ nicht ausreichenden Marketing- oder Vertriebskonzepten, Sortimentsschwächen, Schwächen in der Produkt- und Servicequalität, mangelnder Liefertreue, Fehler in der Preispolitik sowie einer mangelhaften oder fehlenden Vertriebssteuerung. 14 Eine Erfolgskrise tritt ein, wenn das Unternehmen nachhaltig Verluste erwirtschaftet, die zu einem Verzehr des Eigenkapitals führen.6) Aber auch bei einer im Vergleich zum Wettbewerb deutlich geringeren Ertragsmarge liegt eine Erfolgskrise vor, da Ertragspotenziale nicht optimal ausgeschöpft werden. Die Erfolgskrise ist regelmäßig eine Folge der Produkt- und Absatzkrise, sofern diese nicht überwunden werden kann. 15 Bei der Liquiditätskrise besteht die akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens.7) Das Unternehmen erwirtschaftet eine liquide Unterdeckung und kommt aktuell bzw. auf Sicht nicht mehr den laufenden Zahlungsverpflichtungen nach. Häufig wird die Liquiditätskrise durch eine ungünstige Finanzierungsstruktur verstärkt, da keine fristenkongruente Finanzierung vorliegt oder die Gesellschaft mit nur einer sehr geringen Eigenkapitalquote wirtschaftet. Selten wird die Liquiditätskrise durch externe Begebenheiten ausgelöst, wie z. B. einem größeren Zahlungsausfall durch die Insolvenz eines Kunden. 16 Die Insolvenzreife liegt vor, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig und/oder überschuldet ist.8) Dieses Krisenstadium liegt definitionsgemäß vor, wenn eine Betriebsfortführung im Verfahren zu organisieren ist. 2.

Methoden der Krisenanalyse

17 Zur Ermittlung, welches konkrete Krisenstadium im Unternehmen vorliegt, gibt es verschiedene Methoden, um eine genaue Analyse vornehmen zu können. Im Rahmen der Betriebsfortführung wird es sich regelmäßig anbieten, solche Methoden zu wählen, die in kurzer Zeit valide Ergebnisse liefern. 18 Zunächst kann anhand von Kennzahlen eine Positionierung des Krisenstadiums vorgenommen werden.9) Im Vordergrund stehen dabei nicht die Kennzahlen zur Liquidität. Vielmehr ist eine Analyse der leistungswirtschaftlichen Kennzahlen (Working-Capital, Material-, Personal- und sonstige Aufwands-Quoten) erforderlich. Auch die Ermittlung von durchschnittlichen Zahlungszielen bei Lieferanten und Kunden, der Lagerdauer und der Kapitalbindungsdauer lassen wertvolle Rückschlüsse zu, wo das Unternehmen steht und welche konkreten Krisenarten vorliegen. Neben der Analyse der beschriebenen „weichen“ Faktoren zur Einordnung des Unternehmens in eine Krisenphase, bieten „harte“ ___________ 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

78

IDW S 6 n. F., Nr. 70 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 n. F., Nr. 70 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 n. F., Nr. 73 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 n. F., Nr. 74 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 n. F., Nr. 77 (Stand: 20.8.2012). IDW S 6 n. F., Nr. 79 (Stand: 20.8.2012). Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 49 ff.

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§6

Kennzahlen weitere Möglichkeiten zur Bestimmung der Krisenursachen. Insbesondere sind hier auch branchenspezifische Kennzahlen von hoher Bedeutung.10) Bei der Strukturierung der dauerhaften Fortführungslösung, entweder im Wege einer über- 19 tragenden Sanierung („Asset-Deal“) oder erhaltenden Sanierung im Insolvenzplanverfahren, ist die optimale Finanzierungsstruktur anhand von Kennzahlen (Eigenkapitalquote, Fremdkapitalquote, Kapitalrentabilität etc.) zu ermitteln. An dieser Stelle kommt den Kennzahlen zur Liquiditätsanalyse eine wesentliche Bedeutung zu. Eine weitere Methode zur Krisenanalyse ist die sog. Stärken-Schwächen-Chancen-Risi- 20 ken-Analyse (sog. „SWOT“-Analyse; nach dem Englischen Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats). Dabei wird nach der internen Analyseebene (Stärken-Schwächen) und nach der externen Analyseebene (Chancen-Risiken) unterschieden. Die SWOTAnalyse wurde als Instrument der strategischen Planung entwickelt. Sie dient aber auch dazu, eine Positionsbestimmung von Unternehmen und Organisationen vorzunehmen. Gerade in Sanierungssituationen bietet es sich an, anhand der Stärken des Unternehmens eine Entscheidung zu treffen, sodass Chancen (Möglichkeiten) realisiert werden können.11) Typischerweise wird man i. R. einer Betriebsfortführung eine solche SWOT-Analyse im engsten Führungskreis, einschließlich der Leistungsträger aus der zweiten Ebene, erstellen. Damit lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf das aktuelle Krisenstadium gewinnen, um die strategische Stoßrichtung für eine Sanierung zu ermitteln.

Externe Analyse

SWOT-Analyse

Interne Analyse Strenghts = Stärken

Weaknesses = Schwächen

Opportunities = Chancen

SO-Strategie: Stärken nutzen Chancen nutzen

WO-Strategie: Schwächen abbauen Chancen nutzen

Threats = Risiken

ST-Strategie: Stärken nutzen Risiken vorbeugen

WT-Strategie: Schwächen abbauen Risiken vorbeugen

Quelle: Eigene Darstellung

Die ABC-Analyse ist ein betriebswirtschaftliches Mittel zur Planung und Entscheidungs- 21 findung12) und unterteilt Objekte in drei Klassen von A-, B- und C-Objekten. Diese Objekte werden nach Werten sortiert und den Klassen zugeordnet, um sie danach in einem Paretodiagramm darzustellen. Mithilfe der Anordnung kann man sich ein grobes Bild der Ist-Situation verschaffen, um daraus die weitere Vorgehensweise abzuleiten. Die ABCAnalyse ist ein vergleichsweise einfach einzusetzendes Tool und kann daher in Krisensituationen schnell bei der Entscheidungsfindung helfen. Einsatzfelder sind z. B. die Clusterung der umsatzstärksten Produkte oder Filialen.13)

___________ 10) 11) 12) 13)

Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management in der Praxis, S. 77. Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort: SWOT-Analyse. Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort: ABC-Analyse. Wlecke in: Brühl/Göpfert: Unternehmensrestrukturierung, S. 42.

Weniger

79

§6 III.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen

22 Ausgehend von der Analyse des Krisenstadiums mithilfe von geeigneten Analysemethoden müssen Maßnahmen ermittelt werden, wie das Unternehmen wieder zu einer nachhaltigen Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit geführt werden kann.14) Diese Phase wird in der vorliegenden Betrachtung auch als Potenzialanalyse verstanden. Das Ergebnis der Analyse liefert einen detaillierten Überblick über die betriebswirtschaftlichen Strukturen, einschließlich der Abbildung der Ertragsquellen und der Kostenstruktur. Auf der Grundlage sind nunmehr Maßnahmen zu entwickeln, wie das Unternehmen i. R. der Betriebsfortführung mit einem Liquiditätsüberschuss betrieben bzw. wie eine nachhaltige Wettbewerbsund Renditefähigkeit erreicht werden kann. 23 Die vielfältigen Ansätze der Sanierungsmaßnahmen können dabei im Wesentlichen in zwei Grundformen eingeteilt werden: x

zum einen in finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen15) und

x

zum anderen in leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen16) einschließlich arbeitsrechtlicher Maßnahmen.

1.

Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen

24 Die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen beschreiben sämtliche Ansätze, die zu einer Stärkung der Kapitalausstattung des Unternehmens führen. Hierbei kann man zwischen Maßnahmen zur Stärkung der Innenfinanzierung und zur Stärkung der Außenfinanzierung unterscheiden.17) 25 Die Innenfinanzierung ist eine Finanzierung durch die Einbehaltung von Einnahmenüberschüssen. 18) Hierzu müssen zum einen dem Unternehmen liquide Mittel aus dem innerbetrieblichen Umsatz- und Leistungserstellungsprozess zufließen und zum anderen steht dem Mittelzufluss kein oder ein geringerer auszahlungswirksamer Aufwand gegenüber. 26 Bei einer Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren gibt es eine Reihe von Maßnahmen der Innenfinanzierung, die ohne einen spezifischen Bezug zur unternehmerischen Wertschöpfung realisiert werden. Der Insolvenzverwalter wird langfristig angelegte Festgelder oder Wertpapiere auflösen oder nicht betriebsnotwendiges Vermögen (Grundstücke, Immobiliarvermögen oder sonstiges Umlaufvermögen) liquidieren. Bei der Erarbeitung von finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen, die sich auf die Fortführung der Betriebstätigkeit beziehen, wird es im Wesentlichen um eine Optimierung des Working-Capital gehen. Dies umfasst eine gezielte Reduzierung des Umlaufvermögens und damit des darin gebundenen Kapitals durch eine Optimierung des Vorratsbestands an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der Halbfertig- und Fertigwaren. Mithilfe von ABC-Analysen lässt sich eine Optimierung des Warenbestands ermitteln. 27 Im Rahmen der Betriebsfortführung wird es zunächst um eine Aufrechterhaltung der Lieferbeziehung gehen, da typischerweise die Warenlieferanten Forderungsverluste in Folge der Insolvenzantragstellung realisiert haben. Es ist die Aufgabe des (vorläufigen) Verwalters, neues Vertrauen zu schaffen, um die Chance für eine zukünftige Lieferbeziehung aufrechtzuerhalten. Durch die Einrichtung von Konsignationslägern und die zugehörige ___________ 14) 15) 16) 17) 18)

80

IDW S 6 n. F., Nr. 101 (Stand: 20.8.2012). Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 125 ff. Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 105. Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 126 ff., 170 ff. Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort: Innenfinanzierung.

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§6

Beistellung von Material kann in der Zukunft die Kapitalbindung für das schuldnerische Unternehmen reduziert werden. Parallel hierzu ist ein konsequentes Bestandsmanagement zu etablieren, welches die Waren- 28 beschaffung an den tatsächlichen Bedarfen orientiert und eine Reduzierung des durchschnittlichen Kapitalbedarfs zur Folge hat. Typischerweise werden die Bestellvorgänge an den konkreten Bedarfen orientiert. Eine weitere Komponente der Working-CapitalOptimierung ist die gezielte Verlängerung von Zahlungszielen bei den Lieferanten. Dies wird typischerweise i. R. der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren aus den vorgenannten Gründen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein. Weiterer Ansatzpunkt für finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen durch eine Wor- 29 king-Capital-Optimierung ist die Reduzierung der Forderungsbestände.19) Hier können mit den Kunden i. R. der Betriebsfortführung verkürzte Zahlungsziele vereinbart werden, um die Kapital- und damit Liquiditätslage zu verbessern. Weiterer Ansatz ist ein konsequenter Abbau des Altforderungsbestands. Unter Außenfinanzierung fasst man alle Finanzierungsvorgänge zusammen, bei denen 30 dem Unternehmen Mittel von außen zugeführt werden, d. h., die nicht aus dem Leistungserstellungsprozess des Unternehmens stammen. Die Bereitstellung von Eigenkapital ist i. R. der Betriebsfortführung im Insolvenzver- 31 fahren bei einer kurzfristigen Betrachtung untypisch. Allerdings kommt bei der Strukturierung einer dauerhaften Betriebsfortführung dieser Maßnahme eine erhebliche Bedeutung zu. Dabei erfordern die beiden Optionen der Fortführung, sei es als übertragende oder als erhaltende Sanierung, in unterschiedlichen Ausprägungsformen in aller Regel die Bereitstellung von Eigenkapital. Bei der Strukturierung der Übernahmefinanzierung spielt neben der Eigenkapitalkomponente auch die optimale Bereitstellung von Fremdkapital eine Rolle. Hier wird der Erwerber sämtliche Möglichkeiten der Bereitstellung von Fremdmitteln (Darlehen, Anleihen, Kontokorrentkredite etc.) einbeziehen. Auch die Einbindung von eigenkapitalähnlichen Finanzierungsformen (Mezzanine, Genussscheine etc.) treten hier auf. Bei einer Sanierung im Wege eines Insolvenzplanverfahrens werden die Gläubiger eine ausreichende Kapitalisierung des Unternehmens erwarten, die nicht nur durch einen Verzicht der Gläubiger finanziert wird. Neben der Bereitstellung neuer, „frischer“ Liquidität durch Eigen- oder Fremdmittel 32 spielt im Insolvenzverfahren auch die Finanzierung durch die Reduzierung des bestehenden Fremdkapitals eine zentrale Rolle. Gerade das Insolvenzverfahren dient dazu, eine kollektive Haftung zu realisieren. Dies geht mit einem Forderungsverlust der Gläubiger einher. Im Hinblick auf die Finanzierung der Betriebsfortführung wird entweder der (vorläufige) Verwalter oder der Erwerber, der das Unternehmen dauerhaft fortführt, versuchen, einen möglichst hohen Beitrag beim Forderungsverzicht der bisherigen Gläubiger zu realisieren. Dies konkretisiert sich deutlich bei der Sanierung mittels eines Insolvenzplans, da eine geringe Quote bei den Altverbindlichkeiten unmittelbar zu einer geringeren Finanzierungslast des Unternehmens nach Planannahme führt. Aber auch bei der Übernahme einer bestehenden Finanzierungsstruktur konkretisiert sich dies durch eine unmittelbare Verhandlung zwischen der (typischerweise) finanzierenden Bank und dem Erwerber. Häufig wird dabei die Einbindung eines Besserungsscheins vereinbart, bei dem eine Nachzahlung an das Eintreten bestimmter ertrags- oder liquiditätsrelevanter Kennzahlen gebunden wird.

___________ 19) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 174.

Weniger

81

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

33 Weitere finanzwirtschaftliche Sanierungsinstrumente sind die Einbeziehung von Sonderformen der Finanzierung wie Leasing20) oder Factoring21). Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob und in welcher Form diese Mittel eingesetzt werden können. 2.

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen

34 Einen breiten Raum nehmen die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen ein. Hierbei geht es um eine Strukturverbesserung des Unternehmens. Das Ziel ist es, nach einer Schwachstellenanalyse und einer Aufdeckung der Krisenursachen mittels der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen die Ertrags- und Finanzkraft des Unternehmens zu stärken. Die Ansätze für diese Maßnahmen lassen sich entlang der Wertschöpfungskette des Unternehmens bilden. Unterstützende Aktivitäten

Gew

Unternehmensinfrastruktur

inn

Personalwirtschaft

spa

Forschung & Entwicklung

nne

Einkauf

Ge

Ausgangslogistik

Marketing und Vertrieb

Kundenservice

ne

pan

Produktion

win ns

Eingangslogistik

Primäre Aktivitäten Bildquelle: Porter, Wettbewerbsvorteile

2.1

Einkauf und Beschaffung

35 Die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen im Bereich des Einkaufs und der Beschaffung sind darauf gerichtet, günstiger einzukaufen. Dabei muss sichergestellt sein, dass die erforderlichen Materialien in der ausreichenden Menge und Qualität und zum richtigen Zeitpunkt bereitgestellt werden. Maßgröße für eine Optimierung im Bereich Einkauf und Beschaffung ist im Wesentlichen die Materialaufwandsquote. Diese ist definiert als das Verhältnis zwischen dem Materialaufwand und der Gesamtleistung. Reziprok hierzu ergibt sich die Rohertragsquote als das Verhältnis zwischen Gesamtleistung minus Materialaufwand geteilt durch Gesamtleistung. 36 Typische leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen im Bereich des Einkaufs und der Beschaffung sind die Volumenbündelung und Reduktion der Anzahl der Lieferanten, um dadurch Skaleneffekte bzw. bessere Preise zu erzielen. Zudem reduziert sich typischerweise der Verwaltungsaufwand durch eine Komplexitätsreduzierung.22) 37 Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Verbesserung von Einkaufskonditionen. Ein erster Ansatzpunkt ist der Vergleich von Preisen und Zahlungsbedingungen zwischen verschiedenen Produktionsstandorten bzw. Tochtergesellschaften. In einem weiteren Schritt können Drittangebote von Fremdlieferanten eingeholt werden. Im Rahmen der Betriebsfortfüh___________ 20) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 156. 21) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 157. 22) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 108.

82

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§6

rung im Insolvenz(antrags)verfahren können aufgrund der Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO bestehende Kontrakte jederzeit gelöst werden. Allerdings ist hier zu beachten, dass die Substitution von einzelnen Lieferanten typischerweise einen zeitlichen Vorlauf erfordert. Auch hier ist im Einzelfall abzustimmen, ob der Wechsel des Lieferanten eine geeignete Maßnahme ist. Weiterer Ansatzpunkt im Bereich Einkauf und Beschaffung ist die Prüfung einer grund- 38 sätzlichen Substitution von Materialien durch günstigere Drittprodukte. Allerdings ist hier auf die konkrete Materialspezifikation zu achten, sodass die qualitativen Anforderungen weiterhin erfüllt werden.23) Schließlich können einzelne Produktbereiche, die im Unternehmen nicht oder nicht kostendeckend gefertigt werden können, an Drittfirmen outgesourct werden. Dies ist sowohl auf zentrale Dienstleistungen, wie z. B. die Buchhaltung, als auch auf einzelne Wertschöpfungsstufen im Fertigungsprozess anwendbar. Im Rahmen der Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren wird dies typischerweise 39 kein geeignetes Mittel sein, da aufgrund der Regelungen zum Insolvenzgeld erhebliche Einsparungen bei der Eigenfertigung realisiert werden können. Zur dauerhaften Sicherung der Rentabilität kann es hier im Einzelfall jedoch geboten sein, Teilbereiche outzusourcen. 2.2

Produktion

Im Bereich der Produktion gibt es ein breites Einsatzgebiet für leistungswirtschaftliche 40 Sanierungsmaßnahmen. Ansatzpunkte können sein: x

die Senkung der Materialeinsatzquote,

x

die Steigerung der Anlageneffizienz,

x

die Reduktion der Durchlaufzeiten von Material- und Vorratsbeständen oder

x

ein effizienterer Einsatz von vorhandenen Maschinen und Personal durch eine verbesserte Ressourcenplanung und -steuerung.24)

Typischerweise erfordert die Optimierung der Produktion das Hinzuziehen von Produk- 41 tionsexperten, um z. B. Ausschussquoten zu reduzieren bzw. konstruktionsbedingte oder prozessbedingte Mehrverbräuche in den Griff zu bekommen. Im Bereich der Produktion lässt sich eine Reihe von Kennzahlen ermitteln, die standort- 42 bzw. filialbezogene Vergleiche ermöglichen. Die Kennzahl für die Leistungsfähigkeit in der Produktion ist die Produktivität, also das Verhältnis zwischen Output und Input. Beispiele: Die Arbeitsproduktivität, also das Verhältnis zwischen Ausbringungsmenge und geleisteter Arbeitszeit in Stunden: Diese Kennzahl ist im produzierenden Gewerbe, aber auch in anderen Bereichen gängig, wie z. B. dem Handel. Ferner gibt es die Maschinen- oder Anlagenproduktivität als das Verhältnis zwischen der Ausbringungsmenge und der eingesetzten Maschinen bzw. Anlagen und Zeit oder die Flächenproduktivität als das Verhältnis zwischen dem Umsatz oder Ertrag und der eingesetzten Fläche. Letztere finden hauptsächlich im Einzelhandel, aber auch in Bereichen wie der Landwirtschaft Anwendung. Eine zentrale Aufgabe der Produktportfolioanalyse i. R. der Erarbeitung von leistungs- 43 wirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen ist die Schaffung von Transparenz in Bezug auf die Produktrentabilität.25) Auf dieser Grundlage lassen sich auch bestimmte Stadien im Pro___________ 23) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 109. 24) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 110. 25) Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 80.

Weniger

83

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

duktlebenszyklus von Produkten oder Produktionslinien darstellen. Hieraus ergeben sich Rückschlüsse auf die strategische Positionierung des Unternehmens. 44 Diese Rückschlüsse sind erforderlich, um ein langfristiges Sanierungskonzept für das schuldnerische Unternehmen zu erarbeiten. Erst dann, wenn eine dauerhafte Renditefähigkeit des Unternehmens mittels geeigneter Sanierungsmaßnahmen darstellbar ist, bestehen Chancen, dass der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb verkaufen bzw. im Wege eines Insolvenzplanverfahrens sanieren kann. 2.3

Vertrieb

45 Im Bereich der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen im Vertrieb lassen sich kurz- und mittel- bzw. langfristige Ansätze unterscheiden. Typischerweise wird der Insolvenzverwalter im Insolvenz(antrags)verfahren alle Möglichkeiten zur kurzfristigen Vertriebssteigerung ausschöpfen. Erforderlich ist in einem zweiten Schritt aber auch eine langfristige Absicherung der Vertriebsstrategie.26) 46 In kurzfristiger Hinsicht muss die Kundenkommunikation verbessert werden, um damit auch das Kundenvertrauen wiederherzustellen. Aufgrund der Insolvenzantragstellung sind typischerweise gerade die Kunden unsicher und zeigen dies in einem zurückhaltenden Bestellverhalten. Hier kann der (vorläufige) Verwalter durch die Einhaltung von Liefer- und Qualitätszusagen verlorengegangenes Vertrauen wiederherstellen. Wichtig ist hier eine offene und rechtzeitige Kommunikation. Die bestehenden Chancen aber auch Risiken in der weiteren Zusammenarbeit müssen offen kommuniziert werden. 47 Unter Liquiditätsgesichtspunkten kann das Working-Capital optimiert werden, indem eine beschleunigte Rechnungslegung bzw. eine Verkürzung von Zahlungszielen vereinbart wird. Ein weiteres Mittel ist auch die Vereinbarung von Anzahlungen bzw. das Beistellen von Material. Durch einen beschleunigten Abbau von Fertigerzeugnissen, Sonderverkäufen und sonstigen Rabatt- oder Werbeaktionen können zudem Liquiditätspotenziale erschlossen werden.27) 48 In langfristiger Hinsicht ist typischerweise eine Neuausrichtung der Vertriebsstrategie erforderlich. Hier hilft das Instrument der ABC-Analyse, um zu ermitteln, welche Kunden für die zukünftige Positionierung des Unternehmens relevant sind. Hierbei steht weniger das Umsatzvolumen, als vielmehr die Erwirtschaftung von besonders hohen Deckungsbeiträgen im Vordergrund. 49 Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen zur Optimierung der Unternehmensinfrastruktur setzen bei den Sachkosten28) an. Diese umfassen, neben dem betrieblichen Overhead und der Verwaltung, den gesamten Organisationsbereich des Unternehmens. Entscheidend ist hier die Frage, was benötigt wird, um den operativen Betrieb zu erhalten. In diesem Zusammenhang kommen sämtliche Sachkosten auf den Prüfstand. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit, sich sämtlicher vertraglichen Verpflichtungen zu entledigen, die nicht mit der Kernwertschöpfungstätigkeit im Unternehmen im Zusammenhang stehen. Solch weitreichende Ansätze zur leistungswirtschaftlichen Optimierung des Unternehmens bestehen außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht bzw. nicht in diesem Umfang. 50 Im Bereich der Raumkosten ist zu klären, welche Räume tatsächlich für die Betriebsfortführung benötigt werden. Sonstige Flächen werden abgemietet. Hier stellt sich auch die ___________ 26) Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 88. 27) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 117. 28) Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 101.

84

Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§6

Frage, ob durch eine Verringerung der vom Unternehmen genutzten Räume bzw. durch eine dichtere Besetzung bestimmter Räumlichkeiten die Flächenrentabilität erhöht werden kann. Sofern eine Fortführung zu den bisherigen Mietkonditionen betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist, ist auch der Umzug in Räume mit niedrigeren Raumkosten pro Quadratmeter zu prüfen.29) In Einzelfällen können aber auch befristete Mietkürzungen in Form eines Sanierungsbeitrags des Vermieters vereinbart werden. Der Fuhrpark des Unternehmens steht auf dem Prüfstand. Nicht benötigte Fahrzeuge 51 werden verkauft bzw. dem Leasinggeber zurückgegeben. Eine interne Optimierung kann durch die Einführung von Poolfahrzeugen erreicht werden. Gleiches gilt für sämtliche sonstigen betrieblichen Aufwendungen, wie der x

Energieverbrauch,

x

der Bereich Werbung und Marketing,

x

Kommunikationsaufwendungen,

x

Mitgliedschaften,

x

Versicherungen und

x

sonstige Verbrauchsmaterialien.

52

Im Bereich der Kapitalkosten ist zu prüfen, wie eine optimale Unternehmensfinanzierung 53 gestaltet werden kann. Dies hängt maßgeblich auch von der Frage ab, in welcher Form die Fortführung des Unternehmens organisiert werden soll (übertragende oder erhaltende Sanierung). Ein breites Feld der leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen sind die Personalauf- 54 wendungen. Im Kern ist zu prüfen, welche Kapazitäten für die zukünftige Leistungserstellung erforderlich sind. Im Rahmen dieser Personalplanung ist anhand von BenchmarkingZahlen (intern und extern) zu ermitteln, wie die optimale Personalstruktur aussehen soll.30) Die Personalanpassung im Insolvenzverfahren erfolgt dabei grundsätzlich nach den gleichen Regeln, wie i. R. eines außergerichtlichen Sanierungsprozesses. Allerdings gibt es durch die verkürzte Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO bzw. durch die Begrenzung des Sozialplanvolumens gemäß § 123 Abs. 1 InsO erhebliche Erleichterungen gegenüber der außergerichtlichen Sanierung. 3.

Planung der Sanierungsmaßnahmen

Sämtliche Sanierungsmaßnahmen (finanzwirtschaftliche und leistungswirtschaftliche) sind 55 im Einzelnen zu identifizieren und auf ihre Liquiditäts- und GuV-Relevanz hin zu prüfen. Ferner sind die Verantwortlichkeiten für die Umsetzung einschließlich der zeitlichen Komponente festzulegen. Die Sanierungsmaßnahmen bilden das Rückgrat des nachfolgend zu erstellenden Sanierungskonzepts, das den Fahrplan für die Restrukturierung aufzeigt. Nur wenn im Wege einer wertenden Gesamtschau aller identifizierten Sanierungsmaßnahmen eine positive Liquiditäts- und Ertragssituation dargestellt werden kann, ist eine Betriebsfortführung zu befürworten. Diese Potenzialanalyse ist vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Eigenverwalter durchzuführen. IV.

Sanierungskonzept und Planungsrechnung

Das Sanierungskonzept zeigt auf, mit welchen Maßnahmen und Effekten das Unternehmen 56 zu einer nachhaltigen Rendite und Wettbewerbsfähigkeit geführt werden kann. Das Konzept ___________ 29) Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management, S. 103. 30) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 122.

Weniger

85

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

ist damit Grundlage für jede nachvollziehbare und schlüssige Darstellung der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens. 57 Grundsätzlich gibt es verschiedene formale Anforderungen, die ein Sanierungskonzept zu erfüllen hat. In der Praxis hat sich vor allem der Standard 6 (IDW S 6 n. F.) durchgesetzt. Bei der Erarbeitung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsgrundlagen für eine Unternehmensfortführung kann ein standardisiertes Sanierungsgutachten nach formellen Kriterien allenfalls ein Anhaltspunkt für den Aufbau des Gutachtens sein. 58 Allerdings bietet es sich hinsichtlich des Inhalts und Umfangs des Konzepts an, sich an solchen Standards zu orientieren. Das Anwendungsgebiet ist dabei in dreierlei Hinsicht zu sehen: x

Zum einen dient ein Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter, ob eine Betriebsfortführung sinnvoll ist.

x

Zum zweiten bietet sich das Sanierungskonzept als Argumentationsgrundlage i. R. eines Verkaufsprozesses an, um den angesetzten Firmenwert zu rechtfertigen.

x

Schließlich ist das Sanierungskonzept bei einer erhaltenden Sanierung erforderlich, um die Anforderungen des darstellenden Teils des Insolvenzplans zu erfüllen.

59 Das Sanierungskonzept wird Aussagen über tatsächliche wesentliche Unternehmensdaten, Ursachen und Wirkungszusammenhänge sowie rechtliche und ökonomische Einflussfaktoren treffen. Ferner beschreibt es auf Grundlage einer systematischen Lagebeurteilung, die im Hinblick auf das Leitbild des sanierten Unternehmens zu ergreifenden Sanierungsmaßnahmen (finanz- und leistungswirtschaftlich).31) Schließlich werden die Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen i. R. einer integrierten Liquiditäts-, Ertrags- und Vermögensplanung abgebildet. Diese integrierte Unternehmensplanung muss dabei die insolvenzbedingten Effekte im Einzelnen aufführen. Ferner sind die GuV-relevanten, liquiditäts- und bilanzrelevanten finanz- und leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen in der integrierten Unternehmensplanung abzubilden. Bei der Planungserstellung bietet es sich an, sämtliche Planungsannahmen im Detail zu dokumentieren und rechentechnisch mit der integrierten Unternehmensplanung zu verknüpfen. 60 Die Art und Weise der Gliederung und Darstellung der Planung sollten in erster Linie von den Zielsetzungen abhängen, die mit der Planung verfolgt werden.32) Eine gesetzliche Vorschrift, wie das Planungswerk zu strukturieren ist, gibt es nicht. Typischer Planungshorizont ist ein Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Dies hängt im Wesentlichen vom Unternehmensgegenstand ab. Unternehmen, die z. B. im Projektgeschäft mit langjährigen Entwicklungs- und Produktionslaufzeiten zu tun haben, werden in der Regel einen längeren Planungshorizont haben. Die Tragfähigkeit und Stimmigkeit des Sanierungskonzepts ist auch anhand der Entwicklung geeigneter Kennzahlen im Planungszeitraum zu plausibilisieren.33) V.

Umsetzung und Controlling

61 Die Umsetzung des Sanierungskonzepts i. R. der Betriebsfortführung erfordert ein konsequentes Projektmanagement, das mit einer klaren Aufbauorganisation und klaren Verantwortlichkeiten die Grundlage für die Umsetzung schafft. In der Konzeptionierungsphase erfolgt dabei ein Top-Down-Ansatz, bei dem die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen unter Einbeziehung des Geschäftsführers und der Führungskräfte des Unternehmens ___________ 31) IDW S 6 n. F., Nr. 2 (Stand: 20.8.2012). 32) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 193. 33) IDW S 6 n. F., Nr. 130 (Stand: 20.8.2012).

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Weniger

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung

§6

gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenz- bzw. Eigenverwalter oder dem Sachwalter erarbeitet werden. Neben der Ausarbeitung eines umfassenden Sanierungskonzepts benötigt insbesondere 62 der vorläufige Insolvenz- bzw. Eigenverwalter oder Sachwalter eine cashflow-basierte Planungsrechnung. Darin sind die zu erwartenden Überschüsse aus der unmittelbaren Betriebstätigkeit den zu erwartenden Auszahlungen gegenüberzustellen. Sofern ein liquider Überschuss erzielt wird, ist die Betriebsfortführung sinnvoll, um die Masse zu mehren. Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt in der Implementierungsphase in Form eines 63 Bottom-Up-Ansatzes. Unter Einbindung der Mitarbeiter werden die Maßnahmenpakete in Einzelmaßnahmen 64 zerlegt und mit konkreten Verantwortlichkeiten und Deadlines hinterlegt. Ein typisches Arbeitsinstrument ist hierbei ein Workshop. Die detaillierten Maßnahmenpläne dienen als Grundlage für das spätere Sanierungscon- 65 trolling. Das Controlling wird in aller Regel in die Bereiche x

Maßnahmencontrolling und

x

Ergebniscontrolling

unterschieden. Aufgabe des Sanierungscontrollings ist es, ggf. Planabweichungen möglichst frühzeitig zu 66 erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Typische Abweichungen können sein: Terminverzug, Budgetüberschreitung oder Ergebnisabweichung. Die Aufgaben des Sanierungscontrollings gehen über die reine Kontrolle weit hinaus. Frühzeitig und regelmäßig soll ein Plan-Ist-Abgleich erfolgen, um Ursachen von x

Planabweichungen zu analysieren,

x

Gegenmaßnahmen zu initiieren und

x

die Verantwortlichen zu informieren.

Neben dem Maßnahmencontrolling spielt das Ergebniscontrolling, d. h. die Überprüfung, 67 ob die angestrebten Ergebniseffekte erreicht werden, eine zentrale Rolle. Das Sanierungscontrolling vereint die beiden Elemente des Maßnahmen- und Ergebniscontrollings und soll die (geplante) positive Entwicklung des Unternehmens gezielt begleiten und steuern. Zur Unterstützung der Umsetzung des Sanierungskonzepts gibt es verschiedene Ansätze 68 i. R. von Insolvenzverfahren. Typischerweise wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf die bestehenden Managementstrukturen aufsetzen. Allerdings gibt es im Einzelfall Situationen, in denen eine externe Unterstützung erforderlich ist. Diese kann entweder durch einen Berater oder einen Restrukturierungsverantwortlichen (Chief Restructuring Officer: CRO) erfolgen. Der CRO bringt die benötigten persönlichen Eigenschaften und die fachliche Kompetenz mit und hat die Aufgabe, die Sanierung maßgeblich zu gestalten und voranzutreiben. Seine Tätigkeit im Unternehmen ist immer zeitlich befristet, hat einen klaren Fokus auf die Sanierung und er hat typischerweise Weisungsbefugnis. VI.

Zusammenfassung

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen zur Unternehmensfortführung im 69 Insolvenz(antrags)verfahren sind bei einer kurzfristigen Betrachtung liquiditätsorientiert, mittel- bzw. langfristig sind sie ertragsorientiert. Das Ziel ist dabei, ein nachhaltig renditeund wettbewerbsfähiges Unternehmen zu erhalten. Basis für die Entscheidungsfindung, ob bzw. in welcher Form der Betrieb fortgeführt 70 werden kann, ist eine detaillierte Krisenanalyse einschließlich des konkreten Krisensta-

Weniger

87

§6

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

diums (Ursachenanalyse). Auf dieser Grundlage werden finanz- und leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen erarbeitet. Die sich daraus ergebenden Effekte werden in Form eines Sanierungskonzepts dargestellt, das die Unternehmensentwicklung in Form einer integrierten Liquiditäts-, GuV- und Bilanzplanung abbildet. Dieses Konzept dient auch als Grundlage für das Controlling der weiteren Betriebsfortführung.

88

Weniger

§ 24 Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Planverfahren und im Schutzschirmverfahren Übersicht I. Vorbemerkung ............................................ 1 II. Maßnahmen im Vorinsolvenzzeitraum ..................................................... 12 1. Erstellung eines Sanierungskonzeptes ...... 13 1.1 Unternehmenskrise als Sanierungsauslöser .......................... 14 1.2 Analyse der Krisenursachen ........... 19 1.3 Strategie ........................................... 27 1.4 Leitbild des sanierten Unternehmens ................................ 29 1.5 Maßnahmen zur Umsetzung des Sanierungsplans ........................ 31 1.6 Integrierte Sanierungsplanung ...... 32 1.6.1 Ergebnisplanung ............................. 36 1.6.2 Bilanzplanung.................................. 48 1.6.3 Liquiditätsplanung .......................... 60 1.6.4 Weitere Planungsrechnungen und Nebenrechnungen........................... 62 1.6.4.1 Liquiditätsplanung auf Wochenbasis ............................. 62 1.6.4.2 Nebenrechnungen ..................... 63 2. Ergänzung der Unternehmensführung durch einen „Chief Restructuring Officer“ (CRO) ......................................... 64 3. Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses....................................................... 65 4. Information (wichtiger) Gläubiger ........... 67 III. Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO................................................ 68 1. Antragsschrift im Schutzschirmverfahren ..................................................... 70 1.1 Sanierungsfähigkeitsbescheinigung...................................... 71 1.2 Wesentlicher Inhalt der Antragsschrift ................................. 74 2. Anforderungen an die Planrechnungen bei Antragstellung ...................................... 77 IV. Eigenverwaltung im Verfahren nach § 270a InsO ................................................ 80 V. Handlungsspielraum der Unternehmensleitung i. R. der Betriebsfortführung................................................ 82 1. Betriebsfortführung in Eigenverwaltung........................................................ 86 1.1 Unternehmensleitung außerhalb der Unternehmenskrise .................. 89 1.2 Pflichten in der Unternehmenskrise.................................................. 91

Unternehmensleitung nach Insolvenzantragstellung.................. 95 2. Umsetzung der Sanierungsplanung ....... 104 2.1 Nutzung der Vorfinanzierungseffekte ............................................ 105 2.2 Eingehung von Masseverbindlichkeiten ....................................... 109 2.3 Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen nach Verfahrenseröffnung....................................... 117 2.3.1 Ausübung der Sonderrechte bei der Abwicklung gegenseitiger Verträge ......................................... 118 2.3.2 Sonderkündigungsrecht nach § 109 InsO..................................... 120 2.3.3 Maßnahmen zur Anpassung der Personalkostenstruktur ................ 122 2.3.3.1 Personalabbau in der Insolvenz ........................... 123 2.3.3.2 Besonderheiten bei Sozialplänen ............................. 126 2.3.3.3 Einbindung von Transfergesellschaften (BQG) ............. 128 2.3.3.4 Beendigung von Betriebsvereinbarungen ........................ 130 3. Insolvenzverfahrensspezifische Pflichten.................................................... 133 3.1 Pflicht zur insolvenzrechtlichen Rechnungslegung.......................... 133 3.1.1 Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO ............. 136 3.1.2 Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO..................................... 138 3.1.3 Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO..................................... 139 3.2 Erstattung des Berichts über die Insolvenzursachen und der Maßnahmen zur Insolvenzabwicklung (§ 281 Abs. 2 InsO)...... 141 4. Handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung ..................................... 142 5. Aufgabenteilung mit dem Sachwalter ..... 143 6. Abstimmungen mit dem Gläubigerausschuss................................................... 148 VI. Umsetzung der beabsichtigten Sanierung durch einen Insolvenzplan ........... 149 1. Planinitiativrecht ...................................... 151

Spies

1.3

743

§ 24 2.

3.

4. 5. 6.

Teil III Einzelfragen

Aufbau und Inhalt des Insolvenzplans .......................................................... 152 2.1 Darstellender Teil ........................ 153 2.2 Gestaltender Teil ......................... 160 2.3 Plananlagen .................................. 163 Annahme des Insolvenzplans.................. 164 3.1 Gruppenbildung............................ 165 3.2 Mehrheitsentscheidung und Ersetzungskompetenz des Gerichts ......................................... 169 Zeitlicher Rahmen des Insolvenzplanverfahrens ................................................. 173 Aufhebung des Insolvenzverfahrens ...... 174 Planüberwachung ..................................... 175

VII. Muster ..................................................... 176 1. Mustergliederung Insolvenzplan............. 176 2. Muster: Verzeichnisse.............................. 177 2.1 Muster: Verzeichnis der Massegegenstände................................... 177 2.2 Muster: Gläubigerverzeichnis ...... 178 2.3 Muster: Vermögensübersicht....... 179 3. Muster: Integrierte Unternehmensplanung ..................................................... 180 3.1 Muster: Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ........................... 180 3.2 Muster: PlanLiquiditätsrechnung...................... 181 3.3 Muster: Plan-Bilanz ...................... 182

Literatur: Bales, Insolvenzplan und Eigenverwaltung – Chancen für einen Neustart im Rahmen der Sanierung und Insolvenz, NZI 2008, 216; Braun, Zwei Insolvenzverwalter in der Eigenverwaltung, NZI 2003, 588; Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Buchalik, Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO (incl. Musteranträge), ZInsO 2012, 349; Buchalik, Faktoren einer erfolgreichen Eigenverwaltung, NZI 2000, 294; Ehricke, Sicherungsmaßnahmen bei Antrag auf Anordnung einer Eigenverwaltung, insbesondere zur Person des vorläufigen Sachwalters, ZIP 2002, 782; Frind, Die Voraussetzungen zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, ZInsO 2012, 2028; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Grub, Überjustizialisierung und die Eigenverwaltung der Pleitiers, WM 1994, 880; Grub, Die Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren, in: Kölner Schrift zur InsO, 1. Aufl., 1997, S. 513; Günther, Auswirkungen des ESUG auf das Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2012, 2037; Gutmann/Laubereau, Schuldner und Bescheiniger im Schutzschirmverfahren, ZInsO 2012, 1861; Haarmeyer, Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und die Auswahl seiner Mitglieder, ZInsO 2012, 2109; Haarmeyer, Musterantrag zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a Abs. 2 InsO (Antragsausschuss) ZInsO 2012, 370; Hadding/Hopt/Schimansky, Unternehmenssanierung und Sicherheitenfreigabe, 1994; Hermanns, Die Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO, ZInsO 2012, 2265; Hölzle, Insolvenzplan auf Initiative des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren – Oder: Wer erstellt und wer bezahlt den Insolvenzplan im Verfahren nach § 270b InsO?, ZIP 2012, 855; Hölzle/Pink, Mezzanine-Programme und Gestaltungspotenzial der Sanierungseigenverwaltung im ESUG, ZIP 2011, 360; Horstkotte/Martini, Die Einbeziehung der Anteilseigner in den Insolvenzplan nach ESUG, ZInsO 2012, 557; Kahlert, Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung?, ZIP 2012, 1089; Kraus/Radner, „Viel zu kurz gesprungen…“ – Anmerkung zum Entwurf des IDW Standards „Bescheinigung nach § 270b InsO (IDW ES 9)“, ZInsO 2012, 587; Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung und Controlling, Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre (EdBWL), Bd. 3, 2002; Lindemann, Beschränkung der Sozialauswahl im Insolvenzverfahren auf einen Geschäftsbereich und Kündigung bei Standortsicherungsvereinbarung, ZInsO 2006, 697; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG, ZIP 2012, 2133; Meyer, Die Teilbarkeit von Bauleistungen nach § 105 InsO – Teilerfüllte Bauverträge nach Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter, NZI 2001, 294; Neuhof, Sanierungsrisiken der Banken: Die Vor-Sanierungsphase, NJW 1998, 3225; Nowak, Haftungsvermeidungsstrategien für den Geschäftsführer einer sich in der Krise befindenden GmbH, GmbHR 2012, 1294; Oppermann/Smid, Ermächtigung des Schuldners zur Aufnahme eines Massekredits zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes im Verfahren nach § 270a InsO, ZInsO 2012, 862; Prütting, Der rechtliche Hintergrund des IDW S 6 zur Erstellung von Sanierungskonzepten, KSI 3/13, 101; Rattunde, Das neue Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, GmbHR 2012, 455; Römermann, Neue Herausforderungen durch das ESUG – ein Überblick, GmbHR 2012, 421; Römermann/Prass, Gesetzgeber, rette Dein ESUG!, ZInsO 2013, 482; Siemon, Das ESUG und § 270b InsO in der Anwendung, ZInsO 2012, 1045; Spies, Insolvenzplan und Eigenverwaltung – Sanierungsansatz zur Krisenbewältigung bei Unternehmen mittlerer Größe, ZInsO 2005, 1254; Spliedt, Debt-Equity-Swap und weitere Strukturänderungen nach dem ESUG, GmbHR 2012, 462; Uhlenbruck, Gefährdet die Eigenverwaltung insolventer Unternehmen die richterliche Unabhängigkeit?, NJW 2002, 3219; Uhlenbruck, Der Wirtschaftstreuhänder, 1993; Vallender, Das neue Schutzschirmverfahren nach dem ESUG, GmbHR 2012, 450; Wuschek, Eigenverwaltung gewinnt an Bedeutung, ZInsO 2012, 110; Zipperer, Die Einflussnahme der Aufsichtsorgane auf die Geschäftsleitung in der Eigenverwaltung – eine Chimäre vom Gesetzgeber, Trugbild oder Mischwesen?, ZIP 2012, 1492.

744

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren I.

§ 24

Vorbemerkung

Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) 1 unternimmt der Gesetzgeber einen erneuten Anlauf um die Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen zu erleichtern1). Zugleich soll das Insolvenzverfahren entstigmatisiert, eine Insolvenzkultur in Deutschland geschaffen und Anreize für eine möglichst frühzeitige Insolvenzantragstellung gesetzt werden.2) Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass reichlich 10 Jahre nach Inkraft- 2 treten der InsO das Rechtsinstitut des Insolvenzplans, welches als eine der bedeutsamsten Neuerungen des einheitlichen Insolvenzverfahrens bezeichnet wurde,3) ein Schattendasein führt. Gleiches gilt für die Eigenverwaltung, welcher im Verbund mit dem Insolvenzplanverfahren eine große Zukunft, insbesondere bei der Sanierung mittlerer und größerer Unternehmen prognostiziert wurde.4) Die Erwartungen wurden weitestgehend nicht erfüllt, denn nur 1 bis 2 % der jährlichen Unternehmensinsolvenzen werden über das Insolvenzplanverfahren abgearbeitet.5) Die Vorteile der Eigenverwaltung sah der Gesetzgeber darin begründet, die Kenntnisse und 3 Erfahrungen der bisherigen Unternehmensleitung zu nutzen und dadurch die gewöhnlich bei einem Insolvenzverwalter anfallende Einarbeitungszeit zu verkürzen, die unternehmerische Kontinuität zum Zwecke der Sanierung sicherzustellen, die Verfahrenskosten im Interesse der Gläubigergesamtheit zu senken und schließlich sollte für das Schuldnerunternehmen ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, frühzeitig einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.6) Mit dem ESUG unternimmt der Gesetzgeber einen erneuten Anlauf, die Sanierungschan- 4 cen von Unternehmen zu verbessern. Die Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung soll insbesondere dadurch erreicht 5 werden, dass der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 2 InsO nunmehr nur dann abgelehnt werden kann, wenn tatsächlich konkrete Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Unklarheiten über mögliche Nachteile für die Gläubiger gehen nicht mehr zu Lasten des Schuldners. Damit rückt der Gesetzgeber vom bisherigen Verständnis der Vorschrift ab, welche die Eigenverwaltung als Ausnahme vom Regelinsolvenzverfahren begriff.7) Dem gesetzgeberischen Anliegen, die Eigenverwaltung zu stärken, dient weiterhin das mit 6 § 270b InsO neu eingeführte Schutzschirmverfahren.8) Dieses eröffnet dem Schuldner im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung die Chance, in Eigenver___________ 1) Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“, BTDrucks. 17/5712. 2) Vgl. „Entwurf einer Insolvenzordnung“, BT-Drucks. 12/2443, S. 222. 3) Vgl. „Entwurf einer Insolvenzordnung“, BT-Drucks. 12/2443, S. 90. 4) Allgemein vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck-Maus, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 2. Aufl., Rz. 1136; Ehricke, ZIP 2002, 782; Grub, WM 1994, 880, 881; Grub in: Kölner Schrift, S. 513, 522 f.; Spies, ZInsO 2005, 1254 ff.; Buchalik, NZI 2000, 294; Kübler in: Kübler, HRI, § 1 Rz. 19; § 284 InsO setzt diese Möglichkeit gerade voraus. 5) Hermanns, ZInsO 2012, 2265; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337 ff.; weiterhin Spies, ZInsO 2005, 1254 ff. 6) Vgl. „Entwurf einer Insolvenzordnung“, BT-Drucks. 12/2443, S. 222. 7) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302, 1994, S. 185; AG Darmstadt, Beschl. v. 20.2.1999 – 9 IN 1/99, ZIP 1999, 1494 ff. = ZInsO 1999, 176 ff.; Bales, NZI 2008, 216, 220. 8) Ob das Schutzschirmverfahren ein eigenständiges Sanierungsvorbereitungsverfahren oder eine privilegierte Form der vorläufigen Eigenverwaltung ist, wird unterschiedlich beurteilt; hierzu Buchalik, ZInsO 2012, 349; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 511.

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745

§ 24

Teil III Einzelfragen

waltung einen Insolvenzplan zu erstellen, der nach Verfahrenseröffnung umgesetzt wird. Dem Schuldner soll die Sorge genommen werden, mit dem Eröffnungsantrag die Kontrolle über sein Unternehmen zu verlieren und bereits im Vorfeld vorbereitete Sanierungsschritte nicht mehr durchführen zu können. 7 In der Summe der Neuerungen rückt die Eigenverwaltung bei beabsichtigter Sanierung und damit Fortführung des Unternehmens in das Zentrum der gerichtlichen wie der beratenden Praxis. Wurde die insolvenzfreie bzw. außergerichtliche Sanierung in der Vergangenheit wiederholt als der erfolgversprechendere Weg angesehen,9) wird man nunmehr fragen und prüfen müssen, ob dem Unternehmen mit den insolvenzrechtlichen Instrumentarien nicht besser gedient ist.10) 8 Denn es eröffnen sich zwei ernstzunehmende strategische Optionen, um eine Sanierung in Eigenverwaltung verbunden mit dem Insolvenzplanverfahren zu erreichen. Dies sind die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO und das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO. 9 In beiden Fällen ist das Handeln der Organe auf den Erhalt des Unternehmens bei Erhalt des Unternehmensträgers durch einen Insolvenzplan ausgerichtet. Die damit einhergehende Betriebsfortführung steht i. R. des Insolvenzverfahrens zur Umsetzung eines Insolvenzplans im jeweiligen Verfahrensstadium im Kontext mit der Verwirklichung der gesetzlichen Verfahrensziele und befindet sich damit im Spannungsfeld zwischen Haftungsverwirklichung durch bestmögliche Verwertung des den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesenen Schuldnervermögens durch Liquidation und einer deregulativen Abwicklung über einen Insolvenzplan.11) 10 Die Betriebsfortführung ist kein Selbstzweck, sondern dient der Erhaltung und Mehrung des Schuldnervermögens als Haftungsmasse und ist Mittel zur (quotalen) Gläubigerbefriedigung,12) wobei die Gläubigerversammlung das Verfahrensziel und die Verwertungsart bestimmt. 11 Bei der Umsetzung einer Sanierung in Eigenverwaltung mittels Insolvenzplan sind somit vier Ziele zu verfolgen: x

Erhalt des Unternehmens, d. h. die dauerhafte Fortführung des Unternehmens,13)

x

Befriedigung der Gläubiger durch abweichende Regelungen zum Regelinsolvenzverfahren,

x

Enthaftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens,

x

maximale Transparenz, damit der Sachwalter seiner Kontrollfunktion nachkommen kann.

Diese Zielsetzungen bestimmen maßgeblich die Anforderungen an die Geschäftsleitung. II.

Maßnahmen im Vorinsolvenzzeitraum

12 Ziel der Sanierung ist die Überwindung der Unternehmenskrise zur Wiedererlangung einer dauerhaften Ertragskraft. Vor der Einleitung eines Insolvenzverfahrens sind bereits substantielle Vorarbeiten zu leisten. Dies gilt generell bei angestrebter Umsetzung eines Insolvenzplans in Eigenverwaltung, aber auch für das Schutzschirmverfahren, welches die Sanierung über einen Insolvenzplan bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschul___________ 9) Vgl. etwa K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT, 1982, D 133; Hadding/Hopt/Schimansky-Häuser, Unternehmenssanierung und Sicherheitenfreigabe, S. 82; Neuhof, NJW 1998, 3225, 3225. 10) Vallender, GmbHR 2012, 450. 11) Undritz in: Kübler, HRI, § 1 Rz. 19; Mönning, Vorauflage, Rz. 350. 12) Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 460. 13) So die Zielvorgaben der InsO in § 1 InsO: Erhalt des Unternehmens.

746

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

dung bezweckt. Dieser Weg ist nur eröffnet, wenn sich aus einer bei Antragstellung vorzulegenden und mit Gründen versehenen Bescheinigung ergibt, dass eine Sanierung des Schuldners nicht offensichtlich aussichtslos ist. 1.

Erstellung eines Sanierungskonzeptes

Die Beantwortung der Frage, ob das Unternehmen mit Hilfe eines Insolvenzplans sanie- 13 rungsfähig ist, setzt zunächst eine umfassende Analyse der Ursachen und des Stadiums der Unternehmenskrise voraus. 14) 1.1

Unternehmenskrise als Sanierungsauslöser

Die Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen wird durch die Krise des Unternehmens 14 ausgelöst. Hierunter ist in der Betriebswirtschaftslehre ein zeitlich begrenzter Prozess zu verstehen, in dem der Fortbestand des Unternehmens substantiell gefährdet ist, da sich das Reinvermögen, die Liquiditätslage und/oder allgemein die Voraussetzungen, Vermögenszuwachs zu erzielen, ungewollt negativ entwickelt haben.15) Insolvenzrechtlich ist die Unternehmenskrise dadurch gekennzeichnet, dass die Insolvenz- 15 tatbestände, also die drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zahlungsunfähigkeit oder aber die Überschuldung vorliegen. Der strafrechtliche Krisenbegriff wiederum knüpft an den insolvenzrechtlichen Krisenbe- 16 griff an. Anknüpfungspunkt der Bankrottdelikte (§§ 283 ff. StGB) sind Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit. Abb. 1: Übersicht zum Krisenverlauf Hoch

17 Gering

Zeitlicher Verlauf

Gering

Handlungsspielraum

Bedrohungsintensität und Handlungsbedarf

Insolvenz

Liquiditätskrise

Erfolgskrise Strategische Krise

Bedrohung/Verlust der Erfolgspotentiale

Bedrohung/Verslust der Erfolgsziele (Gewinn, Umsatz etc.)

Gefahr der Liquidität und/ oder Überschuldung

Liquidität und/oder Überschuldung

Hoch

___________ 14) Ausführlich zu den Anforderungen eines Sanierungskonzeptes OLG Köln, Urt. v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, ZInsO 2010, 238 = GmbHR 2010, 251. Zu berücksichtigen ist ferner der vom Institut der Wirtschaftsprüfer erstellte IDW S 6 Standard, hierzu Prütting, KSI 3/13, 101 ff. unter ausführlicher Darstellung der inhaltlichen Anforderungen seitens der Rechtsprechung an Sanierungskonzepte. 15) Wagenhofer in: Küpper/Wagenhofer, EdBWL, Bd. 3, Sp. 4380 f.; Uhlenbruck, Der Wirtschaftstreuhänder, S. 16, 18; Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 3 ff.

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747

§ 24

Teil III Einzelfragen

18 Der Handlungsspielraum für die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen wird mit einem Voranschreiten der Unternehmenskrise eingeschränkt.16) Die Aufgabenkomplexität nimmt zu. Zugleich wächst der Entscheidungsdruck, da mit Erreichen der Liquiditätskrise die Insolvenzreife drastisch steigt. 1.2

Analyse der Krisenursachen

19 Die Feststellung der Insolvenzursachen gehört zu den gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben, die sowohl ein Insolvenzverwalter als auch die Geschäftsleitung eines Unternehmens in Eigenverwaltung zu erfüllen haben. Diese fließen im ersten Berichtstermin mit in die Entscheidung ein, ob das Unternehmen fortgeführt werden soll oder nicht. Beim Schutzschirmverfahren ist die Krisenanalyse im Vorfeld abzuarbeiten. 20 Die Ursachenanalyse ist Ausgangspunkt jedweder Betrachtungen.17) Unternehmenskrisen können auf Ereignisse außerhalb des Unternehmens zurückzuführen sein, die folglich seitens des Unternehmens nicht beeinflussbar sind (externe Krisenursachen), oder ihren Ursprung im Einflussbereich des Unternehmens selbst haben (interne Krisenursachen).18) 21 Abb. 2: Einteilung der Krisenursachen nach internen und externen Faktoren Globalisierung

Fehlende Effizienz

Führungsmängel

Naturkatastrophen

Unerfahrenheit Schlechte Finanzierungsstruktur

Marktsättigung

Veraltete Produktionstechnologie

Wechselkursveränderungen

Überteuerte Akquisitionen Organisatorische Mängel Strategische Probleme

Steigende Rohstoffpreise

Technologiesprung

Unzureichendes Controlling

Interne Faktoren

Markteintritt neuer Anbieter

Hoher Wettbewerb

Externe Faktoren Krisenursachen und deren Einteilung nach externen und internen Faktoren

22 Im Rahmen der Analyse externer Krisenursachen ist das gesamtwirtschaftliche Umfeld zu analysieren. Exemplarisch seien Rezessionen, Technologieveränderungen, sozialpolitische Umbrüche, Wechselkursschwankungen oder veränderte rechtliche Rahmenbedingungen genannt. Veränderungen im gesamtwirtschaftlichen Umfeld haben unmittelbare Auswirkungen auf das Unternehmen. 19) 23 Die Analyse der Branchenentwicklung ist eine der wesentlichen Eckpfeiler i. R. der Prüfung der Sanierungsfähigkeit. Die künftige Entwicklung hängt maßgeblich von der erwarteten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab, die vordergründig durch Konjunktureinflüsse überlagert wird, sowie durch demografische, technologische, politische und gesellschaftliche Trends. Insbesondere die Entwicklungen auf den Beschaffungs- und Finanzierungsmärkten sind Bausteine für die Krisenanalyse sowie die Erstellung der Planungsprognose des Unternehmens.

___________ 16) 17) 18) 19)

748

Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 11. Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 37; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 5. Aufl., Rz. 357. Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 40. Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 37; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 5. Aufl., Rz. 357.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

Vielfach wird ein mehr oder weniger starker Schuldnerunternehmensbezug bestehen. 24 Letztere bilden die Hauptgründe für Unternehmenskrisen und sind durch eine umfassende Ursachen- und Schwachstellenanalyse zu ermitteln: Unter Heranziehung der Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage ist zu prüfen, wie das Unternehmen als Leistungseinheit in wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Besonderes Augenmerk ist auf die Feststellung der „Werteerzeuger“ und „Wertevernichter“ zu legen, was eine produkt- und kundenorientierte Deckungsbeitragsrechnung erfordert. Leistungsrelevante Verträge sind einzubeziehen. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Lieferanten, Miete, Personal, Darlehen und Kreditsicherheiten sowie die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen: x Weiterhin sind Fragen zur Marktfähigkeit von Produkten und Leistungen zu beantworten. Dabei ist zu klären, mit welchen Maßnahmen die Nachfrage nach den Produkten und Leistungen gesteigert werden kann. x

Auch sind die wesentlichen Kennzahlen von Wettbewerbern mit denen des Krisenunternehmens zu vergleichen, und i. R. des sog. Benchmarkings zu klären, wie sich andere Unternehmen am Markt positionieren.

x

Zudem ist die finanzielle Lage (Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage) einschließlich aller Chancen und Risiken zu erfassen, die für die Ertragsentwicklung von Bedeutung sind.

x

Im Rahmen der internen Analyse ist auch das bestehende Leitbild des Unternehmens zu hinterfragen. Der Schwerpunkt ist auf die Kernkompetenzen, die wichtigsten Produkte sowie die Finanzierungsmöglichkeiten zu legen. Zudem sind Fragen zu beantworten, welche die Leistungsfähigkeit der Gesellschafter betreffen.

x

Im Rahmen der Stärken- und Schwächenanalyse ist ferner auf bestehende Parameter wie Belegschaft, Beschaffung, Produktion, Absatz und Technologie und Innovation einzugehen.

x

Im Rahmen der Bilanzanalyse werden die zur Beurteilung benötigten Informationen durch Auswertung der Jahresabschlüsse (Bilanzen und GuV-Rechnung) gewonnen, im Hinblick auf bestimmte Informationsziele zusammengestellt und Kennzahlen ausgewertet. Zu beachten sind dabei die aufgrund gesetzlicher Gestaltungsspielräume in Anspruch genommenen Wahlrechte bei Bewertungs- und Abschreibungsmethoden, so dass ein klares Bild aus der vergangenen Entwicklung hergeleitet werden kann.

Abb. 3: Unternehmensanalyse und Zielbestimmung

25

Analyse des Unternehmens

Finanz- und Ertragslage

Juristische Verhältnisse

Strategische Lage

Management

 Bilanzanalyse

 Produkt, Markt

 Gesellschaftrecht

 Qualifikation

 Kennzahlen

 Wettbewerb

 Verträge

 Leitungsebenen

Lagebeurteilung, SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken)

Vision des sanierten Unternehmens Leistungswirtschaftliche Maßnahmen Finanzwirtschaftliche Maßnahmen Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen Sonstige Maßnahmen

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§ 24

Teil III Einzelfragen

26 Die eruierten Basisinformationen sind zudem Bestandteil des Darstellenden Teils des zu erarbeitenden Insolvenzplans. Der Zusammenhang zwischen den Krisenursachen und den notwendigen Sanierungsmaßnahmen ist zu erläutern. 1.3

Strategie

27 Die Eigenverwaltung in Verbund mit dem Sanierungsinsolvenzplan verfolgt die Strategie, die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung durch Umsetzung des Insolvenzplans zu beseitigen, das Unternehmen zu Wettbewerbsfähigkeit und Renditefähigkeit zurückführen und durch den dauerhaften Erhalt des Unternehmens die maximale Gläubigerbefriedigung zu erreichen. 28 Im Rahmen der strategischen Planung wird festgelegt, innerhalb welchem Zeitraums notwendige Sanierungsmaßnahmen umgesetzt werden sollen. Es sind Einzelschritte zu definieren, innerhalb derer die Sanierungsschritte jeweils verwirklicht werden sollen. Die strategische Planung bildet die Grundlage für die operative Planung, aus der feste Vorgaben abgeleitet werden. 1.4

Leitbild des sanierten Unternehmens

29 Ausgehend von den Insolvenzursachen ist das Leitbild des sanierten Unternehmens zu ermitteln. Das Leitbild definiert in wirtschaftlicher Hinsicht eine mindestens nachhaltig durchschnittliche und branchenübliche Rendite- und Eigenkapitalquote. 20) 30 Dieses Stadium lässt sich als suchende Entscheidungsphase verstehen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, unternehmensinterne Informationen sowie Informationen von Wettbewerbern zu sammeln, die Unternehmenssituation zu analysieren und ausgehend von dieser Situation eine Zielstellung zu entwickeln sowie die entsprechenden Lösungswege aufzuzeigen. 1.5

Maßnahmen zur Umsetzung des Sanierungsplans

31 Das geplante Unternehmen, d. h. die umzusetzende Vision, bildet die Grundlage für das weitere Vorgehen: x

Zunächst sind in einem ersten Schritt alle Maßnahmen festzulegen, die notwendig und erforderlich sind, um das Ziel zu erreichen. Dabei ist die Zielerreichung durch Kennzahlen, die in der Planung festzulegen sind, messbar zu machen.

x

Die Beschreibung der Sanierungsmaßnahmen und ihrer Auswirkungen auf die GuV-Rechnung, die Liquidität und die Bilanz einerseits sowie ihre Auswirkungen auf die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger, die Befriedigungsquoten der Gläubiger mit einfachen Insolvenzforderungen andererseits bilden zudem einen Schwerpunkt der Ausführungen im Darstellenden Teils des Insolvenzplans. In verkürzter Form fließen diese auch in die Insolvenzantragsschrift ein.

1.6

Integrierte Sanierungsplanung

32 Betriebsfortführung zur Unternehmenssanierung setzt eine integrierte Sanierungsplanung voraus, aus der ersichtlich ist, welche Auswirkungen sich auf die Erfolgsrechnung des Unternehmens bis zum Erreichen des Sanierungsziels ergeben. Bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren ist dementsprechend nach den Zeiträumen x

Eröffnungsverfahren,

x

Verfahrenseröffnung bis zur Planabstimmung,

___________ 20) Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 115.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren x

Planabstimmung bis zur Verfahrensaufhebung und

x

nach Verfahrensaufhebung

§ 24

zu differenzieren. Die integrierte Sanierungsplanung stellt den zahlenmäßigen Sanierungsablauf dar und weist die Finanzierbarkeit der beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen nach. Sie stellt sich als verknüpfte Ergebnis-, Bilanz und Liquiditätsplanung dar und beinhaltet zudem Sonderdarstellungen, die durch das Verfahren vorgegeben werden. Sie ist das Kernstück einer jeden Betriebsfortführung.21) Sie plausibilisiert zudem als Plananlage zum Insolvenzplan die im Darstellenden Teil und im Gestaltenden Teil getätigten Ausführungen. Dabei ist für die vorgennannten Zeiträume danach zu differenzieren, welche Geschäftsvorfälle und welche Sanierungsmaßnahmen geplant sind wie auch deren Auswirkungen auf den Ertrag, die Liquidität und das Vermögen des Unternehmens. Im Rahmen der integrierten Sanierungsplanung sind die Auswirkungen auf Aus- und 33 Absonderungsrechte sowie auf einfache Insolvenzforderungen im Zuge der geplanten Sanierungsmaßnahmen darzustellen. Die Planung hat ferner zu berücksichtigen, die Befriedigung der Massekosten und die Behandlung von Masseverbindlichkeiten, wobei insbesondere auf die Fragen einzugehen ist, die sich im Hinblick auf § 55 Abs. 4 InsO ergeben. Für den Fall, dass die Eigenverwaltung aufgehoben wird, sind entsprechende Rückstellungen zu bilden. Dabei ist u. a. zu berücksichtigen, dass alle liquiditätswirksamen Vorgänge so erfasst werden, dass sich die tatsächliche Liquidität in die Planungsperiode (wöchentlich, monatlich, quartalsweise) ergibt. Zudem ist das Ergebnis den verfahrensspezifischen Erfordernissen anzupassen. Dies be- 34 deutet, dass jederzeit die notwendige Transparenz durch Nebenrechnungen gegeben sein muss, um im Fall eines relevanten Masseverzehrs über eine Stilllegung der Produktion entscheiden zu können.22) Die Erstellung der ständig zu aktualisierenden Liquiditätsplanung gehört nach der 35 Grundsatzentscheidung des BGH23) zu den insolvenzspezifischen Verwalterpflichten und obliegt damit als solche erweitert auf eine integrierte Sanierungsplanung auch der Unternehmensleitung in Eigenverwaltung. 1.6.1 Ergebnisplanung Soweit die Befriedigung der Gläubiger aus den künftigen Erträgen des fortgeführten Un- 36 ternehmen erfolgen soll, ist gemäß § 229 InsO in Form einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen, welche Aufwendungen und Erträge während der Laufzeit des Insolvenzplanes, gerechnet ab dessen Wirksamwerden bis zur Beendigung der Gläubigerbefriedigung zu erwarten sind. Die Planung ist auf Monatsbasis zu erstellen, der Aufbau richtet sich dabei nach den Gesamtkostenverfahrens gemäß § 275 Abs. 2 HGB oder dem Umsatzkostenverfahren, § 275 Abs. 3 HGB.24) Nach dem hier vertretenen Verständnis einer integrierten Sanierungsplanung sind die An- 37 forderungen an die Darstellung jedoch deutlich weiter zu fassen, um hinreichend zu plausibilisieren, dass die mit dem Insolvenzplan beabsichtigten Maßnahmen effektiv geeignet sind, die Krisenursachen dauerhaft zu beseitigen. Dazu gehört, dass die Jahreswerte der Gewinn- und Verlustrechnung für die dem Jahr der Antragstellung vorausgehenden drei ___________ 21) Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung, Rz. 1766; Mönning, Vorauflage, Rz. 776; Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 145 ff. 22) Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung, Rz. 406. 23) BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 = NJW 2004, 3334 = ZInsO 2004, 609. 24) Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 104.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

Geschäftsjahre mit dargestellt werden. Weiterhin sind das Jahr der Antragstellung und zwei Folgejahre in Monatsscheiben zu planen und darzustellen, um das wirtschaftliche Ergebnis nach Annahme des Insolvenzplans zu belegen.25) Nur so kann den Gläubigern der für eine fundierte Entscheidung erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse vermittelt und können die Anforderungen, welche an den Darstellenden Teil eines Insolvenzplans zu stellen sind, erfüllt werden. 38 Im Rahmen der Ergebnisplanung sind insbesondere insolvenzspezifische Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen und gesondert darzustellen. Dies betrifft die mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig verbundenen oder vorsorglich zu unterstellenden rückläufigen oder verzögerten Umsätze. Die Beantragung eines Insolvenzverfahrens hat je nach Branche und Struktur der Auftraggeber erhebliche Auswirkungen auf die planbaren Umsätze. Teilweise sehen öffentliche Auftraggeber auch i. R. von Eigenverwaltungen zur Umsetzung von Insolvenzplänen von einer Auftragsvergabe ab. Bei Bauaufträgen machen die Auftraggeber „sklavisch“ von der Kündigungsmöglichkeit der VOB wegen Insolvenzbeantragung Gebrauch.26) 39 Sofern das Unternehmen nicht wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag gestellt hat, sondern vielmehr aktuelle Liquiditätsschwierigkeiten die Geschäftsleitung dazu veranlasst haben, den Insolvenzantrag zu stellen, fehlt es häufig an der notwendigen Liquidität, um sämtliche Waren zu beziehen. Zudem führt die Beantragung eines Insolvenzverfahrens zu entsprechenden Reaktionen der Lieferanten, sei es, dass diese Vorkasse verlangen oder Verarbeitungs- und Verwertungsverbote wegen offener Forderungen aussprechen. Hierdurch eintretende Verzögerungen sind zu planen. 40 Bei den sonstigen betrieblichen Erträgen ist danach zu differenzieren, ob diese z. B. aus der Auflösung von Rückstellungen beruhen oder ob es sich um Erträge aus dem Verkauf von Gegenständen des Anlagevermögens handelt. Insofern sind die Vorgaben der InsO (Zustimmung der Gläubigerversammlung oder eines Gläubigerausschusses) zu berücksichtigen. 41 Besonderes Augenmerk ist auf die Planung der Materialaufwendungen zu richten. Diese sind einzelauftragsbezogen zu berücksichtigen. Insbesondere ist zu klären, inwieweit auf vorhandenes Material nach Antragstellung zurückgegriffen werden kann. Hier ist insbesondere von Bedeutung, ob und inwieweit das Unternehmen rechtlich zulässige Einkaufskonditionen verwendet, ob und in welchem Umfang ein einfacher oder erweitertes Eigentumsvorbehalt wirksam vereinbart wurde und inwieweit das Warenlager der Besicherung von Krediten dient. Grundlage der Planung kann nur das Material sein, welches frei von Rechten Dritter ist, oder über das aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit Lieferanten und anderen Sicherungsnehmern verfügt werden kann. In der Praxis empfiehlt es sich daher, kurzfristig einen Gläubigerpool anzuregen und Berater, die sich auf die Initiierung von Sicherheiten-Verwertungsgemeinschaften für Gläubiger mit Aus- und Absonderungsrechten spezialisiert haben, einzubinden. 42 Besonderes Augenmerk ist auch auf die Planung der Personalaufwendungen zu richten. Neben den aktuellen Lohn- und Gehaltsscheinen, sind voraussichtliche Sonderzahlungen aus Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen, Lohn- und Gehaltsanpassungen etc. sowie künftige Veränderungen der Personalstruktur zu berücksichtigen.

___________ 25) Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung, Rz. 2395; Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 5 ff. 26) Vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 = NJW 1986, 255. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274 zur Zulässigkeit von Lösungsklauseln bestehen Bedenken an dieser Praxis.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

Abschreibungen werden auf Grundlage der der Planung zugrundeliegenden Bilanz in 43 Ansatz gebracht. Bei sonstigen Aufwendungen ist zwischen fixen und variablen Aufwendungen zu unterscheiden. Insbesondere bei den variablen Aufwendungen ergeben sich regelmäßig Veränderungen aufgrund der Umsatzgrößen. Soweit leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen vorgesehen sind, müssen die dar- 44 aus resultierenden Veränderungen in den jeweiligen Aufwandspositionen berücksichtigt werden. Dies betrifft bspw. Aufwendungen im Zusammenhang mit einem notwendigen Personalabbau. Hier sind zum einen der Zeitpunkt, in welchem der entsprechende Personalabbau relevant wird, zu berücksichtigen, zum anderen stehen den Kostenreduzierungen entsprechende Einmaleffekte gegenüber, wie z. B. Aufwendungen für einen ausgehandelten Sozialplan oder aber Aufwendungen in Folge der Überführung von Arbeitnehmern in eine Transfergesellschaft. Zudem sind die i. R. des Insolvenzplans vorgesehenen Gläubigerverzichte zu berücksich- 45 tigen. Diese führen zu einem außerordentlichen Ertrag und sind unter den einschlägigen Positionen außerordentlicher Erträge i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 15 HGB des Gesamtkostenverfahrens sowie nach § 275 Abs. 3 Nr. 14 HGB bei den „Umsatzkosten“ auszuweisen. Soweit der Insolvenzplan vorsieht, dass die Gläubiger i. R. einer Besserungsklausel an außerordentlichen Erträgen bei Veräußerung wertberichtigter Vermögensgegenstände partizipieren sollen, sind entsprechende Effekte ebenfalls darzustellen. Für das Unternehmen ist der Vorgang erfolgsneutral, sofern der Insolvenzplan Regelungen enthält, wonach die Forderung, auf die verzichtete wurde, in dem Umfang wieder auflebt, wie aufgrund der Besserungsklausel Zahlungen erfolgen können. Besonders Augenmerk ist auf Massekosten, Kosten des Sachwalters, Kosten des Gläubi- 46 gerausschusses und die Gerichtskosten zu legen. Zudem sind Kosten, die im Zusammenhang mit der Planumsetzung für externe Berater anfallen, zu berücksichtigen, wie z. B. für die Durchführung eines M&A-Prozesses, für die Insolvenzplanerstellung sowie die Planüberwachung. Schließlich ergeben sich unter der Position „Steuern vom Einkommen und Ertrag“ unter 47 Anwendung des BMF-Schreibens vom 27.3.2003 (sog. Sanierungserlass der Finanzverwaltung) Konsequenzen.27) Das BMF hat darin zur Frage der ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen Stellung genommen. Danach ist die Ertragsteuer auf den Sanierungsgewinn zu erlassen, sofern nach Inanspruchnahme ertragsteuerlicher Verlustverrechnungsregelungen ein durch den Forderungsverzicht entstandener steuerpflichtiger Sanierungsgewinn verbleibt.28) Anders als bei der Ertragsteuer ist der Bereich der Gewerbesteuer nicht durch die Billigkeitsregelung des vorgenannten BMF-Schreibens gedeckt.29) Hier gelten die allgemeinen gewerbesteuerlichen Verlustverrechnungsregelungen des § 10a GewStG. ___________ 27) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 = ZInsO 2003, 363 ff. 28) Infolge der Entscheidung Europäischen Kommission ist § 8c Abs. 1a KStG wegen Verstoßes gegen das Beihilfeverbot nicht anzuwenden. (zur Rechtslage FG Münster, Beschl. v. 1.8.2011 – 9 V 357/11 K, G, ZIP 2011, 1771). Die hiergegen von der Bundesregierung eingereichte Nichtigkeitsklage ist um einen Tag verfristet gewesen. Vor diesem Hintergrund besteht das Restrisiko, dass ein Steuererlass in Anwendung des BMF-Schreibens ebenfalls als staatliche Beihilfe eingestuft wird, vgl. Uhlenbruck-Maus, InsO, § 80 InsO Rz. 42 m. w. N.; BFH, Urt. v. 25.4.2012 – I R 24/11, Zip 2012, 1571. Um das Risiko einzugrenzen, ist es bei der Planerstellung ratsam, die Kriterien der in den Rettungs- und Umstrukturierungsrichtlinien der Europäischen Kommission (Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. C 384 v. 10.12.1998, S. 3 ff.) zu berücksichtigen. 29) Vgl. auch OFD Magdeburg, Verfügung v. 21.3.2013, G 1498 – 3 – St 213, ZInsO 2013, 1068 m. Anm. Harder, ZInsO 2012, 1070.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

Hinsichtlich des Sanierungsgewinns auf die Gewerbesteuer gilt es, einen schriftlichen Verzicht der Kommune auf die Besteuerung auszuhandeln. Dies hat die Planung zu antizipieren. 1.6.2 Bilanzplanung 48 Grundlage für die Bilanzplanung ist die Übernahme der Eröffnungsbilanzwerte und der Werte aus den relevanten Teilplänen je Planungsposition. Die entsprechende Wertansätze erfahren i. R. eines Insolvenzverfahrens erhebliche Veränderungen. Für die Planung sind insbesondere Neubewertungen des Anlage- und Umlaufvermögens aufgrund von Wertgutachten zu berücksichtigen. Zudem ist auf die Entwicklung der Passivseite ein besonderes Augenmerk entsprechend den Vorgaben der InsO (Rangklassen) zu richten. 49 Soweit der Insolvenzplan die Gläubigerbefriedigung aus künftigen Erträgen vorsieht, ist diesem gemäß § 239 Abs. 1 InsO eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufgeführt werden, die sich im Fall dessen Wirksamwerdens gegenüber stehen. Maßgeblich für den Wertansatz ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplanes.30) Die Vermögensübersicht entspricht damit inhaltlich der Vermögensübersicht nach § 153 InsO, lediglich der zugrundeliegende Stichtag ist unterschiedlich.31) 50 Nach hiesiger Auffassung hinsichtlich des Umfangs der für die Gläubiger zu erstellenden Informationen hat die Bilanzplanung x

die Bilanzen zum Ende eines Geschäftsjahres der dem Jahr der Antragstellung vorausgehenden drei Jahre darzustellen sowie

x

das laufende Geschäftsjahr und das Jahr der Planannahme sowie zwei weitere Geschäftsjahre jeweils in Monatsscheiben.

51 Die Bilanzen sind unter handelsgesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten zu erstellen, wobei der Grundsatz der Bilanzkontinuität zu beachten ist. Gegebenenfalls sind einzelne Bilanzpositionen zu ergänzen, sofern dies zu größerer Transparenz führt und zu einem besseren Verständnis der Wertansätze beiträgt. 52 Der Aufbau der Bilanz der Bilanz orientiert sich an § 266 Abs. 2 HGB mit den entsprechenden Aufgliederungen.32) Besonderheiten ergeben sich insofern, als dass spätestens mit Einleitung des Eröffnungsverfahrens das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Unternehmens durch externe Sachverständige gutachterlich zu bewerten ist, um entsprechende Fortführungs- und Zerschlagungswerte zu ermitteln. Soweit sich Abschreibungsbedarf ergibt, ist dieser in der Plangewinn- und Verlustrechnung zu erfassen. 53 Erträge aufgrund von Desinvestitionen sind unter der Position sonstige betriebliche Erträge in der GuV auszuweisen.33) Ebenfalls ist unter der Position Vorräte entsprechend dem Leistungsfortschritt zu differenzieren.34) Grundlage der Bilanzplanung ist auch hier die voraussichtliche Entwicklung innerhalb des Insolvenzverfahrens. Für die Beurteilung des vor Ort vorhandenen Vorratsvermögens ist ebenfalls maßgeblich, ob und inwieweit mit Sicherungsgläubigern entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, aufgrund derer das Unternehmen berechtigt ist, diese Waren einzusetzen. 54 Sofern es nicht zu einer Vereinbarung kommt, hat dies erhebliche Auswirkungen, da diese Waren nicht für die laufende Betriebsfortführung eingesetzt werden dürfen, sodass ihnen ___________ 30) 31) 32) 33) 34)

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Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 6 ff.; Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 121. Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 122. Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 126. Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 126. Zabel in: Kübler, HRI § 27 Rz. 122.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

in aller Regel, wenn überhaupt, oftmals kein, allenfalls ein sehr geringer Wert beizumessen ist. Besonderes Augenmerk ist zudem auf die Planung der Forderungen aus Lieferungen 55 und Leistungen zu richten. Zwar sind grundsätzlich die durchschnittlichen Zahlungsziele mit den jeweiligen Gründen aus der Vergangenheit anzusetzen. Aufgrund des Insolvenzverfahrens ergeben sich jedoch häufig Veränderungen, sei es, dass Vereinbarungen mit Kunden getroffen werden, die dazu führen, dass Zahlungsziele verkürzt werden, oder aber, dass Kunden zunächst Zahlungen bewusst zurückhalten. Dieses Verhalten ist ebenfalls zu berücksichtigen. Sofern sich i. R. des laufenden Prozesses Änderungen im Zahlungsverhalten ergeben, sind diese permanent einzuarbeiten und zu dokumentieren. Die Liquiditätsentwicklung ergibt sich aus der nachfolgend gesondert dargestellten Liquiditätsplanung (Rz. 60 f.). In Bezug auf die wesentliche Position Eigenkapital auf der Passivseite gilt, dass die Dar- 56 stellung rechtsformabhängig ist. Bei Kapitalgesellschaften setzt sich diese nach Maßgabe des § 266 Abs. 3 lit. A HGB aus dem gezeichneten Kapital, der Kapitalrücklage, den Gewinnrücklagen, dem Gewinn- oder Verlustvortrag und dem Jahresüberschuss oder -Fehlbetrag zusammen. Bei Personengesellschaften setzt sich diese nach Maßgabe des § 264c HGB aus den Kapitalanteilen, den Rücklagen, dem Gewinn- oder Verlustvortrag und dem Jahresüberschuss oder -fehlbetrag zusammen. Zudem sind sonstige Änderungen des Eigenkapitals aufgrund von Kapitalerhöhungen- oder Herabsetzungen, Einzahlungen in die Kapitalrücklagen zu berücksichtigen.35) Für Rückstellungen gemäß § 266 Abs. 3 lit. B HGB gilt, dass diese im Hinblick darauf zu 57 planen sind, ob es zur Neubildung von Rückstellungen kommt oder aber, ob Rückstellungen aufgelöst werden können. Es gilt Rückstellungen für Verbindlichkeiten zu bilden, deren Anmeldung nicht sicher vorausgesagt werden kann, die aber gleichwohl, den Planregelungen unterworfen werden sollen. Die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten enthalten bis zum Tag der Verfahrens- 58 eröffnung auch anfallende Zinsen. Mit Verfahrenseröffnung ergeben sich im Hinblick auf die zu berücksichtigenden Forderungen Auswirkungen auf die anfallenden Zinsen (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Entsprechend dem Maßnahmenkatalog, der mit dem Insolvenzplan umgesetzt werden 59 soll, sind – auf Grundlage der operativen Planung – auf der Aktivseite und der Passivseite der Bilanz die bilanziellen Auswirkungen des Insolvenzplans darzustellen.36) Hierzu gehören insbesondere die folgenden Sachverhalte: x

Gläubigerverzichte und Zahlungen an die Gläubiger, sind entsprechend den Vorgaben des Gestaltenden Teils in der Bilanzplanung unter Rückstellungen bzw. Verbindlichkeiten zu berücksichtigen.

x

Sofern der Insolvenzplan Gesellschafter- oder Investorenbeiträge vorsieht, sind deren bilanzielle Auswirkungen in der Bilanzplanung ebenfalls zu berücksichtigen.37)

x

Darüber hinaus kann sich mit der Umsetzung des Insolvenzplans eine neue Finanzierungsstruktur für das Unternehmen ergeben. Dies ist bspw. der Fall, wenn zur Erlangung der notwendigen Liquidität das Unternehmen Sale-and-Lease-back-Finanzierungsverträge abschließt, oder aber einzelne Gläubiger ihren Abgeltungsbetrag „stehen lassen“ oder den werthaltigen Teil ihrer Forderung in Eigenkapital umwandeln.

___________ 35) Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 132. 36) Borchardt/Frind-v. Wentzler, Betriebsfortführung, Rz. 1221. 37) Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 138.

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§ 24 x

Teil III Einzelfragen

Auswirkungen auf die Finanzierungsstruktur des Unternehmens haben ferner Regelungen die Sicherungsgläubiger betreffen, in deren Absonderungsrechte eingegriffen wird. So kann etwa das im Sicherungseigentum stehende Betriebsvermögen dem Unternehmen weiterhin langfristig zur Verfügung stehen, zugleich sind aber ratierliche Zahlungen auf den abzugeltenden Sicherungswert zu leisten.

1.6.3 Liquiditätsplanung 60 In der Liquiditätsplanung sind alle Zu- und Abflüsse darzustellen.38) Jede Position der Liquiditätsplanung ist zudem mit der Ergebnis- oder Bilanzplanung zu verknüpfen. 61 Für die Liquiditätsplanung sind zudem insolvenzspezifische Sondereffekte einzuplanen: x

Insolvenzgeld und weitere Besonderheiten im Eröffnungsverfahren (z. B. Nichtzahlung Zinsen, Leasingraten etc.),

x

Zahlungsverpflichtungen aus Nutzungsentschädigung, Wertersatz etc. ab dem Berichtstermin.

1.6.4 Weitere Planungsrechnungen und Nebenrechnungen 1.6.4.1

Liquiditätsplanung auf Wochenbasis

62 Neben der im Kontext mit der Erfolgsplanung stehenden Liquiditätsplanung auf Monatsbasis ist eine wöchentliche Liquiditätsplanung zu erstellen. 1.6.4.2

Nebenrechnungen

63 Um die notwendig Transparenz im Insolvenzverfahren zu gewährleisten, empfiehlt sich, die integrierte Sanierungsplanung um folgende Einzeldarstellungen zu ergänzen: x

Liquiditätsentwicklung nach Tagen

x

Ertrags- und Aufwandsentwicklung

x

Entwicklung Forderungen x

Entwicklung der Neuforderungen ab Antragstellung

x

Entwicklung der Neuforderungen ab Eröffnung

x

Entwicklung der Bestände

x

Entwicklung Verbindlichkeiten

x 2.

x

Eröffnungsverfahren

x

Nach Verfahrenseröffnung

Übersicht ausgelöster Bestellungen.39) Ergänzung der Unternehmensführung durch einen „Chief Restructuring Officer“ (CRO)

64 Den Leitungsorganen wird regelmäßig die erforderliche Kenntnis von den insolvenzspezifischen Besonderheiten fehlen, um eine sachgerechte Verfahrensabwicklung zu gewährleisten.40) Soweit Defizite bestehen, empfiehlt es sich, im Vorfeld der Insolvenz maßgebliche ___________ 38) Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung, Rz. 1774 ff.; Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 18 ff.; Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 138. 39) Borchardt/Frind-Wentzler, Betriebsfortführung, Rz. 1165 ff. 40) Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 1 weist zu Recht auf das Erfordernis der entsprechenden insolvenzrechtlichen Kenntnisse hin.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

Leitungspositionen mit Fachleuten für Sanierung und Insolvenzrecht neu zu besetzen.41) Die beantragte Eigenverwaltung wird so personell unterlegt, indem die erforderliche erhöhte Sachkunde und die notwendige Zuverlässigkeit in das Unternehmen integriert werden. Dieses Modell wurde in der Vergangenheit vielfach kritisiert, gleichwohl hat sich die gegenteilige Praxis42) weitestgehend etabliert und ist rechtlich nicht zu missbilligen.43) 3.

Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses

Mit dem neugefassten § 270 Abs. 3 InsO wird der Gläubigereinfluss auf die Anordnung 65 der Eigenverwaltung verstärkt. In Fällen, in denen nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt wird, muss diesem zwingend vor Entscheidung über den Antrag Gelegenheit zur Stellung gegeben werden. Ein einstimmiges Votum des Ausschusses zugunsten der Eigenverwaltung hat für das Gericht zur Folge, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht als nachteilig für die Gläubiger gilt.44) Praxisrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass der Schuldner mit der Antragstellung 66 ein Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses hat (§ 22a InsO). Zeitnah vor Insolvenzantragstellung sind die erforderlichen Einverständniserklärungen der in der Antragsschrift zu benennenden Personen einzuholen. 4.

Information (wichtiger) Gläubiger

Für die Praxis gilt, ergänzend zur Ansprache potentieller Gläubigerausschussmitglieder, 67 bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung um das Vertrauen wichtiger Vertragspartner (Banken, Lieferanten, Kunden) für den gewählten Sanierungsansatz zu werben. Die angestrebte Sanierung mittels Eigenverwaltung und Insolvenzplan ist zudem nach Antragstellung offensiv zu kommunizieren.45) Einigungen mit den wesentlichen Gläubigern im Vorfeld der Antragstellung begünstigen die Umsetzung der beabsichtigten Sanierung.46) Ein „Abspringen“ wichtiger Vertragspartner gilt es zu verhindern. III.

Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO

Mit dem Schutzschirmverfahren wird die Geschäftsleitung in die Lage versetzt, bei drohen- 68 der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sich zur Vorbereitung einer Sanierung unter den Schutz der InsO zu stellen und i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung die Geschicke des Unternehmens weiter zu bestimmen, sofern die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Um diese i. R. eines Insolvenzplans umzusetzen, verbleibt der Geschäftsleitung bis zur 69 Planvorlage ein zeitlicher Rahmen von bis zu drei Monaten. Während dieses Zeitraumes müssen der Schuldner bzw. seine Organe grundsätzlich keinen Kontrollverlust über das operative Geschäft und den weiteren Sanierungsprozess aufgrund der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung nach §§ 21, 22 InsO befürchten, soweit ein Insolvenzplanverfahren zum Zwecke der Eigensanierung auch tatsächlich angestrebt wird. ___________ 41) Ausführlich zur diesbezüglichen Rolle der Berater: Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 172 f. m. w. N. 42) Vgl. Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 82 ff. 43) Spies, ZInsO 2005, 1254; anders noch AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636 = NZI 2002, 556 ff.; hierzu Braun, NZI 2003, 588 und Uhlenbruck, NJW 2002, 3219. 44) Buchalik, ZInsO 2012, 349 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung (Fn. 1); weiterhin Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109; Haarmeyer, ZInsO 2012, 370; Frind, ZInsO 2012, 2028. 45) Frege/Nicht in: Kübler, HRI, § 4 Rz. 5. 46) Kübler in: Kübler, HRI, § 1 Rz. 24 weist hierauf zu Recht hin.

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§ 24 1.

Teil III Einzelfragen Antragsschrift im Schutzschirmverfahren

70 Auf Grundlage der im Vorinsolvenzzeitraum erarbeiteten Informationen erfolgt der Insolvenzantrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens, verbunden mit einem Antrag auf Eigenverwaltung und den entsprechenden Anlagen gemäß § 13 InsO, ergänzt um das Testat gemäß § 270b InsO. 1.1

Sanierungsfähigkeitsbescheinigung

71 Inhaltlich muss bei Einleitung des Schutzschirmverfahrens zunächst positiv festgestellt werden, dass drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliegt, jedoch noch keine Zahlungsunfähigkeit. Der Gesetzgeber privilegiert den Schuldner, der möglichst frühzeitig sein Sanierungsverfahren einleitet. Dies erklärt sich daraus, dass eine Sanierung infolge mangelnder Liquidität und besonders evident bei Zahlungseinstellung erheblich erschwert oder sogar unmöglich ist.47) 72 Darüber hinaus muss sich aus dem Testat ergeben, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Die inhaltlichen Vorgaben sind weder dem ESUG selbst noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. In dieser heißt es lediglich, dass ein umfassendes Sanierungsgutachten entsprechend bestimmter formalisierter Standards nicht verlangt wird, weil damit erhebliche Kosten verbunden sind und insbesondere kleineren und mittleren Unternehmen der Zugang zu dem § 270b InsO-Verfahren erheblich erschwert würde.48) 73 Das Testat sollte sich an den Vorgaben des Sanierungsstandards IDW S 6 sowie IDW ES 949) orientieren und damit eine „Seriositätsgewähr“ bieten.50) Denn der Schuldner möchte das Schutzschirmverfahren in Anspruch nehmen, welches gerade auf die Sanierung des Unternehmens abzielt. Dieser kann nur dann privilegiert werden, wenn keine Gefälligkeitsbescheinigung vorgelegt und somit keine „Scheinsanierung“ angestrebt wird. 1.2

Wesentlicher Inhalt der Antragsschrift

74 In der Praxis hat sich bewährt, i. R. der Antragsschrift die Grundzüge des umzusetzenden Sanierungskonzeptes und die Auswirkungen auf gesicherte und ungesicherte Insolvenzforderungen zu beschreiben. Gleichwohl muss der Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens keinem „Pre-packaged-Plan“51) gleichkommen, da dieser erst in der Frist des Schutzschirms erstellt werden soll. 75 Insoweit ergeben sich erhebliche Unterschiede zur Praxis vor Verabschiedung des ESUG. Bereits frühzeitig nach Inkrafttreten der InsO hatte sich eine Praxis herausgebildet, mit Antragstellung „Pre-packeged-Pläne“ vorzulegen, um so das Insolvenzverfahren zeitnah zu beenden sowie zu einer höheren Insolvenplanverfahrensquote zu kommen. 76 Hintergrund war, dass andernfalls erst in der ersten Gläubigerversammlung bzw. im Berichtstermin, die Gläubiger in Kenntnis der potentiellen Befriedigungsaussichten x

bei Liquidation des Unternehmens,

x bei übertragender Sanierung des Unternehmens, ___________ 47) Vgl. Gesetzesbegründung (Fn. 1); Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 367. 48) Vgl. Gesetzesbegründung (Fn. 1). So auch IDW S 6, bei kleinen Unternehmen ist der Standard an die geringe Komplexität anzupassen. 49) Entwurf IDW Standard „Bescheinigung nach § 270b InsO“ (IDW ES ), abgedr. in: ZInsO 2012, 536; hierzu Kraus/Radner, ZInsO 2012, 587; Siemon, ZInsO 2012, 1045; Hermanns, ZInsO 2012, 2265; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861. 50) Vallender, GmbHR 2012, 450, 451; Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 368; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 352. 51) Zur Begriffsdefinition Spies, ZInsO 2005, 1254.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren x

§ 24

bei Erstellung eines Insolvenzplans,

dem Insolvenzverwalter den Auftrag erteilten, einen Insolvenzplan zu erstellen. Dies führte zu einer erheblichen Verunsicherung der beteiligten Verkehrskreise, insbesondere der Auftraggeber und Kunden, da während eines Zeitraum von durchschnittlich sechs Monaten zwischen Antragsstellung und Berichtstermin Ungewissheit über den weiteren Verfahrensweg bestand. 2.

Anforderungen an die Planrechnungen bei Antragstellung

An dem Erfordernis, bereits bei Antragstellung plausible Planrechnungen vorzulegen, 77 welche die künftige Entwicklung bis zur Planannahme über einen Zeitraum von durchschnittlich fünf bis acht Monaten mit den wesentlichen Insolvenzeffekten abbilden, hat sich auch mit Inkrafttreten des ESUG nichts geändert. Die damit verbundenen Schwierigkeiten bestehen fort.52) Die Planungen bei Antragstellung können zunächst nur ein Insolvenzplan-Szenario ab- 78 bilden und nur Näherungswerte unterstellen. Zugleich folgt daraus das Erfordernis, die Planungen wöchentlich zu aktualisieren und die jeweiligen Veränderungen zu dokumentieren. Für die Geschäftsleitung eines Unternehmens in Eigenverwaltung resultiert hieraus die 79 Verpflichtung zur fortlaufenden Kontrolle, ob das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung bei Umsetzung des angedachten Sanierungskonzeptes verwirklicht werden kann. IV.

Eigenverwaltung im Verfahren nach § 270a InsO

Um einen Insolvenzplan umzusetzen, kann die Geschäftsleitung auch das Verfahren ge. 80 § 270a InsO wählen und den Insolvenzantrag mit einem Antrag auf Eigenverwaltung verbinden. Sind keine Umstände bekannt, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, ist auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu verzichten. An dessen Stelle tritt ein vorläufiger Sachwalter. Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt sich dessen Rechtsstellung im Eröffnungsverfahren nach den §§ 274, 275 InsO. Im Umkehrschluss bedeutet dies zugleich, dass diejenigen Kompetenzen, welche nicht dem vorläufigen Sachwalter übertragen sind, beim Unternehmen verbleiben. Die Stellung von Geschäftsleitung in Eigenverwaltung entspricht weitestgehend der Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG im Fall vorläufiger Insolvenzverwaltung. Da anders als im Schutzschirmverfahren keine Sanierungsfähigkeitsbescheinigung gefordert 81 wird, empfiehlt es sich, wie bereits vor Inkrafttreten des ESUG, in der Antragsschrift substantielle Ausführungen zum geplanten Sanierungskonzept und den damit verbundenen Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu tätigen. Beide Punkte zusammen lassen eine Gläubigerbenachteiligung i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO als wenig wahrscheinlich erscheinen. V.

Handlungsspielraum der Unternehmensleitung i. R. der Betriebsfortführung

Die Aufgaben, vor denen die Unternehmensleitung bei angeordneter vorläufiger Eigen- 82 verwaltung, sei es nach § 270a InsO oder § 270b InsO, und mit Verfahrenseröffnung steht, sind vielschichtig.53) Eine erfolgreiche Sanierung ist davon abhängig, dass der Betrieb des schuldnerischen Unternehmens fortgeführt wird. Diese Pflicht trifft im Regelinsolvenzverfahren sowohl den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 ___________ 52) So auch Zabel in: Kübler, HRI, § 27 Rz. 144 f. 53) Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 1.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

InsO) als auch – i. R. seiner Möglichkeiten – den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Andernfalls würde das § 1 InsO formulierte gesetzgeberische Ziel eines Erhalt des Unternehmens konterkariert. 83 Auch bei den durch das ESUG neugeschaffenen Handlungsoptionen ist die Notwendigkeit einer Betriebsfortführung unabweisbar. Die Betriebsfortführung stoppt den Werteverfall, erhält bestehende Sanierungschancen und dient der optimalen Befriedigung der Gläubiger im eröffneten Insolvenzverfahren.54) 84 Die Verpflichtung zur Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren wird ergänzt durch die Verpflichtung zur Betriebsfortführung über den Eröffnungszeitpunkt hinaus bis zur ersten Gläubigerversammlung. Es ist sicherzustellen, dass den Gläubigern die Entscheidungskompetenz über die Handlungsalternativen x

Liquidation,

x

übertragende Sanierung und

x

Insolvenzplan (mit den Vorgaben der Gläubigerversammlung)

verbleibt. Die Gläubigerversammlung entscheidet auf Grundlage des Berichtes, welcher sich mit den Aussichten, das Unternehmen ganz oder in Teilen zu erhalten, auseinandersetzen muss. Es muss eine möglichst substantiierte Aussage zu den Befriedigungsaussichten der Gläubiger in Abhängigkeit von dem jeweils zu wählenden Weg der Haftungsrealisierung (Insolvenzplan, übertragende Sanierung, Liquidation) getroffen werden. 85 Die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dient damit vorrangig dem Ziel, die Vorrausetzungen für eine optimale Befriedigung der Gläubiger zu schaffen. Sie ist keinesfalls Selbstzweck.55) Die Betriebsfortführung hat sich somit vorrangig an dem voraussichtlichen Ergebnis für die Gläubiger zu orientieren. Die Fortführung setzt damit voraus, dass es nicht zu einem dauerhaften und kontinuierlichen Masseverzehr kommt. 1.

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung

86 Durch das ESUG haben die Eigenverwaltung und damit einhergehend das Insolvenzplanverfahren eine deutlich stärkere Gewichtung als Sanierungsinstrumente von Unternehmen bekommen.56) 87 Obwohl in verschiedenen Vorschriften der InsO genannt, ist der Begriff Betriebsfortführung nicht explizit definiert. Unter Betriebsfortführung ist die Aufrechterhaltung der in einem Unternehmen gebundenen Vermögenswerte zur Produktion oder zur Erbringung von Dienstleistungen zu verstehen.57) 88 Wie der Handlungsspielraum i. R. einer Betriebsfortführung im § 270a InsO-Verfahren, im Schutzschirmverfahren und nach Verfahrenseröffnung für die Geschäftsleitung in Eigenverwaltung ausgestaltet ist, lässt sich daher nur aus dem Gesamtzusammenhang herleiten. 1.1

Unternehmensleitung außerhalb der Unternehmenskrise

89 Die Rechtsstellung der Geschäftsleitung wird durch die einschlägigen Rechtsvorschriften in Abhängigkeit von der jeweiligen Rechtsform bestimmt (z. B. §§ 35 ff. GmbHG, §§ 76 ff. AktG). So sind im Recht der GmbH die Geschäftsführer die gesetzlichen Vertreter. Dar___________ 54) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 85; Ganter, NZI 2012, 433; Borchardt/Frind-Borchardt, Betriebsfortführung, Rz. 460. 55) M. Hoffmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 111. 56) Römermann, GmbHR 2012, 421; Buchalik, ZInsO 2012, 349; Wuschek, ZInsO 2012, 110. 57) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22 Rz. 91.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

über hinaus obliegt diesen im GmbH- Innenverhältnis die Geschäftsführung (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Die Geschäftsführung umfasst jede Maßnahme tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Art, die den Gesellschaftszweck fördert. Nicht gedeckt von der Geschäftsführungsbefugnis sind Maßnahmen, welche die Beziehungen der Gesellschafter oder die Grundlagen der Gesellschaft berühren.58) Weiterhin haben die Geschäftsführer diejenigen Beschränkungen einzuhalten, die ihnen der Gesellschaftsvertrag, die Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat auferlegt. Durch die Satzung der GmbH oder einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss kann die Geschäftsführungsbefugnis in einem sehr weiten Umfang entzogen werden. Lediglich die zwingenden gesetzlichen Aufgaben müssen auf jeden Fall von den Geschäftsführern wahrgenommen werden (etwa §§ 43 Abs. 3, 49 Abs. 3 GmbHG, § 15a InsO, 264 HGB, 34 AO). Bei Ausübung der Unternehmensleitung hat der Geschäftsführer mit der Sorgfalt eines 90 ordentlichen Geschäftsmannes zu handeln (§ 43 Abs. 1 GmbHG). Dabei ist ihm bei wirtschaftlichen Entscheidungen grundsätzlich ein Ermessensspielraum eingeräumt. Dies berechtigt zur Eingehung typischer unternehmerischer Risiken. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass der Geschäftsführer vor einer Handlung die Entscheidungsgrundlagen unter Heranziehung aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art zu ermitteln und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen hat, um den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen.59) 1.2

Pflichten in der Unternehmenskrise

Im Rahmen der Geschäftsführung trifft die Unternehmensleitung eine Krisenfrüherken- 91 nungspflicht, d. h. es ist stets zu prüfen, ob sich das Unternehmen in einer Krise befindet und ob entsprechende Handlungspflichten greifen. Wird eine Krise erkannt, so sind unverzüglich geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um 92 eine Bestandsgefährdung des Unternehmens zu überwinden.60) Die Geschäftsführer trifft in dieser Phase eine Sanierungspflicht. Bei Nichtbeachtung haftet dieser gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft gegenüber für den entstandenen Schaden, sofern der Schaden durch rechtzeitiges Handeln hätte abgewendet werden können. Mit Eintritt der Krise im insolvenzrechtlichen Sinne erhöhen sich die Pflichten. Zum einen 93 dürfen nur noch Zahlungen vorgenommen werden, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind, womit die Interessen der Gläubiger die Interessen der Gesellschaft verdrängen (§ 64 GmbHG). Insbesondere sind in der Liquiditätskrise kurzfristige Liquiditätsplanungen auf Wochenbasis zu erstellen.61) Ein Pflichtenverstoß führt zur persönlichen Haftung. Zugleich ist der Geschäftsführer gemäß § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes 94 Zögern, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Kenntniserlangung von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Verfügt der Geschäftsführer nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft

___________ 58) Vgl. RGZ 162, 377 ff.; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 37 Rz. 3 ff. 59) Vgl. BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 = NJW 2008, 3361 = WM 2008, 1688; BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, ZIP 2002, 2314 = NJW 2003, 358 = NZG 2003, 81. 60) Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 35; Nowak, GmbHR 2012, 1294, 1295. 61) Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 47 m. w. N.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten zu lassen.62) 1.3

Unternehmensleitung nach Insolvenzantragstellung

95 Die Pflichten- und Sorgfaltsmaßstab wird im Insolvenzverfahren durch die Zielvorgaben der InsO modifiziert und in erheblichen Teilen abgeändert.63) Die Verpflichtung, den Gläubigern im eröffneten Insolvenzverfahren die Entscheidungsoptionen Insolvenzplan, übertragende Sanierung oder Liquidation offen zu halten, trifft auch das eigenverwaltete Unternehmen. Hierzu gehört auch, im Fall einer gleichfalls möglichen übertragenden Sanierung frühzeitig Investoren zu identifizieren und entsprechende Gespräche mit Investoren und wesentlichen Verfahrensbeteiligten vorzubereiten. Insoweit sei auf die Pflichtenstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters verwiesen, welche in § 22 InsO konkretisiert sind. 96 Die Unternehmensleitung hat daher regelmäßig die Option zur Sanierung des Unternehmensträgers mittels Insolvenzplan einerseits als auch die Sanierung des Unternehmens im Wege einer übertragenden Sanierung andererseits zu verfolgen.64) Denn auch wenn die Geschäftsführungsorgane beabsichtigen, das Unternehmen über einen Insolvenzplan zu sanieren, obliegt die abschließende Entscheidung über den Weg des Erreichens des Verfahrensziels als Mittel zu bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gemäß § 157 InsO gerade nicht dem Initiator eines Insolvenzverfahrens, sondern ausschließlich der Gläubigerversammlung. 97 Zugleich treten die Weisungsbefugnisse der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane in den Hintergrund. Soweit der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, haben gemäß § 276a InsO der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsleitung. Auch diese Vorschrift wurde mit dem ESUG eingeführt. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane in der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben als in einem alternativen Regelinsolvenzverfahren. Die Führung der Geschäfte ist durch die Geschäftsleitung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Sachwalter, Gläubigerausschluss und Gläubigerversammlung überwachen die wirtschaftlichen Entscheidungen.65) Mit dieser Zielrichtung ist die Geschäftsleitung gemäß § 270 InsO befugt, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. 98 Insofern gilt es durch die Unternehmensleitung sicherzustellen, dass sich für die Gläubiger infolge des gewählten Verfahrensweges und Anordnung der Eigenverwaltung keine Nachteile ergeben. Nachteilig wäre ein Verhalten, wenn dies dazu führen würde, dass wirtschaftlich vorteilhaftere Verwertungsmöglichkeiten nicht verfolgt werden. Um den potentiellen Konflikt zwischen Insolvenzplan und übertragender Sanierung nicht entstehen zu lassen, ist es bereits i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung zur Umsetzung eines Insolvenzplans erforderlich, sämtliche mögliche Alternativen der Verfahrenszielerreichung als gleichwertig zu verfolgen und zu fördern.66) ___________ 62) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = NZI 2012, 567. 63) Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 1 weist zu Recht auf das Erfordernis der entsprechenden insolvenzrechtlichen Kenntnisse hin. 64) Vgl. Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 80 betont die Verpflichtung für die am Gläubigerinteresse ausgerichtete bestmögliche Betriebsfortführung. 65) AG Montabaur, Beschl. v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307 = DZWIR 2013, 294; zur Vorschrift des § 276a InsO weiterhin Zipperer, ZIP 2012, 1492. 66) M. Hoffmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 160.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

Somit ist frühzeitig ein ergebnisoffener M&A-Prozess einzuleiten, der sowohl die Mög- 99 lichkeiten einer Beteiligung von Investoren unter der Bedingung der Planannahme vorsieht, als auch Optionen für eine übertragende Sanierung bietet. Nur so kann sichergestellt werden, dass die potentiellen Befriedigungsquoten in Abhängigkeit von der jeweiligen Verwertungsoption für die Gläubiger einschließlich der Teilungsmasse konkret ermittelt werden können. Dies ist entweder der Betrag, der sich auf der Grundlage des Investorenangebotes i. R. einer 100 übertragenden Sanierung nach Abzug der Massekosten und der in Ansatz zu bringenden Masseverbindlichkeiten errechnet,67) oder aber der Geldbetrag, der im Fall des Eintritts eines Investors unter der Bedingung der Planannahme an die Gläubiger gezahlt werden kann. Wirtschaftlich betrachtet werden die Gläubiger bei Planannahme rechnerisch so gestellt, als seien sie im Verhältnis des werthaltigen Teils ihrer Forderungen am Unternehmen beteiligt und erhalten sodann im Gegenzug für eine Beteiligung am Unternehmen einen Kaufpreis, der sich am Ertragswert des Unternehmens orientiert. Im Ergebnis ist der an die Gläubiger zu verteilende Abgeltungsbetrag ein unter Risikogesichtspunkten abgezinster Zukunftswert.68) Alternativ haben die Organe des Unternehmens als Betreiber des Insolvenzverfahrens die 101 Möglichkeit, die Gesellschafter dazu zu bewegen, über Kapitaleinlagen eine für die Gläubiger günstigere Quote darstellen zu können, so dass die Gesellschafter wirtschaftlich betrachtet den Gläubigern das Unternehmen „abkaufen“. Schließlich kommt die Aufnahme eines Investors als weiterem Gesellschafter in Betracht. Im Schutzschirmverfahren kann die Geschäftsleitung die Geschicke des Unternehmens 102 grundsätzlich ohne Kontrollverlust über das operative Geschäft und den weiteren Sanierungsprozess während der vom Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO gesetzten Frist zur Vorlage des Insolvenzplans bestimmen und hat gemäß § 270a Abs. 2 InsO die Möglichkeit einer jederzeitigen Antragsrücknahme, sofern weiterhin die Zahlungsunfähigkeit lediglich droht. Unabhängig davon, dass die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens regelmäßig dazu 103 führt, dass Gläubiger Forderungen fällig stellen werden und zeitnah mit Antragstellung bzw. im weiteren Verfahrensverlauf Zahlungsunfähigkeit eintritt, welche gemäß § 270b Abs. 4 InsO unverzüglich anzuzeigen ist und damit eine Antragsrücknahme ausschließt, ergibt sich aus der beabsichtigten Insolvenzplanvorlage, dass sich auch insoweit für die Gläubiger keine Nachteile ergeben dürfen. Denn Bestandteil des Insolvenzplans ist die Gegenüberstellung sämtlicher Verwertungsoptionen, die nur dann belastbar dargestellt werden können, wenn bereits im Schutzschirmverfahren frühzeitig mögliche Alternativen der Verfahrenszielerreichung als gleichwertig verfolgt und gefördert werden.69) Daher ist auch im Schutzschirmverfahren ein ergebnisoffener M&A-Prozess einzuleiten, der die Möglichkeiten einer Beteiligung von Investoren unter der Bedingung der Planannahme vorsieht, gleichzeitig jedoch eine übertragende Sanierung nicht ausschließt. Nur dieses Vorgehen stellt sicher, dass der mit dem Insolvenzplan verfolgte Sanierungssatz rechtssicher umgesetzt werden kann und mögliche Haftungsrisiken der Unternehmensleitung in Eigenverwaltung vermieden werden.

___________ 67) Vgl. unten Deichmann, § 25. 68) Der Kaufpreisfindung i. R. des Beteiligungserwerbs erfolgt regelmäßig auf der Grundlage üblicher Bewertungsmethoden, siehe Deichmann.(zur Problematik siehe vorherige Fußnote). 69) Hoffmann in: Kübler, HRI, § 6 Rz. 160.

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§ 24 2.

Teil III Einzelfragen Umsetzung der Sanierungsplanung

104 Die operative Geschäftsführung sowie die Umsetzung der geplanten Sanierungsmaßnahmen bestimmen maßgeblich die Tätigkeit der Unternehmensleitung in Eigenverwaltung. 2.1

Nutzung der Vorfinanzierungseffekte

105 Besonders bedeutsam ist in der Insolvenzeröffnungsphase die bewusste Nutzung der aufgrund rechtlicher Besonderheiten bestehenden Liquiditätseffekte. Zu nennen ist vor allem die Möglichkeit einer Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes. Die Arbeitnehmer haben u. a. dann Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben (§ 183 Abs. 1 SBG III).70) 106 Da das Insolvenzgeld erst nach Verfahrenseröffnung ausgezahlt wird, ist es erforderlich, diese Phase zu überbrücken. Diese kann etwa dadurch geschehen, dass ein Kreditinstitut dem Unternehmen ein Massedarlehen zur Bezahlung der Nettovergütungen aller Arbeitnehmer gewährt (kollektive Vorfinanzierung) und die Arbeitnehmer im Gegenzug ihre Insolvenzgeldansprüche an die Bank zur Rückführung des Darlehens abtreten. Ebenso ist es möglich, dass die Arbeitnehmer die Insolvenzgeldforderungen zum Preis ihrer Nettolöhne an eine Bank verkaufen. Der Effekt besteht darin, dass im Eröffnungszeitraum das Unternehmen fortgeführt wird, ohne dass die Liquidität nicht durch Lohn- und Gehaltszahlungen belastet wird. Zugleich ist die Forderung der Arbeitsagentur eine einfache Insolvenzforderung. 107 Vor dem Hintergrund einer möglichen Antragsrücknahme im Schutzschirmverfahren sind die Banken teilweise nicht bereit, den vollen Insolvenzgeldzeitraum vorzufinanzieren. Das Risiko und die daraus für eine Betriebsfortführung resultierenden Probleme sind bereits bei Erstellung der integrierten Sanierungsplanung zu berücksichtigen. Weiterhin werden während der Insolvenzeröffnungsphase nur die Betriebsausgaben gezahlt, die unmittelbar zur Betriebsfortführung erforderlich sind. Dies sind in aller Regel Materialkosten, Versicherungen und Fremdleistungen wie Energie, Telefon etc., da andernfalls ein Liefer- und folge dessen ein Produktionsstopp zu befürchten ist. Hierdurch kommt es zu weiteren Liquiditätsentlastungen des Unternehmens. 108 Ein weiterer liquiditätsmäßiger Vorteil der vorläufigen Eigenverwaltung liegt in der möglichen Nichtzahlung von Umsatzsteuer.71) § 55 Abs. 4 InsO ist ausweislich des Wortlauts nicht auf den eigenverwaltenden Schuldner/vorläufigen Sachwalter anzuwenden. Auch in dem BMF-Schreiben vom 17.1.2012, welches zu Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 InsO Stellung nimmt, werden die §§ 270a, 270b InsO nicht erwähnt.72) Allerdings gibt es zur Nichtanwendung der §§ 69, 34 AO bei unterlassener Zahlung von Steuern noch keine gesicherte Rechtslage. Daher ist zu empfehlen, eine verbindliche Auskunft nach § 89 AO einzuholen. Ggf. ist die fristgerechte Zahlung der Steuern zu erwägen und die Steuerzahlung anfechtbar zu gestalten, indem die Finanzverwaltung vor Zahlung vom Eröffnungsantrag in Kenntnis gesetzt wird. Dieses Vorgehen kann jedoch dazu führen, dass eine angeordnete vorläufige Eigenverwaltung aufgehoben wird, weil Zahlungen bewusst in anfechtbarer Weise geleistet werden.

___________ 70) Geiwwitz/Käfferlein in: Kübler, HRI, § 25 Rz. 69 f. 71) Kahlert, ZIP 2012, 2089, 2090 f.; Kahlert in Kübler, HRI, § 57 Rz. 22. 72) Abgedr. in: ZIP 2012, 245 = ZInsO 2012, 213.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren 2.2

§ 24

Eingehung von Masseverbindlichkeiten

Ein weiterer Schwerpunkt in der Insolvenzeröffnungsphase liegt in der Sicherung des 109 Weiterbezuges von Lieferungen und Leistungen bzw. der Vermeidung von Kündigungen. Regelmäßig verlangen die Vertragspartner Vorkassen, was zu einer erheblichen Liquiditätsbelastung im Unternehmen führt.73) Dieses Verhalten ist bereits in der integrierten Sanierungsplanung zu berücksichtigen und entsprechende Gegenmaßnahmen vorzusehen.74) Diese können die Aufnahme von Massekrediten bei Kreditinstituten oder sonstigen Finanzieren sowie entsprechende Vereinbarungen mit den Lieferanten sein. Soweit ein „starker“ vorläufiger Verwalter bestellt ist, wird der Schutz der Vertragspartner 110 über § 55 Abs. 2 InsO gewährleistet und so die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren überhaupt erst ermöglicht. Im Fall der Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters ist nach der Rechtsprechung des BGH75) der Schutz der Vertragspartner dadurch möglich, dass dieser auch ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot ermächtigt wird, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen. Im Schutzschirmverfahren hat das Gericht auf Antrag des Unternehmens anzuordnen, dass 111 dieses Masseverbindlichkeiten begründen kann (§ 270b Abs. 3 InsO). Es erhält hierdurch eine dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter entsprechende Rechtsstellung. Auch Einzelermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sind möglich.76) Problematischer ist die Rechtslage im § 270a InsO-Verfahren. Teilweise wird die Auffas- 112 sung vertreten, dass es keine Rechtsgrundlage gibt, den Schuldner oder den Sachwalter mit der Rechtsmacht auszustatten, Masseverbindlichkeiten zu begründen.77) Zur Begründung wird auf § 270b Abs. 3 InsO verwiesen, welcher die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren ermöglicht. Im Umkehrschluss soll dies mangels gleichlautender Regelung bedeuten, dass eine derartige Ermächtigung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nicht erteilt werden darf. Demgegenüber bejahen das AG Köln78) und das AG Hamburg79) die gerichtliche Befugnis, 113 eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 2 InsO zu erteilen. Allein bezüglich des Adressaten der Ermächtigung divergieren die Entscheidungen. Während das AG Köln die Auffassung vertritt, der sich das AG München80) angeschlossen hat, dass die Ermächtigung gegenüber dem Schuldner zu erteilen ist, sieht das AG Hamburg den vorläufigen Sachwalter als Adressaten an. Letzterer Rechtsauffassung ist das LG Duisburg entgegengetreten. Zur Begründung ver- 114 weist das LG Duisburg81) auf das Ziel des ESUG, die Sanierung insolventer Unternehmen zu erleichtern, indem dem Schuldner die Kontrolle über sein Unternehmen weitestgehend belassen wird. Wird hingegen die Begründung von Masseverbindlichkeiten für die Dauer des Eröffnungsverfahrens in die Hände des vorläufigen Sachwalters gelegt, so besteht zum einen die Gefahr, dass der Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung durch den befürchteten Kon___________ 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79) 80) 81)

Hierzu auch Undritz in: Kübler, HRI, § 25 Rz. 28. So auch Berner in: Kübler, HRI, § 23 Rz. 36. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. Braun-Riggert, InsO, § 270b Rz. 13. AG Fulda, Beschl. v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471. AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788. AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 = NZI 2012, 566. AG München, Beschl. v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470. LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = ZInsO 2012, 2346 = NZI 2013, 91 m. Anm. Andres; vgl. weiterhin Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

trollverlust der Geschäftsleitung des Schuldners negativ beeinflusst wird und das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsleitung des Schuldners und deren Sanierungskonzept beeinträchtigt und damit faktisch eine Vorentscheidung gegen die Anordnung der Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren getroffen wird. Entsprechend ist eine Ermächtigung des Schuldners durch das Insolvenzgericht zur Begründung bestimmter Masseverbindlichkeiten möglich. Dabei muss konkret festgelegt werden, welche Zahlungsverpflichtungen (etwa aus Lieferverträgen) eingegangen werden dürfen. 115 Vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des BGH,82) ein Antrag auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sei in § 270a InsO nicht vorgesehen, wird diskutiert ob dies Rückschlüsse darauf zulässt, ob der Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO überhaupt zur Aufnahme von Masseverbindlichkeiten ermächtigt werden kann. Träfe diese Rechtsauffassung zu, würde die Geschäftsleitung in Erfüllung ihrer Pflicht zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs vor massive Probleme gestellt. Es ist zu erwägen, mit Antragstellung anzuregen, dass der Schuldner nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters ermächtigt ist, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen. Letztlich führt dieser Weg im Ergebnis dazu, dass man sich wieder der Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG annähert. 116 In der Praxis hat sich zudem gezeigt, dass die Lieferanten unabhängig von einer Einzelermächtigung die Weiterbelieferung davon abhängig machen, dass auch der vorläufige Sachwalter entsprechende Verpflichtungserklärungen des Unternehmens gegenzeichnet. 2.3

Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen nach Verfahrenseröffnung

117 Um das Unternehmen zu sanieren, sind die Sonderrechte der §§ 103 ff. InsO auszuüben.83) Entscheidungsgrundlage sind die i. R. der Krisenanalyse festgelegten Sanierungsmaßnahmen. 2.3.1 Ausübung der Sonderrechte bei der Abwicklung gegenseitiger Verträge 118 § 103 Abs. 1 InsO bestimmt, dass ein gegenseitiger Vertrag (z. B. Kauf-, Werk- oder Werkliefervertrag), der zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom andern Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, erfüllt werden kann oder nicht. Dadurch können Verträge mit nicht ausreichenden Deckungsbeiträgen beendet werden. Entscheidet sich das Unternehmen für die Vertragserfüllung, so müssen beide Seiten die einander geschuldeten Leistungen erbringen, die Ansprüche des Vertragspartners sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Wird die Erfüllung abgelehnt, so ist der Vertragspartner gehalten, seinen Schadensersatzanspruch statt der Leistung geltend zu machen, wobei er diesen nur als einfacher Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden kann (§ 103 Abs. 2 InsO). Um ein Wiederaufleben der Leistungsbeziehungen mit Planbestätigung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu vermeiden, ist das Vertragsverhältnis in diesem Fall zugleich zu kündigen.84) 119 § 103 InsO wird bei Vorliegen von teilbaren Leistungen durch § 105 InsO als Spezialvorschrift ergänzt. Die Vorschrift flexibilisiert das Wahlrecht nach § 103 InsO und ermöglicht die Erfüllung von Verträgen über teilbare Leistungen zu verlangen, ohne dass die Gegenleistung für bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachte Teilleistungen zu erbringen ist. Da___________ 82) BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525 = ZInsO 2013, 460; hierzu Römermann/Prass, ZInsO 2013, 482. 83) Ausführlich zu den Gestaltungsrechten der §§ 103 ff. InsO Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 123 f. m. w. N. 84) Kreft in: MünchKomm-InsO, § 103 Rz. 43.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

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mit ist gewährleistet, dass für die Masse günstige Verträge zu gleichen Bedingungen, z. B. Energielieferungsverträge zu günstigen Konditionen, fortgesetzt werden können.85) Während der Gesetzgeber vornehmlich Sukzessivlieferungsverträge, wie Baustoff- und Versorgungsverträge für Strom, Wasser und Gas bei Schaffung des § 105 InsO im Blick hatte, fallen in den Anwendungsbereich der Vorschrift auch Miet- und Pachtverträge über bewegliche Sachen.86) 2.3.2 Sonderkündigungsrecht nach § 109 InsO § 109 Abs. Satz 1 InsO gibt das Recht, ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbe- 120 weglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer zu kündigen. Wie § 103 InsO so bezweckt auch § 109 InsO die Beendigung für die Masse unwirtschaftlicher Vertragsverhältnisse, trägt jedoch der erhöhten Schutzwürdigkeit eines in Vollzug gesetzten Schuldverhältnisses dadurch Rechnung, dass der Vertrag nur mit Wirkung für die Zukunft beendet werden kann. Die Kündigungsfrist beträgt längstens drei Monate. Kündigt das Unternehmen nach § 109 Abs. 1 InsO, kann der Vertragspartner seinen 121 Schadensersatzanspruch als einfache Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden. Der Schaden besteht in der Höhe des Mietzinses den er unter Berücksichtigung der erstmöglichen Kündigungsfrist außerhalb der Insolvenz erlangt hätte. Aufgelaufene Mietrückstände aus der Zeit bis zur Eröffnung sind ebenso einfache Insolvenzforderungen 2.3.3 Maßnahmen zur Anpassung der Personalkostenstruktur Die Anpassung des Kostenstruktur des Unternehmens geht regelmäßig mit personalwirt- 122 schaftlichen Maßnahmen einher. 2.3.3.1

Personalabbau in der Insolvenz

Die Insolvenzeröffnung hat auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss. Im 123 Falle der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO behält der Schuldner die Stellung als Arbeitgeber. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens greifen Erleichterungen sowohl im Hinblick auf die Abkürzung von Kündigungsfristen (§ 113 InsO) als auch hinsichtlich des Personalabbaus i. R. eines Interessenausgleiches mit Namensliste (§ 125 InsO). § 113 InsO selbst gewährt zwar kein Sonderkündigungsrecht durchbricht jedoch beste- 124 hende individual- oder kollektivrechtliche Kündigungsbeschränkungen. Sowohl eine vereinbarte Unkündbarkeit als auch eine bestimmte Vertragsdauer wird auf eine maximale Kündigungsfrist von drei Monaten fixiert. Unberührt bleiben der gesetzliche Sonderkündigungsschutz87) bzw. gesetzliche Kündigungsbeschränkungen.88) Das KSchG ist auch bei einer nach § 113 InsO ausgesprochenen Kündigung zu beachten.89) Tariflich geregelte Zustimmungserfordernisse des Betriebsrats zur betriebsbedingten Kündigung werden nach Ansicht des BAG nicht verdrängt, da die Tarifgebundenheit des schuldnerischen Unternehmens unverändert bleibt.90) ___________ 85) Braun-Riggert, InsO, § 270b Rz. 13; Meyer, NZI 2001, 294, 297. 86) Marotzke in: HK-InsO, 5. Aufl., § 105 Rz. 12; Braun-Kroth, InsO, § 105 Rz. 10. 87) Z. B. § 9 MuSchG, § 18 BErzG, § 15 KSchG, § 15 BBiG, § 2 ArbPlSchG, § 613a Abs. 4 BGB, § 78 ZDG und § 2 EignungsübungsG. 88) Z. B. § 85 SGB IX, § 103 BetrVG, § 47 i. V. m. § 108 BPersVG. 89) BAG, Urt. v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, ZIP 2008, 428 = NZA 2008, 112. 90) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98, BeckRS 2009, 68954; a. A. Gottwald-Heinze/Bertram, Hdb. InsR, § 105 Rz. 66; Lindemann, ZInsO 2006, 697.

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Teil III Einzelfragen

125 Für Personalabbaumaßnahmen, die nach den Grenzen des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG eine Betriebsänderung i. S. der §§ 111, 112 BetrVG darstellen und somit die Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleiches begründen, normiert § 125 InsO eine Sonderregelung zu dem außerhalb der Insolvenz geltenden § 1 KSchG. Der nach Insolvenzeröffnung geschlossene Interessenausgleich mit Namensliste erfährt eine erweiterte Richtigkeitsvermutung. Die gesetzlich angeordnete Beschränkung der Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO zu Gunsten des eigenverwalteten Unternehmens mit der Folge einer Beweislastumkehr lässt die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur zu.91) 2.3.3.2

Besonderheiten bei Sozialplänen

126 In der Regel geht mit der Betriebsänderung auch die Pflicht zum Abschluss eines Sozialplans einher. Besteht die Betriebsänderung allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, so sind die modifizierten Grenzen für den erzwingbaren Sozialplan nach § 112a Abs. 1 BetrVG zu beachten. § 123 InsO sieht Obergrenzen für die Sozialplandotierung vor. Danach darf ein Gesamtbetrag von zweieinhalb Monatsverdiensten der von Entlassung betroffenen Arbeitnehmer nicht überschritten werden (§ 123 Abs. 1 InsO). Diese absolute Höchstgrenze wird von einer relativen Höchstgrenze nach § 123 Abs. 2 InsO flankiert, wobei von der Beschränkung auf ein Drittel der zu verteilenden Insolvenzmasse durch einen Insolvenzplans abgewichen werden kann (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO). 127 Damit ist § 123 InsO eines der wichtigsten Vorschriften i. R. einer Sanierung. 2.3.3.3

Einbindung von Transfergesellschaften (BQG)

128 Der Personalabbau kann durch die Einbindung einer Transfergesellschaft (Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaft) weitestgehend rechtssicher gestaltet werden, weil der Abschluss von dreiseitigen Verträgen zwischen Arbeitnehmer, Unternehmen und Transfergesellschaft das Risiko von Kündigungsschutzklagen durch die einvernehmliche Überleitung des Arbeitsverhältnisses erheblich mindert. Diese Option ist mit, aber auch ohne einen Sozialplan möglich. Zudem erfolgt eine Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit (Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III). 129 Die Kosten der Transfergesellschaft (z. B. Remanenzkosten, wie Sozialversicherungsbeiträge, Urlaubs- und Wochenfeiertage, Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung und Berufsgenossenschaft, Beratungs- und Verwaltungskostenpauschale für die Finanzierung der Transfermaßnahmen) liegen hierbei in der Regel deutlich unter den Kosten, die für die weiteren Arbeitsentgelte in der Kündigungsfrist (maximal 3 Monate gemäß § 113 InsO) einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu tragen sind. 2.3.3.4

Beendigung von Betriebsvereinbarungen

130 Betriebsvereinbarungen, die den Arbeitgeber zu Sonderleistungen verpflichten und somit die Insolvenzmasse wie auch die künftige Kostenstruktur beeinflussen, sollen gemäß § 120 InsO mit dem Ziel einer einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen oder Aufhebung nachverhandelt werden.92) 131 Bei einem Scheitern der Verhandlungen ist eine Kündigung der Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten möglich, auch wenn eine längere Kündigungsfrist ver___________ 91) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797. 92) Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 51 weist darauf hin, dass die Arbeitgeberrechte mit den Zielen der InsO in Einklang zu bringen sind.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

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einbart ist. Von der Vorschrift sind auch befristete Betriebsvereinbarungen ohne Kündigungsmöglichkeit oder unkündbare Betriebsvereinbarungen erfasst, da das Bedürfnis, die Personalkosten zu senken, in gleicher Weise wie bei kündbaren Betriebsvereinbarungen besteht. Bei den Rechtsfolgen einer erfolgten Kündigung ist danach zu differenzieren, ob es sich 132 um einen Fall zwingender oder freiwilliger Mitbestimmung handelt. Erzwingbare Betriebsvereinbarungen sind solche, die eine Angelegenheit regeln, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann. Bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen besteht diese Möglichkeit nicht. Letztere enden sofort mit Ablauf der Kündigungsfrist. Die erzwingbaren Betriebsvereinbarungen unterliegen dagegen der Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG, so dass sie weitergelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die Kündigung allein beseitigt in diesen Fällen also nicht die Betriebsvereinbarung, es bedarf vielmehr einer neuen Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung in Eigenverwaltung und dem Betriebsrat, die an die Stelle der gekündigten tritt.93) 3.

Insolvenzverfahrensspezifische Pflichten

3.1

Pflicht zur insolvenzrechtlichen Rechnungslegung

Dem Schuldner ist durch § 281 InsO zur insolvenzrechtlichen Rechnungslegung ver- 133 pflichtet. Damit sind durch die Unternehmensleitung in Eigenverwaltung nach Eröffnung des Verfahrens u. a. das Masseverzeichnis (§ 151 InsO), das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) aufzustellen. Die interne Rechnungslegung dient der Information der Gläubiger. Insbesondere die 134 Vermögensübersicht stellt die wesentliche Entscheidungsgrundlage der Gläubigerversammlung über den weiteren Fortgang des Insolvenzverfahrens im Berichtstermin dar.94) Aus diesem Grund verlangt § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO die Angabe von Fortführungs- und Liquidationswerten und sieht § 154 InsO vor, dass spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin die Rechenwerke beim Insolvenzgericht niederzulegen sind. Dem zur Abstimmung zu stellenden Insolvenzplan ist eine Vermögensübersicht sowie ei- 135 ne Ergebnis- und Finanzplanung beizufügen (§ 229 InsO).95) Ergänzend gilt es, durch die Geschäftsleitung in Eigenverwaltung die Verwertungsalternativen Liquidation und übertragende Sanierung darzustellen und das Rechenwerk in Bezug auf die in Ansatz gebrachten Positionen und deren Wertansatz zu erläutern.96) Weiterhin hat das Unternehmen die Pflicht zur Zwischenrechnungslegung (§ 66 Abs. 3 InsO) sowie zur Erstellung der Schlussrechnung (§ 66 Abs. 1 InsO). 3.1.1 Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO Grundlage der Vermögensübersicht ist das Verzeichnis der Massegegenstände gemäß 136 § 151 InsO. Dieses weist die Aktivposten aus, erfasst nach Art und Menge in tabellarischer Form. Im Rahmen des Masseverzeichnisses sind alle Gegenstände aufzunehmen, denen im Laufe des Insolvenzverfahrens ein realisierbarer Wert zukommt. ___________ 93) Braun-Wolf, InsO, § 120 Rz. 11. 94) Irschlinger in: HK-InsO, 5. Aufl., § 153 Rz. 8; Buth/Hermanns-König, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 32 Rz. 12; ausführlich zu den Aufgaben des Schuldners auch Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 110 f. m. w. N. 95) Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, vor §§ 151 bis 155 Rz. 5. 96) Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung, Rz. 1739.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

137 Dementsprechend sind auch Anfechtungsansprüche gemäß §§ 129 ff. InsO in das Verzeichnis aufzunehmen.97) Entsprechendes gilt etwa für Ansprüche auf Erstattung verbotener Rückzahlungen (§§ 30, 31 GmbHG) oder Haftungsansprüche nach §§ 43, 64 GmbHG, § 92 AktG etc. Soweit die Forderungen zweifelhaft, uneinbringlich, bedingt oder betagt sind, ist dies entsprechend zu vermerken. Im Verzeichnis der Massegegenstände sind zudem die Aus- und Absonderungsrechte aufzunehmen. Ebenfalls zu berücksichtigen sind nichtbilanzierungsfähige Vermögensgegenstände unter Angabe der Drittrechte. 3.1.2 Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO 138 Das Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO weist alle bekannten Gläubiger des Schuldners aus. Gemäß § 152 Abs. 2 InsO ist entsprechend diesen Vorgaben zwingend zu differenzieren zwischen x

Insolvenzgläubigern gemäß § 38 InsO,

x

absonderungsberechtigten Gläubigern gemäß §§ 49 ff. InsO, unabhängig davon, ob ihnen eine persönliche Forderung gegen den Schuldner zusteht oder nicht,

x

nachrangigen Insolvenzgläubigern gemäß § 39 InsO, geordnet nach ihren jeweiligen Rangklassen.

x

Als weitere Gruppe sind die Massegläubiger gemäß §§ 53 ff. InsO aufzuführen, wobei die Höhe der Masseverbindlichkeiten zu schätzen ist (§ 152 Abs. 3 Satz 2 InsO).

3.1.3 Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO 139 Auf Grundlage des Verzeichnisses der Massegegenstände und des Gläubigerverzeichnisses ist die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO aufzustellen. Die Aktiva werden unter Liquidations- wie auch Fortführungswerten dargestellt, d. h. in Abhängigkeit der potentiellen Verwertungsmöglichkeiten. 140 Die Vermögensübersicht dient als Prognose und Kontrollinstrument und lässt möglichst konkrete Rückschlüsse auf die vorläufig zu erwartende Gläubigerbefriedigungsquote bei Stilllegung und Fortführung zu. Die Vermögensübersicht ist laufend fortzuschreiben, sofern sich wertaufhellende oder wertbegründende Tatsachen ergeben. x

Die Aktivseite kann handelsbilanzähnlich gestaltet werden. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung, also Richtigkeit, Vollständigkeit, Klarheit und Wahrheit sind zu beachten.

x

Soweit Liquidationswerte angesetzt werden, ermitteln sich diese aus dem Veräußerungswert am Absatzmarkt unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Dauer der Liquidation sowie unter Berücksichtigung der mit einer Veräußerung entstehenden Kosten (z. B. Demontagekosten, Transaktionskosten).

x

Schwierigkeiten bereiten die Definition und der Ansatz von Fortführungswerten. Grundsätzlich sind diese mit dem Wert anzusetzen, der bei konzeptgemäßer Fortführung des Unternehmens anzusetzen ist, mithin spielen Ertragswertgesichtspunkte eine wesentliche Rolle. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das Unternehmen als Ganzes fortgeführt werden kann oder ob eine Teilbetriebsfortführung möglich ist.

x

Grundsätzlich gilt, dass Vermögensgegenstände mit dem Wiederbeschaffungswert anzusetzen sind, insofern sind stille Reserven und Lasten aufzulösen.

Forderungen sind zum Nennwert, d. h. zum voraussichtlichen Einziehungsbetrag anzusetzen. ___________ x

97) Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 29.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren 3.2

§ 24

Erstattung des Berichts über die Insolvenzursachen und der Maßnahmen zur Insolvenzabwicklung (§ 281 Abs. 2 InsO)

Die Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens treffen die Gläubiger. Diese haben 141 über die Stilllegung, vorläufige Fortführung und einen Insolvenzplan zu befinden. Grundlage für die Entscheidungsfindung ist der Bericht der Geschäftsleitung über die Insolvenzursachen, die Situation des Unternehmens, die Sanierungsmöglichkeiten und die Befriedigungsaussichten.98) 4.

Handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung

Gemäß § 281 Abs. 3 InsO treffen den Schuldner schließlich die handels- und steuerrecht- 142 lichen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten. Diese ergeben sich aus den §§ 238 ff. HGB. Nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt mit der Verfahrenseröffnung ein neues Geschäftsjahr. Für die Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht ein sog. Rumpfgeschäftsjahr. 5.

Aufgabenteilung mit dem Sachwalter

Die InsO weist dem Sachwalter zunächst diejenigen Aufgaben zu, die auch ein Insolvenz- 143 verwalter typischerweise im Gläubigerinteresse wahrzunehmen hat, nämlich die Entgegennahme von Forderungsanmeldungen (§ 270 Abs. 3 Satz 2 InsO), die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des Gesamtschadens bzw. die Ansprüche wegen Insolvenzanfechtung (§ 280 InsO) sowie die Anzeige der Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht (§ 285 InsO). Die weitreichenden Schuldnerrechte werden durch ein abgestuftes Überwachungssystem 144 ergänzt, so dass der Unternehmensleitung eine „kontrollierte Handlungsfreiheit“ zusteht.99) So gibt es bestimmte Handlungen denen der Sachwalter zustimmen muss, zustimmen soll oder aber bei denen er lediglich ein Handeln oder Unterlassen verlangen kann. Der Sachwalter muss zustimmen, wenn das Insolvenzgericht dies für bestimmte Rechtsge- 145 schäfte angeordnet hat (§ 277 Abs. 1, 2 InsO). Grenzen der Rechtsausübungsmacht werden dem Schuldner weiterhin durch § 279 Satz 3 InsO gesetzt. Danach bedarf die Kündigung von Betriebsvereinbarungen (§ 120 InsO), die Einholung der gerichtlichen Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) und die Einleitung des Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) einer Zustimmung des Sachwalters. Der Sachwalter soll zustimmen, wenn die beabsichtigte Eingehung der Verbindlichkeit nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört (§ 275 Abs. 1 InsO), bei der Erfüllung der Rechtsgeschäfte nach den §§ 103 bis 128 InsO und der Mitwirkung des Betriebsrates (§ 279 Satz 2 InsO) und schließlich bei der Verwertung von mit Absonderungsrechten behafteten Sicherungsgut (§ 282 Abs. 2 InsO). Weiterhin kann der Sachwalter einer Eingehung von Verbindlichkeiten widersprechen, 146 auch wenn sie zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) und die Kassenführung verlangen (§ 275 Abs. 2 InsO). Das Recht auf Kassenführung mag zwar bei kleinen Insolvenzverfahren praktikabel sein, jedoch bereits bei mittleren und großen Insolvenzverfahren ist die Übernahme der Kassenführung kaum praktikabel, da der Zahlungsverkehr regelmäßig Bestandteil eine EDV-gestützten Unternehmensorganisation ist und zudem in die Unternehmensplanung einfließt (z. B. SAP-Programme). Hier gilt es ___________ 98) Ausführlich zum Inhalt des Berichts Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 4 ff. sowie § 156 Rz. 5 ff.; Bierbach in: Kübler, HRI, § 10 Rz. 82 ff. 99) Ausführlich zu den Kontrollrechten des Sachwalters Piepenburg/Minuth in: Kübler, HRI, § 11 Rz. 36 ff.

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§ 24

Teil III Einzelfragen

in Abstimmung mit dem Sachwalter praktikable Regelungen zu treffen, wie z. B. die Einräumung von Kontrollrechten über die Geschäftskonten. 147 Auf den vorläufigen Sachwalter finden die §§ 274 und 275 InsO entsprechende Anwendung (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO). 6.

Abstimmungen mit dem Gläubigerausschuss

148 Neben der Abstimmung mit dem (vorläufigen) Sachwalter gehört zu den weiteren Aufgaben der Unternehmensleitung in Eigenverwaltung die Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss und dessen Unterrichtung.100) VI.

Umsetzung der beabsichtigten Sanierung durch einen Insolvenzplan

149 § 1 InsO bestimmt, dass die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger unter Erhalt des Unternehmens als gleichwertige Alternative zur Vermögensverwertung realisiert werden kann, indem durch einen Insolvenzplan abweichende Regelungen zur Regelabwicklung getroffen werden.101) Zur Disposition stehen gemäß § 217 InsO insbesondere die Vorschriften über die Insolvenzmasse, die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger sowie die Beteiligung der Gesellschafter, welche in einem Insolvenzplan abweichend geregelt werden können. Daneben kann die Haftung des Schuldners abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Bei Bestätigung des Insolvenzplanes sind dessen Regelungen für alle Gläubiger des Unternehmens bindend. 150 Ob das i. R. der Krisenursachenanalyse entwickelte Sanierungskonzept über einen Insolvenzplan – ggf. mittels Mehrheitsentscheidung – umgesetzt werden kann, hängt davon ab, welches wirtschaftliche Ergebnis sich für die Beteiligten ohne das vorgeschlagene Sanierungskonzept, also im Fall der Regelabwicklung ergeben würde, da die Gläubiger durch den Insolvenzplan vorbehaltlich freiwilliger Vereinbarungen wirtschaftlich nicht schlechter gestellt werden dürfen. 1.

Planinitiativrecht

151 Das Planinitiativrecht liegt entweder beim Unternehmen oder beim Insolvenzverwalter, respektive Sachwalter, sofern die Gläubigerversammlung einen entsprechenden Auftrag zur Erstellung eines Plans erteilt.102) 2.

Aufbau und Inhalt des Insolvenzplans

152 Der Insolvenzplan ist gegliedert in einen Darstellenden Teil und einen Gestaltenden Teil (§ 219 InsO). 2.1

Darstellender Teil

153 Der Darstellende Teil bildet die Grundlage für die Entscheidung der Gläubiger, ihre Zustimmung zum Plan zu erteilen oder diese zu verweigern. Somit muss der Darstellende Teil sämtliche Angaben enthalten, die erforderlich sind, damit die Gläubiger einen vollständigen und umfassenden Überblick über das Unternehmen und die Auswirkungen

___________ 100) Zur besonderen Rolle des Gläubigerausschusses Specovius in Kübler, HRI, § 12 Rz. 67 f. und Bierbach in Kübler, HRI, § 10 Rz. 26 f. 101) So der Wortlaut der Zielvorgaben in § 1 InsO: Erhalt des Unternehmens. 102) Zur Problematik im Schutzschirmverfahren ausführlich Hölzle, ZIP 2012, 855.

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

des Insolvenzplans bekommen.103) Insoweit decken sich die Ausführungen in weiten Teilen mit denen im Bericht zur Gläubigerversammlung. Im Darstellenden Teil ist ein Überblick über die historische Unternehmensentwicklung 154 und die aktuelle Unternehmenslage zu geben. Dies beinhaltet, eine umfassende Beschreibung der Schwachstellen des Unternehmens (Analyse der Insolvenzursachen). Ausführlich ist zu beschreiben, mit welchen Sanierungsmaßnahmen, die Insolvenzursachen beseitigt werden sollen, weiterhin die in Aussicht genommene Vermögensverteilung und Verwertung. Dabei sind die Auswirkungen auf Ertrag, Liquidität und Vermögen darzulegen.104) Die Ausführungen werden durch die integrierte Sanierungsplanung, die den zahlenmäßigen Sanierungsablauf und die Sanierungsfähigkeit nach Umsetzung der Maßnahmen plausibilisiert.105) Zugleich sind die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten mit ihren Auswirkungen 155 auf Aus- und Absonderungsrechte sowie auf einfache Insolvenzforderungen im Zuge der geplanten Sanierungsmaßnahmen darzustellen. Auszuführen ist, um welchen Bruchteil die Rechte gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet oder welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Weitere Regelungsmöglichkeiten sehen u. a. die §§ 259 Abs. 3, 263 und 264 Abs. 1 InsO vor. Im Ergebnis hängt das Schicksal der Insolvenzforderungen im Wesentlichen davon ab, in 156 welchem Umfang diesen Vermögenswerte gegenüberstehen, wobei danach zu differenzieren ist, inwieweit es sich um gesicherte und ungesicherte Verbindlichkeiten handelt, und in welcher Höhe Verfahrenskosten sowie sonstige Masseverbindlichkeiten anfallen. Die nachfolgende Darstellung verdeutlicht dieses. Abb. 4: Grobdarstellung Vermögensübersicht Aktivvermögen Mit Drittrechten belastetes Vermögen

Kostenbeiträge

Freies Vermögen

157

Passivvermögen

Verbindlichkeiten

Verfahrenskosten

Sonstige Masseverbindlichkeiten

Teilungsmasse

Insolvenzforderungen Negatives Kapital

Grobdarstellung Vermögensübersicht

Auszuführen ist ferner, wie die Befriedigung der Massekosten erfolgt und wie die Masse- 158 verbindlichkeiten behandelt werden. Soweit erforderlich, erfolgt der Bezug auf die integrierte Sanierungsplanung als Plananlage. ___________ 103) Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 2 f. 104) Geiwwitz/Käfferlein in: Kübler, HRI, § 25, Rz. 6 ff. 105) Zabel in: Kübler, HRI, § 3 Rz. 42; Geiwitz/Käfferlein in: Kübler, HRI, § 25 Rz. 80 f.

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773

§ 24

Teil III Einzelfragen

159 Im Wege einer Vergleichsrechnung ist darzulegen, welche Befriedigungsquote die Gläubiger zu erwarten hätten, wenn das Unternehmen durch Liquidation, übertragende Sanierung, Sanierungsinsolvenzplan oder anderweitig, wie z. B. Unternehmenspacht, verwertet würde. 2.2

Gestaltender Teil

160 Im Gestaltenden Teil des Insolvenzplans (§ 221 InsO) ist zu regeln, inwiefern die Rechtsstellung der einzelnen Beteiligten durch den Insolvenzplan geändert wird. 161 Die Regelungen im Gestaltenden Teil umfassen insbesondere die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen. Für absonderungsberechtigte Gläubiger sind dies vielfach Regelungen, welche das Verwertungsrecht gegen Zahlung eines Abgeltungsbetrages – unter Umständen ratierlich – ausschließen.106) Betreffend die ungesicherten Insolvenzforderungen sind dies überwiegend Teilforderungsverzichte. 162 Aufgrund des mit dem ESUG neu eingeführten § 225a InsO besteht die Möglichkeit, die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen neu zu regeln.107) Zudem kann vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldnerunternehmen umgewandelt werden. Zu berücksichtigen ist, dass dies gegen den Willen der betroffenen Gläubiger nicht geschehen kann. 2.3

Plananlagen

163 Dem Insolvenzplan sind Plananlagen beizufügen, wenn die Gläubiger aus den Erträgen des fortgeführten Unternehmens befriedigt werden sollen, und zwar: x

eine Planbilanz (§ 229 InsO),

x

eine Plan-Gewinn- und Plan-Verlustrechnung,

x

eine zustimmende Erklärung des Schuldners, wenn das Unternehmen fortgeführt werden soll (§ 230 Abs. 1 InsO).

3.

Annahme des Insolvenzplans

164 Die Annahme des Insolvenzplans erfolgt im Erörterungs- und Abstimmungstermin durch die anwesenden oder vertretenen Gläubiger, die hierzu nach sachlichen Kriterien mit ihren Forderungen in Gruppen einzuteilen sind. Ziel ist, dass die erforderliche Mehrheit der Gruppen für die Annahme des Insolvenzplans erreicht wird. 3.1

Gruppenbildung

165 Bei der Gruppenbildung ist gemäß § 222 InsO zu unterscheiden zwischen x

absonderungsberechtigten Gläubigern, sofern in ihre Rechte eingegriffen werden soll,

x

nicht nachrangige Insolvenzgläubigern,

x

einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO), soweit ihre Forderungen nach der Regelung des § 227 InsO nicht als erlassen gelten,

x

den am Schuldner beteiligten Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden.

166 Für Arbeitnehmer soll eine eigene Gruppe gebildet werden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. ___________ 106) Balthasar in: Kübler, HRI, § 26 Rz. 4 f. und 25. 107) Vgl. hierzu Spliedt, GmbHR 2012, 462; Rattunde, GmbHR 2012, 455; Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557; Günther, ZInsO 2012, 2037; Madaus, ZIP 2012, 2133.

774

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

Innerhalb der Gläubigergruppen können nochmals Untergruppen mit gleichartigen wirt- 167 schaftlichen Interessen gebildet werden (§ 222 Abs. 2 InsO). Notwendig ist, die Gruppen sachgerecht voneinander abzugrenzen. Die Kriterien für die 168 Abgrenzung sind im Plan anzugeben (§ 222 Abs. 2 InsO). Innerhalb jeder Gläubigergruppe sind die beteiligten Gläubiger ihrer Rechte gleich zu behandeln (§ 226 Abs. 1 InsO). Abweichungen davon sind nur mit Zustimmung der Betroffenen zulässig. Sonderabkommen mit einzelnen Beteiligten über Sonderrechte, um ihre Zustimmung zum Insolvenzplan zu erreichen, sind nichtig (§ 226 Abs. 3 InsO). Der Verfasser des Insolvenzplanes hat bei der Bildung der Gläubigergruppen im Wesentlichen freie Hand. Die von ihm anzustellenden taktischen Erwägungen108) dürfen lediglich nicht grob rechtsmissbräuchlich sein. 3.2

Mehrheitsentscheidung und Ersetzungskompetenz des Gerichts

Innerhalb jeder Gläubigergruppe muss die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger dem 169 Insolvenzplan zustimmen und die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubigerschaft mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger betragen (Kopf- und Summenmehrheit). Stimmt die Mehrzahl der Gläubigergruppen für die Annahme des Insolvenzplans, so kann die Zustimmung derjenigen Gläubigergruppen, die den Plan ablehnen, durch das Gericht entsprechend den inhaltlichen Vorgaben in § 245 InsO ersetzt werden, sofern die Gläubiger bei Annahme des Insolvenzplanes nicht wirtschaftlich schlechter gestellt werden, als im Fall der Regelabwicklung, d. h. der Zerschlagung, und diese angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden. Grundlage hierfür ist die wirtschaftliche Vergleichsrechnung im Darstellenden Teil, in 170 der das fiktive Ergebnis für die Gläubiger im Fall der Zerschlagung (Regelabwicklung) dem Ergebnis bei Annahme des Insolvenzplanes gegenübergestellt wird. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung durch das Insolvenzgericht 171 gemäß § 245 InsO empfiehlt es sich, eine ungerade Anzahl von Gläubigergruppen zu bilden, um eine mögliche Pattsituation auszuschließen. Zudem ist die Gruppenbildung mit Blick auf die Ersetzungsbefugnis von strategischer Bedeutung.109) Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO hat in der Sanierungspraxis eine herausragende 172 Bedeutung, um wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen gegen Akkordstörer oder gegen Gläubiger, die sich aus nicht wirtschaftlichen Erwägungen einer Sanierung widersetzen, durchzusetzen.110) 4.

Zeitlicher Rahmen des Insolvenzplanverfahrens

Im Erörterungs- und Abstimmungstermin, der sich an den Berichts- und Prüfungstermin 173 unmittelbar anschließen kann, üblicherweise jedoch gesondert terminiert wird, wird über die Annahme des Insolvenzplans abgestimmt. In der Regel kann damit in drei bis vier Wochen nach Einreichung des Insolvenzplanes gerechnet werden. Sobald die Bestätigung des Insolvenzplanes rechtskräftig ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens.

___________ 108) Balthasar in: Kübler, HRI, § 26; Rz. 55 f. verweist auf die Möglichkeit, die Gruppenbildung einzusetzen, um opponierende Gläubiger zu isolieren. 109) Balthasar in: Kübler, HRI, § 26 Rz. 47 f. 110) Geiwitz/Käfferlein in: Kübler, HRI, § 25 Rz. 80 f.; Balthasar in: Kübler, HRI, § 26 Rz. 47 f.

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775

§ 24 5.

Teil III Einzelfragen Aufhebung des Insolvenzverfahrens

174 Das Gericht beschließt über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und der Insolvenzplan nicht anderes vorsieht. 6.

Planüberwachung

175 Geregelt werden kann, dass der bisherige Sachwalter die Erfüllung des Insolvenzplanes überwacht. Die Kosten der Überwachung trägt der Schuldner. VII. Muster 1. Mustergliederung Insolvenzplan Plangliederung 176 1 Darstellender Teil 1.1 Grundsätzliche Ziele des Insolvenzplans 1.1.1 Vorbemerkung 1.1.2 Art und Ziel des Plans 1.1.3 Umsetzung des Plans 1.1.4 Gruppenbildung 1.1.5 Gestaltung der Gläubigerrechte 1.2 Rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse 1.2.1 Unternehmensentwicklung 1.2.1.1 Unternehmenshistorie 1.2.1.2 Ausgangssituation 1.2.1.3 Situation bei Insolvenzantragstellung 1.2.1.4 Situation im eröffneten Insolvenzverfahren 1.2.2 Gesellschaftsrechtliche Verhältnisse 1.2.3 Konzernstruktur 1.2.3.1 Muttergesellschaft 1.2.3.2 Tochtergesellschaften 1.2.4 Mitarbeiterentwicklung und arbeitsrechtlicher Rahmen 1.2.4.1 Beschäftigungsverhältnisse 1.2.4.2 Management und Leitungsebene 1.2.4.3 Arbeitgeberverband und Tarifverträge 1.2.4.4 Betriebsrat 1.2.4.5 Lohn- und Gehaltsrückstände 1.2.4.6 Pensionszusagen 1.2.4.7 Betriebsvereinbarungen und Sozialplan 1.2.4.8 Arbeitsrechtsstreitigkeiten 1.2.4.9 Gemeinschaftsbetrieb 1.2.5 Steuerliche Verhältnisse 1.2.6 Jahresabschlüsse 1.2.7 Leistungswirtschaftliche Verhältnisse 1.2.7.1 Geschäftsmodell 1.2.8 Standorte 776

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

1.2.9 Kundenstruktur 1.2.10 Absatzmärkte und Marktüberblick 1.2.11 Wettbewerb 1.2.12 Vertrieb und Akquisition 1.2.13 Kostenstruktur 1.2.14 Auftragsvorlauf 1.2.15 Wesentliche Verträge mit Kunden 1.2.16 Auftragsvorlauf 1.2.17 Finanzierung, Sicherheitenbestellung und Haftungsverhältnisse 1.2.17.1 Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Insolvenzverfahren 1.2.17.1.1 Kreditverbindlichkeiten 1.2.17.2 Finanzierungsverträge 1.2.17.3 Lieferantenfinanzierung 1.2.18 Finanzwirtschaftliche Entwicklung 1.2.18.1 Bilanzentwicklung 1.2.18.2 Gewinn- und Verlustrechnung 1.2.18.3 Kennzahlen 1.2.18.4 Zahlungsfähigkeit 1.2.19 Wichtige Verträge und bedeutsame Sachverhalte 1.2.19.1 Versicherungsverträge 1.2.19.2 Darlehen und Liquiditätshilfen mit verbunden Unternehmen 1.2.19.3 Innerbetriebliche Leistungsverrechnung 1.2.19.4 Zertifizierungen 1.2.19.5 Genehmigungen 1.2.19.6 Subventionen 1.2.19.7 Umsatzsteuerzahllast aus Umsatzgeschäften im Eröffnungsverfahren 1.2.19.8 Sicherung von vermeintlichen Eigentumsrechten von Lieferanten 1.3 Anfechtungsrechtsstreite des Sachwalters 1.4 Insolvenz- Ursachenanalyse 1.4.1 Insolvenzursachen im Einzelnen 1.4.1.1 Externe Ursachen 1.4.1.2 Interne Ursachen 1.4.2 Lagebeurteilung sowie Chancen und Risiken 1.4.2.1 Lagebeurteilung 1.4.2.2 Chancen und Risiken 1.5 Leitbild des sanierten Unternehmens 1.6 Maßnahmen zur Sanierung 1.6.1 Finanzwirtschaftliche Maßnahmen 1.6.1.1 Teilverzichte gemäß Insolvenzplan 1.6.1.2 Kapitaleinlage

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777

§ 24

Teil III Einzelfragen 1.6.1.2.1 Bedingungen für den Gesellschafterwechsel und die Zahlung der Einlage 1.6.1.3 Ausschluss des Verwertungsrechtes der absonderungsberechtigten Gläubiger 1.6.1.4 Desinvestitionen zur Finanzierung des Geschäftsbetriebes 1.6.1.4.1 Geschäftsführerwechsel

1.6.2 Leistungswirtschaftliche Maßnahmen 1.6.2.1 Reduzierung der Personalkosten 1.6.2.2 Reduzierung sonstiger Betriebsausgaben 1.6.2.3 Sonstige Maßnahmen 1.6.3 Seit Antragstellung bereits ergriffene Maßnahmen 1.6.4 Übersicht 1.7 Auswirkungen der Maßnahmen auf die Rechtsstellung der Beteiligten 1.7.1 Aussonderungsberechtigte Gläubiger 1.7.2 Absonderungsrechtsgläubiger 1.7.3 Gläubiger mit Ansprüchen und unverfallbaren Anwartschaften („UVA“) aus Betriebsrentenverpflichtungen 1.7.4 Bedingte Forderungen 1.7.5 Ausfallforderungen und Forderungen einfacher Insolvenzgläubiger 1.7.6 Massegläubiger gemäß §§ 54, 55 InsO 1.7.7 Nachrangige Insolvenzgläubiger gemäß § 39 InsO 1.7.8 Auszahlungsmodalitäten und Besserungsschein 1.8 Finanz- und Ergebniswirkungen der Maßnahmen 1.8.1 Bilanz nach Planannahme 1.8.1.1. Aktiva 1.8.1.2 Passiva 1.8.2 Geschäftsentwicklung nach Planannahme 1.8.2.1 GuV-Rechnung nach Planannahme 1.8.2.2 Bilanzplanung nach Planannahme 1.8.2.3 Liquiditätsplanung für das Insolvenzverfahren 1.8.2.4 Befriedigung der Masseverbindlichkeiten 1.8.2.5 Zahlungen an die Gläubiger 1.8.3 Steuerliche Auswirkungen des Plans 1.8.3.1 Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen 1.8.3.2 Gewerbesteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen 1.9 Risiken 1.9.1 Höhe der Quote 1.9.2 Steuerliche Risiken 1.9.3 Allgemeine Risiken 1.10 Ergebnis für die Gläubiger bei Insolvenzplanannahme

778

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Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

1.10.1 Teilnahmeregelung 1.10.2 Gruppenbildung 1.10.3 Kriterien der Gruppenabgrenzung 1.10.3.1 Gruppe 1 – Gläubiger, mit Sicherungsrechten am Betriebsvermögen 1.10.3.2 Gruppe 2 – Gläubiger mit Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 1.10.3.3 Gruppe 3 – Bundesagentur für Arbeit 1.10.3.4 Gruppe 4 – institutionelle Gläubiger 1.10.3.5 Gruppe 5 – Pensionssicherungsverein (PSV) 1.10.3.6 Gruppe 6 – verbundene Unternehmen 1.10.3.7 Gruppe 7 – Gläubiger die sich in einer Sicherheiten-Verwertungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben 1.10.3.8 Gruppe 8 – Arbeitnehmer 1.10.3.9 Gruppe 9 – sonstige nicht nachrangige Gläubiger 1.10.4 Änderung der Gläubigerrechte 1.10.4.1 Sicherungsgläubiger 1.10.4.2 Befriedigung der Gläubiger mit einfachen Insolvenzforderungen 1.10.4.2.1 Ergebnis der Forderungsprüfung 1.10.4.2.2 Zu berücksichtigende Forderungen 1.10.4.2.3 Quote auf Insolvenzforderungen 1.10.4.3 Nachrangige Insolvenzgläubiger 1.10.4.4 Ergebnisübersicht nach Gruppen 1.11 Ergebnis für die Gläubiger ohne Plan 1.11.1 Insolvenzmasse bei Regelabwicklung 1.11.1.1 Wertansatz 1.11.1.2 Insolvenzmasse 1.11.1.2.1 Massestatus 1.11.1.2.2 Erläuterungen 1.11.1.2.3 Freie Masse gesamt 1.11.2 Verfahrenskosten bei Regelabwicklung 1.11.3 Masseverbindlichkeiten 1.11.4 Insolvenzforderungen bei Regelabwicklung 1.11.5 Quote bei Regelabwicklung 1.11.5.1 Quote bei Abschlagsverteilung 1.11.5.2 Quote bei Nachtragsverteilung 1.12 Obstruktionsverbot 1.12.1 Vergleich der Ergebnisse bei Regelabwicklung und Insolvenzplan 1.12.2 Besserstellung der Gläubiger bei Planannahme 1.12.3 Minderheitenschutzklausel 1.13 Antrag auf abweichende Regelung

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779

§ 24

Teil III Einzelfragen

2 Gestaltender Teil 2.1 Vorbemerkungen 2.1.1 Forderungen 2.1.2 Willenserklärungen 2.1.3 Berücksichtigung von Ansprüchen und unverfallbare Anwartschaften („UVA“) aus Betriebsrentenverpflichtungen 2.2 Gruppenbildung (§ 222 InsO) 2.2.1 Gläubigergruppen und Gruppenzuordnung 2.2.1.1 Gruppe 1 – absonderungsberechtigte Gläubiger 2.2.1.2 Gruppe 2 – Gläubiger mit Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 2.2.1.3 Gruppe 3 – Bundesagentur für Arbeit 2.2.1.4 Gruppe 4 – institutionelle Gläubiger 2.2.1.5 Gruppe 5 – PSV 2.2.1.6 Gruppe 6 – verbundene Unternehmen 2.2.1.7 Gruppe 7 – Gläubiger die sich in einer Sicherheiten-Verwertungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben 2.2.1.8 Gruppe 8 – Arbeitnehmer 2.2.1.9 Gruppe 9 – sonstige nicht nachrangige Gläubiger 2.2.2 Behandlung der Gruppen 2.2.2.1 Gruppe 1 2.2.2.1.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.1.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.2 Gruppe 2 2.2.2.2.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.2.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.3 Gruppe 3 2.2.2.3.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.3.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.4 Gruppe 4 2.2.2.4.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.4.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.5 Gruppe 5 2.2.2.5.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.5.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.6 Gruppe 6 2.2.2.6.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.6.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.7 Gruppe 7 2.2.2.7.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.7.2 Dinglicher Vollzug 2.2.2.8 Gruppe 8 2.2.2.8.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.8.2 Dinglicher Vollzug 780

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

§ 24

2.2.2.9 Gruppe 9 2.2.2.9.1 Schuldrechtliche Regelung 2.2.2.9.2 Dinglicher Vollzug 2.3 Regelung für nachrangige Gläubiger 2.4 Rückstellungen 2.4.1 Rückstellung für bestrittene Forderungen 2.4.2 Rückstellung für höhere Ausfallforderungen 2.4.3 Rückstellung für nachträglich angemeldete Forderungen 2.4.4 Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO 2.5 Bedingungen 2.6 Vermögenstreuhand zugunsten der Gläubiger 2.6.1 Konto für Nachtragsverteilung 2.6.2 Treuhandabrede 2.6.3 Information der Gläubiger 2.7 Sonstige Erklärungen 2.7.1 Treuhandvereinbarung 2.7.2 Zahlungen an die Finanzbehörden 2.7.3 Verzicht auf Haftungsansprüche gegenüber Konzernunternehmen 2.7.4 Sale-and-lease-back- Finanzierung 2.8 Zahlungen an die Gläubiger 2.8.1 Verteilungsverzeichnis 2.8.2 Rückstand gemäß § 255 InsO 2.8.3 Durchführung der Nachtragsverteilung 2.9 Rechnungslegung 2.10 Sonstige Regelungen 2.11 Planerfüllung 3 PLANANLAGEN

Spies

781

§ 24

Teil III Einzelfragen

2.

Muster: Verzeichnisse

2.1

Muster: Verzeichnis der Massegegenstände

177 Abb. 5 – 7: Verzeichnis nach § 151 InsO

782

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

Spies

§ 24

783

§ 24

784

Teil III Einzelfragen

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren 2.2

§ 24

Muster: Gläubigerverzeichnis

Abb. 8 – 11: Verzeichnis nach § 152 InsO

178

Spies

785

§ 24

786

Teil III Einzelfragen

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren

Spies

§ 24

787

§ 24

788

Teil III Einzelfragen

Spies

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren 2.3

§ 24

Muster: Vermögensübersicht

Abb. 12 – 13: Verzeichnis nach § 153 InsO

Spies

179

789

§ 24

790

Teil III Einzelfragen

Spies

Spies

Verwendbares Ergebnis

Steuern vEuE / sonst. Steuern

EBT

Neutrales Ergebnis

A.o., betriebsfr., periodenfr. Aufw.

A.o., betriebsfr., periodenfr. Erträge

Erg. der gew. Geschäftstätigkeit

Finanzergebnis

Zinsaufwendungen

vorl. IST

Sep 12 vorl. IST per 25.09.

Okt 12 vorl. IST

Nov 12 vorl. IST

PLAN

Dez 12 FC

Jan-Dez 12

2012

%

2012

Muster: Integrierte Unternehmensplanung

Muster: Plan-Gewinn- und Verlustrechnung

Zinserträge AfA auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens

Juli - Sept

Jun 12 IST per 30.06.

eröffnetes Verfahren

3.

3.1

EBIT

Summe betrieblicher Aufwand

sonstiger Aufwand

AfA

Personalaufwendungen

Rohertragsquote unterjährig

Rohertrag

Skonti/Boni

Aufwendungen für bezogene Leistungen

Materialeinkauf

Bestandsveränderung RHB

Wareneinsatz

Gesamtleistung

Sonst. Erlöse

aktivierte Eigenleistung

Bestandsveränderung UE/FE

Umsatzerlöse netto

Betriebliche Leistung:

Firma Muster GmbH

PLAN Gewinn- und Verlustrechnung

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren § 24

Abb. 14 – 15 GuV-Rechnung 180

791

792

Spies

Verwendbares Ergebnis

Steuern vEuE / sonst. Steuern

EBT

Neutrales Ergebnis

A.o., betriebsfr., periodenfr. Aufw.

A.o., betriebsfr., periodenfr. Erträge

Erg. der gew. Geschäftstätigkeit

Finanzergebnis

Zinsaufwendungen

Zinserträge AfA auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens

EBIT

Summe betrieblicher Aufwand

sonstiger Aufwand

Miete / Nutzungsentschädigung

AfA

Personalaufwendungen

Rohertragsquote unterjährig

Rohertrag

Skonti/Boni

Aufwendungen für bezogene Leistungen

Materialeinkauf

Wareneinsatz

Gesamtleistung

Sonst. Erlöse

aktivierte Eigenleistung

Bestandsveränderung UE/FE

Umsatzerlöse netto

Betriebliche Leistung:

Firma Muster GmbH

Feb 13

PLAN

PLAN

PLAN

Mrz 13

eröffnetes Verfahren

Jan 13

PLAN Gewinn- und Verlustrechnung

PLAN

Apr 13 PLAN

Mai 13 PLAN

Jun 13 PLAN

Jul 13 PLAN

Aug 13 PLAN

Sep 13 PLAN

Okt 13 PLAN

Nov 13 PLAN

Dez 13 FC

Jan-Dez 13

2013

%

2012

§ 24 Teil III Einzelfragen

Kontostand am Monatsanfang (Beginn 01.01.13)

- sonst. Vermögensgegenst.

- Passive Rechnungsabgrenzungsposten

3.

4.

5.

Spies

- geleistete Anzahlungen (Vorkassen)

- Sonderposten

3.

4

6.

Saldo - operativer Bereich

Zahlungsausgänge Gesamt

aktive Rechnungsabgrenzungsposten

c - Auflösung von Rückstellungen - sonstiges

b - Auflösung von Rückstellungen - Verfahrenskosten

a - Auflösung von Rückstellungen - Sozialplan

- Sonstige Verbindlichkeiten

2.

5.

Zahlungsausgänge aus Bilanzwerten

7.

- Verbindlichkeiten (RLZ< 1 Jahr) ohne Bankvbk

- sonstige Steuern

6.

1.

- Steuern vom Einkommen und vom Ertrag

5.

C.

- Finanzaufwendungen

- außerordentliche Aufwendungen

4.

- Personalaufwand

- sonstige betriebliche Aufwendungen

3.

1.

2.

Zahlungsausgänge (operativ - lfd. Jahr)

- Materialaufwand

C.

Zahlungseingänge Gesamt

- Wertpapiere des Umlaufvermögens

- Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen

2.

Zahlungseingänge aus Bilanzwerten

- Zahlungseingänge Debitoren

- außerordentliche Erträge

4.

1.

- Finanzerträge

3.

B.

- Umsatzerlösen

- sonstige Erträge

2.

Zahlungseingänge (operativ - lfd. Jahr)

1.

A.

Bereich der Geschäftstätigkeit

Jan PLAN

Dez PLAN

PLAN

Feb

2013

Mrz PLAN

Apr PLAN

Mai PLAN

Jun PLAN

Jul PLAN

Aug PLAN

Sep PLAN

Okt PLAN

PLAN

Nov

2013

Dez PLAN

3.2

Firma Muster GmbH

PLAN Liquiditätsrechnung

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren § 24

Muster: Plan-Liquiditätsrechnung

Abb. 16: Liquiditätsrechnung 181

793

794

Desinvestitionen

Saldo Investiver Bereich

2.

Σ

Aufnahme Darlehen (RLZ > 1 Jahr) & kfr. Bankverbindlichkeiten

Saldo Finanzierungsbereich

c ratierliche Tilgung

b Tilgung Sicherungsrechte Lieferanten

a Quotenzahlung

2.

Spies

Abführung Umsatzsteuer

2.

Freie LIQUIDITÄT

Kreditlinie

Kontostand am Monatsende

LIQUIDITÄT - monatlich

Geldtransit (Separierung von Geldern für Warenentnahmen)

Saldo Umsatzsteuer

Erstattung Vorsteuer

1.

Umsatzsteuer

Saldo Kapitalbereich

Kapitaleinlagen

Kapitalentnahmen

1.

Kapitalbereich

S

2.

1.

Finanzierungsbereich

Investitionen

1.

Investiver Bereich

Kontostand am Monatsanfang (Beginn 01.01.13)

Firma Muster GmbH

PLAN Liquiditätsrechnung

Jan PLAN

Dez PLAN

PLAN

Feb

2013

Mrz PLAN

Apr PLAN

Mai PLAN

Jun PLAN

Jul PLAN

Aug PLAN

Sep PLAN

Okt PLAN

PLAN

Nov

2013

Dez PLAN

§ 24 Teil III Einzelfragen

§ 24

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren 3.3

Muster: Plan-Bilanz

Abb. 17 – 20: Bilanz

182 2012

PLAN - Bilanz Firma Muster GmbH AKTIVA A.

Ingangsetzung Geschäftsbetrieb

B.

Anlagevermögen

I.

Immaterielle Vermögensgegenstände

1.

Konzessionen, gewerbl. Schutzrechte und ähnliche Rechte

2.

Geschäfts- oder Firmenwert

3.

geleistete Anzahlungen

II.

Sachanlagen

1.

Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten

2.

Techn. u. andere Anlagen, Maschinen

3.

Betriebs- und Geschäftsaustattung

4.

Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau

III. 1. 2.

eröffnetes Verfahren EB 2011

per 30.06.12

Sep

Okt

Nov

Dez

IST

IST

vorl. IST 25.09.

vorl. IST

vorl. IST

PLAN

Finanzanlagen Anteile und Ausleihungen an z. k. verbundene Unternehmen Beteiligungen, Ausleihungen an Unternehmen mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

3.

Wertpapiere des Anlagevermögens

4.

sonstige Ausleihungen (u.a. VU)

C.

Umlaufvermögen

I.

Vorräte

1.

Roh- Hilfs- und Betriebsstoffe

2.

Unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen

3.

Fertige Erzeugnisse und Waren

4.

Geleistete Anzahlungen auf Vorräte (Vorkassen)

II.

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände

1.

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

2.

Forderungen gegen Gesellschafter

3.

Forderungen gegen z.k. v. Unternehmen

4.

Sonstige Vermögensgegenstände

III.

Wertpapiere des Umlaufvermögens

1.

Wertpapiere des Umlaufvermögens

2.

eigene Anteile

3.

sonstige Wertpapapiere

IV.

Flüssige Mittel (Banken-KK, Kasse, Schecks, Wechsel)

1.

Kasse, Schecks, Wechsel

2.

Guthaben bei Kreditinstituten

a)

Kontokorrent

b)

Sonstiges Guthaben

D.

Rechnungsabgrenzungsposten

E.

Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag

Σ

AKTIVA

Spies

795

§ 24

Teil III Einzelfragen

Firma Muster GmbH

eröffnetes Verfahren EB 2011

per 30.06.12

Sep

Okt

Nov

Dez

IST

vorl. IST 25.09.

vorl. IST

vorl. IST

PLAN

PASSIVA A.

Eigenkapital

I.

Variables Kapital

II.

Kapitalentnahmen

III.

Kapitaleinlagen

IV.

Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag Ausgewiesenes Eigenkapital

B.

Sonderposten

1.

Sonderposten mit Rücklageanteil

2.

Sonderposten Investitionszuschüsse

C.

Rückstellungen

1.

Rückstellung für Verfahrenskosten

2.

Rückstellung für ungewisse Vblk

3.

Sonstige Rückstellungen

D.

Verbindlichkeiten

1.

Verbindlichkeiten ggü Kreditinstituten a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

2.

Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen

3.

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

4.

Verbindlichkeiten ggü Gesellschaftern a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

5.

Verbindlichkeiten gegenüber z. k. verbundene Unternehmen a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

6.

Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

7.

Sonstige Verbindlichkeiten a) ~ Rahmen der sozialen Sicherheit b) ~ Steuern c) ~ Sonstiges andere Verbindlichkeiten ca) ~ mit einer RLZ kleiner 1 Jahr cb) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

E.

Rechnungsabgrenzungsposten

Σ

PASSIVA

796

Spies

3.

Spies

Kasse, Schecks, Wechsel

Guthaben bei Kreditinstituten

1.

2.

Rechnungsabgrenzungsposten

Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag

AKTIVA

D.

E.

Σ

b) Sonstiges Guthaben

a) Kontokorrent

sonstige Wertpapapiere

eigene Anteile

2.

Flüssige Mittel (Banken-KK, Kasse, Schecks, Wechsel)

Wertpapiere des Umlaufvermögens

1.

IV.

Wertpapiere des Umlaufvermögens

III.

3.

Forderungen gegen z.k. v. Unternehmen

Sonstige Vermögensgegenstände

Forderungen gegen Gesellschafter

2.

4.

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

1.

3.

Geleistete Anzahlungen auf Vorräte

II.

Fertige Erzeugnisse und Waren

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände

3.

4.

Roh- Hilfs- und Betriebsstoffe

Unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen

2.

Vorräte

1.

I.

sonstige Ausleihungen (u.a. VU)

Umlaufvermögen

C.

Wertpapiere des Anlagevermögens

4.

3.

2.

1.

Anteile und Ausleihungen an z. k. verbundene Unternehmen Beteiligungen, Ausleihungen an Unternehmen mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau

Techn. u. andere Anlagen, Maschinen

Betriebs- und Geschäftsaustattung

2.

Finanzanlagen

Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten

1.

4.

Sachanlagen

II.

III.

Geschäfts- oder Firmenwert

geleistete Anzahlungen

3.

Konzessionen, gewerbl. Schutzrechte und ähnliche Rechte

1.

2.

Anlagevermögen

Immaterielle Vermögensgegenstände

I.

Ingangsetzung Geschäftsbetrieb

B.

A.

AKTIVA

Firma Muster GmbH

PLAN - BILANZ

PLAN

Dez PLAN

Jan PLAN

PLAN

Mrz

eröffnetes Verfahren Feb

Apr PLAN

Mai PLAN

Jun PLAN

Jul PLAN

Aug PLAN

Sep PLAN

Okt PLAN

Nov PLAN

PLAN

Dez

2013

Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Plan- und im Schutzschirmverfahren § 24

797

798

Kapitaleinlagen

Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag

IV.

Verbindlichkeiten ggü Kreditinstituten

1.

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

3.

Spies

Verbindlichkeiten ggü Gesellschaftern

Verbindlichkeiten gegenüber z. k. verbundene Unternehmen

Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht

Sonstige Verbindlichkeiten

Rechnungsabgrenzungsposten

PASSIVA

E.

Σ

cb) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

ca) ~ mit einer RLZ kleiner 1 Jahr

c) ~ Sonstiges andere Verbindlichkeiten

b) ~ Steuern

a) ~ Rahmen der sozialen Sicherheit

7.

b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr

6.

b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr

5.

b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr

4.

b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr

Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen

2.

b) ~ mit RLZ größer 1 Jahr

a) ~ mit RLZ kleiner 1 Jahr

Sonstige Rückstellungen

Verbindlichkeiten

Rückstellung für ungewisse Insolvenzforderungen

2.

D.

Rückstellung für Verfahrenskosten

1.

3.

Sonderposten Investitionszuschüsse

Rückstellungen

C.

Sonderposten mit Rücklageanteil

1.

2.

Sonderposten

B.

Ausgewiesenes Eigenkapital

Kapitalentnahmen

II.

Variables Kapital

Eigenkapital

III.

I.

A.

PASSIVA

Firma Muste GmbH

Dez

PLAN

Jan PLAN

PLAN

Mrz

eröffnetes Verfahren Feb PLAN

Apr PLAN

Mai PLAN

Jun PLAN

Jul PLAN

Aug PLAN

Sep PLAN

Okt PLAN

Nov

PLAN

Dez

2013

§ 24 Teil III Einzelfragen

§ 25 M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung Übersicht I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung.................................... 1 1. Einführung.................................................... 1 2. Definition M&A-Prozess ........................... 7 3. Bedeutung des M&A-Prozesses................ 11 3.1 M&A-Prozess als „Marktplatz“ für in der Regel nicht liquide handelbare Unternehmensbeteiligungen/Geschäftsbetriebe ............................................ 11 3.2 Der M&A-Berater als Interessenvertreter seines Mandanten....... 14 3.3 Ermittlung des Marktpreises i. R. eines strukturierten M&AProzesses ......................................... 19 4. Bezug zur Betriebsfortführung ................. 38 II. Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht)........................................... 41 1. Festlegung Transaktionsstrategie.............. 41 2. Vorbereitung der Ansprachedokumentation ........................................... 45 3. Identifikation und Interessenlage der im Transaktionsprozess anzusprechenden Investoren-Interessenten............ 48

3.1 Finanzinvestoren ............................ 49 3.2 Strategische Investoren .................. 53 3.3 Investorenansprache ....................... 58 4. Durchführung von individuellen Management-Präsentationen..................... 59 5. Einholung indikativer Erwerbsangebote...................................................... 61 6. Organisation einer Due DiligencePrüfung ....................................................... 64 7. Einholung verbindlicher Erwerbsangebote...................................................... 68 8. Durchführung von Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss ................... 71 III. Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&A-Prozess ............................................ 74 1. Im Eröffnungsverfahren ............................ 74 2. Im eröffneten Verfahren ........................... 84 2.1 Mit Insolvenzplan ........................... 84 2.2 Ohne Insolvenzplan ....................... 94 3. In der Eigenverwaltung.............................. 97 4. Im Schutzschirmverfahren ...................... 100 IV. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung ................... 102

Literatur: Achleitner, Handbuch Investment Banking, 3. Aufl., 2002; Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Bork, Beauftragung von Dienstleistern durch den Insolvenzverwalter: Regelaufgabe oder besondere Aufgabe? ZIP 2009, 1747; Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, 2003; Braunberger/Mussler, Verschärfte Kreditbedingungen im Euroraum, FAZ v. 2.2.2012, abrufbar unter http://www.faz.net/ aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/schuldenkrise-verschaerfte-kreditbedingungen-im-euroraum-11634 518.html; Brennecke/Augustin/Jauch, Regelinsolvenz: Einführung in das Insolvenzrecht, Teil 4.4.1.: Bewertung der Vermögensgegenstände, abrufbar unter http://www.brennecke.pro/180842/Regelinsolvenz-Einfuehrung-ins-Insolvenzrecht-Teil-4-4-1-Bewertung-der-Vermoegensgegenstaende (Stand: 5/2010); Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Copeland/Weston, Financial Theory and Corporate Policy, 3rd. edition, Menlo Park (CA), 1988; Dodel, Besonderheiten der M&A-Prozesse im Mittelstand, Bilanzen im Mittelstand, 1/2011, S. 10; IDW, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) i. d. F. 2008; Ehlers/Meimberg, Fallstudie: Die Betriebsaufgabe und ihr Alternativen, ZInsO 2010, 1169; Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2012; Ettinger/Jaques, Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand, 2012; Höffner, Fortführungswerte in der Vermögensübersicht nach § 153 InsO – Zur Problematik der durch die InsO eingeführten „zweigeteilten“ Rechnungslegung bei Verfahrenseröffnung, ZIP 1999, 2088; Hölzle, Die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren – Zur Reichweite der Kompetenzen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, ZIP 2011, 1890; Hölzle, Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre im Schutzschirmverfahren, ZIP 2012, 2427; Hönig/Meyer-Löwy, Unternehmenskauf vom „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter – Zur Anwendbarkeit von § 103 InsO auf Masseverbindlichkeiten im Sinn von § 55 Abs. 2 InsO, ZIP 2002, 2162; Jansen, Mergers & Acquisitions, Unternehmensakquisitionen und -kooperationen, 2008; Kranzusch/Icks, Die Quoten der Gläubiger in Regel- und Insolvenzplanverfahren, IfM-Materialien, Nr. 186, 2009, abrufbar unter: http://www.ifm-bonn.org/publikationen/ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&cHash=efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e; Krüger/Kaufmann, Exklusivität und Deal Protection beim Unternehmenskauf vom Insolvenzver-

Deichmann

799

§ 25

Teil III Einzelfragen

walter, ZIP 2009, 1096; Mitlehner, „Fortführungswert“ der Vermögensgegenstände, ZIP 2000, 1825; Mönning, Der Zwang zur Kooperation: Kompetenzen in der Eigenverwaltung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 641; Müller-Stewens/Kundisch/Binder (Hrsg.), Mergers & Acquisitions – Analysen, Trends und Best Practices, 2010; Oppermann, Die Finanzierung des Insolvenzverfahrens aus Sicht des Insolvenzverwalters, Vortrag v. 20.9.2011; Picot, Handbuch Mergers & Acquisitions, 5. Aufl., 2012; Roland Berger Strategy Consultants/Noerr LLP/Noerr Consulting AG, ESUG-Studie 2012: Erste Praxiserfahrungen mit der neuen Insolvenzordnung, S. 1 – 39, abrufbar unter http://www.rolandberger.com/media/pdf/Roland_Berger_ESUG-Studie_20121106.pdf; Schelo, Der neue § 270b InsO – Wie stabil ist das Schutzschirmverfahren in der Praxis? Oder: Schutzschirmverfahren versus vorläufige Eigenverwaltung, ZIP 2012, 712; Schmalenbach, Die Beteiligungsfinanzierung, 1954; Schulz/Tauer, Wertorientierter Unternehmensverkauf aus der Insolvenz, KSI, Heft 3/2008, S. 101; Spies, Insolvenzplan und Eigenverwaltung, ZInsO 2005, 1254; Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID), Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung mit Prüfungsordnung und Erläuterungen, Schreiben v. 5.5.2012, abrufbar unter http://www.vid.de/de/qualitaet/goi.html; Wellensiek, Probleme der Betriebsfortführung in der Insolvenz, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 199.

I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung

1.

Einführung „Der aus dem US-amerikanischen Investmentbanking stammende Begriff Mergers & Acquisitions (M&A) umschreibt den Handel (Kauf/Verkauf) mit Unternehmen, Unternehmensteilen und Unternehmensbeteiligungen und wird mit Fusionen und Unternehmensübernahmen übersetzt.“1)

1 Nach Copeland und Weston kann das Spektrum von M&A definiert werden: „The traditional subject of M&A’s has been expanded to include takeovers and related issues of corporate restructuring, corporate control, and changes in the ownership structures of firms.”2)

2 Nach Achleitner beschreibt der Begriff „Markt für Unternehmenskontrolle“ den Sachverhalt Mergers & Acquisitions am besten.3) Jansen führt aus, dass „M&A wie auch Kooperationen historisch betrachtet die entscheidenden strategischen Maßnahmen zur Restrukturierung von Unternehmen und von Wertschöpfungsketten, hin zu Wertschöpfungssystemen waren und in entscheidendem Maße sind.“4)

3 Picot ist der Auffassung, dass sich „nur mit einem interdisziplinären und zugleich ganzheitlich-strategischen Denken und Handeln … zukunftssichernde und werteschaffende Lösungen erarbeiten und umsetzen lassen“ werden.5) Der „Bereich der Mergers & Acquisitions“ müsse „als eigenständiges, auf internationalem Know-how basierendes Fachgebiet“ begriffen werden, „das einer ganzheitlichen Betrachtung und Handhabung bedarf.“6) 4 Das Thema Mergers & Acquisitions (M&A) nimmt i. R. der Bemühungen um eine Betriebsfortführung in der Praxis der Insolvenzverwalter eine große Bedeutung ein. So geben die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) vor: „Der Insolvenzverwalter sucht aktiv nach Kaufinteressenten. Vorhandene Interessenten kontaktiert er kurzfristig. Er schafft selbst oder über einen geeigneten Dienstleister die jeweiligen Voraussetzungen für einen strukturierten M&A-Prozess, in dem die im Einzelfall erforderliche Sachkunde und insbesondere etwa erforderliche Fremdsprachenkenntnisse zur Verfügung stehen. Zur optimalen Gestaltung des Veräußerungsprozesses nutzt der Insolvenzverwalter die Möglichkeiten der digitalen Informationstechnologie; z. B. Einrichtung eines virtuellen Datenraums.“7)

___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

800

Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 4. Copeland/Weston, Financial Theory and Corporate Policy, S. 676. Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 141. Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 24. Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 18. Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 19. VID, GOI, S. 43, abrufbar unter http://www.vid.de/de/qualitaet/goi.html (Abrufdatum 3.5.2013).

Deichmann

§ 25

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

Die Zulässigkeit der Beauftragung eines M&A-Beraters als spezialisierten Dienstleister 5 durch den Insolvenzverwalter und die Vergütung dieses Dienstleisters zulasten der Insolvenzmasse ist im Einzelfall zu prüfen – „maßgebend ist der Gesichtspunkt der Angemessenheit im konkreten Verfahren.“8) Bork hält fest, dass Insolvenzverwalter bei anspruchsvollen Insolvenzverfahren ins- 6 besondere berechtigt seien, einen M&A-Berater zur Strukturierung eines professionellen Investorenprozesses zu beauftragen.9) 2.

Definition M&A-Prozess

Der Begriff „Auktion“ lässt sich vom lateinischen Wort „augere“ ableiten, welches für „erhö- 7 hen“ oder „erweitern“ steht. Schon in der Römerzeit war das primäre Ziel einer Auktion, auf Basis des zugrunde liegenden Bieterwettbewerbs den maximal erzielbaren Preis für ein bestimmtes Gut zu ermitteln. Auktionen stellen einen verbreiteten Mechanismus für die Preisfindung beim Verkauf eines einzelnen, seltenen und nichtstandardisierten Gutes dar. In einer Auktion wird das Objekt in der Regel an den Bieter mit dem höchsten Preisangebot innerhalb eines klar definierten, kompetitiven Prozesses verkauft.10) Der typische M&A-Prozess kann damit in der Regel als Auktion bezeichnet werden, wobei er – wie in der nachstehenden Übersicht dargestellt – je nach Situation und Erfordernissen unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Abb. 1: Limitiertes Bietungsverfahren zur Filterung des Erwerbsinteresses aller Käuferkategorien Selektive Ansprache Kanidatenkreis

Limitiertes Bietungsverfahren

Auktion

1-2 potenzielle Investoren

Limitierter, ausgewählter Kreis potenzieller Investoren

Möglichst breite Ansprache potenzieller Investoren

+ Hohe Vetraulichkeit interner Informationen + Schneller Abschluss möglich + Auktion nach erfolglosem Verfahren möglich – Angebotsvergleich nur bedingt möglich – Oftmals nicht ausgereizte Konditionen – Wahrscheinlichkeit höher, dass Verfahren scheitert

+ Angebotsvergleich möglich + Weitestgehende Vertraulichkeit + Optimierung der Konditionen möglich – Höhere Transparenz interner Informationen – Gefahr einer „Publizität“ steigt – Längere Verfahrensdauer

+ Addressierung aller potenziellen Investoren + Signalisiert ernsthaftes Verkaufsinteresse + Kaufpreismaximierung – Hohe Anforderung an Prozessmanagment – Von Finanzinvestoren tendenziell eher abgelehnt – Lange Verfahrensdauer – Imageschaden, falls Verfahren scheitert

Vertraulichkeit Wettbewerb

Taktische Überlegungen

>> Parallele Ansprache ausgewählter Investoren empfohlen >> Strukturiertes (Bietungs-) Verfahren notwendig, um „Best Buyer“ zu filtern und Transaktionschance zu erhöhen

Quelle: Eigene Darstellung

Die einzelnen prozessualen Schritte eines M&A-Prozesses werden in der Praxis wie folgt 8 beschrieben:11) x

Identifizierung der Ziele des Verkäufers (Mandanten);

___________ 8) 9) 10) 11)

Bork, ZIP 2009, 1747, 1754. Bork, ZIP 2009, 1747, 1750. Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 270. Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 271.

Deichmann

801

§ 25

Teil III Einzelfragen

x

Strukturierung des Auktionsprozesses;

x

Auswahl von potentiellen Käufern;

x

Vorbereitung der Auktion;

x

erste Runde: Der Weg zu einem unverbindlichen Angebot;

x

zweite Runde: Der Weg zu einem verbindlichen Angebot;

x

Vertragsunterzeichnung (Signing) und Vertragserfüllung (Closing).

9 Häufig werden die einzelnen Prozessschritte zu drei großen Blöcken zusammengefasst: x

Transaktionsvorbereitung und Marktansprache;

x

das eigentliche Bieterverfahren;

x

der Abschluss der Transaktion.

Abb. 2: Dynamik und Prozessschritte eines limitierten Bieterwettbewerbs Ansprache

Bieterverfahren

• Auswahl potenzieller Investoren • Abschluss Vertraulichkeitsvereinbarung • Zur Verfügungstellung von Unternehmensinformationem • zwecks Kaufpreisallokation • „Process Letter“ und Aufforderung zur Absage nicht-bindendes Angebot

• Auswahl Bieter für nächste Phase

und Einladung zur Due Diligence • Bereitstelllung detailierter

Unternehmensinformationen in einem Datenraum • Mangement-Präsentation und Frage-/Antwort Treffen • Abklärung strategischer Fit und kaufpreisrelevante Sachverhalte • Entwurf Geschäftsanteilskauf- und – übertragungsvertrag (SPA)

Abschluss • Einholung überarbeitetes Angebot und

SPA-Kommentare

• Auswahl Bieter für Schlussverhandlungen • Ggf. Bereitstellung sensibler

Unternehmensinformationen • Einholung Binding Offer/Signing

Investorenanzahl

Illustrativ: Dynamik eines limitierten und diskreten Bieterwettbewerbs

ca. 12

Interessensbekundung

ca. 10 Anfrage Info-Memo

ca. 6 Abgabe Indikation

ca. 5 Management Präsentation

ca. 4 ca. 3 EndverhandAbgabe verbessertes Angebot lung

1 Vertragsabschluss

>> Aufrechterhaltung Bieterwettbewerb als ganz wesentliche Komponente zur Optimierung der Rahmenbedingungen einer Transaktion für den Auftraggeber

Quelle: Eigene Darstellung

10 Entscheidend für den Erfolg des Prozesses ist es in der Regel, bis zum Abschluss der Transaktion einen Bieterwettbewerb aufrechtzuerhalten. Hier geht es beim Verkauf nicht insolventer bzw. nicht insolvenzgefährdeter Unternehmen einerseits darum, aus vielfältigen Überlegungen heraus zu jeder Zeit im Prozess ein glaubwürdiges Alternativ-Szenario sowohl zu den Verhandlungen mit den einzelnen Bietern als auch zu dem geplanten Verkauf insgesamt gegenüber den Bietern aufzeigen zu können.12) Solange dies der Fall ist, werden ernsthaft interessierte Investoren ihre Positionierung im Bietungsverfahren in Bezug auf Gebotshöhe und vertragliche Regelungen nach Möglichkeit so gestalten, dass sie eine Umsetzung eines Alternativszenarios durch den Verkäufer vermeiden. Bei M&ATransaktionen im Insolvenzumfeld ist naturgemäß der Abbruch des Verkaufsprozesses keine valide Drohkulisse, weil diesem in der Regel die Liquidation folgen würde. Insofern ist es Aufgabe des für die Prozesssteuerung verantwortlichen M&A-Beraters, Alternativszenarien mittels Durchführung von parallelen Verhandlungen mit mehreren interessierten ___________ 12) Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 284; Dodel, Besonderheiten der M&AProzesse im Mittelstand, Bilanzen im Mittelstand, Heft 1/2011, S. 10, 12.

802

Deichmann

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

Investoren aufzubauen. Zudem liegt ein entscheidender Erfolgsfaktor im Aufbau einer Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens, um jede Irritation auf Investorenseite auszuschließen. Ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des Bieterwettbewerbs ist neben der Umsicht des M&A-Beraters naturgemäß auch die Attraktivität des den Interessenten angebotenen Unternehmens/Geschäftsbetriebes. 3.

Bedeutung des M&A-Prozesses

3.1

M&A-Prozess als „Marktplatz“ für in der Regel nicht liquide handelbare Unternehmensbeteiligungen/Geschäftsbetriebe

Auktionen geben den institutionellen Rahmen vor, um Preis und Bedingungen beim Ver- 11 kauf von nichtstandardisierten Gütern zu maximieren. Während Aktien und Aktienpakete an der Börse liquide gehandelt werden können, besteht für nichtstandardisierte Güter wie Unternehmen, deren Geschäftsbetriebe bzw. Unternehmensbeteiligungen, kein regelmäßig nutzbarer liquider Marktplatz. Jansen ist der Auffassung, dass „eine eigene Markttheorie zur Beschreibung von ‚Corporate Control‘ notwendig wird“, da u. a. „eine auch für Entscheider schwierig zu beschreibende Güterqualität sowie eine systematische Marktintransparenz mit erheblichen, aber nicht kalkulierten Informationsasymmetrien“ auf dem Markt für Unternehmenskontrolle vorliege.13) Firmenauktionen können öffentlich oder privat sein. Private Auktionen beziehen sich 12 auf die Veräußerung eines privat geführten Unternehmens durch ein Ad-hoc-Verfahren. Private Auktionen fallen in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des Übernahmerechts und anderer börsenbezogener Offenlegungsvorschriften. Bei dem vertraulichen Prozess einer privaten Auktion bedarf es aus Sicht von Jansen min- 13 destens zweier potentieller Käufer:14) „Unter der Annahme, dass ein natürlicher Wettbewerb um das zu veräußernde Asset besteht, stellt eine Auktion ein höchst wirksames Instrument dar, um die verschiedenen Ziele des Verkäufers bestmöglich parallel zu optimieren.“15) „Indem mehrere Käufer im Wettbewerb um das gleiche Asset in einem gut strukturierten Transaktionsfenster zusammentreffen, können die individuellen Präferenzen und Beschränkungen der einzelnen potentiellen Käufer in der Auktion so genutzt werden, dass das Ergebnis aus Sicht des Verkäufers in Hinblick auf die einzelnen Zielkriterien dem überlegen ist, was alternativ durch eine Reihe von sequentiellen, bilateralen Verhandlungen zu erwarten wäre.“16)

Abb. 3: Spannungsfeld der Zieldimensionen bei einer Auktion Preis

Minimierung von: • Vertraglichen Zugeständnissen und Verkäuferpflichten • Störung des Geschäftsganges

Transaktionssicherheit

Transaktionsgeschwindigkeit

Quelle: Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 273

___________ 13) 14) 15) 16)

Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 52. Müller-Stewens/Kunisch/Binder, Mergers & Acquisitions, S. 270. Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 273. Jansen, Mergers & Acquisitions, S. 273.

Deichmann

803

§ 25 3.2

Teil III Einzelfragen Der M&A-Berater als Interessenvertreter seines Mandanten

14 Achleitner ergänzt die Definition für M&A: „Die Abgrenzung M&A steht weiterhin als Geschäftsfeld für Beratungsleistungen, die für andere Unternehmen, die ihrerseits an M&A-Transaktionen beteiligt sind, erbracht werden.“17)

15 Zum Leistungsspektrum der M&A-Beratung zählt Achleitner: x

Optimierung der Prozess-Steuerung;

x

Einbringen spezieller Fachkompetenzen;

x

Identifizierungsfunktion;

x

Sparrings-Partner und Objektivierungsfunktion;

x

Ausgleich personeller Engpässe beim Klienten;

x

Blitzableiterfunktion.

16 Innerhalb der Gruppe der M&A-Berater im engeren Sinne können die Marktteilnehmer nach Achleitner wie folgt gegliedert werden: Abb. 4: Klassifizierung der Anbieter von M&A-Beratungsdienstleistungen

Investmentbanken

Investmentbanking -Abteilungen der Universalbanken

Internationalität/ Komplexität

Große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften

M&ABoutiquen

Kapitalmarktrelevanz Quelle: Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 159

17 Professionelle M&A-Berater werden von Ihren Mandanten exklusiv mandatiert18) und nehmen daher ausschließlich die Interessen ihrer Mandanten war. Diese exklusive Mandatierung und eindeutige Interessenvertretung führt dazu, dass der M&A-Berater sich individuell auf die Mandantenziele einrichtet und mit dem jeweiligen Mandanten gleichgerichtete Ziele verfolgt. Auf die Besonderheiten im Eröffnungsverfahren, im eröffneten Verfahren (mit bzw. ohne Insolvenzplan), in der Eigenverwaltung sowie im Schutzschirmverfahren wird in späteren Kapiteln noch ausführlicher einzugehen sein. ___________ 17) Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 141. 18) Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 158.

804

Deichmann

§ 25

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

Der wiederkehrenden Leistungsinhalte der M&A-Beratung können hierbei wie folgt be- 18 schrieben werden:19) x

Projektmanagement und Prozesskontrolle;

x

Unternehmensbewertung;

x

Verhandlungsführung;

x

Strukturierung der Transaktion.

3.3

Ermittlung des Marktpreises i. R. eines strukturierten M&A-Prozesses

Ein besonderes Problemfeld in M&A-Transaktionen stellt die sowohl aus Sicht des Käufers 19 als auch des Verkäufers annehmbare Bewertung des Unternehmens dar. Die Ermittlung des „wahren“ oder „tatsächlichen“ Unternehmenswertes ist jedoch aus Sicht sowohl der Verkäufer- als auch der Käuferseite nicht möglich.20) „Der Wert eines Objektes … ergibt sich aus den Eigenschaften, insbesondere aus dem Nutzen, den jemand der Sache … beimisst.“ 21)

Abb. 5: Wert und Preis bei einer M&A-Transaktion Für den Verkäufer annehmbare Preise

Bereich möglicher Preisvereinbarungen

Für den Käufer annehmbare Preise

0

Entscheidungswert des Verkäufers

Entscheidungswert Geldeinheiten des Käufers

Quelle: Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 167

Der Nutzen, und damit der Wert eines Unternehmens, besteht aus dem Barwert der Netto- 20 Überschüsse, die mit dem Unternehmen im Planungszeitraum erwirtschaftet werden können.22) Born sieht für die Bewertung eines Unternehmens grundsätzlich drei Anhaltspunkte:23) x

Barwert der zukünftigen Nettoausschüttungen, auch Ertragswert oder Zukunftserfolgswert genannt;

x

Vergleich mit Kaufpreisen, die für vergleichbare Unternehmen gezahlt wurden (Marktwert);

___________ 19) 20) 21) 22) 23)

Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 165 – 191. Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 167. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 5. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 6. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 6.

Deichmann

805

§ 25

Teil III Einzelfragen

Vergleich mit den Kosten für die Errichtung eines vergleichbaren Unternehmens (Substanzwert).

x

21 Die Ermittlung des Zukunftserfolgswertes wie auch die verschiedenen Ausprägungen der Ermittlung eines Marktwertes finden sich in nachstehendem Schaubild wieder. Abb. 6: Übersicht zu den gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung Comparable Transactions Analysis (CTA)

Comparable Companies Analysis (CCA)

Discounted Cash Flow Analysis (DCF)

• Schätzung „fiktiver“ Kaufpreis

• Schätzung „fiktiver“ Kaufpreis

• Bezugnahme auf gezahlte Preise vergleichbarer Transaktionen

• Bezugnahme auf Börsenwert vergleichbarer Unternehmen

+ Reflektiert Angebot und Nachfrage zum Verkauf stehender Unternehmen + Übersichtliche und leichte Einschätzung mögliche

+ Effinenz des Marktes reflektiert Branchentrends Geschäftsrisiko, etc. im Bördenwert + Übersichtliche und leichte Einschätzung mögliche

+ Berücksichtigt das langfristige, zukünftige Ertragspotenzial + nicht durch kurzfristige Marktschwankungen beeinflusst + Szenarienrechnungen möglich

– Begrenzte Aussagefähigkeit durch: - bedingte Vergleichbarkeit der Transaktionen - erhebliche Marktschwankungen

– Begrenzte Aussagefähigkeit durch: - bedingte Vergleichbarkeit der Vergleichsgruppe - erhebliche Marktschwankungen

– Starke Sensitivität bezüglich der Annahmen über Diskontierungssatz und Wachstumsrate

Ableitung aus Vergleichstransaktionen, die oftmals Synergien/strategische Prämien beinhalten

Vergleich mit börsennotierten Unternehmen des gleichen Branchensegments

• Barwert zukünftiger Einzahlungsüberschüsse • Unterstellte Geschäftsentwicklung basiert auf Unternehmensplannung

Zukunftsorientiertes Bewertungsverfahren, welches insbesondere das Wertpotenzial aufzeigt

Quelle: Eigene Darstellung

22 In der Praxis der Unternehmensbewertung bei M&A-Transaktionen spielt der Substanzwert keine Rolle, da er nichts über den zukünftigen Nutzen des Unternehmens aussagt. Born geht noch weiter und formuliert: „Der Substanzwert eines Unternehmens ist eine vergangenheitsorientierte Größe und sagt nichts über den zukünftigen Nutzen des Unternehmens aus. Wegen der Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, immaterielle Vermögensgegenstände zu bewerten, gibt er noch nicht einmal Auskunft über die Kosten für die Errichtung eines vergleichbaren Unternehmens. Der Substanzwert ist deshalb für die Ermittlung eines Unternehmenswertes nicht brauchbar.“24)

23 In Ausnahmefällen dient der Substanzwert als Orientierungsgröße oder Hilfswert. 24 Die insolvenzrechtlich erforderliche Erstellung einer Vermögensübersicht des schuldnerischen Unternehmens sieht nach § 153 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 151 Abs. 2 InsO vor, dass die Einzelveräußerungs- oder Liquidationswerte der Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens ihren Fortführungswerten gegenüberzustellen sind.25) Die Angabe der Fortführungswerte folgt der Überlegung des Gesetzgebers, die Erlöserwartung der Gläubiger im Falle der Unternehmensfortführung auf die einzelnen Vermögensgegenstände „herunterzubrechen“. Aus Investorensicht steht eher die Frage im Vordergrund, welche zukünftigen Einnahmen-Überschüsse im Zuge des Erwerbs des fortgeführten Unternehmens oder aber seines Geschäftsbetriebes erwirtschaftet werden.26) 25 Höffner ist der Auffassung, dass der Insolvenzverwalter den erforderlichen finanziellen Aufwand zur Wiedererlangung einer nachhaltigen Ertragskraft des erworbenen Unter___________ 24) Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 12. 25) Höffner, ZIP 1999, 2088. 26) Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 12.

806

Deichmann

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

nehmens/Geschäftsbetriebs nicht einschätzen kann, so dass die Ermittlung eines Unternehmenswertes nicht möglich sei.27) Die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) sehen im 26 Gegensatz zu Höffner bei der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen (Kapitalverzinsung liegt nachhaltig unterhalb des Kapitalisierungszinssatzes) i. R. der Betrachtung eines Fortführungskonzeptes Folgendes vor: bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes28) (stand-alone-Betrachtung, siehe unten Rz. 33) sind lediglich die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Überwindung der Ertragsschwäche zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ermittlung eines subjektiven Entscheidungswertes29) (subjektiver Kaufpreis, siehe unten Rz. 33) können darüber hinaus geplante, von einem Erwerber durchzuführende Maßnahmen, Berücksichtigung finden. Hierbei wird der Barwert der zukünftig mit dem sanierten Unternehmen bzw. Geschäftsbetrieb zu erwirtschaftenden Zahlungsüberschüsse ermittelt.30) Der IDW S 1 besagt auch, dass der insoweit ermittelte Unternehmenswert einem Zerschla- 27 gungswert bei Stilllegung des Geschäftsbetriebes und separater Veräußerung der Vermögensgegenstände gegenüberzustellen ist. Der Unterschied zur Bewertung gesunder Unternehmen ist nach Born lediglich, „daß in den nächsten Jahren wegen der Umstrukturierung nur ein geringer oder sogar ein negativer Cash-flow anfällt.“31) Die gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 151 Abs. 2 InsO i. R. der Erstellung einer Ver- 28 mögensübersicht vorgeschriebene Einwertung der Aktiva des schuldnerischen Unternehmens nach Fortführungswerten, die regelmäßig im vorläufigen Insolvenzverfahren durchgeführt wird, ist von der Bewertung des Unternehmens bzw. seines Geschäftsbetriebes somit deutlich abzugrenzen. Wesentliche Parameter zur Entscheidung zwischen Liquidation und Fortführung sind somit 29 der Liquidationswert der Vermögensgegenstände auf der einen Seite sowie der ermittelte Unternehmenswert (Barwert der zukünftigen Einnahmenüberschüsse). Das IDW schlussfolgert: „Ist der Barwert der finanziellen Überschüsse aus der Zerschlagung (Liquidation) eines Unternehmens höher als der Barwert der finanziellen Überschüsse bei Fortführung des Unternehmens, bildet grundsätzlich der Liquidationswert die Wertungsuntergrenze der Unternehmensbewertung.“32)

Fortführungswerte folgen einer anderen Logik:

30

„Für die Bewertung der Vermögensgegenstände bei günstiger Fortführungsprognose soll der Wert als maßgeblich angesehen werden, für den ein (potenzieller) Käufer den Vermögensgegenstand beschaffen kann (= Wiederbeschaffungswert).“33)

Fortführungswerte weichen somit in der Regel deutlich vom Wert des Unternehmens bzw. 31 des Geschäftsbetriebs ab. Bereits Eugen Schmalenbach hob die Maßgeblichkeit der, mit einem Unternehmen zu er- 32 zielenden, zukünftigen Erfolge hervor und relativierte die von anderer Seite betonte Bedeutung einer Substanzwertbetrachtung, die sich im Fortführungsszenario in den Fort___________ 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)

Höffner, ZIP 1999, 2088, 2091. IDW S 1, S. 12. IDW S 1, S. 15. IDW S 1, S. 34. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 173. IDW S 1, S. 34. Brennecke/Augustin/Jauch, Regelinsolvenz: Einführung in das Insolvenzrecht, abrufbar unter http://www.brennecke.pro/180842/Regelinsolvenz-Einfuehrung-ins-Insolvenzrecht-Teil-4-4-1-Bewertungder-Vermoegensgegenstaende (Abrufdatum 3.5.2013).

Deichmann

807

§ 25

Teil III Einzelfragen

führungswerten ausdrückt.34) Die Bezugnahme auf Fortführungswerte als dominierende Entscheidungsgrundlage für die Veräußerung eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbetriebes i. R. eines Insolvenzverfahrens kann sich daher als massives Transaktionshemmnis auswirken. Als Folge droht dann die Liquidation, die mit dem Verlust der Arbeitsplätze und einer unzureichenden Gläubigerbefriedigung verbunden ist. 33 Mitlehner stellt klar, der Wert eines Geschäftsbetriebes sei unter Fortführungsgesichtspunkten nach dem Ertragswert- oder Discounted Cash-flow-Verfahren zu ermitteln – die nach § 151 Abs. 2 InsO vorgeschriebene Einzelsubstanzbewertung bilde hier jedoch gerade keine sachgerechte Betrachtungs- und Entscheidungsgrundlage.35) Abb. 7: Objektivierter Unternehmenswert in Abgrenzung zum subjektiven Kaufpreis Ertragswert, DCF-Verfahren

Strategische Überlegungen

Objektivierter Wert

+

Bieterwettbewerb

Finanzierung

Marktpositionierung

Geschäftsmodell

Strategische Prämie

Kunden/ Know-how Vergleichswerte

>> >> >> >>

Steuerliche Optimierung

=

Unternehmerische Führung

Subjektiver Kaufpreis

Synergieeffekte

Durchführung einer indikativen Bewertung als Grundlage eines belastbaren Wertargumentariums Zugrunde gelegter Business Plan muss konsistent und belastbar sein Quantifizierung realisierbarer Kosten- und Vertriebssynergien sowie möglicher Einflussfaktoren auf strategische Prämie Entscheidung über angemessenen Kaufpreis durch den Käufer

Quelle: Eigene Darstellung

34 Nach Born handelt es sich bei dem Marktwert eines Unternehmens bzw. eines Geschäftsbetriebes um einen „sich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage ergebenden Gleichgewichtspreis.“36) Picot ist der Meinung, dass der von einem Erwerber gezahlte Kaufpreis maximal der Summe aus Unternehmenswert und durch den Erwerber realisierbarer Synergien, abzüglich der Transaktionskosten ausmacht.37) 35 Während die rechnerische Ermittlung eines Unternehmenswertes i. R. des M&A-Prozesses somit eine Orientierungsgröße für Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung darstellen, bildet sich im wettbewerblichen Verkaufsprozess ein Marktpreis heraus, der anhand des zuvor ermittelten Marktpreises zu plausibilisieren ist. Die Durchführung eines strukturierten M&A-Prozesses dient daher der optimalen Entwicklung eines Bieterwettbewerbs unter den möglichen Interessenten. Ziel ist es hierbei, die Interessenten unter Zugzwang zu setzen, hinsichtlich Kaufpreis und Vertragsstruktur möglichst nahe an ihre individuelle Verhandlungsgrenze zu gehen, um den Zuschlag zu erhalten.38) Strukturierte M&A-Prozesse dienen somit der Optimierung des Transaktionserlöses und erleichtern zudem aufgrund der geschaffenen Transparenz über die Höhe und Qualität konkurrierender Gebote eine objektivierte Entscheidungsfindung auf Seiten des Insolvenzverwalters. ___________ 34) 35) 36) 37) 38)

808

Schmalenbach, Beteikigtenfinanzierung, S. 57. Mitlehner, ZIP 2000, 1825, 1827. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 15. Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 151. Schulz/Tauer, KSI, Heft 3/2008, S. 101, 102.

Deichmann

§ 25

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

Fundamental wichtig ist die Abgrenzung zwischen dem Gesamtwert des Unternehmens 36 und dem Wert des Eigenkapitals:39) x

Gesamtwert des Unternehmens: Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse, nicht bereinigt um den Marktwert des Fremdkapitals (Perspektive bei einer übertragenden Sanierung).

x

Wert des Eigenkapitals: Barwert der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse – bereinigt um den Marktwert des Fremdkapitals am Transaktionsstichtag (Perspektive i. R. der Umsetzung eines Insolvenzplans).

Abb. 8: Transaktionsstruktur i. R. einer übertragenden Sanierung Schuldnerin

NewCo Anlagevermögen Imm. Vermögensgegenstände

Übertragende Sanierung (Asset Deal)

Sachanlage

Unternehmenswert

Finanzanlage Umlaufvermögen Vorräte Transaktionsgegenstand

Kundenstamm vorhandene Aufträge Branding (Markenname) Know-how (Belegschaft)

Keine Übertragung der • Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (optional) • Verbindlichkeiten • Kasse und Bankguthaben

>>

Goodwill Working Capital Anpassung

Aufgrund der individuellen Transaktionsstruktur im Rahmen einer übertragenden Sanierung (keine Übertragung der Forderungen und Verbindlichkeiten) und des damit verbundenen Working-Capital-Anpassungsbedarfs ergibt sich möglicherweise ein Effekt auf die Ableitung des Unternehmenswertes

Quelle: Eigene Darstellung

Eine Besonderheit ist i. R. der übertragenden Sanierung im Vergleich zu sonstigen Asset 37 Deal-Transaktionen zu beachten: üblicherweise behält der Insolvenzverwalter die Forderungen und die Passiva40) des schuldernischen Unternehmens zurück und zieht diese selber ein. Somit wird an den Investor in der Regel nicht die Gesamtheit der Vermögensgegenstände veräußert. Der Investor verfügt somit nach Erwerb des Geschäftsbetriebs nicht über unmittelbare Zahlungsströme aus eingezogenen Forderungen und muss daher für die Anlaufphase nach Übernahme eine entsprechende Betriebsmittelfinanzierung arrangieren. Den hierfür erforderlichen Kapitalbetrag ziehen Investoren bei der Ermittlung des Kaufpreises für den Geschäftsbetrieb i. R. der übertragenden Sanierung vom ermittelten Gesamtwert des Unternehmens ab.

___________ 39) Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, S. 131 – 132. 40) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, S. 307.

Deichmann

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§ 25 4.

Teil III Einzelfragen Bezug zur Betriebsfortführung

38 Die Betriebsfortführung eines insolventen Unternehmens durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bildet die entscheidende Grundvoraussetzung für einen Erfolg versprechenden M&A-Prozess im Insolvenzverfahren. Nach Wellensiek „… hat die Sanierung eines insolventen Unternehmens von vornherein nur dann Erfolgschancen, wenn es gelingt, ohne längere Unterbrechungen den Betrieb weiterzuführen.“41)

39 Neben der Vermeidung eines Masseverzehrs i. R. der Betriebsfortführung kommt der Sicherung der Liquidität im Antragsverfahren wie auch im eröffneten Insolvenzverfahren eine maßgebliche Bedeutung zu. Hier stehen direkte und indirekte Finanzierungsmittel, u. a. das Massedarlehen, zur Verfügung.42) 40 Ziel des M&A-Prozesses i. R. der Betriebsfortführung ist es somit, für die Gläubiger durch Gewinnung eines Investors, i. R. einer übertragenden Sanierung oder aber der Umsetzung eines Insolvenzplans, eine Konzeption zu entwickeln, die eine maximale, das Liquidationsszenario übertreffende, Befriedigung der Gläubigerinteressen erlaubt. Somit dient der M&AProzess bei der Betriebsfortführung – wie auch das Insolvenzverfahren selber – „der Verwirklichung der subjektiven Rechte der Insolvenzgläubiger.“43) II.

Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht)

1.

Festlegung Transaktionsstrategie

41 Zu Beginn legen Mandant und M&A-Berater die Zielsetzung des M&A-Prozesses fest und leiten hieraus die Transaktionsstrategie ab. 42 M&A-Prozesse i. R. von Insolvenzverfahren verfolgen als Zielsetzung in der Regel x

die Veräußerung des Geschäftsbetriebes i. R. einer übertragenden Sanierung oder

x

den, in der Regel mehrheitlichen, Eintritt eines Investors zur Durchführung einer Kapitalerhöhung bei der insolventen Gesellschaft i. R. eines Insolvenzplans.

43 Beide Gestaltungsziele verfolgen eine wertoptimierende Transaktionsstrategie und tragen damit zu einer Befriedigung der Gläubigerinteressen bei. Grundvoraussetzung für beide Gestaltungsvarianten ist eine Fortführung des Unternehmens. Kommt es zu einer Betriebsstilllegung, so ist in der Regel aus Investorensicht kein werthaltiger Kern vorhanden, so dass lediglich die Einzelverwertung der Vermögensgegenstände in Betracht kommt. 44 Die im Insolvenzverfahren zu verfolgende Transaktionsstrategie hängt somit von der Gestaltung des Insolvenzverfahrens ab. x

In dem einen Fall wird der Geschäftsbetrieb des insolventen Rechtsträgers auf einen Erwerber übertragen und der insolvente Rechtsträger anschließend abgewickelt.

x

Der Insolvenzplan mit Eintritt des neuen Mehrheitsgesellschafters verfolgt das Ziel der Reorganisation und des langfristigen Erhalts des insolventen Rechtsträgers. Im Rahmen der Reorganisation des insolventen Rechtsträgers können – sofern mit dem Gläubigerinteresse vereinbar – auch in bestimmtem Umfang Interessen der bisherigen Gesellschafter des insolventen Unternehmens verfolgt werden.

___________ 41) Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 199. 42) Oppermann, S. 2 – 3. 43) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338.

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Deichmann

§ 25

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung 2.

Vorbereitung der Ansprachedokumentation

Zur ausführlichen Erstinformation der anzusprechenden Investoren-Interessenten wird ein 45 Informationsmemorandum (Fließtext) oder aber ein Fact Book in Präsentationsform erstellt. Nachstehend ein Überblick über die wesentlichen Inhalte eines solchen Dokumentes: Abb. 9: Aufbau und Inhalt Fact Book Aufbau und Inhalt Fact Book 1. Executive Summary

3.2 Beschreibung des Geschäftsgegenstandes

1.1 Überblick über die Geschäftstätigkeit

3.3 Produkt- und Dienstleistungsspektrum

1.2 Finanzielle Eckdaten

3.4 Organisation / Management Team / Personal

1.3 Investoren-Rationale

3.5 Prozesse und Ressourcen-Allokation

1.4 Ablauf Transaktionsprozess

3.6 Struktur des Kundenportfolios

2. Markt und Wettbewerb

3.7 Marketing / Vertrieb / Geschäftsanbahnung

2.1 Marktüberblick

3.8 Restrukturierungs- und Geschäftsstrategie

2.2 Marktentwicklung

4. Finanzdaten

2.3 Wettbewerbsumfeld

4.1 Historie / Laufendes Geschäftsjahr / Geschäftsplan

2.4 Marktpositionierung (SWOT-Profil)

4.2 Auftragsbestand und -vorlauf

3. Darstellung des Unternehmen im Einzelnen

4.3 Working Capital - Entwicklung

3.1 Historie und aktueller Status Quo

4.4 Bilanzauswerung / Vermögensbewertung

>> Das Exposé soll die angebotene Investitionsopportunität umfassend erläuterm und den potenziellen Investoren die Abgabe eines indikativen Angebotes ermöglichen >> Detaillierte Heraisarbeitung der Marktattraktivität sowie des Geschäftspotenzials >> Zurückhaltung von besonders sensiblen, u.U. wettbewerbsrelevanten Informationen für spätere Prozessphasen

Quelle: Eigene Darstellung

Das Fact Book sollte einen Investoren-Interessenten in die Lage versetzen, eine Entschei- 46 dung über die Weiterverfolgung des Investitionsvorhabens zu treffen und ein indikatives Erwerbsangebot abzugeben. Allerdings wird ein solches Dokument erst nach Unterzeichnung einer nach üblichen 47 Standards ausformulierten Vertraulichkeitsvereinbarung44) zur Verfügung gestellt.45) Die Erstansprache der Interessenten erfolgt in der Regel auch in Insolvenzverfahren über ein neutralisiertes Kurzprofil, um den möglichen Kollateralschaden der Transaktion für das im Transaktionsprozess befindliche Unternehmen zu minimieren. Nachstehend ein Beispiel für ein neutralisiertes Kurzprofil:

___________ 44) Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 194. 45) Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 180.

Deichmann

811

§ 25

Teil III Einzelfragen

Abb. 10: Aufbau und Inhalt Kurzprofil (Teaser wird auf anonymer Basis erstellt – „One-Pager“) Aufbau und Inhalt Kurzprofil 1. Projekthintergrund Kurzbeschreibung / Darstellung Unternehmen Zielsetzung und Rationale Transaktionsvorhaben Rolle des M&A-Beraters und Darstellung des Prozederes 2. Investment Highlights Kurzbeschreibung Investment Case / Rationale aus Erwerbersicht Darstellung der Stärken und der bestehenden Potenziale 3. Finanzkennzahlen Eckpunkte wesentlicher Schlüsselkennzahlen (z. B. Umsatz, Ergebnis, Mitarbeiter) 4. Weiteres Vorgehen Darstellung der weiteren Vorgehensweise Abbildung der Kommunikationskanäle

3.

Identifikation und Interessenlage der im Transaktionsprozess anzusprechenden Investoren-Interessenten

48 Als Investoreninteressenten kommen in erster Linie sowohl Finanzinvestoren als auch mögliche strategische Käufer in Betracht.46) Darüber hinaus treten in Insolvenzverfahren als Käufer häufig auch Privatpersonen aus dem Unternehmen auf.47) 3.1

Finanzinvestoren

49 Finanzinvestoren verfolgen in der Regel das Ziel, innerhalb eines Zeitraums von drei bis sieben Jahren, das i. R. einer Unternehmenstransaktion eingesetzte Kapital durch Veräußerung des Unternehmens zu vervielfachen.48) Innerhalb dieses Zeitraums soll das investierte Eigenkapital eine hohe Rendite erwirtschaften, „die dann an die Investoren weitergereicht werden kann“.49) Konkret soll der Betrag der eingesetzten Eigenmittel während der Halteperiode in der Regel verdoppelt oder verdreifacht werden. Finanzinvestoren entnehmen dem Unternehmen üblicherweise keine Ausschüttungen. Allerdings refinanzieren sie häufig einen bedeutenden Teil des Kaufpreises über die Aufnahme von Krediten. In diesem Fall nehmen Sie nach der Akquisition eine Verschmelzung der eingeschalteten Erwerbsgesellschaft mit der Zielgesellschaft vor, so dass der Kapitaldienst der Erwerbsgesellschaft direkt die Überschüsse des operativen Geschäftes der Zielgesellschaft mindert.50) 50 Finanzinvestoren führen nach Umsetzung einer Akquisition Optimierungsmaßnahmen zur Steigerung und Verstetigung der Profitabilität der Zielgesellschaft durch.51) Strukturelle Veränderungen infolge der Nutzung unternehmerischer Synergien (Zusammenlegung betrieblicher Einheiten des Zielunternehmens mit vorhandenen Aktivitäten) erfolgen nur bei sog. Folge-Akquisitionen über bereits vorhandene Beteiligungen. Im Falle der Über___________ 46) 47) 48) 49) 50) 51)

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Achleitner, Hdb. Investment Banking, S. 205. Ehlers/Meimberg, ZInsO 2010, 1169, 1172. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 11. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 7. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 6. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 6.

Deichmann

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

nahme einer Zielgesellschaft als Erst-Investment steht die Nutzung unternehmerischer Synergien nicht im Vordergrund, so dass in der Regel alle betriebsnotwendigen Unternehmensfunktionen erhalten bleiben.52) Auf die Qualität, Kontinuität und Motivation des vorhandenen Managements des Zielunternehmens wie auch die gemeinsame Verabschiedung eines mittelfristigen Businessplans legen Finanzinvestoren großen Wert, da sie selber keine aktive Rolle in der Unternehmensführung übernehmen. Private Equity-Investoren stellen „durch eine Beteiligung des Managements den Interessengleichlauf zwischen Investor und Management“ her.53) Das Spektrum der am deutschen Markt tätigen Finanzinvestoren gliedert sich u. a. in solche, 51 die in profitable und wachsende Unternehmen investieren, und solche, die ihren Investitionsfokus auf Unternehmen in Umbruch- und Sondersituationen ausgerichtet haben. Finanzinvestoren limitieren ihren Kapitaleinsatz in der Regel auf einen Betrag, der, in Re- 52 lation zu den kurzfristig erwarteten Überschüssen, eine attraktive Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital verspricht. Daher sind Finanzinvestoren üblicherweise zurückhaltend, wenn nach Übernahme ein zusätzlicher Kapitalbedarf entsteht. Hieraus kann sich im Vergleich zur Übernahme durch einen strategischen Investor ein höheres Risiko für eine Folge-Insolvenz ergeben. 3.2

Strategische Investoren

Die Motive strategischer Investoren bei der Übernahme von Unternehmen/Unternehmens- 53 teilen können vielfältig sein; im Vordergrund stehen in der Regel: x

Ausbau des Kundenportfolios;

x

Verbreiterung des Produktspektrums;

x

Erwerb einer zusätzlichen Marke;

x

Ausbau der Wertschöpfung in vor- oder nachgelagerte Bereiche;

x

Gewinnung zusätzlicher Produktionskapazitäten;

x

Realisierung von Economies of Scale;

x

Gewinnung gut ausgebildeter Fachkräfte.54)

Aus diesen Akquisitionsüberlegungen heraus lässt sich ein Investorenprofil ableiten, dass 54 es dem M&A-Berater erlaubt, im Zuge einer Internet- und Datenbank-Recherche eine hinreichende Grundgesamtheit von strategischen Investoren-Interessenten zu ermitteln (Longlist). Aus dieser Longlist wird im Dialog mit der Geschäftsleitung des insolventen Unternehmens/dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter der Kreis der tatsächlich anzusprechenden Investoren-Kandidaten abgeleitet (Shortlist). Strategische Investoren streben an, im Zuge der Eingliederung des zu erwerbenden Unter- 55 nehmens in den eigenen Verbund alle erzielbaren Effizienz-Reserven zu heben und sog. Synergie-Effekte zwischen der zu erwerbenden Einheit und dem vorhandenen eigenen Geschäft zu realisieren.55) Hierdurch ergibt sich in der Regel ein Interesse des Erwerbers, einzelne Funktionen des 56 zu erwerbenden Unternehmens anzupassen, zu verlagern oder mit bestehenden Aktivitäten zusammenzufassen. Nicht selten kommt es i. R. der Übernahme von Unternehmen durch ___________ 52) 53) 54) 55)

Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 11. Eilers/Koffka/Mackensen-Eilers/Koffka, Private Equity, S. 9 – 10. Ehlers/Memberg, ZInsO 2010, 1169, 1172. Ettinger/Jaques, Beck’sches Hdb. Unternehmenskauf im Mittelstand, S. 33.

Deichmann

813

§ 25

Teil III Einzelfragen

strategische Investoren zu Anpassungen des Management-Teams, da in der Regel durch den Erwerber Know-How aus der entsprechenden Branche vorgehalten wird. 57 Häufig sind strategische Investoren – im Gegensatz zu reinen Finanzinvestoren – in der Lage, aufgrund des Interesses, die Produktionskapazitäten zu vergrößern bzw. Absatz oder Versorgung zu sichern,56) i. R. der Übernahme eines Unternehmens/Geschäftsbetriebes zusätzliche Aufträge beim übernommenen Betriebsteil zu platzieren. Hierdurch ist es möglich, die Auslastung des übernommenen Geschäftsbetriebes kurzfristig zu optimieren. Zudem steht eine kurzfristige Renditeoptimierung für strategische Investoren nicht im Vordergrund, so dass die Bereitstellung von Liquidität – über die Geschäftsplanung hinaus und in überschaubarer Höhe – kein grundsätzliches Problem bereitet. 3.3

Investorenansprache

58 Nach erfolgter Freigabe der Liste anzusprechender Interessenten erfolgt eine telefonische oder schriftliche Kontaktaufnahme mit den zuvor recherchierten Entscheidungsträgern. Trotz der Öffentlichkeit von Insolvenzverfahren wird die Erstansprache mit Hilfe eines neutralen Kurzprofils durchgeführt, um die Identität des Unternehmens nicht unnötig preiszugeben. Nach Unterzeichnung der beigefügten Vertraulichkeitsvereinbarung57) erfolgt die Übersendung eines ausführlichen Informationsmemorandums (ggf. auch als Fact Book im Power Point-Format). Aufgrund der Erklärungsbedürftigkeit einer Investition in ein insolventes Unternehmen empfiehlt es sich, jedem ernsthaft interessierten Investor die Möglichkeit einzuräumen, sich i. R. einer Management-Präsentation einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. 4.

Durchführung von individuellen Management-Präsentationen

59 Die individuellen Management-Präsentationen sollten – noch plastischer als in Form des Fact Books oder des Informationsmemorandums möglich – insbesondere Antworten auf die folgenden Fragen geben: x

Welche Entwicklungen/Entscheidungen der Vergangenheit sind ursächlich für die eingetretene Insolvenz?

x

Verfügt das Unternehmen über ein intaktes Geschäftsmodell, so dass ein „Neustart“ nach Abschluss des Verfahrens möglich ist?

x

Kann das Unternehmen als Ganzes fortgeführt werden oder sind nur Teile des Unternehmens zukunftsfähig?

x

Können die Führungskräfte der ersten und zweiten Führungsebene einen „Neustart“ nach innen und nach außen glaubhaft verkörpern?

x

Besteht eine Chance auf Unterstützung des Unternehmens durch Kunden, Lieferanten und Finanzierer? Wie hoch sind hier jeweils die Abhängigkeiten?

x

Können die Schlüsselpersonen in der Belegschaft gehalten werden?

x

Welche Transaktionsstrukturen lassen sich mit welchen Chancen und Risiken umsetzen?

x

Welche Rolle kommt dem bisherigen Gesellschafterkreis zu und unterstützt der Gesellschafterkreis eine Unternehmensfortführung mit Eintritt eines neuen Mehrheitsgesellschafters?

Steht der je nach Transaktionsstruktur erforderliche Kapitalbedarf in einer gesunden Relation zu den zukünftigen Chancen? ___________ x

56) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Thierhoff/Liebscher, Unternehmenssanierung, S. 254. 57) Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 180.

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M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung x

§ 25

Welcher Zeitraum steht auch unter Liquiditäts-Gesichtspunkten zum Abschluss der Transaktion zur Verfügung?

Im Anschluss an ein solches individuelles Management-Gespräch, an dem ggf. auch der In- 60 solvenzverwalter oder Sachwalter teilnimmt, erfolgt die Aufforderung zur Abgabe eines indikativen Angebotes, zu einem nach Möglichkeit für alle Interessenten einheitlichen Termin. 5.

Einholung indikativer Erwerbsangebote

Um eine Vergleichbarkeit zwischen den Transaktionsalternativen Insolvenzplan und über- 61 tragende Sanierung unter dem Gesichtspunkt der Gläubigerbefriedigung sicherzustellen, empfiehlt es sich, die lnvestoren um Abgabe eines Angebotes, sowohl i. R. einer übertragenden Sanierung als auch im Falle des Eintritts als neuer (Mehrheits-) Gesellschafter i. R. eines Insolvenzplans, aufzufordern. Folgende Kriterien sollte die Angebotsaufforderung enthalten bzw. den Interessenten an die 62 Hand gegeben werden, um aussagekräftige und vergleichbare Angebots-Indikationen zu generieren: x

Identität und wirtschaftliche Verhältnisse des vorgesehenen Investors;

x

Insolvenzplan: x

Angabe eines nicht bindenden Betrages für die Barkapitalzufuhr, gegliedert nach vorgesehener Zufuhr von Eigen- und Fremdkapital.

x

Angabe der nach Durchführung der Barkapitalzufuhr beanspruchten Höhe der Beteiligung am Stamm- oder Grundkapital der Schuldnerin unter Berücksichtigung der Interessenlage der bisherigen Gesellschafter.

x

Übertragende Sanierung: Angabe eines nicht bindenden Kaufpreises für die Übernahme sämtlicher in der Definition des Transaktionsobjektes enthaltenen Vermögensgegenstände.

x

Angabe der von vom Interessenten angestrebten – vor Eintritt als Gesellschafter i. R. des Insolvenzverfahrens ggf. vorzunehmenden – Veränderungen am Transaktionsobjekt (z. B. Belegschaft,58) zu übernehmende Verträge59).

x

Angaben zur vorgesehenen Strategie für die Betriebsfortführung am Standort.

x

Angabe zur vorgesehenen Finanzierung der Transaktion und des erforderlichen Zeitraums zur ihrer Sicherstellung.

x

Erläuterung aller bestehenden Vorbehalte auf Investorenseite, wie z. B. Vorbehalte der Zustimmung von Entscheidungsgremien oder aber der Zustimmung von Finanzierungspartnern.

x

Beifügung einer möglichst vollständigen Übersicht zu den Informationen, die der Interessent i. R. einer Due Diligence-Prüfung im virtuellen Datenraum einsehen möchte.

Sofern die Interessenten Ihre Angebote am zuvor beschriebenen Raster ausrichten, lassen 63 sich die Möglichkeiten der Gläubigerbefriedigung pro vorgelegtem indikativen Angebot ableiten und es besteht die Möglichkeit einer Selektion der Kandidaten, die in die nächste Phase des Transaktionsprozesses (Due Diligene-Prüfung) eingeladen werden sollten.

___________ 58) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 203 – 214. 59) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 5.

Deichmann

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§ 25 6.

Teil III Einzelfragen Organisation einer Due Diligence-Prüfung

64 Zu den Aufgaben des M&A-Beraters gehört es auch, parallel zur Erstellung der Ansprachedokumente einen Datenbestand aufzubauen, der es erlaubt, einen aussagekräftigen Datenraum einzurichten. Ursprünglich wurde der entsprechende Datenraum in Papierform aufbereitet und in einem abgeschlossenen, nur ausgewählten und individuell zugelassenen Mitarbeitern/Beratern der Erwerbsinteressenten zugänglich gemacht. In der Zwischenzeit haben sich, von entsprechenden Dienstleistern entwickelte Lösungen für internet-basierte virtuelle Datenräume durchgesetzt, die es den Erwerbsinteressenten erlauben, auf den Datenbestand in elektronischer Form zuzugreifen. Aufgrund der getroffenen technischen Sicherheitsvorkehrungen kann von einer hohen Sicherheit des Datenbestandes ausgegangen werden.60) Nachstehend eine exemplarische Datenraumgliederung: Abb. 11: Grobgliederung eines virtuellen Datenraums 1

Gesellschaftsrechtliche Unterlagen

2

Vermögenswerte

3

Verbindlichkeiten / Forderungen

4

Verträge und Vereinbarungen

5

Informationstechnologie

6

Gewerbliche Schutzrechte (IP)

7

Steuerliche Verhältnisse

8

Arbeits- und dienstvertragsrechtliche Angelegenheiten

9

Öffentliches Recht/Umwelt

10

Rechtsstreitigkeiten

11

Verschiedenes

12

Organisatorische Verhältnisse

13

Wirtschaftliche Verhältnisse und strategische Planung

14

Markt und Wettbewerb

65 Die Investoren haben die Möglichkeit den Datenbestand einzusehen – nach Anforderung und Einzelfreigabe besteht auch die Möglichkeit zum Speichern bzw. Ausdrucken. Rückfragen erfolgen über ein spezielles Tool des virtuellen Datenraums, so dass alle Fragen und Antworten automatisch elektronisch dokumentiert werden. Zum unterzeichneten bzw. beurkundeten Transaktionsvertrag kann somit der gesamte Datenraum in Form einer CD-ROM als Anlage genommen werden. 66 Regelmäßig kommt arbeitsrechtlichen Fragestellungen i. R. der Due Diligence-Prüfung eine große Bedeutung zu, da häufig entweder das bestehende Personal in geeigneter Weise reduziert werden muss und/oder die bestehenden Vergütungsstrukturen an die reduzierten Umsatz- und Ertragsaussichten angepasst werden müssen. Im Rahmen einer übertragenden Sanierung entwickelt der Käufer ein aus seiner Sicht vertretbares „Erwerberkonzept“.61) Im Rahmen der Umsetzung eines Insolvenzplans nutzt das schuldnerische Unternehmen die Möglichkeiten der InsO, um die Personal- und Vergütungsstrukturen an die Vorstellungen des neuen Mehrheitsgesellschafters anzupassen.62) ___________ 60) Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 188. 61) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 208 – 210. 62) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Göpfert/Landauer, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 203 – 214.

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Deichmann

M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

Ebenso werden den Interessenten in der Due Diligence-Phase Einzelgespräche mit dem 67 Management-Team zu anderen Themen, wie z. B. Struktur des Kundenportfolios, Kalkulation der bestehenden Aufträge, Soll-Ist-Vergleiche der vergangenen Geschäftsjahre oder Bewertung des vorhandenen Anlage- und Umlaufvermögen, angeboten, die durch den M&A-Berater moderiert und dokumentiert werden. 7.

Einholung verbindlicher Erwerbsangebote

Nach Auswertung des Datenrauminhaltes werden die Interessenten nach Möglichkeit wie- 68 derum zu einem einheitlichen Termin zur Abgabe eines verbindlichen Erwerbsangebotes aufgefordert. Die Anforderungen an die Qualität eines verbindlichen Angebotes sind sehr hoch, da bei Annahme eines solchen Angebotes (nach Auswertung) die Möglichkeit der Weiterverfolgung alternativer Erwerbskonzepte aufgrund der Öffentlichkeitswirkung einer Angebotsannahme deutlich eingeschränkt wird. Insbesondere die folgenden Konkretisierungen müssen hierbei im Vergleich zum indikati- 69 ven Angebot erzielt werden: x

Die Transaktionsstruktur muss festgelegt sein.

x

Kaufpreis (übertragende Sanierung), Betrag der Kapitalzufuhr sowie Auswirkung auf die Gesellschafterstellung der Altgesellschafter (Insolvenzplan) müssen fixiert sein.

x

Der Investor muss nachweislich über die erforderlichen Finanzierungsmittel verfügen.

x

Ein unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten umsetzbares personalwirtschaftliches Konzept muss vorliegen.

x

Die möglichen kartellrechtlichen Implikationen müssen geklärt sein.

x

Ein „mark-up“ zum Entwurf des Transaktionsvertrages und im Fall eines Insolvenzplanverfahrens zum aktuellen Stand des Insolvenzplanentwurfs müssen vorliegen.

Diese Konkretisierung wird benötigt, um die eingehenden Angebote aus Sicht der Aus- 70 wirkungen auf die Gläubiger auszuwerten und abzugleichen. Die mit Veränderungen am Transaktionsobjekt verbundenen Kosten (wie z. B. Kosten für Personalabbau i. R. eines Erwerberkonzeptes) reduzieren 1:1 den den Gläubigern zufließenden Abgeltungsbetrag. 8.

Durchführung von Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss

Typisch für die Gestaltung von Transaktionsverträgen i. R. von Insolvenzverfahren ist der 71 sehr limitierte Spielraum für Gewährleistungen im Kaufvertrag zugunsten des Erwerbers (übertragende Sanierung) bzw. zugunsten des neuen Mehrheitsgesellschafters, der aufgrund eines Insolvenzplans die unternehmerische Führung übernimmt. Die Hintergründe hierfür liegen auf der Hand: x

Insolvenzverwalter veräußern Geschäftsbetriebe bei einer übertragenden Sanierung aus einer besonderen Rechtsstellung heraus, die es Ihnen nicht erlaubt, auf die Gläubiger, denen der Veräußerungserlös zukommt, ggf. zu übernehmende Gewährleistungsrisiken überzuwälzen.63)

x

Altgesellschafter, die aufgrund eines Insolvenzplanverfahrens in einem Transaktionsvertrag ihre Geschäftsanteile an einen neuen Mehrheitsgesellschafter übertragen, erhalten in der Regel einen sehr limitierten Kaufpreis,64) der es ihnen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr schwer macht, bedeutende Risiken aus Gewährleistungsklauseln zu übernehmen.

___________ 63) Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 311. 64) Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 229.

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§ 25

Teil III Einzelfragen

72 Zu den wichtigen Aufgaben des M&A-Beraters zählt es, in Insolvenz-Transaktionen weniger erfahrenen Investoren diesen Umstand frühzeitig zu kommunizieren. Hierdurch kann erreicht werden, dass nachhaltig interessierte Investoren eine besonders gründliche Due Diligence-Prüfung vornehmen, die es ihnen erlaubt, den angeforderten Gewährleistungskatalog zu minimieren.65) 73 Der Abschluss von Exklusivitäts- oder Kostenersatzvereinbarungen, der bei Mittelstandstransaktionen gelegentlich von Investoren gefordert wird, um das Risiko abzufedern, gegenüber konkurrierenden Investoren im Bieterverfahren zu unterliegen,66) kommt i. R. von Insolvenzverfahren nur selten in Betracht. Hier kann der Insolvenzverwalter nur dann Zugeständnisse machen, wenn der Interessent sein ernsthaftes Investitionsinteresse nach einer ausreichend detaillierten Prüfung in einem fortgeschrittenen Stadium des M&AProzesses dokumentiert und zugleich zur finalen Umsetzung einer Transaktion die Einräumung von Exklusivität verlangt. Weitere Entscheidungskriterien sind hierbei die Bonität und Seriosität des Interessenten sowie ein in Relation zum Unternehmenswert angemessenes Kaufpreisangebot.67) III.

Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&AProzess

1.

Im Eröffnungsverfahren

74 Hölzle stellt klar, auch ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter (ohne Verwaltungsund Verfügungsbefugnis; § 22 Abs. 2 InsO) habe die Aufgabe, das schuldnerische Unternehmen im Eröffnungsverfahren fortzuführen. Die Bestellung eines schwachen Insolvenzverwalters eröffne die Chance, dass das schuldnerische Unternehmen ein gerichtliches Sanierungsverfahren nutzt, um „rechtzeitig unter gerichtlicher Aufsicht durch einen Insolvenzplan oder auf sonstige Weise mit den Gläubigern eine einvernehmliche Schuldenregulierung herbeizuführen …“68)

75 Der schwache Insolvenzverwalter „tritt daher nicht an die Stelle, sondern an die Seite des Schuldners.“69) 76 In Bezug auf den M&A-Prozess im Eröffnungsverfahren ergibt sich somit, dass in der Regel das schuldnerische Unternehmen den für die längerfristige Unternehmens- oder Betriebsfortführung mit verändertem Gesellschafterhintergrund erforderlichen M&AProzess beauftragt. Unter Rz. 17 wurde ausgeführt, dass der M&A-Berater ausschließlich als Vertreter der Interessen seines Mandanten auftritt. Insbesondere dann, wenn das schuldnerische Unternehmen von einem Gesellschafter-Geschäftsführer geleitet wird, ist somit im Eröffnungsverfahren die folgende – komplexe – Interessenlage gegeben: x

Der Gesellschafter-Geschäftsführer wird nicht nur durch die Perspektive als Organ, sondern auch als Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens den anstehenden M&A-Prozess betrachten. Diese Perspektive wird sich dann noch verstärken, wenn von Gesellschafterseite den Gläubigern des schuldnerischen Unternehmens Sicherheiten gestellt wurden.

Der vorläufige Insolvenzverwalter (mit oder ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) nimmt gemäß § 22 InsO primär die Interessen der Gläubiger des schuldnerischen Unternehmens war. ___________ x

65) 66) 67) 68) 69)

818

Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 311, 336. Picot, Hdb. Mergers & Acquisitions, S. 184. Krüger/Kaufmann, ZIP 2009, 1096, 1097. Hölzle, ZIP 2011, 1890. Hölzle, ZIP 2011, 1890.

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M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

Die von Kranzusch/Icks für das Land Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2002 bis 2007 77 ermittelte, sehr geringe Befriedigungsquote der Gläubiger (in 75 % der ausgewerteten Verfahren erhielten die Gläubiger keinerlei Rückführung)70) legt nahe, dass die Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens in der Regel keinen nennenswerten Rückfluss erwarten können. Kranzusch/Icks stellen dar, dass die in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Untersuchung für die ganze Bundesrepublik als repräsentativ angesehen werden kann.71) Dennoch zeigt die Beratungspraxis, dass die weiterhin im Amt befindliche Geschäftsleitung, 78 insbesondere wenn sie auch Gesellschafterinteressen verfolgt, nicht nur nach einer optimalen Gläubigerbefriedigung strebt, sondern naturgemäß auch die eigene unternehmerische Zukunft im Auge hat. „Den Gesellschaftern droht der Verlust des von Ihnen eingesetzten Eigenkapitals, wenn die Sanierung des Unternehmens misslingt. Die von Ihnen gehaltenen Gesellschaftsanteile verlieren in der Krise regelmäßig an Wert oder werden unverkäuflich. Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich vergleichbare Leistungen der Gesellschafter sind in der Insolvenz per se nachrangig gestellt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Mit der Einsetzung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters verlieren die Gesellschafter überdies die Kontrolle über die Gesellschaft, weil ihre Kompetenzen als Gesellschafter weitgehend durch die Befugnisse des Insolvenzverwalters verdrängt werden. Um einen Wert- und Kontrollverlust zu vermeiden, sind Sie daher in der Regel bemüht und daran interessiert, eine Sanierung des Unternehmens zu erreichen, solange sie dessen Geschicke (mit-)bestimmen und einen Gegenwert für ihr investiertes Kapital erhalten können.“72)

Von besonderem Vorteil ist es, wenn eine weiterhin im Amt befindliche Geschäftsleitung 79 zusammen mit dem M&A-Berater und dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Zukunftsvision für das durch die Insolvenz sanierte Unternehmen entwickelt und gegenüber Investoren glaubhaft vertritt. Hierzu gehört in der Regel auch eine auf drei Geschäftsjahre (nach Insolvenz) ausgelegte Bilanz-, GuV (Gewinn- und Verlustrechnung)- und Liquiditätsplanung – unterlegt durch valide ermittelte Planungsprämissen. Die GuV-Planung ist hierbei bottom-up kundenbezogen aufzubauen, damit Investoren der Planung Vertrauen entgegenbringen. Diese divergierenden Interessen73) lösen sich u. a. dadurch auf, dass die Geschäftsleitung 80 nur mit Zustimmung des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters (sofern das AG angeordnet hat, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters getroffen werden können)74) einen M&A-Berater beauftragen und einen entsprechenden Prozess initiieren kann. Somit kann sichergestellt werden, dass dieser Prozess auch im Eröffnungsverfahren im Gläubigerinteresse durchgeführt wird. Die Praxis zeigt jedoch in manchen Fällen, dass die bestehende Geschäftsleitung aus ver- 81 schiedenen Gründen häufig nicht mehr in der Lage ist, einen plausiblen mittelfristigen Geschäftsplan zu entwickeln und vor Investoren-Interessenten glaubwürdig zu vertreten. Hinderlich ist im Eröffnungsverfahren die Einsetzung eines (schwachen) Insolvenzver- 82 walters dann, wenn noch vor Verfahrenseröffnung der Geschäftsbetrieb vollständig oder in Teilen i. R. einer übertragenden Sanierung veräußert werden soll. Dies ist z. B dann der Fall, wenn die Liquidität für eine Fortführung bis zur Verfahrenseröffnung nicht aus dem ___________ 70) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/publikationen/ ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&cHash=efae2f2cc 5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum 3.5.2013). 71) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 34, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/publikationen/ ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&cHash=efae2f2cc 5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum 3.5.2013). 72) Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 226. 73) Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 227. 74) Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162.

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§ 25

Teil III Einzelfragen

operativen Cash-flow oder aber einem Massedarlehen gesichert werden kann. Im Eröffnungsverfahren bietet die Insolvenzgeldvorfinanzierung einen Hebel zu Unternehmensstabilisierung. Daher bietet es sich an, sofern frühzeitig ein nach Insolvenzeröffnung eintretender Liquiditätsmangel absehbar ist, das Zeitfenster des Eröffnungsverfahrens zu nutzen, um zügig zu einem Vertragsabschluss mit einem Investor zu gelangen.75) 83 In diesem Fall haben vom Investor verlangte und durch den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter im Kaufvertrag zugestandene Freistellungen (z. B. von nicht übernommenen Verbindlichkeiten) oder aber Gewährleistungen hinsichtlich eines bestimmten Zustandes des Transaktionsgegenstandes nicht den Charakter von Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich von Insolvenzforderungen.76) Als Lösungsmöglichkeit bietet sich hier an, vor Vertragsabschluss eine entsprechende Verfügungsbefugnis bei Gericht einzuholen. Hierdurch wird der (schwache) vorläufige Insolvenzverwalter partiell zum (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt – die insoweit begründeten Verbindlichkeiten sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen.77) Auch drohen erhebliche Anfechtungsrisiken.78) Rhein schlussfolgert daher, dass eine rechtssichere Transaktion die Zustimmung des Schuldners – sofern noch vertretungsbefugt – sowie des Insolvenzgerichts oder der Gläubiger voraussetze. 2.

Im eröffneten Verfahren

2.1

Mit Insolvenzplan

84 Die InsO führt in § 218 Abs. 1 aus: „Zur Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht sind der Insolvenzverwalter und der Schuldner berechtigt“.

85 Spies stellt fest, in § 1 InsO sei bestimmt, „dass das Insolvenzplanverfahren als gleichberechtigte Alternative zur Regelabwicklung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger dient.“79)

86 Der Insolvenzplan dient der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes durch einen redlichen Schuldner.80) Der bestehende Rechtsträger wird somit erhalten und seine rechtsträgerspezifischen Berechtigungen, die ein Hindernis für die Umsetzung einer übertragenden Sanierung darstellen können, bleiben erhalten.81) Der Investor, der i. R. eines Insolvenzplans als neuer (Mehrheits-)gesellschafter in den sanierten Rechtsträger eintritt, kann in der Regel durch Eintritt i. R. eines Insolvenzplans drei kommerzielle Vorteile realisieren: x

Rückgriff auf bestehende Finanzierungen und Forderungen: Innerhalb der Regelungen des Insolvenzplans kann auf bestehende Finanzierungen des schuldnerischen Unternehmens, u. a. durch Lieferanten und Kreditinstitute, zurückgegriffen werden. Ebenso zieht das sanierte schuldnerische Unternehmen die bestehenden Forderungen ein, so dass der durch den Investor initial aus eigenen Mittel (Guthaben/Kreditlinien) zu erbringende Liquiditätsbetrag in der Regel im Vergleich zur übertragenden Sanierung deutlich geringer ausfällt. Insbesondere in einer Phase der Zurückhaltung vieler Banken

___________ 75) 76) 77) 78) 79) 80) 81)

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Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 891. Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162. Hönig/Mayer-Löwy, ZIP 2002, 2162. Eilers/Koffka/Mackensen-Rhein, Private Equity, S. 239. Spies, ZInsO 2005, 1254, 1255. Spies, ZInsO 2005, 1254, 1255. Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157.

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M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

bei der Kreditvergabe82) ist dieser Aspekt von Bedeutung für die sichere Umsetzung einer M&A-Transaktion i. R. eines Insolvenzverfahrens. x

Höherer Ansatz der Vermögensgegenstände in der Bilanz: In bislang durchgeführten Transaktionsverfahren konnte festgestellt werden, dass nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens in der Regel die Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens in der Bilanz des sanierten Rechtsträgers mit höheren Werten zu Buche stehen als in der Eröffnungsbilanz des erwerbenden (neuen) Rechtsträgers i. R. einer übertragenden Sanierung. Hieraus ergibt sich für die Zukunft aus Sicht des fortführenden Investors ein steuerminderndes erhöhtes Abschreibungsvolumen.

x

Höhere Eigenmittelquote nach Abschluss der Transaktion: In der Praxis ist zu beobachten, dass aufgrund des üblicherweise bedeutenden, von der Ertragsbesteuerung freizustellenden Sanierungsgewinns, der sanierte Rechtsträger nach Abschluss eines Planinsolvenzverfahrens eine als attraktiv einzuschätzende Eigenmittelquote aufweist. Insbesondere weil bei übertragenden Sanierungen der bilanzielle Hebel des steuerfreien Sanierungsgewinns wegfällt, liegt die Eigenmittelquote eines neuen Rechtsträgers, der den Geschäftsbetrieb des identischen schuldnerischen Unternehmens i. R. einer übertragenden Sanierung erworben hat, deutlich niedriger. Diese Erfahrungen konnte der Verfasser i. R. von ergebnisoffenen Bieterverfahren machen, in denen den Interessenten die Wahl gelassen wurde zwischen dem Eintritt über einen Insolvenzplan und dem Erwerb des Geschäftsbetriebs i. R. einer übertragenden Sanierung.

Die Möglichkeit des Einstiegs des Investors durch einen Insolvenzplan als neuer Mehrheits- 87 gesellschafter in das sanierte schuldnerische Unternehmen, als Alternative zur übertragenden Sanierung, kann die Erfolgsaussichten des M&A-Prozesses erhöhen und somit die Perspektiven für eine optimale Gläubigerbefriedigung verbessern. Nach den bisher vorliegenden, noch nicht wirklich vollständig aussagekräftigen, Unter- 88 suchungen ergeben sich bei Insolvenzplanverfahren teils deutlich höhere Quoten zugunsten der Gläubiger als bei i. R. einer Regelabwicklung durchgeführten Insolvenzverfahren – allerdings ist zu beachten, dass die für die Gläubiger bei übertragenden Sanierungen erzielten Quotenergebnisse bislang nicht nachhaltig ausgewertet wurden.83) Planinsolvenzverfahren zeichnen sich zwar insgesamt durch eine kürzere Verfahrens- 89 dauer aus als Regelinsolvenzverfahren (Phase der Abwicklung des Rechtsträgers nach Veräußerung des Geschäftsbetriebs entfällt),84) hingegen kann sich der M&A-Prozess i. R. eines Planinsolvenzverfahrens gegenüber demjenigen einer übertragenden Sanierung auf der Zeitschiene deutlich länger hinziehen. Alleine die Einhaltung der Frist zur Anberaumung eines Erörterungs- und Abstimmungstermins über den Insolvenzplan gemäß § 235 Abs. 1 InsO, die nicht mehr als einen Monat betragen soll, ist zu berücksichtigen. In der Regel vergehen sechs bis acht Monate zwischen Insolvenzantragsstellung und Planbestätigung. Eine übertragende Sanierung kann bereits unmittelbar bei Verfahrenseröffnung und somit ca. drei Monate nach Stellung des Insolvenzantrages erfolgen. Für den erfolgreichen Abschluss eines Investorenprozesses i. R. eines Insolvenzplans 90 kommt der operativen Entwicklung des fortgeführten Geschäftsbetriebs während des ___________ 82) Braunberger/Mussler, FAZ v. 2.2.2012, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihenzinsen/schuldenkrise-verschaerfte-kreditbedingungen-im-euroraum-11634518.html (Abrufdatum 3.5.2013). 83) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/publikationen/ ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&cHash=efae2f2c c5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum 3.5.2013). 84) Kranzusch/Icks, IfM-Materialien, Nr. 186, S. 36, abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org/ publikationen/ifm-materialien/publikationendetail/?tx_ifmstudies_publicationdetail[publication]=283&c Hash=efae2f2cc5ca6719aadf72535e17195e (Abrufdatum 3.5.2013).

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§ 25

Teil III Einzelfragen

Insolvenzverfahrens eine Schlüsselrolle zu. Während im vorläufigen Insolvenzverfahren grundsätzlich von einer Verpflichtung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Unternehmensfortführung auszugehen ist, muss dieser im eröffneten Verfahren fortlaufend prüfen, „ob die Fortführung des Unternehmens noch mit den Interessen der Gläubiger vereinbar ist.“85) Somit ist eine Situation denkbar, in der der Insolvenzverwalter entscheiden muss, die Unternehmensfortführung aufgrund sich verschlechternder wirtschaftlicher Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens während des Investorenprozesses zu beenden. Wenn es dann nicht gelingt, kurzfristig eine übertragende Sanierung umzusetzen, sind die Unternehmensfortführung und der M&A-Prozess gescheitert. Die Weiterverfolgung der Option eines Insolvenzplans mit Gesellschafterwechsel erübrigt sich aufgrund des reduzierten Zeithorizontes zur Umsetzung. 91 Als Risikofaktor ist hier auch eine Ablehnung des Insolvenzplans im Abstimmungstermin einzuschätzen. Gelingt es nicht, den zusammen mit dem Investor entwickelten Plan im Abstimmungstermin durchzusetzen, so droht ein Scheitern des Investorenprozesses, da in der Regel vor Einreichung des Insolvenzplans bei Gericht eine Festlegung auf den präferierten Investor erfolgt. Alternative Investorenkandidaten sind in einer solchen Konstellation nicht zwingend nochmals zu motivieren, diese Beteiligungsmöglichkeit in Erwägung zu ziehen. 92 Die Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren mit Insolvenzplan eröffnet somit für Investoren und Gläubiger zugleich die Nutzung bedeutender ökonomischer Vorteile. Auf dem Weg hin zur Realisierung dieser Vorteile sind jedoch erhöhte Risiken im Transaktionsprozess in Kauf zu nehmen. 93 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass § 217 Satz 2 in Kombination mit § 225a InsO „die Möglichkeit der Einbeziehung von Gesellschafterrechten in die Reorganisation der Insolvenzschuldnerin durch einen Insolvenzplan“ vorsieht.86) Diese Regelung erlaubt es z. B. Druck auf Altgesellschafter auszuüben, die i. R. der Übertragung der Mehrheit der Geschäftsanteile auf einen Investor eine unrealistische Erlöserwartung hinsichtlich der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile formuliert haben. Der Investoreneintritt erfolgt i. R. von Insolvenzplänen in der Regel im Wege einer Barkapitalerhöhung, die eine massive Verwässerung der Altgesellschafter zur Folge hat. Investoren streben häufig die Kontrolle über 100 % der Geschäftsanteile an und haben daher das Ziel, den Altgesellschaftern die nach Verwässerung verbleibende Restbeteiligung zu moderaten Bedingungen abzukaufen.87) 2.2

Ohne Insolvenzplan

94 Eine Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren ohne Insolvenzplan kann für den M&AProzess bedeuten, dass die unter Rz. 76 ff. beschriebenen unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Geschäftsleitung und Insolvenzverwaltung durch Verzicht auf die weitere Mitwirkung der bisherigen Geschäftsleitung aufgelöst wird.88) Der Verzicht auf die weitere Mitwirkung der bisherigen Geschäftsleitung hat insgesamt die folgenden Konsequenzen: Keine Belastung des Investorenprozesses durch eine Geschäftsleitung mit abweichendem Zielsystem. x Chance für die Investoren-Interessenten, die Geschäftsleitung nach Umsetzung der übertragenden Sanierung neu zu besetzen. ___________ x

85) 86) 87) 88)

822

Wellensiek in: FS Uhlenbruck, S. 211. Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2428. Thierhoff/Müller/Illy/Liebscher-Undritz, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 336. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 659.

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M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung

§ 25

x

Chance für die zweite Führungsebene des schuldnerischen Unternehmens, sich im Investorenprozess zu profilieren.

x

In der Regel eingeschränkte Möglichkeit, eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln.

x

Reduzierte Chance einen Finanzinvestor zu gewinnen.

Insgesamt bietet die Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren ohne Insolvenzplan die 95 Chance, einen Investorenprozess kurzfristig nach Verfahrenseröffnung mit hoher Transaktionssicherheit abzuschließen. Die unter Rz. 90 beschriebenen Risiken aus der möglichen Beendigung der Betriebsfortführung im Vorfeld des Abstimmungstermins, wie auch das Risiko einer Abweisung des Plans im Abstimmungstermin, entfallen. Ebenso entfallen jedoch auch die bei Rz. 88 beschriebenen Potentiale, die – durch den Investor genutzt – die Gläubigerbefriedigung optimieren können. Denkbar ist aber auch hier ein Scheitern des Investorenprozesses: der Autor hat in einem 96 jüngst erfolgreich abgeschlossenen Investorenprozess die Erfahrung gemacht, dass ohne Insolvenzplan (und Weiterfinanzierung des sanierten Unternehmens durch seine bisherigen Hausbanken) eine erfolgreiche Transaktion mangels einer alternativen, den Interessenten zur Verfügung stehenden Bankfinanzierung ausgeschlossen gewesen wäre. Die Vorlage eines mit den Hausbanken als Hauptgläubiger abgestimmten Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter bildete hier somit eine wesentliche Bedingung für den erfolgreichen Abschluss des Investorenprozesses und somit des Insolvenzverfahrens. 3.

In der Eigenverwaltung

Hier sind die bei Rz. 86 ff. bereits aufgeführten Vor- und Nachteile, die sich aus der Vor- 97 lage eines Insolvenzplans für die Umsetzung des Investorenprozesses und damit auch für die Erzielung eines aus Gläubigersicht akzeptablen Ergebnisses des Insolvenzverfahrens gleichlautend ergeben, zu berücksichtigen. Hinzu kommen die folgenden Elemente:

98

x

Ergänzung der Geschäftsleitung: Im Rahmen der Eigenverwaltung kommt es in der Regel zu einer Neubesetzung in der Geschäftsleitung des schuldnerischen Unternehmens durch einen erfahrenen Insolvenzrechtsexperten. Ziel dieser Maßnahme ist es, das Vertrauen der Arbeitnehmer, Lieferanten, Gläubiger und Mitarbeiter, wie auch der sonstigen Stakeholder des schuldnerischen Unternehmens, in die Geschäftsleitung wieder herzustellen.89)

x

Anreiz für eine rechtzeitige Insolvenzantragsstellung mit einem ersten Sanierungskonzept: Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bildet einen Anreiz für die Geschäftsleitung des schuldnerischen Unternehmens, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen und hierbei ein erstes Sanierungskonzept vorzulegen.90) „Die Kombination aus Eigenverwaltung und Insolvenzplan bietet sich geradezu an. Denn der Schuldner, der daran interessiert ist, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht zu verlieren, verbindet diese Absicht mit dem Ziel, eine Erhaltungslösung für sein Unternehmen zur verwirklichen.“91)

Die Gläubiger und sonstigen Stakeholder haben das Recht, i. R. des vorläufigen Gläubigerausschusses, zu dem vorgelegten Sanierungskonzept Stellung zu nehmen.92) Hier___________ 89) 90) 91) 92)

Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 645. Spies, ZInsO 2005, 1254, 1259; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1340. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 649; Spies, ZInsO 2005, 1254, 1256. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 661.

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§ 25

Teil III Einzelfragen

aus folgt in der Regel, dass die Gläubiger und die sonstigen Beteiligten den für das insolvente Unternehmen handelnden Personen sowie dem gesamten Restrukturierungsprozess das erforderliche Vertrauen entgegenbringen, das auch erforderlich ist, um bei den Verhandlungen mit interessierten Investoren eine Konzeption zu entwickeln, die aus Investorensicht tragfähig und aus Gläubigersicht akzeptabel ist. x In der Regel optimale Möglichkeit, eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln: Die Ergänzung der Geschäftsleitung durch einen Experten mit insolvenzrechtlichem Sachverstand erlaubt es, frühzeitig eine fundierte mittelfristige Unternehmensplanung zu entwickeln, die die bestehenden insolvenzrechtlichen Gestaltungsspielräume ausnutzt und aus Sicht interessierter Interessenten einen Anreiz schafft, als neuer (Mehrheits-)gesellschafter in den zu sanierenden Rechtsträger einzutreten. 99 Der M&A-Prozess wird durch die Betriebsfortführung i. R. der Eigenverwaltung nochmals gegenüber der Betriebsfortführung mit Insolvenzplan (Rz. 86 ff.) begünstigt. Die schnelle Transaktionsumsetzung, die eine Betriebsfortführung ohne Insolvenzplan ermöglicht (Rz. 95 ff.), kann allerdings nicht realisiert werden. Allerdings fokussiert sich in der Praxis zunehmend das Investoreninteresse bei größeren Transaktionen auf den Einstieg über einen Insolvenzplan. 4.

Im Schutzschirmverfahren

100 Das Schutzschirmverfahren begünstigt die Erfolgsaussichten eines M&A-Prozesses i. R. einer Betriebsfortführung aus folgenden Gründen gegenüber dem Planverfahren in Eigenverwaltung: Geringere Störung der Gläubiger-Beziehungen: Das am Markt zu platzierende Unternehmen ist bei Antragstellung noch nicht zahlungsunfähig; der Antrag wird bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt.93) x Erleichterte Willensbildung: Der Antrag auf Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens kann verbunden sein mit dem Vorschlag des Schuldners auf Bestellung eines bestimmten Sachwalters.94) In der Regel muss das Gericht diesem Vorschlag folgen.95) Dieser quasi-verbindliche Vorschlag eines „mitgebrachten Sachwalters“96) vermeidet das ansonsten in der Eigenverwaltung angelegte Konfliktpotential zwischen Sachwalter und Geschäftsleitung.97) x Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre: Laut Hölzle sperrt bereits der Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens „die gesellschaftsrechtlich den Gesellschaftern vorbehaltenen Kompetenzen …“98) Hierdurch können Einflüsse obstruierender Gesellschafter, die das Insolvenzverfahren insgesamt und insbesondere den Investorenprozess belasten könnten, verhindert werden. 101 Grundsätzlich birgt das Schutzschirmverfahren für den M&A-Prozess Vorteile, da die Gläubigerbeziehungen in der Regel in einem Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung nach § 270b InsO noch nicht vollständig zerrüttet sind, der Willlensbildungsprozess auf Seiten des schuldnerischen Unternehmens erleichtert wird und störende Einflüsse aus dem Gesellschafterkreis abgewehrt werden können. ___________ x

93) 94) 95) 96) 97) 98)

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Schelo, ZIP 2012, 712; Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 661. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662; Schelo, ZIP 2012, 712, 713. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 662. Mönning in: FS Wellensiek, S. 641, 657 – 660. Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2428.

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M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung IV.

§ 25

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung

Der M&A-Prozess i. R. der Unternehmensfortführung dient einer Gläubigerbefriedigung, 102 die in der Regel höher ausfällt als bei der Unternehmensliquidation. Er ist angelegt als ein Bietungsverfahren, in dem eine ausreichend große Anzahl geeigneter strategischer Investoren und Finanzinvestoren auf die möglichst detailliert und zukunftsbezogen beschriebene Investitionsmöglichkeit angesprochen werden. Als Messlatte für strategische Entscheidungen des Insolvenzverwalters i. R. von M&A- 103 Prozessen steht der, aus den in der Zukunft erzielbaren Zahlungsströmen abzuleitende Zukunftserfolgswert des schuldnerischen Unternehmens zur Verfügung. Zur Bewertung von Unternehmen/Geschäftsbetrieben bilden die verschiedenen Methoden zur Abschätzung der zukünftig mit dem Unternehmen/Geschäftsbetrieb erzielbaren Zahlungsüberschüsse die geeignete Entscheidungsgrundlage. Während im Eröffnungsverfahren in der Regel die Interessen von Geschäftsleitung, Ge- 104 sellschaftern und vorläufigem Insolvenzverwalter (Sachverwalter) parallel zur Entfaltung kommen, stehen die Gläubigerinteressen im eröffneten Verfahren im Fokus. Während der Insolvenzplan für einen Investor verschiedene wirtschaftliche Vorteile be- 105 inhaltet, die mit der Unsicherheit eines länger andauernden Transaktionsprozesses erkauft werden müssen, bietet die klassische übertragende Sanierung in der Regel ein überschaubares Ergebnis für die Gläubiger, aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit für den erfolgreichen Abschluss des Transaktionsprozesses und damit des Insolvenzverfahrens – sofern den Investoren die erforderliche Liquidität zur Verfügung steht. Die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren im Besonderen erleichtern eine frühzeitige Einleitung des Restrukturierungsverfahrens und zugleich die Ausarbeitung eines detaillierten mittelfristigen Wirtschaftsplan des zu restrukturierenden Unternehmens. Begibt sich ein Unternehmen unter den „Schutzschirm“ des § 270b InsO, so sind die Einflussmöglichkeiten von Gesellschaftern, die eine Sanierung behindern möchten, sehr begrenzt. Insolvenzplan, Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren setzen eine Mindestgröße 106 des Unternehmens voraus. Je nach Gegenstand des Unternehmens sowie der mittelfristig mit dem Unternehmen erzielbaren Ergebnismargen ist in etwa ab einer Umsatzgrößenordnung i. H. von 25 Mio. € pro Jahr davon auszugehen, dass diese Alternativen zur klassischen übertragenden Sanierung unter Kostengesichtspunkten ernsthaft in Erwägung gezogen werden können. Die durch das ESUG geschaffenen Möglichkeiten der Gestaltung von Insolvenzverfahren 107 senken das Risiko einer Liquidation des schuldnerischen Unternehmens – die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Fortführung des zu sanierenden Unternehmens steigt.99) Der Verfasser erwartet, dass die durch das ESUG geschaffenen Erleichterungen bei der 108 Unternehmenssanierung die Perspektiven für erfolgreiche M&A-Prozesse i. R. der Unternehmensfortführung weiter verbessern. Hierdurch kann erreicht werden, dass die Gläubiger schuldnerischer Unternehmen höhere Quoten auf ihre Forderungen zu realisieren vermögen und zugleich möglichst viele mittelständische Unternehmen und somit Arbeitsplätze erhalten werden können.

___________ 99) Roland Berger Strategy Consultants/Noerr LLP/Noerr Consulting AG, ESUG-Studie 2012, S. 29, abrufbar unter http://www.rolandberger.com/media/pdf/Roland_Berger_ESUG-Studie_20121106.pdf (Abrufdatum 3.5.2013).

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§ 26 Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz Übersicht I. II. 1. 2. 3. III.

Einführung .................................................. 1 Ermittlung der Massezulänglichkeit ........ 7 Insolvenzspezifische Pflicht ........................ 7 Drohende Masseunzulänglichkeit............... 9 Berechnung der Masseunzulänglichkeit ... 11 Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung ................................................... 18 IV. Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ....................................... 22 1. Allgemeine Auswirkungen ........................ 22 1.1 Fortbestand der Abwicklungspflichten........................................... 24 1.2 Richtungswechsel der Verfahrensziele ........................................... 25 1.3 Rangverschiebung nach § 209 InsO................................................. 33 1.4 Pflicht zur gesonderten Rechnungslegung .................................... 36 2. Auswirkungen auf relevante Sachverhalte i. R. einer Betriebsfortführung ....................................................... 37 3. Auswirkungen auf gegenseitige Verträge und Dauerschuldverhältnisse ........... 43 3.1 Auswirkungen auf gegenseitige Verträge gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO....................................... 44

3.2

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO) – nach dem nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt ....................................... 46 3.3 Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) – Inanspruchnahme der Gegenleistung ............................................... 50 4. Prozessuale Auswirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit....... 52 4.1 Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO .................................... 52 4.2 Prozessuale Geltendmachung durch Feststellungsklage ............. 54 5. Aufrechnung............................................ 56 V. Haftung ................................................... 58 VI. Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung .................................... 65 VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan ......................................... 68 VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit ............................................ 71 IX. Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit ......................... 72

Literatur: Adam, Regeln für die Verwaltung unzulänglicher Massen, DZWIR 2011, 485; Bönner, Unternehmerisches Ermessen und die Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich mit anderen gesetzlich geregelten Vermögensverwaltern, Diss., 2009; Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2011; Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, Diss., 2006; Büchler, Haftungsrisiken bei „faktischer Masseunzulänglichkeit“, ZInsO 2011, 1240; Busch, Der Insolvenzverwalter und die Überwindung der Massearmut, Diss., 2005; Dinstühler, Die Abwicklung massearmer Verfahren nach der Insolvenzordnung, ZIP 1998, 1697; Gundlach/Frenzel/Jahn, Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO, DZWIR 2011, 177; Hees/ Stange, Verzugszinsen auf Altmasseverbindlichkeiten trotz Masseunzulänglichkeit, ZIP 2013, 1206; Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren, 2002; Kögel, Die Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeitsanzeige auf beidseitig nicht oder nicht vollständig erfüllte Verträge, Diss., 2007; Kübler, Die Behandlung massearmer Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2009; Laws, Die Haftung des Insolvenzverwalters nach der Insolvenzordnung, Diss., 2011; Mönning/Hage, Die Regulierung von Fortführungsverbindlichkeiten mittels Treuhandkonto auch bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2005, 1185; Pape, Qualität durch Haftung? – Die Haftung des rechtanwaltlichen Insolvenzverwalters, ZInsO 2005, 953; Pape, Mietverträge in der Insolvenz, Teil 4, Mietrechtliche Besonderheiten bei Masseunzulänglichkeit und im Verbraucherinsolvenzverfahren, InsBüro 2005, 169; Pape/Hauser, Massearme Verfahren nach der InsO, 2002; Paul, Zulässigkeit eines Insolvenzplans im masseunzulänglichen Verfahren, ZInsO 2005, 1136; Runkel/ Schnurbusch, Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit, NZI 2000, 49; Walther, Das Verfahren bei Masseunzulänglichkeit nach den §§ 208 ff. InsO, Diss., 2005; Webel, Die Haftung des Insolvenzverwalters für Masseverbindlichkeiten i. R. des § 61 InsO, Diss., 2008; Zimmer, Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit nach § 210 a InsO (ESUG), ZInsO 2012, 390.

Gutheil

827

§ 26 I.

Teil III Einzelfragen Einführung

1 Verfahrensziel der Insolvenzordnung ist die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung durch die Verwertung des schuldnerischen Vermögens und die Verteilung des Erlöses als Ausfluss der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts. Diese Regelung des § 1 InsO ist bei jeder Art der Verfahrensabwicklung zu beachten. Auch alle Entscheidungen i. R. einer Betriebsfortführung haben sich daher an diesem Grundsatz zu orientieren.1) 2 Die Betriebsfortführung und damit der Unternehmenserhalt sind Ausfluss der Sanierungsfunktion der InsO. Bereits in § 1 Satz 2 InsO a. E. heißt es, dass abweichende Regelungen von der Verwertung des Schuldnervermögens zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans zum Erhalt des Unternehmens getroffen werden können. Diese Funktion ist häufig in Einklang zu bringen mit der Ordnungsfunktion der bestmöglichen gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, da regelmäßig davon auszugehen ist, dass eine geordnete Veräußerung bzw. der Erhalt des Unternehmens im Ganzen höhere Beiträge für die Masse erwarten lässt als die Einzelveräußerung der Vermögensgegenstände im Zerschlagungsfall. Der Mehrwert, der im Gesamtunternehmen verkörpert ist, soll möglichst nicht vernichtet werden. Im Verlaufe der Abwicklung kann diese Annahme erhöhter Werthaltigkeit jedoch widerlegt werden. 3 Hieraus folgt eine vorrangige Fortführungspflicht für den Insolvenzverwalter. Diese wird bspw. in § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Fortführungspflicht des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters bis zur Eröffnung) postuliert und durch Instrumentarien wie die Insolvenzgeldvorfinanzierung oder die Nutzung betriebsnotwendiger Absonderungsgüter (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO) flankiert. Das insolvenzrechtliche Ziel der Fortführung findet sich auch dokumentiert in den Regelungen der Kündigungssperre nach § 112 InsO sowie der Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen nach § 119 InsO. 4 Eine Betriebseinstellung im laufenden Verfahren ist mit weiteren Hürden verbunden. Hintergrund ist, dass nach der Intention des Gesetzgebers die Gläubigergemeinschaft in der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO über die Art der Verwertung des schuldnerischen Vermögens entscheidet, nicht das Insolvenzgericht oder der Insolvenzverwalter. Dies setzt, um keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, eine Betriebsfortführung bis zum Berichtstermin voraus. 5 Falls die Stilllegung vor dem ersten Berichtstermin erfolgen soll, muss ein etwa bestellter Gläubigerausschuss zustimmen. Außerdem ist zuvor der Schuldner zu unterrichten, der sich gegen die Stilllegung wenden kann (§ 158 InsO). Diese hat zu unterbleiben, wenn die Fortführung ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse zunächst erfolgen kann. Verluste werden dabei in Kauf genommen. Die diesen Regelungen innewohnende Wertung unterstreicht den Stellenwert der Fortführung. 6 Nicht aus den Augen verloren werden darf dabei jedoch auch das Haftungsrisiko des Insolvenzverwalters, wenn er zur Fortführung zunächst verpflichtet ist.2) Zur Haftung allgemein siehe Rz. 58 ff. II.

Ermittlung der Massezulänglichkeit

1.

Insolvenzspezifische Pflicht

7 Der Insolvenzverwalter ist gehalten, i. R. der Verfahrensabwicklung regelmäßig die Massezulänglichkeit zu prüfen. Dies stellt eine insolvenzspezifische Pflicht dar. Ersteres bedeutet, dass er zu verifizieren hat, dass die Masse nach Deckung der Verfahrenskosten gemäß ___________ 1) Borchardt/Frind-Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 171. 2) Vgl. zu den hierzu diskutierten Haftungseinschränkungen Webel, Haftung des Insolvenzverwalters, S. 43 ff.

828

Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

§ 54 InsO, deren Vorliegen Voraussetzung für die Verfahrensdurchführung ist und anderenfalls zu einer sofortigen Einstellung nach § 207 InsO führen würde, auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit erfüllen kann. Regelmäßig ist der Eintritt der Masseunzulänglichkeit erst gegeben, wenn diese sich mit 8 Blick auf die Prognoseungenauigkeit über einen gewissen Zeitraum verfestigt, und zwar bezogen auf die Schätzwerte, die bei der Berechnung heranzuziehen sind.3) Die Intervalle der Planungsüberprüfung haben im Falle der Betriebsfortführung zeitlich engmaschiger zu erfolgen als bei einer Ausproduktion. Gerade im ersten Stadium der Fortführung wird sich der Insolvenzverwalter auf die zu diesem Zeitpunkt zum Teil noch unverifizierten Daten aus dem Unternehmen verlassen müssen und dürfen.4) 2.

Drohende Masseunzulänglichkeit

Der Masseunzulänglichkeit wird im Gesetz die drohende Masseunzulänglichkeit gleichge- 9 stellt. Diese ist gegeben, wenn voraussichtlich im Zeitpunkt der Fälligkeit die zu erwartende Masse zur Deckung der Masseverbindlichkeiten nicht ausreichen wird.5) Aufgrund des Prognosecharakters wird dem Insolvenzverwalter ein gewisser Beurteilungsspielraum zuteil, den er jedoch selbstverständlich nicht missbräuchlich nutzen darf. Die Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit hat – vergleichbar der Wertung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO – in der Regel dann zu erfolgen, wenn nach der vorzunehmenden Vorschau eine mehr als 50 %ige Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen spricht. Es handelt sich jedoch bei der prozentualen Bewertung nicht um eine starre Grenze. Die Entscheidung ist im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.6) Die Insolvenzmasse ist gleichsam mit Blick auf die Masseverbindlichkeiten zahlungsunfähig 10 oder droht nach überwiegender Wahrscheinlichkeit zahlungsunfähig zu werden. Da beide Fälle im Gesetz gleichbehandelt werden, hat dies zur Folge, dass im Falle der Anzeige bereits bei drohender Masseunzulänglichkeit eine erneute Anzeige im Fall des tatsächlichen Eintritts nicht erforderlich ist. Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit kann der Insolvenzverwalter Gläubiger mit bereits bestehenden Ansprüchen in den Rang von Altmassegläubigern (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) setzen und sodann die aus seinen Handlungen entstehenden Zahlungsverpflichtungen als Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vorrangig befriedigen. 3.

Berechnung der Masseunzulänglichkeit

Die Masseunzulänglichkeitsberechnung kann aus der Gewinn- und Verlustrechnung sowie 11 insbesondere der Liquiditätsplanung des Unternehmens entwickelt werden. Sie hat jedoch – neben der Prognose zum operativen Geschäft – Erlöse aus der Verwertung und Mittelzuflüsse aus kurzfristig zu realisierenden, insolvenzspezifischen Ansprüchen zu berücksichtigen, ebenso wie alle Masseverbindlichkeiten. Insoweit ist eine Liquiditätsrechnung zu erstellen, die auf der aktuellen Liquiditätslage aufbaut.7) Der tatsächliche Umfang der zu berücksichtigen Masseverbindlichkeiten ist jedoch häufig 12 nicht präzise zu ermitteln, etwa wenn Ansprüche dem Grunde oder der Höhe nach streitig sind, oder nicht feststeht, wie lange Nutzungsentschädigung bei geplanter kurzfristiger ___________ Borchardt/Frind-von Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1814. Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 112 f. BAG, Urt. v. 31.3.2005 – 10 AZR 254/03, ZInsO 2005, 50, 52. Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1788; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 3. 7) Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 108.

3) 4) 5) 6)

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829

§ 26

Teil III Einzelfragen

Neuvermietung oder Personalkosten während des Auslaufens der Kündigungsfrist mit Blick auf einen möglichen neuen Arbeitsvertrag des ausgeschiedenen Mitarbeiters noch zu zahlen sein werden. 13 Die zu prognostizierenden Werte sind daher anhand nachvollziehbar dokumentierter Anknüpfungspunkte zu schätzen. Bei unsicheren Vermögenswerten oder streitigen Verbindlichkeiten hat die Schätzung unter Beachtung besonderer kaufmännischer Vorsicht konservativ zu erfolgen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Begründung der Masseverbindlichkeiten. Dies ist in der Regel der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.8) Das nachfolgende Beispiel zeigt ein Muster für die Berechnung der Masse(-un)zulänglichkeit.9) 14 Einnahmen: x

aktuell vorhandene Liquidität;

x

kurzfristig als liquide erwartete Einnahmen aus Unternehmensfortführung, Verwertungshandlungen, Klageverfahren, Darlehen, Erlöse aus Haftungs- und Anfechtungsansprüchen, Erlöse aus dem Forderungseinzug abzüglich berechtigter Aufrechnungspositionen,10) wobei es sich jedoch bei allen vorgenannten Positionen um zeitnahe Zuflüsse handeln muss.

15 Ausgaben: x

Absolut bevorrechtigte Kosten des Verfahrens (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO): Diese sind unabhängig von ihrer Fälligkeit in die Berechnung einzustellen, bei den übrigen Verbindlichkeiten ist die Fälligkeit jedoch zu berücksichtigen.

x

x

x

Gerichtskosten (§ 54 Nr. 1 InsO);

x

Vergütung und Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters (§ 54 Nr. 2 InsO);

x

Vergütung und Auslagen der Gläubigerausschussmitglieder (§ 54 Nr. 2 i. V. m. § 73 Abs. 1 InsO).

Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO): x

Verbindlichkeiten durch Verwertungs-, Verwaltungs- und Verteilungshandlungen des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO);

x

Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, die zur Masse in Anspruch genommen werden (gewillkürte Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO);

x

Verbindlichkeiten aus der laufenden Betriebsfortführung.

Oktroyierte Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO): x

Verbindlichkeiten aus ungerechtfertigter Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO);

x

Verbindlichkeiten, die durch den vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wurden (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO);

x

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die der vorläufige Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hat (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO);

___________ 8) BGH, Urt. v. 3.4.2008 – IX ZR 101/02, ZInsO 2005, 205, 207 = ZIP 2003, 914. 9) S. zur Berechnung der Masseunzulänglichkeit auch Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 8; Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1812 ff. 10) Dies können auch ansonsten als einfache Insolvenzforderungen zu qualifizierende Ansprüche sein, falls diesen z. B. Altforderungen aufrechenbar gegenüberstehen.

830

Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

x

Oktroyierte Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen bis zum Zeitpunkt der Kündigung, die vom Insolvenzverwalter nicht für die Masse in Anspruch genommen werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO);

x

Verbindlichkeiten gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten;

x

Verbindlichkeiten aus Steuerverhältnissen, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit dessen Zustimmung begründet worden sind (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 InsO);

x

Unterhaltsverpflichtungen (§§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO);

x

Ersatzansprüche aus der Fortsetzung von Aufträgen bei Gefahr des Aufschubs nach Eröffnung (§ 115 Abs. 2 Satz 3 InsO);

x

eilbedürftige Geschäfte des geschäftsführenden Gesellschafters einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer KGaA i. R. der einstweiligen Fortführung bei Auflösung durch Eröffnung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 InsO);

x

laufende Zinsen für die Verwendung beweglicher Sache i. R. der Fortführung, zu deren Verwertung der Insolvenzverwalter berechtigt ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 InsO);

x

Zinsen für diese Gegenstände, die der Insolvenzverwalter verwerten kann, und zwar vom Berichtstermin an (§ 169 Satz 1 InsO).

Bei den Masseverbindlichkeiten nach § 123 Abs. 2 InsO (Kosten des Sozialplans) handelt 16 es sich hingegen um sog. „unechte Masseverbindlichkeiten“, die in der Prognose nicht zu berücksichtigen sind. Die Höhe der Mittel für einen Sozialplan wird gesetzlich auf ein Drittel der Masse beschränkt, die für die Insolvenzgläubiger ohne den Sozialplan zur Verfügung stehen würde. Tritt die Masseunzulänglichkeit ein, entfällt damit diese Zahlungsverpflichtung, da keine Mittel für die einfachen Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen.11) Schon um eine persönliche Haftungsinanspruchnahme zu vermeiden (siehe unten Rz. 58), 17 kann dem Insolvenzverwalter nur angeraten werden, regelmäßig – dem Einzelfall und der Struktur des Betriebes entsprechend – in angemessenen Perioden zu prüfen, inwieweit die Masse weiterhin zulänglich ist. Die Berechnung muss kontinuierlich aktualisiert und an die sich entwickelnden Werte angepasst werden. Es empfiehlt sich, diese Kontrollinstrumente fortlaufend zu dokumentieren, um sich im Falle einer Haftungsinanspruchnahme exkulpieren zu können. Daher ist es ebenfalls ratsam, Planungsprämissen und Grundlagen für den Ansatz von Schätzwerten mit hinterlegten Daten zu archivieren. III.

Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung

Gemäß § 26 Abs. 1 i. V. m. § 54 InsO ist das Insolvenzverfahren bereits durch das Ge- 18 richt zu eröffnen, wenn die Verfahrenskosten gedeckt sind. Daher hat der Insolvenzverwalter schon mit der Eröffnung zu prüfen, ob die vorhandene Masse ausreichen wird. Das gilt insbesondere für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO und nun auch für den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Blick auf die Regelungen zur Qualifizierung von Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Die Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren birgt die Gefahr, dass bei einer Masse- 19 unzulänglichkeitsanzeige im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung die aus der Vorzeit noch bestehenden Fortführungsverbindlichkeiten zu Altmasseschulden zurückgestuft werden, sofern sie noch nicht fakturiert oder zur Zahlung fällig sind. Der ___________ 11) S. a. Breitenbücher, Masseunzulänglichkeit, S. 74.

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831

§ 26

Teil III Einzelfragen

vorläufige Insolvenzverwalter, der zur Fortführung nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet ist, steht vor dem Problem, sehenden Auges Masseverbindlichkeiten zu begründen, deren Befriedigung ihm im Falle der Eröffnung – etwa aufgrund des Hinzutretens weiterer Masseschulden – nicht möglich sein wird. Ist eine intakte Betriebsstruktur vorhanden, die es aufgrund gesicherter Auftragsbestände und Effekten aus der Insolvenzgeldzahlung ermöglicht, fortführungsbedingte Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu berichtigen, kann trotzdem die Masseunzulänglichkeit bereits drohen, da später entstehende Masseverbindlichkeiten nach Eröffnung zusätzlich nicht berichtigt werden können. 20 Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird der Insolvenzverwalter in die Lage versetzt, ein Unternehmen unter Befreiung von anfänglich bestehenden Masseverbindlichkeiten später kostendeckend zu führen, obwohl im vorläufigen Verfahren bereits absehbar ist, dass Masseunzulänglichkeit eintreten wird. Beispiel Der bereits im Eröffnungsverfahren zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte I kann unter Ausnutzung der Insolvenzgeldzahlungen einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern an zwei Standorten zunächst kostendeckend führen. Schon im vorläufigen Verfahren lässt sich ermitteln, dass eine Rentabilität sich dauerhaft nur erreichen lässt, wenn ein Werk geschlossen und 40 % der Arbeitsplätze abgebaut werden. Selbst unter Ausnutzung optimaler Kündigungsfristen – teils im Eröffnungsverfahren durch das Unternehmen selbst mit Zustimmung des I, teils nach Eröffnung - werden sich nach Eröffnung im Auslauf der Kündigungsfristen sog. oktroyierte Masseverbindlichkeiten aus Arbeits- und Mietverhältnissen ergeben. Diese Belastungen werden aus der vorhandenen und zu erwartenden Masse bei Betriebsfortführung nicht zu tragen sein. Zeigt in diesem Fall I unmittelbar nach Eröffnung und Kündigung dem Gericht gegenüber die anfängliche Masseunzulänglichkeit an, so wird er in die Lage versetzt, den Betrieb auf diese Weise fortführen zu können, ohne Gefahr zu laufen, für die nicht gedeckten weiteren Masseverbindlichkeiten persönlich in Haftung genommen zu werden. 21 Um dem Problem des Eintritts der Masseunzulänglichkeit durch oktroyierte Masseverbindlichkeiten zu begegnen, sind verschiedene Ansätze diskutiert und Lösungswege beschritten worden, um die Fortführungsverbindlichkeiten ungeachtet ihres eigentlichen Ranges berichtigen zu können. Hintergrund ist dabei auch eine persönliche Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters über §§ 60, 61 InsO zu verhindern.12) IV.

Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit

1.

Allgemeine Auswirkungen

22 Mit dem Eingang der Anzeige der Masseinsuffizienz beim Insolvenzgericht treten die Wirkungen der §§ 208 ff. InsO ein. Die vorzunehmende Veröffentlichung und Zustellung gemäß § 208 Abs. 2 InsO hat nur deklaratorische Bedeutung.13) Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wird vom Insolvenzgericht nicht überprüft. Dies ergibt sich aus der Gesetzesentwicklung des § 318 Abs. 2 RegE-InsO,14) der zunächst einen Beschluss des Insolvenzgerichts auf Antrag des Insolvenzverwalters vorsah. Diese Regelungen sind jedoch nicht ins Gesetz aufgenommen worden. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist damit nicht justiziabel.

___________ 12) Webel, Haftung des Insolvenzverwalters, S. 43 ff.; Abwicklung i. R. eines Treuhandkontenmodells: Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185 ff.; sich mit verschiedenen Modellen auseinandersetzend: Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff. 13) Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 16; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49, 51. 14) Etwa abgedruckt in Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 435 f.

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Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

Durch die Masseunzulänglichkeitsanzeige verlieren Altmasseverbindlichkeiten ihr Vorweg- 23 befriedigungsrecht und erhalten mit gleichrangigen Massegläubigern einen Anspruch auf quotale Befriedigung. 1.1

Fortbestand der Abwicklungspflichten

Bereits in § 208 Abs. 3 InsO findet sich die Regelung, dass die Pflicht zur Verwaltung und 24 Verwertung der Masse auch nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit fortbesteht (anders als im Falle der Massearmut nach § 207 InsO, die eine sofortige Einstellung des Verfahrens zur Folge hat). 1.2

Richtungswechsel der Verfahrensziele

Die Zielrichtung der weiteren Verfahrensabwicklung ändert sich jedoch von der best- 25 möglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger in die möglichst schnelle und gleichmäßige Befriedigung der Altmassegläubiger. Das bisherige Ziel des Verfahrens, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger, kann nicht mehr erreicht werden, da keine Quotenzahlung an diese erfolgen wird. Der Insolvenzverwalter hat daher i. R. der Betriebsfortführung bei angezeigter Masse- 26 unzulänglichkeit zu prüfen, ob diese noch mit dem geänderten Verfahrensziel einer zeitnahen und möglichst vollständigen Befriedigung der Massegläubiger zu vereinbaren ist.15) In der Literatur werden die möglichen Handlungsalternativen des Insolvenzverwalters in 27 diesem Fall sehr unterschiedlich bewertet. Sie reichen von x

der sofortigen Stilllegung als „Notbremse“16) über

x

die Ausproduktion17) bis zur

x

übertragenden Sanierung und Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens18) (zur Zulässigkeit des Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit siehe unten Rz. 69).

Der Stilllegung nach Ausproduktion ist im Regelfall der Vorzug zu geben. Zwar sollten 28 die Massegläubiger nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit auf eine zügige Befriedigung ihrer als vorrangig angenommenen Verbindlichkeiten vertrauen dürfen. Jedoch ist auch der Aspekt der verbesserten Quote in Betracht zu ziehen, die im Falle einer geordneten Betriebseinstellung im Wege der Ausproduktion regelmäßig zu erreichen sein wird. Die ansonsten bei der sofortigen Stilllegung zwangsläufig entstehenden weiteren Neumasseverbindlichkeiten (Schadensersatzansprüche der Kunden wegen Nichterfüllung, SowiesoKosten im Auslauf von Kündigungsfristen), denen keine Erlöse gegenüberstehen, lassen die zu erwartende Quote der Altmassegläubiger unweigerlich drastisch abschmelzen. Der Wunsch nach kurzfristiger quotaler Befriedigung sollte daher immer nochmals unter dem Aspekt der kurz- bis mittelfristigen Quotenerhöhung betrachtet werden. Im Einzelfall kann auch die unveränderte Betriebsfortführung ein sinnvoller Weg sein. 29 Dies gilt jedoch nur, wenn damit die Masse voraussichtlich bessergestellt wird, etwa weil ein aktuell stattfindender Bieterprozess eine kurzfristige, übertragende Sanierung erwarten lässt. Andererseits darf sich die Betriebsfortführung nicht zum Selbstzweck entwickeln mit der Folge, dass das Interesse der Altmassegläubiger völlig außer Acht gelassen und nur die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Verfahrenskosten und Neumasseschulden angestrebt wird. ___________ 15) 16) 17) 18)

Borchardt/Frind-v. Websky, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rz. 1791. Kübler in: Kölner Schrift, Rz. 32. Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 81. Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 9.

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833

§ 26

Teil III Einzelfragen

30 Der Insolvenzverwalter hat sich dabei auf solche Verwaltungs- und Verwertungsmaßnahmen zu konzentrieren, die die Abwicklung fördern und möglichst wirtschaftlich vorteilhaft sind. Es ist daher immer darauf zu achten, dass die Masse eine mindestens gleichwertige Gegenleistung bei ihrem Verzehr erhält.19) 31 Soll die Einstellung nach einem zunächst von der Gläubigerversammlung gefassten Gläubigerbeschluss zur Fortführung erfolgen, so hat der Insolvenzverwalter, wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist, die Einberufung einer erneuten Gläubigerversammlung anzuregen (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO), in der er umfassend über den bisherigen Verlauf und die Risiken einer Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit informieren sollte, um auf dieser Basis eine Stilllegungsentscheidung herbeizuführen. 32 Die sich aus dieser Änderung ergebende Neuausrichtung des Verfahrens hat auch Auswirkungen auf die sonstige Verfahrensabwicklung, etwa mit Blick auf die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen, die Gesamtschadensliquidation nach § 92 InsO und die Inanspruchnahme von Gesellschaftern i. R. der Regelungen des § 93 InsO, deren weitere Anwendbarkeit in diesen Fällen diskutiert wird. Hier sollen allerdings nur die Auswirkungen dargestellt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Betriebsfortführung stehen.20) 1.3

Rangverschiebung nach § 209 InsO

33 Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit schreibt der Gesetzgeber vor, in welcher Reihenfolge die bestehenden Zahlungsverpflichtungen nunmehr zu befriedigen sind. Dabei wird entsprechend der Vorgaben in §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 207 Abs. 1 Satz 1 InsO an dem Prinzip festgehalten, dass die vollständige Deckung der Verfahrenskosten ohne Differenzierung nach dem Entstehungszeitpunkt vorrangig zu erfolgen hat.21) 34 Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit werden die Masseverbindlichkeiten nach Altund Neumassegläubigern abgegrenzt. Letztgenannte, deren Entstehung nach der Anzeige erfolgt, werden vorrangig vollständig berichtigt, während die Altmassegläubiger mit ihren Ansprüchen auf eine quotale Befriedigung – vergleichbar mit den einfachen Insolvenzgläubigern in der Rangfolge des § 209 Abs. 1 InsO – verwiesen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die nun als Altmasseverbindlichkeiten zu qualifizierenden Zahlungsverpflichtungen vor oder nach Eröffnung begründet wurden oder ob es sich um Fortführungsverbindlichkeiten handelt. Letztere genießen keine insolvenzrechtliche Sonderstellung22) (zur Abgrenzung von Alt- und Neumassegläubigern in speziellen Konstellationen vgl. Rz. 44 ff.). Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat für die Altmassegläubiger keinen Zinsverlust zur Folge, für die fälligen Ansprüche, deren Durchsetzung gehindert ist, fallen Verzugszinsen gemäß § 286 BGB an.23) 35 Nach der Rechtsprechung des BGH24) ist der Insolvenzverwalter allerdings immer verpflichtet, die Verteilungsreihenfolge einzuhalten, sobald Masseinsuffizienz eingetreten ist, und zwar unabhängig von deren Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht. Diese Anforderungen setzen zu ihrer Erfüllung voraus, dass der Insolvenzverwalter in jedem Zeit___________ 19) 20) 21) 22) 23) 24)

834

Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 46. Zu den weiter diskutierten Problemen vergleiche etwa Adam, DZWIR 2011, 485 ff. Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703. Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185, 1186. Hees/Stange, ZIP 2013, 1206 ff. BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145; BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2325 = ZIP 2010, 2356.

Gutheil

Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

punkt der Verfahrensabwicklung – und damit auch der Betriebsfortführung – in der Lage ist, die voraussichtliche Massekostendeckung zu evaluieren. 1.4

Pflicht zur gesonderten Rechnungslegung

Gemäß § 211 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter für seine Tätigkeit nach dem Ein- 36 tritt der Masseunzulänglichkeit gesondert Rechnung zu legen. 2.

Auswirkungen auf relevante Sachverhalte i. R. einer Betriebsfortführung

Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit bringt allein in der tatsächlichen Abwicklung des 37 Betriebes erhebliche Probleme mit sich, sofern sie im laufenden eröffneten Verfahren vorzunehmen ist. Vertragspartner, mit denen zuvor über Wochen oder gar Monate zusammengearbeitet worden ist, werden durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hinsichtlich ihrer Zahlungsansprüche auf den Status von Altmassegläubigern verwiesen. Im Rahmen der weiteren Betriebsfortführung ist jedoch die geregelte Abwicklung etwa 38 mittels einer Ausproduktion nötig, auch wenn sich die Verfahrensausrichtung hin zu einer zügigen Abwicklung wandelt. Das setzt aber in der Regel – zumindest für einen gewissen Zeitraum – voraus, dass mit denselben Partnern weiter zusammengearbeitet werden muss, die man soeben durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit „auf die Plätze verwiesen hat“. Das Vertrauen der Vertragspartner, die möglicherweise zuvor in der Zusammenarbeit mit dem schuldnerischen Unternehmen bereits Verluste erlitten haben, ist häufig erschüttert. Es erfordert nun Überzeugungskraft und gute Argumente, den Vertragspartner auch jetzt nicht zu verlieren. Ein Argument ist sicher, dass die geordnete Ausproduktion die Ansprüche der Altmasse- 39 gläubiger werthaltig machen kann. Jedenfalls kann sie eher dazu beitragen, als wenn eine Störung im Betriebsablauf zu Lieferverzögerungen, Auftragsverlusten oder Schadensersatzansprüchen führt. Angebote wie Vorkasseleistungen oder die Bestellung von Sicherheiten können den Vertragspartner möglicherweise zu einer weiteren Zusammenarbeit bewegen, im erstgenannten Fall jedoch zu Lasten der Liquidität. Sollte sich dieses Vorgehen nicht realisieren lassen, so hat notfalls eine sofortige Einstellung zu erfolgen, um weitere persönliche Haftungsrisiken für den Insolvenzverwalter zu vermeiden. Steht der Einstellungszeitpunkt i. R. einer Ausproduktion bereits fest, muss der Insolvenz- 40 verwalter bei der weiteren Fortführung zur Sicherstellung der Kostendeckung darauf achten, dass Aufträge nur noch angenommen werden, die in der verbleibenden Zeit abgewickelt werden können. Auch die Laufzeit eingegangener Verpflichtungsgeschäfte ist an die Zeitspanne der Ausproduktion soweit wie möglich anzupassen, etwa durch zeitlich befristete Arbeitsverträge mit der sachlichen Begründung des Arbeitsanfalls bei der Ausproduktion. Nachlaufende Verpflichtungen nach der Einstellung sollten weitestgehend vermieden werden. In dem Fall, in dem neben oktroyierte Masseverbindlichkeiten auch solche treten, die 41 durch Handlungen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters entstanden sind – im Falle der „schwachen“ vorläufigen Verwaltung etwa durch eine Einzelermächtigung des Gerichts – mag der Insolvenzverwalter geneigt sein, letztere zur Vermeidung einer persönlichen Haftung nach § 61 InsO vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch zu berichtigen, wohl wissend um die Existenz weiterer Masseverbindlichkeiten und das Vorliegen der Masseunzulänglichkeit. Der BGH hat klargestellt, dass der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet ist, die Masseunzulänglichkeit unmittelbar mit deren Eintritt anzuzeigen. Tut er dies nicht, verletzt er also keine insolvenzspezifische Pflicht, die eine Haftung nach § 60

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§ 26

Teil III Einzelfragen

InsO auslösen würde.25) Wenn der Insolvenzverwalter jedoch einzelne dieser, bereits faktisch als Altmasseverbindlichkeiten zu qualifizierenden Ansprüche bedient, andere hingegen nicht, so haftet er aus § 60 Abs. 1 InsO aufgrund eines Verteilungsfehlers wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Er ist verpflichtet, diese fehlerhafte Zahlung an die Masse zu erstatten.26) 42 Gleiches gilt auch für den Fall der faktisch drohenden Masseinsuffizienz, wenn fällige Masseverbindlichkeiten berichtigt werden, obwohl der Insolvenzverwalter den baldigen Eintritt der Masseunzulänglichkeit beim Fälligkeitseintritt der bereits bekannten weiteren Zahlungsverpflichtungen kannte.27) 3.

Auswirkungen auf gegenseitige Verträge und Dauerschuldverhältnisse

43 Der Gesetzgeber hat durch die nachfolgend dargestellte Regelung erkannt, dass es zumindest mit Blick auf Dauerschuldverhältnisse eine Unterscheidung in der Behandlung von oktroyierten Masseverbindlichkeiten und denen gegenüber sog. „Weiterbelieferern“ geben muss. 3.1

Auswirkungen auf gegenseitige Verträge gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO

44 Die Regelung des § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO knüpft an die Systematik des § 103 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO an, wonach Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, die von beiden Parteien nicht vollständig erfüllt wurden, nach der Wahl des Insolvenzverwalters bei Ablehnung der Erfüllung lediglich als Insolvenzforderung zu klassifizieren sind, wohingegen im Falle der Erfüllungswahl die Ansprüche den Rang einer Neumasseverbindlichkeit erhalten. 45 Der Insolvenzverwalter erhält daher mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit neuerlich ein Wahlrecht, das mit der Erfüllungswahl in § 103 InsO geregelten, hinsichtlich beidseitig nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge, zu vergleichen ist. Im Rahmen der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter damit nochmals die Möglichkeit, die vorhandene Vertragssituation an inzwischen geänderte Rahmenbedingungen der Fortführung optimal anzupassen. 3.2

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO) – nach dem nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt

46 Den Rang von Neumasseverbindlichkeiten erhalten ebenfalls Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die nach dem nächstmöglichen Kündigungstermin entstehen, der auf die Masseunzulänglichkeitsanzeige folgt. Entscheidet sich der Insolvenzverwalter für die Fortführung und lässt die erste Kündigungsmöglichkeit verstreichen, so sind alle Ansprüche des Vertragspartners nach diesem Termin Neumasseverbindlichkeiten.28) Dies gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter den Vertragsgegenstand nutzt oder ansonsten Vorteile aus ihm zieht.29) 47 Alle vor dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit entstandenen Verbindlichkeiten, etwa laufende Mietzinsverpflichtungen, sind hingegen als Altmasseverbindlichkeiten zu klassi___________ 25) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2324 = ZIP 2010, 2356. 26) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2325 = ZIP 2010, 2356; s. dazu auch Büchler, ZInsO 2011, 1240 ff. 27) BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145, 146; zur Gleichbehandlung JaegerGerhardt, InsO, § 60 Rz. 68. 28) Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703. 29) Pape, InsBüro 2005, 169, 171.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

fizieren.30) Insoweit geht der BGH von einer Teilbarkeit der Ansprüche aus der Zeit vor und nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit aus.31) Zu beachten ist, dass auch bei Eintritt der Masseunzulänglichkeit dem Insolvenzverwalter 48 weiterhin ein Sonderkündigungsrecht – wie bei der Verfahrenseröffnung – über §§ 109 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 InsO mit verkürzten Fristen zugebilligt wird. Die Kündigung kann nach diesen Normen während der gesamten Dauer des Verfahrens erfolgen, weil eine dem § 111 Satz 2 InsO entsprechende Regelung, die diese beschränkt, fehlt.32) Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ermöglicht es so, sich etwa auch in einer laufenden Betriebsfortführung noch mit kurzen Kündigungsfristen von Mietverträgen zu lösen, die nicht mehr betriebsnotwendig sind. Wählt der Insolvenzverwalter die Kündigungsoption, so sind alle Ansprüche aus dem 49 Dauerschuldverhältnis als Altmasseverbindlichkeiten im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu befriedigen. 3.3

Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) – Inanspruchnahme der Gegenleistung

Unabhängig von der Frage der Kündigung erlangen Ansprüche aus einem Dauerschuld- 50 verhältnis allerdings den Rang von Neumasseverbindlichkeiten, wenn der Insolvenzverwalter nach dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung für die Masse in Anspruch nimmt. Eine „Inanspruchnahme“ der Gegenleistung wird vom BGH im Falle von Miet- und Pachtverhältnissen bereits dann bejaht, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht alles tut, um eine weitere Entgegennahme der Gegenleistungen zu verhindern. Dies bedeutet, dass er parallel mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit etwa dem Vermieter den tatsächlichen Besitz zu verschaffen hat.33) Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb, der einer geregelten Abwicklung zugeführt werden 51 muss, handelt es sich daher um eine ausschließlich theoretische Möglichkeit. Sie erlangt allerdings Bedeutung, wenn mit der Eröffnung eine sofortige Einstellung geplant ist. 4.

Prozessuale Auswirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit

4.1

Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO

Gemäß § 210 InsO ist mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Vollstreckung der 52 Altmassegläubiger i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO untersagt. Die Regelung schafft ein Instrument, um vorrangig die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstehenden Neumasseverbindlichkeiten zu berichtigen. Damit gewährleistet sie den ungestörten Ablauf der werbenden Tätigkeit bezogen auf die Liquidität. Rechtsbehelf gegen eine unzulässige Vollstreckung ist die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO.34) Davon zu unterscheiden ist das Vollstreckungsverbot des § 90 InsO für Massegläubiger, 53 deren Ansprüche nicht auf einer Rechtshandlung des Insolvenzverwalters beruhen, sondern oktroyiert sind. Ihnen ist für einen Zeitraum von sechs Monaten die Vollstreckung unabhängig von der Anzeige der Masseunzulänglichkeit untersagt, um der Insolvenzmasse zu ___________ 30) Vgl. insgesamt Ausführung zur Behandlung von Mietverhältnissen in masseunzulänglichen Verfahren Pape, InsBüro 2005, 169 ff. 31) BGH, Urt. v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674, 674 = ZIP 2004, 1277. 32) Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 109 Rz. 8; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 109 Rz. 8, a. A. noch Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1703. 33) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZInsO 2005, 205 = ZIP 2003, 914, 917. 34) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 210 Rz. 4.

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§ 26

Teil III Einzelfragen

Beginn des Verfahrens die notwendige Liquidität nicht zu entziehen.35) Es besteht jedoch Einigkeit, dass durch das Vollstreckungsverbot das Entstehen von Verzugszinsansprüchen nicht berührt wird.36) 4.2

Prozessuale Geltendmachung durch Feststellungsklage

54 Mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind Altmassegläubiger an der Erhebung oder weiteren Verfolgung der bereits entstandenen Zahlungsansprüche im Wege der Leistungsklage gehindert. Ansprüche können lediglich i. R. von Feststellungsrechtsstreiten verfolgt werden.37) Ein bereits anhängiger Klageantrag ist auf einen Feststellungsantrag umzustellen. 55 Nur ausnahmsweise kann die Leistungsklage zulässig sein, wenn die Quote, die auf die Altmasseverbindlichkeiten entfallen wird, bereits bekannt ist.38) Dies wird jedoch in der Praxis in den seltensten Fällen vorkommen. 5.

Aufrechnung

56 Wird die Masseunzulänglichkeit i. R. der laufenden Betriebsfortführung insbesondere nicht unmittelbar mit der Eröffnung, sondern zu einem späteren Zeitpunkt angezeigt, kann die Rentabilität der weiteren Betriebsfortführung gefährdet werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Zulässigkeit von Aufrechnungserklärungen bejaht. Wäre es dem Altmassegläubiger, der im weiteren Verfahrensverlauf auch Drittschuldner wird, gestattet, durch die Erklärung der Aufrechnung einen Ausgleich der, durch die Masseunzulänglichkeitsanzeige auf die quotale Befriedigung verwiesenen Forderung zu erhalten, würde dies den Mechanismus der Masseunzulänglichkeit unterlaufen. Gleiches gilt, wenn durch den Ankauf von Gegenansprüchen eine Aufrechnungslage herbeigeführt werden könnte. 57 Die Beschränkungen der Aufrechnungsmöglichkeiten über die Regelungen der §§ 94 – 96 InsO, die auf den Insolvenzgläubiger abstellen, sind von ihrem Wortlaut her nicht unmittelbar auf Massegläubiger anwendbar. Die interessengerechte Betrachtung geht aber davon aus, dass diese Regelungen beschränkt auf Altmassegläubiger analog anwendbar sind.39) Damit wird die Wertung einer vergleichbaren Behandlung mit einfachen Insolvenzgläubigern bei Verfahrenseröffnung konsequent weiter verfolgt. Gleiches soll für den Rechtsgedanken des § 91 InsO zum Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs gelten. V.

Haftung

58 Da die Kontrolle der Zulänglichkeit der Masse zu den insolvenzspezifischen Pflichten des Insolvenzverwalters gehört, trägt dieser gegenüber den Massegläubigern über § 61 InsO das persönliche Haftungsrisiko im Falle einer pflichtwidrigen Begründung. Diese Haftung des Insolvenzverwalters ist keine Garantiehaftung für die Nichterfüllung der von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten, sondern eine neben den Haftungsanspruch der Masse tretende Haftungsnorm mit eigenen Tatbestandsvoraussetzungen. 59 Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet wurde, aus der Insolvenzmasse bei Fälligkeit nicht berichtigt werden, so haftet ___________ 35) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 267. 36) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 90 Rz. 8 m. w. N. 37) H. M.: BGH, Urt. v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674, 676 = ZIP 2004, 1277; BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZInsO 2005, 205 = ZIP 2003, 914. 38) Pape, InsBüro 2005, 169, 170. 39) Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 208 Rz. 19; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz. 22.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

der Insolvenzverwalter dem Massegläubiger gemäß § 61 Satz 1 InsO persönlich auf Schadensersatz. Die Haftung tritt nicht ein, wenn

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der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen kann, dass er objektiv entweder von der voraussichtlichen Erfüllung der Verbindlichkeiten ausgehen konnte oder

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dass für ihn nicht erkennbar war, dass diese Einschätzung nicht zutraf.

War jedoch die Nichterfüllbarkeit bei der Begründung wahrscheinlicher als deren Erfüllbar- 61 keit, so haftet der Insolvenzverwalter persönlich (§ 61 Satz 2 InsO). Der Gesetzgeber hält insoweit Gläubiger gewillkürter, d. h. vom Insolvenzverwalter begründeter Masseverbindlichkeiten für besonders schutzwürdig.40) Eine Haftung nach § 61 InsO für oktroyierte Masseverbindlichkeiten scheidet aus, da der Insolvenzverwalter auf deren Entstehen und Höhe keinen Einfluss hat.41) Um sich später erfolgreich exkulpieren zu können, hat der Insolvenzverwalter vor Be- 62 gründung der Verbindlichkeiten eine Liquiditätsplanung aufzustellen und kontinuierlich fortzuschreiben. Die Planungsprämissen sind nachvollziehbar zu dokumentieren, um bei einer späteren Abweichung die unvorhersehbare Entwicklung darstellen zu können (etwa den Ausfall einer Forderung nennenswerter Größe).42) Im Haftungsfall ist die Haftung auf das negative Interesse beschränkt.43) Damit ist bei 63 gegenseitigen Verträgen der entgangene Gewinn des Vertragspartners nur ausnahmsweise vom Schadensersatz erfasst. Zu ersetzen sind alle Vermögensnachteile, die dem Gläubiger entstanden sind, weil er den Vertrag mit dem Insolvenzverwalter geschlossen bzw. fortgesetzt hat und sich bei seinem weiteren Verhalten danach gerichtet hat. Erfasst sind die Kosten des Vertragsschlusses, Aufwendungen im Zusammenhang mit der Durchführung (wie Transportkosten) sowie eingetretene Vermögensminderungen durch die Erbringung der Gegenleistung. Für entgangenen Gewinn haftet der Insolvenzverwalter nur ausnahmsweise, wenn der Gläubiger darlegen und beweisen kann, dass er aufgrund des Vertragsschlusses andere Geschäfte unterlassen hat.44) Erst unlängst hat das BAG entschieden, dass den Insolvenzverwalter keine Verpflichtung 64 trifft, Arbeitnehmer zu einem bestimmten Termin von der Arbeitsleistung freizustellen, um ihnen den Bezug von Arbeitslosengeld zu ermöglichen. Haftungsansprüche können, da es sich nicht um eine insolvenzspezifische Pflicht handelt, nicht hergeleitet werden.45) Der Insolvenzverwalter ist ebenfalls nicht verpflichtet, die Masseunzulänglichkeit so frühzeitig anzuzeigen, dass der Masse aufgezwungene Verbindlichkeiten ab deren Eintritt bevorrechtigt mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO befriedigt werden. Denn dann müsste der Insolvenzverwalter auch für oktroyierte Masseverbindlichkeiten einstehen, ohne sie willentlich begründet zu haben.46) ___________ 40) Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 267. 41) Einhellige Meinung: vgl. etwa Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 105; UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 61 Rz. 18. 42) Vgl. die grundlegenden Entscheidungen des BGH zur Insolvenzverwalterhaftung nach § 61 InsO: BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311 ff., dazu EWiR 2005, 679 f. (Pape); BGH, Urt. v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, ZIP 2004, 1218 ff. dazu EWiR 2004, 817 f. (Gundlach/Schmidt). 43) BGH, Urt. v. 6.5. 2005 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1111 f.; Pape, ZInsO 2005, 953, 957. 44) Pape/Graeber-Laws, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Rz. 315 f. 45) BAG, Urt. v. 15.11.2011 – 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638 dazu EWiR 2013, 211 f. (Mückl/Hernstadt). 46) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323, 2324 = ZIP 2010, 2356, dazu Gundlach/ Frenzel/Jahn, DZWIR 2011, 177 ff.

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§ 26 VI.

Teil III Einzelfragen Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung

65 Wird das Verfahren als Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270 ff. InsO) geführt, so hat der Sachwalter nach § 274 InsO die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen. In diesen Fällen handelt es sich regelmäßig um laufende Geschäftsbetriebe. Abweichend von den Regeln der Eigenverwaltung ist gemäß § 285 InsO die Masseunzulänglichkeit durch den Sachwalter und nicht den eigenverwaltenden Schuldner gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Dies knüpft an die Wertung des § 274 Abs. 3 InsO an, wonach der Sachwalter zur Anzeige verpflichtet ist, sollte die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen. 66 Erschwerend kommt jedoch für den Sachwalter hinzu, dass er selber aufgrund der nur sehr gering ausgeprägten eigenen Befugnisse – die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis über die Masse steht ihm nicht zu – nur schwer Feststellungen zur Masseunzulänglichkeit und zur Begründung von Masseverbindlichkeiten treffen kann. 67 Im Übrigen enthalten die gesetzlichen Regelungen über die Eigenverwaltung keine speziellen Vorschriften zur Masseunzulänglichkeit, so dass auf die Regelungen der §§ 207 – 216 InsO zurückzugreifen ist. Jedoch hat die Anzeige wohl nicht zu Folge, dass die Verfahrensabwicklung nach Anzeige der Masseinsuffizienz nunmehr durch den Sachwalter zu erfolgen hat. Diese obliegt weiterhin dem eigenverwaltenden Schuldner. Eine Ausnahme gilt, wenn die Anordnung der Eigenverwaltung wegen drohender Verfahrensverzögerung oder sonstiger Nachteile für die Gläubiger aufgehoben wird. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass im Falle des Eintritts der Masseunzulänglichkeit eine Aufhebung der Eigenverwaltung angezeigt ist.47) Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes die Aufhebung der Eigenverwaltung bei den oben genannten Gefährdungstatbeständen zu erfolgen hat. Da das Verfahren sich für die Insolvenzgläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit jedoch ausnahmslos als Totalausfall der Forderungen darstellt, ist eine weitere Gefährdung bei Fortsetzung der Eigenverwaltung regelmäßig nicht gegeben.48) VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan 68 Häufig werden Betriebsfortführungen über den Eröffnungszeitpunkt hinaus mit dem Ziel verfolgt, durch die spätere Vorlage eines Insolvenzplanes das Unternehmen aus sich heraus zu sanieren. Mit der Betriebsfortführung nach Planbestätigung zu erzielende Überschüsse oder Sanierungsbeiträge der (neuen) Anteilseigner werden dazu verwendet, den Insolvenzgläubigern eine Quote auf die zur Tabelle festgestellten Insolvenzforderungen zu zahlen. 69 Bisher war umstritten, ob im Falle der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Abwicklung des Verfahrens mittels eines Insolvenzplanes noch möglich ist. Anders als in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Abwicklungsvariante bei Durchführung eines Insolvenzplans, in der die einfachen Insolvenzgläubiger der einzelnen Gruppen des Plans quotal befriedigt werden, wäre in diesem Falle die quotale Befriedigung der Massegläubiger Inhalt des Plans.49)

___________ 47) Landfermann in: HK-InsO, § 285 Rz 4; Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 285 Rz 4; UhlenbruckUhlenbruck, InsO, § 285 Rz. 1. 48) So auch Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 285 Rz. 16, vgl. insgesamt zu dem Thema Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren, § 11. 49) Vgl. zum Streitstand etwa Paul, ZInsO 2005, 1136 f.

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Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz

§ 26

Durch die Einführung von § 210a InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der 70 Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Vorlage eines Insolvenzplans auch im Falle der Masseunzulänglichkeit nun grundsätzlich bejaht.50) VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit Gesetzlich nicht geregelt ist die Frage, ob eine Rückkehr ins reguläre Verfahren möglich 71 ist, wenn i. R. der weiteren Verfahrensabwicklung die Masseunzulänglichkeit beseitigt wird, so dass alle Altmassegläubiger vollständig befriedigt werden können. Mit der h. M. ist als „actus contrarius“ zur Anzeige der Masseinsuffizienz eine Wiederaufnahme des regulären Verfahrens möglich.51) Der vertretenen Auffassung,52) eine stillschweigende Rückkehr durch Aufnahme der Verteilung sei abzulehnen, ist mit Blick auf die Rechtsklarheit zu folgen. Auch die Wiederherstellung der Massezulänglichkeit ist daher dem Insolvenzgericht anzuzeigen und öffentlich bekannt zu machen. IX.

Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach einer erfolgten Masseunzulänglichkeitsanzeige im 72 Verlaufe der weiteren Verfahrensabwicklung auch mit Blick auf die Neumasseverbindlichkeiten erneut Masseunzulässigkeit eintritt. In diesem Fall wird zum Teil vertreten, dass eine erneute Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht möglich sei.53) Der BGH folgt dieser Auffassung nicht. Es genüge, im Prozess den Eintritt der Masseunzulänglichkeit gegenüber dem auf Zahlung klagenden Neumassegläubiger einzuwenden.54)

___________ 50) Mit dem Problem der Vorlage eines Insolvenzplans im Falle der angezeigten Masseunzulänglichkeit setzt sich umfassend auseinander Zimmer, ZInsO 2012, 390 ff. 51) Weitzmann in: HambKom-InsO, § 208 Rz. 14; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz 31. 52) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 208 Rz. 53; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 208 Rz. 26; a. A.: Uhlenbruck-Ries, InsO, § 208 Rz 31. 53) Dinstühler, ZIP 1998, 1697, 1707; Landfermann in: HK-InsO, § 208 Rz. 23. 54) BGH, Urt. v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZInsO 2005, 205 = ZIP 2003, 914.

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§ 27 Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren ...................................................... 2 III. Modifizierte Universalität nach EuInsVO ...................................................... 5 1. Ausgangspunkt: Universeller Geltungsanspruch ........................................ 6 1.1 Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs im Ausland ....... 7 1.2 Einheitliche europäische Kollisionsnorm.................................. 8 1.3 Einheitliche Zuständigkeitsregel: „COMI-Konzept“ ................ 10 2. Modifikationen der Universalität des Hauptverfahrens......................................... 21 2.1 Sekundärinsolvenzverfahren .......... 22 2.2 Sonderkollisionsnormen und Sachnormen .................................... 26 IV. Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung ................................. 35 1. Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren ..................................................... 37 1.1 Unterschiedlicher Verfahrenszweck ............................................... 38

1.2

Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens .................... 43 1.3 Wirkung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens .... 47 2. Mehrere Hauptinsolvenzverfahren........ 50 V. Öffentliche Bekanntmachungen ........ 58 VI. Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters ....................... 61 VII. Kooperation der Insolvenzverwalter ................................................ 66 1. Informationspflichten ............................ 67 2. Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters ............... 70 3. Exkurs: Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ................. 77 VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte .... 80 IX. Ausübung von Wahlrechten ................ 83 X. Austauschverträge zwischen den Verfahren................................................ 85 XI. Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung .............................. 86 XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund .................. 99

Literatur: Adam/Poertzgen, Überlegungen zum Europäischen Konzerninsolvenzrecht, ZInsO 2008, 281 (Teil 1), 347 (Teil 2); Beck, Verteilungsfragen im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; Beck, Verwertungsfragen im Verhältnis von Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2006, 609; Bismarck/Schümann-Kleber, Insolvenz eines ausländischen Sicherungsgebers – Anwendung deutscher Vorschriften auf die Verwertung in Deutschland belegener Kreditsicherheiten, NZI 2005, 147; Duursma-Kepplinger, Einfluss eines Sekundärinsolvenzverfahrens auf die Befriedigung von Masseverbindlichkeiten, ZIP 2007, 752; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, 2002; Ehricke, Zur Kooperation von Insolvenzgerichten bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, ZIP 2007, 2395; Ehricke, Das Verhältnis des Hauptinsolvenzverwalters zum Sekundärinsolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, ZIP 2005, 1104; Ehricke, Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, WM 2005, 397; Ehricke, Verfahrenskoordination bei grenzüberschreitenden Unternehmensinsolvenzen in: Festschrift 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 337; Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005), 528; Eidenmüller, Der Markt für internationale Konzerninsolvenzen: Zuständigkeitskonflikte unter der EuInsVO, NJW 2004, 3455; Eidenmüller, Der nationale und der internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, in: Zeitschrift für Zivilprozeß, ZZP 114 (2001), 3; Eidenmüller, Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren und zukünftiges deutsches internationales Insolvenzrecht, IPRax 2001, 2; Fletcher/Wessels, Global Principles for Cooperation in International Insolvency Cases, IILR 2013, 2; Frind, Ein letzter Pin: Zur Ökonomisierung des Prinzips vom gesetzlichen Richter, ZInsO 2008, 614; Frind, Forum shopping – made in Germany?, ZInsO 2008, 261; Göpfert, In re Maxwell Communications – ein Beispiel einer „koordinierten“ Insolvenzverwaltung in parallelen Verfahren, ZZPInt 1 (1996), 269; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter im Anwendungsbereich der EuInsVO, in: Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 319; Herchen, Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters hinsichtlich der „Auslandsmasse“ nach Inkrafttreten der EG-Insolvenzverordnung (Verordnung des Rates Nr. 1346/2000), ZInsO 2002, 345; Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 23.11.1995 – Eine Analyse zentraler Fraugen des Internationalen Insolvenzrechts unter besonderer Berücksichtigung dinglichere Sicherungsrechte, 2000; Hirte, Sechs Thesen

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 27

Teil III Einzelfragen

zur Kodifikation der Konzerninsolvenz in der EuInsVO, ZInsO 2011, 1788; Hirte, Towards a Framework for the Regulation of Corporate Groups’ Insolvencies, ECFR 2008, 213; Hirte, Vorschläge für die Kodifikation eines Konzerninsolvenzrechts, ZIP 2008, 444; Knof/Mock, Noch einmal: Forumshopping in der Konzerninsolvenz, ZInsO 2008, 499; Knof/Mock, Innerstaatliches Forum Shopping in der Konzerninsolvenz – Cologne Calling?, ZInsO 2008, 253; Lüke, Das europäische internationale Insolvenzrecht, ZZP 111 (1998), 275; Meyer-Löwy/Poertzgen, Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) löst Kompetenzkonflikt nach der EuInsVO, ZInsO 2004, 195; Paulus, Die ersten Jahre mit der Europäischen. Insolvenzverordnung: Erfahrungen und Erwartungen, RabelsZ 2006, 458; Paulus, Das inländische Parallelverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung, EWS 2002, 497; Paulus, „Protokolle“ – ein anderer Zugang zur Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen, ZIP 1998, 977; Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, 1995; Ringstmeier/Homann, Masseverbindlichkeiten als Prüfstein des internationalen Insolvenzrechts, NZI 2004, 354; Smid, Judikatur zum internationalen Insolvenzrecht, DZWIR 2004, 397; Staak, Mögliche Probleme i. R. der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), NZI 2004, 480; Vallender, Judicial cooperation within the EC Insolvency Regulation, IILR 2011, 309; Vallender, Die Zusammenarbeit von Richtern in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO, in:. Festschrift für Hans-Jochem Lüer, 2008, S. 479; Westbrook, The Lessons of Maxwell Communication, Fordham L. Rev. 64 (1996), 2531; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004.

I.

Einleitung

1 Die Fortführung des schuldnerischen Betriebes in der Insolvenz stellt eine besondere Herausforderung für alle an dem Insolvenzverfahren Beteiligten dar: Mit einem Schlag ändern sich die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit. Die Verhinderung des Kollapses der unternehmerischen Tätigkeit in den ersten Tagen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. – aus deutscher Sicht – nach Stellung des Insolvenzantrags ist für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter in der Regel ein Kraftakt. Die ganz unterschiedlichen rechtlichen, aber vor allem auch betriebswirtschaftlichen Maßnahmen, die es unmittelbar zu ergreifen gilt, werden an anderer Stelle dieses Handbuchs ausführlich dargestellt. Die ohnehin schon komplexe Situation wird aber zusätzlich noch einmal deutlich komplexer, wenn die unternehmerische Tätigkeit des Schuldners die Grenzen überschritten hat. Denn nicht einmal für den europäischen Binnenmarkt gilt ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung in der Insolvenz. Eine grenzüberschreitende Betriebsfortführung hat daher regelmäßig die Vorgaben ganz unterschiedlicher Sachrechte zu beachten, d. h. vor allem unterschiedliche nationale Insolvenzrechte, aber auch unterschiedliche Kreditsicherungsrechte oder arbeits- und sozialrechtliche Vorgaben. Damit diese unterschiedlichen Vorgaben für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung erfüllt werden können, ist ein koordiniertes Vorgehen erforderlich. Die spezielle Herausforderung der Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung steht im Folgenden im Mittelpunkt. II.

Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren

2 Im Ausgangspunkt hat man zwei Sachverhalte grenzüberschreitender Insolvenz zu unterscheiden: x

Einmal die Insolvenz eines Unternehmens, dessen grenzüberschreitende Tätigkeit mit Niederlassungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit organisiert ist und ferner

x

die Insolvenz einer Unternehmensgruppe, deren Tätigkeit unter mehreren Gesellschaften „arbeitsteilig“ aufgeteilt ist.

3 Da auch im Fall der grenzüberschreitenden Insolvenz der Grundsatz „Eine Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“ gilt, stellen sich in den beiden unterschiedlichen Konstellationen entsprechend unterschiedliche Herausforderungen im Hinblick auf die Koordination der Verfahren im Allgemeinen bzw. der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung im Besonderen.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

Im Mittelpunkt stehen hier im Folgenden grenzüberschreitende Insolvenzen, bei denen 4 sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem Mitgliedstaat der EU befindet und ein Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat gegeben ist.1) Den Rechtsrahmen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung stellt in diesen Sachverhalten dann die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (kurz: EuInsVO) auf.2) III.

Modifizierte Universalität nach EuInsVO

Die grenzüberschreitende Insolvenz ist (auch) im Anwendungsbereich der EuInsVO vom 5 Grundsatz der sog. modifizierten Universalität geprägt.3) 1.

Ausgangspunkt: Universeller Geltungsanspruch

Nach diesem Grundsatz gilt zunächst, dass jedes Insolvenzverfahren im Anwendungs- 6 bereich der EuInsVO einen universellen Geltungsanspruch hat, d. h. keine territoriale Begrenzung ihrer Wirkungen kennt.4) Das Insolvenzverfahren erfasst demnach vor allem auch das ausländische Vermögen des Schuldners, das der Verwalter zu der einen Insolvenzmasse zu ziehen hat. Das ergibt sich in den allermeisten Insolvenzrechten an sich bereits daraus, dass der mit der Verfahrenseröffnung einhergehende Vermögensbeschlag keine räumliche Beschränkung der Insolvenzmasse auf das im Inland belegene Vermögen vorsieht, sondern schlicht das gesamte schuldnerische Vermögen erfasst (vgl. für das deutsche Insolvenzverfahren etwa § 35 InsO).5) 1.1

Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs im Ausland

Die Durchsetzung dieses universellen Geltungsanspruchs im Ausland hängt dann freilich 7 davon ab, ob das deutsche Insolvenzverfahren „grenzüberschreitend“ anerkannt wird oder nicht. Diese Frage ist für grenzüberschreitende Insolvenzsachverhalte im räumlichen Anwendungsbereich der EuInsVO mit Blick auf die Art. 16 und 17 EuInsVO zu bejahen, die im Schrifttum – zu Recht – regelmäßig als Herzstück der EuInsVO bezeichnet werden:6) x

Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Neben der automatischen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO, bestimmt Art. 25 EuInsVO die Anerkennung und Vollstreckung weiterer gerichtlicher Entscheidungen, die im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren ergehen.

x

Über die automatische Anerkennung der Verfahrenseröffnung hinaus gilt im Anwendungsbereich der EuInsVO auch der Grundsatz der Wirkungserstreckung. Hiernach entfaltet die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 17 Abs. 1 EuInsVO

___________ 1) Zu der Frage, wann ein hinreichender Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat gegeben ist, s. statt vieler Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 6 f. 2) ABl. EG Nr. L 160/1 ff. 3) Statt vieler Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 3 EuInsVO Rz. 5; Kindler in: MünchKommBGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 6: „kontrollierte Universalität“. 4) Derselbe universelle Geltungsanspruch wird im Übrigen regelmäßig außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO erhoben, so etwa auch von dem deutschen Insolvenzrecht. 5) Hier wird freilich nicht die Universalität i. S. des internationalen Insolvenzrechts mit der Universalität der Beschlagwirkung eins gesetzt, vgl. auch den Hinweis zur Verwendung des Begriffes bei Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rz. 2. 6) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 16 EuInsVO Rz. 1; Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 16 EuInsVO Rz. 1.

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§ 27

Teil III Einzelfragen

in jedem anderen Mitgliedstaat die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten oder „Transformationsakte“ bedürfte. 1.2

Einheitliche europäische Kollisionsnorm

8 Für das Insolvenzverfahren und seine materiell-rechtlichen Wirkungen gilt nach Art. 4 EuInsVO das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird (lex fori concursus). Der Art. 4 EuInsVO statuiert eine einheitliche europäische Kollisionsnorm für das Insolvenzrecht, die als Sachnormverweisung das jeweilige Internationale Privatrecht der Mitgliedstaaten verdrängt.7) Damit ist ein gewisser Gleichlauf von Verfahrensrecht und anwendbarem materiellen Recht hergestellt. Das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung wendet im Ausgangspunkt sein ihm vertrautes nationales Insolvenzrecht an. Die Frage, welche Regelungsgegenstände ganz konkret unter den Anknüpfungsgegenstand der Grundkollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO (= „das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“) zu subsumieren sind, ist im Wege der Qualifikation zu beantworten. Dabei geht es häufig um die Abgrenzung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht.8) Im Ausgangspunkt hilft hier die Auflistung in Absatz 2 des Art. 4 EuInsVO. Hiernach regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt „insbesondere“: 1.

bei welcher Art von Schuldnern ein Insolvenzverfahren zulässig ist;

2.

welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind;

3.

die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters;

4.

die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung;

5.

wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt;

6.

wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt; ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten;

7.

welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen;

8.

die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen;

9.

die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, den Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden;

10. die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich; 11. die Rechte der Gläubiger nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens; 12. wer die Kosten des Insolvenzverfahrens einschließlich der Auslagen zu tragen hat; 13. welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. ___________ 7) Zum Charakter des Art. 4 EuInsVO als Sachnormverweisung s. Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 4 EuInsVO Rz. 1. 8) Ausführlich dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 9 ff.; zur Reichweite des Insolvenzstatuts s. a. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 4 EuInsVO Rz. 2 ff.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

Die lex fori concursus kommt nach der Grundkollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 9 aber nur zur Anwendung, soweit die EuInsVO nichts anderes bestimmt. Solche „anderen Bestimmungen“ finden sich vor allem in den Art. 5 bis 15 EuInsVO; zu diesen Ausnahmen von der Grundkollisionsnorm sogleich im Folgenden unter Rz. 26 ff. 1.3

Einheitliche Zuständigkeitsregel: „COMI-Konzept“

Nicht zuletzt wegen der Anknüpfung der Grundkollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO an das 10 Recht des Staates der Verfahrenseröffnung steht die Frage der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Zentrum der grenzüberschreitenden Insolvenz. Die Antwort auf diese Frage gibt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO: Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ – oder in der englischen Fassung „center of main interests“ (kurz: COMI) – beschäftigt die Rechtsprechung und das Schrifttum seit dem Inkrafttreten der Verordnung am 31.5.2002 bis heute. Die zahlreichen Veröffentlichungen legen von dieser europaweit geführten Diskussion beredt Zeugnis ab.9) Bei Gesellschaften und juristischen Personen hilft im Ausgangspunkt noch die Vermu- 11 tungsregel des Satzes 2 von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Hiernach wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. In der Rechtssache Eurofood hat der EuGH10) die Leitlinien für die Konkretisierung des 12 unbestimmten Rechtsbegriffs des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO festgelegt, die immer noch uneingeschränkt gelten. Der EuGH hob bei der Auslegung vor allem die 13. Begründungserwägung der Verordnung hervor, wo es heißt:11) „Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.”

Aus dieser Definition ginge hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen 13 nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist.12) Diese Objektivität und diese Möglichkeit der Feststellung durch Dritte seien erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Diese Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit seien umso wichtiger, als die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO die des anwendbaren Rechts nach sich ziehe. In der Rechtssache Interedil präzisierte der EuGH13) die Vorgaben aus seiner Eurofood- 14 Entscheidung dahingehend, dass er eine „Gesamtbetrachtung“ für maßgeblich erachtet.14) Der EuGH stärkt aber die Vermutungswirkung des satzungsmäßigen Sitzes nach Absatz 1 Satz 2 des Art. 3 EuInsVO: „Wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in durch Drit-

___________ 9) Vgl. etwa die Zusammenstellung des Schrifttums vor der Kommentierung des Art. 3 EuInsVO von Kindler in: MünchKomm-BGB; s. a. die Hinweise bei Leible in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 6, § 35. 10) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360. 11) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), Rz. 32, ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360. 12) Dazu und zum Folgenden EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC Ltd), Rz. 33, ZIP 2006, 907 = NZI 2006, 360. 13) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990, m. Anm. Mankowski. 14) Dazu auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 6.

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Teil III Einzelfragen

te feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, lässt sich die in dieser Vorschrift aufgestellte Vermutung nicht widerlegen.“

15 Die Vermutung kann nach Auffassung des EuGH indessen widerlegt werden, wenn sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft aus der Sicht von Dritten nicht am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet. Zu den für die Bestimmung des Ortes des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners maßgeblichen Umstände gehören dann vor allem alle Umstände, die mit der Entfaltung einer operativen Tätigkeit des Schuldners an einem bestimmten Ort zusammenhängen, wie z. B. der Ort der Belegenheit von Geschäftsräumen, Produktionsstätten oder Warenlagern, der Einsatzort von Arbeitnehmern sowie der Ort der Einrichtung von Geschäftskonten für den Zahlungsverkehr mit Gläubigern.15) 16 Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO16) sieht eine ausdrückliche Konkretisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen in Art. 3 EuInsVO vor:17) „Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gilt der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.“

17 Da diese Konkretisierung auf die Formulierung in der 13. Begründungserwägung der Verordnung zurückgeht, so wie sie auch in der Rechtsprechung des EuGH bereits mehrfach zur Konkretisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen herangezogen wurde, ist mit der Ergänzung des Wortlauts keine Neuerung verbunden, nicht einmal ein Gewinn an Rechtssicherheit. 18 In Anlehnung an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Interedil wird zudem ein neuer Erwägungsgrund Nr. 13a der Verordnung vorgeschlagen, der wie folgt lautet: „(13a) Bei Gesellschaften und juristischen Personen sollte die Vermutung gelten, dass der „Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen“ der Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes ist. Diese Vermutung sollte widerlegt werden können, wenn sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet als der Sitz und wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet. Eine Widerlegung der Vermutung sollte hingegen nicht möglich sein, wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in für Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden.“

19 Besondere Schwierigkeiten macht die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in Konzernsachverhalten.18) Wie eingangs bereits betont gilt auch nach der EuInsVO der Grundsatz „Eine Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“, sodass für jede Konzerngesellschaft der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eigenständig bestimmt werden muss.19) In der Praxis wird der Umstand, dass der Schuldner Teil eines Konzernverbundes ist, freilich nicht völlig ausgeblendet. Vielmehr gelangen zahlreiche Gerichte vor wie nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood in Konzernsachverhalten zu einer schnellen Widerlegung der Vermutung in Absatz 1 Satz 2 des ___________ 15) Zu den unterschiedlichen Kriterien s. a. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 14. 16) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744. 17) Bei einer natürlichen Person, die eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, gilt als Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung; bei allen anderen natürlichen Personen gilt als Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts. 18) Dazu und zum Folgenden auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 7. 19) Vgl. zu diesem Grundsatz EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10 (Rastelli), ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 148, m. Anm. Mankowski.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

Art. 3 EuInsVO und damit im Ergebnis zu einem „Konzerngerichtsstand“ für Mutter- und Tochtergesellschaften an ein und demselben Ort.20) Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO21) hält an dem Grundsatz „Eine 20 Person, eine Insolvenz, ein Verfahren“ auch für Konzernsachverhalte fest. Er schlägt auch keine Ergänzung des Art. 3 EuInsVO um einen einheitlichen Konzerngerichtsstand vor.22) 2.

Modifikationen der Universalität des Hauptverfahrens

Die automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung erfährt nun in zweifacher Weise 21 eine Modifikation: x

Zum einen durch die Möglichkeit nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO neben dem bereits eröffneten Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat ein sog. Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen.

x

Zum anderen durch Sonderkollisionsnormen und Sachnormen des europäischen Rechts, insbesondere in den Art. 5 bis 15 EuInsVO.

2.1

Sekundärinsolvenzverfahren

Im Falle der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens wird zum Schutz der Interessen 22 der „lokalen Gläubiger“ eine territorial begrenzte Ausnahme zur Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens gemacht. Die Anwendung des Rechts des Staates der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens wird insoweit zurückgedrängt, als auf das Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 28 EuInsVO sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiellrechtlicher Hinsicht das Recht des Mitgliedstaates Anwendung findet, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist (lex fori concursus secundarii). Letztlich gilt auch für das Sekundärinsolvenzverfahren die Aussage der Grundkollisionsnorm nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, dass nämlich für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des „Staats der Verfahrenseröffnung“ anzuwenden ist.23) Die Wirkungen dieses Sekundärinsolvenzverfahrens sind nach Art. 27 Abs. 1 Satz 3 23 EuInsVO auf das im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt. Die universelle Wirkungserstreckung des Hauptinsolvenzverfahrens wird mithin nicht schlechterdings in Frage gestellt, sondern lediglich territorial begrenzt. Der grundsätzlich das gesamte schuldnerische Vermögen erfassende Insolvenzbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens wird im Hinblick auf die im Mitgliedstaat des Sekundärinsolvenzverfahrens belegenen Gegenstände überlagert. ___________ 20) Dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 16 f. Ebenso wie in Deutschland unter extensiver Auslegung des § 3 InsO bei nationalen Konzerninsolvenzen de facto ein „Konzerngerichtsstand“ für Mutter- und Tochtergesellschaften begründet wird, s. zu einem reinen Binnensachverhalt vor allem AG Köln, Beschl. v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07 (PIN), ZIP 2008, 982 = ZInsO 2008, 215, dazu EWiR 2008, 595 (K. Müller); ferner die Kontroverse zwischen Knof/Mock, ZInsO 2008, 253; Knof/ Mock, ZInsO 2008, 499 und Frind, ZInsO 2008, 261, 263; Frind, ZInsO 2008, 614; mit Auslandsbezug dagegen AG Köln, Beschl. v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08 (PIN II), ZIP 2008, 423 = ZInsO 2008, 388, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus). 21) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744. 22) Anders der Diskussionsentwurf des BMJ eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 3.1.2013, der für die deutsche Regelung der Zuständigkeit in § 3 InsO eine Ergänzung um einen Konzerninsolvenzgerichtsstand vorschlägt. Die Regelung findet sich auch in dem nachgefolgten Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 28.8.2013. 23) Vgl. etwa Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 28 EuInsVO Rz. 2: „Art. 28 der VO ist daher an sich überflüssig. Fehlte er, so ergäben sich die dort angeordneten Rechtsfolgen aus Art. 4 EuInsVO.“

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§ 27

Teil III Einzelfragen

24 Dass die Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens nicht ganz entfallen, zeigt auch der in Art. 35 EuInsVO statuierte Anspruch der Hauptverfahrensmasse gegen die Sekundärverfahrensmasse auf Herausgabe eines eventuellen Überschusses im Sekundärinsolvenzverfahren, der dort verbleibt, nachdem alle festgestellten Forderungen befriedigt sind. Dieser Überschuss wird mithin vom Insolvenzbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens erfasst. Die Regelung mag dogmatisch interessant sein, praktisch dürfte sie aber in den allermeisten Fällen irrelevant sein, weil nach Art. 32 EuInsVO jeder Gläubiger in jedem Sekundärinsolvenzverfahren seine Forderung anmelden kann, mit der Folge, dass eine vollständige Befriedigung in einem Sekundärinsolvenzverfahren regelmäßig ausscheidet.24) 25 Auch die territorial begrenzten Wirkungen eines Sekundärinsolvenzverfahrens werden nach Art. 17 Abs. 2 EuInsVO in den anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt. Deshalb wirkt nach Art. 17 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO jegliche Beschränkung der Rechte der Gläubiger, insbesondere eine Stundung oder eine Schuldbefreiung infolge des Hauptinsolvenzverfahrens, hinsichtlich des im Gebiet des Sekundärinsolvenzverfahrens belegenen Vermögens nur gegenüber den Gläubigern, die ihre Zustimmung hierzu erteilt haben. Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens stellt mithin eine ganz zentrale Weichenstellung für die Koordination grenzüberschreitender Insolvenzverfahren dar und gestaltet nicht zuletzt auch die Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung um. 2.2

Sonderkollisionsnormen und Sachnormen

26 Eine weitere Modifikation der Universalität des Hauptverfahrens ergibt sich aus verschiedenen Einzelregelungen der EuInsVO, z. B. Art. 5 bis 15 EuInsVO oder Art. 18 Abs. 3 EuInsVO. Hier wird in unterschiedlichen Sonderkollisionsnormen und Sachnormen des europäischen Rechts die grundlegende Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 modifiziert. Diese Modifikationen gelten unabhängig von der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens. Im Einzelnen sind folgende Regelungsgegenstände betroffen: x

Dingliche Rechte Dritter (Art. 5 EuInsVO);

x

Aufrechnung (Art. 6 EuInsVO);

x

Eigentumsvorbehalt (Art. 7 EuInsVO);

x

Vertrag über einen unbeweglichen Gegenstand (Art. 8 EuInsVO);

x

Zahlungssysteme und Finanzmärkte (Art. 9 EuInsVO);

x

Arbeitsvertrag (Art. 10 EuInsVO);

x

Wirkung auf eintragungspflichtige Rechte (Art. 11 EuInsVO);

x

Gemeinschaftspatente und -marken (Art. 12 EuInsVO);

x

benachteiligende Handlungen (Art. 13 EuInsVO);

x

Schutz des Dritterwerbers (Art. 14 EuInsVO);

x

Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten (Art. 15 EuInsVO).

27 Besonders weitgehend ist der Schutz dinglicher Rechte, insbesondere der Kreditsicherheiten, dem Art. 5 EuInsVO dient. Hiernach werden die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat im Hinblick auf dingliche Rechte eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners suspendiert („von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“), wenn sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenz___________ 24) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 35 EuInsVO Rz. 2.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

verfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet. Der Belegenheitsort ist nach Art. 2 lit. g EuInsVO zu bestimmen.25) Die Reichweite der Rechtsfolge des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO („nicht berührt“) ist um- 28 stritten. Klar dürfte sein, dass dingliche Rechte nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ohne jede Rücksicht auf das Insolvenzrecht des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens durchgesetzt werden. Für die Art und Weise der Durchsetzung kommt es nur auf das Belegenheitsrecht an. Unklar und streitig ist aber, ob bei der Verwertung dinglicher Rechte wenigstens auch die Beschränkungen des jeweiligen Insolvenzrechts des Belegenheitsstaates zu beachten sind.26) Die Frage ist zu verneinen.27) Zur Anwendung etwaiger insolvenzrechtlicher Einschränkungen nach dem Insolvenzrecht am Ort der Belegenheit des dinglichen Rechts kommt es erst, wenn hier ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde. Für die grenzüberschreitende Betriebsfortführung von erheblicher Bedeutung ist vor allem 29 Art. 10 EuInsVO. Hiernach gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Die Sonderkollisionsnorm bezweckt den Schutz des Arbeitnehmers und des Arbeitsverhältnisses vor der Anwendung fremder Rechtsvorschriften. Soweit Art. 10 EuInsVO das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist, zur Anwendung beruft, ist hiermit wegen des in dieser Frage durch die Verordnung über vertragliche Schuldverhältnisse (Rom I) ebenfalls vereinheitlichten Kollisionsrechts die Richtung klar vorgegeben: Im Ausgangspunkt gilt nach Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO der Vorrang der Rechtswahl i. S. des Art. 3 Rom I-VO. Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag nach Absatz 2 des Art. 8 Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (lex loci laboris). Der gewöhnliche Arbeitsort kann dort angenommen werden, wo der Arbeitnehmer fest in einen Betrieb eingegliedert ist, in dem er seine Arbeitsleistung erbringt, oder wo das zeitliche und inhaltliche Schwergewicht der Arbeitnehmertätigkeit verortet werden kann.28) Zu der Reichweite des kollisionsrechtlichen Schutzes für die Rechte und Pflichten aus 30 dem Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis enthält Erwägungsgrund 28 der EuInsVO wichtige Hinweise: „Zum Schutz der Arbeitnehmer und der Arbeitsverhältnisse müssen die Wirkungen der Insolvenzverfahren auf die Fortsetzung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie auf die Rechte und Pflichten aller an einem solchen Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien durch das gemäß den allgemeinen Kollisionsnormen für den Vertrag maßgebliche Recht bestimmt werden. Sonstige insolvenzrechtliche Fragen, wie etwa, ob die Forderungen der Arbeitnehmer durch ein Vorrecht geschützt sind und welchen Rang dieses Vorrecht gegebenenfalls erhalten soll, sollten sich nach dem Recht des Eröffnungsstaats bestimmen.“

Für die zuletzt genannte „Rangfrage“ mit Blick auf Lohnforderungen gelten mithin unver- 31 ändert Art. 4 Abs. 2 lit. g und lit. i EuInsVO. Der Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitsentgeltausfall bei Insolvenz des Arbeitgebers 32 wird hingegen weder von der Sonderkollisionsnorm des Art. 10 EuInsVO noch von der ___________ 25) Zur Bestimmung des Belegenheitsortes s. etwa Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff. 26) So Bismarck/Schümann-Kleber, NZI 2005, 147, 148; Haas in: FS Gerhardt, S. 319, 329; noch weiter gehend Herchen, ZInsO 2002, 345, 347. 27) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 5 EuInsVO Rz. 7 f.; zum Ganzen auch Pannen-Ingelmann, EuInsVO, Art. 5 Rz. 9 ff. 28) Statt vieler Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 8 Rom I-VO Rz. 46 ff. m. w. N.

Undritz/Meyer-Sommer

851

§ 27

Teil III Einzelfragen

Grundkollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO gewährt. Das Arbeitsentgelt wurde zunächst durch die RL 80/987/EWG vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers europarechtlich abgesichert, die durch die Richtlinie 2002/74/EWG später geändert wurde. Die Frage, ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Insolvenzgeld zusteht, ist nach Maßgabe der §§ 165 ff. SGB III zu beantworten. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III grundsätzlich, wenn der Arbeitnehmer im Inland beschäftigt war. 33 Die entscheidende Voraussetzung ist ein „inländisches Beschäftigungsverhältnis“.29) Ein solches kann auch bei Arbeitnehmern bejaht werden, die i. S. von § 4 SGB IV ins Ausland entsandt sind, solange der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses im Inland liegt. Liegt nämlich der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses im Inland, so gilt das auch für den arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch gegen den inländischen Arbeitgeber. Der anspruchsberechtigte Personenkreis ist jedoch nicht auf im Inland beschäftigte oder i. S. von § 4 SGB IV („Ausstrahlung“) entsandte Arbeitnehmer beschränkt. Nach der Rechtsprechung des BSG30) kann ein Anspruch auf Insolvenzgeld darüber hinaus sogar auch dann bestehen, wenn nicht alle Voraussetzungen einer „Entsendung“ erfüllt sind, so etwa, wenn der Arbeitnehmer im Ausland nur für ein Arbeitsverhältnis im Ausland eingestellt worden ist, ohne einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben. Da der wesentliche Anknüpfungspunkt der arbeitsrechtliche Entgeltanspruch ist, wird der Arbeitnehmer jedenfalls dann erfasst, wenn insoweit erhebliche Berührungspunkte zur deutschen Rechtsordnung bestehen, aus denen zu folgern ist, dass der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers im Inland liegt. Merkmale hierfür sind ein Arbeitsvertrag mit einem inländischen Unternehmen, Befristung der Auslandstätigkeit, Anwendung deutschen Arbeitsrechts, Vereinbarung des deutschen Gerichtsstandes.31) 34 Satz 3 des § 165 Abs. 1 SGB III stellt klar, dass im Inland beschäftigte Arbeitnehmer auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben.32) IV.

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung

35 Im Hinblick auf die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung ist stets zwischen folgenden drei Szenarien zu unterscheiden: x

Grenzüberschreitende Betriebsfortführung in einem einheitlichen Insolvenzverfahren,

x

grenzüberschreitende Betriebsfortführung in einem Haupt- und einem bzw. mehreren Sekundärinsolvenzverfahren und

x

grenzüberschreitende Betriebsfortführung in mehreren Hauptinsolvenzverfahren (klassischer Fall der „Konzerninsolvenz“).

36 Das zuerst genannte Szenario ist der „einfache“ Fall des Insolvenzverfahrens mit universellem Geltungsanspruch. Bis auf die zuvor genannten Modifikationen durch europäisches Sachrecht gilt hier im grenzüberschreitenden Zusammenhang die zuvor bereits dargestellte automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung (siehe oben Rz. 7). ___________ 29) Dazu und zum Folgenden s. Gagel-Peters-Lange, SGB II/SGB III, Stand: 49. Lfg. 2013, § 165 SGB III Rz. 61 m. w. N. 30) S. etwa BSG, Urt. v. 21.9.1983 – 10 RAr 6/82, Rz. 15, ZIP 1984, 469 = BeckRS 1983, 04054. 31) Gagel-Peters-Lange, SGB II/SGB III, Stand: 49. Lfg. 2013, § 165 SGB III Rz. 61 a. E. 32) Vgl. auch Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit, DA zu § 165 SGB III Rz. 3.7, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A07-Geldleistung/ A073-Insolvenzgeld/Publikation/pdf/DA-Insolvenzgeld.pdf (Abrufdatum 3.6.2013).

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Undritz/Meyer-Sommer

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen 1.

§ 27

Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren

Die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung in einem Hauptinsolvenz- 37 verfahren und einem bzw. mehreren territorial begrenzten Sekundärinsolvenzverfahren ist der paradigmatische Fall der Koordination nach der EuInsVO. 1.1

Unterschiedlicher Verfahrenszweck

Das Sekundärinsolvenzverfahren ist dem Hauptinsolvenzverfahren als „Hilfsverfahren“ 38 untergeordnet.33) In manchen Konstellationen, in denen der Schuldner in mehreren Mitgliedstaaten Niederlassungen unterhält, können Sekundärinsolvenzverfahren zu einer Entzerrung und Vereinfachung der Verfahrensabwicklung beitragen.34) Es kann aber auch der umgekehrte Effekt eintreten, dass nämlich eine Zersplitterung der Insolvenzverfahren stattfindet, welche die grenzüberschreitende Betriebsfortführung und letztlich auch die Verwertung des schuldnerischen Vermögens als Ganzes stark behindert (zu entsprechenden Vermeidungsstrategien siehe unten Rz. 102). In den meisten Fällen wird bei näherem Hinsehen erkennbar, dass weniger die „Hilfsfunk- 39 tion“ des Sekundärinsolvenzverfahrens aus Sicht des Hauptinsolvenzverfahrens im Mittelpunkt steht als seine „Schutzfunktion“ aus Sicht der inländischen Gläubiger. Das Sekundärinsolvenzverfahren bezweckt nämlich den Schutz der inländischen Gläubiger, indem sie von den Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens ausgenommen werden. Ohne heimisches Sekundärinsolvenzverfahren müssten die inländischen Gläubiger die Befriedigung ihrer Forderungen in einem fernen Verfahren unter Geltung eines anderen materiellen Insolvenzrechts in einer fremden Sprache suchen.35) Erwägungsgrund Nr. 20 der EuInsVO betont mit Recht, dass Hauptinsolvenzverfahren 40 und Sekundärinsolvenzverfahren nur dann zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen können, wenn die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden. Die Koordination der Verfahren, insbesondere die Zusammenarbeit der verschiedenen Insolvenzverwalter, erfolgt dabei insbesondere durch eine wechselseitige Informations- und Kooperationspflicht (ausführlich unten Rz. 66 ff.). Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO muss es sich bei den Sekundärinsolvenzverfahren um 41 ein Liquidationsverfahren handeln.36) Was unter einem Liquidationsverfahren zu verstehen ist, wird nach Art. 2 lit. c EuInsVO durch die in Anhang B der EuInsVO aufgeführten Verfahren beantwortet. Das deutsche Insolvenzverfahren ist als Einheitsverfahren sowohl in Anhang A als auch in Anhang B aufgeführt. Die Aufnahme im Anhang B der EuInsVO spricht dafür, dass i. R. eines Sekundärinsolvenzverfahrens ein Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO zulässig ist. Auch aus Art. 34 Abs. 2 EuInsVO lässt sich eine Zulässigkeit von Beschränkungen der Gläubigerrechte in einem Sekundärinsolvenzverfahren ableiten.37) Nach dem Vorschlag der Kommission zur Reform der EuInsVO38) soll die Begrenzung 42 des Verfahrenszwecks eines Sekundärinsolvenzverfahrens auf die Liquidation aufgegeben werden. Nach der Entwurfsfassung eines neu einzufügenden Art. 29a EuInsVO wählt das ___________ 33) 34) 35) 36) 37) 38)

Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 9. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 der EuInsVO. So auch die Beschreibung von Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 27 EuInsVO Rz. 4. Kritisch Paulus, EWS 2002, 497, 502. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 21. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744.

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 27

Teil III Einzelfragen

Gericht das innerstaatliche Verfahren, das unter Berücksichtigung der Interessen der einheimischen Gläubiger am besten geeignet ist. 1.2

Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens

43 Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens stellt nach dem zuvor Gesagten eine ganz zentrale Weichenstellung für die Koordination grenzüberschreitender Insolvenzverfahren dar und gestaltet nicht zuletzt auch die Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung um. Es fragt sich daher, unter welchen Voraussetzungen ein solches territorial begrenztes Insolvenzverfahren zulässig ist. Die Frage beantwortet Art. 3 Abs. 2 EuInsVO: Die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens setzt voraus, dass der Schuldner in dem jeweiligen Mitgliedstaat über eine Niederlassung i. S. von Art. 2 lit. h EuInsVO verfügt. 44 Der Begriff der Niederlassung ist nach dem EuGH39) dahingehend auszulegen, dass er „die Existenz einer auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgerichteten Struktur mit einem Mindestmaß an Organisation und einer gewissen Stabilität erfordert. Das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten genügt dieser Definition grundsätzlich nicht.“

45 Neben einer Niederlassung ist ein Insolvenzantrag weitere Voraussetzung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens. Antragsberechtigt sind die nach nationalem Recht antragsberechtigten Personen sowie der ausländische Hauptinsolvenzverwalter. Dies gibt Art. 29 EuInsVO vor. Umstritten ist, ob das Antragsrecht auch dem Schuldner selbst zusteht. Zweifel an einem Antragsrecht des Schuldners selbst sind begründet, weil mit Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach dem jeweiligen nationalen Recht regelmäßig die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den Hauptinsolvenzverwalter überwechselt. 46 Die Insolvenz des Schuldners wird allerdings nach Art. 27 Satz 1 EuInsVO nicht (noch einmal) geprüft. Entsprechend ist ein Insolvenzgrund für das Sekundärinsolvenzverfahren nicht darzulegen oder sogar zu beweisen. Insofern ersetzt die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens den Insolvenzgrund für das Sekundärinsolvenzverfahren. Dies kann zur Folge haben, dass auf der Grundlage der Feststellung der Insolvenz nach Maßgabe des Rechts des Staates der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens anschließend ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wird, der den Insolvenzgrund des Hauptinsolvenzverfahrens nicht kennt.40) 1.3

Wirkung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens

47 Die Niederlassung stellt lediglich eine Eingangshürde vor dem Zugang zum Sekundärinsolvenzverfahren dar, ist im Übrigen aber weitgehend funktionslos. Das zeigt sich vor allem mit Blick auf die Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens, die sich nach Art. 27 Satz 3 EuInsVO auf das im Gebiet des Mitgliedstaates belegene Vermögen des Schuldners begrenzen. 48 Die Abgrenzung der Aktivmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens vollzieht sich demnach rein territorial, ohne dass es irgendeines Bezuges zur Niederlassung des Schuldners bedürfte. Entscheidend ist allein der Ort, an dem sich ein Vermögensgegenstand befindet i. S. von Art. 2 lit. g EuInsVO. Befindet sich der Vermögengegenstand in dem Mitgliedstaat der Er___________ 39) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990, m. Anm. Mankowski. 40) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 5.

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Undritz/Meyer-Sommer

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

öffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, fällt er in die Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens. Nach Art. 2 lit. g EuInsVO ist maßgeblich: x

bei körperlichen Gegenständen der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand belegen ist,

x

bei Gegenständen oder Rechten, bei denen das Eigentum oder die Rechtsinhaberschaft in ein öffentliches Register einzutragen ist, der Mitgliedstaat, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird,

x

bei Forderungen der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zur Leistung verpflichtete Dritte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 hat.

Dasselbe gilt im Hinblick auf die Abgrenzung der Passivmassen. Auch insoweit kommt 49 es nicht auf einen Bezug der im Sekundärinsolvenzverfahren angemeldeten Forderungen zur Niederlassung an. Vielmehr kann hier jeder Gläubiger nach Maßgabe des Art. 32 EuInsVO seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden. Damit der Gläubiger im Wege der Doppel- oder sogar Mehrfachanmeldung keine Sondervorteile erzielt, sieht Art. 20 Abs. 2 EuInsVO eine Quotenanrechnung und einen Ausschüttungsstopp vor.41) 2.

Mehrere Hauptinsolvenzverfahren

Den Konzern und folgerichtig ein Insolvenzverfahren über mehrere rechtlich eigenständige, 50 aber konzernangehörige Gesellschaften kennt die EuInsVO nicht,42) obwohl die Insolvenz gruppengebundener Unternehmen nachgerade der Prototyp der grenzüberschreitenden Insolvenz ist.43) Das nimmt freilich nicht Wunder, weil schon das Europäische Gesellschaftsrecht „den Konzern“ als Regelungsgegenstand nicht kennt.44) Auch der Begriff des Konzerns ist inhaltlich unklar. Für die Koordination der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung in mehreren parallel eröffneten Hauptinsolvenzverfahren hält die EuInsVO daher auch keinen Regelungsrahmen bereit. Auch die Kooperations- und Unterrichtungspflichten nach Art. 31 EuInsVO sind allein an den (einen) Hauptinsolvenzverwalter und den (einen) bzw. die (mehreren) Sekundärinsolvenzverwalter adressiert. Die Koordination der mehreren Hauptinsolvenzverfahren hat hier auf privatautonomer 51 Grundlage zu erfolgen. In sog. Drittstaatensachverhalten wurde zuletzt zum Zwecke der Koordination mehrere Insolvenzverfahren auf das Instrument der Insolvenzverwalterverträge45) zurückgegriffen, die im anglo-amerikanischen Rechtsraum als „protocols“ bekannt sind. Bekanntester Fall ist hier das Verfahren Maxwell Communication Corporation p.l.c., über deren Vermögen sowohl in den USA als auch in England das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.46) ___________ 41) Zu den Einzelheiten dieses Modus der Quotenanrechnung s. etwa Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 20 EuInsVO Rz. 8 ff. mit Beispiel. 42) Zu Überlegungen zum Europäischen Konzerninsolvenzrecht s. Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281 (Teil 1), 347 (Teil 2); s. für konkret formulierte Änderungsvorschläge zur EuInsVO Hirte, ZInsO 2011, 1788; Hirte, ECFR 2008, 213 ff.; zur parallelen Reformdiskussion in Deutschland ebenfalls Hirte, ZIP 2008, 444. 43) Mankowski, NZI 2004, 450, 452; Eidenmüller, ZHR 2005, 528; zum Ganzen auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 5. 44) Vgl. dazu Grundmann, Europ. GesR, Rz. 978 ff. 45) Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5; Ehricke, WM 2005, 397, 403; Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1111; s. a. Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, passim.; für eine Bezeichnung als Kooperationsübereinkommen, s. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 38. 46) Zu diesem Fall s. etwa Göpfert, ZZPInt 1 (1996), 269 ff.; Westbrook, Fordham L. Rev. 64 (1996), 2531; s. a. Paulus, ZIP 1998, 977, 979 ff. sowie Paulus, RabelsZ 2006, 458, 460 f.; weitere Beispiele für Protocols aus der Praxis stellt das International Insolvency Institute zur Verfügung, abrufbar unter http://www.iiiglobal.org.

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§ 27

Teil III Einzelfragen

52 Verträge des Insolvenzverwalters sind im Grundsatz nicht hoheitlicher oder öffentlichrechtlicher,47) sondern privatrechtlicher Natur. Dasselbe gilt auch für Insolvenzverwalterverträge. Das auf den materiellen Inhalt anwendbare Recht richtet sich deshalb nach dem Vertragsstatut. Jedenfalls sollte eine Konkretisierung der in Art. 31 ff. EuInsVO enthaltenen Kooperationspflichten zulässig sein.48) Im Übrigen macht die EuInsVO keine Vorgaben. 53 Die Frage danach, wer zum Abschluss solcher Insolvenzverwalterverträge befugt ist, beantwortet sich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung.49) Der deutsche Insolvenzverwalter hat je nach Inhalt des Insolvenzverwaltervertrages die Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 160 InsO einzuholen. Der Abschluss eines Insolvenzverwaltervertrages dürfte hiernach ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses zulässig sein, wenn er lediglich das Procedere der Kommunikation und Information der Insolvenzverwalter untereinander festlegt oder Maßgaben für die gemeinsame Gläubigerinformation aufstellt. Anders ist mit Blick auf die Auflistung in § 160 Abs. 2 InsO aber zu entscheiden, z. B. wenn der Insolvenzverwaltervertrag verbindliche Vorgaben für die Verwertung des Unternehmens als Ganzes oder eines Teilbetriebs enthält.50) 54 Der Vorschlag der Kommission zur Reform der EuInsVO51) reagiert auf das dringende praktische Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung der Koordination der Insolvenzverfahren konzernangehöriger Gesellschaften. Der Vorschlag sieht vor, dass ein ganz neues Kapitel IVa („Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe“) in die Verordnung eingefügt wird. Flankiert wird dieses neue Kapitel durch eine Ergänzung der Begriffsbestimmungen in Art. 2 EuInsVO um die Definitionen der „Unternehmensgruppe“ und der „Muttergesellschaft“ und der „Tochtergesellschaft“.52) 55 Kern der vorgeschlagenen neuen Regelungen zur „Konzerninsolvenz“ sind umfassende Pflichten zur Kooperation und Kommunikation unter den Insolvenzverwaltern (Art. 42a EuInsVO), aber auch eine Kommunikation und Zusammenarbeit unter den Gerichten (Art. 42b EuInsVO) und auch zwischen den Insolvenzverwaltern und den Gerichten (Art. 42c EuInsVO). 56 Schließlich erhalten die Insolvenzverwalter nach dem Vorschlag der Kommission die Möglichkeit der Einwirkung auf die jeweiligen Insolvenzverfahren der Unternehmensgruppe (Art. 42 d EuInsVO). Die Einwirkungsmöglichkeiten dienen dem Erhalt des Unternehmensverbundes und sollen vor allem eine „konzernweite Sanierung“ ermöglichen. Zu diesem ___________ So aber etwa Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 18. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 40 m. w. N. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 40. Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 41. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744. 52) Der Vorschlag der Kommission zur Ergänzung des Art. 2 EuInsVO lautet: „lit. i [Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck] „Unternehmensgruppe“ eine Anzahl von Unternehmen bestehend aus Mutter- und Tochtergesellschaften; lit. j [Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck] „Muttergesellschaft“ eine Gesellschaft, die (i) in einer anderen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter verfügt oder (ii) Aktionär oder Gesellschafter der Tochtergesellschaft ist und das Recht hat, aa) die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans dieser Tochtergesellschaft zu ernennen oder abzuberufen oder bb) auf der Grundlage eines mit dieser Tochtergesellschaft geschlossenen Vertrags oder einer Bestimmung in deren Satzung einen beherrschenden Einfluss auf diese Tochtergesellschaft auszuüben.“ 47) 48) 49) 50) 51)

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

Zweck soll jeder Insolvenzverwalter gehört werden, wenn ein weiteres Insolvenzverfahren über das Vermögen eines anderen Mitglieds derselben Unternehmensgruppe eröffnet worden ist. Die Insolvenzverwalter der konzernangehörigen Gesellschaften sollen ferner an den Insolvenzverfahren der jeweils anderen Gesellschaften mitwirken, insbesondere an der Gläubigerversammlung teilnehmen. Sie sollen sogar die Aussetzung eines Verfahrens beantragen können. Die Aussetzung soll nicht zuletzt dazu dienen, die Zeit zu gewinnen, die für die Integration des neu eröffneten Insolvenzverfahrens in ein „konzernweites“ Sanierungskonzept erforderlich ist. Jeder Insolvenzverwalter erhält nämlich nach dem Reformvorschlag der Kommission das Recht, einen Sanierungsplan, einen Vergleich oder eine andere vergleichbare Maßnahme für alle oder einige Mitglieder der Unternehmensgruppe vorzuschlagen und einen solchen Plan, Vergleich oder eine solche Maßnahme in den Verfahren, die gegen andere Mitglieder derselben Unternehmensgruppe eröffnet worden sind, im Einklang mit dem für diese Verfahren jeweils geltenden Rechte vorzulegen und zusätzliche verfahrensleitende Maßnahmen zu beantragen, die für eine Sanierung erforderlich sein können. Die vorgeschlagenen Regelungen für die Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmens- 57 gruppe sind zwar sehr zu begrüßen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Regelungen der Konzerninsolvenz nur einen sehr allgemeinen verfahrensmäßigen Rahmen für die Koordination der mehreren Hauptinsolvenzverfahren geben und die inhaltliche Ausgestaltung der so koordinierten Insolvenzverfahren weitgehend offenlassen. So bleibt es eine enorme Herausforderung für die Beteiligten, ein „konzernweites“ Sanierungskonzept unter Beachtung der verschiedenen einschlägigen nationalen Insolvenzrechte aufzustellen, z. B. einen einheitlichen, konzernweiten Insolvenzplan zu erarbeiten. V.

Öffentliche Bekanntmachungen

Nach Art. 21 Abs. 1 EuInsVO ist auf Antrag des Insolvenzverwalters in jedem anderen 58 Mitgliedstaat der wesentliche Inhalt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung entsprechend den Bestimmungen des jeweiligen Staates für öffentliche Bekanntmachungen zu veröffentlichen. In dieser fakultativen Bekanntmachung ist anzugeben, welcher Insolvenzverwalter bestellt wurde und ob es sich um ein Haupt- oder ein Sekundärinsolvenzverfahren handelt. Darüber hinaus kann die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung eines Hauptinsolvenz- 59 verfahrens auch obligatorisch sein. So kann nach Abs. 2 des Art. 21 EuInsVO jeder Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Schuldner eine Niederlassung besitzt, die obligatorische Bekanntmachung vorsehen. In diesem Fall hat der Verwalter oder jede andere hierzu befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, die für diese Bekanntmachung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die für eine Bekanntmachungspflicht vorausgesetzte nationale Regelung findet sich für Deutschland etwa in Art. 102 § 5 Abs. 2 Satz 1 EGInsO. Die Verbesserung der Transparenz hat sich auch der Vorschlag der Kommission zur Re- 60 form der EuInsVO53) auf die Fahnen geschrieben. Im Mittelpunkt steht hier die Einrichtung von elektronischen Insolvenzregistern (vgl. Art. 20a EuInsVO) und deren europaweite Vernetzung (vgl. Art. 20b EuInsVO).

___________ 53) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744.

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§ 27 VI.

Teil III Einzelfragen Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters

61 Die automatische Anerkennung und Wirkungserstreckung wird durch Art. 18 EuInsVO flankiert, der die „grenzenlosen“ Befugnisse des Insolvenzverwalters ausdrücklich vorsieht.54) Hiernach darf der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen. Er kann nach Satz 2 des Art. 18 Abs. 1 EuInsVO insbesondere vorbehaltlich der Art. 5 und Art. 7 EuInsVO die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaats entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden. 62 Als Nachweis der Verwalterstellung ist nach Maßgabe des Art. 19 EuInsVO eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung des Gerichts über die Bestellung oder auch eine andere von dem Gericht ausgestellte Bescheinigung ausreichend. Die Praxis zeigt, dass die niedrige Nachweisschwelle des Art. 19 EuInsVO noch nicht in allen Mitgliedstaaten „gelebt“ wird, sondern je nach den örtlichen Gepflogenheiten etwa noch Beschlüsse mit Apostille oder weitere Dokumente eingefordert werden.55) Jedenfalls sollte sich der Hauptinsolvenzverwalter frühzeitig um eine Übersetzung des Nachweises über seine Bestellung in alle Amtssprachen der Mitgliedstaaten bemühen, zu denen sein Insolvenzverfahren einen Kontakt hat.56) Die Übersetzung sollte in Anlehnung an Art. 55 Abs. 2 EuGVVO von einer in dem Mitgliedstaat befugten Person beglaubigt werden.57) 63 Die Regel der „grenzüberschreitenden Befugnis“ des Hauptinsolvenzverwalters nach Maßgabe der lex fori concursus kennt allerdings zwei Einschränkungen, wenn nämlich x

Verwertungshandlungen oder Befugnisse zur Streitentscheidung in Rede stehen oder

x

in einem anderen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren beantragt und daraufhin Sicherungsmaßnahmen erlassen werden oder das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wird.

64 Im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens und der Bestellung eines Sekundärinsolvenzverwalters stellt sich mit Blick auf die Befugnisse der Insolvenzverwalter die Abgrenzungsaufgabe. Der Sekundärinsolvenzverwalter nimmt seine Befugnisse nach Maßgabe der lex fori concursus secundarii zunächst eigenständig wahr, nur eben territorial begrenzt. Unabhängig von der einschlägigen lex fori concursus secundarii räumt Art. 18 Abs. 2 EuInsVO dem Sekundärinsolvenzverwalter zudem die Befugnis ein, in jedem anderen Mitgliedstaat (auch dem der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens) gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen, dass ein beweglicher Gegenstand nach der Eröffnung „seines“ Sekundärinsolvenzverfahrens aus dem Gebiet des Staates der Verfahrenseröffnung in das Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats verbracht worden ist. Des Weiteren kann er eine den Interessen der Gläubiger dienende Anfechtungsklage erheben. 65 Allerdings muss die Ausübung der Befugnisse, die den verschiedenen Insolvenzverwaltern nach der jeweiligen lex fori eingeräumt sind, im Fall der grenzüberschreitenden Sachverhalte aufeinander abgestimmt werden. Zu dieser Kooperation der Insolvenzverwalter sogleich im Folgenden unter Rz. 66 ff.

___________ 54) Art. 18 EuInsVO ist eine Sachnorm des europäischen Rechts, so der Hinweis etwa auch von PannenPannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 18 Rz. 34. 55) S. dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 2. 56) Eine solche Übersetzung kann nach Satz 2 des Art. 19 EuInsVO ohnehin verlangt werden. 57) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 19 EuInsVO Rz. 1.

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Undritz/Meyer-Sommer

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

VII. Kooperation der Insolvenzverwalter Die Koordination der Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren erfolgt insbesondere 66 durch eine wechselseitige Informations- und Kooperationspflicht der verschiedenen Insolvenzverwalter.58) 1.

Informationspflichten

Nach Art. 31 Abs. 1 EuInsVO besteht für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens 67 und für die Verwalter der Sekundärinsolvenzverfahren die Pflicht zur gegenseitigen Unterrichtung. Sie haben nach Satz 2 des Art. 31 Abs. 1 EuInsVO einander „unverzüglich“ alle Informationen mitzuteilen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere den Stand der Anmeldung und der Prüfung der Forderungen sowie alle Maßnahmen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens. Die in Absatz 1 Satz 2 geforderte „Unverzüglichkeit“ der Information ist autonom auszu- 68 legen. Es kann nicht auf die in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene Legaldefinition der Unverzüglichkeit als ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung in Deutschland zurückgegriffen werden.59) Eine pauschale Bestimmung der Unverzüglichkeit verbietet sich. Vielmehr bemisst sich das Zeitfenster im Einzelfall vor allem nach dem konkreten Gegenstand der Information und nach dem Bezug zum jeweiligen Insolvenzverfahren. Klar dürfte insofern sein, dass übergeordnete, verfahrensleitende Umständen (z. B. bevorstehender Unternehmensverkauf) von den jeweiligen Insolvenzverwaltern eine zügigere Information verlangen als rein territorial begrenzte Sachverhalte. Der Umstand, dass eine Übersetzung erforderlich ist, darf in einem immer weiter fortentwickelten Binnenmarkt keine wesentliche Verzögerung hervorrufen. Die Folgen einer Nichtbeachtung der Pflicht aus Art. 31 Abs. 1 EuInsVO ist in der 69 EuInsVO nicht normiert. Maßgeblich ist folglich das nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO bzw. Art. 28 EuInsVO anzuwendende Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Nach deutschem Insolvenzrecht dürfte die Pflicht zur wechselseitigen Information eine Pflicht i. S. des § 60 InsO sein, deren schuldhafte Verletzung zur persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters führt. Das ist nicht zweifelsfrei, weil § 60 InsO von der Verletzung einer Pflicht „nach diesem Gesetz“ spricht und damit die InsO meint.60) Eine europarechtskonforme Auslegung des § 60 InsO führt aber zu dem Ergebnis, dass § 60 InsO auch auf Verletzung von Pflichten anzuwenden ist, die ihren Ursprung in der EuInsVO haben, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar anwendbares Recht darstellt. 2.

Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters

Über die Pflicht zur wechselseitigen Information hinaus ist die Grundordnung der Koor- 70 dination der Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren aber durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet. Die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens wird vor allem durch mehrere Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters auf gleichzeitig anhängige Sekundärinsolvenzverfahren sichergestellt.61) Der Verwalter eines Sekundärinsolvenzverfahrens hat nach Art. 31 Abs. 3 EuInsVO dem 71 Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu gegebener Zeit Gelegenheit zu geben, Vorschläge für die Verwertung oder Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfah___________ 58) 59) 60) 61)

Dazu und zum Folgenden s. a. Ehricke, WM 2005, 397; Staak, NZI 2004, 480. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 4. Zu dieser Problematik s. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 5. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 20 der EuInsVO.

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rens zu unterbreiten. In dieser Regelung zeigt sich der „dienende Charakter“ der Sekundärinsolvenzverfahren. Allerdings ist der Grad der Verbindlichkeit der Vorschläge des Hauptinsolvenzverwalters unklar.62) 72 Die Vorschläge des Hauptinsolvenzverwalters für die Verwertung oder Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens haben keinen Weisungscharakter, insbesondere ein Weisungsrecht des Hauptinsolvenzverwalters kann dem Absatz 3 des Art. 31 EuInsVO nicht entnommen werden. Der Sekundärinsolvenzverwalter wird sich aber auch nicht ohne weiteres über einen Vorschlag des Hauptinsolvenzverwalters zur Verwertung oder Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens hinwegsetzen dürfen. Denn die Verweigerung einer nachgewiesener Maßen besseren Verwertungsmöglichkeit durch den Sekundärinsolvenzverwalter kann eine Schadenersatzpflicht nach Maßgabe des jeweils anzuwenden Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung begründen.63) 73 In den Fällen, in denen der Sekundärinsolvenzverwalter einen Gegenstand verwerten möchte, der für die Betriebsfortführung dringend erforderlich ist, kann der Hauptinsolvenzverwalter die avisierte Verwertung sogar nach Art. 33 EuInsVO aussetzen lassen. Die Aussetzung der Verwertung von Gegenständen der Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens soll den drohenden „Zerschlagungsmechanismus“64) dieses Verfahrens stoppen. Die Aussetzung gewährt dem Hauptinsolvenzverwalter gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO (höchstens) drei Monate Zeit, um alternative Verwertungsszenarien zu entwickeln, insbesondere den Betrieb bis zu einer sog. übertragenden Sanierung des schuldnerischen Unternehmens als Ganzes fortzuführen. In dem zuletzt genannten Fall richtet sich die Aussetzung nach Art. 33 Abs. 1 EuInsVO dann gegen Stilllegungsmaßnahmen des Geschäftsbetriebs durch den Sekundärinsolvenzverwalter. 74 Die Aussetzung der Verwertung ordnet das nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO zuständige Gericht auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters an.65) Die Voraussetzungen der Aussetzung der Verwertung sind nicht besonders streng. Nach Satz 2 des Art. 33 Abs. 1 EuInsVO kann der Antrag des Hauptinsolvenzverwalters nur abgelehnt werden, wenn die Aussetzung offensichtlich für die Gläubiger des Hauptinsolvenzverfahrens nicht von Interesse ist. Die Offensichtlichkeit begründet den Ausnahmecharakter der Ablehnung.66) 75 Da die Aussetzung der Verwertung an keine strengen Voraussetzungen geknüpft ist, steht dem zuständigen Gericht das Recht zu, vom Hauptinsolvenzverwalter alle angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Gläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens sowie einzelner Gruppen von Gläubigern zu verlangen. 76 Schließlich kann das Gericht nach Maßgabe des Absatzes 2 des Art. 33 EuInsVO die Aussetzung der Verwertung auch wieder aufheben: x

auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens,

x

von Amts wegen, auf Antrag eines Gläubigers oder auf Antrag des Verwalters des Sekundärinsolvenzverfahrens, wenn sich herausstellt, dass diese Maßnahme insbesondere nicht mehr mit dem Interesse der Gläubiger des Haupt- oder des Sekundärinsolvenzverfahrens zu rechtfertigen ist.

___________ 62) Ausführlich dazu Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 9 f. 63) Zur nicht ganz unproblematischen Anwendung des § 60 InsO mit Blick auf Pflichten nach Maßgabe der EuInsVO s. o. Rz. 69 und Nachweis bei Fn. 60. 64) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 1. 65) Ausführlich zum Verfahren s. Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 15 f. 66) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 33 EuInsVO Rz. 5.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen 3.

§ 27

Exkurs: Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren

Die Möglichkeit der Anordnung der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO besteht 77 grundsätzlich auch im grenzüberschreitenden Kontext.67) Mit Blick auf ein Sekundärinsolvenzverfahren stellt sich allerdings die Frage, ob der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens als „eigenverwaltender Schuldner“ des Sekundärinsolvenzverfahrens angesehen werden kann. Bejaht man die Frage, wird der Hauptinsolvenzverwalter zum Träger einer „Doppelrolle“, die für die einheitliche Verfahrensabwicklung im Einzelfall erhebliche Vorteile mit sich bringen kann.68) Das AG Köln ging in der Rechtssache Automold von der Zulässigkeit der Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren aus und hat den englischen Joint Administrators des Hauptinsolvenzverfahrens auf diesem Wege auch eine Verwaltung der „Sekundärmasse” ermöglicht.69) Das AG Köln begründete diesen Weg ausdrücklich mit dem Bestreben „die Schwierigkeiten, die sich aus der unterschiedlichen Ausrichtung eines Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens ergeben können, zu reduzieren”. Diese Konstruktion kann jedoch ohne Frage Interessenkonflikte mit sich bringen, die 78 dem Sinn und Zweck der Sekundärinsolvenzverfahren, die ja gerade dem Schutz der „lokalen“ Interessen dienen sollen, zuwiderlaufen. Überdies deuten die Vorschriften der Art. 31 ff. EuInsVO darauf hin, dass die EuInsVO von einer jeweils eigenständigen Tätigkeit der Insolvenzverwalter in jedem grenzüberschreitendem Insolvenzverfahren ausgeht. Diese Grenzziehung zwischen „lokalen“ Interessen und Interessen des Hauptinsolvenzverfahrens droht durch eine Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren verwischt zu werden. Vor diesem Hintergrund lehnen es einige Stimmen auch ab, dass der Hauptinsolvenzverwalter durch die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren eine „Doppelrolle“ einnimmt.70) Die Kritik an der Zulässigkeit der Eigenverwaltung darf nicht übersehen, dass die Eigenver- 79 waltung nach nationalem Insolvenzrecht nicht voraussetzungslos angeordnet wird. Sie scheidet vielmehr aus, wenn Nachteile für die Gläubiger drohen (vgl. § 270 InsO). Auch nach der Anordnung sind die Interessen der lokalen Gläubiger noch hinreichend geschützt, weil zum einen ein Sachwalter den eigenverwaltenden Hauptinsolvenzverwalter überwacht und zum anderen das Insolvenzgericht auf Antrag auch einzelner Gläubiger anordnen kann, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung des Sachwalters abgeschlossen werden dürfen. Schließlich kann das Insolvenzgericht nach Maßgabe des § 272 InsO die Eigenverwaltung auch wieder aufheben. VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte Zu der Frage der Kooperation der Insolvenzgerichte in grenzüberschreitenden Insol- 80 venzverfahren enthält sich die EuInsVO.71) Eine analoge Anwendung der Pflicht der Insolvenzverwalter zur Kooperation und Unterrichtung nach Art. 31 EuInsVO auf die Insolvenzgerichte kommt nicht in Betracht.72) Die fehlende Pflicht zur Kommunikation ___________ 67) Zum Ganzen statt vieler Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 30; ausführlich auch Beck, NZI 2006, 609, 616 ff. 68) Für die Zulässigkeit der Anordnung einer Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren etwa MeyerLöwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195; Smid, DZWIR 2004, 397, 406 ff. 69) AG Köln, Beschl. v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 151. 70) Beck, NZI 2006, 609, 616 f.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 71) Eingehend zur Problematik der Kooperationspflicht zwischen Insolvenzgerichten Ehricke, ZIP 2007, 2395; Vallender in: FS Lüer, S. 479, 480. 72) Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 31 EuInsVO Rz. 8.

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schließt das Recht bzw. die Möglichkeit zur Kommunikation selbstverständlich nicht aus.73) 81 Nicht bindende Maßgaben für die Kooperation der Insolvenzgerichte hat INSOL Europe unter Federführung von Miguel Virgos und Bob Wessels entworfen und in einer entsprechenden „Guideline“ veröffentlicht, den European Communication and Cooperation Guidelines for Cross-Border Insolvency (kurz: CoCo-Guidelines). Hier konkretisiert Guideline 16 i. S. einer nicht bindenden „best practice“ den Rahmen der Kooperation und Kommunikation der Gerichte in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.74) 82 Nach dem Vorschlag der Kommission zur Reform der EuInsVO75) soll nun erstmals die Kommunikation und Zusammenarbeit unter Gerichten als Regelungsgegenstand in die Verordnung aufgenommen werden. Nach dem vorgeschlagenen Art. 42b EuInsVO sollen bei Insolvenzverfahren gegen zwei oder mehr Mitglieder derselben Unternehmensgruppe die Gerichte, die mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen ein Mitglied der Unternehmensgruppe befasst sind oder die ein solches Verfahren eröffnet haben, zusammenarbeiten, soweit diese Zusammenarbeit die effiziente Abwicklung der Verfahren erleichtern kann und mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist. IX.

Ausübung von Wahlrechten

83 Das Recht des Staates der Eröffnung des Haupt- bzw. Sekundärinsolvenzverfahrens entscheidet nach Art. 4 Abs. 2 lit. e EuInsVO darüber, wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt. Gewährt das jeweils einschlägige nationale Recht dem Insolvenzverwalter besondere Wahlrechte (im deutschen Recht z. B. nach §§ 103 ff. InsO) stellt sich in der Konstellation, dass ein Hauptinsolvenzverfahren und mehrere Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen einer (juristischen) Person eröffnet wurde, die Frage nach der Befugnis zur Ausübung dieser Wahlrechte.76) Rechtlich sind die Verträge dem Schuldner als (juristische) Person zugeordnet. Im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens muss die Zuordnung anders erfolgen, und zwar zum Hauptinsolvenzverfahren oder zu der territorial begrenzten Vermögensmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens. Die Zuordnung beiderseits noch nicht vollständig erfüllter Verträge erfolgt nach Maßgabe der allgemeinen Regeln der Vermögensbelegenheit nach Art. 2 lit. g EuInsVO.77) Im Ergebnis dürfte sich die Belegenheit des schwebenden Vertrages nach der Maßgabe für die Belegenheit von Forderungen bestimmen, also danach, wo die andere Vertragspartei den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat. 84 Es wird hier nicht übersehen, dass auch nach dieser Zuordnung die Befugnis zur Ausübung des Wahlrechts in den „falschen Händen“ liegen kann, wenn über die weitere Erfüllung des Vertragsverhältnisses nicht der Insolvenzverwalter zu befinden hat, dessen Haupt- bzw. Sekundärinsolvenzverfahren auch den entsprechenden wirtschaftlichen Wert der Erfüllung ___________ 73) Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 9; Ehricke in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 337, 348. Erste Ansätze der Aufnahme der Kommunikation zwischen den Gerichten finden sich etwa in dem Insolvenzverfahren in der Rechtssache Nortel, vgl. High Court of Justice London, Beschl. v. 11.2.2009 – (2009) EWHC 206 (Ch), ZIP 2009, 578 = NZI 2009, 450, m. krit. Anm. Mankowski. 74) S. a. Vallender, IILR 2011, 309; Fletcher/Wessels, IILR 2013, 2. 75) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 12.12.2012, COM(2012) 744. 76) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 23. 77) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 24.

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erlangen würde, wenn also z. B. der Hauptinsolvenzverwalter das Erfüllungswahlrecht im Hinblick auf Zulieferungsverträge auch für die Produktionsstätten des Schuldners in unterschiedlichen Niederlassungsstaaten hat. Der Koordinationsbedarf bleibt daher unverändert groß. Vor jeder Ausübung eines Wahlrechts ist die mögliche Betroffenheit des Hauptinsolvenzverfahrens oder eines anderen Sekundärinsolvenzverfahrens zu prüfen und ggf. eine Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter des jeweiligen Verfahrens herbeizuführen. X.

Austauschverträge zwischen den Verfahren

In den Konstellationen der grenzüberschreitenden Betriebsfortführung findet in aller Regel 85 auch ein grenzüberschreitender Austausch von Lieferungen und Leistungen zwischen mehrere Betriebsstätten des Schuldners statt.78) Rechtlich liegt dem regelmäßig kein Austauschvertrag zugrunde, weil der Niederlassung die eigenständige Rechtspersönlichkeit fehlt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert hieran regelmäßig nichts, weil den verschiedenen Vermögensmassen keine Rechtspersönlichkeit zukommt, insbesondere sind die Insolvenzmassen keine juristischen Personen. Gleichwohl kann eine Gegenleistung als Vermögensausgleich vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung ist jedenfalls von der Kooperationspflicht in Art. 31 Abs. 2 EuInsVO gedeckt.79) XI.

Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung

Wenn das schuldnerische Unternehmen in der Insolvenz fortgeführt wird, entstehen wäh- 86 rend der Betriebsfortführung durch Handlungen des Insolvenzverwalters und auch aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung unverändert zur Insolvenzmasse verlangt wird (zur Ausübung des Wahlrechts siehe oben Rz. 83), kontinuierlich neue Verbindlichkeiten. Nicht zuletzt laufen auch die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer während der Betriebsfortführung weiter. Diese Forderungen aus der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind regelmäßig vorrangig aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Der Rang solcher Forderungen, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, ergibt sich im Ausgangspunkt gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. i EuInsVO nach Maßgabe der lex fori concursus. Bei einer Verfahrenseröffnung in Deutschland ergibt sich der Vorrang solcher „Fortführungskosten“ aus ihrer Einordnung als „sonstige Masseverbindlichkeiten“ i. S. des § 55 Abs. 1 InsO. Die Behandlung derartiger Masseverbindlichkeiten im Fall der späteren Eröffnung eines 87 Sekundärverfahrens stellt ein besonderes Problem der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren dar.80) Es geht beispielhaft um folgende Fallkonstellation:81) 88 Der Schuldner hat den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in England, wo auch das Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet wird. In Deutschland unterhält der Schuldner eine unselbständige Niederlassung. Die Produktionstätigkeit am Ort der Niederlassung wird zunächst vom englischen Insolvenzverwalter unverändert fortgeführt, sodass neue Verbindlichkeiten begründet werden. Einen Monat später wird ein Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO in Deutschland eröffnet. ___________ 78) Dazu und zum Folgenden Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 24 ff. 79) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 24. 80) Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 15a ff.; Pannen-Herchen, EuInsVO, Art. 27 Rz. 50 ff.; ausführlich auch Beck, NZI 2007, 1 ff.; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752 ff. 81) Vgl. das einfache Beispiel von Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354.

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89 Nach wohl überwiegender Auffassung sind in diesem Fall drei (fiktive) Vermögensmassen zu bilden:82) x

Vermögensmasse 1: Die erste Vermögensmasse bildet das, vom universellen Geltungsanspruch des Hauptinsolvenzverfahrens erfasste, gesamte Vermögen des Schuldners als die „ursprüngliche“, einheitliche Insolvenzmasse. Diese Vermögensmasse haftet für die Kosten der Betriebsfortführung aus der Zeit, in der (noch) kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet war.83)

x

Vermögensmasse 2: Die zweite Vermögensmasse bildet das vom Vermögensbeschlag des Sekundärinsolvenzverfahrens erfasste Vermögen des Schuldners, das im Staat des Sekundärverfahrens belegen ist und auf das sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Sekundärinsolvenzverwalters bezieht. Dieses territorial begrenzte Vermögen wird mit der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens aus der einheitlichen Haftungsmasse, die infolge der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens gebildet wurde, herausgelöst.84) Diese Teilmasse haftet für die Kosten der Betriebsfortführung für den Zeitraum ab Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, soweit die Kosten das Sekundärinsolvenzverfahren betreffen, also insbesondere vom Sekundärinsolvenzverwalter begründet wurden.

x

Vermögensmasse 3: Das vom Vermögensbeschlag des Hauptinsolvenzverfahrens erfasste Vermögen des Schuldners, abzüglich der Vermögensgegenstände, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, in dem zwischenzeitlich ein Sekundärverfahren eröffnet wurde und die damit mit der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens in dessen territorial begrenzte Insolvenzmasse fallen. Diese Teilmasse haftet für die Kosten der Betriebsfortführung für den Zeitraum ab Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens, soweit die Kosten das Hauptinsolvenzverfahren betreffen, also insbesondere vom Hauptinsolvenzverwalter begründet wurden.

90 Im Ergebnis sollen die Masseverbindlichkeiten je nach Zuordnung aus den entsprechenden Vermögensmassen beglichen werden, wobei die Zuordnung nach zeitlichen und nach territorialen Gesichtspunkten erfolgt.85) 91 Diese Zuordnung ist mit Blick auf Masseverbindlichkeiten, die zeitlich nach Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens begründet wurden, naheliegend. Je nachdem, ob die Masseverbindlichkeiten sich auf das Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren beziehen und entsprechend vom Insolvenzverwalter des Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahrens begründet wurden, haftet für sie die zuvor gennannte „Vermögensmasse 2“ oder „Vermögensmasse 3“. 92 Dagegen ist die angenommene Haftung der territorial begrenzten Insolvenzmasse des Sekundärverfahrens für Masseverbindlichkeiten, die vor der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens bereits begründet wurden, nicht selbstverständlich. Deshalb wird auch vereinzelt eine Einschränkung dieser Haftung in der Weise vorgeschlagen, dass die Haftung für Masseverbindlichkeiten im Verhältnis der Umfänge der Vermögensmassen aufgeteilt ___________ 82) S. zu dieser Lösung etwa Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752, 754. 83) Es wird hier davon ausgegangen, dass vor der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens auch noch kein eigenständiges Partikularinsolvenzverfahren i. S. des Art. 3 Abs. 4 EuInsVO eröffnet worden ist. 84) Statt vieler Leonhardt/Smid/Zeuner-Smid, Int. InsR, Art. 27 EuInsVO Rz. 25. Die territorial begrenzte Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens kann dabei auch Vermögensgegenstände erfassen, die zuvor nicht von der Beschlagwirkung des Hauptinsolvenzverfahrens erfasst wurden, insbesondere weil sie unter die Ausnahmetatbestände der Vorschrift des Art. 5 EuInsVO fielen, zu diesem Effekt der „Massemehrung“ s. oben Rz. 28. 85) Grundlegend Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, S. 51; Reinhart, Sanierungsverfahren im internationalen Insolvenzrecht, S. 595 f.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 306.

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werden oder nach dem ganz konkreten Nutzen zugeordnet werden müssten.86) Die zuletzt genannte Aufteilung der Masseverbindlichkeiten zu dem jeweiligen Verfahren, in dem sie einen entsprechenden Mehrwert geschaffen haben, ist nicht praktikabel. Wenn die Haftung generell verneint würde, fallen zwar Aufteilungsschwierigkeiten weg, 93 dann müsste der Hauptinsolvenzverwalter aber von Beginn an auch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens und die Herauslösung einer entsprechenden Teilmasse antizipieren und dürfte nur jene Vermögensgegenstände in seine Berechnung der Massekostendeckung miteinbeziehen, die sich am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen oder in einem Mitgliedstaat befinden, in dem eine Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Ermangelung einer Niederlassung von vornherein scheitern muss.87) Anderenfalls würde das schutzwürdige Vertrauen der Massegläubiger in nicht mehr hinnehmbarer Weise verletzt, wenn der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Massezulänglichkeit zunächst an der „Vermögensmasse 1“ bemessen dürfte, die spätere Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens einen Teil der Haftungsmasse dem Zugriff der Massegläubiger aber rückwirkend wieder entziehen können soll. Nicht übersehen werden darf dabei, dass es sich hierbei durchaus um einen erheblichen Teil der Haftungsmasse handeln kann, wenn nämlich z. B. der wesentliche Teil des Vermögens des Schuldners im Mitgliedstaat der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahren belegen ist, während am Ort des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen lediglich die Verwaltungsentscheidungen getroffen werden.88) Geht man im Ergebnis davon aus, dass das vom universellen Geltungsanspruch des Haupt- 94 insolvenzverfahrens erfasste gesamte Vermögen des Schuldners als einheitliche Insolvenzmasse („Vermögensmasse 1“) für die Kosten der Betriebsfortführung aus der Zeit, in der (noch) kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet war haftet, gibt es für einen Innenausgleich zwischen den verschiedenen Vermögensmassen vor der Schlussverteilung wegen der uneingeschränkten Universalität der Passivmasse kein praktisches Bedürfnis der Massegläubiger oder der „einfachen“ Insolvenzgläubiger. Denn nach dem Grundsatz der Doppelanmeldung gemäß Art. 32 Abs. 1 EuInsVO kann jeder Insolvenzgläubiger seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden.89) Die Massegläubiger des Sekundärinsolvenzverfahrens werden dadurch nicht unange- 95 messen benachteiligt, weil sie die ihnen haftende Vermögensmasse schlicht von Beginn an verkürzt um die Masseverbindlichkeiten aus der Zeit bis zur Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens vorfinden.90) Ist die Deckung der Massekosten (Gerichtskosten, Verwaltervergütung, Auslagen) nach 96 nationalem Recht – wie in Deutschland nach § 26 InsO – Voraussetzung für die Verfahrenseröffnung, sind im Fall der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens die Kosten des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen, soweit die territorial begrenzte Insolvenzmasse für diese Kosten ebenfalls haftet. Nach Art. 30 EuInsVO kann das Gericht vom Antragsteller einen Kostenvorschuss oder eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen, wenn Masseunzulänglichkeit besteht. Auch der Hauptinsolvenzverwalter, der nach Art. 29 lit. a EuInsVO den Antrag zur Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens stellen ___________ 86) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, 2002, Art. 27 Rz. 58. 87) S. zu diesem Aspekt auch Undritz in: HambKomm-InsO, Art. 27 EuInsVO Rz. 15a; kritisch Ringstmeier/ Homann, NZI 2004, 354; ferner Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 752. 88) Zu den für die Begründung des COMI hinreichenden tatsächlichen Umständen s. oben Rz. 15. 89) Ebenso Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354, 357. 90) Ebenso Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354, 357.

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kann, kommt als Kostenschuldner in Betracht. Die Frage, ob dann eine Masseunzulänglichkeit vorliegt, beurteilt sich nach der lex fori concursus secundariae. 97 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich im Übrigen auch bei der Abgrenzung der Aktivmasse (dazu bereits oben Rz. 48). Im Ergebnis muss sichergestellt sein, dass den Kosten auch die entsprechenden Einnahmen aus der Betriebsfortführung gegenüberstehen. Das ist nicht selbstverständlich. Denn Forderungen des Insolvenzschuldners gegen Dritte werden nach Art. 2 lit. g EuInsVO dem Mitgliedstaat zugeordnet, in dessen Gebiet der zur Leistung verpflichtete Dritte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen i. S. von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat. Deshalb kann es durchaus sein, dass die Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens, mit den Kosten belastet wird, während die aus der Betriebsfortführung generierten Forderungen in die Insolvenzmasse des Hauptinsolvenzverfahrens fallen, weil der Drittschuldner seinen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen außerhalb des Mitgliedstaates des Sekundärinsolvenzverfahrens hat. Auf solche Sachverhalte stößt man regelmäßig, wenn die Produktion des Schuldners in einen bestimmten Mitgliedstaat ausgelagert wurde, die produzierten Waren aber schwerpunktmäßig im Inland oder doch zumindest nicht am Standort der Produktionsstätte vertrieben werden. Da eine Produktionsstätte den Niederlassungsbegriff des Art. 2 lit. h EuInsVO ohne weiteres erfüllt, ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens möglich und in aller Regel sogar wahrscheinlich (zum Begriff der Niederlassung siehe oben Rz. 44). 98 Vor diesem Hintergrund muss ggf. in einer Fortführungsvereinbarung zwischen dem Hauptverwalter und den betreffenden Sekundärverwalter ein Ausgleich zugunsten der mit den Kosten belasteten Insolvenzmasse des Sekundärinsolvenzverfahrens vereinbart werden. Jedenfalls müssen Haupt- und Sekundärverwalter die Frage der Fortführungsfinanzierung gemeinsam beantworten. Diese Fragen können auch Gegenstand von Insolvenzverwalterverträgen (protocols) sein (zu diesem Instrument siehe oben Rz. 51 ff.). XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund 99 Die Betriebsfortführung mündet nicht selten in eine übertragende Sanierung des gesamten Geschäftsbetriebs. Ist ein „grenzüberschreitender“ Geschäftsbetrieb Gegenstand eines solchen Asset Deals, stellt die Koordination des Verkaufsprozesses eine enorme Herausforderung an die Verfahrensbeteiligten dar, für die die EuInsVO keinen geschlossenen Rechtsrahmen bereithält. In diesem Zusammenhang ist erneut zwischen der Koordination mehrerer Hauptinsolvenzverfahren, die über das Vermögen mehrerer Gesellschaften einer Unternehmensgruppe eröffnet wurden („Konzerninsolvenz“), und der Koordination von einem Hauptinsolvenzverfahren und einem bzw. mehrerer Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft und einer bzw. mehrerer Niederlassungen zu unterscheiden. 100 Insbesondere mit Blick auf die Insolvenzverwalter des Haupt- und der Sekundärinsolvenzverfahren setzt dies eine unbedingte Bereitschaft zur gegenseitigen Kooperation voraus, und zwar weitgehend auf privatautonomer Basis (zur Kooperationspflicht der Insolvenzverwalter nach der EuInsVO siehe oben Rz. 70 ff.). Es wird regelmäßig sinnvoll sein, gemeinsam eine Investmentbank oder einen M&A-Berater zur Durchführung des erforderlichen Investorenprozesses zu beauftragen.91) Ferner wird die Verhandlung und Gestaltung des Kaufvertrags zentral gesteuert werden müssen. Nicht zuletzt wird sich auch die Frage stellen, wie der erzielte Kaufpreis auf die unterschiedlichen Insolvenzmassen aufzuteilen ist. 101 In diesem Zusammenhang ist sowohl zum Zwecke der Koordination mehrerer Hauptinsolvenzverfahren („Konzerninsolvenz“) als auch eines Hauptinsolvenzverfahrens und eines ___________ 91) Ebenso Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 29.

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Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen

§ 27

oder mehrerer Sekundärinsolvenzverfahren auf das Instrument der Insolvenzverwalterverträge92) zurückzugreifen (zu diesem Instrument bereits oben Rz. 51 ff.). Zum Zwecke des Erhalts des Unternehmens als organisatorischer Verbund ist die Ver- 102 meidung der Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren zwar nicht rechtlich zwingend, die Vermeidung der „verfahrensmäßigen Zersplitterung“ kann hierfür aber faktisch Voraussetzung sein.93) Vor diesem Hintergrund haben englische Gerichte in den Insolvenzverfahren in der Rechtssache Collins & Aikman94) und MG Rover95) den englischen Hauptinsolvenzverwalter dazu ermächtigt, Forderungen ausländischer Gläubiger nach dem in ihrem jeweiligen Land geltenden Recht zu befriedigen, ungeachtet der an sich anwendbaren englischen Verteilungsordnung. Es ging in dem Verfahren MG Rover vor allem darum, Forderungen der Arbeitnehmer der acht europäischen Vertriebsgesellschaften in demselben Rang zu bedienen, den diese Forderungen nach dem jeweils anwendbaren nationalen Insolvenzrecht hätten, welches gelten würde, wenn in dem jeweiligen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet würde. Ob eine solche Regelung des Ranges nach deutschem Insolvenzrecht auch dem deutschen Hauptinsolvenzverwalter möglich wäre, ist mit Blick auf den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum) zweifelhaft.96) Im Einzelfall wird auch der Verkauf der gesamten Masse des Sekundärverfahrens an den 103 Hauptinsolvenzverwalter im Wege eines Asset Deals in Betracht gezogen, um Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden.97) Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen „übertragenden Sanierung“ im Sekundärinsolvenzverfahren sind jedoch nicht einmal ansatzweise geklärt, sodass der Hauptinsolvenzverwalter mit dieser Strategie wohl eher vom Regen in die Traufe gerät.

___________ 92) Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5; Ehricke, WM 2005, 397, 403; Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1111; s. a. Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, passim.; für eine Bezeichnung als Kooperationsübereinkommen, s. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 38. 93) Zu verschiedenen Strategien der Vermeidung von Sekundärinsolvenzverfahren s. Gottwald-Gottwald/ Kolmann, Hdb. InsR, § 131 Rz. 160. 94) High Court of Justice London, Beschl. v. 9.6.2006 – EWHC 1343 (Collins & Aikman), ZIP 2006, 2093 = NZI 2006, 654, m. Anm. Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622. 95) High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 11.5.2005 – 2375 bis 2382/05 (MG Rover II), NZI 2005, 515, m. Anm. Penzlin/Riedemann; High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 30.3.2006 – No. 2377/2006, NZI 2006, 416, m. Anm. Mankowski. 96) So auch Mankowski, NZI 2006, 418 (Urteilsanm.); Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517, 519 (Urteilsanm.). 97) Dazu und zum Folgenden Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 31 EuInsVO Rz. 30 f.

Undritz/Meyer-Sommer

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§ 28 Betriebsfortführung in Sonderfällen Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht) ............... 8 III. Die Betriebsfortführung der freien Berufe ......................................................... 13 1. Ärzte und Ärztinnen/Zahnärzte und Zahnärztinnen ............................................ 14 1.1 Allgemeines ..................................... 14 1.2 Modelle der Fortführung einer Arztpraxis........................................ 19 1.3 Offenlegung der Honorarforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter .................................. 24 1.4 (Un-)Wirksamkeit von Vorausabtretungen der Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung ..................................... 25 2. Apotheker/Apothekerinnen...................... 35 3. Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen ........... 38 3.1 Allgemeines ..................................... 38 3.2 Keine Widerlegung der Vermutung durch bloße Eröffnung des Insolvenzverfahrens ................ 43 3.3 Widerlegung der Vermutung durch Ankündigung der Restschuldbefreiung ...................... 44 3.4 Widerlegung der Vermutung durch Wechsel in ein Angestelltenverhältnis ................... 48 3.5 Widerlegung der Vermutung durch einen Insolvenzplan ............. 51 3.6 Kompetenzkonflikt zwischen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter .......................................... 56

4. 5.

Steuerberater/Steuerberaterinnen ............. 58 Wirtschaftsprüfer/Wirtschaftsprüferinnen ................................................. 59 6. Architekten/Architektinnen ..................... 63 IV. Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins ................................... 67 1. Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage .............................................. 68 2. Vorrang der InsO bzw. des staatlichen Rechts ......................................................... 79 2.1 Kein Vorrang der Vertragsautonomie........................................ 80 2.2 Wirksamkeit der Regelungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bzw. ihrem Wegfall ......... 84 2.2.1 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der Lizenzliga .................................. 92 2.2.2 Automatischer Entzug der Lizenz mit Verfahrenseröffnung................ 96 2.2.3 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der dritten Liga und Amateurligen ............................................... 100 2.2.4 Regelungen zum Erlöschen von Lizenzen bzw. Zulassungen ......... 110 2.3 Anwendbarkeit und Vorrang der §§ 1, 103, 119 InsO ............... 112 3. Besonderheiten in der Kommunikation ...................................... 122 V. Zusammenfassung .................................. 125

Literatur: Adolphsen, Lizenz und Insolvenz von Sportvereinen, KTS 2005, 53 – 73; Adolphsen, in: Heermann (Hrsg.), Lizenzentzug und Haftungsfragen im Sport, Recht und Sport, 2005; Akhamal/ Jantos/Panthel/Simon, Kommunikation in der Krise – eine Fallstudie am Beispiel der Insolvenz der Handballbundesligamannschaft TUSEM Essen, InsbürO 2009, 406 – 412; Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen – Erfolgreiche Wege der Kapitalbeschaffung, 2010; Ehlers, Vermeidung des Widerrufs der Zulassung als kammergebundener Freiberufler wegen Vermögensverfalls, NJW 2008, 1480 – 1485; Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 2. Aufl., 2007; Graf/Wunsch, Nochmals: Insolvenzplan und Eigenverwaltung – Ein gangbarer Weg auch in der Insolvenz von Rechtsanwälten, Notaren und Steuerberatern?, ZVI 2005, 105; Graf/Wunsch, Eigenverwaltung und Insolvenzplan – gangbarer Weg in der Insolvenz von Freiberuflern und Handwerkern?, ZIP 2001, 1029 – 1040; Gutzeit, Die Vereinsinsolvenz unter besonderer Berücksichtigung des Sportvereins, 2003; Haas, Die Auswirkungen der Insolvenz auf die Teilnahmeberechtigung der Sportvereine am Spiel- und Wettkampfbetrieb, NZI 2003, 177 – 184; Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 3. Aufl., 2010; Kleine-Cosack, Verschärfte Voraussetzungen beim Widerruf freiberuflicher Zulassungen, NJW 2004, 2473 – 2480; Kluth, Die freiberufliche Praxis „als solche“ in der Insolvenz – „viel Lärm um nichts“?, NJW 2002, 186 – 188; Koch, Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, 2008; König/de Vries, Nach dem Spiel ist vor dem Spiel? – Auswirkungen der Insolvenz eines Fußballbundesligavereins auf die Spiellizenz, SpuRt 2006, 96 – 101; Korff, Der Fall Alemannia Aachen

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§ 28

Teil III Einzelfragen

– Die Rechtswirksamkeit der Lösungs- und Insolvenzklauseln in den DFB-Regelwerken, ZInsO 2013, 1277; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf die Rechtsverhältnisse von Proficlubs, Diss., 2007; Pfister, Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf Verbandsmitgliedschaft, SpuRt 2002, 103 – 104; Reichert, Sportverbandslizenzen im Bereich des Profimannschaftssports – Teil 1, SpuRt 2003, 3; Ries, Die Praxis des Vertragsarztes in der Insolvenz; die Masse zahlt alle Betriebskosten und die Bank kassiert das Honorar?, ZInsO 2003, 1079–1083; Schick, Der Konkurs des Freiberuflers – Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 1990, 2359–2363; Schmittmann, Vermögensverfall und Widerruf der Bestellung bei freien kammergebundenen rechts- und steuerberatenden Berufen, NJW 2002, 182 – 185; Sodan (Hrsg.), Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2010; Uhlenbruck, Insolvenzrechtliche Probleme der vertragsärztlichen Praxis, ZVI 2002, 49 – 53; Vallender, Die Arztpraxis in der Insolvenz, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Metzeler, 2003, S. 21–38; Walker, Zur Zulässigkeit von Insolvenzklauseln in den Satzungen der Sportverbände, KTS 2003, 169 – 186; Zeuner/ Nauen, Der Lizenzligaverein in der Krise – Auswirkungen und Lösungsansätze in sportlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, NZI 2009, 213 – 218.

I.

Einführung

1 Die Entscheidung zur Fortführung des Geschäftsbetriebes mit dem Ziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger und dem weiteren Verfahrensziel der Sanierung beruht zunächst auf betriebswirtschaftlichen sowie Potential- und Ursachenanalysen. In der Praxis werden die Entscheidung zur Fortführung und ihre Durchführung jedoch auch von Faktoren beeinflusst, die in der Eigenart der Unternehmung liegen und nicht allein durch betriebswirtschaftliche Mittel zu steuern sind. Um das Ziel einer wirtschaftlich sinnvollen Fortführung effektiv erreichen zu können, geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den (vorläufigen) Insolvenzverwalter über, § 80 Abs. 1 InsO. Zumindest erfolgt über die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO, oder Sachwalters, § 270c InsO, eine Überwachung und Steuerung der Betriebsfortführung. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter übernimmt daher die wirtschaftliche (Mit-)Verantwortung für das Unternehmen. 2 Dies ist bei kaufmännisch betriebenen Unternehmen, die ihre Einkünfte über den Einsatz von Kapital erwirtschaften, unproblematisch, da der Insolvenzverwalter in der Regel die nötige Geschäftskundigkeit mit sich bringen wird, wie es § 56 Abs. 1 InsO verlangt. Darüber hinaus kann sich der Insolvenzverwalter fachkundigen Personals bedienen. 3 Anders liegt die Situation jedoch, wenn der Wert des Unternehmens gerade in den persönlichen Fähigkeiten des insolventen Schuldners liegt, wie es bei den freien Berufen der Fall ist. Auch freiberufliche Praxen stellen Unternehmen dar, die von der InsO erfasst werden.1) Dies wird durch § 35 Abs. 2 InsO klargestellt, der allgemein selbstständige Tätigkeit erfasst, zu der auch die freien Berufe zu rechnen sind. Die Übernahme der Verantwortung für diese Unternehmen durch den Insolvenzverwalter ist insbesondere unter zwei Gesichtspunkten problematisch: x

Zum einen wird es dem Insolvenzverwalter oftmals an der erforderlichen Qualifikation fehlen.2) So wird bspw. im Falle eines insolventen Arztes ein Insolvenzverwalter regelmäßig nicht über die zum Betrieb einer Praxis notwendige Approbation verfügen.

x

Zum anderen fußt der Wert des Unternehmens auf den persönlichen Bindungen der Kunden zum insolventen Schuldner. Den Kunden geht es also nicht bloß um die Inanspruchnahme irgendeiner Dienstleistung. Wesentlich ist oftmals, dass genau der bestimmte Arzt oder Rechtsanwalt diese vornimmt. Denn im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen sind die freien Berufe durch das persönliche Vertrauensverhältnis

___________ 1) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 268, 276. 2) Kluth, NJW 2002, 186, 188; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

zum Kunden geprägt.3) Dieses kann naturgemäß nicht vom Insolvenzverwalter übernommen werden. Darüber hinaus müssen die Kunden in die Überlassung ihrer Unterlagen zur Einsicht und ggf. zur Weiterführung der Angelegenheiten durch den Insolvenzverwalter einwilligen.4) Auch dies erweist sich als Hürde für die Betriebsfortführung. Einen weiteren Sonderfall in der Betriebsfortführung stellen Insolvenzen von Vereinen, 4 insbesondere von Sportvereinen und die von ihnen gehaltenen Kapitalgesellschaften, dar. Durch ihre zunehmende wirtschaftliche Beteiligung gewinnen diese erheblich an Bedeutung. Die Vermögenswerte eines professionell am Markt teilnehmenden Sportvereins, z. B. in Form von Werbe-, und Sponsoringverträgen und Merchandising, stehen in der Regel in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fortführung des Spielbetriebes. Eine bestmögliche Befriedigung der Gläubiger wird in diesen Fällen daher nur durch eine Fortführung des Spielbetriebes zu erreichen sein. Auch die Teilnahme des Vereins am Spielbetrieb ist von der InsO erfasst, unabhängig 5 davon, ob es sich um eine korporationsrechtliche oder durch Lizenzvertrag vermittelte Teilnahmeberechtigung handelt. Zwar ist umstritten, ob eine korporationsrechtliche Teilnahmeberechtigung, also eine Teilnahmeberechtigung aus der Mitgliedschaft in einem Verband i. S. des § 38 BGB selbst übertragbar und verwertbar ist; nach einhelliger Auffassung unterliegt sie aber in jedem Fall insoweit dem Insolvenzbeschlag, als dass der Insolvenzverwalter das Teilnahmerecht durch Teilnahme am vom Verband organisierten Spielund Wettkampfbetrieb ausüben kann.5) Für den Insolvenzbeschlag der vertraglich gewährten Lizenz gilt selbiges. Die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Teilnahme ergibt sich hierbei nach der Maßgabe des § 857 Abs. 3 ZPO.6) Mit wirtschaftlicher Krise und Insolvenz der Sportvereine geht jedoch ein ausdifferenziertes 6 Sanktionensystem der, den Profisport organisierenden Verbände einher, welches trotz der Teilnahmerechte eine Fortführung nachhaltig erschwert. Bei der Entscheidung ob und in welchem Umfang eine Fortführung des Geschäftsbetriebes 7 vorgenommen wird, sind daher auch die der Unternehmung immanenten Besonderheiten, hier anhand der freien Berufe und am Beispiel des Profifußballvereins, zu berücksichtigen. II.

Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht)

Stellt die Fortführung einer Unternehmung die Möglichkeit zur bestmöglichen Befriedi- 8 gung der Gläubiger, dar, steht die Erfüllung dieser gesetzlichen Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung gleichzeitig in einem Spannungsverhältnis mit Vorschriften anderer Rechtsgebiete. Im Rahmen der freien Berufe spielen hier besonders berufsrechtliche Regelungen, i. R. des Spielbetriebes von Sportvereinen das verbandsrechtliche Sanktionensystem eine Rolle. Diese haben andere Schutzrichtungen als die InsO. Die InsO dient in erster Linie der 9 gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger.7) Zielsetzung der Verbandsrechte ist es, insolvente Mitglieder möglichst aus dem Spielbetrieb zu entfernen, um den Ligabetrieb

___________ Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1031; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282. Kluth, NJW 2002, 186, 188. Adolphsen in: Heermann, S. 65, 74; Reichert, SpuRt 2003, 3, 6. Adolphsen in: Heermann, S. 65, 74; Reichert, SpuRt 2003, 3, 6; ausführlich zum Streitstand: Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 128 ff. 7) Braun-Kießner, InsO, § 1 Rz. 2.

3) 4) 5) 6)

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§ 28

Teil III Einzelfragen

wirtschaftlich sicherzustellen.8) Die Berufsrechte dienen regelmäßig dem Schutz der Allgemeinheit. So sollen z. B. §§ 5, 23 ApoG zum Schutz der Volksgesundheit verhindern, dass jemand anderes als ein approbierter Apotheker den Betrieb einer Apotheke leitet. Dies kann sich im Falle einer Insolvenz mit Blick auf § 80 Abs. 1 InsO auswirken, wonach dem Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Masse gehörende Vermögen des Schuldners zukommt. 10 Auch aus anderen Gründen können Berufsregeln mit dem Insolvenzrecht in Konflikt geraten. So sehen insbesondere die Berufsordnungen für rechts- und steuerberatende Berufe zum Schutze Dritter den Entzug der Zulassung bei Vermögensverfall vor. Zu nennen sind hier die Vorschriften § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG und § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO. Eine Insolvenz geht aber regelmäßig mit einem Vermögensverfall einher. Die strikte Anwendung der Berufsrechte hätte dann stets zur Folge, dass der Freiberufler seine Zulassung verlöre; die Möglichkeit einer Betriebsfortführung schiede aus. 11 Dieses Ergebnis kann in dieser Absolutheit keinen Bestand haben. § 1 Satz 1 InsO stellt gerade zwei Wege zur Gläubigerbefriedigung zur Auswahl.9) Mit Blick auf § 35 Abs. 2 InsO, der auch selbstständige Tätigkeit in den Anwendungsbereich der InsO miteinbezieht, zu der die freien Berufe zu zählen sind, ist es nicht hinnehmbar, dass den Gläubigern eine dieser Möglichkeiten, die darüber hinaus regelmäßig die lukrativere sein wird, von vornherein genommen wird. Dies muss umso mehr nach Einführung des ESUG gelten, das grundsätzlich eine Sanierung des Betriebes erleichtern will.10) Eine solche ist in der Regel nur mit einer Betriebsfortführung zu erreichen. 12 Gleiches muss für Sportvereine bzw. die von ihnen betriebenen Kapitalgesellschaften gelten. Der in vielen Verbandsregelungen vorgesehene Lizenzentzug als unmittelbare Folge der Insolvenzeröffnung dürfte regelmäßig zur Stilllegung der Unternehmung führen und damit in einem Spannungsverhältnis zu den Zielen der InsO stehen. III.

Die Betriebsfortführung der freien Berufe

13 Auf welche Weise der Betrieb eines Freiberuflers in der Insolvenz fortgesetzt werden kann, ist für den jeweiligen Einzelfall anhand Besonderheiten des jeweiligen Berufsbildes zu beantworten. 1.

Ärzte und Ärztinnen/Zahnärzte und Zahnärztinnen

1.1

Allgemeines

14 Im Fall der Insolvenz von Ärzten und Zahnärzten wird nach ganz überwiegender Ansicht der gesamte Praxisbetrieb vom Insolvenzbeschlag erfasst.11) Das bedeutet, dass über den reinen Sachwert der darin enthaltenen Gegenstände, der Betrieb als solcher in der Insolvenz verwertet werden kann.12) Dies umfasst gerade den immateriellen Wert der Praxis wie den Patientenstamm und den Ruf des Arztes in der Öffentlichkeit.13) ___________ 8) Vgl. Präambel der Lizensierungsordnung (LO) des Ligaverbandes, Stand: 13.12.2012, abrufbar unter: http://static.bundesliga.de/media/native/autosync/lizenzierungsordnung_lo_2012-12-13_stand.pdf (Abrufdatum 2.6.2013). 9) Schmittmann, NJW 2002, 182, 185. 10) RegE eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), BTDrucks. 17/5712, S. 17. 11) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Uhlenbruck, ZVI 2002, 49. 12) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Vallender in: FS Metzeler, S. 26; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 282. 13) Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507; Vallender in: FS Metzeler, S. 27; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 282.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

Dieser immaterielle Wert, der sog. goodwill der Praxis, macht regelmäßig den Vermögens- 15 kern aus.14) Zwar verfügen Arztpraxen häufig über eine im Anschaffungszeitpunkt hochpreisige medizinische Ausstattung. Allerdings schreitet die Medizintechnik schnell fort, so dass Geräte in Arztpraxen häufig nicht mehr auf dem aktuellen Stand sind und deshalb bei der Verwertung bei weitem nicht mehr ihren Einkaufspreis erzielen. Eine für die Gläubiger bessere Befriedigungsmöglichkeit ergibt sich in der Regel dadurch, sich den immateriellen Wert der Praxis für sich nutzbar zu machen. Dies ist faktisch nur durch eine Betriebsfortführung möglich.15) Es ist allgemein anerkannt, dass eine Veräußerung des gesamten Praxisbetriebes zulässig ist;16) der Patientenstamm, und damit der eigentliche Wert der Praxis, ist aber aufgrund der Höchstpersönlichkeit der ärztlichen Dienstleistung untrennbar mit dem Schuldner verbunden. Dies stellt i. R. der Verwertung grundsätzlich kein rechtliches Hindernis dar, wird sich aber negativ auf den Kaufpreis auswirken. Eine Betriebsfortführung wird daher in vielen Fällen die günstigere Verwertungsmöglichkeit darstellen, indem die Gläubiger an den Erlösen aus der Fortführung der Praxis partizipieren. Dies gilt umso mehr, als die Gründe für die Insolvenz nicht selten außerhalb des Praxisbetriebes liegen.17) Häufige Insolvenzursachen sind zu hohe Privatentnahmen oder Fehlinvestitionen in sog. „Steuersparmodelle“,18) bei einer im Übrigen ertragreichen Praxis. Die Betriebsfortführung einer Arztpraxis wirft aber spezifische Probleme auf, die es zu lösen 16 gilt. Dabei ist anerkannt und unproblematisch, dass ein Insolvenzverwalter die Praxis fortsetzen kann, wenn er die hierfür nach § 2 BÄO nötig Qualifikation aufweist,19) also ein approbierter Arzt ist. Dies ist bei der ganz überwiegenden Zahl der Insolvenzverwalter jedoch nicht der Fall. Der Insolvenzverwalter darf also den Praxisbetrieb nicht selbst fortführen, weil er andernfalls gegen § 2 BÄO verstoßen würde.20) Gleiches gilt für den vorläufigen Insolvenzverwalter, unabhängig, ob es sich um sog. „schwachen“ Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt oder den sog. „starken“ Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis handelt. Des Weiteren hängt der zu realisierende goodwill der Praxis auch an der Person des Schuldners, da die Patienten zu ihm ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben.21) Der Insolvenzverwalter kann den Schuldner daher nicht ersetzen; es kommt vielmehr auf 17 eine Zusammenarbeit mit dem Schuldner an, will man die Betriebsfortführung erfolgreich gestalten.22) Eine erfolgreiche Zusammenarbeit hängt aber von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Bereitschaft des Schuldners zur Fortführung seiner Praxis. Denn eine rechtliche Verpflichtung des Schuldners, den Praxisbetrieb fortzuführen besteht nicht.23) In der Regel wird es aber dem Interesse des Schuldners entsprechen, seinen Beruf weiter ausüben zu können.24) Außerdem besteht für den Schuldner die Aussicht, sich durch ein Insolvenzplanverfahren vor Ablauf der Wohlverhaltensphase zu entschulden und den Praxisbetrieb zu sanieren. ___________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Vallender in: FS Metzeler, S. 27. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1031; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 283. Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 507 – 509. Vallender in: FS Metzeler, S. 21; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 283. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1035. Vallender in: FS Metzeler, S. 25, 27. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1033. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282. Schick, NJW 1990, 2359, 2361; Vallender in: FS Metzeler, S. 27; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 285. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 278. Vallender in: FS Metzeler, S. 24.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

18 Grundsätzlich wird daher die Fortführung des Praxisbetriebes der Zerschlagung vorzuziehen sein. 1.2

Modelle der Fortführung einer Arztpraxis

19 Die Fortführung kann zunächst i. R. des Regelverfahrens durch ein Zusammenwirken des Schuldners mit dem Insolvenzverwalter erfolgen. Eine solche gemeinsame Praxisfortführung von Insolvenzverwalter und Arzt wird trotz § 2 BÄO für zulässig erachtet. Der Insolvenzverwalter ordnet danach den wirtschaftlichen Rahmen der Praxis, ein Eingriff in medizinische Fragen bleibt ihm aber verwehrt.25) Der Arzt muss in seiner Berufsausübung völlig frei bleiben, darf vor allem nicht Wiesungen eines medizinischen Laien unterworfen sein.26) Hierbei kann es zu einer Kollision mit den Pflichten des Insolvenzverwalters kommen. Die Entscheidungen des Arztes über bestimmte medizinische Behandlungen können erhebliche finanzielle Folgen haben, die dann letztlich die Insolvenzmasse belasten.27) Der Verwalter dürfte den Arzt bspw. nicht daran hindern, einem gesetzlich versicherten Patienten ein Medikament zu verschreiben, das vom Budget des Arztes nicht gedeckt ist. Die Kosten hierfür würden die Masse belasten, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass hiermit gleichzeitig ein Verstoß gegen die Pflichten des Insolvenzverwalters vorliegt, mit der Folge der Haftungsgefahr des § 60 InsO.28) Der Insolvenzverwalter befindet sich somit stets in dem Spannungsverhältnis, sich nicht über das erlaubte Maß hinaus in die Tätigkeit des Arztes einmischen zu dürfen, aber gleichzeitig seiner Pflicht nachzukommen, das Beste für die Masse zu erzielen. 20 Eine Alternative hierzu stellt die Eigenverwaltung durch den Schuldner dar, §§ 270 ff. InsO. Diese hat den Vorteil, dass so eine Kollision mit dem Berufsrecht vermieden wird.29) Der Arzt bleibt unter Aufsicht eines Sachwalters handlungsbefugt. Auf diese Weise werden auch die Verfahrenskosten gesenkt, die sonst für den Insolvenzverwalter aufgewandt werden müssten. Die Eigenverwaltung im Falle einer Arztinsolvenz erscheint vor allem deshalb sinnvoll, da der Insolvenzverwalter aufgrund der berufsrechtlichen Regelungen ohnehin in seinem Wirkungskreis eingeschränkt ist. Darf er auf die medizinischen Entscheidungen, die gerade auch für die finanziellen Belange wichtig sind, keinen Einfluss nehmen, nähert sich seine Stellung der eines Sachwalters an. 21 Die Eigenverwaltung hängt letztlich aber von der Zustimmung des Insolvenzgerichts ab, § 270 Abs. 1 InsO. Von der Möglichkeit der Anordnung einer Eigenverwaltung haben in der Praxis die Gerichte nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht. Mit Einführung des ESUG haben die Regelungen der Eigenverwaltung eine erhebliche Neuerung erfahren, die den Zugang zur Eigenverwaltung erleichtern. Gemäß Absatz 2 Nr. 3 a. F. durfte die Anordnung der Eigenverwaltung nur erfolgen, wenn „nach den Umständen zu erwarten war, dass die Anordnung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird”. Nunmehr setzt § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur noch voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Voraussetzung für die Ablehnung ist daher immer, dass das Gericht überhaupt Tatsachen feststellt, die auf Nachteile für die Gläubiger

___________ 25) 26) 27) 28) 29)

874

Schick, NJW 1990, 2359, 2362; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034. Vallender in: FS Metzeler, S. 29. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034; Vallender in: FS Metzeler, S. 29. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 287.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

schließen lassen. Ohne entsprechende Anknüpfungspunkte darf es die Eigenverwaltung nicht ablehnen.30) Dem Schuldner obliegt sodann die Verwaltung der Insolvenzmasse einschließlich des 22 Sicherungsgutes selbst, § 270 Abs. 1 Satz 1, § 282 InsO. Er führt die Verzeichnisse, §§ 151 ff. InsO und übt das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen aus. Er erstattet darüber hinaus im Berichtstermin den Gläubigern Bericht, § 281 Abs. 2 Satz 1. Die ordnungsgemäße Verfahrensabwicklung wird hierbei durch die Befugnisse des Sachwalters gesichert, welchem die Prüfung der wirtschaftlichen Lage, § 274 Abs. 2 Halbs. 1, die Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung, § 274 Abs. 2 Halbs. 2, bis hin zur Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2) obliegen. Den Befürchtungen, dass dem Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren die Verfügungs- 23 macht über das Unternehmensvermögen entzogen und ein „starker” vorläufiger Verwalter eingesetzt wird, wodurch das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsleitung des Schuldners und deren Sanierungskonzept zerstört wird, ist das ESUG durch Einführung des § 270a InsO begegnet, wonach keine Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und keine Verfügungsbeschränkungen bei nicht offensichtlich aussichtlosem Antrag auf Eigenverwaltung erfolgen soll, § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO. Stattdessen erfolgt die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, dem die Befugnisse gemäß §§ 274, 275 InsO zustehen. 1.3

Offenlegung der Honorarforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter

Umstritten war, inwieweit der insolvente Arzt befugt ist, dem Insolvenzverwalter Einblick 24 in offene Honorarforderungen gegen Patienten zu gewähren. Dieser Streit ist durch die Rechtsprechung mittlerweile zugunsten der Gläubigerinteressen entschieden worden.31) Der Arzt ist grundsätzlich nicht befugt, Geheimnisse, die ihm als Arzt bekannt geworden sind, zu offenbaren, § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Insofern wurde auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patienten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG bejaht, dieser jedoch unter Abwägung mit dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Vollstreckungsinteresse der Gläubiger als verhältnismäßig qualifiziert.32) Die bloße Honorarforderung betreffe nur die Sozialsphäre der Patienten. Denn aus der bloßen Existenz einer Honorarforderung lasse sich nur ableiten, dass ein Arztbesuch stattgefunden habe. Dies allein sei jedoch ohnehin öffentlich wahrnehmbar gewesen.33) Die Offenbarung der Honorarforderung sei nicht geeignet, Rückschlüsse auf eine Krankheit des Patienten zu ziehen und damit dessen Intimsphäre zu verletzen.34) Der Arzt macht sich demnach nicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, wenn er dem Insolvenzverwalter Einblick in die Honorarforderungen gegen Patienten gewährt.35) 1.4

(Un-)Wirksamkeit von Vorausabtretungen der Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung

Ein weiterer Streit im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Arztpraxis ist mittlerweile 25 ebenfalls von der Rechtsprechung entschieden worden. Die Haupteinnahmequelle eines ___________ 30) 31) 32) 33) 34)

Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, Stand: 4/2012, § 270 Rz. 115. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723; Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 6. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722, 723. Lwowski/Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rz. 386 mit dem Hinweis, dass ggf. anders zu entscheiden sei, wenn aus der Honorarforderung der Krankheitsbefund abgeleitet werden könne (z. B. Spezialist für HIV-Erkrankungen oder Schwangerschaftsabbruch). 35) Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 7; BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, NZI 2004, 312, 313 = ZIP 2004, 915.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

Kassenarztes stellt regelmäßig der quartalsmäßige Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung dar. Durch die Behandlung eines Kassenpatienten erlangt der Arzt grundsätzlich einen Vergütungsanspruch gegen die jeweils zuständige gesetzliche Krankenkasse.36) Aufgrund eines Gesamtvertrages gemäß § 83 SGB V zahlt die Krankenkasse nicht an den Arzt, sondern mit befreiender Wirkung an die kassenärztliche Vereinigung, § 85 Abs. 1 SGB V.37) Der Arzt hat dann wiederum einen Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung auf Teilnahme an deren Honorarverteilung, §§ 87a Abs. 2, 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V.38) Der Arzt erhält also pro Quartal eine Zahlung der kassenärztlichen Vereinigung für seine Leistungen. 26 Wurden diese Forderungen im Voraus zur Kreditsicherung an einen Sicherungsnehmer abgetreten, stellte sich die Frage, welche Auswirkungen eine zwischenzeitliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens hierauf hat. Eine Wirksamkeit der Vorausabtretungen unterstellt, hätte der Sicherungsnehmer ein Absonderungsrecht an den Forderungen, §§ 50, 51 Nr. 1 InsO. Eine Betriebsfortführung wäre damit quasi unmöglich, da die wesentliche Einnahmequelle nicht der Masse, sondern einem Absonderungsgläubiger zugutekommen würde. Die Aufgabe des Insolvenzverfahrens ist aber die gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger und nicht die eines einzelnen Absonderungsberechtigten.39) 27 Einer solchen Handhabung steht jedoch § 91 Abs. 1 InsO entgegen, der einen Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließt. Nur wenn der Erwerber bereits vor der Eröffnung eine hinreichend gesicherte Rechtsposition erlangt hat, ist er im Insolvenzverfahren absonderungsberechtigt.40) Dies ist aber nur der Fall, wenn die abgetretene Forderung bereits entstanden ist.41) Dies ist bei der Forderung des Kassenarztes aber erst der Fall, wenn dieser seinen Vergütungsanspruch durch die Behandlung eines Patienten erwirbt. 28 In der Literatur42) wird dagegen teilweise vertreten, schon allein durch die Beteiligung am kassenärztlichen System erhalte der Kassenarzt einen Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung, der lediglich bis zum Quartalsabschluss noch nicht fällig sei. Es handle sich quasi um einen „Arztlohn“.43) Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Der Vergütungsanspruch entsteht nämlich nicht allein durch die Beteiligung an diesem System, sondern nur für konkret geleistete Behandlungen.44) 29 Ein Absonderungsrecht besteht deshalb nur in der Höhe der Vergütung, auf die der Arzt durch Behandlungen schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Anspruch erworben hat. Alle zukünftigen Forderungen, insbesondere solche zukünftiger Quartale, können vom Sicherungsnehmer wegen § 91 Abs. 1 InsO nicht erworben werden. 30 Auch die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO steht dem nicht entgegen.45) § 114 Abs. 1 InsO ist eine Ausnahmevorschrift zu § 91 Abs. 1 InsO.46) Eine Vorausabtretung einer Forderung, ___________ 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45)

BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. Sodan-Boecken, Hdb. Krankenversicherungsrechts, § 17 Rz. 163. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256; Braun-Kießner, InsO, § 1 Rz. 2. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255. Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 52. Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 52. Ries, ZInsO 2003, 1079, 1081; BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1255; a. A.: Uhlenbruck, ZVI 2002, 49, 51; Vallender in: FS Metzeler, S. 27. 46) Löwisch/Caspers in: MünchKomm-InsO, § 114 Rz. 2.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, ist danach für die Dauer von zwei Jahren wirksam, wenn es sich bei der abgetretenen Forderung um Bezüge aus einem Dienstverhältnis handelt. Auf den Betrieb einer Arztpraxis ist § 114 Abs. 1 InsO aber nicht anwendbar. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sind davon nur Forderungen erfasst, die durch den Einsatz der „nackten“ Arbeitskraft erwirtschaftet werden.47) Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner nämlich ohnehin nicht verpflichtet, seine Arbeitskraft der Masse zur Verfügung zu stellen.48) § 114 Abs. 1 InsO privilegiert deshalb Vorausabtretungen solcher Forderungen, deren Entstehen zugunsten der Masse sowieso nicht hätte erzwungen werden können;49) diese bleiben für den Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam. Eine Arztpraxis erfordert neben der Arbeitskraft des Arztes aber auch den Betrieb der 31 Praxis als solchen. Der Arzt ist bei der Durchführung seiner Tätigkeit auf Personal und medizinische Einrichtungsgegenstände angewiesen, für deren Unterhalt die Masse aufkommen müsste. Hierauf ist § 114 Abs. 1 InsO jedoch nicht anwendbar.50) Dieses Ergebnis wird auch von praktischen Erwägungen getragen. Wollte man dem Siche- 32 rungsnehmer ein Absonderungsrecht an allen zukünftig entstehenden Quartalsforderungen zusprechen, so müsste der Insolvenzverwalter dies bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob er den Betrieb fortführt oder einstellt. Ohne die Vergütung durch die kassenärztliche Vereinigung wird sich eine Betriebsfortführung aber kaum lohnen. Damit müsste der Betrieb zum Nachteil aller eingestellt werden. Denn auch der Sicherungsnehmer hätte davon schließlich keinen Nutzen, weil ohne die Betriebsfortführung die zur Sicherheit abgetretenen, zukünftigen Forderungen dann niemals entstehen werden.51) Vorausabtretungen von Forderungen gegen die kassenärztliche Vereinigung stehen der Betriebsfortführung aus diesem Grunde nicht im Wege. Entwickelt sich die Fortführung des Praxisbetriebes, unabhängig von der Fortführung durch 33 den (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder im Wege der Eigenverwaltung wirtschaftlich Erfolg versprechend, kann dies die idealtypische Ausgangssituation für einen Insolvenzplan darstellen, denn oft wird es naheliegen, dass die Fortführung für die Gläubiger günstiger ist als die Zerschlagung. Eine Finanzierung des Insolvenzplanes kann und wird in der Regel durch die Praxiseinnahmen erfolgen. Bei Ärzten mit Kassenzulassung wird eine Finanzierung in der Regel auch durch die Einnahmen aus Ansprüchen gegen die kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen. Hierbei ist zu beachten, dass die Honorarbescheide der kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in der Regel bis zum Ende des auf das Abrechnungsquartal folgenden Monats erlassen werden, wobei der Vertragsarzt monatliche Abschlagszahlungen erhalten kann. Das heißt, dass die bereits vereinnahmten Zahlungen der KV und bis dahin mit der KV noch abzurechnenden Leistungen bei Verfahrensaufhebung noch Massegegenstand sind und der Arzt frühestens über Zahlungseingänge zum folgenden Quartal verfügen kann. Es entsteht eine Unterbrechung des Liquiditätsflusses. Ist bei Planerstellung die Unterbrechung des Liquiditätsflusses aufgrund der zeitlich ver- 34 zögerten KV-Zahlungen zu berücksichtigen, sind auch etwaige Vorausabtretungen der kassenärztlichen Honorare insbesondere bei Freigabe der Unternehmung gemäß § 35 Abs. 2 InsO zu beachten. Nicht selten sieht die Planregelung vor, dass der Betrieb aus der Insolvenzmasse freigegeben wird. Auch wenn ein Insolvenzplan trotz positiver Fortfüh___________ 47) 48) 49) 50) 51)

Braun-Kroth, InsO, § 114 Rz. 3. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 69. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256; Braun-Kroth, InsO, § 114 Rz. 3. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254, 1256.

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Teil III Einzelfragen

rungsprognose nicht finanzierbar ist, kommt eine Freigabe in Betracht. Hat jedoch der Insolvenzverwalter die Freigabe eines insolventen Arztes erklärt, erfasst eine vor Verfahrenseröffnung durch den Schuldner vereinbarte Zession auch Forderungen, die nach Verfahrenseröffnung entstehen,52) die Zession lebt wieder auf. Führt der Vertragsarzt dann die Arztpraxis fort, so ist die KV im Falle einer Sicherungszession berechtigt die zu Gunsten des Gläubigers abgetretenen Forderungen zu bedienen.53) Der Praxis würde somit jede Liquidität mit der Folge der Betriebsstillegung entzogen. Zum Erhalt der Praxis ist daher im Sicherungsfalle eine entsprechende Planregelung oder Vereinbarung mit dem Sicherungsgläubiger herbeizuführen. 2.

Apotheker/Apothekerinnen

35 Auch bei der Betriebsfortführung einer Apotheke sind berufsrechtliche Besonderheiten zu beachten. Anders als die rechts- und steuerberatenden Berufe ist nicht der Vermögensverfall des Apothekers von ausschlaggebender Bedeutung,54) sondern der Betrieb der Apotheke. Im Interesse der Volksgesundheit stellt das Apothekergesetz jedoch strenge Anforderungen an den Betrieb einer Apotheke.55) Gemäß § 5 ApoG ist dieser ausschließlich approbierten Apothekern vorbehalten.56) Nach § 23 ApoG ist ein Verstoß hiergegen sogar strafbewehrt. Sofern der Insolvenzverwalter daher nicht zufällig ebenfalls approbierter Apotheker ist, kann er die Leitung der Apotheke nicht nach § 80 Abs. 1 InsO übernehmen und fortsetzen. Dies soll auch für die mit dem Betrieb einer Apotheke verbundene, rein wirtschaftliche Aktivitäten gelten. Zum Wohle der Volksgesundheit soll es nicht genügen, dass der Apotheker den medizinisch-pharmazeutischen Bereich in eigener Verantwortung leitet. Vielmehr muss der Apotheker auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Apotheke selbst regeln.57) Nur so sei der Schutzzweck des ApoG gewahrt. Denn auch die wirtschaftliche Seite des Betriebes hängt unmittelbar mit der Volksgesundheit zusammen. Nur wer weiß, welche Medikamente der Gesundheit förderlich sind, kann bei Lieferanten entsprechend einkaufen. Nur wer seine finanzielle Situation selbst in der Hand hat, kann seine Produktpalette zum Wohle der Allgemeinheit gestalten. Eine Aufspaltung in den pharmazeutischen und den wirtschaftlichen Apothekenbetrieb ist nicht möglich. 36 Dem Insolvenzverwalter bleiben, sofern er nicht selbst eine Approbation besitzt, nur drei Optionen: x

Zunächst könnte er den Betrieb der Apotheke an einen anderen Apotheker verpachten, wie es § 9 ApoG vorsieht.58)

x

Oder er setzt einen approbierten Treuhänder ein, der den Betrieb an seiner Stelle übernimmt.

x

Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, den insolventen Apotheker den Betrieb in Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO fortsetzen zu lassen.59)

___________ 52) LG Hamburg, Urt. v. 29.6.2011 – 317 O 42/11, WM 2011, 1524; LSG Düsseldorf, Beschl. v. 12.10.2011 – L 11 KA 96/11 B ER, abrufbar unter www.justiz.nrw.de. 53) LSG Düsseldorf, Beschl. v. 12.10.2011 – L 11 KA 96/11 B ER, abrufbar unter www.justiz.nrw.de. 54) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 296. 55) OVG Berlin, Beschl. v. 18.6.2002 – 5 S 14.02, ZVI 2004, 620. 56) Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 25. 57) VG Berlin, Beschl. v. 7.6.2002 – VG 14 A 51.02, ZVI 2004, 618, 619; Braun-Bäuerle, InsO, § 36 Rz. 25. 58) VG Berlin, Beschl. v. 7.6.2002 – VG 14 A 51.02, ZVI 2004, 618, 620. 59) Dahingehend OVG Berlin, Beschl. v. 18.6.2002 – 5 S 14.02, ZVI 2004, 620; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 297.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

Welche Möglichkeit ergriffen wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Ver- 37 pachtung und die Einsetzung eines Treuhänders haben den Nachteil, dass dadurch Kosten entstehen, die der Masse zur Last fallen. Die Option der Eigenverwaltung wird von der Frage abhängen, ob Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. 3.

Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen

3.1

Allgemeines

Auch im Falle der Insolvenz der Praxis eines Rechtsanwalts ist deren immaterieller Wert 38 regelmäßig höher als deren bloßer Sachwert. Die Gründe entsprechen im Wesentlichen denen anderer Freiberufler. Den Wert einer Kanzlei machen gerade der gute Ruf und der Mandantenstamm aus, die sich der Rechtsanwalt während seiner Tätigkeit aufgebaut hat.60) Um diesen Wert für die Gläubiger zu realisieren und damit den Verfahrenszielen der InsO nachzukommen, ist dem Rechtsanwalt eine Fortsetzung seiner Tätigkeit in der Insolvenz zu ermöglichen. Allerdings bringt das Berufsbild des Rechtsanwaltes in der Insolvenz besondere Schwierig- 39 keiten mit sich. An den Rechtsanwalt wird im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ein erhöhter der Anspruch an seine wirtschaftliche Integrität gestellt. Aufgrund seiner Tätigkeit kommt der Rechtsanwalt typischerweise mit Fremdgeldern in Kontakt. Zu seinen Pflichten gehört es, mit diesen Geldern vertrauensvoll umzugehen und sie gemäß den Vorgaben und Interessen seiner Mandanten zu verwalten. Befindet sich der Rechtsanwalt jedoch selbst in einer finanziellen Schieflage, ist das in ihn gesetzte Vertrauen regelmäßig gefährdet. Erfahrungsgemäß besteht hier die Gefahr, dass der Rechtsanwalt der Versuchung erliegt, auf anvertraute Fremdgelder zurückzugreifen, um eigene finanzielle Löcher zu stopfen und den persönlichen wirtschaftlichen Kollaps abzuwenden. Die Entnahme eines solchen „Überbrückungskredites“61) stellt regelmäßig eine erhebliche Gefahr für die Mandanten dar. Außerdem ist die Unabhängigkeit eines in wirtschaftliche Not geratenen Anwalts nicht mehr gewährleistet. Wer dringend auf Geld angewiesen ist, wird auch Mandate annehmen, denen er eigentlich nicht gewachsen ist62) oder zum Nachteil seiner Mandanten Prozesse führen, die rechtlich aussichtslos, aber für ihn finanziell lohnenswert sind. Der Gesetzgeber hat diese Gefahr erkannt und begegnet ihr mit § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. 40 Danach ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind. Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.63) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO wird ein Vermögensverfall gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet ist.64) Das öffentliche Interesse am Schutz der Mandanten des Rechtsanwalts und der Schutz einer 41 ordnungsgemäßen Rechtspflege als solcher konkurrieren nun mit dem Interesse der Insolvenzgläubiger, eine möglichst hohe Befriedigung ihrer Forderungen zu erzielen. Aus der Konzeption der InsO ergibt sich jedoch, dass § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO einer Betriebsfortführung in der Insolvenz nicht schlechthin entgegenstehen kann. § 1 Satz 1 InsO stellt ___________ 60) 61) 62) 63) 64)

Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 282. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1482. Schmittmann, NJW 2002, 182, 184. Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 29. Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 45.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

nämlich die Verwertung und Verteilung des Erlöses und die Betriebsfortführung als zwei gangbare Wege zur Gläubigerbefriedigung gegenüber. § 35 Abs. 2 InsO bezieht dabei selbstständige Tätigkeiten, zu der gerade auch die freien Berufe zu zählen sind, in den Anwendungsbereich der InsO mit ein. Außerdem ist ein Widerruf der Zulassung ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach Art. 12 Abs. 1 GG, der jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn es dem Anwalt gelingt, eine Gefährdung der Mandanten auszuschließen. Eine Betriebsfortführung ist also möglich, wenn gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO der Nachweis gelingt, dass trotz des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind. 42 Unlängst hat das BVerfG entschieden, dass mit Blick auf die Berufsfreiheit des Schuldners gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Gläubiger auf eine möglichst umfangreiche Befriedigung ihrer Forderungen keine überspannten Anforderungen an diesen Nachweis gestellt werden dürfen.65) Auf der anderen Seite besteht kein Vorrang des Insolvenz- vor dem Berufsrecht. Die Rechtsanwaltskammer ist also nicht verpflichtet und auch nicht berechtigt, mit dem Widerruf zuzuwarten bis Schuldner und Gläubiger Maßnahmen ergriffen haben, die eine Gefährdung der Mandanteninteressen nicht mehr vermuten lassen. Aus der Formulierung „es sei denn“ nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ergibt sich, dass der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist, die gesetzliche Vermutung der Gefährdung zu widerlegen.66) 3.2

Keine Widerlegung der Vermutung durch bloße Eröffnung des Insolvenzverfahrens

43 Keinesfalls genügt allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, um eine solche Gefährdung auszuschließen. Zwar führt das Insolvenzverfahren zu einer Offenlegung der wirtschaftlichen Situation des Rechtsanwalts und zu einem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen auf den Insolvenzverwalter. Insofern könnte wieder von „geordneten Verhältnissen“ ausgegangen werden. Die Insolvenzeröffnung begründet aber gerade die Vermutung, dass ein Vermögensverfall vorliegt. Folglich kann dies nicht zugleich zu einer Widerlegung dieser Vermutung führen.67) Die wirtschaftlichen Verhältnisse sollen gerade durch das Insolvenzverfahren wieder geordnet werden. Die bloße Verfahrenseröffnung reicht hierzu nicht aus. Vielmehr muss der Schuldner nachweisen, dass er in absehbarer Zeit seine Schulden abbauen und wieder frei über sein Vermögen verfügen kann.68) 3.3

Widerlegung der Vermutung durch Ankündigung der Restschuldbefreiung

44 Eine solche Aussicht bietet grundsätzlich das Restschuldbefreiungsverfahren, §§ 286 ff. InsO. Hält sich der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode an die Obliegenheiten des § 295 Abs. 1 InsO, ist er nach Ablauf von sechs Jahren schuldenfrei. So lange er sich i. S. dieser Vorschrift redlich verhält, erlangt er die Restschuldbefreiung sogar unabhängig von einer eingetretenen Einkommensverschlechterung oder einer bestimmten Befriedigungsquote der Gläubiger. Darüber hinaus ist er während dieser Zeit gemäß § 294 Abs. 1 InsO vor Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger geschützt. Der finanzielle Druck, der die Gefährdungssituation heraufbeschwört, vor der § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO schützen soll,

___________ 65) 66) 67) 68)

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BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058. Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 34; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

ist nicht mehr gegeben. Daher wird während der Wohlverhaltensperiode davon ausgegangen, dass eine Gefährdung der Rechtssuchenden nicht vorliegt.69) Problematisch ist dabei, dass der Schuldner erst nach sechs Jahren in den Genuss der 45 Restschuldbefreiung gelangt und dies auch nur, wenn er seine Obliegenheiten nicht verletzt. Ob also tatsächlich eine Schuldenbefreiung und damit eine Behebung des Vermögensverfalls eintreten, hängt ganz wesentlich vom Verhalten des Schuldners ab.70) Wegen der Vorgabe des BVerfG,71) keine überspannten Anforderungen an eine Wider- 46 legung der Gefährdung der Rechtssuchenden zu stellen, dürfte aber die bloß abstrakte Vermutung, dass der Schuldner die Wohlverhaltensperiode nicht durchstehen werde, grundsätzlich nicht zum Widerruf ausreichen.72) Jedoch bestehen gegen das bloße Restschuldbefreiungsverfahren als Mittel der Wider- 47 legung Bedenken: x

Zunächst steht in Ermangelung einer zugesicherten Befriedigungsquote nicht fest, dass die Gläubiger überhaupt etwas bekommen werden.

x

Darüber hinaus reicht die bloße Aussicht auf Restschuldbefreiung nicht aus, um die Gefährdung der Mandanten zu widerlegen.73) Vielmehr bedarf es der Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 291 InsO.74)

Die Rechtsanwaltskammer muss und wird in der Regel aber mit dem Widerruf nicht bis zur Ankündigung warten. Bei Ankündigung der Restschuldbefreiung wird die Zulassung daher oftmals bereits widerrufen sein. Der Rechtsanwalt hat dann zwar einen Anspruch auf erneute Zulassung.75) Die Reputation des Anwalts und der Mandantenstamm, welche den Hauptwert der Praxis ausmachen, sind dann aber möglicherweise bereits derart geschädigt, dass eine Fortsetzung der Tätigkeit entweder gar nicht mehr oder weit weniger wirtschaftlich lohnenswert ist. 3.4

Widerlegung der Vermutung durch Wechsel in ein Angestelltenverhältnis

Eine weitere Möglichkeit dem Widerruf der Zulassung zu begegnen, bietet der Wechsel 48 des Anwalts in ein Angestelltenverhältnis. Allerdings werden an ein Absehen vom Widerruf in diesem Fall strenge Anforderungen gestellt.76) Es reicht nicht aus, dass der Zugriff auf Mandantengelder durch den Schuldner allein durch arbeitsrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen wird.77) Vielmehr muss tatsächlich sichergestellt werden, dass der Schuldner keine Möglichkeit hat, der Versuchung zu erliegen, seine finanziellen Probleme auf diese Art und Weise zu lösen.78) Dies erfordert zum einen eine Kontrolle durch andere Mitglieder der Sozietät auch während der Urlaubszeit. Eine kleinere Kanzlei ist also hierfür ungeeignet, weil sich mangels ausreichender Kontrollmöglichkeiten für den Schuldner die Gelegenheit bieten könnte, unbeobachtet Fremdgelder veruntreuen zu können.79) ___________ 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79)

Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 291, 292. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484. BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058. So bereits BGH, Beschl. v. 7.12.2004 – AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271. Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 254. Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 262. Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105, 109. BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f. Schmittmann, NJW 2002, 182, 183; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 292. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1481. Ehlers, NJW 2008, 1480, 1481.

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49 Zum anderen muss nach außen hin eindeutig vermittelt werden, dass der Schuldner nicht berechtigt ist, selbstständig Mandate zu übernehmen und Forderungen einzutreiben. Dies kann dadurch geschehen, dass der Schuldner nicht auf Briefköpfen oder Kanzleischildern aufgeführt wird.80) In der Praxis wird dies jedoch eine deutliche Reduzierung des Mandantenstammes zur Folge haben. 50 Letztlich hängt die Durchführbarkeit dieses Modells ganz maßgeblich von der Person des Schuldners ab. Er muss zur Überzeugung der Kammer derart redlich sein, dass man ihm eine Fortführung des Berufes zutraut. Dafür ist auch erforderlich, dass die Insolvenz ihren Grund nicht in einem unsachgemäßen Betrieb der Praxis hatte und dem Schuldner auch sonst keinerlei Vorwürfe in Bezug auf seine Berufsführung gemacht werden können.81) Die Weiterbeschäftigung im Angestelltenverhältnis wird die Kammer daher nur in Ausnahmefällen vom Widerruf der Zulassung abhalten. 3.5

Widerlegung der Vermutung durch einen Insolvenzplan

51 Probates Mittel i. S. der Vorgabe des BVerfG zur Widerlegung der Vermutung dürfte das Insolvenzplanverfahren sein, §§ 217 ff. InsO. Ist der Insolvenzplan ausgearbeitet und wirtschaftlich realistisch, weist er dem Schuldner den Weg in die Schuldenfreiheit. Während des Insolvenzverfahrens ist der Schuldner darüber hinaus durch § 89 InsO vor Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger geschützt. Hält er sich an die Planvorgaben, kann er sich in wesentlich kürzerer Zeit als im Restschuldverfahren wirtschaftlich konsolidieren. Kein Gläubiger kann ihn durch Zahlungsaufforderungen oder Androhungen von Vollstreckungsmaßnahmen in die Lage bringen, quasi als letzten Ausweg auf Fremdgelder zuzugreifen. Die Gefahr für die Mandanten ist damit gebannt,82) die Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerlegt. 52 Bis ein Insolvenzplan ausgearbeitet ist, von den Gläubigern angenommen und vom Gericht bestätigt wurde, wird die Kammer die Zulassung in der Regel jedoch längst widerrufen haben. In der Praxis kann die Durchführung eines Insolvenzplanes erheblich beschleunigt werden, wenn mit Antragstellung bereits ein ausgefertigter Entwurf eines Insolvenzplanes vorgelegt wird, der mit den Gläubigern bereits im Vorfeld der Antragstellung erörtert wurde. 53 Wie gezeigt, dürfen nach dem BVerfG keine überspannten Anforderungen an eine Widerlegung einer Mandantengefährdung gestellt werden. Zukünftige Entwicklungen müssen daher i. R. einer Gefahrenprognose mitberücksichtigt werden.83) Die Kammer darf zwar dem Schuldner nicht erst die Gelegenheit zur Ausarbeitung eines Planes geben, bevor Sie über einen Widerruf entscheidet,84) hat aber bereits ein Insolvenzverwalter zu erkennen gegeben, dass er die Durchführung eines Insolvenzplanes für möglich hält und haben die Gläubiger den Insolvenzverwalter daraufhin mit der Ausarbeitung eines solchen Planes beauftragt, so hat die Kammer von einem Widerruf abzusehen. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Plan angenommen und auch erfolgreich durchgeführt wird. Dies gilt

___________ 80) BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.; Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 246. 81) BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.; Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 35. 82) Koch, Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts, S. 256. 83) Kleine-Cosack, NJW 2004, 2473, 2477; Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484. 84) BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287; Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484; UhlenbruckHirte, InsO, § 35 Rz. 294.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

insbesondere, wenn unter den Gläubigern auch solche mit Erfahrung im Insolvenzrecht der Erstellung eines Planes zugestimmt haben, wie dies z. B. bei Banken der Fall ist.85) Ist in diesem Fall vom Widerruf der Zulassung abzusehen, muss dies erst recht gelten, 54 wenn der Schuldner seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einem bereits zuvor ausgearbeiteten Insolvenzplan verbindet (sog. „prepackaged plan“). Auch in diesem Fall dürfte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG von einem Widerruf der Zulassung so lange abzusehen sein, bis über die Annahme des Plans entschieden wird.86) Ob gleiches für den Fall der Anordnung der Eigenverwaltung gilt, erscheint insofern zweifelhaft, als dass nach aktueller Regelung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur bestätigt wird, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Voraussetzung für die Ablehnung der Eigenverwaltung ist daher immer, dass das Gericht überhaupt Tatsachen feststellt, die auf Nachteile für die Gläubiger schließen lassen. Demgegenüber stellt § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO allein auf die Gefährdungslage ab. In der Regel wird mit der Eigenverwaltung jedoch auch die Durchführung eines Insolvenzplanes beabsichtigt und angekündigt sein, so dass davon auszugehen ist, dass auch im Falle der Eigenverwaltung die jeweils zuständige Kammer von einem Widerruf absehen wird. Sollten die Voraussetzungen für die Widerlegung der Vermutung § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO 55 im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung nicht vorliegen, eine Sanierung jedoch erfolgversprechend sein, wird in der Praxis gegen einen Widerruf gemäß § 16 Abs. 5 BRAO Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem Anwaltsgerichtshof zu stellen sein. Der Antrag hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung, § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO. Sollte die sofortige Vollziehung angeordnet sein, kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung durch den Anwaltsgerichtshof wieder hergestellt werden, § 16 Abs. 6 Satz 5 BRAO. Die Einlegung der Rechtsmittel verschafft insofern Gelegenheit, die Voraussetzungen für eine Widerlegung der Vermutung zu prüfen und zu schaffen. 3.6

Kompetenzkonflikt zwischen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter

Der Insolvenzverwalter kann wie bei anderen Freiberuflern auch bei der Insolvenz von 56 Rechtsanwälten nicht ohne weiteres an deren Stelle treten. Zwar ist der Insolvenzverwalter grundsätzlich in der Lage, die Praxis auch in eigener Regie weiterführen, wenn er die nötige Qualifikation dafür hat. In der Regel wird eine Betriebsfortführung aber nur zusammen mit dem Schuldner erfolgversprechend sein, weil nur auf diese Weise der durch das Vertrauensverhältnis zu den Mandanten geschaffene immaterielle Wert realisierbar ist.87) Gemäß §§ 1, 2 BRAO und § 1 BORA ist der Rechtsanwalt in seiner Berufsausübung un- 57 abhängig bzw. frei, selbstbestimmt und unreglementiert. Auch hier stellt sich erneut ein Kompetenzkonflikt mit dem Insolvenzverwalter. Führen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter die Praxis gemeinsam fort, so dürfte der Insolvenzverwalter nicht berechtigt sein, sich in die konkrete Berufsausführung des Anwalts einzumischen, sondern wäre auf die Regelung der finanziellen Belange beschränkt. Auch hier könnte der Konflikt durch die Anordnung der Eigenverwaltung vermieden werden, §§ 270 ff. InsO. 4.

Steuerberater/Steuerberaterinnen

Die Situation eines insolventen Steuerberaters gleicht der eines insolventen Rechtsanwaltes. 58 Auch der Beruf des Steuerberaters erfordert eine hohe Vertrauenswürdigkeit gerade im ___________ 85) BVerfG, Beschl. v. 31.8.2005 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058. 86) Ehlers, NJW 2008, 1480, 1484. 87) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 285.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

Umgang mit Fremdgeldern. Wie beim Rechtsanwalt so ist auch die Vertrauenswürdigkeit des Steuerberaters erschüttert, wenn er in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Es besteht die abstrakte Gefahr, der Steuerberater werde der Versuchung erliegen, seine finanzielle Lage durch den Zugriff auf fremde Gelder zu entspannen. § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ordnet deshalb an, dass die Zulassung des Steuerberaters zu widerrufen ist, wenn dieser in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind. Die Vorschrift entspricht dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Damit entspricht sowohl die tatsächliche als auch die rechtliche Situation des insolventen Steuerberaters der des insolventen Rechtsanwaltes. Die oben gemachten Ausführungen gelten daher entsprechend für den Steuerberater. 5.

Wirtschaftsprüfer/Wirtschaftsprüferinnen

59 Auch der Wirtschaftsprüfer gerät in der Insolvenz in Konflikt mit seinem Berufsrecht. An ihn werden in Bezug auf seine Vertrauenswürdigkeit hohe Anforderungen gestellt. Gemäß § 2 Abs. 1 WPO hat er die berufliche Aufgabe, betriebswirtschaftliche Prüfungen, insbesondere solche von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen, durchzuführen und Bestätigungsvermerke über die Vornahme und das Ergebnis solcher Prüfungen zu erteilen. Diese Tätigkeit setzt voraus, dass der Wirtschaftsprüfer völlig unabhängig ist. Die Unabhängigkeit ist aber dann gefährdet, wenn der Wirtschaftsprüfer finanziell notleidend ist. Dies macht ihn bestechlich und beschwört die Gefahr herauf, er werde „geschönten“ Bilanzen seinen Segen geben.88) Aus diesem Grund sieht § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO vor, die Bestellung zum Wirtschaftsprüfer zu widerrufen, wenn dieser sich in nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere in Vermögensverfall befindet. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 WPO wird ein Vermögensverfall vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Wirtschaftsprüfers eröffnet wurde. 60 Auffällig ist, dass nach den §§ 16 Abs. 1 Nr. 7 und 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO der Vermögensverfall offenbar eine besondere Ausprägung der nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse darstellt, was die Formulierung „insbesondere“ nahelegt. Im Gegensatz dazu wird der Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO und § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG gerade mit ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen definiert.89) Danach ist der Vermögensverfall mit den ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen gleichbedeutend. 61 Hieraus ist nicht der Schluss zu ziehen, dass die Anforderungen an einen Widerruf der Bestellung eines Wirtschaftsprüfers geringer sind als die an einen Zulassungswiderruf eines Rechtsanwaltes oder Steuerberaters. Letztlich ist kaum bestimmbar, wann „nur“ von einfachen ungeordneten Vermögensverhältnissen ausgegangen werden kann und ab wann die Vermögensverhältnisse derart schlecht sind, dass ein Vermögensverfall vorliegt. Es ist daher anzunehmen, dass die unterschiedlichen Formulierungen aus der Entstehungsgeschichte der jeweiligen Berufsordnung herrühren, in der Sache aber dasselbe meinen.90) 62 Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 4 WPO kann von einem Widerruf abgesehen werden, wenn der Wirtschaftsprüferkammer nachgewiesen wird, dass durch die nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse die Interessen Dritter nicht gefährdet sind. Auch hieran dürfen im Hinblick auf Art 12 Abs. 1 GG keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die an diesen Nachweis zu stellenden Voraussetzungen entsprechen denen für Rechtsanwälte ___________ 88) Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105, 108. 89) Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, § 14 Rz. 29. 90) Dahingehend auch OVG Münster, Beschl. v. 9.2.2001 – 4 A 5645/99, NJW 2002, 234, das bzgl. § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO auf die „vom Wortlaut her ähnliche Regelung“ in § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG abstellt; BVerwG, Urt. v. 17.8.2005 – 6 C 15.04, NJW 2005, 3795; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 290.

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

und Steuerberater zur Widerlegung der Gefährdung der Mandanteninteressen trotz des Vermögensverfalls. 6.

Architekten/Architektinnen

Auch im Falle der Insolvenz von Architekten kann es zu einem Konflikt zwischen deren 63 Berufsrecht und der InsO kommen. Das Berufsrecht der Architekten ist in Landesgesetzen geregelt. Um als Architekt arbeiten zu können, ist eine Eintragung in die Architektenliste notwendig. Neben anderen Merkmalen setzt diese Eintragung voraus, dass der Architekt die zur Wahrnehmung der Berufsaufgaben erforderliche Zuverlässigkeit mitbringt. Fällt diese später weg, ist der Architekt von der zuständigen Architektenkammer wieder aus der Liste zu löschen wie dies z. B. § 6 Satz 1 lit. d i. V. m. § 5 Abs. 1 BauKaG NRW anordnet. Die Zuverlässigkeit eines überschuldeten Architekten wird grundsätzlich verneint.91) Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig mit einer Überschuldung einhergeht, würde diese zu einer Löschung aus der Architektenliste führen. Eine Betriebsfortführung wäre damit ausgeschlossen. Hintergrund dieser Regelungen ist auch hier die abstrakte Gefahr, dass sich der verschuldete 64 Architekt nicht mehr allein von seiner fachlichen Einschätzung, sondern „von eigenen finanziellen Interessen und übertriebener Gewinnorientierung leiten lässt“.92) Zum Schutze der Auftraggeber soll der Architekt aus der Liste gelöscht werden, wobei der Architektenkammer kein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Auch hier besteht für den Architekten die Möglichkeit, im Einzelfall eine Unzuverlässigkeit 65 zu widerlegen. Die Anforderungen hierfür entsprechen denen, die auch an Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zur Widerlegung des Vermögensverfalls gestellt werden.93) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein reicht demnach nicht aus, um seine Zuverlässigkeit wieder herzustellen.94) Diese deckt nämlich nur die ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse auf, ohne dass damit zugleich eine baldige Entschuldung absehbar wäre. Wie auch bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern muss eine Rest- 66 schuldbefreiung bereits angekündigt oder ein Insolvenzplan ausgearbeitet sein, um einer Löschung aus der Architektenliste zuvorzukommen und den Betrieb fortsetzen zu können. Auch die Eigenverwaltung dürfte ein geeignetes Instrument darstellen. Schließlich ist die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis denkbar. Wie schon beim Rechtsanwalt muss auch hier sichergestellt werden, dass der überschuldete Architekt arbeitsvertraglich und auch tatsächlich keine Gelegenheit hat, selbstständig Aufträge zu übernehmen und Zugriff auf Fremdgelder zu erhalten. IV.

Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins

Die Vereine der ersten und zweiten Bundesliga sind noch heute als nicht wirtschaftliche 67 Idealvereine in den Vereinsregistern eingetragen. Mag dies zum Zeitpunkt der Eintragung noch gerechtfertigt gewesen sein, so sind die Profifußballvereine heute Wirtschaftsbetriebe und damit Unternehmen i. S. der InsO.95) Die Beibehaltung des Status als nicht wirtschaftlicher Verein wird dabei als geduldete Rechtsformverfehlung bezeichnet.96) Die ___________ 91) 92) 93) 94) 95) 96)

Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 295. OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2009 – 4 B 995/09, ZInsO 2010, 481, 482; Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 45. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 35 Rz. 295. OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2009 – 4 B 995/09, ZInsO 2010, 481, 482; Braun-Bäuerle, InsO, § 35 Rz. 45. Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213. Reuter in: MünchKomm-BGB, § 42 Rz. 7.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

gestiegene wirtschaftliche Bedeutung wirft aber auch neue Fragen im Bereich des Insolvenzrechts auf, die im Folgenden am Beispiel des Profifußballvereins erörtert werden, im Übrigen aber auf alle anderen Vereine anderer Sparten und den von ihnen gehaltenen Kapitalgesellschaften Anwendung finden. 1.

Rechtliche und tatsächliche Ausgangslage

68 Keine Sportart hat in den vergangenen Jahrzehnten eine derartige Kommerzialisierung erfahren wie der Fußball. Dies hängt eng mit dem stetig gestiegenen Interesse der Bevölkerung für diesen Sport zusammen. Gerade die WM 2006 hat eine zusätzliche Begeisterungswelle ausgelöst und die Popularität des Fußballs in Deutschland noch erhöht. Fernsehgelder, Sponsorenverträge, Trikotwerbung und Merchandising stellen für die Vereine beträchtliche Einnahmen dar. In der Saison 2011/12 erzielten allein die 18 Bundesligavereine der ersten Bundesliga Erlöse von insgesamt 1,94 Mrd. €.97) Im Durchschnitt erwirtschaftete jeder Club damit rund 108 Mio. €. Der FC Bayern München konnte als umsatzstärkster Verein in der Saison 2011/12 sogar über 350 Mio. € erwirtschaften.98) Obwohl ursprünglich der rein ideelle Zweck der Sportförderung angestrebt wurde, so führt dieser bei den Profivereinen nunmehr eine untergeordnete Rolle. Angesichts dieser Zahlen wird die wirtschaftliche Bedeutung des Profifußballs offensichtlich. 69 Diese wirtschaftliche Zugkraft geht aber über die erste Bundesliga hinaus. Auch die zweite und dritte Liga erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Über die zweite Liga wird schon seit längerer Zeit im gleichen Umfang wie über die erste berichtet, einschließlich der LiveÜbertragung von Spielen. Und auch die dritte Liga hat Einzug in die regelmäßige Berichterstattung der Sportschau gefunden. Dies führt wiederum zu höheren Fernsehgeldern und neuen Möglichkeiten in Bezug auf Sponsorenverträge. 70 Mit der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung steigt aber auch das wirtschaftliche Risiko. So hängt der wirtschaftliche maßgeblich vom sportlichen Erfolg ab, der nur bedingt vorhergesagt werden kann.99) Außerdem führt die Notwendigkeit von Kapitaleinsatz zum Spielbetrieb gerade bei kleineren Vereinen häufig zur Abhängigkeit von einzelnen Sponsoren. Sind diese aus welchen Gründen auch immer nicht bereit, weiterhin Geld für den Spielbetrieb zu Verfügung zu stellen und gelingt es dem Verein nicht, zeitnah einen neuen Sponsor zu finden, so entstehen oftmals finanzielle Engpässe. Auch falsches Management in der Vereinsführung kann dazu führen, dass der Verein in Geldnot gerät.100) Aus diesen und anderen Gründen kam es in den letzten Jahren auch zunehmend zu Insolvenzen von Fußballvereinen. Als Beispiele seien hier nur die ehemaligen Bundesligisten VfB Leipzig101), SSV Ulm102) und Rot-Weiss Essen103) angeführt. 71 Stehen die Gläubiger nun vor der Wahl, ob ein insolventer Fußballverein fortgesetzt oder stillgelegt werden soll, so werden sie regelmäßig zu einer Betriebsfortführung tendieren. ___________ 97) Bundesliga-Report 2012, http://www.bundesliga.de/media/native/autosync/dfl_bl_wirtschaftssituation_ 2012_01-12_dt_72dpi.pdf (Abrufdatum: 11.4.2013). 98) Abrufbar unter: http://www.augsburger-allgemeine.de/sport/fc-bayern/Umsatz-wieder-ueber-der350-Millionen-Euro-Marke-id20090556.html (Abrufdatum: 11.4.2013). 99) Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 8. 100) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 140. 101) Abrufbar unter: ttp://www.faz.net/aktuell/sport/fussball-der-vfb-leipzig-ist-schon-wieder-pleite1128740.html (Abrufdatum: 11.4.2013). 102) Vgl. http://www.swp.de/ulm/sport/fussball/regional/ssv_ulm-Insolvenzplan-Glaeubiger-Spatz-SponsorZuspruch-Huerde-Fussball-Verein-Vizepraesident-SSV-Ulm-1846-Insolvenzplan-der-Spatzenabgesegnet; art4280, 1004842 (Abrufdatum: 11.4.2013). 103) Vgl. http://www.derwesten.de/sport/fussball/rwe/rot-weiss-essen-meldet-insolvenz-an-id3319624.html (Abrufdatum: 18.9.2012).

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Betriebsfortführung in Sonderfällen

Vereine der Bundesliga sind europaweit, manche sogar weltweit bekannt. Sie locken tausende Zuschauer in die Stadien und vor die Bildschirme der Fernseher und werden so auch als Werbeträger für Wirtschaftsunternehmen interessant. Nur durch den Spielbetrieb erhalten sie Fernsehgelder und behalten die Möglichkeit, durch die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb ihre Bekanntheit noch zu erhöhen. Durch die steigende Bekanntheit steigt auch der Zuspruch der Sportbegeisterten für diesen Verein, was sich wiederum im Absatz von Merchandising-Artikeln und einem höheren Werbewert bemerkbar macht.104) Dies gilt im Wesentlichen auch für die unterklassigen Vereine. Auch sie leben vom Zuschauerzuspruch, der aus dem Interesse am sportlichen Wettkampf hervorgeht. Bei vielen Vereinen kommt außerdem ein rein ideeller Wert hinzu. Viele Menschen und 72 damit auch spätere Gläubiger fühlen sich unabhängig vom sportlichen Erfolg mit „ihrem“ Verein verbunden. Dieser Sympathiewert führt dazu, dass unterklassige Vereine teilweise mehr Zuschauer verbuchen können als Erstligisten. Auch dies wirkt sich neben den Einnahmen durch Kartenverkäufe letztlich wieder auf den Werbewert des Vereins aus. Legt man den Verein nun still, findet eine Vernichtung dieser Werte statt. Dem Verein 73 wird die Möglichkeit genommen, sich Fernsehgelder zu erspielen und neue Sponsoren auf sich aufmerksam zu machen. Die mit dem Verein verbundenen Sympathisanten haben keine Gelegenheit mehr durch Stadionbesuche am Vereinsleben zu partizipieren; sie scheiden damit auch als Käufer von Fanartikeln und als Zielgruppe von Trikotwerbung aus. Hinzu kommt, dass es oftmals keine verwertbaren Sachwerte mehr gibt. Stadien oder Trainingsgelände sind, sofern sie nicht ohnehin nur von einem öffentlichen Träger angemietet waren, häufig schon vor Eintritt der Insolvenzreife verpfändet worden, stehen den Insolvenzgläubigern mithin nicht mehr zur Verfügung. Mit Wegfall des Spielbetriebes wird auch der Wert der Stadionimmobilie sinken. Alternative Nutzungsmöglichkeiten werden aufgrund der in der Regel hohen Unterhaltskosten nur sehr eingeschränkt möglich sein. Eine Betriebsfortführung verspricht daher eine wesentlich höhere Befriedigung der Forderungen. An dieser Stelle geraten die Interessen der Gläubiger an einer Betriebsfortführung mit denen 74 der Fußballverbände an einer ordnungsgemäßen Durchführung des sportlichen Wettbewerbs in Konflikt. Der Fußball in Deutschland wird in Verbänden organisiert. Dachverband ist der Deutsche 75 Fußballbund (DFB).105) Dazu existieren Verbände der Länder, die den Fußball der unteren Ligen organisieren. Die Verbände haben die Rechtsform eines eingetragenen nicht wirtschaftlichen Vereins, dessen Mitglieder wiederum die Fußballvereine sind.106) Die von dem jeweiligen Verband zur Verfügung gestellten Ligen sind die Vereinseinrichtungen, die von den Fußballclubs als Vereinsmitgliedern genutzt werden. Welcher Verein an welcher Liga teilnehmen darf, wird von den Verbänden in ihren Satzungen bestimmt.107) Die Organisation, Durchführung und Vermarktung der ersten und zweiten Bundesliga ist 76 vom DFB auf den Ligaverband e. V. übertragen worden.108) Die dritte Liga wird vom DFB selbst betrieben. Die Teilnahme am Spielbetrieb der ersten und zweiten Bundesliga ist vom Erwerb einer Lizenz abhängig. Die beiden obersten Spielklassen werden deshalb auch als Lizenzligen bezeichnet. Die Lizenz kann Vereinen oder Kapitalgesellschaften erteilt ___________ Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 44. Dworak, Finanzierung für Fußballunternehmen, S. 9. Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 155. Regelungen des DFB und des Ligaverbandes abrufbar unter: http://www.dfb.de/index.php?id=11003 (Abrufdatum: 11.4.2013). 108) Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 155; Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 126, 127.

104) 105) 106) 107)

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Teil III Einzelfragen

werden; die Vereine der ersten und zweiten Liga haben ihre Profiabteilung regelmäßig auf eine von ihnen beherrschte Kapitalgesellschaft übertragen. Der Erwerb einer Lizenz berechtigt zur Teilnahme am Spielbetrieb und ist gleichzeitig Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Ligaverband, weshalb die Mitgliedschaft und die Spielberechtigung untrennbar miteinander zusammenhängen. Die tatsächliche Lizenzerteilung erfolgt für jeweils ein Spieljahr durch die vom Ligaverband geschaffene Ligaverbands-GmbH (DFL), die mit der Ausführung der satzungsgemäßen Aufgaben betraut ist.109) 77 Um am Spielbetrieb der dritten Liga teilnehmen zu können, muss ein Verein bzw. eine Kapitalgesellschaft zugelassen werden. Dies geschieht durch den Abschluss eines sog. Zulassungsvertrages. 78 Welche Voraussetzungen die Vereine erfüllen müssen, um am Spielbetrieb der jeweiligen Liga teilnehmen zu können regelt für die Lizenzligen im Wesentlichen die Lizenzierungsordnung (LO) und für die dritte Liga das Statut-3. Liga. Ziel der gestellten Anforderungen ist die Gewährleistung eines attraktiven, sportlichen und ausgeglichenen Wettkampfs. Neben sportlichen, rechtlichen und anderen Voraussetzungen muss ein Verein zum Erwerb einer Lizenz bzw. Zulassung auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweisen. Fällt diese Leistungsfähigkeit später weg, kann die Lizenz bzw. die Zulassung auch wieder entzogen werden. Andere Klauseln beziehen sich explizit auf die Insolvenz eines Vereins und sehen einen Punktabzug oder gar einen Zwangsabstieg vor. Wieder andere Klauseln sehen für den Fall der Vereinsauflösung ein automatisches Erlöschen der Lizenz bzw. der Zulassung vor. 2.

Vorrang der InsO bzw. des staatlichen Rechts

79 Sowohl die korporativen Regelungen der Sportverbände als auch die Regelungen in Lizenzverträgen stehen im Spannungsverhältnis zum Zivilrecht und der InsO. Die Grenzen der Vertragsautonomie werden an den Maßstäben der §§ 134, 138, 242 BGB gemessen.110) Darüber hinaus sind Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, § 119 InsO. Schließlich tangieren die Verbandsregelungen das in § 1 InsO definierte Ziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger mit dem weiteren Verfahrensziel der Sanierung 2.1

Kein Vorrang der Vertragsautonomie

80 Die Satzungen der Sportverbände sind an § 242 BGB zu messen.111) Grundsätzlich sind Vereine bezüglich des Inhalts ihrer Satzungen frei. Diese Satzungsautonomie findet ihre Stütze in Art. 9 Abs. 1 GG, genießt somit Verfassungsrang.112) Vereinssatzungen sind der Kontrolle durch staatliches Recht daher normalerweise entzogen. Die Rechtsprechung macht hiervon aber bei Vereinen, die eine Monopolstellung innehaben, eine Ausnahme.113) 81 Die Satzungsautonomie soll die Vereinsmitglieder in die Lage versetzen, unabhängig vom Gutdünken Außenstehender eigene Regeln für ihr Vereinsleben aufzustellen. Ist jemand mit den beschlossenen Regelungen nicht einverstanden, steht es ihm frei, zu gehen, einen anderen Verein zu gründen, sich einem anderen Verein anzuschließen oder Vereinen gänzlich fern zu bleiben. Genau diese Freiheit besteht aber nicht, wenn der Verein eine ___________ 109) 110) 111) 112) 113)

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Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 132. BGH, Urt. v. 28.11.1994 – II ZR 11/94, ZIP 1995, 752–753. BGH, Urt. v. 28.11.1994 – II ZR 11/94, ZIP 1995, 752–753. Palandt-Ellenberger, BGB, § 25 Rz. 7. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, ZIP 1989, 14, 16; Haas, NZI 2003, 177, 178; PalandtEllenberger, BGB, § 25 Rz. 9; Reuter in: MünchKomm-BGB, Vor § 21 Rz. 115, 116.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

Monopolstellung innehat, die auch nicht ohne weiteres durch die Gründung eines neuen Vereins gebrochen werden kann. Hier ist der Einzelne auf eine Mitgliedschaft angewiesen. Deshalb gewährt ihm die Rechtsprechung insoweit Schutz, als sie die Satzung einer Kontrolle nach Treu und Glauben unterzieht, § 242 BGB.114) Neben den Vereinsinteressen sind dabei auch die Wertungen der InsO und damit die Vermögensinteressen der Insolvenzgläubiger zu berücksichtigen.115) Sowohl die Verbände als auch die Vereine sind daran interessiert, dass ihr Sport durch Geldgeber aus der Wirtschaft gefördert wird. Es ist deshalb gerechtfertigt und auch geboten, deren Belange i. R. einer Interessensabwägung angemessen zu berücksichtigen.116) Der DFB und der Ligaverband e. V. besitzen für den Profifußball in Deutschland eine 82 Monopolstellung.117) Will ein Fußballclub seinen Sport professionell betreiben, führt kein Weg an ihnen vorbei. Die Klauseln sind deshalb an § 242 BGB zu messen.118) Sie können nur Wirksamkeit beanspruchen, wenn sie ein berechtigtes Interesse der Verbände verfolgen, dass nicht ausnahmsweise hinter überwiegenden Interessen der Vereine und der Insolvenzgläubiger zurückstehen muss. Bei dieser Kontrolle kann die Satzung nicht als Ganzes betrachtet werden. Jede Klausel ist im Einzelnen einer Wirksamkeitskontrolle zu unterwerfen. Der Nachweis und der Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Vereins werden 83 nahezu von allen Fußballverbänden in Deutschland als Voraussetzung zur Teilnahme am jeweiligen Ligabetrieb gefordert. Dies dient vorrangig dem Schutz eines sportlich attraktiven und ausgeglichenen Wettbewerbs.119) Es soll vermieden werden, dass ein Verein aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten genötigt ist, den Spielbetrieb einzustellen und den Wettbewerb auf diese Weise zu verfälschen.120) Dabei unterscheiden sich die Klauseln in der Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll. 2.2

Wirksamkeit der Regelungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bzw. ihrem Wegfall

Klauseln, die den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit voraussetzen, sind § 2 84 Nr. 1 lit. g i. V. m. § 8 LO für die Lizenzligen und § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga (i. V. m. den Richtlinien für das Zulassungsverfahren – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 3. Liga) für die dritte Liga. Entsprechende Regelungen finden sich auch in den Satzungen der untergeordneten Verbände.121) Diese Klauseln müssen auch unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben als rechtmäßig angesehen werden, § 242 BGB.122) Sie sollen gewährleisten, dass die Vereine die finanziellen Voraussetzungen mitbringen, 85 die Saison vollständig zu absolvieren.123) Es soll verhindert werden, dass ein Verein während ___________ 114) BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, ZIP 1989, 14, 16; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 29. 115) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 150; dahingehend auch PalandtEllenberger, BGB, § 25 Rz. 9; a. A.: Adolphsen, KTS 2005, 53, 65. 116) Hierfür spricht insbesondere auch das in der Präambel zur LO ausgedrückte Ziel des Lizenzierungsverfahrens, „das öffentliche Image und die Vermarktung … der Lizenznehmer zu fördern und zu sichern, dass sie … zuverlässige Partner … der Wirtschaft sind“. 117) LG Frankfurt/M., Urt. v. 26.7.1982 – 2/8 0 180/82, NJW 1983, 761, 763. 118) Haas, NZI 2003, 177, 178. 119) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Summerer, Sportrecht, S. 132. 120) Haas, NZI 2003, 177, 178; Adolphsen, KTS 2005, 53, 54. 121) So z. B. § 6 Nr. 4 des Statuts für die Regionalliga West (RLSt) des Westdeutschen Fußball- und Leichtathletikverbands. 122) Walker, KTS 2003, 169, 182; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 29, i. S. eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 GWB und Art. 3 Abs. 1 GG 123) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 97.

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§ 28

Teil III Einzelfragen

des laufenden Wettbewerbs aus Geldmangel aus dem Spielbetrieb ausscheiden muss.124) Dies würde zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung führen und dem Ansehen des gesamten Ligabetriebs schaden.125) Einige Vereine hätten möglicherweise schon gegen den nun ausscheidenden Verein gespielt, andere noch nicht. Man wäre genötigt, die Spiele gegen den ausscheidenden Verein zu annullieren. Eine vermeintlich sicher geglaubte Tabellensituation könnte sich dann völlig verschieben.126) Aber auch wenn es dem Verein gelingt, trotz erheblicher Geldnot den Spielbetrieb noch aufrechtzuerhalten, so schwebt über ihm das Damoklesschwert des endgültigen Bankrotts. Diese Situation kann sich nur demotivierend auf alle Spieler auswirken. Sowohl der notleidende Verein als auch seine Gegner müssen damit rechnen, dass der Spielbetrieb nicht bis zum Saisonende durchgehalten werden kann und die Spiele aus der Wertung genommen werden müssten. Dies würde auch zu einer erheblichen Attraktivitätseinbuße für die Zuschauer führen. 86 Diesem gewichtigen Interesse der Verbände können die Fußballvereine und deren Gläubiger kein überwiegendes Interesse entgegenhalten. Insbesondere steht die ungesicherte Aussicht, sich möglicherweise sanieren zu können, hinter der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ligabetriebs zurück.127) Anders läge der Fall freilich, wenn bereits ein Insolvenzplan vorläge, der schon ein Sanierungskonzept enthält. Zu beachten ist aber, dass ein Insolvenzverfahren einer Zulassungs- bzw. Lizenzerteilung nach § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga und § 2 Nr. 1 lit. g i. V. m. § 8 LO nicht per se entgegensteht. Nach diesen Regelungen wäre eine Zulassungs- bzw. Lizenzerteilung also auch möglich, wenn ein Insolvenzplan die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für das Spieljahr sicherstellen könnte.128) Die Klauseln sind daher grundsätzlich rechtmäßig. 87 Mit dem Erhalt der Zulassung zum Spielbetrieb ist die Verantwortung eines Vereins zum wirtschaftlichen Haushalten aber noch nicht beendet. So stellt § 8 Nr. 1 LO Anforderungen an die Lizenzvereine für den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit während der Spielzeit und nach Nr. 6 der Richtlinien für das Zulassungsverfahren – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – 3. Liga obliegt der DFB-Zentralverwaltung die laufende Prüfung, Beobachtung und Beratung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Vereine. 88 Einige Klauseln sehen nun Konsequenzen vor, falls die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben sein sollte. So eröffnen § 10 Nr. 2 lit. a LO und § 3 Nr. 2 Statut3. Liga den Verbänden in diesem Fall die Möglichkeit, die Lizenz bzw. die Zulassung wieder zu entziehen. Andere Klauseln knüpfen unmittelbar an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. § 11 Nr. 5 LO sieht einen Abzug von neun Gewinnpunkten vor, wenn ein Insolvenzgericht die Verfahrenseröffnung über das Vermögen eines lizenzierten Vereins beschließt. § 6 Nr. 1 Spielordnung des DFB (SpO) ordnet im Falle der Insolvenz einen Zwangsabstieg an. Die SpO gilt zwar ausweislich § 6 Nr. 5 SpO nicht für die Lizenzligen; zu beachten ist jedoch, dass ein Entzug der Zulassung nach § 10 Nr. 2 lit. a LO ebenfalls einen Zwangsabstieg in die dritte Liga zur Folge hätte, da gemäß § 10 Nr. 2 LO a. E. eine erneuter Antrag auf Lizenzerteilung nicht möglich ist.129) 89 Das heißt, die Vereine sind zwar weiterhin berechtigt bis zum Saisonende am Spielbetrieb teilzunehmen. Nach der Spielzeit steigen sie jedoch unabhängig von ihrem sportlichen ___________ 124) 125) 126) 127) 128) 129)

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Gutzeit, Vereinsinsolvenz, S. 157; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213. Walker, KTS 2003, 169, 182. Adolphsen, KTS 2005, 53, 54. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 18.7.2000 – 11 U (Kart) 36/00, SpuRt 2001, 28, 31; Haas, NZI 2003, 177, 179. Walker, KTS 2003, 169, 172. Walker, KTS 2003, 169, 173; König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 99; vgl. § 54 Nr. 3 SpO und § 55 a Nr. 3 SpO bzgl. des Lizenzentzuges eines Zweit- und Drittligisten.

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Erfolg ab. Dies ist hinsichtlich der Prüfung nach § 242 BGB nicht unproblematisch. Wie bereits dargelegt, soll die Lizenzerteilung sicherstellen, dass der Spielbetrieb über die gesamte Saison aufrechterhalten werden kann. Der sportliche Wettkampf soll nicht durch äußere Faktoren beeinflusst werden. Dies wäre aber bei einem Lizenz- bzw. Zulassungsentzug oder einer Insolvenz während der Saison der Fall. Eine Mannschaft, die wüsste, dass sie am Saisonende unabhängig von ihrer sportlichen Leistung absteigt, verlöre die Motivation.130) Ab diesem Zeitpunkt hätten es die Gegner wesentlich leichter gegen dieses Team zu gewinnen. Einerseits wären die noch durchzuführenden Spiele für die Zuschauer unattraktiv und andererseits wäre es unfair gegenüber Mannschaften, die noch vor dem Lizenz- bzw. Zulassungsentzug oder der Insolvenz gegen eine voll motivierte Elf antreten mussten. Das mit der Lizenz- bzw. Zulassungserteilung verfolgte Ziel eines ausgeglichenen Wettkampfeswird verfehlt.131) Gleichzeitig dienen diese Regelungen der Aufrechterhaltung des Ligabetriebes und dem 90 Schutz des fairen sportlichen Wettkampfs. Die Regelungen verfolgen zwei Ziele. Zunächst sollen die Vereine vor einem ruinösen „Wettrüsten“ bewahrt werden. Die Fußballclubs stehen auch außerhalb des Platzes in Konkurrenz zueinander, wenn es bspw. um die Verpflichtung neuer Spieler geht. Ein maßgebliches Kriterium für den Spieler bei der Vereinswahl ist die Verdienstmöglichkeit. Durch einen drohenden Lizenzentzug bei Wegfall der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sollen die Vereine vor sich selbst geschützt werden. Kein Verein soll sich genötigt fühlen, über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinauszugehen, um einen anderen Verein zu überbieten. Mit der Androhung des Zwangsabstiegs soll diesem Verbandsinteresse Nachdruck verliehen werden. Darüber hinaus sollen unlauter erlangte Vorteile abgeschöpft werden. Hat ein Verein über seinen finanziellen Verhältnissen gelebt, hat er sich gegenüber anderen Vereinen einen Vorteil verschafft, die sich an die wirtschaftlichen Regeln gehalten haben. Außerdem eröffnet das Insolvenzverfahren dem betroffenen Verein eine Reihe von Möglichkeiten, die anderen Vereinen nicht zu Verfügung stehen. Aufgrund der insolvenzrechtlichen Vorschriften ist es ihm z. B. möglich, zeitlich befristete Arbeitsverträge mit überteuerten Spielern oder Trainern zu kündigen, § 113 InsO. Diese Vorteile sollen ihm am Saisonende wieder genommen, der Anreiz zu unsolidem Wirtschaften im Keime erstickt werden.132) Die Verbände haben also grundsätzlich ein Interesse zum Schutze des Wettbewerbs, Verei- 91 ne durch Zulassungsentzug und Zwangsabstieg zu disziplinieren. Zur Wirksamkeit dieser Reglungen im Einzelnen: 2.2.1 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der Lizenzliga § 10 Nr. 2 lit. a LO ermöglicht dem Verband den Entzug der Lizenz, wenn die Vorausset- 92 zungen für deren Erteilung wieder weggefallen sind. Insbesondere soll dies für den Wegfall der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gelten. § 10 Nr. 2 lit. a LO räumt dem Ligaverband dabei ein Ermessen ein, wann von einem Lizenzentzug Gebrauch gemacht werden soll. § 11 Nr. 5 LO sieht speziell für den Fall der Insolvenz eines Lizenznehmers einen Abzug von neun Gewinnpunkten vor. Hiervon kann abgesehen werden, wenn auch der Hauptsponsor oder ein ähnlicher Finanzgeber des Vereins insolvent ist. § 11 Nr. 5 LO ist mit § 242 BGB vereinbar. Zwar wird die Betriebsfortführung des Vereins 93 in der Spielklasse durch den Punktabzug erschwert. Der Ligaverband hat aber ein Interesse ___________ 130) Walker, KTS 2003, 169, 182, 183; Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 149; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213, 214. 131) Dahingehend Pfister, SpuRt 2002, 103, 104. 132) Walker, KTS 2003, 169, 183; Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213, 214.

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daran, dass die Vorteile des unsoliden Wirtschaftens wieder entzogen werden. Andernfalls läge eine Benachteiligung der Konkurrenten vor, die sich an die wirtschaftlichen Auflagen gehalten haben und deshalb bei der Zusammenstellung ihres Kaders Abstriche machen mussten. Auch der pauschale Abzug von neun Punkten ist gerechtfertigt. Ein sportlicher Vorteil durch einen teureren Kader ist zwar kaum messbar. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die finanzielle Möglichkeit, talentierte Spieler zu verpflichten, langfristig auch zu sportlichem Erfolg führt. Deshalb ist es vertretbar, den so erlangten Vorteil pauschal mit dem Aberkennen von praktisch drei Siegen zu sanktionieren. Die Strafe ist ausreichend, um Vereine vor unsolidem Wirtschaften abzuschrecken. Gleichzeitig ist sie aber niedrig genug, um eine Betriebsfortführung zu ermöglichen und den Verbleib in der Liga sportlich zu erreichen. Auf diese Weise haben die noch auszutragenden Spiele auch noch eine sportliche Bedeutung. 94 Des Weiteren ermöglicht § 11 Nr. 5 LO ein Absehen vom Punktabzug, wenn auch ein wichtiger Finanzgeber des Vereins insolvent ist. Ist der Verein also ohne eigenes Verschulden in den Sog der Insolvenz geraten, soll ihm dies sportlich nicht zum Nachteil gereichen. § 11 Nr. 5 LO ist demnach ein fairer Kompromiss zwischen Verbands- und Insolvenzrecht. 95 Fraglich ist jedoch, welcher Raum noch für § 10 Nr. 2 lit. a LO bleibt. Die Klausel räumt dem Verband Ermessen ein, wann er von einem Lizenzentzug Gebrauch macht. Aufgrund der speziellen Regelung in § 11 Nr. 5 LO ist davon auszugehen, dass ein Lizenzentzug nicht im Falle einer Betriebsfortführung zum Zwecke der Sanierung in Frage kommt, weil § 11 Nr. 5 LO bereits eine konkrete Konsequenz dafür vorsieht. Der Verband könnte hiervon aber Gebrauch machen, wenn der Verein liquidiert werden soll. Dies gilt vor allem für die Phase zwischen der Lizenzerteilung und dem Saisonbeginn. Das Interesse der Gläubiger muss dann hinter dem Interesse des Verbandes an der Ausrichtung eines ausgeglichenen, sportlichen Wettkampfs zurückstehen. Auch § 10 Nr. 2 lit. a LO verstößt damit nicht gegen § 242 BGB. 2.2.2 Automatischer Entzug der Lizenz mit Verfahrenseröffnung 96 Sofern Verbandsregelungen das automatische Erlöschen vorsehen, verstoßen diese gegen §§ 138, 242 BGB und sind somit rechtwidrig.133) 97 Sinn und Zweck der vorgenannten Klausel ist es, die am Sportbetrieb teilnehmenden Vereine, die zwar nicht das organisatorische, wohl aber das finanzielle Risiko des Spiel- und Wettkampfbetriebes tragen, davor zu schützen, dass ein Verein infolge der Insolvenz seinen Pflichten aus der gemeinsamen Zweckverfolgung nicht mehr nachkommen kann.134) 98 In Entsprechung des § 1 InsO ist vorgesehen und wird auch umgesetzt, dass insolvente Unternehmen nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens am Wirtschaftsleben teilnehmen. Dadurch, dass der insolvente Club als erster Absteiger feststeht, wird den Spielern des Clubs ab Insolvenzeröffnung bis Saisonende auch jeder sportliche Reiz genommen. Es fehlt auch jeglicher Anreiz für die Zuschauer des gegnerischen Clubs. Die Regelung führt mithin zu keinerlei Verbesserung der finanziellen Situation des Clubs, die gegen den Club sportlich wertlose Spiele bestreiten müssten. 99 Darüber hinaus steht mit dem wirtschaftlichen Lizenzprüfungsverfahren dem DFB ein ebenso geeignetes Mittel zur Überprüfung und Sicherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Einzelfall zur Verfügung. Ergibt sich bei Anwendungen der Lizensie___________ 133) Korff, ZInsO 2013, 1277 – 1284; Walker, KTS 2003, 169, 171; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 61; Pfister, SpuRt 2002, 103, 104; a. A. Haas, NZI 2003, 177, 179. 134) Walker, KTS 2003, 169, 171.

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rungsregeln i. R. der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass der insolvente Club oder durch Insolvenzplan sanierte Club die Kriterien in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erfüllt, so ergibt sich für den prüfenden Verband die Möglichkeit der Verweigerung der Lizenzvergabe. Es bedarf also keiner weiteren satzungsrechtlichen Abstiegsklausel.135) 2.2.3 Wegfall der Leistungsfähigkeit und Insolvenz eines Vereins in der dritten Liga und Amateurligen Für den Bereich der dritten Liga und der Amateurligen ist § 6 SpO die zentrale Insolvenz- 100 regelung. Als DFB-Satzung gilt § 6 SpO unmittelbar für die vom DFB selbst betriebene dritte Liga. Da auch die Regionalverbände ihre Satzungen an den Regelungen des DFB ausrichten müssen, gilt § 6 SpO mittelbar auch für die Mitgliedsverbände und deren Ligen136). Ausgenommen sind nur die Lizenzligen, § 6 Nr. 5 SpO. § 6 Nr. 1 SpO sieht einen Zwangsabstieg der klassenhöchsten Herrenmannschaft zum 101 Saisonende vor, wenn über einen Verein das Insolvenzverfahren eröffnet oder dies mangels Masse abgelehnt wurde. Nach § 6 Nr. 2 SpO werden die ausgetragenen oder noch auszutragenden Spiele dieser Mannschaft nicht gewertet. Dies gelte nur dann nicht, wenn die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem letzten Spieltag, aber vor dem 30.6., stattgefunden habe. Gemäß § 6 Nr. 3 SpO kann ein Mitgliedsverband abweichende Regelungen schaffen, wenn ein Verein vor oder während der Saison aus dem Spielbetrieb ausscheidet. Dabei ist davon auszugehen, dass sich § 6 Nr. 3 SpO nur auf § 6 Nr. 2 SpO bezieht, § 6 Nr. 1 SpO aber unberührt lässt. Aus der Systematik des § 6 Nr. 1 i. V. m. Nr. 2 der Spielordnung des DFB kann der 102 Schluss gezogen werden, dass auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann der Zwangsabstieg der klassenhöchsten Mannschaft folgt, sofern die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung oder deren Ablehnung mangels Masse vor dem letzten Spieltag getroffen wurde. Mit Verfahrenseröffnung nach dem letzten Spieltag könnten somit – z. B. durch Durchführung eines Insolvenzplanes vor Beginn der folgenden Saison – die Voraussetzungen geschaffen werden, das Lizenzprüfungsverfahren für die nachfolgende Spielzeit erfolgreich zu durchlaufen und die entsprechende Lizenz auch zu erhalten. Vertritt man die Auffassung, dass der Zwangsabstieg auch dann erfolgt, wenn die Eröff- 103 nung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung mangels Masse im Laufe des Spieljahres erfolgt, unabhängig ob vor oder nach dem letzten Spieltag, so kommt § 6 Nr. 1 der Spielordnung des DFB in seiner Wirkung einem Lizenzentzug für die dritte Bundesliga für das nachfolgende Spieljahr gleich, wenn die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung der jeweils begehrten Lizenz (z. B. sportlicher Erhalt der dritten Bundesliga, sonstige wirtschaftlichen Voraussetzungen) gegeben sind. § 6 SpO verstößt dann in jedem Falle gegen § 242 BGB. Insbesondere handelt es sich bei 104 § 6 SpO nicht um eine bloße Spielregel, die der Kontrolle durch staatliches Recht entzogen ist.137) Denn die Insolvenz und damit die wirtschaftliche Situation des Vereins sind Faktoren, die außerhalb des Sports liegen. An einem automatischen Zwangsabstieg, ohne dass eine Berücksichtigung des Einzelfalls möglich wäre, hat der Verband kein Interesse. Zwar soll auch hier der insolvente Verein für seine schlechte Wirtschaftsführung bestraft werden. Es ist aber nicht ersichtlich, warum dies nur durch einen Zwangsabstieg geschehen soll. Vor allem läuft dies auch dem eigenen Interesse der Verbände an einem geordneten, sportlichen Wettbewerb entgegen, wenn ein insolventer Verein unabhängig von seinem ___________ 135) Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 61. 136) Walker, KTS 2003, 169, 171. 137) A. A.: Walker, KTS 2003, 169, 182; Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 55.

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sportlichen Abschneiden am Saisonende absteigen müsste und dessen Spiele nicht gewertet würden. Mildere Mittel wie z. B. einen Punktabzug sieht § 6 SpO gerade nicht vor. Eine Strafe für unsolides Wirtschaften, die der Zwangsabstieg darstellt, ist darüber hinaus nur gerechtfertigt, wenn dem insolventen Verein ein Verschulden zur Last gelegt werden kann und die Insolvenz nicht durch äußere, vom Verein nicht zu beeinflussende Umstände hervorgerufen wurde. § 6 SpO eröffnet dem Verband aber keine Möglichkeit, solche Gegebenheiten in die Entscheidung einzubeziehen. 105 Auf der anderen Seite wird dem Insolvenzverwalter die Betriebsfortführung erheblich erschwert.138) Die Sanierungschancen werden durch den Zwangsabstieg stark beeinträchtigt.139) Dies läuft auch der mit dem ESUG verfolgten gesetzgeberischen Intention zuwider, die Sanierungschancen für ein Unternehmen zu erleichtern.140) 106 Mit dem automatischen Verlust der Ligazugehörigkeit wird den Gläubigern nicht nur eine aussichtsreiche Option zur Befriedigung der Insolvenzforderungen genommen. Die Sanierung ist auch einer erheblichen Unwägbarkeit ausgesetzt. Sponsoren- und Spielerverträge sind nämlich häufig an den Verbleib in der Liga geknüpft. Bei einem Abstieg müssten also in vielen Fällen erst neue Sponsoren gewonnen und neue Spieler unter Vertrag genommen werden. Kann dies nicht kurzfristig bewerkstelligt werden, wirkt sich dies negativ auf die Prognose aus, ob eine Betriebsfortführung überhaupt erstrebenswert ist. Insbesondere müssen nun die Schulden, die sich durch die Teilnahme an einer höheren Spielklasse angehäuft haben, mit Mitteln der niedrigeren Klasse zurückgezahlt werden. Der Zwangsabstieg beeinträchtigt damit massiv die Interessen der Vereine und der Gläubiger. Die Wahlmöglichkeit nach § 1 Satz 1 InsO wird faktisch eingeschränkt. 107 Auf der Gegenseite kann auch kein berechtigtes Interesse des DFB, an dieser Klausel festzuhalten, bestehen. Steht mit Antragstellung für einen vorläufigen Insolvenzverwalter oder eine vorläufige Eigenverwaltung bereits während der Spielzeit fest, dass mit Verfahrenseröffnung unabhängig der sportlichen Leistungen der Zwangsabstieg erfolgen wird, dürfte für den vorläufigen Insolvenzverwalter auch kein wirtschaftliches Interesse bestehen, den Spielbetrieb mit der bestehenden Kostenstruktur bis zum Ende der Spielzeit aufrechtzuerhalten, nur um den verbleibenden Teilnehmern die Punktebewertung zu ermöglichen. Er wird vielmehr erwägen, schnellstmöglich die Verfahrenseröffnung zu betreiben, um sodann mit den Privilegien des Insolvenzverfahren, insbesondere der verkürzten Kündigungsfristen gemäß §§ 113 ff. InsO und der Wahl des Eintritts in bestehende Verträge, das Unternehmen zu restrukturieren und mittels Insolvenzplan in der nächsten Spielklasse zu sanieren. Durch die Nichtwertung der bereits ausgetragenen Spiele wird der vom Verband verfolgte Zweck, nämlich der Schutz des fairen sportlichen Wettkampfs, nicht erreicht. § 6 SpO ist nach § 242 BGB unwirksam. 108 Für den Bereich der dritten Liga kommt darüber hinaus ein Entzug der Zulassung in Frage, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nachträglich weggefallen sind, § 3 Nr. 2 Statut-3. Liga. Hierzu zählt nach § 6 Nr. 3 Statut-3. Liga auch der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Wie bei § 10 Nr. 2 lit. a LO handelt es sich auch hier um eine Ermessensvorschrift. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen ein Entzug der Zulassung durch den Verband rechtmäßig ist. Dies ist bspw. anzunehmen, wenn der Verein noch vor Saisonbeginn in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und eine Liquidation bereits abzusehen ist. Soll der Betrieb jedoch zum Zwecke der Sanierung fortgesetzt werden, ___________ 138) Fritzweiler/Pfister/Summerer-Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 150. 139) A. A.: Adolphsen, KTS 2005, 53, 72. 140) RegE eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), BTDrucks. 17/5712, S. 18 f.

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wäre ein Zulassungsentzug treuwidrig. Nach § 3 Nr. 4 Statut-3. Liga schiede der Verein nämlich am Ende der Saison aus dem Ligabetrieb aus, müsste also auch absteigen. Auch dies wäre eine Benachteiligung der Gläubiger, die nicht durch ein berechtigtes Interesse des DFB gedeckt wäre. Vor allem steht dem Verband ein milderes Mittel zur Verfügung. Nach § 3 Nr. 3 Statut-3. Liga können dem insolventen Verein anstatt eines Zulassungsentzuges nachträglich Auflagen erteilt werden. Auf diese Weise kann der Verband berechtigte Interessen zum Schutze des sportlichen Wettbewerbs festlegen, ohne dass den Gläubigern eine Betriebsfortführung versperrt würde. § 3 Nr. 2 Statut-3. Liga verstößt nicht gegen § 242 BGB. Eine konkrete Entscheidung eines Zulassungsentzuges kann aber mit diesem Einwand angegriffen werden. Die Verbände halten nach wie vor an solchen Zwangsabstiegsklauseln fest. Für die Betriebs- 109 fortführung bedeutet dies bis zur Klärung der Rechtslage, dass die zuständigen Verbände voraussichtlich unter Berufung auf die Zwangsabstiegsklausel eine beantragte Zulassung bzw. Lizenz verweigern werden und diese im Rechtswege geltend gemacht werden müsste, was mit einem erheblichen Zeitverlust verbunden wäre. Da Sponsoren- und Spielerverträge häufig an den Verbleib in der Liga geknüpft sind, dürfte dies die Sanierungsmöglichkeiten erheblich erschweren. In Fällen, in denen für den Mutterverein eine Kapitalgesellschaft am Spielbetrieb zugelassen ist besteht zur Vermeidung des Zwangsabstieges lediglich die Möglichkeit, dass Mutterverein und Tochtergesellschaft die Berechtigung zur Beantragung einer Zulassung für die folgende Spielzeit einvernehmlich auf den Mutterverein zurückübertragen können, wenn die Tochtergesellschaft für diese Spielzeit sportlich qualifiziert ist und der DFB-Spielausschuss zustimmt, § 10 Nr. 4 Statut-3. Liga Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich, dass der Mutterverein sodann die weiteren Voraussetzungen zur Erteilung der begehrten Lizenz erfüllt. 2.2.4 Regelungen zum Erlöschen von Lizenzen bzw. Zulassungen Neben Klauseln, die einen Entzug der Lizenz bzw. der Zulassung vorsehen, existieren 110 solche, die unter bestimmten Umständen ein Erlöschen anordnen. Die Lizenz bzw. Zulassung ginge damit ohne eine weitere Anordnung unter. Für die Lizenzligen stellt § 10 Nr. 1 lit. c LO und für die dritte Liga § 10 Nr. 3 Statut-3. Liga eine solche Regelung dar. Beide Klauseln sehen ein Erlöschen der Lizenz bzw. Zulassung der Kapitalgesellschaft vor, wenn sich der Mutterverein auflöst oder seine Rechtsfähigkeit verliert. Umstritten ist, ob mit dem Begriff „Auflösung“ eine tatsächliche oder bloß eine recht- 111 liche i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 BGB für den Verein bzw. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG für die Kapitalgesellschaft, gemeint ist. Danach löst sich ein Verein bzw. die Kapitalgesellschaft auf, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Sofern vertreten wird, dass unter § 10 Nr. 1 lit. c LO und für die dritte Liga § 10 Nr. 3 Statut-3. Liga nur die endgültige Beendigung und nicht rechtliche Auflösung erfasst wird, bleiben die Institutionen des Vereins auch nach der Auflösung i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalten und dieser kann als rechtsfähiger oder nicht rechtsfähiger Verein fortgesetzt werden.141) Folgte man dieser Auffassung nicht, würde es sich bei den vorgenannten Regelungen um verkappte Insolvenzklauseln handeln, weil dann mit der Insolvenzeröffnung automatisch auch die Lizenz erlöschen würde. Die Klauseln verstießen dann gegen § 242 BGB.142)

___________ 141) Palandt-Ellenberger, BGB, § 42 Rz. 2, 3. 142) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98.

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§ 28 2.3

Teil III Einzelfragen Anwendbarkeit und Vorrang der §§ 1, 103, 119 InsO

112 Nach § 119 sind Vereinbarungen unwirksam, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird. Sowohl für den Bereich der ersten und zweiten Bundesliga als auch für den der dritten Liga wird die Teilnahme durch den Abschluss eines Vertrages des jeweiligen Fußballclubs mit dem Verband bewirkt. Für die dritte Liga wird dieser Vertrag als Zulassungsvertrag und für die Lizenzligen als Lizenzvertrag bezeichnet. 113 Vor allem die Klauseln § 10 Nr. 1 lit. c LO, § 10 Nr. 2 lit. a LO und § 3 Nr. 2, § 10 Nr. 3 Statut-3. Liga, die ein Erlöschen bzw. einen Entzug der Lizenz vorsehen, schränken § 103 InsO ein. Die h. M. in Literatur und Rechtsprechung geht zunächst davon aus, dass Gesellschaftsverträge nicht in den Anwendungsbereich des § 119 InsO fallen.143) Danach dienen vereinsrechtliche Mitgliedschaftspflichten zwar der Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes, stehen jedoch nicht in einem synallagmatischen Austauschverhältnis.144) Die Bestimmungen der Verbände enthielten zwar Verpflichtungsregelungen der Vereine, sie seien jedoch nicht als Gegenleistung i. S. des § 320 BGB zu qualifizieren.145) Die Verpflichtungen dienten ausnahmslos dem ordnungsgemäßen Betrieb der Lizenzligen. Die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Spielbetriebs sei aber in beiderseitigem Interesse,146) denn der Lizenznehmer wolle an einem Wettbewerb teilnehmen, der gerade aufgrund seines ausgeglichenen sportlichen Wettkampfs attraktiv ist. Die zu erbringende Leistung diene auf diese Weise der Förderung eines gemeinsamen Zwecks und nähere sich damit dem Gesellschaftsvertrag an.147) Dieser sei jedoch gerade aus dem Anwendungsbereich des § 103 InsO ausgenommen.148) Die Verpflichtungen, die ein Fußballverein mit dem Lizenzerwerb eingeht, stellen danach also keine Gegenleistungen i. S. des § 320 BGB dar, sondern erweiterte Auf- bzw. Teilnahmebedingungen.149) Entsprechendes gelte für den Zulassungsvertrag i. R. des Spielbetriebs der dritten Liga. § 103 InsO findet danach keine Anwendung. 114 Nach neuer Ansicht wird unterschieden zwischen der Anwendung der §§ 103 ff. InsO auf den Gesellschaftsvertrag selbst und der Anwendung der §§ 103 ff. InsO auf das aus dem Gesellschaftsverhältnis hergeleitete Teilnahmerecht. Danach sind die §§ 103 ff. InsO zumindest auf das Teilnahmerecht anwendbar.150) 115 Das Hauptinteresse der Verbandsmitglieder ist jedoch nicht auf die Mitgliedschaft im Verband gerichtet, sondern auf die Möglichkeit der Teilnahme am Liga-Betrieb. Hierfür schließen die Parteien einen Lizenzvertrag ab und werden zusätzlich Mitglied im Verband. Insofern ist der Auffassung zu folgen, dass Gesellschaftsvertag und Lizenzvertrag eine Einheit bilden, die die Anwendung des § 119 InsO allein auf den Gesellschafts- oder den Lizenzvertrag als nicht dem Willen der Vertragspartner des gesamten Regelwerkes Rechnung tragend ausgeschlossen erscheinen ließe.151) Um dem Willen der Parteien daher ge___________ 143) LG Köln, Entsch. v. 26.2.2003 – 91 O 116/02, SpuRt 2003, 162. 144) Walker, KTS 2003, 169, 176. 145) OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112; Walker, KTS 2003, 169, 176; Haas, NZI 2003, 177, 179; König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98. 146) Walker, KTS 2003, 169, 176. 147) Haas, NZI 2003, 177, 179; Walker, KTS 2003, 169, 176; OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112. 148) Marotzke in: HK-InsO, § 103 Rz. 21; Braun-Kroth, InsO § 103 Rz. 16; Huber in: MünchKomm-InsO, § 103 Rz. 114. 149) König/de Vries, SpuRt 2006, 96, 98. 150) Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74 151) LG Köln, Entsch. v. 26.2.2003 – 91 O 116/02, SpuRt 2003, 162; OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen

recht zu werden und zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen, sind Satzungsklauseln und Bestimmungen im Lizenzvertrag als Einheit anzusehen, die den Bestimmungen der §§ 103 ff. InsO unterliegen.152) Die Regelungen der einzelnen Lizenzverträge sowie die korporativen Regelungen sind 116 somit, auch hinsichtlich der bisherigen Ausführungen, einheitlich zu beurteilen. Folgt man der Auffassung, dass eine Anwendbarkeit der §§ 103 ff. InsO gegeben ist, ist 117 umstritten, ob gemäß § 119 InsO Lösungsklauseln generell rechtmäßig sind. In Literatur und Rechtsprechung wird diesbezüglich vertreten, Lösungsklauseln für den Fall der Insolvenzeröffnung bei gegenseitigen Vertragsverhältnissen i. S. der §§ 103 ff. InsO, §§ 320 ff. BGB grundsätzlich als rechtmäßig anzusehen.153) Die Gegenauffassung sieht schon aufgrund des Wortlautes des § 119 InsO Lösungsklauseln grundsätzlich als unwirksam an.154) Der BGH dürfte diesem Rechtsstreit ein Ende gesetzt haben, nachdem er für vertragliche AGB festgestellt hat, dass der Anwendbarkeit des § 119 InsO nicht entgegen steht, dass die streitgegenständliche Klausel die Vertragsauflösung bereits für den Fall eines Eigenantrags oder eines zulässigen Gläubigerantrags vorsieht.155) Soll die Vorschrift des § 119 InsO in der Praxis nicht leer laufen, so müsse ihr eine Vorwirkung jedenfalls ab dem Zeitpunkt zuerkannt werden, in dem wegen eines zulässigen Insolvenzantrags mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ernsthaft zu rechnen ist.156) Im Übrigen unterliegen die Lösungsklauseln § 112 InsO, wonach Kündigungen und damit 118 auch Lösungsklauseln grundsätzlich unwirksam sind.157) Der Wortlaut des §112 InsO beschränkt sich zwar auf Miet- und Pachtverhältnisse, aufgrund der Vergleichbarkeit mit Lizenzverträgen ist aber von einer entsprechenden Anwendung auszugehen, da wesentliches Merkmal von Lizenzverträgen die Überlassung eines Nutzungsrechts auf Zeit ist.158) Schließlich kann eine Unwirksamkeit der Klauseln wegen unbilligen Eingriffs in die 119 Gläubigerinteressen (§ 134 BGB) unterstellt werden. Die InsO stellt grundsätzlich über ihre allgemeine Wirkung hinaus ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB dar.159) Nach § 1 InsO ist das Ziel eines Insolvenzverfahrens die gleichmäßige Befriedigung der 120 Gläubiger durch bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens oder durch Sanierung des Unternehmens. Ferner wurde mit Einführung der InsO faktisch eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung eines Unternehmens bis zum Berichtstermin geschaffen. Der Spielbetrieb eines Profisportclubs stellt ein Unternehmen gemäß § 157 InsO dar. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist die verfassungsrechtlich geschützte Gläubigerautonomie nicht durch Insolvenzklauseln wie die vorgenannte tangiert. Der Lizenzentzug oder der Zwangsabstieg wirke sich nicht auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens aus, sondern wirke lediglich auf die Chancen ein, die das insolvente Unternehmen im Falle seiner Fortführung auf dem Markt habe.160) Der Verlust der Lizenz bzw. der Verlust der Lizenz nach Zwangsabstieg hat aber nicht 121 nur Auswirkungen auf die Chancen des insolventen Clubs auf dem Markt, sondern auch ___________ Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 71. OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.3.2000 – 19 U 232/98, ZInsO 2001, 714. Marotzke in: HK InsO, § 119 Rz. 4. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276. BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274, 276. Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74; a. A. OLG Köln, Urt. v. 8.1.2004 – 18 U 59/03, SpuRt 2004, 110, 112. 158) Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74. 159) Walker, KTS 2003, 169, 177. 160) Walker, KTS 2003, 169, 177.

152) 153) 154) 155) 156) 157)

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§ 28

Teil III Einzelfragen

die gesamte Verfahrensabwicklung des Insolvenzverfahrens und vor allem die zu erwartende Quote für ungesicherte Gläubiger i. S. des § 38 InsO. Im Übrigen führt ein Lizenzentzug, wie dargelegt dazu, dass eine Sanierung mittels Insolvenzplan unmöglich bzw. bei Zwangsabstieg zumindest erschwert würde. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den in § 1 InsO genannten Zielen der InsO.161) Dieses Ergebnis wird auch durch Art. 71 EGInsO gestützt, aufgrund dessen Regelungsgehaltes u. a. § 12 GewO dahingehend geändert wurde, dass Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe finden. 3.

Besonderheiten in der Kommunikation

122 Keine Sportart hat eine Popularität wie der Fußball, umso mehr stehen Profifußballvereine, wie auch andere Profisportvereine im Fokus der Öffentlichkeit. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird durch Krise und Insolvenz noch verstärkt. Löst diese Krise eine negative Medienberichterstattung aus, kann der Sportverein an Image, Vertrauen und Glaubwürdigkeit verlieren. Geschieht dies, sind auch unmittelbar wirtschaftliche Faktoren betroffen. Die Anbahnung neuer Sponsorenverträge wird erschwert, bestehende Verträge möglicherweise gekündigt. Der Vertrieb von Fanartikeln kann leiden. Ein Schaden, der nachhaltig die Betriebsfortführung beeinträchtigen kann, entsteht somit nicht nur durch Krise und Insolvenz selbst, sondern auch durch ihre Darstellung in der Öffentlichkeit.162) 123 Ein für eine Betriebsfortführung entscheidender Faktor ist daher die positive Begleitung des Insolvenzverfahrens durch die Medien. Hierzu gehört es, die wichtigen Zielgruppen schnellstmöglich, präzise und ausführlich über den jeweiligen Entwicklungsstand der Lage des Vereins aufzuklären. Um Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten zu vermeiden, empfiehlt sich die Bestimmung eines Presseverantwortlichen (siehe dazu und insgesamt Voskuhl § 10). 124 Die wichtigsten Zielgruppen eines Sportvereins sind Fans, Sponsoren und Spieler. Aufgrund der Insolvenz ist es notwendig, die Verunsicherung der Fans zu reduzieren und Maßnahmen vorzunehmen, damit die Fans nicht die Freude am Spiel verlieren. Hierzu gehören Maßnahmen wie z. B. Solidaritätskampagnen, Fan-Talks, aber auch wirtschaftliche relevante Maßnahmen, wie vorhandene Dauerkarten nicht für ungültig zu erklären und ihre Inhaber auf die Insolvenztabelle zu verweisen.163) Zum Erhalt der Motivation der Spieler als weitere Zielgruppe erweisen sich regelmäßige Gespräche zwischen Trainer und Spieler, sowie zwischen Geschäftsführung und Spieler als zielführend, nicht jedoch unnötiger Leistungsdruck. Auch bei den Sponsoren als weitere Zielgruppe sollte ein frühzeitiger, uneingeschränkter und offener Informationsaustausch stattfinden, verbunden mit der Zusicherung eines vorrangigen Informationsrechtes von Vereinsseite, um durch möglichst transparente Kommunikation das Vertrauen wieder herzustellen bzw. zu erhalten.164)

___________ 161) Leichtle, Auswirkungen der Insolvenz auf Proficlubs, S. 77; Adolphsen in: Heermann, Lizenzentzug, S. 65, 74; a. A. Walker, KTS 2003, 169, 177, wonach sich der Zwangsabstieg nicht auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens auswirke, sondern lediglich auf die Chancen, die das insolvente Unternehmen im Falle seiner Fortführung auf dem Markt habe. 162) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 407. 163) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 411. 164) Akhamal/Jantos/Panthel/Simon, InsbürO 2009, 406, 407.

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§ 28

Betriebsfortführung in Sonderfällen V.

Zusammenfassung

Sowohl die Insolvenz eines Freiberuflers als auch die eines Bundesligafußballvereins wer- 125 fen spezifische Probleme auf. In beiden Fällen verspricht eine Betriebsfortführung den Gläubigern oftmals eine höhere Tilgung ihrer Forderungen. Doch gerade bei insolventen Freiberuflern und Profifußballvereinen bestehen Hindernisse, denen nicht mit wirtschaftswissenschaftlichen Mitteln begegnet werden kann. Die InsO steht hier in besonderer Weise im Spannungsverhältnis zu den Interessen Dritter bzw. der Öffentlichkeit, die durch Verbandssatzungen oder Berufsrechte zum Ausdruck kommen. Keiner Rechtsmaterie kann dabei ein prinzipieller Vorrang eingeräumt werden. Es muss daher im Einzelfall ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden werden, der nach Möglichkeit allen Belangen zu einer weitgehenden Verwirklichung verhelfen soll. Schützen also die Berufsrechte die Öffentlichkeit vor den Gefahren eines zahlungsunfähigen Freiberuflers, hat eine Betriebsfortführung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie Instrumente bereithält, die geeignet sind, eine vollständige Sanierung des Schuldners herbeizuführen, wie z. B. die durch das ESUG gestärkte Eigenverwaltung mit dem Ziel der Verfahrensabwicklung durch ein Insolvenzplanverfahren. Gleichzeitig dürfen im Interesse der Gläubiger keine derart überspannten Anforderungen an einen Ausschluss der Gefahr gestellt werden, dass eine Betriebsfortführung quasi niemals in Betracht kommt. Für die Entscheidung zu einer Fortführung im Falle eines insolventen Freiberuflers 126 sind darüber hinaus die Person des Schuldners und seine Bereitschaft, mit den Gläubigern zu kooperieren, entscheidend. Im Profifußball steht einer uneingeschränkten Betriebsfortführung ein ausdifferenziertes 127 Sanktionensystem der den Profisport organisierenden Verbände entgegen, das, soweit es sich um Lösungsklauseln oder die Anordnung des Zwangsabstieges, handelt, im Widerspruch zur InsO befindet und ihr gegenüber keinen Vorrang genießt. Bis zur abschließenden Klärung der hier aufgeworfenen Rechtsfragen, wird eine Fortführung von Profisportvereinen mit dem Ziel der Sanierung entweder nur dann möglich sein, wenn trotz Hinnahme der Sanktionen eine Sanierung möglich ist oder eine Einigung mit den Verbänden im Einzelfall erfolgt.

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§7 Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht Übersicht I. Vorbemerkung ............................................ 1 II. Begriff der insolvenzrechtlichen Aufsicht........................................................ 6 1. Vorüberlegungen.......................................... 8 1.1 Gesetzliche Regelung ....................... 9 1.2 Gerichtliche Aufsicht im Spannungsverhältnis zwischen Amtsermittlung, eigenständiger Tätigkeit des Insolvenzverwalters und Gläubigerautonomie................ 16 1.2.1 Amtsermittlungsgrundsatz ............ 16 1.2.2 Einschränkung durch den Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters.............................................. 17 1.2.3 Einschränkung durch Gläubigerautonomie........................................ 19 2. Ursachen für die Schwierigkeiten im Umgang mit der Aufsicht.......................... 21 2.1 Generelle Zuständigkeit für Kontrolle im Insolvenzverfahren ......................... 24 2.2 Wandel der Aufsicht durch Einführung und Novellierung der InsO ................................................. 35 2.2.1 Grundlegende Änderung der Anforderungen durch Paradigmenwechsel............................................. 36 2.2.2 Vorverlagerung der Aufsicht durch Zwang zur Listenführung................ 51 2.2.3 GAVI und Anderes......................... 55 2.2.4 ESUG............................................... 56 III. Die insolvenzgerichtliche Aufsicht im Überblick.............................................. 60 1. Kontrolle durch die Gläubiger .................. 63 1.1 Gläubigerversammlung................... 65 1.2 Gläubigerausschuss ......................... 67 1.2.1 Befugnisse........................................ 69 1.2.2 Arten von Gläubigerausschüssen .... 72 1.2.3 Bestellungsverfahren vorläufiger Gläubigerausschuss......................... 82 1.2.4 Mitwirkungsrechte der vorläufigen Gläubigerausschüsse bei der Bestimmung des Insolvenzverwalters/Sachwalters ............................... 85 1.2.4.1 Bestellung des Insolvenzverwalters ........................................ 86 1.2.4.2 Bestellung vorläufiger Insolvenzverwalter............................. 91 1.2.4.3 Eigenverwaltung ........................ 92 1.2.5 Haftung und Entlassung............... 102

2.

Die Aufsicht des Insolvenzgerichts ........ 105 2.1 Die gerichtliche Aufsicht im Insolvenzverfahren allgemein .......... 105 2.2 Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter im Verfahren ...................... 117 2.2.1 Gesetzliche Regelung ................... 117 2.2.2 Anwendungsbereich ..................... 121 2.2.3 Zweck der Aufsicht über den Insolvenzverwalter............................. 122 2.2.3.1 Insolvenzspezifische Pflichten des Insolvenzverwalters ........... 123 2.2.3.2 Sonstige, nicht insolvenzspezifische Pflichten ........................ 129 2.2.4 Zweck der Aufsicht über den vorläufigen Insolvenzverwalter und (vorläufigen/endgültigen) Sachwalter...................................... 133 2.2.4.1 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO....... 134 2.2.4.2 Der („schwache“) vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ........... 139 2.2.4.3 Vorläufiger/endgültiger Sachwalter gemäß §§ 270a, 274 InsO.................... 150 2.2.4.3.1 Endgültiger Sachwalter ........... 150 2.2.4.3.2 Vorläufiger Sachwalter ............ 152 2.3 Vorbereitung einer Sanierung („Schutzschirmverfahren“) .......... 160 2.4 Umfang der insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter ................................ 170 2.4.1 Genereller Umfang gerichtlicher Aufsicht (Aufsichtsrecht) ............ 170 2.4.2 Einschränkung der gerichtlichen Aufsicht durch Vorhandensein von Gläubigerausschüssen............ 180 2.4.2.1 Endgültiger Gläubigerausschuss ....................................... 181 2.4.2.2 Vorläufiger Gläubigerausschuss ....................................... 182 2.5 Beginn und Ende der Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter/Sachwalter .... 188 2.5.1 Beginn der Aufsicht ...................... 188 2.5.1.1 Aufsicht im verfahrensbezogenen Sinne.......................... 188

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung 2.5.1.2

Beginn der Aufsicht im personenbezogenen Sinn bzw. antizipierte Aufsicht ............... 190 2.5.1.2.1 Insolvenzverwalterbestellung ohne vorläufigen Gläubigerausschuss.................................. 190 2.5.1.2.2 Insolvenzverwalterbestellung mit vorläufigem Gläubigerausschuss.................................. 196 2.5.2 Ende der insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter ............................................. 202 2.6 Zuständigkeit für die insolvenzgerichtliche Aufsicht .................... 203 2.7 Intensität der Aufsicht ................. 206 IV. Schwerpunkte insolvenzgerichtlichen Aufsicht und Kontrolle im Verlauf des Insolvenzverfahrens bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens..... 211 1. Insolvenzantragstellung im Regelinsolvenzverfahren ........................................... 211 1.1 Eigenantrag ................................... 213 1.2 Fremdantrag des Gläubigers nach § 14 InsO.............................. 220 2. Treffen der erforderlichen Maßnahmen ..................................................... 221 2.1 Bestellung eines Insolvenzgutachters ........................................... 222 2.1.1 Auswahl des Sachverständigen..... 223 2.1.2 Exkurs: Grundsätze der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung....... 232

2.1.3 Vom antragstellenden Schuldner/ Gläubiger vorgeschlagener Gutachter ............................................. 242 2.2 Die vorläufige Insolvenzverwaltung .......................................... 245 2.2.1 Auswahl......................................... 245 2.2.2 Bestellung...................................... 246 2.2.2.1 „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ................ 248 2.2.2.2 „Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt .... 250 2.2.2.2.1 Einzelermächtigung ................ 250 2.2.2.2.2 Treuhandkonten...................... 261 2.2.2.2.3 Einziehungsermächtigungen ... 267 2.2.2.2.4 Zahlung auf Altverbindlichkeiten ....................................... 268 2.2.2.2.5 Beachtung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ........... 270 2.2.2.2.6 Schlussrechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ....... 271 2.3 Das eröffnete Verfahren............... 277 2.4 Eigenverwaltungsverfahren.......... 284 2.5 Das Insolvenzplanverfahren......... 293 V. Exkurs: Sonderinsolvenzverwalter ....... 307 VI. Schlussbemerkung .................................. 310

Literatur: Dobler/Lambert, Einsatz von betriebswirtschaftlichen Instrumenten bei der Erstellung von Insolvenzgutachten, ZInsO 2010, 1819; Eckert/Berner, Der ungetreue Verwalter – Möglichkeiten einer gerichtlichen Überprüfung der Insolvenzverwaltertätigkeit, ZInsO 2005, 1130; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, 2009; Uhlenbruck, Die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000.

I.

Vorbemerkung

1 Nicht nur für Außenstehende, sondern auch für so manchen Verfahrensbeteiligten ist Aufsicht und Kontrolle im Insolvenzverfahren „terra incognita“1), „black box“ oder schlichtweg eine unbekannte Größe. 2 Insolvenzverfahren werden nicht nur in der Öffentlichkeit häufig als gerichtliche Verfahren begriffen, die sich gegen einen vor dem Ruin stehenden Schuldner mit marodem Unternehmen richten, der2) regelmäßig schon vor Verfahrensbeginn seine „Schäfchen ins Trockene“ gebracht hat, bei denen die Gläubiger nichts zu sagen haben und meist leer ausgehen, etwaige noch vorhandene Vermögenswerte bestenfalls in der Vergütung des Insolvenzverwalters aufgehen und das Insolvenzgericht bei alledem tatenlos zusieht.3) ___________ 1) So auch Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts. 2) Entweder als natürliche Person oder als Vertretungsorgan oder Beteiligter an einem Unternehmen. 3) S. dazu Managermagazin Ausgabe 1/2009, S. 44 ff. und die Aufzählung bei Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 2 ff.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Trifft das wirklich zu? Findet denn im Insolvenzverfahren denn überhaupt keine Kontrolle 3 oder Aufsicht statt? Falls es sie gibt, wie hat diese im Insolvenzverfahren generell und im Besonderen bei einer Betriebsfortführung auszusehen? Dies darzustellen, ist Aufgabe der vorliegenden Abhandlung. Dabei sollen in einem ersten 4 Abschnitt allgemeine Vorüberlegungen (Begriff, Entwicklung, generelle Abgrenzung, Umfang etc.) zur gerichtlichen Aufsicht im Insolvenzverfahren erörtert werden. Nachfolgend wird die gerichtliche Aufsicht konkret dargestellt. Abschließend werden nochmals einzelne Schwerpunkte in der Praxis erörtert. Da Schwerpunkt der Ausführungen die Betriebsfortführung ist, werden das Verbraucher- 5 insolvenzverfahren und die für die Wohlverhaltensphase in der Insolvenz natürlicher Personen, insbesondere die Restschuldbefreiung und deren Versagung hier nicht behandelt. II.

Begriff der insolvenzrechtlichen Aufsicht

Bevor man über Art, Inhalt und Umfang der insolvenzgerichtlichen Aufsicht bestimmt, ist 6 vorab der Begriff der Aufsicht zu klären. Als Ergebnis der Untersuchung ist vorab (zugegebenermaßen in zwei“ Mammutsätzen“) festzuhalten: x

Aufsicht im engeren Sinne ist die durch formelle oder materielle Rechtsnorm legitimierte Befugnis eines Aufsichtsorgans zur Ausübung von Kontrolle gegenüber einem unter Aufsicht stehenden Subjekt in einem Verfahren oder Sachgebiet bezüglich bestimmter Prozessabläufe mit der Möglichkeit, entweder selbst Korrekturmaßnahmen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen.

x

Aufsicht im engeren Sinne im Insolvenzverfahren liegt nach vorgenannter Definition demnach dann vor, wenn in konkreter Norm in der InsO die Kontrollbefugnis eines Aufsichtsorgans über ein das Vermögen des Schuldners sicherndes, verwaltendes oder verwertendes anderes Organ geregelt ist. Dies ist z. B. die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter.

Davon abzugrenzen:

7

x

Aufsicht im weiteren Sinne ist die durch formelle oder materielle Rechtsnorm oder in sonstiger Weise legitimierte Befugnis eines Kontrollorgans zur Überprüfung eigenen und fremden Verhaltens sowie von Verfahrens- und Prozessabläufen einschließlich der Einhaltung von ggf. selbst geschaffenen Zugangs- und Zulassungsvoraussetzungen zum Zwecke der Einhaltung eines gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensablaufs mit dem Maßstab einer Rechts- und Zweckmäßigkeitskontrolle.

x

Aufsicht im weiteren Sinne im Insolvenzverfahren ist demnach dann gegeben, wenn das Aufsichtsorgan im Insolvenzverfahren die ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens gewährleistet, insbesondere für die Einhaltung der Rechtsnormen der InsO und ihrer in § 1 InsO genannten Zwecke sorgt, sei es durch eigene Gestaltung, Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, Einsetzung von Kontrollorganen oder sonstige Maßnahmen. So verstanden reicht die Aufsicht im weiteren Sinne z. B. von der Prüfung eines zulässigen Insolvenzantrages über die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen wie der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der Überprüfung der Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens, der Kontrolle der Verfahrenskostendeckung und sonstigen Eröffnungsvoraussetzungen über die die Erstellung der insolvenzgerichtlichen Vorauswahlliste zur Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. (vorläufigen) Sachwalters einschließlich laufender Überprüfung der Liste sowie die Bestellung des geeigneten Verwalters selbst, der Kontrolle im eröffneten Verfahren bis zur Beendigung des Verfahrens selbst.

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§7 1.

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Vorüberlegungen

8 Wendet man sich nach Klärung des Begriffs der Frage der gesetzlichen Regelung zu, mag man sich kaum vorstellen, dass das eingangs genannte Vorurteil der Regelfall des Insolvenzverfahrens sein soll, sondern gefällt sich eher in der Vorstellung, dass dies den Ausnahmefall eines Insolvenzverfahrens darstellt. 1.1

Gesetzliche Regelung

9 Wenn man allerdings die nur äußerst sporadisch vorhandenen ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen in der InsO zur Aufsicht im Insolvenzverfahren betrachtet, stellt man erstaunt fest, dass in der InsO bezüglich des Begriffs der Aufsicht sehr wenig ausdrücklich geregelt worden ist. 10 So gibt es mit der Vorschrift des § 58 InsO abgesehen von wenigen Bezugs- und Verweisungsnormen4) lediglich eine einzige Vorschrift, die ausdrücklich die Aufsicht des Gerichts – und zwar die über den Insolvenzverwalter – unter diesem Begriff regelt. Die Vorschrift beschränkt sich zudem auf die Aussage, dass Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts stehe und das Gericht dieser Zeit von ihm jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung verlangen könne. Soweit der Insolvenzverwalter seine Pflichten nicht erfülle, könne das Gericht nach vorherigen Androhung Zwangsgeld gegen ihn festsetzen, das 25 000 € nicht überschreiten dürfe. 11 Einen Verweis auf bestimmte Verwalterpflichten enthält die Vorschrift aber ebenso wenig, wie eine Antwort auf die Frage, wann die Aufsicht in welchem Umfang stattzufinden hat und was zu geschehen hat, wenn z. B. der Verwalter trotz Festsetzung von Zwangsgeld seinen Pflichten nicht nachkommt. Gelten hier auch die Regelungen über Zwangshaft? 12 In der Folgevorschrift des § 59 InsO ist lediglich geregelt, dass das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund entlassen kann. Dass „wichtiger Grund“ für eine solche Entlassung bei Verstößen nur fortdauernde oder gravierende Pflichtenverstöße des Verwalters sein können, leuchtet ein. Dass sie aber nicht ausschließlicher Grund für eine Entlassung des Verwalters sein können, wird deutlich am Beispiel des schwer erkrankten Insolvenzverwalters, der krankheitsbedingt seinen Beruf nicht mehr ausüben kann und um seine Entlassung bittet. 13 Gerichtliche Aufsicht im Insolvenzverfahren umfasst – wie eingangs dargestellt – allerdings ein wesentlich weiteres Tätigkeitsfeld als allein die Kontrolle des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren. Schon das Insolvenzeröffnungsverfahren, in dem es schon begriffsnotwendig keinen Insolvenzverwalter geben kann, erfordert Aufsicht. Dies umso mehr, als dort die Weichenstellungen für das Insolvenzverfahren erfolgen. Naheliegend ist es daher, durch Verweisungsnormen insoweit §§ 58 ff. InsO auch auf andere Funktionsträger entsprechend anzuwenden. Allerdings liegt es schon in der Natur der Sache, dass diese andere Aufgaben und Pflichten als der Insolvenzverwalter haben, wie die gesetzlichen Bestimmungen z. B. über den vorläufigen Insolvenzverwalter und den Sachwalter zeigen. Insoweit mögen zwar die Aufsichtsmaßnahmen ihrer Art nach die gleichen sein, doch ist das Feld der Aufsicht bzw. der Gegenstand der Kontrolle verschieden. 14 Auch der Umfang der gerichtlichen Aufsicht ist zu klären. Hat das Gericht hier Rechtund Zweckmäßigkeit von Maßnahmen zu überprüfen, oder ist es auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. Gilt dies immer, oder gibt es Ausnahmen? In diesem Zusammenhang ist auch klärungsbedürftig, ob es möglicherweise neben dem Insolvenzgericht auch noch konkurrierende oder ergänzende Aufsichtsorgane gibt. Wenn ja, engen diese die ge___________ 4) Z. B. §§ 274, 270 Abs. 1 Satz 2, 21 Abs. 1 Nr. 1a InsO.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

richtliche Aufsichtspflicht ein oder schließen sie sie in diesem Bereich sogar aus? Muss denn das Insolvenzgericht dasselbe noch einmal prüfen wie ein vorläufiger Gläubigerausschuss? So scheint es der Durchführung eines Insolvenzverfahrens eher hinderlich zu sein, wenn das Gericht mit kleinlicher Kontrolle die Arbeit des nach der InsO im Auftrag des Gerichts als selbstständiges Organ handelnden und nicht nur als Gehilfe des Gerichts wirkenden Insolvenzverwalters blockiert. Das Gericht soll doch Aufsicht führen, aber nicht anleiten. Auch sollte nicht übersehen werden, dass das Gericht auch selbst gestaltend im Verfahren mitwirkt, indem es z. B. Anträge ablehnt oder für begründet erklärt, Beteiligte anhört, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Sicherungsmaßnahmen (z. B. „starker“ oder „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter?) anordnet oder (vorläufige) Sachwalter einsetzt und vorläufige Gläubigerausschüsse einrichtet, Erzwingungshaft anordnet etc., mithin also alles bewerkstelligt, um die ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten. Auch das ist – wie eingangs erörtert – Aufsicht im Insolvenzverfahren; zumindest im weiteren Sinne. So verstanden wird die fragmentarische gesetzliche Regelung zur Aufsicht umso unver- 15 ständlicher, wenn man sich in diesem Zusammenhang an die in den Medien umfangreich diskutierten Fälle von – teilweise kriminellen – Insolvenzverwalter erinnert, die zu Lasten der Gläubiger Millionenschäden verursacht haben und sich ferner des Umstandes bewusst wird, dass dieses Fehlverhalten faktisch häufig durch fehlende oder ungenügende Kontrolle begünstigt, wenn nicht gar ermöglicht wurde. Auch wird dadurch deutlich, dass für eine effektive und einheitliche Ausübung der Aufsicht Handlungsbedarf gegeben war und wohl auch gegeben ist. Wenn aber keine oder nur ungenügende Kontrolle stattgefunden haben sollte und die einzelnen Insolvenzgerichte die Aufsicht immer noch äußerst unterschiedlich ausüben, warum hat der Gesetzgeber nicht schon längst etwas daran geändert, zumindest um größere Schäden zu vermeiden und im Interesse aller Beteiligten eine einheitliche Ausübung zu gewährleisten? Zwar gab es einen Gesetzentwurf namens „GAVI“5), der dann aber bekanntlich nicht mehr weiterverfolgt worden ist. Auch ist festzustellen, dass es zwar erhebliche Bemühungen zur Ausgestaltung der Aufsicht im Insolvenzverfahren gab6) und gibt7). Es bestehen jedoch nicht zuletzt im Hinblick auf die spärliche gesetzliche Regelung umfangreiche Meinungsverschiedenheiten aber auch erhebliche Unsicherheit bezüglich Beginn, Ende, Umfang und Ausgestaltung der Aufsicht im Insolvenzverfahren bei den Beteiligten. Vorliegend soll versucht werden, die Eckpunkte gerichtlicher Aufsicht darzustellen. 1.2

Gerichtliche Aufsicht im Spannungsverhältnis zwischen Amtsermittlung, eigenständiger Tätigkeit des Insolvenzverwalters und Gläubigerautonomie

1.2.1 Amtsermittlungsgrundsatz Grundsatz: Nach § 5 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstän- 16 de zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Der hier normierte Untersuchungsgrundsatz („Amtsermittlungsmaxime“) bezieht sich auf das gesamte Verfahren und gilt für alle Verfahrensarten. Er umfasst zunächst ab zulässiger Antragstellung die amtswegige8) Feststellung der Umstände, die für die gerichtlichen Entscheidungen not___________ 5) BR-Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung der Aufsicht in Insolvenzverfahren (GAVI), ZVI 2007, 577. 6) Z. B. Uhlenbruck Kommission. 7) S. dazu z. B. die Beiträge von Frind, Haarmeyer und Graeber, Nachweise in: HambKomm-InsR, § 58 Rz. 1 ff. 8) Das Gericht hat die Tatsachen – soweit sie nicht offenkundig sind – von Amts wegen festzustellen, im Gegensatz zum Zivilprozess, wo auf Unstreitiges zurückgegriffen werden kann.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

wendig sind (z. B. im Eröffnungsverfahren: Liegt ein Eröffnungsgrund vor? Sind vorläufige Maßnahmen nach §§ 21 ff. InsO, insbesondere Sicherungsmaßnahmen zu treffen? Wenn ja, welche? Sind die gesetzlichen Voraussetzungen für das beantragte Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO gegeben? Besteht Verfahrenskostendeckung? – Im eröffneten Verfahren: Feststellung der Grundlagen für Verfahrenseinstellung und Aufhebung, Überwachung des Insolvenzplanverfahrens etc.). 1.2.2 Einschränkung durch den Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters 17 Nach dem Wortlaut aber ebenso von Bedeutung für den Amtsermittlungsgrundsatz sind die tatsächlichen Voraussetzungen für die Maßnahmen und Entscheidungen des Insolvenzverwalters;9) eine entsprechende Untersuchungspflicht des Gerichts findet ihre Grenze hier aber in der Kompetenzverteilung zwischen Verwalter und Gericht, die nicht aufgeweicht werden darf!10) Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse fallen in den Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters (§§ 80 ff., 159 InsO)! Innerhalb dieses Aufgabenbereichs ist die amtswegige Ermittlungspflicht des Insolvenzgerichts abschließend durch die Gerichtsaufsicht nach § 58 InsO geregelt. Das Gericht ist daher in diesem Bereich grundsätzlich nur zur Erfüllung seiner Aufsichtspflicht zur amtswegigen Ermittlung befugt.11) Etwas anderes mag dann gelten, wenn der Insolvenzverwalter das Insolvenzgericht bittet, insoweit für ihn tätig zu werden, z. B. einen nicht auskunftswilligen Schuldner anzuhören, auf dessen Informationen der Insolvenzverwalter angewiesen ist. 18 Die gleichen Grundsätze gelten auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter und den vorläufigen sowie den endgültigen Sachwalter, da auf diesen Personenkreis § 58 InsO über verschiedene Verweisungsnormen entsprechend anwendbar ist. Nach wohl zutreffender Ansicht sollte sich die Ermittlungstätigkeit des Gerichts hier nur auf die für das formelle Verfahren bedeutsamen Umstände beschränken 1.2.3 Einschränkung durch Gläubigerautonomie 19 Eine weitere Einschränkung könnte sich ergeben durch die das Insolvenzverfahren beherrschende Gläubigerautonomie. So ist die gerichtliche Kontrollbefugnis eingeschränkt durch vom Gesetz vorgegebene autonome Gläubigerentscheidungen der Gemeinschaft der Gläubiger bzw. ihrer Organe Gläubigerversammlung und (vorläufiger) Gläubigerausschuss. Dies zeigt sich z. B. an § 78 InsO. Danach darf das Insolvenzgericht einen Beschluss der Gläubigerversammlung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, eines Absonderungsberechtigten oder des Insolvenzverwalters nur dann aufheben, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Das Gericht hat insoweit kein Ermessen. Es darf nur prüfen, ob der Beschluss dem gemeinsamen Gläubigerinteresse widerspricht. Erachtet das Gericht den Beschluss aus anderen Gründen für rechtswidrig, darf es ihn nicht aufheben. Darüber hinaus ist das Gericht auch z. B. grundsätzlich an einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses bezüglich des in einem Verfahren zu bestellenden (vorläufigen) Insolvenzverwalters gemäß §§ 56a Abs. 2 Satz 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 InsO gebunden. Das Gericht kann ihn, wenn es ihn gerade noch für geeignet hält, nicht durch einen aus Sicht des Gerichts vermeintlich besseren ersetzen. 20 Damit ist hier als Zwischenergebnis festzuhalten, dass der Amtsermittlungsgrundsatz schon nach den ersten Überlegungen erhebliche Einschränkungen im Insolvenzverfahren erfährt. ___________ 9) Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 5 Rz. 3. 10) Graf-Schlicker-Kexel, InsO, § 5 Rz. 3. 11) Jaeger-Gerhard, InsO, § 5 Rz. 8.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht 2.

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Ursachen für die Schwierigkeiten im Umgang mit der Aufsicht

Die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes allein dürfte aber nicht der Grund für 21 die Unsicherheiten im Umgang mit der insolvenzgerichtlichen Aufsicht sein, da die Fallkonstellationen in denen er nicht gilt, recht schnell herausgearbeitet werden können. Es stellt sich deshalb die Frage, welche weitere Ursache diese Unsicherheiten haben können, 22 zumal es vor der InsO auch andere Gesamtvollstreckungsordnungen wie die über 100 Jahre alte KO gab. Aus der gesetzlichen Vorschrift ist wenig Honig zu saugen. In § 83 KO, der die Aufsicht über den Konkursverwalter betrifft, ist allerdings noch weniger zur Aufsicht geregelt. Die Regelung erschöpfte sich in dem Satz, „dass der Konkursverwalter unter der Aufsicht des Gerichts steht“. Lediglich in der VerglO gab es eine, in etwa § 58 InsO entsprechende Regelung, so dass sich auch hieraus nichts ergibt. Auch scheint der Vergleich mit der KO zu hinken, da sich diese auf die bloße Liquidation des Schuldnervermögens beschränkte und sich die Konkursmasse auf das zum Zeitpunkt der Eröffnung vorhandene Vermögen beschränkte, mithin der Zuerwerb nicht zur Masse gehörte. Bereits diese beiden Umstände schlossen eine Fortführung (mit dem Schuldner, da der Sequester als Vorgänger des vorläufigen Insolvenzverwalters auch nicht verfügungsbefugt war) zur Sanierung des Unternehmens aus. Nun gibt es natürlich auch außerhalb des Insolvenzverfahrens gerichtliche Verfahren, in 23 denen Aufsicht bei der Verwaltung fremden Vermögens stattfindet. Man denke hier nur stellvertretend an gerichtliche Betreuungsverfahren oder Verfahren der Nachlassverwaltung über größere Vermögen, in denen auch kontrolliert werden muss, ob der Betreuer oder Nachlassverwalter rechtmäßig gehandelt hat. Nun wird insoweit zu Recht eingewandt werden, dass dabei in den seltensten Fällen ein Unternehmen fortgeführt werden muss. Auch wird einleuchten, dass der Richter bzw. Rechtspfleger, der die Aufsicht in einem Insolvenzverfahren ausüben soll, in dem ein Unternehmen fortgeführt wird, sich als Aufsichtsorgan sehr unwohl fühlen dürfte, weil er einerseits den (vorläufigen) Insolvenzverwalter über den Weg der Aufsicht kontrollieren soll, andererseits aber in aller Regel die betriebswirtschaftliche Ausbildung zur Führung eines Unternehmens selbst nicht hat und demzufolge auch nicht weiß, was der vorläufige Insolvenzverwalter für eine erfolgreiche Betriebsfortführung notwendigerweise tun muss. Deshalb wird ihm auch – zumindest als Anfänger – unklar sein, wen, wann, wo und in welchem Umfang er konkret zu beaufsichtigen bzw. zu kontrollieren hat. Da bekanntlich bereits nach allgemeinen Grundsätzen ein Aufsichtspflichtiger bei Schadenseintritt haftet, wenn er die ihm zumutbare Aufsicht nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat, ist es schon zur Vermeidung einer etwaigen Haftung erforderlich, Umfang und Inhalt der Aufsicht personell und sachlich zu bestimmen. 2.1

Generelle Zuständigkeit für Kontrolle im Insolvenzverfahren

Generell abstrakt lässt sich die Frage nach Zuständigkeit und Inhalt anhand eines Ober- 24 satzes und der Logik einfach beantworten: Wenn grundsätzlich Aufgabe der Gerichte die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Vor- 25 gängen, Verfahren und Verhaltensweisen ist, so liegt es nahe, dass sich die Prüfungskompetenz der Gerichte regelmäßig darauf beschränkt, ob ein aktueller oder in der Vergangenheit liegender Vorgang als rechtmäßig oder rechtswidrig zu beurteilen ist. Dies ist Rechtmäßigkeitskontrolle. Gerichte prüfen im Regelfall dagegen nicht, ob eine rechtmäßige Handlung hätte besser 26 gemacht werden können. Sie überprüfen eine Handlung oder einen Vorgang also mithin regelmäßig nicht darauf, ob sie/er zweckmäßig war. Deshalb muss die gerichtliche Kontrolle

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im Insolvenzverfahren zumindest im Regelfall auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verwalterhandelns beschränkt sein.12) 27 Demzufolge liegt es nahe, dass der Gesetzgeber die Befugnis zur Prüfung und die Aufsicht darüber, ob ein rechtmäßig handelnder Verwalter zudem auch zweckmäßig i. S. einer bestmöglichen Verwertung gehandelt hat und handelt, dann einem anderen Personenkreis überträgt, nämlich sinnvollerweise denjenigen, die an einem zweckmäßigem Handeln des Insolvenzverwalters das größte Interesse haben. Dies ist die Gemeinschaft der Gläubiger, der im Wege der Haftungsverwirklichung faktisch die Insolvenzmasse wirtschaftlich zusteht, da das Vermögen des Schuldners bekanntlich nicht zur Befriedigung aller reicht. Die Gläubigerschaft hat naturgemäß (neben dem Schuldner) ein hohes Interesse an einer bestmöglichen Verwertung nach dem Erfahrungssatz: je besser die Verwertung, desto höher die Befriedigungsquote im Ergebnis für die Gläubiger. Wenn das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren aber der Haftungsverwirklichung dienen soll, wäre es sinnvoll, den davon am meisten Betroffenen, den Gläubigern, bzw. ihren Organen als Aufsichtsorgan insoweit auf jeden Fall neben einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verwalterhandelns auch die Aufsicht und Kontrolle über die Zweckmäßigkeit zu überlassen. 28 Die Gläubigerorgane haben allerdings keine Befugnisse zur Durchsetzung der Aufsicht wie das Gericht (z. B. Erzwingung von Auskünften durch Zwangsgeld etc.). Dies bedeutet aber nicht, dass sie machtlos sind. Soweit sie unrechtmäßiges Verwalterhandeln feststellen oder vermuten, können sich an das zur Überprüfung rechtswidrigen Verhaltens zuständige Insolvenzgericht wenden, das dann zur Aufklärung und ggf. zum Einschreiten verpflichtet ist. 29 Darüber hinaus ist der Insolvenzverwalter bzw. vorläufige Insolvenzverwalter, der schuldhaft gegen seine Pflichten nach der InsO verstößt und damit rechtswidrig handelt, der Gläubigergemeinschaft bzw. einzelnen Gläubigern zum Schadensersatz nach § 60 InsO verpflichtet. Den sog. Gesamtschaden macht dann ein neuer Insolvenzverwalter nach Entlassung des vorherigen gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 InsO gegen diesen geltend. Reicht die Schwere des Pflichtverstoßes nicht zur Entlassung, ist ein Sonderverwalter13) zu bestellen, der die Ansprüche gen den Insolvenzverwalter geltend macht. 30 Wenn der Insolvenzverwalter (bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis oder mit Zustimmungserfordernis und Einzelermächtigung) Masseverbindlichkeiten begründet, obwohl er hätte erkennen können, dass die Masse zu deren künftigen Erfüllung nicht ausreicht, ist er dem(n) geschädigten Massegläubiger(n) nach § 61 InsO zum Schadensersatz verpflichtet. Zwar hat er damit gleichzeitig gegen seine insolvenzrechtliche Pflicht zur Masseerhaltung verstoßen, doch ist insoweit der Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger regelmäßig kein Schaden entstanden. 31 Soweit die Gläubiger die Verfahrensweisen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters lediglich für unzweckmäßig halten, können die Organe der Gläubiger mit ihren Entscheidungen die Richtung im Verfahren vorgeben und es steuern, teilweise auch schon im Eröffnungsverfahren gestaltend mitwirken, und den Insolvenzverwalter bei entsprechenden Mehrheiten auch in der ersten Gläubigerversammlung abwählen. Beim vorläufigen Insolvenzverwalter ist es naheliegend, dass die Gläubiger – ggf. über einen vorläufigen Gläubigerausschuss – (u. U. einstimmig) dann dem Insolvenzgericht vorschlagen, eine andere Person zum Insolvenzverwalter zu bestellen. Bei Zweifeln des vorläufigen Gläubigerausschusses hinsichtlich zweckmäßigen Handelns des vorläufigen Insolvenzverwalters kann er z. B. beschließen ___________ 12) Anderes gilt dann, wenn die Maßnahme nicht nur unzweckmäßig, sondern auch den Insolvenzzwecken widerspricht, mithin „insolvenzzweckwidrig“ ist (Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 58 Rz. 11 m. w. N. 13) Graf-Schlicker-Hofmann, InsO, § 92 Rz. 14 m. w. N.

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und verlangen, dass er sie über Ausgaben ab einer bestimmten Größe z. B. ab 2 000 € – vorab informiert (und sie mit dem Ausschuss abspricht). Kommt der vorläufige Insolvenzverwalter dem nicht nach, so ist die Verpflichtung zwar nicht einklagbar, aber über §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 58 InsO über das Insolvenzgericht durchsetzbar, da der vorläufige Insolvenzverwalter seiner Informationspflicht nach § 69 InsO nicht nachkommt. Dem Gläubigerausschuss steht trotz dieser gewichtigen Mitwirkungs- und Kontrollrechte 32 insoweit aber kein Weisungsrecht gegenüber dem Verwalter zu. Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht, das Recht zur Vornahme von Rechtsgeschäften oder zur Führung von Rechtsstreitigkeiten, liegt beim Insolvenzverwalter.14) Weitere Möglichkeiten haben die Gläubiger bei Vorliegen reiner Unzweckmäßigkeit zunächst nicht. Allerdings können sie den Verwalter in der ersten Gläubigerversammlung abwählen und durch einen neuen ersetzen. Ist das Handeln/Unterlassen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters allerdings grob zweckwidrig und masseschädigend, kann eine Insolvenzzweckwidrigkeit vorliegen, die vom Begriff der Rechtswidrigkeit mit umfasst ist. In diesem Fall gilt das zur Rechtswidrigkeit Ausgeführte. Diese Umstände verdeutlichten, warum die Gläubiger (und auch der Schuldner) zumindest 33 in Verfahren größeren Umfangs regelmäßig zum einen möglichst früh und zum anderen in großem Umfang auf die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters/Sachwalters Einfluss nehmen möchten. Sie erstreben nämlich regelmäßig von vornherein einen Insolvenzverwalter, der durch zweckmäßiges und wirtschaftliches Handeln die Insolvenzmasse mehrt und in der Lage ist, das schuldnerische Unternehmen in ihrem Sinne fortzuführen. Die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen einen nicht sorgfältig handelnden Insolvenzverwalter ist für sie dagegen eher sekundär. Dies wird erst virulent, wenn der Gemeinschaft der Gläubiger oder einzelnen Gläubigern ein Schaden entstanden ist. Somit ist als Zwischenergebnis für die Zuständigkeit der Kontrollorgane festzuhalten: x

Soweit durch unzweckmäßiges Handeln auch die Grenze der Rechtmäßigkeit überschritten ist, liegt Rechtswidrigkeit vor.

x

Sanktionierung und Überprüfung rechtswidrigen Verhaltens ist Aufgabe der Gerichte.

x

Gläubigerorgane sind zwar auch zur Überprüfung rechtswidrigen Verhaltens berechtigt, haben aber keine Sanktionsbefugnis. Insoweit müssen sie sich an das Insolvenzgericht wenden.

x

Gläubigerorgane können aber die Zweckmäßigkeit überprüfen. Hierzu ist wiederum das Insolvenzgericht grundsätzlich das Insolvenzgericht nicht berechtigt.

2.2

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Wandel der Aufsicht durch Einführung und Novellierung der InsO

Unstreitig hat sich auch die insolvenzrechtliche Landschaft in den letzten beiden Jahr- 35 zehnten und insbesondere in den letzten Jahren sehr verändert. Zahlreiche gesetzliche Novellierungen und Änderungen sowie neue verfassungs- und instanzgerichtliche Vorgaben haben zu Veränderungen der Aufsicht im Insolvenzverfahren geführt, teilweise verbunden mit neuen Verunsicherungen. Die Wichtigsten: 2.2.1 Grundlegende Änderung der Anforderungen durch Paradigmenwechsel Der Konkursverwalter hatte nach der KO die Aufgabe, das schuldnerische Unternehmen 36 zu liquidieren, um die dort vorhandenen Vermögenswerte zu versilbern, und den Erlös nach Abzug der Verfahrenskosten anschließend an die Gläubiger auszukehren. Der im Er___________ 14) Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 69 Rz. 8.

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öffnungsverfahren tätige Sequester war weder zur Fortführung des Unternehmens befugt, noch konnte er Masseverbindlichkeiten begründen. Auch gehörte der Zuerwerb nicht zur Insolvenzmasse, weshalb schon denknotwendig nach Verfahrenseröffnung keine Besserstellung der Gläubiger als durch Liquidation denkbar war. Mit dem Wechsel von der KO15) zur InsO wandelte sich das diesen Verfahrensordnungen zugrunde liegende „Gesamtvollstreckungsverfahren“ von einem reinen, mit beschränkten Gläubigerrechten ausgestatteten Liquidationsverfahren, ausgerichtet auf bloße Zerschlagung und Verwertung des schuldnerischen Vermögens, zu einem Verfahren mit der Absicht der bestmöglichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung einschließlich der Möglichkeit zur Sanierung des schuldnerischen Unternehmens durch Insolvenzplan (§ 1 InsO ) mit wesentlich gestärkten Rechten der Gläubiger, da man erkannt hatte, dass mit einer bloßen Liquidation Vermögenswerte und andere Werte in erheblichem Umfang vernichtet wurden, was bei einer möglichen Sanierung u. U. nicht der Fall gewesen wäre. 37 Bereits dieser Paradigmenwechsel führte zu erheblich veränderten Anforderungen an (vorläufige) Insolvenzverwalter und Aufsichtsorgane. Dies zeigt sich an Folgendem: 38 Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist bereits aufgrund dieser strukturellen Änderung der in einem Insolvenzverfahren bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) zur Fortführung eines laufenden Unternehmens des Schuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO verpflichtet(!), es sei denn, das Insolvenzgericht stimmt einer Stilllegung zu, um eine erhebliche Verminderung des schuldnerischen Vermögens zu vermeiden. Für die Fortführung hat der vorläufige Insolvenzverwalter alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, ggf. sogar Darlehen aufzunehmen. Da sämtliche von ihm begründeten Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 und 4 InsO ebenso Masseverbindlichkeiten sind, wie die von ihm aus Dauerschuldverhältnissen entgegengenommenen Gegenleistungen, hat er zur Vermeidung einer Haftung nach § 61 InsO darauf zu achten, dass diese Masseverbindlichkeiten auch bezahlt werden können. Dies kann er aber regelmäßig nur mit einer seriös konzipierten, detaillierten, stets auf aktuellem Stand befindlichen Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzplanung, zumal er auch immer als „Plan B“ eine rechtzeitige Stilllegung im Auge haben muss. 39 Diese Anforderungen an Liquiditäts- Ertrags- und Finanzplanung gelten nicht ausschließlich für den fortführungspflichtigen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter, sondern prinzipiell auch für den, den Schuldner bei der Betriebsfortführung unterstützenden, vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter). Richtig ist zwar, dass dieser nicht ohne weiteres16) vertragliche Masseverbindlichkeiten begründen kann. Benötigt er aber z. B. zur Durchführung der Insolvenzgeldvorfinanzierung ein Massedarlehen, muss er bei derzeit fehlender Liquidität beim Insolvenzgericht um eine „Einzelermächtigung“17) zur Begründung dieses Massedarlehens als Masseverbindlichkeit nachsuchen. Das Insolvenzgericht wiederum wird regelmäßig vom vorläufigen Insolvenzverwalter eine Liquiditätsvorschau abfordern, schon um überprüfen zu können, ob die Behauptung des vorläufigen Insolvenzverwalters, dass das Darlehen binnen einer bestimmten Frist zurückgezahlt werden kann, plausibel ist. Darüber hinaus gelten auch beim „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 4 InsO alle18) Steuerverbindlichkeiten, die zumindest mit seiner Zustimmung begründet wurden, nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 4 InsO)! ___________ 15) Bzw. Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern. 16) Nur mit sog. „Einzelermächtigung“ des Insolvenzgerichts nach BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625. 17) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, Rz. 6, ZIP 2002, 1625. 18) Graf-Schlicker-Bremen, InsO, § 55 Rz. 54; § 55 Abs. 4 InsO gilt für alle Steuerarten!

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Schon der Blick auf die Umsatzsteuer zeigt, dass es sich auch hier um erhebliche Beträge 40 handelt. Berücksichtigt man dann noch die eingeschränkte Verrechenbarkeit19) nach der Rechtsprechung des BFH wird klar, dass auch diesen Fällen mit sehr spitzem Bleistift gerechnet werden muss. Nur mit einer laufend aktualisierten Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzplanung kann ein vorläufiger „starker“ Insolvenzverwalter oder ein Schuldner mit Unterstützung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters seriös fortführen und angemessen und rechtzeitig auf positive oder negative Einflüsse reagieren. Dies gilt sowohl allgemein für eine Betriebsfortführung wie auch für die Beurteilung der Frage, ob und wann eine vorgeschlagene Betriebseinstellung zu erfolgen hat. Spätestens wenn es um die Frage der Betriebseinstellung geht – sei es, dass über eine ent- 41 sprechende Anregung des grundsätzlich fortführungspflichtigen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu entscheiden ist oder der Schuldner im Benehmen mit dem vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter faktisch den Geschäftsbetrieb einstellt – kann das Insolvenzgericht bei seiner Analyse feststellen, ob von Anfang an eine seriöse Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzplanung erfolgte oder ob eine solche ganz oder für bestimmte Zeiträume fehlt. So kann es als Kontrollorgan überprüfen, ob z. B. der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter bereits in der Vergangenheit diese gebotenen Kontrollmechanismen eingerichtet hatte, diese erst anlässlich der angeregten Betriebseinstellung einführte oder nicht einmal jetzt entsprechende aussagefähige Unterlagen vorlegt. Das Insolvenzgericht kann schon aus Haftungsgründen keine Betriebsschließung auf Zuruf verfügen oder im „Hurrastil“ beantragte Einzelermächtigungen aussprechen. Vielmehr hat es auf seriöser Grundlage anhand zureichender Unterlagen einschließlich Zahlenmaterials (u. U. unter Zuhilfenahme von Sachverständigen) zu entscheiden. Hat der vorläufige Insolvenzverwalter sorgfältig gearbeitet, so kann er die Entwicklung der Vermögens-, Liquiditäts- und Finanzsituation des Unternehmens jederzeit darstellen und eine seriöse Prognose anhand dieser Tatsachen treffen. So gesehen versteht sich von selbst, dass die gerichtliche Kontrolle zur Vermeidung unnö- 42 tiger Betriebsschließungen weit vorher einsetzen muss, nämlich eigentlich spätestens bei der Bestellung des Amtes, z. B. des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit einer Person, die die „Essentialia“ der Betriebsfortführung beherrscht und Gewähr für eine ordnungsgemäße Fortführung des konkreten Unternehmens bietet. Den Gläubigern, dem Schuldner und den Arbeitnehmern ist mit dem Hinweis auf eventuelle Schadensersatzansprüche wenig geholfen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter schuldhaft eine Betriebseinstellung herbeigeführt hat, die bei oben genannter betriebswirtschaftlich und rechtlich zutreffender Vorgehensweise hätte vermieden werden können. Das lebende Unternehmen, den Arbeitsplatz gibt es dann nicht mehr. Kann das Insolvenzverfahren eröffnet werden, so hat der Insolvenzverwalter das Unter- 43 nehmen regelmäßig bis mindestens zum Berichtstermin weiter fortzuführen, da er im Berichtstermin der über die Fortführung/Liquidation des Unternehmens entscheidenden Gläubigerversammlung nach § 156 Abs. 1 Satz 2 InsO darlegen muss, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten. Hierfür hat er nach Möglichkeit den Gläubigern regelmäßig sämtliche(!) Optionen offenzuhalten. Dies ist bei der Betriebsfortführung nicht ganz einfach, da hier regelmäßig und in verstärktem Umfang als im Eröffnungsverfahren nach §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO Masseverbindlichkeiten entstehen, für die der Insol___________ 19) BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BFHE 238, 307 = NZI 2012, 1022 und BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 44/10, BFHE 238, 302 sowie mittelbar BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782 und BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, ZIP 2011, 181.

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venzverwalter bei schuldhafter Begründung und insbesondere bei voraussehbarer Nichterfüllbarkeit (§ 61 InsO) haftet. 44 Sind verschiedene Alternativen (Fortführung/Liquidation/Insolvenzplan) denkbar, hat sich der Insolvenzverwalter dazu detailliert, zutreffend und vollständig zu äußern. Pauschale Äußerungen reichen auch hier nicht aus. Werden die Gläubiger nicht zureichend oder fehlerhaft informiert, besteht die Gefahr der Haftung für den Insolvenzverwalter und das über ihn Aufsicht führende Organ, das Insolvenzgericht. 45 Auch im eröffneten Verfahren besteht die Möglichkeit, das schuldnerische Unternehmen schon vor der Entscheidung der Gläubigerversammlung im Berichtstermin stillzulegen oder zu veräußern. Hierzu bedarf es aber der Zustimmung eines (vorhandenen20)) Gläubigerausschusses [§ 158 Abs. 2 InsO], nicht des Insolvenzgerichts! Es ist jedoch offensichtlich, dass auch dieses Gremium als Aufsichtsorgan – ebenso wie das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren bei § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO – schon aus Haftungsgründen (§ 71 InsO) eine derart weitreichende Entscheidung sachgerecht nicht ohne erhebliches, vom Insolvenzverwalter zur Verfügung gestelltes, überzeugendes Zahlenmaterial treffen kann und wird. 46 Das Insolvenzgericht wird sich hier zwar auch erkundigen und sich Zahlenmaterial vorlegen lassen. Soweit aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Betriebsschließung vorliegen, wird es die Überprüfung in Anbetracht der Kontrolle durch den sachverständigen Gläubigerausschuss voraussichtlich weniger „engmaschig“ gestalten. Wenn dagegen der eingerichtete vorläufige Gläubigerausschuss über die beabsichtigte Betriebsschließung vom Insolvenzverwalter nicht informiert (§ 158 Abs. 1 InsO) oder der Schuldner dazu nicht vor Beschlussfassung gehört (§ 158 Abs. 2 InsO) wird, liegt ein Verstoß gegen die Insolvenzverwalterpflichten vor und das Insolvenzgericht kann (und wird) im Wege der Aufsicht gemäß § 58 Abs. 2 InsO einschreiten. 47 Das vorstehende Beispiel verdeutlicht das Zusammenspiel der Kontrolle durch das Gläubigerorgan Gläubigerausschuss mit der Aufsicht des Insolvenzgerichts und zeigt, dass durch das Bestehen eines Gläubigerausschusses die gerichtliche Aufsicht regelmäßig nicht eingeschränkt wird,21) sondern lediglich erleichtert wird. Umgekehrt sollte die gerichtliche Kontrolle „engmaschiger“ sein, wo kein Gläubigerausschuss besteht. 48 Das Vorstehende macht aber auch deutlich, dass schon allein der vorbeschriebene Wechsel von der KO zur InsO – mithin von Gläubigerbefriedigung ausschließlich durch Liquidation des schuldnerischen Unternehmens zur Gläubigerbefriedigung auch durch Fortführung und Sanierung des schuldnerischen Unternehmens – dazu geführt hat, dass die Anforderungen an Insolvenzverwalter gewaltig gestiegen sind. Es versteht sich von selbst, dass ein Insolvenzverwalter, der ein Unternehmen fortführt, über erheblich mehr betriebswirtschaftliches, insolvenz- und arbeitsrechtliches, steuer- und sozialrechtliches „Know ___________ 20) Soweit kein Gläubigerausschuss vorhanden ist, kann der Insolvenzverwalter, vorbehaltlich der Anhörung des Schuldners, stilllegen oder veräußern, muss seine Entscheidung allerdings der Gläubigerversammlung gegenüber rechtfertigen. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts benötigt er nicht. Das Insolvenzgericht wird in diesen Fällen aber einen vorläufigen Gläubigerausschuss („Interimsausschuss“) nach § 67 InsO einsetzen. Ist der Schuldner nach Bekanntgabe der Betriebsschließungsabsicht damit nicht einverstanden, so kann er das Insolvenzgericht anrufen, das dann die Stilllegung oder Veräußerung nach § 158 Abs. 2 InsO nach Anhörung des Insolvenzverwalters untersagt, soweit damit ohne erhebliche Masseminderung bis zum Berichtstermin abgewartet werden kann. Auch diese Entscheidung setzt denknotwendig die Unterfütterung mit erheblichem Zahlenmaterial voraus. 21) Anderes gilt in den Fällen, in denen der vorläufige Gläubigerausschuss mit einstimmigem Beschluss eine Person für das Amt des vorläufigen Insolvenzverwalters oder endgültigen Insolvenzverwalters (§§ 56a Abs. 2, 21 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder einen vorläufigen oder endgültigen Sachwalter (§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274, 56a Abs. 2) vorschlägt. In diesen Fällen ist das Gericht an den Vorschlag gebunden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Vorgeschlagene für das Amt ungeeignet ist.

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how“ verfügen muss, als ein das schuldnerische Unternehmen lediglich liquidierender Insolvenzverwalter. So hat der von Jaeger kreierte Satz, dass die Auswahl des Konkurs/Insolvenzverwalters „die Schicksalsfrage des Verfahrens sei“, nicht nur nichts von seiner Bedeutung verloren, sondern an Erheblichkeit gewonnen. Beherrscht der zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter Gekürte das Geschäft der Fortführung nicht, so wird das Unternehmen im Regelfall nicht lange überleben und erhebliche Vermögenswerte werden unnötigerweise vernichtet. Im gleichen Umfang wie die Anforderungen an den Insolvenzverwalter gewachsen sind, 49 sind aber auch die Anforderungen an die Aufsichts- und Kontrollorgane gewachsen. Dies gilt sowohl bei der Überwachung des vorläufigen Verwalters und des Insolvenzverwalters allgemein als auch bei der Entscheidung über die Fortführung/Einstellung eines Geschäftsbetriebes speziell. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine effektive Aufsicht es erfordert, dass der Kontrolleur wissen muss, was der Kontrollierte tut, zu tun hat und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn er das Gebotene nicht tut. Somit lässt sich hier als Zwischenergebnis festhalten, dass der Wechsel von KO zur InsO, 50 d. h. vom reinen Liquidationsverfahren zum Verfahren bestmöglicher Gläubigerbefriedigung mit Sanierungsmöglichkeit und damit regelmäßig verbundener Betriebsfortführung zu erheblichen Veränderungen der Anforderungen der Aufsicht geführt hat. 2.2.2 Vorverlagerung der Aufsicht durch Zwang zur Listenführung Ein weiterer Punkt in der Entwicklung der Aufsicht waren die Entscheidungen des 51 BVerfG22) zur Vorauswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Nach damaliger Rechtslage, die bis zum Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 galt, hatte ausschließlich und in jedem Fall der hoheitlich tätige Richter ohne irgendwie gearteten Mitwirkungsrechte von Gläubigern und Schuldner – bis zur eventuell anderweitigen Entscheidung durch die Gläubigerversammlung (§ 57 InsO) – allein über die Vergabe des Amtes des (vorläufigen) Insolvenzverwalters nach freiem Ermessen zu entscheiden. Praxis war bis zu den Eingangsentscheidungen des BVerfG am 3.8.2004,23) dass bei den 52 Insolvenzgerichten häufig eine überschaubare Anzahl von Insolvenzverwaltern tätig waren, die regelmäßig auch alle bestellt wurden, während Neubewerber von den Insolvenzgerichten regelmäßig unter Hinweis auf fehlenden Bedarf abgelehnt wurden (sog. „closed shops“). Nachwuchskräfte erhielten so kaum eine Chance. Für sie blieb oft nur der Traum, dass sie bei Ausscheiden des „Seniors“ in dessen Fußstapfen treten konnten. Zwar hatte die Beschäftigung bei einem Insolvenzgericht noch nicht den Vererblichkeitsgrad einer griechischen Taxilizenz erreicht, doch war die Situation für Bewerber häufig äußerst misslich. Das BVerfG lehnte bereits in seinen Ausgangsentscheidungen derartige „closed shops“ ab 53 und verlangte zur pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens ein justiziables Vorauswahlverfahren. Danach sollte anhand sachlicher und objektiver, für alle Bewerber geltenden und bei Ablehnung gerichtlich über § 23 EGGVG überprüfbaren Kriterien, aus der Reihe aller zur Übernahme von Insolvenzverfahren bereiten Personen diejenigen ausgewählt und auf eine Vorauswahlliste gesetzt werden, die nach Ansicht des Insolvenzgerichts anhand der Kriterien dafür geeignet erschienen. Aus dieser Vorauswahlliste geeigneter Insolvenzverwalter sollte dann das Insolvenzgericht bei Eingang des konkreten Insolvenzverfahrens für dieses Insolvenzverfahren den konkreten (vorläufigen) Insolvenzverwalter bestimmen. ___________ 22) Beginnend mit BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01, ZIP 2004, 1649 und BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355; Übersicht bei Graf-Schlicker – GrafSchlicker, InsO, § 58 Rz. 1 m. w. N. 23) S. Rz. 22.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Neubewerber sollten so eine „faire Chance“ zum Zugang zum Beruf des Insolvenzverwalters erhalten. 54 Dies führte dazu, dass anschließend bei den Insolvenzgerichten ein enormer Zulauf von Bewerbern zur Aufnahme in die Liste der Insolvenzverwalter einsetzte. Die Überprüfung eines Bewerbers anhand objektiver Kriterien, ob er für eine bestimmte Tätigkeit generell geeignet ist und in eine Vorauswahlliste aufgenommen werden kann, ist augenscheinlich Teil der Aufsicht im weiteren Sinne, aber ebenso insolvenzgerichtlicher Aufsichtstätigkeit wie etwa die Prüfung, ob ein Bewerber für ein konkretes Verfahren geeignet ist. Soweit es im ersten Fall an einem konkreten Insolvenzverfahren fehlt, ist dies für den Begriff der Aufsicht im weiteren Sinne bzw. der antizipierten Aufsicht unschädlich.24) Hinsichtlich der von den Insolvenzgerichten entwickelten Kriterien wird auf die einschlägige Kommentarliteratur zu §§ 56, 56a InsO verwiesen. 2.2.3 GAVI und Anderes 55 Da zudem festzustellen war, dass in den letzten Jahren sind nicht wenige Fälle unseriöser Insolvenzverwalter aufgedeckt wurden, die in erheblichem Umfang Masse veruntreut und/ oder sich in rechtswidriger Weise an ihr gütlich getan haben,25) stellte sich die Frage, ob und inwieweit Vorkehrungen getroffen werden können und tatsächlich getroffen werden, um derartige Umtriebe künftig zu verhindern. Insoweit gab es den Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Aufsicht über den Insolvenzverwalter“ (kurz: GAVI).26) Dieser hat jedoch das Stadium des Entwurfs nie überschritten und ist nach heftiger Kritik aus der Praxis wegen insgesamt „unzweckmäßiger Regelungsdichte“27) nach einer Anhörung im Rechtsausschuss Anfang 2008 im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr weiterverfolgt worden.28) 2.2.4 ESUG 56 Letztendlich hat auch der aktuelle Gesetzgeber, der offensichtlich eine „neue Insolvenzkultur“29) schaffen möchte, mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (kurz: ESUG)30) dazu beigetragen, dass bestehende Kontrollfelder für die Aufsicht sich verändert haben und neue eröffnet wurden. Ziel des ESUG ist es, sanierungsfähigen Unternehmen die Chance zu bieten, mit den Mitteln des Insolvenzrechts wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen. Dazu sieht das ESUG im Wesentlichen einen stärkeren Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, den Ausbau und die Straffung des Insolvenzplanverfahrens, die Vereinfachung des Zuganges zur Eigenverwaltung (mit Abänderung des Eröffnungsverfahrens gemäß § 270a InsO und Einführung des „Schutzschirmverfahrens“ nach § 270b InsO) sowie eine bessere Qualifizierung von Richtern und Rechtspflegern in Insolvenzverfahren vor.31) Um die Gläubiger frühzeitiger am Verfahren zu beteiligen, hat der Gesetzgeber zudem sog. „vorläufige Gläubigerausschüsse“ mit erheblichen Rechten und Befugnissen eingeführt. ___________ 24) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, nennt dies „antizipierte Aufsicht“, S. 253. 25) S. die Übersicht bei Frind in: HambKomm-InsR, § 58 InsO Rz. 3a m. w. N. 26) BR-Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung der Aufsicht Im Insolvenzverfahren (GAVI) ZVI 2007, 577. 27) Frind in: HambKomm-InsR, § 58 InsO Rz. 3d m. w. N. 28) Frind in: HambKomm-InsR, § 58 InsO Rz. 3d m. w. N. 29) So die Bundesministerin der Justiz Leuthäuser-Schnarrenberger in ihrer Rede am 17.3.2010 beim 7. Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin (abgedr. in Inso Info A–Z: Stichwort: Insolvenzkultur nach ESUG; IHK Magazin für München und Oberbayern 6/2010). 30) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 31) Graf-Schlicker – Graf Schlicker, InsO, Vorwort.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Insbesondere die mit dem ESUG eingeführten Mitwirkungsrechte von Gläubigern und 57 Schuldner bei der Auswahl des Insolvenzverwalters und die Einführung von vorläufigen Gläubigerausschüssen legen es nahe, von veränderten Feldern, Bedingungen und verändertem Umfang der Aufsicht auszugehen. Der Verdacht, dass auch der Gesetzgeber von einem neuen Anforderungsprofil ausgeht, 58 wird an einer einer Stelle besonders deutlich. Nach der Neuregelung in § 22 Abs. 6 GVG und § 18 Abs. 3 RPflG kann grundsätzlich Insolvenzrichter und Rechtspfleger nur werden, wer Kenntnisse im Insolvenzrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, aber auch in Betriebswirtschaft nachweisen kann! Dies ist der richtige Ansatz: Kontrolle und Aufsicht kann doch nur dort ausgeübt werden, wo der Kontrolleur weiß, was der Kontrollierte tut bzw. zu tun hat.32) Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass sich Art um Umfang insolvenzgericht- 59 licher Aufsicht generell wesentlich verändert haben, vor allem mit dem Wechsel von KO zur InsO und Inkrafttreten des ESUG. III.

Die insolvenzgerichtliche Aufsicht im Überblick

Sämtliche vorgenannten Problemfelder betreffen die Aufsicht und Kontrolle im Insol- 60 venzverfahren. Will sie rechtsstaatlichen Anforderungen genügen, erfordert die Aufsicht neben der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften auch Transparenz und Gleichbehandlung im Verfahren. Ebenso wie ein transparent geführtes Verfahren die Aufsicht und Kontrolle erleichtert, erleichtern auch konkrete Vorgaben dem zu Kontrollierenden die Einhaltung der gesetzten Maßstäbe, da er dann die Anforderungen an eine geordnete Insolvenzverwaltung kennt. Dies gilt auch für die Konsequenzen. Hält z. B. ein Insolvenzverwalter die bekannten Anforderungen nachhaltig nicht ein, hat er mit Konsequenzen zu rechnen, sei es im Einzelfall mit einer eingeschränkten Berücksichtigung bei der Bestellung, sei es im schlimmsten Fall mit der Abberufung im konkreten Verfahren. Zur Aufsicht und Kontrolle im Insolvenzverfahren stellen sich dem Beobachter regelmä- 61 ßig – jeweils abhängig vom Interessentenkreis (Außenstehende, Gläubiger, Schuldner, [vorläufiger] Insolvenzverwalter, [vorläufiger] Sachwalter) deshalb folgende Fragen: x

Wer darf die Kontrolle/Aufsicht im Detail ausüben? Besteht die gerichtliche Kontroll-/ Aufsichtsbefugnis in allen Arten von Insolvenzverfahren und/oder gibt es Unterschiede bei Liquidationsverfahren und Verfahren in denen der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird? Gibt es Besonderheiten im Insolvenzplanverfahren?

x

Was prüfen/kontrollieren die Gerichte? Bestehen Unterschiede in Prüfungsart und Umfang je nach Verfahrenssituation?

x

Wann prüfen die Gerichte? Generell oder nur bei Verdachtsmomenten? Anhaltspunkte für Erfordernis einer Prüfung

x

Wie prüfen die Gerichte?

x

Was würde die gerichtliche Prüfung erleichtern?

x

Welche Reaktionsmöglichkeiten hat das Gericht, insbesondere bei Verstößen?

x

Welche Gefahren bestehen, wenn das Insolvenzgericht nur unzureichend seine Kontrolle und Aufsichtsbefugnisse wahrnimmt?

x

Findet gerichtliche Kontrolle im Insolvenzverfahren tatsächlich statt?

___________ 32) In diesem Sinne auch Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 180.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

62 Da bereits mit Einführung der InsO und nochmals mit Inkrafttreten des ESUG die Rechte und Befugnisse der Gläubigergemeinschaft und ihrer Organe auch hinsichtlich ihrer Kontroll-, Mitwirkungs- und Aufsichtsfunktionen wesentlich gestärkt und erweitert wurden, ist eine Abgrenzung der Kontrolle und Entscheidungen zur gerichtlichen Aufsicht erforderlich, da es insoweit nicht nur Verzahnungen der Gläubigerkontrolle, sondern auch Einschränkungen der gerichtlichen Aufsicht und Kontrolle durch Entscheidungen der Gläubigerorgane gibt. 1.

Kontrolle durch die Gläubiger

63 Mit dem Wechsel von der KO zur InsO wurden die Rechte und Befugnisse der Gläubiger wesentlich gestärkt. Diese sollten sich nach dem Willen des Gesetzgebers in den vermehrt als Gläubigerverfahren ausgestatteten Insolvenzverfahren einbringen. 64 Über ihre Organe übt die Gemeinschaft der Gläubiger ebenfalls Kontrolle und Aufsicht über den Verwalter und den Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren aus. Organe der Gläubigergemeinschaft sind die Gläubigerversammlung und der Gläubigerausschuss. 1.1

Gläubigerversammlung

65 Die Gläubigerversammlung wird vom Insolvenzgericht einberufen (§ 74 InsO) und geleitet (§ 76 InsO). Sie ist nach § 75 InsO einzuberufen auf Antrag des Insolvenzverwalters, des Gläubigerausschusses oder einem in dieser Vorschrift bestimmten Quorum von absonderungsberechtigten Gläubigern bzw. nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern. Die Gläubigerversammlung entscheidet grundsätzlich durch unanfechtbaren Beschluss (§ 76 Abs. 2 InsO)! Lediglich wenn der Beschluss der Gläubigerversammlung dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, hat das Insolvenzgericht den Beschluss auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines nicht nachrangigen Insolvenzgläubigers auf sofortige Beschwerde hin aufzuheben (§ 78 InsO). Mit anderen Worten: Dem Gericht steht in diesem Fall kein Ermessen zu. Seine Befugnis erstreckt sich lediglich auf die Prüfung, ob der Beschluss den gemeinsamen Gläubigerinteressen widerspricht. 66 Übersicht zu Befugnissen, Kontroll- und Mitwirkungsrechten: x

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bei Beendigung seines Amtes der Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der Insolvenzplan allerdings eine abweichende Regelung treffen.

x

Nach § 66 Abs. 2 InsO prüft zunächst das Insolvenzgericht die Schlussrechnung des Verwalters und legt sie dann mit Belegen mit eigenem Prüfungsvermerk und dem Prüfungsvermerk eines bestellten Gläubigerausschusses versehen, zur Einsicht der Beteiligten aus.

x

Nach § 66 Abs. 3 InsO kann die Gläubigerversammlung dem Verwalter aufgeben zu bestimmten Zeitpunkten während des Verfahrens Zwischenrechnung zu legen.

x

Nach § 79 InsO ist die Gläubigerversammlung berechtigt vom Insolvenzverwalter einzelne Auskünfte und einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung zu verlangen. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, kann die Gläubigerversammlung den Geldverkehr und -bestand des Verwalters prüfen lassen.

x

Nach § 100 InsO beschließt die Gläubigerversammlung, ob und in welchem Umfang dem Schuldner und seine Familie Unterhalt aus Insolvenzmasse gewährt werden soll.

x

Nach § 157 InsO beschließt die Gläubigerversammlung im Berichtstermin, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll, wobei

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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sie ihre Entscheidungen in späteren Terminen ändern kann. Auch kann sie unter Zielvorgabe den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen. x

Nach § 160 InsO hat der Insolvenzverwalter, wenn er Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren vornehmen will, die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen, soweit ein Gläubigerausschuss nicht bestellt ist.

x

Nach § 162 InsO hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen, wenn er das Unternehmen oder einen Betriebsteil an besonders Interessierte (d. h. an nahestehende Personen i. S. des § 138 InsO oder Absonderungsberechtigte bzw. nicht nachrangige Insolvenzgläubiger mit mehr als 20 % der Gesamtforderungen) veräußern will.

x

Nach § 272 InsO hebt das Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung auf, wenn dies die Gläubigerversammlung mit den in § 76 Abs. 2 InsO genannten Mehrheitsanforderungen der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger beantragt. Umgekehrt kann nach § 271 InsO die Gläubigerversammlung mit entsprechender Mehrheit beim Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung beantragen.

x

Auf Antrag der Gläubigerversammlung ordnet gemäß § 277 Abs. 1 InsO das Insolvenzgericht durch öffentlich bekannt zu machende Anordnung an, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur wirksam sind, wenn der Sachwalter ihnen zustimmt.

1.2

Gläubigerausschuss

In dem, von Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter und Gläubigerversammlung unabhän- 67 gigen,33) Gläubigerausschuss sollen nach § 67 Abs. 2 InsO die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und die Kleingläubiger vertreten sein. Dem Ausschuss soll ferner ein Vertreter der Arbeitnehmer angehören. Damit soll gewährleistet werden, dass die Interessen aller Gläubigergruppen angemessen vertreten sind. Da es sich aber nur um eine Sollvorschrift handelt, müssen nicht alle Gruppen vertreten sein. Diese Vorschrift regelt zwar den sog. „Interimsausschuss“, d. h. der vorläufige Gläubiger- 68 ausschuss wurde vom Insolvenzgericht zwar im eröffneten Insolvenzverfahren, aber noch vor dem Berichtstermin bestellt. Sie ist aber nach allgemeiner Meinung auch auf alle anderen Gläubigerausschüsse anzuwenden, d. h. sowohl auf den endgültigen, von der Gläubigerversammlung nach § 68 InsO gewählten, als auch auf die vorläufigen Ausschüsse nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a Abs. 1 und 2 InsO. 1.2.1 Befugnisse Nach § 69 InsO haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses den Insolvenzverwalter 69 bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Die Überwachung umfasst die nachträgliche und die begleitende wie auch die vorausschauende Kontrolle. Sie betrifft die Rechtmäßigkeit, die Zweckmäßigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Entscheidungen des Insolvenzverwalters, wobei der Umfang der Überwachungsmaßnahmen im pflichtgemäßen Ermessen der Mitglieder des Gläubigerausschusses steht.34) Sich allein auf die Angaben des Insolvenzverwalters zu verlassen reicht aber nicht. Trotz gewichtiger Mitwirkungs- und Kontrollrechte hat der Gläubi___________

x

33) Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 69 Rz. 3. 34) Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 69 Rz. 12.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung gerausschuss aber nach h. M. wohl kein Weisungsrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter.35)

x

Zu den Aufgaben des Gläubigerausschusses gehört aber nicht das Führung von Vertragsverhandlungen und die Begründung von Masseschulden durch Geschäftsabschlüsse mit Lieferanten. Dafür ist allein der Verwalter zuständig.36)

x

Nach § 158 hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er vor dem Berichtstermin das Unternehmen stilllegen oder veräußern will. Daneben hat er vor Beschlussfassung des Ausschusses den Schuldner von seiner Absicht zu unterrichten, damit dieser ggf. eine abweichende Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeiführen kann.

x

Nach § 160 InsO hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren vornehmen will.

x

Nach § 276 InsO hat der Schuldner bei angeordneter Eigenverwaltung die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er für das Verfahren besonders bedeutsame Rechtshandlungen vornehmen will.

x

Nach § 274 Abs. 3 InsO hat der Sachwalter neben dem Insolvenzgericht unverzüglich den Gläubigerausschuss zu informieren, wenn er feststellt, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.

x

Der (vorläufige) Gläubigerausschuss ist darüber hinaus regelmäßig zu beteiligen bei der Bestellung des Insolvenzverwalters (§ 56a Abs. 1) und des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 56a) des Sachwalters (§ 274 Abs. 1) des vorläufigen Sachwalters (§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274) sowohl im normalen Eigenverwaltungsverfahren (§ 270a) als auch im Schutzschirmverfahren (§ 270b). Schlägt der vorläufige Gläubigerausschuss insoweit eine Person einstimmig vor, ist das Gericht regelmäßig hieran gebunden, es sei denn, der/die Vorgeschlagene ist für das Amt offensichtlich ungeeignet.

x

Bei beantragtem Eigenverwaltungsverfahren ist der vorläufige Gläubigerausschuss ebenfalls regelmäßig zum Antrag auf Eigenverwaltung zu hören (§ 270 Abs. 3). Wird der Antrag einstimmig vom vorläufigen Gläubigerausschuss unterstützt, gilt die Anordnung ohne weitere gerichtliche Prüfung nicht als nachteilig für die Gläubiger. Eine gerichtliche Prüfung etwaiger Nachteiligkeit entfällt damit!

70 Nach § 72 InsO entscheidet der Gläubigerausschuss durch Beschluss, der gültig ist, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat und der Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst ist. 71 Außerdem kann die Gläubigerversammlung dem Gläubigerausschuss bestimmte Aufgaben übertragen. Die Gläubigerausschüsse haben demzufolge erhebliche Kontroll-, Aufsichtsund Mitwirkungsrechte. Teilweise ist das Gericht sogar an ihre Entscheidungen gebunden, was wiederum zur Folge hat, dass das Insolvenzgericht keine oder nur noch eingeschränkte Prüfungsbefugnis in diesem Punkt hat. 1.2.2 Arten von Gläubigerausschüssen 72 Bei den Gläubigerausschüssen ist zu unterscheiden zwischen dem endgültigen Gläubigerausschuss und verschiedenen vorläufigen Gläubigerausschüssen. Dabei ist zu beachten, dass die auf sie anzuwendenden Vorschriften (§§ 67 ff. InsO) zwar im Wesentlichen gleich sind ___________ 35) Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 69 Rz. 8; a. A. Frind in: HambKomm-InsR, § 69 InsO Rz. 9. 36) Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 69 Rz. 9 m. w. N.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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und ihnen auch gemeinsam ist, dass sie Mitwirkungs- und Kontrollrechte und -pflichten haben, sich die Felder aber, in denen die Mitwirkung und Kontrolle ausgeübt wird, doch wesentlich unterscheiden. Im eröffneten Insolvenzverfahren gibt es den

73

x

endgültigen Gläubigerausschuss ab dem Berichtstermin gemäß § 68 InsO, der von der Gläubigerversammlung gewählt wird, oder – soweit er bereits vorab gemäß § 67 InsO vom Insolvenzgericht eingesetzt – dessen Beibehaltung von der Gläubigerversammlung beschlossen wird und

x

den Gläubigerausschuss (sog. Interimsausschuss37) nach § 67 InsO), d. h. den Gläubigerausschuss, der vom Insolvenzgericht bereits vor dem Berichtstermin, aber nach Verfahrenseröffnung eingesetzt wurde.

Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss in folgenden 74 Varianten möglich: x

Obligatorischer vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 22a Abs. 1 InsO, der vom Insolvenzgericht auch ohne Antrag zwingend eingesetzt werden muss (!), wenn ein laufender Geschäftsbetrieb vorhanden ist und beim Schuldner 2 von 3 der nachfolgenden Merkmale der Unternehmensgröße gegeben sind (mindestens 4 840 000 € Bilanzsumme abzüglich Fehlbetrag nach § 268 Abs. 3 InsO, in den letzten zwölf Monaten vor Stichtag mindestens 9 680 000 € Umsatz, im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer). Keine Einrichtung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erfolgt, wenn seine Einrichtung zu verzögerungsbedingten Nachteilen für die Vermögenslage des Schuldners führen oder außer Verhältnis zur Masse stehen würde oder der Geschäftsbetrieb eingestellt ist (§ 22a Abs. 3 InsO). Das Gericht kann den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter auffordern einzelne oder alle Mitglieder für den Gläubigerausschuss zu benennen. Zu Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses bestimmt werden die Vorgeschlagenen nach gerichtlicher Überprüfung ihrer Eignung aber vom Gericht. Das Amt endet mit Eröffnung des Verfahrens.

x

Fakultativer vorläufiger Gläubigerausschuss gemäß § 22a Abs. 2 InsO, der vom Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers nach § 22a Abs. 2 InsO eingesetzt werden soll, d. h. demnach regelmäßig zu bestellen ist, soweit die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschuss in Betracht kommenden Personen benannt werden und dem Antrag Einverständniserklärungen beigefügt werden. Auch hier erfolgt keine Einrichtung bei eingestellten Geschäftsbetrieb und den sonstigen, bei § 22 a Abs. 1 ausgeführten Nachteilen nach § 22a Abs. 3 InsO.

Werden die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses vom Schuldner oder Gläubi- 75 ger benannt, so ist es nicht unbedingt fernliegend, dass von ihnen Eigeninteressen hinsichtlich der Person der Benannten verfolgt werden. Beispiel So könnte der Schuldner im Extremfall willfährige Gläubigerausschussmitglieder ohne Sachverstand benennen, um z. B. im Verfahren der Eigenverwaltung bei ebenfalls „sehr zurückhaltendem“ (vorläufigem) Sachwalter nach Lust und Laune zum Nachteil der Gläubiger „schalten und walten“ zu können. Käme noch hinzu, dass diese willfährigen Gläubigerausschussmitglieder sich dann auch noch zufälligerweise auf einen dem Schuldner genehmen, vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter einigen würden und ihn dem Insolvenzgericht einstimmig mit bindender Wirkung nach § 22a InsO als solchen vorschlagen würden, ist naheliegend, ___________ 37) Frind in: HambKomm-InsR, § 67 InsO Rz. 2.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

dass eine derartige Konstellation weniger den Vorstellungen des Gesetzgebers von einem objektiven Insolvenzverfahren entsprechen dürfte, sondern vielmehr einem von einseitigen Individualinteressen gesteuerten Verfahren. Entsprechendes gilt natürlich, wenn ein Gläubiger so verfährt. 76 Deshalb hat auch im Beispielsfall hier die gerichtliche Kontrolle einzusetzen bei der Auswahl und Geeignetheit von Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses (sowie der Geeignetheit und Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters). 77 Wird eine als Gläubigerausschussmitglied ungeeignet erscheinende Person als Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses abgelehnt, führt dies aber – ausgenommen in Fällen evidenten Missbrauchs – nicht dazu, dass das Gericht sofort eine andere, aus seiner Sicht geeignete Person als Mitglied bestellt und der Schuldner etwaige Vorschlagsrechte hinsichtlich der Gläubigerausschussmitglieder „verwirkt“ hätte. Vielmehr ist im Regelfall davon auszugehen, dass dem Schuldner – soweit zeitlich möglich – Gelegenheit gegeben werden sollte, binnen kurzer Frist, andere Personen als Gläubigerausschussmitglied vorzuschlagen.38) 78 Andererseits scheint es auch nicht ausgeschlossen, dass auch ein die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses benennender, gegen den Schuldner Insolvenzantrag stellender Gläubiger eigene Ziele zum Nachteil der übrigen Gläubiger, des Schuldners oder anderer Verfahrensbeteiligter verfolgt („Jedem das Seine, mir das Meiste“) und in der konkreten Zusammensetzung des Gläubigerausschusses seine persönlichen Interessen zum Nachteil der übrigen Verfahrensbeteiligten oder sonstiger Dritter (z. B. Aussonderungsgläubiger) am besten gewahrt sieht. Auch hier greift – wie noch aufzuzeigen sein wird – die gerichtliche Aufsichtspflicht ein. 79 Das Gericht hat auch hier vor der Bestellung der einzelnen Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses zu überprüfen, ob die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses überhaupt in der Lage sind, die vom Gesetz vorgegebene Kontrollfunktion auszuüben und ob möglicherweise beim Benannten Interessenkonflikte vorliegen. Bestehen gravierende Anhaltspunkte dafür, dass der benannte Mitgliedsaspirant dazu nicht in der Lage ist oder liegt eine Interessenkollision nahe, so hat die Bestellung dieses Mitglieds zu unterbleiben! Zwar ist das Insolvenzverfahren naturgemäß regelmäßig von gegenläufigen Interessen getragen, doch hat der Gesetzgeber insoweit durch die Einrichtung von – gesetzlich dem Einzelfall angepassten – Teilhabe- und Verfahrensrechten (z. B. § 67 Abs. 2 InsO) einen notwendigen Ausgleich geschaffen. Dieser z. B. in § 67 Abs. 2 InsO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille zum Ausgleich und repräsentativen Teilhabe aller wesentlichen Gläubigerinteressen kann aber nicht einfach mit der sachfremden und insolvenzzweckwidrigen Erwägung der Benennung willfähriger und ungeeigneter Gläubigerausschussmitglieder unterwandert werden, zumal ein (vorläufiger) Gläubigerausschuss erhebliche Befugnisse hat (z. B. regelmäßige Bindung des Insolvenzgerichts an einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des zu bestellenden Insolvenzverwalters). Wie die Eingangsnorm des § 1 InsO zeigt, hat das Insolvenzverfahren den Zweck der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger und – soweit möglich – der Sanierung des schuldnerischen Unternehmens. Die Sanierung des Schuldners selbst oder die Sanierung einzelner Gläubiger jeweils zum Nachteil anderer Verfahrensbeteiligter ist gerade nicht Zweck des Insolvenzverfahrens. Wie oben bereits ausgeführt, ist Gelegenheit zur Nachbenennung anderer Personen als Gläubigerausschussmitglieder zu geben. 80 Neben absoluter Geschäftsunerfahrenheit oder bestehender massiver Interessenkollision ist für andere Gründe, die zu einer Ablehnung eines Vorgeschlagenen führen, die Kommentierung zu § 70 InsO, der die Entlassung eines Gläubigerausschussmitgliedes regelt, ___________ 38) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 22a Rz. 41.

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als „actus contrarius“ hilfreich. Eine Bestellung wäre widersinnig, da das dann bestellte Mitglied sofort wegen desselben Sachverhalts wieder zu entlassen wäre. Schließlich kann das Insolvenzgericht amtswegig einen vorläufigen Gläubigerausschuss 81 gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO bestellen, soweit es die Einrichtung des vorläufigen Gläubigerausschusses als Sicherungsmaßnahme für erforderlich hält. Auch hier kann das Gericht sich Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses von Schuldner, vorläufigen Insolvenzverwalter oder Gläubigern vorschlagen lassen. Es hat aber auch hier die Geeignetheit zu überprüfen. Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend. 1.2.3 Bestellungsverfahren vorläufiger Gläubigerausschuss Für das Verfahren zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist § 22a InsO 82 einschlägig. Ob und inwieweit ein Gläubigerausschuss zwingend erforderlich ist, bzw. beantragt wurde oder überhaupt sinnvoll ist, kann regelmäßig bereits dem Insolvenzeigenantrag des Schuldners entnommen werden, da § 13 InsO in der seit Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 geltenden Fassung von jedem Antragsteller die Übermittlung einer Gläubiger und Forderungsliste verlangt, die bei Erreichen einer bestimmten Betriebsgröße durch weitere Angaben ergänzt werden muss. Wie Graeber39) zu Recht bemerkt, ist aber wohl nur in den Fällen des Eigenantrags des 83 Schuldners mit gleichzeitig vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitgliedern aus Zeitgründen faktisch eine Anhörung nach § 56a InsO möglich, da das Verfahren zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses regelmäßig einen zu großen zeitlichen Aufwand erfordert. Gleiches mag noch für den Gläubigerantrag mit ebenfalls gleichzeitig vorgeschlagenen Ausschussmitgliedern und vorinformierten Schuldner gelten. In den übrigen Fällen wird aber eine vorhergehende Anhörung kaum möglich sein: x

Alle künftigen Ausschussmitglieder müssen vorab angehört und belehrt werden und im Falle ihrer Geeignetheit ihre Zustimmung erteilen;

x

wenn sämtliche Erklärungen vorliegen, muss sich der vormalige Gläubigerausschuss noch konstituieren,

x

sich eine Geschäftsordnung geben,

x

über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters und

x

über die an ihn zu richtenden Forderungen beraten und

x

die Nachweise dem Insolvenzgericht über eine ordnungsgemäße Errichtung und den Beschluss nach § 56a Abs. 1 InsO zukommen lassen.40)

Wichtig ist auch, dass die Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses in der Be- 84 schlussform und mit den erforderlichen Mehrheiten nach § 72 InsO ergeht, da er ansonsten unwirksam ist. 1.2.4 Mitwirkungsrechte der vorläufigen Gläubigerausschüsse bei der Bestimmung des Insolvenzverwalters/Sachwalters Diese vorläufigen Gläubigerausschüsse haben erhebliche Beteiligungsrechte: 1.2.4.1

85

Bestellung des Insolvenzverwalters

So ist nach dem mit dem ESUG eingeführten § 56a InsO vor der Bestellung des Insol- 86 venzverwalters dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu den ___________ 39) Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 15. 40) Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 16.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Anforderungen, die an den Insolvenzverwalter zu stellen sind, und zur Person des Verwalters zu äußern, soweit dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Änderung der Vermögenslage des Schuldners führt (z. B. wenn zwecks Sicherung der Insolvenzmasse schnell bzw. zumindest zeitnah nach Antragstellung ein vorläufiger Insolvenzverwalter oder ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt werden muss41) und die nachteilige Veränderung wahrscheinlich ist, z. B. wegen langwieriger Konstituierung, Kommunikations- oder Terminproblemen sowie bei einem vom vorläufigen Gläubigerausschuss Vorgeschlagenen die Überprüfung der generellen Eignung erforderlich ist)42). 87 Kurz gesagt: Der vorläufige Gläubigerausschuss legt demnach mit dem Anforderungsprofil an den Insolvenzverwalter die Rahmenbedingungen für die Auswahl fest und hat darüber hinaus zusätzlich maßgeblichen, bei Einstimmigkeit sogar entscheidenden Einfluss auf die Person des auszuwählenden Insolvenzverwalters. 88 Der vorläufige Gläubigerausschuss muss sich nicht äußern. Soweit aber eine entsprechende Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses erfolgt, hat dies in Beschlussform zu geschehen (§ 72 InsO). 89 Die Stärkung der Beteiligungsrechte der Gläubiger hinsichtlich der Auswahl der zum Insolvenzverwalter zu bestellenden Person zeigt sich besonders darin, dass nach § 56a Abs. 2 InsO das Gericht von einem einstimmigen43) Vorschlag des vorläufigen Gläubigeraus___________ 41) Frind in: HambKomm-InsR, § 56a InsO Rz. 19 m. w. N. 42) Frind in: HambKomm-InsR, § 56a InsO Rz. 19. 43) Einstimmigkeit ist nach hiesiger Auffassung i. S. von „mit ausdrücklicher Zustimmung aller“ zu verstehen (i. E. so auch Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 25). Nach einhelliger Meinung sind bei Abstimmungen im Gläubigerausschuss deren Mitglieder zwar zur Stimmenthaltung berechtigt; Stimmenthaltungen werden aber bei den abgegebenen Stimmen nicht mitgezählt (s. stellvertretend nur Graf-Schlicker-Pöhlmann, InsO, § 72 Rz. 3, Nowak in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 72 Rz. 20; Eickmann in: HK-InsO, § 72 Rz. 4). Dies erklärt sich daraus, dass jedes Mitglied eines Kollegialorgans Anspruch auf Teilnahme an den Sitzungen und auf Mitwirkung an Beschlüssen hat und jedes Mitglied muss im Hinblick auf § 71 InsO dokumentieren können muss, dass es seine Pflichten erfüllt hat. Ist ein Mitglied z. B. wegen Selbstbetroffenheit (Interessenkollision) ausgeschlossen, wird es zwar beim Quorum mitgezählt, bei der Feststellung der Mehrheit der abgegebenen Stimmen aber nicht, was sich daraus erklärt, dass es auf die abgegebenen Stimmen ankommt, das betroffene Mitglied aber ebenso wie bei der Stimmenthaltung keine Stimme abgibt. Es wird dann zwar beim Quorum mitgezählt, nicht aber bei der zur Wirksamkeit erforderlichen Mehrheit (Nowak in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 72 Rz. 20). Nichts anderes kann bei dem Erfordernis der Einstimmigkeit gelten. Enthält sich ein Mitglied der Stimme, wird die Stimme nicht mitgezählt. Wird die abgegebene Stimme aber nicht mitgezählt, so liegt keine Einstimmigkeit vor. Einstimmigkeit ist demnach nicht als Mehrheit ohne Gegenstimme zu verstehen. Dagegen spricht neben dem Wortlaut auch der Sinn und Zweck des Gesetzes. Dem Leitbild des Gesetzgebers von der Einstimmigkeit würde es wohl kaum entsprechen, wenn im Extremfall ein Gläubigerausschussmitglied eine Person als Verwalter vorschlagen und sich alle anderen enthalten würden. Abgesehen davon, dass es bereits an der nach § 72 zur Wirksamkeit des Beschlusses erforderlichen Mehrheit fehlen würde, würde mit der Stimmenthaltung dokumentiert, dass es den meisten Gläubigerausschussmitgliedern gleichgültig wäre, ob der Vorgeschlagene als Verwalter bestellt wird oder eine andere Person. Die Regelung in § 56a Abs. 3 InsO wurde geschaffen, um den Gläubigern die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Auswahl des Insolvenzverwalters zu geben. Bekanntermaßen war und ist das interessenneutrale Insolvenzgericht auch für die Auswahl des Insolvenzverwalters nach freiem Ermessen zuständig. Eine Bindung des Insolvenzgerichts an einen von der Mehrheit der Gläubigerausschussmitglieder gemachten Vorschlag hinsichtlich der Person des Insolvenzverwalters ergibt sich nicht. Bekanntermaßen sind die Interessen der Gläubiger im Insolvenzverfahren verschieden und oft gegenläufig, wie schon der Umstand zeigt, dass schon nach dem Gesetz verschiedene Gläubigergruppen im Gläubigerausschuss vorhanden sein sollen (§ 67 Abs. 2 InsO). Eine gesetzliche Bindungswirkung ergibt sich daher nur bei Einstimmigkeit, d. h., wenn alle Gläubigergruppen, vertreten durch die Mitglieder des Gläubigerausschusse denselben Verwalter haben wollen, da dann die Interessen hinsichtlich der Person des Verwalters gleichläufig sind. Insoweit ist den einzelnen Gläubigerausschussmitgliedern zuzumuten, eine eindeutige Entscheidung zu treffen. Eine Stimmenthaltung ist daher für eine „einstimmige“ Entscheidung nicht ausreichend. Hätte der Gesetzgeber anderes gewollt, hätte er die Einstimmigkeit wegen des in § 72 InsO verankerten Mehrheitsprinzips nicht gesondert regeln müssen.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

schusses zur Person des Verwalters nur abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist, wobei das Gericht bei der Auswahl des Verwalters die vom vorläufigen Gläubigerausschuss beschlossenen Anforderungen an die Person des Verwalters zugrunde zu legen hat. Eine weitere Stärkung der Gläubigerrechte ergibt sich auch daraus, dass nach § 56a Abs. 3 90 InsO bei einer nach § 56a Abs. 1 InsO unterbliebenen Anhörung der vorläufige Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum Insolvenzverwalter wählen kann. 1.2.4.2

Bestellung vorläufiger Insolvenzverwalter

Das Insolvenzgericht hat auch bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters 91 bei Vorhandensein eines vorläufigen Gläubigerausschusses entsprechend §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22a Abs. 1 und 2 i. V. m. § 56a InsO den vorläufigen Gläubigerausschuss zur Person des zu bestellenden vorläufigen Insolvenzverwalters und zum Anforderungsprofil anzuhören. Ist noch kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, ist seine Einrichtung gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a Abs. 1 und 2 InsO aber in Betracht zu ziehen, so ist er – soweit seine ordnungsgemäße Einrichtung ohne Nachteile für das Verfahren wegen des solange fehlenden vorläufigen Insolvenzverwalters möglich ist – nach seiner wirksamen, dem Gesetz entsprechenden Konstituierung zum Anforderungsprofil und der Person des zu bestellenden vorläufigen Insolvenzverwalters mit kurzer, aber ausreichender Frist zu hören. Die Anhörung lediglich einzelner, angeblich „besonders wichtiger Gläubiger durch das Gericht“ birgt die Gefahr von Befangenheitsanträgen und der Haftung.44) 1.2.4.3

Eigenverwaltung

Bestellung vorläufiger und endgültiger Sachwalter: Gemäß §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 92 Abs. 1 InsO ist der vorläufige Gläubigerausschuss im Eigenverwaltungsverfahren auch bei der Bestellung eines vorläufigen oder endgültigen Gläubigerausschusses wie bei der Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zu beteiligen. Vor der Entscheidung über den vom Schuldner gestellten Antrag zur Eigenverwaltung 93 ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben, wenn dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Wird der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so gilt die Anordnung als nicht nachteilig für die Gläubiger (§ 270 Abs. 3 InsO). Mit dieser durch das ESUG eingeführten Vorschrift ergibt sich eine wesentlich stärkere 94 Beteiligung der Gläubiger an der Entscheidung über die Eigenverwaltung. Dies geht nach dem gesetzlichen Wortlaut sogar soweit, dass das Gericht bei einem einstimmigen, die beantragte Eigenverwaltung unterstützenden Beschluss die Nachteilsfreiheit durch die Anordnung der Eigenverwaltung fingiert wird und das Gericht insoweit jeglicher Nachteilsprüfung enthebt.45) Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO: Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei 95 drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt und die Eigenverwaltung beantragt und ist die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos, so bestimmt das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans, die drei Monate nicht überschreiten darf, wenn der Schuldner mit dem Antrag eine mit ___________ 44) I. E. wohl ebenso Frind in: HambKomm-InsR, § 56a InsO Rz. 12. 45) Fiebig in: HambKomm-InsR, § 270 InsO Rz. 29b.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzverfahren erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorlegt aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. 96 Nach § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO hebt das Insolvenzgericht die Anordnung auf, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt. Während z. B. die Aufhebung beantragende, absonderungsberechtigte Gläubiger oder Insolvenzgläubiger glaubhaft machen müssen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen (§ 270b Abs. 4 Nr. 3 InsO) sind an einen Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses keinerlei weitere Voraussetzungen geknüpft. Wird der Antrag gestellt, ist die Anordnung aufzuheben. Der vorläufige Gläubigerausschuss hat es also in der Hand, ob das Schutzschirmverfahren weitergeht oder der Schuldner in das normale Insolvenzverfahren übergeht. 97 Ist im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so besteht theoretisch ein Konflikt zwischen einem einstimmigen, d. h. für das Insolvenzgericht bindenden, Votums des vorläufigen Gläubigerausschusses für einen bestimmten vorläufigen Sachwalter und einem für das Insolvenzgericht ebenfalls bindenden Vorschlag des Schuldners für einen nicht offensichtlich ungeeigneten, anderen vorläufigen Sachwalter. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Vorschlag des Schuldners Vorrang. Die Vorschrift ist insoweit als vorrangige Spezialregelung anzusehen, zumal der Schuldner für die frühzeitige Antragstellung nach dem Willen des Gesetzgebers ersichtlich mit der Einsetzung einer von ihm als vertrauenswürdig eingeschätzten Person als vorläufiger Sachwalter belohnt werden soll und § 56a InsO ohnehin nur entsprechend, d. h. soweit nicht andere Zwecke entgegenstehen, angewandt werden kann. 98 Wird vom Gericht ein Gläubigerausschuss nach § 69 InsO eingesetzt, so haben dessen Mitglieder den Insolvenzverwalter bei der Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen, sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Auch obliegt ihnen (nach dem Insolvenzgericht) die Prüfung der Schlussrechnung. Die Gläubigerausschussmitglieder sind berechtigt, die Handlungen des Insolvenzverwalters auf ihre Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen: x

Fehlende Rechtmäßigkeit liegt vor bei Verstoß des Insolvenzverwalters gegen insolvenzrechtliche Schutzbestimmungen.

x

Fehlende Zweckmäßigkeit betrifft dagegen die wirtschaftliche Seite. Fehlende Zweckmäßigkeit liegt z. B. vor, wenn der Insolvenzverwalter Material für die Betriebsfortführung zu teuer eingekauft hat oder sinnlose Bestellungen aufgegeben hat.

99 Fehlende Recht- oder Zweckmäßigkeit kann Schadensersatzansprüche der Gläubigergemeinschaft begründen, nicht aber die Befugnis zu Aufsichtsmaßnahmen der Gläubigerorgane begründen. Für Aufsichtsmaßnahmen ist – wie noch aufzuzeigen sein wird – allein das Insolvenzgericht zuständig. 100 Die Mitglieder aller vorläufigen Gläubigerausschüsse haben über die Verweisungsvorschrift des § 21 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 ebenfalls den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. den vorläufigen Sachwalter bei der Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen, sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten, sowie Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass dies alles im Eröffnungsverfahren erfolgt und nicht im eröffneten Verfahren, so dass ein etwas verändertes Tätigkeitsfeld vorliegt.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Grundsätzlich obliegt ihnen auch – nach dem Insolvenzgericht – die Prüfung der Schluss- 101 rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Das Problem dabei ist aber, dass diese erst mit Eröffnung erstellt werden kann, das Amt der vorläufigen Gläubigerausschussmitglieder aber mit Verfahrenseröffnung endet. 1.2.5 Haftung und Entlassung Verletzen sie schuldhaft ihre (insolvenzrechtlichen) Pflichten, haften die Mitglieder des 102 (vorläufigen) Gläubigerausschusses den Insolvenzgläubigern und den Absonderungsberechtigten gemäß § 71 InsO. Darüber hinaus kann ein Mitglied des (vorläufigen) Gläubigerausschusses auch von Amts 103 wegen oder auf Antrag der Gläubigerversammlung oder eigenen Antrag entlassen werden. Bei den amtswegigen oder auf Antrag der Gläubigerversammlung vorzunehmenden Entlassungen wegen Pflichtenverstoßes, muss die Pflichtverletzung von erheblicher Dauer oder Schwere gewesen sein. Insoweit handelt es sich bei der Entlassung auch um eine Maßnahme der Aufsicht. Darüber hinaus können aber auch Gläubigerausschussmitglieder aus anderen Gründen 104 z. B. auf eigenen Antrag wegen schwerer Krankheit entlassen werden. 2.

Die Aufsicht des Insolvenzgerichts

2.1

Die gerichtliche Aufsicht im Insolvenzverfahren allgemein

Die Ausübung der Aufsicht über das Insolvenzverfahren ist aber vor allem Aufgabe des 105 Insolvenzgerichts. Das Insolvenzgericht hat darauf zu achten, dass das Insolvenzverfahren prozessordnungsgemäß durchgeführt wird, d. h. die Verfahrensrechte der Beteiligten beachtet und die Vorschriften der InsO angewandt werden. Dies scheint sich zumindest mittelbar bereits aus der allgemeinen Vorschrift des § 5 Abs. 1 InsO zu ergeben, wonach „das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln hat, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind“. Diese gesetzliche Formulierung legt es nahe, von einer allumfassenden Kontrollzuständigkeit des Insolvenzgerichts auszugehen. Dem ist aber nicht so. Im Insolvenzverfahren herrscht grundsätzlich Amtsbetrieb, d. h. dem Insolvenzgericht 106 obliegt es, das durch einen zulässigen Insolvenzantrag in Gang gesetzte Insolvenzverfahren von Amts wegen zu betreiben und fortzuführen.46) Kein Amtsbetrieb herrscht aber dort, wo

107

x

das Insolvenzgericht nur auf Antrag tätig wird (§§ 13 Abs. 1, 78 Abs. 1, 173 Abs. 2, 212, 213, 270 Abs. 2 Nr. 1 a. F., 272, 277, 287, 290, 296 – 298, 300 Abs. 2, 303, 305 Abs. 1 Nr. 2, 306 Abs. 3, 309 Abs. 1 Satz 1, 314 InsO) und der Antrag noch aussteht;

x

ferner, soweit die eigenverantwortlichen Befugnisse des Insolvenzverwalters (§§ 148 ff., 209 InsO) oder

x

die Gläubigerselbstverwaltung reichen.47)

Wenn also § 5 Abs. 1 InsO bestimmt, dass das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Um- 108 stände zu ermitteln habe, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind, wird damit lediglich klargestellt, dass im Insolvenzverfahren die Amtsermittlungsmaxime (Gegensatz: Beibringungsgrundsatz nach der ZPO) gilt. Die Amtsermittlungsmaxime kann aber nur dort gelten, wo Amtsbetrieb herrscht. Mithin: Wo kein Amtsbetrieb herrscht, hat das Ge___________ 46) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 8. 47) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 10.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

richt auch nicht von Amts wegen zu ermitteln.48) Dort, wo das Gericht erst auf Antrag tätig wird, setzt die Amtsermittlungspflicht auch erst nach zulässigem Antrag ein. Daraus ergibt sich folgendes Bild: x

Dort, wo das Gesetz den Amtsbetrieb vorgesehen hat und demzufolge der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, hat das Insolvenzgericht für einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sorgen und darauf zu achten, dass Verfahrensvorschriften und die Rechte der Beteiligten im Verfahren gewahrt werden. Mithin obliegt dem Gericht insoweit dort über § 5 InsO die Aufsicht49) über das Verfahren. Dies wird besonders deutlich im Insolvenzeröffnungsverfahren nach zulässigem Insolvenzantrag. Da im Insolvenzeröffnungsverfahren nach zulässigem Insolvenzantrag der Amtsermittlungsgrundsatz uneingeschränkt50) gilt, hat ab diesem Zeitpunkt das Gericht von Amts wegen zur Erhaltung der künftigen Insolvenzmasse Sicherungsmaßnahmen zu treffen, z. B. ein Vollstreckungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO anzuordnen oder einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen etc.,51) den Schuldner bei Verweigerung der erforderlichen Auskünfte gerichtlich zu laden bzw. bei unentschuldigten Fernbleiben sich vorführen zu lassen und bei weiterer Weigerung ggf. gegen ihn Erzwingungshaft anzuordnen.

x

Dort, wo ein Antrag für das Tätigwerden des Gerichts erforderlich ist, setzt die Amtsermittlungspflicht erst nach zulässigem Antrag ein. Erfüllt also z. B. der Insolvenzeigenantrag des Schuldners nicht die Anforderungen nach § 13 InsO n. F., weil z. B. in den Unterlagen kein Gläubiger- und Forderungsverzeichnis mit Vollständigkeitserklärung vorhanden ist, setzt keine Amtsermittlungspflicht und damit keine Aufsicht ein. Erst wenn der Schuldner diese fehlenden Unterlagen auf gerichtlichen Hinweis nachgereicht hat, ist die Amtsermittlung statthaft. Wo aber keine Amtsermittlung stattfindet, ist ohne spezialgesetzliche Regelung Aufsicht grundsätzlich nicht zulässig.

x

Dort, wo Spezialvorschriften entgegenstehen, gilt die Amtsermittlungsmaxime ebenfalls nicht. Das Insolvenzgericht ist deshalb z. B. grundsätzlich nicht befugt, seine Ermittlungen allgemein auf die Verfahrensabwicklung durch den Insolvenzverwalter zu erstrecken. Denn die Aufsicht des Insolvenzgerichts (über den Insolvenzverwalter) ist – wie nachstehend ausgeführt wird – in § 58 InsO gesondert und spezialgesetzlich geregelt. So ist es weder Aufgabe des Insolvenzgerichts, die Insolvenzmasse zu ermitteln, noch den Bestand einer angemeldeten Forderung zu prüfen. Erst wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten des Verwalters vorliegen,52) die durch nach § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO angeforderte Auskünfte und Berichte nicht ausgeräumt werden, kann das Insolvenzgericht zu Amtsermittlungen nicht nur berechtigt, sondern u. U. sogar verpflichtet sein,53) da sich anders eine wirksame Aufsicht nicht durchführen lässt.54)

109 Bereits an dieser Stelle ist die Frage naheliegend, ob die Einführung der vorläufigen Gläubigerausschüsse nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a und 22 Abs. 1 und 2 InsO durch das ESUG ___________ 48) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 12a. der noch zwischen Amtsprüfung und Amtsermittlung unterscheidet. 49) S. a. Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Stand: 2/2007, § 5 Rz. 46, wonach das Insolvenzverfahren erheblich stärker als der Zivilprozess durch „Elemente der Aufsicht und der Fürsorge geprägt sei“. 50) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 14. 51) Sicherungsmaßnahmen können nach BGH allerdings auch bereits bei zweifelhaft zulässigem Antrag angeordnet werden. 52) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 15e. 53) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 15e m. w. N. 54) Ganter in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 5 Rz. 15e.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

zu einer weiteren Einschränkung der Amtsermittlungsmaxime und der umfassenden Aufsicht des Insolvenzgerichts im Insolvenzeröffnungsverfahren geführt hat. Bei Vorhandensein eines (endgültigen) Gläubigerausschusses im eröffneten Insolvenzver- 110 fahren wird teilweise vertreten, dass bei Existenz eines derartigen Ausschusses die gerichtliche Aufsicht nach § 58 InsO durch die Aufsicht des Gläubigerausschusses völlig ersetzt werde, da eine doppelte Beaufsichtigung des Insolvenzverwalters durch Insolvenzgericht und Gläubigerausschuss weder erforderlich, noch (zeitlich) angemessen sei. Die h. M. lehnt in diesem Fall zutreffenderweise einen Wegfall der gerichtlichen Aufsichtspflicht ab und zieht bei Vorhandensein eines Gläubigerausschusses lediglich die „Maschen des Netzes der gerichtlichen Aufsicht“ etwas weniger eng. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Vorhandensein eines Gläubigerausschusses die Auf- 111 sichtspflicht des Insolvenzgerichts weder beseitigt noch einschränkt. Will das Gericht eine Amtshaftung nach § 839 BGB vermeiden, hat es der Aufsicht ordnungsgemäß nachzukommen. Dies lässt sich auf den ersten Blick auch für den vorläufigen Gläubigerausschuss im In- 112 solvenzeröffnungsverfahren vertreten. Dabei ist aber noch nicht berücksichtigt – worauf Frind zu Recht hinweist –, dass der vorläufige Gläubigerausschuss schon deshalb mit dem endgültigen, im Berichtstermin von den Gläubigern gewählten endgültigen Gläubigerausschuss nicht ganz vergleichbar ist, weil im Gegensatz zum eröffneten Insolvenzverfahren, in dem die Gläubiger aufgrund ihrer Forderungsanmeldung feststehen, im Eröffnungsverfahren das Gericht regelmäßig allein auf die vom Schuldner mitgebrachten Informationen über Anzahl, Person und Qualität der Gläubiger angewiesen ist. Sind diese Informationen unvollständig, unzutreffend oder in sonstiger Weise fehlerhaft, besteht die Gefahr, dass das Gericht einen die tatsächliche Zusammensetzung der Gläubiger nicht repräsentierenden vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzt. Beispiel Dies wäre z. B. der Fall, wenn wesentliche Gläubiger versehentlich nicht benannt oder Absonderungsrechte im erheblichen Umfang nicht dargetan wurden. Dies wiederum hätte eine nicht ordnungsgemäße Gewichtung der Interessen der Gläubiger zur Folge. Es liegt nahe, dass dann derartige Verfahren „in die falsche Richtung“ gehen. Noch schlimmer wäre es, wenn der Schuldner dies mit Absicht manipuliert hätte. Würde der Schuldner im Extremfall einen zulässigen Insolvenzeigenantrag mit beabsichtigter Eigenverwaltung und Benennung sämtlicher Mitglieder eines einzurichtenden vorläufigen Gläubigerausschusses stellen, die alle objektiv als Gläubigerausschussmitglied untauglich wären und die sich auf Vorschlag des Schuldners auf einen willfährigen vorläufigen Sachwalter geeinigt hätten, so lässt sich lebhaft vorstellen, wie es in diesem Verfahren um die Gläubigerbefriedigung bestellt wäre. Nun ist nicht jeder Schuldner kriminell oder führt Böses im Schilde, doch muss es in sol- 113 chen Konstellationen dem Insolvenzgericht erlaubt sein, vollumfänglich Aufsicht und Kontrolle auszuüben. Das Weglassen jeglicher Aufsicht und Kontrolle bei der Bestellung von benannten Gläubigerausschussmitgliedern und benannten, unbekannten Sachwaltern und Insolvenzverwaltern würde jedoch zum Gegenteil des vom Gesetzgeber gewünschten Ergebnisses führen. Geeignetheit und Unabhängigkeit sind bei jedem Mitglied eines vorläufigen Gläubigerausschussmitglieds ebenso unabdingbare Bestellungsvoraussetzung wie Geeignetheit und Unabhängigkeit bei der Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters oder (vorläufigen) Sachwalters. Erfüllt eine vorgeschlagene Person nicht diese Voraussetzungen, so ist regelmäßig Gelegenheit zur Nachbenennung gegeben. Dies ist bereits Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes, dass der Staat, wenn er fremdes 114 Vermögen durch eine von ihm bestellte Person verwalten lässt, diese auch zu überwachen

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

hat.55) Als primäres Aufsichtsorgan56) hat das Insolvenzgericht die gesetzmäßige Verfahrensabwicklung im öffentlichen Interesse sicherzustellen,57) d. h. neben der Sicherstellung des ordnungsgemäßen Verfahrens und den Interessen der Gläubiger sowie des Schuldners hat das Insolvenzgericht auch darüber hinaus das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäß verlaufenden Verfahren zu wahren.58) Dies ergibt sich bereits allgemein aus dem in § 5 Abs. 1 InsO normierten Amtsermittlungsgrundsatz, wonach das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln hat, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. 115 Insolvenzgerichtliche Aufsicht besteht auch generell in allen Arten des Insolvenzverfahrens, d. h. im Regelinsolvenzverfahren einschließlich Insolvenzplanverfahren und Eigenverwaltung ebenso wie in den – im vorliegenden Beitrag nicht behandelten – besonderen Insolvenzverfahren nach § 11 Abs. 2 InsO und Verfahren nach der EuInsVO in hiesiger Zuständigkeit.59) Sie besteht auch unabhängig davon, ob es sich um ein Liquidationsverfahren oder um ein Sanierungsverfahren handelt, ob ein vorhandener Geschäftsbetrieb fortgeführt wird oder nicht. Es ändern sich – wie aufzuzeigen sein wird – lediglich die Anforderungen. Dass im konkreten Insolvenzverfahren dann die gerichtliche Aufsicht dann auch sämtliche Verfahrensabschnitte60) umfasst, ist ebenfalls allgemeine Meinung. 116 Die vorstehenden Ausführungen sagen aber nichts darüber aus, wann und wie die gerichtliche Aufsicht auszuüben ist. Gesetzliche Regelungen über die Ausübung der Aufsicht sind in der InsO lediglich punktuell vorhanden. So besagen die Zentralnormen der §§ 58, 59 InsO lediglich, dass der Insolvenzverwalter unter Aufsicht des Insolvenzgerichts steht und das Gericht von ihm jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung verlangen kann, etwaige Pflichtverletzungen mit Zwangsgeld geahndet werden können und im Extremfall das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus seinem Amt entlassen kann. Welche Pflichtverletzungen dies sein können, beantwortet das Gesetz an dieser Stelle im Einzelnen ebenso wenig wie die Frage, welche konkreten Maßnahmen getroffen werden können, welchen Umfang und Grenzen die gerichtliche Aufsicht hat, wann die gerichtliche Aufsicht beginnt und wann sie endet. Lediglich finden sich einzelne Regelungen von Verwalterpflichten quer über die InsO verstreut, auf die nachstehend einzugehen sein wird. Eine komplexe Regelung der gerichtlichen Aufsicht gibt es nicht. Zwar wurde der Versuch einer gesetzlichen Regelung durch Einbringung eines gemeinsamen Gesetzantrages im Bundesrat durch die Länder NordrheinWestfalen und Niedersachsen unternommen, der sich mit der Vereinfachung und Verbesserung der gerichtlichen Aufsicht im Insolvenzverfahren beschäftigte (GAVI).61) Insoweit wird auf die Ausführungen unter Rz. 123 ff. verwiesen.

___________ 55) 56) 57) 58) 59)

Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 58 Rz. 1. Eckert/Berner, ZInsO 2005, 1130. Frind in: HambKomm-InsR, § 58 Rz. 1. Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 58 Rz. 2. Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO, Nachlassinsolvenzverfahren nach §§ 315 ff. InsO und sonstigen Sonderverfahren nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO. 60) Eröffnungsverfahren, eröffnetes Verfahren, Wohlverhaltensphase bei natürlichen Personen und beantragter Restschuldbefreiung. 61) BR-Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung der Aufsicht in Insolvenzverfahren (GAVI), ZVI 2007, 577.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht 2.2

§7

Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter im Verfahren

2.2.1 Gesetzliche Regelung Nach § 58 Abs. 1 InsO steht der Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzge- 117 richts, das nach dieser Vorschrift von ihm jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung verlangen kann. Nach § 58 Abs. 2 InsO kann das Gericht nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen 118 den Verwalter festsetzen, wenn dieser seine Pflichten nicht erfüllt. Das Zwangsgeld darf den Betrag von 25 000 € nicht übersteigen. Gegen den Zwangsgeldbeschluss kann sich der Insolvenzverwalter mit der sofortigen Beschwerde wehren. Die Festsetzung des Zwangsgeldes nach § 58 Abs. 2 InsO ist aufzuheben, wenn der Insolvenzverwalter die nach § 58 Abs. 1 InsO vom Insolvenzgerichtgeforderte Handlung vornimmt, bevor die Entscheidung über die Zwangsgeldfestsetzung rechtskräftig wird. Zweck der Zwangsgeldfestsetzung ist es, pflichtgerechtes Verhalten des Insolvenzverwalters zu erzwingen, nicht aber eine begangene Pflichtverletzung zu sanktionieren.62) Die Festsetzung von Ersatzzwangshaft63) und Zwangshaft gegen den Insolvenzverwalter ist unzulässig. Nach § 59 Abs. 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter aus wichtigem 119 Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung erfolgen. Gegen die Entlassung kann sich der Verwalter mit der sofortigen Beschwerde wehren (§ 59 Abs. 2 Satz 1 InsO). Wird der Antrag auf Entlassung abgelehnt, steht dagegen dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss oder der antragstellenden Gläubigerversammlung die sofortige Beschwerde zu. Verweigert der entlassene Verwalter die Herausgabe von Gegenständen, kann er hierzu mit Zwangsgeld in entsprechender Anwendung des § 58 Abs. 2 gemäß § 58 Abs. 3 InsO angehalten werden. Die Anordnung von Zwangshaft ist nicht zulässig. Diese gesetzliche Regelung ist Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes, dass der Staat, wenn 120 er fremdes Vermögen durch eine von ihm bestellte Person verwalten lässt, diese auch zu überwachen hat.64) 2.2.2 Anwendungsbereich Die Vorschrift des § 58 InsO gilt im hier zu behandelnden Regelinsolvenzverfahren65) nach 121 ihrem Wortlaut nur für den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren, ist aber über § 21 Abs. 1 Nr. 1 InsO aber auch auf den vorläufigen Insolvenzverwalter in all seinen Erscheinungsformen, über §§ 274 Abs. 1, 270a Abs. 1 Satz 2 InsO auf den vorläufigen und den endgültigen Sachwalter in Verfahren der Eigenverwaltung §§ 270 ff. InsO sowie nach § 292 InsO auf den in der Wohlverhaltensphase in der Insolvenz natürlicher Personen tätigen (in vorliegender Abhandlung nicht behandelten) Treuhänder entsprechend anwendbar. 2.2.3 Zweck der Aufsicht über den Insolvenzverwalter Soweit der Insolvenzverwalter seine Pflichten nicht erfüllt, kann das Insolvenzgericht nach 122 § 58 Abs. 2 Satz 1 InsO nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen ihn festsetzen. Wenn aber die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld als Beugemittel demnach als gesetzlich zugelassenes Mittel der Aufsicht offensichtlich den Zweck hat, den pflichten___________ 62) BGH, Beschl. v. 4.7.2013 – IX ZB 44/11; ZInsO 2013, 1635, 1636. 63) BGH, Beschl. v. 17.12.2009 – IX ZB 175/08, NZI 2010 = ZIP 2010, 190, 146: s. a. Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 58 Rz. 56. 64) Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 58 Rz. 1. 65) Im vereinfachten Insolvenzverfahren (Verbraucherinsolvenzverfahren) gilt sie auch für den Treuhänder nach § 313 Abs. 1 Satz 3 InsO.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

säumigen Verwalter zur Einhaltung seiner Pflichten anzuhalten, bedeutet dies umgekehrt, dass Inhalt der insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter die Einhaltung der Pflichten des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren ist. Diese Pflichten müssen insolvenzspezifisch66) sein, d. h. sich auf das Insolvenzverfahren beziehen und zum Schutz des Schuldners, der Gläubiger, der Massegläubiger und Aus- und Absonderungsberechtigten oder sonstiger verfahrensbeteiligter Dritter bestehen. 2.2.3.1

Insolvenzspezifische Pflichten des Insolvenzverwalters

123 Derartige Pflichten können nach Graeber67) und Rechel68) eingeteilt werden in: 124 Pflichten des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner: x

Pflicht zur sorgfältigen und bestmöglichen Masseverwertung,69) keine übereilten Unternehmensveräußerungen oder Veräußerungen unter Wert;

x

Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Buchführungspflichten und/oder Rechnungslegung (§ 155 InsO), soweit möglich und zumutbar;

x

Gewährung von Unterhalt an den Schuldner und seiner Familie bei Vorliegen der Voraussetzungen (§ 100 InsO);

x

Beachtung von Abführungspflichten.

125 Pflichten des Insolvenzverwalters, die sich auf das Verfahren beziehen: x

Pflicht zur Inbesitznahme und unverzüglichen Verwertung der Insolvenzmasse (§§ 148, 159 InsO) nach dem Berichtstermin unter Beachtung der Zustimmungserfordernisse nach §§ 160 ff. InsO;

x

Siegelung der Insolvenzmasse und Bestimmung der Hinterlegungsstelle nach Maßgabe der §§ 149 ff. InsO;

x

Erstellung von Masseverzeichnis, Gläubigerverzeichnis und Vermögensübersicht (§§ 151 – 154 InsO);

x

Führung der Insolvenztabelle (§§ 174 ff. InsO);

x

Mitwirkung bei der Feststellung der Schuldenmasse (§§ 174 ff. InsO);

x

Forderungsprüfung (§§ 176 f. InsO);

x

Berichts- und Rechnungslegungspflicht gegenüber Organen der Gläubigerschaft (§§ 69, 79 InsO) beginnend mit dem Berichtstermin bis zur Schlussrechnung (§§ 66, 156 Abs. 1, 197 InsO);

x

Einholung der Zustimmung eines bestellten Gläubigerausschusses und Unterrichtung des Schuldners von einer beabsichtigten Stilllegung des Schuldnerunternehmens (§ 158 InsO);

x

u. U. Aufstellung eines Insolvenzplans (§§ 157 Satz 2, 218 Abs. 2, 232 InsO);

x

Aufnahme von Aktiv- und Passivprozessen zu Gunsten der Masse (§§ 85, 86 InsO);

x

Ausübung des Wahlrechts bei gegenseitigen Verträgen (§§ 103 ff. InsO);

x

Verfolgung von Anfechtungsrechten (§§ 129 ff. InsO);

x

Kündigung von Verträgen (§§ 109, 113, 120 InsO);

___________ 66) So auch Graf-Schlicker-Castrup, InsO, § 58 Rz. 9, der sie als insolvenztypische Pflichten und Tätigkeiten bezeichnet. 67) Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 58 Rz. 32 ff. 68) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 20 ff. 69) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 60 Rz. 4.

118

Gerster

Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

x

Verteilung der Verwertungserlöse an die Gläubiger (§§ 187 ff. InsO);

x

Durchführung von Zustellungen für das Insolvenzgericht (§ 8 InsO);

x

u. U. die Überwachung der Planerfüllung nach Aufstellung eines Insolvenzplans (§§ 261, 262 InsO);

x

grundsätzliche Fortführungspflicht des Insolvenzverwalters bis zum Berichtstermin (arg. e. §§ 148, 158 InsO);

x

Vornahme von Abschlagverteilungen (§ 187 InsO) und der Verteilung (§ 196 InsO)

x

Hinterlegung der i. R. der Verteilung gemäß §§ 189 Abs. 2, 190 Abs. 2 Satz 2, 191 Abs. 1 Satz 2 InsO InsO zurückbehaltener Beträge;

x

Auskehrung des nach Durchführung der Schlussverteilung verbleibenden Übererlöses an den Insolvenzschuldner nach Maßgabe des § 199 InsO.

Pflichten des Insolvenzverwalters gegenüber dem Insolvenzgericht:

126

x

Pflicht zur Abgabe eines Berichts oder eines Gutachtens nach Aufforderung (§§ 58, 21 InsO);

x

Beantwortung einer insolvenzgerichtlichen Anfrage;

x

Niederlegung des zu erstellenden Inventars oder einer zu erstellenden Bilanz auf der Geschäftsstelle;

x

Vorlage der vom Insolvenzverwalter geführten Tabelle;

x

Buchführungspflichten und Rechnungslegungspflichten;

x

Legung der Schlussrechnung nach Abschluss der Verwertung (auch bei Insolvenzplan); auch vorläufiger Insolvenzverwalter ist nach Beendigung seiner Tätigkeit zur Schlussrechnungslegung verpflichtet;

x

Anzeige des Eintritts der (voraussichtlichen) Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht nach § 208 Abs. 1 InsO.

Pflichten gegenüber den Gläubigern: x

x

x

127

gegenüber Insolvenzgläubigern: x

bestmögliche Gläubigerbefriedigung (nur mittelbar wegen § 60 InsO);

x

Nichtanzeige einer Verhinderung an der Amtsführung;

gegenüber Massegläubigern: x

Vorwegerfüllung der Masseverbindlichkeiten nach § 53 InsO;

x

Einhaltung der Reihenfolge des § 209 InsO;

gegenüber Aus- und Absonderungsberechtigten: x

keine Verletzung von deren Rechten, keine Verzögerungen bei der Herausgabe;70)

x

Verwertung mit Absonderungsrechten belasteter Massengegenstände unter Beachtung der Vorschriften der §§ 166, 167 ff. InsO (insbesondere: Anzeige der Veräußerungsabsicht nach § 167 InsO und Erlösauskehr nach § 170, 171 InsO).

Setzt das Insolvenzgericht dem Insolvenzverwalter zur Vorlage dieser Unterlagen eine 128 Frist, so kann sich ein Pflichtenverstoß bereits daraus ergeben, dass der Insolvenzverwalter diese nicht innerhalb der gesetzten Frist vorlegt (z. B. bei Gutachten, Tabelle, Verzeichnis oder Schlussrechnung). ___________ 70) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 60 Rz. 13.

Gerster

119

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2.2.3.2

Sonstige, nicht insolvenzspezifische Pflichten

129 Eine Pflichtwidrigkeit kann aber auch sonstiges, pflichtwidriges oder verfahrensschädigendes Handeln/Unterlassen des Insolvenzverwalters sein.71) Das Insolvenzgericht hat auf pflichtgemäßes Verhalten hinzuwirken und den Insolvenzverwalter zur Vornahme der ihm obliegenden Handlungen (z. B. Auszahlungen oder Ausführung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung) anzuhalten. 130 Informationspflichten obliegen dem Verwalter außerhalb der Gläubigerversammlungen und den gesetzlich geregelten Fällen (z. B. §§ 167, 168 InsO) nur gegenüber dem Gericht, nicht aber gegenüber den einzelnen Beteiligten. Deshalb kann das Gericht den Verwalter nur dann zur Auskunftserteilung an einen Beteiligten anhalten, wenn einer der gesetzlichen Auskunftsfälle vorliegt.72) Beispiel So kann der Insolvenzverwalter nicht durch das Insolvenzgericht angewiesen werden, einem einzelnen Gläubiger Auskunft zu erteilen. Eine Anweisung über den Weg der Aufsicht ist nicht möglich. Die Entscheidung, ob einem Gläubiger eine Auskunft erteilt wird oder nicht, trifft der Insolvenzverwalter und nicht das Insolvenzgericht. Dies ergibt sich bereits aus der allgemeinen Aufgabenverteilung zwischen Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter. 131 Pflichten, die den Insolvenzverwalter nicht in seiner Funktion als Insolvenzverwalter, sondern wie jeden Vertreter fremder Interessen gegenüber Dritten obliegen (z. B. als Vertragspartner), fallen nicht unter die Pflichten i. S. des § 58 Abs. 2 InsO. Sie können daher auch nicht unter Berufung auf diese Vorschrift eingefordert oder mit Zwangsmitteln nach § 58 Abs. 2 InsO durchgesetzt werden.73) 132 Nach allgemeiner Meinung ist die Bestimmung der Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters von herausragender Bedeutung für das Verfahren; Jaeger74) hat sie zur „Schicksalsfrage des Konkurses“ erklärt. Die hierzu ergangenen Vorgaben des BVerfG und die durch das ESUG vorgenommenen Änderungen lassen vermuten, dass die Aufsicht bereits hier einsetzt. Auf die Ausführungen unter Rz. 190 ff. wird verwiesen. 2.2.4 Zweck der Aufsicht über den vorläufigen Insolvenzverwalter und (vorläufigen/ endgültigen) Sachwalter 133 Ebenso wie beim Insolvenzverwalter ist Zweck der Aufsicht über den vorläufigen Insolvenzverwalter und vorläufigen Sachwalter bzw. endgültigen Sachwalter bei der Eigenverwaltung die Einhaltung der insolvenzspezifischen Pflichten des jeweiligen Funktionsträgers. 2.2.4.1

Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO

134 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis hat nach § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO die Pflicht x

das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten,

x

ein Unternehmen, dass der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden,

___________ 71) 72) 73) 74)

120

Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 58 Rz. 35. Eickmann in: HK-InsO, § 58 Rz. 5. Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 58 Rz. 37. Jaeger, KO, 6. Aufl., § 78 Rz. 7.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht x

§7

zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen.

Über diese Generalpflichten hinaus ist der vorläufige Insolvenzverwalter auch unter dem 135 Aspekt der bestmöglichen späteren Masseverwertung verpflichtet, das Insolvenzgericht zu informieren, wenn weitergehende Sicherungsmaßnahmen anstehen, um ein ordnungsgemäßes Verfahren zu gewährleisten. Gemeint ist hiermit insbesondere die Regelungen des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, wonach das Insolvenzgericht bestimmten Voraussetzungen einzelnen Absonderungsberechtigten und Aussonderungsberechtigten die Verwertung oder Einziehung ihrer Gegenstände verbieten kann und diese die weitere Nutzung im Unternehmen gegen Ausgleichung des Wertverlustes und späterer marginaler Zahlung hinnehmen müssen. Bei einem fortzuführenden Unternehmen ist der vorläufige Insolvenzverwalter auch dringend gehalten, die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zur Schaffung von Liquidität einzuleiten. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis tritt auch voll in die steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners ein. Allerdings ist auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis die Ver- 136 wertung von Vermögen des Schuldners im Eröffnungsverfahren untersagt. Diese ist vielmehr dem eröffneten Verfahren vorbehalten. Nur ausnahmsweise und bei drohendem Verderb von Ware wird ein Verwertungsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters angenommen.75) Soweit sich der vorläufige Insolvenzverwalter bezüglich der Zulässigkeit der Verwertung unsicher ist, bietet es sich an, die Wirksamkeit des Kaufvertrages bzw. der Übereignung von der Zustimmung der Gläubigerversammlung abhängig zu machen. Bezüglich des Verwertungsverbots im Eröffnungsverfahren ist auf einen weiteren, äußerst wichtigen Umstand hinzuweisen. Der vorläufige Insolvenzverwalter darf zwar zur Sicherheit an einem Gläubiger abgetretene Forderungen des Schuldners gegen einen Drittschuldner einziehen. Er darf die eingezogenen Forderungen aber nicht zur Fortführung des Unternehmens verwenden, ohne dass die Zustimmung des Abtretungsgläubigers hierzu vorliegt76) oder er einen entsprechenden Beschluss nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO beim Insolvenzgericht erwirkt hat. Zu beachten ist auch, dass vom vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis 137 nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründete Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten und der vorläufige Insolvenzverwalter i. S. einer bestmöglichen späteren Verwertung darauf zu achten hat, dass die Insolvenzmasse nicht mit sinnlosen Masseverbindlichkeiten ausgehöhlt wird. Die Einhaltung all dieser Pflichten hat das Insolvenzgericht zu kontrollieren. 2.2.4.2

138

Der („schwache“) vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt

Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines 139 Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt das Gericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO) Diese dürfen aber nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht über die in Abs. 1 Satz 2 normierten Generalpflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis hinausgehen. Üblicherweise wird der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt damit 140 betraut, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, und ein Gutachten ___________ 75) Uhlenbruck in: Kölner Schrift, Rz. 30. 76) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739.

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121

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

darüber zu erstellen, ob ein Insolvenzgrund vorliegt, das schuldnerische Unternehmen fortführungswürdig und fähig ist. 141 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis soll ggf. den Schuldner bei der Fortführung seines Unternehmens unterstützen und seine Zustimmung zu sinnvollen Rechtsgeschäften i. R. der Betriebsfortführung erteilen. Zur eigenständigen Betriebsfortführung ist der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis aber nicht berechtigt! 142 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis kann grundsätzlich keine vertraglichen Masseverbindlichkeiten begründen. Will er dies dennoch, so hat er vor (!) Vornahme des Rechtsgeschäft und unter Darlegung des konkreten Sachverhalts eine sog. „Einzelermächtigung“77) beim Insolvenzgericht zu beantragen. Beispiel Dies gilt insbesondere dann, wenn das schuldnerische Unternehmen dringend zur Verarbeitung eines Produkts erforderliche Rohstoffe zwar nicht derzeit, wohl aber nach Verarbeitung im eröffneten Verfahren bezahlen kann. Würde die Ware beim Lieferanten bestellt, aber erst nach Inrechnungstellung im eröffneten Verfahren ohne Einzelermächtigung bezahlt, läge eine rechtswidrige Zahlung auf eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) vor, (es sei denn, die Zahlung erfolgte zur Ablösung noch bestehender Eigentumsvorbehaltsrechte)! 143 Ein derartiges Verhalten würde einen schweren Verstoß gegen die Insolvenzverwalterpflichten darstellen und könnte zumindest im Wiederholungsfalle ein Delisting und ein Strafverfahren wegen Untreue nach § 266 StGB nach sich ziehen. 144 In diesem Zusammenhang ist noch § 55 Abs. 4 InsO zu erwähnen. Danach gelten Verbindlichkeiten des Schuldners aus dem Steuerverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung als Masseverbindlichkeiten! Ersichtlich wird mit dieser Regelung aus fiskalischen Interessen die Liquidität und Ertragsfähigkeit und damit die Sanierungsfähigkeit des sich noch im Eröffnungsverfahren befindlichen schuldnerischen Unternehmens eingeschränkt. 145 Für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ist diese gesetzliche Neuregelung (abgesehen von der Interpretation der Norm durch den BFH) kein Neuland, da er schon immer über § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründete. 146 Für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis ist diese mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 mit Wirkung zum 1.1.2011 eingeführte Regelung dagegen ein Novum, da er bislang grundsätzlich (mit Ausnahme der Einzelermächtigung) keine Masseverbindlichkeiten begründen konnte. Da zudem der BFH78) insoweit über § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer auch noch die Verrechenbarkeit mit angefallener Vorsteuer stark eingeschränkt hat, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter auch dieses procedere, das in den BMF-Schreiben vom 17.1.2012 und 9.4.201379) beschrieben wird, kennen. Insoweit ist das Insolvenzgericht auch gehalten, Stichproben in Verwalterkanzleien durchzuführen, ob diese Norm beachtet wird. 147 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis darf das Unternehmen des Schuldners zwar nicht selbst fortführen, aber er hat den Schuldner bei der Fortführung seines laufenden Unternehmens zu unterstützen. „Nobile officium“ d. h. fürnehmste Pflicht ist in den Fortführungsfällen, dass er die Insolvenzgeldvorfinanzierung einleitet. ___________ 77) BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1629. 78) BFH-Entscheidungen s. Rz. 19. 79) BMF-Schreiben zu § 55 Abs. 4 InsO v. 17.1.2012 und 9.4.2013.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Gegebenenfalls hat er die Überleitung einzelner Arbeitnehmer in eine BQG vorzubereiten. 148 Hier hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Auswirkungen des § 613a BGB zu beachten. Insoweit hat das Insolvenzgericht die Ordnungsgemäßheit der Durchführung zu überwa- 149 chen. 2.2.4.3

Vorläufiger/endgültiger Sachwalter gemäß §§ 270a, 274 InsO

2.2.4.3.1 Endgültiger Sachwalter Nach § 274 Abs. 1 InsO gelten für den im Verfahren der Eigenverwaltung tätigen Sach- 150 walter bezüglich der Aufsicht des Insolvenzgerichts u. a. §§ 56 – 60 InsO entsprechend. Bei der Aufsicht über den Sachwalter ist zu berücksichtigen, dass das Gericht beim Sach- 151 walter nur zu prüfen hat, ob dieser seine Kontroll- und Mitwirkungspflichten ordnungsgemäß erfüllt, denn das Geschäft führt nicht der Sachwalter, sondern der Schuldner:80) x

Der Sachwalter hat die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung überwachen (§ 274 Abs. 2 InsO).

x

Soweit der Sachwalter Umstände feststellt, sie erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung Nachteile für die Gläubiger führen wird, hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen.

x

Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so hat der Sachwalter an dessen Stelle die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu unterrichten (§ 274 Abs. 3 InsO).

x

Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen; Verbindlichkeiten die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll er nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht (§ 275 Abs. 1 InsO).

x

Der Sachwalter kann vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden (§ 275 Abs. 2 InsO).

x

Auf Antrag der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht an, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur wirksam sind, wenn der Sachwalter ihnen zustimmt (§ 277 Abs. 1 InsO).

x

Der Schuldner soll seine Rechte aus gegenseitigen Verträgen (§§ 103 – 128 InsO) im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben.

x

Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen beim Sachwalter anzumelden.

x

Auch kann er mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans und der anschließenden Planerfüllung nach § 284 InsO der Gläubigerversammlung beauftragt werden

Die Einhaltung dieser Pflichten hat das Gericht zu kontrollieren. 2.2.4.3.2 Vorläufiger Sachwalter Nach § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO wird bei beabsichtigten Verfahren der Eigenverwaltung 152 anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt, auf den die für den endgültigen Sachwalter geltenden Vorschriften der § § 274, 275 InsO anzuwenden sind. Da über § 274 Abs. 1 InsO die Regelungen des § 58 InsO entsprechend anwendbar sind, steht auch der vorläufige Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. ___________ 80) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 3.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

153 Die Ausführungen zum Sachwalter gelten daher hinsichtlich der Pflichten nach §§ 274, 275 für den vorläufigen Sachwalter entsprechend. Dem vorläufigen Sachwalter obliegen diese Überwachungs- Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten, um masseschädigende Handlungen durch den Schuldner in dieser Verfahrensphase zu verhindern.81) Er hat deshalb die wirtschaftliche Lage des Schuldners und dessen Geschäftsführung laufend zu überwachen und darauf zu achten, dass dieser nur die Kosten für eine bescheidene Lebensführung der Insolvenzmasse entnimmt. In der Praxis bietet es sich vor allem an, dass der vorläufige Sachwalter den Zahlungsverkehr des Schuldners nach § 275 InsO überwacht. 154 Im Insolvenzeröffnungsverfahren mit beabsichtigter Eigenverwaltung und bestelltem vorläufigen Sachwalter stellt sich insbesondere in fortgeführten Verfahren häufig das Problem, ob und von wem Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Bekanntlich ist hierzu nicht einmal der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis ohne gerichtliche Zustimmung, außer im Wege der Einzelermächtigung, in der Lage. 155 Im „normalen“ Eigenverwaltungsverfahren gelten – im Gegensatz zum „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO – mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelungen die allgemeinen Regelungen, so dass der Schuldner in diesem Verfahren nach §§ 270a Abs. 1, 270 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 2 Satz 1 InsO wie ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter“ Masseverbindlichkeiten begründen kann.82) Die Gegenmeinung,83) die den vorläufigen Sachwalter zur Beantragung einer Einzelermächtigung als befugt ansieht, überzeugt nicht, da es sich um ein künftiges Eigenverwaltungsverfahren handelt. Allerdings dürfte die Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters über §§ 270a Abs. 1, 275 InsO dadurch gewährleistet sein, dass das Insolvenzgericht ihn bei der Entscheidung über die vom Schuldner beantragten Einzelermächtigung auch anhören kann. 156 Für Irritationen hat in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des BGH vom 7.2.201384) gesorgt: Die Kernaussage des Beschlusses war, dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts im Eröffnungsverfahren nach Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung den Schuldner nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen, nicht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden könne. In der Begründung hatte der BGH ausgeführt, „dass eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls nicht in Betracht komme“. Ein Antrag auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sei in § 270a InsO ebenso wenig wie eine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Ermächtigung vorgesehen. Aufgrund dieser Aussage wurde befürchtet, dass im Eröffnungsverfahren des Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270a InsO überhaupt keine Einzelermächtigung mehr möglich sei. 157 Hier liegt ein offensichtlicher Irrtum vor: Die Einzelermächtigung war noch nie gesetzlich geregelt. Vielmehr handelt es sich um einen Akt der Rechtsprechung.85) Eine weitergehende Aussage zur Zulässigkeit der Einzelermächtigung hat der BGH in dieser Entscheidung nicht getroffen. Insbesondere hat er sie nicht im Insolvenzeröffnungsverfahren bei bestelltem, vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO für unzulässig erklärt. Der BGH hat lediglich über die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs entschieden. Eine weitergehende Aussage wurde mit dieser Entscheidung nicht getroffen, wie der Vorsitzende des für Insolvenzsachen zuständigen IX. Senats im Nachhinein mehrfach betont hat. Es ist daher davon ___________ 81) 82) 83) 84) 85)

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Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 8. Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 15 m. w. N. AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787. BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

auszugehen, dass die Einzelermächtigung auch in den Verfahren nach § 270a InsO möglich ist. Wie auch beim „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter üblich, empfiehlt es sich bei 158 einer vom Schuldner beantragten Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, dass zwingende Erfordernis darzutun, die zu begründenden Masseverbindlichkeiten im Einzelnen zu bezeichnen, und deren Ausgleichung anhand eines detaillierten Liquiditätsplans dem Aufsicht führenden und genehmigenden Gericht plausibel zu machen. Für das wichtige Sanierungsinstrument der Insolvenzgeldvorfinanzierung im Eröffnungs- 159 verfahren gilt: Im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung ist nach § 170 Abs. 4 SGB III grundsätzlich auch während der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit möglich.86) Es ist zu gewährleisten, dass sich der vorläufige Sachwalter mit diesem Sanierungsinstrument auskennt, um den Schuldner(!), der den Antrag stellen muss, dabei zu unterstützen. Die Ermächtigung ist im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO nicht dem vorläufigen Sachwalter, sondern dem Schuldner selbst zu erteilen, welchem doch durch eine vorläufige Eigenverwaltung die privatautonome Verwaltungs- und Verfügungsmacht über sein Vermögen übertragen worden ist.87) Das Erfordernis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in einem Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO ist zur Fortführung eines Geschäftsbetriebs unabweisbar. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsleitung des Schuldners und dessen Sanierungskonzept beeinträchtigt und damit faktisch eine Vorentscheidung gegen die Anordnung der Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren getroffen wird.88) 2.3

Vorbereitung einer Sanierung („Schutzschirmverfahren“)

Bei beantragtem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, als spezieller Variante des Er- 160 öffnungsverfahrens mit beabsichtigter Eigenverwaltung, steht der nach § 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 InsO zu bestellende vorläufige Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts (§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274, 58 InsO. Vorab hat das Insolvenzgericht als Zulässigkeitsvoraussetzung (!) des Antrags nach § 270b 161 InsO zu prüfen, ob die Bescheinigung des Ausstellers nach § 270b Abs. 1 InsO den Anforderungen hinsichtlich der Person des Ausstellers und der Begründung dem Gesetz genügt. Tut sie dies nicht, ist der Antrag unzulässig und zurückzuweisen, solange nicht eine zureichende Nachbesserung binnen einer vom Gericht gesetzten Frist erfolgt.89) Bekanntlich setzt der Amtsermittlungsgrundsatz regelmäßig erst bei Vorliegen eines zulässigen Antrags ein. Nichtsdestotrotz einige Ausführungen zur Bescheinigung: Hinsichtlich der Person des 162 Ausstellers dürfte es mit dem Berufsbild des Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers und Rechtsanwalts bzw. (aus Gründen europäischen Rechts) einer anderen Person mit vergleichbarer Qualifikation regelmäßig wenig Probleme geben. Problematischer ist allerdings, dass die Person in Insolvenzsachen erfahren sein muss. Dieser Begriff erfordert nicht nur gute ___________ 86) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 17 m. w. N. Bundesagentur für Arbeit: InsolvenzgeldAuswirkungen des ESUG u. a. die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld für die Beteiligung der Bundesagentur an Gläubigerausschüssen – HEGA 03/12 – 08 GZ: OS 12-71187/71187, 1/71188 i. F. v. Stand: 5/2013, abzurufen unter http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/HEGA-Internet/A07Geldleistung/Publikation/HEGA-06-2013-Aktualisierung-DA-Insg-und-DA-AtG-Anlage-1.pdf (Abrufdatum: 24.8.2013). 87) LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZInsO 2012, 2347. 88) LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZInsO 2012, 2347. 89) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 11.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

theoretische, sondern auch vertiefte praktische Kenntnisse in der Bearbeitung der zu prüfenden Fragestellungen, also auf dem Gebiet der Überschuldungsbilanzen, Liquiditätspläne und Sanierungskonzepte,90) wobei diese Kenntnisse nachzuweisen sind. Teilweise wird eine mindestens vierjährige Befassung mit Insolvenzsachen verlangt. 163 Hinsichtlich des Inhalts der Bescheinigung besteht Einigkeit, dass ein bestimmter Standard, z. B. IDW S 6 nicht vorgeschrieben worden ist. Allerdings reichen bloße Textbausteine nicht aus. Vielmehr muss die Bescheinigung individuell die finanzielle Situation des Unternehmens beschreiben. Zur Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit sind in der Regel ein Finanzplan (Liquiditätsplan) und eine finanzielle Prognoseplanung vorzulegen, die mindestens die nächsten drei Monate umfasst. Hinsichtlich einer etwaigen Überschuldung ist ebenfalls ein Finanzplan vorzulegen, der sich mit einer positiven Fortführungsprognose für den Zeitraum von mindestens zwölf Monaten auseinandersetzt. Die Bescheinigung sollte auch nachvollziehbar sein, d. h. auch die Ursachen der Krise um die geplanten Sanierungsmaßnahmen beschreiben, damit das Gericht die Aussage nachvollziehen kann. Die Sanierung ist dann offensichtlich aussichtslos, wenn dafür ein schlüssiges Konzept, dass von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, fehlt und dessen Finanzierung nicht erkennbar ist.91) 164 Einen guten Anhaltspunkt stellt der für dieses Verfahren eigens geschaffene Vorschlag für IDW S 992) dar. Dieser ist nach Auffassung von Vallender allerdings um die Bestätigung zu ergänzen, dass der Aussteller die Bescheinigung auf eine monatsgenaue, voll integrierte Planung, die aus Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Cashflow besteht, stützt und er die ihm vom schuldnerischen Unternehmen zur Verfügung gestellten Unterlagen hinterfragt hat. 165 Soweit die Zulässigkeit des Antrags bejaht werden kann, ist nach § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO, neben anderen Maßnahmen wie Vollstreckungsverbot (bei Schuldnerantrag zwingend!) oder Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, z. B. auch zu prüfen, ob ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen ist. Wird die Einrichtung eines vorläufigen Gläubigerausschusses selbst vom Schuldner im Antrag vorgeschlagen und die einzelnen künftigen Gläubigerausschussmitglieder bereits benannt und haben diese sich wiederum bereits vorab einstimmig auf die Person des zu bestellenden vorläufigen Sachwalters geeinigt, ist eine Prüfung dahingehend angesagt, ob die für den künftigen vorläufigen Gläubigerausschusses benannten Personen für diese Aufgabe geeignet sind, insbesondere die dafür erforderliche Fach- und Branchenkenntnisse haben und vom Schuldner unabhängig sind. Liegen diese Voraussetzungen bei dem einzelnen, vorgeschlagenen künftigen Gläubigerausschussmitglied nicht vor, hat seine Bestellung zu unterbleiben. 166 Für den vorläufigen Sachwalter gilt Folgendes: Wurde dieser vom Schuldner vorgeschlagen, so hat das Gericht gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO zu überprüfen, ob die vorgeschlagene Person (im Gegensatz zum vorläufigen Sachwalter nach § 270a InsO) offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Dies bedeutet, dass seine Ungeeignetheit auf der Hand liegen muss. Beispiel Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn ihm offensichtlich die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung dieses Amtes fehlen oder er gerichtsbekannt vom Schuldner abhängig ist. In diesem Fall ist die Bestellung abzulehnen, was jedoch das Gericht zu begründen hat. Hintergrund für die eingeschränkte Überprüfbarkeit ist, dass der Schuldner grundsätzlich eine ___________ 90) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 8 m. w. N. 91) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 11. 92) IDW S 9, WPg Supplement 2/2012, S. 68 ff., FN-IDW 4/2012, S. 282 ff., Stand: 21.2.2012, abrufbar unter: http://www.idw.de/idw/portal/d302226 (Abrufdatum: 24.8.2013).

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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Person seines Vertrauens in dem Verfahren nach § 270b InsO als Sachwalter vorschlagen kann, um Planungssicherheit zu haben. Dies kann aber im Interesse eines ordnungsgemäß durchzuführenden Insolvenzverfahrens und der übrigen Verfahrensbeteiligten dann nicht gelten, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Darüber hinaus hat die Bestellung ebenfalls zu unterbleiben, wenn der vorgeschlagene vor- 167 läufige Sachwalter mit dem Aussteller der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 InsO identisch ist. Wurde dem Schuldner nach zulässigem Antrag nach § 270b InsO dann, wie beantragt, zur 168 Vorlage eines Insolvenzplans eine Frist von maximal drei Monaten gesetzt, muss das Gericht auf Antrag des Schuldners anordnen, dass der Schuldner wie ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründen kann. Das Gericht hat hier offensichtlich nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit kein Ermessen bezüglich der Anordnung!93) Es ist nach wohl h. M. vielmehr Sache des Schuldners vor einer Antragstellung zu prüfen, ob die Begründung einer Masseverbindlichkeit notwendig und sinnvoll sei. Dies muss der Schuldner auch mit der gebotenen Sorgfalt prüfen, da durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten die (künftige) Masse zum Nachteil der übrigen Gläubiger geschmälert wird, was einen Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens nach § 270b Abs. 4 InsO auslösen kann. Nach dieser Vorschrift hebt das Gericht die Anordnung nach § 270b Abs. 1 (Schutzschirm) 169 InsO darauf, wenn x

die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist (Nr. 1): z. B. weil sich wegen fehlender Mittel die geplanten Restrukturierungsmöglichkeiten nicht umsetzen lassen (das Gericht hat hier eine Prüfpflicht);

x

der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt (Nr. 2): das Insolvenzgericht hat insoweit kein Ermessen hinsichtlich einer Nichtaufhebung/Aufhebung;

x

ein Absonderungsberechtigten oder Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und Umstände bekannt werden, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird; der Anteil ist nur zulässig, wenn kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist und die Umstände vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden (Nr. 3).

2.4

Umfang der insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter

2.4.1 Genereller Umfang gerichtlicher Aufsicht (Aufsichtsrecht) Sieht man die Aufsichtsnorm des § 58 InsO im Zusammenhang mit dem in § 5 InsO gel- 170 tenden Amtsermittlungsgrundsatz, liegt der Gedanke an eine allumfassende Aufsicht nicht fern. Dem ist jedoch – wie bereits oben (Rz. 16 ff.) dargestellt – nicht so. Die in der InsO vom Gesetzgeber vorgenommene Aufgabenteilung zwischen Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter verbietet es, jedes Handeln und jede Entscheidung des Insolvenzverwalters unter gerichtliche Aufsicht zu stellen. Eine eigenverantwortliche und effektive Insolvenzverwaltung wäre dann nicht möglich. Wenn sämtliche Entscheidungen des Insolvenzverwalters der vollumfänglichen Aufsicht und Kontrolle des Insolvenzgerichts unterworfen wären, müsste sich dann auch die Frage nach der Existenzberechtigung der Insolvenzverwaltung stellen. Man könnte in diesem Fall auch auf den Gedanken kommen, dass, wenn das Insolvenzgericht ohnehin jegliche Entscheidung des Insolvenzverwalters kontrolliert, diese theoretisch diese auch selbst treffen könnte. Dies ist jedoch erkennbar vom Gesetz___________ 93) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 19 m. w. N. unter Hinweis auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des BT, BT-Drucks. 17/3712, S. 4; a. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

geber nicht gewollt. Gewollt ist vom Gesetzgeber vielmehr eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Insolvenzverwalters in einem Verfahren, dessen Ablauf das Gericht möglichst nicht durch kleinliche Überwachung stört.94) 171 Der Umfang der Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter ist streitig: x

Während die einen die Aufsicht auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränken wollen,

x

befürworten andere die Ausweitung der Aufsicht auch auf die Überprüfung der Zweckmäßigkeit – zumindest in bestimmten Fällen.95)

172 Einigkeit besteht allerdings insoweit – wie Rechel96) zutreffend ausführt –, dass das Insolvenzgericht nach § 58 Abs. 1 Satz 1 InsO die Rechtmäßigkeit der Verwaltungs- und Verwertungstätigkeit des Insolvenzverwalters zu überwachen hat (Rechtsaufsicht), nämlich x

einerseits die Einhaltung von Verfahrensvorschriften wie z. B. die Erstellung der Verzeichnisse gemäß §§ 151 – 154 InsO, die Führung der Insolvenztabelle und die Forderungsprüfung (§§ 174 ff. InsO) die Erfüllung der Berichtspflichten (§§ 156 Abs. 1, 66, 69, 79, 179 InsO), die Inbesitznahme und Siegelung der Insolvenzmasse(§§ 148 Abs. 1, 149, 150 InsO) und

x

andererseits die Beachtung der Zustimmungserfordernisse (z. B. bei Betriebseinstellung nach §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 InsO) oder der Verwertung der Massegegenstände (§§ 160 ff. InsO), was nicht zuletzt mit der stärkeren Reglementierung des Aufgaben und Pflichtenkreises des Insolvenzverwalters durch die InsO gegenüber der KO zu tun hat.

173 Uneinigkeit herrscht aber bei der Diskussion einer „Fachaufsicht“ des Insolvenzgerichts: Teilweise wird eine Zweckmäßigkeitskontrolle (Fachaufsicht) abgelehnt, teilweise befürwortet.97) Die mittlerweile wohl h. M. lässt aber Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichts auch im eigenverantwortlichen Entscheidungsbereich des Insolvenzverwalters zu, wenn das auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhende Verwalterhandeln rechtswidrig, rechtsmissbräuchlich oder insolvenzzweckwidrig ist, bzw. eine Maßnahme des Verwalters objektiv Schaden verursacht.98) Dabei handelt es sich in Wirklichkeit aber nicht um eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit, sondern der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme.99) 174 Damit lässt sich zusammenfassen, dass nach wohl h. M. die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter grundsätzlich auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist. Das Insolvenzgericht darf demnach grundsätzlich dort keine Zweckmäßigkeitskontrolle durchführen, wo dem Verwalter insoweit bei seinen Entscheidungen Ermessensfreiheit zusteht.100) Aufgabe des Insolvenzgerichts ist die Aufsicht und nicht die Leitung des Insolvenzverwalters,101) der darüber hinaus auch kein Gehilfe des Insolvenzgerichts, sondern eigenständiges Organ nach der InsO ist. Da aber die Grenze zwischen Unzweckmäßigkeit einerseits und Pflichtwidrigkeit/Insolvenzzweckwidrigkeit andererseits fließend ist,102) ist es dem Insolvenzgericht bei stark indizierter Rechts- bzw. Insolvenzzweckwidrigkeit nicht verwehrt, auch in dem der Aufsicht grundsätzlich entzogenen Tä___________ 94) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 58 Rz. 11. 95) Vgl. zum Meinungsstand: Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 45 ff. 96) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 51. 97) Meinungsstand s. Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 51. 98) I. E. so: Graf-Schlicker-Castrup, InsO, § 58 Rz. 9. 99) So i. E. auch Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 53. 100) Vgl. statt vieler: Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 9/2009, § 58 Rz. 11 m. w. N. 101) Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 9 Rz. 48. 102) So Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 9 Rz. 48.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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tigkeitsbereich (Rechts-)Aufsicht auszuüben. Insoweit überprüft das Insolvenzgericht aber nicht die Zweckmäßigkeit der Entscheidung, sondern lediglich, ob das Verhalten bzw. die Entscheidung des Insolvenzverwalters rechtswidrig ist. Dies dürfte insbesondere im Bereich masseschädigenden Verhaltens gelten. Beispiel für masseschädigendes Verhalten Insolvenzverwalter I belastet die Insolvenzmasse mit offensichtlich vermeidbaren Abwicklungskosten, indem er seinen Freund F unnötigerweise als Interimsgeschäftsführer zu einem Monatsgehalt von 10 000 € einsetzt. Ferner nutzt er eine ihm bekannte objektiv günstigere Verwertungsmöglichkeit für einen zur Insolvenzmasse gehörenden PKW im Wert von 15 000 € zu diesem Preis nicht, weil er ihn an Freund X zum Vorzugspreis von 10 000 € verkaufen will. Als das Insolvenzgericht auf Anregung eines Gläubigers im Aufsichtswege einschreiten will, vertritt I die Auffassung, dass diese Bereiche der gerichtlichen Aufsicht entzogen seien. Eine scheinbare Ausnahme für die Prüfung auch der Zweckmäßigkeit gilt dort, wo das Ge- 175 setz dem Gericht Mitwirkungs- oder Anordnungsrechte einräumt, so z. B. bei § 149 Abs. 1 InsO (Hinterlegung/Anlage von Wertgegenständen) § 151 Abs. 3 InsO (Unterbleiben der Verzeichniserstellung bzgl. Massegegenstände) § 158 Abs. 1 InsO (Betriebsstilllegung oder -veräußerung vor Berichtstermin) § 161 InsO (vorläufige Untersagung von Rechtshandlungen durch Insolvenzgericht) § 163 InsO (Betriebsveräußerung unter Wert), § 198 InsO (Hinterlegung zurückbehaltener Beträge)103). Eine große praktische Rolle spielt dabei auch die Mitwirkung des Insolvenzgerichts bei der 176 gesetzlich (noch) nicht geregelten Einzelermächtigung zur Begründung von zur Betriebsfortführung zwingend erforderlicher Masseverbindlichkeiten.104) Grundsätzlich ist die die gesamte wirtschaftliche Abwicklung des Insolvenzverfahrens, die 177 Erfassung und Verwertung der Insolvenzmasse und die Erfassung und Befriedigung der Insolvenzforderungen, Aufgabe des Insolvenzverwalters und nicht eine solche des Insolvenzgerichts.105) Dem Insolvenzverwalter steht daher nach allgemeiner Ansicht wegen der mit seinem Amt verbundenen vielfältigen schwierigen Aufgaben bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zu.106) Dieser Ermessensspielraum ermächtigt den Verwalter aber nicht zu rechtswidrigen Verwaltungs- und Verwertungshandlungen. Zusätzlich wird der Ermessensspielraum durch den Insolvenzzweck begrenzt, weshalb Rechtshandlungen des Verwalters, die der gleichmäßigen Befriedigung oder Insolvenzgläubiger eindeutig zuwiderlaufen, unwirksam sind. Bestehen Anhaltspunkte, dass aus sachfremden, den Zwecken der InsO widersprechenden Erwägungen heraus masseschädigende Handlungen getroffen werden, ist nach h. M. ein Einschreiten im Aufsichtswege möglich. Allerdings ist nicht bei jeder durch den Insolvenzverwalter verweigerten Handlung ein Einschreiten zulässig: Beispiel Als Insolvenzverwalter I sich weigert, die von Gläubiger X angemeldete Forderung anzuerkennen und zur Insolvenztabelle festzustellen, wendet sich X an des Insolvenzgericht, mit der Bitte, den Insolvenzverwalter im Aufsichtswege anzuweisen, die Forderung anzuerkennen. Als das Insolvenzgericht den I anweist, die Forderung anzuerkennen, weigert sich dieser. Zu Recht? Die Weigerung des I erfolgte völlig zu Recht. Der Bereich der Forderungsprüfung ist – 178 wie oben ausgeführt – dem Insolvenzverwalter übertragen. Ob und inwieweit der Insolvenz___________ 103) 104) 105) 106)

Eickmann in: HK-InsO, § 58 Rz. 3. BGH, Urt. v.18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625. Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 57. BGH, Urt. v.25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

verwalter eine Forderung anerkennt oder nicht, ist allein seine Sache. Verweigert er einer angemeldeten Forderung die Anerkennung, ist der Klageweg bei den ordentlichen Gerichten zu beschreiten (§ 180 InsO). Das Insolvenzgericht ist nicht zur Anweisung befugt. Beispiel Gläubiger G hat seine Forderung i. H. von 1 400 € wirksam zur Insolvenztabelle bei Insolvenzverwalter I im Verfahren bereits vor längerer Zeit angemeldet. Der saumselige Insolvenzverwalter I hat es jedoch bislang versäumt, eine Insolvenztabelle anzulegen. Sind hier Aufsichtsmaßnahmen zulässig? 179 Soweit G diesen Umstand dem Insolvenzgericht mitteilt, kann das Insolvenzgericht gegen I im Wege der Aufsicht vorgehen, da die Pflicht zur Führung der Insolvenztabelle zu den insolvenzspezifischen Pflichten eines Insolvenzverwalters gehört (§ 175 InsO). Weigert sich der Insolvenzverwalter lediglich, eine Forderung in die Tabelle aufzunehmen (nicht zu verwechseln mit Bestreiten der Forderung!), kommt ebenfalls ein Antrag an das Insolvenzgericht in Betracht, im Aufsichtsweg dagegen einzuschreiten.107) 2.4.2 Einschränkung der gerichtlichen Aufsicht durch Vorhandensein von Gläubigerausschüssen 180 Insoweit stellt sich die Frage, ob die gerichtliche Aufsicht bei Vorhandensein eines Gläubigerausschusses eingeschränkt oder gar ausgeschlossen ist. Diese Frage stellt sich umso mehr, als seit Inkrafttreten des ESUG zum 1.3.2013 auch sog. vorläufige Gläubigerausschüsse zulässig sind. 2.4.2.1

Endgültiger Gläubigerausschuss

181 Mit Inkrafttreten der InsO wurde die Gläubigerautonomie gestärkt. Neben Mitwirkungsund Mitspracherechten können die Gläubiger – vermittelt über den Gläubigerausschuss (§ 69 InsO) – die Überwachung der Insolvenzverwaltertätigkeit beschließen. Damit geht aber keine Einschränkung des Maßes der Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter einher.108) Allerdings wird bei Vorhandensein eines Gläubigerausschusses die allgemeine Überwachungstätigkeit regelmäßig (zumindest faktisch) weniger umfangreich sein als in Verfahren ohne Gläubigerausschuss.109) Die Existenz eines Gläubigerausschusses entbindet das Insolvenzgericht aber nicht von der Verpflichtung zur Aufsicht. 2.4.2.2

Vorläufiger Gläubigerausschuss

182 Nichts anderes kann für den vorläufigen Gläubigerausschuss gelten. Auf die verschiedenen Erscheinungsformen des vorläufigen Gläubigerausschusses wurde bereits hingewiesen (siehe Rz. 73 ff.). 183 Das Gericht kann sich weder beim obligatorischen (§ 22a Abs. 1 InsO), noch bei einem auf Antrag des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers (§ 22a Abs. 2 InsO) oder gar bei einem nach gerichtlichen Ermessen eingerichteten vorläufigen Gläubigerausschuss (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) auf einen Wegfall seiner umfassenden Aufsichtspflicht im Insolvenzeröffnungsverfahren durch Verweis auf die Existenz eines vorläufigen Gläubigerausschusses berufen. Auch insoweit wird die gerichtliche Prüfungsdichte allenfalls faktisch etwas zurückgehen, nicht aber gerät dadurch die gerichtliche Aufsichtspflicht in Wegfall. ___________ 107) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 175 Rz. 7. 108) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 56. 109) Landferman in: HK-InsO, § 69 Rz. 6.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Im Gegensatz zu dem von der Gläubigerversammlung gewählten endgültigen Gläubiger- 184 ausschuss nach §§ 69, 68 InsO kommt bei dem vor allem bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren errichteten, vorläufigen Gläubigerausschuss hinzu, dass unter Umständen zu diesem Zeitpunkt die konkrete Anzahl der Gläubiger und die Struktur der Gläubigerschaft noch nicht feststeht110) bzw. zumindest sehr vage ist, da sie regelmäßig allein auf Angaben des Antragstellers, insbesondere des Schuldners beruht und ein nach solchen Vorgaben eingesetzter vorläufiger Gläubigerausschuss unter Umständen in seiner Zusammensetzung die Gemeinschaft der Gläubiger nicht zutreffend repräsentiert. Dies gilt erst recht für die sog. „mitgebrachten“ vorläufigen Gläubigerausschüsse, bei denen vom Schuldner oder Antragsteller die vom Insolvenzgericht zu bestellenden Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses als solche benannt werden. Gegen derartige Vorschläge ist grundsätzlich nichts einzuwenden, zumal der Gesetzgeber in § 22a Abs. 4 InsO selbst vorsieht, dass das Insolvenzgericht den Schuldner und den vorläufigen Insolvenzverwalter zu derartigen Vorschlägen auffordern kann. Das Insolvenzgericht hat daher in allen (!) Fällen der Einrichtung eines vorläufigen Gläu- 185 bigerausschusses zu überprüfen, ob das einzelne künftige Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses für diese Aufgabe geeignet ist. Dies kann durch persönliche Anhörung oder in sonstiger Weise geschehen. Insoweit hat das Insolvenzgericht insbesondere darauf zu achten, ob ein der Aufgabe angemessener Sachverstand vorliegt und ob Interessenkollisionen gegeben sind. Falsch wäre es, jedem Antragsteller, der von sich aus bereits die Mitglieder des vorläufigen 186 Gläubigerausschusses und ggf. den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter bei Eigenverwaltung von sich aus vorschlägt, von vornherein insolvenzzweckwidrige Motive zu unterstellen. Andererseits gilt es aber auch das Horrorszenario zu vermeiden, in dem ein krimineller Schuldner die Einsetzung objektiv zur Mitarbeit in einem vorläufigen Gläubigerausschuss ungeeigneter, aber von ihm abhängiger Personen verlangt, die sich vorab einstimmig auf einen zur Kontrolle unfähigen bzw. unwilligen, aber ebenfalls vom Schuldner abhängigen, dem Insolvenzgericht nicht bekannten vorläufigen Sachwalter geeinigt haben, den der Schuldner auch gleichzeitig mit seinem Eigenverwaltungsantrag einzusetzen vorschlägt und das Insolvenzgericht ohne eingehende Prüfung – wie beantragt – beschließt. Dass ein derartiges Verfahren kaum die Vorstellungen des Gesetzgebers treffen dürfte, versteht sich nach hiesiger Auffassung von selbst. Vielmehr ist ersichtlich, dass zur ordnungsgemäßen Durchführung eines an den Zwecken des § 1 InsO orientierten Insolvenzverfahrens sowohl die konkrete Erforderlichkeit des vorgeschlagenen vorläufigen Gläubigerausschusses und dessen Zusammensetzung, die grundsätzliche Eignung der vorgeschlagenen Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses für diese Aufgabe sowie die Eignung des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters zu prüfen sind. Weiteres siehe oben Rz. 77 ff. Soweit ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen wäre, würde die Einsetzung grund- 187 sätzlich die gerichtliche Aufsichts- und Kontrollpflicht nicht beseitigen. Allerdings ist in Einzelfällen das Gericht an die Entscheidungen des vorläufigen Gläubigerausschusses zumindest grundsätzlich gebunden (z. B. einstimmiger Vorschlag zur Bestellung eines [vorläufigen] Insolvenzverwalters oder Sachwalters gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 2, 56a Abs. 2, 270b Abs. 2 InsO), was im Ergebnis die Befugnis des Insolvenzgerichts zur Kontrolle und eigenständigen anderweitigen Entscheidung einschränkt. So ist im Falle des einstimmigen, befürwortenden Votums des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO das Gericht nicht befugt, eine gegenteilige Entscheidung zu treffen. ___________ 110) Frind in: HambKomm-InsR, § 67 Rz. 4.

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§7 2.5

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Beginn und Ende der Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter/Sachwalter

2.5.1 Beginn der Aufsicht 2.5.1.1

Aufsicht im verfahrensbezogenen Sinne

188 Nimmt man § 58 InsO wörtlich, so kann die Aufsicht über den Insolvenzverwalter frühestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnen, da es naturgemäß vor Insolvenzeröffnung keinen Insolvenzverwalter gibt, weil dieser nach § 27 Abs. 1 InsO erst im Eröffnungsbeschluss bestellt wird. Da der Insolvenzverwalter aber Kenntnis von seiner Bestellung haben und das Amt des Insolvenzverwalters auch annehmen muss, wird nachvollziehbar vertreten, dass die Aufsicht mit der Annahme des Amts beginnt.111) 189 Entsprechend würde die Aufsicht über den vorläufigen Insolvenzverwalter, den vorläufigen und den endgültigen Sachwalter sowie den Treuhänder mit Ernennung und Annahme des jeweiligen Amtes beginnen. 2.5.1.2

Beginn der Aufsicht im personenbezogenen Sinn bzw. antizipierte Aufsicht112)

2.5.1.2.1 Insolvenzverwalterbestellung ohne vorläufigen Gläubigerausschuss 190 Soweit kein Gläubigerausschuss i. S. des § 56a InsO bestellt ist, hat das Insolvenzgericht nach der Rechtsprechung des BVerfG113) in einem zweistufigen Auswahlverfahren den Insolvenzverwalter zu bestimmen. 191 Das BVerfG ging entsprechend der damaligen Gesetzeslage davon aus, dass die Vergabe des Amtes des Insolvenzverwalters bis zu einer eventuell anderweitigen Entscheidung der Gläubigerversammlung (§ 57 InsO) ausschließlich in der Hand des hoheitlich tätigen Richters liegt, dem bei der konkreten Auswahlentscheidung ein weites Ermessen zusteht. 192 Zur pflichtgemäßen Ausübung dieses Auswahlermessens verlangt das BVerfG einen Verfahrensrahmen, den es in einem justiziablen (§ 23 EGGVG) Vorauswahlverfahren sieht. Dieses Vorauswahlverfahren soll dazu dienen, dem Richter eine grundrechtskonforme Entscheidung zur Person des Insolvenzverwalters zu ermöglichen.114) Die Gerichte haben dabei anhand von ihnen selbst aufgestellten, für alle Bewerber geltenden, gerichtlich überprüfbaren und allgemein zugänglich gemachten sachlicher Kriterien zu entscheiden, wer von den zur Übernahme von Insolvenzverfahren bereiten Bewerbern diese Kriterien erfüllt und auf die Liste kommt oder nicht. Die Liste ist laufend zu pflegen. Dies bedeutet, dass eine laufende Überprüfung stattfindet, ob die Kriterien bei dem Aufgenommenen noch erfüllt sind oder nicht. Ist dies nicht der Fall, kann im Extremfall ein Delisting erfolgen. Gegen die Nichtaufnahme in die Liste oder gegen ein Delisting steht dem abgelehnten Bewerber der Rechtsweg nach § 23 EGGVG offen, da es sich nicht um einen Akt der Rechtsprechung, sondern der Justizverwaltung handelt. 193 In einem zweiten Schritt wird dann der Insolvenzverwalter für das konkrete Insolvenzverfahren bestimmt. Dabei wählt das Insolvenzgericht aus dem Fundus der in die Liste aufgenommenen Insolvenzverwalter denjenigen aus, den es als Insolvenzverwalter für das konkrete Verfahren für geeignet hält. Nach dem BVerfG findet dabei weder eine Besten___________ 111) Graf-Schlicker-Castrup, InsO, § 58 Rz. 4. 112) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 154. 113) BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01, ZIP 2004, 1649 und BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355 sowie in weiterer st. Rspr.: Nachweise bei Graf-SchlickerGraf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 12. 114) Graf Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56 Rz. 4 m. w. N.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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auslese noch ein numerisches Vorgehen nach Liste bzw. Beschäftigungslage statt. Auch kann das Insolvenzgericht als Insolvenzverwalter eine für dieses Amt geeignete Person bestellen, soweit sich auf der von ihm selbst erstellten Liste der Insolvenzverwalter keine für das konkrete Verfahren geeignete Person befindet. Da die Aufnahme eines „Prätendenten“ in die Vorauswahlliste (auch noch nach Inkraft- 194 treten des ESUG) regelmäßig maßgebend für die konkrete Bestellungsentscheidung nach § 56 InsO ist, sieht Rechel115) die Bestellung eines Insolvenzverwalters als „antizipierende“ Maßnahme der Aufsicht des Insolvenzgerichts, da „der Insolvenzrichter mit der Bestellung des Insolvenzverwalters dessen Geeignetheit i. S. des § 56 Abs. 1 InsO a. F. zur Abwicklung des konkreten Insolvenzverfahrens festlege und dadurch das Maß der im eröffneten Insolvenzverfahren der durch den Rechtspfleger auszuübenden Aufsicht bestimme. Wenn aber diese Auswahlentscheidung nach der Rechtsprechung des BVerfG maßgeblich unter den Prätendenten aus der Vorauswahlliste zu treffen sei, dann müsse das die Zusammensetzung der Vorauswahlliste bestimmende Vorauswahlverfahren in den Bereich der insolvenzgerichtlichen Aufsicht (§ 58 InsO) verortet werden. Dies überzeugt, da das Vorauswahlverfahren alle Elemente eines Aufsichtsverfahrens 195 enthält. 2.5.1.2.2 Insolvenzverwalterbestellung mit vorläufigem Gläubigerausschuss Ist nach den mit Wirkung zum 1.3.2012 durch das ESUG eingeführten §§ 22a, 21 Abs. 2 196 Nr. 1a InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, hat das Insolvenzgericht diesen zunächst vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 56a Abs. 1) – einer entscheidenden Weichenstellung für das Insolvenzverfahren, weil der vorläufige Verwalter in der Regel der endgültige Verwalter ist – Gelegenheit zu geben, sich zu dessen Anforderungsprofil dass bei der Auswahl zugrunde gelegt werden soll und zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters zu äußern. Die Anhörungspflicht besteht nach § 56a Abs. 1 InsO auch bezüglich des endgültigen Insolvenzverwalters und wird bei Unterbleiben mit der Abwahlmöglichkeit des gerichtlich bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters in der ersten Sitzung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 56a Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO geahndet. Auf den Insolvenzverwalter soll die Vorschrift des § 56a Abs. 3 InsO nicht anwendbar sein, da das Amt des vorläufigen Gläubigerausschusses nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet.116) Das Insolvenzgericht darf von einem einstimmigen117) Vorschlag des vorläufigen Gläubi- 197 gerausschusses zur Person des Insolvenzverwalters nach § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO (bzw. beim vorläufigen Insolvenzverwalter über § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (z. B. mangels fachlicher oder persönlicher Eignung sowie wegen fehlender Unabhängigkeit). Dabei hat der Rechtsausschuss des Bundestages besonderen Wert auf die Unabhängigkeit des Vorgeschlagenen von den Beteiligten des konkreten Verfahrens besonderen Wert gelegt und in seinem Bericht ausgeführt, dass die Prüfung auch einzuschließen habe, ob diese Person etwa in einer Anwaltskanzlei tätig sei, von denen ein Mitglied den Schuldner im Vorfeld der Insolvenz beraten habe oder der Vorgeschlagene etwa in einer internationalen Kanzlei mit Unternehmensberatung tätig sei, die den Schuldner in der Krise begleitet habe. Hat der vorläufige Gläubigerausschuss lediglich ein Anforderungsprofil für den (vorläu- 198 figen) endgültigen Insolvenzverwalter erstellt und keine bestimmte Person vorgeschlagen, ___________ 115) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 153 unter 1.1. 116) Graf-Schlicker-Graf Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 54 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/571, S. 24. 117) Zum Begriff der Einstimmigkeit s. Rz. 43.

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so ist das Auswahlermessen des Gerichts beschränkt.118) Gesetzwidrige Anforderungen hat der Richter selbstverständlich nicht zu berücksichtigen.119) Beispiel Der vorläufige Gläubigerausschuss möchte X als Insolvenzverwalter. Dieser befindet sich aber in einer massiven Interessenkollision. Würde in dieser Situation der vorläufige Gläubigerausschuss zwar den X nicht persönlich als Insolvenzverwalter vorschlagen, aber das Anforderungsprofil so festlegen, dass nur X als (vorläufiger) Insolvenzverwalter in Betracht kommen würde, läge eine gesetzlich unzulässige Umgehung vor. 199 Das vom vorläufigen Gläubigerausschuss für die Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters oder Sachwalters formulierte Anforderungsprofil muss, um Wirksamkeit entfalten, hinreichend konkret sein. Leerformeln wie „insolvenzerfahren“, „sanierungsfreudig“ sind nicht ausreichend, soweit das Anforderungsprofil nicht weitere, konkrete und nachweisbare Anforderungskriterien, wie z. B. „Nachweis von mindestens fünf sanierten Unternehmen“, „seit mindestens fünf Jahren als Insolvenzverwalter tätig“, enthält.120) Zutreffend weist Graeber121) darauf hin, dass als geeignete Grundanforderung für die Bestellung eines Insolvenzverwalters die vom Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) entwickelten „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ (GOI)122) in Betracht zu ziehen sind und der zu Bestellende erklärt haben muss, dass er sich an diese Grundsätze halte. Diese Grundsätze enthalten aus Sicht des Insolvenzgerichts nachvollziehbare Essentialia der Insolvenzverwaltung und Selbstverständlichkeiten wie zeitnahes Buchen spätestens innerhalb von zehn123) Tagen, keine Führung von Sammelkonten, Geltung der Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung (GOB), laufende Überprüfung der eigenen Büroorganisation und der Auftragnehmer (insbesondere Verwerter etc.), die sich nach ISO 9001 zu zertifizieren haben. 200 Darüber hinaus kommen alle aus anderen Verfahren stammende Anforderungen in Betracht, wie spezielle Branchenkenntnisse, konkrete Vorerfahrungen (z. B. drei Sanierungen von Solarmodulherstellern) sowie Spezialkenntnisse. 201 Nach hiesiger Auffassung wird deshalb auch insoweit insolvenzgerichtliche Aufsicht ausgeübt. Sind die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschuss geeignet, so hat das Gericht auch darauf zu achten, dass der von ihnen vorgeschlagene (vorläufige) Insolvenzverwalter geeignet und vor allem unabhängig ist (siehe auch Rz. 227 ff.). 2.5.2 Ende der insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter 202 Die Aufsicht endet mit der Erledigung aller erforderlichen Pflichten, z. B. der Erstellung der Schlussrechnung oder Rückgabe der Bestallungsurkunde.124) 2.6

Zuständigkeit für die insolvenzgerichtliche Aufsicht

203 Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ist der Richter für das Insolvenzeröffnungsverfahren und mit Einführung des ESUG auch für nach dem 1.1.2013 anhängig gewordene Insolvenzverfahren ___________ 118) I. E. ebenso Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 26, der darauf hinweist, dass das Anforderungsprofil auf eine einzige Person zugeschnitten sein könne. 119) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 53 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/5712, S. 26. 120) So ähnlich Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 30. 121) Graeber in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 56a Rz. 30. 122) Abrufbar unter der Homepage des VDI, Link GOI. 123) Dabei ist klar, dass die 10 Tage einen Mindestwert darstellen. Bei größeren Insolvenzverfahren mit laufendem Geschäftsbetrieb ist eine tägliche Buchung unerlässlich! 124) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 58 Rz. 4.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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mit Insolvenzplan zuständig. Darüber hinaus ist der Richter auch nach § 18 Abs. 2 RPflG des Insolvenzverfahrens zuständig, wenn er sich das Verfahren vorbehalten hat. Dies bedeutet, dass der Insolvenzrechtspfleger für das gesamte restliche eröffnete Insol- 204 venzverfahren zuständig ist. Darüber hinaus sollten Rechtspfleger und Richter im erheblichen Umfang miteinander 205 kommunizieren, um festzustellen, über welche Fähigkeiten einzelne Insolvenzverwalter verfügen und in welchem dem Umfang Defizite vorhanden sind. Auf Defizite sind die Verwalter hinzuweisen 2.7

Intensität der Aufsicht

Ausgeübt wird die Aufsicht über den (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder Sachwalter 206 durch regelmäßige oder anlassbezogene Prüfungen. Zunächst wird die Aufsicht durch die dem Verwalter auferlegte, regelmäßige Berichts- 207 pflicht ausgeübt. Welche Zeiträume dazwischen liegen können, ist individuell verschieden. Klar, dass im Eröffnungsverfahren und dem Gericht weitgehend unbekannten Verwalter sehr kurze Zeiträume naheliegen, während im eröffneten Verfahren Berichtszeiträume von sechs bis zwölf Monaten durchaus üblich sind. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Anlassbezogen ist die Aufsicht vor allem bei Beschwerden von Beteiligten oder Dritten. 208 In aller Regel ist der Verwalter war anzuhören. Es verbietet sich jedoch die Aufsicht des Insolvenzgerichts als Mittel einzusetzen, Ansprüche gegen den Verwalter durchzusetzen, die ihren Grund nicht in einer verfahrensbezogenen Pflichtverletzung haben. Beispiel Insolvenzgericht ist nicht dafür zuständig die Berechtigung eines etwaigen Herausgabeanspruchs eines vermeintlich Aussonderungsberechtigten zu prüfen. Sie ist Aufgabe der Prozessgerichte. Auch kann über diesen Weg ein Insolvenzgläubiger nicht eine, ihm vom Insolvenzverwalter 209 verwehrte, Auskunft erreichen. Der Gläubiger kann seine Informationen in der Gläubigerversammlung oder aus der Akte ziehen. Derartige Beschwerden haben in der Praxis allerdings stark abgenommen, seit eine Vielzahl von Insolvenzverwaltern Gläubigerinformationssysteme (GIS) verwenden, die den Gläubigern den Zugang zu ihnen gewünschten Informationen über ein Codewort ermöglichen. Neben den Berichten des Insolvenzverwalters wird die Aufsichtspflicht des Gerichts 210 durch Rechnungslegung (§§ 66 InsO) erfüllt. Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der vorläufige Insolvenzverwalter haben Schlussrechnung – und wenn dies verlangt wird auch Zwischenrechnung – zu legen. IV.

Schwerpunkte insolvenzgerichtlichen Aufsicht und Kontrolle im Verlauf des Insolvenzverfahrens bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens

1.

Insolvenzantragstellung im Regelinsolvenzverfahren

Einem praktischen Bedürfnis entsprechend, seien vorab folgende Bemerkungen zur In- 211 solvenzantragstellung erlaubt: Der Insolvenzantrag ist von großer Bedeutung für die gerichtliche Aufsicht und Kontrolle 212 im Verfahren. Erst mit der Stellung eines zulässigen, schriftlichen Insolvenzantrages gerät das Verfahren in Gang und setzt die in § 5 Abs. 1 InsO normierte Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts ein. Der Insolvenzantrag liefert häufig auch erste wichtige Informationen über den Schuldner und sein Unternehmen. Zu unterscheiden ist zwischen x

dem eigenen Insolvenzantrag des Schuldners (§ 13 InsO) und

x

dem Fremdantrag eines Gläubigers (§ 14 InsO). Gerster

135

§7 1.1

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Eigenantrag

213 Mit Inkrafttreten des ESUG 1.3.2013 wurde die für den Eigenantrag geltende Vorschrift des § 13 InsO wesentlich geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt war ein Insolvenzeigenantrag zulässig, wenn der Schuldner grob die Tatsachen für das Vorliegen des jeweiligen Insolvenzgrundes beschrieben hatte. Dies ist jetzt nicht mehr ausreichend! 214 Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden (!) Insolvenzeigenantrages ist es nunmehr nach § 13 Abs. 1 Satz 2 und 4 InsO, dass der Schuldner dem Insolvenzantrag ein Verzeichnis seiner Gläubiger und deren gegen ihn gerichteten Forderungen beigefügt, dessen Richtigkeit und Vollständigkeit er versichert. Fehlt entweder das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis oder die vorbenannte Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit, ist der Insolvenzantrag unzulässig, d. h. die Amtsermittlungsmaxime setzt nicht ein und Sicherungsmaßnahmen sind regelmäßig nicht zulässig.125) 215 Bedauerlicherweise fehlt bei der Mehrzahl (!) der Insolvenzanträge entweder dieses Gläubigerverzeichnis oder zumindest die Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Dies hat zur Konsequenz, dass der Richter auf die Unzulässigkeit des Insolvenzantrages hinweisen und dem Antragsteller Gelegenheit geben muss, diese Unterlagen binnen einer Frist nachzureichen. Liegt das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis aber nicht von Anfang an vor, geht durch erforderlichen gerichtlichen Hinweise und Nachreichungsmöglichkeiten oft wertvolle Zeit verloren. Die mit der im ESUG mit der Neuregelung des § 13 InsO verfolgte Intension des Gesetzgebers nach möglichst frühzeitiger Insolvenzantragstellung wird durch eine derartige Antragstellung aber konterkariert. Insoweit muss anscheinend noch erhebliche Aufklärungsarbeit geleistet werden. 216 Reagiert der Schuldner auf die gerichtlichen Hinweise überhaupt nicht, so muss der Insolvenzantrag nach Ablauf der Frist zur Nachreichung als unzulässig zurückgewiesen werden, was für Vertretungsorgane juristischer Personen oder diesen gleichgestellten Gesellschaften (z. B. GmbH & Co. KG) im Hinblick auf § 15a Abs. 4 InsO fatale Folgen haben kann, da nach dem Gesetz auch „ein nicht richtig gestellter“, d. h. unzulässiger, Insolvenzantrag zu einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung führen kann. In diesem Zusammenhang ist zudem auch auf die Vorschrift des § 15 Abs. 2 InsO hinzuweisen, wonach ein zulässiger Insolvenzantrag einer juristischen Person oder Personengesellschaft entweder die Antragstellung aller Mitglieder des Vertretungsorgans oder eine Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes durch das einzelne den Insolvenzantrag stellende Vertretungsorgan erfordert. Auch dies wird in der Praxis häufig falsch gemacht und führt zu ähnlichen Zeitverzögerungen. 217 Stellt der Schuldner mit Antragstellung das gesetzlich geforderte Gläubiger- und Forderungsverzeichnis dagegen zur Verfügung, kann das Insolvenzgericht bereits hierdurch zumindest ansatzweise erkennen, wie hoch die Forderungen der Gläubiger insgesamt und im Einzelnen sind und wie die Gläubigergemeinschaft strukturell zusammengesetzt ist. Letzterer Umstand ist z. B. wichtig für die paritätische Zusammensetzung eines vorläufiger Gläubigerausschusses, den das Insolvenzgericht im Einzelfall einsetzen muss (§ 22a Abs. 1 InsO), soll (§ 22a Abs. 2 InsO) oder kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 1a InsO) und der den Anforderungen des § 67 Abs. 2 InsO zu genügen hat. Darüber hinaus ergeben sich aus dem Gläubigerverzeichnis auch z. B. Anhaltspunkte für das Tätigkeitsfeld des Schuldners, soweit er ein Unternehmen betreibt auch mittelbar meist über die Betriebsgröße sowie die Anzahl der Arbeitnehmer und die Intensität der Illiquidität. So dürfte einleuchten, dass aus der Anzahl der Arbeitnehmer als Gläubiger, der Höhe der ihnen zustehenden Lohnforderungen ___________ 125) Zutreffend ist zwar, dass der BGH Sicherungsmaßnahmen auch bei zweifelhaft zulässigen Insolvenzanträgen zugelassen hat, doch ist der Antrag bei Fehlen des Gläubigerverzeichnisses eindeutig unzulässig.

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Gerster

Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

und der Höhe etwaiger rückständiger Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge unter Anwendung von Durchschnittsätzen sofort schlussgefolgert werden kann, wie es um die Zahlungsfähigkeit des Schuldners bestellt ist. Soweit der Schuldner einen laufenden Geschäftsbetrieb hat, soll er nach § 13 Abs. 1 Satz 2 218 InsO x

die höchsten allgemeinen Forderungen,

x

die höchsten gesicherten Forderungen sowie

x

die Forderungen der Finanzverwaltung,

x

der Sozialversicherungsträger und

x

die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung

besonders kenntlich machen. Ferner hat er in diesem Fall auch Angaben zu Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und 219 der durchschnittlichen Anzahl der Arbeitnehmer des vergangenen Geschäftsjahres zu machen. Diese Vorschrift hat offensichtlich den Zweck, dem Gericht sofort einen verfeinerten Überblick über Gläubigerstruktur und Größe des Unternehmens sowie die Erforderlichkeit eines obligatorischen (§ 22a Abs. 1 InsO) oder fakultativ von Amts wegen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1a InsO) einzusetzenden vorläufigen Gläubigerausschuss zu ermöglichen. 1.2

Fremdantrag des Gläubigers nach § 14 InsO

Über einen Fremdantrag eines Gläubigers erlangt das Insolvenzgericht zwar selten In- 220 formationen über die tatsächliche wirtschaftliche Gesamtsituation des Schuldners (z. B. tatsächliche Höhe der Verbindlichkeiten, Anzahl der Gläubiger, Vermögenswerte etc.) – insbesondere hinsichtlich einer etwaigen Überschuldung –, da die wenigsten Gläubiger die Interna des Schuldners kennen und nur die Nichterfüllung ihrer eigenen Forderung im Blick haben. Da sie aber ihre Forderung, den Insolvenzgrund und ein rechtliches Bedürfnis an der Insolvenzantragstellung glaubhaft machen müssen, lassen sich aus diesen Schilderungen vorab wertvolle Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation des Schuldners ziehen. Darüber hinaus wird der Schuldner nach zulässigem Antrag auch vom Insolvenzgericht aufgefordert, den Insolvenzfragebogen auszufüllen, der neben dem Vermögensverzeichnis auch ein Gläubiger- und Forderungsverzeichnis enthält, so dass bei im Verfahren mitwirkenden Schuldner das Insolvenzgericht die entsprechenden Informationen erhält. Wirkt der Schuldner nicht mit, kann er gerichtlich geladen, bei Nichterscheinen vorgeführt und bei weitergehender Weigerung zur Erteilung der erbetenen Informationen auch bis zu sechs Monate in Erzwingungshaft genommen werden, gemäß §§ 20, 97, 98, 101 InsO. 2.

Treffen der erforderlichen Maßnahmen

Bei Vorliegen eines zulässigen Insolvenzantrages hat das Insolvenzgericht nach § 21 Abs. 1 221 InsO „alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten“. Die Möglichkeit zur Anordnung dieser vorläufigen Maßnahmen hat offensichtlich die Sicherung der künftigen Insolvenzmasse zum Zweck. Das Gericht hat demnach sofort –ggf. nach Anhörung des Schuldners – zu bestimmen, ob und welche Sicherungsmaßnahme(n) es anordnet. Dabei ist es an den verfassungsmäßig geschützten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Da jedes Verfahren einzigartig ist, kommen insoweit unzählige Varianten in Betracht:

Gerster

137

§7 2.1

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung Bestellung eines Insolvenzgutachters

222 In nahezu jedem Regelinsolvenzverfahren bestellt das Insolvenzgericht einen Sachverständigen mit dem Auftrag, gutachterlich das Vorliegen eines Insolvenzgrundes, die Verfahrenskostendeckung und – soweit der Schuldner einen Geschäftsbetrieb unterhält – auch die Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit des schuldnerischen Unternehmens zu prüfen. Diese Anordnung ergeht – entgegen dem durch § 22 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO erweckten Eindruck – nicht nur bei gleichzeitiger Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung, sondern in nahezu jedem Eröffnungsverfahren der Regelinsolvenz. Da der bestellte Gutachter regelmäßig mit dem späteren (vorläufigen) Insolvenzverwalter Personen identisch ist, stellt sich die Frage nach der Auswahl des Sachverständigen. Hier ist Folgendes zu berücksichtigen: 2.1.1 Auswahl des Sachverständigen 223 Hat der den Insolvenzantrag stellende Schuldner oder Gläubiger keinen Vorschlag zur Person des Sachverständigen gemacht, so ist dieser praktikablerweise wegen der vorbeschriebenen personellen Identität des Sachverständigen mit dem späteren Insolvenzverwalters nach den Anforderungen des BVerfG aus der Insolvenzverwalterliste des jeweiligen Insolvenzgerichts unter Berücksichtigung der Spezifika des Verfahrens (Branchenkenntnisse, Erfahrungen, Größe des Unternehmens, etc.) auszuwählen. 224 Soweit eine derartige Liste bei dem Insolvenzgericht noch nicht existiert und/oder unklar ist, welche Anforderungen an Insolvenzverwalter grundsätzlich oder bei der konkreten Bestellung zu stellen sind, sind die vom Verband Deutscher Insolvenzverwalter entwickelten „Grundsätze für die ordnungsgemäße Insolvenzverwaltung (GOI)“126) hilfreich und zwar sowohl zur Erstellung von Kriterien für Insolvenzverwalterbewerber als auch zur Erleichterung der konkreten Entscheidung, wie auch zur Überprüfung, ob ordnungsgemäße Insolvenzverwaltung vorliegt. Hält der Aspirant diese Kriterien ein, so kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ordnungsgemäße Insolvenzverwaltung gewährleistet ist (näheres zu den einzelnen Grundsätzen siehe unten Rz. 233 ff.). Zwar kann über einzelne Punkte sicher eine abweichende Auffassung vertreten werden, doch sollte dann der Kandidat vorab sagen, welche bessere, abweichende Lösung er bereithält. 225 Insoweit empfiehlt sich auch eine rege Kommunikation zwischen den einzelnen Aufsichtsorganen des Insolvenzgerichts. Bekanntermaßen sind regelmäßig der Insolvenzrichter für das Eröffnungsverfahren und der Rechtspfleger für das eröffnete Verfahren zuständig (mit Ausnahme des Insolvenzplanverfahrens und der Verbescheidung von Versagungsanträgen zur beantragten Restschuldbefreiung). Dies hat zur leidigen Konsequenz, dass der Richter nicht weiß, wie sich der Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren geriert. Insoweit ist er auf die Informationen des sachbearbeitenden Rechtspflegers angewiesen, damit er ggf. seine Bestellpraxis ändern kann, wenn der Insolvenzverwalter trotz berechtigten Hinweises seine nicht der InsO entsprechende Praxis ändert. Das gleiche gilt natürlich auch umgekehrt. Spätestens bei Auffälligkeiten sollte der Rechtspfleger den Insolvenzrichter informieren. Auch die Geschäftsstellen sind einzubeziehen. 226 Umgekehrt ist auch sinnvoll, wenn Rechtspfleger und Richter eines Gerichts (oder auch darüber hinaus) sich auf einheitliche Verfahrensweisen bzw. Anforderungen einigen. So kann man sich den bemitleidenswerten Insolvenzverwalter vorstellen, der z. B. bei fünf Insolvenzgerichten tätig ist, wenn jeder Richter und jeder Rechtspfleger eines jeden Gerichts andere Standards verlangt. Einheitliche Standards erleichtern nicht nur die Vertretung bei den Gerichten, sondern dem Insolvenzverwalter auch die Arbeit. Auch Kontrollen ___________ 126) Abzurufen unter http://www.vid.de/de/qualitaet/goi.html, Stand: 3.5.2013 (Abrufdatum: 24.8.2013).

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

werden dadurch vereinfacht. Bei größeren Insolvenzgerichten geschieht dies sinnvollerweise durch Einberufung von sog. Insolvenzverwalter-Tagungen, in denen gegenseitige Argumente und Sichtweisen ausgetauscht werden, um zu einem für alle Seiten befriedigenden Ergebnis der effektiven und dem Gesetz entsprechenden Verfahrensbearbeitung zu kommen. Bei kleineren Insolvenzgerichten mag insoweit die Form des Rundbriefs ausreichend sein. Der zu bestellende Gutachter sollte ebenso wie der künftige vorläufige Insolvenzverwalter 227 oder Sachwalter darauf hingewiesen werden, dass er von sich aus eventuelle Interessenkollisionen anzuzeigen hat, damit die erforderliche Unabhängigkeit gewahrt ist. Dieser Hinweis sollte ungeachtet der Rechtsprechung des BGH,127) wonach dieser Personenkreis auch ungeachtet einer etwaigen Nachfrage von sich aus zur Anzeige eines Sachverhalts verpflichtet ist, der seine Unabhängigkeit in Frage stellen bzw. seine Befangenheit naheliegen könnte. Unschädlich wäre dabei in entsprechender Anwendung des § 56 Abs. 1 Satz 3 InsO allerdings die alleinige Tatsache, dass er von einem Gläubiger oder vom Schuldner für diese Funktion vorgeschlagen wurde oder den Schuldner im Vorfeld in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens beraten hat. Hilfreich sind insoweit der von BAK InsO entwickelte Fragebogen128) bzw. der von Frind, Graeber, Schmerbach, Siemon und Stephan entwickelte Fragebögen,129) den der zu Bestellende auf gerichtliche Anforderung unverzüglich auszufüllen und beim Insolvenzgericht einzureichen hat. Was die Aufsicht über den Sachverständigen (z. B. dass er den Gutachtensauftrag rechtzeitig, 228 ordnungsgemäßer mit der gebotenen Objektivität erledigt) anbetrifft, so ist nicht § 58 InsO entsprechend anzuwenden. Vielmehr ergibt sich die Aufsicht über den Insolvenzsachverständigen aus § 402 ff. InsO, insbesondere aus § 404a ZPO, wonach das Gericht dem Sachverständigen Weisungen erteilen kann. In dem Bestellungsbeschluss des Insolvenzgerichts wird der Umfang des Auftrags an den 229 Sachverständigen festgelegt. Soweit Sachverständigen und Insolvenzgerichten unklar ist, was Insolvenzgerichte regelmäßig an Ausführungen zu insolvenzrechtsrelevanten Vermögenswerten des Schuldners (z. B. allgemeine Vermögenswerte, insolvenzspezifische Ansprüche aus Insolvenzanfechtung, Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung) erwarten, sei auf den vom BAK InsO veröffentlichen Katalog der „Anforderungen für Insolvenzgutachten“130) und die dort genannten IDW Standards verwiesen. Soweit bei der Betriebsfortführung auch ein Sanierungsgutachten erstellt werden soll, sind die vom Verband der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Standards (hier IDW ES 6131) zur Klärung der Anforderungen an ein derartiges Gutachten hilfreich. Entsprechend dem russischen Sprichwort,132) dass die „Wiederholung die Mutter der Weisheit“ sei, soll an dieser Stelle auch nochmals darauf hingewiesen werden, dass es aus Gründen der Transparenz sinnvoll ist, die im Gutachten enthaltene Gliederung bis zum Schlussbericht einzuhalten. ___________ 127) BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZB 31/11, ZIP 2012, 1187 und BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, ZIP 1991, 324. 128) BAK InsO, abrufbar unter Downloads/Dokumente, „Fragebogen zur Unabhängigkeit“. 129) BAK InsO, abrufbar unter Downloads/Dokumente, „Fragebogen zur Unabhängigkeit“. 130) BAK InsO, abrufbar unter Downloads/Dokumente, „Empfehlung für eine Gutachtenerstellung für Unternehmensinsolvenzen“ etc. 131) IDW S 6: Sanierungskonzept mit den Bestandteilen: Analyse der Unternehmenslage, Feststellung des Krisenstadiums, Analyse der Krisenursachen, Aussagen zur Unternehmensfortführung (Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung), Leitbild des sanierten Unternehmens, an dem sich die Neuausrichtung orientiert, Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise, Integrierte Sanierungsplanung mit der Darstellung der Problem und Verlustbereiche sowie der Herausstellung der vorgesehenen Maßnahmeneffekte. 132) Quelle: Sprichwoerter.woxikon.de.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

230 Ergänzend ist noch zu erwähnen, dass das Insolvenzgericht zwar den Aufgabenkreis des Sachverständigen bestimmen kann, ihn aber nicht zu Betreten der Wohnung oder der Geschäftsräume des Schuldners gegen dessen Willen ermächtigen kann.133) Letzteres ist gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO dem vorläufigen Insolvenzverwalter vorbehalten. Ferner kann das Insolvenzgericht den Sachverständigen nicht zum „starken“ Gutachter machen, indem es ihm Befugnisse eines vorläufiger Insolvenzverwalter überträgt. 231 Im Wege der Aufsicht hat das Gericht zumindest stichprobenweise zu überprüfen, ob der Sachverständige seine Kompetenzen überschreitet oder nicht und ob er seinem Gutachtenauftrag in gehöriger Weise nachkommt, insbesondere die Angaben Schuldners überprüft oder blind den Erzählungen und dem Zahlenmaterial des Schuldners vertraut. 2.1.2 Exkurs: Grundsätze der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung 232 Der Gesamtkomplex GOI umfasst ca. 70 Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung sowie eine erläuternde Prüfungsordnung. Insoweit besteht für Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit, ein entsprechendes Zertifikat mit einer Geltungsdauer von drei Jahren zu erwerben, das mit jährlicher, unangekündigter Überprüfung der Einhaltung dieser Grundsätze verbunden ist. Bei schwer wiegenden Verstößen(z. B. fehlender Nachweishaftpflichtversicherung [Grds. 16], Sammelkonten ohne Zuordnung statt Treuhandkonten [Grds. 43], intransparente Kontenführung [Grds. 44]) wird das Zertifikat versagt bzw. entzogen. 233 Diese benannten Grundsätze stellen nach Auffassung des Verfassers zum großen Teil zwar einerseits Selbstverständlichkeiten bei der Verwaltung fremden Vermögens dar, sind aber andererseits auch hervorragend geeignet, die Essentialia für gute Insolvenzverwaltung abzustecken: x

So ist offensichtlich einleuchtend, dass unter dem Gesichtspunkt der Höchstpersönlichkeit der Insolvenzverwalter die grundlegenden, verfahrensleitenden Entscheidungen selbst treffen muss (Grds. 1),

x

er Termine beim Insolvenzgericht und bei Gläubigerausschusssitzungen selbst wahrnimmt (Grds. 2 und 3),

x

spätestens in der ersten Betriebsversammlung für die notwendige Information der Belegschaft des schuldnerischen Unternehmens sorgt (Grds. 4),

x

die grundlegenden Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten selbst führt (Grds. 5) sowie

x

das Verfahren intern und extern leitet (Grds. 6).

x

Dass der Insolvenzverwalter sich externer Dienstleister nur in den Fällen bedient, in denen dies zulässig ist (Grds. 6) ist ebenso selbstverständlich wie der Umstand, dass er aus Gründen der Transparenz vor Inanspruchnahme solcher Dienstleister die Inanspruchnahme anzuzeigen hat und diese auch in jährlichen Abständen zu überprüfen hat, bzw. von ihnen auch Zertifizierungen verlangen kann (Grds. 7, 8 und 9).

x

Dass ein qualifizierter Insolvenzverwalter über zureichendes, gut ausgebildetes und auf aktuellem Stand befindliches Personal und aktuelle Technik verfügen und tägliche Datensicherung betreiben und Datenschutz beachten muss, ist ebenso klar, wie der Umstand, dass er einen Vertreter für Fälle der Krankheit, Urlaub etc. haben muss (Grds. 10 ff.).

x

Dass nicht nur der Insolvenzverwalter, sondern auch seine Angestellten sich an Kontrahierungsverbote halten müssen, ist auch keine Erfindung der GOI, sondern ergibt sich

___________ 133) BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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entgegen landläufiger Meinung bereits aus dem Gesetz, wie § 450 Abs. 2 letzter Halbs. und § 451 BGB zeigen! x

Dass der Insolvenzverwalter durch geeignete Auswertungssysteme jährlich seine Eröffnungsquote, die durchschnittlicher Verfahrensdauer und die tatsächliche Massemehrung durch Geltendmachung insolvenzspezifischer Ansprüche etc. (Grds. 21) überprüft, ist nicht nur sinnvoll, sondern auch durch das Insolvenzstatistikgesetz, das diese Angaben künftig fordert, vorgegeben.

x

Dass er das Insolvenzgericht über die Annahme des ihm übertragenen Amtes unverzüglich informiert (Grds. 22) sollte ebenso selbstverständlich sein, als er das Amt des Insolvenzverwalters nur annimmt, wenn er über die entsprechenden zeitlichen, personellen und sachlichen Kapazitäten und Ressourcen verfügt, um das Verfahren ordnungsgemäß abzuwickeln (Grds. 23).

x

Dem Charakter des Insolvenzverfahrens als Eilverfahren ist auch eigen, dass der Sachverständige, (vorläufige) Insolvenzverwalter unverzüglich (und nicht erst nach Tagen, Wochen oder Monaten) Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen und zu beantragen hat (Grds. 26 – 34).

x

Schon im eigenen Interesse sollte er für eine frühzeitige Mitarbeiterinformation unmittelbar nach Antragstellung in einer Betriebsversammlung sorgen und z. B. generell über Verfahrensablauf/Insolvenzgeldvorfinanzierung, Ausblick etc. informieren, da er ansonsten Gefahr läuft, aufgrund von Unsicherheit und Unklarheit die Leistungsträger im Unternehmen zu verlieren und bei nicht funktionierender Personalverwaltung chaotische Zustände zu provozieren (Grds. 35 ff.).

Dass das Insolvenzgutachten eine wesentliche Erkenntnisquelle für das Insolvenzgericht 234 ist, wurde bereits ausgeführt. Dass es sinnvoll ist, entsprechend Grds. 41 einzelne Gliederungspunkte i. S. eines gewissen Mindeststandards einzuhalten (z. B. als ständige Unterpunkte im Gutachten: Rechtliche und persönliche Verhältnisse, wesentliche Vertragsverhältnisse, wirtschaftliche Verhältnisse, bisherige Maßnahmen, Darstellung Aktiva und Passiva, Vorliegen von Eröffnungsgründen etc.134),135) unter Berücksichtigung von Wesentlichkeit, Wirtschaftlichkeit, Verständlichkeit, Wahrheit etc.), angepasst an den Einzelfall und ggf. an besondere Anforderungen des einzelnen Insolvenzgerichts, dürfte wohl niemand anzweifeln. Da das Gutachten aber nicht nur wesentliche Erkenntnisquelle des Insolvenzgerichts ist, sondern auch gleichzeitig der Rechenschaftslegung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters dient, ist es rechtzeitig einzureichen. Manche Gerichte reagieren äußerst ungehalten über Fristüberschreitungen. Zumindest sollten vor (!) Fristablauf entsprechende aussagefähige Fristverlängerungsanträge gestellt werden. Auch empfiehlt sich dringlichst aus Gründen der Transparenz die im Gutachten nach diesen Grundsätzen unter Nr. 41 genannte Gliederung später bei den Zwischenberichten und im Schlussbericht zu übernehmen und einzuhalten, da damit das Auffinden einzelner Positionen ungemein erleichtert wird, was auch nicht selten mit einer beschleunigten Überprüfung der Schlussrechnung verbunden ist. Dass der (vorläufige) Insolvenzverwalter für etwaige Einnahmen besondere, zuordnunsfähige, vollständige und für Insolvenzgericht und weitere berechtigte Verfahrensbeteiligte transparente Treuhandkonten zu führen hat und keine Sammelkonten führen darf, wurde bereits bei den schwerwiegenden Verstößen dargestellt. ___________ 134) S. dazu auch die Empfehlung des BAK InsO für die Gutachtenserstellung, abrufbar unter Downloads/ Dokumente, „Empfehlung für eine Gutachtenerstellung für Unternehmensinsolvenzen“. 135) Zur wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und Einsatz von betriebswirtschaftlichen Instrumenten bei der Erstellung von Insolvenzgutachten s. Dobler/Lambert, ZInsO 2010, 1819 oder BAK InsO abrufbar unter Downloads/Dokumente, „Empfehlung für eine Gutachtenerstellung für Unternehmensinsolvenzen“ m. w. H.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

235 Dass die insolvenzrechtliche Rechnungslegung (Einnahme-Ausgaben-Rechnung unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GOB) erfolgen muss, ergibt sich bereits aus dem Gesetz, da diese Grundsätze zum einen Selbstverständlichkeiten darstellen und zum anderen weitestgehend im HGB (z. B. §§ 238 Abs. 1 Satz 2, 239 Abs. 2, 252, 201, 256)136) gesetzlich kodifiziert sind oder zumindest als anerkannter Handelsbrauch normativen Charakter erlangt haben. Dass in den ab 1.1.2013 eröffneten Verfahren der Insolvenzverwalter Standardkontenrahmen InsO SKR 04 oder SKR 03137) verwenden soll, ist ebenfalls eine vernünftige Standardisierungsmaßnahme, die für wesentlich mehr Transparenz sorgt, das Auffinden einzelner Positionen wesentlich erleichtert und damit dem Insolvenzverwalter die Eigenkontrolle und etwaigen Kontrollorganen wie dem Insolvenzgericht die Aufsicht wesentlich erleichtert.) 236 Wenn in Grds. 47 formuliert ist, dass „zahlungswirksame Geschäftsvorfälle auf Treuhandkonten regelmäßig innerhalb von zehn Arbeitstagen buchhalterisch zu verarbeiten seien“, so kann dies lediglich Richtschnur einfachster Art sein. Jeder insolvenzrechtlich Interessierte, der sich mit Betriebsfortführung befasst hat, weiß, dass in Anbetracht knapper Liquidität bei der Betriebsfortführung regelmäßig täglich (oder in noch kürzeren Zeitabständen bei entsprechender Unternehmensgröße oder Dringlichkeit) gebucht werden muss, da ansonsten die Gefahr von nicht ausgleichsfähigen Masseverbindlichkeiten besteht. Bei reinen Liquidationsfällen ohne laufenden Geschäftsbetrieb erscheint die Zehn-Tages-Frist dagegen relativ kurz bemessen, ist aber aus Gründen der Transparenz angebracht. 237 Dass der Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zu berücksichtigen hat (Grds. 48) ist ebenso eine in HGB und AO gesetzliche normierte Selbstverständlichkeit, wie der Umstand, dass der Insolvenzverwalter die Rechte der Ausund Absonderungsberechtigten, insbesondere im Hinblick auf § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO) zu wahren und einen etwaigen erzielten Verwertungserlös unverzüglich auszukehren hat (Grds. 49 ff.). 238 Dass er Masseverbindlichkeiten erst begründen darf, wenn er sorgfältig (mit Ertrags- und Liquiditätsvorschau bei Fortführung lt. Grds. 52 und Finanzstatus bei Liquidation ) geprüft hat, dass er diese bei Fälligkeit bedienen kann (Grds. 52), und – soweit er „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter ist –, zur Begründung von Masseverbindlichkeiten eine Einzelermächtigung beim Gericht beantragen muss (Grds. 53) ist ebenso eine Selbstverständlichkeit, wie der Umstand, dass er für die Absicherung seiner Zahlungszusagen zu sorgen hat und im Falle etwaiger Masseunzulänglichkeit nach der Reihenfolge des § 209 InsO vorgehen muss (Grds. 54 und 55). 239 Wenn in Grds. 56 geregelt ist, dass in jedem Verfahren alle Möglichkeiten der Betriebsfortführung zwecks Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze auszuschöpfen sind, so ist dies eine aus §§ 22, 158 InsO folgende Wiederholung des Gesetzes. Dass für die Betriebsfortführung eine zeitnahe Liquiditätsplanung in Anlehnung an den IDW Standards erforderlich ist (Grds. 57) wurde ebenfalls bereits mehrfach betont. 240 Schließlich sind noch folgende Grundsätze auch nach Auffassung der Insolvenzgerichte notwendige Essentialia ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung: x

Kommunikation einer Auslaufproduktion und Unterbringung von Arbeitnehmern in einer BQG (Grds. 58),

x

sofortige Erfassung und ggf. Bewertung des Anlage- und Umlaufvermögens (Grds. 59) sowie

___________ 136) Überblick in wikipedia unter dem Stichwort GOB. 137) S. dazu BAK InsO unter Entschließungen/Standardkontenrahmen und Downloads: www.skr-inso.de.

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

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x

Zertifizierung und Überprüfung eingeschalteter Be- und Verwerter einschließlich zeitnaher Abrechnung sowie Auskehr etwaigen Verwertungserlöses (Grds. 60 ff.),

x

aktive Suche nach Kaufinteressenten und Inangriffnahme notwendiger Restrukturierungsmaßnahmen (Grds. 61 ff.),

x

aktuelle Tabellenführung (Grds. 63),

x

möglichst frühzeitiger, zumindest nicht zögerlicher Verfahrensabschluss (Grds. 65),

x

wie auch eine an die Vermögensübersicht nach § 153 InsO und

x

die laufenden (in den Gliederungspunkten möglichst identischen Zwischenberichten anknüpfende) transparente Schlussrechnungslegung (Grds. 65).

Auch wenn ein Insolvenzverwalter derart zertifiziert ist, ist das Insolvenzgericht nicht 241 davon abgehalten, gelegentliche Stichproben zu machen, ob tatsächlich diese Grundsätze im Verfahren auch eingehalten werden, z. B. durch Überprüfung zeitnahen Buchens, Vorlage einer Liquiditätsvorschau etc. 2.1.3 Vom antragstellenden Schuldner/Gläubiger vorgeschlagener Gutachter Allein der Umstand, dass der Sachverständige vom Schuldner oder Gläubiger vorgeschlagen 242 wird, begründet entsprechend dem Rechtsgedanken des § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO noch keine Interessenkollision. Da die Vorschriften über die Befangenheit des Richters auch auf den Sachverständigen gemäß § 4 InsO, § 406 ZPO anwendbar sind, erscheint es ratsam, dass das Insolvenzgericht über eine Befragung des Kandidaten über den oben vorgeschlagenen Fragebogen eine weitergehende Abhängigkeit ausschließt. Soweit der Kandidat Angaben macht, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen und etwaige Interessenkollisionen herausstellen, hat das Insolvenzgericht für die notwendigen Konsequenzen zu treffen. Soweit der Sachverständige entsprechend § 56a Abs. 2 InsO einstimmig von einem vor- 243 handenen vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagen wird, tritt formal keine Bindung des Insolvenzgerichts an den Vorschlag ein, da diese Vorschrift nicht auf den Sachverständigen anwendbar ist. Steht aber seine Bestellung als vorläufiger Insolvenzverwalter/ Insolvenzverwalter an, ist das Gericht grundsätzlich bis auf die Fälle der Ungeeignetheit des Vorgeschlagenen an den Vorschlag gebunden. Ungeeignetheit liegt aber auch dann vor, wenn eine erhebliche Interessenkollision vorliegt. Daher hat auch in diesen Fällen – wie bereits ausgeführt – das Insolvenzgericht die Geeignetheit (d. h. insbesondere Unabhängigkeit) des Vorgeschlagenen und der Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses zu überprüfen (siehe oben Rz. 91 ff.). Unabhängig von der Einstimmigkeit der Entscheidung eines etwaigen vorhandenen vor- 244 läufigen Gläubigerausschusses, sind auch dessen Anhörungsrechte zur Person und zum Anforderungsprofil vor der Bestellung des vorläufigen/endgültigen Insolvenzverwalters/ Sachwalters entsprechend §§ 56a Abs. 2, 21 Abs. 2 Satz 1, 274 InsO zu beachten. Innerhalb dieses Rahmens hat das Insolvenzgericht dann die Entscheidung zu treffen. 2.2

Die vorläufige Insolvenzverwaltung

2.2.1 Auswahl Soweit es um die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters hinsichtlich Person und 245 Anforderungsprofil gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 56, 56a InsO geht, wird insbesondere auf die Ausführungen unter Rz. 196 ff. verwiesen.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

2.2.2 Bestellung 246 Nach dem verfassungsrechtlich geschützten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der auch im Insolvenzverfahren gilt, hat das Insolvenzgericht – soweit auch mit ihm der beabsichtigte Erfolg eintritt – das jeweils mildere Mittel zu wählen. Dies hat zur Konsequenz, dass in den Fällen, in denen ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (d. h. mit Zustimmungserfordernis) ausreichend ist, kein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter (d. h. mit Verfügungsbefugnis) bestimmt werden darf. 247 Hinsichtlich der unterschiedlichen Aufgabenstellungen von „schwachen“ und „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter und der damit verbundenen unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollaufgaben ist auf die Ausführungen bei Rz. 133 ff. zu verweisen. 2.2.2.1

„Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis

248 Ungeachtet des Umstandes, dass der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 2 InsO üblicherweise Masseverbindlichkeiten begründen kann, hat das Gericht darauf zu achten, dass dies nicht in masseschädigender Weise geschieht. Wird die künftige Insolvenzmasse in erheblichem Umfang ohne Not durch Eingehen von nicht nachvollziehbaren Masseverbindlichkeiten gemindert, so kann Insolvenzzweckwidrigkeit oder fehlende Rechtmäßigkeit vorliegen, die Aufsichtsmaßnahmen des Gerichts begründet. Beispiel Der vorläufige Insolvenzverwalter I setzt seinen Freund F zu einem Monatsgehalt i. H. v. 10 000 € als Interimsmanager ein, obwohl ein kompetenter und zur Zusammenarbeit williger und fähiger Geschäftsführer vorhanden ist. 249 Es ist darauf zu achten, dass der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter zur Fortführung des Geschäftsbetriebes gemäß § 22 InsO verpflichtet ist und er sich – soweit möglich – einerseits sämtliche Optionen (Sanierung/übertragende Sanierung/Liquidation) offenhalten muss, aber §§ 103 ff. InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht anwendbar sind, was die Gefahr erheblicher Masseverbindlichkeiten begründet, die die künftige Masse schmälern. Deshalb ist es immens wichtig, wie auch die GOI ausführen, dass eine detaillierte Liquiditätsplanung und Ertragsplanung stattfindet. 2.2.2.2

„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt

2.2.2.2.1 Einzelermächtigung 250 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kann bekanntlich keine Masseverbindlichkeiten begründen. Soweit er erkennen kann, dass er von ihm ausgelöste Verbindlichkeiten erst im Insolvenzverfahren bezahlen kann, muss er nach BGH eine sog. Einzelermächtigung138) beim Insolvenzgericht beantragen. Das Insolvenzgericht ist zur Prüfung derartige Anträge verpflichtet (!) und hat deshalb ohne Murren und ohne Androhung von Konsequenzen für den Fall erneuter Antragstellung zu prüfen und zu verbescheiden. Insbesondere hat das Insolvenzgericht bei der Anordnung darauf zu achten, dass es im gleichen Umfang, wie es den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Eingehung der Masseverbindlichkeit ermächtigt, dem Schuldner die Verfügungsbefugnis entzieht! Da bei der Beantragung der Einzelermächtigung häufig und immer wieder dieselben Fehler gemacht werden und Anträge auf Einzelermächtigung bei Insolvenzgerichten nicht immer auf Gegenliebe stoßen, ist in diesem Zusammenhang auf Folgendes hinzuweisen: ___________ 138) BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1629.

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§7

Der gravierendste Fehler ist, dass die Einzelermächtigung erst beim Insolvenzgericht be- 251 antragt wird, wenn das Rechtsgeschäft bereits endgültig abgeschlossen ist. Der BGH hat bereits in der Ausgangsentscheidung betont, dass die Ermächtigung zur Begründung der Masseverbindlichkeit vor Abschluss des Rechtsgeschäfts einzuholen sei, da dem Gericht eine echte vorherige Prüfung möglich sein müsse, da das Insolvenzgericht auch zur Ablehnung berechtigt sei und nicht die Funktion erfülle, im Nachhinein Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters abzusegnen. Darüber hinaus ist eine derartige Verfahrensweise auch fatal. Mangels Genehmigung der Einzelermächtigung durch das Insolvenzgericht darf der Verwalter im eröffneten Verfahren die im Eröffnungsverfahren begründete Verbindlichkeit nicht voll erfüllen, da sie eine Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO darstellt und Insolvenzforderungen lediglich mit der Quote befriedigt werden. Wird sie trotzdem als Masseverbindlichkeit erfüllt, hat dies für den Verwalter gegenüber der Gläubigergemeinschaft und dem Schuldner haftungsrechtliche (§ 60 InsO) und bei Vorsatz wohl auch strafrechtliche (§ 266 StGB) Konsequenzen. Wird sie nicht erfüllt, hat der Lieferant zunächst den Schaden, für den der vorläufige Insolvenzverwalter nach allgemeinen Grundsätzen haftet. Ein weiterer gravierender Fehler in der Antragstellung liegt darin, wenn der vorläufige 252 Insolvenzverwalter beantragt, dass das Gericht ihn „ermächtigen möge, die zur Betriebsfortführung erforderlichen Masseverbindlichkeiten zu begründen.“ Auch noch im Jahr 2013 werden derartige Anträge gestellt, obwohl der BGH bereits in der Ausgangsentscheidung im Jahr 2002 darauf hingewiesen hat, dass derartige Generalermächtigungen unzulässig sind und die einzelne, zu bestellende Masseverbindlichkeit hinreichend konkret genug bezeichnet und individualisiert werden muss, um dem Gericht überhaupt eine Prüfung zu ermöglichen. Nun bedeutet dies in der Konsequenz nicht, dass der Ankauf jeder einzelnen Büroklam- 253 mer selbstständig über den Weg einer Einzelermächtigung abgesegnet werden muss. Gruppen-139) oder Gattungsermächtigungen sind zulässig, soweit sie bestimmbar eingrenzbar sind. So würde aus Sicht des Verfassers nichts dagegen sprechen, wenn eine Einzelermächtigung dahingehend beantragt wird, dass der „vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt wird, Masseverbindlichkeiten für das schuldnerische Unternehmen gegenüber Energieversorgern für Gas, Wasser und Strom mit einem monatlichen Gesamtmaximalbetrag von 17 000 € zu begründen“. Hinreichende Bestimmbarkeit liegt insoweit vor. Zur Überprüfbarkeit und hinreichenden Individualisierung empfiehlt es sich grundsätzlich 254 etwaige Vertragspartner zu benennen, eine Obergrenze für die einzelne Masseverbindlichkeit festzulegen und den Vertragszweck zu dokumentieren. Paradefall einer Einzelermächtigung sind die für die Insolvenzgeldvorfinanzierung be- 255 nötigten Gebühren und Zinsen, die nach allgemeiner Meinung vom Schuldner zu tragen sind. Insoweit ist regelmäßig die Begründung von Masseverbindlichkeiten erforderlich. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat als Dienstleister die Erforderlichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung textlich darzustellen und darzulegen, ob die Voraussetzungen für die Insolvenzgeldvorfinanzierung vorliegen, insbesondere die Bundesagentur seinem Konzept bereits zugestimmt hat. Ferner muss er das Vertragsinstitut (Bank) benennen, das die Insolvenzgeldvorfinanzierung durchführt und die maximale Höhe des Massekredits. Soweit zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens darüber hinaus z. B. zwingend 256 Baumaterialien zur Fertigstellung eines Bauvorhabens für 10 000 € benötigt werden, die aber erst nach Verfahrenseröffnung bezahlt werden können, wäre nach den textlichen Ausführungen zur Notwendigkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung und der Baumaterialien fol___________ 139) Kirchhof in: HK-InsO, § 21 Rz. 16.

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gende auf einem gesonderten Blatt gefertigte Tabelle, z. B. in Form einer Excel Tabelle, ausreichend: 257

Abb. 1: Beispiel einer Übersichtstabelle Vertragspartner

Vertragszweck

maximale Höhe

ABC-Bank

Masseverbindlichkeit für Zinsen und Gebühren Insolvenzgeldvorfinanzierung

5 000 €

XY Bau GmbH

Baumaterialien (Zement, Kalk, Sand)

10 000 €

Diese Tabelle kann das Gericht im Falle der Zustimmung zur Einzelermächtigung seinem Beschluss als Anlage beifügen 258 Im Anschluss daran ist eine nachvollziehbare (!) Liquiditätsvorschau anzufügen, um dem Gericht die Erfüllung des Darlehens im eröffneten Verfahren plausibel zu machen. Bedauerlicherweise wird dies meist „vergessen“, was mit dem fatalen Risiko der Ablehnung der Einzelermächtigung einhergeht. 259 Stimmt das Insolvenzgericht den Ausführungen des Antragstellers zur Einzelermächtigung zu, so kann es mit einem regelmäßig nur geringfügig abzuändernden Formularbeschluss unter Anführung der o. g. Excel Tabelle und der Liquiditätsvorschau als Anlagen, den Antrag auf Einzelermächtigung recht einfach und schnell bearbeiten. 260 Einzelheiten für eine derartig formalisierte Antragstellung sollten sinnvollerweise mit dem jeweiligen Insolvenzgericht vorher abgesprochen werden. 2.2.2.2.2 Treuhandkonten 261 Diesbezüglich sind aus Gründen der Vorsicht einige Anmerkungen erforderlich: Dem Sequester war nach der KO und der GesO eine Betriebsfortführung regelmäßig schon deshalb nicht möglich, da ihm – im Gegensatz zum vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalter – die Verfügungsbefugnis fehlte. Lediglich war ihm eine Unterstützung des Schuldners möglich. Masseverbindlichkeiten konnten aber weder er noch der Schuldner begründen. Eine vollständige Zahlung von zum Zeitpunkt vor Konkurseröffnung begründeter Verbindlichkeiten war – ebenso wie nach §§ 38, 87 InsO – nach Eröffnung des Konkurses nicht möglich. Da es aber auch zu dieser Zeit – wenn auch im eingeschränkten Umfang und lediglich zur Massemehrung – Fortführungsfälle gab, in denen das Bedürfnis bestand, Lieferanten, die zur Fortführung des Betriebes notwendige Materialien noch vor Verfahrenseröffnung liefern sollten, vollständig zu bezahlen, musste eine Konstruktion für die Fälle gesucht werden, in denen eine Zahlung erst nach Verfahrenseröffnung erfolgen konnte, weil bis dahin keine liquiden Mittel vorhanden waren. Diese Lösung fand der BGH in der sog. „doppelten Treuhand“. Beispiel Schuldner und Sequester benötigen zur Fertigstellung des Bauvorhabens des Bauherrn X Baumaterialien, die mangels Liquidität aber erst nach Verfahrenseröffnung und Eingang des von X zahlenden Werklohns gezahlt werden können. Lösung: Die künftige Werklohnforderung gegen X wurde an einen Treuhänder dinglich abgetreten, der dafür ein Treuhandkonto einrichtete und bei Zahlungseingang den Lieferanten befriedigte. Der Begriff der doppelten Treuhand ergibt sich daraus, dass der Treuhänder für beide Seiten tätig war, einmal für den Bauherrn und einmal für den Schuldner bzw. den Sequester. Neben

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anderen sinnvollen, aber im Ergebnis oft unzureichenden140) oder nicht akzeptierten Sicherungen, war diese Lösung die einzige, von der Rechtsprechung akzeptierte Möglichkeit zur Vollzahlung dieser Insolvenzforderung nach Eröffnung. Bei der einzugehenden Lieferantenverbindlichkeit handelte es sich zwar nicht um eine Altverbindlichkeit im üblichen Sinne, doch blieb sie, da vor Eröffnung begründet, Konkursforderung. Erst mit der Konstruktion der doppelten Treuhand wurden diese Fälle lösbar. Mit der Einführung der InsO gab es den zur Begründung von Masseverbindlichkeiten über 262 § 55 Abs. 2 InsO berechtigten, („starken“) vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis. Außer in den Fällen der Masseunzulänglichkeit ist damit eine Vollzahlung der Lieferantenverbindlichkeit problemlos möglich. Ein weiterer Schritt wurde mit der von der Rechtsprechung entwickelten „Einzelermächtigung“ gemacht, wonach auch der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis mit Zustimmung des Gerichts Masseverbindlichkeiten begründen kann. Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit für die Treuhandkontenlösung wegen der geänderten Gesetzeslage und der in der Rechtsprechung anerkannten Konstruktion der Einzelermächtigung tatsächlich noch ein Bedürfnis besteht, da der Verdacht naheliegt, dass damit „eine Masse neben der Masse“ geschaffen wird. Von der Kommentierung wird teilweise pauschal die Auffassung vertreten, dass der vor- 263 läufige Verwalter generell ermächtigt werden könne, zur Absicherung solcher Verbindlichkeiten ein gesondertes Treuhandkonto zu eröffnen.141) Die dazu angeführte Entscheidung142) betrifft allerdings einen noch nach Konkursrecht abzuhandelnden Sonderfall. Die weitere Behauptung, dass die Zulässigkeit eines insolvenzfesten Treuhandkontos in 264 ständiger Rechtsprechung vom BGH anerkannt worden sei, wird scheinbar gestützt durch zwei Entscheidungen des BGH: x

Nach Urteil des BGH vom 20.9.2007143) verbleibt, „wenn ein Drittschuldner aufgrund einer Anordnung des Insolvenzgerichts einen Geldbetrag auf ein vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichtetes Anderkonto einzahlt und dieses Treuhandkonto nach Insolvenzeröffnung als Hinterlegungskonto aufrechterhalten wird, das Guthaben im Treuhandvermögen des Insolvenzverwalters persönlich; es wird nicht Teil der Masse.“ Der BGH hat in dieser Entscheidung die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO zutreffend wegen Zahlung vor Eröffnung abgelehnt und festgestellt, dass bei Zahlungen auf derartige Treuhandkonten die Person des Treuhänders entscheidend sei. Dies war im vorliegenden Fall der vorläufige Insolvenzverwalter. Da die Zahlung ersichtlich an ihn und nicht an den Schuldner erfolgt sei, gehöre das Guthaben nicht zur Masse.

x

In die gleiche Richtung geht die Entscheidung des BGH vom 18.12.2008,144) wonach „Zahlungen, die auf einem von einem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter oder Treuhänder eingerichteten Anderkonto eingehen, weder in das Schuldnervermögen noch in die Masse fallen, sondern ausschließlich dem Anwalt zustehen“. Der BGH führte hierzu aus, dass der Insolvenzverwalter Schuldnervermögen habe vereinnahmen wollen, rechtfertige keine andere Beurteilung. Zahlungen auf ein Anderkonto würden – anders als bei Zahlungen auf ein „Sonderkonto“ – nicht in die Insolvenzmasse fallen!

x

Die Kernaussage dieser Entscheidungen ist nach hiesiger Auffassung damit nur, dass der vorläufige Insolvenzverwalter Treuhandkonten führen darf. Tut er dies, zählen eventuelle Zahlungen auf derartige Konten nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum Treu-

___________ 140) 141) 142) 143) 144)

Z. B. einfacher Eigentumsvorbehalt bei Weiterverarbeitung. Graf-Schlicker-Voß, InsO, § 22 Rz. 17. BGH, Urt. v. 24.1.2002 – IX ZR 180/99, ZIP 2002, 535. BGH, Urt. v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279. BGH, Beschl. v. 18.12.2008 – IX ZR 192/07, ZIP 2009, 531.

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Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung handvermögen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. des Treuhänders. Mithin wird also lediglich die Frage der Empfangszuständigkeit geregelt, nicht aber die Frage, ob der vorläufige Insolvenzverwalter künftige Masse (künftiger Werklohnanspruch) an einen Treuhänder abtreten darf, der bei Zahlungseingang dann bevorzugt den Lieferanten befriedigt. Ein derartiges Rechtsgeschäft dürfte generell (zumindest bei etwaigem Schadenseintritt), der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO unterliegen.

265 Insoweit stellt sich die Frage, ob ein Ausweichen auf die eingangs beschriebenen Treuhandkonstruktionen in derartigen Fortführungsfällen zulässig und sinnvoll ist: Zahlreiche Gespräche mit Insolvenzverwaltern haben gezeigt, dass in Anbetracht der Möglichkeit der Vereinbarung von Sicherungsinstrumenten (z. B. Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung), der Möglichkeit der Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung und der Möglichkeit der Einzelermächtigung faktisch nur zwei Fälle übrig bleiben, in denen die „doppelte Treuhand“ erforderlich wird: x

Dies sind zum einen die Fälle, in denen der konkrete Rechnungsbetrag bei Eröffnung wegen laufenden Bezugs nicht feststehen kann (z. B. Telefon, Gas, Wasser etc.). Dieses Problem lässt sich in den meisten Fällen mit großzügigen Abschlagszahlungen erledigen.

x

Zum anderen zählen hierzu die Fälle erkennbar eintretender Masseunzulänglichkeit. In allen anderen Fällen ist eine Lösung über die gesetzlich vorgesehenen oder von der Rechtsprechung entwickelten Einzelermächtigungen möglich.

266 In Anbetracht der noch herrschen Unsicherheiten, sollte nach hiesiger Auffassung möglichst daher von derartigen Treuhandkonstruktionen abgesehen werden, da letztere in erhebliches Risikopotential bieten. Soweit sich eine derartige Konstruktion nicht vermeiden lässt, sollten die Einzelheiten zumindest mit dem zuständigen Insolvenzgericht abgestimmt werden, da nicht wenige Insolvenzgerichte aus Gründen der Transparenz für die Zulässigkeit des Treuhandkontenmodells in diesen Fällen eine vorherige Einwilligung des Insolvenzgerichts fordern. Ob allerdings das Insolvenzgericht für das Verfahren bindend eine Treuhandlösung „genehmigen“ kann, erscheint fraglich, da zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Treuhand die Zivilgerichte zuständig sind. 2.2.2.2.3 Einziehungsermächtigungen 267 Hier hat das Insolvenzgericht zu überprüfen, ob der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis oder Verfügungsbefugnis in rechtmäßiger Weise und Umfang von seiner grundsätzlichen Befugnis zum Widerruf von Einzugsermächtigungen Gebrauch macht.145) 2.2.2.2.4 Zahlung auf Altverbindlichkeiten 268 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat darauf zu achten, dass nicht auf abgeschlossene Altverbindlichkeiten bezahlt wird. Eine derartige Zahlung verringert lediglich die künftige Masse, ohne von Nutzen zu sein. Im eröffneten Verfahren wäre diese Forderung aber lediglich Insolvenzforderung und mit der Quote zu befriedigen.

___________ 145) S. dazu den beachtlichen Entscheidungsüberblick in Graf-Schlicker-Voß, InsO, § 22 Rz. 26. Mit den grundlegenden Entscheidungen des BGH, Urt. v. 20.7.2010 – IX ZR 37/09, ZIP 2010, 1552 und BGH, Urt. v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, ZIP 2010, 1556 und der Neufassung des Zahlungsverkehrs ist insoweit etwas Ruhe eingekehrt.

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Anders kann dies sein, wenn Aus und Absonderungsrechte bestehen. 269 Beispiel Schuldner S hat den Firmen LKW in Reparatur gegeben. Die Werkstatt W hat einen anderen Motor eingebaut, der den Wert des Fahrzeugs um 5 000 € erhöht. W verweigert die Herausgabe bis zur Zahlung des Werklohns und Verwendungen i. H. von 5 000 €. Hier kann Zahlung erfolgen, da W ohnehin ein zu einem Absonderungsrecht führendes Werkunternehmerpfandrecht nach § 647 BGB bzw. ein Pfandrecht nach § 1000 BGB zusteht. Gleiches gilt für Zahlungen, die zur Ablösung vorteilhafter Eigentumsvorbehalte erfolgen. 2.2.2.2.5 Beachtung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kommen generell nur im Falle einer Be- 270 triebsfortführung im Vorverfahren in Betracht, wenn die genannten Gegenstände zur Fortführung des schuldnerischen Betriebes von erheblicher Bedeutung sind.146) Bei Beschlussfassungen hat dies das Gericht konkret zu begründen. Das Gericht hat ferner auch i. S. eines ordnungsgemäßen Verfahrens darauf zu achten, dass das Verfahren nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO eingehalten wird und nicht einfach Einbehalt erfolgt. 2.2.2.2.6 Schlussrechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters Für die Schlussrechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters (und des vorläufigen Sach- 271 walters bei Eigenverwaltung nach § 281 Abs. 3 Satz 1 InsO) gilt § 66 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO entsprechend. Nicht nur der endgültige Insolvenzverwalter, sondern auch der vorläufige Insolvenzver- 272 walter ist nach § 66 InsO zur Rechnungslegung verpflichtet, die damit einen umfassenden Überblick in die bisher geleistete Arbeit bietet und eines der wesentlichen Kontrollinstrumente für Gläubigerorgane und Insolvenzgericht darstellt: x

Zahlungsbewegungen sind in buchhalterischer Weise zu führen, d. h. neben einer chronologischen Auflistung von Einnahmen und Ausgaben sind Sachkonten zu führen, aus denen sich die Abwicklung von mit Absonderungsrechten belasteten Gegenständen oder Personalausgaben ergeben.

x

Aus der Abrechnung muss sich weiterhin jeder Massegegenstand und seine Verwendung ersehen lassen.147) Nur dann ist die erforderliche Transparenz gewährleistet.

x

Auch sollte die im Gutachten verwandte Gliederung beibehalten werden.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen zur Schlussrechnung zu verwiesen (siehe unten Schmittmann § 33). Die Schlussrechnung für das Eröffnungsverfahren belegt, dass genügend Masse zur De- 273 ckung der Verfahrenskosten, mithin zur Verfügung, steht. Insoweit hat die Rechnungslegung vor Verfahrenseröffnung zu erfolgen. Aus ihr kann auch ersehen werden, welcher Anteil an Verwaltungskosten aufgewandt wurde. Ist dieser sehr hoch, besteht regelmäßig bei Überschreiten der Zweckmäßigkeitsgrenze erhöhter Erklärungsbedarf, da der Verdacht naheliegt, dass der Verwalter ihm ureigene Aufgaben in unzulässiger Weise ausgelagert hat oder völlig unsinnige Ausgaben getätigt hat. Die Ausgaben können aber auch aufgrund besonderer Umstände gerechtfertigt sein (z. B. Erfordernis Interimsmanager wegen Spezialmaterie). Der seriöse Insolvenzverwalter wird dies kurz und nachvollziehbar begründen. ___________ 146) Graf-Schlicker-Voß, InsO, § 21 Rz. 26. 147) Graf-Schlicker-Voß, InsO § 66 Rz. 4.

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274 Auch sollte z. B. in Zwischenberichten und im Schlussbericht nachvollziehbar dargelegt sein, woher der vorläufige Insolvenzverwalter seine Informationen bezieht. Das Gericht sollte auch überprüfen, ob sich der vorläufige Insolvenzverwalter blind auf die Angaben des Schuldners oder Dritter verlässt, ob es in der Firma des Schuldners ein funktionierendes Controlling gibt oder nicht bzw. ob der vorläufige Insolvenzverwalter (und spätere Insolvenzverwalter) ein eigenes, funktionsfähiges Controlling unterhält oder nicht. Hierbei werden manchmal erstaunliche Zustände festgestellt. 275 Auf die Rechnungslegung soll148) verzichtet werden können, wenn der Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung kurz war oder lediglich ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungserfordernis bestellt wurde. Dem ist zu widersprechen, da ansonsten keine Kontrolle möglich wäre. 276 Zuletzt soll auch noch daran erinnert werden, dass sowohl im Eröffnungsverfahren als auch im eröffneten Verfahren laufend stichprobenartig die Entnahmen des (vorläufigen) Verwalters für Vorschüsse und Auslagen zu prüfen sind. Zur Entnahme von Vorschüssen und Auslagen ist er nach § 9 InsVV nur in Höhe der Beträge befugt, deren Entnahme das Insolvenzgericht bereits zugestimmt hat! Wird ohne Zustimmung entnommen, liegt Untreue i. S. des § 266 StGB vor.149) 2.3

Das eröffnete Verfahren

277 Sind die Verfahrenskosten gedeckt, kann das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Der nach § 58 InsO unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts stehende Insolvenzverwalter hat dabei den laufenden Geschäftsbetrieb regelmäßig zumindest bis zum Berichtstermin fortzuführen und sich dabei – wenn möglich – sämtliche Varianten (Liquidation, übertragende Sanierung, Sanierung mit Insolvenzplan) offenzuhalten, um der Gläubigergemeinschaft eine echte Alternative bei ihrer Entscheidung zu ermöglichen. Gewisse Verluste werden dabei in Kauf genommen. 278 Vorsicht ist aber beim Insolvenzgericht und den übrigen Beteiligten angebracht, wenn die vorhandene Insolvenzmasse ständig und mit höherer Geschwindigkeit schrumpft. Insoweit muss sich der Insolvenzverwalter wie auch das Insolvenzgericht und die Gläubigerversammlung die Frage stellen, ob eine Fortführung des Unternehmens auch über den Berichtstermin hinaus Sinn macht oder lediglich Geld verbrannt wird. 279 Im Wege der gerichtlichen Aufsicht im engeren Sinn wird die Einhaltung der insolvenzspezifischen Pflichten des Insolvenzverwalters überprüft. Insoweit gilt: x Welche noch nicht vollbeendeten gegenseitigen Verträge i. S. der §§ 103 ff. InsO der Insolvenzverwalter erfüllen will oder nicht, ist ureigenste Aufgabe des Insolvenzverwalters und obliegt nicht der Prüfung des Insolvenzgerichts. Anderes mag dann gelten, wenn in masseschädigender Verfahrensweise agiert wird. Das Insolvenzgericht kann allerdings die Einhaltung der Vorschriften über die „Freigabe“ nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, der Kündigungsverbote des § 112 InsO und der sonstigen Kündigungsvorschriften nach § 113 InsO überprüfen. x

Ferner obliegt dem Gericht die Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensrechte der Beteiligten, z. B. § 168 InsO.

x

Auch hat das Gericht zu überprüfen, ob die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses/der Gläubigerversammlung eingeholt wurde bei beabsichtigter Betriebsschlie-

___________ 148) KG Berlin, Beschl. v. 3.4.2001 – 7 W 8034/00, NZI 2001, 307; Nachweis auch bei Graf-Schlicker-Voß, InsO, § 66 Rz. 15. 149) BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 53/02, ZIP 2002, 2223 = ZInsO 2002, 1133; Büttner in: HambKommInsR, § 9 InsVV Rz. 5.

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ßung vor Berichtstermin (§ 158 InsO), bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 160 InsO), der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (§ 162 InsO) oder ggf. bei Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 InsO). x

Es wird geprüft, ob der Insolvenzverwalter eine Insolvenztabelle führt und

x

ob er es in masseschädigender Weise unterlässt, offensichtliche Insolvenzanfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO oder andere insolvenzspezifische Ansprüche aus Gesellschafterhaftung oder Geschäftsführerhaftung geltend zu machen. Dies kann (bei einheitlicher Gliederung) recht leicht durch Vergleich der Positionen im Gutachtenmuster, mit denen im tatsächlich erstellten Gutachten sowie denen der Zwischenberichte und dem Schlussbericht festgestellt werden.

Nach § 66 InsO hat der Insolvenzverwalter bei Beendigung seines Amtes der Gläubiger- 280 versammlung Rechnung zu legen. Soweit er die Schlussrechnung rechtzeitig vorlegt, hat das Insolvenzgericht diese vorab zu prüfen. Das Gesetz sagt nicht, wie die Schlussrechnung zu prüfen ist. Es spricht in § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO lediglich davon, dass der Schlussrechnung Belege beizufügen sind, was eine Prüfung der Übereinstimmung von jeweiligem Beleg und Buchung nahelegt. Weitere Anhaltspunkte ergeben sich aus § 259 Abs. 1 BGB, nach dem ein Rechenschaftspflichtiger dem Berechtigten eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und/oder Ausgaben nebst Belegen vorzulegen hat. Zahlungsbewegungen sind dabei in buchhalterischer Weise zu führen und darzustellen. Neben einer chronologischen Auflistung von Einnahmen und Ausgaben sind Sachkonten zu führen, aus denen sich z. B. die Abwicklung von Absonderungsrechten belasteten Gegenständen oder Personalausgaben ergeben. Aus der Rechnungslegung müssen sich jeder Massegegenstand und seine Verwendung ersehen lassen. Entbehrlich ist eine Rechnungslegung nur dann, wenn keinerlei Umsätze getätigt wurden.150) Wenn § 66 Abs. 1 Satz 2 InsO davon spricht, dass der Insolvenzplan eine abweichende Regelung von der Rechnungslegungspflicht gegenüber der Gläubigerversammlung spricht, soll davon die Rechnungslegungspflicht gegenüber dem Gericht unberührt bleiben.151) Diese kann sich dann aber nur aus § 58 InsO bzw. dem allgemeinen Amtsermittlungsgrundsatz ergeben. Art und Weise der Schlussrechnungsprüfung hängen darüber hinaus von der Person des 281 Schuldners und dem Umfang der Insolvenzmasse ab.152) In der Regel ist eine stichprobenartige Prüfung der reinen Rechnungslegung oder die Bildung von Prüfungsschwerpunkten aber ausreichend!153) Auch kann sich das Gericht nach der Begründung des Regierungsentwurfs154) bei der Prü- 282 fung der Schlussrechnung der Hilfe von Sachverständigen bedienen, deren Vergütung zu den Kosten des Verfahrens i. S. des § 54 InsO zählen. Hier erscheint aber Vorsicht geboten. Das Gericht kann sich der Hilfe von Sachverständigen nur bedienen, wenn ihm die erforderliche Sachkenntnis fehlt! Dies mag in rechtlich schwierigen und umfangreichen Fällen gegeben sein, jedoch ist es kaum vorstellbar, dass der Rechtspfleger nicht in der Lage ist einen Beleg zu lesen und auf Übereinstimmung mit einer konkreten Buchung zu vergleichen. Schaltet das Gericht aber unnötigerweise aus Bequemlichkeit oder wegen Überlastung Sachverständige ein, führt deren Inanspruchnahme naturgemäß zu über § 54 InsO auszugleichenden Kosten.155) Reicht dann die Insolvenzmasse aber nicht zur Begleichung sämt___________ 150) 151) 152) 153) 154) 155)

Graf-Schlicker-Riedel, InsO, § 66 Rz. 4. Graf-Schlicker-Riedel, InsO, § 66 Rz. 2. Graf-Schlicker-Riedel, InsO, § 66 Rz. 3. Graf-Schlicker-Riedel, InsO, § 66 Rz. 9; Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 225. Begr. zu § 76 RegE/66 InsO, BT-Drucks. 12/2443. In diese Richtung auch Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 226 ff.

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§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

licher Verfahrenskosten, sämtlicher Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen aus, so entsteht ein Schaden, da sich zumindest aus der um das Honorar des Sachverständigen gekürzten Insolvenzmasse eine geringere Quote für die Insolvenzgläubiger ergibt. Können nicht einmal alle Masseverbindlichkeiten bedient werden, leiden die Altmassegläubiger unter dieser Verfahrensweise. 283 Hat der Rechtspfleger aber völlig unnötig einen Sachverständigen mit der Prüfung der Schlussrechnung beauftragt, lässt sich durchaus an Amtshaftung nach § 839 i. V. m. Art. 34 GG denken. Daran sollte bei allzu großzügiger Vergabe von Schlussrechnungen an Sachverständige gedacht werden. Auch ist es Aufgabe der Justizverwaltung für zureichendes, die ordnungsgemäße Schlussrechnungsprüfung ermöglichendes Personal zu sorgen. Eine Schlussrechnungsprüfung durch Sachverständige zu Lasten der Gläubigergemeinschaft oder des Insolvenzverwalters ist in diesen Fällen nicht statthaft. Erfolgt ausnahmsweise eine Vergabe an externe Sachverständige, so sollte auch der Umfang des Auftrags des Sachverständigen von vornherein und hinreichend konkret bestimmt werden, um Missverständnisse auszuschließen. 2.4 Eigenverwaltungsverfahren 284 Bei auf Antrag des Schuldners vom Insolvenzgericht angeordnetem Eigenverwaltungsverfahren besteht die Besonderheit, dass der Schuldner unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse verwaltet und über sie verfügt. Mit Inkrafttreten des ESUG hat der Gesetzgeber die Eigenverwaltung wesentlich erleichtert. 285 Antragserfordernisse: Nunmehr hat das Gericht neben dem Vorliegen eines Antrags nur noch zu prüfen, ob Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zum Nachteil für die Gläubiger führt. Das frühere Erfordernis der Zustimmung eines Insolvenzantrag stellenden Gläubigers ist entfallen. Bereits die jetzige Formulierung des Gesetzes zeigt, dass etwaige, zu befürchtende Nachteile nicht erst noch nach dem Amtsermittlungsgrundsatz ermittelt werden sollen. Sind derartige Nachteile nicht konkret feststellbar, so ist entsprechend dem gesetzgeberischen Willen gegenüber der früheren Rechtslage nach einer Art „Umkehr der Beweislast“ davon auszugehen, dass keine nachteiligen Wirkungen durch die Anordnung der Eigenverwaltung vorhanden sind. 286 Abgemildert wird diese gesetzgeberische Intention durch die frühzeitige Einbindung der Gläubiger nach § 270 Abs. 3 InsO. Nach dieser Vorschrift soll einem vorläufigen Gläubigerausschuss vor der Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, soweit dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Steuern kann der Schuldner dieses Verfahren, wenn er einen vorläufigen Gläubigerausschuss vorschlägt und dessen Mitglieder benennt, die sich bereits vorab einstimmig auf einen bestimmten vorläufigen und endgültigen Sachwalter geeinigt haben. Sind die benannten Mitglieder des künftigen Gläubigerausschusses grundsätzlich für diese Funktion geeignet, und trifft dasselbe auf den vorgeschlagenen vorläufigen bzw. auch den endgültigen Sachwalter zu, so sind die Möglichkeiten des Insolvenzgerichts äußerst beschränkt, einen anderen vorläufigen Sachwalter zu wählen. Dies ist aber auch erklärter Wille des Gesetzgebers: x Soweit der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt wird, gilt die Anordnung als nicht nachteilig für die Gläubiger (§ 270 Abs. 3 Satz 2 InsO). Dies bedeutet, dass das Gericht regelmäßig156) an diese Entscheidung gebunden ist und jede weitere Überlegung zur Nachteiligkeit obsolet ist. ___________ 156) Eine Ausnahme wäre z. B. wohl dann anzunehmen, wenn einer oder mehrere ungeeignete Gläubigerausschussmitglieder abgestimmt hätten.

152

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Soweit der (vorhandene) vorläufige Gläubigerausschuss sich lediglich mehrheitlich für eine Eigenverwaltung ausspricht oder diese ablehnt, hat eine gerichtliche Prüfung zu erfolgen. x Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss vorhanden, legt der Umstand der beabsichtigten Eigenverwaltung die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nahe. Soweit der Schuldner den Insolvenzantrag und den Antrag auf Eigenverwaltung bei bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat und das Gericht beabsichtigt, mangels Vorliegen der Voraussetzungen den Eigenverwaltungsantrag abzulehnen, teilt es dies dem Schuldner mit und gibt ihm Gelegenheit, seinen Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag zurückzunehmen. Entscheidung: Wird der Antrag auf Eigenverwaltung abgelehnt, so ist dies nach § 270 287 Abs. 4 schriftlich zu begründen. Dies hat den Sinn, dass die Gläubigerversammlung entscheiden kann, ob sie mit Summenmehrheit des § 76 Abs. 2 InsO nachträglich die Eigenverwaltung befürwortet (§ 271 InsO). Die gerichtliche Entscheidung über die Anordnung oder Ablehnung des Antrags auf Eigen- 288 verwaltung ist allerdings weder in der einen noch in der anderen Richtung beschwerdefähig, da § 6 InsO keine sofortige Beschwerde vorsieht. Wird die Eigenverwaltung angeordnet, so steht der Sachwalter gemäß § 274 Abs. 1 InsO 289 unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts: x Der Sachwalter hat nach § 274 Abs. 2 InsO die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen (§ 274 Abs. 2 InsO). x Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zum Nachteil für die Gläubiger führen wird, so hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Für den Fall, dass ein Gläubigerausschuss nicht bestellt ist, hat das Sachwalter an dessen Stelle die Insolvenzgläubiger, die Forderung angemeldet haben und die absonderungsberechtigten Gläubigern zu unterrichten (§ 274 Abs. 3 InsO). x Auch kann der Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden (§ 275 Abs. 2 InsO). x Ferner ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung bzw. in Eilfällen auch durch nachteilsgefährdete Absonderungsberechtigte oder Insolvenzgläubiger mitöffentliche Bekanntmachung an, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners nur wirksam sind, wenn das Sachwalter ihnen zustimmt (§ 277 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 InsO). x Der Sachwalter hat auch die Insolvenztabelle zu führen, da Forderungen bei ihm geltend zu machen sind (§ 270c InsO). x Er hat auch eine etwaige Masseunzulänglichkeit anzuzeigen (§ 285 InsO) und etwaige Anfechtungsrechte geltend zu machen. x Auch die Schlussrechnung des Schuldners hat der Sachwalter zu prüfen (§ 281 Abs. 3 i. V. m. § 66 Abs. 1 Satz 2 InsO). x Auch kann ihn die Gläubigerversammlung mit der Erstellung eines Insolvenzplans nach § 284 InsO beauftragen. x

Dies bedeutet für die Aufsicht, dass das Insolvenzgericht entsprechend der Aufgabenstel- 290 lung des Sachwalters bei diesem nur zu prüfen hat, ob er seine vorgenannten Kontroll- und

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153

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

Mitwirkungsaufgaben ordnungsgemäß erfüllt,157) da der Schuldner die Geschäfte führt und nicht der Sachwalter. 291 Aufgehoben wird die angeordnete Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht unter den Voraussetzungen des § 272 InsO, d. h. auf Antrag des Schuldners, auf Antrag der Gläubigerversammlung mit entsprechender Mehrheit sowie auf Antrag eines durch die Eigenverwaltung benachteiligten, absonderungsberechtigten Gläubigers oder Insolvenzgläubigers, der die Benachteiligung glaubhaft macht. 292 Wird die Eigenverwaltung aufgehoben, bestellt das Gericht statt des Sachwalters einen Insolvenzverwalter, der gemäß § 272 InsO personenidentisch mit dem bisherigen Sachwalter sein kann. Gegen die gerichtliche Entscheidung steht dem Schuldner als auch dem Gläubiger die sofortige Beschwerde zu. 2.5

Das Insolvenzplanverfahren

293 Legt man den Begriff der Aufsicht im weiteren Sinne zugrunde, so prüft das Insolvenzgericht im Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO, für das nunmehr dem § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG der Richter zuständig ist, regelmäßig binnen zweiwöchiger Frist nach Vorlage des Plans im Wege der Vorprüfung nach § 231 InsO, ob x die Vorschriften über das Recht zur Vorlage und Inhalt des Plans (darstellender Teil, gestaltender Teil und insbesondere Gruppenbildung) eingehalten sind und behebbare oder nicht behebbare Mängel vorliegen, x

ein vom Schuldner vorgelegter Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Beteiligten oder die Bestätigung durch das Insolvenzgericht hat,

x

die den Gläubigern nach einem Schuldnerplan zustehenden Forderungen offensichtlich nicht erfüllt werden können.

294 Hinsichtlich der Anforderungen an einen Insolvenzplan sind die vom Institut der Wirtschaftsprüfer entwickelter Standards IDW S 2 hilfreich. Hier hat das Insolvenzgericht auch (zurückhaltend) Zweckmäßigkeitserwägungen zu treffen („offensichtlich keine Aussicht auf Annahme“ und „offensichtlich nicht erfüllt werden können“)158) 295 Bei behebbaren Mängeln erfolgt Fristsetzung zur Behebung der Mängel. Soweit ein nicht behebbarer Mangel vorliegt oder eine Behebung nicht binnen der gesetzten Frist erfolgt, erfolgt Zurückweisung. Zurückweisung erfolgt auch, wenn der Schuldner bereits einen Plan eingereicht hatte, der abgelehnt, vom Gericht nicht bestätigt oder vom Schuldner nach Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen wurde, wenn der Insolvenzverwalter die Zurückweisung des neuen Plans beantragt. 296 Wird der Plan nicht zurückgewiesen, werden x

die Stellungnahmen eingeholt (§ 232 InsO),

x

der Plan mit Anlagen niedergelegt,

x

über den Plan im Erörterungs- und Abstimmungstermin abgestimmt und vom Insolvenzgericht anschließend geprüft, ob die erforderlichen Mehrheiten (§§ 244, 245 InsO) vorhanden sind oder ob dem Plan wegen besonders gravierenden Verstoßes von Amtswegen (§ 250 InsO) oder auf Antrag wegen Minderheitenschutz (§ 251 InsO) die Bestätigung zu versagen ist.

297 Wird der Plan rechtskräftig bestätigt, so beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Verfahrens (§ 258 InsO) mit öffentlich bekannt zu machendem Beschluss. ___________ 157) Graf-Schlicker-Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 3. 158) Rechel, Die Aufsicht des Insolvenzgerichts, S. 67.

154

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Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht

§7

Bezüglich der Aufsicht des Insolvenzgerichts im engeren Sinne gegenüber dem normalen 298 Regelverfahren ergeben sich keine wesentlichen Besonderheiten. Das Insolvenzgericht hat lediglich zusätzlich darauf zu achten, dass der Insolvenzverwalters seiner insolvenzspezifischen Pflicht der Erstellung eines Insolvenzplans, soweit er hiermit beauftragt wird, nachkommt. Mit der Aufhebung des Verfahrens endet auch grundsätzlich die Aufsicht (im engeren 299 Sinne) über den Insolvenzverwalter. Nach § 259a InsO kann auf Antrag des Schuldners das Insolvenzgericht befristeten Voll- 300 streckungsschutz gewähren, wenn nach Aufhebung des Verfahrens Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger, die ihre Forderung nicht angemeldet hatten, die Durchführung des Insolvenzplans gefährden. Die Aufsicht des Insolvenzgerichts (im engeren Sinne) über den Insolvenzverwalter nach 301 § 58 InsO endet aber nicht in den Fällen, in denen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans eine Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter vorgesehen ist (§ 261 Abs. 1 InsO). Allerdings ist gegenüber dem Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren (ebenso wie beim 302 vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter) der Aufgabenkreis bei der Aufsicht in der Überwachungsphase ein anderer. Dieser erfährt eine qualitative Veränderung und bezieht sich ausschließlich auf die Überwachung der in ihren Ämtern verbliebene Organe, nämlich des Insolvenzverwalters und – soweit vorhanden – des Gläubigerausschusses mit dem Ziel, die Erfüllung der Ansprüche der Gläubigeraus dem Insolvenzplan zu gewährleisten.159) Das Insolvenzgericht hat dafür zu sorgen, dass Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss ihren gesetzlichen Aufgaben nachkommen, wobei auch hier die Aufsicht auf eine Rechtsaufsicht beschränkt ist. Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit durch das Insolvenzgericht findet auch hier regelmäßig nicht statt. So überwacht das Insolvenzgericht die ordnungsgemäße Erfüllung der Berichtspflichten nach §§ 262 und 261 InsO gegenüber Insolvenzgericht und Gläubigerausschuss bzw. Gläubigern und ob die Berichte der Insolvenzverwalters ein zutreffendes Bild vom Sachstand und den weiteren Erfüllungsaussichten vermitteln. Gegebenenfalls können weitere Berichte angefordert werden. Bedürfen bestimmte oder einzelne Rechtsgeschäfte nach dem Insolvenzplan der Zustimmung durch den Insolvenzverwalter (§ 263 InsO) so wird auch die ordnungsgemäße Durchführung durch den Insolvenzverwalter überwacht. Besteht ein derartiger Einwilligungsvorbehalt, hat der Insolvenzverwalter in seinen Berichten anzugeben, zu welchen Rechtsgeschäften er Zustimmung erteilt hat oder nicht. Wird die Berichtspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt, so wird diese regelmäßig zunächst 303 angemahnt und – wenn keine Besserung eintritt – Zwangsmittel (Zwangsgeld) in abgestufter Form eingesetzt. Als letztes Mittel verbleibt auch hier nur die Entlassung des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO. Dies dürfte allerdings nur bei besonders gravierenden oder besonders beharrlichen Verstößen in Betracht kommen Die Überwachung ist vom Insolvenzgericht zusammen mit dem Beschluss über die Auf- 304 hebung des Insolvenzverfahrens öffentlich auf der Internetseite „www.insolvenzbekanntmachungen.de“ bekannt zu machen (§ 267 Abs. 1 InsO). Soweit nach § 263 InsO im gestaltenden Teil des Insolvenzplans bestimmt ist, dass bestimm- 305 te oder alle Rechtsgeschäfte des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft nur wirksam sind, wenn der Insolvenzverwalter ihnen zustimmt, ist auch dieser Umstand zu veröffentlichen. Ebenfalls zu unterrichten sind davon Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister sowie Grundbuch, Schiffs-, Schiffsbauwerk und Luftfahrzeugregister. ___________ 159) Mönning, Vorauflage, § 47 Rz. 109.

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155

§7

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung

306 Nach § 268 InsO beschließt das Insolvenzgericht in öffentlicher Bekanntmachung über die Aufhebung der Überwachung, wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, erfüllt sind oder die Erfüllung dieser Ansprüche gewährleistet ist oder wenn seit Aufhebung des Insolvenzverfahrens drei Jahre verstrichen sind und kein Antrag auf Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens vorliegt. V.

Exkurs: Sonderinsolvenzverwalter

307 In der InsO ist die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters nicht geregelt. Lediglich § 92 Abs. 1 Satz 2 InsO spricht von einem „neuen Insolvenzverwalter“, der etwaige Gesamtschadensansprüche gegen den bestellten Insolvenzverwalter geltend machen kann. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass in bestimmten Fällen ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden kann. Dies war schon in der KO so, weshalb der Gesetzgeber offensichtlich auf eine Kodifizierung des Sonderinsolvenzverwalters verzichtete. 308 Ein Sonderinsolvenzverwalter wird dann benötigt, wenn der (eigentliche) Insolvenzverwalter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann, (d. h. insbesondere bei Interessenkollisionen und Insichgeschäften) oder wenn zur Befriedigung bestimmter Gläubigergruppen Sondermassen zu bilden sind. Hierbei ist klassischer Anwendungsfall die Geltendmachung eines Gesamtschadens nach § 92 InsO. 309 Für oder gegen die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters sieht das Gesetz kein Antrags- oder Beschwerderecht vor. Allein das Insolvenzgericht ist nach freiem Ermessen berechtigt, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Nach hiesiger Auffassung handelt es sich bei der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters auch um eine Maßnahme der Aufsicht zumindest im weiteren Sinne. Mit seiner Bestellung soll eine ordnungsgemäße Verfahrensentwicklung gewährleistet und insolvenzzweckwidriges Handeln vermieden werden. Ein Beschwerderecht gegen die Bestellung steht dem Insolvenzverwalter nicht zu.160) VI.

Schlussbemerkung

310 Vor der Ausübung der Aufsicht sollte die Kommunikation stehen. Eine vernünftige VorabKommunikation des Gerichts dient der Transparenz des Verfahrens und der Gleichbehandlung, hilft Missverständnisse zu vermeiden, erleichtert regelmäßig den Verfahrensablauf und hilft unnötige Schreiben zu vermeiden. 311 So nützt es z. B. dem Antragsteller, wenn er weiß, welche konkreten Anforderungen der zuständige Richter an die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder an die Bescheinigung nach § 270b InsO stellt. Dem neu beim Insolvenzgericht zugelassenen, vorläufigen Insolvenzverwalter fällt die Antragstellung für eine Einzelermächtigung leichter, wenn er die konkreten Vorgaben des Richters kennt. 312 Da es dabei häufig um Details und Einzelfragen geht, für die der nach dem amtsgerichtlichen Geschäftsverteilungsplan zuständige Richter – mithin der gesetzliche Richter – verantwortlich ist, dürfte im Geschäftsverteilungsplan für Insolvenzsachen eine Zuständigkeit nach Buchstaben und nicht nach dem Turnusprinzip vorteilhaft sein. Im ersteren Fall steht bereits im Vorfeld der gesetzliche Richter fest, während beim Turnusprinzip kaum zu erwarten ist, dass für das künftige Verfahren sämtliche in Betracht kommenden Richter der Insolvenzabteilung sich mit der konkreten Frage beschäftigen, geschweige denn der einzelne, möglicherweise unzuständige, Richter eine verbindliche Aussage dazu treffen kann und wird.

___________ 160) BGH, Beschl. v. 17.12.2009 – IX ZB 178/08, NZI 2010, 301.

156

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§ 29 Betriebsfortführung und Versicherungsschutz Übersicht I. II. 1. 2. 3.

4.

5.

6.

7. 8. 9.

Einführung .................................................. 1 Der Verwalter – Das Verfahren................. 4 Vorläufiges Verfahren ................................. 4 Kosten für Versicherungsgutachten ........... 6 Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren nach ESUG ........................................................... 9 Auswahl von Versicherungspartnern ....... 12 4.1 Weiterbeschäftigung des bisherigen Versicherungsvermittlers ..... 13 4.2 Beschäftigung eines gebundenen Versicherungsvertreters, § 34d Abs. 4 GewO) ...................... 14 4.3 Beauftragung eines Versicherungsberaters, § 34e GewO) ......... 15 4.4 Einschaltung eines Versicherungsmaklers, § 34d Abs. 1 GewO) ............................................ 17 Verfahrensbezogene Haftpflichtversicherung................................................ 20 5.1 Für das Verfahren – den Verwalter .............................................. 20 5.1.1 Bestehender Versicherungsschutz............................................... 21 5.1.2 Aufstockung durch Anschlussdeckung ........................................... 23 5.1.3 Verfahrensbezogene Einzeldeckung ........................................... 24 5.1.4 Konzernstrukturen ......................... 25 5.2 Für den Gläubigerausschuss und Arbeitnehmervertreter ............ 26 5.2.1 Im „Normalverfahren“ ................... 26 5.2.2 Bei „Verfahren nach ESUG“ .......... 27 Haftung des Insolvenzverwalters – Versicherungsschutz ................................. 30 6.1 Beispielhafte Fallstricke in den Versicherungsbedingungen ........... 32 6.2 Wichtige Zusatzklauseln im Versicherungsvertrag des Verwalters ............................................. 33 6.3 Haftungsfälle des Insolvenzverwalters......................................... 34 6.4 Ergänzender HaftpflichtVersicherungsschutz....................... 35 Vorwurf strafbarer Handlungen................ 40 Vermögensverlust durch die Verwaltung ............................................................ 41 Risikomanagement/Unternehmensabläufe und Versicherungsschutz.............. 44 9.1 Masserisiken .................................... 45

9.2

10. 11. 12. 13.

14. III. 1.

Kostenerstattung Versicherungsprüfung und-verträge (Versicherungsgutachten) .............. 46 Prüfung des Versicherungsschutzes der Insolvenzschuldnerin .......................... 49 Übersicht der auszuführenden Tätigkeiten .......................................................... 51 Versicherungsvermittler der Schuldnerin ............................................................ 52 Allgemeine Rechtsgrundlagen für den Versicherungsvertrag ................................. 55 13.1 Vorvertragliche Anzeigepflicht, § 19 VVG......................................... 56 13.2 Gefahrerhöhung, § 23 VVG ........... 58 13.3 Kündigung bzw. Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung, §§ 24, 25 VVG .................. 59 13.4 Obliegenheitsverletzung, §§ 28, 58 VVG............................................ 61 13.5 Zahlungsverzug bzgl. Folgeprämie, § 38 VVG: „qualifizierte Mahnung“........................................ 63 13.6 Vorzeitige Vertragsbeendigung, § 39 VVG......................................... 65 13.7 Vorläufiger Versicherungsschutz/Deckung, §§ 49 ff. VVG .... 67 13.8 Unterversicherung, § 75 VVG ....... 69 13.9 Herbeiführung des Versicherungsfalles, § 81 Abs. 2 VVG ......... 70 13.10 Der Versicherungswert, § 88 VVG, § 5 AFB................................. 71 13.11 Insolvenz des Versicherungsnehmers, § 110 VVG....................... 75 Gläubigerrechte .......................................... 76 Versicherungsschutz der Schuldnerin.... 79 Betriebliche Versicherungen des Anlage- und Umlaufvermögens ................ 79 1.1 Unbebaute Grundstücke ................ 80 1.2 Bebaute Grundstücke ..................... 81 1.3 Gebäude........................................... 83 1.3.1 Wohngebäude.................................. 84 1.3.2 Gewerblich genutzte Gebäude....... 85 1.3.3 Terrorschäden ................................. 86 1.4 Betriebseinrichtung und Vorräte (Geschäfts- oder Inhaltsversicherung)................................... 87 1.5 Transport......................................... 89 1.6 Kraftfahrzeuge ................................ 93 1.6.1 Zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Fahrzeuge ................... 94

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901

§ 29

2.

I.

Teil III Einzelfragen

1.6.2 Zugelassene Fahrzeuge................... 95 1.7 Maschinen ....................................... 98 1.8 Elektronik ..................................... 101 1.9 Glas ............................................... 104 1.10 Montage......................................... 105 1.11 Bauleistung.................................... 106 Betriebliche Versicherung von Kostenrisiken ....................................................... 107 2.1 Haftung – Betriebshaftpflicht...... 107 2.1.1 Haftungsrisiken der Schuldnerin .. 109 2.1.2 Ergänzender/eigenständiger Versicherungsschutz..................... 112 2.1.3 Optionaler Haftpflichtschutz für den Verwalter.......................... 115 2.1.4 Unterschiedliche Schadensfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung .................................. 116 2.1.4.1 Schadenereignistheorie (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung) .......................... 116 2.1.4.2 Verstoßtheorie (z. B. Produkthaftpflichtversicherung) ........ 119

2.1.4.3

Anspruchserhebungstheorie/ Claims-Maide ......................... 123 2.1.5 Reine Vermögensschadenhaftpflicht ..................................... 124 2.1.6 Geschäftsführer-/Organhaftpflicht, „D&O“ ............................ 125 2.2 Betriebsunterbrechung ................ 132 2.3 Rechtsschutz ................................ 135 2.4 Vertrauensschaden und Computermissbrauch .......................... 141 2.5 Forderungsausfall/Warenkreditversicherung ....................... 143 2.6 Bürgschaftsversicherung ............. 146 3. Absicherung von Mitarbeitern ................ 147 3.1 Reisekrankenversicherung ........... 147 3.2 Krankenversicherung – Rahmenverträge.......................................... 148 3.3 Unfallversicherung ....................... 150 3.4 Reiseversicherungen ..................... 151 3.5 Dienstreisekasko........................... 152 IV. Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss? ................................ 153

Einführung

1 Das komplexe Themenfeld mit seiner unüberschaubaren Vielfalt spielt nach bisherigen Erfahrungen noch keine angemessene Rolle im gewerblichen Insolvenzverfahren. Dabei geht der Insolvenzverwalter mit gerichtlicher Bestellung eine Vielzahl von Risiken ein, die entsprechend abgesichert werden können. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Eindruck vermitteln und Lösungen i. S. der Aufgabe x

zum einen für den Insolvenzverwalter und das Verfahren,

x

zum anderen für die Insolvenzschuldnerin aufzeigen.

2 Zu den verschiedenen Bereichen, die im gewerblichen Insolvenzverfahren (insb. bei Betriebsfortführung) u. U. eine Rolle spielen, können nur allgemeine Hinweise und grundsätzliche Regelungen angesprochen werden. Durch individuelle Vereinbarungen kann im Versicherungsbereich sehr vieles abweichend geregelt werden. Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben beschreiben mit: „Masse stärken, Haftung minimieren, Zeit sparen“, und zwar durch die Auswahl der richtigen Partner und des passenden Versicherungsschutzes. 3 Auch soll aufgezeigt werden, warum es für den Verwalter und die Massegenerierung lohnt, geradezu eine Pflicht darstellt, dem Bereich Versicherungsschutz mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Neben dem Ziel, das persönliche Haftungsrisiko des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zu minimieren (§ 60 InsO) trägt der richtige Versicherungsschutz dazu bei, die Pflicht zur Sicherung und Mehrung der Insolvenzmasse zu erfüllen (§ 35 InsO). Darüber hinaus wirkt sich die Mehrung der Masse auch auf die Vergütung des Insolvenzverwalters aus (§ 1 InsVV). Im Folgenden sind zur sprachlichen Vereinfachung immer Personen beiden Geschlechts gemeint.

902

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz II.

Der Verwalter – Das Verfahren

1.

Vorläufiges Verfahren

§ 29

Die originären Aufgaben des durch das Gericht mit seinen unterschiedlichen Befugnissen 4 ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalters beruhen u. a. auf den Grundlagen des § 22 InsO. Es gilt das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten. Der Verwalter verschafft sich einen Überblick über die Unternehmenssituation, die vor- 5 gefundenen Haftungsrisiken sowie die bestehenden Versicherungsverträge. Die Ablagesysteme bei Schuldnern sind sehr unterschiedlich strukturiert. So können sich z. B. KFZVersicherungen bei den Unterlagen des Fahrzeuges oder im Versicherungsordner befinden. Erfahrungsgemäß ist es für den Verwalter schwierig, die umfangreichen Unterlagen zu sichten, Risiken zu beurteilen, Zahlungsstände festzustellen und weder Obliegenheitsverletzungen zu übersehen, noch Ausschlusstatbestände oder Versicherungsklauseln mit ggf. negativer Wirkung zu erkennen. Darüber hinaus sind die Angemessenheit und der Umfang des Versicherungsschutzes und Beitrages zu prüfen. Hierbei handelt es sich um komplexe Aufgaben, die an externe Fachleute, wie es Versicherungsberater oder -makler sein können, übertragen werden sollten. 2.

Kosten für Versicherungsgutachten

Im vorläufigen sowie im eigentlichen Verfahren stellt sich regelmäßig die Frage, über wel- 6 che Befugnisse der Verwalter verfügt und ob Mittel vorhanden sind bzw. verwendet werden dürfen, um ggf. externe Berater für Versicherungsgutachten zu beschäftigen. Grundsätzlich kann der Verwalter externe Dienstleistung in Anspruch nehmen und auch den Bereich Versicherungen auslagern. Liegt ein durch Insolvenzgutachten „schwieriger und umfangreicher Fall“ vor, so kann 7 § 12 JVEG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV sowie § 54 Nr. 2 InsO angewandt werden. In diesem Fall handelt es sich um Massekosten, die dem Verwalter erstattet werden. Die Insolvenzgerichte handhaben diesen Bereich sehr unterschiedlich, so dass es angera- 8 ten ist, im Einzelfall eine Klärung herbeizuführen. 3.

Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren nach ESUG

Die Ziele dieses Verfahrensweges nach den Regelungen des Gesetzes zur weiteren Er- 9 leichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) sind die sanierungs- und fortführungsorientierte Insolvenzkultur. Liquidationen sollen verhindert oder zumindest deren Anzahl verringert werden. Der Versicherungsschutz spielt in der Regel eine untergeordnete Rolle, obgleich dieser 10 Bereich erhebliche Kosten verursachen kann und bei fehlender Erstattung nach einem Schaden durch Vernichtung von Vermögensteilen eine Weiterführung des Unternehmens nicht mehr möglich sein könnte. Die Prüfung des Schutzes und der Verträge sollte das eingesetzte Management in seine Aufgaben miteinbeziehen. Auch hier stellt sich die Frage, ob neue und unabhängige Partner für Vergleiche und Risikomanagement bemüht werden sollen, was sinnvoll erscheint. Insbesondere der (vorläufige) Gläubigerausschuss sollte über entsprechenden Haftungs- 11 schutz verfügen (siehe unten Rz. 26 ff.). 4.

Auswahl von Versicherungspartnern

In der Regel wird der Insolvenzverwalter den bestehenden oder neu zu gestaltenden Ver- 12 sicherungsschutz der Schuldnerin über einen nach § 34d GewO registrierten Versiche-

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§ 29

Teil III Einzelfragen

rungsvermittler regeln. In der Praxis stellt sich die Vorgehensweise der Insolvenzverwalter sehr unterschiedlich dar: 4.1

Weiterbeschäftigung des bisherigen Versicherungsvermittlers

13 Diese Vorgehensweise scheint unangebracht, weil keine neutrale Beratung gegeben ist und keine echte Prüfung (Vergleich) des bisherigen Schutzes bzw. der Beiträge durchgeführt wird. Darüber hinaus können monetäre Interessen des Vermittlers betroffen sein (Rückzahlungen, Nichteintritt etc.). Regelmäßig pflegt der bisherige Vermittler gute Kontakte zu den maßgeblich handelnden Personen der Schuldnerin, was zu Interessenskonflikten führen und für den Verwalter nachteilig sein kann. 4.2

Beschäftigung eines gebundenen Versicherungsvertreters, § 34d Abs. 4 GewO)

14 Per Definition ist der sog. Ausschließlichkeitsvertreter oder Ein-Firmen-Agent gezwungen, Produkte des Versicherungsunternehmens zu vermitteln, das er vertritt. Er hat keine Marktübersicht und kann daher nicht vollständig im Interesse des Verfahrens tätig werden. Viele Banken, die ebenfalls Versicherungen vertreiben, zählen zu den gebundenen Vermittlern. 4.3

Beauftragung eines Versicherungsberaters, § 34e GewO)

15 Versicherungsberater sind gewerbsmäßig auf Honorarbasis tätige Berater, die den Verwalter bei Vereinbarungen, Änderungen oder Prüfung von Versicherungsverträgen und im Schadensfall sowie der außergerichtlichen rechtlichen Wahrnehmung gegenüber Versicherungsunternehmen vertreten können. In der Regel sind Versicherungsberater für Privatpersonen tätig und darüber hinaus können nur Versicherungsverträge vermittelt werden, die ohne jeglichen Vergütungsanspruch für den Berater kalkuliert sind, da der Versicherungsberater per Verordnung keinerlei wirtschaftliche Vorteile von Versicherungsunternehmen erhalten darf. 16 Im gewerblichen und industriellen Bereich ist der Versicherungsberater aktuell selten anzutreffen. 4.4

Einschaltung eines Versicherungsmaklers, § 34d Abs. 1 GewO)

17 Wer gewerbsmäßig für seinen Auftraggeber (Versicherungsnehmer) die Vermittlung von Versicherungen übernimmt, ohne von einem Versicherungsunternehmen oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut worden zu sein, gilt als Versicherungsmakler. 18 Der Versicherungsmakler ist Sachwalter des Kunden und externer Dienstleister. Er handelt ausschließlich im Auftrag und Interesse des Mandanten. Bereits im „Sachwalterurteil“1) hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze vorgegeben, die seit 2007 im Gesetz zur Neuregelung des Vermittlerrechts und der Gewerbeordnung verankert sind.2) Der Expertenstatus (analog den verkammerten Berufen) ist zwischenzeitlich bestätigte Rechtsmeinung. 19 Der Versicherungsmakler übernimmt nach einzelvertraglicher Regelung Risikomanagement, Dokumentation, Auswahl und Prüfung des Versicherungsschutzes und hat seinen Kunden auf Risiken hinzuweisen sowie seinen Rat zu begründen. Darüber hinaus haftet der Makler umfangreich gegenüber der Schuldnerin und dem Verwalter. ___________ 1) BGH, Urt. v. 22.5.1985 – IVa ZR 190/83, BGHZ 94, 356 = NJW 1985, 2595. 2) Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts v. 9.12.2006, BGBl. I 2006, 3232.

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 5.

Verfahrensbezogene Haftpflichtversicherung

5.1

Für das Verfahren – den Verwalter

§ 29

Zunächst verschafft sich der Verwalter einen Überblick über die Situation der Schuldnerin. 20 (Geschäftszweck, Mitarbeiter, Vermögenswerte, Schuldverhältnisse etc.) Daraus ergibt sich, ob ergänzend zur regelmäßig bestehenden Berufshaftpflicht des Anwaltes bzw. Vermögensschadenhaftpflicht des Insolvenzverwalters ergänzender Versicherungsschutz gewünscht ist bzw. benötigt wird. Wie hoch schätzt der Insolvenzverwalter die Risiken der übernommenen Aufgabe ein? Eine persönliche Inanspruchnahme ist insbesondere bei Betriebsfortführung und den damit verbundenen Risiken nicht auszuschließen. Welche Absicherung wird gewünscht? 5.1.1 Bestehender Versicherungsschutz Die Haftpflichtversicherung beinhaltet zwei Leistungsbausteine: die Befriedigung be- 21 rechtigter, sowie die Abwehr unberechtigter Ansprüche. Somit hat sie eine passive Rechtsschutzfunktion. Zu prüfen ist die Höhe der Deckungssumme (gesetzlich vorgeschrieben für den Anwalt: 22 4 x 250.000 €) und auch, wie hoch die Anzahl der versicherten Verfahren bedingungsgemäß sein darf. Darüber hinaus spielt der Umfang des Versicherungsschutzes eine große Rolle. So reicht eine „normale“ Anwaltshaftpflichtversicherung mit Zusatzbaustein „Insolvenzverwaltung“ für private Insolvenzverfahren und kleine gewerbliche Verfahren möglicherweise aus, für größere und umfangreiche Verfahren in der Regel nicht. 5.1.2 Aufstockung durch Anschlussdeckung Der Verwalter kann ergänzend zum bestehenden Vertrag eine „Anschlussdeckung“ wäh- 23 len und so seinen Versicherungsschutz aufstocken. Sinnvoll erscheint dies häufig nicht, weil es zu unterschiedlichen Vertragsgrundlagen kommen kann und darüber hinaus die Berufshaftpflicht im Schadensfall belastet wird. Kostenvorteile gegenüber einem eigenen Vertrag ergeben sich in der Regel nicht. 5.1.3 Verfahrensbezogene Einzeldeckung Bei umfangreichen und schwierigen Verfahren, räumt § 4 Abs. 3 Satz 2 InsVV dem Ver- 24 walter die Kostenübernahme der Haftpflichtversicherung durch die Masse ein. Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht und möglichst umfangreicher Versicherungsschutz vereinbart werden. 5.1.4 Konzernstrukturen Sind mehrere Unternehmen in verbundenen Strukturen von der Insolvenz betroffen, gilt 25 es unbedingt vorausschauend zu klären, ob der Versicherungsschutz über einen Versicherungsvertrag ausreichend ist, oder ob es ggf. zu gegenläufigen Interessen kommen kann. Sind alle Beteiligten in einer Police versichert, kann es vorkommen, dass künftige Prozessgegner in einem Vertrag zusammengefasst sind, was zwangsläufig zu Problemen führt. Insbesondere wenn Ansprüche untereinander auftreten. Hier gilt es den Schutz entsprechend zu regeln. 5.2

Für den Gläubigerausschuss und Arbeitnehmervertreter

5.2.1 Im „Normalverfahren“ Hier kann es zu Interessenskonflikten zwischen den am Verfahren beteiligten Personen 26 oder Organisationen kommen. Daher ist ein eigener Versicherungsschutz für den GläubiLangenmayer

905

§ 29

Teil III Einzelfragen

gerausschuss zu empfehlen. Verauslagte Kosten können nach § 73 Abs. 1 InsO erstattet werden. 5.2.2 Bei „Verfahren nach ESUG“ 27 Durch die Einbeziehung und Stärkung der Gläubiger soll schon sehr früh im Verfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden, um nachteilige Veränderungen der Vermögenslage der Schuldnerin zu vermeiden. 28 Zu beachten ist, dass bei Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung für den vorläufigen Gläubigerausschuss eine sog. Rückwärtsdeckung ab Beginn der Tätigkeit mitversichert sein muss, um nicht unversichert mit dem persönlichen Vermögen zu haften. In der Praxis wird der vorläufige Gläubigerausschuss eingesetzt und trifft Entscheidungen bzw. spricht Handlungsempfehlungen aus, während erst in der Folge entsprechender Versicherungsschutz eingekauft wird. Um Lücken zu vermeiden muss rückwirkend Schutz gegeben sein. 29 Eine explizite Regelung zum Kostenersatz ist derzeit nicht gegeben. Denkbar ist, dass die Regelungen des § 73 Abs. 1 InsO analog angewandt werden können. 6.

Haftung des Insolvenzverwalters – Versicherungsschutz

30 Durch Übernahme der originären Aufgabe findet, neben unzähligen Rechtsvorschriften, auch § 60 InsO mit seiner weitreichenden Formulierung Anwendung. Der Verwalter haftet allen Beteiligten gegenüber bei schuldhafter Verletzung von Pflichten. 31 Häufig wähnt sich der Verwalter gut geschützt, weil er eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Nachfolgend einige Beispiele, warum dieses Sicherheitsgefühl häufig nicht angebracht ist und worauf der Verwalter achten sollte: 6.1

Beispielhafte Fallstricke in den Versicherungsbedingungen

32 Nachfolgend einige Beispiele zu für den Verwalter negativen Klauseln in Versicherungsverträgen, wie sie von namhaften und marktführenden Versicherungen verwendet werden und in den meisten Verträgen zu finden sind. x

Kündigung bestehender Versicherungsverträge der Schuldnerin: Es kommt zu einem Versicherungsschaden, der nicht versichert ist, weil der Verwalter den bestehenden Versicherungsschutz der Schuldnerin gekündigt hat. In der Praxis geschieht dies häufig, weil der Verwalter der irrigen Meinung ist, nach Einstellung des Betriebes oder Betriebsteilen, würden keine Risiken mehr bestehen und wenn doch, tritt die Berufshaftpflichtversicherung ein (siehe hierzu auch die Ausführungen zu „Versicherungsfalldefinitionen“ unter Rz. 116 ff.). Hierzu heißt es in § II der AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) für Insolvenzverwalter, Abs. 3.b: „Mitversichert sind u. a. Schäden, die darauf beruhen, dass Versicherungsverträge nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen, erfüllt oder fortgeführt werden, es sei denn, dies wurde bewusst unterlassen.“

Der Versicherungsschutz des Insolvenzverwalters greift also regelmäßig nicht, wenn Sie eine solche Klausel vereinbart haben. x

Vollumfängliche Betriebsfortführung: Nicht versichert sind hier, die Herstellung oder der Vertrieb von Produkten. § II Abs. 1 AVB – Versicherungsumfang lautet: „Im Rahmen der versicherten Tätigkeit sind, auch bei Fortführung eines Betriebes, Haftpflichtansprüche aus einer Kalkulations-, Organisations- oder Investitionstätigkeit mitversichert.“

906

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 6.2

§ 29

Wichtige Zusatzklauseln im Versicherungsvertrag des Verwalters

Es ist darauf zu achten, dass der Versicherungsschutz möglichst umfangreich ausgestaltet 33 ist. Empfohlen wird der Rat eines Fachmannes, der über viel Praxiserfahrung verfügt. Mitversichert sollten u. a. sein: x

Bestellung als vorläufiger Verwalter bzw. Gutachter,

x

Sachwalterstellung bei Eigenverwaltung,

x

Insolvenzgeld-Vorfinanzierung und Abrechnung,

x

Betriebsfortführung (hier wird es immer Einschränkungen geben, die nur über die Betriebshaftpflichtversicherung der Schuldnerin abgedeckt werden können),

x

öffentlich-rechtliche Ansprüche aus Abgabenrecht,

x

Sozien, Angestellte, freie Mitarbeiter ohne Regressmöglichkeit durch den Versicherer,

x

Kündigung bzw. Nichtabschluss von Versicherungsverträgen.

6.3

Haftungsfälle des Insolvenzverwalters

Mögliche Haftungsrisiken ergeben sich z. B. aus:

34

x

Nichtbeachtung von Anfechtungsmöglichkeiten, Abtretungen und Pfändungen,

x

unterlassener Widerspruch gegen unbegründete Forderungen,

x

unrichtige Bewertung von Massegegenständen bei Veräußerung,

x

Nichtaufnahme festgestellter Forderungen ins Schlussverzeichnis,

x

Begründung vermeidbarer Masseschulden,

x

eingegangene Masseverbindlichkeiten können aus verbliebener Masse nicht bedient werden,

x

Verletzung der Rechte von Ab- und Aussonderungsberechtigten,

x

falsche bzw. unzweckmäßige Prozessführung,

x

Veruntreuung durch Mitarbeiter (siehe dazu auch „Vertrauensschadenversicherung“ unter Rz. 141).

6.4

Ergänzender Haftpflicht-Versicherungsschutz

Die Haftpflichtversicherung des Insolvenzverwalters ist i. d. R. als Vermögensschaden- 35 haftpflicht ausgestaltet. Es sind also grundsätzlich keine Personen oder Sachschäden, sondern Schäden an Vermögen abgedeckt. Führt der Insolvenzverwalter den Betrieb der Schuldnerin i. R. der Insolvenz fort, so ergeben sich sämtliche Haftungsrisiken, die aus dem Betrieb erwachsen und denen jede Geschäftsleitung unterliegt. Diese Haftungsrisiken werden über die Betriebshaftpflichtversicherung der Insolvenzschuld- 36 nerin abgedeckt. Was aber, wenn dieser Versicherungsschutz nicht ausreicht, lückenhaft oder die Prämie unbezahlt ist? Was, wenn Obliegenheiten verletzt wurden und der Versicherer so von der Leistung frei ist? Ist es die Aufgabe des Verwalters, den Status des Vertrages genau zu prüfen und solche Hemmnisse zu erkennen? Grundsätzlich wird diese Frage bejaht, zumal sich der Verwalter externer Fachleute bedienen kann. Trotz sorgfältiger Beurteilung kann es zu Schadensfällen kommen, die massebelastend 37 sind und nicht von einer bestehenden Versicherung der Schuldnerin übernommen werden. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Verwalter zum Schadensersatz verpflichtet ist. In der Regel wird die bestehende Berufshaftpflichtversicherung des Verwal-

Langenmayer

907

§ 29

Teil III Einzelfragen

ters in die Schadenabwehr eintreten, aber nur dann, wenn es sich grundsätzlich um einen versicherten Schaden handelt. 38 Werden aber z. B. Ansprüche aus mangelhaften Produkten i. R. der erweiterten Produkthaftung oder der Herstellung von KFZ-Teilen oder Ansprüche aus Umweltschäden an den Verwalter herangetragen, so greift die Haftpflichtversicherung des Insolvenzverwalters regelmäßig nicht, weil diese Bereiche über eine „normale“ Police des Insolvenzverwalters nicht versicherbar sind. 39 Um sich gegen diese unüberschaubaren Unwägbarkeiten abzusichern, gibt es ergänzenden Versicherungsschutz, der als Einzelfallpolice oder als Jahresvertrag gestaltet werden kann, und alle Verfahren des Verwalters umfasst. Hier sind bspw. auch Streitigkeiten aus Werkverträgen versicherbar. 7.

Vorwurf strafbarer Handlungen

40 Der Verwalter übernimmt die volle Verantwortung für das Verfahren und die damit einhergehenden notwendigen Abwicklungen. Nicht selten kommt es z. B. zu „Racheakten“ beteiligter Personen, die in Strafverfahren münden können. Regelmäßig ist dies bei Personen- oder Umweltschäden der Fall. Bei schwerwiegenden Vorwürfen wird sich der Verwalter nicht selbst oder durch Kollegen der „eigenen“ Kanzlei, sondern durch externe Spezialisten vertreten lassen. Hier können hohe Kosten entstehen, die über eine Versicherungslösung abgedeckt werden können. Aus langjähriger Erfahrung ist es für jeden Verwalter ratsam einen solchen kostengünstigen, aber im Ernstfall sehr wertvollen Versicherungsschutz abzuschließen. 8.

Vermögensverlust durch die Verwaltung

41 Die weit überwiegende Mehrzahl der Verwalter und der am Verfahren beteiligten Personen sind integer und handeln ausschließlich i. S. des Verfahrens. Es ist dennoch in der Vergangenheit zu zahlreichen nennenswerten Fällen gekommen, bei denen Masse veruntreut wurde. Es muss nicht der Verwalter selbst die Schäden verursachen; vielmehr können dies auch Personen oder Organisationen aus seinem Umfeld und Netzwerk sein. Letztlich bleibt die Haftung beim Verwalter oder der Schaden bei den Gläubigern. Insofern sehen es Insolvenzgerichte gerne, wenn der Verwalter für das Verfahren eine „Vertrauensschadenversicherung“ abgeschlossen hat. Dies reduziert die Möglichkeit von Masseverlusten durch unerlaubte Handlungen weitgehend. 42 In guten Konzepten sind neben den Angestellten auch freie Mitarbeiter versichert; darüber hinaus auch die Dienstleister des Verwalters, wie Buchhalter, Steuerberater oder externe Verwertungsgesellschaften etc. In einigen Versicherungsbedingungswerken ist die Masse auch gegen Vermögensverluste durch den Verwalter selbst geschützt, was eine zusätzliche Sicherheit darstellt und insbesondere Insolvenzgerichte und Gläubiger beruhigt. 43 Mitversichert sollten Schäden an Eigen- sowie Fremdvermögen sein und eine unbegrenzte Rückwärtsdeckung (Versicherungsschutz für Handlungen der Vergangenheit) bestehen; ebenso Vertragsstrafen, Raub, Diebstahl, Fälschung, Phishing, Pharming und Spyware sowie der Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Sinnvoll ist auch ein Kostenersatz zur Minderung des Reputationsschadens, um den Ruf wiederherzustellen. 9.

Risikomanagement/Unternehmensabläufe und Versicherungsschutz

44 Die Beurteilung des Versicherungsschutzes ist nur möglich, wenn genaue Kenntnisse zur Tätigkeit und Betriebsart der Insolvenzschuldnerin vorliegen und die (bisher durchgeführten) Prozessabläufe bekannt sind. Diese Risikoanalyse ist zwingend notwendig um

908

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 29

beurteilen zu können, welcher Versicherungsschutz sinnvoll und angemessen erscheint. Im zweiten Schritt muss eine Detailprüfung der vorhandenen Verträge bzw. des neu abzuschließenden Schutzes durchgeführt werden. Der Verwalter hat abzuwägen, ob er Schutz einkaufen oder Prämie sparen möchte. Was muss, soll oder kann in welchem Umfang und in welcher Höhe versichert werden? Bei der Risikoanalyse sind z. B. die Prüfung der „Ausschlüsse“ in den Versicherungsbedingungen und der „vereinbarten Obliegenheiten“ zu empfehlen. 9.1

Masserisiken

Beispielhafte Auflistung zu möglichem Versicherungsschutz, deren Entfaltungswirkung 45 und Eintrittswahrscheinlichkeit häufig unterschätzt wird: Bilanzrisiken

Produktionsausfall, Forderungsausfall, Missbrauch etc.

Sachwerte

Maschinen, Gebäude, KFZ, Inventar, EDV, Vorräte

Haftung

aus Betrieb, Produkt, Umwelt

Rechtliches

Strafrecht, Schuldrecht, Sozialrecht etc.

Unternehmenszweck

Produktion/Dienstleistung

Transportwesen

Bezüge und Versendungen

9.2

Kostenerstattung Versicherungsprüfung und-verträge (Versicherungsgutachten)

Nach gängiger Meinung handelt es sich bei Versicherungsverträgen, insbesondere i. R. einer 46 Betriebsfortführung, um sonstige Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 InsO. Gleiches gilt, wenn sich Gebäude, Grundstücke, Warenlager oder sonstige Vermögensgegenstände in der Insolvenzmasse befinden. Ebenso kann der Verwalter (empfohlen wird die vorherige Abstimmung mit dem Insol- 47 venzgericht) externe Partner mit der Prüfung und Ausarbeitung des Versicherungsschutzes beauftragen und ggf. Honorar entrichten. Liegt ein durch ein Insolvenzgutachten bestätigter „schwieriger und umfangreicher Fall“ 48 vor, so kann § 12 JVEG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV sowie § 54 Nr. 2 InsO angewandt werden. In diesem Fall handelt es sich um Massekosten, die dem Verwalter erstattet werden. 10.

Prüfung des Versicherungsschutzes der Insolvenzschuldnerin

Bestehende (und kürzlich aufgelöste) Versicherungsverträge müssen systematisch gesich- 49 tet, erfasst und geprüft werden. Diese Aufgabe kann, wie oben, beschrieben mit Vollmacht ausgelagert werden, was häufig sinnvoll erscheint, weil es Ressourcen beim Verwalter schont, weiterer Sachverstand hinzukommt und gleichzeitig die Haftung des Verwalters minimiert wird. Im Sinne der „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ und den damit ver- 50 bundenen Qualitätsrichtlinien scheint es angemessen, einheitliche und strukturierte Abarbeitungsprozesse zu installieren sowie hierfür jeweils verantwortliche Personen zu benennen.

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909

§ 29 11.

Teil III Einzelfragen Übersicht der auszuführenden Tätigkeiten

51

Checkliste 1

Auflistung aller bestehenden Versicherungsverträge (Gesellschaft, Versicherungsnummer, versichertes Interesse, Versicherungsumfang, Beitrag, Fälligkeit, Dauer) – evtl. über externe Dienstleister

2

Zahlungsstand zu jedem Vertrag (Mahnverfahren, Leistungsfreiheit?)

3

Liegen vollständige und aktuelle Unterlagen, Policen, Bedingungen etc. vor?

4

Sind Versicherungsumfang und Prämie angemessen? Stimmt die Risikobeschreibung? Sind alle Betriebsstandorte aufgeführt? Besteht Über- oder Unterversicherung?

5

Sind massestärkende Elemente vereinbart? Rückvergütungen, Gewinnbeteiligungen, Beitragshöhe nach Kennziffern wie Umsatz, Mitarbeiterzahl etc. Können Rückerstattungen von Vorausprämien gefordert werden, z. B. wegen Wegfall von Risikoorten?

6

Zu welchen Risiken besteht kein Versicherungsschutz? Wird „vorläufige Deckung“ benötigt?

7

Zu welchem Vertrag soll Nichteintritt nach § 103 InsO erklärt werden? Versicherungen sind in der Regel Dauerschuldverhältnisse. (Besonderheiten zu Haftpflichtversicherung, D&O etc. werden später erläutert, siehe Rz. 107, 125)

8

Sind Verletzungen von Vertragspflichten/Obliegenheiten erkennbar, die zur Versagung des Versicherungsschutzes führen können?

9

Gibt es Optimierungsmöglichkeiten durch Risikomanagement?

10

Laufende Anpassung des Versicherungsschutzes

11

Einarbeitung des Versicherungsschutzes in das Berichtswesen

12.

Versicherungsvermittler der Schuldnerin

52 Es gehört zu den Aufgaben des bisherigen Versicherungsvermittlers, dem Verwalter verbindliche Übersichten (siehe oben Rz. 50) zu den bestehenden Verträgen mit den oben genannten Angaben auszuhändigen. 53 Erfragt werden sollte auch: x

Bestehen weitere Verträge zur Schuldnerin?

x

Wurden Verträge kürzlich aufgelöst?

x

Wann wurden zuletzt Prüfungen/Anpassungen zu den einzelnen Verträgen vorgenommen?

x

Sind Umstände bekannt (Obliegenheitsverletzungen), die zur Versagung des Versicherungsschutzes führen können? (z. B. die vorgeschriebene Prüfung der elektrischen Anlagen in Betriebsgebäuden)

x

Besteht zu einzelnen Verträgen Nachhaftung, also Versicherungsschutz trotz Aufhebung oder kann eine solche hinzugekauft werden?

910

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 29

Es gilt diese Dienstleistung zu nutzen (ggf. inkl. Bestätigung des Versicherers) und abzu- 54 wägen, ob mit dem bisherigen Vermittler zusammengearbeitet werden soll. Mögliche Argumente wurden oben genannt. 13.

Allgemeine Rechtsgrundlagen für den Versicherungsvertrag

Grundsätzlich gelten die Vorschriften der InsO, z. B. § 103 InsO. Neben BGB und HGB 55 finden sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften im VVG, wovon nachfolgend wenige, aber bedeutende erläutert werden. Darüber hinaus gelten die jeweiligen allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen sowie vereinbarte Klauseln. 13.1 Vorvertragliche Anzeigepflicht, § 19 VVG Hat die Schuldnerin gegen Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen, wirken 56 mögliche negative Folgen (Rücktrittsrecht, Leistungsfreiheit) fort, wenn der Verwalter in den Vertrag eintritt. Daher ist zu prüfen, ob „Risikoangaben, Fragebögen, Anträge etc.“ in den Versicherungs- 57 unterlagen zu finden sind und welche Angaben gemacht wurden. Alles wonach der Versicherer in Textform fragt, ist Vertragsgrundlage und bindend. 13.2 Gefahrerhöhung, § 23 VVG Ohne Zustimmung des Versicherers darf der Versicherungsnehmer (VN) die Gefahr nicht 58 erhöhen oder eine solche Erhöhung zulassen. Erkennt der VN eine solche Gefahrerhöhung, ist er zur Meldung verpflichtet. Beispiel Kündigt der Verwalter z. B. den Vertrag mit dem Bewachungsdienst für das Betriebsgelände, obwohl dies im Versicherungsvertrag als zwingende Auflage vereinbart war, so findet eine Gefahrerhöhung statt, die negative Folgen auf den Versicherungsschutz haben kann. (u. a. § 24 VVG) 13.3 Kündigung bzw. Prämienerhöhung wegen Gefahrerhöhung, §§ 24, 25 VVG Verletzt der VN seine Pflicht nach § 23 VVG vorsätzlich (Leistungsfreiheit nach § 26 59 Abs. 1 VVG) oder grob fahrlässig (anteilige Leistung nach Schwere des Verschuldens § 26 Abs. 1 VVG), so kann der Versicherer fristlos kündigen. Bei einfacher Fahrlässigkeit steht dem Versicherer ein Kündigungsrecht unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu. Kündigt der Versicherer nicht, kann er eine höhere Prämie verlangen.

60

13.4 Obliegenheitsverletzung, §§ 28, 58 VVG In den allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen sowie Klauseln und Ne- 61 benabreden können zahlreiche Vereinbarungen getroffen sein, die den Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer zur Erfüllung unterschiedlichster Aufgaben verpflichten. In der Regel handelt es sich um vorbeugende Maßnahmen, um den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden. Beispiel So schreiben bspw. die AFB (Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung) vor, dass in regelmäßigen Abständen ein Prüfzeugnis der elektrischen Anlagen für die Feuerversicherung erstellt und vorgelegt werden muss. Diese Regelung kann sowohl für die Gebäude- als auch Inhalts- oder Maschinenversicherung gelten. Um eine Verletzung der vertraglichen Obliegenheit zu vermeiden, sollte die letzte Vorlage des Prüfzeugnisses abgefragt werden. Langenmayer

911

§ 29

Teil III Einzelfragen

62 Tritt der Verwalter in bestehende Verträge ein, so muss er frühere Obliegenheitsverletzungen gegen sich gelten lassen. 13.5 Zahlungsverzug bzgl. Folgeprämie, § 38 VVG: „qualifizierte Mahnung“ 63 Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer dem VN auf dessen Kosten in Textform eine Zahlungsfrist bestimmen, die mindestens zwei Wochen betragen muss. Die Bestimmung ist nur wirksam, wenn sie die rückständigen Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen beziffert und die Rechtsfolgen angibt, die nach den Absätzen 2 und 3 des § 38 VVG (Leistungsfreiheit und Kündigung) mit dem Fristablauf verbunden sind; bei zusammengefassten Verträgen sind die Beträge jeweils getrennt anzugeben. 64 Zumeist sendet der Versicherer eine Erinnerung, wenn Folgeprämien nicht rechtzeitig bezahlt werden. Das stellt häufig keine qualifizierte Mahnung dar, so dass die Schuldnerin weiterhin Versicherungsschutz genießt und auf die entsprechende Mahnung warten kann. 13.6 Vorzeitige Vertragsbeendigung, § 39 VVG 65 Wird ein Versicherungsvertrag vor Ablauf der Versicherungsperiode beendet, steht dem Versicherer nur derjenige Teil der Prämie zu, für den Versicherungsschutz bestanden hat; ggf. kann eine Geschäftsgebühr verlangt werden. 66 Ist die Prämie des Versicherungsvertrages durch die Schuldnerin im Voraus bezahlt worden und der Vertrag wird durch die Versicherung vorzeitig beendet, so entstehen Masseansprüche. 13.7 Vorläufiger Versicherungsschutz/Deckung, §§ 49 ff. VVG 67 Findet der Verwalter keinen Versicherungsvertrag zu einem zu versichernden Risiko vor, wendet er sich an seinen Versicherungsvermittler oder ein Versicherungsunternehmen und beantragt entsprechenden Versicherungsschutz. Dies kann im Wege der „vorläufigen Deckung“ erfolgen, bis der Verwalter genauen Einblick in die Verhältnisse der Schuldnerin gewonnen hat. Kommt kein Hauptvertrag zustande (§ 50 VVG), so steht dem Versicherer zeitanteilig Prämie zu. 68 In der Praxis gibt es mannigfaltige Ausgestaltungen zu diesem Thema. Häufig wird der Versicherungsvermittler kostenfreie oder günstige Lösungen finden, um die Haftung des Verwalters zu minimieren und keine „unnötigen“ Masseverbindlichkeiten zu begründen. 13.8 Unterversicherung, § 75 VVG 69 Nach § 75 VVG leistet der Versicherer nur anteilig im Verhältnis, wenn die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Schadensfalles erheblich niedriger ist als der Versicherungswert. Daher sind Versicherungsverträge mit „Unterversicherungsverzichtsklausel“ als vorteilhaft einzustufen. 13.9 Herbeiführung des Versicherungsfalles, § 81 Abs. 2 VVG 70 Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles berechtigt den Versicherer seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Damit ist das „Alles oder Nichts-Prinzip“ aufgehoben. In modernen Konzepten ist der maximale Abzug auf z. B. 20 % begrenzt.

912

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 29

13.10 Der Versicherungswert, § 88 VVG, § 5 AFB In den jeweiligen Versicherungsbedingungen (unterschiedlich nach Versicherungssparte) 71 bzw. dem VVG werden unterschiedliche Werte verwandt, nach denen Entschädigungen im Schadensfall geleistet werden. Insofern ist es wichtig, – soweit möglich – eine Neuwertversicherung abzuschließen. Die Definition nach § 88 VVG lautet: Versicherungswert ist der Wiederbeschaffungs- bzw. 72 Wiederherstellungswert zum Schadenszeitpunkt im neuwertigen Zustand unter Abzug des sich aus dem Unterschied alt und neu ergebenden Minderwertes. Das bedeutet Abzüge bei der Entschädigung für gebrauchte Gegenstände. Gemäß § 5 AFB (Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung) wird im Schadens- 73 fall der Neuwert (ortsüblicher Neubauwert) ersetzt, während bei einem Zeitwert von weniger als 40 %, nur dieser geringere Ansatz verwandt wird (Gebäude, Maschinen, Geschäftsversicherung etc.). Für Hypothekengläubiger gelten ggf. abweichende Regelungen, nach §§ 142 ff. VVG. In den einzelnen Versicherungssparten werden unterschiedliche Begrifflichkeiten und Ba- 74 sisdaten verwendet, um eine klare Ausgangsbasis und Hochrechnungsmöglichkeit zum aktuellen Neuwert zu schaffen. Man spricht dann von gleitendem Neuwert. So passt sich der Versicherungswert den Kostensteigerungen automatisch an. In der Gebäudeversicherung findet man den „Wert 1914“. Bei gewerblichen Gebäuden den „Wert 2000“. In der Maschinenversicherung „Wert 1972“ etc. 13.11 Insolvenz des Versicherungsnehmers, § 110 VVG Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann 75 der Dritte, wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs, abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen. 14.

Gläubigerrechte

Sind z. B. Gebäude oder Maschinen mit Gläubigerrechten belastet, so empfiehlt es sich 76 dringend, mit den Gläubigern über den aktuellen Stand des Versicherungsschutzes zu kommunizieren. Die bloße Annahme, der Gläubiger wird aus Eigeninteresse für Versicherungsschutz sorgen, birgt ein erhebliches Haftungsrisiko. Hat der Gläubiger keine Kenntnis von fehlendem oder mangelndem Versicherungsschutz, so könnte er ggf. auf den Verwalter zurückgreifen. In der Praxis dienen häufig z. B. Firmengebäude oder Maschinen, Banken, Kapitalgebern 77 oder Leasinggesellschaften etc. als Sicherheiten. Es ist zu klären, ob 100 % des geschätzten Veräußerungswertes dem Rechteinhaber zustehen, also eine wertausschöpfende Belastung vorliegt, oder ob noch Masse generiert werden kann. Dient das Objekt höchstwahrscheinlich nicht dazu, Masse zu generieren, so verlagert der Verwalter das Besorgen von Versicherungsschutz auf den entsprechenden Gläubiger. Er hat ein entsprechendes Versicherungsinteresse. Gleichzeitig empfiehlt es sich, den Nichteintritt in evtl. bestehende Verträge zu prüfen, 78 um Prämien zurückzuerhalten.

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913

§ 29

Teil III Einzelfragen

III.

Versicherungsschutz der Schuldnerin

1.

Betriebliche Versicherungen des Anlage- und Umlaufvermögens

79 Befinden sich im Vermögen der Schuldnerin Sachwerte (eigene oder fremde, für welche die Schuldnerin die Gefahr trägt, weil bspw. externes Rohmaterial gelagert wird), so ist zu prüfen, in welchem Umfang Versicherungsschutz notwendig, angemessen und sinnvoll ist. Nach § 55 InsO handelt es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten. 1.1

Unbebaute Grundstücke

80 Auf Grund der Verkehrssicherungspflichten für Eigentümer, Pächter/Nutznießer, wird Haftpflichtversicherungsschutz dringend empfohlen, auch für land- und forstwirtschaftliche Flächen. Dieser Schutz kann zumeist in die Betriebshaftpflichtversicherung eingeschlossen werden. In der Police müssen alle Adressen/Flurstücknummern etc. aufgeführt sein. 1.2

Bebaute Grundstücke

81 Ohne aktive Nutzung der Gebäude reicht evtl. Haftpflichtschutz aus. Baufällig oder sehr alte Gebäude können ggf. zum gemeinen Wert versichert werden. 82 Stellen die Gebäude einen Massewert dar, weil diese veräußerbar oder Eigennutzung oder Fremdvermietung zugänglich sind, sollte Versicherungsschutz bestehen. Siehe auch Rz. 83 ff. 1.3

Gebäude

83 Auf den Punkt Gläubigerrechte wird verwiesen (Rz. 76, 77). Sorgt der Verwalter für Versicherungsschutz, sollte er auf folgende Punkte achten: x

Sämtliche „Risikoorte“ (Adresse, Flurstück, Gebäude etc.) müssen in den Policen genannt sein.

x

Selbstbeteiligungen und Sublimits prüfen (z. B. Einschluss von Aufräumkosten, Mehrkosten durch behördliche Auflagen, Neben- und Hilfsgebäude, Antennenanlagen, fest mit dem Gebäude verbundene Gegenstände etc.).

x

Auf (gleitende) Neuwertversicherung mit Unterversicherungsverzicht achten.

x

Änderungen, Umbauten, Leerstand etc. muss gemeldet werden.

x

Kürzung der Schadensersatzleistung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung.

x

Neuwerterstattung auch ohne Wiederaufbau (zumeist wird eine Neuwerterstattung nur geleistet, wenn diese zur Wiederherstellung des Gebäudes verwendet wird).

1.3.1 Wohngebäude 84 Diese zeichnen sich durch überwiegend wohnwirtschaftliche Nutzung aus. x

Versicherbare Gefahren: Jeweils einzeln oder gemeinsam wählbar ist Versicherungsschutz nach Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Elementargefahren (Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen, Erdsenkung, Erdrutsch, Schneedruck, Rückstau). In einigen Bundesländern wird auch eine Versicherung wegen „Hausschwamm“ empfohlen.

x

Mietausfall: Der nach einem versicherten Ereignis entstehende Mietausfall ist in der Regel mitversichert.

914

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 29

1.3.2 Gewerblich genutzte Gebäude Sobald eine gewerbliche Nutzung vorliegt ist zu klären, ob noch die Bedingungen der 85 Wohngebäudeversicherung greifen können oder ob eine gewerbliche Gebäudeversicherung vereinbart werden muss. Die Versicherer definieren hier sehr unterschiedlich. x

Versicherbare Gefahren: Grundsätzlich wie bei Wohngebäuden, zusätzlich sind gesondert wählbar EC-Gefahren (innere Unruhen, Streik, Aussperrung, mut- und böswillige Beschädigung, Graffiti, Fahrzeuganprall, Rauch, Überschallknall, SprinklerLeckage). Allgefahrendeckungen inkl. unbenannter Gefahren (alles was nicht explizit ausgeschlossen ist, gilt als versichert).

x

Mietausfall: Im gewerblichen Bereich bedarf es einer gesonderten Regelung zum Ausfall der Miet- und/oder Pachteinnahmen.

x

Notwendige Betriebsausstattung ist ohne gesonderte Vereinbarung nicht versichert, z. B. Deckenkran, Lastenaufzüge, Rolltreppen, Versorgungsleitungen für Maschinen, Sprinkleranlagen etc. Dies gehört in den Bereich der Geschäftsversicherung. Der Verwalter wird häufig, wie oben beschrieben, den Versicherungsschutz dem Hypothekengläubiger überlassen. Zu achten ist darauf, dass die Betriebsausstattung gesondert versichert werden soll und ggf. muss.

1.3.3 Terrorschäden An Gebäuden mit einem Wert von über 25 Mio. € greift bedingungsgemäß in der Regel 86 ein Ausschluss des Bereiches „Schäden durch Terror“, der über die nach den Terroranschlägen von 2001 in den USA gegründete „Extremus“ abgesichert werden kann. 1.4

Betriebseinrichtung und Vorräte (Geschäfts- oder Inhaltsversicherung)

Versichert sind die beweglichen Sachen des Betriebsvermögens, also Waren und Vorräte 87 sowie die kaufmännische und technische Einrichtung, Maschinen und Ausstattung. Auch vom Mieter/Pächter fest in das Gebäude eingefügte Sachen gelten als versichert. Fremdes Eigentum in den Räumen der Schuldnerin kann ebenfalls abgesichert werden. Alle Betriebsstandorte müssen ausdrücklich in der Police genannt werden.

88

x

Versicherbare Gefahren der „Geschäfts-/Inhaltsversicherung“: Folgende Bestandteile sind einzeln versicherbar: Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel, Elementargefahren (Überschwemmung, Erdbeben, Lawinen, Erdsenkung, Erdrutsch, Schneedruck, Rückstau), EC-Gefahren (Innere Unruhen, Streik, Aussperrung, mut- und böswillige Beschädigung, Graffiti, Fahrzeuganprall, Rauch, Überschallknall, Sprinkler-Leckage). Allgefahrendeckungen incl. unbenannter Gefahren (alles was nicht explizit ausgeschlossen ist, gilt als versichert).

x

Versicherungssumme: Zu achten ist auf eine (gleitende) Neuwertversicherung, um Abzüge Alt für Neu zu vermeiden, und auf Unterversicherungsverzicht. Bemessungsgrundlage sind die Neuwerte, nicht die tatsächlichen Anschaffungskosten.

x

Obliegenheiten: Auch in diesem Bereich können zahlreiche vertragliche Obliegenheiten zu beachten sein, deren Verletzung der Verwalter gegen sich gelten lassen muss, bspw. Bewachungsauflagen oder Brandschutzvorschriften. Regelmäßig finden sich auch Vorgaben zu den Ladestationen der elektrischen Gabelstapler.

x

Begrenzungen des Versicherungsschutzes: Zumeist finden sich Begrenzungen für Bargeld, Beraubung, Urkunden, Akten, Pläne, Muster, Modelle etc. Abhängig von der Tätigkeit der Schuldnerin können erweiternde Einschlüsse sinnvoll sein.

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§ 29 1.5

Teil III Einzelfragen Transport

89 Versendet oder bezieht (mit eigenen oder fremden Transportmitteln) die Schuldnerin Güter oder werden diese gelagert, wird eine „eigene“ Transportversicherung empfohlen. 90 Der Frachtführer haftet nach Gewicht der Ware. Erstattet werden in der Regel. „8,33 Sonderziehungsrechte (SZR)“ pro kg Rohgewicht. Der Wert eines „SZR“ wird täglich durch den „International Monetary Fund“ festgelegt. Am 8.3.2013 betrug ein „SZR“ bspw. 0,868 €. Ein Kilogramm ist über den Frachtführer also mit 8,33 x 0,868 € = 7,23 € abgedeckt. Das reicht regelmäßig nicht aus. 91 Versichert sind zum gemeinen Handelswert, neben z. B. Ermittlungs- oder Umladekosten, alle Gefahren, denen beförderte Güter ausgesetzt sind. Auch imaginärer Gewinn, Zollkosten etc. können versichert werden. 92 Viele Paketdienste haben eigene Haftungsregelungen aufgestellt. Neben den bedingungsgemäß festgelegten Haftungsgrenzen wird angeboten, ergänzenden Versicherungsschutz hinzuzukaufen. Diese Regelungen sind regelmäßig deutlich teurer als eigener Schutz. Darüber hinaus ist nicht der Verwalter Vertragspartner der Versicherung, sondern mögliche Schadensersatzansprüche müssen über den Paketdienst geleitet werden, was sich in der Praxis als mühsam erweisen kann. 1.6

Kraftfahrzeuge

93 Befinden sich zulassungspflichtige Fahrzeuge im Vermögen der Schuldnerin, so ergeben sich mehrere Fragestellungen. 1.6.1 Zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Fahrzeuge 94 Diese dürfen nur auf umfriedeten Grundstücken (nicht öffentlich zugänglich) abgestellt werden. Möglicherweise wird Versicherungsschutz bei Diebstahl oder Sturm (TeilkaskoRuheversicherung) gewünscht. 1.6.2 Zugelassene Fahrzeuge 95 Haftpflicht: Es besteht Pflichtversicherung. Bei Auslandsfahrten ist die „grüne Versicherungskarte“ mitzuführen. Zur Zulassung/Ummeldung wird eine „eVB“ – elektronische Versicherungsbestätigung benötigt. x

Die Prämienfindung ist an zahlreiche Faktoren geknüpft. Das Nutzungsverhalten bestimmt den Beitrag. Grundsätzlich werden Ansprüche Dritte befriedigt bzw. abgewehrt. Es sind aber auch Schäden an eigenen Fahrzeugen untereinander versicherbar.

x

Jeder Vertrag wird mit einem Schadenfreiheitsrabatt (SFR) geführt. Möglicherweise ist eine natürliche Person (früherer Mitarbeiter der Schuldnerin) berechtigt, diesen erfahrenen Rabatt mitzunehmen. Das liegt an den einzelvertraglichen Regelungen. Sollten für die Schuldnerin keine „Schadenfreiheitsrabatte“ (SFR) vorhanden sein, können über sog. Stückkostenmodelle kostengünstige Lösungen gefunden werden.

96 Teilkasko: Umfasst Reparatur oder Ersatz nach Schäden am Fahrzeug durch Brand, Explosion, Entwendung, Raub, Sturm, Hagel, Haarwild, Marderbiss bis zum Versicherungswert. Auch Glasschäden sind mitversichert. 97 Vollkasko: Nach Eigenschäden oder mut- oder böswilliger Beschädigung kommt es zur Erstattung von Reparatur- oder Ersatzkosten bis zum Versicherungswert.

916

Langenmayer

Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 1.7

§ 29

Maschinen

Stationäre oder fahrbare Maschinen, maschinelle oder elektrische Anlagen unterliegen be- 98 sonderen Risiken, die ergänzend oder separat zur Geschäftsversicherung abgesichert werden können. Bedienungsfehler, Ungeschicklichkeit, Konstruktions-, Material- oder Ausführungsfehler sowie technische Störungen (Zerreißen, Kurzschluss, Überlastung, Fremdkörper etc.) führen zu Schäden, die hohe Kosten zur Folge haben können. Zu beachten ist, dass Feuer in der Maschinenversicherung grundsätzlich nicht versichert ist. Versichert ist der gültige Listenpreis im Neuzustand zzgl. Bezugskosten bezogen auf ein 99 Basisjahr mit Wertzuschlag. Bei Totalschäden wird der Zeitwert vor Schadensfall erstattet. Ein Abzug „alt für neu“ gilt für Verschleißteile. Auch der Maschinenstillstand birgt Gefahren. Neben dem eigenen Ertragsausfall durch 100 Betriebsunterbrechung ergeben sich möglicherweise Folgeschäden bei den Abnehmern, die versicherbar sind. 1.8

Elektronik

Als Ergänzung zur Geschäftsversicherung oder gesondert versicherbar sind elektronische 101 Geräte, die besonderen Gefahren unterliegen, z. B. Daten- und Kommunikationstechnik, Mess- und Prüfanlagen, Medizintechnik etc. Versichert sind alle Sachschäden, die nicht rechtzeitig vorhersehbar waren. (Bedienungsfehler, Fahrlässigkeit, Konstruktions-, Material-, Ausführungsfehler, Überspannung etc.). Zu berücksichtigen ist, dass es zu keiner Doppelversicherung mit der Geschäftsversicherung kommt. Ergänzend könnte von Bedeutung sein und muss gesondert vereinbart werden: Wieder- 102 herstellung, Wiederbeschaffung, Wiedereingabe von Daten, Programmen und Datenträgern. Auch Umprogrammierungskosten, externe Lohnkosten etc. können versichert werden. Diese Bereiche können den ursächlichen Sachschaden um ein Vielfaches übersteigen. Auch die „Betriebsunterbrechung“ nach Schäden/Ausfall der Elektronik kann abge- 103 sichert werden. Muss bspw. die Produktion auf Grund eines Bedienfehlers angehalten werden, kann es zu erheblichen finanziellen Aufwendungen kommen. 1.9

Glas

Grundsätzlich ist Glasbruch nicht über die Gebäude- oder Geschäftsversicherung abge- 104 deckt. Es ist ein eigener Vertrag erforderlich, wenn dieses Risiko als versicherungswürdig angesehen wird. 1.10 Montage Führt die Schuldnerin i. R. der geschäftlichen Tätigkeiten auch Montagen aus oder zeich- 105 net für die Durchführung verantwortlich, so kann eine Montageversicherung (deckt unvorhergesehene und plötzlich eintretende Schäden an versicherten Sachen durch Konstruktions-, Material-, Montagefehler, höhere Gewalt oder Diebstahl ab) sinnvoll sein. Ergänzend bietet sich die Betriebsunterbrechungsabsicherung nach einem Sachschaden an. 1.11 Bauleistung Werden Neu- oder Umbauten durchgeführt, empfiehlt es sich das Vorhaben abzusichern. 106 Es besteht Versicherungsschutz während der Bauphase gegen „unvorhersehbare Beschädigung oder Zerstörung“ am Bauobjekt, z. B. höhere Gewalt, ungewöhnliche Witterungseinflüsse, Vandalismus, Diebstahl von Gebäudebestandteilen. Mitversichert werden kann

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917

§ 29

Teil III Einzelfragen

auch Glasbruch oder die Beschädigung von Altbausubstanz. Für den Bereich Feuer ist regelmäßig ein eigener Versicherungsschutz notwendig. 2.

Betriebliche Versicherung von Kostenrisiken

2.1

Haftung – Betriebshaftpflicht

107 Die Schuldnerin unterliegt aus vergangener und laufender Tätigkeit umfangreichen Haftungsrisiken, die durch rechtswidriges und schuldhaftes Handeln oder Unterlassen entstehen und versichert werden können. Erweiternd greifen evtl. verschuldensunabhängige Garantiehaftungen oder die Regelungen nach Gefährdungshaftung. 108 Der Insolvenzverwalter tritt an die Stelle der Organe der Schuldnerin und begründet dadurch weitreichende eigene Haftungsthematiken, die oben behandelt wurden (Rz. 6). 2.1.1 Haftungsrisiken der Schuldnerin 109 Aus welchen Bereichen können Haftungsrisiken bei der Schuldnerin entstehen? x

aus der Tätigkeit und/oder Betriebsart,

x

aus Produktion/Handel mit eigenen und fremden Produkten,

x

Umweltrisiken aus Anlagenbetrieb,

x

Umweltschäden an Luft, Gewässern, Boden.

110 Der Versicherungsschutz soll möglichst umfangreich ausgestattet sein und die Handlungen sowie das Unterlassen der Tätigkeiten, Eigenschaften und Rechtsverhältnisse abdecken. Es kommt folglich auf die genaue Beschreibung des Geschäftszweckes und der Tätigkeiten an. 111 Versichert ist der Ersatz bei Personen-, Sach- und den daraus folgenden Vermögensschäden, sowie Schäden durch Produkte (Achtung: ggf. Erweiterung auf Produkthaftung notwendig). Ebenso enthalten ist die passive Rechtsschutzfunktion zur Abwehr unbegründeter Ansprüche. 2.1.2 Ergänzender/eigenständiger Versicherungsschutz 112 Es gibt zahlreiche Bereiche, die besonderen Versicherungsschutz notwendig machen. Einige Beispiele: x

Haftung des Frachtführers,

x

Lagerung von gewässergefährdenden Stoffen (Öltank),

x

erweiterte Umwelthaftung bei Anlagenrisiko,

x

Tierhaltung,

x

Herstellung/Handel von Teilen die für den KFZ-Einbau vorgesehen sind,

x

Luftfahrthaftpflicht,

x

Betriebsschließungsversicherung wegen Seuchengefahr insb. für Nahrungsmittelhersteller, Hotels, Gaststätten usw.

113 Durch besondere Vereinbarung können z. B. nachfolgende Bereiche versichert werden: x

Mietsachschäden (Regressmöglichkeit des Gebäudeversicherers beachten),

x

Allmählichkeitsschäden,

918

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz x

§ 29

Erweiterte Produkthaftung ggf. inkl. Rückrufkosten: x

Fehlen zugesicherter Eigenschaften infolge Mangelhaftigkeit von Sachen, die erst durch Verbinden, Vermischen oder Verarbeitung der gelieferten Erzeugnisse mit anderen Produkten entsteht. Beispiel Die Schuldnerin lackiert Bauteile, die mit anderen Teilen beim Kunden zu einem Endprodukt zusammengefügt werden. Durch fehlerhaftes Auftragen des Lackes blättert die Farbe ab und das Endprodukt muss zurückgerufen, zerlegt und neu zusammengesetzt werden.

x

Wichtig: Unbedingt Rückwärtsdeckung und/oder Nachhaftung vereinbaren. Siehe „Schadensfalldefinition“ unter Rz. 116 ff.

Ausland: Liefert die Schuldnerin Ware in angelsächsische Länder und insbesondere nach 114 USA/Kanada, aber auch nach Frankreich, so ist explizit zu prüfen, ob Haftpflichtversicherungsschutz über die deutsche Police auch in diesen Ländern besteht, was häufig, sogar überwiegend, nicht der Fall sein wird. 2.1.3 Optionaler Haftpflichtschutz für den Verwalter Um die Haftungsrisiken des Insolvenzverwalters auf eigene Inanspruchnahme zu reduzie- 115 ren gibt es die Möglichkeit, einen „Umbrella-Cover“ als ergänzenden Schutz zu wählen. Nach Kenntnis des Autors wird dieser sinnvolle Schutz ausschließlich über Mitglieder des „adiutus e. V.“ angeboten. Hier werden Deckungslücken in der Betriebshaftpflicht der Schuldnerin bzw. Berufshaftpflicht des Verwalters, wie bspw. x

unzureichendes Bedingungswerk z. B. Rückrufkosten,

x

fehlende Prämienzahlung zum Altvertrag,

x

Obliegenheitsverletzung zum Altvertrag,

x

unzureichende Betriebsbeschreibung oder

x

neue Risiken

abgesichert. 2.1.4 Unterschiedliche Schadensfalldefinitionen in der Haftpflichtversicherung 2.1.4.1

Schadenereignistheorie (z. B. Betriebshaftpflichtversicherung)

Ein Beispiel hierfür stellt die Regelung in § 1.1 Allgemeine Haftpflichtversicherungsbe- 116 dingungen (AHB) dar. Zu prüfen ist, ob der Schaden während der Wirksamkeit des Vertrages eintritt. Der eigentliche Verstoß, die Schadensursache, kann auch vor dem Schadenseintritt liegen, so dass dies hier keine Rolle spielt. Führt der Verwalter die Betriebshaftpflicht der Schuldnerin nicht weiter, so besteht kein 117 Schutz, wenn in der Zukunft ein Schaden eintritt, der aus früherer Geschäftstätigkeit der Schuldnerin herrührt. Möglicherweise fallen diese Ansprüche in die Tabellenforderungen, bei Betriebsfortführung können aber auch Masseverbindlichkeiten und damit eine Haftung des Insolvenzverwalters entstehen. Zu lösen ist die Aufgabenstellung durch die Vereinbarung einer „Nachhaftung“ zur Be- 118 triebshaftpflichtversicherung. 2.1.4.2

Verstoßtheorie (z. B. Produkthaftpflichtversicherung)

Ein Beispiel hierfür stellt die Regelung in § 7.2 AHB dar.

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119

919

§ 29

Teil III Einzelfragen

120 Bestand zum Zeitpunkt des ursächlichen Verstoßes Versicherungsschutz? Abzustellen ist also nicht auf den Zeitpunkt des Bekanntwerdens eines Schadens, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die Ursache für den Schaden gesetzt wurde. Zu beachten ist die Nachmeldefrist für Schäden, die in der Regel zwischen ein bis drei Jahre beträgt, aber abgeändert werden kann. 121 Hier bietet sich zur Problemlösung die sog. „Rückwärtsdeckung“ an, die Umsätze vor Versicherungsbeginn absichert und gleichzeitig ggf. die Verlängerung der Nachmeldefrist. 122 Sollten sie selbst geschädigt werden und einen Haftpflichtanspruch Dritten gegenüber erlangen, ist zunächst zu prüfen, ob eigener Versicherungsschutz gegeben ist, der möglicherweise zum Neuwert entschädigt, während Haftpflichtansprüche regelmäßig nur den Zeitwert bedienen. 2.1.4.3

Anspruchserhebungstheorie/Claims-Maide

123 Hier kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Regelverstoßes oder den Schadenseintritt an, sondern ob Versicherungsschutz zum Zeitpunkt der „Anspruchserhebung“ besteht. Dieses Prinzip findet bei der Managerhaftung D&O Anwendung. (siehe unten Rz. 125). 2.1.5 Reine Vermögensschadenhaftpflicht 124 Einige Berufsbilder, wie beratende Ingenieure, Architekten, Steuerberater, Anwälte aber auch Vermögensverwalter oder Immobilienmakler stehen besonders in der Gefahr, reine Vermögensschäden zu verursachen, die nicht Folge von Personen- oder Sachschäden sind. Hierfür ist eigener Versicherungsschutz angeraten, der nicht automatisch Bestandteil einer Betriebshaftpflichtversicherung ist. 2.1.6 Geschäftsführer-/Organhaftpflicht, „D&O“ 125 Wesen der D&O-Versicherung ist es, Versicherungsschutz zu gewähren, berechtigte Forderungen zu bedienen und unberechtigte abzuwehren, wenn versicherte Personen wegen einer, bei Ausübung der versicherten Tätigkeit, begangenen Pflichtverletzung bzgl. eines Vermögensschadens in Anspruch genommen werden. 126 Die komplexen Problemstellungen der ständig steigenden Haftung und Inanspruchnahme der Geschäftsführer und Aufsichtsorgane von Kapitalgesellschaften, aber auch von Privatunternehmen, Vereinen und Stiftungen etc. und der Schutz des Privatvermögens der Organe, lassen diesen Schutz sinnvoll erscheinen. 127 Nachdem häufig die vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren handelnden Personen/Organe der Schuldnerin vom Verwalter angegriffen werden, um durch persönliche Haftungsvorwürfe die Masse zu erhöhen, empfiehlt es sich dringend, bestehenden D&O Schutz über die Eröffnung des Verfahrens hinaus aufrechtzuerhalten. Dies geschieht durch Weiterzahlung der Prämie oder Verlängerung der Nachmeldefristen, innerhalb derer ein vermeintlicher Anspruch geltend gemacht werden muss. 128 Zumeist wird der D&O-Versicherer mit Kenntnis der Insolvenz die Aufforderung nach § 103 Abs. 2 InsO an den Verwalter richten, unverzüglich den Eintritt in den Vertrag zu erklären. Es liegt im Interesse des Versicherers, den Vertrag schnellstmöglich aufzulösen. Der Verwalter sollte nach bisherigen Erfahrungen den Vertrag zumindest so lange weiterführen, bis er Gewissheit über Anspruchsmöglichkeiten gegenüber den bisherigen Organen hat. 129 Häufig hat durch wirtschaftliche Schieflage der Schuldnerin auch das Privatvermögen der bisherigen Organe gelitten und möglicherweise können Ansprüche nicht eingezogen werden.

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz

§ 29

Hier soll der D&O-Versicherungsschutz eintreten. Es kann zu Masseerhöhungen kommen, die ohne einen solchen Versicherungsschutz nicht möglich wären. Abweichend zur Schadensdefinition in der Haftpflichtversicherung, siehe oben Rz. 116 ff., 130 ist hier in den Versicherungsbedingungen auf Grund der angelsächsischen Herkunft dieses Versicherungsschutzes die sog. „Claims-made“-Regelung anzuwenden. Es ist zu klären, ob zum Zeitpunkt der „Anspruchserhebung“ Versicherungsschutz besteht. Die Schadensursache und auch der Schadenseintritt sind unbeachtlich. Unbedingt beachtet werden, sollten die Fristen, innerhalb derer Schadensersatzansprüche 131 auch nach Beendigung des Vertrages geltend gemacht werden müssen. Diese Fristen sind aus den Versicherungsbedingungen oder gesonderten Vereinbarungen erkennbar und in der Regel nicht identisch mit den gesetzlichen Verjährungsregeln. 2.2

Betriebsunterbrechung

Kommt es durch einen Sach- oder Vermögensschaden (z. B. Feuer, Datenverlust, Maschi- 132 nenbruch, Transportschaden, Veruntreuung etc.) zur Unterbrechung des Geschäftsbetriebs, kann dies zu weitreichenden monetären Einbußen führen. Die laufenden Kosten des Unternehmens müssen weiter bedient werden (Löhne, Mieten, Leasing etc.). Der Verwalter ist ggf. Masseverbindlichkeiten eingegangen, die er über die Erträge des 133 Geschäftsbetriebs der Schuldnerin bedienen wollte. Fallen diese Einnahmen durch einen Schaden aus, kann es zu Finanzierungsproblemen kommen. Im Falle einer Betriebsfortführung wird empfohlen, die Risiken und die Versicherbarkeit zu prüfen, um die Masse und letztlich den Verwalter zu schützen. Der Versicherungsschutz und die Versicherungsprämie sind abhängig von z. B. Umsätzen, 134 Wareneinsatz, Zeitdauer der Wiederbeschaffung bzw. Wechselwirkungen unter verschiedenen Betriebsstätten der Schuldnerin oder bei Folgen von Sachschäden bei fremden Dritten, sog. Rückwirkungsschäden. 2.3

Rechtsschutz

In der Rechtsschutzversicherung für Unternehmen sind diverse Bausteine einzeln oder 135 gemeinsam wählbar. Grundsätzlich ist das Unternehmen mit seiner originären Tätigkeit versichert. Ausgeschlossen ist in der Regel (Ausnahme z. B. Medizinberufe) der Vertragsrechtsschutz, also die Vereinbarungen zwischen der Schuldnerin und ihren Lieferanten oder Kunden. Wählbar ist z. B. Rechtsschutz für/als:

136

x

Arbeitgeber (Streitigkeiten mit Mitarbeitern),

x

Immobilien (Miete ist regelmäßig bis 100.000 € Bruttojahresmiete mitversichert),

x

Verkehr (Kfz, LKW, Werk- und Fernverkehr etc.),

x

Vertragsrechtsschutz für Hilfsgeschäfte rund um Büro, Praxis, Werkstatt etc.,

x

Forderungsmanagement,

x

Versicherungs-Vertragsrechtsschutz,

x

Straf-Rechtsschutz sowie erweiterter Spezial-Straf-Rechtsschutz,

x

Online-Rechtsschutz.

Für einzelne Betriebsarten wie Kfz-Handel/Handwerk, Entsorgungsbetriebe oder auch Per- 137 sonalleasing etc. gibt es besondere Bedingungen.

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921

§ 29

Teil III Einzelfragen

138 Sollte der Verwalter eine Rechtsschutzversicherung weiterführen? Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. c der Allgemeinen Bedingungen für Rechtsschutzversicherungen (ARB) sind Rechtsstreitigkeiten ausgeschlossen, die in ursächlichem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren, das über das Vermögen des Versicherungsnehmers eröffnet wurde oder eröffnet werden soll. Insofern greift der Schutz vielfach nicht. 139 Streitigkeiten mit Arbeitnehmern, weil z. B. Aufhebungsverträge vereinbart werden sollen, sind nach gängiger Meinung weiterhin mitversichert. 140 Ist der private Rechtsschutz des Inhabers der Schuldnerin mitversichert, tritt der Verwalter in diesen Bereich regelmäßig nicht ein und fordert den Prämienanteil zurück. Gleiches gilt, wenn ein „Spezial-Straf-Rechtsschutz“ mitversichert ist. Für diese Bausteine besteht ein originäres Interesse der bisher Versicherten. Insofern erscheint es fair, diesen Personen die Möglichkeit einzuräumen, solchen Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. 2.4

Vertrauensschaden und Computermissbrauch

141 Die polizeiliche Kriminalstatistik geht davon aus, dass jährlich mehr als 1 Mio. Schadensfälle mit einem Schadenvolumen von mehreren Milliarden Euro durch unerlaubte Handlungen (Betrug, Unterschlagung, Sachbeschädigung, Sabotage etc.) von Betriebsangehörigen oder sonstigen Vertrauenspersonen begangen werden. Der Versicherungsschutz umfasst neben der Erstattung des entstandenen Schadens auch die internen und externen Schadensermittlungskosten bis zur vereinbarten Höhe. 142 Gerade vor einer Insolvenz können diese strafbaren Handlungen zunehmen. Zeigen sich Anzeichen für Nachteile, die der Schuldnerin durch „Vertrauensschäden“ entstanden sein können, scheint es durchaus angeraten, diesen Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten, um einerseits die Rechtsverfolgung erstattet zu bekommen und andererseits ggf. die Masse zu erhöhen, falls die Schädiger keinen Schadensersatz leisten können. 2.5

Forderungsausfall/Warenkreditversicherung

143 Verkauft die Schuldnerin Waren an Abnehmer gegen Rechnung mit Zahlungsziel (Warenoder Lieferantenkredit), so besteht ein Ausfallrisiko, das die Liquiditätsplanung des Verwalters (insbesondere bei Betriebsfortführung) für die Schuldnerin durchkreuzen kann, speziell bei Warenlieferungen mit Forderungen in bedeutender Höhe oder an Großkunden. 144 Abhängig von der enthaltenen Gewinnspanne ist errechenbar, wie viel Alternativumsatz erzielt werden muss, um Forderungsausfälle zu kompensieren. Das Risiko des Forderungsausfalls kann nebst Inkasso- und Auskunftsservice über eine „Kreditversicherung“ abgedeckt werden. Zahlt der Schuldner nicht, soll die Warenkreditversicherung eintreten. 145 Ist die Schuldnerin selbst versichert, also ihre Lieferungen an dritte Abnehmer, so wird der Kreditversicherer den Vertrag nach Kenntnis der Insolvenz aufkündigen. Durch besondere Vereinbarungen besteht die Möglichkeit eine Abspaltung vorzunehmen und den Altteil vor Insolvenzeröffnung aufzukündigen, die Betriebsfortführung aber weiter zu versichern. 2.6

Bürgschaftsversicherung

146 Hat die Schuldnerin eigene Verpflichtungen Dritten gegenüber durch Bürgschaftsversicherungen abgesichert, so werden diese häufig „eingefroren“. Die Vorgehensweise richtet sich nach der Bürgschaftsvereinbarung. Neue Bürgschaften werden durch die Schuldnerin über Versicherungslösungen nicht mehr möglich sein.

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Betriebsfortführung und Versicherungsschutz 3.

Absicherung von Mitarbeitern

3.1

Reisekrankenversicherung

§ 29

Zu unterscheiden sind zwei Bereiche.

147

x

Die Schuldnerin entsendet Mitarbeiter ins Ausland: Hier sind zahlreiche Regelungen (auch EU-Verordnungen) zu beachten. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Bereich des Krankenschutzes so stellen muss, als sei dieser in Deutschland. Nachdem die deutsche gesetzliche Krankenversicherung (wenn überhaupt) nur rudimentären Schutz im Ausland bietet, ist eine ergänzende Auslandskrankenversicherung für Dienstreisen unbedingt zu empfehlen, damit die Schuldnerin das Kostenrisiko nicht tragen muss. Es bieten sich günstige Rahmenverträge an.

x

Ausländische Geschäftspartner beim Aufenthalt in Deutschland (Incoming): Erstattung von ambulanten und stationären Heilbehandlungen in Deutschland bei Krankheit oder Unfall, ggf. inkl. Zahnbehandlungskosten.

3.2

Krankenversicherung – Rahmenverträge

Im Rahmen der Mitarbeiterbindung und -förderung schließen Unternehmen Rahmenver- 148 träge mit privaten Krankenversicherungen ab, um ergänzend zur gesetzlichen Krankenversicherung Zusatzversicherungen mit besonderen Preisvorteilen zu bieten. Häufig können sich Mitarbeiter ohne Gesundheitsprüfung versichern, was als Einzelvertrag ggf. nicht mehr möglich wäre. Überwiegend trägt der Mitarbeiter die Beitragszahlung alleine, so dass die Schuldnerin davon nicht belastet ist. Zumeist gibt es Regelungen zur Weiterführungsmöglichkeit bei Ausscheiden des Mitar- 149 beiters. Eine Information an die Mitarbeiter durch den Verwalter oder die Versicherung ist wünschenswert, damit diese keine Nachteile erleiden. 3.3

Unfallversicherung

Neben der Pflichtabsicherung über die Berufsgenossenschaft haben viele Unternehmen 150 Rahmenverträge einer ergänzenden privaten Unfallversicherung. Meist sind auch die bisher handelnden Organe der Schuldnerin mitversichert. Es handelt sich um einen rein freiwilligen Vertrag, so dass häufig Nichteintritt nach § 103 InsO erklärt wird. 3.4

Reiseversicherungen

Gegenstände, die Mitarbeiter der Schuldnerin auf Geschäftsreisen mitführen, können z. B. 151 gegen Diebstahl oder Bruch versichert werden. 3.5

Dienstreisekasko

Führen Mitarbeiter mit ihrem eigenen Fahrzeug für die Schuldnerin Fahrten durch, so 152 kann das Risiko eines Unfallschadens oder von Beschädigung über eine Dienstreisekasko, die der Arbeitgeber für das Fahrzeug des Arbeitnehmers abschließt, abgedeckt werden. IV.

Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss?

Notwendiger und gewünschter Versicherungsschutz hängt immer von den vorherrschen- 153 den Gegebenheiten ab. Erst nach einer Aufnahme der Risiken, insbesondere bei Betriebsfortführung, kann eine Beurteilung vorgenommen werden. Anschließend sind die weiteren Maßnahmen zu beschließen. Vorstehende Ausführungen können zu Themen, die im Insolvenzverfahren häufig eine Rolle spielen, nur allgemeine Grundsätze und Handlungsempfehlungen wiedergeben, die im Einzelfall aber abweichend zu beurteilen sein können.

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§ 29

Teil III Einzelfragen

154 Tritt der Verwalter nach § 103 InsO nicht in bestehende Verträge ein oder kündigt regulär, so empfiehlt sich im Bereich der Haftpflichtversicherungen immer zu prüfen, welche Schadensersatzansprüche auf die Schuldnerin zukommen können und welche Schadenstheorie gilt (siehe oben Rz. 116 ff.) Es ist auf Nachhaftungsfristen und -möglichkeiten zu achten. 155 Wird neuer Versicherungsschutz abgeschlossen, sollte eine „Rückwärtsdeckung“ für bereits zurückliegende Geschäftstätigkeit enthalten sein. Grundsätzlich sollte der Verwalter im eigenen aber auch im Interesse aller am Verfahren Beteiligter immer auf bestmöglichen Versicherungsschutz im Bereich der „Haftung“ bedacht sein. In der Regel übernimmt die Masse diese Kosten. 156 Bei der Absicherung von Anlage- und Umlaufvermögen sowie Vermögensverlust empfiehlt es sich in der Regel den Nichteintritt zu erklären, um Masse zu generieren und neuen, zeitgemäßen und richtigen Versicherungsschutz abzuschließen. Der Verwalter entgeht so auch der Gefahr, für vergangene Obliegenheitsverletzungen zu haften. 157 Wie es in verschiedenen Bereichen der Insolvenzverwaltung längst gängige Praxis ist, sollten auch für den Versicherungsschutz spezialisierte Partner eingeschaltet werden. Um Sachverstand zu bündeln, einheitliche Qualitätsstandards zu schaffen und auch gegenüber den Produktanbietern „Marktmacht“ i. S. der Aufgabe, optimalen Versicherungsschutz im Insolvenzverfahren zu erreichen, wurde der „adiutus – Deutscher Insolvenz AssekuranzVerband e. V.“ gegründet, dem Partner mit Kompetenz und Erfahrung angeschlossen sind.

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§ 30 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen Übersicht I. Einführung .................................................. 1 II. Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung.................................... 3 1. Taktische Überlegungen.............................. 3 2. Auswirkung der Anfechtung....................... 6 III. Dogmatische Grundlagen........................ 13 1. Entstehung und Erlöschen des Anfechtungsanspruchs............................... 13 2. Inhalt des Anfechtungsanspruchs ............. 15 IV. Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters............................ 18 1. Grundlagen ................................................. 18 2. Zulässigkeit des Vergleichs........................ 23 3. Der Anfechtungsanspruch als Vergleichsgegenstand................................. 24 4. Ermessensspielraum des Insolvenzverwalters.................................... 26 V. Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung................................................ 27

1. 2.

Vorbemerkung ........................................ 27 Die Pflichtverletzung ............................. 28 2.1 Allgemeines ................................. 28 2.2 Pflicht zur Anfechtung ............... 30 2.3 Auswahl bei mehreren Haftungsschuldnern.................... 34 VI. Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters............................... 37 1. Unterlassene Vermögensmehrung ........ 37 2. Pflichtverletzung .................................... 42 3. Vermögensschaden ................................. 46 VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag................................... 47 1. Anforderungen an Treu und Glauben und den Ausschluss der Anfechtung .................................................. 49 2. Zulässigkeit eines Verzichts................... 57 VIII. Zusammenfassung................................. 61

Literatur: Bork, Die insolvenzrechtliche Anfechtung: Sanierungsmittel oder Sanierungshindernis, in: Festschrift für Hans Peter Runkel, 2009, S. 241; Bork, Kann der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf das Anfechtungsrecht verzichten?, ZIP 2006, 589; Bork, Verfolgungspflichten – Muss der Insolvenzverwalter alle Forderungen einziehen, ZIP 2005, 1120; Diversy/Weyand, Insolvenzverwalter und Untreuetatbestand, ZInsO 2009, 802; Gehrlein, Anfechtung versus Sanierung, WM 2011, 577; Huber, Zur Frage der ausschließlichen Geltendmachung des Quotenverringerungsschadens durch Konkursverwalter, NZI 2004, 497; Haarmeyer/Beck, Die Praxis der Abweisung mangels Masse oder der Verlust der Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts, ZInsO 2007, 1065; Kirstein, Das konkrete und das virtuelle Vermögen der Masse, ZInsO 2008, 830; Kirstein, Ausführungen zu real existierenden Situationen bei Eröffnungs- und Befriedigungsquoten in Insolvenzverfahren; ZInsO 2006, 966; Kreft, Vergleich über Anfechtungsansprüche, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 965; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., 2011; Lüke, Der Sonderinsolvenzverwalter, ZIP 2004, 1693; Meyer-Löwy/Poertzgen/Sauer, Neue Rechtsprechung zur Insolvenzverwalterhaftung im Überblick, ZInsO 2005, 691; Piepenbrock, Zur Anfechtung der Erfüllung von Freistellungsansprüchen, NZI 2007, 384; Schmittmann/Dannemann, Schutzschirmverfahren versus Insolvenzanfechtung, ZIP 2013, 760; Schramm, Untreue durch Insolvenzverwalter, NStZ 2000, 398; Tröndle/Fischer, StGB, 59. Aufl., 2011.

I.

Einführung

Es ist Zweck der Insolvenzanfechtung sachlich ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen, 1 die zu einer Verkürzung der Masse geführt haben, zugunsten aller Insolvenzgläubiger und zur Verwirklichung der „par condicio creditorum“ rückgängig zu machen. Anfechtung ist folglich Mittel für eine Massemehrung und Gegenmittel zur Massearmut.1) Obgleich darüber in der Theorie vollkommenes Einvernehmen herrscht, offenbart die Praxis immer noch erhebliche Defizite bei der Umsetzung der zentralen Ordnungsfunktion des Insolvenz-

___________ 1) Vgl. für alle Kreft in: HK-InsO, § 129 Rz. 1 ff.

Bograkos

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§ 30

Teil III Einzelfragen

anfechtungsrechts.2) Dem beschriebenen Anfechtungszweck steht das Vertrauen des späteren Anfechtungsgegners auf die Rechtsbeständigkeit seines Erwerbs gegenüber. In diesem Interessenkonflikt versucht das Gesetz einen gerechten Ausgleich dadurch herbeizuführen, dass es zwar den Begriff der Vermögensweggabe weit, die einzelnen Anfechtungstatbestände – diese in ihrem Ausmaß wiederum unterschiedlich je nach den konkreten Normzwecken – eng fasst. 2 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen im Insolvenzverfahren kann einen der wichtigsten Beiträge zur Wiederherstellung der Haftungsmasse leisten, die den Gläubigern bei einer rechtzeitigen Antragstellung des insolventen Schuldners zur Verfügung gestanden hätte. Insoweit kommt dem Anfechtungsrecht zur Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens in der Krise auch eine bedeutende Ordnungsfunktion zu, führt es doch dazu, dass nicht nur die bewusste, gläubigerschädigende Verschiebung von Vermögen, sondern auch „normale“ Zahlungen des Schuldners in kritischer Zeit wie auch die Entgegennahme solcher Zahlungen mit dem Risiko der späteren Rückzahlung belastet werden. II.

Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung

1.

Taktische Überlegungen

3 Neben allen grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Ausübung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen gegen Dritte sowie Gesellschafter und Geschäftsführer3) kommen unter den Bedingungen einer Betriebsfortführung auch taktische Aspekte hinzu. Mögliche Anfechtungsgegner sind in der Regel Beteiligte des Insolvenzverfahrens. Auf ihre Unterstützung ist der fortführende Verwalter angewiesen, wenn es sich bei den Anfechtungsgegnern um Geld- oder Warenkreditgeber, Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen handelt, da letztere häufig an Auffang- oder Reorganisationslösungen beteiligt sind und das hierfür benötigte Kapital aufbringen. 4 Die Ausübung der Anfechtung beinhaltet zudem für die Anfechtungsgegner ein moralisches Werturteil, in dem bestimmten Gläubigern, Dritten oder Gesellschaftern bescheinigt wird, dass sie die wirtschaftliche Notsituation des Schuldners zum eigenen Vorteil ausgenutzt haben. Auseinandersetzungen im Bereich der Anfechtung sind daher wechselseitig durch Polemik und Schärfe gekennzeichnet. Sie wirken sich nachteilig auf eine Betriebsfortführung aus, in der die Zahl der Nebenkriegsschauplätze zur Vermeidung von Risiken und Störungen begrenzt werden muss, da gerade die Normadressaten der Ansprüche eng an der Betriebsfortführung beteiligt sind.4) ___________ 2) Huber, NZI 2004, 497; Kirstein, ZInsO 2008, 830. Bei zur Stellung eines Insolvenzantrages nach deutschem Recht gesetzlich verpflichteten Schuldnern betrug die Eröffnungsquote im Jahr 2006 durchschnittlich 54,24 %. Dabei variieren die Eröffnungsquoten auf die Bundesländer bezogen zwischen 42,99 % in Berlin und 74,16 % in Hamburg. Bricht man diese Werte sodann auch auf die einzelnen Insolvenzgerichte herunter, so ergeben sich z. B. für das Jahr 2005 Spannbreiten von 12 % am AG Leer und 92,31 % am AG Niebüll und für das Jahr 2006 von 19,57 % beim AG Meppen und 92,31 % am AG Husum bzw. 100 % beim AG Nordenham. Vgl. die Darstellung bei Haarmeyer/Beck, ZInsO 2007, 1065, auch die aktualisierte Dokumentation in ZIP 2008, 1977. Ausdrücklich in diesem Sinne BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793; vgl. dazu auch Huber, ZInsO 2008, 929, der auf die Defizite systematischer Ermittlung z. B. von Anfechtungstatbeständen hinweist. Zu den Disproportionalitäten bei der Verfolgung und Durchsetzung vgl. die empirische Darstellung bei Kirstein, ZInsO 2006, 992. 3) Vgl. zu § 64 GmbHG und § 135 InsO: BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391; BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174; zu § 135 InsO: BGH, Urt. v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417; BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582; BGH, Beschl. v. 26.2.2012 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482; BGH, Beschl. v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734; BGH, Vers.-Urt. v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, ZIP 2013, 1269; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, ZIP 2013, 1579. 4) Gehrlein, WM 2011, 577.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen

§ 30

Mögliche Anfechtungstatbestände gehören daher zur Verhandlungsmasse bei Vereinbarun- 5 gen zwischen Verwalter und Gläubigern oder sonstigen an einer Betriebsfortführung beteiligten Dritten, bei denen es um die Modalitäten zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Strukturen, der Belieferung mit Ware, der Abnahme von Produkten oder der Bereitstellung von Liquiditätskrediten geht. Die sich mit der Verfolgung i. R. der Betriebsfortführung ergebenden tatsächlichen als auch rechtlichen Fragestellungen sollen daher näher untersucht werden. 2.

Auswirkung der Anfechtung

Zunächst können

6

x

vorinsolvenzrechtliche Sanierungsmaßnahmen einerseits und

x

sanierungsbegleitende Maßnahmen andererseits

angefochten werden. Im ersten Fall ist die Sanierung in der Krise des Unternehmens versucht worden, aber sie ist 7 gescheitert.5) Es kommt zum Insolvenzverfahren und der Insolvenzverwalter prüft die Anfechtbarkeit einzelner Sanierungshandlungen.6) Im zweiten Fall unternimmt der Insolvenzverwalter selbst die Sanierung und fragt sich, 8 inwieweit sich die Anfechtung sanierungsfördernd oder sanierungshemmend auswirken könnte.7) Der Insolvenzverwalter, der i. R. der Betriebsfortführung versucht, das insolvente Unter- 9 nehmen zu sanieren, muss der Frage nachgehen, ob dabei das Anfechtungsrecht hilfreich oder hinderlich ist. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr ist zu differenzieren. Jede Betriebsfortführung eines zahlungsunfähigen Unternehmens setzt zwingend die Be- 10 schaffung liquider Mittel voraus. Das ergibt sich schon daraus, dass ein Unternehmen nur dann als saniert gelten darf, wenn es nicht mehr insolvent, insbesondere nicht mehr zahlungsunfähig ist. Nun scheint die Insolvenzanfechtung zunächst einmal zur Verbesserung der Liquiditätslage beizutragen. Insbesondere kann so häufig die Erfüllung der Masseverbindlichkeiten gewährleistet werden, die im Zuge der Sanierung anfallen. Letztlich darf aber dieser Liquiditätseffekt unter dem Rechtsbegriff der Zahlungsunfähigkeit nicht überbewertet werden, weil ja dem Liquiditätsgewinn durch die Rückzahlung des Anfechtungsgegners eine Erhöhung der Schuldenmasse gegenübersteht, die darauf beruht, dass die anfechtbare befriedigte Forderung des Anfechtungsgegners in Folge der Rückzahlung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt.8) Die Liquiditätsbilanz bleibt damit gleich. Ein tatsächlicher Liquiditätsgewinn ist mit der Insolvenzanfechtung erst dann verbunden, wenn sie mit erheblichen Forderungsverzichten einhergeht. Deutlich besser sieht es aus, wenn die Bestellung von Sicherheiten angefochten werden 11 kann.9) Denn dadurch wird zum einen freie Masse generiert. Der Insolvenzverwalter kann die infolge der Anfechtung unbelasteten Vermögensgegenstände anderweitig einsetzen, etwa zur Absicherung eines Kredites für die Betriebsfortführung.10) ___________ 5) BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248; BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – IX ZR 176/08, GWR 2011, 144. 6) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137. 7) Vgl. dazu: Bork in: FS Runkel, S. 241, 243 ff. 8) BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 22/12, ZIP 2013, 81. 9) BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, ZIP 2012, 137; OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, NJW 2003, 3638 = ZIP 2003, 2118. 10) Bork in: FS Runkel, S. 241, 243 ff.

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Teil III Einzelfragen

12 Eine nicht unbedeutende Rolle spielt für die Praxis der Betriebsfortführung, ob der Insolvenzverwalter auf bestehende Anfechtungs- und Haftungsansprüche verzichten kann, wenn er nur so einen Gläubiger dazu beibringen kann, einen notwendigen Sanierungsbeitrag zu leisten.11) III.

Dogmatische Grundlagen

1.

Entstehung und Erlöschen des Anfechtungsanspruchs

13 Der Anspruch auf Rückgewähr entsteht nach ständiger Rechtsprechung unmittelbar mit der Insolvenzeröffnung aufgrund eines gesetzlichen, auf Rückgewähr gerichteten Schuldverhältnisses12) und wird damit zugleich fällig.13) Einer besonderen Anfechtungserklärung oder -handlung bedarf es nicht.14) 14 Der BGH führt hierzu aus, dass der Anspruch auf Rückgewähr auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruht und voraussetzt, dass sich einer der Anfechtungstatbestände verwirklich hat; einer einseitigen Anfechtungserklärung bedarf es daher insoweit nicht. Er entsteht schon mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht erst mit Erhebung der Anfechtungsklage, denn auch derjenige erfüllt den Anspruch, der dem außergerichtlichen Verlangen des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr des anfechtbar Erlangten Folge leistet“.15) 2.

Inhalt des Anfechtungsanspruchs

15 Entsprechend dem Zweck der Insolvenzanfechtung ist nach ganz h. M.16) Inhalt des Anfechtungsanspruchs die Pflicht zur Rückgewähr dessen, „was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist.“ Dieser Anspruch geht grundsätzlich auf Rückgewähr in Natur (Primäranspruch). Nur dann, wenn der Gegenstand selbst nicht mehr vorhanden ist, schuldet der Anfechtungsgegner Wertersatz (Sekundäranspruch); dieser Anspruch besteht also nicht etwa wahlweise, obgleich sich der Insolvenzverwalter i. R. seines wirtschaftlichen Ermessens mit einem Wertersatz begnügen kann.17) 16 Ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht ist nicht möglich, wohl aber ein Vergleich des Insolvenzverwalters mit einem potenziellen Anfechtungsgegner über den Anfechtungsanspruch,18) wobei aber auch hier ein Haftungsrisiko des Insolvenzverwalters i. R. der Betriebsfortführung besteht. 17 Der Natur eines gesetzlichen Anspruchs folgend ist die Feststellung und Durchsetzung des Rückgewähranspruchs weder davon abhängig, dass die Gläubiger oder Gläubigergremien dies fordern, noch wird der Insolvenzverwalter durch eine anders gelagerte Beschlussfassung der Gläubiger gebunden. Beschließt mithin die Gläubigerversammlung oder der Gläubigerausschuss die „Nichtverfolgung“ von Anfechtungsansprüchen, so exkulpiert dies den Insolvenzverwalter nicht von einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme, da das Anfechtungsrecht als gesetzlicher Anspruch nicht disponibel ist und zugleich der Durchsetzung ___________ Gehrlein, WM 2011, 577. BGH, Urt. v. 13.12.2007 – IX ZR 116/06, ZIP 2008, 455. BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. Kirchhof in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 186. BGH, Urt. v. 9.7.1987 – IX ZR 167/86, ZIP 1987, 1132. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 15.12.1994 – IX ZR 153/93, ZIP 1995, 134; Rogge/Leptien in: Hamb-Komm-InsO, vor § 129 Rz. 1 ff. 17) BGH, Beschl. v. 24.5.2012 – IX ZR 142/11, NZI 2012, 713. 18) Ausführlich Kreft in: FS K. Schmidt, S. 965 ff.; Bork, ZIP 2006, 589.

11) 12) 13) 14) 15) 16)

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen

§ 30

der öffentlich- rechtlich konstruierten Ordnungsfunktion dient.19) Eine Ausnahme gilt nur, wenn einer entsprechenden Beschlussfassung konkrete Berechnungen zur Unwirtschaftlichkeit der Durchsetzung im Einzelfall zugrunde liegen. IV.

Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters

1.

Grundlagen

Aus der Qualität des Anfechtungsanspruchs als eines gesetzlichen Anspruchs zur Masse- 18 mehrung und zur Durchsetzung der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens folgt, dass dem Insolvenzverwalter i. R. von § 159 InsO als Treuhänder fremden Vermögens die Pflicht zur Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs obliegt.20) Ein Verzicht darauf ist weder rechtlich möglich noch zulässig, er wäre auch schlicht insolvenzzweckwidrig.21) Der Insolvenzverwalter ist daher schon aufgrund seiner Stellung und seines Amtes ver- 19 pflichtet, den gesetzlichen Anspruch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft durchzusetzen und der Masse anfechtbar erlangte oder entzogene Vermögenswerte wieder zuzuführen. Diese Pflicht lässt sich insoweit aus der gesetzlichen Regelung des § 159 InsO unmittelbar, aber auch des § 208 Abs. 3 InsO mittelbar – selbst für den Fall der Masseunzulänglichkeit, nicht jedoch Massearmut22) – entnehmen. Die Mittel dazu stellt das in den §§ 129 ff. InsO geregelte Anfechtungsrecht bereit. Aus 20 dieser gesetzlichen Aufgabenzuweisung folgt denknotwendig die Verpflichtung zur Ermittlung aller möglichen anfechtungs- oder haftungsrechtlich relevanten Ansprüche, die sich wiederum zwingend mit der Ermittlung des Zeitpunktes des Eintritts der materiellen Insolvenz verbinden und zwar schon im Eröffnungsverfahren.23) Bei einem eindeutigen Sachverhalt kann sich der Verwalter daher auch nicht damit entlasten, 21 dass die Anfechtung auf Grund der „Kann-Formulierung“ des § 129 Abs. 1 InsO gänzlich in sein Ermessen gestellt sei,24) sondern sein Ermessen umfasst nur die konkrete wirtschaftliche Abwägung zur Durchsetzung im jeweiligen Einzelfall. Da es sich um eine insolvenzspezifische Verpflichtung gegenüber den Insolvenzgläubigern 22 handelt, haftet der Insolvenzverwalter für deren Erfüllung nach § 60 InsO persönlich.25)

___________ 19) BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. 20) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 452; s. a. Beck/Depré- v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 33 Rz. 19 m. w. N. 21) Bork in: FS Runkel, S. 241, 243 ff. 22) Der BGH führt hierzu wie folgt aus: „Wie sich aus § 129 Abs. 1 InsO ergibt, nimmt der Insolvenzverwalter mit der Anfechtung von Rechtshandlungen nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO eine ihm mit seinem Amt übertragende Aufgabe wahr. Diese Aufgabe obliegt ihm sogar dann, wenn der aus einer Anfechtung zu erzielende Erlös wegen der vorweg zu befriedigende Verfahrenskosten (§ 54 InsO) nicht an die Insolvenzgläubiger verteilt werden kann (…). Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat Auswirkungen auf die Verteilung der vorhandenen Masse (§§ 208, 209 InsO), nicht jedoch auf den Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters. Der Verwalter bleibt vielmehr verpflichtet, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und zu verwerten (§ 208 Abs. 3 InsO). Dazu gehört es, Anfechtungsansprüche durchzusetzen. Anfechtungsansprüche sind Teil der Insolvenzmasse.“; BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 234/08, ZInsO 2012, 736; vgl. BGH, Beschl. v. 22.11.2012 – IX ZB 62/12, ZIP 2012, 2526: Die Massekostenarmut steht der Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten des Insolvenzverwalters dann nicht entgegen, wenn durch die Verfolgung einer Forderung des Schuldners die Massearmut abgewendet wird. 23) Kirstein, ZInsO 2006, 992. 24) Beck/Depre-v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 48 Rz. 20 m. w. N. 25) BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420; Huber NZI 2004, 497.

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§ 30 2.

Teil III Einzelfragen Zulässigkeit des Vergleichs

23 Diese möglichen Auswirkungen eines Vergleichs über Anfechtungsansprüche i. R. der Betriebsfortführung lassen es geboten erscheinen, Zulässigkeit und Grenzen eines solchen Vergleichs näher zu untersuchen, um insb. letztlich erfolglosen Angriffen gegen derartige Vergleiche vorzubeugen und die Verfahrensbeteiligten vor unnötigen Beeinträchtigungen zu bewahren. 3.

Der Anfechtungsanspruch als Vergleichsgegenstand

24 Dass der Insolvenzverwalter sich über Anfechtungsansprüche26) vergleichen kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt.27) Der Vergleich hat regelmäßig keine schuldumfassende Wirkung.28) 25 Es liegt nicht anders als bei sonstigen Ansprüchen der Masse, über die sich der Insolvenzverwalter unzweifelhaft vergleichen kann. Unwirksam ist ein solcher Vergleich – sofern es an Willensmängeln (§§ 116 ff. BGB), einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder einer Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) fehlt – nur unter den Voraussetzungen einer Insolvenzzweckwidrigkeit.29) Diese liegt vor, wenn der Widerspruch zum Insolvenzzweck (hier: der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger des insolventen Schuldners, § 1 Satz 1 InsO) unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist und sich dem Geschäftspartner aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen mussten, ihm also zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.30) 4.

Ermessensspielraum des Insolvenzverwalters

26 Es ist anerkannt, dass dem Insolvenzverwalter wegen der mit seinem Amt verbundenen vielfältigen und schwierigen Aufgaben bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zusteht.31) Dies wirkt sich auf seine Haftung aus: Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten (hier: Schuldner, Insolvenzund Massegläubigern) zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO hat er (den Beteiligten) für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen.32) V.

Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung

1.

Vorbemerkung

27 Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist allgemein sehr haftungsgeneigt. Regelmäßig lösen schwierige – wenn nicht gar völlig verfahrene und unübersichtliche – unternehmerische Situationen erst das Insolvenzverfahren aus. Andererseits ist der Verwalter gefordert, schnelle tatsächliche und prognostische Entscheidungen zu treffen, die sich optimal auf das weitere Verfahren und der Betriebsfortführung auswirken sollen. Ihm stehen dabei umfangreiche Kompetenzen zu, bei deren Wahrnehmung sich leicht Fehler einschleichen. Derartige ___________ 26) Genauer: anfechtungsrechtliche Rückgewähransprüche nach § 143 Abs. 1 InsO. 27) BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554; BAG, Urt. v. 28.11.2007 – 6 AZR 377/07, ZIP 2008, 846. 28) Palandt-Sprau, BGB, § 779 Rz. 11; BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554. 29) BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. 30) BGH, Urt. v. 25.10.2007 – IX ZR 217/06, ZIP 2007, 2273. 31) BGH, Urt. v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, ZIP 2003, 962. 32) BGH, Urt. v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZIP 2010, 2356.

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§ 30

Missgriffe können zu erheblichen Massebeeinträchtigungen führen, für die der Verwalter unter Umständen einstehen muss. 2.

Die Pflichtverletzung

2.1

Allgemeines

Nicht die Nichtbeachtung beliebiger Pflichten führt zu einer Haftung auf der Basis des 28 § 60 Abs. 1 InsO. Vielmehr muss der Verwalter eine insolvenzspezifische Obliegenheit verletzen, mithin eine Pflicht, die ihn unmittelbar nach den Bestimmungen der InsO trifft, und die besondere Risiken für die vom Handeln des Insolvenzverwalters betroffenen Personen birgt. Hierbei kann er die Masse insgesamt und damit die Gesamtheit von Schuldner und Gläubigern, aber auch einen einzelnen Beteiligten, demgegenüber die verletzte Pflicht bestand, schädigen; § 60 Abs. 1 InsO betrifft mithin sowohl Gesamt- wie auch Einzelschäden. Nicht insolvenzspezifisch sind die Pflichten, die einen Verwalter gegenüber Geschäfts- 29 partner treffen, etwa bei oder nach dem Abschluss von Verträgen. Bei Geschäften mit dem Verwalter sind die Vertragspartner über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert; dementsprechend müssen sie ihre Risiken selbst abschätzen und berücksichtigen, es sei denn, es greift die spezielle Regelung des § 61 InsO ein. Vergleichbares gilt für etwaige Verletzungen von (allgemeinen) Verkehrssicherungspflichten; auch hier besteht keine enge Verknüpfung zu Verwalterpflichten, die aus der InsO resultieren.33) 2.2

Pflicht zur Anfechtung34)

Der Verwalter muss auch stets prüfen, ob etwas durch anfechtbare und gläubigerbenach- 30 teiligende Handlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist.35) Mit den §§ 129 ff. InsO stehen ihm hierbei weitreichende Instrumente zur Verfügung. Anfechtungsansprüche sind Masseansprüche. Macht der Verwalter sie nicht geltend, haftet er in gleichem Maße wie bei der sorgfaltswidrigen Behandlung von Vermögensgegenständen oder fehlerhaftem Forderungseinzug. Er muss aus diesem Grund allen Hinweisen auf anfechtungsrelevante Handlungsweisen nachgehen. Indes gilt es vor der Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen zunächst, den zugrunde 31 liegenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln. An einer ausreichenden Dokumentation durch den Schuldner fehlt es regelmäßig,36) zumal die Ansprüche erst mit Insolvenzeröffnung entstehen.37) Der Schuldner selbst ist überdies eine unzureichende Informationsquelle für den Verwalter: Vielfach ist er an erfolgreichen Anfechtungen nicht interessiert, sodass der Verwalter andere Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen muss. Häufig werden Anfechtungen daher an unzureichenden Informationen scheitern.38) Die sorgfältige Sachverhaltsermittlung

___________ 33) Brandes in: MünchKomm-InsO, § 61 Rz. 76. 34) S. weiter Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 450 ff. 35) S. etwa BGH, Urt. v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, ZIP 2004, 1218, m. Anm. Huber, NZI 2004, 496, dazu EWiR 2004, 817 (Gundlach/Schmidt); hierzu weiter Nasall, jurisPR-BGHZivilR 30/2004, Anm. 2; Lüke, ZIP 2004, 1693; Wagner, WuB VI B § 82 KO 2.04; Uhlenbruck, BGHReport 2004, 1197; Meyer-Löwy/ Poertzgen/Sauer, ZInsO 2005, 691, 694. 36) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 451. 37) BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488. 38) Huber, NZI 2004, 497 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Titanic-These“: Die Zahl der anfechtbaren Rechtshandlungen im Vergleich zu Anfechtungsprozessen verhält sich wie die Spitze eines Eisbergs zu dessen Masse unter Wasser.

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§ 30

Teil III Einzelfragen

ist aber Grundpflicht des Verwalters, wie sie auch zu den grundlegenden Aufgaben jedes Rechtsbeistandes bei Begründung eines Mandats gehört.39) 32 Dennoch: Bei einem eindeutigen Sachverhalt muss der Insolvenzverwalter seine Anfechtungsmöglichkeiten nutzen; es besteht eine diesbezügliche Durchsetzungspflicht. Denn sie ist Ausprägung der Gläubigergleichbehandlung,40) die auf die Zeit vor Antragstellung vorverlagert wird. 33 Der Verwalter darf daher auf eine Anfechtung nur verzichten, wenn entweder ihr Erfolg, etwa wegen eines unklaren und nicht weitere aufklärbaren Sachverhalts, mit erheblichen Zweifeln behaftet ist,41) oder aber sie durch andere Vorteile für die Gläubigergesamtheit aufgewogen wird, z. B. x

durch ersparte Prozesskosten bei einem nicht leistungsfähigen Anfechtungsgegner oder

x

durch die Aufrechterhaltung einer Geschäftsverbindung, die für eine beabsichtigte Betriebsfortführung unverzichtbar ist;42)

x

abzuwägen hat er insbesondere, ob die Risiken, einen Titel zu erlangen und aus ihm mit Erfolg Vollstreckungsmaßnahmen zu betreiben, angesichts des finanziellen Aufwands im Einzelfall nicht zu groß sind.43)

2.3

Auswahl bei mehreren Haftungsschuldnern

34 Im Einzelfall können sich aufgrund desselben Sachverhalts Anfechtungsansprüche gegenüber mehreren Erstattungsschuldner ergeben, etwa durch die Zahlung an einen Gläubiger, durch die der Schuldner gleichzeitig einen Dritten von seiner Mithaftung befreit,44) oder durch die Anweisung des Schuldners an einen Gläubiger, unmittelbare Zahlung an einen weiteren Gläubiger zu leisten.45) In den genannten Fällen gibt es in der Regel mehrere Erstattungsschuldner, denen gegenüber die Anfechtung erklärt werden kann. 35 Gleiches gilt, wenn unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu möglichen Erstattungsansprüchen führen können, etwa dann, wenn ein Geschäftsführer wegen einer masseschmälernden Zahlung an einen Gläubiger nach § 64 Satz 1 GmbHG haftet, gegenüber dem Gläubiger aber wegen der erlangten Befriedigung eine Anfechtung möglich ist.46) 36 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dem Insolvenzverwalter ein Auswahlermessen zusteht, oder ob er auf die Belange eines Erstattungsschuldners Rücksicht nehmen muss. Im Einzelnen: x

Sofern die Haftung mehrerer potenzieller Erstattungsschuldner allein auf dem Anfechtungsrecht beruht, spielen deren Belange im Einzelfall keine Rolle.47) Die Anfechtungshaftung ist stets gesamtschuldnerisch.48) Unter den Betroffenen kann derjenige, der

___________ 39) St. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04, NJW 2006, 501 m. Anm. Henssler/Michel, WuB IV A § 675 BGB 2.06, sowie m. Anm. Weyand, INF 2005, 931. 40) Kind in: FK-InsO, § 60 Rz. 10 m. w. N. 41) Beck/Depré-v. Bismarck, Praxis der Insolvenz, § 33 Rz. 19 m. w. N. 42) Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 452. 43) Bork, ZIP 2005, 1120. 44) BGH, Urt. v. 20.7.2006 – IX ZR 44/05, ZIP 2006, 1591; hierzu Piepenbrock, NZI 2007, 384. 45) BGH, Urt. v. 25.4.2013 – IX ZR 235/12, ZIP 2013, 1127; BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190; BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZIP 2012, 1038; BGH, Urt. v. 24.1.2013 – IX ZR 11/12, ZIP 2013, 371. 46) BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420. 47) So zu Recht BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420; a. A. nur Pape/Graeber-Spliedt, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rz. 457 ff. 48) BGH, Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen

§ 30

vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wird, nach Maßgabe des § 426 BGB Ausgleich verlangen, unabhängig davon, ob der Anfechtungsanspruch gegen einen der Betroffenen zwischenzeitlich verjährt ist.49) Damit kann der Insolvenzverwalter hier nach Belieben vorgehen. x

Bei verschiedenen Anspruchsgrundlagen verhält es sich nicht anders. So verjähren etwa Ansprüche gegen den Geschäftsführer wegen masseschmälernder Auszahlungen nach fünf Jahren, §§ 64, 43 Abs. 4 GmbHG, während die Anfechtungsmöglichkeit gemäß §§ 129 ff. InsO gegenüber einem erstattungspflichtigen Empfänger schon nach der regelmäßigen dreijährigen Verjährung des BGB nicht mehr besteht. Macht der Insolvenzverwalter bei derartigen Konstellationen Ansprüche gegen den Geschäftsführer geltend, darf dieser diesem Ansinnen nicht entgegenhalten, dass der Verwalter die Masseschmälerung beim Anfechtungsgegner hätte ausgleichen können.50)

VI.

Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters

1.

Unterlassene Vermögensmehrung

Angesichts der vorgenannten engen insolvenzrechtlichen Pflichtenbildung drängt sich not- 37 wendig die ergänzende Frage auf, ob sich der Insolvenzverwalter i. R. der Betriebsfortführung für den Fall der Nichtermittlung und Nichtdurchsetzung wegen seiner besonderen Amtsstellung als Treuhänder fremden Vermögens ggf. auch wegen Untreue nach § 266 StGB strafbar machen kann – wodurch die Ermittlungs- und Durchsetzungspflicht noch einmal in besonderer Weise qualifiziert werden würde. Bei der Untreue handelt es sich um ein Vermögensdelikt, einen Tatbestand, der das Ver- 38 mögen „als Ganzes“ schützen soll. Untreue schützt weder das Vertrauen in die Pflichttreue des Täters noch die Redlichkeit des Rechtsverkehrs. Schutzgut ist auch nicht die Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers. Welcher Art die Vermögensbetreuungspflicht sein muss, lässt der Wortlaut des § 266 StGB nicht erkennen. Aus dem Wortlaut ergibt sich jedoch, dass die Pflicht sich aus „Gesetz, behördlichem Auftrag oder Rechtsgeschäft“ ergeben muss. Für den Bereich der Insolvenzverwaltung ist insoweit auch anerkannt, dass der Insolvenz- 39 verwalter aufgrund seiner Amtsstellung tauglicher Täter des Sonderdeliktes des § 266 StGB sein kann.51) Der Tatbestand hat zwei Alternativen:

40

x

den Missbrauch der Verfügungsbefugnis über fremdes Vermögen und

x

den Treuebruch.

Beide Varianten setzen die Verletzung einer besonderen Vermögensbetreuungspflicht voraus. Nach einer im strafrechtlichen Schrifttum52) einheitlich verfolgten Auffassung, die auch 41 durch die Rechtsprechung bestätigt worden ist, trifft den Insolvenzverwalter eine Vermögensfürsorgepflicht i. S. des Treubruchstraftatbestandes (§ 266 Abs. 2 Alt. 2 StGB). Die Pflicht bezieht sich auf das dem Insolvenzverwalter anvertraute Vermögen des insolventen Schuldners.53) Er ist demnach gegenüber dem Insolvenzschuldner als auch gegenüber den ___________ 49) 50) 51) 52) 53)

BGH, Urt. v. 30.10.1980 – III ZR 132/79, NJW 1981, 681. BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420. Vgl. zum Ganzen Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rz. 9 ff. m. w. N. Vgl. für alle Tröndle/Fischer, StGB, § 266 Rz. 9 ff. Bittmann-Joecks, Insolvenzstrafrecht, § 23 Rz. 14.

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§ 30

Teil III Einzelfragen

Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO), Massegläubigern (§ 58 InsO) und absonderungsberechtigten Gläubigern (§§ 49 ff. InsO) vermögensbetreuungspflichtig i. S. des § 266 StGB.54) 2.

Pflichtverletzung

42 Der Insolvenzverwalter müsste eine spezifische Treuepflicht durch die Nichtermittlung oder Nichtverfolgung verletzen. Hierfür kommt jedes Verhalten in Betracht, das innerhalb des durch das Treueverhältnis begründeten Pflichtenkreises liegt,55) hier also die durch gerichtlichen Auftrag erteilte Befugnis zur Verfügung über fremdes Vermögen. 43 Da die Tatbestände als Tathandlung nur eine Pflichtverletzung voraussetzen, können sie gleichermaßen durch Tun oder Unterlassen erfüllt werden, an die Stelle der allgemeinen Voraussetzungen eines unechten Unterlassungsdelikts (z. B. Garantenpflicht, Entsprechungsklausel) tritt die Treupflicht.56) Beispiel: Mögliche Pflichtverstöße durch Unterlassen stellen z. B. masseverkürzende Maßnahmen wie das Verjährenlassen eines der Masse zustehenden Anspruchs dar.57) Der Anfechtungsanspruch selbst stellt einen der Masse zustehenden Anspruch dar (siehe oben Rz. 10 ff., 18), sodass bei Untätigkeit zur Realisierung dieses Vermögensanspruchs die Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne auf der Hand liegt. Wird dieser entweder gar nicht ermittelt oder, trotz vorliegender Ermittlungsergebnisse und der Erwartung, dass ein Prozess erfolgreich geführt wird, nicht geltend gemacht, stellt dies ein Verjährenlassen eines der Masse zustehenden Anspruchs dar und erfüllt daher auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 266 StGB. 44 So hat der BGH bereits 198258) zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt, der eine Forderung verjähren lässt, sich der Untreue schuldig gemacht hat, wie folgt ausgeführt: „Der BGH hat mehrfach eine Treuepflicht i. S. d. § 266 StGB angenommen, wenn die Amtsstellung oder rechtsgeschäftliche Vereinbarung den Täter zur Einziehung oder Durchsetzung von Forderungen verpflichteten.“

45 Ein unterbliebener Vermögenszuwachs fällt jedoch nur dann in den Schutzbereich der Strafbestimmung, wenn eine gesicherte Aussicht auf den Vermögenszuwachs bestanden hat,59) was aber notwendig voraussetzt, dass zumindest die Ermittlungspflicht erfüllt wurde. Wird mithin ein gesetzlich der Masse zustehender Anspruch weder ermittelt noch durchgesetzt, dann liegt die Tatbestandsverwirklichung bereits im Unterlassen der Ermittlung selbst. Dass im Übrigen eine statistisch gesicherte Aussicht auf Durchsetzung anfechtungsrechtlicher Ansprüche überhaupt besteht, ergibt sich schon aus den öffentlich verfügbaren Erkenntnissen über Höhe und Werthaltigkeit dieser Ansprüche bei Kapitalgesellschaften, wie sie i. R. einer Langzeiterhebung erfasst worden sind.60) 3.

Vermögensschaden

46 Die Tathandlung (Pflichtverletzung durch Unterlassen) muss einen Nachteil für das Vermögen des Betreuten verursachen. Zwischen Pflichtverstoß und Schaden muss mithin ein ___________ 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60)

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Schramm, NStZ 2000, 398. Kühl, StGB, § 266 Rz. 15. Kühl, StGB, § 266 Rz. 2. Bittmann-Joecks, Insolvenzstrafrecht, § 23 Rz. 17; Schramm, NStZ 2000, 398, 399. BGH, Urt. v. 11.11.1982 – 4 StR 406/82, NJW 1983, 461. Diversy/Weyand, ZInsO 2009, 802. Vgl. dazu H.-J. Kirstein, ZInsO 2006, 966.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen

§ 30

Unmittelbarkeitszusammenhang bestehen.61) Hier ist anzumerken, dass der Insolvenzverwalter das Anfechtungsrecht für die Insolvenzmasse ausübt. Die Rückgewähr des durch die anfechtbare Handlung Erlangten hat regelmäßig an die Insolvenzmasse zu erfolgen, so dass die anfechtbaren Gegenstände mit der „Rückholung“ durch den Verwalter wieder Massebestandteile, also Eigentum des Insolvenzschuldners werden, mit der haftungsrechtlichen Bestimmung, der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zu dienen.62) Die Nichtgeltendmachung und das Verjährenlassen eines insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruchs schädigt die Insolvenzmasse, somit den Schuldner und damit auch die gleichmäßige, bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Ein Vermögensschaden liegt demnach in den unterschiedlichen Formen der Nichtermittlung oder Nichtgeltendmachung stets vor. VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag Oftmals wird der Insolvenzverwalter i. R. der Betriebsfortführung auf Druck von Lieferanten 47 zur existenziellen Fortführung des schuldnerischen Unternehmens gehalten bzw. gezwungen sein, auf die Anfechtung zu verzichten. Der Insolvenzverwalter benötigt für die einstweilige Fortführung des schuldnerischen Be- 48 triebes dringend Lieferungen und Leistungen bestimmter Vertragspartner. Diese standen schon vorher in geschäftlichen Beziehungen mit dem Schuldner und haben gegen ihn noch ungesicherte Forderungen, deren Realisierung nunmehr im höchsten Maße gefährdet ist. Sie versuchen deshalb häufig, die vom Insolvenzverwalter benötigte Fortsetzung der Geschäftsbeziehung von der Erfüllung dieser Altverbindlichkeiten abhängig zu machen, indem sie sich zu der für die Betriebsfortführung erforderlichen Leistung nur unter der Bedingung bereit erklären, dass neben der Neuverbindlichkeit auch die noch offenen Altrechnungen bezahlt werden. Stimmt der Insolvenzverwalter einer solchen Zahlung zu, so stellt sich anschließend die Frage nach der Zulässigkeit und einer möglichen späteren Anfechtung. 1.

Anforderungen an Treu und Glauben und den Ausschluss der Anfechtung

Die Rechtsprechung zu der streitigen Frage, ob eine Insolvenzanfechtung in Betracht 49 kommt, wenn Rechtshandlungen des Schuldners mit Zustimmung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters vorgenommen werden und dadurch ein grundsätzlicher Vertrauenstatbestand geschaffen wird, ist i. R. der Betriebsfortführung von erheblicher praktischer Bedeutung.63) Es geht um die Frage, ob der Insolvenzverwalter, der mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet ist, Verträgen des Schuldners über die Erfüllung von Altverbindlichkeiten vorbehaltlos zustimmen kann, die im Zusammenhang mit neu zu erbringenden Leistungen der Vertragspartner stehen, und ob dadurch grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand begründet wird, den der Verwalter bei Vornahme der Erfüllungshandlung durch die Schuldnerin nicht mehr zerstören kann. Gerade bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens sollte der Insolvenzverwalter die Rechtslage kennen, angemessen anwenden, um auch Haftungsansprüche zu vermeiden. Grundsätzlich hatte der BGH dazu entschieden, dass der Insolvenzverwalter nach Eröff- 50 nung des Insolvenzverfahrens die Erfüllungshandlung nach den Regeln der Deckungsanfechtung anfechten kann, sofern nicht ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, der nicht mehr zerstört werden kann.

___________ 61) Kühl, StGB, § 266 Rz. 16. 62) Kirchhof in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 195. 63) Vgl. dazu BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, ZIP 2003, 810.

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§ 30

Teil III Einzelfragen

51 An dieser Rechtsprechung hat der BGH64) festgehalten und nochmals bestätigt, dass der mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattete (vorläufige) Insolvenzverwalter für den Gläubiger grundsätzlich einen anfechtungsfesten Vertrauenstatbestand schafft, wenn er der Erfüllung einer Altverbindlichkeit zustimmt, die auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, welche den Gläubiger zugleich verpflichtet neue Leistungen an das Schuldnerunternehmen zu bringen. 52 Der Insolvenzverwalter ist grundsätzlich berechtigt, die Erfüllung von Altverbindlichkeiten nach den Regeln der Deckungsanfechtung auch dann anzufechten, wenn er einer Rechtshandlung des Schuldners zugestimmt hat, durch die gesetzliche Ansprüche oder Altverbindlichkeiten erfüllt werden, ohne dass dies mit einer künftig zu erbringenden eigenen Leistung des Schuldners im Zusammenhang steht.65) 53 Dies wird insbesondere damit begründet, dass § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis keine entsprechende Anwendung findet. Dieser hat – ebenso wie der Sequester nach altem Recht – keine den Befugnissen des endgültigen Insolvenzverwalters derart angenäherte Rechtstellung, dass eine Anfechtung der Rechtshandlungen des Schuldners, denen er zugestimmt hat, von vornherein ausscheidet. 54 Die Anfechtung ist vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu dürfen. Dies trifft grundsätzlich auch für Rechtshandlungen zu, welche die Tilgung von Altverbindlichkeiten zum Gegenstand haben. An dieser Rechtsauffassung hat der BGH festgehalten. 55 Einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet der vorläufige Verwalter in der Regel dann, wenn er Verträgen vorbehaltslos zustimmt, die der Schuldner mit dem Gläubiger nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen geschlossen und in denen er, im Zusammenhang mit an das Schuldnerunternehmen zu erbringenden Leistungen des Gläubigers, Erfüllungszusagen für Altverbindlichkeiten gegeben hat. Wegen der Einbindung des vorläufigen Verwalters in den Vertragsschluss darf der Gläubiger davon ausgehen, die als Erfüllung geleisteten Zahlungen endgültig behalten zu dürfen. Sie können ihm daher auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr im Wege der Anfechtung entzogen werden. 56 Der Insolvenzverwalter, der die Erfüllung von Altverbindlichkeiten anficht, die mit neuen Leistungen des Gläubigers an den Schuldner vertraglich verknüpft worden sind, handelt allerdings nicht treuwidrig, sofern der Gläubiger die Zustimmung des vorläufigen Verwalters nur aufgrund seiner wirtschaftlichen Marktstellung gegen dessen zunächst erklärten Widerstand durchsetzen konnte. 2.

Zulässigkeit eines Verzichts

57 Fraglich ist, ob ein „Verzicht“ insolvenzrechtlich wirksam wäre. Es entspricht heute gesicherter Rechtserkenntnis, dass für anfechtbare Rechtshandlungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch besteht, den allein der Insolvenzverwalter geltend machen kann.66) Der Insolvenzverwalter handelt dabei weisungsfrei kraft seines Amtes im eigenen Namen. Der Insolvenzanfechtungsanspruch ___________ 64) BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. 65) BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431; BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 161/11, ZIP 2013, 528. 66) BGH, Urt. v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 223.

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Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen

§ 30

entsteht daher nicht in der Person des Insolvenzverwalters, sondern es handelt sich um ein der Insolvenzmasse zugewiesenen Anspruch des Schuldners, über den der Insolvenzverwalter gemäß § 80 InsO verfügungsbefugt ist,67) der nach neuerer Rechtsprechung abtretbar ist.68) Dieser Anspruch entsteht – wie die h. M. zutreffend annimmt – mit Verfahrenseröffnung69) 58 und nicht schon mit Vollendung des Anfechtungstatbestandes. Daher ist Verpflichtungsobjekt allein der schuldrechtliche Rückgewährsanspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO. Darüber kann nach Verfahrenseröffnung nur durch einen Erlassvertrag i. S. des § 397 Abs. 1 BGB verfügt werden. Erklärt also der Insolvenzverwalter, auf das Anfechtungsrecht zu „verzichten“, so ist dieser 59 Verzicht kein einseitiges Rechtsgeschäft, sondern eine Willenserklärung, die auf den Abschluss eines Erlassvertrages70) gerichtet ist, der der korrespondierenden Erklärung des Vertragspartners, also des Gläubigers des potenziellen Anfechtungsgegners, bedarf. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Zivilrecht einen einseitigen Verzicht als Erlöschungstatbestand nicht kennt, sondern – wie bei § 516 BGB – einen Vertragsschluss unter Mitwirkung des begünstigten Dritten verlangt.71) Das schließt zwar nicht aus, einen Verzicht als erlassvertragliche Erklärung zu verstehen, jedenfalls ist es erforderlich, dass zwischen den Beteiligten ein Vertrag geschlossen wird, der sich in der Sache als Erlassvertrag über die insolvenzrechtlichen Rückgewährsansprüche einordnen lässt. Ein solcher bedarf keiner Forderung und kann daher stillschweigend geschlossen werden. Schließt der Insolvenzverwalter einen Erlassvertrag, so verfügt er somit über den Rückge- 60 währsanspruch aus § 143 InsO, der dadurch erlischt mit der Folge, dass der Gläubiger die Leistung des Schuldners behalten darf. Die Verfügungsbefugnis ergibt sich unmittelbar aus § 80 InsO. Diese Vorschrift deckt auch Verfügungen über anfechtungsrechtliche Ansprüche. Es ist daher unbestritten, dass der Insolvenzverwalter entsprechende Erlassverträge schließen kann.72) VIII. Zusammenfassung Vielfach dient die Anfechtung der Generierung freier Masse, die für eine Betriebsfortfüh- 61 rung dringend benötigt wird. Insofern ist sie Sanierungsmittel. Ein wirkliches Fortführungshindernis ist sie – bei der gebotenen sanierungsfreundlichen Auslegung des Anfechtungsrechts – eigentlich erst dann, wenn ein Gläubiger einen dringend benötigten Fortführungsbeitrag im eröffneten Verfahren von dem Verzicht auf Anfechtungsrechte abhängig macht.73) Dann kann eine Betriebsfortführung scheitern. Dies ist jedoch hinzunehmen, da eine Garantie für die Befriedigung offener Insolvenzforderungen nicht versprochen werden kann. Die zivilrechtlichen als auch strafrechtlichen Risiken der, zunächst aus taktischen Erwä- 62 gungen, nicht geltend gemachten Anfechtung und mögliche Haftungsansprüche sind sorgfältig i. R. der Betriebsfortführung zu prüfen und abzuwägen. ___________ 67) Kirchhof in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 87, 191. 68) BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, ZIP 2013, 531; BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114. 69) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204. 70) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204. 71) Bork, ZIP 2006, 589. 72) BGH, Urt. v. 18.5.1995 – IX ZR 189/94, ZIP 1995, 1204. 73) Schmittmann/Dannemann, ZIP 2013, 760.

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§ 31 Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich Übersicht I. Einleitung .................................................... 1 II. Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer.............. 5 1. Allgemeines .................................................. 5 2. Besonderheiten im Insolvenzverfahren .... 10 III. Einzelne Maßnahmen............................... 16 1. Sofortmaßnahmen...................................... 17 1.1 Kommunikation .............................. 18 1.2 Vormaterialbelieferung ................... 21 1.3 Umstellung der Zahlungsbedingungen, Vorauszahlungen .............. 23 1.4 Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses...................... 28 2. Fortführungsvereinbarung ........................ 32 2.1 Allgemeines – Betriebsfortführung und Nichterfüllungswahl....... 35 2.1.1 Insolvenzantragsverfahren ............. 35 2.1.2 Eröffnetes Verfahren ...................... 37 2.1.3 Fortführungsvereinbarung als Alternative....................................... 44 2.2 Form ................................................ 45

I.

2.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2

Zeitpunkt des Abschlusses............. 48 Zustimmungsvorbehalt................... 49 Einzelne Regelungen ...................... 50 Neue Lieferverpflichtung ............... 51 Abnahme- und Zahlungsverpflichtung ................................... 53 2.5.3 Preise ............................................... 55 2.5.4 Verlustausgleich .............................. 58 2.5.5 Vorschusszahlungen auf Lieferungen und Leistungen .......... 63 2.5.6 Gewährleistung und Leistungsstörung ............................ 64 2.5.7 Versicherung und Haftungsbegrenzung ...................................... 66 2.5.8 Vertragsdauer und Kündigung ....... 68 2.5.9 Ausproduktion................................ 71 2.5.10 Restrukturierungsmaßnahmen ...... 73 2.5.11 M&A-Prozess.................................. 76 2.5.12 Endabrechnung ............................... 79 3. M&A-Prozess – sog. Tradeagreement...... 81 IV. Fazit ............................................................ 86

Einleitung

Die deutsche Automobilindustrie ist mit über 700 000 Beschäftigten in Deutschland und 1 einem Jahresumsatz von über 350 Mrd. €1) der größte deutsche Industriezweig. Auf die Zulieferindustrie entfällt dabei etwa die Hälfte der Mitarbeiter. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige der größten und bekanntesten Insolvenz- 2 verfahren der vergangenen Jahre Unternehmen der Zulieferbranche aus dem Automotivebereich betreffen. Es handelt sich um meist umsatzstarke Unternehmen mit einer großen Anzahl von Arbeitnehmern und oft bekannten, klangvollen Namen. Nachfolgend einige Beispiele: Unternehmen/Gruppe

Jahr

Umsatz (in Euro)

Mitarbeiter

Land

Edscha

2009

1 080 Mio.

6 500

Wagon Automotive Plc.

2008

948 Mio.

6 100

UK

Stankiewicz GmbH

2008

272 Mio.

2 179

D/NL

Neumayer Tekfor

2012

500 Mio.

3 300

D

D

Meteor Gummiwerke

2012

221 Mio.

2 300

D

DGH Group Heidenau

2012

120 Mio.

1 000

D

Quelle: Oliver Wyman, abrufbar unter www.oliverwyman.com

Insolvenzen von Zulieferbetrieben von Automobilherstellern stellen bei der Betriebsfort- 3 führung eine besondere Herausforderung an den bestellten Insolvenzverwalter dar. Sie ___________ 1) Quelle: Verband der Automobilindustrie, Zahlen 2011.

Bauch

939

§ 31

Teil III Einzelfragen

bedürfen besonderer Kenntnisse des Marktes und der Funktionsweise der sensiblen Lieferketten im Automotivebereich. Ein rasches und entschlossenes Handeln insbesondere in der Anfangsphase ist erforderlich, um die Produktion der Automobilhersteller (= Kunden) nicht zu gefährden. Neben der besonderen Beachtung in der Öffentlichkeit, können gerade Produktionsunterbrechungen beim Hersteller schnell erhebliche Schäden, die leicht im 2-stelligen Millionenbereich liegen können, nach sich ziehen. 4 Ausdrücklich nicht Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sind Insolvenzen und Betriebsfortführungen von insolventen Händlerbetrieben. Auch wenn es sich dabei durchaus um komplexe Verfahren handeln kann, so sind diese doch in der Regel mit den bekannten Instrumentarien einer Händlerinsolvenz aus anderen Branchen vergleichbar. II.

Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer

1.

Allgemeines

5 Das Verhältnis der Automobilhersteller zu den Zuliefereren ist geprägt durch starke und durch die technische Komplexität weiter zunehmende Abhängigkeiten. Es bestehen komplexe Lieferketten zwischen x

den OEMs (= Original Equipment Manufacturer = Erstausrüster;2) im Automotivebereich ist dies der Fahrzeughersteller) und

x

ihren Erstlieferanten (sog. TIER 1)3),

x

ihren Unter-Lieferanten (sog. TIER 2) und

x

Unter-Unter-Lieferanten (sog. TIER 3).

6 Häufig vorkommende Lieferprozesse sind just-in-time Lieferung (sog. JIT)4) und just-insequence Lieferung (sog. JIS)5). 7 Die teilweise extrem hohen technischen Anforderungen verstärken zudem die gegenseitigen Abhängigkeiten: Lieferanten unterliegen einer strengen Auswahl, vorgegeben durch sicherheitstechnische Freigabeprozesse, bevor sie überhaupt Lieferanten eines OEM werden können. Ein OEM kann daher nicht ohne weiteres und insbesondere nicht kurzfristig im Falle einer Insolvenz einen Lieferanten durch einen anderen ersetzen. Ebenso wenig kann sich ein Lieferant kurzfristig einen anderen Kunden (OEM) für die gleichen Produkte suchen, da diese in der Regel speziell jeweils für einen OEM entwickelt und nur für diesen einsetzbar sind. Die Entwicklungsdauern und -zyklen im Automotivebereich betragen mehrere Jahre und sind so speziell, dass ein kurzfristiger und einfacher Austausch – in beiden Richtungen – fast nicht möglich ist. 8 Fällt ein Glied in der Kette aus – bspw. durch unvorhersehbare Naturereignisse wie das Erdbeben von Fukushima – wird die gesamte Lieferkette empfindlich gestört oder gar ganz unterbrochen. Das Erdbeben an der Ostküste Japans im März 2011 hatte zum Beispiel noch weit über ein Jahr Auswirkungen insbesondere auf die asiatische, aber auch auf die ___________ 2) Kirchgeorg in: Gabler Wirtschaftslexikon, abrufbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/ original-equipment-manufacturer-oem.html (Abrufdatum: 26.4.2013). 3) Tier = engl. Rang; wird in Kombination mit einer Ziffer (Tier-1, Tier-2 bzw. Tier I, Tier II usw.) genutzt, um eine Menge in Vorrangige und Nachrangige zu teilen (wobei Tier-1 den Höchstpriorisierten beschreibt). 4) JIT = bedarfssynchrone Produktion; bezeichnet ein Organisationsprinzip, bei dem nur das Material in der Stückzahl und zu dem Zeitpunkt produziert und geliefert wird, wie es auch tatsächlich zur Erfüllung der Kundenaufträge benötigt wird. 5) JIS = reihenfolgesynchrone Produktion; bezeichnet ein Konzept bei dem der Zulieferer dafür sorgt, dass die benötigten Module rechtzeitig in der notwendigen Menge und Reihenfolge der benötigten Module angeliefert werden.

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Bauch

Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 deutsche Automobilproduktion, obwohl nur wenige Direktlieferanten (TIER 1) deutscher OEM in Japan betroffen waren. Solche Störungen der Lieferkette mit Auswirkungen auf den OEM können daher auch In- 9 solvenzverfahren auslösen und zwar auch solche nachrangiger Zulieferer auf Stufe TIER 2, TIER 3 oder auch darunter. Dies gilt nicht nur für Insolenzen von Zulieferbetrieben, sondern auch für solche von Logistikdienstleistern. 2.

Besonderheiten im Insolvenzverfahren

In einem Insolvenzverfahren eines Zulieferers in der Automotivebranche bestehen daher 10 einige Besonderheiten für den Insolvenzverwalter, die aus der Besonderheit des Marktes und der Lieferbeziehung resultieren. So haben viele Zulieferbetriebe oftmals nicht nur einen OEM als Kunden, sondern be- 11 liefern mehrere oder gar alle der namhaften OEM-Konzerne. Auch dies kann in der Insolvenz zu besonderen Herausforderungen führen, sind die Interessen unter den OEM in der Insolvenz ihres Zulieferers nicht immer gleichgelagert. Bei möglichen Kapazitätsengpässen besteht für jeden OEM der Druck, in erster Linie die eigene Versorgungslage bestmöglich zu sichern. Es können aber auch unterschiedliche Grade der Abhängigkeit verschiedener OEM vom gleichen Lieferanten bestehen: ist für einen OEM der Lieferant ein maßgeblicher TIER 1, kann ein anderer OEM bereits die Ausproduktion oder einen Lieferantenwechsel vorbereitet haben. Ist für den einen OEM dann die Fortführung des Geschäftsbetriebes also maßgeblich, kann ein anderer Kunde des gleichen Zulieferers nur ein untergeordnetes weiteres Interesse an einer Betriebsfortführung haben. Fällt dieser OEM in der Insolvenz dann als Kunde aus, fehlen natürlich dessen Deckungsbeiträge und müssen ggf. von den verbleibenden Kunden i. R. einer Fortführungsvereinbarung übernommen werden (siehe hierzu Rz. 32 ff.). Hinzu kommen teilweise gegenläufige Interessen auch der übrigen beteiligten Stake- 12 holder im Verfahren, die es zu managen gilt: die OEM als Kunden sind in der Regel auf eine sofortige Weiterführung des Geschäftsbetriebes des insolventen Zulieferers angewiesen, für finanzierende Banken muss eine Betriebsfortführung nicht immer zur bestmöglichen Befriedigung führen, die Arbeitnehmer sind häufig gewerkschaftlich organisiert und die Gesellschafter sind häufig Beteiligungsgesellschaften und nicht mehr Inhaber oder familiengeführt. Damit unterliegt auch der M&A-Prozess einigen Besonderheiten, die sich sowohl aus den starken Abhängigkeitsverhältnissen als auch aus den dargestellten unterschiedlichen Interessen ergeben. Auch internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten sind im Bereich entsprechend 13 aufgestellter internationaler Zulieferkonzerne, die eine Produktionsstätte im – bspw. osteuropäischen – Ausland haben, häufiger anzutreffen als bei vergleichbaren Insolvenzverfahren aus anderen Branchen. Ein Insolvenzverwalter kann sich daher auch mit primär und sekundär Insolvenzverfahren und den Regelungen der EuInsVO konfrontiert sehen. Die Anforderungen an den Insolvenzverwalter i. R. einer Betriebsfortführung eines Zulie- 14 ferers sind daher sehr hoch. Er sieht sich nicht nur vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt, sondern auch einer hohen Erwartungshaltung der Kunden und übrigen Stakeholder, verbunden mit einem immensen wirtschaftlichen und zeitlichen Druck und dies in einem internationalen Umfeld. Das wichtigste für die Kunden ist deren Versorgungssicherheit. Die Erwartung ist, dass 15 deren Bänder nicht stillstehen und keine Produktionsausfälle entstehen. Dies alles erfordert von dem Insolvenzverwalter, der in einem Insolvenzverfahren eines Zulieferers der Auto-

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§ 31

Teil III Einzelfragen

motivbranche bestellt wird, Erfahrung und ein schnelles, professionelles und entschlossenes Handeln. III.

Einzelne Maßnahmen

16 Im nachfolgenden sollen beispielhaft – und nicht abschließend – einzelne Maßnahmen, die während der Betriebsfortführung eines insolventen Zulieferers anfallen können, erörtert werden. Natürlich handelt es sich dabei überwiegend um Maßnahmen und Grundsätze, die Insolvenzverwalter auch bei der Betriebsfortführung insolventer Unternehmen aus anderen Branchen beherrschen müssen. Allerdings bestehen branchenbedingt und aus den oben genannten Gründen einige Besonderheiten. 1.

Sofortmaßnahmen

17 Die aus Kundensicht entscheidende Phase eines Insolvenzverfahrens ist die Phase des Eröffnungsverfahrens und dort bereits der Zeitpunkt unmittelbar nach Insolvenzantragstellung bzw. Bestellung zum vorläufigen Verwalter. Bereits hier kann sich der Erfolg bzw. das Scheitern eines Verwalters jedenfalls aus Kunden-/OEM-Sicht ergeben. 1.1

Kommunikation

18 Die Kommunikation gehört grundsätzlich zu den wichtigsten Maßnahmen einer erfolgreichen Betriebsfortführung. Dies gilt in besonderem Maße bei der Insolenz eines Zulieferers und dort insbesondere gegenüber den Kunden. Aufgrund der oben beschriebenen Abhängigkeiten innerhalb der Lieferkette herrscht mit Antragstellung – auch wenn sich eine solche vorab schon abgezeichnet hat oder gar zuvor angekündigt wurde – eine große Nervosität auf der Kundenseite. Die Lieferkette darf nicht unterbrochen werden. Die Kunden sind daher extrem an einer schnellen Kontaktaufnahme durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter interessiert und suchen ihrerseits auch oft selbst sofort den Kontakt. 19 Sie werden zudem jede erforderliche Information zur kurzfristigen Planung der weiteren Produktion liefern. Die kurzfristige Produktionsplanung kann nur in ständiger gegenseitiger Abstimmung zwischen Insolvenzverwalter und allen betroffenen OEM erfolgen. Aber auch die Kommunikation und Koordination mit den Vormateriallieferanten ist ein wesentlicher Bestandteil zur Aufrechterhaltung der Lieferkette im Antragsverfahren. 20 Der hierfür in der Anfangsphase notwendige Aufwand sollte nicht unterschätzt werden. Es empfiehlt sich, sofort ein entsprechendes Team als Taskforce zu bilden und die Kontaktdaten an die jeweiligen Player weiterzugeben. Aufgrund der bei JIS- und JIT-Lieferungen prozessbedingten Kurzfristigkeit der Belieferung ist eine enge Abstimmung und in der Anfangsphase jederzeitige Erreichbarkeit notwendig und zu gewährleisten. Nur so kann auf sich abzeichnende Lieferengpässe gemeinsam mit den Kunden und den Vormateriallieferanten sofort reagiert und z. B. Sonderfahrten zur Belieferung organisiert werden. 1.2

Vormaterialbelieferung

21 In der Regel ging der Antragstellung eine Phase der Krise voraus, in der der Geschäftsbetrieb des Zulieferers bereits „holprig“ lief und teils massiven Störungen ausgesetzt war. Das hat oft zur Folge, dass die Vormateriallieferungen von Unterlieferanten des insolventen Zulieferers mangels Bezahlung ausgeblieben sind, dass die Pipeline der notwendigen Vormaterialien nahezu leer ist. Vormateriallieferanten sind häufig nur noch gegen Vorkasse oder – ab Antragstellung – nach Übernahme einer Zahlungszusage durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Weiterbelieferung bereit.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 Aufgrund der oben dargestellten Lieferströme und den bestehenden Abhängigkeiten 22 kann dies recht schnell dazu führen, dass der insolvente Zulieferer nicht mehr lieferfähig ist, weil ihm schlicht das Material für seine eigene Fertigung auszugehen droht. Als Sofortmaßnahmen sind daher erforderlich: x

Sofortige Kontaktaufnahme zu den Vormateriallieferanten.

x

Sofortige Bestandsaufnahme der vorhandenen Vormaterialien.

x

Sicherstellung der weiteren Belieferung durch Übernahme von Zahlungszusagen gegenüber den Vormateriallieferanten.

x

Regelung hinsichtlich möglicher Aus- und Absonderungsrechte, z. B. bei vereinbartem (verlängertem) Eigentumsvorbehalt.

x

Gegebenenfalls Änderung der Zahlungsbedingungen gegenüber Lieferanten und Kunden.

1.3

Umstellung der Zahlungsbedingungen, Vorauszahlungen

Liquiditätssicherung auf der einen Seite und Aufrechterhaltung der Vormaterialbelieferung 23 auf der anderen Seite, werden in der Regel eine Umstellung der Zahlungsbedingungen in beide Richtungen – die der (Unter-)Lieferanten und die der Kunden – erforderlich machen. Die Unterlieferanten werden – wie oben dargestellt – häufig Vorauskasse fordern, um ihre 24 Lieferungen aufrechtzuerhalten. Mit den Kunden bestehen üblicherweise Vereinbarungen (über AGB), wonach Zahlungen 25 einmal monatlich erfolgen oder Zahlungsziele von bis zu sechs oder mehr Wochen vereinbart sind. Dies dürfte i. R. des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens praktisch nicht länger umsetzbar sein, da die Liquidität zur Betriebsfortführung im laufenden Geschäftsbetrieb benötigt wird. Gegenüber den Kunden wird daher in der Regel die Umstellung auf Sofortzahlung erfolgen. Dies ist für die Kunden in der Insolvenzsituation, in der ein vorläufiger Insolvenzverwalter/Sachwalter für einen ordnungsgemäßen Geschäftsablauf sorgt, auch hinnehmbar. Zur kurzfristigen Sicherstellung der Liquidität im Eröffnungsverfahren ist auch die Ver- 26 einbarung von Vorauszahlungen auf zu liefernde Teileumfänge möglich. Im Rahmen einer Vereinbarung muss aber sichergestellt werden, dass die Vorauszahlungen sofort mit den Lieferungen verrechnet werden können um sicherzustellen, dass bei Insolvenzeröffnung keine „Restguthaben“ zugunsten der Kunden mehr bestehen. Die hieraus resultierenden Rückforderungsansprüche wären andernfalls nur Insolvenzforderungen und damit für die Kunden verloren. Die Höhe der Vorauszahlungen sind daher anhand einer Vorausschau der zu liefernden Umfänge für den vorgesehenen Zeitraum möglichst genau zu ermitteln. Vorauszahlungen innerhalb des eröffneten Verfahrens sind unproblematisch, da etwaige 27 Rückforderungsansprüche Masseverbindlichkeiten darstellen. 1.4

Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses

Bis zur Einführung des ESUG6) war die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigeraus- 28 schusses im Antragsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen, in der Praxis aber durchaus nicht unüblich. Mit der Änderung der §§ 21, 22 InsO und der Einführung des § 22a InsO ist dies jetzt auch gesetzlich für Verfahren vorgesehen, bei denen der Schuldner die in § 22a InsO vorgesehenen Kenngrößen erfüllt – was bei der Mehrzahl der wesentlichen ___________ 6) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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§ 31

Teil III Einzelfragen

Zulieferunternehmen der Fall sein dürfte. Hintergrund für den Gesetzgeber zur frühzeitigen Einbindung der Gläubiger in das Verfahren durch Konstitutionalisierung eines vorläufigen Gläubigerausschuss ist explizit, dass die Gläubiger ihr vielfach vorhandenes Wissen in das Verfahren einbringen können und zudem ein wirtschaftliches Interesse an einer erfolgreichen Sanierung haben.7) 29 Wichtig ist daher auch hier die geeignete Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses. Neben den Haupt-Stakeholdern Banken, Arbeitnehmervertretern, Lieferanten und Kleingläubigern sollte bei der Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses auch ein Vertreter der Kunden – also der OEM – einen Sitz im (vorläufigen) Gläubigerausschuss erhalten. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO können zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden. 30 Jedenfalls bei bis zur Insolvenzantragstellung in normalem Umfang weiterlaufendem Geschäftsbetrieb gilt dies auch für die OEM als Kunden – Forderungen der Kunden gegen den Lieferanten entstehen in der Regel erst im Laufe des Insolvenzverfahrens, bspw. durch die Übernahme von Verlustbeiträgen. 31 Die Einbeziehung der Kunden in den Gläubigerausschuss ist für den Erfolg der Betriebsfortführung für die Gesamtheit der Gläubiger maßgeblich und erforderlich – es sind in der Regel die stabilen Beziehungen zu den Kunden, die den Wert des schuldnerischen Unternehmens maßgeblich beeinflussen oder gar ausmachen. Zudem sind oft Vereinbarungen über die Betriebsfortführung mit den Kunden notwendig, so dass deren Vertretung im (vorläufigen) Gläubigerausschuss sinnvoll erscheint (siehe hierzu unten Rz. 32 ff.). 2.

Fortführungsvereinbarung

32 Der Erhalt des Unternehmens ist eines der gesetzlich vorgegebenen Ziele eines Insolvenzverfahrens, § 1 InsO.8) Daher enden Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Dritten nicht mit Insolvenzantragstellung oder -eröffnung automatisch. Der Insolvenzverwalter hat vielmehr ab Verfahrenseröffnung bei beidseitig nicht vollständig erfüllten Verträgen gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht. 33 Eine für alle Seiten praktikable Alternative zu den beiden (ab Eröffnung) gesetzlich vorgesehenen Alternativen – unveränderte Fortsetzung des Lieferverhältnisses oder Nichterfüllungswahl – ist die einvernehmliche Gestaltung der bestehenden Vertragsverhältnisse im Wege einer sog. Fortführungsvereinbarung (nachfolgend: „FVB“) zwischen Insolvenzverwalter und – allen oder einzelnen – Kunden. Für den Insolvenzverwalter besteht damit die Möglichkeit, die Kunden an etwaigen betriebswirtschaftlichen Risiken aus der Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes zu beteiligen. Die Kunden erhalten umgekehrt die so dringend notwendige Versorgungssicherheit über einen planbaren Zeitraum ohne fürchten zu müssen, dass der Verwalter die Nichterfüllung wählt oder zu einem späteren Zeitpunkt die Masseunzulänglichkeit anzeigt. 34 Ziel der Fortführung des Geschäftsbetriebs ist daher regelmäßig, das Unternehmen der Gesellschaft bis zu seiner angestrebten Veräußerung als organisatorische Einheit zu erhalten, um dadurch die Versorgung der Kunden mit Produkten sicherzustellen und gleichzeitig eine für die Gläubiger und die Mitarbeiter möglichst vorteilhafte übertragende Sanierung des Unternehmens im Insolvenzverfahren durch Verkauf eines aktiven Geschäftsbetriebs an einen Investor zu ermöglichen. ___________ 7) Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 7/2012, § 22a Rz. 4. 8) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Stand: 4/2012, § 1 Rz. 36.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 2.1

Allgemeines – Betriebsfortführung und Nichterfüllungswahl

2.1.1 Insolvenzantragsverfahren Der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis nicht über- 35 gangen ist, ist zunächst an die bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zu den Kunden des Schuldners gebunden. Er unterliegt damit einer Lieferverpflichtung zu den zwischen dem Kunden und dem schuldnerischen Unternehmen vereinbarten Bedingungen. Ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht besteht – für beide Seiten – in diesem Verfahrensstadium nicht. Vorläufiger Insolvenzverwalter und Kunde bleiben daher zunächst gegenseitig vertraglich aneinander gebunden, mit genau den gleichen gegenseitigen Verpflichtungen wie vor der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Eine einseitige – nur durch den vorläufigen Verwalter vorzunehmende – „Nachkalkulation“ der bereits erteilten Aufträge sieht das Gesetz ebenso wenig vor, wie die einseitige vollständige Beendigung der Vertragsbeziehung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der schwache vorläufige Verwalter beim Insolvenz- 36 gericht per Beschluss die Genehmigung zur sofortigen Betriebseinstellung einholt. 2.1.2 Eröffnetes Verfahren Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann sich der Insolvenzverwalter einseitig durch 37 Ablehnung der Erfüllung gemäß § 103 InsO von den Leistungspflichten aus dem Vertragsverhältnis lossagen. Da in der Regel für jeden zu liefernden Umfang einzelne Vertragsverhältnisse in Form von Einzelbeauftragungen oder sog. Nominierungen bestehen, muss der Insolvenzverwalter für jeden einzelnen Umfang überlegen, ob er die Nichterfüllung wählt. Ob man dabei die bestehenden Lieferverhältnisse als Kaufvertrag, Werkvertrag oder eine Mischform ansieht, spielt für die Ausübung des Wahlrechts gemäß § 103 InsO zunächst keine Rolle.9) Der Verwalter ist aber nach wie vor an den Grundsatz der bestmöglichen Gläubiger- 38 befriedigung gemäß § 1 InsO gebunden und muss diesen auch bei der Entscheidung, ob er die Nichterfüllung erklären wird, berücksichtigen. Der Insolvenzverwalter steht in einem solchen Falle vor der Herausforderung, die Kalku- 39 lation der einzelnen Preise pro Teil zu ermitteln, und zu prüfen und zu entscheiden, in welchem Umfang eine Weiterproduktion und -belieferung erfolgen kann. Im Rahmen seines generellen Auftrages gemäß § 1 InsO wird der Insolvenzverwalter x

einerseits die Produktion und Belieferung von Teilen mit hohem Deckungsbeitrag aufrechterhalten müssen;

x

auf der anderen Seite muss ein Verlust aus der Weiterproduktion zu Lasten der Gläubiger vermieden werden.

Bei der betriebswirtschaftlichen Beurteilung ist allerdings mithilfe einer Planungsrech- 40 nung das Gesamtergebnis der Betriebsfortführung zu beurteilen. Davon geht auch der Regelungszweck des § 103 InsO aus. Bei der Beurteilung, ob der Verwalter die Erfüllung wählt oder ablehnt, muss er berücksichtigen, dass für die Masse ein Vertrag auch dann werthaltig ist, wenn die weitere Erfüllung für die Masse sonst, etwa als Deckungsbeitrag oder zur Marktpräsenz vorteilhaft ist. Ob der Verwalter Erfüllung verlangt, hängt daher nicht allein vom Marktwert der auszutauschenden Leistungen ab.10) Daher kann die Weiterproduktion eines einzelnen Teils mit schlechtem oder gar negativem Deckungsbeitrag jedenfalls dann in Kauf genommen werden, wenn das geplante Gesamtergebnis am Ende für ___________ 9) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011 § 103 Rz. 48, 49, 91 ff. 10) Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, Stand: 11/2011, § 103 Rz. 7.

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Teil III Einzelfragen

die Gläubiger zu einer höheren Befriedigung führt oder – was regelmäßig der Fall sein dürfte – zu einer besseren Verwertbarkeit des Gesamtunternehmens, bspw. i. R. eines Asset Deals. 41 Der Verwalter hat also bei seinen Überlegungen zur Erfüllungswahl für jede einzelne Liefervereinbarung den Wert für die Gesamtheit der Gläubiger zu prüfen und seine Entscheidung daran auszurichten. 42 Er muss andererseits aber natürlich auch dafür sorgen, dass er neu begründete Verbindlichkeiten bedienen kann, um seiner Haftung nach § 61 InsO zu entgehen. 43 Die Nichterfüllungswahl führt zu Ansprüchen der jeweiligen Kunden auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gemäß § 103 InsO und erhöht den Bestand an Insolvenzforderungen. Führt die Nichterfüllungswahl zu einem Produktionsausfall beim Kunden wird der dadurch verursachte und als Insolvenzforderung anzumeldende Schaden immens. 2.1.3 Fortführungsvereinbarung als Alternative 44 Eine für alle Seiten praktikable Alternative zur Nichterfüllungswahl oder zur unveränderten Fortsetzung des Lieferverhältnisses ist der Abschluss einer sog. Fortführungsvereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und allen – oder einzelnen – Kunden, mit der die Fortsetzung der Lieferverhältnisse einvernehmlich gestaltet werden kann. 2.2

Form

45 Die FVB ist grundsätzlich formfrei. Einen vorgeschriebenen Regelungsinhalt gibt es nicht. In der Regel werden überwiegend werk- und kaufvertragliche Elemente enthalten sein. Aus den Besonderheiten der bisher bestehenden Lieferbeziehung kann sich auch die Notwendigkeit der Aufnahme von Regelungen aus Miet- oder Leasingrecht, dem Auftragsrecht oder zu anderen schuldrechtlichen Regelungsinhalten ergeben. 46 Sinnvollerweise sollte die FVB zwischen allen Kunden und dem Insolvenzverwalter in einer mehrseitigen Vereinbarung geschlossen werden. Bei einem jeweils bilateralen Abschluss zwischen Verwalter und einzelnem Kunden besteht die Gefahr, dass nicht mit allen Kunden gleiche Verhandlungsergebnisse erzielt werden können und dies im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung führen kann. Dies wird dem Verwalter insbesondere am Ende des Verfahrens Probleme im Hinblick auf die Abrechnung gegenüber den Kunden bereiten oder zu Schwierigkeiten bei einer Verwertung des schuldnerischen Unternehmens führen können. 47 Zu beachten ist beim Abschluss einer mehrseitigen Vereinbarung aber die grundsätzliche Einhaltung der Vertraulichkeit der Kundendaten im Verhältnis zu den jeweils anderen Kunden. So dürfen keinesfalls einzelne Kalkulationsgrundlagen und Preise für produzierte und gelieferte Teile für alle Parteien der Vereinbarung offengelegt werden. Dies kann nur durch individuelle Anlagen zu dem Vertrag gegenüber der jeweils betroffenen Partei erfolgen. 2.3

Zeitpunkt des Abschlusses

48 Sinnvollerweise sollte über eine FVB zwischen Verwalter und allen betroffenen bzw. zustimmenden Kunden so früh wie möglich verhandelt werden und eine solche jedenfalls zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens rechtsgültig abgeschlossen sein. Dies gibt zum einen dem Verwalter die Sicherheit, den Geschäftsbetrieb weiterführen zu können ohne ab dem Tag der Eröffnung eine Haftung hieraus nach § 61 InsO zu riskieren. Auf der anderen Seite erhalten die Kunden die benötigte Kontinuität und Versorgungssicherheit.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 2.4

Zustimmungsvorbehalt

Der Abschluss der FVB bedarf der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubi- 49 gerversammlung. Sie sollte daher unter die aufschiebende Bedingung der entsprechenden Zustimmung gestellt werden. 2.5

Einzelne Regelungen

Nachfolgend sollen beispielhaft und nicht abschließend einige notwendige und sinnvolle 50 Regelungen einer FVB dargestellt werden. 2.5.1 Neue Lieferverpflichtung In der Regel wird der Insolvenzverwalter unter Berücksichtigung der oben dargestellten 51 Grundsätze die Erfüllung der einzelnen Lieferverträge gemäß § 103 InsO prüfen und ablehnen. Für eine Fortführung des Geschäftsbetriebs ist daher der Abschluss neuer Lieferverpflichtungen erforderlich. Insolvenzverwalter und Kunden müssen daher bestätigen, dass die – sinnvollerweise in einer Anlage aufgeführten – Aufträge/Verträge mit Wirkung ab Insolvenzeröffnung neu abgeschlossen werden. Darüber hinaus sollte grundsätzlich die Beibehaltung der ursprünglichen Vertragsbedingungen vereinbart werden, die im Einzelnen (z. B. hinsichtlich einzelner Preise, Zahlungsmodalitäten o. Ä.) in der FVB modifiziert werden können. Der Verwalter verpflichtet sich bei Einhaltung der vereinbarten Bedingungen zur Produk- 52 tion und Belieferung. Die Parteien sollten zudem die Teile, deren Produktion und Belieferung Gegenstand der FVB sein sollen, so genau wie möglich benennen, und zwar unter Nennung der jeweiligen Teile- und Indexnummer. Am besten geschieht dies in einer Anlage. 2.5.2 Abnahme- und Zahlungsverpflichtung Der Produktions- und Lieferverpflichtung des Insolvenzverwalters steht die Abnahmever- 53 pflichtung der Kunden gegenüber. Beide Parteien – Insolvenzverwalter und Kunden – benötigen eine entsprechende Planungssicherheit. Es ist daher sinnvoll, Regelungen aufzunehmen, wonach sich die Kunden verpflichten, x

den definierten Auftragsbestand in der schuldnerischen Gesellschaft bis zum Ende der Laufzeit der Vereinbarung zu belassen und diesen nicht abzuziehen,

x

die in ihrem Eigentum stehenden Produktionswerkzeuge nicht vor Beendigung der Laufzeit der Vereinbarung abzuziehen.

Neben der Abnahmepflicht besteht natürlich eine entsprechende Zahlungspflicht der Kun- 54 den zu den vereinbarten Zahlungsbedingungen. Die Kontoverbindung, auf die die Kunden schuldbefreiend leisten können – in der Regel das Insolvenzverwalter-Anderkonto – sollte in der Vereinbarung ebenfalls angegeben werden. 2.5.3 Preise Soweit die Parteien eine Übernahme etwaiger Verluste aus der Betriebsfortführung (vgl. 55 nachfolgend unter Rz. 58 ff.) vereinbaren, besteht keine Notwendigkeit, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Preise in Frage zu stellen oder zu erhöhen. Der Insolvenzverwalter ist zugunsten der Gläubiger hier ausreichend abgesichert. Allerdings sehen die bisher bestehenden Lieferbedingungen häufig sog. savings, die über 56 eine definierte Laufzeit die prozentuale Verringerung der jeweiligen Teilepreise wegen Optimierung der Produktionsbedingungen regeln, vor. Derartige Bedingungen sind i. R. des Insolvenzverfahrens nicht sinnvoll, da sie sich unmittelbar auf die Liquidität des

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Teil III Einzelfragen

schuldnerischen Unternehmens auswirken und über mögliche Verlustübernahmen letztendlich wieder zum Ausgleich beim Kunden landen. Das gleiche gilt für Skontovereinbarungen. 57 In jedem Fall ist eine gemeinsame Preisbasis zwischen dem jeweiligem Kunden und dem Insolvenzverwalter festzulegen. 2.5.4 Verlustausgleich 58 Nachdem die Betriebsfortführung auch im maßgeblichen Interesse der Kunden liegt und in der Regel kein anderer Stakeholder bereit sein wird, Verlustausgleichszahlungen zu leisten, wird der Insolvenzverwalter versuchen, eventuell aus der Betriebsfortführung anfallende Verluste auf die Kunden abzuwälzen. Hierzu ist zunächst eine umfassende und bei Abschluss der FVB vorliegende Ertrags- und Liquiditätsplanung erforderlich. 59 Die Verpflichtung zum Verlustausgleich sollte zudem folgende Punkte umfassen und regeln: x

Verpflichtung der Kunden zum Ausgleich der Verluste, gedeckelt auf eine sich aus der Planungsrechnung ergebende Höchstsumme;

x

Nachschusspflicht bei Überschreiten der Höchstsumme mit dem Recht der Plausibilisierung durch die Kunden;

x

bei mehreren Kunden, Festlegung eines Verteilungsschlüssels unter den Kunden und unter Ausschluss einer gesamtschuldnerischen Haftung;

x

Abrechnung der tatsächlichen Verluste am Ende der Fortführungsperiode und Prüfungsrecht der Kunden durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer;

x

Rückzahlungspflicht, wenn sich am Ende der Fortführungsperiode und nach Abrechnung der tatsächlichen Verluste ein zu viel geleisteter Betrag zugunsten der Kunden ergibt; Rückzahlung dann mit gleichem Verteilungsschlüssel unter den Kunden wie bei der Einzahlung; Rückzahlungsanspruch als Masseverbindlichkeit.

60 Um die Liquidität im laufenden Geschäftsbetrieb sicherzustellen, sollten auf die sich ja nur anhand von Planzahlen ermittelten, voraussichtlichen Verluste Vorauszahlungen vereinbart werden. Hierfür ist ein Zahlungsplan analog der Ertrags- und Liquiditätsplanung als Anlage zu der FVB zu erstellen. 61 Es ist zudem sicherzustellen, dass die Verlustausgleichsfinanzierung zweckgebunden ist und ausschließlich für den Ausgleich der tatsächlich am Ende der Fortführungsperiode aus der Betriebsfortführung entstandenen Verluste verwendet wird. Verlustausgleichszahlungen (und Vorauszahlungen hierauf) sind bestimmungsgemäß keine Insolvenzmasse, die massemehrend der Befriedigung aller Gläubiger dient. Der Verwalter ist nur berechtigt, liquiditätswirksame Verpflichtungen der Insolvenzmasse, die in den Verlustausgleich einbezogen werden, aus der Vorauszahlung zu begleichen. Er hat die (Voraus-)Zahlungen im Übrigen getrennt von der Masse zu vereinnahmen und zu verwalten. Hierzu muss er ein Sonderkonto bereithalten. 62 Um spätere Diskussionen bei der Abrechnung der Verlustausgleichszahlung zu verhindern, sollte eine genaue betriebswirtschaftliche Definition des Begriffes „Verlust“ vorgenommen werden. Hierunter ist allgemein der durch die Betriebsfortführung bedingte massemindernde und liquiditätswirksame Verlust gemäß §§ 238 ff., 264 ff. HGB zu verstehen.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 2.5.5 Vorschusszahlungen auf Lieferungen und Leistungen Soweit sich aus der Ertrags- und Liquiditätsplanung ergibt, dass zur Aufrechterhaltung 63 der Liquidität auch auf die zukünftigen i. R. der Betriebsfortführung zu erbringenden Lieferungen und Leistungen Vorauszahlungen zu erbringen sind – bspw. zur Vorfinanzierung von Vormateriallieferanten – sind diese in die FVB aufzunehmen. Dabei ist auch die Aufrechnungsmöglichkeit der Kunden mit den aus den tatsächlichen Lieferungen entstehenden Forderungen gegen die Rückzahlungsverpflichtung aus der Vorauszahlung vorzusehen. Je nach Liquiditätsvorschau ist der Zeitraum des „Stehenlassens“ der Rückforderungsansprüche zu definieren. 2.5.6 Gewährleistung und Leistungsstörung Auch während der Betriebsfortführung können an Lieferungen und Leistungen der 64 Schulderin Mängel auftreten. Um die benötigte Liquidität nicht durch Zurückbehaltungsrechte oder Zahlungsansprüche bei mangelhaften Lieferungen zu mindern (und diese Liquiditätslücke durch höherer Vorauszahlungen durch die Kunden schließen zu lassen), sollten die Gewährleistungsrechte der Kunden für Lieferungen ab dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung auf Nachlieferung, Nachbearbeitung oder Nachbesserrung beschränkt werden. Schadensersatzansprüche der Kunden aus Nichterfüllung und Leistungsstörungen, insbesondere Verzug und Unmöglichkeit gegen den Insolvenzverwalter und die Insolvenzmasse werden in der Regel ausgeschlossen, es sei denn sie beruhen auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Andererseits müssen die Kunden bei gravierenden Leistungsstörungen, die z. B. zu Band- 65 stillständen geführt haben, eine Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung der FVB haben, jedenfalls soweit dies zur Absicherung der Produktion und eventuellen Verlagerung des von der Leistungsstörung betroffenen Produktumfanges erforderlich ist. 2.5.7 Versicherung und Haftungsbegrenzung Der Insolvenzverwalter hat – wie bei jeder anderen Betriebsfortführung auch – für einen 66 ausreichenden Versicherungsschutz des schuldnerischen Unternehmens zu sorgen. Im Hinblick auf die oben dargestellten nicht unerheblichen Schadenssummen, bspw. bei 67 einem Bandstillstand, sollte zudem eine ausreichende Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abgeschlossen werden und die persönliche Haftung des Verwalters gemäß §§ 60, 61 InsO auf die Versicherungssumme begrenzt werden. 2.5.8 Vertragsdauer und Kündigung Da eine Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren auf unbegrenzte Dauer nicht sinnvoll 68 und nicht möglich ist, muss die Dauer der FVB und damit des Fortführungszeitraumes befristet werden. Eine Verlängerungsoption sollte vorgesehen werden. Andererseits ist die automatische Beendigung der FVB vorzusehen bei Verkauf des Geschäftsbetriebes. Am Ende der Fortführungsperiode wird in der Regel die Übertragung des Geschäftsbetriebes stehen oder eine Betriebseinstellung nach erfolgter Ausproduktion. Für den Fall der Nichteinhaltung der gegenseitigen Pflichten aus der FVB kann ein beid- 69 seitiges außerordentliches Kündigungsrecht geregelt werden. Schwierig wird die Fortsetzung der FVB, wenn mehrerer Kunden Vertragspartner sind. Scheidet nur ein Kunde durch eigene Kündigung oder Kündigung durch den Insolvenzverwalter aus, haben aber die übrigen Kunden ein Interesse an der weiteren Fortführung des Geschäftsbetriebs, sollten entsprechende Regelungen vorsehen, dass die übrigen Kunden die Verlustbeiträge, Liquiditätshilfen und Vorauszahlungen des ausscheidenden Kunden mit übernehmen –

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§ 31

Teil III Einzelfragen

denn in der Regel werden sich die möglichen Verluste bei Wegfall der Deckungsbeiträge eines Kunden insgesamt (und damit anteilig für die verbleibenden Kunden) erhöhen. Andererseits muss entsprechend den obigen Ausführungen zur Zweckgebundenheit dafür gesorgt werden, dass die Zahlungen der verbleibenden Kunden auch nur für deren Produktion und Belieferung verwendet wird. 70 Vor Ende der vertraglich vorgesehenen Fortführungsperiode ist den Kunden die Möglichkeit einzuräumen, die Verlagerung der in ihrem Eigentum stehenden Werkzeuge vorzubereiten und auch die noch bestehenden Aufträge auf andere Lieferanten zu verlagern. Mit Ende der Fortführungsperiode werden dann in der Regel auch die Lieferverpflichtungen enden und der Geschäftsbetrieb im schuldnerischen Unternehmen eingestellt, sowie fremdes Eigentum (also z. B. die Kundenwerkzeuge) herausgegeben. 2.5.9 Ausproduktion 71 Ein mögliches Szenario als Ziel einer Betriebsfortführung – neben der Übertragung des Geschäftsbetriebes – ist auch die sog. Ausproduktion, z. B. im Wege einer geordneten Verlagerung der Umfänge durch die Kunden auf andere Lieferanten oder durch Einstellung der Produktion mangels Bedarf. Für diesen Fall verpflichtet sich der Insolvenzverwalter, die Kunden bei einem geordneten Abzug der Umfänge zu unterstützen. Bei einer Verlagerung auf andere Lieferanten wird in der Regel ein Herauffahren der Produktion notwendig sein, um für den Zeitpunkt der tatsächlichen Verlagerung (z. B. Umzug der Werkzeuge) einen entsprechenden Lagerbestand aufbauen zu können. Dies führt zu höheren Umsätzen. Bei der Produktion von Teilen mit einem negativen Deckungsbeitrag führt dies aber umgekehrt auch zu einer Vergrößerung des Verlustes. Entsprechende Regelungen zur Verlustübernahme, wie sie oben beschrieben wurden, sind daher auch hierfür vorzusehen. 72 Im Übrigen gelten auch für den Fall einer Ausproduktion als Ziel einer Betriebsfortführung die oben genannten Grundsätze im Hinblick auf eine FVB. 2.5.10 Restrukturierungsmaßnahmen 73 Insbesondere im Hinblick auf eine angestrebte Übertragung des Geschäftsbetriebs ist es häufig sinnvoll, vorab im Insolvenzverfahren oft bereits lange notwendige Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen oder zumindest zu beginnen. Die Ermittlung und Festlegung dieser Maßnahmen erfolgt gemeinsam zwischen Insolvenzverwalter und Kunden, ggf. unter Einschaltung einer Beratungsgesellschaft. 74 Restrukturierungsmaßnahmen sorgen x

zum einen für einen optimierten Geschäftsbetrieb; sie kommen daher unmittelbar zunächst den Kunden zugute;

x

zum anderen wirken sich erfolgreich durchgeführte Restrukturierungsmaßnahmen aber in der Regel auch werterhöhend bei einer Veräußerung des Geschäftsbetriebes aus, was dann über eine höhere Teilungsmasse auch allen anderen Gläubigern zugutekommt.

75 Die Finanzierung von Restrukturierungsmaßnahmen kann daher entweder über die Kunden erfolgen oder im Zusammenspiel mit weiteren beteiligten Stakeholdern, z. B. Banken, die daran partizipieren. Umfassen die Restrukturierungsmaßnahmen auch die (oft schon überfälligen) Investitionen in neue Maschinen und Anlagen ist eine Beteiligung an den späteren Verkaufserlösen für die Finanzierungsgeber vorzusehen.

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Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich § 31 2.5.11 M&A-Prozess Soweit das Ziel des Insolvenzverfahrens – wie häufig – eine übertragende Sanierung mithilfe 76 eines Asset Deals auf einen Erwerber bzw. neuen Rechtsträger sein soll, können entsprechende Verpflichtungen auch hier bereits in die FVB aufgenommen werden. Ein erfolgreicher M&A-Prozess setzt das weitere Vertrauen der Kunden in den neuen Lieferanten und in dessen Stabilität und Lieferfähigkeit voraus. Die Einbindung der Kunden in die Entscheidungsprozesse im laufenden Insolvenzverfahren und in den M&A-Prozess ist daher notwendig (siehe auch Rz. 81 ff.). Mögliche Regelungen in einer FVB sind z. B.:

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x

Der Insolvenzverwalter verpflichtet sich, für den Geschäftsbetrieb so schnell wie möglich einen Investor zu finden und den operativen Geschäftsbetrieb auf diesen zu übertragen.

x

Er verpflichtet sich, die Kunden über den Fortgang des M&A-Prozesses regelmäßig zu informieren.

x

Die Kunden verpflichten sich, den Insolvenzverwalter bei der Suche nach Kaufinteressenten zu unterstützen und die Übertragung aktiv zu begleiten.

x

Die Entscheidung über die Verwertung bleibt den gesetzlich vorgesehenen Einrichtungen (Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss) vorbehalten.

Die Verwertung der Insolvenzmasse – und damit auch die Durchführung eines Asset 78 Deals – ist Aufgabe des Insolvenzverwalters, §§ 159, 166 InsO. Soweit er sich zur Erfüllung dieser Aufgaben Dritter, bspw. eines Beratungsunternehmens, bedient, hat die hieraus anfallenden Kosten die Insolvenzmasse zu tragen. Die Kosten sind nicht als Verluste über die FVB an die Kunden weiterzugeben. 2.5.12 Endabrechnung Für die finale Abrechnung aller geleisteten Zahlungen und den zu leistenden Rückzahlungen 79 sollte ein Zeitpunkt definiert werden, der in nicht allzu ferner Zukunft nach Beendigung der Fortführungsperiode liegt. Da in der Regel mit dem Ende der Fortführungsperiode auch die Verwertung der betriebs- 80 bedingten Assets erfolgt (Ausnahme: Ausproduktion und anschließende Betriebseinstellung), können auch die hieraus erzielten Erlöse berücksichtig und gegengerechnet werden, soweit sie zu einer Beteiligung der finanzierenden Stakeholder vorgesehen sind. 3.

M&A-Prozess – sog. Tradeagreement

Ist eine übertragende Sanierung oder eine sonstige Verwertung des schuldnerischen Ge- 81 schäftsbetriebs (auch i. R. eines Insolvenzplanes) das Ziel der Betriebsfortführung, geht dem ein M&A-Prozess voraus. Aufgrund der mehrfach dargestellten Abhängigkeiten ist eine solche Übertragung – anders als bei Übertragungen in anderen Branchen – nur im gemeinsamen Zusammenwirken mit den Kunden möglich. Zum einen verfügen die Kunden über die beste Markttransparenz und können gezielt in- 82 teressierte Übernehmer für den Insolvenzverwalter identifizieren. Ein wesentliches Asset bei einem möglichen M&A Prozess sind zudem die Vertrags- 83 beziehungen zu den Kunden. Ein Übernehmer wird in der Regel den Wert des von ihm zu übernehmenden Unternehmens nicht im Wert des Maschinenparks und der fertigen und halbfertigen Erzeugnisse sehen, sondern in der zukünftigen Möglichkeit, mit den von ihm erworbenen Assets weiter Kunden beliefern zu können. Er produziert keine Massenprodukte für einen relevanten Markt, sondern speziell entwickelte Einzelprodukte für Bauch

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einzelne Kunden. Ohne Zusage der Kunden, die Teile auch weiterhin bei dem Käufer/Investor produzieren zu lassen, macht der Erwerb für diesen meist keinen Sinn. 84 Ein Interessent mit Branchenkenntnissen wird daher von sich aus bereits während des M&A-Prozesses auf eine frühzeitige Einbindung der Kunden bestehen. Nur so kann er seinen eigenen, für die Kaufentscheidung relevanten Business Case auflegen. 85 Absprachen hinsichtlich einer zukünftigen Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Kaufinteressent sollten daher schon innerhalb des M&A-Prozesses getroffen werden. Dies geschieht in der Regel durch sog. „Tradeagreements“ (nachfolgend: „TA“). Parteien der Vereinbarung sind üblicherweise nur die Kunden und der Übernehmer, da Gegenstand die Regelungen der zukünftigen Geschäftsbeziehungen in deren Verhältnis ist. Der Insolvenzverwalter ist hier also sowohl in der Rolle des agierenden Verkäufers, als auch in einer nur vermittelnden Rolle tätig. Vereinbarungen oder Zusagen hinsichtlich der Verwertung als solcher betreffen auch den Insolvenzverwalter, dann als weitere Partei eines TA. IV.

Fazit

86 Die Betriebsfortführung eines insolventen Zulieferers erfordert neben dem für jede Betriebsfortführung üblichen und notwendigen Handwerkszeug spezielle Kenntnisse des Automotive-Marktes, seiner Funktionsweisen und Mechanismen. Es besteht ein hoher Zeitdruck, verbunden mit einem erhöhten Leistungsdruck, in einem komplexen und internationalen Umfeld. Dies erfordert ein erfahrenes und gut strukturiertes Team. Eine erfolgreiche Betriebsfortführung setzt zudem ein enges Zusammenwirken mit den betroffenen Kunden voraus.

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§ 32 Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz Übersicht I.

Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung ........................................... 2 1. Insolvenzgesicherte betriebliche Altersversorgung.......................................... 4 1.1 Zusage des Arbeitgebers................... 5 1.2 Betriebliche Altersversorgung i. S. des Gesetzes ............................... 6 1.3 Anspruch oder gesetzlich unverfallbare Anwartschaft ............. 9 1.4 Versorgungsfall ............................... 12 2. Sicherungsfall.............................................. 15 2.1 Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens........................ 16 2.2 Abweisung mangels Masse ............. 19 2.3 Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ohne gerichtliches Insolvenzverfahren ............... 20 2.4 Zustimmung des PSVaG zu einem außergerichtlichen Vergleich.......................................... 22 II. Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren .................................................... 25 1. Gesetzlicher Übergang von Rechten (§ 9 BetrAVG) ........................................... 26 2. Kapitalisierte Forderungsanmeldung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG)..................... 33

3.

Nachträgliche Berichtigung der PSVaG-Forderungen ................................. 41 4. Zahlungsaufnahme ..................................... 45 5. Mitwirkung in vorläufigen Gläubigerausschüssen und Gläubigerbeiräten .......... 48 6. Kein besonderes Insolvenzantragsrecht ................................................ 53 III. Handlungsoption Insolvenzplan ............ 61 1. Allgemeines zum Planverfahren................ 61 2. Betriebliche Altersversorgung im Plan ..... 66 2.1 Arbeitsrechtliche Ausgangslage ..... 67 2.2 Finanzwirtschaftliche Auswirkungen ................................. 68 2.3 Ordnungspolitische Einordnung ..................................... 72 3. Aufteilungsmöglichkeiten im Plan ........... 73 3.1 Quotale Aufteilung......................... 74 3.2 Aufteilung nach Personenkreisen.............................................. 75 3.3 Aufteilung nach Durchführungsweg oder Rechtsgrundlage .... 76 3.4 Aufteilung nach vertraglicher Absicherung .................................... 79 3.5 Zeitliche Aufteilung........................ 80 3.6 Entgeltumwandlung........................ 81 IV. Zusammenfassung .................................... 83

Literatur: Berenz, Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung – Systematik des § 11 BetrAVG, BetrAV 2006, 225; Birkenbeul, Praxisgesichtspunkte für die Sicherung betrieblicher Versorgungszusagen in einer Großinsolvenz, BetrAV 2006, 227; Bremer, Die Fortführung insolvenzgeschützter betrieblicher Altersversorgung durch den Arbeitgeber bei Durchführung von Insolvenzplänen – Praktische Erfahrungen aus Sicht des PSVaG, DB 2011, 875; Feder, Vereinfachungen für den Arbeitgeber bei Meldungen und Beitragszahlungen an den PSVaG, BetrAV 2006, 224; Feldkamp, Die Rolle der Versicherungsmathematik beim PSVaG, BetrAV 2006, 232; Gareis, Insolvenzrechtliche Regelungen im Betriebsrentengesetz (BetrAVG), ZInsO 2007, 23; Hoppenrath/Wohlleben, Möglichkeiten der Insolvenzsicherung, in: Festschrift für Wolfgang Förster, 2001, S. 285; Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, Kommentar, 5. Aufl., 2013; Kranzusch, Sanierung im Vorfeld von Insolvenzverfahren – Vorträge der gemeinsamen Tagung des BMWi und des BMJ, WM 2010, 1338; Paulsdorff/Wohlleben, Die Rechtsstellung des Pensions-Sicherungs-Vereins, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) nach neuem Insolvenzrecht, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 1655; Wohlleben, Unterstützungskasse und der PSVaG – Neuere Entwicklungen, BetrAV 2011, 232; Wohlleben, Insolvenzplan zur Fortführung von Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 691; Wohlleben, Insolvenzschutz für geschäftsführende Gesellschafter – Eine Kurzbetrachtung der Trennlinie zwischen Eigenverantwortung und Sozialschutz, in: Festschrift für Sigmar-Jürgen Samwer, 2008, S. 281; Wohlleben, 29 Jahre Insolvenzsicherung durch den PSVaG, in: Finanzintermediation, Festschrift für Wolfgang Gerke, 2004, S. 333.

Die nachstehenden Ausführungen konzentrieren sich auf den – schon volumenmäßig – be- 1 deutsamsten Teil der, durch den PENSIONS-SICHERUNGS-VEREIN Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) geschützten, betrieblichen Altersversorgung.

Wohlleben

953

§ 32 I.

Teil III Einzelfragen Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung

2 Nicht gemäß § 7 BetrAVG durch den PSVaG geschützt sind Versorgungsanwartschaften bzw. -ansprüche, soweit x

sie keine betriebliche Altersversorgung i. S. von § 1 BetrAVG darstellen, wie z. B. Guthaben auf Zeitkonten,

x

die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen (§ 1b BetrAVG) nicht erfüllt sind,

x

die Höchstgrenzen des § 7 Abs. 3 BetrAVG überschritten wurden,

x

es sich um Zusagen an Unternehmer oder beherrschende Gesellschaftergeschäftsführer1) handelt (vgl. § 17 Abs. 1 BetrAVG),

x

Zusagen erst bei bereits absehbarer Inanspruchnahme des PSVaG bzw. innerhalb der Zwei-Jahres-Frist gegeben wurden (§ 7 Abs. 5 BetrAVG) oder

x

Versorgungsteile erst nach Eintritt der Insolvenz erdient wurden.

3 Solche Rechte sind nach den allgemeinen Regeln2) zu behandeln und demgemäß von den Berechtigten selbst beim Insolvenzverwalter geltend zu machen. Nach Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens erdiente Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung richten sich gegen die Insolvenzmasse und sind insoweit privilegiert. Der Insolvenzverwalter kann sie jedoch nach der Spezialregelung des § 3 Abs. 4 BetrAVG abfinden, sofern die Anwartschaften nicht i. R. eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) auf einen Erwerber übergehen. 1.

Insolvenzgesicherte betriebliche Altersversorgung

4 Der Insolvenzschutz durch den PSVaG3) ist gegeben, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist. In aller Regel ist das schon deshalb der Fall, weil das Steuer- und das Sozialversicherungsrecht zumeist an die (gleichen) Begrifflichkeiten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (kurz: Betriebsrentengesetzes – BetrAVG) anknüpfen. 1.1

Zusage des Arbeitgebers

5 Voraussetzung für die Insolvenzsicherung ist zunächst eine Zusage des Arbeitgebers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Der Arbeitgeber muss selbst vertragliche Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer eingehen. Bevor der Arbeitgeber oder bei Tarifverträgen der für ihn handelnde Arbeitgeberverband dies tut, wird er die in Rede stehende Versorgung regelmäßig einer Plausibilitätskontrolle unterziehen sowie die Bonität und Seriosität der Anbieter von Finanzprodukten hinterfragen. Dabei wird er sich zumindest kursorisch mit den sehr unterschiedlichen Möglichkeiten betrieblicher Altersversorgung beschäftigen und auch im Eigeninteresse die wichtigen Themen der Kapitalanlage und der Kostenbelastung im Auge behalten. Von daher ist auch in der Insolvenz kein überstürztes Handeln, sondern ein besonnenes Vorgehen gefragt. 1.2

Betriebliche Altersversorgung i. S. des Gesetzes

6 Insolvenzgesichert ist nur betriebliche Altersversorgung i. S. von § 1 BetrAVG. Der Gesetzeswortlaut „Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung“ schließt ___________ 1) Hierzu Wohlleben in: FS Samwer, S. 281 ff. m. w. N. 2) Allgemein zu den Möglichkeiten der Insolvenzsicherung Hoppenrath/Wohlleben in: FS Förster, S. 285 ff. 3) Jeweils aktuell dazu die PSVaG-Merkblätter, aufrufbar im Internet unter: www.psvag.de (Quicklinks).

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 32

bloße Sparvorgänge aus und setzt die Absicherung eines biometrischen Risikos voraus, nämlich den Schutz vor den Folgen x

einer Invalidität,

x

des Erreichens der Altersgrenze oder

x

des Versterbens des (früheren) Arbeitnehmers bei Hinterbliebenenleistungen.

Von praktischer Bedeutung sind auch so manche Fragen, die sich aus der Begriffserweiterung 7 in § 1 Abs. 2 BetrAVG etwa zum Thema der Entgeltumwandlung ergeben. Nicht jede sog. Deferred Compensation unterfällt dem Betriebsrentengesetz. Sind aufgeschobene Lohnzahlungsansprüche vererblich, so kann es am Versorgungscharakter fehlen, weil die Leistungen an kein biometrisches Ereignis anknüpfen. Dann gibt es keinen PSVaG-Schutz. § 1 BetrAVG bildet einen gewissen Filter zur Abgrenzung insolvenzgesicherter betrieb- 8 licher Altersversorgung von reinen Kapitalanlageprodukten. Er ist die Schlüsselvorschrift des Betriebsrentenrechts sowohl aus arbeits- und steuerrechtlicher als auch aus insolvenzrechtlicher Sicht. Die Vorschrift gewährleistet zumindest ein Minimum an Einheit in der deutschen Rechtsordnung und verhindert so einen nicht mehr überschaubaren Wildwuchs in dem für jedwede sinnstiftende Wirtschaftstätigkeit unverzichtbaren Rechtsrahmen. 1.3

Anspruch oder gesetzlich unverfallbare Anwartschaft

Insolvenzgeschützt sind nur solche betrieblichen Versorgungsleistungen, auf die bereits 9 ein Anspruch (§ 7 Abs. 1 BetrAVG) oder aber eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft (§ 7 Abs. 2 i. V. m. § 1b BetrAVG) besteht. Für die Unverfallbarkeit arbeitgeberfinanzierter Versorgungszusagen bedarf es der Voll- 10 endung des 25. Lebensjahres und einer mindestens fünfjährigen Betriebszugehörigkeit.4) Bei einer nachträglichen Verbesserung der Versorgungszusage schützt darüber hinaus die zweijährige Ausschlussfrist des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG den PSVaG davor, dass der Arbeitgeber, kurz vor der Insolvenz, seine Mitarbeiter mit freigebigen Versorgungsversprechen – gleichsam mittels eines Vertrages zulasten Dritter – vergüten kann. Mit der Zusage sofort unverfallbar und auch sofort gesetzlich insolvenzgeschützt ist 11 betriebliche Altersversorgung insoweit, als sie durch Entgeltumwandlung i. S. von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG finanziert wird, wenn also etwa Ansprüche auf Barentgelt in eine wertgleiche Anwartschaft auf betriebliche Versorgungsleistungen umgewandelt werden, worauf der Arbeitnehmer seit etwa zehn Jahren einen gesetzlichen Anspruch hat. Aufgrund dieser mit dem Altersvermögensgesetz5) erfolgten Ausweitung des insolvenzgesicherten Bereichs der betrieblichen Altersversorgung hat sich die Zahl der Mitgliedsunternehmen des PSVaG von rd. 40.000 auf mittlerweile über 93.000 erhöht. 1.4

Versorgungsfall

Zur Inanspruchnahme von Leistungen des PSVaG bedarf es weiterhin eines Versorgungs- 12 falls. Zum Beispiel muss der Anwärter die in der Versorgungszusage festgelegte Altersgrenze erreicht haben oder aber es müssen die Voraussetzungen einer Invaliditäts- bzw. Hinterbliebenenversorgung erfüllt sein. Ein Anspruch auf eine – vorzeitige – Abfindung von Rentenansprüchen oder Versorgungs- 13 anwartschaften besteht nicht. Zwar ist der PSVaG nach § 8 Abs. 2 BetrAVG seinerseits ___________ 4) Für Altzusagen gilt u. U. noch das Mindestalter 35 und die früher zehnjährige Unverfallbarkeitsfrist, vgl. § 30 f. BetrAVG. 5) Gesetz v. 26.6.2001 – AVmG, BGBl. I 2001, 1310.

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§ 32

Teil III Einzelfragen

zur Abfindung von Anwartschaften berechtigt, was sich insbesondere bei niedrigen Anwartschaften6) und in Fällen mit Auslandsbezug als wirtschaftlich sinnvoll erweist. Die Versorgungsberechtigten ihrerseits können vom PSVaG aber keine Abfindung verlangen. 14 Auch der Insolvenzverwalter kann sich gegenüber den einzelnen Versorgungsberechtigten auf fehlende Anspruchsvoraussetzungen berufen, sofern diese nach Insolvenzeintritt überhaupt noch selbst Ansprüche haben und selbige nicht nach § 9 Abs. 2 BetrAVG kraft Gesetzes auf den PSVaG übergegangen sind. 2.

Sicherungsfall

15 Vor einer Inanspruchnahme des PSVaG muss ein Sicherungsfall beim Arbeitgeber vorliegen. Nur wenn der Arbeitgeber insolvent ist, muss die Solidargemeinschaft der im PSVaG zusammengeschlossenen Unternehmen einstehen. Die Sicherungsfälle sind in § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BetrAVG abschließend normiert. 2.1

Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens

16 Die weit überwiegende Zahl der Sicherungsfälle beim PSVaG sind Fälle der Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (oder über seinen Nachlass). Bei mittleren und größeren Unternehmen mit aktiver Belegschaft dauert es von der Stellung des Insolvenzantrags beim zuständigen AG bis zur Verfahrenseröffnung regelmäßig drei Monate. Gründe hierfür sind zum einen die notwendige Prüfung der Insolvenzgründe (Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) und die erforderliche Feststellung und Sicherung einer zur Durchführung des Insolvenzverfahrens ausreichenden Masse durch den vom Gericht eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter oder Gutachter. 17 Vor allem geht es der Praxis aber um den nur bis zur Verfahrenseröffnung möglichen Bezug von Insolvenzgeld. Das Insolvenzgeld wird maximal drei Monate gewährt und erleichtert wegen des Wegfalls von Personalkosten die Betriebsfortführung. 18 Den Betriebsrentnern kommt das Insolvenzgeld freilich nicht zugute. Bei ihnen kommt es aufgrund der insolvenzbedingten Zahlungseinstellung des Arbeitgebers regelmäßig zu Leistungsunterbrechungen. Frühestens mit Insolvenzeröffnung wird der PSVaG in die Lage versetzt, die Zahlung – bis zu einem Jahr rückwirkend7) – wieder aufzunehmen. 2.2

Abweisung mangels Masse

19 Ein gesetzlicher Sicherungsfall ist ebenfalls gegeben, wenn der Antrag auf Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens zwar gestellt, vom AG aber mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse oder eines von dritter Seite gestellten Massekostenvorschusses abgewiesen wird. In diesen Fällen sog. Masselosigkeit ist entweder überhaupt kein Vermögen vorhanden oder das vorhandene Vermögen ist aufgrund bestehender Sicherungsrechte dem Zugriff durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter soweit entzogen, dass er hieraus die Verfahrenskosten nicht decken kann. Die Fälle der Masselosigkeit treten in der allgemeinen Insolvenzpraxis häufig auf, sind aber im Bereich der durch den PSVaG insolvenzgeschützten betrieblichen Altersversorgung seit Inkrafttreten der InsO von abnehmender Bedeutung. ___________ 6) 2013, alte Länder bis zu 26,95 € Monatsrente entsprechend ein vom Hundert der Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV. 7) Nach § 7 Abs. 1a Satz 3 BetrAVG umfasst der Anspruch des Betriebsrentners gegen den PSVaG regelmäßig auch rückständige Versorgungsleistungen, und zwar bis zu zwölf Monaten vor Entstehung des Anspruchs gegenüber dem PSVaG (definiert in Satz 1 der Vorschrift).

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz 2.3

§ 32

Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ohne gerichtliches Insolvenzverfahren

Wird kein Insolvenzantrag bei Gericht gestellt, weil ein gerichtliches Insolvenzverfahren 20 mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse von vornherein nicht in Betracht kommt, so ist der Auffangtatbestand der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit in Betracht zu ziehen. Solche Fälle der Masselosigkeit treten hauptsächlich bei kleinen, bereits vor Längerem stillgelegten Betrieben auf. Nach wie vor werden in Deutschland viele Unternehmen still liquidiert. Vor allem Familien- 21 betriebe versuchen auch heute noch mit allen Mitteln den Makel einer gerichtlichen Insolvenz zu vermeiden und bemühen sich bis zuletzt um eine volle Gläubigerbefriedigung. Volumenmäßig sind diese Fälle freilich nur von untergeordneter Bedeutung. 2.4

Zustimmung des PSVaG zu einem außergerichtlichen Vergleich

Sofern der Arbeitgeber mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen Vergleich (Stun- 22 dungs-, Quoten- oder Liquidationsvergleich) zur Abwendung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens schließt, kann der PSVaG unter sehr strengen, durch die Rechtsprechung des BAG näher definierten Voraussetzungen8) einem außergerichtlichen Sicherungsfall auch und gerade dann zustimmen, wenn beim Arbeitgeber noch freie Vermögensmasse nennenswerten Umfangs vorhanden und für eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung verfügbar ist. Unabdingbare Voraussetzung für eine außergerichtliche Sanierung von Unternehmen 23 unter Beteiligung aller maßgebenden Gläubigergruppen sind insbesondere ein schlüssiges operatives wie finanzwirtschaftliches Gesamtkonzept und ausreichend Zeit für eine sorgfältige Analyse der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen durch die Beteiligten. Der Antrag auf Zustimmung des PSVaG kann formlos gestellt werden, muss allerdings 24 konkret und hinreichend bestimmt sein. Die notwendigen Unterlagen fordert der PSVaG nach Antragseingang bezogen auf den Einzelfall an. II.

Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren

Die gesetzliche Qualifizierung der Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Alters- 25 versorgung als Insolvenzforderungen ist weithin bekannt, anders als eine Reihe von Spezialregelungen, die nicht in der InsO selbst, sondern im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) zu finden sind oder von der Praxis etabliert wurden. 1.

Gesetzlicher Übergang von Rechten (§ 9 BetrAVG)

Kraft Gesetzes gehen bestimmte Rechte der Betriebsrentner und Anwärter mit Eintritt 26 des Sicherungsfalles auf den PSVaG über, da der PSVaG nach § 7 BetrAVG die Ansprüche und Anwartschaften auf betriebliche Versorgungsleistungen zu befriedigen hat und aus den übergegangenen Rechten zumindest teilweise schadlos gestellt werden soll. Beachtenswert ist insoweit, dass der PSVaG aufgrund der Rechtsnachfolge nach § 9 27 Abs. 2 BetrAVG nicht nur die betrieblichen Versorgungsrechte und Anwartschaften beim Insolvenzverwalter anmeldet sowie hierzu akzessorische Sicherungsrechte, wie z. B. Pfandrechte an Rückdeckungsversicherungen geltend macht, sondern sich auch eventuell vorhandene nicht akzessorische Sicherungsrechte im Gegenzug zu seinen Leistungen von den Versorgungsberechtigten abtreten lässt. ___________ 8) Vgl. BAG, Urt. v. 24.4.2001 – 3 AZR 402/00, ZIP 2001, 1886 = DB 2001, 1787 sowie PSVaG Merkblatt 110/M1, aufrufbar unter: www.psvag.de (Quicklinks).

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§ 32

Teil III Einzelfragen

28 Bei Unterstützungskassen eines insolventen Arbeitgebers gehen kraft Gesetzes deren Vermögen und zumeist auch deren Verpflichtungen auf den PSVaG über (§ 9 Abs. 3 BetrAVG). 29 Eine Überschuldung kann bei einer Unterstützungskasse aufgrund der Insolvenz des Trägerunternehmens und der von diesem eingegangenen betrieblichen Versorgungsverpflichtungen nie eintreten. Leistungen über eine Unterstützungskasse ist nämlich kraft gesetzlicher Definition immanent, dass darauf kein Rechtsanspruch gegenüber der Kasse bestehen kann9) (§ 1b Abs. 4 BetrAVG). Wird dort gleichwohl Insolvenzantrag gestellt, so macht der PSVaG wegen der Sachwidrigkeit des Antrags von seinem Recht auf sofortige Beschwerde10) nach § 9 Abs. 5 BetrAVG Gebrauch. 30 Bei den sog. Gruppenunterstützungskassen mehrerer ansonsten nicht miteinander verbundener Arbeitgeber kommt es hingegen nicht zum Vermögensübergang. Dort hat der PSVaG einen Zahlungsanspruch gegen die Kasse, der aus dem anteiligen Kassenvermögen zu befriedigen ist (§ 9 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Ansonsten würden aufgrund der Insolvenz einzelner Arbeitgeber die großen überbetrieblichen Einrichtungen gesprengt, die durch die Tarifvertragsparteien oder Versicherer betrieben werden. 31 Pensionsfonds können bei zeitnaher Zustimmung der BaFin wie eine Art Versicherungsunternehmen fortbestehen (§ 9 Abs. 3a i. V. m. § 8 Abs. 1a BetrAVG). Ansonsten verhält es sich dort wie bei Unterstützungskassen. 32 Kein befriedigendes Zugriffsrecht auf betrieblichen Versorgungszwecken gewidmete Vermögenswerte hat der PSVaG derzeit bei x

sog. Contractual Trust Arrangements (CTA’s) und

x

bei Rückdeckungslösungen für unmittelbare Versorgungszusagen des Arbeitgebers bzw. für Unterstützungskassenzusagen11),

weil solche Gestaltungen große Vertragsfreiheit genießen und darin eingebundene Vermögenswerte häufig nicht zeitnah liquidiert werden können. 2.

Kapitalisierte Forderungsanmeldung (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG)

33 Aufgrund des gesetzlichen Übergangs nach § 9 BetrAVG, erlangt der PSVaG regelmäßig ein Sammelsurium an höchst unterschiedlichen Rechtspositionen. Diese umfassen x

bereits fällige oder erst künftig fällig werdende Ansprüche aus Versorgungszusagen,

x

sich erst mit Eintritt eines Versorgungsfalles zum Vollrecht konkretisierende Versorgungsanwartschaften,

x

akzessorische Sicherungsrechte,

x

versicherungsvertragliche Ansprüche,

x

Wertpapiere, Beteiligungsrechte und

x

Immobilien.

34 Wie der Insolvenzverwalter ist auch der PSVaG in den seltensten Fällen mit der Sache vorbefasst, anders als es etwa Kreditinstitute, Lieferanten oder Arbeitnehmer aufgrund ihrer langjährigen Vertragsbeziehungen zu dem schuldnerischen Unternehmen sind. Zwar ___________ 9) Gleichwohl muss aber der Arbeitgeber für die Erfüllung der zugesagten Leistungen einstehen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG) und meldet der PSVaG aufgrund § 9 Abs. 2 BetrAVG im Insolvenzverfahren Forderungen an. 10) Instruktiv dazu Gareis, ZInsO 2007, 23 ff. 11) S. zur versicherungsförmigen Unterstützungskassenzusage Wohlleben, BetrAV 2011, 232, 235.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 32

hat der PSVaG vom Unternehmen normalerweise über viele Jahre die gesetzlichen Meldungen zur Beitragsbemessung erhalten. Wegen des gesetzlich festgeschriebenen Selbstveranlagungsprinzips12) sind diese Meldungen freilich bloße Summenmeldungen, denen sich lediglich die Anzahl der Versorgungsberechtigten und die Summe der Kapitalwerte aller Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften des jeweiligen Durchführungsweges der betrieblichen Altersversorgung (unmittelbare Versorgungszusage, Unterstützungskassenzusage, Pensionsfondszusage) entnehmen lassen. Es bedarf also einer gründlichen Einarbeitung seitens des Verwalters und des PSVaG in die Details des betrieblichen Versorgungswerks, bevor dieses in einem Insolvenzverfahren sachgerecht berücksichtigt werden kann. Denn hierzu sind häufig sowohl komplexe Sachverhalts- als auch schwierige Rechtsfragen zu klären. Einen langjährigen Streit, ob der PSVaG künftige Forderungen und Anwartschaftsrechte 35 im Insolvenzverfahren sofort mit ihrem Kapitalwert geltend machen darf oder aber die dem PSVaG dafür zustehenden Teile der Insolvenzmasse zunächst zu hinterlegen sind und erst Jahre bzw. Jahrzehnte später herausgegeben werden können, hat der Gesetzgeber mit dem i. R. der EGInsO13) in das BetrAVG eingefügten § 9 Abs. 2 Satz 3 praxisgerecht entschieden. Diese Vorschrift bestätigt die Praxis der kapitalisierten Forderungsanmeldung durch den Träger der Insolvenzsicherung. Dementsprechend sind nicht nur die mit Eintritt des Versorgungsfalls entstandenen Forderungen, sondern auch die auf den PSVaG übergegangenen Anwartschaften auf eventuelle Versorgungsleistungen als unbedingte Forderungen nach § 45 InsO geltend zu machen, und zwar mit dem Wert, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann. Bei der Schätzung des Wertes der betrieblichen Altersversorgung zum Insolvenzstichtag 36 sind die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden.14) Diese können mit den steuerlichen Regelungen zur Ermittlung des Teilwerts der Pensionsverpflichtungen übereinstimmen, müssen es aber nicht. So schreibt § 6a EStG für die Abzinsung der künftigen Versorgungsleistungen zur Ermittlung des in der Steuerbilanz abzugsfähigen Verpflichtungsumfangs einen Zinssatz von 6 % vor, während der PSVaG seit Langem seinen Forderungsanmeldungen einen Abzinsungssatz von 5,5 % zugrunde legt.15) Der vom PSVaG herangezogene Zinsfuß mag – abhängig von den jeweiligen Zinsen und 37 der jeweiligen Risikolage auf den Finanzmärkten – manchmal etwas niedrig oder auch etwas hoch erscheinen. Über die Jahrzehnte hat sich freilich die Heranziehung eines gleichbleibenden Zinssatzes bewährt, da sowohl die betrieblichen Versorgungszusagen als auch die Insolvenzverfahren lange Laufzeiten haben, und sich so manche Schwankungen über längere Sicht ausgleichen oder zumindest der bürokratische Aufwand und das Streitpotenzial hierdurch minimiert werden. Damit wird im Übrigen auch der ausdrücklich im Gesetzestext festgeschriebenen Stichtagsbetrachtung etwas an Schärfe genommen, nach der für die Berechnung der Höhe der Leistungen des PSVaG Veränderungen nach dem Insolvenzstichtag ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben (§ 7 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 5 BetrAVG). Bei der Schätzung des Kapitalbetrags der Forderungsanmeldung des PSVaG sind gemäß 38 § 45 Satz 1 InsO solche Tatsachen nicht zu berücksichtigen, die erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten. Insbesondere mindert deshalb das Ableben eines Versorgungsbegünstigten nach dem Insolvenzstichtag die Forderung des PSVaG nicht. Dies ist sowohl im Ergebnis richtig als auch systemgerecht. Denn die Todeswahrscheinlichkeit ___________ 12) 13) 14) 15)

Dazu Feder, BetrAV 2006, 224 f. m. w. N. Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung v. 5.10.1994 – EGInsO, BGBl. I 1994, 2911. Paulsdorff/Wohlleben in: Kölner Schrift, S. 1655, 1660. Feldkamp, BetrAV 2006, 232 f.

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§ 32

Teil III Einzelfragen

wird bereits in den versicherungsmathematischen Rechnungsgrundlagen berücksichtigt. Diese Rechnungsgrundlagen beruhen auf langjährigen statistischen Erwartungswerten und berücksichtigen mittlerweile in sog. Generationentafeln auch die sich verlängernde Lebenswahrscheinlichkeit der Menschen. Sie bilden also sowohl früh versterbende als auch sehr lang lebende Personen zutreffend ab. 39 Aufgrund der vorstehend beschriebenen Spezialregelungen hat der Insolvenzverwalter im Übrigen gegenüber dem PSVaG auch kein Zurückbehaltungsrecht, wie es § 191 Abs. 1 Satz 2 InsO ansonsten für aufschiebend bedingte Forderungen vorsieht. 40 Die kapitalisierte Anmeldung sowohl der Betriebsrenten als auch der Anwartschaften ist schließlich auch insofern systemgerecht, als der PSVaG mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Abweisung der Verfahrenseröffnung mangels Masse durch das Gericht hierfür insgesamt eintrittspflichtig wird und als bilanzierungspflichtiger Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sowohl die bereits feststehenden Versorgungsverpflichtungen als auch die noch nicht zum Vollrecht erstarkten Anwartschaften mit ihrem Kapitalwert zu passivieren hat. Beide fließen gemäß § 10 BetrAVG mit ihrem Kapitalwert in die Beitragskalkulation des PSVaG ein und müssen von den Mitgliedsunternehmen sofort ausfinanziert werden. Von daher wäre es – gerade bei einem auf die zügige Gläubigerbefriedigung ausgerichteten Regelinsolvenzverfahren – nicht vermittelbar, wenn auf Verwalter- oder Hinterlegungskonten Deckungsmittel der betrieblichen Altersversorgung länger als unvermeidbar parken und Teile der betrieblichen Versorgungsverpflichtungen deshalb doppelt finanziert werden müssen. Auch angesichts der knappen öffentlichen Kassen widersprächen solche Lock-in-Effekte der gesetzgeberischen Intension, die demografischen Probleme mit Hilfe einer effizienten wie kostengünstigen betrieblichen Altersvorsorge zu lösen. 3.

Nachträgliche Berichtigung der PSVaG-Forderungen

41 Um die von der Insolvenz betroffenen Betriebe und deren Verwalter, in dem ohnehin sehr kurzen Zeitfenster für die Sanierung, nicht mehr als unbedingt nötig zu belasten, meldet der PSVaG seine kapitalisierten Forderungen zunächst auf Basis der vom Unternehmen gemeldeten Summenwerte an. Erst wenn die den jeweiligen Einzelansprüchen zugrunde liegenden Daten beim PSVaG vorliegen, kann damit begonnen werden, die individuellen Rentenansprüche und Anwartschaften dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen bzw. neu zu berechnen.16) Die hierzu erforderlichen Daten hat der Insolvenzverwalter dem PSVaG zeitgerecht mitzuteilen (§ 11 Abs. 3 BetrAVG). 42 Die wesentlichen Basisdaten der Versorgungsberechtigten – wie z. B. Name, Anschrift und Kontoverbindung, die Höhe der Betriebsrente und ggf. der Zeitpunkt der letzten Zahlung – sind meist in der firmeneigenen EDV gespeichert; sie können nach Aufbereitung in eine, für die EDV-Systeme des PSVaG, lesbare Form diesem im Wege des elektronischen Datenträgeraustauschs zugänglich gemacht werden. Die Datenübernahme setzt allerdings voraus, dass die Daten im Unternehmen aktuell sind, da nachträgliche Korrekturen beim PSVaG einen unverhältnismäßig hohen und vor allem zeitraubenden Aufwand nach sich ziehen würden. 43 Die z. B. infolge von Sterbefällen, Adressänderungen oder neuen Rentenanträgen erforderliche Aktualisierung der Daten hat aufgrund seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht der Insolvenzverwalter zu veranlassen. Hierzu ist es zweckmäßig, dass der Insolvenzverwalter möglichst frühzeitig die organisatorischen und technischen Details vor Ort mit den Mitarbeitern festlegt. Insbesondere die Anwartschaftsmeldungen können meist nur von den bislang schon mit der betrieblichen Altersversorgung des Unternehmens befassten Sach___________ 16) Birkenbeul, BetrAV 2006, 227, 228.

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Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz

§ 32

bearbeitern vorgenommen werden. Im eigenen Interesse ist es dem Insolvenzverwalter deshalb anzuraten, dass er diese Mitarbeiter in seiner Abwicklungsmannschaft weiter beschäftigt. Insbesondere bei Großinsolvenzen muss hierfür ein Zeitraum von zwei und mehr Jahren einkalkuliert werden. Erst wenn der Insolvenzverwalter seinen Mitteilungspflichten17) entsprochen hat, kann 44 der PSVaG die einzelnen Ansprüche bzw. Anwartschaften endgültig feststellen und erforderlichenfalls seine Forderungsanmeldung berichtigen. Bis dahin ist dann auch klar, ob überhaupt Aussicht auf die Zahlung einer Quote auf die Insolvenzforderungen besteht. Nur in diesem Falle macht es Sinn, ein versicherungsmathematisches Gutachten zur exakten Festsetzung der Forderung des PSVaG zu erstellen und seine Forderungsanmeldung zu berichtigen. Ansonsten können die erheblichen Kosten für eine interne oder externe Begutachtung gespart werden. Der PSVaG weist hierauf bereits in seiner Forderungsanmeldung auf Meldebogenbasis hin und bittet die Insolvenzverwalter jeweils um entsprechende zeitliche Koordination, damit die Insolvenzverfahren zielgerichtet, zügig und kostengünstig abgewickelt sowie schlussgerechnet werden können. 4.

Zahlungsaufnahme

Einer zielführenden Insolvenzabwicklung wie auch der Vermeidung sozialer Härten für 45 die Versorgungsempfänger dient es, wenn die Betriebsrentenzahlung überhaupt nicht oder nur für kurze Zeit unterbrochen wird. Ansonsten ist das Schlüsselpersonal bei größeren Personenzahlen mehr mit Erklärungen als mit der zu leistenden Arbeit beschäftigt. Nur in seltenen Fällen werden die Betriebsrenten nach der Zahlungseinstellung des Unter- 46 nehmens aufgrund eines Schuldbeitritts oder einer anderweitigen, z. B. versicherungsvertraglichen Verpflichtung von dritter Seite weiterhin ausgezahlt. Angesichts dessen ist der PSVaG üblicherweise bereit, dem Insolvenzverwalter die Betriebsrenten ohne vorherige Einzelfallprüfung zur Auszahlung an die Berechtigten zur Verfügung zu stellen. Eine entsprechende Vereinbarung mit bewährten Mustertexten wird sinnvollerweise schon vor der Verfahrenseröffnung getroffen, damit – ggf. auch rückwirkende – Zahlungen mit Eintritt des Sicherungsfalls unverzüglich auf den Weg gebracht werden können. Ausgeführt wird die Zahlung normalerweise zunächst über Sonderkonten des Insolvenz- 47 verwalters unter Nutzung der personellen und organisatorischen Strukturen des insolventen Arbeitgebers. Nach der Einzelfallbearbeitung werden die Renten dann üblicherweise gegen Einmalbeitrag beim Versicherungskonsortium für den PSVaG versichert und von dort ausgezahlt. Kapitalzahlungen und Abfindungszahlung erbringt der PSVaG hingegen zumeist selbst. 5.

Mitwirkung in vorläufigen Gläubigerausschüssen und Gläubigerbeiräten

Unabhängig von der jeweiligen Fallkonstellation und den verfahrensrechtlichen Be- 48 sonderheiten, empfiehlt es sich bei Unternehmen mit größerer Personenzahl und nennenswerter betrieblicher Altersversorgung, deren Behandlung bereits in der Anfangsphase eines Verfahrens nach den Vorschriften der InsO auf ein zielführendes Gleis zu setzen. Während der PSVaG sich aus ordnungspolitischen und rechtlichen Gründen bei außergerichtlichen Sanierungen tendenziell eher zurückhält, ist er bei gerichtlichen Sanierungen wegen der unvermeidlichen Eintrittspflicht bei entsprechender Betroffenheit regelmäßig von Anfang an zur Mitwirkung bereit. Hierzu entsendet er im Wege der Institutsmitgliedschaft sachkundige und erfahrene Mitglieder in vorläufige Gläubigerbeiräte und Gläubigeraus___________ 17) Dazu Berenz, BetrAV 2006, 225, 227 sowie Berenz in: Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, § 11 Rz. 51 ff.

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schüsse. So hat der PSVaG auch die jüngste Insolvenzrechtsnovelle,18) insbesondere im Hinblick auf eine frühzeitige Gläubigerbeteiligung, ausdrücklich unterstützt und sich bereits an gerichtlichen Anhörungen zur Schlüsselfrage der Verwalterbestellung beteiligt. 49 Im krisenbedingt härter werdenden und zunehmend von Verteilungskämpfen geprägten Umfeld wäre es nicht zu verantworten, die Führungsrolle allein dem Gesellschafterkreis und der Finanzgläubigerschaft zu überlassen, zumal die Grenzen zwischen risikobehaftetem Eigenkapital und besichertem Fremdkapital aufgrund von Finanzinnovationen, wie etwa des Debt Equity Swaps, mehr und mehr verschwimmen. Zu guten Teilen wertlos gewordene und abgeschriebene Finanzforderungen werden sowohl vor Beginn als auch während des Verlaufes von Insolvenz(eröffnungs-)verfahren veräußert und dann zum Nennwert im Verfahren geltend gemacht. Es bilden sich erstaunliche Allianzen im weiten Feld der Interessen vom Hedgefonds bis hin zur Arbeitnehmerschaft. Von daher dient sowohl ein neutraler als auch ein auf die Belange der betrieblichen Altersversorgung ausgerichteter Blick einer ausgewogenen Diskussion in den Gremien der Gläubigerbeteiligung. 50 Richtigerweise kann eine solche Mitwirkung nicht erst dann beginnen, wenn die wesentlichen Personalentscheidungen getroffen sind. Von daher ist der PSVaG an einer, die richterliche Verwalterbestellung womöglich beeinflussenden Mitwirkung der Gläubigerschaft frühzeitig zu beteiligen, auch wenn er selbst noch gar kein Gläubiger ist und das Unternehmen nicht so gut kennen kann wie etwa seine wichtigsten Kreditgeber, Kunden oder Lieferanten. 51 Sofern der betrieblichen Altersversorgung im fraglichen Unternehmen keine oder eine nur weit untergeordnete Bedeutung zukommt, wird der PSVaG auch künftig regelmäßig keine Mitglieder in die Gremien der Gläubigerbeteiligung entsenden. Ebenso wird er es weiterhin mittragen, wenn der Verwalter insbesondere aus Kostengründen in Absprache mit dem Gericht und wesentlichen Gläubigern von der Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses abrät. 52 Ein zwangloser Kontakt zwischen dem Verwalter bzw. dessen Büro und dem PSVaG ist im Übrigen mit Blick auf die in diesem Beitrag bei weitem nicht abschließend beschriebenen Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung und deren effizienter Fortführung bzw. Überleitung auch ansonsten von Nutzen, wenn es z. B. ein Informationsschreiben an die Versorgungsberechtigten zu formulieren gilt. 6.

Kein besonderes Insolvenzantragsrecht

53 Angesichts der Fokussierung auf den gesetzlichen Auftrag und seiner wettbewerbspolitischen Neutralität hat der PSVaG bisher beim Gesetzgeber kein besonderes Insolvenzantragsrecht für den Träger der Insolvenzsicherung eingefordert. Zu rechtfertigen ist diese Haltung solange die Einleitung eines Zwangsverfahrens mit Eingriffen in dem Sozialschutz dienende, betriebliche Versorgungsrechte klar umrissene Insolvenzgründe voraussetzt. Hier auf eine nur rechnerisch gegebene Überschuldung abzustellen, wäre hingegen sehr problematisch. Aus gutem Grunde wird im deutschen Recht bisher zwischen der stille Reserven zulassenden Handelsbilanz und der – diese aufdeckenden – Überschuldungsbilanz unterschieden. 54 Nicht unproblematisch erscheint auch das maßgebliche Abstellen auf eine nur schwer zu verifizierende Fortführungsprognose. Die künftige Geschäftsentwicklung kann man bekanntlich sowohl schön als auch schlecht rechnen. ___________ 18) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I 2011, 2582.

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So wünschenswert es ist, dass konkret von Insolvenz bedrohte Unternehmen frühzeitig 55 eine Sanierung, erforderlichenfalls auch nach den Vorschriften der InsO, einleiten, so gilt es im Interesse einer ausgewogenen Verteilung von Rechten und Pflichten ebenfalls sicherzustellen, dass nicht nur die vom Gesellschafterinteresse maßgeblich gelenkte Unternehmensleitung, sondern auch andere Stakeholder über ein ausgewogenes Bündel an Rechten verfügen kann. Sollte das sog. Schutzschirmverfahren nach ESUG19) zu einem insolvenzfernen Entschul- 56 dungsverfahren weiterentwickelt werden, müsste möglicherweise auch der PSVaG als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung stärkeren Einfluss auf die Geschicke von sanierungsbedürftigen Unternehmen nehmen können, als dies bisher möglich ist. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO sind nur der Schuldner und die Gläubiger antragsberechtigt. 57 Beim PSVaG ergibt sich die Besonderheit, dass er – abgesehen von eventuell bestehenden Beitragsforderungen – erst mit der Verfahrenseröffnung und dem daran angeknüpften Forderungsübergang Gläubiger wird, vorher also kein besonderes Insolvenzantragsrecht hat. Wie alle anderen Gläubiger zum Insolvenzantrag berechtigt ist der PSVaG jedoch dann, 58 wenn er aufgrund eines vorherigen Sicherungsfalles und eines mit seinem Eintritt erfolgten gesetzlichen Übergangs der Ansprüche der Versorgungsberechtigten nach § 9 Abs. 2 BetrAVG bereits eine Gläubigerstellung innehat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der PSVaG einem außergerichtlichen Vergleich zugestimmt hatte. Hat ein Arbeitgeber seine werbende Betriebstätigkeit bereits eingestellt und kommt ein 59 Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht, so kann der PSVaG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 BetrAVG eigeninitiativ den Sicherungsfall feststellen, den Versorgungsberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 BetrAVG seinen Eintritt mitteilen und damit den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 9 Abs. 2 BetrAVG bewirken. Damit wird der PSVaG zum Gläubiger und kann als solcher nach § 13 Abs. 1 InsO Insolvenzantrag stellen, was im Übrigen auch dann gilt, wenn das Mitgliedsunternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine ihm nach dem Betriebsrentengesetz obliegenden Pflichtbeiträge termingerecht an den PSVaG zu entrichten. In solchen Fallkonstellationen ist der Niedergang des schuldnerischen Unternehmens 60 freilich bereits so weit fortgeschritten, dass das beschriebene Instrumentarium letztlich ins Leere läuft und eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens unmöglich ist. Ein ausgewogenes Gegengewicht zu den vorgelagerten Initiativrechten anderer Beteiligter bildet dieses Instrumentarium also nicht. III.

Handlungsoption Insolvenzplan

1.

Allgemeines zum Planverfahren20)

Das Planverfahren bietet als integraler Bestandteil der InsO ein geeignetes und in der 61 Praxis vielfach bewährtes Instrumentarium, um Unternehmen und Unternehmensträger binnen weniger Monate zu sanieren und aus der Insolvenz zu führen. Wie bei einer erfolgreichen übertragenden Sanierung ist dafür jedoch erforderlich, dass der Insolvenzverwalter Zugriff nicht nur auf Unternehmensfragmente hat, sondern über die wesentlichen Bestandteile eines sanierungsfähigen Unternehmens einschließlich seiner Vertragsbeziehungen disponieren kann. Häufig ist das etwa aufgrund grenzüberschreitender Aktivitäten oder ___________ 19) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 – ESUG, BGBl. I 2011, 2582. 20) Vgl. Wohlleben in: FS Wellensiek, S. 691, 693 ff.

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besonderer (Vertrags-)Gestaltungen (z. B. insolvenzbezogener Kündigungsrechte) extrem schwierig; zudem waren bisher die Mitwirkungspflichten der Gesellschafter im Insolvenzverfahren unzureichend. So konnten die nach der veröffentlichten allgemeinen Anschauung ungenügenden Sanierungserfolge des deutschen Insolvenzwesens nicht wirklich verwundern.21) 62 Statistisch betrachtet ist der Anteil der Planverfahren an der Zahl der Unternehmensinsolvenzen immer noch niedrig und zu niedrig, wie manche sagen; im Wege der übertragenden Sanierung werden nach wie vor wesentlich mehr Betriebe aus der Insolvenz geführt als mit einem Insolvenzplan.22) Nach über vierzehnjähriger Anwendung der InsO lässt sich dies nicht mehr damit erklären, dass die Insolvenzpraktiker hierzulande angeblich lieber auf unter der KO Bewährtes zurückgreifen als sich auf Neuland zu wagen. Häufiger wird jetzt angeführt, dass ein Planverfahren mit Blick auf die Marktpositionierung des Unternehmens zu lange dauere und nur die übertragende Sanierung bereits am Tag der Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens vollzogen werden könne. 63 Den lohnenswerten Versuch, bereits am Eröffnungstag einen kombinierten Berichts-, Planerörterungs- und Abstimmungstermin abzuhalten, hat, im auf Vollständigkeit und perfekte Terminabwicklung bedachten Deutschland, noch niemand gewagt. Vermutlich würde er seitens der Insolvenzexperten mit dem gleichen Wohlwollen und ähnlich großer Unterstützung begleitet, wie die ersten Insolvenzpläne nach der überfälligen Ablösung des unbefriedigend gespaltenen alten Rechts der KO, der VerglO und der GesO. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Gesellschafter ihre formal fortbestehende Rechtsposition nicht derart hemmungslos zu Geld machen wollen, wie sie dies in einigen der ersten Planverfahren getan haben. 64 Seine Stärken kann das Planverfahren voll zur Geltung bringen, wenn die operative Sanierung des Unternehmens bereits vor der Insolvenz auf den Weg gebracht wurde und seine Aufspaltung oder aber die Abspaltung kranker Teile nicht (mehr) erforderlich ist. Die bei der übertragenden Sanierung erforderliche Einzelübertragung aller Vermögenswerte und relevanten Vertragsbeziehungen kann im Planverfahren unterbleiben, was besonders für Großunternehmen und bei bestehenden Übertragungshemmnissen bedeutsam ist. 65 Andererseits muss der Plan alle Rechtsgestaltungen und Abwicklungsthemen zumindest in Rahmenregelungen umfassen sowie hinreichend konkretisieren, weil mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens dessen Privilegien für Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner wieder entfallen. Bei der übertragenden Sanierung können sich der Verwalter und sein Team hingegen zunächst auf die Realisierung der Fortführungslösung konzentrieren und die meisten anderen arbeitsaufwendigen Themen wie etwa Anfechtungsfragen, Abrechnung und Berichterstattung auf später vertagen. 2.

Betriebliche Altersversorgung im Plan

66 In der fallbezogenen Behandlung der betrieblichen Altersversorgung liegt eine der wenigen großen Gestaltungschancen, die das durch das Abstraktionsprinzip geprägte deut-

___________ 21) Zur Versachlichung beigetragen hat eine gemeinsame Tagung des BMWi und des BMJ am 8.6.2010 in Berlin, vgl. Sanierung im Vorfeld von Insolvenzverfahren – Vorträge der gemeinsamen Tagung des BMWi und des BMJ, WM 2010, 1337 ff. 22) Laut Kranzusch, WM 2010, 1338 m. w. N., in NRW in den untersuchten Jahren rd. 11 % der Unternehmen gegenüber rd. 2 % mit Insolvenzplan.

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§ 32

sche Zivil- und Verfahrensrecht für insolvenzbedrohte Unternehmen eröffnet.23) Diese Chance verständig zu ergreifen, zählt zu den vornehmsten Aufgaben sowohl der Sanierungsberater als auch der Insolvenzverwalter notleidender Unternehmen. 2.1

Arbeitsrechtliche Ausgangslage

Aufgrund der Vorschriften des Betriebsrentengesetzes und der hierzu ergangenen Recht- 67 sprechung des BAG ist ein Eingriff in erteilte Versorgungszusagen nur unter strengen Voraussetzungen und in aller Regel ausschließlich zukunftsbezogen möglich.24) Hierbei sind weitgehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats25) hinsichtlich der betrieblichen Lohngestaltung sowie der Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen zu beachten. Die arbeitgeberseitig mögliche Schließung des Versorgungswerks betrifft nur danach ins Arbeitsverhältnis eintretende Personen. Das sog. Einfrieren der Versorgung erfasst nur künftige Zuwächse. In laufende Versorgungsleistungen und erdiente Besitzstände kann in aller Regel überhaupt nicht eingegriffen werden. 2.2

Finanzwirtschaftliche Auswirkungen

Die künftigen Zahlungsströme aus dem Versorgungswerk sind auf Jahre hinaus festgelegt 68 und können den Geschäftsbetrieb erheblich beeinträchtigen. Die Deckungsmittel für die betriebliche Altersversorgung sind direkt im Betrieb oder bei einem sonstigen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Pensionskasse, Pensionsfonds, Versicherungsunternehmen) gebunden. Die Versorgungsberechtigten können gleichwohl ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen und aufgrund der Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG letztlich in das Unternehmensvermögen vollstrecken. Neben den liquiditätsmäßigen sind auch noch die bilanziellen und die Auswirkungen auf die Ertragsrechnung beträchtlich. Im Regelinsolvenzverfahren hat der PSVaG die auf ihn nach § 9 BetrAVG übergehenden 69 Rechte mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann.26) Aufgrund der Kapitalisierung zementieren sich diese am Insolvenzstichtag zum Vollrecht, das es bei herkömmlicher Abwicklung durch Quotenzahlungen vom Insolvenzverwalter zu befriedigen gilt. Eine wirtschaftlich sinnvolle und damit auch schuldnerfreundliche Modifikation der Versorgungsansprüche und Anwartschaften ist dort nicht mehr möglich. Dies bedingt, dass auch das schuldnerische Aktivvermögen verwertet und sein Gegenwert dem Unternehmen zwecks ordnungsgemäßer Gläubigerbefriedigung entzogen werden muss. Eine Fortführung sowohl des Betriebes als auch des Versorgungswerks wird dadurch erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. Anders beim Insolvenzplan: Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten 70 die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein.27) Die Vertragsbeziehungen des Unternehmens müssen nicht entweder gekappt oder unverändert fortgeführt, sondern können umgestaltet werden. Anfechtungsthemen müssen nicht vor ___________ 23) Die Überhöhung der gesellschaftsrechtlichen Eignerstellung wurde inmitten der Finanzkrise bei der HRE auf die Spitze getrieben, Covenants unterwandern die Verlässlichkeit der Kreditbeziehungen, die Besicherungspraxis erfasst beinahe alles, was werthaltig ist, Vertragsnetze erschweren die Ausübung der dem Insolvenzverwalter in der InsO eingeräumten Rechte (sog. Ringfencing). 24) Hierzu kompakt Kemper in: Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber, BetrAVG, § 1 Rz. 340 ff. m. w. N. 25) § 87 Abs. 1 Nr. 8 und 11 BetrVG. 26) Gemäß dem unter Rz. 35 ff. erläuterten § 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 45 InsO gilt dies auch für Versorgungsanwartschaften, die erst Jahre später mit Eintritt eines biometrischen Ereignisses (Invalidität, Erreichen der Altersgrenze, Tod) zu einem Vollrecht erstarken. 27) § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO.

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Teil III Einzelfragen

Gericht ausgefochten, sondern können in eine interessensgerechte Plangestaltung eingebettet werden. 71 Für die betriebliche Altersversorgung, auf die sich dieser Beitrag konzentrieren soll, eröffnet das einen Strauß von Lösungswegen zu einer situationsbezogenen Wahrung der Interessen aller Beteiligten. Dem Missverständnis einer formalistischen Gläubigergleichbehandlung hat der Gesetzgeber insoweit in § 7 Abs. 4 BetrAVG explizit mehrere Riegel vorgeschoben. Von daher erübrigen sich auch Diskussionen mit dem Tenor, dass der PSVaG nicht anders als andere Insolvenzgläubiger behandelt werden dürfe. Eine solche vereinfachende Betrachtung verbietet sich schon deshalb, weil es nicht nur um die Befriedigung des Gläubigers PSVaG, sondern in erster Linie um eine wettbewerbs- und sozialpolitisch angemessene Behandlung betrieblicher Versorgungswerke in der Insolvenz geht. 2.3

Ordnungspolitische Einordnung

72 Eine Unternehmenssanierung durch eine schlichte Befreiung des Unternehmensträgers von Versorgungsverpflichtungen widerspräche nicht nur dem Sozialschutzgedanken, sondern auch der Wettbewerbsgerechtigkeit.28) Richtigerweise können weder den Betriebsrentnern und den Anwärtern auf betriebliche Versorgungsleistungen noch den wettbewerbsfähigen Mitgliedsunternehmen des PSVaG die Folgen des unternehmerischen Misserfolgs der Insolvenzschuldnerin vollumfänglich angelastet werden. Im Sinne eines wohlverstandenen Interessenausgleichs muss stets auch der sanierungsbedürftige Betrieb in angemessener Weise zur Fortführung seiner eigenen betrieblichen Altersversorgung beitragen, wenn er künftig werbend tätig sein und innerhalb unserer sozialen Marktwirtschaft an den sich hier bietenden Wettbewerbschancen teilhaben möchte. 3.

Aufteilungsmöglichkeiten im Plan

73 Ein sowohl der marktwirtschaftlichen Ordnung als auch dem Sozialstaatsgedanken entsprechender Interessenausgleich lässt sich am besten durch eine Aufteilung der Lasten herstellen. Zudem lassen sich dadurch unerwünschte Doppelungseffekte in der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung vermeiden. Über die Jahre hat die Praxis eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Aufteilung der gesetzlichen Versorgungslast29) zwischen dem insolvenzschuldnerischen Unternehmen und den im PSVaG zusammengeschlossenen Mitgliedsunternehmen entwickelt und umgesetzt, die nachfolgend ohne Anspruch auf Vollständigkeit wiedergegeben und mitunter auch kombiniert werden können.30) 3.1

Quotale Aufteilung

74 Abgeleitet von dem Gedanken einer quotalen Gläubigerbefriedigung kann sich das schuldnerische Unternehmen an allen gesetzlich insolvenzgeschützten Leistungen mit einem im Insolvenzplan festgelegten Prozentsatz beteiligen. Hierdurch werden die Chancen und die Risiken aus dem betrieblichen Versorgungswerk in demselben Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem PSVaG aufgeteilt. Es werden ein dauerhafter Interessengleichlauf und periodengerechte Dämpfungseffekte für beide erreicht. Allerdings müssen dann alle Versorgungsverpflichtungen sowohl vom Arbeitgeber als auch vom PSVaG dauerhaft ___________ 28) Ausführlicher zur Sozialschutzfunktion sowie zu gesellschafts- und ordnungspolitischen Aspekten der Insolvenzsicherung Wohlleben in: FS Gerke, S. 333, 344 ff. 29) Die aktive und die frühere Belegschaft des insolventen Unternehmens haben nach der gesetzlichen Risikoverteilung des BetrAVG u. U. die Schließung bzw. das Einfrieren des Versorgungswerks sowie den Wegfall von Anpassungen der Versorgungsleistungen an Preis- und Entgelttrends hinzunehmen. 30) Ausführlicher hierzu Bremer, DB 2011, 875 ff.

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§ 32

verwaltet werden. Die Versorgungsberechtigten erhalten ihre Leistungen in zwei Teilen oder es muss eine Erstattung von Leistungsteilen organisiert werden. 3.2

Aufteilung nach Personenkreisen

Nicht nur unter Verwaltungsaspekten wird häufig eine Aufteilung nach Personenkreisen 75 vorgenommen. Sie ist regelmäßig auch durch finanzwirtschaftliche Überlegungen beeinflusst. So trägt etwa die Bedienung der Rentner durch den PSVaG überproportional zur Schonung der Liquidität des schuldnerischen Unternehmens in den ersten Jahren nach der Insolvenz bei. Nach vollständiger Bewältigung der Krise kann dann der Betrieb die später fällig werdenden Anwartschaftsrechte insgesamt bedienen. Hierbei treffen den PSVaG jedoch erhöhte Risiken aus einer eventuellen Folgeinsolvenz, die es bei der Aufteilung durch angemessene Risikozuschläge besonders zu berücksichtigen gilt. 3.3

Aufteilung nach Durchführungsweg oder Rechtsgrundlage

Aufgrund des gesetzlichen Übergangs von Unterstützungskassenvermögen31) auf den 76 PSVaG bereits bei Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens kann es sich empfehlen, dass der Träger der Insolvenzsicherung die Leistung nach dem Leistungsplan der Unterstützungskasse insgesamt erbringt und die Verpflichtungen aus anderen Durchführungswegen (unmittelbare Versorgungszusagen, Pensionsfondszusagen) durch den Insolvenzplan allein dem schuldnerischen Unternehmen auferlegt werden. Auch kann es sich anbieten, dass der PSVaG den auslaufenden Bestand aus einer alten 77 Versorgungsordnung insgesamt übernimmt, während die Zusagen aus einer neueren Versorgungsordnung dem schuldnerischen Unternehmen zugewiesen werden, weil diese vor allem die weiterhin im Betrieb tätigen Mitarbeiter betreffen. Schließlich kann es sich empfehlen, an das Management gegebene Einzelzusagen aus- 78 schließlich dem Unternehmen zuzuordnen, um hierdurch einen zusätzlichen Leistungsanreiz für das Management zu schaffen. Andererseits kann die Realisierung des Risikos aus einer hohen Einzelzusage (Invalidität, Aktiventod) kleinere Unternehmen überfordern und deshalb dort eher die Fortführung der weniger risikoträchtigen allgemeinen Versorgungsordnung durch die Insolvenzschuldnerin angezeigt sein. 3.4

Aufteilung nach vertraglicher Absicherung

Häufiger als früher ist mittlerweile zumindest ein Teil der Versorgungszusagen durch 79 Rückdeckungsversicherungen, Grundpfandrechte oder (künftige) Ansprüche gegen einen Treuhänder i. R. eines sog. Contractual Trust Arrangements (CTA) oder sonstige Schuldbeitretende (Betriebsveräußerer) abgesichert. Derartige Sicherungen unterliegen regelmäßig diversen Bedingungen, deren Eintritt erst in der Zukunft liegt und/oder vom PSVaG kaum beeinflusst werden kann. Auch ist es nicht unüblich, dass das Sicherungsgut betriebsnotwendige Vermögensteile umfasst. Im Sinne einer effizienten Verwaltung und optimalen Nutzung des Sicherungsgutes kann es sich empfehlen, dass gesicherte Versorgungen im Insolvenzplan dem schuldnerischen Unternehmen und gänzlich ungesicherte Versorgungsverpflichtungen dem PSVaG zugewiesen werden.

___________ 31) Vgl. die obigen Ausführungen unter Rz. 27 ff. § 9 Abs. 3 BetrAVG mit den Besonderheiten bei Gruppenunterstützungskassen.

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§ 32 3.5

Teil III Einzelfragen Zeitliche Aufteilung

80 Bei einem eher temporären Sanierungsbedarf oder einem durch Fremdeinflüsse ausgelösten Einbruch des Geschäfts mit klar erkennbaren Aufwärtstendenzen sind Leistungen des PSVaG bis zu einem, im Plan näher bestimmten Zeitpunkt in Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 3 BetrAVG das Mittel der Wahl. Der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Insolvenzschuldnerin in die Versorgungsverpflichtungen kann angelehnt an die Beiträge anderer Gläubigergruppen bereits bei Planerstellung kalendarisch festgelegt oder aber von der weiteren Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens abhängig gemacht werden. Wichtig ist in letzterem Falle eine klar definierte Bezugsgröße, um späteren Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt des Wiedereintritts des Arbeitgebers in die Versorgungsverpflichtungen vorzubeugen. Dabei gilt es Unwägbarkeiten, wie etwa einen späteren Verkauf des Unternehmens oder von relevanten Teilen, in die Überlegungen einzubeziehen. 3.6

Entgeltumwandlung

81 Einen besonderen Arbeitnehmerbezug haben regelmäßig die Zusagen aufgrund der Umwandlung von Ansprüchen auf Barentgelt in betriebliche Altersversorgung, auf die die Arbeitnehmer seit dem 1.1.2002 einen Rechtsanspruch haben.32) Diese Zusagen werden typischerweise durch Versicherungsverträge oder Fondsprodukte ausgefüllt, die sich gar nicht oder nur unter Inkaufnahme beträchtlicher Nachteile vorzeitig auflösen lassen. Solche Verträge und die damit getätigten Kapitalanlagen sind regelmäßig an den Bedürfnissen des Unternehmens und/oder der einzelnen Versorgungsberechtigten ausgerichtet. Sie lassen sich deshalb in sinnvoller Weise auch nicht auf den PSVaG überführen. 82 Jedenfalls die Zusagen aufgrund sog. Entgeltumwandlung sollten möglichst auch nach der Insolvenz fortgeführt und nach sorgfältiger Überprüfung mit weiteren steuerbegünstigten oder staatlich geförderten Beiträgen bedacht werden, am besten aufgrund einer entsprechenden Regelung im Insolvenzplan. Denn der PSVaG kann regelmäßig weder Zahlungen an die Produktanbieter leisten noch die Finanzverträge den Arbeitnehmern zur Fortführung übergeben.33) IV.

Zusammenfassung

83 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine frühzeitige wie sachkundige Einbeziehung der betrieblichen Altersversorgung in die Sanierungsüberlegungen beste Chancen für eine interessensgerechte Fortführung sowohl des insolvenzbetroffenen Unternehmens als auch des betrieblichen Versorgungswerkes eröffnet. Der PSVaG unterstützt dies mit seiner Fachkompetenz und wirkt konstruktiv in den Gremien der Gläubigerbeteiligung mit.

___________ 32) § 1a BetrAVG, eingefügt durch das Altersvermögensgesetz, Gesetz v. 26.6.2001 – AVmG, BGBl. I 2001, 1310 (s. o. unter Rz. 11). 33) Der PSVaG hat nach § 7 BetrAVG selbst zu leisten und kann sich von dieser Pflicht nur in den strengen (Abfindungs-)Grenzen des § 8 BetrAVG befreien, die es ggf. zu erweitern gilt, vgl. Wohlleben, BetrAV 2011, 232.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

§ 33 Interne und externe Rechnungslegung, Steuern Übersicht I. II. 1. 2. 3. III. IV.

Einleitung ................................................... 1 Handelsrechtliche Rechnungslegung....... 5 Gegenstand der Rechnungslegung .............. 6 Zeiträume der Rechnungslegung............... 19 Übergang auf den Insolvenzverwalter ...... 24 Offenlegung von Jahresabschlüssen ....... 31 Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren .................................................... 37 V. Steuerrechtliche Buchführungspflicht ......................................................... 46 VI. Steuern ....................................................... 58 1. Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, des (vorläufigen) Sachwalters und des Treuhänders ..................... 58 1.1 Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ........................ 58 1.2 Stellung des vorläufigen Sachwalters.............................................. 62 1.3 Stellung des Insolvenzverwalters.............................................. 64 1.4 Stellung des Sachwalters ................. 65 1.5 Stellung des Treuhänders................ 68 2. Steuerliche Nebenleistungen, Haftung und Auskunft ............................................. 69 2.1 Zinsen .............................................. 69 2.2 Säumnis- und Verspätungszuschläge ......................................... 71 2.3 Vollstreckungskosten ..................... 74 2.4 Zwangs- und Ordnungsgelder ....... 75 2.5 Geldbußen und Geldstrafen........... 77 2.6 Haftung des Insolvenzverwalters.............................................. 79 2.7 Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters ........................ 84 3. Ertragsteuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer) ................................... 89 3.1 Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten

4.

5.

6.

und insolvenzfreie Verbindlichkeiten ......................................... 90 3.2 Zinsabschlag und Kapitalertragsteuer.................................... 102 3.3 Besonderheiten bei der Besteuerung von Sanierungsgewinnen ..... 110 3.4 Bauabzugsteuer ............................. 114 Umsatzsteuer ........................................... 120 4.1 Unternehmen und Unternehmer........................................... 121 4.2 Steuerbefreiungen und Verzicht auf Steuerbefreiungen ................... 131 4.3 Steuer ............................................. 135 4.4 Vorsteuer und Vorsteuerberichtigung .................................. 139 4.4.1 Vorsteuer ....................................... 139 4.4.2 Vorsteuerberichtigung.................. 147 4.5 Besteuerung................................... 158 Gewerbesteuer.......................................... 166 5.1 Grundlagen.................................... 166 5.2 Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten ......................... 171 5.3 Gewerbeertrag in der Insolvenz... 174 5.4 Erlass von Gewerbesteuerverbindlichkeiten .......................... 179 5.5 Aufrechnung durch die Gemeinde ...................................... 181 Kraftfahrzeugsteuer ................................. 182 6.1 Grundlagen.................................... 182 6.2 Nutzung oder Neuanmeldung des Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter........................ 185 6.3 Veräußerung eines Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter ...... 187 6.4 Behandlung insolvenzfreier Fahrzeuge ...................................... 190

Literatur: Albrecht/Stein, Die Verantwortlichkeiten von Insolvenzverwalter und Organen einer insolventen börsennotierten Aktiengesellschaft – Teil I, ZInsO 2009, 1886, Teil II, ZInsO 2009, 1939; App, Prüfung von Gewerbesteuer und Grundsteuer im Insolvenzfall, KKZ 2009, 25; App, Handelsrechtliche, steuerrechtliche und insolvenzrechtliche Rechnungslegungspflichten eines insolventen Unternehmens, StW 2005, 139; Beuthien, Wer hat insolvente Genossenschaften zu prüfen?, Anm. zu OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.3.2010 – 7 Wx 6/09, ZIP 2011, 93; Blank, Kein Ordnungsgeld gegen insolvente Kapitalgesellschaft wegen Verstoßes gegen Offenlegung des Jahresabschlusses bei insolvenzfreiem Vermögen – §§ 325, 335 HGB, ZInsO 2009, 2186; Brete, Streitschrift gegen die Offenlegungspflicht von Jahresabschlüssen, GmbHR 2009, 617; Buchheim, Die Publizität der Kapitalgesellschaften & Co. nach dem EHUG, DB 2010, 1133; Busch/App, Behandlung der Kraftfahrzeugsteuer im Insolvenzverfahren und im Insolvenzeröffnungsverfahren, SVR 2010, 166; von Buttlar, Kapitalmarktrechtliche Pflichten in der Insolvenz, BB 2010, 1355; Casse, Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit? – Klarheit durch den BFH, ZInsO 2011, 2309; Dietrich, Die bilanzrechtliche Offen-

Schmittmann

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

legungspflicht, NJ 2010, 108; Dobler, Masseverbindlichkeit aus Forderungseinzug – Sorgt das BMFSchreiben vom 9.12.2011 für Klarheit?, ZInsO 2012, 208; Eisolt/Schmidt, Praxisfragen der externen Rechnungslegung in der Insolvenz, BB 2009, 654; Fischer-Böhnlein/Körner, Rechnungslegung von Kapitalgesellschaften im Insolvenzverfahren, BB 2001, 191; Förster, Steuererklärungspflicht bei Masseunzulänglichkeit führt zur Einstellung mangels Masse!, ZInsO 2000, 444; Gerbers, Sanierungsgewinn versus Realisierung stiller Reserven im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, ZInsO 2006, 633; Groß/Amen, Going-Concern-Prognosen im Insolvenzund im Bilanzrecht, DB 2005, 1861; Haarmeyer/Hillebrand, Insolvenzrechnungslegung, ZInsO 2010, 412; Hancke/Schildt, Externe Rechnungslegung in der Insolvenz: Eine Kritik an dem Rechnungslegungshinweis des IDW zu § 155 I 1 InsO, NZI 2011, 527; Heni, Zur Frage der Erhebung eines Ordnungsgeldes gegen den Insolvenzverwalter wegen Verstoßes gegen Offenlegungsvorschriften, ZInsO 2009, 510; Heni, Rechnungslegung im Insolvenzverfahren – Zahlenfriedhöfe auf Kosten der Gläubiger?, ZInsO 1999, 609; Heni, Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, WPg 1990, 369; Henselmann/Kaya, Empirische Analyse des Offenlegungszeitpunkts von Jahresabschlüssen nach dem EHUG, Wpg 2009, 497; Holzer, Die Offenlegung der Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ZVI 2007, 401; Hölzle, Umsatzsteuerliche Organschaft und Insolvenz der Organgesellschaft, DStR 2006, 1210; Janca, Steuererklärungspflichten ohne (Buchführungs-)Unterlagen? – Erste Schritte, ZInsO 2002, 715; Jesse, Anzeige- und Berichtigungspflichten nach § 153 AO, BB 2011, 1431; Kahlert, Umsatzsteuerliche Behandlung der Einschaltung eines Kassenprüfers im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 2439; Kahlert, Zur Dogmatik der Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren, DStR 2011, 1973; Kind/Frank/Heinrich, Die Pflicht zur Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht nach § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB in der Insolvenz, NZI 2006, 205; Klasmeyer/Kübler, Buchführungspflichten, Bilanzierungspflichten und Steuererklärungspflichten des Konkursverwalters sowie Sanktionen im Fall ihrer Verletzung, BB 1978, 369; Klerx, Ersetzung des bestellten Abschlussprüfers durch den Insolvenzverwalter, NZG 2003, 943; Köchling, Mitwirkung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern im Insolvenzverfahren, BuW 2002, 160; König, Gesonderte oder harmonisierte Rechnungslegung des Konkursverwalters im Unternehmenskonkurs?, ZIP 1988, 1003; Kunz/Mundt, Rechnungslegung in der Insolvenz, Teil I, DStR 1997, 620, Teil II, DStR 1997, 664; Lemken, Folgen der Beendigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft durch Insolvenz, InsbürO 2012, 417; Lorenz, Die steuerlichen Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters, StW 2003, 164; Lüdenbach, Ordnungsgeldverfahren wegen nicht fristgerechter Offenlegung, StuB 2010, 468; Maus, Offenlegungspflichten des Insolvenzverwalters nach dem Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG), ZInsO 2008, 5; Misoch/Schmittmann, Das Auskunftsverfahren nach dem. Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, VR 2012, 181; Niethammer, Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, Wpg 1990, 202; Pink/Fluhme, Handelsrechtliche Offenlegungspflichten des Insolvenzverwalters und Sanktionsmaßnahmen bei deren Verletzung, ZInsO 2008, 817; Reck, Rechnungslegung des Insolvenzverwalters, BuW 2003, 837; Schacht, Erneute Stärkung der Fiskusvorrechte im Insolvenzverfahren durch den BFH?, ZInsO 2011, 1787; Scheibner, Pflichtprüfung auch der durch Insolvenz aufgelösten Genossenschaft?, DZWIR 2010, 446; Scherrer/Heni, Externe Rechnungslegung bei Liquidation, DStR 1992, 797; Schlauß, Neues Ordnungsgeldverfahren wegen Verletzung von Jahresabschluss-Publizitätspflichten: Erste Erfahrungen und Praxistipps aus dem Bundesamt für Justiz, BB 2008, 938; Schlauß, Ein Jahr Erfahrungen mit den neuen Jahresabschlusspublizitätspflichten, DB 2008, 2831; Schlauß, Das neue Ordnungsgeldverfahren bei Verletzung der Publizitätspflicht, DB 2007, 2191; Schmidt, K., Liquidationsbilanzen und Konkursbilanzen, 1993; Schmidtberger, FG Greifswald – oder das Ende der Zwangsverwaltung?, ZfIR 2011, 786; Schmitt/Möhlmann-Mahlau, Die Insolvenzeröffnungsbilanz und ihre Bedeutung für die Weiterführung und Sanierung der Insolvenzschuldnerin, NZI 2007, 703; Schmittmann, Handels- und steuerrechtliche Pflichten in der Insolvenz und ihre Durchsetzung, StuB 2013, 67; Schmittmann, Umsatzsteuer, Aufrechnung und Insolvenz in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, StuB 2012, 874; Schmittmann, Einkommensteuerliche Problemstellungen in und nach der Insolvenz des Steuerpflichtigen, StuB 2012, 404; Schmittmann, Das Bundesfinanzministerium, der V. Senat des BFH und die Umsatzsteuer in der Insolvenz, ZIP 2012, 249; Schmittmann, Praktische Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung zum Informationsfreiheitsrecht, InsbürO 2012, 246; Schmittmann, Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren zwischen BMF und BFH StuB 2012, 237; Schmittmann, Umsatzsteuer aus Einzug von Altforderungen nach Insolvenzeröffnung. Zugleich Besprechung BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782, ZIP 2011, 1125; Schmittmann, Vorsteuer aus Verwaltervergütung, InsbürO 2011, 224; Schmittmann, Restschuldbefreiung: Verhinderungsstrategien der öffentlich-rechtlichen Gläubiger, VR 2011, 73; Schmittmann, Rechtsprechungsüberblick: Offenlegung und Ordnungsgeld, StuB 2009, 543; Schmittmann, Turnaround durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und Besteuerung von Sanierungsgewinnen, in: Krisen im Aufschwung, hrsg. v. Heinrich, 2009, S. 83; Schmittmann, Neues zu Glücksspiel, KSt-Guthaben und Offenlegung von Jahresabschlüssen, StuB 2008, 691; Schmittmann, EHUG und Offenlegung in der Insolvenz, StuB 2008, 289; Schmittmann, Organschaft in der Insolvenz und Umsatzsteuer, InsbürO 2007, 265; Schmittmann, Gefahren für die Organschaft in der Insolvenz, ZSteu 2007, 191; Schmittmann, Rechnungsanforderungen im Insolvenzverfahren, InsbürO 2006, 383; Schmittmann, Steuerberatungskosten im Insolvenzverfahren, InsbürO

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

2005, 288; Schmittmann, Strafrechtliche Risiken in der Steuerberatung bei Insolvenznähe, ZSteu 2004, 308; Schmittmann, Offenlegungspflichten einer GmbH & Co. KG, StuB 2004, 1063; Schmittmann, Steuerpflichtiger Sanierungsgewinn bei Restschuldbefreiung und Insolvenzplan?, ZInsO 2003, 505; Schmittmann/Böing, Die Auskunft, der Rechtsweg und das Geheimnis – neue Erkenntnisse zu Auskunftsansprüchen gegenüber Sozialversicherungsträgern und Finanzverwaltung, InsbürO 2010, 15; Schmittmann/Böing, Umgang mit dem elektronischen Handelsregister, VR 2008, 1; Schmittmann/ Brandau/Stroh, Umsatzsteuerliche Haftungsrisiken des Zwangsverwalters, IGZInfo 2012, 3; Schmittmann/Kupka, Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters gegen potentielle Anfechtungsgegner unter besonderer Berücksichtigung von Auskunftsansprüchen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gegen Sozialversicherungsträger, InsbürO 2009, 83; Sikora/Schwab, Das EHUG in der notariellen Praxis, Mitteilung der Bayerischen Notarkammer 2007, 1; Stephan, Steuererklärung und Null-MassenInsolvenz, ZVI 2002, 187; Stollenwerk/Kurpat, BB-Rechtsprechungsreport zum Ordnungsgeldverfahren nach dem EHUG, BB 2009, 150; Trinks, Die Eingliederung der umsatzsteuerlichen Organgesellschaft und ihr Bestand im Insolvenzfall, UVR 2010, 12; Trottner, Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO, NWB 2012, 920; Uhländer, Erlass der Einkommensteuer auf den Sanierungsgewinn, ZInsO 2005, 76; Uhländer, Steuerliche Mitwirkungspflichten des Insolvenzverwalters, AO-StB 2003, 279; Undritz/Zak/Vogel, Offenlegungspflichten nach dem EHUG – Anwendungsprobleme in der Insolvenz, DZWIR 2008, 353; Wehner, Der Sanierungserlass des BMF vom 27.3.2003 – Ein Verstoß gegen EU-Beihilferecht?, NZI 2012, 537; Weisang, Zur Rechnungslegung nach der neuen Insolvenzordnung, BB 1998, 1149; Weiß, Zulässigkeit der Verwendung des offengelegten Jahresabschlusses einer GmbH im Strafverfahren gegen ihre Geschäftsführer?, DB 2010, 1744; Weitzmann, Insolvenzverwalter kein Adressat von Offenlegungspflichten, ZInsO 2008, 662; Weitzmann, Rechnungslegung und Schlussrechnungsprüfung, ZInsO 2007, 449; Wellensiek, Die Berichterstattung im neuen Insolvenzverfahren, ZHR 1999 (163), 717; Welte/Friedrich-Vache, Masseverbindlichkeit bei Entgeltvereinnahmung für vorinsolvenzlich ausgeführte Leistungen: Chancen und Risiken der geänderten Rechtsprechung des BFH, ZIP 2011, 1595; Weyand, Sanktionen bei Verletzung der Publizitätspflicht nach dem EHUG, StuB 2007, 935; Wienberg/Voigt, Aufwendungen für Steuerberatungskosten bei masseunzulänglichen Insolvenzverfahren als Auslagen des Verwalters gemäß § 54 Nr. 2 InsO, ZIP 1999, 1662.

I.

Einleitung

Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht vor, dass die handels- und steuerrecht- 1 lichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt bleiben. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO zu erfüllen. Die insolvenzrechtliche, handelsrechtliche und steuerrechtliche Rechnungslegung ist streng 2 zu differenzieren.1) Schon der Konkursverwalter war verpflichtet, unter Beachtung der Grundsätze ordnungs- 3 gemäßer Buchführung Bücher zu führen und Jahresabschlüsse zu erstellen,2) obgleich die KO keine der Regelung des § 155 InsO vergleichbare Norm kannte.3) Der Insolvenzverwalter ist sowohl zur internen Rechnungslegung nach der InsO verpflichtet als auch zur Erfüllung der allgemeinen Rechnungslegungspflichten des Schuldners nach außen.4) Da die Rechnungslegung der Aggregation und Bereitstellung von zweckorientiertem Wissen 4 dient,5) gibt die Buchführung dem Insolvenzverwalter wichtige Informationen für die Fortführung des schuldnerischen Betriebs.6)

___________ 1) So auch Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 921; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 1. 2) So RFH, Urt. v. 22.6.1938 – VI 687/37, RStBl. 1938, 669. 3) So Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 1. 4) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 4; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 3. 5) So Weitzmann in: HambKomm-InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 2. 6) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 9.

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§ 33 II.

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Handelsrechtliche Rechnungslegung

5 Im Fall der Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter x

den Gegenstand der Rechnungslegung zu bestimmen sowie

x

die Zeiträume der Rechnungslegung zu definieren.

1.

Gegenstand der Rechnungslegung

6 Die Regelung des § 155 Abs. 1 InsO begründet keine eigenständige Verpflichtung zur Rechnungslegung, sondern setzt eine solche voraus. Es ist also zu prüfen, ob der Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung zur handelsrechtlichen Rechnungslegung verpflichtet war. Gemäß §§ 238 ff. HGB unterliegen der handelsrechtlichen Buchführungspflicht nur Kaufleute nach §§ 1 und 6 HGB. 7 Der Kaufmannsbegriff umfasst auch Dienstleistungsunternehmen, nicht aber Freiberufler, also insbesondere Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Architekten. Diese betreiben ungeachtet der Größe ihres Unternehmens kein Handelsgewerbe.7) 8 Bei Kapitalgesellschaften ergibt sich die Kaufmannseigenschaft aus § 6 Abs. 2 HGB sowie den Einzelgesetzen. Die Auflösung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) beendet die Kaufmannseigenschaft nicht. Sie endet erst durch Vermögenslosigkeit und Löschung im Handelsregister.8) Genossenschaften gelten gemäß § 17 Abs. 2 GenG als Kaufleute i. S. des HGB. 9 Die handelsrechtlichen Buchführungspflichten resultieren beim Einzelkaufmann aus der Kaufmannseigenschaft.9) 10 Nach Einstellung des Geschäftsbetriebs besteht die Buchführungspflicht nicht fort.10) Die Masseverwertung durch den Insolvenzverwalter ist Vermögensverwaltung und kein Handelsgewerbe.11) 11 Im Falle der Betriebsfortführung besteht das Handelsgewerbe weiter, so dass auch die Verpflichtung zur handelsrechtlichen Rechnungslegung fortbesteht. 12 Bei Personenhandelsgesellschaften ist der Betrieb eines Handelsgewerbes nicht erforderlich. Für die Kaufmannseigenschaft reicht die Eintragung in das Handelsregister aus (§ 105 Abs. 2 Satz 1 HGB). 13 Die handelsrechtliche Rechnungslegung umfasst x

die Führung der Handelsbücher (§ 239 HGB) und

x

die Erstellung einer Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres (§ 242 HGB).

14 Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften i. S. von § 264a HGB haben daneben den Jahresabschluss grundsätzlich um einen Anhang zu erweitern sowie einen Lagebericht zu erstellen (§ 264 HGB). Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB brauchen kleine Kapitalgesellschaften den Lagebericht nicht aufzustellen.12) ___________ 7) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 14 f.; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 11; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 4. 8) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 11; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 14; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 4. 9) So Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 11; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 7. 10) So OLG Celle, Beschl. v. 31.7.1968 – 1 Ws 37/68, NJW 1968, 2119, 2120. 11) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 9; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 7. 12) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 942; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 9; Schmittmann, StuB 2013, 67.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

Der Jahresabschluss muss gemäß § 243 Abs. 2 HGB klar und übersichtlich sein. Grund- 15 sätzlich ist gemäß § 243 Abs. 3 HGB der Jahresabschluss innerhalb der, einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufzustellen. Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften sind gemäß § 264 Abs. 1 Satz 2 HGB verpflichtet, den Jahresabschluss und den Lagebericht in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen. Lediglich kleine Kapitalgesellschaften dürfen den Jahresabschluss später aufstellen, wenn dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht, jedoch innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres (§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB). Die Sechs-Monats-Frist, die grundsätzlich auch für Einzelkaufleute und Personenhandels- 16 gesellschaften gilt,13) ist weder durch das Bundesamt für Justiz noch die Finanzverwaltung verlängerbar.14) Die Bilanzierung erfolgt nach Verfahrenseröffnung nach den allgemeinen Grundsätzen, 17 sofern sich nicht aus insolvenzrechtlichen Erwägungen Abweichungen ergeben. Im Falle der Betriebsfortführung ist grundsätzlich von Fortführungswerten auszugehen. Es gilt das Going-Concern-Prinzip aus § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB.15) Bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens ist die Schlussbilanz nach den 18 Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften des HGB zu erstellen.16) Auch in der Insolvenz bestimmen sich diese Pflichten nach den Vorschriften der §§ 242 ff. HGB. Es ist zwischen den für alle Kaufleute geltenden Vorschriften der §§ 242 bis 263 HGB sowie den ergänzenden Sondervorschriften in §§ 264 ff. HGB für Kapitalgesellschaften und gemäß §§ 336 ff. HGB für eingetragene Genossenschaften zu unterscheiden.17) 2.

Zeiträume der Rechnungslegung

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein 19 neues Geschäftsjahr. Sofern der Schuldner seinen Rechnungslegungspflichten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nachgekommen ist, so hat der Insolvenzverwalter die rückständigen Jahresabschlüsse aufzustellen.18) Ungeachtet der Einstellung des Geschäftsbetriebs oder der Fortführung des Unternehmens 20 entsteht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rumpfgeschäftsjahr. Dieses umfasst wiederum einen Zeitraum von zwölf Monaten, § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB. Das Geschäftsjahr ist auf Stunde und Minute genau zu bestimmen, da § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO auf die Stunde der Eröffnung abstellt. Das Schuldnervermögen kann sich durch Handlungen des Schuldners oder eines mit Verfügungsbefugnis ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalters bis unmittelbar vor Verfahrenseröffnung ändern, so dass besondere Sorgfalt bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz geboten ist.19)

___________ 13) So Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 243 Rz. 10. 14) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 11. 15) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 60; Graf-Schlicker-Breitenbücher, InsO, § 155 Rz. 25. 16) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 17) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 38; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. 18) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 14; Schmittmann, StuB 2013, 67. 19) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 27; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 19.

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21 Gerade in Fällen der Fortführung nach Verfahrenseröffnung ist die Bildung eines Geschäftsjahres, das sich am Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens orientiert, vielfach unpraktisch. Beispiel: Ist das Insolvenzverfahren z. B. am 18.5.2013, 10.00 Uhr, eröffnet, so erstreckt sich das auf die Insolvenzeröffnung folgende Geschäftsjahr bis zum 18.5.2014, 9.59 Uhr. Es liegt auf der Hand, dass dies für die Praxis mit unnötigem weiteren Arbeits- und Kostenaufwand verbunden ist, so dass der Insolvenzverwalter regelmäßig aus pragmatischen Gründen wieder zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückkehren will.20) 22 Der Insolvenzverwalter hat die Möglichkeit, das aus § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO folgende „Insolvenzgeschäftsjahr“ zu ändern und zum ursprünglichen, also satzungsmäßigen, Geschäftsjahr zurückzukehren. Der Insolvenzverwalter hat nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht zur Verwaltung und Verfügung über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners. Daher muss es ihm auch möglich sein, den Rahmen für die Rechnungslegung, die ihm obliegt, alleine bestimmen zu können, insbesondere vor dem Hintergrund einer damit einhergehenden Kostenersparnis für die Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter darf allerdings nicht selbst Satzungsänderungen vornehmen, da dieses Recht auch während des Insolvenzverfahrens den Gesellschaftern verbleibt, soweit dies dem Insolvenzzweck nicht entgegensteht. Die Rückkehr zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr ist allerdings keine Satzungsänderung, sondern setzt für ihre Wirksamkeit lediglich die Anmeldung durch den Insolvenzverwalter zum Handelsregister der Gesellschaft und die dortige Eintragung zur Änderung in das Handelsregisterblatt der Gesellschaft voraus.21) 23 Es empfiehlt sich, gerade in den Fällen der Fortführung des Unternehmens sobald als möglich zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückzukehren, um unnötigen Aufwand zu vermeiden. 3.

Übergang auf den Insolvenzverwalter

24 Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners in Bezug auf die Insolvenzmasse zu erfüllen hat. 25 Auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung hat der Insolvenzverwalter eine umfassende Inventur vorzunehmen.22) Der Insolvenzverwalter hat die Grundstücke, die Forderungen und Schulden, den Betrag des baren Geldes sowie die sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben, § 240 Abs. 1 InsO. Bei körperlichen Gegenständen, Sachen, Urkunden wird ebenfalls eine Aufstellung verlangt.23) 26 Bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung hinaus (§ 157 Satz 1 InsO) ist die Schlussbilanz nach den Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften des HGB zu erstellen.24) Da mit Eröffnung des In___________ 20) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 32b; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 20. 21) So OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 21.5.2012 – 20 W 65/12, ZIP 2012, 1617 ff. Rz. 29 ff., dazu EWiR 2012, 675 f. (Schmittmann). 22) So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 40. 23) Vgl. zu den Einzelheiten der Bestandsaufnahme: Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 240 Rz. 2; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 22. 24) So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, InsO, § 155 Rz. 6; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28.

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solvenzverfahrens gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein neues Geschäftsjahr beginnt, ist gemäß § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB eine handelsrechtliche (Insolvenz)-Eröffnungsbilanz aufzustellen.25) Dies gilt unabhängig davon, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, gemäß § 151 InsO ein Verzeichnis der Massegegenstände sowie gemäß § 153 InsO eine Vermögensübersicht aufzustellen. Führt der Insolvenzverwalter das schuldnerische Unternehmen, wenn auch nur zeitweise, 27 fort, so behält der Einzelunternehmer seine Qualifikation als Kaufmann. Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften sind ohnehin Kaufleute kraft Rechtsform. Die Rechnungslegungspflichten folgen aus §§ 238 ff. HGB und werden durch § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeleitet.26) Der Gesetzgeber sieht eine Erleichterung bei der Aufstellungsfrist dahin vor, dass die 28 Zeit bis zum Berichtstermin in gesetzliche Fristen für die Aufstellung oder die Offenlegung eines Jahresabschlusses nicht eingerechnet wird (§ 155 Abs. 2 Satz 2 InsO). In der Regel wird das Insolvenzverfahren nicht innerhalb eines Jahres ab Eröffnung beendet, 29 so dass während des Insolvenzverfahrens fortlaufend Jahresabschlüsse aufzustellen sind.27) Die Jahresabschlüsse für die Zeiträume nach Verfahrenseröffnung haben eine Informations- 30 funktion für den Verwalter selbst sowie die Beteiligten, also insbesondere die Insolvenzund Massegläubiger, aber auch sonstige Beteiligte. Die jährliche Aufstellung von Jahresabschlüssen soll einen Überblick über die zum Stichtag bestehende Vermögenslage des Schuldners geben. Aus der Bilanz ist insbesondere zu ersehen, welche Vermögensgegenstände bereits verwertet worden sind und welche noch der Verwertung bedürfen.28) Aus der Gewinn- und Verlustrechnung ist zu ersehen, ob die Fortführung des Unternehmens zu Gewinnen geführt hat. Im Anhang und im Lagebericht ist sowohl zu den Verwertungshandlungen als auch zum wirtschaftlichen Ergebnis der Fortführung detailliert Stellung zu nehmen.29) III.

Offenlegung von Jahresabschlüssen

Die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen folgt aus § 325 HGB. Zur Offenlegung 31 verpflichtet sind die gesetzlichen Vertreter (§ 325 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Verpflichtung zur Offenlegung von Jahresabschlüssen ist sowohl mit Europäischem Gemeinschaftsrecht30) als auch mit dem GG vereinbar.31) Die Offenlegung der Jahresabschlüsse erfolgt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 32 sowohl für die Jahresabschlüsse vor Verfahrenseröffnung als auch für die Jahresabschlüsse nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter.32)

___________ 25) 26) 27) 28) 29) 30)

So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 28. So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 32. So IDW RH HFA 1.012 Rz. 26. So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 64. So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 64. So EuGH, Beschl. v. 23.9.2004 – Rs. C-435/02 und Rs. C-103/03, Slg. 2004, I-8663 ff. = ZIP 2004, 2134 ff., dazu EWiR 2004, 1229 f. (Volmer); vgl. dazu Schmittmann, StuB 2004, 1063 ff. 31) So BVerfG, Beschl. v. 11.2.2009 – 1 BvR 3582/08, NZG 2009, 515 f. = BB 2009, 1122 f.; LG Bonn, Beschl. v. 7.10.2008 – 30 T 122/08, GmbHR 2009, 95 f. = StuB 2009, 158; LG Köln, Urt. v. 8.10.2008 – 28 O 302/08, BB 2009, 211 f. 32) Vgl. Weyand, StuB 2007, 935, 938; Schlauß, DB 2007, 2191, 2194; Schlauß, DB 2008, 2831; Schmittmann, StuB 2008, 289.

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

33 Obgleich der organschaftliche Vertreter der Schuldnerin Adressat der Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses bleibt,33) hat die Offenlegung – insbesondere im Falle der Unternehmensfortführung – durch den Insolvenzverwalter zu erfolgen.34) 34 Die Verpflichtung zur Offenlegung wird durch Ordnungsgeldverfahren (§ 335 HGB) durchgesetzt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt ein Ordnungsgeldverfahren gegen den Insolvenzverwalter nicht in Betracht.35) Ordnungsgelder können daher auch nicht Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 InsO sein.36) 35 Eine Befreiung von der Offenlegungspflicht kommt – auch nicht aufgrund einer doppelt analogen Anwendung der § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG – aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht in Betracht.37) 36 Im Strafverfahren gegen organschaftliche Vertreter der Schuldnerin dürfen die aus offengelegten Jahresabschlüssen gewonnenen Erkenntnisse, z. B. im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Betruges, Insolvenzverschleppung oder Verletzung der Buchführungspflicht ohne Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 1 EMRK verwendet werden.38) IV.

Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren

37 Die Prüfungspflichten ergeben sich grundsätzlich aus §§ 316 ff. HGB.39) 38 Die Bestellung des Abschlussprüfers erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens gemäß § 318 Abs. 1 Satz 1 HGB durch die Gesellschafter. Aufgrund der Sonderregelung in § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO erfolgt die Bestellung des Abschlussprüfers im Insolvenzverfahren ausschließlich durch das Registergericht auf Antrag des Verwalters, da die Wahl durch die Gesellschafter wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Prüferbestellung im Insolvenzverfahren nicht mehr angemessen ist.40) 39 Ist für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Abschlussprüfer bestellt, so wird die Wirksamkeit dieser Bestellung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt (§ 155 Abs. 3 Satz 2 InsO). Eine gerichtliche Ersetzung des bereits bestellten Abschlussprüfers kommt dann nicht mehr in Betracht.41) Dies führt zu der schwerlich nachvollziehbaren Konsequenz, dass ein Wirtschaftsprüfer, der vor Verfahrenseröffnung durch die Gesellschafter bestellt worden ist, aber nicht das Vertrauen des Verwalters genießt, im Amt bleibt. Zumindest in den Fällen, in denen nicht ausgeschlossen ist, dass der Wirtschaftsprüfer an Unredlichkeiten der Unternehmensleitung beteiligt ist oder von diesen zumindest gewusst hat, muss dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit

___________ 33) 34) 35) 36)

37) 38) 39) 40) 41)

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So LG Bonn, Beschl. v. 16.5.2008 – 11 T 52/07, NZI 2008, 503 ff. So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 47. So Schmittmann, StuB 2008, 289, 292. So LG Bonn, Beschl. v. 13.11.2008 – 30 T 275/08, ZIP 2009, 332 f., dazu EWiR 2009, 319 f. (Holzer); entgegen LG Bonn, Beschl. v. 6.3.2008 – 11 T 53/07, ZIP 2008, 1082 m. Anm. Weitzmann; Weyand, StuB 2007, 935, 938; Schlauß, DB 2007, 2191, 2194. So Füchsl/Weishäupl in: MünchKomm-InsO, InsO, § 155 Rz. 22; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 52. So Weiß, DB 2010, 1744, 1749; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 53. So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 54 f.; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 971. So Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 68; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 56. So OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 4.12.2003 – 20 W 232/03, ZIP 2004, 1114 ff. = NZG 2004, 285 ff.; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 71.

Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

offenstehen, die Bestellung aus wichtigem Grund durch das Registergericht widerrufen zu lassen.42) In der Abwicklung (Liquidation) sehen die Vorschriften der § 270 Abs. 3 AktG bzw. 40 § 71 Abs. 3 GmbHG die Möglichkeit vor, dass das Gericht von der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts durch einen Abschlussprüfer befreien kann, wenn die Verhältnisse der Gesellschaft so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und Gesellschafter nicht geboten erscheint.43) Eine entsprechende Anwendung dieser Regelungen auf Jahresabschlüsse, die Zeiträume 41 vor Auflösung der Gesellschaft oder vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, scheidet mangels Regelungslücke aus.44) Bei der Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter ist die Möglichkeit eines 42 Dispenses für Zeiträume nach Insolvenzeröffnung möglich. Gerade in umfangreicheren Insolvenzverfahren wird es aber kaum möglich sein, dem Gericht gegenüber darzustellen, dass die Verhältnisse der Gesellschaft so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und Aktionäre nicht geboten erscheint. Wenn in der Abwicklung noch wesentliche Geschäftstätigkeit zu erwarten ist, fehlt es an überschaubaren Gesellschaftsverhältnissen.45) Die Unternehmensgröße allein steht einer Befreiung nicht entgegen.46) Gerade i. R. einer Unternehmensfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren kann die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer für den Insolvenzverwalter durchaus zweckmäßig sein, insbesondere um sich gegen allfällige Vorwürfe von Gläubigern substantiiert zur Wehr setzen zu können. Die Regelungen der § 270 Abs. 3 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG sind auf haftungs- 43 beschränkte Personenhandelsgesellschaften analog anwendbar.47) Bei Genossenschaften ist zu differenzieren. Das Recht und die Pflicht des genossen- 44 schaftlichen Prüfungsverbandes, nach §§ 53, 54 GenG die gesetzlichen Pflichtprüfungen durchzuführen, besteht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Geschäftsbetrieb der Genossenschaft eingestellt worden ist. Bestehen die Voraussetzungen für die Prüfung des Jahresabschlusses nach § 53 Abs. 2 GenG, ist gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht ein Abschlussprüfer zu bestellen, wobei es sich auch um einen Prüfungsverband handeln kann.48) Die Regelungen der § 270 Abs. 3 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG betreffen ausschließlich 45 die Prüfungs-, nicht aber die Offenlegungspflicht, von der ein Dispens nicht erteilt werden kann.49)

___________ 42) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 57. 43) Vgl. Scholz-K. Schmidt, GmbHG, § 71 Rz. 25; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 974; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 66; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 59. 44) So OLG München, Beschl. v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, ZIP 2005, 2068 f., dazu EWiR 2006, 115 f. (Luttermann). 45) Amtliche Begründung zu § 211 AktG 1937, RAnz 1937 Nr. 28, 2. Beilage. 46) So Hüffer, AktG, § 270 Rz. 12. 47) So OLG München, Beschl. v. 9.1.2008 – 31 Wx 66/07, ZIP 2008, 219 f. = NZI 2008, 263 f. 48) So BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 12/10, BGHZ 190, 110 ff. = ZIP 2011, 1673 ff., dazu EWiR 2011, 595 f. (Haas/Hoßfeld). 49) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 62; a. A. Kunz/Mundt, DStR 1997, 664, 668.

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§ 33 V.

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Steuerrechtliche Buchführungspflicht

46 Die steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten bleiben im Insolvenzverfahren unberührt und sind nach § 34 Abs. 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO vom Insolvenzverwalter zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Der Insolvenzverwalter hat alle Pflichten zu erfüllen, die dem Schuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. Dies gilt sowohl für Steuerabschnitte vor als auch nach Insolvenzeröffnung.50) 47 Die steuerrechtliche Pflicht des Insolvenzverwalters zur Buchführung besteht sowohl gegenüber dem Fiskus als auch gegenüber dem Schuldner. Der Insolvenzverwalter hat nicht nur während des eröffneten Insolvenzverfahrens die steuerlichen Buchführungspflichten des Schuldners zu erfüllen, sondern muss auch i. R. des Zumutbaren eine bei Insolvenzeröffnung mangelhafte Buchführung nacharbeiten.51) 48 Die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern gegenüber dem Insolvenzverwalter einer Kapitalgesellschaft zur Einforderung von Steuererklärungen ist nach Auffassung des FG Thüringen verfehlt, wenn die Finanzbehörde die finanziellen Verhältnisse der GmbH durch das Gutachten aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren kennt, die GmbH nach der Insolvenz keine Geschäftstätigkeit mehr entfaltete und der Finanzbehörde bekannt ist, dass sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine steuerlichen Auswirkungen durch die Abgabe der Steuererklärungen ergeben.52) Der BFH hat diese Entscheidung aufgehoben und entschieden, dass ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden kann. Das Finanzamt kann daher gegen einen Insolvenzverwalter, der trotz Masseunzulänglichkeit keine Steuererklärungen abgibt, Zwangsmittel festsetzen, ohne gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen.53) Das Insolvenzgeld ist gegen den Insolvenzverwalter persönlich und nicht gegen die Insolvenzmasse festzusetzen.54) 49 Bei der Fortführung des Unternehmens im eröffneten Insolvenzverfahren ist die Erfüllung der steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten durch den Insolvenzverwalter selbstverständlich. Die Erfüllung der steuerrechtlichen Buchführungsund Rechnungslegungspflichten ist Voraussetzung dafür, dass der Insolvenzverwalter die ihm obliegenden Voranmeldungs- und Steuererklärungspflichten erfüllen kann. 50 Gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt auch für die steuerrechtliche Rechnungslegung ein neues Geschäftsjahr. Grundsätzlich ist bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, der Zeitraum, für den sie regelmäßig Abschlüsse machen, das Wirtschaftsjahr (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG). Bei anderen Gewerbetreibenden ist Wirtschaftsjahr das Kalenderjahr (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG). Bei Gewerbetreibenden ist die Umstellung des Wirtschaftsjahres auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeit___________ 50) So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); BFH, Beschl. v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334 f.; BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, ZIP 2010, 2164 ff., dazu EWiR 2010, 827 f. (Müller). 51) So BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 416 ff. = ZIP 1980, 25 f.; BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); Schmittmann, StuB 2013, 67, 68; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rz. 63; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, Stand: 2/2009, § 60 Rz. 24; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 65. 52) So Thüringer FG, Urt. v. 1.9.2011 – 1 K 355/10, ZIP 2011, 2021 ff. = EFG 2012, 388 ff.; aufgehoben durch: BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141 f. = ZIP 2013, 83 f.; kritisch: Schmittmann, StuB 2013, 67 f. 53) So BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141 f. = ZIP 2013, 83 f.; kritisch: Schmittmann, StuB 2013, 67, 68. 54) So FG Hessen, Beschl. v. 18.4.2013 – 4 V 1796/12, EFG 2013, 994.

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Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

raum steuerlich gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG nur wirksam, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen wird. Aufgrund der Regelung des § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO entsteht handelsrechtlich zwingend ein neues Geschäftsjahr. Die Finanzverwaltung handelt daher ermessensfehlerhaft, wenn sie das durch die Verfahrenseröffnung entstehende abweichende Wirtschaftsjahr nicht anerkennt.55) Die Buchführungspflicht besteht auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Die 51 Buchführungspflichten des Insolvenzverwalters bestehen unabhängig davon, ob die dafür erforderlichen Kosten (bei Beauftragung eines Steuerberaters) durch die Insolvenzmasse gedeckt sind.56) Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten, die durch die Steuergesetze begründet werden, liegt im übergeordneten öffentlichen Interesse. Es kann daher nicht darauf abgestellt werden, ob die Erfüllung der Buchführungspflichten für die Insolvenzmasse günstig ist, also eine höhere Teilungsmasse zu erwirtschaften ist.57) Durch das ESUG58) wurde mit § 210a InsO eine gesetzliche Möglichkeit geschaffen, einen 52 Insolvenzplan auch bei Masseunzulänglichkeit umzusetzen.59) Auch in diesen Fällen hat der Insolvenzverwalter dafür zu sorgen, dass die Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten erfüllt werden. In diesen Fällen ist eine zeitnahe Erledigung dieser Arbeiten, ggf. mit Hilfe eines externen Steuerberaters, dringend zu empfehlen, um zu verhindern, dass die Steuerberatungskosten nicht mehr gezahlt werden können und ein Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters wegen der nicht gezahlten Honorare ausgeübt wird.60) Der Insolvenzverwalter ist im Übrigen als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) des 53 Schuldners nach § 149 Abs. 1 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen verpflichtet, die Steuererklärungen für den Schuldner abzugeben.61) Die Steuererklärungspflicht umfasst insbesondere die Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen sowie die Umsatz- und Gewerbesteuererklärungen.62) Eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters einer Personengesellschaft, Erklärungen für 54 die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung nach §§ 179 ff. AO abzugeben, besteht nicht, da die Folgen der Gewinnfeststellung nicht den Vermögensbereich der Personengesellschaft betreffen, sondern die Gesellschafter persönlich.63) Die Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters erstreckt sich auf Zeiträume vor und 55 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.64) Ebenso wie die Buchführungs- und Rechnungslegungspflicht (vgl. oben Rz. 46) besteht die 56 Steuererklärungspflicht auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und kann bei ___________ 55) Ebenso Kübler/Prütting/Bork-Kübler, InsO, Stand: 10/2007, § 155 Rz. 82; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 67. 56) So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff., dazu EWiR 1995, 165 f. (Braun); Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 369, 372; Schmittmann, InsbürO 2005, 288, 289. 57) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 70. 58) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 59) Vgl. dazu kritisch Pape/Uhländer-Schmittmann, InsO, § 210a Rz. 1. 60) Vgl. dazu Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 3025 ff. 61) So Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 38; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 496. 62) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 498 f. 63) So BFH, Beschl. v. 12.11.1992 – IV B 83/91, BStBl. II 1993, 265 ff. = ZIP 1993, 374 f.; BFH, Beschl. v. 23.11.1994 – VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663 ff.; Schmittmann, StuB 2013, 67; a. A. Klasmeyer/ Kübler, BB 1978, 369, 372. 64) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 38; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 501; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 75 ff.

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Nichterfüllung durch den Verwalter grundsätzlich Zwangsgeldfestsetzungen nach § 328 AO auslösen.65) 57 Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, mit der Erledigung steuerlicher Tätigkeiten, die besondere Kenntnisse erfordern oder dem Umfang nach über das hinausgehen, was mit der Erstellung einer Steuererklärung allgemein verbunden ist, einen Steuerberater zu beauftragen. Besteht Masseunzulänglichkeit und hat der Insolvenzverwalter die Finanzverwaltung auf die Masseunzulänglichkeit hingewiesen und hält diese gleichwohl an der Aufforderung fest, Steuererklärungen einzureichen, so steht dem Insolvenzverwalter bei Kostenstundung ein Anspruch auf Erstattung der den Umständen nach angemessenen Kosten für die Beauftragung eines Steuerberaters als Auslagen aus der Staatskasse zu.66) VI.

Steuern

1.

Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, des (vorläufigen) Sachwalters und des Treuhänders

1.1

Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters

58 Grundsätzlich ist zwischen dem sog. starken und dem sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden, wobei diese Differenzierung im Hinblick auf die Regelung von § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 201167) erheblich an Bedeutung verloren hat. 59 Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren.68) Verbindlichkeiten, die von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, gelten gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO. ___________ 65) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 508; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 78. 66) So BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 ff. = ZIP 2004, 1717 ff., dazu EWiR 2004, 1037 f. (Schäferhoff); Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 510; Schmittmann, InsbürO 2005, 288, 290. 67) Vgl. Fischer, Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, DB 2012, 885; Gundlach/Rautmann, Änderungen der Insolvenzordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, DStR 2011, 82; Jungclaus/Keller, Die Änderungen der InsO durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011, NZI 2010, 808; Kahlert, „Wiedereinführung“ des Fiskusvorrechts im Insolvenzverfahren? – Die Fiskusvorrechte sind schon lange da!, ZIP 2010, 1274; Kahlert, Die Neugeburt eines Fiskusprivilegs im Insolvenzverfahren nach Art. 3 Nr. 2 und Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes-Entwurfs 2011, ZIP 2010, 1887; Marotzke, Sinn und Unsinn einer insolvenzrechtlichen Privilegierung des Fiskus, ZInsO 2010, 2163; Nawroth, Der neue § 55 Abs. 4 InsO – Die Gedanken sind frei …, ZInsO 2011, 107; Onusseit, Zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 641; Pape, Zum Fortgang der Arbeiten auf der Dauerbaustelle InsO, ZInsO 2011, 1; Rennert-Bergenthal/Dähling, Die Handhabung des § 55 Abs. 4 InsO in der Praxis, ZInsO 2011, 1922; Roth, Anfechtbarkeit von Umsatzsteuerforderungen gem. § 55 Abs. 4 InsO, ZInsO 2011, 1779; Sämisch/Adam, Fiskalische Begehrlichkeiten: Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit?, ZInsO 2010, 934; Schacht, Vorrechte öffentlicher und fiskalischer Forderungen im Insolvenzverfahren, ZInsO 2011, 1048; Schacht, Erneute Stärkung der Fiskusvorrechte im Insolvenzverfahren durch den BFH?, ZInsO 2011, 1787; Schmittmann, Das Haushaltsbegleitgesetz 2011 aus insolvenzsteuerlicher Sicht, StuB 2010, 877; Schmittmann, § 1 InsO n. F.: Das Insolvenzverfahren dient der Befriedigung des Finanzamtes, INDat-Report 3/2011, 26; Schmittmann, Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis im vorläufigen und eröffneten Insolvenzverfahren zwischen BMF und BFH, StuB 2012, 237; Schmittmann, Einkommensteuerliche Problemstellungen in und nach der Insolvenz des Steuerpflichtigen, StuB 2012, 404; Sinz/Oppermann, § 55 Abs. 4 InsO und seine Anwendungsprobleme in der Praxis, DB 2011, 2185; Trottner, Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO, NWB 2012, 920; Weiland, Wi(e)der die Privilegierung der öffentlich-rechtlichen Gläubiger, DZWIR 2011, 224; Zimmer, Haushaltsbegleitgesetz 2011 (§ 55 Abs. 4 InsO n. F.) – Erste Anwendungsprobleme, ZInsO 2010, 2299. 68) So BFH, Beschl. v. 16.10.2009 – VIII B 346/04, Rz. 7, BFH/NV 2010, 56 f.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 463; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 4.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

Wird lediglich ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so liegt kein Fall 60 von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO vor, so dass der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter weder berechtigt noch verpflichtet ist, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu regeln.69) Durch das Haushaltsbegleitgesetz 201170) wurde geregelt, dass Verbindlichkeiten des In- 61 solvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten (§ 55 Abs. 4 InsO). Gleichwohl ist der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO.71) 1.2

Stellung des vorläufigen Sachwalters

Das Gericht kann gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO im Eröffnungsverfahren einen vor- 62 läufigen Sachwalter bestellen, auf den die § 274 und § 275 InsO Anwendung finden. Im Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO hat das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 2 Satz 2 grundsätzlich die vom Schuldner vorgeschlagene Person zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen, wenn sie nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Der vorläufige Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. des § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO. 63 Gegenüber dem vorläufigen Sachwalter ist das Steuergeheimnis gemäß § 30 AO zu wahren, sofern der Schuldner die Finanzverwaltung nicht durch ausdrückliche Erklärung von der Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber dem vorläufigen Sachwalter befreit hat. 1.3

Stellung des Insolvenzverwalters

Mit Verfahrenseröffnung ernennt das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter, der ver- 64 fahrensrechtlich Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO ist und daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren zu erfüllen hat.72) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung des Insolvenzverwalters lässt gleichwohl die Steuerrechtsfähigkeit des Schuldners unberührt, so dass Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters den Schuldner persönlich berechtigen und verpflichten.73) Der Insolvenzschuldner bleibt verfahrensrechtlich Beteiligter i. S. von § 78 AO. Der Insolvenzverwalter hat die sich aus §§ 90, 93 ff., 137 ff., 140 ff. und 149 ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen.74) 1.4

Stellung des Sachwalters

Das Gericht kann im eröffneten Verfahren anordnen, dass der Schuldner gemäß § 270 65 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt ist, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über diese zu verfügen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ___________ 69) So Tipke/Kruse-Loose, AO, § 251 Rz. 28; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 484; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 5; Schmittmann, StuB 2012, 237. 70) So BGBl. I 2010, 1885. 71) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 481; FG Düsseldorf, Beschl. v. 21.3.2012 – 1 V 152/12 A (U), ZIP 2012, 688, dazu EWiR 2012, 323 (Schmittmann/Gorris). 72) So BFH, Beschl. v. 15.9.2010 – II B 4/10, Rz. 6, BFH/NV 2011, 2 f.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 12. 73) So Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 21; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 482. 74) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 514; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 13.

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

geht nicht wie bei § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, da ein solcher nicht bestellt wird. 66 Der Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO75) und hat daher nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.76) 67 In der Eigenverwaltung hat daher grundsätzlich der Schuldner, ggf. durch seine Organe, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen. Ob im Falle der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) die Rechtsprechung des BFH, bei Uneinbringlichkeit von Forderungen,77) Anwendung findet, wird im Bereich der Umsatzsteuer erörtert. 1.5

Stellung des Treuhänders

68 Die InsO verwendet den Begriff des Treuhänders zum einen im vereinfachten Insolvenzverfahren, in dem die Aufgaben des Insolvenzverwalters gemäß § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Treuhänder wahrgenommen werden, und zum anderen in der Wohlverhaltensphase, für die das Gericht einen Treuhänder bestimmt, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 InsO) übergehen (§ 291 Abs. 2 InsO). Nur der Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren ist Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO,78) nicht aber der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase. 2.

Steuerliche Nebenleistungen, Haftung und Auskunft

2.1

Zinsen

69 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) und die entsprechenden Erstattungsansprüche werden nicht verzinst (§ 233 Satz 2 AO). 70 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Zinsen sind Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sofern die zugrunde liegende Steuer ebenfalls Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 InsO ist. 2.2

Säumnis- und Verspätungszuschläge

71 Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO fällt ein Säumniszuschlag für jeden angefangenen Monat der Säumnis i. H. von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrages an, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber für die Finanzverwaltung ein Druckmittel eigener Art geschaffen, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der Steuer anhalten soll.79) Weiterhin soll der Säumniszuschlag den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen, der beim Steuerpflichtigen durch die verspätete Zahlung fälliger Steuern entsteht.80) Der Säumniszuschlag dient letzt___________ 75) Vgl. BFH, Urt. v. 18.5.1988 – X R 27/80, BFHE 153, 299 ff. = BStBl. I 1988, 716 zu § 92 VerglO; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 484; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 16. 76) So Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 3.24; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 16. 77) Vgl. BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 78) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1163; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 19; Schmittmann, StuB 2012, 404. 79) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2571. 80) So BFH, Urt. v. 21.9.1973 – III R 154/72, BStBl. II 1974, 17 ff.; BFH, Urt. v. 9.7.2003 – V R 57/02, BStBl. II 2003, 901 ff. = ZIP 2003, 2036 ff.

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lich auch der Abgeltung des Verwaltungsaufwandes, der der steuerverwaltenden Behörde durch die Tilgung der Schuld erst nach Fälligkeit entsteht.81) Nach Verfahrenseröffnung fallen Säumniszuschläge an, wenn der Insolvenzverwalter fällige 72 Steuern verspätet zahlt. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist allerdings sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert.82) Hat der Insolvenzverwalter gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO die Masseunzulänglichkeit angezeigt und zahlt der Insolvenzverwalter aufgrund der gesetzlichen Befriedigungsreihenfolge aus § 209 Abs. 1 InsO fällige Steuern nicht, so ist der hälftige Erlass der Säumniszuschläge zu gewähren. Ein vollständiger Erlass scheidet aus, weil ein Säumiger grundsätzlich nicht besser stehen soll als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde.83) Verspätungszuschläge nach § 152 AO sind kein Zwangsmittel, sondern dienen dazu, den 73 rechtzeitigen Eingang der Steuererklärung und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für Verspätungszuschläge.84) Der Verspätungszuschlag ist ein Druckmittel eigener Art mit sowohl repressivem als auch präventivem Charakter.85) 2.3

Vollstreckungskosten

Im Vollstreckungsverfahren werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben (§ 337 74 Abs. 1 Satz 1 AO). Schuldner dieser Kosten ist der Vollstreckungsschuldner (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO).86) Die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Vollstreckungskosten sind Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 AO, sofern die zu vollstreckende Steuerforderung Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 InsO ist. 2.4

Zwangs- und Ordnungsgelder

Ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung 75 gerichtet ist, kann mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden (§ 328 Abs. 1 Satz 1 AO). Auch gegen den Insolvenzverwalter können Zwangsmittel festgesetzt werden, sofern er 76 Verpflichtungen nach der AO nicht erfüllt. Die Festsetzung von Zwangsmitteln hat aber zu unterbleiben, wenn der Insolvenzverwalter aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht verpflichtet ist, eine ihm nach der AO obliegende Handlung vorzunehmen (siehe oben Rz. 46). 2.5

Geldbußen und Geldstrafen

Steuerstraftaten (§§ 369 ff. InsO) können mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft 77 werden. Steuer- und Zollordnungswidrigkeiten (§§ 377 ff. AO) können mit Geldbuße geahndet werden. ___________ 81) So BFH, Urt. v. 29.8.1991 – V R 78/86, BStBl. II 1991, 906 ff. = HFR 1992, 44 ff. 82) So BFH, Urt. v. 30.3.2006 – V R 2/04, BStBl. II 2006, 612 ff. = ZIP 2006, 1266 ff.; BFH, Urt. v. 9.7.2003 – V R 57/02, BStBl. II 2003, 901 ff. = ZIP 2003, 2036 ff. 83) So BFH, Beschl. v. 21.4.1999 – VII B 347/98, BFH/NV 1999, 1440; BFH, Urt. v. 18.6.1998 – V R 13/98, BFH/NV 1999, 10 f. = StuB 1999, 332; BFH, Urt. v. 30.3.2003 – V R 2/04, BStBl. II 2006, 612 ff. = ZIP 2006, 1266 ff. 84) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2572. 85) So BFH, Urt. v. 19.1.2005 – VII B 286/04, BFH/NV 2005, 1001 f. = ZVI 2005, 375 f. 86) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2601.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

78 Der Insolvenzverwalter kann tauglicher Täter einer Steuerstraftat bzw. Steuer- und Zollordnungswidrigkeit sein, wenn nach Verfahrenseröffnung Sachverhalte vorliegen, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllen. Dies betrifft in besonderem Maße Sachverhalte im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer. Ebenso können lohnsteuerliche Sachverhalte betroffen sein. Der Insolvenzverwalter wird daher besondere Sorgfalt auf die Ordnungsmäßigkeit der Umsatzsteuer- und Lohnsteuervoranmeldungen sowie der Jahreserklärungen legen, da hier erhebliches Haftungsrisiko droht. 2.6

Haftung des Insolvenzverwalters

79 Der Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO (siehe oben Rz. 46). Die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) x

infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder

x

nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder

x

soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (§ 69 Satz 1 AO);

x

die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).87)

80 Der Insolvenzverwalter unterliegt persönlich und unbeschränkt sowohl der abgabenrechtlichen Haftung gemäß §§ 34, 69 AO als auch der insolvenzrechtlichen Haftung nach §§ 60, 61 AO.88) Die Haftung setzt eine abgabenrechtliche Pflichtverletzung voraus, die z. B. darin besteht, dass der Insolvenzverwalter Mitwirkungs- und Leistungspflichten im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren verletzt hat oder entstandene Steuern aus der Fortführung des Betriebs nicht entrichtet.89) 81 Reicht die Insolvenzmasse nicht aus, die anfallenden Steuern zu zahlen, und hat der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) angezeigt, so gilt die insolvenzrechtliche Befriedigungsreihenfolge gemäß § 209 Abs. 1 InsO. Eine Haftung des Insolvenzverwalters scheidet bei Einhaltung dieser Verteilungsreihenfolge aus. Verstößt er allerdings gegen diese Verteilungsreihenfolge und erhält die Finanzverwaltung dadurch eine geringere Zahlung, so haftet der Insolvenzverwalter nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung.90) 82 Der Insolvenzverwalter haftet selbst dann nicht, wenn er ein Geschäft abschließt und dabei bereits absehbar ist, dass die entstehende Umsatzsteuerschuld aufgrund der von der InsO vorgesehenen Befriedigungsreihenfolge nicht gezahlt werden kann. Der Insolvenzverwalter ist nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann, so dass eine Haftung gemäß §§ 191, 69, 34 AO ausscheidet.91)

___________ 87) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 82. 88) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 84. 89) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1252; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 84. 90) Vgl. BFH, Urt. v. 26.8.1992 – VII R 50/91, BFHE 169, 13 ff. = BStBl. II 1993, 8 ff.; BFH, Urt. v. 21.6.1994 – VII R 34/92, BStBl. II 1995, 230 = ZIP 1995, 229 ff. 91) So BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 ff. = NZI 2011, 60 f., dazu EWiR 2011, 59 f. (Ries).

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Grundsätzlich kommt gegen den Insolvenzverwalter auch ein insolvenzrechtlicher Haf- 83 tungsanspruch nach §§ 60, 61 InsO in Betracht, der allerdings nicht eingreift, wenn der Verwalter durch den Abschluss von Rechtsgeschäften Steuern auslöst. Es handelt sich nicht um eine insolvenzspezifische Pflichtverletzung gegenüber dem Fiskus. Darüber hinaus scheidet eine Haftung des Verwalters nach § 61 InsO für Steuern aus, weil die Umsatzsteuerschuld zwar Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, die Regelung des § 61 InsO jedoch nur dem Schutz von Gläubigern dient, die für oder im Zusammenhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse eine Gegenleistung erbringen, was bei der Finanzverwaltung nicht der Fall ist.92) 2.7

Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters

Im steuerlichen Verfahrensrecht ist ein allgemeines Akteneinsichtsrecht der Beteiligten 84 anders als im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 78 FGO nicht vorgesehen. Der Steuerpflichtige hat lediglich einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird.93) Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung,94) dass jedenfalls dann eine Akteneinsicht 85 ausscheidet, wenn Amtshaftungsansprüche95) oder Insolvenzanfechtungsansprüche nach erfolgter Akteneinsicht geltend gemacht werden sollen. Da über Anträge auf Bewilligung von Akteneinsicht nach der AO der Finanzrechtsweg einschlägig ist, scheitert die Geltendmachung der Ansprüche regelmäßig.96) Nach § 1 Abs. 1 IFG Bund hat ab 1.1.2006 jeder nach Maßgabe des Gesetzes gegenüber 86 den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.97) Außer in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen bestehen zudem Landesinformationsfreiheitsgesetze.98) Ein gegenüber der Finanzverwaltung geltend gemachter Informationsanspruch des Insolvenzverwalters, der anschließend einen Anfechtungsanspruch durchsetzen will, wird vom Regelungsbereich der AO nicht umfasst, fällt in die Zuständigkeit der VG und ist auch nicht anderweitig ausgeschlossen.99) Das Steuergeheimnis steht der Auskunftserteilung nicht entgegen.100) Der Insolvenzverwalter braucht sich auch nicht darauf verweisen zu lassen, sich die erforderlichen Informationen aus anderweitigen Quellen zu erschließen oder unkooperative Schuldner vor das Gericht laden zu lassen. Vielmehr gehört es zu den Amtspflichten des Insolvenzverwalters, alle Informationsquellen, einschließlich der Auskunftserteilung durch Körperschaften des öffentlichen Rechts, auszunutzen.101) ___________ 92) So BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 ff. = NZI 2011, 60 f., dazu EWiR 2011, 59 f. (Ries). 93) So BFH, Beschl. v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BFHE 202, 331 ff. = BStBl. II 2003, 790 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2302; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 80. 94) So BMF, Schreiben v. 17.12.2008 – IV A 3 – S 0030/08/10001, BStBl. I 2009, 6. 95) A. A. OVG Schleswig, Urt. v. 6.12.2012 – 4 LB 11/12, AO-StB 2013, 44 f. 96) Vgl. zuletzt: BFH, Urt. v. 19.3.2013 – II R 17/11, NZI 2013, 706 ff. m. Anm. Schmittmann = ZIP 2013, 1133, dazu EWiR 2013, 487 f. (von Spiessen). 97) Vgl. Misoch/Schmittmann, VR 2012, 181 ff.; Schmittmann, InsbürO 2012, 246 ff. 98) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 83; Haarmeyer/Huber/Schmittmann, Praxis der Insolvenzanfechtung, Teil IV, Rz. 208. 99) So BVerwG, Beschl. v. 14.5.2012 – 7 B 53/11, ZIP 2012, 1258 f. = ZVI 2012, 297 f., dazu EWiR 2012, 527 (Priebe); Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.6.2011 – 8 A 1150/10, NZI 2011, 915 ff. m. Anm. Schmittmann. 100) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, § 155 Rz. 84. 101) So VG Minden, Gerichtsbescheid vom 12.8.2010 – 7 K 23/10, ZInsO 2010, 1839, 1840 m. Anm. Birkemeyer, ZInsO 2010, 1842; Schmittmann/Kupka, InsbürO 2009, 83, 86; Schmittmann/Böing, InsbürO 2010, 15, 16.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

87 Das IFG schafft somit einen eigenständigen Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegen die Finanzverwaltung, der ihm die Möglichkeit gibt, auf dem Verwaltungsgerichtsweg Auskunft über Steuervorgänge aus dem schuldnerischen Unternehmen zu erhalten.102) 88 Für einen auf § 4 Hamburger IFG gestützten Anspruch des Insolvenzverwalters gegen das Finanzamt auf Einsicht in Vollstreckungsakten ist eine Sonderzuweisung zu den FG nicht gegeben, so dass der Rechtsweg zu den VG eröffnet ist.103) 3.

Ertragsteuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer)

89 Der Einkommensteuer unterliegt das Einkommen (§§ 2 ff. EStG), das im Inland steuerpflichtige Personen (§§ 1 f. EStG) erzielen. Der Körperschaftsteuer unterliegen unbeschränkt (§ 1 KStG) und beschränkt (§ 2 KStG) Steuerpflichtige, also Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Versicherungs- und Pensionsfondsvereine auf Gegenseitigkeit sowie sonstige juristische Personen des privaten Rechts und nicht rechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen etc. 3.1

Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten

90 Da Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO vorrangig zu befriedigen sind, hat der Insolvenzverwalter sorgfältig zwischen Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreien Verbindlichkeiten zu differenzieren, was insbesondere bei der Betriebsfortführung rechtliche Fragen aufwirft. 91 Nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 38 InsO knüpft das Insolvenzrecht an den eigenständigen insolvenzrechtlichen Begriff der „Begründetheit“ eines Anspruchs an, der weder mit dem Begriff der Entstehung noch dem Begriff der Fälligkeit verwechselt werden darf.104) 92 Für die insolvenzrechtliche Einordnung ist der sog. „Schuldrechtsorganismus“ maßgebend, so dass darauf abzustellen ist, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist: x

War im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt, handelt es sich um eine Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.105)

x

Bei später begründeten Steuerforderungen handelt es sich um Masseverbindlichkeiten, die vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind,106) sofern es sich nicht um Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners handelt.107) Um Masseverbindlichkeiten handelt es sich auch bei Steuerforderungen, die aus einer Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale der Berichtigungsvorschrift des § 17 Abs. 2 UStG resultie-

___________ 102) So VG Trier, Beschl. v. 26.6.2012 – 5 K 504/12, ZIP 2012, 1862; VG Berlin, Urt. v. 30.8.2012 – VG 2 K 147/11, ZInsO 2012, 1843; FG Münster, Beschl. v. 25.6.2012 – 15 K 874/10, ZD 2012, 443 ff. = ZVI 2012, 315 f. 103) So BVerwG, Beschl. v. 15.10.2012 – 7 B 2/12, ZIP 2012, 2417 ff. 104) So zuletzt BFH, Urt. v. 24.8.2011 – V R 53/09, BStBl. II 2012, 256 ff. = ZIP 2011, 2421 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 703. 105) So BFH, Beschl. v. 1.4.2008 – X B 201/07, BFH/NV 2008, 925 ff. = ZIP 2008, 1780 ff.; BFH, Beschl. v. 6.10.2005 – VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 106. 106) So BFH, Urt. v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff. 107) So BFH, Urt. v. 18.9.2012 – VIII R 47/09, BFH/NV 2013, 411 ff.; BFH, Urt. v. 14.12.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 110.

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ren108) oder aus dem Einzug von Forderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (in Altfällen) bzw. vor Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (in Neufällen).109) Da es sich bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer handelt, die nach Ablauf des 93 Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt wird, ist die Einkommensteuerschuld des Schuldners im Jahre der Verfahrenseröffnung ggf. aufzuteilen.110) Gegebenenfalls ist eine weitere Differenzierung aufgrund von § 55 Abs. 4 InsO bei Verfahren geboten, die nach dem 31.12.2010 beantragt worden sind.111) Die Einkünfte des Schuldners, die er in einem Veranlagungszeitraum erzielt hat, sind ggf. 94 in drei unterschiedliche Zeiträume aufzuteilen.112) Die Aufteilung erfolgt nach dem Maßstab des Verhältnisses der jeweiligen Teileinkünfte, damit die progressive Einkommensteuerbelastung abgebildet werden kann.113) Die aus der Fortführung des Unternehmens oder die Verwertung der Insolvenzmasse 95 resultierende Einkommensteuerschuld ist Masseverbindlichkeit und für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen.114) Geht der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Duldung des Insolvenz- 96 verwalters einer Geschäftsführertätigkeit nach, so entsteht keine Masseverbindlichkeit, wenn der Schuldner sich Schadensersatz- oder Haftungsansprüchen aussetzt.115) Bei Personengesellschaften erfolgt die Gewinnermittlung auf der Ebene der Gesellschaft. 97 Die Gewinne werden dann aber im Wege der einheitlichen und gesonderten Feststellung den einzelnen Gesellschaftern zugerechnet und i. R. ihrer Einkommensteuererklärung verarbeitet. Wird auf der Ebene der Personengesellschaft z. B. eine Rückstellung aufgelöst und erfolgt diese Auflösung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des insolventen Gesellschafters, entsteht eine Masseverbindlichkeit, ohne dass der Insolvenzverwalter dies beeinflussen kann.116) Werden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stille Reserven aufgedeckt, stellt die 98 daraus resultierende Einkommensteuer grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit dar.117)

___________ 108) Vgl. BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 56/09, BFH/NV 2013, 413 ff. 109) Vgl. FG Gotha, Urt. v. 30.11.2011 – 3 K 581/09, ZIP 2013, 790 ff. (Revision anhängig, Az. d. BFH: X R 12/12). 110) So BFH, Urt. v. 7.11.1963 – IV 210/62 S, BStBl. III 1964, 70. 111) Vgl. im Einzelnen BMF, Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, BStBl. I 2012, 120 ff.; vgl. dazu Trottner, NWB 2012, 920; Schmittmann, ZIP 2012, 249. 112) So BFH, Urt. v. 11.11.1993 – IX R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 116. 113) So BFH, Urt. v. 11.11.1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; BFH, Urt. v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff. Vgl. Nr. 9.1.4 zu § 251 AEAO. 114) Vgl. BFH, Urt. v. 5.3.2008 – X R 60/04, BStBl. II 2008, 787 ff. = ZIP 2008, 1643 ff.; BFH, Urt. v. 25.7.1995 – VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117 ff.; BFH, Urt. v. 11.11.1993 – VI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 120. 115) So BFH, Urt. v. 21.7.2009 – VII R 49/08, BStBl. II 2010, 13 ff. = ZIP 2009, 2208 ff. 116) So BFH, Urt. v. 18.5.2010 – X R 60/08, BFHE 2009, 62 ff. = ZIP 2010, 1612; kritisch: K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 122. 117) Vgl. BFH, Urt. v. 11.11.1993 – XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477 ff. = ZIP 1994, 1286 ff.; BFH, Urt. v. 23.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 ff. = BStBl. II 1984, 602 ff.; BFH, Urt. v. 7.11.1963 – IV 210/62 S, BFHE 78, 172 ff. = BStBl. III 1964, 70; kritisch: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1469; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 124.

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99 Bei der Verwertung von Vermögensgegenständen mit Absonderungsrechten entsteht eine Masseverbindlichkeit nur insoweit, wie trotz der dinglichen Belastung ein Mehrerlös zur Insolvenzmasse gelangt.118) 100 Auch Neuerwerb eines Schuldners führt nicht zu einer Belastung der Insolvenzmasse mit Masseverbindlichkeiten. Dies gilt sowohl für eine insolvenzfreie Tätigkeit eines Schuldners im Regelinsolvenzverfahren119) als auch bei Schuldnern im Verbraucherinsolvenzverfahren, die Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit erzielen.120) Ergibt sich allerdings eine Erstattung, so ist diese dem Schuldner auszuzahlen. 101 Bei der Kalkulation einer Betriebsfortführung hat der Insolvenzverwalter die sich ergebenden steuerlichen Effekte zu berücksichtigen, insbesondere aber auch die bestehenden Verlustvorträge i. R. der gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen, um Zahllasten zu vermeiden. 3.2

Zinsabschlag und Kapitalertragsteuer

102 Für Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2008 zufließen, gilt, dass auf der Ebene des Privatvermögens grundsätzlich eine Abgeltungssteuer i. H. von 25 % und auf der Ebene des Betriebsvermögens sowie im Anwendungsbereich des § 17 EStG das sog. „Teil- bzw. Halbeinkünfteverfahren“ Anwendung finden.121) 103 Die Zinsabschlag- und Kapitalertragsteuer (Abgeltungssteuer) sind keine eigenen Steuerarten, sondern stellen eine besondere Erhebungsform der auf bestimmte inländische Kapitalerträge erhobenen Einkommen- oder Körperschaftsteuer dar. 104 Treuhandkonten sind i. R. der Abgeltungssteuer nach den für die Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Regeln, d. h. grundsätzlich wie Privatkonten, zu behandeln. 105 Die Verlustverrechnung und die Anrechnung ausländischer Quellensteuer hat nach § 43a Abs. 3 EStG zu erfolgen.122) Bei Treuhandkonten scheidet eine Abstandnahme vom Steuerabzug aufgrund eines Freistellungsauftrages oder einer NV-Bescheinigung aus, da nach § 44a Abs. 6 EStG Voraussetzung für die Abstandnahme ist, dass Kontoinhaber und Gläubiger der Kapitalerträge identisch sind.123) 106 Die von einem Insolvenzverwalter verwalteten betrieblichen Konten und Depots fallen nicht unter die Regelungen der Tz. 152 und Tz. 154 des BMF-Schreibens vom 22.12.2009. Zum Nachweis, dass es sich um ein betriebliches Konto handelt, reicht eine Bestätigung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Kreditinstitut aus.124) 107 In Verfahren, in denen Masseunzulänglichkeit angezeigt ist, führt das Abgeltungsverfahren zu Schwierigkeiten. Aufgrund des Steuerabzugsverfahrens (§ 43 EStG) verschafft sich die Finanzverwaltung gegenüber allen anderen Gläubigern einen Vorteil dahin, dass die Schuldner der Kapitalerträge bei Meidung der eigenen Haftung (§ 44 Abs. 5 EStG) verpflichtet sind, die Steuern einzubehalten und abzuführen. Die Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO wird in masseunzulänglichen Insolvenzverfahren (§ 208 InsO) von der Fi___________ 118) So BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 126. 119) So BFH, Urt. v. 14.2.1978 – VIII R 28/73, BFHE 124, 411 ff. = BStBl. II 1978, 356 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1455. 120) So BFH, Urt. v. 14.2.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520 = ZIP 2011, 873 ff.; vgl. Casse, ZInsO 2011, 2309 ff.; Schmittmann, StuB 2012, 404 f. 121) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1551; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 135. 122) So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 152, BStBl. I 2010, 94 ff. 123) So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 153, BStBl. I 2010, 94 ff. 124) So BMF, Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 1 – S 2252/08/10004, Rz. 155, BStBl. I 2010, 94 ff.

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§ 33

nanzverwaltung dadurch unterlaufen, dass die Steuerzahlung, die Masseverbindlichkeit i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, von dem Kreditinstitut zu Lasten der Masse an die Finanzverwaltung abgeführt wird, ohne dass der Insolvenzverwalter darauf Einfluss nehmen kann. Auch eine Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO scheidet aus, da es sich um eine Zahlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, der auszahlenden Stelle sowie der Finanzverwaltung die Masseunzulänglichkeit mitzuteilen und diese aufzufordern, den Einbehalt und die Abführung zu unterlassen (Anweisung gegenüber der auszahlenden Stelle) bzw. die Abgeltungssteuer zurückzufordern (Finanzamt). Der Insolvenzverwalter hat diesen Anspruch für die Insolvenzmasse zur Meidung der eigenen Haftung geltend zu machen.125) In der Insolvenz von Personengesellschaften wird zu Lasten der Insolvenzmasse Abgel- 108 tungssteuer einbehalten, die auf die Einkommensteuer der Gesellschafter angerechnet wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG; § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO). Der Gesellschafter mindert somit auf Kosten der Insolvenzgläubiger seine Verbindlichkeiten gegenüber der Finanzverwaltung.126) Die Fehlleitung der Kapitalertragsteuer ist nicht auf öffentlich-rechtlicher (fiskalischer), sondern auf gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Ebene zu beseitigen, indem der Insolvenzmasse ein Anspruch gegen den Gesellschafter auf Herausgabe des ihm zugeflossenen Vorteils zusteht.127) Der Insolvenzverwalter hat ggf. gegen den Gesellschafter einen Zahlungsanspruch aus Gesellschaftsrecht.128) Er braucht sich insbesondere nicht darauf verweisen zu lassen, dass der Gesellschafter ihm seinen Steuererstattungsanspruch gegen die Finanzverwaltung abtritt.129) In der Insolvenz von Kapitalgesellschaften erfolgt die Erstattung der Abzugssteuer i. R. 109 der Erstellung der Steuererklärungen und Veranlagung.130) 3.3

Besonderheiten bei der Besteuerung von Sanierungsgewinnen

Bis zum 31.12.1997 waren Sanierungsgewinne gemäß § 3 Nr. 66 EStG, § 8 Abs. 1 KStG und 110 § 7 GewStG steuerfrei.131) Nach Abschaffung dieser Norm unterlagen Sanierungsgewinne zunächst keinen steuerlichen Besonderheiten, bevor sich das BMF veranlasst sah, einen Erlass auf Steuern der Sanierungsgewinne nach Maßgabe der §§ 163, 227 ff. AO anzuordnen.132) Die Anweisung des BMF vom 27.3.2003, deren Verfassungsmäßigkeit unentschieden geblieben ist,133) stellt ausschließlich auf eine unternehmensbezogene Sanierung ab. Eine unternehmensbezogene Sanierung liegt vor, wenn ein Unternehmer oder ein Unter- 111 nehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren ist und wieder ertragfähig ___________ 125) Vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 402; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 139. 126) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1553; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 142. 127) So OLG Dresden, Beschl. v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 = StuB 2005, 516; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 143. 128) So BGH, Urt. v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, ZIP 2013, 1174 ff. = NZI 2013, 661 ff., dazu EWiR 2013, 409 f. (Kahlert). 129) So OLG Dresden, Beschl. v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 ff. = StuB 2005, 516; LG Freiburg, Urt. v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063 ff. = NZI 2000, 87 f. 130) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 146. 131) Vgl. Schmittmann, Turnaround durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, S. 83, 104; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1681 ff. 132) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 ff.; vgl. dazu Schmittmann, InsO 2003, 505 ff.; Uhländer, ZInsO 2005, 76 f. 133) Vgl. zur Frage eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip: BFH, Beschl. v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, ZIP 2012, 989 ff. = DStR 2012, 943 ff. m. kritischer Anm. Kahlert; vgl. zu einem möglichen Verstoß gegen europäisches Recht: Wehner, NZI 2012, 537 ff.

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Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

gemacht werden soll. Wird das Unternehmen nicht fortgeführt oder trotz der Sanierungsmaßnahmen eingestellt, liegt eine Sanierung i. S. der Anweisung des BMF vom 27.3.2003 nur dann vor, wenn Schulden aus betrieblichen Gründen erlassen werden. Keine begünstigte Sanierung ist gegeben, soweit die Schulden erlassen werden, um dem Steuerpflichtigen oder einem Beteiligten einen schuldenfreien Übergang in sein Privatleben oder den Aufbau einer anderen Existenzgrundlage (unternehmerbezogene Sanierung) zu ermöglichen.134) 112 Der Insolvenzverwalter wird i. R. der Aufstellung eines Insolvenzplanes prüfen, welche steuerlichen Auswirkungen sich ergeben. Dabei ist es zweckmäßig, bei der Finanzverwaltung in Erfahrung zu bringen, ob auf einen entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen die Steuer zunächst nach § 163 AO abweichend festgesetzt und nach § 222 AO mit dem Ziel des späteren Erlasses ab Fälligkeit gestundet wird. 113 Der Insolvenzverwalter wird insbesondere auch zu prüfen haben, welche Auswirkungen sich hinsichtlich von Aufrechnungslagen ergeben. Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht bleibt auch dann erhalten, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt.135) 3.4

Bauabzugsteuer

114 Die sog. „Bauabzugsteuer“ ist keine eigene Steuerart, sondern lediglich eine besondere Erhebungsform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, aufgrund derer nach §§ 48 ff., § 52 Abs. 56 EStG unternehmerisch tätige Auftraggeber von Bauleistungen (Leistungsempfänger) im Inland für Gegenleistungen, die nach dem 31.12.2001 erbracht werden, einen Steuerabzug für Rechnung des die Bauleistung erbringenden Unternehmers (Leistender) vorzunehmen haben, wenn bestimmte Freigrenzen nicht überschritten werden, oder eine gültige, vom zuständigen Finanzamt des Leistenden ausgestellte Freistellungsbescheinigung nicht vorliegt.136) 115 Die deutsche Regelung zur Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen ist grundsätzlich mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar, allerdings ist Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 2004/290/EG des Rates vom 30.3.2004 zur Ermächtigung Deutschlands zur Anwendung einer von Art. 21 6. EG-Richtlinie abweichenden Regelung dahin auszulegen, dass Deutschland berechtigt ist, die ihr mit dieser Entscheidung erteilte Ermächtigung nur teilweise für bestimmte Untergruppen wie einzelne Arten von Bauleistungen oder für Leistungen an bestimmte Leistungsempfänger auszuüben. Bei der Bildung dieser Untergruppen hat der Mitgliedstaat den Grundsatz der steuerlichen Neutralität sowie die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit zu beachten, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.137) 116 Legt der Leistende dem Leistungsempfänger eine gültige Freistellungsbescheinigung vor, so muss der Steuerabzug gemäß §§ 48 Abs. 2, 48b EStG nicht vorgenommen werden. Verfügt das schuldnerische Unternehmen vorinsolvenzlich über eine Freistellungsbescheinigung, so wird die Finanzverwaltung diese grundsätzlich wegen Gefährdung des Steueran___________ 134) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, Rz. 1, BStBl. II 2003, 240 ff.; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 151. 135) So BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/09, ZIP 2011, 1271 ff. = NZI 2011, 538 ff. 136) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1594; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 91; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 157; L. Schmidt-Loschelder, EStG, § 48 Rz. 1 ff.; BMF, Schreiben v. 1.11.2001 – IV A 5 – S 1900 – 292/01, BStBl. I 2001, 804 ff.; OFD Kiel, Schreiben v. 11.12.2001 – S 2274a A – St 236, DB 2002, 70 ff.; BMF, Schreiben v. 27.12.2002 – IV A 5 – S 2272 – 1/02, BStBl. I 2002, 1399 ff. 137) So EuGH, Urt. v. 13.12.2012 – Rs. C-395/11, DB 2012, 2911, 2913 – BLV Wohn- und Gewerbebau GmbH; vgl. zur Bauabzugsteuer in Belgien: EuGH, Urt. v. 9.11.2006 – Rs. C-433/04, DStR 2007, 655 ff.; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 91.

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§ 33

spruchs widerrufen.138) Wurde die Freistellungsbescheinigung bereits widerrufen, so sollte der vorläufige Insolvenzverwalter unverzüglich eine neue Freistellungsbescheinigung beantragen, um den Steuerabzug zu vermeiden.139) Dem Insolvenzverwalter ist grundsätzlich eine Freistellungsbescheinigung auf Antrag auszustellen, da davon auszugehen ist, dass er die steuerlichen Pflichten erfüllt. Die Bescheinigung wird nicht auftragsbezogen, sondern unternehmerbezogen erteilt.140) Verweigert die Finanzverwaltung die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung, so kann 117 der Anspruch auch im Wege der Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO geltend gemacht werden, ohne dass dem der Gesichtspunkt einer Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegensteht.141) Solange der Insolvenzverwalter, was insbesondere bei einer Fortführung des Unternehmens 118 von Bedeutung ist, nicht über eine Freistellungsbescheinigung verfügt, z. B. weil deren Erteilung zunächst noch gerichtlich geltend gemacht werden muss, wird der Leistungsempfänger die Bauabzugsteuer an das Finanzamt abführen. Nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen darf die Finanzverwaltung den abgeführten Betrag aber nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens vereinnahmen, so dass dem Insolvenzverwalter gegen die Finanzverwaltung – nicht gegen den Vertragspartner des schuldnerischen Unternehmens – ein Anspruch auf die Zahlung des Einbehalts zusteht.142) Ist bei einer Unternehmensfortführung das schuldnerische Unternehmen nicht Leistungs- 119 erbringer, sondern Leistungsempfänger, hat der Insolvenzverwalter darauf zu achten, dass er entweder eine gültige Freistellungsbescheinigung des Leistungserbringers vorlegen lässt oder aber den Steuerabzug i. H. von 15 % vornimmt, um die Haftung des Leistungsempfängers gemäß § 48a Abs. 3 EStG zu vermeiden.143) 4.

Umsatzsteuer

Die Umsatzsteuer spielt im Insolvenzverfahren eine erhebliche Rolle, zum einen deshalb, 120 weil das jährliche Umsatzsteueraufkommen mit rd. 190.000.000.000 € die wichtigste Einzelsteuerart darstellt, und zum anderen weil bei der Umsatzsteuer zu berücksichtigen ist, dass – anders als bei der Ertragsteuer – ausschließlich auf die Durchführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen abzustellen ist und nicht auf ggf. durch Verlustvorträge zu kompensierende Gewinne.

___________ 138) Vgl. OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250. 139) Soweit die OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250, noch davon ausgeht, dass nur dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter eine Freistellungsbescheinigung erteilt werden kann, da davon auszugehen ist, dass er die steuerlichen Pflichten erfüllt, ist daran im Hinblick auf § 55 Abs. 4 InsO nicht mehr festzuhalten. Allenfalls, wenn nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu rechnen ist, kann von einer Ausstellung der Freistellungsbescheinigung abgesehen werden; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1596. 140) So OFD Hannover, Verfügung v. 22.4.2003 – S 2272 b – 9 – StO 223/S 2272 b – 2 – StH 216, DB 2003, 1250; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 9 Rz. 95. 141) So BFH, Beschl. v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl. II 2003, 716 ff. = ZIP 2003, 173 ff.; der Streitwert für den Rechtsstreit um die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung beträgt 10 % des Betrages, der als Steuerabzug in Betracht kommt; vgl. Sächsisches FG, Beschl. v. 6.10.2003 – 7 K 1693/02, EFG 2004, 61. Nach Auffassung des Saarländischen FG, Beschl. v. 10.6.2005 – 2 V 429/04, EFG 2005, 1803 f. ist der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG i. H. von 5.000 € zugrunde zu legen. 142) Vgl. auch BFH, Beschl. v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl. II 2003, 716 ff. = ZIP 2003, 173 ff. 143) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 165.

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§ 33 4.1

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Unternehmen und Unternehmer

121 Der Umsatzsteuer unterliegen im Wesentlichen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt i. R. seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (Einfuhrumsatzsteuer; § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) und der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG). 122 Nicht steuerbar sind gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG die Umsätze i. R. einer Geschäftsveräußerung im Ganzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen. 123 Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Dabei ist nicht auf die Verhältnisse des Insolvenzverwalters abzustellen, sondern auf die Verhältnisse des schuldnerischen Unternehmens. Nach Verfahrenseröffnung besteht dem Grundsatz nach die Unternehmenseinheit fort.144) Allerdings besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Es handelt sich um den x

vorinsolvenzlichen Unternehmensteil,

x

den insolvenzlichen Unternehmensteil und

x

das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen.145)

124 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter – unabhängig von einer etwaigen Fortführung des Unternehmens – in die Stellung des Schuldners als Unternehmer ein. Der Insolvenzverwalter wird damit Verwalter fremden Vermögens i. S. von § 34 Abs. 3 AO.146) 125 Die Unternehmereigenschaft fehlt, wenn eine juristische Person gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).147) Die Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters148) wie die Abweisung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse149) führte nach bisheriger Auffassung nicht zur Beendigung der organisatorischen Eingliederung und damit auch nicht zur Beendigung der Organschaft.150) Nunmehr nimmt der BFH bereits bei der Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft an.151) 126 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zu differenzieren: x

Wird Eigenverwaltung angeordnet, verliert der Schuldner nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, so dass sich Auswirkungen auf den Fortbestand der Organschaft

___________ 144) So BFH, Beschl. v. 1.9.2010 – VII R 35/08, ZIP 2010, 2359 ff. = ZVI 2011, 59 ff. 145) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner); vgl. Kahlert, DStR 2011, 1973 ff.; Schacht, ZInsO 2011, 1787 ff.; Schmittmann, ZIP 2012, 249 ff.; Schmittmann, ZIP 2011, 1125 ff.; Welte/Friedrich-Vache, ZIP 2011, 1595 ff. 146) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 206. 147) Vgl. Lemken, InsbürO 2012, 417 ff.; Schmittmann, InsbürO 2007, 265 ff.; Hölzle, DStR 2006, 1210 ff. 148) Vgl. BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = ZIP 2010, 383 ff., dazu EWiR 2010, 227 f. (Kahlert); BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 67/07, BStBl. II 2009, 1029 ff.; BFH, Beschl. v. 10.3.2009 – XI B 66/08, BFH/NV 2009, 977 ff. = DZWIR 2009, 288 f. 149) So BFH, Beschl. v. 28.9.2007 – V B 213/06, juris. 150) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh, Steuerrecht Rz. 208 ff. 151) So BFH, Urt. v. 8.8.2013, V R 18/13, ZIP 2013, 1773 ff. = DStR 2013, 1883 ff.

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Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

nicht ergeben.152) Werden dem Sachwalter ausnahmsweise weitreichende Befugnisse eingeräumt, kommt eine Beendigung der Organschaft in Betracht, wenn der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen kann.153) x

Wird über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt, so endet die umsatzsteuerliche Organschaft.

x

Wird über das Vermögen des Organträgers das Insolvenzverfahren eröffnet, so wird dadurch die Organschaft grundsätzlich nicht beendet.154)

x

Im Falle der Liquidation des Organträgers endet die Organschaft mit dem Beginn der Liquidation, da durch die Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit beim Organträger die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft nicht mehr gegeben ist.155)

x

Wird über das Vermögen des Organträgers und der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so differenziert die Finanzverwaltung danach, ob für den Organträger und die Organgesellschaft derselbe Insolvenzverwalter bestellt wird. Die organisatorische Eingliederung besteht nach Auffassung der Finanzverwaltung fort, wenn die gleiche Person bestellt wird.156) Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, da der Insolvenzverwalter in jedem einzelnen Insolvenzverfahren den Interessen der Gläubiger dieses Verfahrens zu dienen hat. Daher kommt es nicht darauf an, ob für den Organträger und die Organgesellschaft derselbe Insolvenzverwalter bestellt wird.157) Mit der Beendigung der Organschaft sind sowohl Organträger als auch Organgesellschaft wieder zwei selbständige Rechtsobjekte. Umsätze, die von der Organgesellschaft noch vor Beendigung der Organschaft ausgeführt worden sind, sind dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern. Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer zu versteuern.158)

Beim Vorsteuerabzug ist nach den vorstehenden Grundsätzen zu verfahren, so dass der Vor- 127 steuerabzug noch dem Organträger zusteht, sofern die Lieferungen und sonstigen Leistungen vor Beendigung der Organschaft erfolgt sind.159) Der Insolvenzverwalter hat mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen, ob mög- 128 licherweise eine „unerkannte Organschaft“ vorliegt, da kein Wahlrecht besteht, von den Regeln der umsatzsteuerlichen Organschaft Gebrauch zu machen.160) Entdeckt der Insolvenzverwalter eine unerkannte Organschaft, so hat er unabhängig davon, ob die Finanzverwaltung eine Korrektur wünscht, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.161) Der ___________ 152) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1935; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 215. 153) Vgl. OFD Hannover, Verfügung vom 11.10.2004 – S 7105 – 49 – StO 171; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1935. 154) So BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BStBl. I 2004, 905 ff. = ZIP 2004, 1269 ff., dazu EWiR 2004, 1095 f. (Blank); Hölzle, DStR 2006, 1210 ff. 155) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1938. 156) So OFD Hannover, Schreiben v. 6.8.2007 – S 7105 – 49 – StO 172, Rz. 1.3.2; OFD Frankfurt/M., Schreiben v. 20.7.2009 – S 7105 A – 21 – St 110, Rz. 2.3. 157) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 218. 158) Vgl. BFH, Urt. v. 21.6.2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255 ff. = NZI 2002, 334 ff.; Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1943. 159) So OFD Hannover, Schreiben v. 6.8.2007 – S 7105 – 49 – StO 172, Rz. 2.4; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 222. 160) So BFH, Urt. v. 17.1.2002 – V R 37/00, BStBl. II 2002, 373 ff. = ZIP 2002, 1813 ff.; Schmittmann, StuB 2009, 71. 161) Vgl. Schmittmann, ZSteu 2007, 191 ff.; Schmittmann, InsbürO 2007, 265 ff.

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

Insolvenzverwalter wird daher ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft die erteilten Rechnungen korrigieren, die Umsatzsteuererklärungen berichtigen und die möglichen Zahlungsansprüche gegen die Finanzverwaltung geltend machen. 129 Im Falle einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO entsteht ein insolvenzfreier Vermögensbereich des Schuldners, der durch die Finanzverwaltung i. R. der Erteilung einer „dritten Steuernummer“ organisiert wird.162) Gleichwohl bleibt der Grundsatz der Einheit des Unternehmens bestehen, so dass z. B. für die Anwendung der Regelungen über Kleinunternehmer (§ 19 UStG)163) der insolvenzfreie Bereich und die Insolvenzmasse zusammenzurechnen sind. Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstehen durch Handlungen des Insolvenzverwalters, aber nicht durch eine Tätigkeit des Schuldners hinter dem Rücken des Insolvenzverwalters, selbst wenn eine Freigabe durch den Insolvenzverwalter nicht erfolgt ist.164) 130 Ergibt sich aus der i. S. von § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Tätigkeit ein Vorsteuervergütungsanspruch zugunsten des Schuldners, so fällt dieser nicht in die Insolvenzmasse und kann vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden.165) Der Vorsteuererstattungsanspruch kann in unbegrenzter Höhe aufgerechnet werden, da die Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen nicht anwendbar sind.166) Die Umsatzsteuer ist weiterhin nicht Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wenn der Schuldner – unabhängig von einer Freigabe i. S. von § 35 Abs. 2 InsO – mit nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringt.167) 4.2

Steuerbefreiungen und Verzicht auf Steuerbefreiungen

131 Gemäß § 1 Nr. 1 bis Nr. 28 UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen bestimmte steuerfrei, wobei sich insolvenzspezifische Besonderheiten nicht ergeben. 132 Im Falle einer Unternehmensfortführung ist der Insolvenzverwalter dafür verantwortlich, dass bei umsatzsteuerbefreiten Lieferungen und sonstigen Leistungen nicht unberechtigt Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, da dies zu einer Haftung gemäß § 14c UStG führt. Darüber hinaus ist der Insolvenzverwalter auch dafür verantwortlich, dass die Rechnungen gemäß § 14b UStG aufbewahrt werden. 133 Bei bestimmten Umsätzen kann der Unternehmer einen nach § 14 UStG steuerfreien Umsatz als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird (Option), § 9 Abs. 1 UStG; bei dem Verzicht auf die Steuerbefreiung im Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist dies nur möglich, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Unternehmer hat gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 UStG die Voraussetzungen nachzuweisen. ___________ 162) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1999. 163) Das Recht zum Verzicht auf die Kleinunternehmer-Regelung („Option zur Umsatzsteuer“) kann nur einheitlich und durch den Insolvenzverwalter ausgeübt werden, so BFH, Urt. v. 20.12.2012 – V R 23/11, ZIP 2013, 469 f., dazu EWiR 2013, 285 f. (Paul). 164) So BFH, Urt. v. 18.5.2010 – X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114 ff. = ZIP 2010, 214 ff., dazu EWiR 2010, 751 f. (Kahlert); Vorinstanz: FG Nürnberg, Urt. v. 11.12.2008 – 4 K 1394/07, ZInsO 2009, 488 ff. m. Anm. Schmittmann = EFG 2009, 867 ff. m. Anm. Loose. 165) So BFH, Beschl. v. 1.9.2010 – VII R 35/08, ZIP 2010, 2359 ff. = ZVI 2011, 59 ff. 166) So FG Nürnberg, Urt. v. 11.9.2012 – 2 K 1153/10, juris. 167) So BFH, Urt. v. 7.4.2005 – V R 5/04, ZIP 2005, 1376 f. = ZVI 2006, 253 f., s. a. Anm. Schmittmann, ZInsO 2005, 774 ff.

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Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

Die Möglichkeit der Umsatzsteueroption hat im Wesentlichen Auswirkungen auf den Vor- 134 steuerberichtigungsanspruch gemäß § 15a UStG. Die Einzelheiten werden dort erläutert, siehe Rz. 148. 4.3

Steuer

Die Steuer entsteht für Lieferungen und Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach 135 vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG – „Soll-Versteuerung“) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG). Bei der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG – „Ist-Versteuerung“) entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind. Besondere Regelungen für die Entstehung der Steuer ergeben sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 9 UStG. Der BFH hat sich inzwischen vom Grundsatz des Schuldrechtsorganismus gelöst, wonach 136 darauf abzustellen war, wann die zivilrechtliche Leistungsbeziehung, die der Umsatzsteuer zugrunde liegt, vollzogen worden ist: x

Die bis zur Insolvenzeröffnung ausgeführten Umsätze führten stets zu einfachen Insolvenzforderungen.168)

x

Vereinnahmt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i. R. der Ist-Besteuerung Entgelte für Leistungen, die bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht worden sind, handelt es sich bei der für die Leistung entstehenden Umsatzsteuer nach der Rechtsprechung des BFH um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.169) Diese Rechtsprechung hat der BFH inzwischen auch auf die Soll-Besteuerung erstreckt,170) so dass der Insolvenzverwalter unabhängig vom Vorliegen einer Ist- oder SollBesteuerung beim Schuldner die auf den Forderungseinzug nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen hat.

Im Falle der Unternehmensfortführung hat der Insolvenzverwalter hinsichtlich der vorin- 137 solvenzlichen Lieferungen und Leistungen nach den vorstehenden Grundsätzen vorzugehen. Für die Lieferungen und sonstigen Leistungen aus dem Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens ist bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 55 Abs. 4 InsO vorzugehen. Hinsichtlich aller Lieferungen und sonstigen Leistungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht werden, ist die Umsatzsteuer Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Besonderheiten ergeben sich bei der Vereinnahmung von Entgelten vor Ausführung der 138 Leistung. Die Steuer entsteht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 4 UStG bei Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist. Diese Vorschrift enthält einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand, so dass die auf An- und Vorauszahlung entfallende Umsatzsteuer Insolvenzforderung ist, wenn die Vereinnahmung vor Verfahrenseröffnung erfolgt ist.171) ___________ 168) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1978. 169) So BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BStBl. II 2009, 682 ff. = ZIP 2009, 977 ff., dazu EWiR 2009, 315 f. (Berger). 170) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner); vgl. dazu Schmittmann, ZIP 2011, 1125 ff.; Welte/Friedrich-Vache, ZIP 2011, 1595 ff. 171) So BFH, Urt. v. 21.6.2001 – V R 68/00, BStBl. II 2002, 255 = NZI 2002, 334 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1981; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 251.

Schmittmann

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§ 33 4.4

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Vorsteuer und Vorsteuerberichtigung

4.4.1 Vorsteuer 139 Der Unternehmer kann gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen, was voraussetzt, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Im Falle der Fortführung des Unternehmens wird der Insolvenzverwalter veranlassen, dass aus Eingangsrechnungen die Vorsteuerbeträge geltend gemacht werden, was voraussetzt, dass die Rechnungen an die Insolvenzmasse ausgestellt sind und den Schuldner erkennen lassen.172) 140 Der Vorsteuerabzug kommt im Übrigen nur dann in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter mit der Insolvenzmasse keine vorsteuerschädlichen Umsätze getätigt hat.173) Die Einhaltung der Erfordernisse gemäß § 14 UStG ist durch den Insolvenzverwalter zu prüfen.174) 141 Der Besitz an der Rechnung ist für das materielle Entstehen des Vorsteueranspruchs nicht maßgeblich. Auch auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung kommt es nicht an.175) 142 Ist der Vorsteuervergütungsanspruch zum Teil vor und zum Teil nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, erfolgt eine Aufteilung. Das Finanzamt hat sicherzustellen, dass zwischen den vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen differenziert wird und eine Aufrechnung nur insoweit erfolgt, als sich diese auf Vorsteuerbeträge bezieht, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Im Rahmen der Saldierung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG ist die für den Besteuerungszeitraum berechnete Umsatzsteuer vorrangig mit vor Insolvenzeröffnung begründeten Vorsteuerabzugsbeträgen zu verrechnen.176) 143 Der Insolvenzmasse steht auch die Vorsteuer aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu. Eine Verrechnung mit Insolvenzforderungen des Finanzamtes scheidet regelmäßig aufgrund der Anfechtbarkeit gemäß §§ 130, 131 InsO aus.177) Ein Vorsteuerabzug kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn es sich beim Schuldner um einen Unternehmer handelt, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Der Vorsteuererstattungsanspruch erstreckt sich allerdings lediglich auf den Teil der Vergütung des Insolvenzverwalters, der dem unternehmerischen Bereich des Schuldners zuzurechnen ist.178) Der Aufteilungsmaßstab und die Einzelheiten sind umstritten.179) 144 Wird der Vorsteuervergütungsanspruch nicht vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens eingezogen, so besteht die Gefahr, dass die Finanzverwaltung mit Insolvenzforderungen auf___________ 172) 173) 174) 175) 176) 177) 178) 179)

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So Schmittmann, InsbürO 2006, 383 f. So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2091. So Dobler, ZInsO 2012, 208, 211; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 268. So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2094; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 271. So BFH, Urt. v. 16.1.2007 – VII R 7/06, BStBl. II 2007, 745 ff. = ZIP 2007, 490 ff., dazu EWiR 2007, 311 f. (Beck); BFH, Urt. v. 16.11.2004 – VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193 ff. = ZIP 2005, 628 ff. So BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BStBl. II 2011, 493 ff. = ZIP 2011, 181 ff., dazu EWiR 2011, 87 f. (de Weerth); K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 274. So OFD Münster, Kurzinformation Umsatzsteuer Nr. 9/2011 v. 15.6.2011, DB 2011, 1005. Vgl. FG Nürnberg, Urt. v. 11.5.2010 – 2 K 1513/08, EFG 2010, 1843 ff. m. Anm. Loose; im Revisionsverfahren gegen diese Entscheidung blieb eine Klärung aus, da der BFH (Urt. v. 26.9.2012 – V R 9/11, BFH/NV 2013, 489 f. = ZIP 2013, 325 f., dazu EWiR 2013, 213 [Schmittmann]) den Vorsteuerabzug in vollem Umfang ablehnte, da keine Rechnung, sondern nur der Vergütungsbeschluss des Gerichts vorlag; s. a. FG München, Urt. v. 21.4.2010 – 3 K 3736/07, DStRE 2011, 1411, 1412; Schmittmann, InsbürO 2011, 224 ff.

Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

rechnet. Der Insolvenzverwalter wird daher dafür zu sorgen haben, dass eine Nachtragsverteilung angeordnet wird.180) Streitig ist, ob aus der Vergütung des Kassenprüfers, der vom Gläubigerausschuss einge- 145 setzt worden ist, der Vorsteuerbetrag geltend gemacht werden kann.181) Auf die Vorsteuer aus der Vergütung des Schlussrechnungsprüfers wird unten in § 34 146 (Schmittmann) Rz. 22 eingegangen. 4.4.2 Vorsteuerberichtigung Von besonderer Bedeutung ist die Vorsteuerberichtigung wegen

147

x

Änderung der maßgeblichen Verhältnisse (§ 15a UStG) und

x

die Vorsteuerberichtigung wegen Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 UStG).

Gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs 148 erforderlich, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die maßgeblichen Verhältnisse ändern. Der Berichtigungszeitraum verlängert sich gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile auf zehn Jahre. Die Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG ist haftungsträchtig, da sowohl ein Insol- 149 venzverwalter182) als auch ein Zwangsverwalter183) den Berichtigungstatbestand dadurch auslösen können, dass eine bisher unter Option zur Umsatzsteuer an einen anderen Unternehmer vermietete Immobilie nunmehr an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Mieter vermietet wird. Beispiel: Findet z. B. zunächst eine Vermietung an ein Ingenieurbüro statt und wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Auszug des Ingenieurbüros ein Mietvertrag mit einem Arzt abgeschlossen, liegt eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse vor. Der Berichtigungstatbestand des § 15a UStG wird darüber hinaus ausgelöst, wenn der Insolvenzverwalter ein Grundstück durch freihändigen Verkauf veräußert und nicht zur Umsatzsteuer optiert, obwohl beim Erwerb seitens des schuldnerischen Unternehmers zur Umsatzsteuer optiert worden war.184) Beruht die Berichtigung nach § 15a UStG auf einer Maßnahme des Insolvenzverwalters 150 i. R. der Verwaltung und Verwertung der Masse, ist unabhängig von der Rechtsprechung des BFH185) der Berichtigungsanspruch Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da es sich bei der Vorsteuerberichtigung materiell-rechtlich um einen gegenüber dem Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG eigenständigen Tatbestand handelt.186) ___________ 180) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 277. 181) Vgl. Kahlert, DStR 2011, 2439, 2440; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 278. 182) So BFH, Urt. v. 9.2.2011 – XI R 35/09, BStBl. II 2011, 1000 ff. = ZIP 2011, 1122 ff., dazu EWiR 2011, 471 f. (de Weerth); K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 282. 183) So BFH, Beschl. v. 28.6.2011 – XI B 18/11, ZIP 2011, 2018 f. = ZfIR 2011, 667 f., s. a. Anm. Wedekind, ZfIR 2011, 648 ff.; vgl. Schmidtberger, ZfIR 2011, 786 ff.; Schmittmann/Brandau/Stroh, IGZInfo 2012, 3, 7 f. 184) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2146; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 281. 185) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 186) So BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 24/11, BStBl. II 2012, 466 ff. = ZIP 2012, 684 ff., dazu EWiR 2012, 289 f. (Schmittmann).

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

151 Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG ist bei dem leistenden Unternehmer die geschuldete Umsatzsteuer zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage geändert hat. Beim Leistungsempfänger ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug zu berichtigen. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. 152 Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen. Uneinbringlichkeit ist gegeben, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann.187) Uneinbringlichkeit liegt nicht erst bei Zahlungsunfähigkeit vor, sondern bereits dann, wenn der Leistungsempfänger das Bestehen der Forderung substantiiert bestreitet.188) 153 Für den Insolvenzverwalter ist zu unterscheiden, ob es sich um Forderungen handelt, die vorinsolvenzlich entstanden sind, oder ob es sich um Forderungen handelt, die i. R. einer Fortführung des Geschäftsbetriebes des schuldnerischen Unternehmens entstanden sind. Da der BFH annimmt, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Forderungen, die vorinsolvenzlich entstanden sind, Uneinbringlichkeit eintritt, ist mit Insolvenzeröffnung eine Berichtigung vorzunehmen und im Falle des erfolgreichen Einziehens der Forderung eine erneute Berichtigung erforderlich, die dann freilich zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO führt.189) Der Insolvenzverwalter hat allerdings zu prüfen, ob nicht ggf. bereits vorher Uneinbringlichkeit eingetreten ist, z. B. weil auf Seiten des Leistungsempfängers Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder dieser er substantiiert Mängel gerügt hat. Entscheidend ist, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht worden ist.190) 154 In Insolvenzverfahren, in denen die Rechtsprechung des BFH191) nicht anwendbar ist, also die ab dem 1.1.2012 eröffnet worden sind, ergibt sich für den Insolvenzverwalter konkreter Handlungsbedarf. Es reicht nicht aus, bei einem gescheiterten Forderungseinzug die Forderung auszubuchen. Es ist vielmehr erforderlich, den genauen Zeitpunkt festzustellen, an dem rechtlich der Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht worden ist. Da nach der neueren Rechtsprechung des BFH der Zeitpunkt der Anmeldung unbeachtlich ist, sondern es auf die materiell-rechtliche Uneinbringlichkeit ankommt,192) ist bei einem „Uneinbringlichwerden“ nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners der Berichtigungsanspruch gemäß § 17 Abs. 2 UStG erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, so dass er von der Finanzverwaltung nicht mit Steuerforderungen i. S. von § 38 InsO aufgerechnet werden darf.193) 155 Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2012 eröffnet worden sind, hat diese Rechtsprechung keine Bedeutung, da ohnehin mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Berichti___________ 187) So BFH, Urt. v. 20.7.2006 – V R 13/04, BStBl. II 2007, 22 ff. = DStR 2006, 1699 f. 188) So BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 49/10, BFH/NV 2012, 1665 ff. = StuB 2012, 723. 189) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 190) So BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36 f. = ZIP 2012, 2217 = UR 2012, 927 ff. m. Anm. Marchal. 191) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782, dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner). 192) So BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36 f. = ZIP 2012, 2217 ff. 193) So Schmittmann, StuB 2012, 874 f.

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§ 33

gung gemäß § 17 UStG zu erfolgen hat.194) Hinsichtlich der Berichtigung der Vorsteuer gemäß § 17 UStG bei Forderungen, die i. R. der Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter entstanden sind, ergeben sich Besonderheiten nicht. Die Quotenzahlung im Insolvenzverfahren führt zu einer neuerlichen Berichtigung.195) Die 156 Quotenzahlung ist auf Seiten des Leistungserbringers und des Leistungsempfängers zu berücksichtigen, so dass im Falle der Quotenzahlung im Insolvenzverfahren auf der Ebene der Insolvenzmasse ein Vorsteuererstattungsanspruch entsteht.196) Hinsichtlich der Berichtigung i. R. von Organschaften wird auf Rechtsprechung und Lite- 157 ratur verwiesen.197) 4.5

Besteuerung

Besteuerungszeitraum ist gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG das Kalenderjahr. Der Besteue- 158 rungszeitraum wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen.198) Gemäß § 46 Satz 1 UStDV hat das Finanzamt dem Unternehmer auf Antrag für die Abgabe 159 der Voranmeldungen und für die Entrichtung der Vorauszahlungen eine sog. Dauerfristverlängerung um einen Monat zu gewähren. Der Antrag wird abgelehnt oder eine gewährte Fristverlängerung widerrufen, wenn der Steueranspruch gefährdet ist, § 46 Satz 2 UStDV. Die Bewilligung der Dauerfristverlängerung hängt davon ab, dass der Unternehmer eine Sondervorauszahlung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 UStG leistet. Das weitere Verfahren ergibt sich aus § 48 UStDV. Spätestens mit Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Steuer- 160 anspruch gefährdet, so dass die Finanzverwaltung die Dauerfristverlängerung widerruft. Die Sondervorauszahlung wird für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die 161 Fristverlängerung gilt, angerechnet. Soweit ein nicht verbrauchter Betrag verbleibt, so wird dieser nicht erstattet, sondern mit der Jahressteuer verrechnet. Ein Erstattungsanspruch entsteht nur dann, wenn die Sondervorauszahlung auch durch die Verrechnung mit der Jahressteuer nicht verbraucht ist.199) Die Umsatzsteuer gehört zu den sog. Selbstberechnungssteuern, so dass der Unternehmer 162 bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln hat, in der er die Steuer für den Voranmeldungszeitraum (Vorauszahlung) selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). Das Kalendervierteljahr ist grundsätzlich Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 Satz 1 163 UStG). Nimmt der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf, ist im laufenden und folgenden Kalenderjahr Voranmeldungszeitraum der Kalendermonat (§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Finanzamt den Unter___________ 194) So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 f. (Mitlehner). 195) So BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 ff. = ZIP 2010, 383 ff., dazu EWiR 2010, 227 f. (Kahlert), s. a. NZI 2010, 272 ff. m. Anm. de Weerth. 196) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2124; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 286. 197) Vgl. BFH, Beschl. v. 5.12.2008 – V B 101/07, BFH/NV 2009, 432 f.; Niedersächsisches FG, Urt. v. 4.3.2010 – 16 K 305/08, EFG 2010, 1259 ff.; Hölzle, DStR 2006, 1210 ff.; Lemken, InsbürO 2012, 417 ff.; Schmittmann, ZSteu 2007, 191 ff.; Trinks, UVR 2010, 12 ff. 198) So BFH, Urt. v. 16.12.2008 – VII R 17/08, BStBl. II 2010, 91 ff. = ZIP 2009, 1290 f.; BFH, Urt. v. 6.11.2002 – V R 21/02, BStBl. II 2003, 39 ff. = ZIP 2003, 83 f.; BFH, Urt. v. 18.7.2002 – V R 56/01, BStBl. II 2002, 705 ff. = ZIP 2003, 85 ff. 199) So BFH, Urt. v. 16.12.2008 – VII R 17/08, BStBl. II 2010, 91 ff. = ZIP 2009, 1290 f.

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§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

nehmer von der Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen befreien, so dass er lediglich noch die Jahreserklärung abzugeben hat (§ 18 Abs. 2 UStG). 164 Unternehmer, deren Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird, werden als Kleinunternehmer i. S. von § 19 Abs. 1 UStG angesehen, so dass für deren Umsätze Umsatzsteuer nicht erhoben wird. Der Kleinunternehmer ist weder berechtigt, Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen noch Vorsteueransprüche aus den Rechnungen anderer Unternehmer geltend zu machen. 165 Der Kleinunternehmer hat ein Optionsrecht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 UStG. Er kann bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklären, dass er auf die Anwendung von § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. Daran ist der Unternehmer für mindestens fünf Kalenderjahre gebunden, § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG. Nach Verfahrenseröffnung ist der Insolvenzverwalter befugt, über den Verzicht auf die Steuerbefreiung zu entscheiden.200) Ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer ggf. erfolgten Freigabe des Schuldners nach Verfahrenseröffnung besteht die Unternehmenseinheit im umsatzsteuerlichen Sinne fort, so dass die Option gemäß § 19 Abs. 1 UStG nur einheitlich ausgeübt werden kann.201) In der Regel ist ein Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung i. R. der Fortführung des Unternehmens zweckmäßig, da sodann die Möglichkeit besteht, den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen. 5.

Gewerbesteuer

5.1

Grundlagen

166 Der Status des Schuldners als Gewerbetreibender geht nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verloren. Bei Einzelgewerbetreibenden und Personenhandelsgesellschaften bleibt die Eigenschaft als Gewerbetreibender und damit die Gewerbesteuerpflicht bis zur vollständigen Beendigung der werbenden Tätigkeit des Betriebes bestehen.202) Wird über das Vermögen eines Einzelgewerbetreibenden oder einer Personenhandelsgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und führt der Insolvenzverwalter den Betrieb fort, so ändert sich an der Gewerbesteuerpflicht nichts. 167 Wird der Geschäftsbetrieb eingestellt, bleibt die Gewerbesteuerpflicht bis zur Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen bestehen, wobei die Veräußerung des Anlagevermögens und die damit einhergehende Aufdeckung stiller Reserven nicht mehr der Gewerbesteuerpflicht unterliegt.203) 168 Kapitalgesellschaften, Genossenschaften sowie Versicherungs- und Pensionsfondvereine auf Gegenseitigkeit sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG für die gesamte Dauer ihrer Existenz rechtsformabhängig gewerbesteuerpflichtig. Die Gewerbesteuerpflicht endet erst dann, wenn das gesamte Vermögen der Gesellschaft verteilt worden ist.204) 169 Gemäß § 18 GewStG entsteht die Gewerbesteuer, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen (§ 21 GewStG) handelt, mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung ___________ 200) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 307. 201) So BFH, Urt. v. 20.12.2012 – V R 23/11, ZIP 2013, 469 f. (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urt. v. 11.5.2011 – 2 K 535/10, EFG 2012, 1204 ff. m. Anm. Büchter/Hole). 202) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 190; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1856. 203) So BFH, Urt. v. 20.4.1980 – IV R 68/77, BStBl. II 1980, 658 ff. = ZIP 1980, 795 f.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1857. 204) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1859; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 190; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.556.

1002

Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern

§ 33

vorgenommen wird. Die Vorauszahlungen sind gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG am 15.2., 15.5., 15.8. und 15.11. zu entrichten. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbricht den Veranlagungszeitraum nicht, so 170 dass auch für das Jahr der Insolvenzeröffnung ein einheitlicher Messbescheid ermittelt wird. Für die Zeit vor und nach der Insolvenzeröffnung wird eine gemeinsame Veranlagung durchgeführt, allerdings ist eine Aufteilung erforderlich.205) 5.2

Abgrenzung Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten und insolvenzfreie Verbindlichkeiten

Für das Jahr der Insolvenzeröffnung ist eine Aufteilung nach § 38 InsO und § 55 InsO 171 erforderlich. Für die Aufteilung sind die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze anwendbar:206) x

Soweit die Abschlusszahlung des Jahres der Insolvenzeröffnung vor der Insolvenzeröffnung begründet war, handelt es sich um eine Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.

x

Eine Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) liegt vor, wenn die Abschlusszahlung danach begründet war.207)

x

Für einen bei Insolvenzeröffnung bereits beendeten Veranlagungszeitraum ist die Abschlusszahlung gemäß § 41 InsO abgezinst als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden.208)

Die Gewerbesteuervorauszahlungen gemäß § 19 GewStG sind nach vorstehenden Grund- 172 sätzen zu behandeln. Es handelt sich bei den Vorauszahlungen um Insolvenzforderungen, soweit das Insolvenzverfahren nach dem Beginn des Voranmeldungszeitraums eröffnet worden ist. Im laufenden Insolvenzverfahren sind die Vorauszahlungen gemäß § 19 Abs. 3 GewStG anzupassen.209) Die Finanzverwaltung darf der hebeberechtigten Gemeinde nach Eröffnung des Insol- 173 venzverfahrens nur noch eine formlose Mitteilung über den Gewerbesteuermessbetrag zur Verfügung stellen. Ein Gewerbesteuermessbescheid darf nicht mehr ergehen. Ergeht er trotzdem, so ist er unwirksam.210) 5.3

Gewerbeertrag in der Insolvenz

Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde 174 Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge (§ 7 Satz 1 GewStG). Hinsichtlich der Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und der Kürzungen (§ 9 GewStG) ist auf das Gesetz und weiterführendes Schrifttum zu verweisen. Der Gewerbeertrag, der bei einem in der Abwicklung befindlichen Gewerbebetrieb i. S. des 175 § 2 Abs. 2 GewStG im Zeitraum der Abwicklung entstanden ist, ist gemäß § 16 Abs. 1 ___________ 205) So K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 318. 206) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1852. 207) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 193; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.549; K. SchmidtSchmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 319. 208) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1885; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 194. 209) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1886. 210) So BFH, Urt. v. 2.7.1997 – I R 11/97, BStBl. II 1998, 428 ff. = ZIP 1997, 2160 ff.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1893.

Schmittmann

1003

§ 33

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung

GewStDV auf die Jahre des Abwicklungszeitraums zu verteilen. Dies gilt gemäß § 16 Abs. 2 GewStDV entsprechend, wenn über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. 176 Die Regelung des § 16 Abs. 4 EStG (Besteuerung des Veräußerungsgewinns) ist auf Liquidationsgewinne einer Kapitalgesellschaft sowohl bei der Ermittlung des körperschaftssteuerpflichtigen Einkommens als auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags i. S. von § 7 GewStG anzuwenden.211) 177 Der Ertrag des Liquidationszeitraums ist zeitanteilig auf die einzelnen Jahre des Abwicklungszeitraums zu verteilen. Die Anzahl der Kalendermonate, für die in dem jeweiligen Jahr die Gewerbesteuerpflicht bestand, ist mit der Gesamtzahl der Kalendermonate des Zeitraums, in dem die Steuerpflicht während des Insolvenzverfahrens bestand, mit der Gesamtzahl der Kalendermonate des Zeitraums, in dem die Steuerpflicht während des Insolvenzverfahrens bestand, ins Verhältnis zu setzen.212) 178 Hinsichtlich der gewerbesteuerlichen Organschaft in der Insolvenz ist auf Spezialliteratur zurückzugreifen.213) 5.4

Erlass von Gewerbesteuerverbindlichkeiten

179 Sanierungsgewinne waren bis zum 31.12.1997 gemäß § 3 Nr. 66 EStG a. F., § 8 Abs. 1 KStG und § 7 GewStG steuerfrei. Die durch den Wegfall dieser Bestimmungen ausgelöste Unsicherheit wurde vom BMF im Verwaltungswege versucht zu beseitigen.214) Das BMF ordnet an, dass die Gemeinden unter Berücksichtigung einer „Ermessensreduzierung auf null“ Gewerbesteuer auf Sanierungsgewinne zu erlassen haben. Tatsächlich steht dem BMF allerdings keinerlei Anordnungskompetenz gegenüber Gemeinden zu.215) 180 Zutreffend ist daher bei jeder einzelnen Gemeinde ein Stundungs- und Erlassantrag zu stellen, was freilich gerade in Insolvenzplanverfahren von größeren Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führt, da eine Vielzahl von Gemeinden beteiligt werden muss. Jede Gemeinde muss in eigener Zuständigkeit prüfen, ob ein Sanierungsgewinn vorliegt und Erlassgründe bestehen.216) 5.5

Aufrechnung durch die Gemeinde

181 Sofern der Schuldner aufgrund von Vorauszahlungsbescheiden zu viel Gewerbesteuer geleistet hat, hat der Insolvenzverwalter gegen die Gemeinde einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Rückerstattung. Sofern die Gemeinde eine Aufrechnung erklärt, ist insbesondere unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 InsO zu prüfen, ob die Aufrechnung insolvenzrechtlich zulässig ist.217)

___________ 211) So BFH, Urt. v. 8.5.1991 – I R 33/90, BStBl. II 1992, 437 ff. = BB 1991, 2358 ff. 212) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1867; Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rz. 4.552; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 325. 213) Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1870. 214) So BMF, Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 ff.; vgl. Schmittmann, ZInsO 2003, 505 ff.; Uhländer, ZInsO 2005, 76 f.; Gerbers, ZInsO 2006, 633 ff. 215) So BFH, Urt. v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFHE 237, 403 ff. = ZIP 2012, 1571 f.; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1871; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 327. 216) So OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.2.2008 – 9 S 38/07, Rz. 7, juris; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 328. 217) Vgl. Roth, Insolvenzsteuerrecht Rz. 4.558; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 329.

1004

Schmittmann

Interne und externe Rechnungslegung, Steuern 6.

Kraftfahrzeugsteuer

6.1

Grundlagen

§ 33

Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG unterliegt u. a. das Halten von inländischen Fahrzeugen 182 zum Verkehr auf öffentlichen Straßen der Kraftfahrzeugsteuer. Die Steuer ist gemäß § 11 Abs. 1 KraftStG für die Dauer eines Jahres im Voraus zu entrichten. Die Steuer wird, wenn der Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht nicht feststeht, unbefristet, in allen anderen Fällen für einen bestimmten Zeitraum oder tageweise, festgesetzt, § 12 Abs. 1 Satz 1 KraftStG. Da die Kraftfahrzeugsteuer taggenau berechnet und festgesetzt werden kann, stellt die 183 Aufteilung in Insolvenzforderungen i. S. von § 38 InsO und Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO vergleichsweise wenig Probleme.218) Die Finanzverwaltung teilt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Kraftfahrzeugsteuer- 184 schuld in einen vor- und nachinsolvenzlichen Teil auf. Sofern der Schuldner die Kraftfahrzeugsteuer vorausgezahlt hat, entsteht für die Tage nach Verfahrenseröffnung ein Erstattungsanspruch, gegen den das Finanzamt mit Insolvenzforderungen aufrechnen kann.219) 6.2

Nutzung oder Neuanmeldung des Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter

Ist ein Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse, so ist die nach Insolvenzeröffnung entstehende 185 Kraftfahrzeugsteuer Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.220) x

Eine Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse und damit eine Kraftfahrzeugsteuerschuld als Masseverbindlichkeit ist gegeben, wenn der Insolvenzverwalter das Fahrzeug für die Insolvenzmasse weiter nutzt oder ggf. i. R. der Fortführung des Geschäftsbetriebs neue Fahrzeuge anschafft.221)

x

Keine Masseverbindlichkeit liegt vor, wenn das Fahrzeug Zubehör eines unter Zwangsverwaltung stehenden Grundstücks ist. In diesem Falle ist die Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem Zwangsverwalter festzusetzen.222)

x

Keine Massezugehörigkeit liegt originär vor, wenn der Gegenstand bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung unpfändbar ist, z. B. weil der Schuldner des Gegenstandes bedarf, um seine Erwerbstätigkeit i. S. des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO fortsetzen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner als Arbeitnehmer keine andere zumutbare Möglichkeit hat, zu seiner Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu gelangen.223)

Die Freigabe einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO hat auf den Rechts- 186 status der vom Schuldner zur Fortsetzung oder Aufnahme der Tätigkeit verwendeten Gegenstände keinen Einfluss.224) In der Regel wird der Insolvenzverwalter allerdings eine selbständige Tätigkeit des Schuldners nur dann freigeben, wenn der Schuldner diese Tätigkeit mit Gegenständen ausüben kann, die ohnehin nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen, sondern gemäß § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbar sind. ___________ 218) Vgl. K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 350. 219) So BFH, Urt. v. 16.11.2004 – VII R 62/03, BStBl. II 2005, 309 ff. = ZVI 2005, 134 ff. s. a. NZI 2005, 279 m. Anm. Gundlach/Frenzel; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2536; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 352. 220) So BFH, Urt. v. 8.9.2011 – II R 54/10, BStBl. II 2012, 149 ff. = ZIP 2012, 42 f.; BFH, Urt. v. 13.4.2011 – II R 49/09, ZIP 2011, 1728 ff. = ZVI 2011, 420 ff. 221) So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2533; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 351. 222) So BFH, Urt. v. 1.8.2012 – II R 28/11, ZIP 2012, 2306 ff. 223) So BFH, Urt. v. 13.4.2011 – II R 49/09, ZIP 2011, 1728 ff. = ZVI 2011, 420 ff. 224) So BFH, Urt. v. 8.9.2011 – II R 54/10, BStBl. II 2012, 149 ff. = ZIP 2012, 42 f.

Schmittmann

1005

§ 33 6.3

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung Veräußerung eines Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter

187 Veräußert der Insolvenzverwalter ein Fahrzeug, das zur Insolvenzmasse gehört, so endet die Steuerpflicht für die Insolvenzmasse gemäß § 5 Abs. 5 KraftStG in dem Zeitpunkt, in dem die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsbehörde eingeht, spätestens mit der Aushändigung des neuen Fahrzeugscheins an den Erwerber. Um diese Unsicherheiten zu vermeiden erscheint es zweckmäßig, dass der Insolvenzverwalter bereits vor der Veräußerung des Fahrzeugs eine Außerbetriebsetzung vornimmt, womit ebenfalls die Kraftfahrzeugsteuerpflicht für die Insolvenzmasse gemäß § 5 Abs. 4 KraftStG endet. 188 Allein die Mitteilung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders an das Straßenverkehrsamt, dass ein Fahrzeug nicht zur Insolvenzmasse gezogen werde, beendet nach Auffassung des BFH die Steuerschuldnerschaft der Insolvenzmasse nicht. Erst die Mitteilung nach §§ 13, 14 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) beendet die unwiderlegliche Haltervermutung nach dem KraftStG.225) 189 Besonderheiten ergeben sich bei der Verwertung des Fahrzeugs gemäß § 314 InsO im vereinfachten Insolvenzverfahren.226) 6.4

Behandlung insolvenzfreier Fahrzeuge

190 Zutreffender Weise ist hier zu differenzieren: x

Handelt es sich um insolvenzfreie Fahrzeuge, weil Unpfändbarkeit gemäß § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 ZPO vorliegt, besteht von Anfang an keine Massezugehörigkeit, so dass zu keinem Zeitpunkt eine Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstehen kann. Die Finanzverwaltung hat daher Bescheide ausschließlich an den Schuldner zu richten. Auf eine eventuelle Mitteilung an die Straßenverkehrsbehörde kommt es ebenso wenig an wie eine Mitteilung an das Finanzamt.

x

Hat der Insolvenzverwalter festgestellt, dass ein Überschuss bei der Verwertung über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht zu erwarten ist (§ 803 Abs. 2 ZPO) besteht ebenfalls keine Massezugehörigkeit, allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Feststellung durch den Insolvenzverwalter, die dem Finanzamt und der Straßenverkehrsbehörde mitzuteilen ist. Die Feststellung des Insolvenzverwalters wirkt nur für die Zukunft.

___________ 225) So BFH, Beschl. v. 10.3.2010 – II B 172/09, ZIP 2010, 1302 f. = ZVI 2010, 307 ff. 226) Vgl. dazu Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2553; K. Schmidt-Schmittmann, InsO, Anh. Steuerrecht Rz. 358 f.

1006

Schmittmann

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort .................................................................................................................................. V Inhaltsübersicht .................................................................................................................. VII Autorenverzeichnis ......................................................................................................... XVII Literaturverzeichnis ......................................................................................................... XXV

Teil I Grundsätze der Betriebsfortführung §1

Vom Konkurs zum ESUG – Betriebsfortführung als Sanierungsentscheidung ............................................................................................. 3

I.

Geschichtliche Entwicklung ........................................................................................ 4

II.

Initiativen des Kölner Fachkongresses 1977 ............................................................... 7

III.

Die Betriebsfortführung im System der InsO ............................................................ 7

IV.

Die Unternehmensfortführung nach der InsO .......................................................... 8

V.

Zuständigkeiten für Sanierungsentscheidungen ....................................................... 11

VI.

Die unverzichtbare Fortbestehensprognose ............................................................. 14

VII. Rechtsfolgen einer misslungenen außergerichtlichen Sanierung ............................. 16 VIII. Das ESUG und die neue Insolvenzkultur ................................................................. 18 IX.

Die problematische Fortführungsfinanzierung ........................................................ 21

X.

Rechtzeitige Einbeziehung der Anteilsinhaber ......................................................... 25

XI.

Zusammenfassung ...................................................................................................... 25

§2

Verfahrensgrundsätze im Lichte der Betriebsfortführung .................................. 29

I.

Die Bedeutung von Verfahrensgrundsätzen ............................................................. 29

II.

Die klassischen Verfahrensgrundsätze ...................................................................... 30

III.

Die Verfahrensgrundsätze bei Fortführung und Sanierung ..................................... 35

IV.

Ethik und Betriebsfortführung .................................................................................. 38

V.

Pflichtenentlastung und Freistellung von Risiken bei Betriebsfortführung? ......... 39

§3

Der Insolvenzverwalter als Unternehmer – das Anforderungsprofil ................. 41

I.

Einleitung .................................................................................................................... 41

II.

Der Insolvenzverwalter und das Klavier ................................................................... 42

III.

Verantwortlichkeit ...................................................................................................... 46

IV.

Normierungs-/Messbarkeitsversuche ....................................................................... 47

V.

ESUG .......................................................................................................................... 47

VI.

Zusammenfassung ...................................................................................................... 48 IX

Inhaltsverzeichnis §4

Die Funktion der Betriebsfortführung im deutschen Insolvenzrecht ................ 49

I.

Konkurs und Vergleich ............................................................................................... 49

II.

Gesamtvollstreckungsverfahren ................................................................................. 53

III.

Die Insolvenzordnung ................................................................................................ 54

IV.

Zusammenfassung ...................................................................................................... 58

§5

Betriebsfortführung und Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung ................................................................................................. 59

I.

Einführung in die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung ................. 59

II.

Überblick über die Regelungen der GOI .................................................................. 61

III.

GOI-Regelungen zur Betriebsfortführung und Auslaufproduktion ....................... 66

Teil II Voraussetzungen und wesentliche Eckpunkte der Fortführung §6

Die betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen für eine Fortführung ............................................................................................................... 75

I.

Die Entscheidungssituation ....................................................................................... 75

II.

Analyse der Unternehmenskrise (Ursachenanalyse) ............................................... 76

III.

Ermittlung von Sanierungsmaßnahmen .................................................................... 80

IV.

Sanierungskonzept und Planungsrechnung .............................................................. 85

V.

Umsetzung und Controlling ...................................................................................... 86

VI.

Zusammenfassung ...................................................................................................... 87

§7

Aufsicht und Kontrolle durch das Insolvenzgericht ............................................. 89

I.

Vorbemerkung ............................................................................................................ 90

II.

Begriff der insolvenzrechtlichen Aufsicht ................................................................. 91

III.

Die insolvenzgerichtliche Aufsicht im Überblick .................................................. 103

IV.

Schwerpunkte insolvenzgerichtlichen Aufsicht und Kontrolle im Verlauf des Insolvenzverfahrens bei Fortführung des schuldnerischen Unternehmens ......... 135

V.

Exkurs: Sonderinsolvenzverwalter ........................................................................... 156

VI.

Schlussbemerkung .................................................................................................... 156

§8

Gläubigerautonomie – Einbeziehung von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss .................................................................................................. 157

I.

Vorbemerkung: Rolle der Gläubiger bei der Betriebsfortführung ........................ 158

II.

Organe der Gläubiger im Überblick ........................................................................ 160

III.

Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren ....................................................... 173

IV.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Regelverfahren ............................................... 177

V.

Gläubigerbeteiligung im eröffneten Planverfahren ................................................. 186

X

Inhaltsverzeichnis §9

Steuerung, Überwachung und Beendigung der Fortführung ........................... 187

I.

Die Betriebsfortführung im System der Insolvenzordnung .................................. 188

II.

Betriebsfortführung im vorläufigen Verfahren ....................................................... 199

III.

Betriebsfortführung im endgültigen Verfahren ...................................................... 217

IV.

Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung .......................................................... 228

§ 10 Kommunikation in der Insolvenz ......................................................................... 233 I.

Einführung ................................................................................................................ 233

II.

Der Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Öffentlichkeit sowie Unternehmensführung und Belegschaft ......................................................................................................... 236

III.

Das Handwerkszeug des Pressesprechers in der Insolvenz ................................... 240

IV.

Inhalt und Ablauf einer Insolvenzkommunikation ................................................ 252

V.

Exkurs: Die Medien in Deutschland ....................................................................... 256

§ 11 Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ..................................................... 259 I.

Funktion des Eröffnungsverfahrens ........................................................................ 263

II.

Rechtliche Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ........................................................................................... 269

III.

Wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren .................................................. 318

IV.

(Zwangs-)Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ........................................................................................... 342

V.

Betriebsfortführung und Öffentlichkeit ................................................................. 351

VI.

Übergang ................................................................................................................... 352

Teil III Einzelfragen § 12 Die Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Betriebsfortführung ............... 355 I.

Einleitung .................................................................................................................. 355

II.

Aus- und Absonderungsrechte und deren Rechtsgrundlagen ............................... 356

III.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger in der Antragsphase ....................................... 362

IV.

Stellung der Sonderrechtsgläubiger im eröffneten Verfahren ................................ 366

V.

Konkurrenz von Sonderrechten .............................................................................. 370

§ 13 Die Nutzung des Betriebsgrundstücks im Falle der Betriebsfortführung ....... 373 I.

Vorbemerkung .......................................................................................................... 375

II.

Antragsverfahren/Ziel: Sicherung des Grundstücks .............................................. 376

III.

Eröffnetes Verfahren ................................................................................................ 393

IV.

Exit-Strategien des Insolvenzverwalters ................................................................. 407 XI

Inhaltsverzeichnis § 14 Arbeitsrechtliche Probleme i. R. der Betriebsfortführung ................................. 417 I.

Einleitung .................................................................................................................. 418

II.

Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren ............................................................................ 419

III.

Arbeitsrechtsrechtliche Probleme einer Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren ............................................................................ 424

§ 15 Betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliche Probleme ............................. 453 I.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme ................................................................. 454

II.

Tarifrechtliche Probleme .......................................................................................... 502

§ 16 Die Finanzierung der Betriebsfortführung .......................................................... 507 I.

Theoretische Grundlagen ......................................................................................... 508

II.

Liquiditätsplanung .................................................................................................... 511

III.

Finanzierung durch Verwertung .............................................................................. 512

IV.

Finanzierung durch Eigenkapital ............................................................................. 518

V.

Finanzierung durch Fremdkapital ........................................................................... 527

VI.

Finanzierung durch die öffentliche Hand ............................................................... 537

§ 17 Der Schuldner in der Betriebsfortführung – Rechte, Pflichten, Konfliktpotential ..................................................................................................... 541 I.

Einleitung: Die Rolle des Schuldners in der insolvenzrechtlichen Praxis ............. 542

II.

Der schuldnerische Personenkreis ........................................................................... 545

III.

Schuldnerische Gestaltungsmöglichkeiten i. R. des Insolvenzantrags .................. 545

IV.

Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Insolvenzverfahren ................ 546

V.

Die Rechtsstellung des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren ................. 550

§ 18 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in der Insolvenz ................................... 557 I.

Problemaufriss .......................................................................................................... 558

II.

Typen von Genehmigungen ..................................................................................... 558

III.

Realkonzessionen in der Insolvenz .......................................................................... 558

IV.

Personalkonzessionen in der Insolvenz .................................................................. 560

V.

Alternativszenarien ................................................................................................... 575

VI.

Fazit ........................................................................................................................... 578

§ 19 Die Behandlung von Umweltkontaminationen in der Betriebsfortführung .. 579 I.

Allgemeines ............................................................................................................... 580

II.

Strategische Sanierung und behördliche Inanspruchnahme ................................... 583

III.

Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme als Zustandsstörer in den verschiedenen Insolvenzverfahrensstadien und -konstellationen ................... 589

IV.

Besonderheiten bei Inanspruchnahme als Handlungsstörer oder Betreiber ......... 600

XII

Inhaltsverzeichnis § 20 Wettbewerbsrecht und Lizenzen i. R. der Betriebsfortführung ........................ 603 I.

Wettbewerbsrecht ..................................................................................................... 604

II.

Lizenzen und immaterielle Wirtschaftsgüter .......................................................... 614

§ 21 Betriebsfortführung im Konzern – aus Sicht des Insolvenzverwalters ............ 625 I.

Ausgangslage ............................................................................................................. 627

II.

Betriebsfortführung im Konzern nach gegenwärtigem Recht ............................... 632

III.

Reformbestrebungen/Aspekte der Entwürfe auf deutscher und europäischer Ebene ........................................................................................... 667

IV.

Vergütungsrechtliche Fragestellungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“ ....................................................................................... 681

§ 22 Aspekte der Betriebsfortführung im Konzern aus Gläubigersicht ................... 687 I.

Die Rolle des Konzerns im Insolvenzverfahren ..................................................... 688

II.

Die Konzerninsolvenz im internationalen Insolvenzrecht und in einzelstaatlichen Insolvenzrechtsregelwerken .................................................... 694

III.

Der Konzern im Regelinsolvenzverfahren und im Verfahren mit Insolvenzplan ..................................................................................................... 698

IV.

Folgen der Eigenverwaltung .................................................................................... 717

V.

Entwicklungslinien im Konzerninsolvenzrecht ...................................................... 719

VI.

Vergütungsrechtliche Erwägungen zur Betriebsfortführung in der „Konzerninsolvenz“ ....................................................................................... 726

VII. Zusammenfassung, Thesen ...................................................................................... 726 § 23 Betriebsfortführung mit Hilfe einer Auffanggesellschaft ................................. 729 I.

Einführung ................................................................................................................ 729

II.

Rechtsformüberlegungen ......................................................................................... 730

III.

Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung ..................................................... 730

IV.

Kapitalaufbringung in der Auffanggesellschaft ...................................................... 734

V.

Rechtsbeziehungen zwischen Insolvenzmasse und Auffanggesellschaft .............. 735

§ 24 Betriebsfortführung in Eigenverwaltung im Planverfahren und im Schutzschirmverfahren ........................................................................................... 743 I.

Vorbemerkung .......................................................................................................... 745

II.

Maßnahmen im Vorinsolvenzzeitraum ................................................................... 746

III.

Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ........................................................... 757

IV.

Eigenverwaltung im Verfahren nach § 270a InsO .................................................. 759

V.

Handlungsspielraum der Unternehmensleitung i. R. der Betriebsfortführung .... 759

VI.

Umsetzung der beabsichtigten Sanierung durch einen Insolvenzplan .................. 772

VII. Muster ....................................................................................................................... 776

XIII

Inhaltsverzeichnis § 25 M&A-Prozesse i. R. der Betriebsfortführung ...................................................... 799 I.

M&A-Prozess: Definition, Bedeutung und Bezug zur Betriebsfortführung ........ 800

II.

Wesentliche Schritte eines strukturierten M&A-Prozesses (Praxisbericht) ......... 810

III.

Auswirkungen und Besonderheiten der Betriebsfortführung auf den M&A-Prozess ........................................................................................................... 818

IV.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Würdigung ......................... 825

§ 26 Betriebsfortführung bei Masseinsuffizienz .......................................................... 827 I.

Einführung ................................................................................................................ 828

II.

Ermittlung der Massezulänglichkeit ........................................................................ 828

III.

Masseunzulänglichkeit bei Verfahrenseröffnung .................................................... 831

IV.

Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit .............................................. 832

V.

Haftung ..................................................................................................................... 838

VI.

Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung ...................................................... 840

VII. Masseunzulänglichkeit und Insolvenzplan .............................................................. 840 VIII. Beseitigung der Masseunzulänglichkeit ................................................................... 841 IX.

Erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit .......................................................... 841

§ 27 Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführungen ........................... 843 I.

Einleitung .................................................................................................................. 844

II.

Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren ............................................................. 844

III.

Modifizierte Universalität nach EuInsVO .............................................................. 845

IV.

Koordination grenzüberschreitender Betriebsfortführung .................................... 852

V.

Öffentliche Bekanntmachungen .............................................................................. 857

VI.

Grenzüberschreitende Befugnisse des Insolvenzverwalters ................................... 858

VII. Kooperation der Insolvenzverwalter ....................................................................... 859 VIII. Kooperation der Insolvenzgerichte ......................................................................... 861 IX.

Ausübung von Wahlrechten ..................................................................................... 862

X.

Austauschverträge zwischen den Verfahren ........................................................... 863

XI.

Masseverbindlichkeiten aus grenzüberschreitender Betriebsfortführung ............. 863

XII. Erhalt des Unternehmens als organisatorischer Verbund ...................................... 866 § 28 Betriebsfortführung in Sonderfällen .................................................................... 869 I.

Einführung ................................................................................................................ 870

II.

Insolvenzrecht versus sonstige Rechtsgebiete (Berufs-/Verbandsrecht) .............. 871

III.

Die Betriebsfortführung der freien Berufe .............................................................. 872

IV.

Die Betriebsfortführung des Profifußballvereins ................................................... 885

V.

Zusammenfassung .................................................................................................... 899

XIV

Inhaltsverzeichnis § 29 Betriebsfortführung und Versicherungsschutz ................................................... 901 I.

Einführung ................................................................................................................ 902

II.

Der Verwalter – Das Verfahren ............................................................................... 903

III.

Versicherungsschutz der Schuldnerin ..................................................................... 914

IV.

Fazit: Eintritt in bestehende Verträge oder Neuabschluss? .................................. 923

§ 30 Die Verfolgung von Anfechtungs- und Erstattungsansprüchen ...................... 925 I.

Einführung ................................................................................................................ 925

II.

Problemstellung im Falle einer Betriebsfortführung .............................................. 926

III.

Dogmatische Grundlagen ........................................................................................ 928

IV.

Durchsetzungspflicht und Aufgaben des Insolvenzverwalters ............................. 929

V.

Die zivilrechtliche Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht zur Anfechtung ......... 930

VI.

Die strafrechtliche Haftung des Insolvenzverwalters ............................................ 933

VII. Vertrauenstatbestand, Verzicht und Erlassvertrag ................................................. 935 VIII. Zusammenfassung .................................................................................................... 937 § 31 Besonderheiten der Betriebsfortführung bei Zulieferern aus dem Automotivebereich ................................................................................................. 939 I.

Einleitung .................................................................................................................. 939

II.

Besonderheiten im Verhältnis Automobilhersteller – Zulieferer .......................... 940

III.

Einzelne Maßnahmen ............................................................................................... 942

IV.

Fazit ........................................................................................................................... 952

§ 32 Betriebliche Altersversorgung in der Insolvenz .................................................. 953 I.

Abgrenzungsfragen und Begriffsklärung ................................................................ 954

II.

Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren ................................................................ 957

III.

Handlungsoption Insolvenzplan ............................................................................. 963

IV.

Zusammenfassung .................................................................................................... 968

Teil IV Rechnungslegung, Haftung, Vergütung § 33 Interne und externe Rechnungslegung, Steuern ................................................ 971 I.

Einleitung .................................................................................................................. 973

II.

Handelsrechtliche Rechnungslegung ...................................................................... 974

III.

Offenlegung von Jahresabschlüssen ........................................................................ 977

IV.

Prüfungspflicht im Insolvenzverfahren ................................................................... 978

V.

Steuerrechtliche Buchführungspflicht ..................................................................... 980

VI.

Steuern ....................................................................................................................... 982

XV

Inhaltsverzeichnis § 34 Externe Schlussrechnungsprüfung ..................................................................... 1007 I.

Einleitung ................................................................................................................ 1007

II.

Anordnung der externen Schlussrechnungsprüfung ............................................ 1007

III.

Auswahl des Schlussrechnungsprüfers .................................................................. 1009

IV.

Ort der Durchführung der Schlussrechnungsprüfung ......................................... 1009

V.

Kosten der Schlussrechnungsprüfung ................................................................... 1010

§ 35 Haftung des Insolvenzverwalters ........................................................................ 1013 I.

Einleitung ................................................................................................................ 1014

II.

Überblick über Haftungstatbestände .................................................................... 1015

III.

Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters ....................................................... 1017

IV.

Haftung des Insolvenzverwalters .......................................................................... 1022

§ 36 Vergütungsfragen .................................................................................................. 1037 I.

Die Vergütung des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung ....................... 1038

II.

Die Vergütung der weiteren Organe des Insolvenzverfahrens ............................ 1045

III.

Die Beschäftigung von Hilfskräften bei Betriebsfortführung ............................. 1049

IV.

Das Prüfungsrecht des Insolvenzgerichts bei Betriebsfortführung ..................... 1053

Stichwortverzeichnis ....................................................................................................... 1057

XVI

Stichwortverzeichnis ABC-Analyse § 6, 21 Abfindung – PSVaG § 32, 47 Abfindungen § 15, 204 ff. – Abschlagszahlungen § 15, 226 – absolute Obergrenze § 15, 205 ff. – absolute Obergrenze, Überschreiten § 15, 210 f. – anteilige Kürzung § 15, 213 – Aufwandsentschädigungen § 15, 206 – bei Entlassungen § 15, 204 – bei Veranlassung zur Eigenkündigung § 15, 204 – Berechnung § 15, 205 – Fälligkeit § 15, 219 – Folgen der Kürzung § 15, 213 – Gesamtbetrag § 15, 205 – in sonstiger Weise wirtschaftliche Nachteile § 15, 209 – Kurzarbeit § 15, 207 – Monatsverdienst § 15, 208 – nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages § 15, 204 – nicht entlassene Arbeitnehmer § 15, 209 – relative Obergrenze § 15, 212 ff. – unregelmäßig geleistete Überstunden § 15, 207 Absatzkrise – Begriff § 6, 13 Abschlagsverteilung – GOI § 5, 33 Absonderungsrecht § 12, 71 ff. – Auskunftsanspruch § 12, 73 – Auskunftsanspruch, im Antragsverfahren § 12, 57 – Debt Equity Swap § 13, 195 ff. – Ersatzabsonderung § 12, 83 – Geltendmachung § 12, 72 – Geltendmachung, im Antragsverfahren § 12, 54 – Nämlichkeitsnachweis § 12, 26 – Nutzung § 11, 404 ff. – Nutzungsbefugnis, im Antragsverfahren § 12, 58 ff. – Pfandrecht § 12, 31 ff. – Rechtsgrundlage § 12, 17 ff. – Sicherungsabtretung § 12, 22

Sicherungseigentum § 12, 21 Sicherungsübereignung § 12, 20 Spediteurpfandrecht § 12, 35 ff. verl. Eigentumsvorbehalt § 12, 24 ff. Vermieterpfandrecht § 12, 32 ff. Verwertung beweglicher Gegenstände § 12, 75 – Verwertung unbeweglicher Gegenstände § 12, 76 ff. – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 11, 69 ff.; s. a. dort – Verwertungsvereinbarung § 13, 179 ff. – Verzögerung § 12, 79 ff. – Werkunternehmerpfandrecht § 12, 38 ff. – Wertverlust § 12, 81 – wirtschaftl. Ausgleich, im Antragsverfahren § 12, 61 Abtretung – Honorarforderungen, Ärzte § 28, 25 ff. Agentur für Arbeit – Durchführungsanweisungen Insolvenzgeld § 14, 15, 19 – Insolvenzgeld § 14, 12 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 14, 14 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren § 14, 17 ff. – Massenentlassung § 14, 115 ff. Altlasten § 11, 417 – s. a. Bodensanierung; Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme; Umweltkontamination – Freigabe eines Grundstücks § 13, 202 ff. – Haftung § 19, 1 ff. Altmassegläubiger § 26, 10, 21, 26, 28, 37, 42, 54 Änderungskündigung – Direktionsrecht § 14, 39 ff. – Formerfordernis § 14, 41 – Verfahren § 14, 38 ff. – Verhältnismäßigkeit § 14, 37 ff. Anhörung – Gläubigerausschuss § 8, 44, 52 Anlagevermögen – Versicherungsschutz § 29, 76 ff. – – – – – –

1057

Stichwortverzeichnis Anzahlungskredit – als Finanzierungsinstrument § 16, 76 Apotheker – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 35 ff. Arbeitgeber – bei allgemeinem Verfügungsverbot § 14, 9 – bei allgemeinem Zustimmungsvorbehalt § 14, 5 ff. – bei Eigenverwaltung § 14, 10 – nach Insolvenzeröffnung § 14, 42, 64 Arbeitgeberposition – Insolvenzverwalter § 3, 16 Arbeitnehmer – s. a. Personalmaßnahmen – Aufhebungsvertrag § 14, 63; s. a. dort – befristete § 14, 53 – Betriebsübergang § 11, 426 – Betriebsübergang (§ 613a BGB) § 14, 91 ff. – Betriebsversammlungen § 11, 421 – Einbeziehung § 14, 4 – Freistellung § 9, 150; § 11, 425; § 14, 23 ff. – Führung in d. Krise § 11, 352 – Gewerkschaftsvertreter § 11, 422 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 29 ff. – Insolvenzgeld § 11, 424 – Insolvenzgeld § 14, 12 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 14, 14 ff. – Kommunikation § 11, 420 ff. – Kommunikationspflichten, GOI § 5, 23, 53 – Lohn- u. Gehaltsrückstände § 11, 424 – Lohnverzicht § 11, 419 – Motivation § 14, 24 – Nachteilsausgleich § 14, 35 – Schlüsselpersonen § 11, 421 – Verfrühungsschaden § 14, 62 f. – Versicherungsschutz § 29, 147 ff. – Vertrauen § 11, 420 – Vorschuss auf Insolvenzgeld § 14, 14 – Widerspruch bei Betriebsübergang § 14, 112 f. Arbeitnehmer – Kündigung § 14, 42 ff.; § 15, 183 ff. – s. a. Kündigungsschutz

1058

Änderungskündigung § 14, 38 ff. Auftragsmangel § 14, 68 Beendigungskündigung § 14, 42 ff. Berufsausbildungsverhältnisse § 14, 51 f. – betriebsbedingte Beendigungskündigung § 14, 64 ff. – Beurteilungszeitpunkt § 14, 88 ff. – Darlegungs- und Beweislast § 14, 89 – dringende betriebliche Erfordernisse § 14, 65 ff. – Eigenkündigungen § 15, 183 – Eröffnungsverfahren § 11, 423 – Erwerberkonzept § 14, 101 f. – Formvorschriften § 14, 44 f. – inner- und außerbetriebliche Umstände § 14, 65 – Kündigungsschutz § 14, 46 ff. – Massenentlassung § 14, 115 ff. – Nachkündigung § 14, 59 ff. – Prüfungsmaßstab § 14, 70 – Rücknahme § 15, 184 – Schwerbehinderte § 14, 46, 48 – Sonderkündigungsschutz § 14, 46 ff. – Sozialauswahl § 14, 72 ff. – Stilllegungsabsicht § 14, 89 – unternehmerische Entscheidung § 14, 66, 88 ff. – unternehmerisches Konzept § 14, 71 – Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch § 14, 90 – Willkürkontrolle § 14, 66 Arbeitnehmer – Kündigungsfrist § 14, 56 ff. – Günstigkeitsprinzip § 14, 56, 58 – Kündigung gem. § 113 InsO durch den Insolvenzverwalter § 14, 56 ff. – Nachkündigung durch den Insolvenzverwalter § 14, 59 ff. – Sonderkündigungsfristen besonderer Personengruppen § 14, 57 – vertragliche Vereinbarungen § 14, 58 Arbeitnehmererfindung – Insolvenzmasse § 20, 70 – isolierte Veräußerung § 20, 71 – Veräußerung mit Geschäftsbetrieb § 20, 70 Arbeitnehmervertreter – Haftpflichtversicherung § 29, 26 ff. – – – –

Stichwortverzeichnis Arbeitsgericht – Zustimmungsbeschluss § 15, 103 f. Arbeitsgericht – Beschlussverfahren nach § 126 InsO – Ablauf der Drei-Wochen-Frist § 15, 155 – Aussetzen d. Kü.-schutzverfahrens § 15, 163 – beabsichtigte Kündigungen § 15, 152 – bei Betriebsübergang § 15, 162 – bei Interessenausgleich ohne Namensliste § 15, 153 – bereits ausgesprochene Kündigung § 15, 152 – Beteiligte § 15, 146 – Bindungswirkung nach § 127 InsO § 15, 158 ff. – individueller Kündigungsschutzprozess § 15, 159 – Kündigungsberechtigung § 15, 151 – Leistungsträgerklausel § 15, 147 – nach fehlgeschlagener Interessenausgleichsverhandlung § 15, 153 – nach Verfahrenseröffnung § 15, 151 – rechtskräftige Entscheidung bindend § 15, 149 – sonstige Unwirksamkeitsgründe § 15, 159 – Untersuchungsgrundsatz § 15, 146 – vorläufiger Insolvenzverwalter § 15, 151 – Wegfall der Bindungswirkung § 15, 161 – weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer § 15, 150 – wenn der Insolvenzverwalter in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat eintritt § 15, 155 – zeitliche Reihenfolge der Verfahren nach §§ 122, 126 InsO § 15, 156 Architekten – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 63 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 56 Ärzte – Betriebsfortführung § 18, 59 ff. – Betriebsfortführung, Modelle § 28, 19 ff. – Eigenverwaltung § 28, 20 ff. – goodwill § 28, 15

– Honorarforderungen § 28, 24 – Honorarforderungen, Vorausabtretung § 28, 25 ff. – Insolvenzbeschlag § 28, 14 – Insolvenzplan § 28, 33 f. – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 28, 16 f. – Patientenstamm § 28, 15 – Zulassung, Widerruf § 18, 42 ff. Asset Deal – Bemessung des Kaufpreisanteils für Grundstücke § 13, 176 ff. Auffanggesellschaft § 23, 1 ff. – Bargründung § 23, 3 – Haftungsrisiken § 23, 16 ff. – Handelndenhaftung § 23, 21 – Hin- und Herzahlen § 23, 3 – Kapitalaufbringung § 23, 24 ff. – Rechtsformüberlegungen § 23, 5 – Sachgründung § 23, 3 – Sanierungsprivileg § 23, 33 ff. – übertragende Sanierung § 23, 47 ff. – Unterbilanzhaftung § 23, 16 – verdeckte Sacheinlage § 23, 30 f. – Verlustdeckungshaftung § 23, 18 – Vorratsgesellschaft § 23, 3, 19 – wirtschaftliche Neugründung § 23, 8 ff., 16 ff. Aufhebungsvertrag § 15, 183 – Betriebsübergang § 14, 100 – Transfermaßnahme § 14, 100 – Umgehung Kündigungsverbot § 613a Abs. 4 BGB § 14, 100 – Verfrühungsschaden § 14, 63 Aufsicht – Gläubigerausschuss § 8, 62, 67 – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 54 ff. – Insolvenzgericht s. Insolvenzgericht – Aufsicht Auslandsberührung – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO Auslaufproduktion § 11, 11 – GOI § 5, 62 ff. Ausproduktion § 31, 71 ff. – Masseunzulänglichkeit § 26, 8, 31, 42 f. Außenfinanzierung § 16, 4

1059

Stichwortverzeichnis Aussonderungsrecht – Auskunftsanspruch § 12, 68 – Auskunftsanspruch, im Antragsverfahren § 12, 46 – Eigentum § 12, 11 – einfacher Eigentumsvorbehalt § 12, 12 ff. – Ersatzaussondeurng § 12, 70 – Factoring § 12, 15 – Geltendmachung § 12, 54 – Geltendmachung, im Antragsverfahren § 12, 43 – Massebegriff § 12, 6 – Nutzung § 11, 402 – Nutzungsbefugnis, im Antragsverfahren § 12, 49 – Rechtsgrundlage § 12, 5 ff. – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 11, 69 ff.; s. a. dort – wirtschaftl. Ausgleich, im Antragsverfahren § 12, 52 Aussonderungssperre – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 13, 95 ff., 169 – Nutzungsüberlassung eines Grundstücks § 13, 169 Automobilhersteller – Zulieferer, Besonderheiten § 31, 1 ff.

Bankguthaben – Verwendung § 9, 74 ff. Beitragskalkulation – PSVaG § 32, 40 Berater – Betriebsfortführung § 18, 68 ff. – Gläubigerausschuss, Zusammensetzung § 8, 37 – GOI § 5, 15 – Vergütung § 36, 46 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 48 ff. Berichtstermin – Gläubigerversammlung § 8, 60, 64 Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft – Personalmaßnahmen § 24, 128 f. Beschlagnahme – nach § 148 ZVG während Antragsverfahren § 13, 69 ff. Betreiberhaftung § 19, 74 ff.

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Betrieb – Betreiberhaftung § 19, 74 ff. Betriebliche Altersversorgung – Abfindung § 32, 3, 13 – Aufteilung § 32, 73 – Besitzstände § 32, 67 – Betriebsrat § 32, 67 – Deckungsmittel § 32, 68 – Einfrieren § 32, 67 – Eingriff § 32, 67 – Einzelzusagen § 32, 78 – Erstattung § 32, 74 – Fortführung § 32, 69, 72, 82 f. – Gesellschaftergeschäftsführer § 32, 2 – gesetzlicher Übergang § 32, 26 f., 76 – Insolvenzforderungen § 32, 25 – Kapitalisierung § 32, 69 – Pfandrechte § 32, 27 – Schließung § 32, 67 – übergehende Rechte § 32, 69 – Unverfallbarkeit § 32, 2, 10 f. Betriebsänderung – Beginn der Beratungen § 15, 95 – Beschleunigung § 15, 91 – einstweiliges Verfügungsverfahren § 15, 98 – Fristende § 15, 96 – Herstellung einer einvernehmlichen Regelung § 15, 100 – nach §§ 121, 122 InsO § 15, 89 ff. – ohne Interessenausgleich § 15, 164 f. – Sozialplan § 15, 202 – Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache § 15, 98 – Verfahren vor dem ArbG § 15, 97 – Weiterverhandlung mit dem Betriebsrat § 15, 102 – Zustimmung des ArbG § 15, 99 Betriebsaufspaltung – Nutzungsüberlassung gem. § 135 Abs. 3 InsO § 13, 167 f. Betriebsfortführung § 9, 32 f. – Abbruch § 11, 287 – Architekten § 28, 63 ff. – Arten § 11, 271 – Beendigung, Abwägung § 9, 156 ff. – Beendigung, Pflicht/Berechtigung § 9, 169 ff. – bei Masseunzulänglichkeit § 26, 1 ff. – Controlling § 9, 39 ff.

Stichwortverzeichnis – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Diskriminanzanalyse § 11, 275 Eigenverwaltung § 24, 1 ff., 82 ff. Eigenverwaltung § 9, 174 ff. Einzelermächtigungen § 11, 123 Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 17 f. Entscheidungen, fehlerhafte § 35, 40 ff. Entscheidungsfindung § 8, 64 ff. Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff.; § 6, 1 ff. Erfolgsplanung § 9, 34 f. Erscheinungsformen § 11, 30 ff. ESUG § 1, 37 ff. Ethik § 2, 40 ff. Fortbestehensprognose § 1, 27 ff. Freiberufler § 28, 1 ff.; s. a. dort Funktion § 4, 43 ff.; § 11, 1 ff., 30; § 24, 1 ff. Gestaltungsmöglichkeiten, Eigenverwaltung § 24, 82 ff. Globalzession § 9, 93 GOI § 5, 41 ff. grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO im vorläufigen Verfahren § 9, 50 ff. Insolvenzanfechtung § 30, 3 ff. Insolvenzeröffnungsverfahren § 4, 43 ff. Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 211 ff. Insolvenzplanverfahren § 24, 1 ff. Insolvenzverfahren § 4, 47 ff. Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 11 ff.; s. a. dort Insolvenzverwalter, Vergütung § 36, 1 ff. Insolvenzwarenverkauf § 20, 12 ff.; s. a. dort interkulturelle Besonderheiten § 11, 400 Kleinbetriebe § 11, 381 f. Konzern § 21, 27 ff.; s. a. Konzerninsolvenzrecht Konzernunternehmen § 11, 375 ff.; § 22, 11 ff., 33 ff. Korrekturmaßnahmen § 11, 287 ff. Krisenanalyse § 6, 7 ff. Krisenanalyse, Methoden § 6, 17 ff. Krisenursachen § 11, 273

– Kunden, Absicherung § 9, 118 ff. – Kundenkontakte § 9, 58 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort – Planrechnungen § 11, 278 ff. – Planung § 11, 267 ff. – Potentialanalyse § 11, 277 ff. – Prognose § 9, 157 ff. – Prognoserisiko § 9, 161 f. – PSVaG § 32, 1 ff. – Rechtsentwicklung § 1, 1 ff.; § 4, 22 ff. – Risiken § 2, 43 ff. – Risiken, Masseunzulänglichkeit § 9, 129 ff. – Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 1, 30 – Sanierungskonzept § 6, 22 ff., 56 ff., 61 ff.; § 11, 269 – Sanierungsmaßnahmen, Controlling § 6, 65 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Ermittlung § 6, 22 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Planung § 6, 55 – Sanierungsmaßnahmen, Umsetzung § 6, 61 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 17, 22 ff.; s. a. dort – Schutzschirmverfahren § 24, 1 ff. – Soll/Ist-Vergleich § 11, 284 ff. – Sportvereine § 28, 4 ff.; s. a. Fußballvereine, 67 ff.; s. a. Fußballvereine – Steuerberater § 28, 58 – Steuern, Liquiditätsplanung § 9, 89 ff. – Steuerung § 11, 269 – Störpotentiale § 11, 394 ff.; s. a. dort – Strukturen, Anpassung § 9, 42 ff. – Unternehmensanalyse § 9, 56 f.; § 11, 267 ff. – Unternehmensführung § 11, 318 ff.; s. a. dort – Unternehmenskrise, Pflichten § 24, 91 f. – Unternehmensleitung außerhalb Krise § 24, 89 f. – Unternehmensleitung, nach Antragstellung § 24, 95 f.

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Stichwortverzeichnis – unternehmerische Entscheidungen § 35, 50 ff. – Ursachenanalyse § 11, 273 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 29 ff. – Verhältnis z. Gläubigerbefriedigung § 9, 157 ff. – Verhältnis z. Insolvenzverfahren § 9, 6 ff., 129 ff. – Verhältnis z. Liquidation § 4, 25 ff. – Vermögenskontrolle § 9, 36 ff. – Versicherungsgutachten § 29, 6 ff. – Versicherungsschutz § 29, 1 ff. – Verträge, Lösungsklauseln § 9, 97 ff. – Verwalter, Entscheidungskompetenz § 8, 64 ff. – Vier-Stufen-Modell § 11, 271 – Voraussetzungen § 11, 32 ff. – Vorbereitung, vor Antrag § 11, 271 – vorl. Gläubigerausschuss, Kompetenzen § 11, 137 ff. – Weichenstellung § 11, 42 – Wirtschaftsprüfer § 28, 59 ff. – Zahlungsverkehr § 9, 45 ff. – Zwangsvollstreckung, Grundpfandrechtsgläubiger § 13, 121 ff. – Zweck § 9, 3 ff. Betriebsfortführung – Finanzierung § 1, 44 ff.; § 16, 1 ff. – s. a. Finanzierung – Abbau Warenlager § 11, 311 – Anfangsliquidität § 9, 53 ff. – Anfechtung, Schadensersatz § 11, 316 – Bankguthaben § 9, 74 ff. – Debitorenmanagement § 11, 314 f. – Factoring § 9, 90 ff. – Finanzhilfen § 11, 297 ff. – Forderungseinzug § 11, 306 ff. – Insolvenzgeld s. dort – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 11, 302 ff. – Lastschriftwiderruf § 9, 81 ff.; § 11, 313 – Liquidationsszenario § 9, 160, 167 f. – Liquiditätsplanung § 9, 14 ff., 167 f. – Massekredite § 11, 292 ff. – Mergers & Acquisitions § 25, 38 ff. – Planrechnungen § 11, 278 ff. – Umlaufvermögen, Veräußerung § 9, 59 ff.

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– Verwertung § 11, 310 ff. – Zahlungszuflüsse § 9, 74 ff. Betriebsgeheimnis – Insolvenzmasse § 20, 77 – Produktionsgeheimnis § 20, 77 Betriebsgrundstück § 13, 1 ff. – s. a. Grundstück – Betreiberhaftung § 19, 74 ff. – Betriebsnotwendigkeit § 13, 7 – Eigentumsverlust, durch Schuldner § 13, 40 ff. – Freigabe, Form § 13, 201 – Freigabe, Zeitpunkt § 13, 208 f. – Freigabe, Zweck und Wirkung § 13, 198 ff. – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 13, 95 ff. – gemietetes/gepachtetes Grundstück § 13, 153 ff. – Haftung für Lasten nach § 10 ZVG § 13, 107 ff. – im Eigentum d. Schuldners § 13, 13 ff., 104 ff. – Nutzungsüberlassung, durch Gesellschafter § 13, 167 ff. – Räumungspflicht § 13, 83 ff. – risikoreiche Nutzung § 19, 56 – Sicherung, im eröffneten Verfahren § 13, 104 ff. – Sicherung, Insolvenzantragsverfahren § 13, 8 ff. – Ver- und Entsorgung § 13, 16 f. – Verfügungsverbot § 13, 32 – Verkehrswert § 13, 177 f. – Versicherung § 13, 18 – Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters § 13, 174 ff. – Zwangsversteigerung im Antragsverfahren § 13, 58 ff. – Zwangsvollstreckung, Grundpfandrechtsgläubiger § 13, 121 ff. Betriebshaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. Betriebsrat – Amtszeit § 15, 1 ff. – Anhörung nach § 102 BetrVG § 14, 86 ff. – Auskunftsrechte § 15, 7 – bei Betriebsfortführung § 15, 12 ff. – Betriebsänderung § 15, 13 ff.

Stichwortverzeichnis – Betriebsänderung, Unterrichtungpflicht § 15, 16 ff. – Haftung d. Mitglieder § 15, 11 – Konsultation bei Massenentlassung § 14, 115 – Konsultationspflicht § 14, 4, 43, 115 – Kooperation § 14, 34 f., 43 – Mitwirkung und Mitbestimmung § 15, 8 – Mitwirkungsrecht, eingeschränktes § 15, 18 – Rechte, Beachtung durch Insolvenzverwalter § 3, 20 – Sonderkündigungsschutz § 14, 46 – subjektive Determination § 14, 86 – Unterlassungsanspruch § 15, 22 ff. Betriebsstilllegung – Absicht, Arbeitnehmerkündigungen § 14, 89 – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 58 – Gläubigerentscheidung § 26, 4, 34 – Gläubigermitwirkung § 8, 64, 68 f. – Masseunzulänglichkeit § 26, 4 f., 31 – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 19, 40 – Schuldner, Rechtsstellung § 17, 48 ff. Betriebsübergang – übertragende Sanierung § 15, 45 ff. – Anwendbarkeit § 613a BGB in der Insolvenz § 14, 93 f. – Aufhebungsvertrag § 14, 100 – Auftrags- oder Funktionsnachfolge § 14, 97 – Berteilungszeitpunkt § 14, 99 – Betriebsbegriff § 14, 96 – Erwerber, Haftung § 14, 103 ff. – Erwerberkonzept § 14, 101 f. – Europarecht § 14, 93 f. – Haftung, Übernehmer § 11, 426 – Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB § 14, 107 ff. – keine Betriebsänderung § 15, 45 – Kriterien § 14, 95 ff. – Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 BGB § 14, 99 ff. – Rechtsfolgen § 14, 99 ff. – Sanierungshindernis § 14, 92 – Teilbetriebsübergang § 15, 46

– Transfermaßnahmen gem. § 110 SGB III § 14, 100 ff. – Voraussetzungen § 14, 95 ff. – Widerspruchsrecht d. Arbeitnehmer § 14, 112 f. Betriebsunterbrechungsversicherung § 29, 103, 105, 132 ff. Betriebsveräußerung – Eigenverwaltung § 15, 195 – Gläubigermitwirkung § 8, 68 ff. – GOI § 5, 31 – nach § 128 InsO § 15, 192 ff. – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 19, 41 – Vermutungswirkung des § 125 InsO § 15, 193 – Vermutungswirkung, Voraussetzung § 15, 194 – vorläufige Insolvenzverwalter § 15, 196 Betriebsvereinbarungen – bei übertragender Sanierung § 15, 56 – belastende freiwillige u. erzwingbare § 15, 58 – Belastung der Insolvenzmasse § 15, 58 – Beratungsgebot § 15, 56 ff. – Form § 15, 54 – Fortgeltung § 15, 56 – in der Betriebsfortführung § 15, 53 ff. – Nachwirkung § 15, 76 ff. – Nachwirkung, freiwillige Betriebsvereinbarungen § 15, 77 – Nachwirkung, gewillkürte Nachwirkungsvereinbarungen § 15, 78 – Nachwirkung, Regelungsabreden § 15, 79 – ohne Kündigungsmöglichkeit § 15, 64 – Regelungsabreden mit belastenden Leistungen § 15, 59 ff – Sonderleistungen § 15, 56 – Spruch der Einigungsstelle § 15, 54 – Wegfall der Geschäftsgrundlage § 15, 75 Betriebsvereinbarungen – Kündigung § 15, 61 ff. – außerordentliche Kündigung § 15, 62, 71 ff.

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Stichwortverzeichnis – Frist § 15, 62, 65 – Fristbeginn/-ende § 15, 64 – kein Beratungsanspruch des Betriebsrats § 15, 68 f. – Kündigungserklärung § 15, 67 – Maximalkündigungsfrist § 15, 64 – ohne Kündigungsmöglichkeit § 15, 64 – ordentliche Kündigung § 15, 63 – Teilkündigung § 15, 66 – ultima-ratio-Grundsatz § 15, 68, 74 – unmittelbare Belastung der Insolvenzmasse § 15, 63 Betriebsverfassungsrechtliches Übergangsmandat § 15, 48 – Höchstdauer § 15, 50 f. – Rechte und Befugnisse des BR § 15, 52 Betriebsvermögen – s. a. Anlagevermögen; Umlaufvermögen – Veräußerung § 9, 59 ff. Betriebsversammlung § 11, 421 Bilanz – s. a. Buchhaltung; Jahresabschluss; Rechnungslegung – Planung, Muster § 24, 182 – Überschuldungsbilanz § 20, 55 Blogs – Social Media § 10, 61 Bodensanierung – besonders bedeutsame Rechtshandlung § 19, 14 f. – Gläubigerinformation § 19, 46 – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 19, 16 ff. – strategische Sanierung § 19, 12 ff. – Wertgutachten § 19, 13 Buchführungspflicht – Insolvenzverwalter § 33, 46 ff. Buchhaltung – GOI § 5, 28, 57 f. Bürgschaften – Konzerninsolvenz § 21, 31 ff. Büroausstattung – GOI § 5, 16 Büroräume – Nutzung § 11, 362 Business Judgment Rule – Gläubigerausschuss § 8, 29

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Cashpooling – Konzerninsolvenz § 21, 39 ff. Chief Restructuring Officer § 24, 64 – Schutzschirmverfahren § 17, 31 COMI – Begriff § 27, 10 – Konzerne § 27, 19 f. – Satzungssitz § 27, 11 – Verwaltungssitz § 27, 12 ff. Compliance § 5, 19, 51 Contractual Trust Arrangements § 32, 32, 79 Controlling § 9, 39 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 12 Corporate Communications – Allgemeines § 10, 5 Corporate Identy – Selbstverständnis Unternehmen § 10, 6

D&O-Versicherung

§ 29, 125 ff. Datensicherung § 11, 397 Dauerschuldverhältnisse – Fortbestehen nach Eröffnung gemäß § 108 InsO § 13, 153 – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 13, 92 ff. – gemietetes/gepachtetes Grundstück § 13, 153 ff. – Insolvenzmasse, Haftung § 13, 119 f. – Lösungsklauseln § 9, 97 ff. – Masseunzulänglichkeit § 26, 49 ff. – Ver- und Entsorgung, Betriebsgrundstück § 13, 16 f. Debitorenmanagement § 11, 314 f. Debt Equity Swap § 32, 49 – als Finanzierungsinstrument § 16, 47 ff. – Beteiligungshöhe im Wert des Absonderungsrechts § 13, 195 ff. Deferred Compensation § 32, 7 Dienstleister – Einschaltung d. Insolvenzverwalter § 11, 247 ff. – GOI § 5, 15 – Vergütung § 36, 46 ff. – Verwertungshandlungen § 5, 34 Diskriminanzanalyse § 11, 275 Domain – Anspruch auf Anpassung des Registers § 20, 78

Stichwortverzeichnis – Anspruch auf Aufrechterhaltung der Eintragung § 20, 78 – Domainname § 20, 78 – Insolvenzmasse § 20, 78 – Nutzungsrecht § 20, 78 – Registrierungsanspruch § 20, 78 Due Diligence – Prüfung, M&A-Prozess § 25, 64 ff.

Eigenfinanzierung

§ 16, 5 – Charakteristika § 16, 6 Eigentumsvorbehalt § 12, 12 ff. – Absonderungsrechte § 12, 24 ff. Eigenverwaltung § 1, 38; § 9, 174 ff. – Anordnung, nachträgliche § 8, 63 – Anordnungsvoraussetzungen § 8, 44, 52 – Arztpraxen § 28, 20 ff. – Aufhebung § 8, 63 – Aufhebung, bei Masseinsuffizienz § 26, 68 – Betriebsänderung § 15, 90 – Betriebsfortführung § 24, 1 ff. – Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – Betriebsveräußerung § 15, 195 – Eröffnungsverfahren § 9, 182 ff. – Gläubigerausschuss, Anhörung § 8, 44, 52 – Gläubigerausschuss, vorl. § 7, 92 ff. – Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 9, 175 – GOI § 5, 36, 60 f. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 77 ff. – Haftungsrisiken § 1, 40 – Insolvenzgeld, Vorfinanzierung § 9, 177 – Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 284 ff. – Insolvenzplan, Initiative § 17, 53 ff. – Interessenausgleich § 15, 83 – Konzerninsolvenz § 21, 115; § 22, 79 ff. – M&A-Prozess § 25, 97 ff. – Masseunzulänglichkeit § 26, 65 ff. – Masseverbindlichkeiten § 11, 124 ff. – Postsperre § 11, 65, 131 ff. – Reorganisation § 11, 25 ff. – Sachwalter, Aufgaben § 9, 179 ff.

– Schuldner, Gestaltungsmöglichkeiten § 24, 82 ff. – Schuldner, Mitarbeit § 11, 387 – Schuldner, Rechtsstellung § 17, 51 ff. – Schutzschirmverfahren § 11, 28 ff. – Unternehmensführung § 11, 338 ff., 346 ff. – Verfahren nach § 270 a InsO § 24, 80 f. – Vergütung, Sachwalter § 36, 41 ff. – Verträge § 9, 176 – Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis § 11, 73 – Vollstreckungsverbot, allgemeines § 11, 61, 128 – vorl. Maßnahmen § 11, 78, 124 – vorläufige § 24, 80 f. Einkommensteuer – Insolvenzforderungen § 33, 90 ff. – Masseverbindlichkeiten § 33, 90 ff. Einziehungsermächtigung – Ermächtigung § 7, 267 Elektronikversicherung § 29, 101 ff. Elternzeit § 14, 46 Entgeltumwandlung – Anspruch § 32, 11, 81 f. Erfolgskrise – Begriff § 6, 14 Erfolgsplanung § 9, 34 f. Ersatzaussonderung § 12, 70 Ertragsanalyse § 24, 25 Ertragswert – M&A-Prozess § 25, 33 Erwerberkonzept – Haftung für Masseschulden § 14, 105 f. – offene Fragen § 14, 102 – Sanierungskonzept § 14, 101 – Voraussetzungen § 14, 101 ff. ESUG – Bestimmung d. Insolvenzverwalters § 3, 47 – Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 56 ff. – Reformen § 4, 51 ff. – vorl. Maßnahmen § 11, 74 – Ziele, Planungssicherheit § 11, 147 ff. – Zielsetzung § 1, 37 ff. EuInsVO – Arbeitsverhältnisse § 27, 29 ff. – COMI § 27, 4, 10 ff.

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Stichwortverzeichnis – Eigenverwaltung, Sekundärinsolvenzverfahren § 27, 77 ff. – Erfüllungswahlrechte, Ausübung § 27, 83 ff. – Fortführungsvereinbarung § 27, 98 – Grundsatz der modifizierten Universalität § 27, 5 ff. – Hauptinsolvenzverwalter § 27, 61 ff. – Hauptinsolvenzverwalter, Möglichkeiten § 27, 70 ff. – inländisches Beschäftigungsverhältnis § 27, 33 f. – Insolvenzantrag § 11, 142 f. – Insolvenzgerichte, Kooperation § 27, 80 ff. – Insolvenzverwalter, Befugnisse § 27, 61 ff. – Insolvenzverwalter, Kooperation § 27, 66 ff. – Insolvenzverwalterverträge § 27, 51 ff., 101 – Kollissionsnorm, einheitliche § 27, 8 – Konzerne § 27, 19 f., 50 ff. – Leistungsbeziehungen, Beteiligte § 27, 85 – lex fori concursus § 27, 8 f. – Masseverbindlichkeiten § 27, 86 ff. – Reformvorschlag § 27, 20, 42, 54 ff. – Sachnormen § 27, 26 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren § 27, 21 ff., 37 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Eröffnung § 27, 43 ff., 64 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Wirkung § 27, 47 ff. – Sonderkollisionsnormen § 27, 26 ff. – übertragende Sanierung § 27, 99 ff. – Verfahrenkosten, Deckung § 27, 96 – Verfahrenseröffnung, Anerkennung § 27, 7 – Verfahrenseröffnung, Bekanntmachung § 27, 58 ff. – Verfahrenseröffnung, Wirkungserstreckung § 27, 7 Europäisches Insolvenzrecht – Anwendungsbereich § 21, 155 ff. – COMI § 21, 160 – EuInsVO, Bedeutung für inländische Konzerne § 21, 159 ff.

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– kollisionsrechtliche Aspekte § 21, 161 ff. – Konzern, Begriff § 21, 6 ff. – Konzerninsolvenz § 22, 16 ff. – Verfahrenkoordination § 21, 165 ff. Europäisches Recht – Betriebsübergang § 14, 93 f.

Facebook – Social Media § 10, 60 Factoring § 9, 90 ff. – als Finanzierungsinstrument § 16, 80 ff. – Aussonderungsrechte § 12, 15 Feststellungsklage – Masseunzulänglichkeit § 26, 54 f., 57 – Nachteilsausgleich § 15, 191 Finanzanalyse § 24, 25 Finanzierung § 1, 44 ff. – s. a. Betriebsfortführung – Finanzierung – Anzahlungskredit § 16, 76 – Außenfinanzierung § 16, 4 – Betriebsfortführung der § 16, 1 ff. – betriebswirtschaftliche Grundlagen § 16, 1 ff. – Debt-Equity-Swap § 16, 47 ff. – Eigenfinanzierung § 16, 5 f. – Eigenkapital § 16, 30 ff. – Forderungseinzug § 16, 25 ff. – Fremdkapital § 16, 57 ff. – Gesellschafterdarlehen § 16, 74 f. – Innenfinanzierung § 16, 4 – Kapitalerhöhung § 16, 32 ff. – Kapitalschnitt § 16, 41 ff. – Kontokorrentkredit § 16, 77 f. – Kreditrahmen § 16, 73 – Leasing § 16, 86 ff. – Lieferantenkredit § 16, 76 – Massedarlehen § 16, 58 ff. – Nachschusspflichten § 16, 32 ff. – öffentliche Hand § 16, 89 ff. – Rettungsbeihilfe § 16, 63 – Systematisierung § 16, 4 – Verwertung § 16, 13 ff. Finanzinvestoren – M&A-Prozess § 25, 49 ff. Finanzplanung – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 11

Stichwortverzeichnis Firma – Insolvenzmasse § 20, 76 – Umfirmierung § 17, 61 – Verkauf § 17, 61 Forderungen – Debitorenmanagement § 11, 314 f. – Einzug § 11, 306 ff. Forderungsanmeldung – Abzinsung § 32, 36 – PSVaG § 32, 33 ff. – Schätzung des Wertes § 32, 36 – Stichtagsbetrachtung § 32, 37 – Zinsfuß § 32, 37 Forderungsausfall – Kreditversicherung § 29, 143 f. Forderungseinzug – als Finanzierungsinstrument § 16, 25 ff. Fortführungsvereinbarung – Abnahmeverpflichtung § 31, 53 – Allgemeines § 31, 32 ff. – Ausproduktion § 31, 71 ff. – Betriebsfortführung § 31, 35 – Endabrechnung § 31, 79 ff. – eröffnetes Verfahren § 31, 37 ff. – Form § 31, 45 ff. – Gewährleistung § 31, 64 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 98 – Haftungsbegrenzung § 31, 66 ff. – Insolvenzantragsverfahren § 31, 35 – Kündigung § 31, 68 ff. – Leistungsstörung § 31, 64 ff. – Lieferverpflichtung § 31, 51 ff. – M&A-Prozess § 31, 76 ff. – Preise § 31, 55 ff. – Restrukturierungsmaßnahmen § 31, 73 ff. – Verlustausgleich § 31, 58 ff. – Versicherung § 31, 66 ff. – Vertragsdauer § 31, 68 ff. – Vorschusszahlungen § 31, 63 – Zahlungsverpflichtung § 31, 53 ff. – Zeitpunkt § 31, 48 – Zustimmungsvorbehalt § 31, 49 Fortführungswert – M&A-Prozess § 25, 30 ff. Freiberufler – Apotheker § 28, 35 ff. – Architekten § 28, 63 ff.

– Ärzte § 28, 14 ff. – Aufnahme eines Angestelltenverhältnisses § 28, 48 ff. – Berufsrecht § 28, 8 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 1 ff. – Betriebsfortführung, Modelle § 28, 19 ff. – Eigenverwaltung § 28, 20 ff. – goodwill § 28, 15 – Honorarforderungen § 28, 24 ff. – Insolvenzplan § 28, 33 f., 51 ff. – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 28, 16 f., 56 f. – Rechtsanwaltskanzleien § 28, 38 ff. – Restschuldbefreiung § 28, 44 ff. – Steuerberater § 28, 58 – Wirtschaftsprüfer § 28, 59 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 37 ff.; § 28, 40 ff. Freigabe – gem. § 32 Abs. 3 InsO § 19, 71 ff. – Gläubigermitwirkung § 8, 74 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 18, 81 ff. Freistellung – allgemeiner Beschäftigungsanspruch § 14, 25, 29 – Auftragsmangel § 14, 27 – Betriebsänderung § 14, 35 – Mitbestimmung nach BetrVG § 14, 33 ff. – Nachteilsausgleich § 14, 35 – Rechtsschutz § 14, 30 – Resturlaub § 14, 24 – Sozialversicherungsrecht § 14, 31 f. – Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG § 14, 29 – Zuässigkeit im eröffneten Verfahren § 14, 27 ff. – Zulässigkeit im Eröffnungsverfahren § 14, 26 Fremdfinanzierung § 16, 5 – Charakteristika § 16, 6 – Instrumente § 16, 57 ff. Fußballvereine – Amateurliga § 28, 100 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 67 ff.

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Stichwortverzeichnis – Insolvenz, Kommunikation § 28, 122 ff. – Kommerzialisierung § 28, 68 ff. – Lizenzen/Zulassungen, Erlöschen § 28, 110 f. – Profisport § 28, 67 – Spielbetrieb, Wegfall § 28, 73 – Verbandsrecht § 28, 8 ff., 75 ff. – Verbandsrecht, Verhältnis z. Insolvenzrecht § 28, 79 ff. – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit § 28, 78 ff.

Gebäude – Versicherungsschutz § 29, 83 ff. Gebäudeversicherung § 29, 85 Gebrauchsmusterrechte – Anspruch auf Eintragung § 20, 72 – Geheimgebrauchsmuster § 20, 72 – Insolvenzmasse § 20, 72 – Recht auf das Gebrauchsmuster § 20, 72 Gebrauchsüberlassung – Verpflichtung d. Vermieters § 13, 154 Gehaltsforderungen – s. Lohnforderungen Geheimhaltung – s. Betriebsgeheimnis Gesamtvollstreckungsordnung – Rechtsentwicklung § 4, 25 ff. Geschäfts-/Inhaltsversicherung § 29, 87 ff. Geschäftsessen § 11, 373 Geschäftsführer – D&O-Versicherung § 29, 125 ff. – Eigenverwaltung, Haftung § 1, 40 – Fortführungsentscheidung § 1, 17 f. – Sanierungsmaßnahmen § 1, 19 ff. – Sanierungsmaßnahmen, Fehlschlagen § 1, 34 ff. Geschenke § 11, 374 Geschmacksmusterrechte – angemeldetes Geschmacksmusterrecht § 20, 73 – Anwartschaftsrecht § 20, 73 – Insolvenzmasse § 20, 73 – Urheberrechtsschutz § 20, 73 Gesellschafter – Fortführungsentscheidung § 1, 17

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– Sanierungsmaßnahmen, Zuständigkeit § 1, 19 ff. Gesellschafterdarlehen – als Finanzierungsinstrument § 16, 74 f. – Nutzungsüberlassung eines Grundstücks gem. § 135 Abs. 3 InsO § 13, 167 f. Gewerberecht – Personalkonzessionen § 18, 11 ff. Gewerbesteuer – Aufrechnung § 33, 181 f. – Erlass § 33, 179 f. – Insolvenzforderungen § 33, 171 ff. – Masseverbindlichkeiten § 33, 171 ff. Gewerblicher Rechtsschutz § 20, 53 ff.; s. a. Domain; Geschmacksmuster; Immaterialgüterrechte; Know-how; Lizenzen; Markenrechte; Patente; Urheberrechte Gewerkschaft – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 38 – Gläubigerausschuss, Zusammensetzung § 8, 19 Gewinn- und Verlustrechnung – Planung, Muster § 24, 180 Glasversicherung § 29, 104 Gläubiger – Aus-/Absonderungsberechtigte s. dort – Eröffnungsverfahren, Beteiligung § 8, 44 ff. – Insolvenzantrag § 7, 220 – Organe § 8, 5 ff.; s. a. Gläubigerausschuss; Gläubigerversammlung – Rechtsstellung § 8, 1 ff. Gläubigerausschuss – Abstimmungen § 8, 25, 27 – Arten § 7, 72 ff. – Bedeutung § 8, 15 – Beteiligung im Regelverfahren § 8, 67 ff. – Betriebsveräußerung § 8, 68 ff. – Einsetzung § 8, 16 f., 63 – Geschäftsordnung § 8, 23, 26 – Gewerkschaftsvertreter § 8, 19, 38 – GOI § 5, 24 – Größe § 8, 18 – Haftpflichtversicherung § 29, 26 ff.

Stichwortverzeichnis – Haftung § 8, 29 f., 84 – Insolvenverwalter, Kontrolle § 7, 67 ff., 180 f. – Insolvenzverwalter, Aufsicht § 8, 62 – Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 35, 69 ff. – Kompetenzübertragung § 8, 84 – Sitzungen § 8, 23 f., 27 – Stilllegung § 8, 68 f. – Vergütung § 8, 30; § 36, 43 ff. – Verhältnis zur Gläubigerversammlung § 8, 78 ff. – Versicherung § 8, 30 – Vertraulichkeit § 8, 28 – Vertretung § 8, 23, 28 – Verwalteraufsicht § 8, 67 – vorläufiger s. Gläubigerausschuss, vorläufiger – Vorratsbeschlüsse § 8, 83 – Zusammensetzung § 8, 18 ff. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 8, 66, 68 ff., 85 Gläubigerausschuss, vorläufiger – Abstimmungen § 8, 40 – Anhörung zur Eigenverwaltung § 8, 44, 52 – Antrag § 8, 37 – Anzeigepflichten b. Eigenverwaltung § 11, 192 – Ausschlussgründe § 8, 32 ff. – bedeutsame Rechtshandlungen § 11, 191 ff. – Bedeutung § 8, 15 – Berichterstatung, Planung § 11, 188 ff. – Besetzung § 8, 37 ff.; § 11, 53 f., 79 f. – Besetzungsvorschlag § 8, 37, 39 – Bestellung § 7, 82 ff. – Betriebsfortführung, Mitwirkung § 11, 188 ff. – Eigenverwaltung § 7, 92 ff. – Eigenverwaltung, Votum § 24, 65 – Einfluss, vorl. Maßnahmen § 11, 74 ff. – Einsetzung § 8, 31 ff.; § 11, 47 ff. – Entlassung § 7, 104 – Ermessen § 8, 31, 35 – Ermessensbindung d. Gerichts § 11, 48 ff., 144 ff. – fakultativer § 11, 58

Geldverkehr § 11, 193 ff. Größenmerkmale § 11, 48 Haftung § 7, 102 ff.; § 8, 41 Insolvenverwalter, Kontrolle § 7, 182 Insolvenzverwalter, Aufsicht § 8, 54 ff. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 7, 85 ff.; § 8, 44 ff.; § 11, 175 ff. – Insolvenzverwalter, Bestellung § 7, 196 ff. – Kassenprüfung § 8, 57 – Kompetenzen bei Betriebsforführung § 11, 137 ff. – Kosten/Nutzen § 11, 50 – Mitwirkung bei Personalentscheidungen § 8, 44 ff. – Personalvorschläge § 11, 56 ff. – Pflichtausschuss § 11, 48 – PSVaG § 32, 48 ff. – Sachwalter § 7, 92 ff. – Schutzschirmverfahren § 7, 95 ff. – Schwellenwerte § 8, 36 – Sitzungen § 8, 40 – Stilllegung § 8, 58 – Unterstützung u. Überwachung § 11, 188 ff. – Unverhältnismäßigkeit § 8, 33 – Vergütung § 8, 42 – Versicherung § 8, 41 – Verzögerung § 11, 51 – vorl. Maßnahmen § 11, 137 ff. – Vorratsbeschlüsse § 8, 83 – Vorschlagsrecht § 24, 66 – Zusammensetzung § 11, 53, 197 ff. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 8, 58 f. Gläubigerautonomie § 8, 1 ff. Gläubigerbefriedigung – Eigenverwaltung § 9, 175 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 9, 157 ff. Gläubigerbeirat § 8, 43 – PSVaG § 32, 48 ff. Gläubigerbeteiligung – Eröffnungsverfahren § 8, 44 ff. – Insolvenverwalter, Kontrolle § 7, 63 ff. – Insolvenzplanverfahren § 8, 85 f. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 11, 162 ff. – – – – –

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Stichwortverzeichnis – Regelverfahren § 8, 60 ff. – vorl. Maßnahmen § 11, 84 ff. Gläubigergleichbehandlung – PSVaG § 32, 71 Gläubigerinformation – GOI § 5, 27, 54 Gläubigerversammlung – Abstimmungen § 8, 13 f. – Bedeutung § 8, 7 f., 60 ff. – Berichtstermin § 8, 9, 60, 64 – Betriebsfortführung, Grundentscheidung § 8, 64 ff., 70 – Einberufung § 8, 9 f., 63 – Entscheidungskompetenz § 4, 36 ff. – Insolvenverwalter, Kontrolle § 7, 65 f. – Insolvenzplan, Erstellung § 8, 86 – Kompetenzübertragung § 8, 66, 70, 84 – Management-Buy-out § 8, 77 – Mitwirkung, Verwaltung § 8, 76 f. – Stilllegung § 8, 64 – Verhältnis zum Gläubigerausschuss § 8, 78 ff. – Vorratsbeschlüsse § 8, 83 – Zusammensetzung § 8, 11 f. – Zustimmung zu Verwalterhandeln § 8, 76 f., 85 Gläubigerverzeichnis § 24, 138 – Muster § 24, 178 Globalzession – Umsatzsteuer § 9, 93 Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren – s. a. EuInsVO – Arbeitsverhältnisse § 27, 29 ff. – Betriebsfortführung, Koordination § 27, 35 ff. – COMI § 27, 10 ff. – Eigenverwaltung, Sekundärinsolvenzverfahren § 27, 77 ff. – Erfüllungswahlrechte, Ausübung § 27, 83 ff. – Fallgruppen § 27, 2 – Fortführungsvereinbarung § 27, 98 – Grundsatz der modifizierten Universalität § 27, 5 ff. – Hauptinsolvenzverfahren, mehrere § 27, 50 ff. – Hauptinsolvenzverwalter § 27, 61 ff.

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– Hauptinsolvenzverwalter, Möglichkeiten § 27, 70 ff. – Insolvenzgerichte, Kooperation § 27, 80 ff. – Insolvenzverwalter, Befugnisse § 27, 61 ff. – Insolvenzverwalter, Kooperation § 27, 66 ff. – Insolvenzverwalterverträge § 27, 51 ff., 101 – Kollissionsnorm, einheitliche § 27, 8 – Konzerninsolvenzrecht, euopäisches § 27, 50 ff. – Leistungsbeziehungen, Beteiligte § 27, 85 – Masseverbindlichkeiten § 27, 86 ff. – Sachnormen § 27, 26 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren § 27, 21 ff., 37 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Eröffnung § 27, 43 ff., 64 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Wirkung § 27, 47 ff. – Sonderkollisionsnormen § 27, 26 ff. – übertragende Sanierung § 27, 99 ff. – Verfahrenkosten, Deckung § 27, 96 – Verfahrenseröffnung, Bekanntmachung § 27, 58 ff. Grundpfandrechte – Ansprüche der dinglich Berechtigten aus § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG § 13, 117 f. – Insolvenzplan, Ablösung § 13, 192 ff. – Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters § 13, 174 ff. – Zwangsvollstreckung in Betriebsgrundstück § 13, 121 ff. Grundrechte – Anwendungsfälle § 11, 62 ff. – Beschränkungen § 11, 64 – Eingriff, Bedeutung für Betriebsfortführung § 11, 67 – Eingriff, Verhältnismäßigkeit § 11, 64 ff. – Postgeheimnis § 11, 64 – vorl. Postsperre § 11, 63 Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) § 7, 232 ff. – Abschlagsverteilung § 5, 33 – Amtsannahme § 5, 52

Stichwortverzeichnis – Arbeitnehmer § 5, 23, 53 – Aus- und Absonderungsrechte § 5, 29 – Auslandsbezug § 5, 38 – Auslaufproduktion § 5, 40, 62 ff. – Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 – Betriebsfortführung § 5, 41 ff. – Buchhaltung § 5, 28, 57 f. – Büroausstattung § 5, 16 – Compliance § 5, 19, 51 – Dienstleister, externe § 5, 15 – Eigenverwaltung § 5, 36, 60 f. – Erfolgskontrolle § 5, 20 – Fortbildung § 5, 18 – Gläubigerausschuss § 5, 24 – Gläubigerinformation § 5, 27, 54 – Gutachten § 5, 25 – Höchstpersönlichkeit § 5, 13, 46 ff. – Insolvenzplan § 5, 37, 60 f. – Jahresabschlüsse § 5, 59 – Kontaktaufnahme § 5, 52 – Masseverbindlichkeiten § 5, 29, 56 – Qualitätsstandard § 5, 7 ff. – Schlussrechnung § 5, 35 – Sicherungsmaßnahmen § 5, 22 – Tabellenführung § 5, 32 – Treuhandkonten § 5, 26 – Überblick § 5, 11 – Unternehmensveräußerung § 5, 31 – Verfahrensabschluss § 5, 34 – Verwertungshandlungen § 5, 30 – Zertifizierung § 5, 9, 14, 49 f. Grundschuld – Haftungsverband gem. §§ 1120, 1192 BGB § 13, 107 Grundsteuer – maßgeblicher Zeitpunkt § 13, 114 ff. Grundstück – s. a. Betriebsgrundstück – Betriebsgrundstück s. dort – risikoreiche Nutzung § 19, 56 – Versicherungsschutz § 29, 80 ff. Grundstücksherausgabe – Sicherungsanordnung nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO § 13, 101 Gruppenunterstützungskassen § 32, 30 Gutachter – s. Sachverständige Gutgläubiger Erwerb – Betriebsgrundstück, nach § 81 InsO i. V. m. § 892 BGB § 13, 47 ff.

Haftpflichtversicherung – Arbeitnehmervertreter § 29, 26 ff. – Betriebshaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. – Gläubigerausschuss § 29, 26 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 41 – Gläubigerausschussmitglieder § 8, 30 – Insolvenzverwalter § 29, 20 ff., 30 ff. – Insolvenzverwalter, „UmbrellaCover“ § 29, 115 – Kraftfahrzeuge § 29, 95 – Produkthaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 29, 124 Haftung – Gläubigerausschuss § 8, 29 f. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 41 – Insolvenzverwalter s. Insolvenzverwalter – Haftung Handlungsstörer § 19, 74 ff.

Immaterialgüterrechte Absonderungsrecht § 20, 93 Arbeitnehmererfindung § 20, 70 f. Domains § 20, 78 Firma § 20, 76 Gebrauchsmusterrrechte § 20, 72 Geschmacksmusterrechte § 20, 73 Insolvenzmasse § 20, 59 Know-how § 20, 75 Markenrechte § 20, 74 Nutzung s. Lizenz Patentrechte § 20, 66 ff. Sicherungsrechte § 20, 93 ff. Sicherungsübertragung § 20, 94 ff. Territorialprinzip § 20, 56 Überschuldungsbilanz § 20, 55 Unternehmensgeheimnisse § 20, 77 Urheberrechte § 20, 62 ff. Verpfändung § 20, 94 ff. Verwertbarkeit § 20, 58 Verwertungsrecht, bei Absonderungsbelastung § 20, 60 ff., 94 ff. Immaterielle Wirtschaftsgüter – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 21 Informationsbeschaffung § 11, 359 Innenfinanzierung § 16, 4 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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Stichwortverzeichnis Insolvenz – Lizenzgeber § 20, 80 ff. – Lizenznehmer § 20, 89 ff. Insolvenzanfechtung – Anspruchsentstehung § 30, 13 f. – Anspruchsinhalt § 30, 15 ff. – Auswirkungen § 30, 6 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 30, 3 ff. – Disponibilität § 8, 3 f. – Durchsetzungspflicht § 30, 18 ff., 30 ff. – Finanzierungsfunktion § 11, 316 – Haftungsschuldner, Auswahl § 30, 34 ff. – Insolvenzverwalter, Haftung § 30, 22, 27 ff., 37 ff. – Krisenvereinbarungen § 1, 43 – Liquiditätseffekt § 30, 10 – Sicherheitenbestellung § 30, 11 – taktische Überlegungen § 30, 3 ff. – Vergleich § 30, 16 f., 23 ff. – Verzicht § 30, 16 f., 57 ff. – Zweck § 30, 1 f. Insolvenzantrag – D&O-Versicherung § 29, 125 ff. – drohende Zahlungsunfähigkeit § 1, 22 – Eigenantrag § 7, 213 ff. – fakultative Angaben § 11, 33 ff. – Fremdantrag § 7, 220; § 11, 41 – Gestaltungsmöglichkeiten, Schuldner § 17, 18 ff. – Inhalt § 8, 36 – Steuerungsfunktion § 11, 32 ff. – Verfahrensart § 11, 37 – verpflichtende Angaben § 11, 33 ff. – Vorbereitung § 11, 35 Insolvenzantragsrecht – Fortführungsprognose § 32, 54 – PSVaG § 32, 53, 57 f. – rechnerische Überschuldung § 32, 53 Insolvenzantragsverfahren – Betriebsgrundstück § 13, 1 ff. – Gutachten, Beauftragung § 7, 221 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 17, 22 ff. Insolvenzarbeitsrecht – Begriff, Anwendbarkeit § 14, 3, 5 Insolvenzeröffnungsverfahren – s. a. Insolvenzverfahren, vorläufiges

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Betriebsänderung § 15, 89 Betriebsfortführung § 4, 43 ff. Eigenverwaltung § 9, 182 ff. Gläubigerausschus, vorläufiger § 8, 31 ff., 44 ff. – Gläubigerbeteiligung § 8, 44 ff. – Interessenausgleich § 15, 81 – M&A-Prozess § 25, 74 ff. – Steuern, Liquiditätsbelastung § 9, 89 ff. – Übergang z. Insolvenzverfahren § 11, 431 f. – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 9, 6 f. – Vorbereitung d. Eröffnung § 9, 127 f. Insolvenzforderungen – Einkommensteuer § 33, 90 ff. – Gewerbesteuer § 33, 171 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 33, 182 ff. – Schadensersatzansprüche § 24, 121 – Vermieter, Schadensersatzanspruch § 13, 166 Insolvenzgeld § 9, 61 ff.; § 32, 17 f. – Durchführungsanweisungen Agentur für Arbeit § 14, 15, 19 – Europarecht § 14, 13 – Finanzierungshilfe § 14, 2 – Insolvenzereignis § 14, 12 – Missbrauchsvermeidung § 9, 66 ff. – Voraussetzungen § 14, 12 ff. – Vorschuss § 14, 14 Insolvenzgeldvorfinanzierung § 1, 45 f.; § 14, 11 ff. – Eigenverwaltung § 9, 177 – im Regelverfahren § 14, 14 ff. – im Schutzschirmverfahren § 14, 17 ff. – im vorl. Verfahren § 9, 64 ff.; § 11, 302 ff. Insolvenzgericht – Ermessen, Einschränkung § 11, 74 ff. Insolvenzgericht – Aufgaben – bei Betriebsforführung § 7, 221 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 80 ff. – Gutachten, Beauftragung § 7, 221 ff. – Insolvenzplanzustimmung, Ersetzung § 24, 169 f. – Insolvenzverwalter, Auswahl § 11, 82 ff. – – – –

Stichwortverzeichnis – Sachverständige, Beauftragung § 36, 65 ff. – Schlussrechnungsprüfung § 34, 8 ff.; § 36, 61 ff. – Schutzschirmverfahren § 7, 95 ff. – Sicherungsmaßnahmen s. dort – vorl. Maßnahmen § 11, 42 ff.; s. a. dort Insolvenzgericht – Aufsicht § 7, 105 ff. – Amtsermittlungsgrundsatz § 7, 16 – Beginn/Ende § 7, 188 ff. – Begriff § 7, 6 ff. – Berichtsanforderung § 11, 206 ff. – Beschränkung durch Insolvenzverwalter/Gläubiger § 7, 17 ff. – Betriebsfortführung § 7, 211 ff. – Eigenverwaltung § 7, 284 ff. – Einsicht in Konten § 11, 208 ff. – ESUG § 7, 56 ff. – im eröffneten Verfahren § 7, 277 ff. – Insolvenzplanverfahren § 7, 293 ff. – Insolvenzverwalter § 7, 117 ff., 170 ff. – Insolvenzverwalter, Bestellung § 7, 190 ff. – Intensität § 7, 206 ff. – Listenführung § 7, 51 ff. – Rechtsaufsicht § 11, 202 ff. – Rechtsentwicklung § 7, 35 ff. – Schlussrechnung, Prüfung § 36, 61 ff. – Schutzschirmverfahren § 7, 160 ff. – Zuständigkeit § 7, 24 ff., 203 ff. – Zustimmung b. Stillegung § 11, 211 ff. – Zweck § 7, 133 ff. Insolvenzgericht – Einzelermächtigungen § 7, 250 ff. – § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO § 7, 270 – § 55 Abs. 4 InsO § 7, 271 ff. – Einziehungsermächtigung § 7, 267 – Treuhandkonto § 7, 261 ff. Insolvenzgründe – Bericht § 24, 141 – Fixkostenbelastung § 14, 2 – Insolvenzursachen § 24, 19 – Konzerninsolvenz § 21, 28 ff.; § 22, 24 ff. – Personalkostenbelastung § 14, 2 Insolvenzgutachten – s. a. Sachverständige – GOI § 5, 25

Insolvenzmasse – s. Masse Insolvenzordnung – Rechtsentwicklung § 1, 1 ff.; § 4, 32 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff.; s. a. dort, 20 ff. – Verfahrenszwecke § 4, 32 ff. Insolvenzplan § 26, 69 – s. a. Sanierungsplan – Annahme § 24, 164 f. – Ärzte § 28, 33 f. – Auftrag § 8, 64 – betriebliche Altersversorgung § 32, 61 ff., 70 – Darstellender Teil § 24, 153 f. – Erstellungsauftrag § 8, 86 – Gestaltender Teil § 24, 160 f. – Gläubigerverzeichnis, Muster § 24, 178 – GOI § 5, 37, 60 f. – Grundpfandrechte, Ablösung § 13, 192 ff. – Gruppenbildung § 24, 165 f. – Insolvenzplan, Inhalt/Aufbau § 24, 152 – Insolvenzverfahren, Aufhebung § 24, 174 – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 13 – integrierte Unternehmensplanung, Muster § 24, 180 f. – M&A-Prozess § 25, 84 ff. – Mehrheitsentscheidung, Ersetzungskompetenz d. Gerichts § 24, 169 f. – Muster § 24, 176 ff. – Mustergliederung § 24, 176 – Plananlagen § 24, 163 f. – Plan-Bilanz, Muster § 24, 182 – Plan-GuV, Muster § 24, 180 – Planinitiativrecht § 24, 151 f. – Plan-Liquiditätsrechnung, Muster § 24, 181 – Rechtsanwälte § 28, 51 ff. – Reorganisation § 11, 20 ff. – Schuldner, Initiative § 17, 53 ff. – übertragende Sanierung § 11, 16 – Umsetzung § 24, 149 ff. – Vermögensübersicht, Muster § 24, 179

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Stichwortverzeichnis – Verzeichnis d. Massegegenstände, Muster § 24, 177 – Verzeichnisse, Muster § 24, 177 f. Insolvenzplanverfahren – Abstimmungstermin § 32, 62 f. – Betriebsfortführung § 24, 1 ff. – Gläubigerbeteiligung § 8, 85 f. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 293 ff. – Konzerninsolvenz § 21, 110 f.; § 22, 76 ff. – Planüberwachung § 24, 175 – Schlussrechnung § 34, 3 – zeitlicher Rahmen § 24, 173 f. Insolvenzreife – Begriff § 6, 16 Insolvenzschuldner – s. a. Schuldner – betriebliche Altersversorgung, Wiedereintritt § 32, 80 – D&O-Versicherung § 29, 125 ff. – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort – Rechtsschutzversicherung § 29, 135 ff. – Versicherungsschutz, Prüfung § 29, 49 ff., 79 ff. Insolvenzschutz – Höchtsgrenzen § 32, 2 – Rückwirkung § 32, 18 – Voraussetzungen § 32, 4 – Zwei-Jahres-Frist § 32, 2 Insolvenzverfahren – Abschluss, Förderung § 5, 34 – Aufhebung § 24, 174 – Betriebsänderung § 15, 90 – Betriebsfortführung § 4, 47 ff. – Betriebsgrundstück, Sicherung § 13, 104 ff. – Einheit des Verfahrens § 2, 27 – Einstellung, Gläubigermitwirkung § 8, 63 – Entschuldung § 2, 28 – Eröffnung, Vorbereitung § 9, 127 f. – Formalisierung § 2, 25 – Geldliquidation § 2, 24 – Gläubigerautonomie § 2, 26 – Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 2, 20 – Gläubigerbeteiligung § 8, 60 ff.

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– grenzüberschreitende Insolvenzverfahren s. dort; s. EuInsVO – Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 277 ff. – Interessenausgleich § 15, 82 – Kleinbetriebe § 11, 381 f. – Konzernunternehmen § 11, 375 ff. – M&A-Prozess § 25, 84 ff. – Nachforderung § 2, 28 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 18, 1 ff. – PSVaG § 32, 69 – Rechtsenwicklung § 1, 1 ff. – Schuldner, Rechtsstellung § 17, 41 ff. – Universalität § 2, 21 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff.; s. a. dort, 20 ff., 1 ff.; s. a. dort – Verfahrensziele § 26, 1 f., 11, 29, 55 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 9, 8 ff., 129 ff. – Versicherungsunternehmen § 29, 75 – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 17, 41 ff. Insolvenzverfahren, vorläufiges – s. Insolvenzeröffnungsverfahren Insolvenzvermerk – Grundbuch § 13, 20 ff. Insolvenzverwalter – Abwahl § 8, 50, 63 – Abwicklungsmannschaft § 32, 43 – Arbeitgeberposition § 3, 16 – Arbeitnehmer, Freistellung § 9, 150 – Arbeitnehmer, Kündigung gem. § 113 InsO § 14, 56 ff. – Arbeitnehmer, Nachkündigung § 14, 59 ff. – Aufsicht § 8, 54 ff., 62; s. a. Insolvenzgericht – Aufsicht, 65, 67, 68 – Ausstattung § 11, 254 ff. – Beruf § 3, 1 f. – Berufshaftpflichtversicherung § 5, 17 – Betriebsfortführung, Beendigung § 9, 156 ff. – Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – Betriebsgrundstück, Verwertungsbefugnis § 13, 174 ff. – Büroausstattung § 5, 16 – Einsatz v. Dienstleistern, Vergütung § 36, 46 ff.

Stichwortverzeichnis Entlassung § 8, 63 Entlastung § 35, 90 ff. Erfüllungswahlrecht § 26, 44 Freiberufler, Betriebsfortführung § 28, 16 f., 56 f. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 51 ff.; s. a. dort, 61 ff.; s. a. dort, 70 ff.; s. a. dort – Kontrolle durch Gläubiger § 7, 63 ff., 180 ff. – Masseunzulänglichkeit § 9, 129 ff. – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 9, 129 ff. – Mitarbeiter § 11, 255 – Organisation § 11, 254 ff. – PSVaG § 32, 41, 46, 66 – Sonderinsolvenzverwalter § 7, 307 ff. – Sonderkonten § 32, 47 – Tilgungsbestimmungsrecht § 13, 158 ff. – Unternehmerfunktion § 3, 34 ff. – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 17, 41 ff. – vorläufiger s. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Wirksamkeit v. Handlungen § 3, 40 – Zusammenarbeit, m. Pressesprecher § 10, 19 ff. Insolvenzverwalter, vorläufiger – s. Vorläufiger Insolvenzverwalter Insolvenzverwalter – Auswahl/Bestellung § 7, 190 ff. – Amtsannahme § 5, 52 – Anforderungsprofil § 8, 49 – diplomatisches Geschick § 3, 37 – ESUG § 3, 47 – Geeignetheit § 3, 3 f. – Geschäftskundigkeit § 3, 3 f. – Gläubigerausschuss, vorl. § 7, 85 ff. – Gläubigerausschuss, vorläufiger § 8, 44 ff. – Kommunikationsfähigkeit § 3, 36 f. – persönliche Integrität § 3, 4 – PSVaG § 32, 48, 50 – Softskills § 3, 32 – Unabhängigkeit § 3, 3; § 8, 48 – Vorauswahlliste § 7, 51 ff. – Zertifizierung § 5, 49 f.; s. a. dort Insolvenzverwalter – Haftung § 8, 68 – § 60 InsO § 26, 41 ff. – – – –

– § 61 InsO § 26, 59 ff. – Arbeitnehmer, Freistellung § 9, 150 – Berichtspflicht, Gläubigerversammlung § 35, 74 ff. – Betriebsfortführung, fehlerhafte Entscheidung § 35, 40 ff. – Betriebsfortführung, Risiken § 2, 43 ff. – entgangener Gewinn § 26, 64 – Entlastung § 35, 90 ff. – Entscheidungskompetenz § 8, 65 f., 84 – Exkulpation § 26, 63 – Gläubigerausschuss, Zusammenarbeit § 35, 69 ff. – Grundsätze § 35, 1 ff. – Haftpflichtversicherung § 29, 20 ff., 30 ff. – Haftpflichtversicherung, „UmbrellaCover“ § 29, 115 – Handeln, gegen Gläubigerentscheidung § 8, 65 – Insolvenzanfechtung § 30, 22, 27 ff., 37 ff. – insolvenzrechtliche § 35, 36 ff., 82 ff. – Konzerninsolvenz § 21, 114 – Masseunzulänglichkeit § 9, 129 ff. – Masseunzulänglichkeit, Anzeige § 35, 62 ff. – negatives Interesse § 26, 64 – persönliche § 26, 61 – Risiko, Zustimmungseinholung § 8, 59 – Schadensersatzanspruch d. Gläubiger § 35, 83 ff. – Steuern § 33, 79 ff. – Tatbestände, Abgrenzung § 35, 87 ff. – Tatbestände, allgemeine § 35, 7 ff. – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 35, 2 ff. – Treuebruch § 30, 40 ff. – unternehmerische Entscheidungen § 35, 50 ff. – Vermeidung, Gläubigerzustimmungseinholung § 8, 75 ff. – Vermögensschaden § 30, 46 – Verschulden § 9, 151 ff. – Verträge, Beendigung § 9, 149 – Vertrauensschadensversicherung § 29, 41 ff.

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Stichwortverzeichnis – verwertungsbezogene Entscheidungen § 35, 45 ff. – Wirksamkeit v. Handlungen § 3, 40 Insolvenzverwalter – Pflichten § 7, 123 ff. – Außendarstellung § 3, 49 – Berichte § 8, 55 f., 60 ff. – Betriebs, Rechte § 3, 20 – Betriebsfortführung, fehlerhafte Entscheidungen § 35, 40 ff. – Compliance § 5, 19, 51 – Controlling § 3, 12 – Dienstleister, externe § 5, 15 – Erfolgskontrolle § 5, 20 – Finanzplanung § 3, 11 – Fortbildung § 5, 18 – Fortführungspflicht § 26, 3 – Gläubigerausschuss, Zusammenarbeit § 35, 69 ff. – Gläubigerinformation § 8, 13 – Gläubigerinformation § 5, 27, 54 – Gläubigerversammlung, Berichtspflicht § 35, 74 ff. – Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung § 7, 55, 232 ff.; s. a. dort; s. dort – Höchstpersönlichkeit § 5, 13, 46 ff. – Insolvenzanfechtung § 30, 18 ff. – Insolvenzgutachten § 5, 25 – Insolvenzplan § 3, 13 – insolvenzspezifische § 26, 7, 44 – Jahresabschlüsse § 5, 59 – Kassenführung § 8, 57 – Kommunikation, Arbeitnehmer § 5, 23, 53 – Liquiditätsplanung § 3, 11 – M&A-Prozess § 3, 13 – Masseunzulänglichkeit, Anzeige § 35, 62 ff. – Mitteilungspflicht § 32, 44 – Mitwirkungspflicht § 32, 43 – Öffentlich-rechtliche Pflichten § 3, 22 f. – Rechnungslegung § 8, 63; § 33, 24 ff., 1 ff.; s. a. Buchführungspflicht; Jahresabschluss; Steuern – Rechtsschutzversicherung, Schutzbereich § 29, 138 ff. – Schlussrechnungslegung § 36, 62 ff. – Sozialversicherungsrechtl. Pflichten § 3, 18

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– Steuerpflicht § 3, 24 f. – unternehmerische Entscheidungen § 35, 50 ff. – Verfahrensabschluss, Beschleunigung § 5, 34 – Versicherungen, Vertragspflichten § 29, 56 ff. – Versicherungsschutz, Prüfung § 29, 49 ff., 79 ff., 153 – Versicherungsvertrag, Beendigung § 29, 154 – Versicherungsvertrag, Neuabschluss § 29, 155 – verwertungsbezogene Entscheidungen § 35, 45 ff. Insolvenzverwalter – Vergütung – Berechnungsgrundlage, Bestimmung § 36, 6 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 36, 1 ff. – Dauer d. Fortführung § 36, 14 – Erhöhungstatbestände § 36, 12 ff., 21 ff. – Gewinnzuschlag § 36, 17 ff. – Konzerninsolvenz § 21, 222 ff.; § 22, 102 – Massemehrung, fehlende § 36, 15 f. – Masseverbindlichkeiten, Abzug § 36, 7 ff. – Schlussrechnungslegung § 36, 62 ff. – Unternehmensgröße § 36, 12 f. – vorl. Verwalter § 36, 28 ff. – Vorschusszahlungen § 36, 25 ff. – Zuschlagsgewährung § 36, 12 ff. Insolvenzwarenverkauf – Betriebsfortführung § 20, 16 ff. – Fallgruppen nach aktuellem Recht § 20, 12 ff. – Irreführung § 20, 13 ff. – Preissenkungen ohne Ausverkauf § 20, 23 ff. – Rechtslage nach UWG bis 2004 § 20, 7 f. – Rechtslage nach UWG nach 2004 § 20, 10 ff. – Rückkehr zu alten Preisen § 20, 31 ff. – Sonderveranstaltung § 20, 9 f. – Tranzparenzgebot, Beschränkung auf bestimmte Waren § 20, 47 ff.

Stichwortverzeichnis – Tranzparenzgebot, Betriebsfortführung § 20, 43 – Tranzparenzgebot, dauerhaft geltende Preise § 20, 41 – Tranzparenzgebot, fehlender zeitlicher Rahmen § 20, 44 ff. – Tranzparenzgebot, Preisnachlässe § 20, 42 – Tranzparenzgebot, unlauteres Handeln § 20, 39 – Verkaufsförderungsmaßnahme § 20, 39 ff. – Verschweigen der Insolvenz § 20, 35 ff. – Zukauf von Waren § 20, 27 ff. – Zwischenhändler § 20, 11 Interessenausgleich § 15, 80 ff. – Abweichung § 15, 167 ff. – Betriebsrat, Beteiligung § 15, 112 – betriebsratslose Betriebe § 15, 114 – Darlegungs- u. Beweislast § 15, 168 – dreiwöchige ergebnislose Verhandlungen § 15, 173 – Eigenverwaltung § 15, 83 – Einigungsstelle § 15, 176 – Erfordernis einer Betriebsänderung § 15, 116 – erneute Verhandlung mit dem Betriebsrat § 15, 171 – eröffnetes Verfahren § 15, 82 – Eröffnungsverfahren § 15, 81 – freiwilliger § 15, 117 – Gegenstand § 15, 107 – Gemeinschaftsbetrieb § 15, 88 – Gesamtbetriebsrat § 15, 112 – im Eröffnungsverfahren § 15, 122 – keine Betriebsvereinbarung § 15, 108 – nach § 125 InsO § 15, 106 – nach Verfahrenseröffnung § 15, 121 – nach Zustimmungsbeschluss § 15, 104 – Nachteilsausgleich § 15, 84; s. a. dort, 103; s. a. dort, 166; s. a. dort, 177 ff.; s. a. dort – nachträglich entstandene oder erkennbar gewordene Umstände § 15, 167 – unterbliebener Versuch § 15, 172 ff. – Verbindung mit Sozialplan § 15, 119, 122

– Vermittlungsversuch des Präsidenten des Landesarbeitsamtes § 15, 90 – vor Ausspruch der Kündigung § 15, 118 – Voraussetzungen § 15, 111 – wesentliche Änderung der Sachlage § 15, 142 – Zeitpunkt § 15, 118 – Zusammenlegung von Betrieben § 15, 112 – Zustandekommen § 15, 111 ff. – zuständiges Betriebsverfassungsorgan § 15, 86 – Zustimmung des ArbG zur Betriebsänderung § 15, 173 – Zustimmung des ArbG zur Kündigung § 15, 174 – Zweifelsfälle § 15, 115 Interessenausgleich mit Namensliste § 15, 108 ff. – Abteilungen § 15, 123 – Aufstellung der Namensliste § 15, 113 – Beschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen § 15, 127 – Beschlussverfahren nach § 126 InsO § 15, 143 ff.; s. a. Arbeitsgericht – Beschlussverfahren nach § 126 InsO – Beweislast § 15, 128 – Darlegungslast des Insolvenzverwalters § 15, 110 – die zu entlassenden Arbeitnehmer § 15, 125 – Entlassungsliste § 15, 126 – Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten § 15, 127 – Geburtsdatum § 15, 123 – Kündigungsschutzverfahren § 15, 108 – Namensliste als Anlage § 15, 124 – Namensliste, Anforderungen § 15, 123 ff. – Prozessrisiken § 15, 109 – schriftlich § 15, 124 – Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse § 15, 127 – Verteilungsliste des Sozialplanes § 15, 126 – Vor- und Nachnamen § 15, 123 – widerlegbare Vermutung § 15, 128

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Stichwortverzeichnis – Wirkung § 15, 127 ff. Internationales Insolvenzrecht – s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Konzerninsolvenzrecht – Konzerninsolvenz § 21, 176 ff. – Regelungen der InsO § 22, 23 Interview – Fangfragen § 10, 47 – für Hörfunk und Fernsehen § 10, 48 ff. – für Print-Produkte § 10, 47 Investoren – Interessenten, M&A-Prozess § 25, 48 ff.

Jahresabschluss – GOI § 5, 59 – Offenlegung § 33, 31 ff. – Prüfungspflicht § 33, 37 ff. Journalisten – Arbeitsweisen § 10, 81 ff.

Kapitalaufbringung – Auffanggesellschaft § 23, 24 ff. – Aufgeld § 23, 28 – Bewertung der Sacheinlage § 23, 27 – Differenzhaftung § 23, 26 – Ertragswert § 23, 27 – Kapitalrücklage § 23, 28 – Liquidationswert § 23, 27 Kapitalerhöhung – als Finanzierungsinstrument § 16, 32 ff. Kapitalertragsteuer § 33, 102 ff. Kapitalmaßnahmen – Schuldner § 17, 66 f. Kapitalschnitt – als Finanzierungsinstrument § 16, 41 ff. Kapitalzahlungen – PSVaG § 32, 47 Kassenprüfung § 8, 57 Kennzahlen § 6, 18 f. Kleinbetriebe § 11, 381 f. Know-how – Insolvenzmasse § 20, 75 – Know-how-Lizenzvertrag § 20, 75 – Nutzungsrecht § 20, 75 – schuldrechtlicher Anspruch § 20, 75

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Kommunikation – Ablauf/Inhalte § 10, 64 ff. – Allgemeines § 10, 1 ff. – Coaching § 11, 430 – Deutungshoheit § 10, 9 – Insolvenzverwalter § 5, 23, 53 – One Voice Policy § 10, 19 – Sonderfall Insolvenz § 10, 8 ff. – Störfaktoren, Handlungsoptionen § 10, 72 – wichtigste Regeln § 10, 74 Kommunikation, externe – Allgemeines § 10, 35 – Fußballvereine, insolvente § 28, 122 ff. – Hintergrundgespräch § 10, 46 – Journalisten, Arbeitsweisen § 10, 81 ff. – mit Gläubigern § 8, 2 f., 28, 60 ff. – Pressekonferenz § 10, 43 ff. – Pressekonferenzen § 11, 429 – Pressemitteilung § 10, 38 ff. – Presseverteiler § 10, 36 ff. Kommunikation, interne – Abteilung, Organisation § 10, 13 ff. – Allgemein § 10, 25 ff. – Arbeitnehmer § 11, 420 ff. – Intranet/Mitarbeiterportal § 10, 28 ff. – Mitarbeiterinformationsschreiben § 10, 27 f. – Mitarbeiterversammlung § 10, 32 – Mitarbeiterzeitschrift/Newsletter § 10, 33 Kommunikationsfähigkeit – Insolvenzverwalter § 3, 36 f. Kommunikationsverantwortliche – Bindeglied, Unternehmen/Zielgruppen § 10, 12 ff. – Pressesprecher § 10, 16 ff. Konkursordnung – Rechtsentwicklung § 4, 1 ff. Kontoführung – Gläubigermitwirkung § 8, 67 Kontokorrentkredit – als Finanzierungsinstrument § 16, 77 f. Konzern – Begriff § 21, 6 ff.; § 22, 1

Stichwortverzeichnis – Bürgschaften § 21, 31 ff. – Cashpooling § 21, 39 ff. – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 19 f.; s. dort; s. EuInsVO, 50 ff. – Konzerninsolvenzrecht, euopäisches § 27, 50 ff. – Patronatserklärung § 21, 35 ff. – Rangrücktrittserklärung § 21, 48 ff. – Überschuldung § 22, 30 – Unternehmensverträge § 21, 45 ff., 51 – Zahlungsunfähigkeit § 22, 27 ff. – Zahlungsunfähigkeit, drohende § 22, 31 Konzerninsolvenzrecht – s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Internationales Insolvenzrecht – Anwendungsbereich § 21, 17 ff. – ausländische Insolvenz, Drittstaaten § 21, 176 ff. – Beteiligungsveräußerung § 21, 77 ff. – Betriebsfortführung § 21, 27 ff.; § 22, 11 ff. – Betriebsfortführung, Voraussetzungen § 22, 32 ff. – bilanzielle Bereinigung § 21, 65 ff. – COMI § 21, 160 – Eigenverwaltung § 21, 88 ff., 115; § 22, 79 ff. – EuInsVO § 22, 16 ff. – EuInsVO, Anwendungsbereich § 21, 155 ff. – EuInsVO, Bedeutung für inländische Konzerne § 21, 159 ff. – Fortführungsmöglichkeit § 22, 32 – Gläubigerbeteiligung § 21, 97, 106 f. – Gruppe, Begriff § 21, 192 ff. – Gruppengerichtsstand § 21, 197 ff. – inländisches Verfahren, Drittstaatenbezug § 21, 185 f. – Insolvenzgründe § 21, 28 ff.; § 22, 24 ff. – Insolvenzplanverfahren § 21, 81 f., 110 f.; § 22, 76 ff. – Insolvenzverwalter, Haftung § 21, 86 f., 114 – Insolvenzverwalter, Kooperation § 22, 61 ff. – Insolvenzverwalter, Mitwirkungspflichten § 21, 101 ff.

Intercompany Loans § 22, 45 Interessenlagen § 21, 2 ff.; § 22, 2 ff. Kernprobleme § 22, 8 ff. kollisionsrechtliche Aspekte § 21, 161 ff. – Konsolidierung § 21, 195 f.; § 22, 92 ff. – Konzern, Aufrechterhaltung § 22, 33 ff. – Konzern, Begriff § 21, 6 ff.; § 22, 1 – Konzernisolvenzverwalter § 21, 200 ff. – Konzernleitungsmacht § 21, 60 ff., 99 f. – Konzernmutter, Insolvenz § 21, 56 ff. – Konzernumlagen § 22, 48 ff. – Leistungsbeziehungen, Anpassung § 22, 46 ff. – Lenkung/Steuerung § 21, 55 ff. – Liquiditätsplanung § 21, 68 ff., 108 f. – Muttergesellschaft, Insolvenz § 22, 74 – Reformvorhaben § 21, 189 ff.; § 22, 87 ff. – Regelinsolvenzverfahren § 22, 24 ff. – steuerrechtliche Aspekte § 22, 58 ff. – Synopse, Reformvorhaben § 21, 190 f. – Tochtergesellschaft, Insolvenz § 21, 98 ff.; § 22, 75 – verbundene Unternehmen, Einzelbetrachtung § 21, 27 ff. – verbundene Unternehmen, Insolvenz mehrerer § 21, 117 ff. – Verfahrenkoordination § 21, 123 ff., 165 ff., 210 ff. – Verfahrensbeteiligte, Kooperation § 21, 203 ff. – Verflechtung § 22, 48 ff. – vergütungsrechliche Aspekte § 21, 222 ff. – vergütungsrechtliche Aspekte § 22, 102 – vorl. Insolvenzverfahren § 21, 83 ff., 112 f. Konzernunternehmen – Betriebsfortführung § 11, 375 ff. Konzession § 11, 415; § 18, 4 ff.; s. a. Öffentlich-rechtliche Genehmigung – – – –

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Stichwortverzeichnis Korruption § 11, 399 f. Kraftfahrzeugsteuer – Insolvenzforderungen § 33, 182 ff. – insolvenzfreie Fahrzeuge § 33, 190 – Masseverbindlichkeiten § 33, 185 ff. Kraftfahrzeugversicherung – Haftpflichtversicherung § 29, 95 – Kasko § 29, 96 f. Kreditrahmen § 16, 73 Kreditversicherung § 29, 143 f. Krise – Ursachenanalyse § 11, 273 ff. Krisenanalyse – ABC-Analyse § 6, 21 – Erfolgskrise § 6, 14 – Insolvenzreife § 6, 16 – Kennzahlen § 6, 18 f. – Liquiditätskrise § 6, 15 – Methoden § 6, 17 ff. – Produkt- und Absatzkrise § 6, 13 – Stakeholderkrise § 6, 11 – Strategiekrise § 6, 12 – „SWOT“-Analyse § 6, 20 Krisenstadium – Analyse § 6, 1 ff.; s. a. Krisenanalyse – Arten § 6, 8 ff. – Fortführungsentscheidung § 6, 7 ff. – Maßnahmen § 24, 13 ff. – Sanierungskonzept § 24, 13 – Unternehmenskrise § 24, 14 Krisenursachen – Analyse § 24, 19 ff. – externe Faktoren § 24, 21 – Insolvenzursachen § 24, 19 – interne Faktoren § 24, 21 – Kennzahlen § 24, 24 – Krisenverlauf § 24, 17 – Stärken- und Schwächenanalyse § 24, 24 Kunden – Absicherung, im vorl. Verfahren § 9, 118 ff. – Einbeziehung § 9, 58 – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 31, 32 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Kündigungsschutz – befristete Arbeitsverhältnisse § 14, 53 – Berufsausbildungsverhältnisse § 14, 51 f.

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– Betriebsrat § 14, 47 – Elternzeit § 14, 46 – gesetzlicher Kündigungsschutz § 14, 46 ff. – Mutterschutz § 14, 46, 48 – Schwerbehinderte § 14, 46 – tariflicher Ausschluss d. Kündigungsrechts § 14, 55 – vertraglicher Ausschluss d. Kündigungsrechts § 14, 54 Kündigungssperre – gemietetes oder gepachtetes Grundstück § 13, 95 ff.

Lastschriften – Widerruf § 9, 81 ff.; § 11, 313 Leasing – als Finanzierungsinstrument § 16, 86 ff. Leistungsklage – Masseunzulänglichkeit § 26, 57 – Nachteilsausgleich § 15, 191 Leistungsträger – Sozialauswahl § 14, 85 Lieferantenkredit – als Finanzierungsinstrument § 16, 76 Lieferverträge – Eigenverwaltung § 9, 176 – Lösungsklauseln § 9, 98 ff. – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 31, 32 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Liquidation – Auslaufproduktion § 11, 11 – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 11, 11 – Verfahrensziel § 11, 9 – Verhältnis z. Betriebsfortführung § 4, 25 ff. Liquidationsszenario § 9, 160, 167 f. Liquidationswert – M&A-Prozess § 25, 29 Liquidität – Anfangsliquidität § 9, 53 ff. Liquiditätskrise – Begriff § 6, 15 Liquiditätsplanung § 9, 14 ff.; § 16, 9 ff.; § 24, 62; § 26, 63 – Betriebsfortführung, Beendigung § 9, 167 f.

Stichwortverzeichnis – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 11 – Muster § 24, 181 Lizenzen – ausschließliche § 20, 83 – Aussonderung (ausschließliche) § 20, 83 – dinglicher Charakter § 20, 83, 85 f. – Doppeltreuhand § 20, 87 – einfache § 20, 84 ff. – Gesetzgebungsvorhaben § 20, 92 – Insolvenz Lizenzgeber § 20, 80 ff. – Insolvenz Lizenznehmer § 20, 89 ff. – Insolvenzplan § 20, 91 – Lizenzgebühr § 20, 89 – Nießbrauchrecht § 20, 87 – Sicherungsübertragung § 20, 87 – Sicherungsverpfändung § 20, 87 – Sukzessionsschutz § 20, 86 – Übertragbarkeit § 20, 58 – Wahlrecht § 20, 80 ff. – Zustimmung zur Übertragung § 20, 90 Lizenzvertrag – Erfüllung § 20, 81 – Erfüllungswahlrecht § 20, 80 ff. – Insolvenzbeschlag § 20, 59 – Lizenzgebühr § 20, 89 – schuldrechtlicher Anspruch § 20, 59 Lohn – Rückstände § 11, 424 – Verzicht § 11, 419 ff. Lohnforderungen – Finanzierung § 14, 1, 64 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 31 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 14, 11 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren § 14, 17 ff. – Verfrühungsschaden § 14, 62 f. Lokaljournalisten – Sonderfall § 10, 34 Lösungsklauseln § 9, 97 ff.

M&A-Prozess – s. Mergers & Acquisitions Management – Analyse § 24, 25 Management-Buy-out – Zustimmung der Gläubigerversammlung § 8, 77

Markenrechte – Ansprüche aus Markenrechtsverletzung § 20, 74 – Insolvenzmasse § 20, 74 Maschinen – Versicherungsschutz § 29, 98 Masse – Begriff § 12, 6 – Betriebsgeheimnis § 20, 77 – Domain § 20, 78 – Firma § 20, 76 – Markenrechte § 20, 74 – Patentrechte § 20, 66 – Urheberrechte § 20, 62 ff. – Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen § 13, 119 f. – Verteilungsreihenfolge § 26, 38 Massedarlehen – als Finanzierungsinstrument § 16, 58 ff. – Besicherung § 16, 60 ff. – Genehmigung des Gläubigerausschusses § 16, 72 – Gläubigermitwirkung § 8, 73 – im Schutzschirmverfahren § 16, 65 – Kündigung § 16, 71 – Laufzeit § 16, 71 – und Einzelermächtigung § 16, 62 – und Insolvenzanfechtung § 16, 67 Massegegenstände – Verzeichnis § 24, 136 f. – Verzeichnis, Muster § 24, 177 Massegläubiger – Altmassegläubiger § 26, 10, 21, 26, 28, 37, 42, 54 – Leistungsklage § 26, 57 – Neumassegläubiger § 26, 10, 16, 31, 37, 49 – oktroyierte § 26, 17, 23, 44 Massenentlassung – Anzeige § 14, 115 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, § 15, 35 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, bestandskräftiger Verwaltungsakt § 15, 43 – Betriebsratsstellungsnahme, Entbehrlichkeit § 15, 36 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, Glaubhaftmachung § 15, 39

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Stichwortverzeichnis – Betriebsratsstellungsnahme, Heilung von Fehlern § 15, 42 ff. – Betriebsratsstellungsnahme, Inhalt § 15, 40 f. – Betriebsratsstellungsnahme, Wirksamkeitsvoraussetzung f. Massenentl. § 15, 35 – Entlassungssperre § 14, 118 f. – fehlerhafte, Rechtsfolgen § 14, 120 – Konsultationspflicht § 14, 115 ff. – Konsultationsverfahren § 15, 29 ff. – Konsultationsverfahren, Entwurf des Interessenausgleiches § 15, 32 f. – Konsultationsverfahren, Form § 15, 30 f. – Konsultationsverfahren, Zeitpunkt § 15, 34 – Massenentlassungsanzeige § 15, 27 ff. – Verfahren § 14, 115 ff. Masseschädigung – Vertrauensschadensversicherung § 29, 41 ff. Masseunzulänglichkeit – Abwicklungspflicht § 26, 27 – Anzeige § 26, 9, 21 f., 25, 38, 66, 72 f. – Anzeigepflicht § 35, 62 ff. – Berechnung § 26, 11, 19 – Beseitigung § 26, 71 – Betriebsfortführung, Beendigung § 9, 163 ff. – drohende § 26, 9 f., 45 – Ermittlung § 26, 7 ff. – Feststellungsklage § 26, 54 f., 57 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 96 – Insolvenzverwalter, Haftung § 9, 129 ff. – Leistungsklage § 26, 57 – prozessuale Auswirkungen § 26, 52 ff. – Veröffentlichung § 26, 25 – Vollstreckungsverbot § 26, 55 – Wirkungen § 26, 22 ff., 55 Masseverbindlichkeiten – Absicherung § 9, 105 ff. – Begründung, im vorl. Insolvenzverfahren § 9, 105 ff. – Dauerschuldverhältnisse § 26, 49 ff. – Eigenverwaltung § 9, 186 ff.

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Einkommensteuer § 33, 90 ff. Einzelermächtigungen § 11, 122 ff. Entstehungszeitpunkt § 26, 13 Ermächtigung d. Schuldners § 17, 32 ff. – Gewerbesteuer § 33, 171 ff. – GOI § 5, 29, 56 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 86 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 33, 185 ff. – Nachteilsausgleich § 15, 191 – oktroyierte § 9, 148 ff.; § 26, 17, 23, 44 – Risiken, Masseunzulänglichkeit § 9, 129 ff. – Sanierungsplan § 24, 109 f. – Schuldner, Ermächtigung § 1, 47 ff. – Treuhandmodelle § 9, 113 ff. – Umsatzsteuer § 9, 94 – unechte § 26, 18 – Versicherungsverträge § 29, 46 ff. – Verträge, gegenseitige § 26, 47 f. – vorl. Insolvenzverwaltung § 11, 222 ff. Medien – s. a. Interview; Kommunikation – Internet § 11, 428 – Journalisten, Arbeitsweisen § 10, 81 ff. – Pressesprecher § 10, 22 ff.; s. a. dort – Printmedien § 11, 428 – Rundfunk, Fernshehen § 11, 427 – Social Media § 10, 52 ff.; s. a. dort – unfaire Berichterstattung § 10, 73 Medienlandschaft – Allgemeines § 10, 75 ff. Mergers & Acquisitions – Ansprachedokumentation § 25, 45 ff. – Auktion § 25, 11 ff. – Bedeutung § 25, 11 ff. – Begriff § 25, 7 ff. – Betriebsfortführung § 25, 38 ff. – Bieterwettbewerb § 25, 9 – Due Diligence-Prüfung § 25, 64 ff. – Eigenverwaltung § 25, 97 ff. – eröffnetes Verfahren/Betriebsfortführung § 25, 84 ff. – Eröffnungsverfahren/Betriebsfortführung § 25, 74 ff. – Ertragswert § 25, 33 – – – –

Stichwortverzeichnis Erwerbsangebote § 25, 61 ff. Finanzinvestoren § 25, 49 ff. Fortführungsvereinbarung § 31, 76 ff. Fortführungswert § 25, 30 ff. Insolvenzplan § 25, 84 ff. Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 13 Investoren-Interessenten § 25, 48 ff. Liquidationswert § 25, 29 M&A-Berater § 25, 14 ff. M&A-Prozess § 25, 1 ff. Management-Präsentationen § 25, 59 f. – Marktpreis, Ermittlung § 25, 19 ff. – Schutzschirmverfahren § 25, 100 f. – strategische Investoren § 25, 53 ff. – Tradeagreement § 31, 81 ff. – Transaktionsstrategie § 25, 41 ff. – Transaktionsstruktur § 25, 36 – übertragende Sanierung § 25, 36 – Unternehmensbewertung § 25, 21 ff. – Vertragsverhandlungen § 25, 71 ff. – Zieldimensionen § 25, 13 Mietverhältnis – Sonderkündigungsrecht § 24, 120 f. – Vermieter, Schadensersatzanspruch § 13, 166 Mietverhältnis – Kündigung – Frist, Insolvenzverwalter als Mieter/ Pächter gem. § 109 InsO § 13, 165 – Insolvenzverwalter als Mieter/Pächter gem. § 109 InsO § 13, 163 f. Mietzahlungen – Verpflichtung d. Insolvenzverwalters § 13, 155 ff. Mitbestimmungsrechte – s. a. Betriebsrat – Versorgungszusage § 32, 67 Mutterschutz § 14, 46, 48 – – – – – – – – – – –

Nachschüsse – als Finanzierungsinstrument § 16, 32 ff. Nachteilsausgleich § 15, 84, 103, 166 – andere wirtschaftliche Nachteile § 15, 185 – Anrechnung des Sozialplanes § 15, 189 f. – Anspruchsentstehung § 15, 177 ff. – befristete unwiderrufliche Freistellung § 15, 178, 182

– Beginn der Durchführung der Betriebsänderung § 15, 177 – Feststellungsklage § 15, 191 – Höhe § 15, 186 ff. – Leistungsklage § 15, 191 – nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige § 15, 191 – unumkehrbare Maßnahmen § 15, 178 – unwiderrufliche Freistellung § 15, 178 – vor einer Masseunzulänglichkeitsanzeige § 15, 191 – widerrufliche Freistellung § 15, 178, 181 f. – Zustimmung des Betriebsrates zur Freistellung oder einstw. Verfügung § 15, 180 Neumassegläubiger § 26, 10, 16, 31, 37, 49 Notare – s. a. Berater – Betriebsfortführung § 18, 68 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 48 ff. Nutzungsberechtigung – s. a. Lizenz – bei Absonderungsrecht § 12, 49, 58 ff. – Domain § 20, 78 – Fehlen § 13, 89 ff. – öffentlich-rechtliche § 13, 89 ff. Nutzungsüberlassung – Ausgleichsanspruch des Gesellschafters gem. § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO § 13, 170 ff. – Grundstück, gem. § 135 Abs. 3 InsO § 13, 167 f.

OEM – Definition § 31, 5 Öffentliche Lasten – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG § 13, 109 ff. Öffentliches Recht – s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Altlasten s. dort – Umweltkontamination s. dort Öffentlichkeitsarbeit – s. Kommunikation; Medien

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Stichwortverzeichnis Öffentlich-rechtliche Genehmigung – Architekten § 18, 56 – Berater § 18, 48 ff., 68 ff. – Betriebsfortführung § 18, 30 ff., 57 ff. – Freiberufler § 18, 37 ff. – Gesundheitsberufe § 18, 42 ff., 59 ff. – Gewerberecht § 18, 11 ff. – Personalkonzessionen § 18, 9 ff. – Realkonzessionen § 18, 4 ff. – Typen § 18, 2 f. – Unzuverlässigkeit § 18, 16 ff. – Verwertung § 18, 76 ff. – Widerruf § 18, 14 f. Öffentlich-rechtliche Vorschriften – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 22 f. One Voice Policy § 10, 19 Opfergrenze – Nichtberücksichtigung § 19, 57 ff. Ordnungsrecht – s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Verhältnis zu Insolvenzrecht § 19, 22 ff. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Adressat § 19, 24 ff. – Betriebsstilllegung § 19, 40 – Betriebsveräußerung § 19, 41 – Effektivität der Störungsbeseitigung § 19, 54 – Handlungsstörer § 19, 74 ff. – öffentliche Grundstückslast § 19, 66 ff. – Opfergrenze § 19, 57 ff. – Regressansprüche § 19, 69 f. – Verfahrensstadien § 19, 31 ff. – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 19, 44 – Zustandsstörer § 19, 9 ff., 71 ff. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Abwehr – Anzeige d. Masseunzulänglichkeit § 19, 65 ff. – formelle Fehler § 19, 47 ff. – materielle Fehler § 19, 50 ff. – präventive negative Feststellungsklage § 19, 61 ff. – Rechtsmittelfrist § 19, 49 – Störerauswahl, fehlerhafte § 19, 53 ff.

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– Unverhältnismäßigkeit § 19, 57 ff. – Verstoß gg. Treu und Glauben § 19, 52 – Zwangsverwaltung § 19, 62 ff. Organhaftung – D&O-Versicherung § 29, 125 ff.

Pachtverhältnisse – Sonderkündigungsrecht § 24, 120 f. Patentrechte – Anspruch auf Erteilung des Patents § 20, 66 – europäisches Patent § 20, 69 – Geheimpatent § 20, 68 – Insolvenzmasse § 20, 66 – Recht auf das Patent, Doppelnatur § 20, 66 f. – Recht aus dem Patent § 20, 66 Patronatserklärung – Konzerninsolvenz § 21, 35 ff. Pensionsfonds § 32, 31, 68, 76 Pensionskasse § 32, 68 Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) § 32, 1 ff. – s. a. Betriebliche Altersversorgung – Rechtsübergang § 32, 26 ff. – Sicherungsfall § 32, 15 ff. – Verfahren § 32, 25 ff. Personalmaßnahmen – s. a. Arbeitnehmer – Betriebsratsbeteiligung § 11, 419 – Betriebsvereinbarung, Beendigung § 24, 130 f. – Freistellung § 11, 425 – Gläubigerausschuss, Mitwirkung § 8, 44 ff. – Kostenstruktur, Anpassung § 24, 122 f. – Lohnverzicht § 11, 419 – Personalabbau § 11, 418 ff. – Personalabbau, in der Insolvenz § 24, 123 f. – Personalabbau, Sozialpläne – Besonderheiten § 24, 126 f. – Transfergesellschaften (BQG), Einbindung § 24, 128 f. Pfandrecht – Absonderungsrechte § 12, 31 ff. – Lizenzen § 20, 87 Planrechnungen § 11, 278 ff.

Stichwortverzeichnis Postkontrolle § 11, 63 ff. Postsperre – bei Eigenverwaltung § 11, 65, 131 ff. – vorläufige § 11, 63 ff. Potentialanalyse § 11, 277 ff. Pressekonferenz § 10, 43 ff.; § 11, 429 Pressemitteilung § 10, 38 ff. Pressesprecher – s. a. Interview; Kommunikation – Allgemeines § 10, 16 ff. – Funktion § 10, 15 – Handwerkszeug § 10, 22 ff. – Zusammenarbeit, Insolvenzverwalter § 10, 19 ff. Presseverteiler § 10, 36 ff. Produkthaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. Produktionsplanung § 9, 32 f. Produktkrise – Begriff § 6, 13 Prozessführung – s. a. Verfahrensgrundsätze – Gläubigermitwirkung § 8, 73 f.

Qualitätsstandard – GOI § 5, 7 ff.

– Insolvenzverwalter, Zusammenarbeit § 28, 56 f. – Restschuldbefreiungsverfahren § 28, 44 ff. – Unabhängigkeit, Gefährdung § 28, 39 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 48 ff. – Zulassungswiderruf § 28, 40 Rechtsentwicklung § 1, 1 ff. Rechtsschutzversicherung § 29, 135 ff. Reorganisation – Eigenverwaltung § 11, 25 ff. – Insolvenzplan § 11, 20 ff. – Regelverfahren § 11, 23 – Verfahrensziel § 11, 20 ff. Restrukturierungsmaßnahmen – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 31, 73 ff. Restschuldbefreiungsverfahren – Rechtsanwälte § 28, 44 ff. Rettungsbeihilfe – als Finanzierungsinstrument § 16, 90 ff. Rückdeckungsversicherung § 32, 27, 79 Rückstellungen – Steuerforderungen § 9, 95

Rangrücktrittserklärung

Sachverständige

– Konzerninsolvenz § 21, 48 ff. Räumungspflicht – nach § 93 ZVG während Antragsverfahren § 13, 83 ff. Rechnungslegung – s. a. Buchhaltung; Schlussrechnung – Gläubigermitwirkung § 8, 63 – Handelsrecht § 33, 5 ff. – Insolvenzverwalter § 33, 24 ff., 46 ff. – Masseunzulänglichkeit § 26, 39 – Schuldner, Pflichten § 24, 142 Rechtsanwälte – s. a. Berater – Aufnahme eines Angestelltenverhältnisses § 28, 48 ff. – Betriebsfortführung § 18, 68 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 38 ff. – Eingriff in die Berufsfreiheit § 28, 41 ff. – Insolvenzplan § 28, 51 ff.

– Beauftragung § 7, 221 ff. – Prüfungsumfang § 34, 6 ff. – Schlussrechnung § 34, 5 ff. – Schlussrechnung, Prüfung § 36, 65 ff. Sachwalter – Aufgaben § 9, 179 ff. – Aufsicht, gerichtliche § 7, 150 ff. – Auswahl § 7, 92 ff.; § 8, 44 ff. – Haftung § 9, 180 – Kosten, Sanierungsplanung § 24, 46 – Masseverbindlichkeiten § 9, 186 ff. – Schuldner, Zusammenarbeit § 24, 143 f. – Steuern § 33, 65 ff. Sachwalter, vorläufiger – Anforderungsprofil § 11, 234 ff. – Auswahl § 8, 44 ff.; § 11, 78 – Doppelspitze § 11, 235 – Kassenführung § 11, 227 – Kooperation § 11, 229

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Stichwortverzeichnis – mitgebrachter Sachwalter § 11, 262 ff. – Mitwirkungsrechte § 11, 228 – Rechtsstellung § 11, 226 ff. – Schuldnervorschlag § 11, 164 ff. – Schutzschirmverfahren § 11, 29 – Überwachung, Aufsicht § 11, 226, 237 – Unabhängigkeit § 11, 262 ff. – Unternehmensführung § 11, 237 – Verbindlichkeiten § 11, 227 – Vergütung § 36, 33 ff. – Vergütung, bei Eigenverwaltung § 36, 41 ff. Sanierung – Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 17 f. – Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – ESUG § 1, 37 ff. – Fehlschlagen § 1, 34 ff. – Finanzierung § 1, 44 ff. – Verfahrensgrundsätze § 2, 29 ff. Sanierungsberater – betriebliche Altersversorgung § 32, 66 Sanierungscontrolling – Erfolgskontrolle § 6, 67 f. – Maßnahmenkontrolle § 6, 65 f. Sanierungsfähigkeit § 1, 31 ff.; § 6, 56 – Prüfung § 2, 30 f. Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 1, 30; § 24, 71 f. Sanierungsgewinn – Besteuerung § 33, 110 ff. Sanierungsinstrumente § 2, 32 ff. – s. a. Sanierungsmaßnahmen – finanzwirtschaftliche § 6, 22 ff. – leistungswirtschaftliche § 6, 34 ff. Sanierungskonzept § 11, 269 – Anforderungen § 1, 26 ff. – Inhalt § 6, 56 ff. – Potenzialanalyse § 6, 22 ff. – Umsetzung § 6, 61 ff. Sanierungsmaßnahmen – s. a. Erwerberkonzept; Sanierungsinstrumente – Beseitigung Insolvenzgründe § 24, 27 – Controlling § 6, 65 ff.; s. a. Sanierungscontrolling – Entscheidung, Zuständigkeit § 1, 19 ff.

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Eröffnungsverfahren § 31, 17 ff. Fehlschlagen § 1, 34 ff. Gläubigerausschuss § 31, 28 ff. Kommunikation § 31, 18 ff. Krisenstadium § 24, 13 ff. Leitbild § 24, 29 ff. Strategie § 24, 27 ff. Verträge, Fortführungsvereinbarung § 31, 32 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung – Vorauszahlungen § 31, 23 ff. – Vormaterialbelieferung § 31, 21 ff. – Zahlungsbedingungen § 31, 23 ff. Sanierungsplan – s. a. Insolvenzplan – Beschreibung der Maßnahmen § 24, 31 – Masseverbindlichkeiten, Eingehung § 24, 109 f. – Maßnahmen, Umsetzung nach Eröffnung § 24, 117 f. – Schadensersatzanspruch, einfache Insolvenzford. § 24, 121 – Sonderkündigungsrecht, Miet/Pachtverträge § 24, 120 f. – Umsetzung § 24, 31 ff., 104 ff. – Verträge-Abwicklung, Sonderrechte § 24, 118 f. – Vorfinanzierungseffekte, Nutzung § 24, 105 f. Sanierungsplanung, integrierte § 24, 32 ff. – Auswirkung auf Aus- und Absonderungsrechte § 24, 33 – Auswirkungen des Insolvenzverfahrens § 24, 38 – Befriedigung der Massekosten/- verbindlichkeiten § 24, 33 – Besserungsklausel § 24, 45 – Darstellender Teil § 24, 37 – Ergebnisplanung § 24, 36 ff. – geplante Sanierungsmaßnahmen § 24, 33 – Kosten des Sachwalters § 24, 46 – Liquiditätsplanung § 24, 62 – Massekosten § 24, 46 – Muster § 24, 180 f. – Personalaufwendungen § 24, 42 – Planung von Materialaufwendungen § 24, 41 – – – – – – – –

Stichwortverzeichnis – Planungsrechnung und Nebenrechnung § 24, 62 – Überblick über wirtschaftliche Verhältnisse § 24, 37 – Verwalterpflichten, insolvenzspezifische § 24, 35 – zahlenmäßiger Sanierungsablauf § 24, 32 Sanierungsprivileg – Auffanggesellschaft § 23, 33 ff. – Entwicklung § 23, 34 f. – Sanierungszweck § 23, 57 – Voraussetzungen § 23, 36 ff. – Zeitpunkt der Darlehensgewährung § 23, 53 ff. – Zeitpunkt des Anteilserwerbs § 23, 38 ff. – Ziele des Insolvenzverfahrens § 23, 43 ff. Sanierungstarifvertrag § 15, 268, 271 ff. Schadensersatz – des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO § 13, 166 Schlussrechnung § 36, 61 ff. – externe § 34, 4 ff. – GOI § 5, 35 – Insolvenzgericht § 34, 2 – Insolvenzplanverfahren § 34, 3 Schlussrechnungsprüfer – Ablehnung § 34, 13 – Auswahl § 34, 12 – Kontrolle § 34, 21 ff. Schlussrechnungsprüfung § 34, 1 ff. – gerichtliche § 34, 8 ff. – Kosten § 34, 9 ff., 19 ff. – Ort § 34, 16 ff. – Sachverständiger § 34, 5 ff. – Umsatzsteuer § 34, 25 ff. Schornsteinhypothek § 13, 187 ff. Schuldbeitritt – Betriebsrenten § 32, 46 Schuldner – s. a. Insolvenzschuldner – als Autoritätsperson § 17, 6 ff. – als destabilisierender Faktor § 17, 9 ff. – als Know-how-Träger § 17, 3 ff. – Betriebsfortführung, Entscheidungsgrundlagen § 1, 11 ff. – Betriebsstilllegung § 17, 48 ff.

– Eigenverwaltung § 9, 174 ff. – Eigenverwaltungsbefugnis § 17, 51 ff. – Einfluss, vorl. Maßnahmen § 11, 74 ff. – Einsichtsrecht § 17, 47 – Firma, Verkauf § 17, 61 – Gestaltungsmöglichkeiten, Eigenverwaltung § 24, 82 ff. – Gläubigerausschuss, Besetzung § 11, 81 – Haftung § 17, 33 ff. – Insolvenzantrag, Gestaltungsmöglichkeiten § 17, 18 ff. – insolvenzfreier Geschäftsbereich § 17, 58 ff. – Kapitalmaßnahmen § 17, 66 f. – Masseverbindlichkeiten § 11, 124 ff. – Masseverbindlichkeiten, Ermächtigung § 17, 32 ff. – Obstruktionsverhalten § 13, 32 – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 18, 1 ff. – organschaftlicher Bereich § 17, 62 ff. – Personenkreis § 17, 16 f. – Privaträume § 11, 388 – Rechtsstellung, Insolvenzverfahren § 17, 41 ff. – Rechtsstellung, vorl. Insolvenzverfahren § 17, 22 ff. – Sachwalter, Auswahl § 11, 78, 164 ff. – Schutzschirmverfahren § 17, 26 ff. – Unternehmensleitung, nach Antragstellung § 24, 95 f. – Verfügungsverbot § 11, 101 ff.; s. a. dort – Vergütung § 11, 384 – Versicherungsschutz, Prüfung § 29, 49 ff., 79 ff. – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis, Übergang § 17, 41 ff. – Widerstand § 11, 67 – Zustimmungsvorbehalt § 11, 115 ff.; s. a. dort – Zwangsmaßnahmen § 11, 393 Schuldner – Pflichten – Auskunftspflichten § 11, 392; § 17, 22 f., 44 ff. – Bericht – Insolvenzursachen, Maßnahmen Insolvenzabwicklung § 24, 141

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Stichwortverzeichnis – Gläubigerausschuss, Abstimmung § 24, 148 f. – Gläubigerverzeichnis, § 152 InsO § 24, 138 – insolvenzspezifische § 24, 133 ff. – Krisenstadium § 24, 91 ff. – Mitwirkungspflichten § 11, 383 ff.; § 17, 24 f. – Rechnungslegung – insolvenzrechtlich, Pflicht § 24, 133 f. – Rechnungslegung, handels/steuerrechtlich § 24, 142 – Sachwalter, Aufgabenteilung § 24, 143 f. – Vermögensübersicht, § 153 InsO § 24, 139 f. – Verzeichnis – Massegegenstände, § 151 InsO § 24, 136 f. Schutzschirmverfahren § 1, 38; § 24, 68 ff. – Antragsschrift § 24, 70 f. – Antragsschrift, Inhalt § 24, 74 f. – Anwendbarkeit § 55 Abs. 3 InsO § 14, 22 ff. – Aufhebung § 8, 53 – Betriebsfortführung § 24, 1 ff. – Chief Restructuring Officer § 17, 31 – Eigenverwaltung § 11, 28 ff. – Funktion § 11, 28 – Geschäftsleitung, Rechtsstellung § 17, 26 ff. – Gläubigerausschuss, vorl. § 7, 92 ff. – Insolvenzereignis § 14, 18 ff. – Insolvenzgeld § 14, 17 ff. – Insolvenzgericht, Aufsicht § 7, 160 ff. – M&A-Prozess § 25, 100 f. – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 17, 32 ff. – Planrechnungen/Anforderungen b. Antragstellung § 24, 77 – PSVaG § 32, 56 – Sachwalter, Auswahl § 11, 164 ff. – Sanierungsfähigkeitsbescheinigung § 24, 71 f. – vorl. Sachwalter § 11, 29 Schwerbehinderte § 14, 46, 48 Selbstveranlagungsprinzip – PSVaG § 32, 34

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Share Deal – grundstücksbezogene Regelungen im Insolvenzplan § 13, 189 ff. Sicherheiten – Insolvenzanfechtung § 30, 11 Sicherung – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 13, 8 ff. – Grundstück, im eröffneten Verfahren § 13, 104 ff. Sicherungsabtretung – Absonderungsrechte § 12, 22 Sicherungseigentum – Absonderungsrechte § 12, 21 Sicherungsfall – Abweisung mangels Masse § 32, 19 – Außergerichtlicher Vergleich § 32, 22 f. – Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens § 32, 16 f. – Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit § 32, 20 f., 59 Sicherungsgut – Einziehung § 11, 405 – Nutzung § 11, 404 – Verwertung § 11, 404 ff. Sicherungsmaßnahmen – Umsetzung § 5, 22 Sicherungsübereignung – Absonderungsrechte § 12, 20 – Lizenzen § 20, 87 Sicherungszession – Ablösung § 11, 403 – Waren, Nutzung/Verwertung § 11, 402 ff. Social Media § 11, 428 – Allgemeines § 10, 52 ff. – Monitoring § 10, 56 ff. – Richtlinien für Mitarbeiter § 10, 55 Sofortige Beschwerde § 32, 29 Sonderinsolvenzverwalter § 7, 307 ff. Sonderkündigungsrecht – Masseunzulänglichkeit § 26, 51 Sonderkündigungsschutz – Behördenzustimmung § 14, 47 ff. – Berufsausbildungsverhältnisse § 14, 51 f. – Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit § 14, 46

Stichwortverzeichnis Betriebsratsmitglieder § 14, 47 Datenschutzbeauftragte § 14, 46 Elternzeit § 14, 46 Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte § 14, 46 – Mutterschutz § 14, 46 – pflegende Angehörige § 14, 46 – Schwerbehinderte § 14, 46, 48 – Schwerbehindertenvertretung § 14, 46 Sonderrechte – Kollisionslagen § 12, 86 ff. – Prioritätsprinzip § 12, 89 – RaumsicherungsÜ § 12, 90 – Verarbeitung § 12, 87 ff. – Vermieterpfandrecht § 12, 90 Sonderveranstaltungen § 11, 414 Sozialauswahl § 15, 129 ff. – allgemeine Grundsätze § 14, 72 ff. – Altersgruppenbildung § 14, 83 f. – ausgewogene Personalstruktur § 15, 130 – Austauschbarkeit § 14, 76 – Auswahlkriterien § 14, 73, 79 – Beschaffrung von Informationen § 15, 138 – Betriebsbezogenheit § 14, 73 – Bewertungsspielraum § 14, 80 – Bildung von Altersgruppen § 15, 135 – Dominotheorie § 14, 81 – Fehlerhaftigkeit § 14, 80 – Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft § 15, 140 – Fragebogen zu den Sozialdaten § 15, 139 – Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte § 15, 136 – Grob fehlerhaft § 15, 131 – Leistungsträger § 14, 85; § 15, 135 – Punkteschema § 15, 141 – Punktesysteme § 14, 84 – Reichweite bei Erwerberkonzept § 14, 102 – Schwerbehinderung § 15, 137 – Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur § 14, 82 ff. – Teilzeitbeschäftigte § 14, 77 f. – unzulässige Rechtsausübung § 15, 140 – Vergleichbarkeit, austauschbare AN § 15, 133 – – – –

– Vergleichsgruppenbildung § 14, 74 ff. Sozialplan – Abfindungen § 15, 204 ff.; s. a. dort – Abschlagszahlungen § 15, 226 – Abschlusszeitpunkt § 15, 225 ff. – Berechnung des Gesamtvolumens § 15, 209 – Eigenverwaltung § 15, 83 – einzelne Betriebe § 15, 200 – eröffnetes Verfahren § 15, 82 – Eröffnungsverfahren § 15, 81 – erzwingbarer § 15, 198 – erzwingbarer, bei Betriebsänderung § 15, 202 – Existenz eines Betriebsrates § 15, 199 – Gemeinschaftsbetrieb § 15, 88 – Gesamtbetriebsrat § 15, 199 – Masseunzulänglichkeit § 26, 18 – nach §§ 123, 124 InsO § 15, 197 ff. – nach Durchführung d. Betriebsänderung § 15, 225, 228 – rentennahe Jahrgänge § 15, 222 – Schriftform § 15, 201 – Stichtagsregelung § 15, 220 – stufenweiser Personalabbau § 15, 202 – Teilzeit- u. Vollzeitbeschäftigung § 15, 224 – unterhaltsberechtigte Kinder § 15, 223 – Verbindung mit Interessenausgleich § 15, 119, 122 – verbleibende Sozialplandifferenzen § 15, 228 – Verteilung des Sozialplanvolumens § 15, 215 ff. – Widerruf § 15, 229 ff. – Widerruf, Ausübung § 15, 230 – Zahlung des gekürzten Teilbetrages § 15, 228 – zumutbarer anderer Arbeitsplatz § 15, 221 – zuständiges Betriebsverfassungsorgan § 15, 86 – Zwangsvollstreckung § 15, 226 Sozialschutz – PSVaG § 32, 72 Sozialversicherungsbeiträge – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 18 Sozialversicherungsrecht – Freistellung v. Arbeitnehmern § 14, 31 f.

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Stichwortverzeichnis Sportvereine – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 4 ff.; s. a. Fußballvereine Stakeholderkrise – Begriff § 6, 11 Standortsicherung – Miet-und Pachtverträge § 11, 412 – Zwangsversteigerung § 11, 413 – Zwangsverwaltung § 11, 413 Steuerberater – s. a. Berater – Betriebsfortführung § 18, 68 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 58 – Zulassung, Widerruf § 18, 48 ff. Steuern § 33, 58 ff. – s. a. Umsatzsteuer – Bauabzugsteuer § 33, 114 ff. – Einkommensteuer § 33, 89 ff. – Gewerbesteuer § 33, 166 ff. – Haftung § 33, 79 ff. – Insolvenzverwalter § 33, 58 ff. – Insolvenzverwalter, Pflichten § 3, 24 f. – Kapitalertragsteuer § 33, 102 ff. – Konzerninsolvenz § 21, 52 ff.; § 22, 58 ff. – Körperschaftsteuer § 33, 89 ff. – Kraftfahrzeugsteuer § 33, 182 ff. – Liquiditätsbelastung, im vorl. Verfahren § 9, 89 ff. – Nebenleistungen § 33, 69 ff. – Sachwalter § 33, 65 ff. – Sanierungsgewinn § 33, 110 ff. – Sanierungsprivileg § 23, 33 ff. – Treuhänder § 33, 68 ff. – Umsatzsteuer § 33, 120 ff. – Verfahrensrecht § 33, 58 ff. – Zinsabschlag § 33, 102 ff. Stilllegung – s. Betriebsstilllegung Störerauswahl – fehlerhafte § 19, 53 ff. Störpotentiale – Abwehrmaßnahmen § 11, 395 ff. – Datensicherung § 11, 397 – interkulturelle Besonderheiten § 11, 400 – Korruption § 11, 399 f. – Sabotage, Diebstähle § 11, 396

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– verbotene Eigenmacht § 11, 394 Strafbarkeit – Insolvenzanfechtung, Pflichtverletzung § 30, 37 ff. Strategiekrise – Begriff § 6, 12 Strategische Investoren – M&A-Prozess § 25, 53 ff. „SWOT“-Analyse § 6, 20

Tabellenführung – GOI § 5, 32 Tarifverträge § 15, 250 ff., 254 – allgemeinverbindlicher § 15, 257 – Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Tarifgebundenheit § 15, 261 ff. – Beendigung der Mitgliedschaft per Gesetz § 15, 258 ff. – Beginn und Ende der Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei § 15, 254 – Begriff der Tarifgebundenheit § 15, 251 – Bindungswirkung § 3, 20 – im Nachwirkungszeitraum begründetes Arbeitsverhältnis § 15, 267 – Mitglieder der Tarifvertragsparteien § 15, 252 – Mitgliedschaft des schuldnerischen Unternehmens § 15, 252 – Mitgliedschaft in Gewerkschaft § 15, 253 – Nachwirkung § 15, 265 ff. – Sanierungstarifvertrag § 15, 268, 271 ff. – Tarifgebundenheit des Insolvenzverwalters § 15, 250 – Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität § 15, 269 f. – Übertragbarkeit der Mitgliedschaft § 15, 256 – Zweck eines Arbeitgeberverbandes § 15, 259 Teileigentum – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZVG § 13, 108 Terrorschäden § 29, 86 TIER – Definition § 31, 5

Stichwortverzeichnis Tilgungsbestimmungsrecht – Insolvenzverwalter, bei Mietrückständen § 13, 158 ff. Tradeagreement – M&A-Prozess § 31, 81 ff. Transfergesellschaft – Personalmaßnahmen § 24, 128 f. Transfermaßnahmen § 15, 239 ff. – Beratung durch die Agenturen für Arbeit § 15, 240 – Betriebsratsverhandlungen § 15, 239 – Finanzierungshilfe § 14, 2 – Transfersozialplan § 15, 242 – Vorteile § 15, 243 Transfersozialplan § 15, 242 – Anrechnung der Kosten für Transfergesellschaft § 15, 245 – betriebliche Voraussetzungen § 15, 246 – Erstreikung eines Tarifsozialplanes § 15, 244 – Erzwingbarkeit durch Gewerkschaft § 15, 244 Transportversicherung § 29, 89 ff. Treuhänder – Steuern § 33, 68 ff. Treuhandkonten – Ermächtigung § 7, 261 ff. – GOI § 5, 26 Treuhandmodelle § 9, 113 ff., 147 Tweets – Social Media § 10, 60

Überschuldung – Bilanz § 20, 55 – Konzerninsolvenz § 22, 30 – rechnerische § 32, 53 Übertragende Sanierung § 32, 61, 64 – Auffanggesellschaft § 23, 47 ff. – Betriebsübergang § 15, 45 ff. – Dauer § 11, 15 – Gesellschafterbeschluss § 1, 19 – grenzüberschreitende Insolvenzverfahren § 27, 99 ff. – Insolvenzplan § 11, 16 – M&A-Prozess § 25, 36 – Übernehmer, Leitungsfunktion § 11, 426 – Verfahrensziel § 11, 16

Überwachungspflichten – vorl. Insolvenzverwalter § 13, 8 ff. Umlaufvermögen – Veräußerung § 9, 59 ff. – Versicherungsschutz § 29, 76 ff. Umsatzsteuer – Besteuerung § 33, 158 ff. – Factoring § 9, 91 f. – Globalzession § 9, 93 – Schlussrechnungsprüfung § 34, 25 ff. – Unternehmer § 33, 121 ff. – Vorsteuer § 33, 139 ff. – Vorsteuerberichtigung § 33, 147 ff. Umweltkontamination – Abwehr Inanspruchnahme § 19, 45 ff. – Beseitigungskosten § 19, 3 ff. – Bodenanalysen § 19, 5 – Inanspruchnahme s. a. Ordnungsrechtliche Inanspruchnahme – Neuschäden § 19, 74 f. – persönliche Haftung d. Verwalters § 19, 8 – Verursacherprinzip § 19, 9 ff. – Zeitpunkt der Feststellung § 19, 5 ff. Unlauterer Wettbewerb – Insolvenzwarenverkauf § 20, 12 ff.; s. a. dort Unterbilanzhaftung – Auffanggesellschaft § 23, 16 Unternehmen – öffentlich-rechtliche Genehmigungen s. dort Unternehmensanalyse – Finanz- und Ertragslage § 24, 25 – juristische Verhältnisse § 24, 25 – Management § 24, 25 – Strategische Lage § 24, 25 Unternehmensbewertung – M&A-Prozess § 25, 21 ff. Unternehmensführung – Anforderung § 11, 318 ff. – Arbeitnehmerführung § 11, 352 – Aufgaben-/Kompetenzverteilung § 11, 323 – Aufsichtsorgane, Weisungen § 11, 353 ff. – äußere Einflüsse § 11, 350 ff. – Eigenverwaltung § 11, 338 ff., 346 ff. – Führungsstil § 11, 324

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Stichwortverzeichnis – Führungswechsel § 11, 333 ff. – Innenbereich § 11, 354 – Kommunikation § 11, 318 – Lenkungsauschüsse § 11, 324 ff. – Öffentlichkeit § 11, 321 Unternehmenskommunikation – s. Kommunikation Unternehmenskrise – s. Krisenanalyse; Krisenstadium Unternehmensveräußerung – s. Betriebsveräußerung; Mergers & Acquisitions Unternehmensverträge – Konzerninsolvenz § 21, 45 ff., 51 Unternehmerfunktion – Insolvenzverwalter § 3, 34 ff. Unterstützungskassen § 32, 28 ff., 68, 76 – Vermögensübergang § 32, 30 Untreue – Insolvenzanfechtung, Pflichtverletzung § 30, 40 ff. Urheberrechte – Insolvenzmasse § 20, 62 ff. – Kopien § 20, 65 – Vervielfältigungsstücke § 20, 65 – Werkoriginale § 20, 65 – Zustimmung des Schuldners § 20, 62 f. Urlaub – Freistellung v. Arbeitnehmern § 14, 24 Ursachenanalyse § 11, 273 ff.

Verbundene Unternehmen – s. Konzerninsolvenzrecht Verdeckte Sacheinlage – Auffanggesellschaft § 23, 30 f. Vereine – Fußballvereine s. dort Verfahrensgrundsätze – Amtsbetrieb § 2, 14 – Betriebsfortführung § 2, 29 ff. – Dispositionsmaxime § 2, 12 – Einheit des Verfahrens § 2, 27 – Entschuldung § 2, 28 – Formalisierung § 2, 25 – Geldliquidation § 2, 24 – gesetzlicher Richter § 2, 6 – Gläubigerautonomie § 2, 26

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– Gläubigerbefriedigung, gleichmäßige § 2, 20 – Grundrechtsschutz § 2, 10 – gütliche Einigung § 2, 19 – informationelle Selbstbestimmung § 2, 11 – Justizgewährung § 2, 8 – Konzentrationsmaxime § 2, 18 – Mündlichkeit § 2, 15 – Nachforderung § 2, 28 – Öffentlichkeit § 2, 17 – rechtliches Gehör § 2, 7 – Rechtsstaatsprinzip § 2, 3 ff. – Universalität § 2, 21 ff. – Unmittelbarkeit § 2, 16 – Untersuchungsgrundsatz § 2, 13 – Willkürverbot § 2, 9 Verfahrenskosten – Masseunzulänglichkeit § 26, 36 Verfassungsrecht – s. a. Grundrechte – gesetzlicher Richter § 2, 6 – Grundrechtsschutz § 2, 10 – informationelle Selbstbestimmung § 2, 11 – Justizgewährung § 2, 8 – rechtliches Gehör § 2, 7 – Rechtsstaatsprinzip § 2, 3 ff. – Willkürverbot § 2, 9 Verfrühungsschaden – Aufhebungsvertrag § 14, 63 – Berechnung § 14, 63 Verfügungsverbot – Arbeitgeberstellung § 14, 9 – Betriebsgrundstück § 13, 32 – Fortführungspflicht § 11, 107 ff. – gesetzl. Kompetenzzuweisung § 11, 101 ff. – Masseverbindlichkeiten § 11, 109, 221 – Prüfungspflichten § 11, 114 ff. – Vermögenssicherung § 11, 104 Verkaufsförderungsmaßnahme – s. Insolvenzwarenverkauf Verkehrssicherungspflicht – vorl. Insolvenzverwalter, Betriebsgrundstück § 13, 15, 92 ff. Verkehrswert – Grundstücke § 13, 177 f.

Stichwortverzeichnis Vermieterpfandrecht – Absonderungsrechte § 12, 32 ff. – Sonderrechte, Kollision § 12, 90 Vermögenskontrolle § 9, 36 ff. Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 19, 44; § 29, 124 Vermögensübersicht § 24, 139 f. – Muster § 24, 179 Veröffentlichungspflichten – Investor Relations § 10, 13 Versicherung – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 13, 18 – Grundstück, im eröffneten Verfahren § 13, 104 ff. Versicherungsgutachten – Kosten § 29, 6 ff., 46 ff. Versicherungsmathematisches Gutachten § 32, 44 Versicherungsschutz – Anlage-/Umlaufvermögen § 29, 79 ff. – Anlage-/Umlaufvermögen, besicherte § 29, 76 ff. – Arbeitnehmer § 29, 147 ff. – Bauleistungen § 29, 106 – Betriebseinrichtung/Vorräte § 29, 87 ff. – Betriebsfortführung § 29, 1 ff. – Betriebshaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. – Betriebsunterbrechungsversicherung § 29, 103, 105, 132 ff. – Elektronik § 29, 101 ff. – Glas § 29, 104 – Grundstücke/Gebäude § 29, 80 ff. – Haftpflicht, verfahrensbezogene § 29, 20 ff. – Insolvenzschuldner, Prüfung § 29, 49 ff., 79 ff. – Kraftfahrzeuge § 29, 93 ff. – Kreditversicherung § 29, 143 f. – Maschinen § 29, 98 – Neuabschluss § 29, 155 – Produkthaftpflichtversicherung § 29, 107 ff. – Prüfung § 29, 153 – Prüfung, Kosten § 29, 46 ff. – Rechtsschutzversicherung § 29, 135 ff. – Risikoanalyse § 29, 44 f.

– Terrorschäden § 29, 86 – Transportversicherung § 29, 89 ff. – Vermögensschadenshaftpflichtversicherung § 29, 124 – Versicherungberater, Auswahl § 29, 12 ff., 52 ff. – Vertrauensschadensversicherung § 29, 41 ff., 141 f. Versicherungsunternehmen – Insolvenz § 29, 75 Versicherungsvertrag – Anzeigepflicht § 29, 56 f. – Beendigung § 29, 65 f., 154 – Gefahrerhöhung § 29, 58 ff. – Grundlagen § 29, 55 ff. – Neuabschluss § 29, 155 – Neuwertversicherung § 29, 71 ff. – Obliegenheitsverletzung § 29, 61 f. – Unterversicherung § 29, 69 – Versicherungsfall § 29, 70 – vorläufige Deckung § 29, 67 f. – Wiederbeschaffungswert § 29, 72 – Zahlungsverzug § 29, 63 f. Versorgungsverpflichtungen – s. a. Betriebliche Altersversorgung – Insolvenzschuldner § 32, 1 ff. Verteilung – Gläubigermitwirkung § 8, 63 Verträge – s. a. Dauerschuldverhältnisse – Abwicklung § 24, 118 f. – Beschaffung § 11, 407 ff. – Beteiligung des Gläubigerausschusses § 8, 74 – Eigenverwaltung § 9, 176 – Erfüllung § 11, 406 – Kündigung § 11, 406 ff. – Lösungsklauseln § 9, 97 ff.; § 11, 406 – Verträge, Fortführungsvereinbarung § 31, 32 ff.; s. a. Fortführungsvereinbarung Vertrauensschadensversicherung § 29, 141 f. – Masseschädigung § 29, 41 ff. Vertrauensverlust – nach Insolvenzantrag § 10, 10 Verwertung – Betriebsgrundstück § 13, 174 ff. – Dienstleister, externe § 5, 30 – Entscheidung, fehlerhafte § 35, 45 ff.

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Stichwortverzeichnis – Finanzierungsfunktion § 11, 310 ff. – öffentlich-rechtliche Genehmigungen § 18, 76 ff. Verwertungsgemeinschaften § 12, 92 Verwertungsstopp – Anordnung § 11, 96 – Guthaben/Zahlungszuflüsse, Verwendung § 9, 77 ff. Verwertungsstopp mit Nutzungsbefugnis – Anwendungsfälle § 11, 69 – Ausgleichszahlung § 11, 134 – bei Eigenverwaltung § 11, 73 – Immobilien § 11, 135 – kein Recht zur Verwertung § 11, 73 – notwendige Angaben § 11, 70 ff. – Nutzungsbefugnis § 11, 133 – Verarbeitung § 11, 133 – Voraussetzungen § 11, 70 ff. Verwertungsvereinbarung – Absonderungsberechtigte, bei Grundstücken § 13, 179 ff. Vollstreckungsverbot § 26, 55 – Anordnung § 11, 60 – Eigenverwaltung § 11, 61, 128 – Immobilien § 11, 61 – Mobilien § 11, 60 – Wirkung § 11, 60, 127 f. Vorläufige Maßnahmen – Anordnung § 11, 87 ff. – Art und Weise § 11, 87 ff. – Auswahlermessen § 11, 80 ff. – Bedeutung § 11, 42 – bei Eigenverwaltung § 11, 78, 124 – Bestellung, vorl. Insolvenzverwalter § 11, 43 ff. – Einsetzung, vorl. Gläubigerausschuss § 11, 47 ff. – Ermessensbeschränkung § 11, 76 ff. – Gläubigerbeteiligung § 11, 84 ff. – Korrekturentscheidung § 11, 85 – Rechtsbehelfe § 11, 98 ff. – Verfahrensziele, Bindung § 11, 144 ff. – Vorschläge, Bindung § 11, 151 – Zeitpunkt und Reihenfolge § 11, 93 ff. – Zweck/Mittel-Relation § 11, 74 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter – s. a. Insolvenzverwalter – Abwahl § 11, 181 ff.

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– Anfangsliquidität § 9, 53 ff. – Antragsrecht, Auslandsberührung § 11, 142 f. – Betriebsrundgang § 11, 364 – Delegation v. Aufgaben § 11, 247 ff. – Dienstleister § 11, 247 ff. – Ermächtigung § 11, 122 ff. – Ermächtigung, Verwendung v. Guthaben/Zahlungszuflüssen § 9, 77 ff. – Geschäftsessen § 11, 373 – Geschenke § 11, 374 – Guthaben/Zahlungszuflüsse, Verwendung § 9, 77 ff. – Informationsbeschaffung § 11, 359 – Insolvenzgeld § 9, 61 ff.; s. a. dort – Interessenkonflikt § 11, 257 ff. – Kunden, Absicherung § 9, 118 ff. – Kundenkontakte § 9, 58 – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 9, 105 ff. ff. ff. – Mitarbeiter/Team § 11, 371 f. – Netzwerke § 11, 247 ff. – Nutzung von Einrichtungen § 11, 362, 365 f. – Präsenz i. Unternehmen § 11, 249, 367 – Rechtsstellung § 11, 220 ff. – Schuldner, Mitarbeit § 11, 384, 387 – Tätigkeitsverbote § 11, 257 ff. – Transparenz § 11, 257 ff. – Treuhandmodelle § 9, 113 ff. – Umlaufvermögen, Veräußerung § 9, 59 ff. – Unternehmensanalyse § 9, 56 f. – Vergütung § 36, 28 ff. – Verhaltensregeln § 11, 359 ff. – Verträge, Lösungsklauseln § 9, 97 ff. – Vorbereitung d. Verfahrenseröffnung § 9, 127 f. – Zutrittsrecht, Zugang § 11, 360, 388 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Auswahl/ Bestellung § 7, 245; § 8, 44 ff.; § 11, 82 ff. – Anforderungsprofil § 11, 172 ff., 230 ff. – Branchenkenntnisse § 11, 173 – Eignung § 11, 159 ff. – Gläubigerausschuss, Beschluss § 11, 175 ff. – Gläubigerbeteiligung § 11, 162 ff.

Stichwortverzeichnis – Insolvenzgericht § 7, 246 ff.; § 11, 43 ff. – Praxiserfahrung § 11, 180 – Qualitätsnachweise § 11, 238 ff. – soft skills § 11, 233 – Sprachkenntnisse § 11, 173 – Unabhängigkeit § 11, 179 – Vorauswahllisten § 11, 157 – Vorschläge § 11, 169 ff. – Zertifikate § 11, 173 Vorläufiger Insolvenzverwalter – Haftung – Grundsätze § 35, 1 ff. – Insolvenzanfechtung, Risiko § 30, 47 ff. – Insolvenzanfechtungsrisiko § 1, 43; § 30, 22, 27 ff., 37 ff. – insolvenzrechtliche § 35, 13 ff. – Masseverbindlichkeiten, Begründung § 9, 105 ff. – schwacher § 35, 17 ff. – schwacher, Anfechtungsrisiko § 30, 47 ff. – starker § 35, 24 ff. – Steuerforderungen § 9, 94 ff. – steuerrechtliche § 35, 34 – Tatbestände, allgemeine § 35, 7 ff. – Tatbestände, insolvenzrechtliche § 35, 2 ff. – Treuebruch § 30, 40 ff. – Vermögensschaden § 30, 46 – zivilrechtliche § 35, 28 ff. – Zustimmungsvorbehalt § 30, 47 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter – Pflichten – Finanzierung d. Fortführung § 1, 44 ff. – Fortführungspflicht § 1, 39 – Lastschriftwiderruf § 9, 81 ff. – Liquiditätsbeschaffung § 1, 44, 50 – Sicherungsaufgabe bzgl. Grundstücken § 13, 9 ff. – Steuerforderungen § 9, 94 ff. – Verkehrssicherungspflicht § 13, 92 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter, schwacher – Aufsicht, gerichtliche § 7, 139 ff. – Bestellung § 7, 250 ff. – Sicherungspflicht § 13, 12 – Steuern, Liquiditätsplanung § 9, 89 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter, starker – Aufsicht, gerichtliche § 7, 134 ff.

– Bestellung § 7, 248 f. – Schuldner, Obstruktion § 13, 32 – Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis § 13, 10 Vormerkung – Schutz des Grundstückskäufers nach § 106 InsO § 13, 52 ff. Vorratsbeschlüsse – Gläubigerorgane § 8, 83 Vorratsgesellschaft – Auffanggesellschaft § 23, 3, 19

Warenlager – Abbau § 11, 311 Wegfall der Geschäftsgrundlage – Anpassung der Regelung § 15, 75 Werkunternehmerpfandrecht – Absonderungsrechte § 12, 38 ff. Wettbewerbsrecht § 20, 1 ff. – s. a. Insolvenzwarenverkauf; Lizenz Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch – Voraussetzungen § 14, 90 Wirtschaftliche Neugründung – Auffanggesellschaft § 23, 8 ff. – Geschäftsführerhaftung § 23, 21 – Gesellschafterhaftung § 23, 16 ff. – Haftungsrisiken § 23, 16 ff. – Handelndenhaftung § 23, 21 – Handelsregisteranmeldung § 23, 22 f. – Kriterien § 23, 12 ff – Unterbilanzhaftung § 23, 16 – Verlustdeckungshaftung § 23, 18 Wirtschaftsgüter, nicht betriebsnotwendige – Veräußerung § 9, 59 ff. Wirtschaftsprüfer – s. a. Berater – Betriebsfortführung § 18, 68 ff. – Betriebsfortführung, Besonderheiten § 28, 59 ff. – Zulassung, Widerruf § 18, 48 ff. Wohngebäudeversicherung § 29, 85 Wohnungseigentum – i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZVG § 13, 108

Zahlungsunfähigkeit – Konzerninsolvenz § 22, 27 ff. Zahlungsunfähigkeit, drohende – Gesellschafterbeschluss § 1, 22

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Stichwortverzeichnis – Konzerninsolvenz § 22, 31 – Sanierungsentscheidung § 1, 25 Zahlungsverkehr § 9, 45 ff. – Kassenprüfung § 9; s. dort – Überwachung § 11, 193 ff. – Zuflüsse, Verwendung § 9, 74 ff. Zahlungszusage § 16, 63 Zahnärzte – s. Ärzte; Freiberufler Zertifizierung – Dienstleister, externe § 5, 34 – GOI § 5, 9, 14, 49 f. Zivilprozessordnung – Amtsbetrieb § 2, 14 – Dispositionsmaxime § 2, 12 – gütliche Einigung § 2, 19 – Konzentrationsmaxime § 2, 18 – Mündlichkeit § 2, 15 – Öffentlichkeit § 2, 17 – Unmittelbarkeit § 2, 16 – Untersuchungsgrundsatz § 2, 13 – Verfahrensgrundsätze § 2, 1 ff.; s. a. dort Zulassung – Freiberufler § 18, 37 ff. Zurückbehaltungsrecht – PSVaG § 32, 39 Zuschlag – Zwangsversteigerung im Antragsverfahren § 13, 58 ff. Zustandsstörer § 19, 9 ff., 71 ff. Zustimmungsvorbehalt – Einzelermächtigung § 11, 122 ff.

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– Gruppenermächtigung § 11, 225 – Kompetenzzuweisung § 11, 115 – Masseverbindlichkeiten § 11, 222 ff. – Projektermächtigung § 11, 225 – Treuhandkontenmodell § 11, 225 ff. Zutrittsrecht § 11, 360, 388 ff. Zwangsversteigerung – Abwehrmöglichkeiten des Insolvenzverwalters § 13, 150 ff. – Antragsbefugnis bei Grundstücken im eröffneten Verfahren § 13, 148 f. – Betriebsgrundstück, Antragsverfahren § 13, 58 ff. – Grundstück § 13, 148 ff. Zwangsverwaltung – Abwehrmöglichkeiten d. Insolvenzverwalters § 13, 127 ff. – Antragsbefugnis § 13, 126 – Einstellung im Antragsverfahren trotz fehlender gesetzlicher Regelung § 13, 73 ff. – Grundpfandrechtsgläubiger § 13, 126 ff. – kalte Zwangsverwaltung § 13, 136 ff. – ordnungsrechtliche Inanspruchnahme § 19, 62 ff. – Unterhaltsgewährung für den Schuldner § 13, 140 ff. Zwangsvollstreckung – Grundpfandrechtsgläubiger § 13, 121 ff. Zwangsvollstreckungsverbot – s. Vollstreckungsverbot

Vorwort „Betriebsfortführung in der Insolvenz“ erschien 1997 als Monographie im RWS Verlag. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Deutschland noch über ein geteiltes Insolvenzrecht: die auf Liquidation des insolventen Unternehmens ausgerichtete Konkursordnung sowie eine von der Rechtswirklichkeit überholte und deshalb von der Praxis nicht mehr angenommene Vergleichsordnung und die unter den speziellen Bedingungen des Übergangs von staatlich gelenkter Planwirtschaft in eine marktwirtschaftliche Ordnung bereits verstärkt auf Fortführung und Sanierung angelegte Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern. Die Insolvenzordnung war zu diesem Zeitpunkt bereits verabschiedet. Sie trat aber erst zum 1.1.1999 in Kraft, so dass sich bei Erscheinen des Werkes nicht sicher vorhersagen ließ, ob mit der Insolvenzordnung tatsächlich die gewünschte Sanierungsförderung verbunden sein würde, was zwangsläufig zu mehr Betriebsfortführungen führen musste. Das Werk wurde von Praxis und Wissenschaft mit großem Interesse aufgenommen und war bereits kurze Zeit nach Einführung der Insolvenzordnung vergriffen. Eine Neuauflage erschien daher überfällig und zwingend geboten. Sie liegt jetzt in gänzlich anderer und völlig überarbeiteter Form vor. Ziel war es, alle Problemstellungen, die mit einer Betriebsfortführung in rechtlicher, organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht verbunden sein können, umfassend darzustellen und praxisnahe Lösungen fundiert zu vermitteln. Denn tatsächlich haben die neuen Instrumente – Insolvenzplan und Eigenverwaltung – und allgemein auch ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft dazu beigetragen, das Insolvenzrecht zunehmend als Sanierungs- und Restrukturierungsrecht zu begreifen. Verstärkt wurde dieser Ansatz mit der Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das am 1.3.2012 in Kraft getreten ist. Die Eigenverwaltung erfährt eine substantielle Stärkung, da sie nunmehr bereits im Eröffnungsverfahren beginnt. Sie ist zwingend mit der Betriebsfortführung verbunden, die eine notwendige Voraussetzung für jede Form einer Erhaltungslösung ist. Mit dem Schutzschirmverfahren wurde ein Instrument eingeführt, das gesetzlich als Maßnahme zur „Vorbereitung einer Sanierung“ bezeichnet wird. Wer sanieren will, muss Betriebe fortführen. Die Betriebsfortführung, lange Zeit eine verfahrensrechtliche Ausnahmeerscheinung, ist damit in das Zentrum der Abwicklung von Insolvenzverfahren gerückt. Dazu tragen auch geänderte Antragsvoraussetzungen bei, die im Falle eines noch laufenden Geschäftsbetriebes besondere Anforderungen an den zulässigen Insolvenzantrag stellen, aber auch die Begradigungen, die das Insolvenzplanverfahren mit dem ESUG erfahren hat und die dazu führen sollen, den Insolvenzplan endgültig als taugliches Instrument zur Reorganisation eines insolventen Unternehmensträger zu etablieren. Auf mehr als 1.100 Seiten zeigen 44 ausgewiesene Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis die rechtlichen, konjunkturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Betriebsfortführungen auf und beschreiben die Voraussetzungen einer zulässigen Fortführung sowohl unter den Bedingungen eines Regelverfahrens als auch im Rahmen der Eigenverwaltung. Zusätzlich werden die Schnittstellen zu den betriebswirtschaftlichen Anforderungen, aber auch die administrativen und organisatorischen Aufgabenstellungen, umfassend erörtert. Aufgrund seiner Komplexität werden die Rahmenbedingungen für eine Betriebsfortführung auch aus dem Gesichtsfeld angrenzender Rechtsgebiete beleuchtet und die sich hieraus ergebenden Problemstellungen dargelegt und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dies betrifft arbeitsrechtliche, steuerrechtliche, versicherungsrechtliche, umweltrechtliche, wettbewerbsrechtliche Themen ebenso wie internationale Bezüge bei einer Betriebsfortführung mit Auslandsberührung. Verfahrensrechtliche V

Vorwort und berufsrechtliche Fragestellungen, der richtige Umgang mit der Öffentlichkeit und letztendlich auch die Haftungsvermeidung und die Vergütungsproblematik werden ebenso behandelt, wie die Darstellung der ungewöhnlichen Anforderungen an Betriebsfortführungen in Spezialfällen (Automotive, Sport, Kultur) sowie bei Masseunzulänglichkeit. Besonderen Raum nimmt auch die Abstimmung einer Betriebsfortführung mit den übrigen Verfahrensorganen – Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss, vorläufiger Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung – ein. So soll das Werk ein praxistaugliches Hilfsmittel für jeden sein, der – in welcher Funktion auch immer – Betriebsfortführungen plant, leitet und durchführt oder in sonstiger Art und Weise betroffen ist. Zwangsläufig kommt es zwischen einzelnen Beiträgen zu Überschneidungen, die aber bewusst in Kauf genommen wurden, da sie zur Auseinandersetzung beitragen und die Diskussion fördern. Das Werk befindet sich auf dem Gesetzgebungs- und Bearbeitungsstand Juli/August 2013. Erfahrungen mit dem ESUG und dazu ergangene Rechtsprechung sind bereits verarbeitet. Alle Autorinnen und Autoren sind in ihrer täglichen Arbeit als Insolvenzverwalter, Rechtsanwälte, Berater, Hochschullehrer und Richter voll ausgelastet. Sie haben sich dennoch ungeachtet ihrer beruflichen Verpflichtungen bereitwillig und mit großem Engagement eingebracht und dabei in besonderem Maße auch ihre praktischen Erfahrungen vermittelt. Ihnen gilt mein herzlicher Dank für die geleistete Arbeit. Zu danken habe ich auch der Lektorin, Frau Rechtsanwältin Iris Theves-Telyakar, für die schnelle und qualifizierte Bearbeitung der Manuskripte sowie Frau Laura Hoffmann, die als Assistentin der Verlagsleitung die Herstellung des Werks organisatorisch betreut. Alle, die gemeinsam an der Erstellung des Handbuchs mitgewirkt haben, hoffen, dass „Betriebsfortführung in der Insolvenz“ eine praxisgerechte Hilfe bei der Bewältigung einer Betriebsfortführung ist, der nach allgemeiner Ansicht wohl schwierigsten Aufgabe, die bei der Abwicklung eines Insolvenzverfahrens – sei es als Regelverfahren oder in Eigenverwaltung – geleistet werden muss. Wir freuen uns über Meinungsäußerungen, Empfehlungen und Kritik und danken allen, die das Handbuch in ihrer täglichen Praxis nutzen, es weiter empfehlen und damit die Gesamtleistung eines Kreises von erfahrenen und engagierten Autorinnen und Autoren und den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des RWS Verlages zu würdigen. Aachen, Köln im September 2013

VI

Rolf-Dieter Mönning

Autorenverzeichnis Daniel Bauch, Rechtsanwalt, D.E.A. (Paris I), ist Rechtsanwalt im Zentralen Rechtsservice der AUDI AG. Nach mehrjähriger Zugehörigkeit zu einer überörtlichen Kanzlei als Insolvenzverwalter sowie als Sanierungs- und Restrukturierungsberater, wechselte er zunächst in das Risikomanagement der AUDI AG. Zu seinen Aufgaben im Zentralen Rechtsservice zählt u. a. die Rechtsberatung des Risikomanagements. Dabei stehen insbesondere Fragestellungen aus dem Insolvenz- und Restrukturierungsrecht im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Daniel Bauch ist u. a. Mitautor des Handbuchs des Fachanwaltes für Bank- und Kapitalmarkrecht. Professor Dr. Christian Berger ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Urheberrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und Geschäftsführender Direktor des Ernst-Jaeger-Instituts für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht. Er ist Mitherausgeber und Autor in zahlreichen Publikationen, u. a. Jauernig (Hrsg.), „Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch“, Brehm/Berger, „Sachenrecht“, Jauernig/Berger, „Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht“, Berger (Hrsg.), „Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht“, Berger/Wündisch (Hrsg.), „Urhebervertragsrecht“, Löffler (Hrsg.), „Presserecht“. Herr Professor Dr. Berger betreut zudem den jährlich stattfindenden Leipziger Insolvenzrechtstag. Friedrich Birnbreier ist Rechtsanwalt der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte, Partnerschaftsgesellschaft. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Banken und anderen gesicherten Gläubigern und verfügt über umfangreiche Erfahrungen mit anfechtungsrechtlichen Themen. Weiterhin begleitet er Geschäftsführer und Gesellschafter in der Unternehmenskrise und in der Insolvenz. Zu den genannten Themengebieten veröffentlicht er regelmäßig in Fachpublikationen. Dr. Jochen Blöse, MBA, Rechtsanwalt, Mediator (CfM), Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, ist Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei Jacobs & Dr. Blöse. Er beschäftigt sich neben gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsfragen im Schwerpunkt mit der Beratung und Vertretung von Gesellschaftern und Organen krisengefährdeter oder insolventer Unternehmen. Er ist u. a. Herausgeber bzw. (Mit)Autor der Werke „Unternehmenskrisen“ (hrsg. v. Blöse/Kihm), „Krisenmanagement mit Outsourcing“ und „Praxisleitfaden Insolvenzreife“. Dr. Mark Boddenberg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Dr. Ringstmeier & Kollegen Insolvenzabwicklung GbR. Neben seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter ist er u. a. als Dozent an der Fachhochschule Koblenz tätig und kommentiert fortlaufend die §§ 47 – 55 InsO und §§ 165 – 173 InsO im Onlinekommentar von WoltersKluwerDeutschland. Charalambos Bograkos-Tzannetakos, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Bograkos & Kirstein, ist spezialisiert auf die Durchsetzung von insolvenzspezifischen Tatbeständen. Hierzu zählen v. a. Ansprüche aus Insolvenzanfechtung, auf Kapitalaufbringung und kapitalersatzrechtliche Ansprüche, Ansprüche wegen verbotener Zahlungen oder Insolvenzverschleppung sowie Ansprüche aus der Existenzvernichtungshaftung. Weitere Schwerpunkte sind der bankrechtliche Bereich im Insolvenzverfahren sowie die vorinsolvenzrechtliche Sanierungsberatung. Er ist Autor im Handbuch „Praxis der Insolvenzanfechtung“ und Dozent an der FH Trier/Umweltcampus Birkenfeld. Eric Coordes, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht, aus der Kanzlei Mönig und Partner ist als Insolvenzverwalter in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen tätig. Darüber hinaus berät er Unternehmen in Fragen der Restrukturierung und Sanierung insbesondere unter Insolvenzbedingungen und ist auf die wirtschafts- wie arbeitsrechtliche Begleitung von Unternehmenskäufen und -verkäufen spezialisiert. XVII

Autorenverzeichnis Detlev Cornelius, Rechtsanwalt, arbeitet in Dresden im Verbund mit einer überörtlichen Steuerberatungsgesellschaft und Rechtsanwälten mit Büros in München, Bayreuth und Böblingen zusammen. Bis Ende August 2013 war er als Rechtsanwalt bei hww wienberg wilhelm Rechtsanwälte Partnerschaft tätig. Dort beriet er hausintern in der Funktion einer Rechtsabteilung zu einer Vielzahl von rechtlichen Fragen innerhalb und außerhalb des Insolvenzrechts. Zudem bearbeitete er Mandate i. R. von komplexen insolvenzverfahrensbezogenen Transaktionen der Verwalter. Davor war er als Syndikusanwalt bei einem amerikanischen Industriekonzern tätig. Seine berufliche Tätigkeit begann er als Rechtsanwalt in einer überörtlichen wirtschaftsberatenden Sozietät mit Hauptsitz in Frankfurt/M. Dr. Friedrich L. Cranshaw, Rechtsanwalt, vorm. Banksyndikus/Leiter Recht bei einer Landesbank, Mannheim/Mutterstadt, Lehrbeauftragter an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Er arbeitet auf den Gebieten des europäischen Rechts, des Insolvenz- und Sanierungsrechts, des Internationalen Insolvenz- und Verfahrensrechts sowie des Bankrechts. Autor zahlreicher Veröffentlichungen, u. a. einer Monographie zur Insolvenz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (2007) sowie ständiger Autor mehrerer Zeitschriften, Mitherausgeber eines Bankenkommentars zum Insolvenzrecht (2012) und zum Anfechtungsrecht (2013). Ferner ist er langjährig Dozent/Referent einer Reihe von Einrichtungen; Mitarbeit in rechtswissenschaftlichen Organisationen. Artur Deichmann, Dipl. Kfm. und Bankkaufmann, ist Managing Partner bei SSC Consult in Köln. Seine Tätigkeitsgebiete umfassen einerseits die M&A- und Finanzierungsberatung im Mittelstand mit Schwerpunkt auf Unternehmen im Insolvenzumfeld. Andererseits berät er Kreditinstitute mit öffentlichem Hintergrund (insbesondere Förderbanken) als TopManagement-Berater im Hinblick auf Fragen der Unternehmensstrategie, der Aufbauorganisation sowie der Prozessgestaltung. Im Sektor M&A-Beratung im Insolvenzumfeld hat er in letzter Zeit zahlreiche Unternehmenstransaktionen sowohl im Rahmen übertragender Sanierungen als auch im Zuge der Umsetzung von Insolvenzplänen erfolgreich umgesetzt. Zu nennen sind hier u. a. Unylon Polymers (Guben), Bonner Fahnenfabrik (Bonn), Kaufhaus JOH (Gelnhausen), Anton Cramer (Greven), SRI-Gruppe (Durach). Prof. Dr. Martin Dreschers, Rechtsanwalt, ist Partner der überregionalen Sozietät Mönning & Georg und wird regelmäßig von den Insolvenzgerichten Aachen, Köln, Mönchengladbach und Dresden in Verfahren aller Branchen zum Sachverständigen, Treuhänder und Insolvenzverwalter bestellt. Er ist Fachanwalt für Arbeits- und Insolvenzrecht und verfügt über eine umfassende Erfahrung im Zusammenhang mit der Klärung von Arbeitnehmerfragen sowie der Verhandlung mit Betriebsräten und Gewerkschaften in Insolvenzverfahren aller Größenordnungen. Neben einer umfassenden Vortragstätigkeit im In- und Ausland ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen zu allen Bereichen des Insolvenzrechts sowie Inhaber einer ordentlichen Professur für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen. Udo Feser ist Rechtsanwalt, Insolvenzverwalter und Partner im Berliner Büro der überregionalen Kanzlei Feser, Spliedt, von Stein-Lausnitz. Seit der Kanzleigründung im Jahr 1984, wurden von ihm als Insolvenzverwalter mehr als 2.500 Konkurs-, Gesamtvollsteckungsund Insolvenzverfahren abgewickelt. Sein Schwerpunkt liegt in der Betriebsfortführung und Sanierung der insolventen Unternehmen. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises, des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. und Mitbegründer des Berlin/ Brandenburger Arbeitskreises für Insolvenzrecht e. V. Darüber hinaus ist er Mitglied bei INSOL Europe. Er ist als Referent für die DeutscheAnwaltAkademie tätig und veröffentlicht regelmäßig in Fachpublikationen. Robert Fliegner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei RSW Runkel Schneider Weber. Er wird von vier nordrhein-westfälischen Insolvenzgerichten

XVIII

Autorenverzeichnis regelmäßig zum Insolvenzverwalter bestellt. Auch berät er Gesellschaften, Gesellschafter und Selbständige in Insolvenz- und Sanierungsszenarien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen (u. a. Kommentierung zur internen Rechnungslegung bei Pape/Uhländer, „NWB Kommentar zum Insolvenzrecht“ sowie Autor des Kapitels zur Beratung in der Nachlassinsolvenz bei Runkel, „Anwaltshandbuch Insolvenzrecht“). Er referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen und ist Mitglied der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) im VID e. V. Dr. Michael Flitsch, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, ist Partner der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die Erstellung von Insolvenzplänen und die Fortführung von Unternehmen im Insolvenzverfahren. Er begleitet zudem Geschäftsführer, Gesellschafter und Gläubiger in der Unternehmenskrise und in der Insolvenz. Im „Bankenkommentar zum Insolvenzrecht“ (hrsg. v. Cranshaw/ Paulus/Michel) hat er den Bereich des Insolvenzplanverfahrens kommentiert und ist Autor zahlreicher weiterer Buch- und Zeitschriftenbeiträge. Dr. Michael Flitsch ist Lehrbeauftragter an der HfWU Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Dr. Michael C. Frege, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter und Wirtschaftsmediator, ist Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Seinen beruflichen Schwerpunkt hat er in der Insolvenzverwaltung, insbesondere von international tätigen Konzernunternehmen, in der Sonderinsolvenzverwaltung, Sanierungsberatung und Mediation. Er ist zudem Autor zahlreicher Fachbeiträge und Fachbücher, u. a. Frege/Riedel, „Schlussbericht und Schlussrechnung“, Frege/Keller/Riedel, „HRP Handbuch der Rechtspraxis Insolvenzrecht“, Frege, „Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung“ und Frege, „Der Sonderinsolvenzverwalter“. Ingo Gerdes ist Partner der Kanzlei TaylorWessing in Düsseldorf. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Insolvenzverwaltern bei der Aufdeckung und Durchsetzung von (Organ-)Haftungs- und Anfechtungsansprüchen. Außerdem berät Ingo Gerdes Sachwalter i. R. der Eigenverwaltung. Erwin Gerster, ist Insolvenzrichter beim Amtsgericht Dresden und Lehrbeauftragter der Hagen Law School. Darüber hinaus veröffentlicht und referiert er regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Dr. Marc Alexander Göb ist assoziierter Partner der Partnerschaft Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater. Er berät vornehmlich Gesellschafter und Organe betroffener Gesellschaften, Gläubigerbanken sowie Insolvenzverwalter in Sanierungs- und Insolvenzfällen. Er ist Autor der Rubrik „Aktuelle gesellschaftsrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz“ in der NZI sowie zahlreicher Beiträge zu insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen (u. a. in EWiR und NZG) und referiert regelmäßig zu insolvenz- und sanierungsspezifischen Themen. Marion Gutheil, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenzrecht, leitet den Düsseldorfer Standort der Insolvenzrechtskanzlei Mönning & Georg. Sie ist seit über zehn Jahren in der Insolvenzverwaltung und -beratung tätig und wird von verschiedenen Insolvenzgerichten in Nordrhein-Westfalen zur Insolvenzverwalterin, Sachwalterin und Treuhänderin bestellt. Sie ist spezialisiert auf Betriebsfortführung und übertragende Sanierung. Außerdem hat sie umfangreiche Erfahrungen mit anfechtungsrechtlichen Themen. Daneben berät sie Gesellschafter und Organe von Gesellschaften zu insolvenz- und sanierungsspezifischen Fragen. Ottmar Hermann, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachanwalt für Insolvenzrecht ist Gründungspartner der Kanzlei HERMANN RWS. Vor allem als Insolvenzverwalter beschäftigt er sich seit vielen Jahren intensiv mit der Sanierung, Restrukturierung und Abwicklung von Unternehmen und Konzernen. Umfassende Erfahrungen hat er insbeXIX

Autorenverzeichnis sondere bei der Fortführung von internationalen Konzernen, z. B. Philipp Holzmann AG, EganaGoldpfeil, Wilhelm Karmann GmbH, Deutsche Woolworth sowie von mittelständischen Betrieben gesammelt. Ottmar Hermann ist Fachreferent bei Tagungen und Symposien und hat zahlreiche juristische Schriften veröffentlicht. Dr. Frank Kebekus, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist seit 1992 ausschließlich im Bereich der Insolvenzverwaltung und der Restrukturierungsberatung tätig. Er hat seitdem u. a. mehrere hundert Unternehmensinsolvenzen betreut. Sein Schwerpunkt liegt in der Bearbeitung von Konzerninsolvenzen und grenzüberschreitenden Verfahren. Er ist Sprecher des Gravenbrucher Kreises, ein Zusammenschluss der größten überregional tätigen Insolvenzkanzleien Deutschlands, und veröffentlicht sowie referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Dr. Christoph Keller, LL.M. (LSE) ist Rechtsanwalt der Kanzlei Pluta Rechtsanwalts GmbH. Er vertritt die Insolvenzverwalter der Sozietät in inländischen und grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Er ist durch zahlreiche Veröffentlichungen auf den Gebieten des Insolvenz-, Bank-, Gesellschaftsund Steuerrecht als Autor hervorgetreten. Prof. Ulrich Keller lehrt seit 2001 an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin Zwangsvollstreckungsrecht und Insolvenzrecht. Er war unter anderem Rechtspfleger in Insolvenzsachen und Zwangsversteigerungssachen und an verschiedenen Amtsgerichten in Bayern und Sachsen tätig. Prof. Keller ist seit vielen Jahren ausgewiesener Experte zur Vergütung in Insolvenzverfahren. Im RWS-Verlag erscheint sein „Handbuch zu Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren“, im „Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung“ kommentiert er die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung. Er ist Mitautor bei Karsten Schmidt, InsO, 18. Aufl. 2013 sowie Autor eines Lehrbuchs zum Insolvenzrecht im Verlag Franz Vahlen. Zudem gibt er das „Handbuch zum Insolvenzrecht“ (Frege/ Keller/Riedel) und das „Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht“ heraus. Dr. Oliver Klöck, ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Taylor Wessing in Düsseldorf. Er leitet die öffentlich-rechtliche Practice Area „Umwelt, Planung, Regulierung“ und koordiniert die regulatorische Beratung im Gesundheitswesen. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen im regulatorischen Gesundheitsrecht (v. a. Zulassung und Finanzierung medizinischer Leistungserbringer, Fusionen, Kooperationen und Outsourcing-Projekte im stationären und ambulanten Sektor sowie Beratung von Krankenkassen und Ministerien) sowie im Umweltrecht, wo er insbesondere Unternehmen der Entsorgungswirtschaft sowie des produzierenden Gewerbes im Abfall-, Immissionsschutz-, Bodenschutz- und Wasserrecht berät. Schließlich berät und vertritt Oliver Klöck die öffentliche Hand und Unternehmen in öffentlich-rechtlichen Fragen ohne Immobilienbezug, häufig im Bereich IT-gestützter Hochsicherheitsprojekte. Er tritt regelmäßig mit Vorträgen und Veröffentlichungen insbesondere im regulatorischen Gesundheitsrecht hervor. Alexander Langenmayer, Finanzfachwirt (FH), Versicherungskaufmann (IHK), ist geschäftsführender Gesellschafter der Langenmayer Versicherungsmakler GmbH & Co. KG in Gräfelfing, sowie Vorstand des adiutus, Deutscher Insolvenz Assekuranz-Verband e. V. Er ist seit 1989 als unabhängiger Versicherungsmakler tätig und hat zahlreiche Unternehmen in der Phase der Insolvenz begleitet. Seit 2009 ist er parallel Vorstand des adiutus-Verbandes, welcher die Qualitätsnormen und Produktlandschaft zum Thema Versicherungsschutz im Insolvenzverfahren etablieren bzw. verbessern möchte, tätig. Er hat zahlreiche Vorträge zum Thema, insbesondere mit Praxisbezug, gehalten, die u. a. in der Zusammenfassung „Unternehmen im Auf und Ab der Konjunktur“ (hrsg. v. Heinrich) veröffentlicht wurden. Dr. Ellen Meyer-Sommer, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht, ist Local Partnerin der Sozietät White & Case in Hamburg. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt XX

Autorenverzeichnis seit über zehn Jahren in der Insolvenzverwaltung, namentlich in der Fortführung und der Sanierung von Unternehmen aller Branchen. Daneben berät sie Mandanten bei insolvenznahen Fragestellungen sowie im Rahmen von Restrukturierungen. Frau Dr. Meyer-Sommer ist Mitautorin im „Handbuch zur Insolvenz“, begründet von Joachim Kraemer. Michael Mönig, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, gründete nach Zulassung zur Rechtsanwaltschaft 1983 im Januar 1984 die Sozietät Mönig in Münster. 1989 wurde Herr Mönig zum vereidigten Buchprüfer bestellt. 2001 erfolgte die Ernennung zum Fachanwalt für Insolvenzrecht. Als Insolvenzverwalter ist er im Bezirk der Insolvenzgerichte Münster, Dortmund, Essen, Bochum und Leipzig tätig. Neben der beratenden Tätigkeit im Insolvenz- und Sanierungsrecht referiert er regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, ist Gründungspartner der 1980 mit Sitz in Aachen gegründeten Sozietät Mönning & Georg. Er wird seit 1978 überregional als Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungsverwalter und Insolvenzverwalter bestellt und berät Unternehmen bei Gründung, Verkauf und Restrukturierung. Er ist Mitglied des Gravenbrucher Kreises und war dessen Sprecher von 1999 bis 2001. Als ordentlicher Professor an der FH Aachen vertritt er das Fach Unternehmensrecht. Verfasser der Erstauflage „Betriebsfortführung in der Insolvenz“, Autor vieler Fachbeiträge zum Insolvenz- und Sanierungsrecht, kommentiert das Eröffnungsverfahren bei Nerlich/Römermann und wirkt als Veranstaltungsleiter oder Referent auf Symposien, Fortbildungsveranstaltungen und Seminaren im In-und Ausland. Dr. Matthias Nicht, Rechtsanwalt, Senior Associate, ist bei CMS Hasche Sigle Insolvenzberatung und -verwaltung, Frankfurt am Main, in der Insolvenzverwaltung vorwiegend international handelnder Konzernunternehmen tätig und Lehrbeauftragter in den Fachgebieten Kreditsicherungsrecht und Insolvenzrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge, u. a. in Keller (Hrsg.), „Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht“, Kübler (Hrsg.), „HRI – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz“, Theiselmann (Hrsg.), „Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts“. Michael Pluta, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, vereidigter Buchprüfer, ist Namenspartner der Kanzlei Pluta Rechtsanwalts GmbH. Er ist seit 30 Jahren in BadenWürttemberg und Bayern als Insolvenzverwalter tätig. Zu seinen Spezialgebieten zählen die sanierende Betriebsfortführung und die übertragende Sanierung. Er veröffentlicht regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. Prof. Dr. Hanns Prütting, ist seit 1986 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Arbeitsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Direktor des Instituts für Verfahrensrecht, des Instituts für Anwaltsrecht sowie des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht. Er ist Mitherausgeber und Autor zahlreicher Kommentare, Lehrbücher und sonstiger Publikationen, etwa des Insolvenzrechtskommentars von Kübler/Prütting/Bork, ferner des Kommentars zum BGB von Prütting/Wegen/Weinreich, des ZPO-Kommentars von Prütting/Gehrlein, des Kommentars zum FamFG von Prütting/Helms, des Kommentars zur BRAO von Henssler/ Prütting sowie des Kommentars zum Arbeitsgerichtsgesetz von Germelmann/Matthes/ Prütting. Er ist ferner Mitherausgeber der ZIP sowie mehrerer Schriftenreihen. Prof. Dr. Prütting ist Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Knut Rebholz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Arbeitsrecht ist Partner der Sozietät Mönning & Georg Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Berlin. Er ist seit nahezu 20 Jahren im Insolvenz- und Sanierungsrecht und in Berlin und Brandenburg als Insolvenzverwalter tätig.

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Autorenverzeichnis Hans-Peter Runkel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter, Seniorpartner der Kanzlei RSW Rechtsanwälte, ist Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschland e. V. (VID) und Mitglied des Gravenbrucher Kreises. Daneben war er Vorsitzender des Anwaltsvereins Wuppertal sowie 24 Jahre Vorstandsmitglied der Anwaltskammer Düsseldorf. Neben regelmäßigen Veröffentlichungen in Zeit- und Festschriften ist er Herausgeber und Autor des „Anwaltshandbuchs Insolvenzrecht“. Cornelia Schäfer, Rechtsanwältin (Dipl.- Jurist), ist in Einzelkanzlei in Aachen tätig und spezialisiert auf dem Gebiet des Arbeitsrechtes, insbesondere dem Insolvenzarbeitsrecht. In ihrem überregional ausgerichteten Arbeitsfeld, u. a. in den letzten Jahren in Aachen, Mönchengladbach, Cottbus, Berlin, Potsdam und Dresden, begleitete sie insolvenzbedingte Betriebsänderungen bei Unternehmen und führte hierbei zahlreiche Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Steuerberater und Insolvenzverwalter in Essen und Dortmund, ist Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen. Er lehrt dort Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht. Er ist Vizepräsident des RIFAM RheinRuhr-Institut für angewandte Mittelstandsforschung e. V., Essen/Düsseldorf, und Mitherausgeber des Buches „Praxis der Insolvenzanfechtung“ (Haarmeyer/Huber/Schmittmann). Weiterhin kommentiert er im „Kommentar zur InsO“ (hrsg. K. Schmidt) die Regelung des § 155 InsO sowie das Insolvenzsteuerrecht, im Kommentar von Pape/Uhländer verschiedene Regelungen, insbesondere die §§ 207 ff. InsO und im Kommentar von Haarmeyer/Wutzke/ Förster das Insolvenzanfechtungsrecht. Henning Schorisch, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner von hww wienberg wilhelm, einer der größten und bundesweit aufgestellten Sozietäten Deutschlands im Insolvenzrecht. Seit über 20 Jahren ist er als Insolvenz- und Zwangsverwalter tätig. Der aktuelle Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter liegt im Solar- und AutomotiveBereich sowie in der Verwaltung von Immobiliengesellschaften. Im Bereich der Verwaltung großer Immobilien ist er auch als Zwangsverwalter tätig. Jörg Spies, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Bankkaufmann, ist Partner der auf Insolvenzabwicklungen und Restrukturierungsberatung spezialisierten Kanzlei pkl Keller Spies Partnerschaft und hat seit 1993 als Insolvenzverwalter mehrere hundert Insolvenzverfahren abgewickelt. Jörg Spies ist insbesondere im Bereich der Insolvenzplanerstellung bundesweit tätig. Mit der Erstellung von Sanierungskonzepten und deren Umsetzung i. R. von Insolvenzplanverfahren mit Eigenverwaltung bei Eintritt in die Geschäftsleitung – bereits mehrere Jahre vor Inkrafttreten des ESUG – ist er einer der Sanierungsexperten in Deutschland, die in Krisensituationen auch operative Verantwortung in Unternehmen übernehmen. Er hält regelmäßig Vorträge und publiziert zum Thema Insolvenzplan und Eigenverwaltung. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, leitete von 1975 – 1995 die Konkursabteilung am Amtsgericht Köln und war von 1968 – 1997 Vorsitzender des Arbeitskreises für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V.; von 1978 – 1985 war er Mitglied der Kommission für Insolvenzrecht. 1980 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität zu Köln, 1986 wurde er dort Honorarprofessor. Unter anderem ist er Herausgeber der Zeitschriften „KTS“ und „NZI“. Sein Kommentar zur Insolvenzordnung gilt als Standardwerk. Zugleich ist er Verfasser zahlreicher Buchwerke und von Beiträgen zum Insolvenzrecht und Arztrecht. Dr. Sven-Holger Undritz, Rechtsanwalt, Partner der Sozietät White & Case in Hamburg. Seit 1998 ist er regelmäßig als Insolvenzverwalter tätig und wird auch zum Sachwalter in XXII

Autorenverzeichnis der Eigenverwaltung bestellt. Darüber hinaus begleitet er Unternehmenssanierungen und Restrukturierungen, u. a. unter Einsatz von Treuhandmodellen als Instrument der Sanierung. Er ist Mitautor verschiedener insolvenzrechtlicher Kommentare und Handbücher. Er veröffentlicht regelmäßig zu allen Themen des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts, u. a. zu aktuellen Sanierungsthemen, dem Unternehmenskauf in der Insolvenz sowie dem europäischen und internationalen Insolvenzrecht. Holger Voskuhl ist als Managing Director bei der Kommunikationsagentur rw konzept in Köln tätig und seit vielen Jahren auf Krisenkommunikation spezialisiert. Er hat dabei sowohl als externer Pressesprecher eine Vielzahl von Unternehmen und deren Insolvenzverwalter in der Insolvenz unterstützt als auch im Hintergrund die Verantwortlichen von Unternehmen in der Krise beraten. Dabei konnte er von Automobilzulieferern über Unternehmen aus dem Einzelhandel bis hin zu Profi-Sportvereinen Erfahrungen in den verschiedensten Branchen sammeln. Dr. Stefan Weniger, Rechtsanwalt, Diplom-Betriebswirt (BA), ist Partner von hww Wienberg Wilhelm und Geschäftsführer der hww Wienberg Wilhelm Unternehmensberater GmbH. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind die Erstellung von Sanierungskonzepten und die Übernahme von Sanierungsgeschäftsführungen, auch in der Eigenverwaltung. Zu seinen Veröffentlichungen gehört neben zahlreichen Artikeln zum Sanierungs- und Insolvenzrecht in diversen Fachzeitschriften auch der Beitrag zum Sanierungsgeschäftsführer in „Modernes Sanierungsmanagement“. Dr. Carsten M. Wirth, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Mönig und Partner. Er ist in Nordrhein-Westfalen als Insolvenzverwalter bestellt. Zudem ist er bei der Gestaltung von Insolvenzplänen und eigenverwalteten Unternehmen beratend tätig. Dr. Hermann Peter Wohlleben, Rechtsanwalt, ist seit 1996 Mitglied des Vorstands des PENSIONS-SICHERUNGS-VEREINS Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG) in Köln und dort verantwortlich für die Bereiche „Insolvenz und Leistung“ sowie „Recht und Personal“ sowie langjähriges Vorstandsmitglied der aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und des Vereins für Insolvenzwesen, Köln. Er ist Autor diverser Publikationen u. a. zur betrieblichen Altersversorgung und zum Insolvenzrecht. Wolfgang Zenker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interdisziplinäre Restrukturierung (iir) e. V. in Berlin und Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Publikationen gehören Kommentierungen diverser Anfechtungsvorschriften sowie das Kapitel „Insolvenzanfechtung“ in Bork/Hölzle (Hrsg.), „Handbuch zum Insolvenzrecht“. Dr. Franc Zimmermann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Sozietät Mönning & Georg Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Berlin. Er ist in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt als Insolvenzverwalter und darüber hinaus als Berater für international-insolvenzrechtliche Fragestellungen für die für die Bundesrepublik Deutschland agierende Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig. Dr. Zimmermann ist Mitautor des Insolvenzrechtskommentars von Nerlich/Römermann, des durch die Serbian Bankruptcy Supervision Agency herausgegebenen Kommentars zu den Grundlagen des serbischen Insolvenzanfechtungsrechts, veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Fachzeitschriften und referiert im In- und Ausland.

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Literaturverzeichnis Weitere themenspezifische Literatur, Zeitschriften- und Festschriftbeiträge sind in den Literaturübersichten der jeweiligen Paragrafen aufgeführt Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier (Hrsg.), Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2012 (zit.: FAKomm-InsR) Andres/Leithaus, InsO, Kommentar, 2. Aufl., 2011 Baumbach/Hopt, HGB, Kommentar, 35. Aufl., 2012 Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 20. Aufl., 2013 Beck/Depré (Hrsg.), Praxis der Insolvenz, 2. Aufl., 2010 Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, hrsg. v. Lorz/Pfisterer/Gerber, 2010 Becker, Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2008 Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004 Blersch/Goetsch/Haas (Hrsg.), Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt, Stand: 46. Lfg. 2013 (zit.: BK-InsO) Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2011 Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2005 Bork/Schäfer (Hrsg.), GmbHG, Kommentar, 2. Aufl., 2012 Braun (Hrsg.), InsO, Kommentar 5. Aufl., 2012 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997 Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch, 3. Aufl., 2007 Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen – Von der Gründungsbilanz bis zur Liquidationsbilanz, 4. Aufl., 2008 Bürgers/Körber (Hrsg.), AktG, Kommentar, 2. Aufl., 2011 Busch/Winkens, Insolvenzrecht und Steuern visuell, 2007 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 3. Aufl., 2009 Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2012 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., 2010 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. v. Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 13. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter in: ErfK) Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005 Fischer, StGB-Kommentar, 59. Aufl., 2011 Fitting, hrsg. v. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/LinsenmaierBetriebsverfassungsgesetz, Kommentar, 26. Aufl., 2012 Fleischer/Goette (Hrsg.), s. Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 7. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter in: FK-InsO) Frege, Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung, 2. Aufl., 2013 Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Handbuch, 7. Aufl., 2008 Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., 2010

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