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German Pages [409] Year 2008
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-36380-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-36380-6
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Silke Satjukow
Besatzer »Die Russen« in Deutschland 1945–1994
Vandenhoeck & Ruprecht
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-36380-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-36380-6
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-525-36380-5
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Umschlagabbildung: Marsch einer in Dresden stationierten Einheit anlässlich der »Woche der Waffenbrüderschaft« (Februar 1973). Quelle: Bundesarchiv Koblenz (BArch, Bild 183-MO225-0005). Mit 6 Abbildungen und 10 Tabellen © 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständiges Papier.
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Inhalt
1. Der Abzug . . . . . . . . . . Abschied unter Freunden? Affront in Dresden . . Abschied aus Berlin . . Ankunft in Moskau . .
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Politische Chronik des Abzugs . . . . . . . Forderungen und Herausforderungen . Alltag des Abzugs . . . . . . . . . . . . Zwischen den Fronten . . . . . . . . . . Nachrufe . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fragehorizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Zeit der Besetzung: Vom Kriegsende bis 1961 . . . . . . . . . . . . 2.1 »Die Russen kommen …« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das sowjetische Bild von »den Deutschen« im Zweiten Weltkrieg Das deutsche Bild von »den Russen« . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.2 »Die Russen sind da …« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Begegnungen zwischen Rotarmisten und deutschen Zivilisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Machtübernahme durch die Besatzer . . . . . . . . . . . . . . . Besatzungsalltag der ersten Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . Perestroika 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fundamente künftiger Begegnungen . . . . . . . . . . . . . . . Der Mythos der »Befreiung« – Unvollständige Lossprechungen
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43
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2.3 Der Volksaufstand von 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stalins Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tage im Juni 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.4 Das Stationierungsabkommen von 1957 . . . . . . . . . . . . . . . Der Stationierungskodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gemischte Deutsch-Sowjetische Kommission . . . . . . . . . .
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2.5 Die Definition der Grenzen: Der Mauerbau 1961 . . . . . . . . . .
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Inhalt
3. Die Zeit der »Besatzung«: Vom Mauerbau bis zum Abzug 1994 3.1 Die »Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland« 3.1.1 Infrastrukturen und Inbesitznahmen . . . . . . . . . . Personalstärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Topographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Standorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten der Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Alltag in der Kaserne . . . . . . . . . . . . Die GSSD aus der Binnenperspektive . . . Traditionen der »Kameradenschinderei«: Die Dedowschtschina . . . . . . . . . . . In Klausur: Blicke über die Mauern . . . . Geheimdienste auf Grenzposten . . . . . Blicke hinter die Zäune und Mauern . . .
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. 85 . 87 . 87 . 87 . 88 . 95 . 103 . 108
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3.1.3 Flucht und Fahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Eigenmächtiges Entfernen oder Fahnenflucht? . . . . . . . . 140 Blindgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.1.4 Tod und Bestattung . . . . . . . . . . . . . . Tod hinter Kasernenmauern . . . . . . . . . Bestattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sacrosanctitas . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Dienst der Toten – der Dienst der Toten
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3.2 (Un-)Freiwillige Nachbarschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.2.1 Der Vertrag von Warschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 »Oktobersturm« im Raum Thüringen . . . . . . . . . . . . . 179 Stiefbrüder in Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3.2.2 Netzwerke gemeinsamen Wirtschaftens VEB Spezialhandel Leipzig . . . . . . . . VEB Spezialbau Potsdam . . . . . . . . Obskure Wirtschaftsweisen . . . . . . . Arbeitskräfte en masse . . . . . . . . . . Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.2.3 Straftaten und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straftaten und Strafverfolgung in den sechziger und siebziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die achtziger Jahre: Perestroika in der Strafverfolgung? Straftaten zum Nachteil von Angehörigen der GSSD . .
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190 190 194 202 213 226
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Inhalt
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Straftaten zum Nachteil von DDR-Bürgern . . . . . . . . . . 239 Vergehen und Verbrechen – eine Tour d’horizon . . . . . . . 248 Rechtshilfe in Besatzermanier . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3.2.4 Umweltfrevel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefährliche Händel – gefährlicher Handel . . . . . . . . Formen der Schadensabwicklung . . . . . . . . . . . . . Besatzungsrealität zwischen Gesetz und Gesetzlosigkeit
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270 270 279 283
3.2.5 Liebes-Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . Deutsch-sowjetische Ehegemeinschaften Deutsch-sowjetische Kinder . . . . . . . . »Vater unbekannt« . . . . . . . . . . . . .
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3.3 Eine geheime Bestandsaufnahme der Besatzung . . . . . . . . . . . 299 Die Keßler-Kommission: Sapere aude – sapere time! . . . . . . . . 299 Nomen non est omen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze . . . . . . . . 307 Entgrenzungen und Grenzziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Kompromissformeln und Kompromissformen . . . . . . . . . . . . . . 311 Wiederkehrende Grenzziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Generationenspezifische Annäherungen und Distanzierungen . . 316 Der Schlussakkord: Die »zweite Befreiung« . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Besatzungs-Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Verzeichnis der Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
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1 Der Abzug
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Abb. 1: Szenerie des Abzugs: Wachsoldat der russischen Streitkräfte im Januar 1994
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Am 9. September 1994 war die vertragsgemäße Präsenz der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland beendet. Schon Ende Juni hatte die letzte Eisenbahnfähre Mukran in Richtung Klaipeda verlassen. Am 1. September rollte der letzte Militärtransport aus dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg und eine Woche später stieg auch das Nachkommando des Stabes der Westgruppe auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld in das letzte Flugzeug gen Heimat.
Abschied unter Freunden? Zu den ersten abrückenden Armeen zählte die 8. Gardearmee, die 1945 nach Berlin gekommen und während fast fünf Jahrzehnten in Thüringen stationiert gewesen war. An einem Sonntag im Februar 1991, just am Tag der Sowjetarmee, verabschiedete sich das 73. Panzerregiment der 8. Gardearmee von der Garnison Weimar. Eine geschlossene Veranstaltung auf dem eigenen, geflaggten Appellplatz, ohne die Gastgeber und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die einzigen Fremden an diesem Morgen waren der Vorsitzende der neu begründeten »Gesellschaft für die Freundschaft mit den Völkern der UdSSR« und ein mit der Unterstützung des Abzugs beauftragter Offizier der Bundeswehr, zu dem die Russen während zahlreicher Festgelage Vertrauen gefasst hatten. Zum letzten Rapport war das gesamte Panzerregiment angetreten. Das Musikkorps spielte patriotische Märsche, die Texte hatten die Soldaten seit ihrer Einberufung unzählige Male gesungen. Der Regimentskommandeur Juri Martschuk, den man am Tag zuvor, an seinem Geburtstag, zum Oberst befördert hatte, lief im Stechschritt die Front ab. Der starke Wind riss ihm die Mütze vom Kopf, seine Ansprache musste er barhäuptig halten. Seine Worte erinnerten an vergangene Ruhmestaten des vielfach ausgezeichneten Regiments, das nach seiner Rückkehr in die Heimat aufgelöst werden sollte. Auf die Panzer wartete ein Endlager in Sibirien. Als das Kommando zum Vortreten der Fahnenabordnungen ertönte, verlor der Befehlshaber die Fassung, ihm liefen Tränen über das Gesicht. Die Fahnenträger marschierten unter den Klängen des Korps zur Ehrentribüne. Martschuk kniete vor die Truppenfahne und verabschiedete sie aus dem Regiment: Die Fahne, erinnerte er, sei immer ein »Symbol von soldatischer Ehre, Tapferkeit und Heldenruhm« gewesen. Sie gemahne jeden Soldaten, Unteroffizier und General an seine heilige Pflicht,
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Der Abzug
der sowjetischen Heimat treu zu dienen, sie tapfer und geschickt zu verteidigen und um jeden Fußbreit heimischen Bodens zu kämpfen, ohne dabei Blut und Leben zu schonen. Jeder Einzelne sei verpflichtet, die Fahne im Kampf mutig und tapfer zu verteidigen und nicht zuzulassen, dass sie in die Hände des Feindes fiel. Wo der Feind stand, wusste man trotz der Politik der Versöhnung mit dem Westen nur zu genau. Das Regiment hatte im Rahmen der sowjetischen Truppendislozierung jahrzehntelang die vorgeschobene Verteidigungsflanke des Ostblocks gestellt und war damit unmittelbarer Konterpart des gefürchteten Gegners gewesen. Im Ernstfall hätte die 8. Gardearmee einen Angriff der NATO-Streitkräfte abzuwehren gehabt, sie wusste sich all die Jahre an vorderster Front. Am darauf folgenden Tag verließ das erste Bataillon des Panzerregiments seinen Stationierungsort Weimar. Kaum ein Einheimischer zeigte Interesse am Aufbruch des Vorauskommandos. Die Güterwaggons waren mit DoppelstockHolzpritschen und Strohballen ausgestattet, in der Mitte ein Kanonenofen mit Kochtopf. Der Proviant für die ersten Heimkehrer bestand aus Kartoffeln und Kastenbrot, Tee und eingelegten Gurken.1 Eineinhalb Jahre später, am 21. November 1992, fand auf demselben Bahnsteig die offizielle Verabschiedung der letzten Streitkräfte aus Thüringen statt. Weder Oberst Juri Martschuk noch Generalmajor Wassili P. Sosedow, Erster Stellvertreter des Kommandeurs der 8. Gardearmee, die an jenem Februartag noch zum letzten Appell geblasen hatten, nahmen am von deutschen Behörden organisierten Abschiedszeremoniell teil. Am Abend zuvor hatte Sosedow zwar einen letzten Empfang im Haus der Offiziere im Armeestab Nohra gegeben, bei dem auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Generaloberst Matwej P. Burlakow, anwesend gewesen war. Noch in derselben Nacht aber war er nach Moskau geflogen, aus dringenden dienstlichen Gründen, hieß es. Die offizielle Abschiedsrede am nächsten Morgen hielt irgendein Stellvertreter, niemand der deutschen Verantwortlichen kannte ihn näher. Die hohen Militärs entzogen sich dem ihnen zugedachten Auftritt. Nur zu genau noch erinnerten sie sich an die empfundene Schmach in der benachbarten sächsischen Landeshauptstadt drei Monate zuvor.
Affront in Dresden Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der 1. Gardearmee in Dresden erreichte das Thüringer Innenministerium im August 1992 auf eine Anfrage hin folgendes Schreiben: »Mit Rücksicht auf eine möglicherweise empfindliche Reaktion der NATO-Bündnispartner ist der Bund bestrebt, seine Repräsentanz bei derartigen Feiern möglichst weit herunterzufahren. Der Bundesminister der Verteidigung würde deshalb eine Einladung von Ministerpräsident Vogel
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Abschied unter Freunden?
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[darum ging es in der Anfrage, S. S.] zur Verabschiedung der 8. Gardearmee nicht annehmen.«2 So, erfuhren die Thüringer Beamten, habe Verteidigungsminister Volker Rühe auch im Fall Dresden entschieden. Die zitierte Feier vom 18. August 1992 in Dresden war einem Affront gegenüber den in Sachsen stationierten sowjetischen Truppen gleichgekommen. Daran änderten auch die beschwörenden Abschiedsworte des sowjetischen Befehlshabers an seine Truppen nicht viel, die in der Hauptsache Verdienste der Vergangenheit rühmten: Die Geschichte der Armee ist untrennbar mit der siegreichen Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa durch die Truppen der Alliierten verbunden. Entsprechend den Beschlüssen der Konferenzen der Siegermächte von Jalta und Potsdam verblieb die 1. Gardepanzerarmee auf dem Territorium des besiegten Reiches, um am Prozess der Sicherung eines zuverlässigen Friedens teilzunehmen. Somit erwiesen sich die Militärangehörigen der Armee nicht zufällig und nicht auf eigenen Wunsch auf dem Territorium Deutschlands. Jeder Schritt zum Sieg wurde mit einem unwahrscheinlich hohen Preis bezahlt.3
Die Nachkriegsgenerationen der Garde-Kämpfer, führte der hohe Offizier weiter aus, hatten die Kampftraditionen der älteren Generationen bewahrt und gemehrt. Immer noch sei die Armee eine mächtige Kraft – Kampftechnik und Bewaffnung befänden sich nach wie vor in zuverlässigen Händen der Kämpfer und Patrioten des Vaterlandes. »Wir kehren mit dem Bewußtsein einer erfüllten Pflicht heim. Aber hier in Sachsen verbleiben werden hunderte Gräber unserer Landsleute.«4 Die deutschen Amtsträger indes schlugen an diesem Sommertag 1992 einen gänzlich anderen Ton an. Der Oberbürgermeister von Dresden sprach von einem Abzug, der »uns nicht mit Trauer erfüllt«. Noch deutlicher wurde Sachsens Umweltminister Arnold Vaatz, so dass der russische Dolmetscher ganze Passagen der Rede des Vertreters von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf weglassen musste. Als Finanzminister Georg Milbradt gar über den Wandel von Besatzungstruppen über Garanten einer nach sowjetischem Vorbild errichteten DDR zu so genannten Gaststreitkräften philosophierte, hatten die anwesenden Militärs Mühe, Haltung zu wahren. Die abschließend geplante Kranzniederlegung war bereits im Vorfeld hart kritisiert worden: Nach dem Willen der Landes- und Kommunalpolitiker sollte nämlich nicht nur der sowjetischen Weltkriegsopfer gedacht werden, sondern auch der gefallenen deutschen Soldaten. Das Oberkommando der 1. Gardepanzerarmee weigerte sich, an einem mit dem Eisernen Kreuz versehenen Holzobelisken Kränze niederzulegen. Dies, so argumentierten die Militärs, könne man den anwesenden sowjetischen Kriegsveteranen wahrlich nicht zumuten.5
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Der Abzug
Abschied aus Berlin In zahlreichen Details äußerte sich die fehlende gegenseitige Wertschätzung der russischen und deutschen Vertragspartner, wenngleich man dieser Tatsache auf beiden Seiten in jenem Herbst 1992 noch mit höflicher Zurückhaltung begegnete. Zwei Jahre später, im Vorfeld der zentralen Abzugsveranstaltungen in Berlin am 31. August 1994, wurde mit offenen Karten gespielt. Nachdem es in der Presse zu ersten Gerüchten über getrennte Verabschiedungen der Alliierten gekommen war, meldete sich der Oberbefehlshaber der Westgruppe, Generaloberst Matwej P. Burlakow, im Frühjahr 1994 öffentlich zu Wort. Er forderte eine gemeinsame Abschiedsparade der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Berlin. Der Drei-Sterne-General war 1990 mit dem Oberkommando in Wünsdorf betraut worden, um von dort aus den bevorstehenden Abzug der Armee zu überwachen. Die Bundesregierung ließ sich von den grollenden Worten des hohen Militärs nicht schrecken und hielt zunächst an ihrer Absicht fest, die offizielle Verabschiedung der russischen Truppen in einem Festakt Ende August in Weimar zu begehen. Ein Plan, der Burlakow vollkommen abwegig erschien: »In der Nähe von Weimar ist das KZ Buchenwald. Es wäre eine Lästerung, an dieser Stelle zu tanzen.«6 Ein Festakt in der Klassikerprovinz machte nach Meinung des Generals auch deshalb wenig Sinn, weil der letzte Soldat bereits zwei Jahre zuvor von dort abgezogen worden war. Man hätte Soldaten Komparsen gleich herbeischaffen müssen. Vor allem die zum Teil schon gebrechlichen Kriegsveteranen wären zu einem Umweg gezwungen gewesen. Überhaupt hatte der Zweite Weltkrieg nicht in Weimar, sondern in Berlin geendet. Mit Blick auf die große Zahl eigener Opfer waren die vom Westen kommunizierten Verbrechen der Sowjetarmee im Zusammenhang mit der Berlin-Blockade 1948/49 für Burlakow kein stichhaltiges Argument gegen eine gemeinsame Feier. Wenn man schon mit Zahlen argumentiere, dann müsse man auch den 22. Juni 1941 und den 8. Mai 1945 berücksichtigen. »Nicht dieses Datum [die Berlin-Blockade, S. S.] war der Anfang«, widersprach der Offizier, »das wichtigste Anfangsdatum war 1941. Dieses brachte mehr als 30 Millionen Menschen den Tod.«7 Hier die Abschiedsfeier für die drei Westalliierten – dort eine Separatveranstaltung für »die Russen«? Nicht nur der Oberbefehlshaber versuchte, seinen Standpunkt in der Öffentlichkeit zu verteidigen; das gesamte russische Offizierskorps begann nun, Front gegen eine separate Verabschiedung in der Provinz zu machen. Das Militär wie auch die russischen Medien verstanden den Vorschlag einer getrennten, dezentralen Feier als Abschiebe- und nicht als Abschiedsfeierlichkeit und brachten die eigene wie teilweise auch die ostdeutsche Bevölkerung gegen die vermeintliche Zurücksetzung auf.
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Abschied unter Freunden?
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Solche Gemütswallungen aber wollte zumindest die Regierung des geeinten Deutschlands mit allen Mitteln verhindern – nicht zuletzt auch in Erwartung der im Herbst 1994 anstehenden Bundestagswahl. Doch ehe sich die Bonner Politiker versahen, geriet die Forderung nach einem »Abschied in Würde« auch in die deutsche öffentliche Diskussion. Der Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer forderte in seiner »Rede über Deutschland« im Nationaltheater Weimar eine gemeinsame Verabschiedung der Alliierten und auch die Spitzenkandidaten der ostdeutschen SPD wandten sich gegen eine »Feier zweiter Klasse« für die russischen Streitkräfte. Anlässlich eines Treffens in Magdeburg am 8. Mai 1994 mahnten sie: »Wir halten die gesonderte und zweitrangige Verabschiedung der Roten Armee für unangemessen, ja für demütigend.« Eine Zeremonie, die »Würde und Stolz der ehemaligen Siegermacht«8 nicht verletze, sei die einzig denkbare Lösung. So kam Präsident Boris Jelzin nebst seinem Verteidigungsminister Pawel Gratschow am 11. Mai 1994 persönlich nach Bonn gereist, hinsichtlich der Modalitäten des Abschieds war seiner Meinung nach das letzte Wort noch nicht gesprochen. Burlakows scharfe Worte hatten sich nämlich nicht allein an die Bonner Abzugsbeauftragten gerichtet, sondern ebenso anklagend an die Führung in Moskau. Im Zeichen hoher Instabilität im eigenen Land und angesichts einer Armee, die nach einem enormen Statusverlust dringend einer moralischen Bestätigung bedurfte, wäre auch Jelzin eine beeindruckende gemeinsame Parade der Vier Mächte höchst willkommen gewesen. Wobei er selbst noch keinen rechten Plan vorzuweisen hatte: Vorstellbar, meinte er in Bonn vorsichtig, sei eine Zeremonie auf dem Berliner Gendarmenmarkt, zwischen Französischem und Deutschem Dom mit Schinkels Schauspielhaus im Rücken – Russen, Amerikaner, Briten, Franzosen gemeinsam mit der Bundeswehr. Ohne Waffen, dafür mit Musik. Für Washington, London und Paris kam eine gemeinsame Verabschiedung nicht in Frage. Zwar forderte man selbst einen großen Auftritt, aber eben nicht zusammen mit den Russen. Sich dem Druck der militärischen Verbündeten beugend, verzichtete die Bundesregierung nun auch auf ihre ursprüngliche Absicht, den Abschied der Berliner Truppen mit einem schlichten Zapfenstreich vor dem Schöneberger Rathaus zu feiern. Statt dessen wurden die Truppen der Westalliierten mit großem Zeremoniell nach Hause geschickt: mit Aufmärschen, Militärmusik und Flaggenparaden. »Wir wollen unseren Freunden mit Anstand und Würde Lebwohl sagen«, begrüßte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen den Sinneswandel. »In Berlin gehören die Militärparaden der Alliierten schließlich zur Tradition.«9 Dass diese Tradition nicht allein eine westdeutsche war und dass so mancher Ost-Berliner bei diesen Worten durchaus auch die Russen im Blick hatte, blieb ohne Belang. Während die Irritationen zwischen der Bundesregierung und den West-Alliierten nun weitgehend beigelegt waren, kam man mit Moskau nicht so schnell überein.
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Der Abzug
»Für die Russen sind die Streitkräfte im Osten Deutschlands die Sieger über den Hitler-Faschismus. Im russischen Bewusstsein ist noch gegenwärtig, welch immense Opfer die Zurückschlagung des deutschen Angriffs und der Sieg gekostet haben: 26 Millionen Tote, von den ungeheuren Zerstörungen gar nicht zu reden«, mahnte der Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-NaumannStiftung, Falk Bomsdorf, im März 1994.10 Nach dem Besuch Jelzins im Mai erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl die Angelegenheit zur Chefsache. Mitte Juni lag das Kohlsche Konzept im Kreml vor, allerdings barg auch der neuerliche Vorstoß in den Augen der Russen etliche Zumutungen. Zwar sollte der Abschied am 31. August nun doch in Berlin stattfinden, die von Matwej Burlakow in Moskau vorschnell angekündigte Militärparade jedoch fand in dem Bonner Vorschlag ebenso wenig Berücksichtigung wie eine von Verteidigungsminister Gratschow geforderte feierliche Sitzung im Reichstag. Statt dessen schlug Kohl vor, Jelzin zur Neuen Wache zu begleiten, zur Zentralen Gedenkstätte des wiedervereinten Deutschlands. Dort solle am Tage der Verabschiedung sowohl der Toten des Zweiten Weltkrieges gedacht werden als auch der »Opfer von Gewaltherrschaft, Vertreibung und totalitärer Diktatur nach 1945«.11 Die Rede Jelzins beim Staatsakt auf dem Gendarmenmarkt dürfe sich zudem weniger auf die Vergangenheit als auf die Zukunft der Beziehungen beider Länder konzentrieren. Für eine öffentliche Besinnung auf die Verbrechen Deutschlands gegen das sowjetische Volk ließ die Kohl-Konzeption keinen Raum, trotzdem erklärte sich Jelzin einverstanden. Nur folgerichtig schien es dann, dass der letzte Gedenkappell am Treptower Ehrenmal weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, obwohl Jelzin und Burlakow keinen Zweifel daran gelassen hatten, dass ihnen gerade dieses Ritual zu Ehren der Gefallenen des Großen Vaterländischen Krieges besonders am Herzen lag. Während in Bonn die Verabschiedung der russischen Streitkräfte auf Sparflamme gekocht wurde, bereitete eine Sonderkommission in Moskau zum Empfang der heimkehrenden Helden ein Volksfest vor. Während der ersten drei Tage im September sollten die neun Millionen Hauptstädter die Rückkehr der Berliner Einheiten auf die gleiche Weise feiern, »wie einst im Siegerjahr 1945« die ruhmreiche Rote Armee. Truppenteile aller Waffengattungen sollten aufmarschieren, begleitet von Feuerwerk und Musik. Damit wäre der »von bestimmten Kräften verlautete Ruch des psychologischen Verlierers wieder reingewaschen«, denn »solange wir uns nicht selbst erniedrigen, hat uns niemand besiegt.«12 Am 31. August 1994, einem sengend heißen Sommertag, verabschiedeten Präsident Boris Jelzin und Bundeskanzler Helmut Kohl die letzten russischen Besatzungstruppen aus Deutschland. Während die beiden Repräsentanten ihrer Völker an den sechzehn Sarkophagen des Sowjetischen Ehrenmales im Treptower Park defilierten, erklang Trauermusik. Das Wachbataillon der Bun-
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Abschied unter Freunden?
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deswehr und eine Ehrenformation der russischen Berlin-Brigade hatten sich im Spalier vor dem Monument des Unbekannten Soldaten aufgestellt. Die strenge Marschordnung geriet allerdings schnell außer Takt, legten doch die tausend Mann der Westgruppe, anders als ihre Bundeswehrkameraden, die gesamte Strecke zum Denkmal im Stechschritt zurück. Die jungen Männer waren vor Monaten speziell ausgewählt worden, um dieses Abschiedszeremoniell ehrenvoll zu bewältigen. Am Ende der Feierlichkeiten stand eine letzte Meldung des Oberbefehlshabers der Westgruppe an seinen obersten Dienstherrn, den russischen Präsidenten Boris Jelzin: Ich melde, der zwischenstaatliche Vertrag über die Bedingungen des begrenzten Aufenthaltes und der Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist erfüllt. In drei Jahren und acht Monaten sind nach Russland und den anderen GUS-Staaten abgezogen worden: die Führung der Westgruppe, sechs Armeen bestehend aus 22 Divisionen, 49 Brigaden und 42 selbständigen Regimentern. […] Die zwischenstaatliche strategische Operation des Abzugs der Westgruppe der Truppen ist beendet. Der moralische Zustand des Personals ist gesund. Das gesamte Personal ist nach Russland abgezogen worden und ist bereit, weitere Aufgaben zu erfüllen. Die Meldung ist beendet.13
Am Tag darauf verließ der letzte Zug den Bahnhof Berlin-Lichtenberg, von wo aus jahrzehntelang die Reisezüge in Richtung Osteuropa abgefahren waren. Zwei Militärkapellen spielten Soldatenmärsche, dann auch die »Berliner Luft«; zwei Bürgermeister, der Berliner und der Moskauer, hielten Ansprachen. Mancher Einheimische war gekommen und winkte nun mit russischen Fähnchen, den Soldaten hatte man deutsche Wimpel in die Hand gedrückt. Es kam zu Umarmungen im Gedränge des Bahnsteigs, Erinnerungsfotos wurden getauscht, dann bat eine Lautsprecherstimme die »sehr verehrten Reisenden«, sie sollten nun in den Sonderzug nach Moskau steigen. Laut rief der General letzte Befehle, die Soldaten drängten sich in die Waggons, die Offiziere umarmten Bekannte und Freunde. Um Viertel vor Eins rollte der Zug an, einige wenige Offiziere verweilten noch einen Augenblick auf den Trittbrettern und winkten.14 Zurück blieben neben den riesigen exterritorialen Militärarealen inmitten und an den Rändern der Städte auch Tausende herrenlose Katzen und Hunde, die bisher im Umfeld der Kasernen gelebt hatten. Deutsche Tierschützer sprachen von etwa 10.000 Tieren. Die Behörden vor Ort forderten die Bundesregierung unmittelbar nach dem Abzug zum sofortigen Handeln auf, allerdings ohne Erfolg. Die Bitte des Potsdamer Landwirtschaftsministeriums um Finanzhilfe wies Bundesfinanzminister Theo Waigel mit der Begründung zurück: »Bei den von der Westgruppe zurückgelassenen Haustieren handelt es sich rechtlich nicht um Eigentum des Bundes.«15
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Der Abzug
Ankunft in Moskau Die Straße vom Belorussischen Bahnhof zu den Kreml-Mauern säumten euphorische Willkommensgrüße: »Ruhm den Kriegern Russlands« und »Die Kämpfer der Westgruppe erfüllten ihre Pflicht in Ehren«.16 Dabei war auch hier heftig gestritten worden, ob die Heimkehrer aus Berlin jenen Weg durch die Hauptstadt nehmen sollten, auf dem im Sommer 1945 schon ihre Großväter zur Siegesparade auf den Roten Platz marschiert waren. Entgegen dem Vorschlag seiner Berater wollte Boris Jelzin die Truppen aus Berlin demonstrativ auszeichnen. So wurde der kurz vor seiner Pensionierung stehende Generaloberst Matwej Burlakow unmittelbar nach seiner Rückkehr zum stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt. Doch gerade den scheidenden Oberbefehlshaber, unter dessen Ägide ein kaum zu überbietender illegaler Ausverkauf von Waffen, Munition und Gerät begonnen hatte, wollte sich die Mehrheit der jüngeren Offiziere nicht zum Vorbild nehmen. Die gezwungen klingenden Worte Jelzins von der neuen Freundschaft mit jenen Völkern, welche die im Felde stets unbesiegte Armee jetzt verlassen musste, taugten kaum, das Gefühl der Demütigung zu lindern, das ihre Offiziere beim Abzug empfunden hatten. In Deutschland war es ihnen versagt geblieben, gemeinsam mit den einstigen Kriegsalliierten aufzutreten, in Estland war das feierliche Einholen der Flagge verhindert worden und in Tallin läuteten gar die Kirchenglocken die Nachhut aus dem Lande. Auch die einheimische Presse ließ kaum Milde walten: So kommentierte die Komsomolskaja Pravda unter der Überschrift »Hans und Gretchen, weinend vor Glück, verabschieden den russischen Iwan« die ihrer Meinung nach allzu versöhnliche Ansprache Jelzins ironisch: »Niemand hat in diesem Krieg, dem vergangenen Krieg, verloren, weder das deutsche Volk noch Russland. Leider haben das faschistische Regime und Hitler uns diesen Krieg aufgezwungen, und wir mussten uns vor diesem Überfall schützen. Daran ist das deutsche Volk natürlich nicht Schuld und wir werden ihm dies niemals vorwerfen.«17 Die nationalistisch-kommunistische Sovetskaja Rossija fragte: »Was hätte Shukow dazu gesagt?« Mit der letzten Parade in Berlin sei »die Stunde des Triumphes für Helmut Kohl« gekommen und »die Stunde der Erniedrigung für Boris Jelzin und für das Land, das er vertritt«.18 Da half es kaum noch, dass die Izvestija versöhnlich schrieb: »Sie haben den Mut gefunden zu gehen. Sie gingen nicht aus Angst vor fremder Gewalt. Unser nuklearer Raketenknüppel vermag auch heute noch, jeden in Schrecken zu versetzen. Unsere Streitkräfte gehen, weil sie in der Lage sind zu verstehen, dass nicht alle Schwierigkeiten mit Gewalt zu lösen sind.«19
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Politische Chronik des Abzugs
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Politische Chronik des Abzugs Der Abzugsvertrag vom Oktober 1990, eine Ergänzung zum unmittelbar zuvor beschlossenen Zwei-plus-Vier-Abkommen, hatte erste Details zu den Modalitäten der Heimkehr der sowjetischen Truppen bis Ende 1994 festgelegt. Als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht war Deutschland von den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition vollständig besetzt worden. In der »Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands« vom 5. Juni 1945 sowie in den Potsdamer Beschlüssen vom August 1945 hatten die Vier Mächte das künftig für Deutschland und für Berlin geltende Regelwerk bestimmt. Im Laufe des Kalten Krieges war es 1949 zur Spaltung Deutschlands und zur Gründung der beiden deutschen Staaten gekommen. Anfang Mai 1955 war die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO geworden und die Deutsche Demokratische Republik der Warschauer Vertragsorganisation beigetreten. Mit den ebenfalls im Mai in Kraft gesetzten Pariser Verträgen hatte die Bundesrepublik die staatliche Souveränität erhalten; die DDR erhielt ihre Souveränität durch den Staatsvertrag vom September 1955. Von der Übertragung des Selbstbestimmungsrechtes seitens der Siegermächte an die beiden deutschen Staaten unberührt blieben damals die VierMächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes und für Berlin. Diese Rechte und Verantwortlichkeiten erloschen nun mit dem »Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« vom 12. September 1990.20 Dieser legte nicht nur deren ersatzlose Ablösung fest, sondern auch eine künftige Zugehörigkeit Deutschlands zur NATO, was schließlich den Abzug aller sowjetischen Streitkräfte bis zum 31. August 1994 zur Folge hatte.21 Bereits seit Sommer 1990 berieten deutsche Bundes- und Landesbehörden die Westgruppe in zentralen Fragen des Aufenthaltes und des Abzugs, schließlich mussten sich die Streitkräfte nicht nur in veränderten politischen und wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und administrativen Verhältnissen in Deutschland zurechtfinden, sondern auch die enormen logistischen Herausforderungen des Abzugs bewältigen.22 Am 12. Oktober 1990 wurde der »Vertrag über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs sowjetischer Streitkräfte vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland« unterzeichnet. Auch wenn der Wortlaut des Vertrages dem Stationierungsabkommen von 1957 in vielen Punkten ähnelte, veränderte er doch grundlegend die rechtlichen und politisch-psychologischen Bedingungen der Stationierung. Die bis dahin praktizierte Gemengelage aus Relikten der Besatzungszeit und aus Rechten
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Der Abzug
des Warschauer Vertrags wurden nun abgelöst durch den Status einer Armee, die auf dem Territorium eines Partnerlandes stationiert war. Damit ging einher, dass alle Militäreinrichtungen ihrer bisherigen Exterritorialität verlustig gingen.
Forderungen und Herausforderungen Die »sanften Revolutionen«23 in Osteuropa hatten die europäische Sicherheitspolitik seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in hohem Maße verändert. Die Auflösung der Blöcke und der Warschauer Vertragsstrukturen machten strategische Planungen und Vorgaben auch für die sowjetischen Streitkräfte hinfällig. Hinzu kam, dass die Gorbatschow-Regierung aufgrund andauernder wirtschaftlicher Misserfolge stetig an Glaubwürdigkeit innerhalb der Bevölkerung einbüßte. Die angekündigten politischen Reformen auf Unionsebene begannen zu stagnieren, während sich in den Republiken demokratische Bewegungen mit einem starken Unabhängigkeitswillen durchsetzten. Die raschen und tief greifenden Veränderungen des politischen Systems wie auch der gesellschaftlichen Umstände trafen das Militär in besonderem Maße.24 Im Rahmen von Reformdebatten suchte es nach neuen sicherheitspolitischen und strategischen Konzepten, diskutierte eine angepasste Wehrverfassung und stellte das bewährte Verhältnis zur Politik in Frage. Die in Wien und Paris im November 1990 unterzeichneten Abkommen der KSZE forderten überdies innerhalb von vierzig Monaten eine deutliche Reduzierung der Rüstung. Die Gefahr eines Überraschungsangriffs sollte so gesenkt und die strategische Stabilität gestärkt werden.25 Dieser Vertrag wie auch die Veränderung der Kräfteverhältnisse in Europa nach der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation verlangten ultimativ nach einer Neuformulierung der Moskauer Militärdoktrin. Zwar galten die seit 1987 entwickelten Reformideen von einer »vernünftigen Hinlänglichkeit für Verteidigung«26 und einer grundsätzlich defensiven Orientierung weiter, doch musste die neue Doktrin an die veränderte Sicherheitslage angepasst werden. Wobei die Frage, ob die sowjetische Militärmacht in der bisherigen Form überhaupt erhalten bleiben sollte, im Mittelpunkt aller Debatten stand. Unabhängig von solchen grundsätzlichen politischen Infragestellungen arbeitete die Führung der Streitkräfte an einer internen Strukturreform mit doppelter Zielsetzung: Einerseits sollten die Kräfte an die nun geltenden defensiven Grundsätze angepasst werden, andererseits musste die Armee Potentiale hinzugewinnen, so dass sie ihren Verteidigungsauftrag künftig auch mit einer geringeren Zahl von Soldaten und Waffen erfüllen konnte. Das Verteidigungsministerium und mit ihr die konservativen Militärs versuchten mit
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aller Macht, die Streitkräfte zwar neu zu gliedern, die bewährte Form jedoch beizubehalten. Vertreter einer jüngeren Generation von Offizieren hingegen plädierten für grundlegende Veränderungen der Wehrverfassung, sie forderten eine tief greifende Reform innerhalb der Armee. Damit nicht genug, mussten auch die Beziehungen zwischen Zentrale und Republiken in Wehrfragen neu festgelegt werden. Hier existierten in Gestalt lokaler Selbstschutzwehren beziehungsweise paramilitärischer Verbände bereits Alternativen zum Gewaltmonopol der Unionsregierung. Zumindest wollten die Republiken nunmehr in Fragen der Verteidigung mitreden. Erschwerend für all diese Reformvorhaben wirkte sich die Tatsache aus, dass die im Haushalt festgelegten Verteidigungsausgaben für eine grundlegende Modernisierung der Streitkräfte nicht ausreichten. Durch Preissteigerungen, Wirtschaftskrisen und zusätzliche Belastungen wie Truppenabzüge konnte der Status quo kaum noch aufrechterhalten, geschweige denn einer prekären Zukunft angepasst werden. Die zum großen Teil öffentlich ausgetragenen Dispute wirkten sich selbstredend auch auf die innere Verfassung der Westgruppe aus. Das Militär, besonders aber das Offizierskorps, verlor rapide an Akzeptanz und Ansehen. Die Bildung eigener Armeen in den GUS-Republiken Anfang der neunziger Jahre27 sowie die Reduzierung der Truppenstärke führten auch zu Unsicherheiten über die beruflichen Perspektiven der Offiziere.28 Tatsächlich befanden sich diese in einer misslichen Lage: Einerseits bedeutete ihr Aufenthalt in Deutschland einen wirtschaftlichen Vorteil, um den man sie zu Hause beneidete. Andererseits standen sie unter dem Druck, schnellstmöglich zurückzukehren, um bei der Vergabe von attraktiven Dienstposten beim Neuaufbau der Armee nicht zu spät zu kommen. Zudem hatte ihr Selbstwertgefühl deutlich durch die Erkenntnis gelitten, im Gastgeberland weniger denn je als Befreier und »Sieger über den Faschismus« betrachtet zu werden, sondern nur noch als unwillig geduldete Fremde. In dieser Zeit gesellschaftlicher Neuorientierungen bemühten sich die Militärführungen in Moskau und Wünsdorf, der radikalen Auflösung des soldatischen Wertesystems durch neue politische Sinnstiftungen entgegen zu wirken. Ebenso wie in der Sowjetunion wurden nach dem Putsch im August 1991 auch in der Westgruppe sämtliche Aktivitäten der Kommunistischen Partei untersagt.29 Sämtliche Politorgane und Parteiorganisationen lösten sich auf; Politoffiziere wurden innerhalb kürzester Zeit zu modernen Volksbildnern umgeschult. Für die reformierte ideologische Schulung der Soldaten setzte man sie nun als so genannte Gehilfen der Kommandeure für die psychologisch-moralische Erziehung und Kampfausbildung ein. Die Einrichtung eines zeitgemäßen »Erziehungssystems« ohne analoge Strukturen in Staat und Gesellschaft führte jedoch nicht zum erhofften Umdenken in den Köpfen der Soldaten. Verletzungen der Disziplin innerhalb der Truppen blieben an der
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Der Abzug
Tagesordnung: Rekruten wurden weiterhin repressiven Maßnahmen »älterer« Dienstgrade ausgesetzt, Nationalitätenkonflikte zwischen den ethnischen Gruppen nahmen mit dem Auseinanderfall der Sowjetunion noch zu.
Alltag des Abzugs Auch bei den Berufssoldaten machte sich vermehrt Unsicherheit über die Entwicklung im Heimatland und über die eigene Zukunft bemerkbar. Die Truppenkommandeure sahen sich mit ganz neuen Problemen konfrontiert, wobei die von der Führung geforderte harte Hand nur selten zum Erfolg führte, was sich vor allem in einem rapiden Anstieg der Straftaten bemerkbar machte.30 Stabilisierend auf die innere Lage der Truppen wirkte sich aus, dass die Gehälter bis zum Abzug in Deutscher Mark gezahlt wurden und man sich durch die Einzahlung von Devisen in einen Fonds zur Finanzierung von Wohnungen einen Anspruch sichern oder aber im Stationierungsland langlebige, qualitativ hochwertige Waren kaufen konnte. Was für die Stimmung innerhalb der Truppe von Vorteil zu sein schien, zeitigte allerdings auch negative Folgen: So versuchten Militärangehörige auf gesetzlichem wie ungesetzlichem Wege, möglichst schnell an viel Geld zu kommen. Soldaten verkauften tagsüber an den Straßenecken Zigaretten oder musizierten für Geld in den Stadtzentren. Im Rahmen der Militärhandelsorganisationen entwickelten sich mafiaähnliche Strukturen. Aufgrund zunehmender Vorkommnisse in den Kasernen, aufgrund von Fahnenfluchten, Waffendiebstählen sowie allgemeiner Disziplinlosigkeit wurde Boris Snetkow im Dezember 1990 per Präsidentenerlass durch Matwej Burlakow als Oberkommandierender abgelöst. Der hoch dotierte Militär war nicht mehr Herr der eskalierenden Lage gewesen.31 Am rapiden öffentlichen Ansehensverlust der in Deutschland stationierten Streitkräfte hatten auch deutsche Organisationen ihren Anteil, selbst wenn diese in bestem Sinne handelten. Unter dem Motto »Ihr Hilfspaket für einen Sowjetsoldaten in Thüringen« etwa hatte der Vorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz Ende Dezember 1990 zu einer Spendenaktion aufgerufen. Die Sammlung zum russisch-orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Januar sollte den Organisatoren zufolge Feindbilder abbauen und der Völkerverständigung dienen: »Jeder russische Soldat, dem wir helfen, wird nach seiner Rückkehr ein Botschafter des demokratischen Deutschland sein.«32 So versäumte man auch nicht anzumahnen, dass angesichts der Not sowjetischer Soldaten in den östlichen Bundesländern jene Hilfsbereitschaft nicht vergessen werden sollte, die die Deutschen nach dem Krieg durch die Care-Pakete der Amerikaner erfuhren. Es fehle den Sowjets an Grundnahrungsmitteln, viele müssten hungern, suchten in Abfalltonnen nach etwas Essbarem, verkauften Ausrüstungs-
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gegenstände, um sich Obst zu kaufen. Die Menschen fühlten sich in ihrem Bild von den unterprivilegierten, hilflosen Nachbarn im Osten bestätigt und packten 25.000 Weihnachtspakete. Die Armeeoberen zeigten sich über solche Aktionen nicht erfreut. Zwar war es trotz der Arbeit deutscher Beratergruppen in den ersten Monaten nach der Währungsumstellung zu Versorgungsengpässen gekommen. Dass Wehrdienstleistende jedoch gezwungen waren, in bundesdeutschem Hausmüll zu wühlen um nicht zu verhungern, war fern der alltäglichen Wirklichkeit. Und so kam die gute Miene, die man bei der deklassierenden Übergabe der neuerlichen Care-Pakete machen musste, so manchem Kommandeur vor Ort sehr schmerzlich an. Die unvorbereitete Begegnung mit westlichem Konsum, mit westlicher Lebensart überhaupt, führte bei einem Teil der Militärs zu schwerwiegenden psychologischen Folgen. Der Zusammenbruch ideologischer Leitbilder, die Aussöhnung mit dem Westen und die in den Massenmedien gefeierte Transformation Deutschlands zu einem bewunderungswürdigen Hort der Demokratie und Prosperität forderten die Angehörigen der Streitkräfte nach einer anfänglichen Lähmung heraus, den zeitlich begrenzten Aufenthalt in Deutschland maximal zu nutzen, um sich für die erlittenen Entbehrungen der Vergangenheit und die erwartbaren Einbußen in der Zukunft zu entschädigen.
Zwischen den Fronten Mancher Militär musste sich nach 1989 zwischen der Rückkehr in die von Krisen geschüttelte Heimat und einer möglichen Flucht in die Fremde einer westlichen Wohlfahrtsgesellschaft entscheiden. Es sei eine schwierige Wahl, schrieb die Krasnaja Zvezda, denn »in Deutschland sieht der Offizier den Glanz der Mercedes-Limousinen, während am nächsten Einsatzort hinter dem Baikal eine baufällige Baracke und in Wilna die Rufe ›Okkupant‹« warteten.33 Die angesichts der anwachsenden Desertionen nun von der Militärführung erlassenen Maßnahmen waren ebenso bewährt wie zweifelhaft: Verstärkung der »politisch-patriotischen Erziehung« hieß die alte, neue Wunderwaffe der Führung, sich Loyalität zu ertrotzen. Dazu gehörten auch die vorzeitige Abschiebung von auffälligen Soldaten in die Heimat sowie »Sondermaßnahmen« des sowjetischen Geheimdienstes, obwohl es diesen in den Reihen der Armee offiziell gar nicht mehr geben sollte. Agenten durchkämmten Asylbewerberheime, spürten Abtrünnige auf, bedrohten und verhafteten sie.34 Sowjetische Armeezeitungen berichteten regelmäßig über die Aussichtslosigkeit von Fluchtversuchen; Propaganda, die an der Wahrheit nicht gänzlich vorbeiging: So hatten die Vertreter der sowjetischen Hauptstaatsanwaltschaft anlässlich eines Besuches in der westdeutschen Botschaft in Moskau im August 1990
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auch zur Fluchtproblematik Stellung genommen. Die Staatsanwälte gaben den Statthaltern vor Ort zu verstehen, dass die in der DDR eingespielte Zusammenarbeit in Bezug auf Desertionen auch weiterhin praktiziert werde sollte. Ihnen wurde seitens des Botschaftsvertreters zur Antwort gegeben, dass sowjetische Soldaten ohnehin kein politisches Asyl in Deutschland zu erwarten hätten.35 Sollte die betreffende Person desertieren, ohne eine weitere Straftat auf deutschem Territorium zu begehen, würde sie unverzüglich an die Sowjetunion ausgeliefert. Allein im Falle, der Fahnenflüchtige verübe eine Straftat gegen deutsche Bürger, würde ihm in der Bundesrepublik der Prozess gemacht werden.36 Bis Ende 1991 wurden 241 Asylanträge bei deutschen Behörden verzeichnet.37 In Wünsdorf ging man insgesamt von etwa tausend Militärpersonen aus, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhielten, aber nicht in jedem Fall Antrag auf politisches Asyl stellten. Die Internationale Gemeinschaft für Menschenrechte spricht von etwa 600 Desertionen von Angehörigen der Westgruppe bis 1994.38 Wie viele Gesuche insgesamt gestellt worden sind und wie vielen davon stattgegeben wurde, lässt sich kaum mehr herausfinden. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag vom Dezember 1996 erklärte die Bundesregierung, dass sie über keinerlei Statistiken verfüge.39 Die Brisanz des Problems verstärkte sich noch, nachdem bekannt wurde, dass abgeschobene Fahnenflüchtige in der Russischen Förderation nicht nur aufgrund von Desertion, sondern sogar wegen »Vaterlandsverrates« verurteilt wurden.40 Als Begründung für dieses harte juristische Vorgehen diente den russischen Militärgerichten die Tatsache, dass die Antragsteller in deutschen Aufnahmeheimen vom Bundesnachrichtendienst sowie von amerikanischen und britischen Auslands-Geheimdiensten befragt worden waren.41 So sahen die Moskauer Gerichte in vielen Fällen den Verdacht des Geheimnisverrates gegeben. Die Desertion sowjetischer Soldaten stellte ein schwieriges Problem im beiderseitigen Verhältnis dar. Das Grundgesetz der BRD garantierte jedem fahnenflüchtigen Soldaten das Recht, als politisch Verfolgter Asyl zu beantragen. Wobei sich aus der Fahnenflucht allein noch kein Anspruch auf ein Bleiberecht ergab. Den Soldaten könne man ruhig mitteilen, schlug das Sächsische Innenministerium 1991 vor, dass die betreffenden Gesuche in der Regel abgelehnt und die Antragsteller in die Heimat »abgeschoben« werden würden.42 Die sowjetischen Militärbehörden betrachteten die Flüchtigen als üble Straftäter, gegen die man, schon um der Disziplin der Truppe willen, besonders hart vorgehen musste. Der brutale Aktivismus des sowjetischen Geheimdienstes schien den deutschen Instanzen allerdings bedenklich, weshalb man die Partner in den Sitzungen der Gemischten Kommission wiederholt zur Zurückhaltung ermahnte.43 Freilich ohne durchgreifenden Erfolg, denn die ausgesandten Ergreifungstrupps arbeiteten unverdrossen bis zum Abzug der Truppen.
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Politische Chronik des Abzugs
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Die wohl nicht ganz ernst gemeinten Prophezeiungen des sowjetischen Außenministeriums bewahrheiteten sich allerdings nicht. Dieses soll auf Anfrage eines deutschen Diplomaten nach der Dimension der zu erwartenden Fahnenfluchten die lapidare Antwort gegeben haben: »Rechnen Sie mit allen 380.000.«44 Zu aussichtslos schienen solche Anträge zu sein, zu wenig gesichert eine Zukunft im fremden Land. Bis 1993 war kein einziges Asylgesuch seitens der Bundesbehörden positiv entschieden worden. Dies sprach sich natürlich auch innerhalb der Truppe herum. Für den Bevollmächtigten der Bundesregierung für den Abzug der Westgruppe, Generalmajor Hartmut Foertsch, ließ sich das Ausbleiben massenhafter Asylgesuche ganz einfach erklären: »Der Russe« lebe »von seiner Mentalität« her lieber in einer »geborgenen Gemeinschaft«. Und diese fand er eben nur in seiner Heimat.45
Nachrufe Neben individuellen Straftaten, begangen von Angehörigen der Westgruppe, erzürnten die Einheimischen vor allem die vielen, unmittelbar vor dem Abzug begangenen Umweltfrevel. Betriebsstoffe wurden vielfach unsachgemäß in Gebrauch genommen respektive entsorgt, Schrott, Siedlungsabfälle und Munition wurden beliebig abgelagert oder gar offen verbrannt. Vier Jahrzehnte lang hatten die Streitkräfte ihren Müll selbst auf die Halden gefahren, seit 1990 jedoch war es nur noch zugelassenen Entsorgungsbetrieben erlaubt, die kommunalen Deponien anzufahren. Diese ungewöhnlichen finanziellen Belastungen wollten beziehungsweise konnten die örtlichen Militärverwaltungen nicht tragen. Dennoch: Nur ein Bruchteil der Umweltsünden, welche die Ostdeutschen in den Nachwendejahren am meisten ärgerten,46 war auf die Streitkräfte zurückzuführen. Die Anteile der Westgruppe und der Nationalen Volksarmee machten an der Negativ-Bestandsaufnahme aller Umweltverletzungen, welche die Landesumweltämter erhoben, nur einen vergleichsweise geringen Teil aus. Die Altlasten und die Luftverunreinigung an den Industriestandorten, der Sonderabfall auf Hausmülldeponien, die Überbleibsel eines internationalen Mülltourismus, die Abwassereinleitung in Gewässer durch Industrie, Handel und Gewerbe sowie die illegale Abfallentsorgung besonders in ländlichen Gegenden wogen deutlich schwerer.47 Doch eine Mehrheit der Ostdeutschen wollte von diesen exorbitanten Verfehlungen im eigenen Verantwortungsbereich nichts wissen. Angeheizt durch reißerische Presseveröffentlichungen,48 glaubten sie gerne, »die Russen« seien die übelsten aller Umweltsünder und Straftäter. Diese hielten als probate Sündenböcke im wahrsten Sinne des Wortes her: Beladen mit all den negativen physischen und psychischen Hinterlassenschaften des Sozialismus konnte man sie »zum Tor hinaustreiben« – und
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in die Wüste des Ostens zurückschicken. Die abziehenden Russen gaben in den Jahren unmittelbar nach dem Ende der DDR eine Projektionsfläche für die Verschiebung von Schuld ab. In dem Maße, wie es zuvor Mittäterschaft und Mitläufertum seitens der DDR-Bürger gegeben hatte, kam es nun zu einer massiven und massenhaften Verteufelung – wobei die Mehrheit gar nicht willens und fähig war, das Ausmaß der eigenen Verantwortung für die Vergangenheit ins Bewusstsein kommen zu lassen. Simple Stigmatisierungen vermochten von der eigenen Schuld abzulenken – als alleinige Schuldige an der Misere wurden daher die Besatzer wie auch die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und des Politbüros der Partei gebrandmarkt.49 Mit dieser ebenso rigorosen wie entlastenden Abspaltung und Verschiebung eigener Verantwortung und Probleme auf die abziehende Besatzungsmacht ging noch ein anderes Phänomen einher: Unmittelbar mit dem Systemwechsel wurde vieles entwertet und entehrt, was zuvor geehrt, hoch gehalten und mithin sogar geliebt wurde. Dabei handelte es sich um tragende Konstrukte und Konstanten des bisherigen Lebens. Vieles Vertraute wurde nun zum Objekt von Aggression, war zur Destruktion und Vernichtung frei gegeben. Man beteiligte sich sogar selbst an dessen Zerstörung. Auch diese unterschwellig empfundene neue Schuld infolge der Zerstörung des ehedem Eigenen und Heiligen ließ sich schnell und einfach auf »die Russen« projizieren. Gerade in jener Zeit großer psychosozialer Konflikte führten solchermaßen gemeinschaftlich bestätigte Sündenböcke zu deutlichen Entlastungen.50 Verunsichert aufgrund prekärer Zukunftsaussichten, kam es Anfang der neunziger Jahre auf beiden Seiten zur rigorosen Aushebelung bisheriger Normen des gegenseitigen Umgangs. Vor der Heimkehr der Truppen galten unvermittelt ganz neue Alltagsgesetze, alles schien erlaubt und vieles Bewährte nicht mehr möglich zu sein. Hinzu kam auf beiden Seiten das Gefühl einer tief greifenden Erniedrigung. Eben noch als mächtige Besatzungsmacht hofiert, diffamierten die öffentlichen Infragestellungen die einstigen Freunde als »unzivilisierte Besatzer«. Öffentlich und ungehemmt berichteten vor allem die Medien immer wieder von Kriminalität, ökonomischem Frevel, Korruption und moralischem Sumpf. Dabei konnten die so Gedemütigten nicht wissen, dass diese Zuschreibungen im Kern nur weitergereicht wurden – ähnlich lautende Anklagen formulierten westdeutsche Medien in dieser Zeit auch gegenüber den Ostdeutschen.51 Die Suche nach geeigneten Sündenböcken innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft während der ersten Hälfte der neunziger Jahre trieb die Beziehung zwischen den dort stationierten Streitkräften und den Bürgern in ein ganz besonderes sozialpsychisches Feld. Es entstand eine Situation, die keineswegs geeignet scheint, als Grundlage für eine Untersuchung des Jahrzehnte andauernden Besatzungsalltags zu dienen. Viele Phänomene und Probleme, die sich während des Abzugs so unvermittelt den Weg bahnten, waren zwar lange
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Fragehorizonte
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zuvor angelegt worden, doch wirkte die unmittelbare Umbruchzeit mit ihren Triebkräften Schuld und Angst als ein außerordentlicher Katalysator. Seit 1989 befand sich diese Beziehung in einem Ausnahmezustand, dessen strukturelle Elemente ein halbes Jahrhundert vorhanden waren. Der Geschichte dieser Besatzungs- und Beziehungsrealitäten, dieses Tag für Tag gelebten deutsch-sowjetischen Alltags, soll Gegenstand der folgenden Untersuchung sein.
Fragehorizonte Vergegenwärtigt man sich, dass in der abgeschotteten DDR die Bevölkerung fast ein halbes Jahrhundert lang Haus an Haus mit über einer halben Million »Besatzern« lebte, kann man mit Fug und Recht annehmen, dass beider Verhältnis mit politischen Kategorien wie »Sowjetisierung« oder »sowjetische Einflussnahme« nicht hinreichend beschrieben werden kann.52 Keineswegs waren die Bürger der DDR ausschließlich Adressaten, Objekte und Opfer von Moskauer und Ost-Berliner Machtstrategien. Unzweifelhaft prägten sowjetische Vorgaben und Vorbilder in starkem Maße die Strukturen der sich entwickelnden Gesellschaft – und damit auch die Bedingungen ostdeutschen Alltagslebens. Daher gilt es, eine Politik-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte der sowjetischen Besatzung aufzuzeigen und gleichzeitig um einen kulturgeschichtlich orientierten Ansatz zu erweitern. Eine solche Kombination historiographischer Zugriffe soll es ermöglichen, zunächst die spezifischen Rahmenbedingungen dieser Besatzung aufzuklären. Überdies vermag sie die vielfältigen Interaktionen und Interdependenzen, Begegnungen und sogar Beziehungen zwischen Institutionen und ihren Protagonisten zu erfassen. Das Buch stellt sich die Aufgabe, die realen Gegebenheiten dieser sowjetisch-deutschen Besatzungsgeschichte über einen langen Zeitraum, nämlich von 1945 bis 1994, zu verfolgen. Die Perspektive über nahezu ein halbes Jahrhundert offenbart sowohl Konjunkturen, Kontingenzen wie auch überraschende Kontinuitäten. Eine über beinahe fünf Jahrzehnte angelegte Untersuchung freilich muss sich Beschränkungen gefallen lassen: Während die Rahmenbedingungen der Besatzung, ihre Gesetze, Strukturen und Fakten im Folgenden für die DDR als Ganzes behandelt werden, sollen »dichte Beschreibungen« anhand von drei ausgewählten Orten detailliert über den Besatzungsalltag Aufschluss geben. Am Beispiel der Elbmetropole Dresden, der mittleren Kulturprovinz Weimar und der an einem Truppenübungsplatz gelegenen thüringischen Siedlung Nohra werden spezifische Kristallisationsorte von Nahkontakten53 ausgemacht und auf ihre Geschichte und ihre Geschichten hin befragt. Solche Orte, eine bestimmte Kneipe, die Gartensparte, das Haus der
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Offiziere, das Kaufhaus, der Fußballplatz oder auch die Fabrikhalle und das Erntefeld vermögen es, differenziert Aufschluss über die jeweiligen Be-Deutungen der Besatzung seitens ihrer Protagonisten zu geben. Die Annäherungen von DDR-Bürgern und Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte entstanden in einem ambivalenten Feld: Einerseits reizten die Partei- und Regierungsoberen der DDR die Propagierung der deutsch-sowjetischen Freundschaft bis an ihre Grenzen aus: Der Präsenz der immergleichen Formeln und Floskeln konnte kaum ein Zeitgenosse entgehen, vielmehr hatte er sich – auf einer Skala zwischen Zustimmung und Verweigerung – zu ihnen zu verhalten. Auf der anderen Seite versuchten vor allem die Befehlshaber der Streitkräfte, enge Kontakte zwischen dem Militär und der Bevölkerung zu vermeiden. Allein mit dem Verweis auf Zwänge des Militärischen lässt sich diese rigide Abschottung nicht erklären. Auch die Angst vor Geheimnisverrat, vor Spionage und vor feindlichen Anschlägen taugt nicht als hinreichende Erklärung für die zuweilen paranoiden Verhinderungsstrategien, obwohl auch diese Aspekte zweifellos zu gewichten sind. Zur Erklärung soll ein weiterer Interpretationsansatz herangezogen werden: Wir-Gruppen im Sinne nationaler Gemeinschaften zeigen seit jeher besondere Merkmale, die ihr Verhältnis zum Raum, zu ihrer Umwelt bestimmen. Dabei scheint es ein verbreitetes Phänomen zu sein, dass Gruppen und in diesen aufgehobene Individuen das eigene Territorium idealisieren, ihm alles Gute und Ganzheitliche anheften, während sie alles Schlechte und Fragmentierte der Außenwelt beziehungsweise Teilen von ihr zuschreiben. Das fremde Territorium jenseits dieser Grenze wird so – auch in Friedenszeiten – als Projektionsfläche zur eigenen Stabilisierung nutzbar gemacht. Wir haben es im vorliegenden Fall von Anfang an mit ganz unterschiedlichen Formen von materialen wie symbolischen Grenzverletzungen zu tun. So hatte die Bevölkerung damit umzugehen, dass die gefürchteten Fremden, in der Diktion nationalsozialistischer Propaganda die Feinde und »Untermenschen«, in das eigene Territorium eingedrungen waren und sich über Jahrzehnte als siegreiche Besatzer einrichteten. Die Russen hingegen mussten hinnehmen, dass ihr Selbstbild als Träger einer fortschrittlichen Kultur angesichts des hohen Lebensstandards, auf den sie hier trafen, immer mehr in Frage gestellt wurde. Die Folge waren wechselseitige Zuweisungen von Unterlegenheit und kompensatorische Vergewisserungen der eigenen Macht und Größe. Vorurteile, der »Russe« sei gutmütig und gastfreundlich, aber auch gefährlich, trinkfreudig, schmutzig und faul, schienen sich im Alltag ebenso zu bestätigen wie die Annahme, der »Deutsche« pflege zwar intensiv die Kultur, sei aber engstirnig und unberechenbar. Aufgrund seines überdimensionierten Pflichtbewusstseins verstand er es überdies nicht, das Leben zu genießen. Es scheint, als hätte vor allem die Wahrnehmung kultureller Unterschiede im Zusammenwirken mit den spezifischen Bedingungen der Besatzung die
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Machthaber auf beiden Seiten dazu veranlasst, die Eigenen von den Anderen fernzuhalten. So sollten sich die Sowjetsoldaten auch weiterhin als einzigartige Künder einer großen sozialistischen Zukunft fühlen, als stolze Träger der gerechtesten Gesellschaftsordnung, die es gemäß marxistisch-leninistischer Lesart je geben würde. Auch für die DDR-Bürger, deren Vorurteile sich angesichts der hinter den Kasernenmauern wahrgenommenen Härten und angesichts der Erzählungen Angehöriger der Streitkräfte über ihr Heimatland zu bestätigen schienen, war es schwer vorstellbar, ihre Zukunft in der Sowjetgesellschaft zu suchen. Will man die sowjetische Besatzungsgeschichte erforschen, ist es notwendig, die oktroyierten und die freiwilligen Annäherungen der Akteure in ihren vielen Ausprägungen über die Zeiten und Generationen hinweg aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang sollen mehrere Paradigmen zusammengedacht werden: das räumliche, das soziale und das generationelle Paradigma: Das räumliche Paradigma fragt nach den jeweiligen Interaktionsformen und deren räumlichen Ausgestaltungen: Distanz und Nähe bestimmten in großem Maße Erwartungen voneinander und Erfahrungen miteinander. Vor Ort lebten Besatzer und Deutsche als Nachbarn. Hier traf man nicht allein als politische Bündnispartner zusammen, sondern auch als kulturell geprägte Individuen. Oftmals standen diese Nahkontakte in einem krassen Widerspruch zu den offiziell vermittelten Begegnungen. Zu erfragen sind deshalb die spezifischen Bedingungen, unter denen man in den unterschiedlich angelegten Garnisonsstädten zusammentraf. So könnte es in der weitgehend anonymen Großstadt Dresden, sieht man von unmittelbaren Nachbarschafts-, Freundschafts- und Berufsbeziehungen ab, womöglich nur zu flüchtigen Wahrnehmungen zwischen Stationierten und Einheimischen gekommen sein. Zwar fielen die Fremden auch hier im Stadtbild auf, doch ist zu erwarten, dass die fast eine halbe Million Einwohner zählende Großstadt höchstens passagere Annäherungen ermöglichte. In Weimar hingegen trafen 60.000 Bürger fast tagtäglich auf über 10.000 Angehörige der Streitkräfte. »Die Russen« lebten inmitten des kleinräumigen Stadtensembles, sie arbeiteten in deutschen Betrieben und trieben in öffentlichen und semiöffentlichen Räumen Handel. In der Siedlung Nohra trafen 500 Einwohner auf über 5.000 Armeeangehörige. Hier bestimmte die Garnison den Rhythmus des Alltags in erheblichem Ausmaß. Das soziale Paradigma fragt nach Interaktionsformen und nach deren sozialen Trägerschichten: Es ist davon auszugehen, dass Angehörige einzelner Gruppen in unterschiedlichem Maß und auf je spezifische Weise mit den stationierten Streitkräften zusammentrafen. So scheinen vor allem die Eliten der Bezirks- und Zentralebenen in einem fest gefügten, institutionalisierten und formalisierten Rahmen agiert zu haben. Praktiken vor Ort dürften sich bei dieser Klientel in hohem Maße an den vorgeschriebenen ideologischen Maßgaben orientiert haben.
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Funktionäre auf den regionalen Ebenen interagierten zwar auch innerhalb der politisch induzierten Sollstellungen, doch ist anzunehmen, dass ihre überschaubaren Kompetenzen, ihre bescheidene Verfügungsgewalt über Ressourcen sowie ihre beachtlichen Kontaktnetze die Möglichkeit schufen, mit den sowjetischen Militärs vor Ort differenzierte Beziehungen einzugehen. Hierfür dürfte eine ganze Bandbreite von Kommunikations- und Handlungsformen ausgebildet worden sein. Aus diesen zumeist wirtschaftlich begründeten gemeinsamen Unternehmungen entstanden ebenso verlässliche wie verschwiegene Partnerschaften. Die Werktätigen und Arbeiter schienen von professionellen Kooperationen größeren Stils ausgeschlossen, was nicht bedeuten musste, dass es nicht auch hier zu Berührungen kam. Gemeinsamkeiten wurden mutmaßlich jedoch nicht institutionell, nicht formell und nicht politisch aufgeladen, sondern in der Freizeit, im Sportverein, in der Kneipe, zu kleinen Geschäften, zum gemeinsamen Feiern oder zu unliebsamen Zwischenfällen gelebt und erlebt. Das generationelle Paradigma: Es scheint, als sei die Aufbaugeneration in besonderer Weise an der Begründung und am Erhalt der über Jahrzehnte andauernden deutsch-sowjetischen Beziehungen beteiligt gewesen. Die Angehörigen dieser Generation betrachteten »die Freunde« als eine politische wie strukturelle Vor-Gegebenheit, die man ganz pragmatisch in die eigenen politischen oder ökonomischen Strategien einzubauen hatte. Vor allem die standortnahen, mittleren Funktionseliten dieser Generation entwickelten von den sechziger Jahren an vielfältige erfolgreiche Muster im Umgang mit den stationierten Streitkräften – und trafen dabei auf Repräsentanten der sowjetischen Frontkämpfer und Kriegskinder. Aus dieser Gemengelage sowjetischer und ostdeutscher Kriegs-Generationen dürften sich nicht wenige Spannungen ergeben haben. Im folgenden sollen die alltäglichen Besatzungspraxen und deren Implikationen nachgezeichnet werden. Die mit der Präsenz der Streitkräfte verknüpften Mythen und deren Medien seien einer weiteren Publikation vorbehalten.54 Kapitel zwei des vorliegenden Buches behandelt chronologisch gesehen die Zeit vom Einmarsch der Roten Armee 1945 bis Anfang der sechziger Jahre. Inhaltlich umfasst es die Phase der Besetzung, die Zeit politischer und territorialer Definitionen: Erwartungen und Erfahrungen unmittelbar bei Kriegsende, Konsolidierungsbemühungen ab 1947, der Volksaufstand von 1953, der Staatsvertrag von 1955 sowie das Stationierungsabkommen von 1957 und schließlich der Bau der Mauer prägten diese ersten anderthalb Jahrzehnte. Kapitel drei beschreibt die nachfolgenden drei Dezennien bis zum Ende der DDR und darüber hinaus. Diese Zeit soll hier als Phase der Besatzung charakterisiert werden. Es sind die Jahre der Ausformung und Ausprägung pragmatischer und praktikabler Besatzungs-Usancen, die erst während der achtziger
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Jahre infolge des Krieges in Afghanistan und der Infragestellungen durch Glasnost und Perestroika entscheidende Erosionen erfuhren. Mit dem Schlusskapitel wird die Phänomenologie dieser Besatzung unter den Auspizien einer Theorie wechselseitiger Grenzziehungen analysiert und synthetisiert. Hier sollen die Prozesse und Regulative notwendiger Kompromissfindungen vorgeführt und bewertet werden. Die Arbeit schließt mit Annäherungen an die Frage: Was bleibt nach einem halben Jahrhundert geteilten Raumes und geteilter Zeit?
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2 Die Zeit der Besetzung: Vom Kriegsende bis 1961
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Abb. 2: »Ruhm und Ehre den unbesiegbaren Streitkräften der sozialistischen Staaten!«: Propagandaszenerie vor dem ehemaligen NS-Gauforum in Weimar (fünfziger Jahre)
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2.1 »Die Russen kommen …« Am 3. Januar 1947 befahl der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen den Kommunalbehörden der Klassikerstadt, rings um seinen Amtssitz im ehemaligen Weimarer »Gauforum« einen drei Meter hohen Bretterzaun zu errichten, obgleich zu diesem Zeitpunkt bereits ein schlichter Metallzaun den Standort umgab. Die Forderung, stattdessen dicke Holzbohlen aufzustellen, diente weniger dem Schutz vor Eindringlingen als dem Bedürfnis, fremde Blicke abzuwehren. Die Passanten sollten künftig nur noch die martialischen Fassadenbilder wahrnehmen, Bilder, die die Verdienste der Sowjetunion und deren Statthalter in Deutschland rühmten.1 Hinter den neuen Palisaden, auf dem großen Platz selbst, rankten sich Rosen, Pelargonien und Stiefmütterchen großflächig zu Sowjetsymbolen – und vor der einstigen nationalsozialistischen Versammlungshalle fand nun eine vergoldete Stalin-Statue ihren Platz. Die Thüringer Besatzungsbehörde wusste sich mit ihren Bemühungen um Separierung in guter Gesellschaft. Bereits Anfang 1946 hatte eine rigide Einhegung der Truppen begonnen: Überall in der Sowjetischen Besatzungszone verschwanden die Streitkräfte hinter Bretterzäunen. Außerdienstliche Kontakte zwischen Besatzern und Deutschen standen von nun an unter Strafe. Dass es bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt zur Aufnahme von persönlichen Kontakten zwischen den Besatzern und der deutschen Zivilbevölkerung gekommen war, bedarf der Erklärung, schließlich waren beide Anfang 1945 als erklärte Todfeinde aufeinander getroffen. Nur zu genau glaubte man damals zu wissen, wen man im Anderen vor sich hatte. Während dieses Kapitel zunächst einen kursorischen Überblick über die Geschichte der Bilder und Stereotypen geben wird, rekonstruiert das nachfolgende Kapitel erste Begegnungen in den letzten Kriegsmonaten und in den Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit. Mit der Oktoberrevolution in Russland 1917 und mit der Entstehung des ersten sozialistischen Staatswesens wurden nicht nur in der neu gegründeten Sowjetunion selbst, sondern in ganz Europa heftige, politisch motivierte Gefühle freigesetzt2: Im In- wie im Ausland grassierten Revolutions- und Bedrohungsängste. Regierungen wie Bürger fürchteten, das rote Russland könnte auch in anderen Ländern zum Paten kommunistischer Umstürze avancieren. Freilich verfügte die Mehrzahl der Deutschen zwar über zwiespältige Bilder vom »Russen« beziehungsweise von Russland, nicht aber über ein differenziertes Wissen. Zum einen fühlten sie sich, was ihre eigene Lebensführung betraf, weit überlegen; andererseits hatten sie Angst vor diesen vermeintlich »unzivilisierten« Menschen.3 Eine Minderheit innerhalb der Arbeiterbewegung wie der Intelligenz idealisierte die Sowjetunion aufgrund ihres revolutionären Programms.4
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Auch das Verhältnis der Russen zu den Deutschen gestaltete sich in den zwanziger Jahren ambivalent. Man bewunderte den westlichen Nachbarn zwar für seine Leistungen; Künstler und Politiker lobten aus eigener Anschauung die deutsche Kultur. Gleichzeitig aber verspürte die Mehrzahl der Russen eine Abneigung gegen den in ihren Augen übermäßigen deutschen Fleiß sowie gegen deren »kleinbürgerliche Lebensweise«. Vor allem russische Literaten entlarvten »die Deutschen« gerne als Einfaltspinsel, als Menschen, die leicht hinters Licht zu führen waren.5 So lässt sich von einer Beziehungsgeschichte zweier heterogener Völker und Staaten ausgehen, die von einer »doppelten Asymmetrie« geprägt war: Den Gefühlen kultureller und sozialökonomischer Überlegenheit seitens der Deutschen stand ein Bewusstsein machtpolitischer und moralischer Superiorität auf russischer Seite gegenüber.6 Aus dieser Gemengelage gebaren sich einerseits Reaktionen phobischer Abwehr und andererseits emphatische Zuwendung, die sich sogar in Bündnisplänen und realen Bündnissen materialisierten. Der jeweils Andere avancierte zum Objekt und Komplementär eigener Größenphantasien, ein entsprechender »Russland-Komplex« wie ein analoger »deutscher Komplex«7 bildeten das mentale Spannungsfeld, in welches während und nach dem Ersten Weltkrieg »totale Energien« generiert wurden, die im Bolschewismus beziehungsweise im Nationalsozialismus zur Eskalation gelangten.
Das sowjetische Bild von »den Deutschen« im Zweiten Weltkrieg Trotz dieser durchaus kritischen Wahrnehmungsgeschichte fehlte sowohl Stalin als auch der sowjetischen Bevölkerung im Sommer 1941 nicht nur eine psychologische Bereitschaft zur militärischen Auseinandersetzung, sondern auch ein klares deutsches Feindbild, erst im Laufe des Krieges nahm der Gegner konkrete Gestalt an. Abhängig von Vor-Erfahrungen, über die der Einzelne verfügte, von seiner sozialen Herkunft, von seiner Dienststellung innerhalb der Armee, von seinem Bildungsniveau sowie von nationalen, kulturellen und religiösen Spezifika gestaltete sich die Wahrnehmung des Feindes dabei jeweils unterschiedlich. Vor allem war die individuelle Kriegsbiografie für die Ausprägung eines spezifischen Gegnerbildes bestimmend, was allerdings auch bedeutete, dass dieses Bild im Verlauf militärischen Handelns immer wieder Wandlungen erfuhr.8
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Deutsche = Faschisten So konzipierten die Kriegspropagandisten zunächst noch ein orthodox-marxistisch-leninistisches Feindbild. Man erwartete, dass sich der »einfache Deutsche« mit dem russischen Volk solidarisieren werde, denn schließlich lebe dieses ja selbst »in Angst und unter unmenschlichen Entbehrungen, mit Hunger, Armut und Tod«.9 Bestärkt wurden solche anfänglichen Hoffnungen auf eine Verbrüderung durch Presseerklärungen deutscher Emigranten, die sich nicht vorstellen wollten oder konnten, dass die deutsche Bevölkerung einen solchen Feldzug mitmachen würde: »Hitler hat das Sowjetland gegen den Willen und den Wunsch des deutschen Volkes überfallen. Die deutschen Arbeiter, die Bauern und die Intelligenz sind vom Gefühl der Freundschaft gegenüber der Sowjetunion erfüllt und wünschen, mit ihr in Frieden zu leben.«10 So zeigte sich die sowjetische Bevölkerung zunächst wenig beeindruckt, wenn von deutschen Gräueltaten die Rede war. Erst mit der zunehmenden räumlichen Nähe zur vorderen Frontlinie nahmen Besorgnis und Ängste zu. Binnen weniger Monate erfuhren die Propagandastrukturen und -inhalte eine radikale Umgestaltung. Kriegskommissare und Politische Leiter übernahmen nun auf allen Ebenen der Armee die ideologische Erziehung der Truppe, unterstützt wurden sie von einem Heer von Pressemitarbeitern. Jetzt ließ man zwischen »Deutschen«, »Faschisten« und »Feinden« kaum noch eine Unterscheidung zu – weder an der Front noch innerhalb der Bevölkerung. Von der Titelseite des Propagandist Krasnoj Armii verschwand die Losung »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« zugunsten der Losung »Tod den deutschen Okkupanten!« Die Gleichsetzung von »Deutschen« und »Faschisten« beherrschte fortan bis Kriegsende und noch darüber hinaus die Köpfe und Herzen der Menschen. Schriftsteller wie Ilja Ehrenburg, die mit ihren martialischen Aufrufen mehr und mehr auf Akzeptanz stießen, machten alle vormaligen Differenzierungen des Gegnerbildes vergessen: Wir werden nicht reden. Uns nicht empören. Wir werden töten. Wenn Du nicht an einem Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, ist Dein Tag verloren. […] Töte den Deutschen!, bittet Dich die alte Mutter, Töte den Deutschen!, fleht Dich Dein Kind an. Töte den Deutschen!, schreit Mutter Erde. Verfehle Dein Ziel nicht, laß niemanden aus. Töte!11
Mit der Zeit nahm das Feindbild immer konkretere Züge an. Der Deutsche galt nicht mehr als »unbesiegbare Maschine«; mit zunehmendem Leiden der Bevölkerung verwandelte er sich vielmehr zur entmenschlichten »Bestie«, mit der man entsprechend umzugehen hatte.12 Die nun verfolgte Linie einer uneingeschränkten Erziehung zum Hass fügte sich gut in die neuen militärischen Absichten der Roten Armee, den Krieg bis zum Ende des Jahres 1942 zu gewinnen. Vor allem an vorderster Front gerann die Wut auf die Gegner
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zur wichtigsten Voraussetzung für die Kampffähigkeit der Truppe, zum entscheidenden Motiv für ihre Einsatzbereitschaft. Mittlerweile hatte fast jeder Rotarmist auch eine persönliche Rechnung zu begleichen, sei es, weil er Angehörige oder Freunde verloren hatte, sein Wohnhaus oder sein Dorf zerstört worden war oder weil seine Familie unter den enormen Kriegsbelastungen zu leiden hatte. Hinzu kamen die Erzählungen und Beschreibungen, womöglich auch die eigene Ansicht von Gräueltaten der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. So veröffentlichte der Schriftsteller und Kriegsberichterstatter Konstantin Simonow Mitte August 1944 in der Frontzeitung Krasnaja Zvezda einen ausführlichen Bericht über das Konzentrationslager Majdanek: Ich weiß nicht, wer von ihnen [gemeint waren SS und SD, S. S.] die Menschen verbrannte, wer sie schlechtweg erschlug, wer ihnen die Schuhe von den Füßen zog und wer die Damenwäsche und die Kinderkleidchen sortierte – ich weiß das nicht. Aber beim Anblick dieser Kleidersammelstelle denke ich daran, daß die Nation, die Leute hervorgebracht hat, die zu all dem fähig waren, die volle Verantwortung und auch den Fluch für die Untaten ihrer Repräsentanten auf sich nehmen muß und nehmen wird.13
Häufig deckten sich die vom Agitator i propagandist Krasnoj Armii veröffentlichten politischen Stellungnahmen mit den Eindrücken vieler Frontkämpfer; Kino, Rundfunk sowie Flugblätter und Plakate trafen den Nerv der Soldaten. Immer öfter forderte nun auch die Not leidende Zivilbevölkerung zu grausamer Rache auf. So schrieben Pioniere aus Kuibyschew folgenden Brief an die Front: »Wir haben Geld für den Bau eines Panzers gesammelt, dem wir den Namen ›Jurevsker Pionier‹ gegeben haben, und wir werden darum bitten, daß er euch übergeben wird. Unsere Jungen und Mädchen sagen: ›Von jedem ein Fädlein, für Hitler den Strick‹. Aber gebt Euch Mühe, den verdammten Fritzen mit unserem Panzer ordentlich einzuheizen. Trefft sie mit der Kanone, zermalmt sie erbarmungslos mit den Ketten. Laßt keinen Deutschen mit dem Leben davonkommen.«14 Verbreitet wurden solche Appelle über alle Frontzeitungen. Die Kompanien führten auch »Rachebücher«, in denen die Soldaten beschrieben, welches Leid ihnen persönlich und ihren Angehörigen widerfahren war. In regelmäßigen Abständen wurden besonders eindringliche Schilderungen der Truppe vorgetragen. Vergeltung avancierte zum zentralen Propagem, und zwar lange bevor die Rote Arme deutschen Boden betrat. Angesichts des zu erwartenden Widerstandes der Deutschen schien der Armeeführung eine hoch emotionalisierte Kampfmoral unabdingbar. Spätestens seit Herbst 1944 sehnte die Mehrzahl der Rotarmisten einen blutigen Vergeltungsschlag herbei.15 Kaum einer von ihnen kannte zu diesem Zeitpunkt Deutschland aus eigener Anschauung.
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Der Wohlstand des Feindes Den ersten Eindruck der Rotarmisten beim Einmarsch in Ostpreußen und ins Wartheland bestimmten gut befestigte Straßen, eine ausgebaute Kanalisation sowie reich anmutende, verlassene Gehöfte. Dieser unerwartete wie überwältigende Anblick war es, der den Leiter der Politischen Verwaltung der 2. Belorussischen Front Anfang Februar 1945 zu folgendem Appell veranlasste. Er verband mit ihm die Hoffnung, »falschen« Rückschlüssen auf die Zustände im Feindesland Einhalt zu gebieten: »Vielleicht ist eine Gutsbesitzerwirtschaft in Ostpreußen tatsächlich reicher als irgendein Kolchos. Und ein zurückgebliebener Mensch leitet daraus ab, daß er für eine Gutswirtschaft und gegen die sozialistische Form der Wirtschaft ist.«16 Ein wahrer Rotarmist hingegen, so argumentierte er weiter, werde sofort erkennen, dass es sich bei dem vorgefundenen Reichtum lediglich um »Beutegut« aus ganz Europa handele, wobei das meiste aus Russland stamme. »Wenn man sich aufmerksam die Einrichtungsgegenstände im Zimmer irgendeines Deutschen ansieht, dann kann man viele unserer russischen Sachen vorfinden. Stühle, Löffel, Tischdecken und viele andere Haushaltsgegenstände. Das alles haben sie auf dem zeitweilig okkupierten Territorium unseres Landes geraubt.«17 Für die meisten Soldaten und Offiziere dürfte der Anblick des Feindeslandes ein Kulturschock gewesen sein – die erlernte Ideologie von der »Klassengesellschaft« schien sich zu bewahrheiten; und der Reichtum des Klassengegners war zum Greifen nah. Für die ersten Plünderungen fand sich so eine überzeugende Erklärung: »Stellt Euch vor, der Soldat, der so etwas nie gesehen hat, fühlt sich jetzt als Herr über all das. Das ist nicht verwunderlich, denn er hat einen schweren Weg hinter sich und hat mit einer ehrlichen Arbeit verdient, Herr dieser Schätze zu sein.«18 Der vorgefundene Wohlstand schürte Verachtung und Zerstörungswut. Erstere resultierte aus dem Unverständnis darüber, weshalb diese reichen Deutschen den viel ärmeren Russen deren Lebensgrundlage geraubt hatten, letztere verwies auf ein allgemein menschliches Phänomen: Die fremdartige Kultur musste im Interesse der eigenen Selbstbehauptung verhöhnt und gedemütigt werden. Die Häuser des (Klassen-)Feindes fielen nicht nur der Zerstörung zum Opfer, sie wurden in vielen Fällen noch mit Fäkalien und Unrat beschmutzt. »Wenn du nur wüßtest, wieviel Wertgegenstände der Ivan hier zerschlägt, wieviele wunderbare Häuser hier niedergebrannt werden. Und zugleich haben die Soldaten Recht. In jene Welt dort oben oder auch nur in dieser Welt können sie nicht alles mit sich nehmen, und beim Zerschlagen eines Spiegels, der über die ganze Wand reicht, wird ihnen leichter. Eine eigenartige Erleichterung, ein Sichentladen, eine allgemeine Entspannung des Organismus und des Bewußtseins.«19 Als die Soldaten auf die Frauen und Kinder des Feindes stießen, stachelten deren angstvolle Reaktionen den Hass noch mehr an: »Ihre Häuser brennen,
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ihr Besitz geht unter, ihr Vieh läuft unbeaufsichtigt herum und sie selber wurden obdachlos. Und man möchte jedem ins Gesicht sagen: So, das bekommst du für unser Leiden, so, das bekommst du für das Leiden meiner Familie und Hunderttausender anderer Familien. Und das ist für den Tod vieler Hunderttausend Sowjetmenschen, für den Tod unserer Frauen und Kinder, die ihr gnadenlos vernichtet habt, nicht als Menschen angesehen und schlimmer als Tiere behandelt habt. Mit tiefer Abscheu siehst du auf diese Ausgeburten der Menschheit, egal ob es Männer, Frauen oder Kinder sind. […] Ihr Aussehen ist kläglich, aber es gibt kein Mitleid mit ihnen.«20 Zwar begannen die Soldaten mit dem weiteren Vormarsch mehr und mehr, zwischen wohlhabenden Gutsbesitzern und der Menge mittelloser Zivilisten, vor allem den Flüchtlingen, zu unterscheiden, doch riefen die verzweifelt flüchtenden Menschentrecks Anfang des Jahres 1945 kaum Sympathien hervor.21 Das Näherrücken der Roten Armee an die eigenen Landesgrenzen veranlasste die Moskauer Parteiführung im Frühjahr 1944, die unmittelbar bevorstehende »Befreiungsmission« in Ost- und Südosteuropa propagandistisch vorzubereiten. Über den Umgang mit deutschen Zivilisten allerdings verlor man zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort.22 Erst im Herbst 1944 wurden die Abteilungsleiter für Agitation und Propaganda angewiesen, die Soldaten für das Zusammentreffen mit der deutschen Bevölkerung zu wappnen. Die Begriffe »Faschist« und »Deutscher« wurden nun offiziell wieder unterschieden, die Akzentuierungen verwandelten sich zurück in Richtung einer klassenkämpferischen Rhetorik. Am 14. April 1945, am Vorabend der Berlin-Offensive, veröffentlichte die Pravda unter dem Titel »Genosse Ehrenburg vereinfacht« folgenden Artikel: »Die Rote Armee, die ihre große Befreiungsmission erfüllt, führt einen Kampf um die Liquidation der Hitler-Armee, des Hitler-Staates und der Hitler-Regierung, aber sie hatte und hat sich niemals die Aufgabe gestellt, das deutsche Volk zu vernichten.« Nicht zuletzt, um den Alliierten zu signalisieren, dass man an einer gemeinsam verantworteten Nachkriegsordnung festhielt, wurde Ehrenburg nunmehr für die grauenvollen Verbrechen der »von Natur aus gutartigen Sowjetsoldaten« verantwortlich gemacht.23 Am 20. April 1945 erließ der Stab des Oberkommandos erstmals eine spezielle Direktive über das Verhalten der Besatzer in Deutschland: Die Politabteilungen führen eine umfangreiche Arbeit in den Truppen durch, erklären, wie man sich gegenüber der Bevölkerung verhalten müsse, um unverbesserliche Feinde von den ehrlichen Menschen, mit denen wir sicher noch viel arbeiten müssen, zu unterscheiden‹, schrieb die Mitarbeiterin des Stabes der 1. Gardepanzerarmee Ekaterina S. Katukova. ›Ehrlich gesagt, fällt es vielen unserer Kämpfer schwer, diese Haltung eines taktvollen Umganges mit der Bevölkerung einzunehmen […]. Aber wir haben eine strenge Disziplin. Wahrscheinlich werden Jahre vergehen und vieles wird sich ändern. Vielleicht fahren wir einst sogar als Gäste zu den Deutschen, um uns die heutigen
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Schlachtfelder anzusehen. Aber bis dahin muß noch viel in der Seele verglühen […]. Vieles ist noch zu nahe.24
Das erbitterte Kampfgeschehen um die Hauptstadt Berlin bot den Rotarmisten weiterhin genügend Rechtfertigung, deutsche Zivilisten zu bestrafen oder gar zu töten. Dabei lagen die zeitlichen Höhepunkte unmittelbar in den ersten zwei Monaten nach dem Beginn der Offensiven, in der Zeit also, als orientierungslose Zivilisten massenhaft zwischen die Fronten gerieten. Mit der als gerecht empfundenen tödlichen Gewalt über den Feind ging ein Gefühl von Zügellosigkeit einher, welches moralische Bedenken nicht zuließ.25
Das deutsche Bild von »den Russen« Schon vor Kriegsbeginn entwickelte sich aus dem Bild des zwiespältig betrachteten Fremden ein Feindbild. Im Gegensatz zu den Westmächten, ganz besonders zu den USA, deren Leistungen vor allem in Technik und Massenmedien, Informationstransfer und Unterhaltung die Nationalsozialisten lange Zeit mit Interesse verfolgten, war die Sowjetunion schon seit dem Machtantritt 1933 als fremd und minderwertig diffamiert worden.26 Die antisowjetische Propaganda der dreißiger Jahre rekurrierte dabei sehr präzise auf traditionelle Ängste der Bevölkerung vor einfallenden »slawischen Horden«, auf antislawische Tendenzen des späten 19. Jahrhunderts, auf sozialdarwinistische Konzepte vom Kampf des »Gesunden gegen das Kranke« und auf Ideen einer Bedrohung durch den Panslawismus und Bolschewismus.27 Die deutsche Invasion vom 22. Juni 1941 wurde folglich als Befreiung unterdrückter Völker und insbesondere deutscher Minderheiten ideologisch überhöht und verbrämt.28 Ergänzt wurden die Diffamierungskampagnen durch Regierungserlasse, die die praktische Umsetzung der propagierten Feindbilder befördern sollten. So hieß es im »Kriegsgerichtsbarkeitserlaß« vom 13. Mai 1941: Für die »Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht […] gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist«.29 In Verbindung mit einem solchermaßen weit gedehnten Handlungsspielraum war das Propagandakonstrukt vom russisch-asiatischen »Untermenschen« dazu angetan, »Soldaten unterschiedlichster Couleur in eine Vernichtungsmaschinerie einzubinden«30. Nach einer anfänglichen Zurückhaltung in Bezug auf rassistische Erniedrigungen zogen die verantwortlichen »Feindbild«Konstrukteure nun auch diesbezüglich alle Register: »Was sich hier in der russischen Massenseele entgegenstellt, ist nichts anderes als die durch wildwütigen Terror zur Widerstandskraft organisierte Animalität des Slawentums.«31 Die Topoi der Unausweichlichkeit, der Notwehr und des Präventivkriegs
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gerannen zu zentralen Erklärungsmustern, die die aggressiven Expansionsbestrebungen des Gegners entlarven und die eigenen Handlungen legitimieren sollten. Bis 1945 durchzog das Propagem vom »unverschuldeten Krieg«, der dem deutschen Volk von den Bolschewisten aufgezwungen worden sei, die Propaganda. Berichte von sowjetischen Gräueltaten und von zu erwartenden Großverbrechen beherrschten die Medien.32 Sollten die Feinde deutsches Territorium jemals erreichen, würde »die europäische Kultur, die, befruchtet aus der antiken Vorzeit, nun bald eine zweieinhalbtausendjährige Geschichte hat, […] abgelöst werden von der grauenhaftesten Barbarei aller Zeiten.«33 Belege, die die Annahme eines Kulturgefälles zwischen West und Ost scheinbar bestätigten, ließen sich auf diese Weise leicht verifizieren und in Gegensatzpaare fassen: »Sauberkeit« versus »Schmutz«, »Fruchtbarkeit« versus »Ödnis«, »Wohlstand« versus »Armut« und schließlich »Fleiß« versus »Faulheit«.34 Wobei sich diese Attribute, anders als während des Ersten Weltkrieges, als sie den »russischen Verhältnissen« im Allgemeinen zugeordnet worden waren, im Zweiten Weltkrieg auf die Menschen selbst bezogen. Äußere Umstände verschoben sich zu inneren Eigenschaften, Mitleid gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung verschwand im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig.35 Die verbreiteten offiziösen Ansichten über ein unzivilisiertes Leben in der Sowjetunion ließen sich allerdings nicht in jedem Fall mit den Erfahrungen der Wehrmacht vor Ort in Übereinklang bringen. Zwar veränderten sich die Einstellungen gegenüber »dem Russen« als solchen auch in der Nahsicht nicht grundsätzlich36, doch erfuhren sie partielle Aufweichungen. Anfang 1942 korrigierten dann auch einige Frontmedien ihre pauschale Propaganda vom vermeintlich »minderwertigen« russischen Volk.37 Nun unterschied man zwischen gefährlichen »Bolschewisten« und einfacher »slawischer Landbevölkerung«, wobei die Propaganda den Boden dafür bereiten wollte, zur Kollaboration bereite Ethnien künftig in die eigenen Frontlinien einzureihen. Diesem Konzept folgend, verbreitete die Propagandaabteilung unter der Überschrift »Andere Länder, andere Sitten«: »Deshalb wollen wir uns […] folgende Grundsätze vor Augen halten: Wer anders ist als wir, ist deshalb noch längst nicht minderwertig. Andere Länder haben andere Sitten, und diese Sitten sind für ihre Völker meistens ebenso gut und berechtigt wie die unsrigen für uns. […] Deshalb sei unsere Haltung in den besetzten Gebieten straff, aufrecht, klar und bestimmt, aber dabei zurückhaltend, höflich, verständnisvoll und in jedem Fall gerecht.«38 Der russische Mensch als solcher, erklärten die Verfasser, gäbe, »sobald er dem Einfluß der bolschewistischen Propaganda entzogen wird, einen recht brauchbaren Arbeiter« ab. »Gut behandelt und hinreichend ernährt, zeigt er sich willig und anstellig. Es kommt dann sehr oft der an sich gutmütige alte ›Muschik‹ wieder zum Vorschein, wie wir ihn in den Zeiten des ersten Weltkrieges kennengelernt […] haben.«39
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Vom eigentlichen Gegner, vom kämpfenden Rotarmisten, berichtete die Frontpresse in weniger differenzierten Kategorien. Unzweideutig kommunizierte sie, wie ein weltanschaulicher Vernichtungskrieg zu führen sei, schließlich standen hier ein vermeintliches »deutsches Ehr- und Rassegefühl« der »heimtückischen Kampfweise« des »asiatischen Soldaten« gegenüber.40 Ähnlich wie die Feinde an der Westfront wurde »der Iwan« als »zäh«, »hart« und »verbissen« wahrgenommen, darüber hinaus jedoch auch als besonders grausamer »Massenmensch«, der ohne eigenen Willen und ohne Rücksicht auf sein Leben in die Schlacht zog.41 Das Narrativ vom Gegner als gewissenlose und ferngesteuerte Kampfmaschine sollte deutschen Widerstandswillen an der Front und in der Heimat stärken. Die massiv geschürte Ansicht, man habe es mit brutalen »Untermenschen« zu tun, führte spätestens seit den Niederlagen in Stalingrad und der Schlacht am Kursker Bogen zu schierer Vernichtungsangst.42 Der sich immer deutlicher abzeichnende Sieg der Roten Armee ließ schließlich in der Endphase des Zweiten Weltkrieges den Glauben an die militärische Überlegenheit der Wehrmacht unerwartet und fundamental implodieren.43 Im Folgenden sollen die ersten zivilen Begegnungen zwischen der Bevölkerung und den Besatzern skizzenhaft nachgezeichnet werden. Für die unmittelbare Nachkriegszeit liegen mittlerweile fundierte Forschungsarbeiten vor44, im vorliegenden Zusammenhang, der ja sein Hauptaugenmerk auf die Jahrzehnte nach der Gründung der DDR legt, werden deshalb lediglich einige wenige Grundtendenzen der frühen Besatzungszeit aufgezeigt. Diese bilden gleichsam den Erfahrungshintergrund für spätere Formeln und Formen des unfreiwilligen und bisweilen auch freiwilligen Aufeinandertreffens von Russen und Deutschen.
2.2 »Die Russen sind da …« Erste Begegnungen zwischen Rotarmisten und deutschen Zivilisten Nicht nur für die Frontsoldaten nahmen die näher rückenden Rotarmisten lebensbedrohliche Züge an. Auch die ersten Kontakte zwischen deutschen Zivilisten und »den Russen« gruben sich tief in beider Gedächtnis ein. Für die alle und alles beherrschende Furcht der Bevölkerung vor dem vermeintlichen »Untermenschen« zeichnete nicht zuletzt die eindringliche Propaganda an der Heimatfront verantwortlich. Plakate, auf denen ein Rotarmist mit dem Kopf eines Wolfes abgebildet war, im Maul ein bluttriefendes Messer, wirkten ebenso abschreckend wie die täglichen »Schändungsmeldungen« in
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der Presse. Seit dem Vormarsch der Roten Armee im Herbst 1944 erschienen in den überregionalen wie lokalen Zeitungen regelmäßig Meldungen über »Beweise für das Morden, Schänden, Plündern und Wüten in den deutschen Ostgebieten«.45 Das Muster, nach dem die sowjetischen Truppen Feindgebiet in Besitz nahmen, war demnach stets das gleiche: Zunächst stahlen sie sämtliche Wertgegenstände, danach zerschlugen sie verbleibendes Inventar und schließlich zündeten sie die Häuser an. Mit der Bevölkerung gingen sie nicht minder brutal um. In keinem der massenhaft verbreiteten Berichte fehlten Zeugnisse von Schlägen, Misshandlungen und Vergewaltigungen. Die deutsche Bevölkerung fürchtete sich also nicht etwa vor einer drohenden Ungewissheit; ihrem Verständnis nach wusste sie nur zu genau, welche Zukunft sie zu erwarten hatte, sollte sich der Feind als siegreich erweisen. Mittels immergleicher Schilderungen wurde es ihr Tag für Tag vor Augen geführt: »In allen Bauernhäusern sind Gruppen von alten Männern und Frauen gefunden worden, die mit durchgeschnittenen Pulsadern oder mit Genickschüssen auf Decken oder Sofas lagen. Buchstäblich alle jungen Frauen waren von den Bolschewisten vergewaltigt worden. Jeweils die Hälfte der Dörfer war abgebrannt.«46 Aus dieser Hölle schien es keinen Ausweg zu geben: »Die Frauen werden in der Regel in einen Raum gezerrt und dort von sämtlichen Rotarmisten vergewaltigt. Da diese Horden in den meisten Fällen zahlreicher sind als die Frauen, werden diese mehrmals geschändet.«47 Zu den Pressemitteilungen kamen die unmittelbar und mittelbar kommunizierten Erfahrungen von Flüchtlingen aus Ost- und Westpreußen sowie aus Hinterpommern und Schlesien, ihre Berichte sprachen sich in Windeseile herum. Nicht nur nationalsozialistische Funktionäre fürchteten sich vor der Rache der Sieger: »Alle sagen, es wäre besser tot zu sein, als den Russen in die Hände zu fallen. Das waren doch Tiere.«48 Anders als ihre Väter, Ehemänner und Söhne waren die Frauen solchen Botschaften hilflos ausgesetzt. Sie konnten diese nicht durch Fronterlebnisse relativieren, ihr bisheriges Wissen vom Feind stammte aus der Erfahrung von Bomben- und Tieffliegerangriffen; seiner militärischen Gewalt waren sie bislang hilf- und wehrlos ausgeliefert gewesen. Ihre Männer wollten und konnten ihnen ein differenzierteres Wissen nicht vermitteln; ihre Feldpostbriefe deuteten zwar manche »schlimme Dinge an, die da passierten«,49 doch reichte die Vorstellungskraft der Frauen selten so weit, sich jene Andeutungen konkret auszumalen.50
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Vergewaltigungen Während des Vormarsches der Roten Armee auf deutschem Territorium kam es zu den erwarteten spontanen wie zu massenhaft organisierten sexuellen Übergriffen vor allem auf deutsche, aber auch auf polnische, slowakische, ukrainische und ungarische Frauen.51 Über das Ausmaß lässt sich nur spekulieren, denn es liegen keine auch nur annähernd gesicherten Befunde darüber vor. Verfügbare Angaben beispielsweise für die Stadt Berlin gehen davon aus, dass in einer Spanne von zehn bis neunzig Prozent der Frauen Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. Auf eine Diskussion der zum Teil abstrusen Prozentangaben soll in dieser Studie verzichtet und lediglich auf entsprechende Quellen hingewiesen werden.52 Die Situation der Vergewaltigung erlebten Frauen ganz unterschiedlich: Manche wurden von ganzen Soldatentrupps in aller Öffentlichkeit überfallen, andere wurden in einem Raum allein mit einem einzelnen Soldaten zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Manche Frauen bedrängte und misshandelte man mit vorgehaltener Waffe. Manche boten sich einem Vergewaltiger bewusst an, im Austausch für den Schutz der Tochter. Ausmaß und Eigentümlichkeit der Vergewaltigungen unterschieden sich je nach Zeitpunkt des Geschehens. So differieren Berichte aus Ostpreußen beispielsweise zu jenen aus Berlin.53 Es lässt sich ein Wandel von der brutalen Demütigung der Frauen in aller Öffentlichkeit54 zu einer gewaltsamen Einforderung vermeintlicher Siegerrechte feststellen, welche die Öffentlichkeit eher scheute. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass das Moment der sexuellen Begierde mit der Wahrnehmung des Opfers inmitten des häuslichen Umfeldes Erinnerungen an familiäre Geborgenheit hervorgerufen haben könnte, weshalb sich später vereinzelt auch intime Beziehungen mit regulärem, gewaltfreien Umgang entwickeln konnten. Bisweilen wurden die Sexualverbrechen seitens der Militärbehörden streng geahndet. Entgegen den in der einschlägigen Forschungsliteratur wiederholten Aussagen, wonach Vergewaltigungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit frauensolidarisch beschwiegen worden seien, verweisen die Erinnerungen von Zeitzeugen vor allem aus mittleren und kleinen Städten auf eine ganz andere kommunikative Wirklichkeit. Psychische wie physische Traumatisierungen der Opfer ließen sich nur mit Mühe verbergen, Schwangerschaften sowie Geschlechtskrankheiten konnte man kaum verschweigen. Mangelnde Solidarität der Bürgergemeinde, Sensationsgier, Schuldgefühle sowie patriarchalische Vorurteile suchten in solchen Fällen nicht selten eine Mitschuld der Frau an ihrem Schicksal und bewirkten eine Stigmatisierung, die sich im Falle einer ausgetragenen Schwangerschaft dauerhaft auch auf das »Russenkind« übertrug.55 Ein ganz anderes Verhalten zeigten Rotarmisten in Bezug auf Kinder. Zwar verweisen Erinnerungen von Zeitzeugen auch auf Grausamkeiten gegenüber
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Heranwachsenden, weit häufiger jedoch zeugen sie von besonderer Rücksichtnahme.
Die Kinder Tatsächlich offenbart der Blick der Kinder auf die Ereignisse zu Kriegsende eine Umgangsweise, die diese zunächst einmal erstaunte. Schließlich hatten auch sie trotz ihrer vergleichsweise geringen Lebenserfahrung bereits Berührungen mit dem Feindnarrativ gehabt, wenngleich in der Regel nur aus zweiter Hand. Neben Erzählungen im privaten Umfeld stammte ihr Wissen vornehmlich aus der Schule und aus nationalsozialistischen Jugendorganisationen.56 Im Unterricht arbeitete man bis 1941/42 mit Schulbüchern und Lehrplänen aus der Zeit der Weimarer Republik, in denen Sachinformationen mit einem die Sowjetunion negativ apostrophierenden Grundmuster einhergingen. Spezifische Bedrohungsszenarien wie das Propagem vom »jüdischen Bolschewismus«57 fanden in den Kriegsjahren in unterschiedlichem Ausmaß Eingang in die Schulstuben. Welche Intensität die ideologische und politische Indoktrination im einzelnen Fall erreichte, hing letztlich vom Lehrpersonal ab, welches spätestens nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 angewiesen war, »auf wichtige politische Tagesereignisse einzugehen«.58 Glaubt man der Führung der Hitlerjugend, war es um dessen politisches Bewusstsein trotz der Vermittlung ideologischer Impulse durch Fachzeitschriften jedoch nicht zum Besten bestellt. Durch Einberufungen und fehlenden Nachwuchs musste man bereits Ende der dreißiger Jahre eine »Überalterung« der Lehrerschaft feststellen, hinzu kam, dass die im Schuldienst verbleibenden Kollegen ihre akademische Ausbildung in den zwanziger Jahren erhalten hatten und damit nach Meinung verantwortlicher Reichsbildungspolitiker nur unzureichend qualifiziert waren, die Jugend im Sinne des Nationalsozialismus zu erziehen.59 Das gesamte Schulwesen könne »nicht als nationalsozialistisch bezeichnet werden«, die nationalsozialistische Reform sei »im Sande verlaufen«, Jahre nach der Etablierung des Systems existierten keine neuen Lehrbücher, nicht einmal »richtige nationalsozialistische Lehrpläne«.60 Weitaus zielgerichteter war das Feindbild vom »Russen« in den außerschulischen Sozialisationsagenturen vermittelt worden. Presse, Literatur, Rundfunk und Film zeigten scheinbar realitätsnahe Bilder vom Feind. Die in theoretischen Schulungsabenden beschworenen abstrakten jüdisch-bolschewistischen »Fratzen« bekamen hier ein erkennbar abschreckendes Antlitz, auf das man zu gegebener Zeit mit einer Waffe zielen konnte. Wenn das »Jungvolk« etwa im Rahmen von vormilitärischen Übungen das Schießen erlernte, glaubte es nur zu genau zu wissen, um welche Art von Gegner es sich handelte: »Was Deutschland machte, war alles gut. […] Es wurde eben immer gezeigt, daß un-
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sere Soldaten – als dann der Krieg losgegangen war – siegreich waren und man hat eben nie gesehen, daß die Anderen auch zurückgeschossen haben.«61 Ernsthafte Zweifel an der Propagandawirklichkeit kamen bei den Jungen erst auf, als deutsche »Kriegsopfer« durch die Städte und Dörfer zogen: in Lumpen gehüllte Verwundete und Verkrüppelte wie auch traumatisierte Ausgebombte und Vertriebene. Solchermaßen verunsichert erwarteten die Kinder »den Russen« mit angstvoller Spannung. Was den Erwachsenen beim Einzug der Roten Armee allerdings wie ein Rückschritt in feudalistische Verhältnisse anmutete, sahen die Kinder mit ambivalenten Gefühlen. Meine Mutter und die anderen, die haben erzählt: ›Ein Russe ist etwas Schlimmes!‹ Und jetzt kam das erste russische Auto durch die Dorfstraße gefahren! Unserem Haus gegenüber gab es so einen Stein, da standen früher die Milchkannen drauf. Dort habe ich mich aufgestellt, so ein kleiner Steppke. Ich hielt einen Stein in der Hand und schmiss ihn mit aller Kraft gegen den LKW, so dass die Scheibe kaputt ging. Das Auto blieb augenblicklich stehen und ich dachte mir: ›Jetzt musst Du was tun!‹ Ich bin dann losgerannt zu meinem Onkel durch die Werkstatt in den Garten, dort standen hohe Brennnesseln. Da habe ich mich voll Angst versteckt. Es dauerte nicht lange, da kam der Offizier, zog mich aus dem Gestrüpp, nahm mich auf den Arm und begann mit mir zu sprechen, als ob nichts gewesen wäre. Meine Mutter kam wenig später dazu, da habe ich mir gedacht: ›Mein Gott, so schlimm ist es ja gar nicht.‹62 Meistens trafen wir uns draußen, irgendwo im Wald, zum Beispiel wenn sie da ihre Zelte aufbauten. Wo mehr als ein Russe war, gab es auch ein Lagerfeuer. Das gehörte einfach dazu. Wir Kinder setzten uns dann dazu. Wir hatten nicht das Gefühl, dass sie sich als die Sieger betrachtet haben. Wenn man so vorurteilsfrei war wie ein Kind, wenn man also nicht durch schlechte Erfahrungen vorbelastet war, dann waren die Russen nette Leute. Zwar hatten sie teilweise eigenartige Umgangsformen und Marotten, aber für mich waren die Russen sehr nette Leute.63
Die Russen ließen die Heranwachsenden staunen, ihre »Bezwinger« glichen in keiner Weise den propagierten seelenlosen Kampfmaschinen. Vielmehr muteten sie abgerissen, erschöpft – und menschlich an. Dieser erste unerwartete Eindruck verstärkte sich mit der Zeit noch: Die Feinde verhielten sich mehrheitlich freundlich, gaben von den eigenen raren Vorräten ab. Vor allem die jüngeren Kinder begannen, sich in Gegenwart der Besatzer mehr und mehr sicher zu fühlen. Immer wieder suchten sie deren Nähe: aus kindlichem Abenteurertum, aus pragmatischen (Versorgungs-)Erwägungen – und aus Gefühlen von erwachsener Verantwortung. Zeitzeugen weisen implizit immer wieder auf ein für die unmittelbare Nachkriegszeit typisches Phänomen hin – die Fürsorge für die hilfsbedürftigen Mütter und Geschwister. Es scheint, als hätte die Annäherung an den gefährlichen Aggressor den Familien nicht nur ein materielles Zubrot, sondern darüber hinaus auch eine begrenzte mentale Sicherheit zurückgebracht. Indem die Kinder sich mit den »Russen« anfreundeten, ihnen Dienste erwiesen und dafür auch belohnt wurden, konnte die vor
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und während des Einmarsches der Roten Armee erlebte Angst vergessen oder zumindest erträglich gemacht werden. Als Beweis für diese partielle »Befreiung« trugen die Jungen und Mädchen Geschenke als Beglaubigungen nach Hause: Heringe, Kartoffeln, Zwiebeln, aber auch »feindliche« Uniformteile und Ausrüstungsgegenstände. Sie demonstrierten damit die neu gewonnene Vertrauensbasis mit den Besatzern. Die Gespräche und Überlieferungen dieser ersten Monate lassen vermuten, dass die Kinder ihre Kontakte nicht zuletzt auch als Vermittlungen zwischen ihren ebenso furchterfüllten wie schuldbeladenen Eltern und den Rache übenden Siegern verstanden.
Machtübernahme durch die Besatzer Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 standen die sowjetischen Truppen auf der Linie Wismar-Schwerin-WittenbergeMagdeburg-Dessau-Wittenberg-Torgau-Meißen. Britische Truppen befanden sich im Norden und amerikanische im Süden, wobei letztere etwa die Hälfte des Territoriums der späteren Sowjetischen Besatzungszone besetzt hielten. In der ersten Juliwoche 1945 übernahm die Rote Armee vereinbarungsgemäß die von den Amerikanern und Briten geräumten Gebiete Mittel- und Norddeutschlands in ihre Besatzungsregie, eine Woche später wurde in Berlin eine gemeinsame Militärverwaltung errichtet. Die Russen verwalteten mit der Sowjetischen Besatzungszone insgesamt 18,5 Millionen Deutsche.64 Gemäß Artikel 49 der Verfassung der UdSSR in Verbindung mit dem Ukas des Obersten Sowjets über den Kriegszustand vom 22. Juni 1941 hielten Militärräte in den Kriegsgebieten sämtliche Machtbefugnisse in ihren Händen; an diesen Zuständigkeiten änderte sich auch nach der bedingungslosen Kapitulation nichts. Die in größeren Ortschaften sowie an strategisch bedeutsamen Punkten eingesetzten Standortkommandanten der Roten Armee fungierten weiterhin als alleinige Ordnungsinstanzen. Sie übernahmen sämtliche ökonomischen, administrativen und politischen Funktionen, die zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens in den Städten und Dörfern nötig waren. Ihre fast unbeschränkte Befehlsgewalt sowie das Fehlen gedruckter und damit verbindlicher Anordnungen führten zu Verwaltungswillkür und zu einem Gegeneinanderregieren der einzelnen Ämter.65 Mit der Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 übernahmen die sowjetischen Truppen dann auch formalrechtlich die Regierungsgewalt in der Sowjetischen Besatzungszone. Der Übergang vom allgemeinen Kriegsrecht zu einem rudimentär fixierten Besatzungsrecht fand seinen institutionellen Ausdruck schließlich in der Bildung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Bis zur Gründung der DDR war der Oberste Chef der SMAD zugleich Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen.66
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Die mit der Besetzung eingerichteten Kommandanturen wandelten sich bis zum Spätsommer zu örtlichen Organen der SMAD, die Kommandeure der Truppen wurden zu Chefs der Provinz- beziehungsweise Landesverwaltungen.67 Die »Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (GSBT)« blieb auch nach ihrer technischen und organisatorischen Abtrennung von der Militärverwaltung im Frühjahr 1946 ein militärisches Instrument, welches die Ziele der Besatzungspolitik durchzusetzen hatte.68 Ihre Aufgaben waren wie folgt festgelegt: Erstens hatte sie dauerhafte »Sicherheit vor jedweder deutschen Aggression« zu gewährleisten. Zweitens stellte sie das wichtigste Vollzugsorgan der Militäradministration dar, die SMAD stützte sich sowohl auf ihre personalen wie auch auf ihre materiellen Ressourcen. Drittens sollte die GSBT die Entmilitarisierung, die Entnahme von Reparationen und den Abtransport von Restitutionsgut sowie von Kriegsbeute tatkräftig unterstützen.69
Kommandanturen der ersten Jahre Ende Juli/Anfang August 1945, nachdem die amerikanischen Truppen aus Thüringen wie aus Teilen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg abgezogen worden waren, begann auch dort der systematische Aufbau von Standortkommandanturen sowie weiteren Militärbehörden auf unterschiedlichen Ebenen, wobei deren konkrete Zuständigkeiten weiterhin strittig blieben. Befehle und Anweisungen der jeweiligen Kommandanturen an deutsche Behörden stifteten häufig Verwirrung oder liefen ins Leere. Vor allem die lokalen Kommandanturen wurden der deutschen Bevölkerung zu direkten Ansprechpartnern. Je nachdem, welches Verhältnis die örtlichen Behörden zu »ihrem« Kommandanten unterhielten, gestaltete sich das Miteinander von sowjetischen und deutschen Instanzen positiv oder negativ. So mancher Bürgermeister stand mit »seinem« Kommandanten in gutem Einvernehmen, andere klagten indes über Willkür und Eigenmächtigkeiten seitens der unteren Besatzungsbehörden. Die meisten hatten Angst vor Repressionen, blieben doch Strafandrohungen innerhalb dieser frühen deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit an der Tagesordnung. Neben dem strikten Befolgen von Anweisungen konnten auch kleine »Aufmerksamkeiten« den dienstlichen Umgang verbessern, ob es sich nun um die Bereitstellung eines zusätzlichen Autos oder um Alkohol und Zigaretten handelte. Doch nicht immer führte guter Wille zum Erfolg. Die auf allen Ebenen erlassenen Verfügungen, Anordnungen, Genehmigungen, Bestätigungsvermerke, Anweisungen, Erlasse, Instruktionen, Richtlinien, Erläuterungen und Mitteilungen wirkten im höchsten Maße verwirrend. Sie wurden
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zudem meist auf telefonischem Wege, also in mündlicher Form, gegeben, was einen späteren entlastenden Nachweis unmöglich machte. In direkte Berührung mit den Standortkommandanten kamen zunächst nur die Bürgermeister, die somit alleinverantwortliche Ansprechpartner blieben. Eine Last, die nicht zuletzt deshalb kaum tragbar schien, als diese häufig unfreiwillig und weitgehend unvorbereitet in diese Stellung gelangt waren. So berichtete der Bürgermeister des VII. Rayons von Dresden: Am 9. Mai 1945 erschienen in meiner Wohnung zwei Rotarmisten und forderten mich auf, in der 7. Kommandantur zu erscheinen. Ich wurde dem Kommandanten, Oberstleutnant Kolesnikow und seinem Stellvertreter […] vorgestellt. Der Kommandant unterbreitete mir, daß er einen Bürgermeister suche und ich ihm empfohlen worden wäre. […] Meine Stellungnahme dazu war, er möchte doch einen anderen befähigteren Bürger nehmen, da ich aus der Fabrik komme und so etwas noch nicht gemacht habe. Der Kommandant entgegnete mir, das gehe schon in Ordnung, es komme auf die politische Zuverlässigkeit und den guten Willen an. Diesem Wortwechsel folgte eine eingehende Befragung über meine persönlichen Verhältnisse. Am Ende des Gesprächs wurde ich mit Handschlag verpflichtet, die mir übertragenen Aufgaben in gemeinsamer Arbeit mit der Sowjetarmee zum Wohle unserer Bevölkerung und des Friedens zu lösen.70
So musste die fehlende Rechtssicherheit hinsichtlich der jeweiligen Befehle und Befehlsgewalt durch ein persönliches Vertrauen der beteiligten Akteure wettgemacht werden. Eine Praxis, die über Jahrzehnte Bestand haben sollte. Parallel zum Apparat der SMAD sorgten deutsche Verwaltungsorgane dafür, dass die Befehle der Besatzer weitgehend zu deren Zufriedenheit ausgeführt wurden.71 Bis Anfang 1947 nahm allein die Militäradministration Funktionen eines zentralistischen Leitungsorgans wahr, danach übertrug sie Kompetenzen an die neu gebildeten deutschen Zentralverwaltungen. Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 existierte ein funktionsfähiger Verwaltungsapparat, der sowohl mit den akzidentiell-dirigistischen Vorgaben der Besatzer als auch mit höchst willkürlichen und unbürokratischen Formen der Zusammenarbeit vertraut war. Über diesen Dirigismus und über die direkten repressiven Eingriffe hinaus existierten informelle Verbindungen vor allem zu führenden Funktionären der KPD und späteren SED. Auch in diesem Zusammenhang diktierte die Besatzungsmacht die grundsätzlichen politischen Vorgaben und Bedingungen, zugleich jedoch berücksichtigte sie die Einstellungen und Meinungen der deutschen Genossen stärker, stellten sie doch die Hauptstütze sowjetischer Einflussnahme dar. Von unterschiedlichen Formen und Ausgestaltungen einer »Sowjetisierung«, mithin von der Übertragung respektive Übernahme von Strukturen und Funktionsmechanismen des sowjetischen Gesellschaftsmodells, waren nach 1945 de facto alle Lebensbereiche in der SBZ betroffen.72 Vor allem in jenen politischen Sphären, in denen Fragen der Machtausübung sowie der Sicherheit von Bedeutung waren, fanden sie ihre intensivste und eng-
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maschigste Ausprägung. So übernahm die spätere Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Struktur und Organisation ihres Pendants in Moskau. Auch im Bereich der Wirtschaft folgten Enteignungen, Repressionen und die Ausgestaltung des Rationierungssystems dem sowjetischen Vorbild, wobei die Planwirtschaft ebenso kopiert wurde wie entsprechende Leitungsmodelle und -instrumente. Auch die Landwirtschaft erfuhr durch die Bodenreform wie später durch die Kollektivierung eine Angleichung an die Verhältnisse in der Sowjetunion.73
Besatzungsalltag der ersten Jahre Im Frühjahr 1945 begegnete die Bevölkerung in Mitteldeutschland »den Russen« erstmals von Angesicht zu Angesicht. Ihrer Erinnerung nach trafen sie auf erschöpfte, ungewaschene, schlecht ausgerüstete und bunt uniformierte Fremde, häufig in einfachen Panjewagen, gezogen von ausgemergelten, kleinen Pferden. Ein Bild, das in Sachsen Anfang April ebenso vorherrschend war wie nach dem Besatzungswechsel Anfang Juli in Thüringen.
Geben und Nehmen in der Rationen-Gesellschaft Die ersten Versorgungsleistungen seitens der Besatzer erwiesen sich für die Bevölkerung als überlebensnotwendig, ein Faktum, das sich fest ins Gedächtnis einbrannte. Die unmittelbar nach dem Einmarsch ausgegebenen Lebensmittel aus Armeebeständen wurden als Wohltat empfunden, wenngleich die Russen selbst sie nur als Anleihe betrachteten, die sie wenige Monate später durch die Beschlagnahmung von Industriewaren auszugleichen trachteten. Der Bevölkerung war das gleich: Brot, Fleisch, Fett und Zucker aus Truppenbeständen bedeuteten für die Hungernden eine Linderung der Versorgungsnot in der Rationen-Gesellschaft.74 Diese anfänglichen und kurzzeitigen Erfahrungen mit den Sowjets als »väterliche Versorger«, die ihren letzten Trockenfisch und ihre letzten Kartoffeln mit den darbenden Deutschen teilten, änderten sich rasch. Von November 1945 an erhielten alle Einheiten der Roten Armee regelmäßige Lieferungen aus deutschen Beständen: lebendes Vieh, Fleischprodukte, Viehfutter, an- und abzuliefern von Firmen und auch von Privatpersonen. Gegen schriftliche Aufträge der Militär-Versorgungsinstanzen wurden auch Sachgüter bereitgestellt, wobei die dreifach auszufüllenden Papiere selten ordnungsgemäß formuliert waren und zu manchem Missverständnis auf sowjetischer wie deutscher Seite führten.75 Für Verärgerung sorgten auch die im Sommer 1945 eröffneten sowjetischen Militärgeschäfte. In manchen Stadtteilen war kaum Brot zu ergattern,
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kontinuierlich unterschritten die minimalen Zuteilungen die vorgegebenen Kalorienmengen um etwa ein Drittel. Fleisch und Fett kamen gar nicht mehr zum Abverkauf.76 Den schlimmen Mangel an Nahrungsmitteln schrieben die Hungerleidenden der verfehlten Besatzungspolitik der »Russen« zu.77 Just in dieser Situation eröffneten nun wahre Konsum-Paradiese ihre Pforten, zu denen jedoch nur sowjetische Militärs freien Zugang erhielten. Die Warenausstattung dieser Geschäfte entstammte sowjetischer und deutscher Produktion. In Anbetracht der andauernden Not konnte und wollte die Bevölkerung es nicht hinnehmen, dass vor ihren Augen, in den Auslagen der »Russenmagazine«, Köstlichkeiten feilgeboten wurden, von deren Existenz sie während der Kriegsjahre nicht einmal zu träumen wagte. Folgerichtig kam es anlässlich der Eröffnung des ersten Magazins in Dresden im August 1945 zu lautstarken Beschwerden und Protesten: »Seht Euch die Specknacken der Kerle an, gegen unsere klapprigen Männer«. Wo vor allem die Frauen versuchten, durch Provokationen Gerechtigkeit zu erfahren, distanzierten sich ihre Ehemänner, so gut sie konnten: »Die dummen Weiber stellen sich hierher und lassen sich auslachen.« »Das blöde Volk schämt sich nicht.« Oder: »Alles deutsches Erzeugnis, das hat doch der Russe früher nicht gekannt.«78 Unter solchen Umständen fiel es sehr schwer, die hergebrachte, gefühlte Überlegenheit hoch zu halten. In Weimar gestaltete sich die Situation nicht anders und schon gar nicht besser. Im Spätsommer 1945 eröffneten auch hier die ersten Militärläden. Die Warenlieferungen erfolgten per Order durch ansässige Firmen, die nur mit größter Mühe in der Lage waren, die angeforderten Erzeugnisse zu beschaffen. Auch die Weimarer zeigten sich erzürnt, dass hier plötzlich Waren auftauchten, die sie selbst seit Jahren nicht mehr kaufen konnten. Die Behauptung, es handele sich dabei um Eigentum ehemaliger Nationalsozialisten, überzeugte die Bürger in keiner Weise. Dass begehrte Luxuswaren auf Geheiß des Militärs von weit her geschafft werden mussten, obwohl die örtliche Feuerwehr nicht einmal über ausreichend Kraftstoff verfügte, um im Brandfall ausrücken zu können, versetzte die Menschen in Empörung.79
In Diensten der Besatzer Unentgeltliche sowie gering bezahlte Arbeitseinsätze für die Streitkräfte gehörten in den ersten Monaten nach Kriegsende zum Alltag. Frauen und Mädchen wurden zu Aufräum- oder Versorgungsarbeiten verpflichtet, wenn sie nicht ohnehin schon für ihre neuen Untermieter den Haushalt und die Kinder versorgten. Arbeitsfähigen Männern wiesen die kommunalen Arbeitsämter Aufräum-, Transport- und Demontagearbeiten zu. Neben den alltäglich üblichen Anforderungen äußerten die Besatzer regelmäßig Sonderwünsche. So
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forderte der Stadtkommandant von Dresden am 6. September 1945 »fünf bis sechs junge, hübsche Mädchen, Alter bis zu 25 Jahren, als Stubenmädchen im Hotel für die Rote Armee, Braunsdorfer Straße 13« an, wobei er Wert darauf legte, »daß sie politisch einwandfrei« seien.80 Manchmal verzichtete das Militär gänzlich auf kommunale Vermittlungsdienste: Darauf verschwanden die Russen. Kaum waren sie gegangen, als fünf andere erschienen, diese sagten: ›Fünf Frauen komm bei Offizier sauber machen.‹ Dann suchten sie sich fünf Frauen aus und gingen mit ihnen in eine der offen stehende Parterrewohnungen und vergewaltigten sie dort.81
So manche Frau fühlte sich zu Recht als Beutegut »der Russen«. Schwierigkeiten traten vor allem mit der Bezahlung durch die Besatzungsmacht auf. Zwar lautete der Befehl des Oberkommandos in Karlshorst, dass »Arbeitskräfte aus der örtlichen Bevölkerung, die zu Arbeiten für den Bedarf der militärischen Abteilungen herangezogen werden, […] laut Abmachung oder laut den Normen, die für ähnliche Arbeiten üblich sind, entlohnt werden«82 mussten, doch sah die Realität anders aus. Vor allem bei kurzfristigen Einsätzen meinte mancher Offizier, dass es mehr als gerecht sei, wenn ein gesunder deutscher Mann seine Kriegsschuld auf diese Weise ableistete.83 Die Stadtverwaltungen erreichten immer wieder Beschwerden, dass »Handwerker Schwierigkeiten mit den Rechnungen für die Besatzungstruppen«84 hätten. Die Russen kämen einfach in die Betriebe und nähmen die Leute mit. Es gäbe keine Quittungen für diese unfreiwilligen Arbeitseinsätze und dementsprechend auch keine Entlohnung. Verweigere man aber die geforderten Leistungen, müsse man mit harten Strafen rechnen, selbst Verhaftungen von Handwerksmeistern durch die Besatzer kamen vor.85 Also suchte man andere, weniger gefährliche Wege, den eigenen Unmut gegenüber dem oktroyierten Besatzerwillen zu äußern. Ein Kürschner beispielsweise schnitt aus einem Mantel, den eine sowjetische Offiziersfrau zum Reparieren brachte und der seiner Meinung nach gestohlen war, ein Stück Fell heraus, so dass diese ihn nicht mehr tragen konnte. Ein Schuster fertigte untaugliches Schuhwerk, so dass mehrere Offiziere ihre Anzahlungen mit Kohlebriketts umsonst leisteten.86
Im Visier der Besatzer Die sowjetischen Militärs stießen trotz erster begrenzter Überlebenshilfe im Sommer 1945 nahezu bei der gesamten Bevölkerung auf Ablehnung. Allerdings war der Wunsch der Einheimischen nach Normalität Grund genug, zumindest in Alltagsbelangen mit den Siegern zusammenzuarbeiten.87 Auch die Rote Armee signalisierte ihr Interesse an Kooperationen. Insgesamt hatte sich die Situation während des Sommers merklich verbessert.88 Mittlerweile waren
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die Kampftruppen durch Sicherungseinheiten abgelöst, ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter repatriiert worden.89 Die taktischen Truppen zogen jetzt in feste Unterkünfte außerhalb der Stadtzentren. Dies änderte indes nichts an der Einstellung der Bevölkerung gegenüber den weiter andauernden sowjetischen Repressionen. Verhaftungen von zum Teil unschuldigen Personen sowie die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit belasteten das Verhältnis der Bevölkerung gegenüber der Besatzungsmacht.90 Angst verbreitete nicht nur die scheinbar willkürliche Auswahl der Delinquenten, sondern auch die Art und Weise der Verhaftungen. Häufig stürmten Militärs in private Wohnhäuser, ohne sich auszuweisen. Mangels Sprachkenntnisse kam es kaum zu Erklärungen, der Gesuchte wurde ohne weiteres inhaftiert. So klagte der Chef der SMAD in Thüringen, Iwan S. Kolesnitschenko, im November 1948 in einem Memorandum: »Unsere sowjetischen Sicherheitsorgane hingegen [hier bezieht er sich auf eine ›deutsche‹ Idee der ›Freiheit der Persönlichkeit‹, S. S.] führen den Kampf gegen politische Verbrecher mit völlig anderen Methoden. Ich spreche gar nicht über 1945, wo wir eine derartige Willkür zuließen, daß man unter einige Fälle auch heute noch keinen Schlußstrich ziehen kann; doch auch jetzt [noch] ruft bei der deutschen Bevölkerung das ›Verschwinden‹ von Menschen aufgrund der Tätigkeit unserer Operativen Sektoren91 größte Unzufriedenheit hervor und liefert allen feindlichen Elementen Munition für antisowjetische Propaganda.«92 Ein weiteres Problem stellte die unvermindert hohe Kriminalitätsrate dar: Morde, bewaffnete Raubüberfälle, Diebstähle und Sexualverbrechen, verübt durch Angehörige der sowjetischen Armee, blieben auch im Jahr 1946 allgegenwärtig.93 Allerdings zeigen die monatlichen Gewaltstatistiken, dass auch die Zahl der von deutschen Bürgern verübten Straftaten weiterhin hoch lag und dass eine effektive Ahndung der Verbrechen in dieser Zeit die Ausnahme blieb.94 Die Annahme der Bevölkerung, es handele sich bei den Übergriffen seitens der Besatzer um bloße Siegerwillkür, trifft nicht den Kern des Problems, zumindest dann nicht, wenn man die in der Sowjetunion zur gleichen Zeit begangenen Delikte als Vergleichshorizont heranzieht. Infolge von ideellen wie materiellen Defiziten verzeichnete man auch dort einen rapiden Anstieg der Kriminalitätsrate, die erst 1948 allmählich zurückging.95
Kasernenalltag Einer der Hauptgründe für die andauernden Disziplinverstöße war das Fehlen wirklicher Herausforderungen im Dienstalltag. Die Militärs hörten nicht auf, sich über lähmende Langeweile zu beklagen, die sie mit ausgiebigen Trinkgelagen zu ersticken versuchten.96 Ein Soldat berichtet:
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Ich diene in der Kommandantur, wo es nicht gerade viel zu tun gibt. Ich war noch nicht einmal auf Posten. Ich gehe zu ›meiner Frau‹ schlafen, keinen kümmert das. Wohin Du Dich legen willst, leg Dich, wann immer Du aufstehen willst, steh auf. Trink den ganzen Tag und niemand wird Dich fragen, weshalb Du trinkst. […] Die gesamte Truppe trinkt bis zum Umfallen – und das jeden verdammten Tag.97
Dabei beteiligten sich keinesfalls nur einfache Dienstgrade sowie Zivilangestellte an den Gelagen. Auch die Vorgesetzten bis hin zu den Kommandeuren erwiesen sich kaum als Vorbilder: »Die Offiziere betrinken sich und gehen dann in die Wohnungen von deutschen Frauen, dort trinken sie weiter und kehren erst in den Morgenstunden nach Hause zurück.«98 Vorgesetzte beklagten sich über ihre Untergebenen, Mannschaftsdienstgrade über ihre Befehlshaber. Die regelmäßigen Berichte über den Zustand der Truppe zeigen, dass die meisten Vergehen unter Alkoholeinfluss begangen wurden – und zwar sowohl durch Offiziere als auch durch einfache Soldaten. Die Strafen, die für Trunkenheit verhängt wurden, waren freilich gering. Kamen nicht noch schwerwiegendere Verfehlungen hinzu, so hatte der Delinquent, wenn überhaupt, mit wenigen Tagen Arrest zu rechnen. Die zuständigen Ehrengerichte wurden dabei so gut wie nie einberufen. Sowohl den Vorgesetzten als auch der Truppe war klar, dass die regelmäßig angewiesenen Erziehungsmaßnahmen nur einen Tropfen auf dem heißen Stein bedeuteten.99 Auch die Ehefrauen der Offiziere verzweifelten über ihre trunksüchtigen Männer: Ich habe die Nase voll von seinem ständigen Betrunkensein und dass er nie früher als vier, fünf Uhr in der Früh nach Hause kommt. Dann ist er schmutzig und nicht ansprechbar, wo er die ganze Zeit gewesen ist, weiß ich nicht. Von der Arbeit ruft man mich an und ich habe keine Ahnung, was ich dann sagen soll. Der Umgang mit schmutzigen Weibern und das ewige Saufen haben alle Menschlichkeit aus ihm ausgetrieben.100
Eine Tochter schrieb in ihrer Not den Großeltern: Papa trinkt immerzu Wodka, und dann schreit er herum. Er geht ins deutsche Restaurant und verbringt dort mit deutschen Frauen seine Zeit. Gestern ist Mama zwölf Uhr nachts in dieses Restaurant gefahren, es liegt etwas außerhalb von Dresden. Sie ging zu seinem Tisch und fragte ihn: ›Hast Du vergessen, wo Du Dich befindest? Was tust Du hier eigentlich?‹ Da hat er Mama fast erdrosselt, zwei Männer konnten ihn gerade noch davon abhalten. Dann ist er verschwunden, die ganze Nacht war er weg und ist auch nicht zur Arbeit erschienen. Am nächsten Tag kam er dann, wieder betrunken. Er hat mich und unseren Chauffeur verprügelt und ist dann wieder Saufen gegangen.101
Solche Briefe erreichten nicht nur die ummittelbaren Verwandten, nicht selten wandten sich die Ehefrauen auch an die Vorgesetzten ihrer Männer, bisweilen
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sogar an Stalin persönlich. Detailliert wurden dem allwissenden Führer dann die familiären Verhältnisse geschildert in der Hoffnung, er würde selbst in einer solch ausweglosen Situation Rat wissen.102 Nicht jeder Soldat konnte sich an ein solches Kasernenleben gewöhnen, doch dem Dienst in Deutschland zu entgehen, schien vor allem für die Mannschaftsdienstgrade nahezu unmöglich. Die Hoffnung auf eine Rückverschickung gab man dennoch nicht auf, jedenfalls ging innerhalb der Einheiten die Kunde, dass es unter bestimmten Umständen möglich sei, vorzeitig nach Hause entlassen zu werden. Also bat der eine oder andere Rekrut seine Angehörigen, sie mögen doch irgendein Attest besorgen oder fälschen, um es nach Deutschland zu schicken: »Ich bitte Euch sehr, wenn die Mutter krank wird oder der Bruder, so schickt mir doch bitte die Bescheinigung vom Kreisarzt. Papa, ich flehe Dich an, erfülle mir diese Bitte.«103 Doch für die wenigsten Militärs kam es zur erhofften vorzeitigen Rückkehr. Die Härten des Alltags vermochten manche nicht zu bewältigen, mitunter bekam dies auch die Bevölkerung zu spüren: Wir haben da natürlich sehr viel mitbekommen, denn meine Familie betrieb damals ein kleines Café, in dem auch Russen verkehrten. Einmal saß abends ein russischer Offizier bei uns und trank sehr viel Schnaps. Mit der Zeit wurde er immer stiller, nahm plötzlich seinen Revolver und erschoss sich. […] Ansonsten wurde im Café selbst immer der Schein gewahrt.104
Liebe und andere Verhältnisse Schon unmittelbar nach Kriegsende hatte die Unterbringung der Truppen schier unlösbare Probleme mit sich gebracht. Damals waren die Mannschaftsdienstgrade notdürftig in ehemaligen Wehrmachtskasernen untergebracht worden, die höheren Dienstränge hingegen hatten mitsamt ihrer Familie private Zimmer bezogen. Die Einquartierungen waren zumeist mit Zwangsräumungen von Wohnungen oder von ganzen Häusern einhergegangen. Innerhalb weniger Stunden hatten die Bewohner ihre Habseligkeiten gepackt und die eigenen vier Wände verlassen. Infolge dieser chaotischen Umstände und Umzüge wussten lange Zeit nicht einmal die Militärbehörden, wo genau ihre Offiziere logierten. Die örtlichen Kommandanturen gaben deshalb Listen in Auftrag, auf denen verzeichnet werden sollte, welche sowjetische Staatsbürger »mit Genehmigung der zuständigen Kommandantur Wohnung bezogen«, und welche sich »ohne Genehmigung der zuständigen Kommandantur«105 quasi auf eigene Faust einquartiert hatten. Vor allem letztere Illegale sollten über die zuständigen Polizeibehörden unverzüglich gemeldet werden, eine Forderung, die einer Farce gleichkam, denn wer sollte die einquartierten Besatzungsoffiziere dazu zwingen, deutschen
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Kontrollinstanzen die Ausweispapiere vorzulegen oder ihnen irgendwelche persönlichen Auskünfte zu erteilen.106 Nicht nur, dass die Militärs die Wohnungen besetzt hielten, sie bewohnten sie – in den Augen der deutschen Besitzer – auch erwartbar unzivilisiert, und – als wäre dies nicht schon genug – bei ihrer Abreise nahmen sie auch noch die wertvollsten Einrichtungsgegenstände mit. Eine Entschädigung solch privater Beutenahmen war trotz unzähliger Bürgerklagen nicht vorgesehen. Besatzungsangehörige ließen sich in den ersten Jahren in allen Stadtvierteln antreffen. Sie nahmen die zuvor durch die Wehrmacht genutzten Anlagen wie Flugplätze, Depots, Bunker, Schießplätze, Unterkunftsgebäude und Forschungsstellen ebenso in Beschlag wie Schulen, Villen, Kurheime und Kinos. In den Parks weideten ihre Pferde, in den Freibädern schwammen im Sommer nicht mehr nur die einheimischen Kinder, sondern auch Rotarmisten. In den Stadien spielten uniformierte junge Männer Fußball und die Straßen trugen Wegweiser in kyrillischen Lettern. Als unmissverständliche Reaktion auf die immer dichteren Netzwerke persönlicher Begegnungen befahl die Militärführung im Sommer 1945, dass sämtliche intime »Verhältnisse« mit Deutschen bei Strafe zu vermeiden seien. Erlaubt waren lediglich noch dienstliche Kontakte, die jedoch auf ein Minimum reduziert bleiben sollten. Für die Militärs allerdings lag in der Rückkehr zu einem familienähnlichen Alltag ein großer Reiz, eine »Familie« befriedigte das Bedürfnis, heimisch zu sein nach einer so langen Zeit der Entbehrung und Not. Beziehungen zu deutschen Frauen, aber auch zu Kindern, bedeuteten das zumindest partielle Wiederaufleben eines zivilen Lebens. Deutsche und sowjetische Kinder fanden vergleichsweise schnell Kontakt zueinander. In den Briefen der Militärfamilien finden sich zahlreiche Schilderungen von gemeinsamen Unternehmungen des Nachwuchses, Erzählungen, die auch auf das Interesse der Postkontrolle des sowjetischen Geheimdienstes stießen: Ira hat fast vergessen, wie man Russisch spricht, obwohl sie es natürlich gut versteht. Doch wenn sie mit uns redet, merkt man, dass es ihr schwer fällt, sie springt dann immer wieder ins Deutsche. Hier wohnen außer mir überhaupt keine russischen Kinder mehr. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mit deutschen Mädchen ins Kino oder ins Bad zu gehen. Wenn wir ins Bad gehen, sind wir mindestens fünfzehn Leute.107
Auch deutsche Familien fanden oft nichts dabei, wenn ihre Sprösslinge Kontakt zu Besatzerkindern pflegten: Wir haben nach Kriegsende in unserem eigenen Haus, aber oben im Dachgeschoss, gelebt – mit dieser russischen Familie unten. Der General wollte, dass wir Kinder zusammen spielten, ein deutsches und ein russisches Kind. Das hat auch wunderbar geklappt. Wir kriegten morgens beide die Haare gekämmt, geflochten und die Nase geputzt. Der
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Bursche brachte die eine in die deutsche, die andere in die russische Schule. Das wurde ein richtig familiäres Verhältnis.108 Ljuda sprach schon sehr gut Deutsch. Sie hat mir immer russische Wörter ins Deutsche übersetzt. Aber wenn man sie fragte, was zum Beispiel Puppe auf Russisch heißt, dann hat sie nicht geantwortet. Sie wollte nicht antworten. […] Auch mit ihrem Vater sprach sie nur Deutsch, obwohl er kein Wort verstand. Ich konnte das mal beobachten, als ich bei ihnen war: Ljuda saß in einer kleinen Badewanne und wollte vom Tisch eine kleine Flasche zum Spielen und da sagte sie zu ihrem Papa: ›Gib mir mal das Fläschchen!‹ Aber er wusste nicht, was sie wollte und hat alles Mögliche hochgehoben, bis nur noch die Flasche übrig blieb.109
Nicht nur die Kinder fanden im Alltag bisweilen zueinander. Die Gründe, die deutsche Frauen bewegten, intime Beziehungen mit sowjetischen Militärs zu pflegen, waren vielfältig: Einmal dienten die Kontakte natürlich dem Lebensunterhalt, schließlich musste in Abwesenheit des Mannes eine Familie ernährt werden, eine Notwendigkeit, die zu Verachtung und Missgunst manches Mitbürgers führte: Es gab ein Viertel in der Stadt, da gingen sowjetische Soldaten nachts zu den Frauen. Das waren deren Freundinnen und die Soldaten brachten denen was mit. ›Russenhuren‹ hieß es dann. Aber es gab eben auch andere. Die lernten jemanden kennen, und es ergab sich ein Verhältnis, das über Jahre dauerte. Und entweder war das so heimlich, dass es keiner wusste. Oder, wenn es öffentlich wurde, dann fanden sich immer welche, die es der Kommandantur meldeten. Und dann wurden die Frauen dorthin bestellt und vernommen, auch bedroht zum Teil.110
Es entstand manche Liebesbeziehung, so auch zwischen Gena und Erika. Die beiden lernten sich im Juli 1945 in der Ausflugsgaststätte »Felsenkeller« in Weimar kennen. Erika lebte damals bei ihrer Tante und half im Restaurantbetrieb. Gena wohnte als Sergeant der SMA in unmittelbarer Nähe. Er kam bald jeden Tag, setzte sich an »seinen« Tisch und wenn Erika gerade nichts zu tun hatte, unterhielten sich die beiden, obwohl Genas Deutsch am Anfang noch spärlich war. Es dauerte nicht lange und sie wurden ein Paar. Er blieb nun auch über Nacht, am Morgen schlich er am Zimmer der Tante vorbei in seine Unterkunft. Als Erika Gena eines Tages erklärte, dass sie schwanger sei, freute er sich. Es würde schon irgendeine Möglichkeit geben zusammenzubleiben – jetzt, wo ein Kind zur Welt kommen würde. 1946 wurde Karin, die er immer Marussja nannte, geboren. Die Tante schickte Mutter und Kind zurück zu den Eltern ins Dorf. Zu Hause wurde Erika alles andere als mit offenen Armen empfangen. Immerhin taufte man das Kind in der Dorfkirche, der junge Vater durfte sogar dabei sein. Wann immer es ging, fuhr er zu Erika. Die Bahnarbeiter der Station kannten ihn mittlerweile, und wenn eine sowjetische Patrouille zu sehen war, warnten sie ihn. Es dauerte nicht allzu lange, bis sich das zweite Kind ankündigte. Das war nun auch den Eltern zu viel, sie stellten Erika vor die Entschei-
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dung, entweder das Kind oder das Wohnrecht auf dem Bauernhof zu behalten. Auch Gena drängte darauf, die Schwangerschaft abzubrechen. Erika setzte sich in den Zug nach Gotha, dort befand eine staatliche Kommission einmal die Woche über derlei medizinische Eingriffe. Auf die Frage der Ärztin, ob Erika denn vergewaltigt worden sei, antwortete diese mit »Nein«. Dann, erwiderte die Ärztin, gäbe es auch keinen Grund für die Abtreibung. Die Eltern zeigten sich entsetzt und verwiesen die werdende Mutter des Hauses. Sie zog mit ihrer Tochter Karin zurück nach Weimar, Gena hatte für die beiden ein Zimmer gefunden und so konnten alle drei zusammenleben, ganz wie eine Familie. Gena besaß einen eigenen Wohnungsschlüssel, jeden Abend kam er »nach Hause«. Die Kollegen und wohl auch der eine oder andere Vorgesetzte wussten von dieser Beziehung. Nach einiger Zeit erreichte das Paar ein Brief aus der Sowjetunion; Genas Eltern schrieben, dass sie mit einer Heirat in Deutschland einverstanden seien. Also bemühte sich Erika um die Eheschließung, sie erklärte sich sogar bereit, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen, im Falle, dies sei für ein dauerhaftes Beieinandersein unumgänglich. Sie erhielt von der Berliner Behörde niemals eine Antwort. Im Oktober 1948, am Tag, an dem die zweite Tochter geboren wurde, führte eine Militärpatrouille Gena ab. Er sollte innerhalb weniger Tage nach Hause zurückgeschickt werden. Das Kommando hatte jedoch Einsehen, es gestattete einen letzten Besuch im Krankenhaus, danach sahen sich die beiden nicht wieder. Gena schrieb Briefe aus seinem kleinen Heimatort, inzwischen arbeitete er als Kreisinspektor, Erika schrieb über ihre Not zu Hause. Sie berichtete auch davon, dass sie bei der Standortkommandantur versucht hatte, Brennstoff und Lebensmittel zu ergattern. Schließlich, hatte sie dem hochmütigen Offizier entgegen geschleudert, seien ihre beiden Töchter ja Halbrussinnen. Der Offizier antwortete ihr zynisch, dass die beiden, im Falle, die Mutter sei nicht in der Lage, sie zu ernähren, jeder Zeit in ein Kinderheim gebracht werden könnten. Daraufhin war Erika aus dem Zimmer geflüchtet. Irgendwann, einige Jahre waren mittlerweile ins Land gegangen, schrieb Gena Erika einen Abschiedsbrief: Ich darf nicht daran denken, wie schwer es mir ist, dass Du mir gar nicht schreibst. Denkst Du, dass ich Dich vergessen habe? Jede Nacht sehe ich Dich, Marussja und Gabi im Traum. Wenn Du doch nur einige wenige Zeilen schreiben würdest! Wo wohnst Du, in unserer alten Wohnung? Oder bist Du zurück zu Deinen Eltern gezogen? Sie sollen nicht mit Dir schimpfen. Es war doch unser Schicksal. Ich küsse Dich. Gena.111
Viele Frauen und Kinder blieben in Deutschland zurück, den Austausch von Briefen oder gar gegenseitige Besuche wussten die zuständigen sowjetischen Dienststellen zu verhindern. Wie viele »Besatzerkinder« in diesen Nachkriegsjahren geboren wurden, lässt sich kaum mehr nachvollziehen. In vielen Fällen gaben die Frauen den biologischen Vater aus Scham oder Angst nicht an, zu groß schien ihnen die Gefahr, das eigene Kind als »Bastard« gebrandmarkt
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zu sehen. Da die Väter nicht zu Alimentationspflichten herangezogen werden konnten und Unterstützungen für »solche« Kinder von staatlichen Stellen abgelehnt wurden, gab es auch keinen Grund, den Vatersnamen amtlich abzufordern. Klagen der Mütter bei den entsprechenden Stellen der SMA führten ähnlich wie bei Erika S. zu keinem Erfolg. In den Geburtsurkunden fand sich deshalb in der Regel auch kein entsprechender Eintrag.112
Perestroika 1947 Der auch in den Jahren nach Kriegsende anhaltende schlechte Leumund der Besatzungstruppen ließ sich kaum allein durch die mittlerweile deutlich selteneren Übergriffe seitens sowjetischer Militärpersonen erklären, sondern resultierte in hohem Maße aus Gewalterfahrungen der unmittelbaren Nachkriegszeit wie aus der allgemein ablehnenden Haltung gegenüber den politischen und ökonomischen Entwicklungen innerhalb der SBZ.113 Anfang 1947 sahen die SED-Genossen die »antifaschistisch-demokratische Entwicklung Deutschlands« in großer Gefahr. Sie baten die Besatzungsmacht, die Übergriffe der Armee, die »übereifrige Bevormundung« der SED-Funktionäre und die »zu scharfe Ausübung der Befehlsgewalt durch Offiziere gegenüber der zivilen Verwaltung« abzustellen und den Unmut innerhalb der Bevölkerung auf diese Weise zu besänftigen.114 Die Bürger ließen kaum eine Gelegenheit aus, die Sozialistische Einheitspartei als »Russenpartei« zu beschimpfen, deren Hauptanliegen es sei, den Besatzern willfährig Gehorsam zu leisten, ohne Rücksicht auf deutsche Interessen. Die Militäradministration sah diese Probleme durchaus und nahm die nicht abreißenden Klagen sowie die anstehende Konstituierung der Landesparlamente und der Landesregierungen zum Anlass, nicht nur über ihren bisherigen Arbeitsstil nachzudenken, sondern auch über die künftige Rolle der Parteien sowie der neu gewählten deutschen Selbstverwaltungen. Der Anstoß dazu ging Ende Dezember 1946 vom Chef der SMAD Wassili D. Sokolowski aus.115 Er wies seine untergeordneten Militärverwaltungsorgane an, über Chancen und Grenzen künftiger Besatzungsaufgaben nachzudenken; Ende Januar 1947 lagen seitens der Landeschefs erste Ergebnisse vor. Vor allem von den Ausführungen des Verantwortlichen der SMA in Thüringen, Iwan S. Kolesnitschenko, zeigte man sich in Karlshorst beeindruckt, dessen Grundsatzreferat, das er am 10. Januar 1947 vor führenden Kommandanten und Politoffizieren im Weimarer Offiziersklub gehalten hatte, erhielt nun kurzerhand Weisungscharakter. Es wurde an alle übrigen Verwaltungschefs der SMA mit der Aufforderung geschickt, sich bei der weiteren Arbeit daran zu orientieren. Kolesnitschenko sprach in seinen Überlegungen ungewöhnlich offen über die Probleme deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit.
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Ich erinnere Sie daran, wandte er sich an die anwesenden Offiziere, wie die Vorbereitung zu diesen Wahlen [im Herbst 1946, S. S.] verlief. Wir haben uns doch auf Schritt und Tritt in alle Kleinigkeiten dieser Vorbereitung mit dem Ziel eingemischt, den Sieg der SED sicherzustellen. Wir haben allerlei wirtschaftliche Maßnahmen angewandt, haben allerlei Gerüchte ausgestreut, gaben verschiedene unerfüllbare Versprechen ab, nur um die Mehrheit der Stimmen für die SED bei den Kreis- und Landtagswahlen nicht aus Sympathie der Wähler für sie zu gewinnen, sondern für den versprochenen Zentner Kartoffeln, den wir, beiläufig gesagt, weder gegeben haben noch geben werden. Diese ›Kartoffeldemokratie‹ möge uns nicht blenden. Und wenn man berücksichtigt, daß wir den anderen Parteien [der LDP und CDU] entschiedene Beschränkungen auferlegt und den Kampf mit ihren Maßnahmen geführt haben, indem wir uns, wo nötig, sogar nicht vor Verhaftungen ihrer Führer und gefährlicher Persönlichkeiten genierten, dann wird klar, daß der Prozentsatz der Stimmen, die die Wähler der SED gaben, ungenügend die tatsächliche Stimmung der Deutschen widerspiegelt.116
Dieses unbefriedigende Ergebnis, so Kolesnitschenko, sei nicht nur den permanenten Eingriffen seitens der Besatzungsmacht in die inneren Angelegenheiten der SED zu verdanken, sondern auch der »kleinlichen Bevormundung« wie der respektlosen Art, mit der Offiziere und Kommandanten nicht nur die Parteifunktionäre, sondern auch alle anderen deutschen Amtsträger herumkommandierten. Wenn aber die SED Hoffnungsträger für die angestrebte Demokratisierung sein sollte, musste sich ihr Verhältnis zur Besatzungsmacht grundlegend ändern. Die Abkehr vom bisherigen Kommandosystem sowie von dirigistischen Anleitungen, die Einführung selbstständiger Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten und die Übernahme von Verantwortung auf staatlichem wie ökonomischem Gebiet standen ganz oben in Kolesnitschenkos Maßnahmenkatalog. Schließlich habe man in Bezug auf die Wahlen nicht so hart gearbeitet, um die deutschen Verwaltungsorgane zu Objekten »der Befriedigung von Machtgelüsten der Kommandanten«117 zu machen. Viel Hoffnung auf eine grundlegende Änderung der Zusammenarbeit hatte der Landeschef allerdings nicht: Offen gesagt, ich bin nicht vollkommen davon überzeugt, daß diese Perestroika bei uns glatt verlaufen wird, da auf uns auch die Traditionen der vergangenen zwanzig Monate lasten, die Gewohnheiten, alle zu kommandieren, die administrative Macht ungeteilt zu verwirklichen. […] Und außerdem sind wir noch in großer Abhängigkeit vom Apparat der SMA in Deutschland, in dem es nicht wenige Leute gibt, die die veränderte Lage und die Forderungen des Marschalls der Sowjetunion, des Genossen Sokolovskij, nicht verstehen und uns aus Trägheit dazu bewegen, im alten Stil zu arbeiten.118
Aufrufe wie derjenige des späteren Chefredakteurs der Berliner Zeitung, Rudolf Herrnstadt, »Über ›die Russen‹ und über uns« aus dem Jahr 1948 führten allerdings kaum zu größerer Akzeptanz der Besatzungspolitik innerhalb der Bevölkerung.119 Im Rahmen der Kampagne führte man drei Monate lang Gespräche und Aussprachen mit den Bürgern. Von offizieller Seite erwünscht
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und ermuntert, wurde das problematische Verhältnis zu »den Russen« thematisiert, wobei man sicher sein konnte, dass die anwesenden Mitarbeiter der Abteilung Propaganda und Information der SMA aufmerksam zuhörten. Die professionellen Meinungsforscher stellten zwar nicht ohne Zufriedenheit fest, dass sich die große Mehrzahl der deutschen Bevölkerung den Russen gegenüber mittlerweile loyal verhielt, dass diese wachsende Ruhe jedoch hauptsächlich mit privaten Kontakten zwischen »einfachen« Russen und Deutschen zu begründen war. Dass man nicht das Sowjetsystem in toto zu akzeptieren begann, sondern die sowjetischen Menschen vor Ort, passte freilich gar nicht zu den Planzielen der Moskauer Befehlshaber. Im Sommer 1947 befahl die Militärregierung die vollständige räumliche wie psychische Isolierung der Truppen. Wieder war es der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen, Iwan S. Kolesnitschenko, der sich über die Zumutung bei seinen Vorgesetzten beschwerte. Der Isolations-Befehl würde ihn zwingen, mehr als ein Drittel seiner Offiziere in die Heimat zurückzuschicken. Schließlich bestehe die Truppe aus gesunden Männern mit einem normalen Geschlechtstrieb. Einzig, wenn die Parteiführung dafür Sorge tragen würde, dass nicht mehr Junggesellen, sondern verheiratete Männer mitsamt ihrer Familien nach Deutschland kämen, sei diese Anweisung durchsetzbar.120 Für diese unbotmäßige Beschwerde zur Rechenschaft gezogen, bemühte sich Kolesnitschenko im Folgenden doch noch um Gehorsam: Aus einer Gruppe von 223 Offizieren enthob er 48 wegen »unmoralischen Verhaltens« und dreißig wegen »moralischer Verderbtheit« ihrer Ämter.121 Nur in drei Fällen war das Zusammenleben mit deutschen Frauen nicht der Versetzungsgrund. Isolation, dies war den sowjetischen Verantwortlichen mittlerweile klar, bedeutete eine rigorose territoriale Grenzziehung. Die Trennung der Eigenen von den Anderen erforderte zwei Jahre nach Kriegsende die Anlegung eines vermeintlich unüberwindbaren Schutzwalls. Dabei ging es nicht so sehr um die Exklusion der jenseits der Kasernen lebenden deutschen Fremden, sondern vielmehr um die Inklusion, um das Zusammenrücken der Eigenen, um die Kontraktion der eigenen Symbole, der eigenen Sitten, Rituale, Verhaltensweisen, der eigenen Ideale und Führer. Gerade durch die Partizipation an den im Krieg geborenen Sinnbildern sollte sich der einzelne Soldat seiner Gruppenzugehörigkeit versichern. Viel zu weit war den Verantwortlichen die Verschmelzung beider Alltagswelten bereits gegangen. Dem galt es, so radikal wie möglich einen Riegel vorzuschieben – übermannshohe, undurchsichtige Mauern, wie 1947 per Dekret angewiesen, schienen ein erster, Erfolg versprechender Schritt zu sein. Die Besatzungstruppen wohnten seit Herbst 1947 in eigenen, zunächst abgezäunten Stadtvierteln, in Kasernen oder sogar in »Russenstädtchen«.
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Fundamente künftiger Begegnungen Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes, das Kriegsende und die Besetzung des eigenen Territoriums durch einen als minderwertig empfundenen Gegner stellten im gesamten Deutschland Momente einer exzeptionellen Verdichtung122 im Leben der Menschen dar. Anders jedoch als die Bevölkerung in den westlichen Besatzungszonen, die – von Ausnahmen abgesehen – eine verhältnismäßig »weiche« Eroberung und Installation des Besatzungsregimes erlebten, trafen die Ostdeutschen am Ende des Krieges auf einen »rächenden Feind«. Während der unmittelbaren Nachkriegszeit kam es zu einem vielfachen Eindringen in die Sphären der vormaligen Kontrahenten: Aus der Sicht der Deutschen besetzten »die Russen« nicht nur das Land, zogen nicht bloß in die Städte und Dörfer ein, sie besetzten auch die Straßen, Häuser und Wohnblocks, mehr noch: Sie nisteten sich in den Wohnungen ein. Während sie selbst das Mobiliar in der Wohnstube für ihre Bedürfnisse in Dienst nahmen, während sie die Vorräte verzehrten, wurden die rechtmäßigen Besitzer entweder verjagt oder in die Dachstuben verwiesen. Es zogen Herrscher ein, die nicht nur die Nutzung des Eigentums, sondern auch Dienstleistungen aller Art ultimativ abforderten. Über die politische und gesellschaftliche Gewalt hinaus, welche die Besatzungsmacht en gros für sich reklamierte und bisweilen brachial ausübte, entfaltete sich aus Bevölkerungssicht eine Gewalt, die persönliche und intime Wirkungsmacht entfaltete. Vor allem die Erfahrungen mit dieser zweiten Gattung von Gewalt brannten sich tief in das Gedächtnis ein, über Jahrzehnte wurden sie immer wieder aufgerufen. Aus der Perspektive der Besatzer stellte die eroberte Zone in diesen ersten Jahren eine terra nullius dar: Sie handelten in dem archaischen Verständnis, dass alle Räume, Stadt und Land, Haus und Stall, ohne weiteres frei verfügbar seien. Sämtliche Rechte daran waren durch die Kriegsschuld der Deutschen obsolet geworden. Diese Haltung führte vor Ort zu unhaltbaren und unregierbaren Zuständen, von belastbaren Kompromissformen konnte unter diesen Auspizien keine Rede sein. Im Jahr 1947 kam es daher zu einer ersten »Reformbewegung«: Der Chef der Thüringer Militäradministration, Iwan S. Kolesnitschenko, verlangte mit seinem Aufsehen erregenden Manifest eine Korrektur des anarchischen, sich zum Chaos auswachsenden Herrschaftsstils. Die Antwort aus Karlshorst gab ihm Recht, ab 1947 kam es zu einem sukzessiven Umdenken: Nunmehr bot man den Einheimischen einen allerersten territorialen Kompromiss an. Der Rückzug der Streitkräfte hinter grüne Bretterzäune verhieß eine räumliche Entzerrung und Entflechtung. Fortan gab es Areale, Stadtviertel und ganze »Russenstädtchen«, die den Angehörigen der Armee vorbehalten blieben. Da-
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mit war der permanenten und massenhaften Verletzung persönlicher und intimer Sphären der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Ende gesetzt. Die neuen »Mauern« markierten erste halbwegs verlässliche Grenzen zwischen Besatzern und Besetzten. Von 1947 an waren den beiden Großgruppen Räume zugewiesen und Territorien definiert, die es im weiteren Prozess ermöglichten, tragfähige und tragbare »Kompromisse« zu entwickeln. Diese Kompromisse freilich wurden nicht von gleichberechtigten Partnern ausgehandelt, sondern von den Repräsentanten der Sowjetmacht diktiert. Sie agierten entsprechend der marxistisch-leninistischen Ideologie, derzufolge sie selbst nicht nur den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg, sondern in der großen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus errungen hatten. Sie verstanden sich gleichermaßen als Besatzer in Deutschland und als Befreier der Deutschen.123
Der Mythos der »Befreiung« – Unvollständige Lossprechungen Vor allem die als »Russenpartei« beschimpfte SED hatte hier einen schwierigen ideologischen Spagat zu bewältigen: Sie musste die nationalsozialistischen Verbrechen in Erzählungen einbinden, welche nicht nur die Gründung eines neuen Staatswesens legitimierten, sondern auch die Mehrzahl seiner Bürger von einer persönlichen Schuld freisprachen.124 Die Aufgabe der Genossen war keine geringere, als ein auf die kommende sozialistische oder kommunistische Gesellschaft bezogenes Wir-Gefühl zu begründen und auf Dauer zu stellen. Sie mussten Legitimität symbolisieren und Loyalität erheischen, wozu sie unmittelbar nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« akzeptanzfähige, emotionalisierende und mobilisierende Erzählungen anboten. Über diese mythischen Narrative wurden nicht nur politische, soziale, ökonomische wie familiäre Erfahrungen von Kontingenz in höhere Sinnhorizonte eingebunden, die traumatischen Kriegserlebnisse, der Bankrott staatlicher Institutionen und politischer Autoritäten, die Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit der Menschen erforderten vertrauenswürdige erzählerische Angebote. Die jetzt offerierten Botschaften erklärten den Deutschen, selbst denjenigen, die in besonderer Weise Schuld auf sich geladen hatten, woher sie kamen, wo sie standen und wohin sie, bei tatkräftiger Mithilfe jedes Einzelnen, gemeinsam gelangen konnten. Sie boten ein erträgliches Maß an Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive125 und vermittelten gleichzeitig künftige gesellschaftliche Normen und Werte. Die 1949 begründete DDR verstand sich demgemäß als Hort des Antifaschismus und als enge Partnerin der Sowjetunion, schließlich hatte diese ihr unter unvorstellbaren Opfern die Freiheit zum Neuanfang erkämpft.126 Der Herausforderung
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der lastenden Schuld und einer gerechten Sühneleistung der (Ost-)Deutschen begegnete die neue politische Elite mit einer verlockenden Offerte: der Möglichkeit einer (freilich nicht bedingungslosen) Aussöhnung von Tätern und Opfern. In Stalins Glückwunschtelegramm anlässlich der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Oktober 1949 hieß es: »Die Erfahrung des letzten Krieges hat gezeigt, daß das deutsche und das sowjetische Volk in diesem Kriege die größten Opfer gebracht haben, daß diese beiden Völker die größten Potenzen in Europa zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung besitzen. Wenn diese beiden Völker die Entschlossenheit an den Tag legen werden, für den Frieden mit der gleichen Anspannung ihrer Kräfte zu kämpfen, mit der sie den Krieg führten, so kann man den Frieden in Europa für gesichert halten.«127 Ein Jahr später fügte der Kriegsberichterstatter und Schriftsteller Boris Polewoj, der geistige Vater des Helden-Monumentes in Berlin-Treptow, hinzu: »Heute sehen wir alle, wie sich dieses [Stalins, S. S.] historische Wort bewahrheitet. Unser kurzer Aufenthalt im demokratischen Deutschland gestattet uns, an Hand vieler anschaulicher und überzeugender Beispiele zu sehen, wie die Freundschaft zwischen unseren großen Völkern erstarkt ist und weiter erstarkt, wie groß die Anhänglichkeit der Staatsbürger der jungen deutschen Republik zu der großen Sache des Friedens ist.«128 Aus ehedem schärfsten Kontrahenten, aus Russen und Deutschen, sollten nach dem Willen und nach den Worten sowjetischer wie deutscher Kommunisten bald nach Kriegsende schon Partner im gemeinsamen Kampf für eine antifaschistische, eine kommunistische Zukunft werden. Beide Seiten wurden auf der Grundlage dieser Meistererzählung gleichermaßen zu Siegern der Geschichte erklärt. Der Mythos Antifaschismus fand als fundamentaler Bestandteil der ostdeutschen Staatsdoktrin fortan Eingang in alle Bereiche des Lebens. Seinen Kern stellte die Erzählung von der heldenhaften wie opferreichen Befreiung aller »guten« Deutschen durch die Rote Armee dar. Die Befreiungstat der Roten Armee war demnach eine doppelte: Sie »erlöste« das deutsche Volk von der »Geißel des Faschismus« ebenso wie von der Knechtschaft des Kapitalismus.129 Die im Frühling 1945 vertriebenen Feinde des Antifaschismus wie auch die Feinde der deutschen Einheit hatten sich nach Westdeutschland, Westberlin und Washington zurückgezogen. Dort saßen die wahren Schuldigen des Nationalsozialismus, die »Nazigeneräle«, die »Militaristen«, die sich mit »gewissenlosen Kapitalisten« zusammengetan hatten, um – wie im Jahr 1941 die Sowjetunion – nun auch den Sozialismus auf deutschem Boden zu vernichten. Jenseits der Grenze zum Westen, so die Botschaft, versammelten sich die Repräsentanten der dunklen faschistischen Vergangenheit – diesseits der Grenze hingegen arbeiteten die Protagonisten eines lichten Morgen. Den solchermaßen doppelt Befreiten bot sich mit diesen
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Erzählungen die Möglichkeit einer Identifikation mit den sowjetischen Errettern. Die einstigen Gegner versprachen ihnen nicht nur Strafverschonung in der Gegenwart, sondern für die Zukunft überdies ein auf Gerechtigkeit basierendes Paradies. Die säkularisierten religiösen Elemente der »Befreiung« trafen dabei auf eine Vielzahl traditioneller Gedächtnisbilder.130 Dass das nun propagierte polare, manichäische Welt- und Selbstbild seine religiös-chiliastischen Traditionen und Grundstrukturen gerade in einem ausgeprägten Freund-Feind-Bild offenbarte, wird bei einer synoptischen Gegenüberstellung der christlichen und der sozialistischen Narrative augenfällig. Es handelte sich um die entscheidende existentielle Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse.131 Freunde (die Befreier) und Feinde (die Kriegstreiber) repräsentierten den Kampf des guten Gottes samt seiner himmlischen Heerscharen gegen die Welt des Satans und seiner Helfershelfer. Die guten Freunde und Helden standen im Dienste des wissenden und mächtigen Herrschers der Welt, hier der Partei der Arbeiterklasse. Die Feinde aber waren Knechte der kapitalistisch-faschistischen Widersacher. Die Alternativen hießen Himmel oder Hölle – Weltrevolution und kommunistisches Paradies oder aber kapitalistisches Jammertal und atomares Inferno. Die von den Deutschen begangenen nationalsozialistischen Verbrechen waren somit in ein Narrativ der Versöhnung eingebunden. Doch handelte es sich bei dieser von Partei und Regierung aufwendig zelebrierten »Absolution« nur um eine teilweise Vergebung – ebenso wie die vorangegangene, medial vermittelte öffentliche »Beichte« notwendigerweise nur ein teilweises Eingeständnis deutscher Schuld war: Zwar hatte man der Bevölkerung seit 1945 sämtliche Voraussetzungen für eine Lossprechung abgefordert: neben der (nicht hinterfragten) Gewissenserforschung, einem (öffentlichen) Schuldbekenntnis und der (inszenierten) Reue, der Proklamation eines guten Vorsatzes, waren auch (erste) Akte der Wiedergutmachung abgefordert worden. Doch hatte es sich bei der Mehrzahl der Deutschen zu diesem frühen Zeitpunkt weniger um ein tief empfundenes Bekenntnis als vielmehr um ein pragmatisches Lippenbekenntnis gehandelt. Nicht nur die unter Druck gesetzten ostdeutschen Pönitenten meinten es mit einer tätigen Reue zunächst nicht sehr ernst, auch die selbst ernannten kommunistischen »Beichtväter« wollten ihre neuen Schützlinge nicht wirklich von ihren kollektiv begangenen Sünden lossprechen: An den Gräbern der »gefallenen Soldaten«, symbolisiert am Treptower Ehrenmal des »Befreiers« wie auf den Ehrenfriedhöfen inmitten der Städte, forderten sie vielmehr fortdauernde Wiedergutmachung. Das Grundmuster der dogmatischen Unterscheidung von Sünde und Erbsünde sollte auch künftig konsequent auf »die Deutschen« angewandt werden: Die Erbsünde des »faschistischen« Regimes blieb über alle Befreiungs- und Beichtgesten hinaus eine politische und propa-
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gandistische Konstante: ein deutscher Makel, der niemals ausgelöscht werden durfte und konnte. Auf den Tribünen wie an den Gräbern standen fortan sorgfältig ausgewählte Repräsentanten der Partei- und Staatsführung, allen voran die einstigen »Kämpfer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus«. Sie präsentierten sich als würdige Stellvertreter der gefallenen Opfer. Ihnen gegenüber sollte Generation für Generation die eigene wie die ererbte Schuld bekennen – und begleichen. Zwar waren die »zeitlichen Sündenstrafen« materiell durch Demontagen und Reparationszahlungen abgegolten worden, doch entband dies die Bürger zu keinem Zeitpunkt davon, die verbleibende immaterielle Erb-Schuld durch bekenntnishafte und unbedingte Unterordnung unter die patriarchalen Machthaber abzutragen. Die »Erlösung« vollzog sich kollektiv, auf dem Schauplatz der Geschichte und im Medium der Gemeinschaft, in der Welt des Sichtbaren, des Politischen und des Gesellschaftlichen. Die Opfer wurden nicht nur präsentiert, vielmehr waren sie in Form ihrer sterblichen Überreste inmitten pulsierenden Lebens präsent. Die durch diese Präsenz beglaubigte moralische Herausforderung war ebenso allgegenwärtig. Wer auch immer wie auch immer auf diese Herausforderung reagierte, sie kommunizierte bei den einstigen Tätern in jedem Fall ein Bewusstsein in Bezug auf die Opfer. Die Angehörigen unterschiedlicher Generationen dürften vor diesen Gräbern zwar unterschiedlich reagiert haben. Eines hatten sie aber alle gemein: Das Wissen um ihre moralische Herausforderung (mitsamt dem Wissen um deren politische Instrumentalisierung) – gleich wie sie diese für sich annahmen. Das Antifaschismus-Postulat gerann dabei – zumindest für die Generation der Täter – keineswegs nur zum Schutzschild, sondern zugleich immer auch zu einem Schlüsselreiz. Eine Nichtwahrnehmung dieser politisch dominanten und in Ritualen wiederholten Schlüssel-(Heraus-)Forderung war in der DDR nicht möglich, vielmehr musste sich jeder Einzelne lebenslang auf einer Bandbreite von Reaktanz bis Akzeptanz dazu positionieren. Dennoch handelten weder Besatzer noch Bevölkerung notwendigerweise im Interesse der Propagandisten. Sie konnten dies tun, sie mussten es aber nicht. Vielmehr bildeten sie mehr oder weniger funktionierende Praktiken aus, um die Botschaften in ihre Lebenswelten und in ihre Interessenhorizonte einzubinden. Die Narrative vom »Befreier« und dessen Rolle für den Aufbau und Erhalt der Gesellschaft konnten akzeptiert, teilweise angenommen oder aber verworfen werden. Womöglich wurden Essentials integriert, verfremdet, mit eigenwilligen Bedeutungen aufgeladen – und möglicherweise weitergegeben. Selbst wenn es sich hierbei nicht immer um einen rationalen Vorgang handelte, ließ er die Bürger der DDR im Umgang mit den Besatzer-»Freunden« zu einer aktiven und handelnden Klientel werden.
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2.3 Der Volksaufstand von 1953 Stalins Tod Das Land wird frei im Frieden gedeihn, Und Glück wird sein und sonniger Wein, Kein Wort, kein Lied kann alle unsre Freude fassen. Lieder, Lieder singt im Chor! Die Heimat blüht, Von Stalin befreit, Er lebt im Lied als Hoffnung der Zeit, Die Völker, die den Frieden lieben, folgen Stalin, Er vollbringt, was er am Grabe Lenins schwor, Es singt ein Millionenchor Das Lied von Stalin – Stalin, der den Krieg bezwingt. (Deutsch von Heiner Müller)132
Dieses Lied feiert wie so viele Jossif Wissarionowitsch Dshugaschwili, Stalin, als Großen Befreier des deutschen Volkes. Die Hoffnung der Bevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR auf eine alsbaldige »Befreiung« auch vom Joch der Besatzung zerrann jedoch mit dem Auseinanderbrechen der Kriegskoalition der Alliierten und mit den sich zuspitzenden Auseinandersetzungen um die Nachkriegsordnung in Europa und in Deutschland. Nachdem die sowjetischen Besatzungstruppen in den ersten beiden Nachkriegsjahren zunächst mehrmals reduziert worden waren, kam es mit Beginn des Kalten Krieges zu einer verstärkten Dislozierung sowjetischer Truppen östlich der Demarkationslinie von Elbe und Werra.133 Mit den politischen Gegebenheiten wandelte sich auch die Stationierungsdoktrin. Der bisherige, vornehmlich sicherheitspolitisch begründete Auftrag, Deutschland zu entmilitarisieren, wich einer neuen Vorgabe: die »Abwehr einer Aggression«134 seitens des Westens umfassend vorzubereiten. Die erneute Aufstockung der Truppen, deren kriegsnahe Ausbildung, die dauerhafte Sicherung einer hohen Gefechtsbereitschaft, verbunden mit einer ausgeprägten Offensivkomponente, rechtfertigten sich aus Moskauer Sicht bereits während der Berlinblockade 1948 und während des Koreakrieges Anfang der fünfziger Jahre. Die Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 hingegen blieb für den Auftrag der Besatzungsarmee ohne unmittelbare Auswirkungen, weder die Proklamation der Deutschen Demokratischen Republik noch die Bildung der Bundesrepublik Deutschland veränderte – aus sowjetischer Sicht – die angespannte militärisch-politische Lage. Die Regierung der UdSSR übergab mit ihrer Erklärung vom 10. Oktober 1949 der neu installierten Führung der DDR zwar die Verwaltungssouveränität, behielt sich jedoch sämtliche Kontrollrechte vor. Ihr Status als Besatzungsmacht wie auch die Modalitäten der Besatzung
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bestanden unverändert weiter; die Truppen blieben im Land und fungierten weiterhin als Schild und Schwert Moskaus. Die Sowjetarmee in Mitteldeutschland und in Mitteleuropa blieb auch nach der Staatsgründung der zentrale Machtfaktor in innen- wie außenpolitischen Belangen. Die Rolle der Besatzungsarmee während des Juni-Aufstandes 1953 ließ über deren Charakter weder beim Ulbricht-Regime noch innerhalb der Bevölkerung der DDR Zweifel aufkommen. Dieses Schlüsselereignis der fünfziger Jahre soll in diesem Kapitel vor allem mit Blick auf die Politik und die Handlungen der Besatzer und deren Wahrnehmung durch die Bürger dargestellt werden. Der Aufstand des 17. Juni 1953 zeigte wie kein zweites Ereignis, dass die Sowjetunion ohne Wenn und Aber über die Entwicklungen innerhalb der DDR zu entscheiden beanspruchte,135 wohl wissend, dass die eingesetzten ostdeutschen Staats- und Parteiführer nicht im geringsten über die notwendige Durchsetzungskraft verfügten, den neu begründeten Staat der Arbeiter- und Bauernmacht gegen seine »inneren« und »äußeren« Feinde zu schützen.136 Bereits seit Herbst 1952, in dem Jahr, in welchem Walter Ulbricht den Aufbau des Sozialismus proklamierte, war es zu Unruhen innerhalb der Bevölkerung gekommen; überall herrschte ob der schlechten Versorgungslage große Unzufriedenheit. Die Gefängnisse verzeichneten einen Höchststand an Insassen: Während noch im Juli 1952 insgesamt 30.000 Gefangene in 150 Haftanstalten einsaßen, waren es im Mai 1953 61.000 in 200 Anstalten.137 Hinzu kam die explodierende Zahl der Republikflüchtigen. Die Führung der KPdSU dachte zu diesem Zeitpunkt ernsthaft über Walter Ulbrichts Vorschlag nach, die Volksarmee als Grenztruppe in Berlin einzusetzen.138 In dieser für die DDR prekären Situation starb Jossif W. Stalin. Für die Eliten in Partei und Staat hatte »Er« die »Freiheit und ein Leben ohne Ausbeutung«, »den gewaltigen Aufbau des ersten sozialistischen Staates und den Übergang in diesem Staat zum Kommunismus« verkörpert.139 Doch galt diese Hochschätzung keineswegs für die Mehrheit der Bevölkerung, was die führenden Genossen im ZK der SED durchaus wussten: Neben besonders am 6. März auftretenden hinterhältigen und gemeinen Äußerungen [der Feinde, S. S.] gegen den Genossen Stalin wurde versucht, in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass mit dem Tode des Genossen Stalin eine Wendung in der Politik der Sowjetunion sowohl hinsichtlich der Verteidigung des Friedens wie ganz besonders auch hinsichtlich des Verhältnisses der Sowjetunion zu Deutschland zu erwarten sei. […] Weiter war besonders am 6. und 7. März verbreitet worden, dass nunmehr in der Sowjetunion ein Kampf verschiedener Strömungen und Richtungsgruppen um die Nachfolgeschaft einsetzen würde.140
Als Reaktion auf diese nach Stalins Tod artikulierten »Provokationen« und Ängste der Bevölkerung rief die SED-Führung zu so genannten Selbstverpflichtungen »zu Ehren und Andenken des verstorbenen Stalin« auf. Sie sollten
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die Treue zu den Idealen und Werten der Partei versinnbildlichen; in die Tat umgesetzt, gerieten sie zu einer Spende, zu einem Opfer für die große Sache – und sie stilisierten den Verpflichtenden zu »einem von uns«. Mit Hilfe der verordneten Trauer und der versprochenen Taten sollte in Zeiten politischer Vaterlosigkeit141 ein positives Wir-Gefühl geschaffen, eine symbolische Einheit dargestellt werden – ganz im Gegensatz zu dem, was die Feinde der Gemeinschaft anstrebten. Die Feinde Stalins waren die Feinde der Arbeiter- und Bauernrepublik. Um die angespannte Situation unter Kontrolle zu halten, begann die Partei in Zusammenarbeit mit Polizei, Staatssicherheit und Justiz eine Offensive gegen den »gefährlichen Feind der Deutschen Demokratischen Republik« loszutreten: »Es unterliegt keinem Zweifel, daß die reaktionären Kräfte nach dem Tode des Genossen Stalin versuchen werden, durch gesteigerte Hetze, Provokationen, Spionage und Sabotagehandlungen aller Art Unruhe und Verwirrung zu stiften und dadurch das Vertrauen in die unbesiegbare Kraft des Friedenslagers und den erfolgreichen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR zu erschüttern«.142 Alle Sicherheitsorgane wie auch das neu begründete Ministerium für Staatssicherheit wurden vor Ort in die Gesamtstrategie der Gegnerbekämpfung einbezogen. Man begann, verstärkt Präsenz zu zeigen, überall zogen Polizeiposten auf.
Tage im Juni 1953 Nach Stalins Tod im März 1953 hatte es innerhalb der Moskauer Regierung personelle und strategische Veränderungen gegeben, so dass die brennenden Probleme des noch jungen ostdeutschen Staates an der Nahtstelle der Systeme erst am 14. Mai 1953 auf die Agenda des Ministerrats der UdSSR gelangten. Innenminister Lawrentij Berija legte eine Liste mit (nicht mehr aktuellen) Fluchtzahlen vom März 1953 vor.143 Zur Schadensbegrenzung empfahl er organisatorische sowie politisch-erzieherische Maßnahmen mit dem Ziel, den DDR-Staatsapparat zu stärken. Dass nicht zuletzt die hohen Reparationsund Rüstungsauflagen seitens der Sowjetunion an der ostdeutschen Misere Schuld trugen, blieb in dieser wie in späteren Moskauer Beratungen – wenn überhaupt – eine Marginalie, obwohl Ulbricht bereits Anfang 1953 nachdrücklich um materielle Entlastungen gebeten hatte. Beunruhigt durch die immense Zahl von »Republikflüchtigen«, erhielt der Chef der Sowjetischen Kontrollkommission, Wassilij Tschuikow, den Auftrag, unverzüglich einen aktuellen Lagebericht zu erstellen. Dessen Analyse offenbarte eine herannahende Katastrophe. Vor allem die Folgen der II. Parteikonferenz der SED, die 1952 den Aufbau des Sozialismus ausgerufen hatte, seien für die bedrohliche Lage verantwortlich. Insbesondere die »Verdrängung kapitalistischer
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Elemente« in Industrie, Handel und Landwirtschaft.144 Auch die repressive Kirchenpolitik, die schlechte Versorgung sowie die harte Strafverfolgung müssten dringlich einer Korrektur unterzogen werden. Praktikable Vorschläge, mit Ausnahme einiger kleinerer Korrekturen des Kurses der SED, enthielt der Bericht nicht. Dies war keinesfalls nur der Nachlässigkeit Tschuikows anzulasten: Tatsächlich waren sich Stalins Epigonen in Moskau und Karlshorst über die weitere Ausgestaltung einer sowjetischen DDR- und Deutschlandpolitik nicht einig. Die internen Meinungsverschiedenheiten gipfelten schließlich in einem Richtlinienentwurf, den das Präsidium am 27. Mai absegnete.145 Das Ulbricht-Regime erfuhr von diesen internen Unstimmigkeiten zunächst einmal nichts.146 Um den drohenden Zusammenbruch des ostdeutschen Bündnispartners zu verhindern, bestellte die sowjetische Führung Ulbricht für den 2. Juni nach Moskau.147 Noch am selben Tag händigte man ihm eine aktuelle Verfügung des sowjetischen Ministerrates aus, in der die sofortige Einleitung eines »Neuen Kurses« befohlen wurde: Dem Dekret zufolge sollte der Kampf gegen die Mittelschichten sofort beendet und die Kollektivierung der Landwirtschaft ausgesetzt werden. Den Kirchen sei eine unabhängige Arbeit zuzusichern, die politischen Urteile der Justiz seien zu überprüfen und die unausgewogene Wirtschaftspolitik müsse revidiert werden.148 Sämtliche Bemühungen der deutschen Seite, zu volkswirtschaftlichen Absprachen mit dem Bündnispartner zu gelangen, nicht zuletzt auch in Reparationsfragen, waren in der Handreichung des Kremls rundweg übergangen worden. Die vorgegebenen Korrekturen blieben unausgegoren und waren eher als Sofortmaßnahmen denn als langfristiges Programm von Nutzen. Sie standen als vorläufiger Schlusspunkt der bisher betriebenen »gemeinsamen« Politik, die »eine Entwicklung von ungeschickter Krisenprophylaxe bis zu kontraproduktivem Krisenmanagement durchlief«149 und die schließlich zu den Ereignissen von Mitte Juni führte. Nach der Rückkehr Ulbrichts gab das SED-Politbüro der Bevölkerung am 9. Juni den verordneten »Neuen Kurs« bekannt,150 zwei Tage später erfolgte eine offizielle Regierungserklärung. Die Kritik an der Führung nahm gleichwohl innerhalb der Sozialistischen Einheitspartei wie auch innerhalb der Bevölkerung zu. Schon am Tag der Regierungserklärung konnte man erste Forderungen nach einem Rücktritt der verantwortlichen Staats- und Parteifunktionäre und nach freien Wahlen vernehmen; die Mehrheit der Bürger wertete die neuerlichen Bekanntmachungen als eine Bankrotterklärung der Partei. Gerüchte und Spekulationen machten die Runde: Walter Ulbricht und seine Mitstreiter seien geflohen, die sowjetischen Truppen stünden kurz vor ihrem Abzug und die Amerikaner würden stattdessen einziehen.151 Vor diesem Hintergrund überwanden große Teile der Bevölkerung an jenem 17. Juni ihre Furcht vor möglichen Repressionen seitens der Besatzer und beteiligten sich an öffent-
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lichen Kundgebungen. Sie forderten bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Einführung demokratischer Verhältnisse.
Demonstrationen militärischer Macht Die Aufstandsbewegung umfasste das gesamte Territorium der DDR, wobei neben gemeinsamen Elementen regional unterschiedliche Ausprägungen festzustellen sind. Nachdem die Werktätigen landesweit realisierten, dass sich die Berliner Bauarbeiter offen gegen die jüngste Politik von Partei und Regierung aufzulehnen begannen, ohne dass es zu sofortigen Verhaftungen seitens der eigenen Sicherheitsorgane oder seitens der Besatzungsmacht kam, überzog die Bewegung die Republik. Am frühen Morgen, mancherorts erst am späten Vormittag, berief man in den Betrieben spontane Versammlungen ein. Mit Nachdruck forderten die Belegschaften Informationen und Bewertungen zu den Nachrichten aus Ost-Berlin. Die allerorts zur Beschwichtigung der Menge entsandten Funktionäre der SED-Kreis- und Bezirksleitungen erwiesen sich als unfähig, Klartext zu sprechen, vielmehr hielten sie sich vielfach mit allgemeinen Floskeln über die prinzipielle Überlegenheit des Sozialismus auf, was dazu führte, dass sie laut ausgebuht wurden. Ihr Ziel, die Produktion am Laufen zu halten, vermochten sie ebenso wenig zu erfüllen, wie politische Forderungen seitens der Arbeiterschaft zu verhindern. Vielmehr formulierten die Belegschaften nun erste Kampfprogramme und wählten per Akklamation Streikkomitees. Nicht selten wurden auch Verbindungen zu Nachbarbetrieben aufgenommen mit dem Ergebnis, dass man ab dem späten Vormittag, an anderen Orten erst mit Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Besatzungsmacht, zu weiteren Kundgebungen in die Stadtzentren marschierte. Vor allem in den Großstädten formierten sich Protestzüge, denen die eilends heranbefohlenen bewaffneten Organe der DDR mehr oder weniger hilflos entgegentraten.152 Dies scheint ein Grund dafür gewesen zu sein, dass diese vormittäglichen Kundgebungen weitgehend gewaltfrei blieben. Die Selbstsicherheit der Demonstranten gegenüber den deutschen Sicherheitskräften verschwand mit dem Aufmarsch sowjetischer Panzer und Soldaten. Der Bevölkerung war zu diesem Zeitpunkt zwar bewusst gewesen, dass das »Bruderland« keine weit reichenden Veränderungen im ostdeutschen Satellitenstaat zulassen würde, doch hofften manche, dass sich die Besatzungsmacht, nach Stalins Tod selbst an einer Wegscheide, den Forderungen der Bevölkerung gegenüber zumindest neutral verhalten würde.153 Tatsächlich lässt sich im Verlauf des 16. Juni eine deutliche Zurückhaltung auf sowjetischer Seite erkennen, die zu erwartenden Proteste mit militärischen Mitteln niederzuschlagen. Moskau und Karlhorst gingen davon aus, dass die
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Unruhen von West-Berlin aus gesteuert und sich deshalb vornehmlich im Berliner Raum konzentrieren würden. Zwar hatte der im Großen Vaterländischen Krieg zu Ruhm gekommene Truppenführer Andrej A. Gretschko mit Bekanntwerden des Ausmaßes der Krise im Mai 1953 den Oberbefehl über die in der DDR stationierten Besatzungstruppen übernommen, doch geschah dies lediglich als Vorsichtsmaßnahme, nicht aber zur Vorbereitung einer konkreten militärischen Aktion.154 So kommandierte Gretschko am 16. Juni lediglich 450 Soldaten der Berliner Garnison zum Schutz einiger Parteigebäude, Bahnhöfe und Brücken in und um Berlin, ansonsten vertraute er darauf, dass das Regime die Lage selbst unter Kontrolle hielt, weitere Truppenkontingente wurden in Alarmbereitschaft versetzt.155 Erst in der Nacht fiel in Moskau die Entscheidung, politische wie militärische Stärke zu demonstrieren.156 Am Morgen des 17. Juni wurde den Befehlshabern klar, dass sich die Proteste keineswegs nur auf Berlin beschränken würden, sondern die Existenz der DDR bedroht war. Nun wurden auch Teile der Streitkräfte in der Provinz in Marsch gesetzt, was nicht ohne Konfusionen vonstatten ging. Die meisten Verbände befanden sich in Sommerausbildungslagern, was die schnelle Alarmierung wie auch den Einsatz der Verbände erschwerte.157 So tauchten die Militärs in den Mittags- und Nachmittagsstunden zunächst nur mit geringen Kräften in den 167 Stadt- und Landkreisen auf, über die der Ausnahmezustand verhängt worden war.158 Der Hohe Kommissar Semjonow und Gretschko waren sich einig, dass der Einsatz der Streitkräfte zunächst ohne Schusswaffengebrauch erfolgen und allein der Abschreckung dienen sollte. Für die »Wiederherstellung der Ordnung« waren ihrer Meinung nach die Kräfte der deutschen Volkspolizei verantwortlich.159 Als das Oberkommando jedoch den Ernst der Lage und die offensichtliche Unfähigkeit der deutschen Regierung und ihrer Sicherheitsorgane erkannte, entschied es nach Rücksprache mit Moskau, stärkere militärische Präsenz zu zeigen und den Aufstand mit »gesteigerten Repressivmaßnahmen«160 niederzuschlagen. Am 17. Juni und an den folgenden Tagen wurden republikweit mindestens einhunderttausend Mann und eintausend Panzer in Marsch gesetzt, davon allein sechshundert Kettenfahrzeuge in Berlin – von diesem Aufgebot trat allerdings nur ein geringer Teil in den Städten und Gemeinden in Erscheinung. Die Masse blieb in den umliegenden Wäldern verborgen, bereit, im Notfall einzugreifen.161 Zwar hatte sich die Bevölkerung in ihrer Hoffnung, die sowjetischen Streitkräfte würden womöglich nicht einschreiten, getäuscht, doch blieb das mobilisierte Truppenaufgebot angesichts der verfügbaren Ressourcen ausgesprochen bescheiden. Während des Aufstandes hatten vornehmlich deutsche Sicherheitskräfte die Leitung der Maßnahmen koordiniert und die Einsatzkontingente in Stellung gebracht. Die schriftlichen Überlieferungen deuten darauf hin, dass sich die
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zuständigen sowjetischen Befehlshaber lange Zeit zurückhielten.162 Ihre Panzer bewegten sich zunächst im Schritttempo durch die Menschenmengen, ihr martialischer Aufmarsch sollte vor allem eine Drohkulisse aufbauen. Sowjetische Soldaten benutzten ihre Handwaffen folglich zunächst nur zu Warnschüssen über die Köpfe der Menge. Als offenkundig wurde, dass die geballte Militärpräsenz die aufgebrachten Bürger nicht dazu bewegen konnte, die Kundgebungen zu verlassen, dass die Menschenmengen im Gegenteil öffentliche Gebäude stürmten, begannen die Besatzer scharf zu schießen. Der Hohe Kommissar Semjonow erinnerte sich später, er habe gegen elf Uhr aus Moskau die Weisung empfangen, militärische Standgerichte einzurichten und Rädelsführer zu erschießen. Die Mitteilung über die Exekutionen sollten überall in der Stadt ausgehängt werden.163 Nicht wenige Städte waren noch Tage nach dem 17. Juni von Panzern belagert. Schon während der Demonstrationen setzte eine gewaltige Verhaftungswelle durch sowjetische Militär- und Sicherheitsorgane, durch den DDRGeheimdienst sowie durch die Volkspolizei ein.164 Mit der Erklärung des Kriegszustandes war die Verfolgung der »Rädelsführer« auch zur Angelegenheit der Besatzungsmacht geworden. Sowjetische Militärrichter verhängten gegen Teilnehmer des Volksaufstandes Todesstrafen sowie mehrjährige Freiheitsstrafen, wobei die Zahl der Verurteilten bislang nicht genau zu beziffern ist, sicher aber bei mehreren Hundert liegt.165 Bemerkenswert scheint gleichwohl, dass die Urteilsintensität der sowjetischen Militärtribunale im Jahr 1953 deutlich geringer war als in den Jahren zuvor. Die sowjetischen Instanzen ahndeten vergleichsweise wenige Fälle, die große Menge der Entscheide verhängten DDR-Gerichte.166
Der »zweite Sieg« Im Juni 1953 zeigte die sowjetische Besatzungsmacht, dass sie in keinem Fall bereit sein würde, in ihrem Machtbereich politische Veränderungen zuzulassen. Obwohl das Militär während des Aufstandes in den meisten Fällen Zurückhaltung bei der Anwendung von Gewalt übte, hatte die Bevölkerung doch die Erfahrung machen müssen, dass eine Veränderung der Gesellschaft nur mit dem Einverständnis der Besatzer zu erreichen war. Die Bilder rollender Panzer dürften sich als Engramme in die Köpfe der Menschen eingegraben haben. Der »Aufbau des Sozialismus« zog Maßnahmen nach sich, die nicht nur für die Arbeiterschaft spürbare Einschnitte zeitigten. Mit der Ulbrichtschen Proklamation von 1952 setzte eine Verschärfung des politischen, ökonomischen und administrativen Alltags ein, welche die seit 1947 relativ konstante »Besatzungssicherheit« in vielerlei Hinsicht in Frage stellte. Die »Russenpartei« zog
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Das Stationierungsabkommen von 1957
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die Zügel an – und veränderte die in den vierziger Jahren hergestellte Balance zwischen der Bevölkerung auf der einen und den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau auf der anderen Seite. Die wahrgenommenen Diskrepanzen führten zu dem Bedürfnis der Bevölkerung, nicht nur die vormals gültigen Arbeits-Normen, sondern auch die etablierten Normen des gesellschaftlichen und damit des Besatzungs-Alltags wiederherzustellen. Moskau mitsamt seinen Statthaltern in der DDR war an der Aufkündigung der seit rund fünf Jahren erzielten Kompromisse keineswegs gelegen. Die Befehlshaber der stationierten Truppen beobachteten eher argwöhnisch die von der SED eingeleiteten Maßnahmen und meldeten in ihren Berichten, dass sich die Grundstimmung der Bevölkerung, Angst, Unsicherheit und Unzufriedenheit, durch den Tod Stalins im Frühjahr 1953 noch verstärkt hatte. In dieser Situation zogen die örtlichen wie die Moskauer Besatzungsstrategen an einem Strang – und pfiffen die in Verruf geratenen deutschen Genossen mit dem Oktroi des »Neuen Kurses« zurück. Zu spät. »Das Volk« fand sich in den Tagen des Juni 1953 erstmals nach dem verlorenen Krieg als politischer Akteur wieder. Doch die Erfahrung, die es angesichts der anrollenden sowjetischen Panzer machen musste, war, dass die auf dem Mythos der »Befreiung« und dem Postulat der »Freundschaft« basierenden Formeln und die für den Alltag ausgehandelten Formen ohne Abstriche einzuhalten waren. Gleichwohl, die sowjetische Besatzungsmacht akzeptierte das Verlangen nach einer Kontinuität dieser Kompromisse, so dass es in der Folge zu Lockerungen bei den Reparationsforderungen einerseits und wenige Jahre später zu einer juristischen Kodifizierung des Aufenthaltes der sowjetischen Streitkräfte auf dem Territorium der DDR andererseits kam.
2.4 Das Stationierungsabkommen von 1957 Nur eine langfristige und handfeste Absicherung durch die sowjetische Militärmacht, dies war den Regierungen in Moskau und Ost-Berlin mit dem 17. Juni 1953 klar geworden, konnte den deutschen Arbeiter- und Bauernstaat vor einer frühzeitigen Erosion schützen. In der Folge kam es zu einem Arrangement von beiderseitigem Vorteil, das einerseits scheinbar weit reichende Zugeständnisse an die Souveränitätsansprüche des Landes machte, das jedoch andererseits von seinem Ziel, der Festigung des Ostblockes mit der DDR als vorgeschobenem Posten, keinen Zoll abwich. Schon mit der Gründung der DDR 1949 hatten es die sowjetischen Streitkräfte als ihre erste Pflicht formuliert, den deutschen Bruderstaat »als Eckpfeiler des sowjetischen Sicherheitssystems auf europäischem Boden«167 mit mili-
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tärischen Mitteln zu schützen. Ihre sichtbare Präsenz bestimmte die Existenz und die Stabilität der neu begründeten Republik im Binnen- wie im Außenverhältnis. Mit der Erklärung der Regierung der UdSSR vom 25. März 1954, mit welcher sie der DDR künftig volle Souveränität versprach, wurde de jure eine neue Qualität dieser Beziehung postuliert: Fortan sollte es sich – jedenfalls dem Anspruch nach – nicht mehr um eine »Besatzung« handeln, sondern um eine von einem gastgebenden Land erwünschte, an vereinbarte Regeln gebundene »Stationierung«.168 Im Jahr darauf erklärte der Kreml den Kriegszustand mit »Deutschland« für beendet. Als Grundlage des weiteren Aufenthaltes der eigenen Truppen auf deutschem Hoheitsgebiet sollte von nun an der »Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR« vom 20. September 1955 dienen.169 Sechs Jahre nach der Proklamation eines ostdeutschen Staates wurde damit erstmals ein zweiseitiges Abkommen getroffen, welches die dauerhafte Stationierung sowjetischer Streitkräfte absicherte. Die Botschaft der Regierung der DDR an ihre Bürger lautete, dass man künftig über jedwede Angelegenheit selbstständig entscheiden könne, ein politisches Geschenk, das aus »der konsequenten Politik der Freundschaft zum großen Sowjetvolk«170 erwachsen sei. Über die – freilich diffus bleibenden – Grundlagen und Grundfragen des Staatsvertrages von 1955 sollte daher innerhalb der Bevölkerung breit beraten und diskutiert werden. Unmittelbar nach der Volkskammerwahl am 26. September 1955 rief die Ost-Berliner Regierung zur Proklamation des Vertrages eine »umfassende Aufklärungsund Versammlungstätigkeit ins Leben«: Der Bevölkerung sollte das großzügig »geschenkte« Recht auf Selbstbestimmung mit großem propagandistischen Aplomb verkündet und nebenbei auch der Wermutstropfen einer unbegrenzten Truppenpräsenz vermittelt werden: »Um die gesamte Bevölkerung eingehend mit den Ergebnissen der Moskauer Konferenz bekannt zu machen«,171 waren republikweit »Einwohnerversammlungen, Belegschafts- und Brigadeveranstaltungen sowie für die Intelligenz, für Handwerker, Geschäftsleute, Frauen und Jugendliche gesonderte Foren« anzuberaumen. Die Agitatoren suchten nun »persönlichen Kontakt zur Bevölkerung« – nur zu deutlich hatte man noch die sprach- und hilflosen Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre vor Augen, die im Juni 1953 von der Arbeiterschaft ausgebuht worden waren. Die Referenten sollten den Vertrag »lebendig vermitteln« und »alle gegnerischen Argumente entlarven«.172 Besonders hartnäckige Gegner waren den Sicherheitsorganen zu melden.
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Das Stationierungsabkommen von 1957
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Der Stationierungskodex Im Staatsvertrag von 1955 wurde festgelegt, dass die sowjetischen Truppen »zeitweilig« in der DDR verbleiben würden, Detailfragen der Stationierung sollten später zwischen den Regierungen ausgehandelt werden. Am 20. September 1955 unterschrieben die Vertragspartner ein Protokoll über die »Bedingungen der Stationierung der Streitkräfte«, welches wesentliche Festlegungen darüber enthielt, was den Truppen zu überlassen, zu gewähren und zur Verfügung zu stellen war. Das Dokument konnte den mit dem Aufenthalt verbundenen vielfältigen praktischen Problemen allerdings in keiner Weise gerecht werden. Anlässlich der Verhandlungen zwischen Regierungsdelegationen der DDR und der UdSSR Anfang Januar 1957 wurden auch die zunehmenden »Vorfälle« in Bezug auf die GSSD angesprochen. Die Verhandlungspartner erklärten sich aufgrund des drängenden Problemhorizontes bereit, möglichst bald ein konkretes »Abkommen über Fragen im Zusammenhang mit der Stationierung sowjetischer Truppen« abschließen zu wollen. Auf Beschluss des Präsidiums des Ministerrats der DDR vom 21. Februar 1957 gründete sich eine spezielle Arbeitsgruppe unter der Leitung der Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten beider Länder. Ihre Aufgabe sollte es sein, den Entwurf für ein Stationierungsabkommen zu erarbeiten, was sie bis Anfang März 1957 realisierte.173
Vage Regelungen und ungeklärte Fragen Am Nachmittag des 8. März 1957 traf eine sowjetische Verhandlungsdelegation zur Unterzeichnung des vorliegenden Vertragsentwurfes in Berlin ein, wobei man auf Öffentlichkeit gänzlich verzichtete.174 Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurde den Spezialisten der deutsche Text des Abkommens – ein korrigierter Entwurf Moskaus – zugeleitet. In zwei wesentlichen Punkten hatte die deutsche Seite um Abänderung gebeten. Eine formale Korrektur hob die Souveränität der DDR deutlicher hervor, eine inhaltliche Einfügung verlangte, dass die Stärke und die Standorte der Streitkräfte jeweils mit der Regierung der DDR abgesprochen werden müssten. Dies entsprach nach Meinung der deutschen Verhandlungspartner der zugesicherten Souveränität und auch der Tatsache, dass die sowjetischen Streitkräfte mit großzügiger Zustimmung der Regierung auf deutschem Territorium stationiert blieben.175 Am Morgen der ersten Zusammenkunft, am 9. März, suchte der sowjetische Botschafter vor Sitzungsbeginn den deutschen Verhandlungsleiter mit der dringlichen Bitte auf, den Passus bezüglich der Besatzungskosten noch einmal zu überdenken. Beide einigten sich auf die Hintanstellung des Problems. Während des Vormittagstreffens erörterten die Delegationen die an-
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gemeldeten, hauptsächlich formalen Änderungswünsche.176 Als die deutschen Verhandlungsführer dann doch nach den ausgeklammerten Aufenthaltskosten fragten, vor allem aber nach dem Anteil, den die DDR würde tragen müssen, verwiesen die sowjetischen Partner darauf, dass über die vereinbarten 800 Millionen Mark hinaus noch weitere Kosten anfallen würden, doch wolle man diese Frage nicht im Vertrag, sondern zu einem anderen Zeitpunkt klären. Auch Fragen der Zollfreiheit sowie des Unterhalts für Kinder von Besatzungssoldaten sollten Gegenstand späterer Briefwechsel sein.177 In den folgenden Tagen verbrachten die sowjetischen Abgesandten viel Zeit auf der Leipziger Messe, in der Berliner Oper und im Friedrichstadtpalast, während die Redaktionskommission tagte und die Regierungsvereinbarung für die Unterzeichnung vorbereitete. Am Morgen des 12. März 1957 trafen der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Andrej A. Gromyko, und der Minister für Verteidigung der UdSSR, Georgi K. Schukow, auf einem sowjetischen Militärflugplatz in der Nähe Berlins ein. Nach einer kurzen Plenarsitzung178, in der man die prominenten Neuankömmlinge über den Verhandlungsverlauf informierte, schritten die Delegationen zur Unterzeichnung in den Steinsaal im Haus der Ministerien. Zu dieser Zeremonie waren ausdrücklich auch westliche Journalisten gebeten worden.179 Der feierliche Akt des Vertragsabschlusses wurde vom Deutschen Fernsehfunk direkt übertragen. Einige Tage später veröffentlichte das Neue Deutschland unter der Überschrift »Ein notwendiges Instrument des Friedens« den Text des Abkommens. Unmittelbar neben den klein abgedruckten, sperrigen Gesetzesparagraphen prangte eine wohlfeile Lesereinführung: »Als Kämpfer gegen die Nazipest sind die sowjetischen Soldaten und Offiziere zu uns gekommen, jetzt stehen sie auf Grund des Warschauer Vertrages zusammen mit den Werktätigen der DDR und unserer Nationalen Volksarmee auf Friedenswacht gegen die aggressiven Pläne der Adenauer-Regierung.«180 Allenfalls schemenhaft blieb die Berichterstattung der Armeezeitung Krasnaja Zvezda, sie informierte die Angehörigen der GSSD nur in äußerst groben Zügen über das historische Ereignis. Hauptsächlich verwies sie auf die im Vorfeld unterbreiteten Abrüstungsvorschläge der UdSSR, Angebote, die der Westen allesamt abgelehnt hätte. Insofern trage man keine Schuld, dass sich der zeitlich begrenzte Truppenaufenthalt auf dem Territorium Deutschlands (sic!) um unabsehbare Zeit verlängere. Für den Erhalt des Friedens in Europa sei ein dauerhafter Verbleib unverzichtbar.181 Dieses in weiten Teilen bewusst vage gehaltene Stationierungsabkommen vom März 1957 legte unter anderem fest: – die Nichtbeeinträchtigung der Souveränität der DDR (Art. 1), – Konsultationen der deutschen Regierung bei Veränderung der Stärke und Standortverteilung der Truppen sowie die Vereinbarung von Manövergebieten (Art. 2),
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Das Stationierungsabkommen von 1957
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die Achtung und Einhaltung des Strafrechts der DDR (Art. 3), die Orientierung auf Abschluss eines Rechtshilfeabkommens (Art. 9), den Grundsatz des gegenseitigen Schadensersatzes (Art. 11 bis 14), das Recht auf die weitere Nutzung der Liegenschaften einschließlich der Gebäude, – die Inanspruchnahme von Energielieferungen, von kommunalen Diensten und von anderen Versorgungsleistungen.182 Die Grundsätze des Stationierungsabkommens ließen nicht nur eine Vielzahl von alltäglichen Belangen des Truppenaufenthaltes unberücksichtigt,183 es wurden darüber hinaus auch keine Richtlinien für eine einheitliche Umsetzung der Regelungen gegeben. Ein weiteres, zusätzliches »Abkommen über die Inanspruchnahme« von Infrastrukturen und Leistungen wurde nicht einmal veröffentlicht, so dass die örtlichen Staatsorgane bestenfalls Auszüge des Abkommens kannten und insofern kaum nach geltendem Recht handeln konnten. Es blieb den Leitern der einzelnen Staatsorgane und den Vorsitzenden der örtlichen Räte überlassen, nach praktikablen Wegen zur Realisierung des Vertrages zu suchen, wobei vor allem die lokalen Instanzen das Gros der Arbeit in Unkenntnis der Rechtslage zu leisten hatten. Erst in den achtziger Jahren, im Zuge einer exakteren wirtschaftlichen Planung und Bilanzierung, wurden detaillierte Vereinbarungen mit der GSSD abgeschlossen sowie innerstaatliche Bestimmungen erlassen. Bis zum Ende der DDR wurden sie kaum umgesetzt. Im Großen und Ganzen führte man die gewohnten Besatzungspraxen einfach weiter. Daran änderte auch das eigens ins Leben gerufene deutsch-sowjetische Beraterteam wenig.
Die Gemischte Deutsch-Sowjetische Kommission Im Stationierungsabkommen war festgelegt worden, ein deutsch-sowjetisches Gremium zu schaffen; tatsächlich wurde dessen Statut am 7. Dezember 1957 verabschiedet. Die Gemischte Deutsch-Sowjetische Kommission setzte sich aus je drei Vertretern der deutschen und der sowjetischen Seite zusammen, die jeweils von ihren Regierungen ernannt wurden. Zudem konnten noch zusätzliche Berater und Dolmetscher zu den jeweiligen Sitzungen hinzugezogen werden. Laut Satzung zeichnete die Kommission für alle Fragen der Auslegung und Anwendung des Stationierungsabkommens und seiner Zusatzvereinbarungen verantwortlich. Sie sollte immer dann eingeschaltet werden, wenn auf anderem Wege keine Einigung erzielt werden konnte; es handelte sich somit um eine Art paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht. In den ersten Jahren regelte das Gremium manche Probleme, die sich aus der Inanspruchnahme von Objekten und Leistungen ergaben, vor allem Schadensersatzansprüche
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sowie Versorgungsfragen. Auf diese Weise trug die Kommission viel zur Herausbildung alltäglicher Besatzungsusancen bei. Mit den wachsenden direkten Kontakten zentraler wie örtlicher Staatsorgane zur GSSD begnügte sich der Ausschuss jedoch immer häufiger mit bloßen Liegenschaftsangelegenheiten, obwohl diese laut Statut gar nicht zu seinen Aufgaben gehörten. Der Grund für die Vernachlässigung ihrer ureigenen Obliegenheiten war vor allem der, dass die Kommission immer seltener mit der Koordinierung von Besatzungsfragen beauftragt wurde. Die Leiter der örtlichen Behörden waren zu keinem Zeitpunkt zu einer systematischen Information »nach oben« verpflichtet worden, viel lieber regelten sie ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich. Ohnehin dauerten die Vorgänge, wenn sie zentral verhandelt wurden, oft Wochen oder gar Monate. So lange konnten und wollten weder die Truppenkommandeure vor Ort noch die Kommunalpolitiker warten. Seit Mitte der sechziger Jahre fällte die Kommission nur noch selten Entscheidungen von Bedeutung.184 Folgerichtig änderte sie 1970 ihre Satzung, fortan kam das Gremium nicht mehr vierteljährlich zusammen, sondern nur mehr im Jahresrhythmus.185
2.5 Die Definition der Grenzen: Der Mauerbau 1961 Von 1955 bis 1957 wurden zwar völkerrechtlich verbindliche Rahmenbedingungen für die Besatzung geschaffen. – Ein abgestecktes, abgeschlossenes, kontrollierbares Handlungsfeld einer solchen Besatzung existierte jedoch insofern noch nicht, als die Demarkationslinie mit Westdeutschland weiterhin offen blieb. Um die von der Bevölkerung wie von den Militärs immer wieder eingeforderten tragfähigen Kompromissformen in Zukunft gewährleisten zu können, war es nötig, das »eigene Territorium« zu arrondieren und Störfaktoren infolge des deutsch-deutschen Grenzverkehrs auszuschalten. – So jedenfalls lautete das Kalkül der SED-Spitze im Verein mit dem Oberkommando der Streitkräfte in Wünsdorf. Als Nikita S. Chruschtschow mit seinen zwei Ultimaten vom Herbst 1958 eine neue Berlin-Krise auslöste, wollte er durch einen Friedensvertrag eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR erreichen und gleichzeitig die Wege in die »Schaufenster«-Stadt West-Berlin versperren.186 Doch während er selbst den Konflikt mit dem Westen unter allen Umständen unter Kontrolle zu halten trachtete und die Entwicklungen mit großer Zurückhaltung abwartete, drängte Walter Ulbricht angesichts der hohen Flüchtlingszahlen auf schnelle Grenzschließungen.187 Das Konzept eines Friedensvertrages, für das Ost-Berlin nun im Kreml plädierte, notfalls auch allein von der UdSSR und den Volksdemokratien mit der DDR abzuschließen, hätte Ulbrichts Autorität nach innen gestärkt. Nach außen wäre der Vertrag ein Schritt zur Neutralisierung der seit
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1955 von der Bundesrepublik verfochtenen Hallstein-Doktrin gewesen.188 Moskau freilich hielt den von Ulbricht vorgeschlagenen Separat-Vertrag für alles andere als dienlich: Bisher konnte es aufgrund seiner Rechte als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges und aufgrund des fehlenden Friedensschlusses auf die Entwicklungen in Mitteleuropa direkt Einfluss nehmen.189 Ein gesondertes Abkommen mit der DDR hätte das angestrebte Ziel, den Status quo in Deutschland und Europa vertraglich festzuschreiben, unmöglich gemacht. Nachdem Chruschtschow die Separat-Lösung zunächst nicht abzuringen war, forderte Ulbricht zumindest die Schließung des Fluchtloches nach West-Berlin.190 Seit Herbst 1960 befasste sich der Parteichef der SED intensiv mit Plänen, die Sektorengrenze abzuriegeln, freilich zunächst ohne Unterstützung des Kremls.191 Dies hinderte ihn nicht daran, das Oberkommando der GSSD in Wünsdorf von seinen fortgeschrittenen Überlegungen in Kenntnis zu setzen und dieses um Mithilfe zu bitten. Anfang Januar 1961 traf sich Verteidigungsminister Heinz Hoffmann auf Geheiß Ulbrichts mit dem Oberkommandierenden Iwan Jakubowskij, um eine Reihe von militärischen Fragen zu besprechen.192 Ziel der Zusammenkunft war es herauszufinden, wann und in welchem Ausmaß die stationierten Truppen im Krisenfalle eingreifen würden und ob sie ebenfalls eine dauerhafte Grenzsicherung zum Westen für notwendig erachteten.193 Am 29. März 1961 informierte Ulbricht den Politischen Beratenden Ausschuss des Warschauer Vertrages über seine Pläne.194 Ende April/Anfang Mai 1961 begannen die sowjetischen Streitkräfte vor Ort mit konkreten Planungen für eine bevorstehende Eskalation der Berlin-Krise.195 Mittlerweile arbeitete man nicht nur in Ost-Berlin an der beabsichtigten Grenzsperrung; mit dem Scheitern des Wiener Gipfeltreffens im Juni beschleunigte auch Moskau seine Vorbereitungen zum Mauerbau.196 Ende Juni hatte das Oberkommando in Wünsdorf Chruschtschow eine Lagebeurteilung zu geben, wobei die Frage einer vollständigen Sektorenschließung im Mittelpunkt der Besprechung stand. Der Sachstandsbericht nebst einer detaillierten Karte des geplanten Grenzverlaufes wurde dem sowjetischen Parteichef an dessen Urlaubsort auf der Krim überbracht. Die Nachrichten aus Ost-Berlin fanden Chruschtschows Zustimmung, gemeinsam mit seinem Außenminister Andrej Gromyko und dem Hohen Kommissar Semjonow traf er Ende Juli die endgültige Entscheidung, die Sektorengrenzen abzuriegeln.197 Bereits im Frühsommer waren erste Umverteilungen der Panzer- und Flugzeugabwehrverbände der GSSD veranlasst worden, gleichzeitig hatten zahlreiche Einheiten neue Ausrüstungen erhalten.198 Am 15. Juli ordnete der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages eine Erhöhung der Gefechtsbereitschaft der NVA an, gleichzeitig übertrug er dem Oberkommandierenden der GSSD die Weisungsbefugnis über die ostdeutschen Streitkräfte.199 Am 25. Juli besprachen der Chef des Stabes der GSSD
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und der Chef des NVA-Hauptstabes die notwendigen Vorkehrungen an den Sektorenlinien, am »Ring um Berlin« sowie an der »Staatsgrenze West«. Die eigentlichen Sicherungsaufgaben sollten demnach den Kräften des Ministeriums des Innern übertragen werden, während die GSSD und die NVA im Hintergrund zu bleiben hatten.200 Einheiten der Deutschen Grenzpolizei begannen am 1. August, Transporte mit Baumaterial über Schleichwege in die Randbezirke der Hauptstadt zu geleiten.201 Neben dem Aufbau einer militärischen Drohkulisse erfolgte nun auch kurzfristig ein Wechsel der Protagonisten vor Ort: Symbolträchtig wurde der Kriegsheld Iwan S. Konew zum Oberbefehlshaber der GSSD ernannt, wenngleich auch der bisherige Amtsinhaber weiterhin auf seinem Posten verblieb.202 Alle Eingeweihten gingen Ende Juli/Anfang August davon aus, dass die Abriegelung der Sektorengrenzen unmittelbar bevorstand. So schien die Zustimmung der Warschauer Vertragsgemeinschaft Anfang August in Moskau nur mehr reine Formsache gewesen zu sein. Diskussionen fanden nicht statt, die Maßnahme wurde lediglich zur Kenntnis genommen.203 Noch während der Sitzung kam es zur Verlegung von sowjetischen Truppenverbänden aus der Provinz in die Hauptstadt Berlin, bis zum 13. August wurden die dortigen Kräfte auf die Stärke einer Division aufgestockt. Am »äußeren Ring« der Stadt gingen neben der 1. Motorisierten Schützendivision die Einheiten drei weiterer Divisionen der 20. Gardearmee in Stellung.204 Entlang der Autobahnstrecke Helmstedt-Berlin postierten sich zusätzliche sowjetische Verbände. Keiner der Beteiligten konnte zu diesem Zeitpunkt voraussehen, wie sich die Bevölkerung angesichts der geplanten Nacht- und Nebelaktion verhalten würde. Die Gefahr eines erneuten Volksaufstandes versetzte sowjetische wie ostdeutsche Sicherheitsorgane in höchste Alarmbereitschaft. Ihr Auftrag war es, »falls notwendig die Ordnung aufrechtzuerhalten«.205 Allerdings wusste man um die Brisanz einer allzu deutlichen Militärpräsenz. Sowohl während der Grenzschließung als auch in den Monaten danach zeigte sich der sowjetische Generalstab bemüht, Provokationen etwa durch unnötige Härte im Grenzregime zu vermeiden. Auch an der eigentlichen Abriegelung der Demarkationslinie waren sowjetische Truppen nicht beteiligt. Mit einem Personalaufwand von insgesamt 10.000 Grenz- und Volkspolizisten, 4.500 Mitgliedern der Kampfgruppen und über 7.300 NVA-Soldaten wurde WestBerlin bis zum Morgen des 13. August 1961 abgeriegelt.206 Bei aller Zurückhaltung der GSSD in diesen Augusttagen war der Ost-Berliner Regierung und der Bevölkerung bewusst, dass die Moskauer Führung auch nach ihrem 1955 vollzogenen Statuswechsel von Besatzungs- zu Stationierungstruppen keinesfalls gewillt war, die Kommandogewalt den deutschen Hausherren zu überlassen. Auch in der Folgezeit erhielten die Deutschen bestenfalls ein begrenztes Mitspracherecht in Fragen militärischer Sicherheits-
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politik und in Fragen der Stationierungspolitik. Die 1945 einmarschierte Armee blieb eine Besatzungsarmee. Nach anfänglicher Empörung innerhalb der Bevölkerung und deren rigider Ahndung durch die staatlichen Repressionsapparate begann sich die Mehrheit der Bürger mit den vollendeten Tatsachen abzufinden. So hielt man sich an den von Ulbricht bald verkündeten Reformversprechungen fest, die nicht nur eine erhöhte wirtschaftliche Effizienz, sondern auch einen attraktiveren Sozialismus versprachen. Ähnlich wie nach dem 17. Juni war die Stimmungslage innerhalb der Bevölkerung zwiespältig: Zwar lehnte man die Grenzschließung mehrheitlich ab, doch lebte es sich schwer in einem Zustand dauerhafter Résistance, zudem überzeugten auch von der Regierung offerierte Karriereangebote vor allem an die nachrückende Aufbaugeneration. Anfang der sechziger Jahre schienen die Substanz und die Potentiale also sehr wohl vorhanden, die DDR in absehbarer Zeit in eine »moderne Industriegesellschaft«207 zu verwandeln. Anfang der sechziger Jahre war die anderthalb Jahrzehnte andauernde Suche nach belastbaren Horizonten der Besetzung abgeschlossen: – 1947 wurden wilde Formen der frühen Besetzung durch den Rückzug hinter mentale wie materiale Barrieren abgelöst, die Schutzräume für beide Seiten schufen; – Mitte der fünfziger Jahre kamen juristische Kodifizierungen in Form bilateraler Abkommen hinzu und – 1961 gelang es Ost-Berlin und Wünsdorf, die Sowjetische Besatzungszone endgültig durch den Bau eines »antifaschistischen Schutzwalles« abzuschließen. Damit war der Prozess der Besetzung (Ost-)Deutschlands durch diese Siegermacht des Zweiten Weltkrieges beendet. Das Stationierungsabkommen von 1957 stellte nur ein Element in diesem Gesamtgeschehen dar, nicht aber einen Wendepunkt. Denn, entgegen landläufiger Propaganda, vermochten die darin ausgehandelten Bestimmungen allenfalls, Kompromissformeln darzustellen – keineswegs aber echte Leitlinien für die Alltagspraxis. Trotz der juristischen und politischen Beschwörungen einer neuen Daseins-Qualität namens Stationierung blieb es bis zum Abzug der Truppen beim längst eingeübten Besatzungsstil. Und dennoch: Die dreifache Normierung von Grenzen und Sphären begünstigte gleichwohl eine sozialpsychische Normalisierung des Miteinanders. Die so begründeten und bedingten Freiräume schufen Möglichkeiten und Chancen eines von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort differierenden und dennoch vertrauten Umgangs. Diese Tendenz zur Stabilisierung auch in den deutsch-sowjetischen Beziehungen muss als ein Bedingungsfaktor mitbedacht werden, wenn man dem Axiom einer »zweiten Gründung« der DDR mit dem Mauerbau folgt.
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3 Die Zeit der »Besatzung«: Vom Mauerbau bis zum Abzug 1994
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Abb. 3: (Un-)Freiwillige Nachbarschaften: Die Standortkommandantur lag in unmittelbarer Nähe zur Katholischen Kirche (Weimar, achtziger Jahre)
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3.1 Die »Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland« 3.1.1 Infrastrukturen und Inbesitznahmen Personalstärken Bis 1948 war die Rote Armee von insgesamt 11,4 Millionen Mann bei Kriegsende auf etwa 2,9 Millionen abgebaut worden, die Besatzungstruppen in Deutschland wurden bis Anfang 1946 auf etwa eine halbe Million Mann reduziert; vor allem die älteren Jahrgänge der Frontkämpfer kehrten nun in die Heimat zurück.1 Moskauer Befehle setzten dieser Demobilisierung jedoch bald ein Ende. Ganz im Gegensatz zum zunächst eingeleiteten partiellen Abzug wurde die Gefechtsausbildung im Herbst 1946 wieder intensiviert. Im November veranstalteten die verbliebenen Besatzungstruppen erstmals Manöver, die die Abwehr von Angriffen seitens der ehedem verbündeten Westmächte simulierten.2 Mit Befehl vom 29. Mai 1945 hatte Jossif W. Stalin Umfang und Struktur seiner Besatzungsarmee auf dem Territorium Deutschlands festgelegt: Dazu zählte – das Oberkommando, gebildet aus dem Oberkommando der 1. Belorussischen Front, – die 2. Stoßarmee mit ihrem Stab in Schwerin, – die 8. Gardearmee mit dem Stab in Weimar/Nohra, – die 5. Stoßarmee mit dem Stab im Olympischen Dorf bei Berlin, – die 3. Stoßarmee mit dem Stab in Stendal, – die 47. Arme mit Stab in Halle, – die 1. Gardepanzerarmee mit dem Stab bei Dresden, – die 2. Gardepanzerarmee mit dem Stab in Fürstenberg/Havel, – die 16. Luftarmee mit dem Stab bei Berlin und – als selbstständige Verbände das 1. Gardepanzerkorps und das 2. Gardekavalleriekorps – sowie die Dneprflottille.3 Mit der Umstrukturierung der Besatzungsarmee gingen auch die Auflösung von Verbänden und Truppenverschiebungen auf deutschem Territorium einher. Der beginnende Kalte Krieg löste bei der Sowjetarmee insgesamt eine Mobilisierungsoffensive aus, insbesondere aber bei den »an vorderster Front« stationierten Besatzungstruppen. Dem ursprünglichen Auftrag, Deutschland zu entmilitarisieren, wichen nun Vorbereitungen zur »Abwehr erwartbarer Aggressionen« aus dem Westen. Den neuen Plänen entsprechend setzte 1947 eine Umstrukturierung der Besatzungsarmee ein, vor allem sollten die Stoß- und
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Feuerkraft und die Beweglichkeit der Truppen erhöht werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 600.000 Mann auf deutschem Territorium.4 Erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre kam es zu einer Reduzierung der Streitkräfte um etwa 33.000 Mann.5 Gleichzeitig erfolgte ihre Umstellung auf die Bedingungen eines Kernwaffenkrieges. Die GSSD sollte von nun an den kampfstärksten Großverband der Sowjetarmee darstellen: Sie galt als Avantgarde und wurde mit den jeweils modernsten Waffen ausgerüstet, bevorzugt erprobte man hier neue Ausbildungsmethoden und Führungssysteme.6 Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Westen kam ihr demnach eine Schlüsselposition im System des Warschauer Vertrages zu. Sie sollte gemeinsam mit der Nationalen Volksarmee7 den Kern der »ersten strategischen Staffel« bilden.8 Erst mit dem Abzug der Truppen 1994 erfuhren die zuständigen deutschen Behörden von den wirklichen Größenordnungen der Besatzung, und dies auch nur, weil mit der Organisation des Rücktransportes sowie mit dem Verkauf der Liegenschaften präzise Kennziffern erforderlich wurden. Allerdings variierten die offiziellen Mitteilungen zur Truppenstärke bis zum Abzug der Westgruppe und darüber hinaus. Noch heute tauchen in amtlichen Dokumenten unterschiedliche Zahlen auf. Den Informationen der Sächsischen Staatskanzlei und des Thüringischen Innenministeriums zufolge befanden sich zum 1. Januar 1991 – insgesamt 546.200 Angehörige der Westgruppe auf dem Territorium der DDR, davon waren 338.800 Soldaten sowie 207.400 Zivilangestellte und Familienangehörige.9 – In Sachsen zählte man 93.500 Stationierte, davon 57.600 Soldaten sowie 35.900 Zivilangestellte und Familienangehörige.10 – Am Standort Dresden lebten insgesamt 9.767 Soldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige.11 – In Thüringen waren insgesamt 77.400 Personen stationiert, davon 51.600 Soldaten sowie 25.800 Zivilangestellte und Familienangehörige. – Am Standort Weimar lebten 11.119 Soldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige.12 – In Nohra waren in summa 5.375 Soldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige stationiert.13
Topographien Anfang Juli 1987 informierte der Minister für Staatssicherheit der DDR den Oberkommandierenden der GSSD über die Bildung einer Sonderkommission für Fragen militärisch genutzter Sperrgebiete: Zur Mitarbeit aufgefordert waren Vertreter des Oberkommandos, des Ministeriums für Nationale Verteidigung, des Ministeriums des Innern und des Ministeriums für Staatssicherheit.14
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Die »Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland«
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Abb. 4: Hauptstandorte der Westgruppe der Streitkräfte (Oktober 1990)
Unter deren Ägide sollte die Sperrgebietsordnung vom 26. Juli 1979 und ihre Umsetzung in die Praxis überprüft werden.15 Anlass für diesen Vorstoß der ostdeutschen Behörden waren wiederholte, schwerwiegende Vorkommnisse im Umfeld der Militärobjekte.16 Die Expertengruppe traf sich noch im August, im Oktober präsentierte sie einen ersten »Maßnahmeplan«. Demzufolge sollten sämtliche Sperrgebiete aufgelistet und entsprechend der staatlichen Normative der DDR gekennzeichnet werden; auf den Arealen selbst wollte man von den Mietern »ein hohes Maß
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an Ordnung und Sicherheit« einfordern.17 Um dieses Ziel zu erreichen, meinten die Fachleute, sei es unumgänglich, auch die Kollegen vom sowjetischen Geheimdienst, der Verwaltung der Sonderabteilung des KGB bei der GSSD, hinzuzuziehen. Die ersten Ergebnisse muteten unglaublich an: Die Staats- und Parteiführung der DDR verfügte dreißig Jahre nach dem Stationierungsabkommen über keinerlei detaillierte Informationen hinsichtlich der von den Besatzern genutzten Liegenschaften.18 Immer wieder hatte sich das Oberkommando allen Bemühungen ostdeutscher Behörden widersetzt, über diese Zonen, die in ihrer Mehrzahl während der Besatzungszeit in Besitz genommen beziehungsweise bis in die siebziger Jahre von den örtlichen Behörden zur Verfügung gestellt worden waren, eine Gesamtübersicht zu schaffen. Die Verweigerung Wünsdorfs endete freilich auch nicht mit der Einrichtung der besagten Expertenkommission: Deren Vorsätze und Richtlinien verhallten ungehört, zu handfesten Ergebnissen führten sie nicht. Ohnmächtig gegenüber den Besatzern beschloss der Ministerrat der DDR am 8. Dezember 1988, die protokollarische Erfassung der von den Streitkräften genutzten Areale per Ultimatum durchzusetzen. Ohne deren gewogene Mitwirkung, gaben die anwesenden Mitarbeiter des MfS zu bedenken, sei die beabsichtigte Landvermessung allerdings kaum umzusetzen. Bereits vor einigen Wochen habe man sich selbst mit diesem Problem auseinandergesetzt und sei zu folgendem Ergebnis gekommen: Die vollständige Auflistung aller genutzten Objekte sei »nach den gegenwärtig gültigen Bestimmungen des Ministeriums des Innern gar nicht statthaft«, schließlich komme es auf diese Weise zu einer »hohen Konzentration brisanter militärischer Geheimnisse«. Nicht von ungefähr gäbe es bislang [zu Versorgungszwecken, S. S.] lediglich Angaben zur ungefähren Größe der Militärareale, nicht jedoch zu deren konkreten Koordinaten. Noch ein zweites Argument sprach gegen den Vorstoß des Ministerrats: Zwar sei eine lückenlose Dokumentation aller Liegenschaften grundsätzlich möglich, doch wäre der Aufwand in den örtlichen Katasterämtern erheblich. Grundsätzlich müssten alle Bestände durchgesehen werden, überdies wäre die Besichtigung der Areale vor Ort erforderlich, weil die GSSD nicht in allen Dokumenten als Nutzer eingetragen sei. Hinzu komme, dass ein großer Kreis von Mitarbeitern der Liegenschaftsbehörden »Detailkenntnisse über die Dislozierung sowjetischer Streitkräfte« erhalten würde, ein Umstand, den man den Streitkräften kaum plausibel würde vermitteln können.19 Die Argumente leuchteten der Arbeitsgruppe ein. Die Kasernen und Wohnkomplexe, beschloss sie, sollten dennoch wenigstens »mit Fingerspitzengefühl« »in Augenschein« genommen werden, wenn man aus Gründen der Geheimhaltung schon keine detaillierten Messziffern erheben könne.20 Vor allem bei Übungsgebieten in unmittelbarer Nähe von Autobahn-Transitstrecken, an Fernverkehrsstraßen und in Urlaubsgebieten wollte man überdies prüfen, ob
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bisherige unmäßige Ausdehnungen unbedingt beibehalten werden müssten. Es vermittele »kein gutes Bild, wenn an solchen internationalen Verkehrswegen kilometerlange Sperrschilder« stünden, monierte Erich Honecker.21 Allen ministeriellen Anstrengungen zum Trotz – bis zum Ende der DDR verfügte weder die Partei- und Staatsführung noch das Ministerium für Nationale Verteidigung über eine verlässliche Auflistung der Liegenschaften der GSSD. Die Überlassung und Benutzung von Arealen und Infrastrukturen war im Inanspruchnahmeabkommen von 1957 geregelt worden. Hier galt der Grundsatz, dass volkseigener Grund und Boden unentgeltlich genutzt werden durfte und dass für Liegenschaften, die sich in genossenschaftlichem oder privatem Eigentum befanden, Mieten beziehungsweise Pachten zu entrichten waren.22 Eine zentrale Bearbeitung und Erfassung aller mit der Nutzung verbundenen Angelegenheiten indes wurde damals nicht festgeschrieben, weshalb auch keine Gesamtübersicht über die von den Streitkräften genutzten Objekte existierte. So wurden vor allem in den sechziger Jahren Forst- und andere Gemeindeflächen in Absprache zwischen den örtlichen Partei- und Staatsorganen und den Streitkräften zur Verfügung gestellt, ohne dass schriftliche Verträge abgeschlossen und ohne dass Informationen an zuständige zentrale Staatsorgane weitergegeben worden wären. Erst seit einem Beschluss des Ministerrats im Jahr 1969 wurden die Anträge des Oberkommandos auf Überlassung weiterer Geländeflächen und Gebäude zentral bearbeitet.23 Doch war dieser Weg durch die Instanzen mühselig und langwierig; nicht jeder Standortkommandeur brachte die nötige Geduld auf, um eine Genehmigung abzuwarten. Nach Prüfung der Anträge durch den zuständigen Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, durch den Minister für Nationale Verteidigung und den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission mussten die jeweiligen Gesuche dem Sekretariat des ZK der SED zur Entscheidung vorgelegt werden. Erst wenn dieses zustimmte, konnte die Zuteilung in der Gemischten Kommission endgültig beschlossen werden. Die jedoch traf sich mittlerweile nur noch im Jahresrhythmus. Allerdings bezogen sich auch die neuen Ministerratsbeschlüsse nur auf größere Liegenschaften. »Überschaubare Ersuchen« der jeweiligen sowjetischen Kommandeure auf dauerhafte sowie kurzzeitige Nutzung von Gemeindegelände durften wie ehedem durch die Vorsitzenden der Räte der Kreise entschieden werden; deren Erwerb und Entschädigung regelte man weiterhin an der Rechtslage vorbei. Ein besonderes Problem solch eigenverantwortlicher Praktiken auf unterer Verwaltungsebene stellten nicht nur die beträchtlichen Gebietsverluste für die Kommune dar. Vielmehr wurde es zusehends unmöglich, Militärobjekte von zivil genutztem Grund und Boden abzugrenzen. Die Streitkräfte forderten
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großflächige Sperrzonen rings um ihre Übungsgelände ein, benachbarte Flächen konnten so kaum mehr genutzt werden. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die sich als rechtmäßige Grundbesitzer nur ungern reglementieren lassen wollten und die zudem staatliche Ablieferungssolls zu erfüllen hatten, beschwerten sich verständlicherweise über solch willkürliche Einschränkungen.24 Die Eingaben häuften sich derart, dass das Liegenschaftsproblem am 28. April 1982 erneut dem ZK der SED vorgetragen wurde. Dieses entschied, dass sämtliche Anträge noch vor einer Entscheidung durch die Gemischte Kommission fortan dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten und dem Minister des Innern zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollten. – Sowjetische Anträge auf eine Bereitstellung von Gelände wurden demnach künftig vom Stellvertreter des Oberkommandierenden der GSSD für Bauwesen und Truppenunterbringung an den Stellvertreter des Ministers des Innern der DDR und Leiter der Versorgungsdienste übergeben. – Der Minister des Innern leitete die Unterlagen sodann weiter an – den zuständigen Vorsitzenden des Rates des Bezirkes zur Prüfung der politischen, materiellen und finanziellen Auswirkungen; – den Minister für Nationale Verteidigung zur Abstimmung mit den Belangen der Nationalen Volksarmee; – den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates und Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission zur Information sowie – an andere Minister, soweit Interessen ihres Verantwortungsbereichs berührt wurden. – Nach Zustimmung durch den Minister für Nationale Verteidigung und durch die Vorsitzenden der Räte der Bezirke wurden die in der Berichtsperiode zu bestätigenden Anträge in die Vorlage des Sekretariates des ZK der SED aufgenommen. – Nach Beschlussfassung dieses Gremiums wurden die Bescheide von der Gemischten Kommission bestätigt. – Nach der Bestätigung informierte der Minister des Innern die zuständigen Räte der Bezirke hierüber und beauftragte sie zur protokollarischen Übergabe der betreffenden Geländeflächen an die GSSD.25 Obwohl die zuständigen Berliner Instanzen nun unmissverständliche wie unanfechtbare Regelungen zur Indienststellung von Gelände geschaffen hatten, erreichten sie in der Praxis das Gegenteil. Kaum ein Regimentskommandeur sah ein, monatelang auf ein Genehmigungsschreiben warten zu müssen, wenn er das Land gemäß hergebrachtem »Besatzungsrecht« nur zu requirieren brauchte. Dieses Dilemma erkannten auch die örtlichen Funktionäre, die von ganz anderen Maximen ausgingen als ihre Vorgesetzten in der fernen Hauptstadt. In einem Schriftstück des Rates des Bezirkes Erfurt vom März 1983 hieß es: Freilich dürfe man die Zentralen Behörden nicht mit jeder Kleinigkeit belasten.
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In Fällen von Gebietsansprüchen mit lediglich lokaler Relevanz könne auch weiterhin durch den Rat des Bezirkes verhandelt werden. Nur Vorhaben mit größeren politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen wie etwa die Räumung ganzer Ortschaften oder die Beeinträchtigung von Naturschutz- und Erholungsgebieten seien der Gemischten Kommission vorzutragen.26 Trotz des ausgeklügelten Genehmigungsverfahrens liefen die Gebietsübernahmen respektive -übergaben also weiterhin nach gewohntem Muster. Selbst wenn sich der eine oder andere besonders loyale Provinzbeamte an die reformierten zentralen Verordnungen hielt, garantierte dies noch lange nicht, dass sich die Regimentskommandeure von so viel Pflichtgefühl beeindrucken ließen. Territoriale Inbesitznahmen seitens der GSSD vollzogen sich nicht immer nur auf der Basis von Übereinkünften vor Ort, sondern bisweilen auch gänzlich an den kommunalen Behörden vorbei. So beschloss der Nohraer Stab der 8. Gardearmee im Jahr 1983, unmittelbar neben einer hoch frequentierten Fernverkehrsstraße, nur wenige hundert Meter von einem dicht besiedelten Wohngebiet entfernt, einen Schießplatz zu errichten. Um eine behördliche Erlaubnis kümmerte er sich nicht. Auch vor privatem Besitz machten die Truppenkommandeure nicht Halt: Nur ein Jahr nach der eigenmächtigen Schießplatz-Initiative »enteignete« der Armeestab in Nohra kurzerhand einen Hektar Privatland. Dem Eigentümer wurde fortan jeder Zugang verwehrt; Bäume wurden gefällt und Erdbunker gegraben. Alle Beschwerden und »Aussprachen« mit den zuständigen Befehlshabern blieben ohne Erfolg.27 Die Militärs bedienten sich nicht nur freizügig vom Boden ihres »Gastlandes«, sie markierten auch ihre Claims gern auf eigene Weise. Ein Fall in Dresden: Am 23.1.1987 wurde durch einen Informellen Mitarbeiter bekannt, daß sich an der Waldgrenze des genannten Militärobjektes die aus der Anlage ersichtlichen Schilder befinden. Diese sind in einem Abstand von zirka 100 Metern an den Bäumen festgemacht und vom umliegenden Gelände her sichtbar. Die Größe der Schilder beträgt 30 Zentimeter mal 25 Zentimeter, gefertigt aus Asbestplatten und nach einer Schablone mit roter Farbe die Schrift aufgespritzt. Die angefertigten und angebrachten Schilder entsprechen nicht den Normen für die Sperrung von militärischen Bereichen und führen durch die falsche Schreibweise zu einer Diffamierung der Sowjetarmee.
Auf den beigefügten Beweisfotos erkennt man wahllos an Bäume genagelte Schilder mit der Aufschrift: »HALT! Verbotensonen«.28 Eine andere Einheit der 1. Panzergardearmee in Dresden befestigte im November 1986 ein selbst gefertigtes Schild mit deutscher und russischer Aufschrift: »Halt Truppenteilgrenze. Bewegung ist verboten«.29 Bei ihrem Abzug im Jahr 1991 verfügte die Westgruppe über insgesamt 1.026 Objekte mit etwa 36.000 Gebäuden, davon 777 so genannte Militärstädtchen.
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Dies entsprach 2,2 Prozent der Gesamtfläche der DDR.30 Von den insgesamt besetzten 243.015 Hektar lagen – in Brandenburg 116.659 Hektar mit 324 Liegenschaften, – in Thüringen 16.977 Hektar mit 128 Liegenschaften, – in Sachsen 18.686 Hektar mit 165 Liegenschaften, – in Sachsen-Anhalt 68.853 Hektar mit 271 Liegenschaften, – in Mecklenburg-Vorpommern 21.755 Hektar mit 127 Liegenschaften und – in Berlin 86 Hektar mit elf Liegenschaften.31 Zudem nutzte die Armee 15 Truppen- und 120 Standortübungsplätze, 23 Flugplätze, 213 Kasernenkomplexe sowie etwa sechshundert sonstige militärische Einrichtungen. Der überwiegende Teil dieser Liegenschaften stammte aus Reichsvermögen. Etwa 2.600 Einzelgrundstücke, überwiegend Wohngrundstücke, hatten sich 1945 in Privatbesitz befunden. Nicht zu diesen Liegenschaften im engeren Sinn zählten Manövergebiete, Bereitstellungsräume, Straßen, Gewässerübergangsstellen und andere nicht auf Dauer und nicht ausschließlich durch das sowjetische Militär in Besitz genommene Flächen außerhalb der umgrenzten Standorte. Das Netz der Marschstraßen umfasste in den letzten beiden Jahrzehnten der DDR insgesamt 11.700 Kilometer.32 Knapp vierzig Prozent der von den Besatzungstruppen genutzten Strecken verliefen auf öffentlichen Straßen, sechzig Prozent auf betrieblich-öffentlichem Territorium. Für die regelmäßige Instandsetzung der Fahrtwege zeichneten die jeweiligen Eigentümer verantwortlich. Konnten diese nachweisen, dass es zu einer »unzulässigen Überschreitung der öffentlichen Nutzung« durch die sowjetischen Truppen gekommen war, blieben ihnen die zum Teil immensen Kosten erspart. In diesem Fall mussten die »Verursacher« für den Schaden aufkommen.33 Nun bedurfte es keiner großen Überzeugungskraft zu begründen, dass das Befahren ganzer Panzerkonvois nicht als »alltägliche Abnutzung« gewertet werden konnte, weshalb die Besitzer die Reparaturen der zerfahrenen Straßen und Wege zu Recht ablehnten. Bis zum Inkrafttreten einer speziellen »Übungsschadenverhütungsordnung« im Jahr 198334 waren es vor allem die Räte der Bezirke, die Kapazitäten und Baustoffe zur Reparatur der beschädigten Trassen bereitstellten.35 Zu einer halbwegs fairen Zusammenarbeit mit den sowjetischen Streitkräften war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekommen und auch diese neue Verordnung blieb bereits in ihren Einführungsbestimmungen vage. Dort wurde gefordert, mit dem jeweiligen »Chef des Stabes der GSSD eine entsprechende Koordinierung« zu erreichen. Zwar sorgte mancher verantwortungsvolle Offizier künftig eigenverantwortlich für notdürftige Reparaturen, die Dienstordnungen der Einheiten vor Ort indes verfügten bis zum Abzug über keinerlei grundsätzliche und damit einklagbare Regelungen.36
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Standorte Standorte als Symbol-Orte Die seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre verstärkt vorangetriebene Aufwertung der GSSD zum schlagkräftigen Schutzschild gegen den Westen hatte für die DDR weitreichende Folgen: eine vermehrte Inanspruchnahme von Infrastrukturen, die Errichtung von neuen Kasernenkomplexen, Flugplätzen, Ausbildungsanlagen und Wohnungen, die Nutzung weiterer Flächen für Übungszwecke, wachsende Belastungen durch Schießübungen und Flugzeugverkehr, zusätzliche Leistungen der DDR-Wirtschaft und unliebsame Eingriffe in zivile Infrastrukturen.37 Die sowjetischen Truppen waren nach Kriegsende unter anderem in ehemaligen Wehrmachtskasernen untergekommen. Auf Anweisung der SMA hätten zwar zunächst alle nicht genutzten militärischen Anlagen und Bauten demontiert beziehungsweise zerstört werden müssen,38 doch bevor man die entsprechenden Befehle vollständig hatte umsetzen können, änderte sich die Lage wieder. Von nun an wurden Gebäude nur noch durch äußere Maßnahmen »entmilitarisiert«. Mit Beginn des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Mobilisierungen erschienen den Besatzern die Wehrmachtskasernen wieder wertvoll; zwei Jahre nach Kriegsende veranlassten sie umfangreiche Reparaturen und bezogen die Gebäude ihrer einstigen Gegner. Gemeinsam war der Mehrzahl der Militärobjekte, dass sie sich an der Peripherie der Garnisonsorte befanden, bevorzugt in erhöhter Lage und zumeist sichtbar für jedermann, der in die Stadt ein- und ausfuhr. Tagtäglich erkennbar auch für die Bevölkerung, die nicht umhinkam, die neuen Machthaber mit allen Sinnen wahrzunehmen. Zwar waren die neuen Hausherren nicht die Architekten der Bauwerke gewesen, doch hatten sie diese sozusagen im Kampf erbeutet. Fortan konnten sie sich deren Areale Trophäen gleich aneignen. Allerdings: Die neuen Bewohner konnten sich nicht dazu verstehen, den von ihnen übernommenen Objekten neue Namen oder überhaupt Namen zu geben. Sie verzichteten sozusagen auf eine Identität stiftende Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Man wollte anonym bleiben – was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung und sogar die ortsansässigen Sicherheitsorgane nicht nur aus Gewohnheit die hergebrachten, teilweise nationalsozialistisch kontaminierten Kasernennamen weiternutzten. Ihnen wurde schlichtweg kein besseres Angebot gemacht. So kam es, dass die Russen in Weimar in der »Tannenbergkaserne«, in der »Flakkaserne« und in der »Müller-Kaserne« residierten. Eine wesentliche Kategorie der nach 1945 vollzogenen Besitznahme deutschen Territoriums durch die Besatzer war deren symbolische Raumbezogenheit.39 In den eroberten Nachkriegsstädten geschah dies mit Hilfe einer
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besonderen Territorialität40, deren präsentativ-symbolische Formen die Menschen existenziell ergriffen und sie so in die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse einbanden. Infolge der Erfahrungen des Krieges wie auch der Niederlage (für die Deutschen) respektive des Sieges (für die Besatzer) gerieten die gewohnten präsentativ-symbolischen Formen in eine Dysfunktionalität zum politischen wie gesellschaftlichen Status quo.41 »Eigene« Räume, die vormals Angstphantasien gebannt und damit herrschaftsstabilisierend gewirkt hatten, waren durch »fremde« Kräfte zerstört worden. Die von den Siegern bezogenen Stadtviertel, vor allem aber die Kasernen und die »Russenstädtchen«, stellten für die Bevölkerung keine vertrauten Territorien mehr dar, sondern in die physische Substanz des deutschen Gemeinwesens hineingebohrte Fremdkörper. Sie versinnbildlichten Tag für Tag nicht nur die Schrecken, Entbehrungen und Opfer des Krieges, sondern – dank ihrer Attribuierungen – auch die Niederlage gegenüber einem vermeintlich minderwertigen Gegner. Es handelte sich bei den »Russenkasernen«, die bis zuletzt nach einer Gemengelage aus Schweiß und Schmieröl, Kohl und Knoblauch, billiger Seife und beißend süßlichen Papirossi rochen, und deren leuchtendes Grün und Blau »deutschem« Farb- und Geschmacksempfinden scheinbar widersprach, keineswegs um Orte der Sicherheit. Nicht nur die Farben und Gerüche, die von dort rührten, muteten fremdartig an, sondern auch die Geräusche: die sonntäglichen Appelle mit Marschmusik, Befehlsgeschrei und »Urra«-Rufe, das Klappern des Aluminiumgeschirrs aus den offenen Fenstern oder die Alarmsirenen, die nicht nur die Soldaten, sondern auch sämtliche Anwohner regelmäßig aus den Schlaf rissen. Hinzu kamen die bei Tag und Nacht rasselnden Panzerkolonnen inmitten der Städte und die dröhnenden Hubschraubergeschwader, die bis in die Morgenstunden flogen, bisweilen so tief, dass man die Gesichtszüge der Piloten zu erkennen glaubte. Die Kasernen, Orte unliebsamer Gerüche und Geräusche, blieben bis zum Ende der DDR Horte der Fremdheit, für so manchen verhießen sie gar Gefahr. Zwar entwickelte die Mehrzahl der Bürger mit der Zeit Strategien, sich diesen exterritorialen Gebieten zumindest mental anzunähern, doch forderte die zunächst abweisende Repräsentation der Besatzer eher zu Distanz als zu Sicherheit spendender Ein- oder Unterordnung auf.
Das Oberkommando in Wünsdorf Wünsdorf, der Sitz des Oberkommandos, militärisch kurz: Glawkom genannt, lag südlich von Berlin. Eine Eisenbahnlinie trennte die Ortslage in eine westlich gelegene Siedlung mit etwa 3.000 deutschen Einwohnern und den ausschließlich von der GSSD genutzten Ostteil. Auf einer Fläche von 6.200 Hektar fanden sich neben Kasernen und Wohnsiedlungen Depots und Werkstätten, Übungsplätze,
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Geschäfte und Schulen, überdies eine Brotfabrik und eine Druckerei, aber auch ein Theater, ein Museum sowie ein Sportclub.42 Hier lebten einschließlich der Familienangehörigen 35.000 Militärangehörige und Zivilbedienstete. Im Jahr 1945 war der Stab der Besatzungsarmee zunächst in Potsdam untergebracht worden, von 1946 an verlegte man erste Truppenteile nach Wünsdorf, wo eine ausgedehnte Infrastruktur der Wehrmacht zur Nutzung bereitstand. Bis 1994 blieb Wünsdorf Sitz des Oberkommandos der GSSD/WGT.43 Der ehemalige deutsche Heeresstandort entwickelte sich unter der Ägide der neuen Hausherren zu einem Militärkomplex, aus dem die deutschen Bewohner sukzessive ausgesiedelt wurden. »Wjunsdorf« wurde zum exterritorialen Gebiet, es führte aufgrund seiner herausgehobenen Position als Kommandozentrale ein abgeschlossenes, ausschließlich sowjetischem Recht gehorchendes Dasein. Die backsteinernen Heeresbauten des 19. Jahrhunderts bildeten spätestens seit den sechziger Jahren zusammen mit mehrstöckigen Wohngebäuden, so genannten Chruschtschowki, später mit DDR-Plattenbauten ein zufällig anmutendes architektonisches Ensemble. Zusammengewürfelt schien auch der Baumbestand: Kiefern und Eichen als Zeugen deutscher Vergangenheit, hinzu gesellten sich Birkenalleen, Repräsentanten russischer Landschaften. Solche »Militärstädtchen« muteten wie Sammelsurien von verschiedenen Zeiten und Kulturen an, nicht nur in Wünsdorf, sondern auch in Dresden, Weimar, Nohra und andernorts. Zwar besaß die Partei- und Staatsführung bis zum Ende der DDR keine offiziellen Informationen über die von der GSSD genutzten Gebäude und Liegenschaften, doch blieb sie auch nicht gänzlich ahnungslos. Im Herbst 1977 bat die Sonderabteilung des KGB im Stab Nohra ihre deutschen Geheimdienstkollegen um einen Freundschaftsdienst. Sie sollten herausfinden, welche Sichtachsen jeweils einen Blick auf die streng geheimen Militärobjekte ermöglichten – geeignet zur Beschattung durch eigene Mitarbeiter wie zur Spionage durch feindliche Agenten. Um solche visuellen Sicherheitsleckagen im Detail auszumachen, mussten die deutschen Agenten notgedrungen und erstmalig die Gelände als Ganzes verzeichnen.44 Das erste zu begutachtende Objekt war der Standort Nohra, später folgten auch sämtliche Liegenschaften in Weimar. Im Folgenden soll aus diesen Berichten des MfS ausführlich zitiert werden, berücksichtigen diese doch weitaus präziser und anschaulicher als die nach 1989 erstellten nüchternen Objektauflistungen die mutmaßliche Wahrnehmung der Bürger von den »Russenstädtchen«. Schließlich waren die deutschen MfS-Mitarbeiter ja ausdrücklich angehalten worden, tatsächliche wie potentielle Blicke der Bevölkerung aufzufangen und zu dokumentieren. Solch detaillierte Bestandsaufnahmen sind insofern von einem hohen Quellenwert, als in der DDR weder zu einem früheren noch zu einem späteren Zeitpunkt weitere Lage- und Standortbeschreibungen er-
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folgten.45 Für den Garnisonsstandort Dresden wurden ähnliche »Aufklärungsberichte« nicht gefunden.46 Die Lage der dortigen Einheiten lässt sich weder durch überkommene Gebäude, noch durch historisches Foto- und Kartenmaterial47 erlebnisanalytisch aufbereiten.
Der Standort Nohra im Visier der Staatssicherheit Mitte September 1977 machte der Leiter der Gruppe IV der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Erfurt seinem Amtskollegen beim KGB eine erste Meldung über die vor Ort befindlichen Militärobjekte: Bei dem Objekt handelt es sich um einen Hubschrauber-Flugplatz der Sowjet-Armee mit den dazugehörigen Anlagen und Gebäuden sowie den Wohnblocks der Berufssoldaten und ihrer Familien. Das Objekt erstreckt sich nördlich der F 7 vom östlichen Ortsausgang Nohra zirka 1 km unmittelbar an der F 7 in östlicher Richtung. An der F 7 verdecken Bretterzaun und Baumbewachsung die Einsicht in das Objekt. Von der günstigsten Einsichtstelle der F 7 westlich von Nohra, zirka 1 km vom Ortseingang entfernt, sieht man nur die Wohnblocks und einen kleinen Abschnitt des Abstellplatzes der Hubschrauber. Von der günstigsten Einsichtstelle der F 7 östlich von Nohra, zirka 400 m vor dem Objekt, ist durch Bewachsung und Gebäude ebenfalls nur ein geringer Abschnitt des Abstellplatzes zu sehen. Auch bei mehrfachen Befahren der F 7 in beiden Richtungen am Objekt vorbei, können keine konkreten Angaben über Anzahl und Typ der hier stationierten Hubschrauber und anderer Technik gemacht bzw. erarbeitet werden. Eine Differenzierung der die F 7 in beiden Richtungen befahrenden Fahrzeuginsassen unter dem Gesichtspunkt – wer interessiert sich für das Objekt und wer nicht – läßt sich unserer Meinung nach nicht vornehmen. Die gefahrene Geschwindigkeit hängt im hohen Maße vom vorausfahrenden bzw. nachfolgenden Verkehr ab, da die Verkehrsdichte sehr hoch ist. […] Es wurde weiterhin festgestellt, daß die überwiegende Zahl der mitfahrenden Personen zum Objekt sah, während es bei den Kraftfahrern nur zirka 25 Prozent waren. Vom Höhenzug nördlich des Objektes besteht in der gesamten Breite direkte Einsicht auf Start- und Landeplatz und Abstellfläche der Hubschrauber. Anzahl und Typen der vorhandenen Technik können hier mühelos festgestellt werden. […] Der Beobachter kann durch einen Waldweg zu dem Punkt gelangen, wo er direkte Einsicht in das gesamte Objekt erhält, aber selbst durch den Wald gedeckt ist.48
Mit dem Wintereinbruch verloren die Bäume und Sträucher freilich ihr Blattwerk, weshalb die Aufklärer des MfS weitere »Einsichtstellen« ausfindig machten; Sichtachsen, die sich ausgerechnet den Weg zu ihren Auftraggebern bahnten – zum Sonderobjekt des KGB im Stab Nohra. Wenn die Anliegerstraße von der F 7 zum Stab befahren wird, ist es möglich, durch das Haupttor zu sehen. Zu erkennen ist das sowjetische Magazin, einige Wohn- und Stabsgebäude sowie das Sonderobjekt des KfS.49
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Die Geheimdienstler hatten innerhalb eines kurzen Zeitraumes sicher deutliche Fortschritte bei der Aufklärung erzielt. Doch wenn man berücksichtigt, dass Nohra direkt an einer Autobahnabfahrt liegt, dass daher de facto jeder Bürger wie alle ausländischen Besucher einen raschen Eindruck vom Sperrgebiet erlangen konnten, blieb den Aufklärern noch eine Menge Arbeit. Das »Geschenk«, um das sie die sowjetischen Kollegen gebeten hatten, erwies sich als wahre Sisyphusarbeit. Inventuren der neunziger Jahre Die Aufstellung der Liegenschaften vom Januar 1990 liest sich bedeutend nüchterner: Nohra Süd: 400 Wohnungen in Großblockbauweise, Restaurant, Russenmagazin, Sauna, Hallenschwimmbad für Wohnzwecke, Stabsgebäude, Garagen, Museumsgebäude, Klub, Heizhaus (40 Hektar Fläche unmittelbar an der Autobahn); Flugplatz Nohra: ebenfalls 400 Wohnungen, eine Schule, eine Turnhalle, eine Großküche (für zweitausend Personen), Flugplatz (194 Hektar), zudem 50 Hektar Gewerbegebiet, zwei Heizhäuser, Russenmagazin; Fliegersiedlung Bahnhof Nohra: 14 Häuser. Unter Sonstiges wurden eintausend Hektar illegal genutzte Fläche im Landkreis verzeichnet.50 Der Standort Weimar aus der Sicht der Staatssicherheit Mit der Zeit gerieten auch die Militäreinheiten in Weimar in den Fokus der Tschekisten beziehungsweise ihrer deutschen Amtskollegen, zuallererst die Nachrichteneinheit in der Leibnizallee respektive »Müller-Kaserne« im November 1980. Das Objekt ist ein Objekt der Sowjetarmee und liegt in Weimar in der nähe des Ortsausganges in Richtung Jena. Es wird von der Leibnitzallee, der Albrecht-Dürerstr., der Theodor-Storm-Str. und im Westen von Gartenanlagen eingegrenzt. Das Objekt ist mit dem PKW, zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Man fährt in Weimar vom Götheplatz aus mit der Buslinie 2 in Richtung Bodelschwinghstr. und steigt an der Haltestelle Bodelschwinghstr. aus. An dieser Haltestelle befindet sich eine Kfz.-Werkstatt für Polzki-Fiat. Hinter dieser befindet sich das Objekt. Von der Haltestelle aus kann man schon den grünen Bretterzaun des Objektes erkennen. Das Objekt ist rundum von diesem grünen undurchsichtigen Bretterzaun umgeben. Die Straßen die das Objekt umgeben sind mit dem PKW gut befahrbar. Es sind mit Betumen und Kopfsteinpflaster befestigte Straßen. Der Zaun des Objektes ist so hoch, daß man von den Straßen aus nur mehrstöckige Gebäude, die im Objekt liegen, sehen kann. […] Am Objekt befinden sich 3 Einsichtstellen E 1 In der Theodor Storm Straße befinden sich 2 Einfamilienhäuser Nr. 26 und 27 deren Bewohner ebenfalls einsicht ins Objekt haben. Von der Straße selbst, kann man
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3 Garagenkomplekse und Fahrzeuge die in die Garagen gefahren werden sehen […] Namen zu der Numer 26 und 27 konnten aus konspirativen Gründen nicht festgestellt werden. E 2 In der Leibnitzallee befindet sich das Haupttor, welches im geöffneten und geschlossenen Zustand Einsicht auf das Hauptgebäude, Wachunterkünfte sowie den KPP bietet. E 3 Diese Einsichtstelle ist ein weiteres Tor in der Leibnitzallee, welches sich ca. 100 m nach rechts vom Haupttor entfernd befindet. Von hier kann man die Häuser, die über den Zaun ragen,51 sehen. Die Straße im Objekt ist an dieser Stelle nur bei geöffnetem Tor zu erkennen, da das Tor undurchsichtig ist. Die Straßen des Objektes sind mit normaler Straßenbeleuchtung beleuchtet. Der westliche Teil konnte nicht aufgeklärt werden da sich dort Gartenanlagen bis an die Objektbegrenzung heran befinden. Diese Gartenanlagen sind in sich eingezäunt und nur vom jeweiligen Besitzer begehbar. Bei allen drei Einsichtstellen bieten sich als Legende ein Spaziergang, eine Fahrt mit dem Pkw oder der Besuch zu einem Anwohner in einer der 3 o. g. Straßen, an, da alle Straßen, die das Objekt umgeben, öffentlich sind.52
Zeitgleich erfolgte die »Aufklärung der Regimeverhältnisse der Objekte an der Ettersburger Straße«, dem Kasernenkomplex im Norden von Weimar. Waffengattung: Panzer/Raketen/Mot.Schützen/Flak/Med.Einr. Objektbezeichnung Tannenberg/Lützendorfkaserne DDR-Sprachgebrauch: »Objekt der Freunde« BRD/BND Sprachgebrauch: [keine Eintragung, S. S.] Lage des Objektes: Ettersburger Str./Lützendorfer Str. in der Nähe des Wohngebietes Weimar Nord Das Objekt A befindet sich nörtlich ca. 1,5 km hinter Weimar an der linken Seite der Ettersburgerstr., in Richtung Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald. Es wird südlich begrenzt von der Lützendorferstr. Und nörtlich von der Straße Am Herrenrödchen. Östlich vom Objekt befindet sich die Ettersburgerstr. und westlich eine kleine Gartenkolonie sowie ein älteres Wohnhaus, ein Altneubaublock und eine Werkstatt der LPG. In Richtung Norden befindet sich das Objekt B. Objekt A ist rechteckig gebaut und hat einen Flächeninhalt von ca. 9 ha. Von der Ettersburgerstr. aus befindet sich vor dem Objekt die Stadt- und Friedhofsgärtnerei. Im Objekt A befinden sich 11 Unterkunftshäuser sowie Sozialgebäude. Das Objekt ist in sich noch 2 mal abgeteilt. Hinter den Unterkünften und Sozialgebäuden befindet sich der erste Zaun aus Maschendraht, der den Fuhrpark abteilt. Der Fuhrpark nimmt ca. eindrittel des gesammten Objektes ein. Hinter dem Fuhrpark befindet sich ein freies Gelände, das wild bewachsen ist. […] Von der Ettersburger Straße kommend befinden sich auf der rechten Seite, ca. 80 m nach der Kreuzung, das erste Unterkunftshaus und das erste Tor. Es ist ein zweiteiliges Tor und wird von einem Posten bewacht. Auf die Lützendorferstr. münden noch 4 weitere Tore zwischen denen jeweils 2 Unterkunftshäuser stehen. Hinter dem letzten Tor befinden sich noch 2 weitere Unterkunftshäuser, so dass sich insgesammt 11 Unterkunftshäuser und 5 Tore auf der Südseite des Objektes befinden. Jedes Tor wird bewacht. Um das gesammte Objekt befindet sich eine ca. 2 m hohe Mauer, so dass man nur die Gebäude einsehen kann. […]
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Das Objekt B befindet sich oberhalb der Straße Am Herrenrödchen und oberhalb des Objektes A. Es ist ebenfalls rechteckig gebaut und hat an der Südseite 2 Tore, die von Soldaten bewacht werden. Im Objekt befinden sich ebenfalls Wohnunterkünfte und oberhalb davon der Fuhrpark. Das Objekt wird nörtlich von einem Wald begrenzt. Östlich befindet sich die Ettersburgerstr. und westlich wird das Objekt vom Übungsgelände der Sowjetarmee begrenzt. Dieses Objekt ist ebenfalls mit einer ca. 2 Meter hohen Mauer umgeben. Diese zwei Objekte sind mit der Stadtbuslinie 4 vom Göthe-Platz in Richtung Ernst Thälmann Siedlung zu erreichen. Um zum Objekt A zu gelangen muß man an der Haltestelle Lützendorferstraße aussteigen. Um an das Objekt B zu gelangen muß man an der Haltestelle Herrenrödchen aussteigen. Bei guter Sicht ist das Übungsgelände des Objektes B von der F 7 zu erkennen. Entlang der Ettersburgerstr. befinden sich Bäume und Streucher, welche die Sicht ins Objekt beeinträchtigen. Dieses ist aber von den Jahreszeiten abhängig. Beide Objekte befinden sich am Südhang des Ettersberges. Um Einsicht in das Objekt zu bekommen, muß man vor die Tore der Südseiten gehen. Die Tore sind aus Stahlrohr und man kann durch sie ins Objekt hinneinsehen.53
Weitere Militärareale befanden sich inmitten der Stadt, waren insofern für Einheimische wie Fremde gut sichtbar. Einige Gebäude waren für die Bevölkerung von besonderer Attraktivität: – Das Haus der Offiziere betrieb nicht nur ein beliebtes Spezialitätenrestaurant, sondern auch eine Sporthalle, in der – in Ermangelung eigener Kapazitäten – auch deutsche Sportler regelmäßig trainierten.54 – Auf dem Güterbahnhof ließen sich begehrte Waren erhandeln. Wurde beispielsweise die Kohle knapp und verfügte man über keinerlei anderweitige Bezugsquellen, lohnte sich in den späten Abendstunden ein Gang zur Verladestation. Mitunter ließ sich ein diensthabender Offizier zum Verkauf einer Tonne Brennstoff überreden. – Das sowjetische Hospital, das vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren von deutschen Frauen zum Zweck eines Schwangerschaftsabbruches aufgesucht wurde.55 Zwar widersprachen derartige Hilfeleistungen der Dienstvorschrift, doch verhießen die illegalen Eingriffe willkommene Nebeneinkünfte für Ärzte und Schwestern.56 – Die exterritorial gelegenen Russenmagazine nahezu aller Einheiten wurden zu beliebten Einkaufsstätten Weimarer Bürger. – Die Kommandantur, in deren Nebentrakt sich jahrzehntelang das größte, öffentlich zugängliche Russenmagazin befand. Hier gingen die Einheimischen ein und aus, wobei ihnen die benachbarte Arrestanstalt der Garnison nicht entgangen sein dürfte.57 Die Kommandantur befindet sich im Stadtzentrum von Weimar gegenüber der Katholischen Kirche in der Abraham-Lincoln-Straße. Nördlich wird das Objekt von der Abraham-Lincoln-Straße, westlich von der Mozartstraße, südlich von der Schubertstraße und östlich von der Richard-Wagner-Straße begrenzt.
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Durch die Buslinien 4 und 7, deren Haltestellen sich direkt vor dem Objekt befinden ist das Objekt zu erreichen. […] Beide Buslinien führen am Hauptbahnhof vorbei. Vom Bahnhof ist das Objekt in ca. 20 bis 30 min zu Fuß zu erreichen. Da es unmittelbar im Stadtzentrum liegt, ist es von allen Richtungen mit Pkw und zu Fuß gut erreichbar. Um das gesamte Objekt stehen Wohnhäuser. An der südlichen Seite befindet sich die Bauakademie, weiterhin eine Kirche und ein Wohnhaus in dem sowjetische Familien wohnen. Östlich in der R.-Wagner-Straße stehen Wohnhäuser, eine Buchhandlung und ein Lebensmittelgeschäft. Nördlich in der A.-Lincoln-Straße befinden sich die Katholische Kirche und Wohnhäuser. Da das Objekt durch keine Umzäunung gesichert ist und nur aus Wohnhäusern besteht, sich dadurch dem Stadtbild anpasst, ist aus allen Richtungen Einsicht möglich. Der Haupteingang befindet sich schräg gegenüber der Bushaltestelle. Durch Beschilderung gekennzeichnet befindet sich im Objekt das Univermag [russ. Kaufhaus, S. S.] Weimar, das für den öffentlichen Verkehr zugänglich ist. Das Haus besteht aus zwei Stockwerken. Parterre werden Lebensmittel verkauft, in der ersten Etage Textilien. […] Das Objekt ist durch einen normalen Gitterzaun mit einer Höhe von etwa 1,70 m umgeben. Durch einen Posten mit MPi, der sich am Haupteingang befindet, wird das Objekt gesichert.58
Inventuren der neunziger Jahre Laut Auflistung des Innenministeriums Thüringen von 1991 nutzte die 8. Gardearmee in und um Weimar insgesamt 136 Liegenschaften mit einem Umfang von 17.500 Hektar.59 Diese teilten sich auf in: das Nachrichtenregiment (Leibnizallee), das Flak- und Raketenregiment, das Funkbataillon, das Panzerregiment, das Mot. Schützenregiment, das Pioniertechnische Bataillon, das Haus der Offiziere und das Hospital (Ettersburger Straße), die Kfz-Reparatureinheit (Papiergraben), die Kommandantur (Richard-Wagner-Straße), das Objekt »KETSCH« Militärhandel (Rießnerstraße), den Personen- und Güterverladebahnhof (Marcel-Paul-Straße), den Technikverladebahnhof (Ettersburger Straße), das Lazarett in Bad Berka, überdies den Technikverladebahnhof in Großschwabhausen und Wohnhäuser der Sowjetarmee im Süd- und Nordviertel. Als Räume, die nicht ständig von den Sowjets genutzt wurden, galten der Feldflugplatz Keßlar-Lotschen sowie die Konzentrierungsräume Kranichfeld und Gutendorf. Außer den bezeichneten Marsch- und Panzerstraßen in einer Länge von 2.588 Kilometern wurde das gesamte Straßennetz des Territoriums in Militärtransporte einbezogen.60
Der Standort Dresden In Dresden war vor allem die 1. Gardepanzerarmee stationiert. Zu ihr gehörten der in Dresden untergebrachte Stab mit der 1. Mot.-Schützendivision (in Grimma), Panzerdivisionen (in Dresden und Riesa) sowie weitere Kampfunterstützungs- und Sicherstellungstruppen. Hinzu kam die dem Oberkom-
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mando Wünsdorf direkt unterstellte 16. Luftarmee mit einer Fliegerdivision (Teilkräfte), zwei Fliegergeschwadern (in Großenhain und Brandis), zwei FlaRaketenregimentern, zwei Fla-Raketenbrigaden (Teilkräfte) und einer Funktechnischen Brigade (Teilkräfte). Die 1. Gardearmee verfügte im Großraum Dresden außerdem über vier Truppenübungsplätze, elf Standortübungsplätze, über drei Flugplätze, zwei Hubschrauberlandeplätze, 13 Ausbildungszentren, fünf Übersetzstellen, zwei Hauptmarschstraßen und zwei Rochadehauptmarschstraßen für Kettenfahrzeuge. Die Stäbe und Truppen waren in drei größeren und sechs weiteren Garnisonen untergebracht, sie nutzten im Jahr 1989 insgesamt 165 zugewiesene Objekte (18.679 Hektar) und 427 nicht zugewiesene Objekte (1.000 Hektar). Ein Viertel der Militärareale befand sich in Stadt- und Ortslagen, 45 Prozent am Ortsrand und dreißig Prozent in ländlichen Gegenden. Die in und um Dresden stationierten Einheiten verfügten über 17.426 Großgerät- und Bewaffnungseinheiten, 216.343 Tonnen materiell-technisches Material, weiterhin über 839 Kampfpanzer, 1.491 gepanzerte Kampffahrzeuge, 716 ArtillerieEinheiten, 49 Kampfhubschrauber und 108 Kampfflugzeuge. Die städtischen Koordinaten der Militärmaschinerie in Dresden waren: Der Stab der GSSD (Dr.-Kurt-Fischer-Allee), das 1. Bataillon der Panzer-Division (Dresden-Klotsche), eine Infanterie-Einheit (Paulstraße/Tannenstraße), die Panzerkaserne (Dr.-Kurt-Fischer-Allee), eine Panzer-Division und eine Infanterie-Einheit (Karl-Liebknecht-Straße/Schröderstraße), das Funk- und Peilkommando (Hellergelände), der Stab der Panzer-Division (Otto-Buchwitz-Straße), eine Panzer-Einheit (Stadtteil Wilder Mann), eine Panzereinheit mit Reparaturwerkstatt (Proschhübelstraße), eine Pioniereinheit (DresdenUbigau), eine Panzer-Einheit (Dresden-Nickern), das so genannte Konspirative Objekt der Luftabwehr (Magdeburger Straße), der Übungsplatz für Panzer-Einheiten (Kannhenkelweg), der Exerzier- und Paradeplatz (Moritzburger Weg), ein Hubschrauberflugplatz (Hellergelände), eine Kraftfahrzeug-Werkstatt (Dr.-Kurt-Fischer-Allee/Marienallee), das Panzer-Ersatzteillager (OttoBuchwitz-Straße), das Wirtschaftsversorgungslager (Otto-Buchwitz-Straße/ Magazinstraße), das Panzerdepot (Hellergelände), das Lazarett (Marienallee), das Hospital (Stadtteil Weißer Hirsch) und schließlich das Nachrichtenbataillon (Tannenstraße).61
Kosten der Besatzung Die Bevölkerung nahm die Besatzungstruppen nicht allein aufgrund der physischen Anwesenheit von Personen und Gebäuden, von Militärtechnik und Gerät sowie sichtbarer und unsichtbarer Infrastrukturen wahr. Der Unterhalt für deren territoriale Ausbreitung beanspruchte jahrzehntelang finanzielle
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Mittel in Milliardenhöhe, die zu einem nicht geringen Teil auch von der DDR beglichen werden mussten. Bis zum August 1953 erfolgten Zahlungen für den Aufenthalt der sowjetischen Truppen nach den Bedarfsanforderungen der Hohen Kommission beziehungsweise des Oberbefehlshabers in Wünsdorf, eine willkürliche Praxis, die sich jeder Planung und Bilanzierung entzog. Anfang des Krisenjahres 1953 musste die DDR-Regierung ihren sowjetischen Verbündeten eingestehen, dass sie nicht mehr in der Lage sei, sämtliche von den Besatzern auferlegte wirtschaftlichen Auflagen zugleich zu erfüllen: mithin Reparationslieferungen, Exportverpflichtungen, Aufrüstungsmaßnahmen, eine bevorzugte Entwicklung der Grundstoff- und Schwerindustrie ebenso wie die allgemeine Stabilisierung der Versorgung.62 Moskau beschloss notgedrungen, die Wirtschaft der DDR zu entlasten: Die Reparationszahlungen wurden gekürzt sowie mehr sowjetisches Getreide, Erz und Koks zum Export in die DDR freigegeben. Zudem sollten die Rüstungsausgaben des ostdeutschen Staates um rund ein Drittel zurückgenommen werden.63 Diese entlastenden Beschlüsse kamen jedoch für eine Stabilisierung der angespannten Lage nicht nur zu spät, sie wurden zudem durch zeitgleiche außerplanmäßige Mehrforderungen der Staatlichen Kontrollkommission konterkariert.64 Der Volksaufstand von 1953 bewirkte dennoch wirtschaftliche Entlastungen, denn die UdSSR verzichtete in der Folge auf sämtliche noch offenen Reparationsforderungen in Höhe von etwa drei Milliarden Dollar zu Vorkriegspreisen.65 Trotz dieses in allen Medien propagierten Verzichts bestanden drückende Verpflichtungen fort. Dazu gehörten vor allem die Aufwendungen für den Aufbau des Militär- und Sicherheitsapparates im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation und die Kosten für den Unterhalt der Besatzungstruppen. Nicht zuletzt infolge der Juniereignisse kam es am 22. August 1953 zu einem Übereinkommen zwischen den Regierungen der DDR und der UdSSR über – die Befreiung der DDR von der Zahlung der Schulden, die als Besatzungskosten in ausländischer Währung nach 1945 entstanden waren, sowie – die Senkung der Zahlungsverpflichtungen der DDR für den gegenwärtigen und künftigen Aufenthalt der Truppen. Die jährlich dafür aufzuwendende Summe sollte fünf Prozent der Einnahmen des Staatshaushaltes der DDR nicht übersteigen.66 Gleichzeitig gaben die Besatzer die letzten 33 unter der Verwaltung sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) stehenden Großbetriebe ohne weitere Gegenleistungen zurück.67 Die Rückgabewelle berührte nicht die Wismut AG, die bis zum Ende der DDR in sowjetischer Regie verblieb. Mit dem Staatsvertrag von 1955 wurde der für die Stationierung der sowjetischen Truppen per annum bereitzustellende Betrag auf insgesamt 1,6 Milliar-
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den Deutsche Mark fixiert.68 Am 17. Juli 1956 kam es zu einer weiteren Vereinbarung über die Herabsetzung der Aufenthaltskosten auf jährlich 800 Millionen Deutsche Mark und am 24. Juni 1958 wurden die Kosten für die Jahre 1958 und 1959 noch einmal um insgesamt 350 Millionen Deutsche Mark reduziert.69 Am 7. Juli 1958 überreichte der Botschafter der UdSSR, Michail G. Perwuchin, Walter Ulbricht und Otto Grotewohl einen Brief von Nikita S. Chruschtschow. Darin hieß es, dass man »zur raschen Entwicklung der Wirtschaft und zur weiteren Hebung des materiellen Wohlstandes der Bevölkerung«70 in der befreundeten DDR beitragen wolle, indem man vom 1. Januar 1959 an auf weitere sechshundert Millionen Deutsche Mark Aufenthaltskosten jährlich verzichte. Ulbricht und Grotewohl sprachen im Namen ihrer Regierung pflichtschuldig ihre »tiefempfundene Dankbarkeit für die ständige und großherzige Hilfe bei der Entwicklung und Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik« aus.71 Die neuerliche Ankündigung richtete allerdings Verwirrung an, vor allem, weil das großzügige Angebot von Moskau zunächst offen ließ, aus welchen Ressourcen die Kostenbegleichung ab dem 1. Januar 1959 erfolgen sollte, wenn nicht durch ostdeutsche Kassen.72 Obskure Planziffern: Ebenso unhinterfragbar und unüberprüfbar wie solche monetären Entlastungen vonstatten gehen sollten, blieben auch die realen Zahlungen ein »Buch mit sieben Siegeln«.73 Wobei diese Arkanpolitik nicht nur für die Angelegenheiten der sowjetischen Streitkräfte galt, sondern für die Landesverteidigung insgesamt, für die in den achtziger Jahren immerhin elf Prozent des produzierten Nationaleinkommens ausgegeben wurde.74 Der Staatshaushalt der DDR gelang allenfalls in Auszügen an die Öffentlichkeit, einen Überblick über alle Einnahmen und Ausgaben erhielt nur ein kleiner Personenkreis, Mitglieder und Kandidaten des Politbüros und einige wenige leitende Mitarbeiter des Finanzministeriums sowie der Staatlichen Plankommission.75 Sämtliche Volkskammerabgeordneten wie auch die Bevölkerung mussten sich mit vagen Haushaltsangaben zufrieden geben, sensible Daten des militärischen Sonderbereichs wurden nicht publiziert. Diese Verschleierungstaktik war wesentlich dem Sicherheitsdenken der DDR-Führung und des sowjetischen Bündnispartners geschuldet; westlichen Beobachtern sollten Einblicke in die Ausgabenstruktur für Verteidigung und Sicherheit auf jeden Fall verwehrt bleiben. Auch der eigenen Bevölkerung wollte man nicht unbedingt erklären müssen, dass trotz der vollmundigen, öffentlich propagierten Verzichtserklärungen seitens der UdSSR weiterhin beträchtliche Summen für den Unterhalt der Truppen flossen. Laut »Planüberwachungsbuch« der Abteilung I des Ministeriums der Finanzen, in dem Einnahmen und Ausgaben aller zum »System der Landesverteidigung« gehörenden Ministerien und Einrichtungen erfasst waren, betrugen die Zuschüsse für den Bereich Verteidigung allgemein sowie für die GSSD in Mark der DDR:
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Tab. 1: Ausgaben für die Landesverteidigung der DDR (in Millionen)76 1970
1980
1982
1984
Gesamtetat Verteidigung
9.000
18.200
k. A.
22.200
davon GSSD
812
745
622
700
9,2 %
4,9 %
–
3,1 %
anteilig
Aus einem geheimen Kostenbericht für das Jahr 1957 geht hervor, dass neben den vereinbarten Stationierungskosten von 800 Millionen Mark seitens der DDR noch weitere Zahlungen zu leisten waren. Bericht über die Höhe der Erstattungskosten für den Unterhalt der sowjetischen Streitkräfte 1957 (in Millionen Mark der DDR) I. 1. Bauvorhaben und laufende Instandsetzungen der Kasernen und Wohnungen
120, 0
2. Miet- und Pachtzahlungen für in Anspruch genommene private und volkseigene Grundstücke
23,0
3. Entschädigungsleistungen für Kfz.- und andere Unfälle
2,3
4. Manöverschäden und Sonstiges
5,7
5. Wiederherstellung zurückgegebener Objekte
8,0 159,0
II. Ausfälle aus dem Staatshaushalt: 1. Preisausgleiche
2,0
2. Ermäßigte Tarife bei der Eisenbahn
9,0
3. Tarifvergünstigungen bei der Post
7,0
4. Differenzen für Waren und Materialien zum Industrieabgabepreis
22,0 40,0 plus 159,0 199,077
Alarmiert durch die Höhe der außerplanmäßig aufzubringenden Mittel, beschloss das Politbüro am 2. April 1957, die Kosten für sämtliche Miet-, Bauund Reparaturleistungen aus dem von der UdSSR jährlich angelegten Rubel-
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fonds zu zahlen. Die verausgabten Summen sollten sodann vom säumigen Bündnispartner eingetrieben werden. Des Weiteren versicherten sich die Politbüromitglieder gegenseitig, dass Wiedergutmachungsleistungen für Unfälle wie Manöverschäden laut Stationierungsabkommen von 1957 künftig nicht mehr anfallen würden, weil diese nun durch die Besatzer selbst zu begleichen seien. Auch um die anfallenden Warenzuschläge müsse man sich nicht mehr sorgen, denn die GSSD würde zu gleichen Bedingungen wie die NVA beliefert werden. Auf dem ersten Blick überzeugten die Argumente des Politbüros, allerdings basierten sie auf der Annahme, dass sich die einstigen Besatzungsund nunmehrigen Stationierungstruppen an die 1957 getroffenen Vereinbarungen halten würden. Dass dem nicht so war, fiel zunächst einmal nicht auf, weil man lange Zeit über kein zentralisiertes Abrechnungssystem für die Ausgaben der GSSD verfügte. Es handele sich um zu viele geheime Daten, hieß es von Moskauer Seite, weshalb die einzelnen, Mittel ausgebenden Behörden allenfalls ihr eigenes Gebiet zu überschauen vermochten – keine übergeordnete Instanz kümmerte sich um die große Gesamtbilanz. Erst im Jahr 1978, im Zuge der Kampagne über eine planmäßige und einheitliche Bilanzierung der Volkswirtschaftsmittel, kam es zu einer ersten fundierten Abrechnung des »finanziellen Aufwandes der DDR für die sowjetischen Truppen«: I. Aufwand der DDR im Staatshaushaltsplan 1978 (in Millionen) 1. Bereitstellung von Mark durch die DDR in Durchführung des Regierungsprotokolls vom 26.11.1958
1.570
Dafür zahlt die UdSSR in transferablen Rubeln zum vereinbarten Sonderkoeffizienten (Markgegenwert)
710
Zwischensumme: Aufwand aus der Differenz zwischen der Bereitstellung in Mark und dem erzielten Erlös im Zusammenhang mit der Anwendung des Sonderkoeffizienten78
860
2. Aufwand des Staatshaushaltes der DDR für die Erstattung von Auswirkungen aus der Änderung des Industrieabgabepreises
170
Zwischensumme: Aufwendungen des Staatshaushaltes der DDR aus der Differenz von Einnahmen und Ausgaben
1.030
3. Aufwand für den Bau von Wohnungen (Zinsdienst und Tilgung für aufgenommene Obligationen und an Bauleistungsmitteln)
41,2
4. Aufwand für Maßnahmen der Instandsetzung und Instandhaltung von Versorgungsanlagen und -netzen
75
5. Aufwand für die Instandsetzung und Reparatur von Elektroenergie- und Gasabnehmeranlagen
3,2
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6. Aufwand für den Kauf von Gelände- und Wasserflächen
4,7
7. Zuschuss für den Sender Wolga
0,4
Gesamtaufwand der DDR im Staatshaushaltsplan 1978
1.154,5 Millionen
II. Weitere Faktoren: 1. Nichtrealisierung von Mieten für die zweckgebunden für die sowjetischen Truppen ab 1967 gebauten bzw. zu bauenden Neubauwohnungen – jährlich – 2. Einnahmedifferenzen aus der Anwendung der Militärtarife (geschätzt) – jährlich –
18,5 32–3979
Summa summarum handelte es sich um über 1,2 Milliarden Deutsche Mark, die Ende der siebziger Jahre jährlich für die Besatzungstruppen aufzuwenden waren. Schätzungsweise sechs bis acht Prozent allein des Verteidigungshaushaltes der DDR wurden für Zahlungen an die GSSD in Anschlag gebracht. – Der Ende der fünfziger Jahre von Chruschtschow persönlich angekündigte Verzicht auf Unterhaltszahlungen war mithin von Anfang an eine bloße Propagandalüge gewesen. So hoch der in dieser Aufstellung ausgewiesene Gesamtbetrag auch sein mochte, er bezifferte noch nicht die darüber hinausgehenden außerplanmäßigen Leistungen zentraler wie regionaler Behörden wie auch nicht die illegalen Leistungsnahmen seitens der Truppen. Auch der Gesamtwert dieser Leistungen ist nicht zu unterschätzen, sondern machte einen erklecklichen Anteil am Staatshaushalt der DDR aus. In den folgenden Kapiteln wird deutlich werden, welchen immensen Umfang diese Aufwendungen letztlich erreichten, obschon eine präzise Berechnung des Aufwandes nachträglich unmöglich ist. Schließlich lag es in der Natur der Sache, dass man über die zahllosen illegalen Praxen so sparsam wie nur irgend möglich Nachweise führte.
Bilanzen Agitation und Propaganda unternahmen während vierzig Jahren DDR den Versuch, stetige Abmilderungen der »Unkosten« der Besatzung zu vermelden: Immer wieder war von der Rückgabe requirierter Liegenschaften, von Gebäuden und Gelände die Rede. Überdies sollten die monetären Aufwendungen der Besatzung nicht nur zurückgefahren, sondern gänzlich auf Null gesetzt werden. Dem war nicht so. Dem System der Besatzung lag vielmehr eine Tendenz zur Ausweitung von Ressourcen zugrunde. Das Oberkommando wie auch die
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Truppenkommandeure in der Provinz machten expansiv Ansprüche geltend: Grund und Boden wurden besetzt, Straßen und Wege rücksichtslos verbreitert, Gebiete illegal umzäunt. Diese Tendenz der stetigen Ausweitung findet sich auch in dem Jahr für Jahr ansteigenden Finanzbedarf der Truppen wieder. Der Gesamtwert der Leistungsanforderungen entsprach spätestens in den achtziger Jahren in keiner Weise mehr den ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten der DDR. Die Bevölkerung vor Ort nahm diese beständigen Be- und Überlastungen sehr wohl wahr. Die geforderten Quantitäten und Qualitäten ließen sich nur dann bereitstellen, wenn sie dem Eigenbedarf entzogen wurden. Diese DefizitWahrnehmungen konnten en gros aufkommen, aber auch en détail, wenn im eigenen Ort, auf der eigenen Gemarkung privates oder genossenschaftliches Land über Nacht als militärisches Sperrgebiet ausgewiesen wurde. Insbesondere bei diesen territorialen Inbesitznahmen fällt auf, dass die Kompromisslinien seitens der sowjetischen Streitkräfte rigoros nach Besatzermanier bestimmt wurden. DDR-Behörden fungierten gerade in diesem Bereich allenfalls als hilfswillige, häufig aber auch als hilflose Vollzugsbeamte. Am 25. August 1988 schrieb der Oberkommandierende Boris Snetkow dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, einen dringlichen Brief. In diesem mahnte er an, dass der Bedarf der Truppen jährlich etwa um drei Prozent wachse, wohingegen die geplante und von der DDR bereitgestellte Summe seit 1986 unverändert geblieben sei. Das Ansteigen der Unterhaltskosten erklärte Snetkow mit einer lange fälligen Verbesserung der Lebensverhältnisse der Militärangehörigen. Er endete mit dem nachdrücklichen Ersuchen, eine Erhöhung des Limits in den Jahren 1988 bis 1990 um 150 Millionen Mark jährlich zu veranlassen, und zwar zum geltenden Koeffizienten.80 Eilige Berechnungen seitens des Finanzministeriums und der Staatlichen Plankommission ergaben, dass man diese zusätzlichen Anforderungen an den Staatshaushalt 1988 nur durch gravierende Einsparungen an anderen Stellen würde realisieren können. Hinzu kam, dass sich die so verausgabten Mittel in einer erhöhten Kaufkraft der Streitkräfte niederschlagen würden, deren materielle Abdeckung fern aller wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes lag. Die Fachleute meldeten daher stärkste Bedenken an. Gleichwohl: Am 6. Oktober 1988 antwortete Ministerpräsident Willi Stoph dem Oberkommandierenden persönlich: Er versprach für das laufende Haushaltsjahr eine Erhöhung um 65 Millionen Mark auf insgesamt 2,4 Milliarden Mark. Für das Jahr 1989 wolle man zusätzlich noch einmal um dreißig Millionen aufstocken.81 In diesem deutsch-sowjetischen Geschäftsjahr implodierte die DDR.
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3.1.2 Alltag in der Kaserne Die GSSD aus der Binnenperspektive Die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland wird vertrauensvoll als zuverlässiger Vorposten der Sowjetarmee beim Schutz des sozialistischen Vaterlandes bezeichnet. Dank der Fürsorge der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und des Sowjetstaates verfügt die GSSD über ein beträchtliches Kampfpotential und einen festen moralischen Geist. Die Angehörigen der GSSD bilden eine geschlossene Familie vieler Nationalitäten der Sowjetunion. Sie sind Träger der Ideologie der Freundschaft und Brüderlichkeit zwischen den Völkern. Weit von der Sowjetheimat entfernt, im Zentrum Europas auf Friedenswacht stehend, verkörpern sie würdig eine neue historische Menschengemeinschaft – das Sowjetvolk. Als politische Repräsentanten des Sowjetlandes erfüllen sie ehrenvoll das heilige Vermächtnis der Väter und Großväter, als Soldaten, Patrioten und Internationalisten ihrem Vaterland sowie dem Bruderbund sozialistischer Staaten selbstlos zu dienen. Ob auf Gefechtsposition, Übungsplätzen oder in der Luft – die Soldaten, Sergeanten, Fähnriche und Offiziere der GSSD scheuen weder Kraft noch Energie, um neue Höhen der militärischen Meisterschaft zu erstürmen. Tag für Tag zeigen sie im Dienst politische Reife, moralische Größe, Mut und Heldentum – allen voran, wie stets, die Kommunisten und Komsomolzen. Ihre Devise lautet: Weil wir treue Freunde neben uns wissen, ist jede beliebige Aufgabe lösbar, sind wir unbesiegbar.82
Im Spektrum der Gefühle des Soldaten hatten die Liebe zur Heimat, der Hass auf die Feinde des Vaterlandes, Pflichtgefühl und militärische Kameradschaft die Oberhand über negative Emotionen und Gefühle wie Angst, Zweifel oder Unsicherheit zu gewinnen – eine Sollstellung, die nach Meinung des Oberkommandos im Kampf eine Grundbedingung des Überlebens war. Die so komponierte soldatische Gefühlswelt bezog sich auf ein klar konturiertes Feindbild, dessen Zweck es war, unter Gefechtsbedingungen erwartbare Handlungen zu gewährleisten – auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Dabei vereinfachten die Feindbilder rigoros: Die mit ihnen verbundenen Raum- und Zeithorizonte waren fest und überzeitlich. Sie suggerierten eine statische Wirklichkeit, die insofern ungeschichtlich blieb, als sie trotz vielfältiger Bezüge auf konkrete historische Beispiele keinen Raum für Veränderungen eröffneten. Ethnien, Rassen oder Nationen, die vormals als Projektionsfläche eigener negierter Anteile für »das Böse« standen, wurden ohne Wenn und Aber durch die rigorose Dualität »Sozialismus versus Kapitalismus« abgelöst. Die militärischen Feindbilder der GSSD gerannen zu Verkörperungen eines gesetzmäßigen Antagonismus, wobei die Grundaussage gleich blieb: Das Manichäisch-Böse steht auf der anderen Seite. Diese Feindbilder mussten so konkret wie möglich und so diffus wie nötig formuliert und illustriert werden; sie teilten die Welt stets in radikal-dichotomischer Weise auf. Die Zeitqualität, die sie vorspiegelten, war
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diejenige einer chiliastischen Endgültigkeit. Zugleich abstrakt und scheinbar konkret, versehen mit der quasireligiösen Anmutung einer ewigen Wahrheit, erhoben die Bilder keinen Anspruch auf eine rationale Aneignung. Um im Gefecht wirksam werden zu können, mussten sie lediglich mit den vorhandenen Erwartungen, Ängsten und Erfahrungen der Soldaten korrelieren. Mit dem Feindbild »der Westen« wurde auch das Gedächtnis des Großen Vaterländischen Krieges aufgerufen und politisch instrumentalisiert. Die Gedächtnisbilder dieses Krieges hatten nach Ansicht der Militärmachthaber im Ernstfall nicht nur als Abbreviaturen eines bestimmten Weltverständnisses zu dienen. Sie sollten überdies ein rasches und gezieltes soldatisches Handeln ermöglichen, ohne umständliche und langwierige Bemühungen um Rationalisierung. Die klaren und einfachen Fühl- und Denkstrukturen, die mit Hilfe der Narrative vom Großen Krieg quasi vorinstalliert wurden, sollten instinktives Handeln im festen Bewusstsein moralischer und politischer Integrität ermöglichen.83
Die Einberufung der Rekruten Der sowjetischen männlichen Jugend blieb zum Wehrdienst keine Alternative. Wer sich der ordentlichen Einberufung zum aktiven Militärdienst entzog, wurde mit Freiheitsentzug für die Dauer von einem bis zu drei Jahren bestraft.84 Laut Wehrgesetz konnten lediglich »Untaugliche, Unwürdige und Zurückgebliebene« sowie Studenten dauerhaft oder zeitweise von dieser Verpflichtung befreit werden. Seit Anfang der achtziger Jahre allerdings war eine Zurückstellung nicht mehr so ohne weiteres zu erreichen. Infolge sinkender Geburtenzahlen fehlte es an Rekruten, so dass die Masse der Heranwachsenden nun ihre Ausbildung unterbrechen musste, wenn der Einberufungsbescheid kam. Das Militär hoffte, dass gerade Hochschulabsolventen die Defizite auszugleichen vermochten, die die unausgewogene demographische Entwicklung seit den siebziger Jahren mit sich brachte: eine starke Zunahme sprachlich und technisch schlecht ausgebildeter Rekruten asiatischer Herkunft. In den europäischen Teilen der Sowjetunion lag die Geburtenrate mittlerweile weit unter dem Landesdurchschnitt, in den muslimisch geprägten Sowjetrepubliken lag sie deutlich darüber. Der wachsende Anteil von nichtrussischen Wehrpflichtigen, fürchtete man, könnte nicht nur zu Problemen für das slawisch besetzte Offizierskorps, sondern auch zu Beeinträchtigungen einer modernen Gefechtsbereitschaft führen. Rekrutierung und Dienstzeiten regelte das bereits zitierte Wehrgesetz von 1967, es blieb, abgesehen von geringen Modifikationen, bis zum Ende der Sowjetunion gültig. Die Dauer des allgemeinen Wehrdienstes wurde auf zwei, bei der Seekriegsflotte auf drei Jahre festgelegt. Einberufen wurden Männer ab
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dem 18. Lebensjahr, Frauen unterstanden zwar auch der Wehrpflicht, konnten jedoch nur im Kriegsfall mobilisiert werden. Im Alter von fünfzehn Jahren hatte sich jeder sowjetische Junge medizinisch untersuchen zu lassen, mit diesem Attest begann seine vormilitärische Ausbildung, er war nun wehrmündig. Mit siebzehn wurde er gemustert, zwischen Januar und März hatte er sich zu diesem Zweck im lokalen Militärkommissariat zu melden. Dort entschied man, ob der Anwärter für den Militärdienst geeignet war und mit achtzehn Jahren eingezogen werden konnte. Die eigentliche Musterung fand zweimal jährlich statt. Das Militärkommissariat hatte spezifische Quoten für die einzelnen Waffengattungen zu erfüllen, die vor jedem Einberufungstermin von der Hauptverwaltung für Organisation und Mobilisierung, einer Abteilung des Generalstabs, festgelegt wurden. Ehemalige Offiziere der GSSD bestätigten, dass die Auswahl vor allem einem expressiven Sicherheitsdenken gehorchte und dass vergleichsweise viele Rekruten slawischer Abstammung nach Osteuropa beziehungsweise in die DDR kommandiert wurden. Eine entsprechende interne Dienstanweisung konnte allerdings nicht gefunden werden.85 Sowjetische Rekruten waren im Hinblick auf ihren Wehrdienst deutlich erfahrener als ihre Alterskameraden im Westen. Nicht nur, dass das Militär im Alltag der Diktatur vielfältig präsent war, die Jungen selbst waren von Kindheit an auf den Dienst vorbereitet worden und auch nach ihrer Dienstzeit blieben sie weiterhin Teil einer militarisierten Gesellschaft. Ende der 1980er Jahre zählten die sowjetischen Streitkräfte immerhin 55 Millionen Reservekräfte.86
Befehlsstrukturen Laut Verfassung der UdSSR von 1977 waren die Streitkräfte dem höchsten Organ staatlicher Machtausübung, dem Obersten Sowjet, untergeordnet.87 De facto wurde die Verteidigungspolitik jedoch vom Politbüro und vom Zentralkomitee der KPdSU bestimmt, unterstützt von den zuständigen Ministerien und Gremien: allen voran vom Verteidigungsrat.88 Der von Moskau aus agierende Generalstab hatte den Oberbefehl über alle Einheiten der sowjetischen Streitkräfte inne und fungierte als Koordinator von etwa sechzig militärischen Befehlszentren und -ebenen.89 Als zentrales militärisches Führungsorgan überwachte er nicht nur sämtliche Oberkommandos der Strategischen Operationsgebiete, er leitete auch die Kommandos der im Ausland stationierten Truppen und damit auch die GSSD direkt an. Vor allem in seiner Hauptstütze, der Hauptverwaltung Operativplanung, liefen auch zu Friedenszeiten sämtliche Informationen über die Warschauer Streitkräfte zusammen, gingen Überwachung und Einflussnahme Hand in Hand.90
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Eine Besonderheit der sowjetischen Streitkräfte war ihr umfangreicher politischer Apparat, der in sämtlichen Verbänden und Einheiten die politisch-erzieherische Arbeit innerhalb der Truppe zu organisieren hatte.91 Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten innerhalb der Armee kaum noch Parteiorganisationen existiert, erst Anfang der fünfziger Jahre wurden auf Kompanieebene wieder stellvertretende Kommandeure für politische Angelegenheiten eingeführt, zunächst in den Auslandseinheiten, später auch in den Militärbezirken auf sowjetischem Territorium.92 Sowohl die Mitgliederzahlen der Partei als auch die des Komsomol stiegen nun stetig an, mehr und mehr war eine durchgehende organisatorische Erfassung der Armee durch die Partei gesichert.93 Mit der Politischen Hauptverwaltung, die sowohl dem Zentralkomitee der KPdSU als auch dem Verteidigungsministerium rechenschaftspflichtig war, entstand ein Apparat, dem sowohl die Politorgane der Streitkräfte als auch alle armeeinternen Organisationen von Partei und Komsomol unterstanden.94 Politische Verwaltungen gab es nun auf allen Ebenen bis in die Kompanien, angeleitet wurden sie durch den politischen Stellvertreter des Truppenführers (Zampolit)95, den zweitwichtigsten Mann im Regiment. Laut allgemeiner Dienstordnung zeichnete er für die Organisation und den Erfolg sämtlicher politischen Arbeit verantwortlich: für die politische wie militärische Erziehung, für die Sicherung der Kampfkraft und die Lösung militärischer Aufgaben.96 Da Erziehung in der Armee überall und immer stattfand, kümmerte sich der Zampolit auch um die Freizeit der Soldaten wie um ihre privaten Befindlichkeiten, wobei seine Aufmerksamkeit in erster Linie den einfachen Mannschaftsdienstgraden galt.97 Kurzum: Er verkörperte in einer Person die Funktionen des stellvertretenden Kommandeurs, Personaloffiziers, Feldgeistlichen, Betreuungsoffiziers und Lokalredakteurs. Diese weit gefasste, jedoch wenig konkrete Aufgabenbestimmung, die sich in vielen Fällen mit dem Verantwortungsbereich des Kommandeurs überschnitt, führte zu einer umfassenden Verantwortung für sämtliche Belange der Truppe. Er wurde nicht nur in jedem Fall befragt, sondern ebenso unausweichlich zur Rechenschaft gezogen. Neben dem Parteiapparat übten – häufig konkurrierend – auch verschiedene Geheimdienste politische Informations- wie Kontrollfunktionen in der Sowjetarmee aus. Das Ministerium für Innere Angelegenheiten unterhielt in den achtziger Jahren eigene Truppen in einer Stärke von etwa 360.000 Mann, ein Teil von ihnen diente in der Armee.98 Auch das Komitee für Staatssicherheit beschäftigte rund 220.000 gut ausgebildete und ausgerüstete Männer. Die Zuständigkeiten der beiden Geheimdienst-Truppen waren zwar in der Theorie eindeutig geregelt, in der Praxis gestalteten sie sich jedoch kompliziert. Beide konnten praktisch für jede denkbare Operation eingesetzt werden, insofern ihre Vorgesetzten dies für notwendig hielten.99 Sowohl das KGB als auch die Militärabwehr durchsetzten die Streitkräfte bis auf die Regimentsebene mit offiziellen wie informellen Mitarbeitern.100
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Mitarbeiter des KGB trugen zwar reguläre Armeeuniformen und hatten Dienstränge der Armee. Sie unterstanden jedoch nicht dem Verteidigungsministerium, sondern der Hauptverwaltung Streitkräfte des KGB. In den Garnisonen unterhielten sie zumeist eigene Diensträume, zudem richtete sich ihr Interesse vornehmlich auf Zielpersonen außerhalb der Objekte. Mitarbeiter der militärischen Abwehr fanden sich vom Bataillon aufwärts in allen Einheiten und Verbänden. Gewöhnlich führten sie über Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften Personenakten. Unabhängig vom Politoffizier sollten sie die politische Haltung und die Wahrung von Dienstgeheimnissen überwachen. Von ihren Berichten und Beurteilungen hing manche Karriere ab. Während sich die dem Verteidigungsministerium unterstellte Armee leidlich mit den bewaffneten Einheiten des KGB arrangierte, galt dies kaum für die Militärabwehr. Diese erntete für ihre gegen die eigenen Reihen gerichtete Spionage kaum Sympathien. Vor allem auf lokaler Ebene konnten Vorgesetzte wie Wehrdienstleistende den hauptberuflichen »Maulwürfen« wenig abgewinnen: Ihr Spottname lautete »Molči- Molči« (sinngemäß »Halt lieber die Klappe«).101
Zur Soziologie der Truppe Beim Blick auf die Personalstrukturen in der Armee lassen sich vier grundlegende Gruppen unterscheiden: die Wehrpflichtigen und Unteroffiziere auf Zeit, das Offizierskorps und die Generalität.102 Wehrpflichtige Sie wurden bereits bei ihrer Musterung einer Vorauswahl unterzogen, die ihre Eignung für den Auslandsdienst sowie für eine spezielle Diensteinheit feststellen sollte. Ihr erstes Militärjahr gliederte sich in zwei Ausbildungsperioden; in zwei ungleiche Semester, die von Anfang Januar bis Ende Mai und von Juli bis November reichten. Dieser Grundrhythmus wurde von der halbjährlichen Rotation der Rekruten überlagert. Alle sechs Monate verließ ein Viertel der Soldaten die Armee, sie wurden durch Neuankömmlinge ersetzt. Nach der Einberufung zur GSSD erfolgte die Grundausbildung gewöhnlich auf deutschem Territorium. Dieser »Kurs für den jungen Soldaten« dauerte drei bis vier Wochen und umfasste die formale Ausbildung, Turnen, die Handhabung von Handfeuerwaffen, einfache Schießübungen sowie das Studium der Dienstvorschriften. Am Ende dieser Grundausbildung leistete der Rekrut den Fahneneid, erst danach galt er rechtlich als Soldat. Der zu leistende Schwur, Blut und Leben nicht zu schonen, »um den vollen Sieg über die Feinde zu erringen«, nahm nicht nur direkten Bezug auf den Großen Vaterländischen
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Krieg, sondern bediente auch die von früher Kindheit an erlernten Narrative vom heldenmütigen Kampf der Roten Armee und den daraus abgeleiteten Werten.103 Der mit der feierlichen Vereidigung beglaubigte Heroismus ließ sich im harten Soldatenalltag allerdings schwer verifizieren. Die Mannschaftsdienstgrade waren überall ähnlich untergebracht, ein Stockwerk diente als Unterkunft für eine Kompanie, für etwa hundert Soldaten. Diesen standen laut Dienstordnung zu: eine mit Eisenstäben gesicherte Waffenkammer, ein Lagerraum für Uniformen104 und Bettzeug, überdies ein Wirtschaftsraum, in dem Haare geschnitten sowie Schuhe und Kleider gereinigt wurden. Der Kommandant der Kompanie verfügte über ein eigenes Büro, in dem auch jüngere Offiziere ihre Amtsgeschäfte führten. In jeder Kaserne gab es ein so genanntes Leninzimmer mit einer Bibliothek. Auf jeder Etage befand sich ein Schlafsaal: Ein- oder zweistöckige Eisenbetten standen paarweise nebeneinander, zu je zwei Betten gehörten ein Hocker und ein Nachttisch zum Aufbewahren persönlicher Gegenstände. Das Armeereglement sah pro Soldat zweieinhalb Quadratmeter Raum vor. Da die GSSD aber ehemalige Wehrmachtskasernen nutzte, hatte sie sich zunächst einmal an die Gegebenheiten vor Ort zu halten. So konnte es vorkommen, dass in einem Schlafraum sechzig bis achtzig Betten standen, in einem anderen nur zwanzig. Die Dienstordnung gab keinerlei Begrenzung der Bettenzahl vor, sie wies lediglich ein Mindestvolumen an persönlichem Raum pro Wehrdienstleistenden an.105 Im Aufenthaltszimmer stand zumeist ein Fernsehgerät, häufig auch ein Aquarium. Neben dem Schlafsaal lagen die Gemeinschaftstoiletten und die Waschräume. Wo auch immer sich der Soldat befand, er war niemals allein. Unteroffiziere So genannte Praporschtschiks dienen erst seit 1972 in der sowjetischen Armee. Die Bezeichnung stammt aus der Zarenzeit und bedeutet soviel wie Standartenträger. Vor der Einführung des speziellen Unteroffiziersrangs bildeten Soldaten mit verlängerten Dienstzeiten eine Zwischenschicht zwischen dem Soldaten- und dem Offiziersstand. Das sowjetische Militärsystem räumte den Praporschtschiks von Anfang an einen deutlich geringeren Status ein, als ihn westliche Kollegen innehatten. Innerhalb der Armeehierarchie verfügten sie über nur wenige Befugnisse und erfüllten lediglich technische und Versorgungsaufgaben, eine Begrenzung, die man mit der geringeren Ausbildung der Unteroffiziere rechtfertigte. Offiziere durchliefen im Vergleich zu den Praporschtschiks eine acht bis zehn Mal längere Ausbildung, eine Tatsache, die innerhalb der Truppe auch offen diskutiert wurde. Fast achtzig Prozent der Mannschaftsdienstgrade waren in den achtziger Jahren der Ansicht, dass ihre direkten Vorgesetzten über zu wenig
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Autorität verfügten, ihrer Meinung nach kam es zudem häufig zu Tendenzen der Fraternisierung, wobei die Tatsache, dass Unteroffiziere ähnlich wie Offiziere häufig außerhalb der Kasernen wohnten, diesem Missstand zumindest in Teilen entgegenwirkte. Offiziere Die Kriegs- und die Besatzungszeit hatte vor allem dem Offizierskorps weit reichende Befugnisse gegenüber den eigenen Untergebenen wie gegenüber der Bevölkerung eingeräumt.106 Auf allen Ebenen nutzten Offiziere diese Handlungsfreiräume, um Rechte des Militärs über das Kriegsende hinweg zu legalisieren. Aus ihrer Sicht sprach vor allem das aus dem Überfall vom 22. Juni 1941 resultierende Sicherheitsbedürfnis für den Erhalt der Konzentration der Macht in ihren Händen: Die Rote Armee hatte Deutschland unter außerordentlichem Einsatz und mit hohen Verlusten vom Joch des Faschismus befreit. Den Veteranen wie auch deren Söhnen und Enkeln gebührte deshalb hohe Anerkennung. Auch nachfolgende Offiziersgenerationen wussten die Vorteile dieser Macht für Dienst und Privatleben zu schätzen. Offiziere wurden durchschnittlich alle vier Jahre einer neuen Einheit zugeteilt, was in den Truppengattungen jedoch differierte. Gewöhnlich bestimmte sich der Status eines Offiziers durch die Stellung, die er innehatte, und weniger durch seinen Dienstgrad. Eine Position stattete den Amtsinhaber automatisch mit den nötigen Autoritätsbefugnissen aus. Die Karriere wurde durch regelmäßige Beurteilungen strukturiert, die bloße Routineangelegenheit sein, aber auch zu langfristigen Konsequenzen führen konnten. Dabei war der in den achtziger Jahren erstmals öffentlich kritisierte Protektionismus innerhalb des Offizierkorps kein neues Phänomen.107 Innerhalb der Armee fanden sich alle Zeit Möglichkeiten des Missbrauchs von Macht und Einfluss zugunsten bestimmter Personen und Gruppen, die systematischen Charakter aufwiesen.108 Generäle Die homogenste Gruppe hinsichtlich ihres Selbstverständnisses stellte unzweifelhaft das Führungspersonal und hier vor allem die Generalität dar. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurde es von Angehörigen jener Generation gestellt, die den Kriegsbeginn bereits in mittleren oder sogar höheren Rängen erlebt und die den Sieg über Deutschland dann in verantwortlichen Stellungen mitgetragen hatten.109 Die Landesverteidigung stand für sie vor allen anderen gesellschaftlichen Belangen.110 Der Kalte Krieg und die machtpolitischen Ziele der Regierung stützten die Streitkräfte in toto und damit zugleich auch die Position der Generalität. Der unbedingten Durchsetzung der sowjetischen Zielstellungen auch gegenüber dem neuen deutschen Bündnispartner gebührte
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aus ihrer Sicht absolute Priorität. Wenn es um die eigenen Sicherheitsinteressen ging, durfte man keinen Zoll zurückweichen – eine Maxime, die über Generationen weiter gegeben wurde. Die besondere Standfestigkeit an der vordersten Front zum Westen wurde nicht nur indirekt durch ein hohes gesellschaftliches Mitspracherecht belohnt, sondern unmittelbar und individuell. Die Führungskräfte der GSSD stiegen nach ihrer Rückkehr mehrheitlich in militärische Spitzenpositionen auf. Dort implementierten sie ihre Erfahrungen und Wertungen im Hinblick auf Deutschland, die DDR und die stationierten Streitkräfte nicht nur in Dokumenten, sondern auch mündlich in Referaten, Vorträgen und über politisch-publizistische Kanäle. Ihre Nachfolger übernahmen in vielen Fällen auf diesem Wege Verhaltens- und Kommunikationsstrategien der altgedienten Kommandeure.111
Bruch mit den Traditionen: Die Afgancy Spätestens Anfang der siebziger Jahre war ein Umdenken innerhalb der militärischen Führungsriege nicht mehr zu vermeiden. Grund für die notwendigen Wandlungsprozesse waren die neuen Generationen von Rekruten. Um die immer kompliziertere Militärtechnik zu bedienen sowie die komplexen Planungs- und Organisationsaufgaben zu bewältigen, genügte das Befolgen vormaliger Wenn-Dann-Anweisungen112 nicht mehr. Zwar hoben sich Befehl und Gehorsam auch jetzt nicht auf, doch veränderten sich Funktion und Form des Befehls: In den Fachausbildungen wurden nicht mehr starre ReizReaktions-Schemata gedrillt, die vom Vorgesetzten jederzeit abrufbar waren, sondern variationsfähige und transponierbare Rückkopplungs-Muster. Der Soldat musste fortan vor allem eine Grundfähigkeit beherrschen: mit Rücksicht auf ein gegebenes Ziel sachgerecht zu improvisieren.113 Die technischen Spezialisten zeigten sich in der Lage, den Verlauf und die Durchführung der militärischen Arbeit nach eigenem, fachlich fundiertem Gutdünken zu gestalten, was wiederum die Eingriffsmöglichkeiten ihres Vorgesetzten reduzierte.114 Dessen Aufgaben verlagerten sich von unmittelbaren Befehls- und Kontrollfunktionen auf vorwiegend administrative Aufgaben. Gerade dies jedoch fiel vor allem den Traditionalisten unter den Vorgesetzten schwer. Weiterhin beharrten sie auf gewohnte Autoritätsausübung wie auf gewohnten Hierarchien. Spätestens mit dem Beginn des Krieges in Afghanistan 1979 und mit dem rapiden Disziplinverfall auch innerhalb der GSSD versagten ihre jahrzehntelang erprobten harten Indoktrinierungstechniken. Wollten Vorgesetzte nicht vollständig ihr Gesicht verlieren, mussten sie zu wirksameren als den bisherigen Instrumenten greifen. Am 25. Dezember 1979 marschierten die 40. sowjetische Armee und Truppen des Komitees für Staatssicherheit wie des Innenministeriums in Afgha-
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nistan ein.115 Neuere Untersuchungen gehen von insgesamt 620.500 kämpfenden Offizieren, Sergeanten und Soldaten aus, davon starben laut offiziellen Angaben 15.000 Menschen. 25.000 wurden verwundet und ebenso viele wurden zu Invaliden.116 Offiziellen Angaben zufolge dienten in den achtziger Jahren jährlich etwa 3.000 Offiziere und Fähnriche auf dem Territorium der DDR, die zuvor an den Kämpfen in Afghanistan teilgenommen hatten,117 ein Umstand, der weit reichende Folgen hatte. Eine der wesentlichen Konsequenzen war, dass der Afghanistankrieg zu einem tiefen Legitimationsverlust der sowjetischen Armee als zentraler Stütze des Systems führte, zu einem gravierenden Ansehensverlust nach innen und außen.118 Der öffentlich als ungerechtfertigt, fehlerhaft und sogar kriminell wahrgenommene Einmarsch ließ auch das Militär an Reputation verlieren, und zwar auf mehreren Ebenen: – In dem Maße, in dem durch eine strukturelle Gesellschaftskrise die Ansprüche der Bevölkerung nicht mehr befriedigt werden konnten, veränderte sich auch deren Zustimmung zum politischen System und zur Armee. Vorbereitet wurde diese zunehmende Distanz zu Staat und Partei durch einen seit den siebziger Jahren virulenten Wertewandel. Infolge der fortschreitenden Urbanisierung und Individualisierung wandten sich vor allem die Nachkriegsgenerationen von dem als paternalistisch empfundenen Staat ab; Orientierungen auf ein Gemeinwohl, für das man individuelle Wünsche zurückzustellen hatte, büßten mehr und mehr ihre Verbindlichkeit ein.119 – Die schwindende Bereitschaft zum Gehorsam verband sich mit der enttäuschenden Erkenntnis, dass die politischen Botschaften der Regierenden nicht mit den Erfahrungen der Menschen übereinstimmten. Der Afghanistankrieg, dem die breite Bevölkerung ihre Zustimmung verweigerte, verstärkte diese Diskrepanz noch. Während die offizielle Erzählung vom Großen Vaterländischen Krieg in seinen Kernelementen mit dem gesellschaftlichen Wertekodex übereinstimmte, galt dies für Afghanistan nicht mehr. Hier verteidigte man nicht die Heimat, sondern griff ein anderes Land ohne Not an, die allmählich bekannt werdenden Opferzahlen stifteten keinen Sinn. Mehr und mehr setzte sich die Gewissheit durch, dass die Praxis des Militärs nicht mehr mit den großen Zielen übereinstimmte, die man selbst für anerkennungswürdig hielt. Die Bevölkerung machte die Armee und ihre Soldaten für die Verbrechen in Afghanistan verantwortlich, für sie stellte sich die Frage, ob ein aufrechter Bürger in einer solchen Armee überhaupt dienen sollte.120 Dieses Infragestellen geschah so öffentlich wie nie zuvor, und zwar zu einer Zeit, in der Glasnost und Perestroika noch weit entfernt schienen. Die Ansehens- und Bedeutungsverluste des Militärs führten auch innerhalb der GSSD zu elementaren Veränderungen. Um diese zu erkennen und zu
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erklären, muss man sich die ethnische und soziale Zusammensetzung der Kampftruppen in Afghanistan genauer anschauen.121 Die überwiegende Mehrzahl der Luftlandeeinheiten wie der Spezialverbände, die die Hauptlast der Gefechte zu tragen hatten, bestand aus Russen, Ukrainern und Belorussen. Diese ethnischen Gruppen hatten aufgrund der veränderten modernen Armeestruktur und aufgrund der gewandelten Einsatztaktik die meisten Opfer zu beklagen. Der Zusammenhang mit der Stationierung der sowjetischen Streitkräfte in der DDR ist evident. Denn auch für die Vorzeigeeinheiten Ostdeutschlands war man bisher stets bemüht gewesen, gut ausgebildete Soldaten slawischer Herkunft zu rekrutieren. Diese Elite wurde nun abgezogen beziehungsweise nicht mehr für den Dienst in der GSSD eingeteilt. An ihre Stelle traten schlechter ausgebildete Rekruten aus den mittelasiatischen Landesteilen. Noch ein Aspekt wirkte unmittelbar auf die GSSD: die Rückkehr der so genannten Afgancy. Nach offiziellen Angaben verblieben knapp elf Prozent aller Afghanistan-Veteranen in den Streitkräften, fast 66.000 Unteroffiziere und Offiziere.122 Nicht wenige litten an den Folgen des Anti-Guerilla-Kampfes ohne klaren Frontverlauf; mit der permanenten Gefahr, in einen Hinterhalt zu geraten oder Opfer von Anschlägen zu werden. Sie litten nach ihrer Rückkehr in die »Friedensarmee« unter psychischen Störungen, die sich in gesteigerter Aggressivität, in Schlafstörungen, Angst- und Schuldgefühlen sowie in Depressionen ausdrückten.123 Neben akuten Syndromen waren nicht wenige Afgancy vom alltäglichen Leben entfremdet, selbst vom abgeschotteten Kasernenleben. Sie fühlten sich unverstanden, kamen mit den gültigen Normen und Werten nicht mehr zurecht. In einer Zeit, in der die manichäisch-dichotome Weltsicht auch in der Truppe allmählich aufweichte, vertraten die Afgancy eine eindimensionale, auf rasches Handeln ausgerichtete Sicht: Dort, im Kampf, sah man sofort, wer wer war. Weiß war weiß und schwarz war schwarz. Man wußte sicher, hinter der Ecke kann einem nur der Feind auflauern, aber nicht der eigene Mann. Du warst fest überzeugt: In der Not läßt man Dich nicht im Stich. Wenn nötig, gibt man sein Leben für Dich, so wie Du Dich selbst in den Kugelhagel werfen würdest, um die eigenen Leute zu retten.124
Mit solchen Lebensmaximen blieben die Afghanistanveteranen Außenseiter, ihre Erfahrungen wollten und konnten die Daheimgebliebenen nicht teilen. Vor allem die Jüngeren lehnten diese Art von eindimensionaler Pflichterfüllung ab. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Sowjetunion von einer bis dahin noch weitgehend agrarisch geprägten Gesellschaft hin zu einer industrialisierten, urbanen Gesellschaft entwickelt. Lebten Ende der dreißiger Jahre gerade einmal 56 Millionen Menschen in Städten, so waren es Ende der Achtziger 180 Millionen.125 Die Folge war ein verbessertes Bildungsniveau und eine verstärkte soziale Differenzierung nach Einkommen, Bildung und Lebensstandard. Die Diversifizierung und Individualisierung der
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Lebensstile entfernte vor allem die jüngeren Generationen der siebziger und achtziger Jahre von den bisher hochgehaltenen politischen Werten, die in den Frontgenerationen des Zweiten Weltkrieges immer noch prägend waren.126 Der fortschreitende Sinnverlust erfasste die jungen Rekruten insgesamt, besonders aber die Afghanistankämpfer. Sie mussten nicht nur vernehmen und verarbeiten, dass sie nicht als Helden gefeiert wurden, sondern, ganz im Gegenteil, dass ihre Taten und Opfer moralisch verurteilt wurden. Es kam vor, dass sie sogar von Eltern, Ehepartnern und Freunden gemieden wurden. Verantwortlich für diese Nicht- oder gar Missachtung war nicht zuletzt ihr überdurchschnittlich hoher Alkoholkonsum. Ihre Exzesse fielen sogar in einem Land auf, in dem Alkoholismus als Volkskrankheit Nr. 1 galt und gilt.127 Dazu gesellte sich ein weiteres Problem: der massenhafte Drogenmissbrauch.128 Bereits Ende der sechziger Jahre hatte eine Ärztekommission festgestellt, dass zwanzig Prozent der Soldaten aus Mittelasien vor ihrer Wehrdienstzeit Narkotika konsumiert hatten und diese Praxis in der Armee fortzusetzen suchten. Die Experten konstatierten, dass es Rauschgiftsüchtige gäbe, die sich drei Mal täglich spritzten und dennoch Waffen trugen.129 Der Krieg in Afghanistan beförderte den Drogenmissbrauch noch um ein Vielfaches: So wurde neben Haschisch, Opium und Marihuana nun auch »Koknar« konsumiert, eine Substanz, die durch Auskochen von Mohnstroh gewonnen wurde. Auch nach dem Krieg, im zivilen Leben oder in der neuen Militäreinheit, hielt der regelmäßige Drogenkonsum an.130 Zunehmend kritische Generationen, öffentlicher Bedeutungsverlust sowie Werteverschiebungen im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg führten zu einem bis dahin nicht gekannten Disziplinverlust innerhalb der Truppe.131 Im Folgenden soll eine besonders prägnante Erscheinung des Kasernenalltags näher beschrieben werden, eine Praxis, die sich vor allem auf die einfachen Mannschaftsdienstgrade auswirkte: die Dedowschtschina, die Herrschaft der »Großväter«.
Traditionen der »Kameradenschinderei«: Die Dedowschtschina Im Jahr 1988 äußerte sich Militär-Hauptstaatsanwalt Boris S. Popow erstmalig öffentlich zum Problem der »Kameradenschinderei«: Frage: Die Leser der Isvestija bewegt natürlich vor allem das Problem der so genannten EK-Bewegung [Entlassungskandidaten-Bewegung, S. S.]. Wie ist die Zählebigkeit dieser schändlichen Erscheinung zu erklären? Antwort: Meiner festen Überzeugung nach ist ihr Ursprung außerhalb der Armee zu suchen. Wo, sagen Sie, wird bei uns die Kultur der zwischenmenschlichen Beziehungen anerzogen? Sieht man denn nicht, wie sich kleine Kinder vor unseren Augen ungestraft gegenseitig erniedrigen? […] Soziologische Untersuchungen und die Akten von Straf-
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taten belegen, dass ein bedeutender Teil der jungen Männer schon vor der Armeezeit selbst Opfer oder Augenzeuge von Beleidigungen oder gar Verhöhnungen war. Mit der Zeit wird aus einer verzerrten Ethik eine Verhaltensnorm, mit der die Einberufenen in die Streitkräfte kommen. […] Viele Einberufene sind physisch schwach und, was noch schlimmer ist, keine bewusste Disziplin gewöhnt. Natürlich werden auch sie in der Zeit des Wehrdienstes reifen, sich buchstäblich vor unseren Augen wandeln. Frage: Was würden Sie jungen Soldaten raten, die mit einer Verletzung der menschlichen Würde beziehungsweise mit Bedrohungen konfrontiert werden? Antwort: Sich exakt an die Festlegungen der Gesetze und Vorschriften zu halten. Bei einem Angriff gegen die Interessen des Sowjetstaates, gesellschaftliche und persönliche Interessen, darunter auch die anderer Personen, ist dem Kommandeur Meldung zu machen. […] Auch den Eltern der Jungs, die jetzt dienen oder die im Frühjahr einberufen werden, will ich einen Rat geben. Es ist nicht angebracht, allen Schauergeschichten über die Armee Glauben zu schenken. Nicht selten sind das erfundene oder über alle Maßen übertriebene Märchen und Legenden, eine Art Folklore, die der in die Reserve entlassene Soldat mit nach Hause bringt und aus reiner Prahlsucht erzählt, was er doch für schwierige Lagen gemeistert hat!132
Der Militärjurist wollte seine Einlassung als Replik auf die zunehmend lauter werdende Kritik verstanden wissen: Die Rekruten würden in der sowjetischen Armee entrechtet und gedemütigt, behauptete die in- und ausländische Presse, offizielle Initiationsriten wie das Scheren der Haare raubten ihnen jede Individualität, sie stünden unter ständiger Aufsicht, schliefen in Gemeinschaftssälen und seien rechtlos dem Drill, Zorn und der Willkür ihrer Vorgesetzten ausgesetzt.133 Der Begriff »Dedowschtschina« (oder das Synonym »Starikowschtschina«) bezeichnet ein System von Herrschaft, das Soldaten im zweiten Dienstjahr (Großväter, Alte) über diejenigen mit einer kürzeren Dienstzeit (Söhnchen, Junge) ausüben. Die Strukturen dieses Gewaltverhältnisses sind einfach: Es gibt zwei Schichten von Wehrpflichtigen – »Alte« (stariki) und »Junge« (molodyje). Diese Schichten gliedern sich in entsprechende Kasten, deren Mitglieder je nach militärischem Standort unterschiedliche Benennungen haben. Auch die Ausdrucksmöglichkeiten der Dedowschtschina gestalten sich unterschiedlich: Einmal müssen Rekruten ihre Lebensmittelrationen teilen oder mitgebrachte Wertgegenstände »verschenken«, ein anderes Mal haben sie ihren Sold abzugeben. Sie verrichten Dienste für die Älteren, werden geschlagen, im Extremfall kommt es sogar zu Vergewaltigungen und zu Totschlag. Trotz solcher zum Teil existentieller Folgen reagierte die Armeeführung lange Zeit nur unzureichend auf dieses Phänomen. Erst Mitte der achtziger Jahre distanzierte sie sich öffentlich von dieser illegalen Form der Machtausübung im eigenen Apparat. Zu dieser Zeit vertrat über die Hälfte der Wehrdienstleistenden die Meinung, dass die Dedowschtschina in erster Linie ihren Vorgesetzten selbst anzulasten sei, da sie diese duldeten, wenn nicht gar beförderten.134 Bei der Dedowschtschina schien (und scheint)135 es sich vordergründig um ein System der Sozialisierung zu handeln.136 Ihr Ziel war es, den mitgebrachten
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zivilen Wertehorizont innerhalb kürzester Zeit den militärischen Gegebenheiten anzupassen. Dem Rekruten wurde gleich bei seiner Ankunft signalisiert, dass gemeinmenschliche Normen in der neuen Umgebung keine Gültigkeit mehr besaßen. Demgegenüber erhielten die Regeln der »Alten« den Status von Pseudo-Gesetzen. Ihre Befehle mussten nicht etwa wegen ihrer besonderen Sinnhaftigkeit befolgt werden, sondern einzig und allein deshalb, weil sie ein »Alter« gegeben hatte. Die Dedowschtschina evozierte offizielle und inoffizielle Unterwerfung; beide Formen waren eng miteinander verknüpft, häufig sogar aufeinander bezogen. Entgegen den Dienstvorschriften, denen zufolge jeder Befehl eines Vorgesetzten rational, logisch und moralisch begründet sein musste,137 installierten die »Großväter« eine inoffizielle Befehlsgewalt und führten die Kategorien der Dienstordnung als Grundlagen militärischen Befehlens und Handelns ad absurdum. Die Reduzierung der Emotionalität und Willenskraft des Rekruten auf die Erfordernisse des physischen und psychischen Überlebens, die mit einer Zerstörung bisher gewachsener moralischer Überzeugungen einherging, machte ihn zu einer Art Tabula rasa,138 zu einem willfährigen Objekt willkürlicher Verhaltensnormen, die ihm von offiziellen wie inoffiziellen Autoritäten vermittelt wurden. Diejenigen, die in der ersten Phase ihrer Dienstzeit all diese Schikanen überstanden, und dies war die Mehrheit, fanden sich in ihrem zweiten Jahr beim Militär selbst in der Situation und womöglich auch in der Rolle der »Alten« wieder. Solche Zustände freilich fanden (und finden) sich in militärischen Einrichtungen und geschlossenen Ausbildungsstätten rund um den Globus. Der Soziologe Erving Goffman beschreibt solche Anstalten als »totale Institutionen«. Nicht nur in Streitkräften, sondern auch in Strafkolonien, Gefängnissen, Arbeitslagern oder Krankenanstalten finden sich vergleichbare informelle Formen der Machtausübung.139 Mit dem Begriff bezeichnet Goffman Lebenssituationen, in denen: – alle Angelegenheiten an ein und derselben Stelle entschieden werden und unter ein und derselben Autorität stattfinden; – alle Phasen der Tätigkeit in einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen gemeinsam verrichtet werden, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird; – alle Phasen des Arbeitstages von oben nach unten durch feste Regeln und einen Stab von Funktionären fremdbestimmt werden und – in denen die erzwungenen Tätigkeiten in einem einzigen rationalen Plan vereint sind, der dazu dienen soll, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen.140 Solche Zuschreibungen treffen auch auf die Sowjetarmee zu, wie sie auf die meisten bewaffneten Kräfte zutreffen – gerade deshalb aber scheinen sie nicht geeignet, mögliche Unterschiede zum Alltag sowjetischer Truppen theoretisch
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zu erfassen. Hierfür eignet sich ein von Goffman eher marginal behandeltes Phänomen als Ausgangspunkt weitaus besser: Die Existenz einer zwischen den »Insassen« und dem »Personal« stehenden Zwischengruppe. Goffman schreibt hierzu: »In manchen totalen Institutionen bekleiden die aus den Reihen der Insassen stammenden Kapos und Vertrauensleute ganz ähnliche Funktionen und genießen ähnliche Vorrechte wie die niedrigsten Dienstgrade des Personals, nämlich die Wärter. Tatsächlich besitzt manchmal der höchstgestellte Mann der unteren Schicht mehr Macht und Autorität als der niedrigststehende aus der höheren Schicht.«141 Während es sich bei Goffman jedoch um vom »Personal« offiziell ausgewählte und eingesetzte »Funktions-Insassen« handelt, bestand die Zwischengruppe in den sowjetischen Kasernen aus illegalen Trägern der Macht, aus den Akteuren der Dedowschtschina. Nicht die Offiziere wählten sie aus, sondern die Insassen selbst – auf der Grundlage des Dienstalters und des mentalen Habitus. Die Handlungen der »Großväter« stützten auch keineswegs die offizielle Hierarchie, wie dies bei Goffmans »Wärtern« der Fall ist, vielmehr stellten sie diese in Frage, ja, sie setzten sie partiell außer Kraft. Angelegenheiten der Institution »Armee« wurden somit nicht mehr nur vom »Personal« für die »Insassen« geregelt und die »Insassen« folgten nicht mehr ausschließlich einem Autoritätsstrang, indem sie eine weitere Hierarchie anerkannten. Die »Großväter« stellten insofern eine ernst zu nehmende Gefahr für das Fortbestehen der »totalen Institution«, vor allem aber für die Autorität ihres »Personals« dar. Die selbsternannten »Führer auf Zeit« arbeiteten nämlich nicht selten gegen die Anweisungen der zumeist jungen und unerfahrenen Offiziere, denn sie untergruben deren Befehlsgewalt. Zur Lösung des Problems boten sich aus der Sicht der Offiziere zwei Vorgehensweisen an: Entweder sie sagten renitenten, aber starken »Großvätern« den Kampf an, was im Falle ihres Scheiterns zu einer vollständigen Desavouierung der Befehlsstrukturen führen konnte. Oder sie verbündeten sich mit ihnen und legalisierten sie und ihre Anweisungen nachträglich, was ebenfalls ihre Schwäche offenbarte. Gleichwohl barg vor allem die zweite Möglichkeit veritable Vorteile: Besonders unerfahrene Offiziersanfänger konnten sich mit der Vergabe von vielfältigen Privilegien an die »Großväter« deren, vor allem jedoch den Gehorsam der Truppe erkaufen. Dabei bewegten sich die Zugeständnisse von passivem Wegschauen bei illegalen Disziplinierungsmaßnahmen von Neulingen bis hin zu aktiver Entlohnung (durch die Gewährung von Alkohol, Zigaretten, Lebensmitteln und von Freizeit). Der Erfolg schien die illegalen Praktiken zu rechtfertigen: Die Autorität des Offiziers blieb vor den Augen der Mannschaften wie vor den Augen seiner Vorgesetzten erhalten. In der Sowjetarmee allgemein wie auch in der GSSD begann die Dedowschtschina spätestens seit Beginn der achtziger Jahre die Grundfesten dieser »totalen Institution« zu sprengen; in ihrem Gefolge wurden nicht nur ständig offizielle Befehlshierarchien unterlaufen, sondern es kam zu Morden, Selbst-
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morden, körperlichen und seelischen Verkrüppelungen und Desertionen.142 Ein solches informelles Gewaltverhältnis hatte weder im Zweiten Weltkrieg noch in der Nachkriegszeit existiert. Vielmehr scheint es erst in den fünfziger Jahren (wieder)aufgetreten zu sein.143 Damals räumte die sowjetische Militärpresse vereinzelt solche Formen von Gewalt ein, ohne ihnen größere Aufmerksamkeit beizumessen. Erst in den achtziger Jahren vermeldeten die Militärmedien, dass die Dedowschtschina an Ausmaß und Bedeutung bedrohlich zugenommen habe, wobei hier nach Truppengattung, Tätigkeitsfeld der Garnisonen sowie nach den Fähigkeiten der jeweiligen vorgesetzten Offiziere unterschieden werden müsse.144 Allgemein galt, dass es in den Elitetruppen, also in den Truppen des KGB, in den Luftlandeeinheiten oder in der Luftwaffe, seltener zu »Kameradenschindereien« kam als beispielsweise bei den Rückwärtigen Diensten sowie den Versorgungs- und Baubataillonen. Der Grad der Ausprägung der Dedowschtschina korrespondierte also unmittelbar mit der sozialen Zusammensetzung der Mannschaften.145 Befördert wurde diese illegale Form der Herrschaftsausübung durch die Vielzahl ethnischer Gruppen innerhalb der Armee. In der Sowjetunion lebten über 120 Nationalitäten, wobei die Russen über die Hälfte der Bevölkerung ausmachten.146 Nach offiziellen Angaben sprachen mehr als drei Viertel der Bevölkerung Russisch als Mutter- oder als Zweitsprache; auf welchem Niveau sie diese Sprache beherrschten, geht aus den Statistiken nicht hervor.147 Sicher ist, dass Anfang der achtziger Jahre ein Drittel aller Sowjetbürger dieser Lingua Franca nicht mächtig war.148 In der Armee trafen die Rekruten dann auf eine Institution, in der Russisch als alleinige Befehlssprache fungierte. Nach einigen Experimenten mit monoethnischen Einheiten hatte man nach 1945 beschlossen, die Streitkräfte ethnisch zu mischen, eine Entscheidung, die bald zur Herausbildung organisierter Landsmannschaften und zu entsprechenden Konflikten führte.149 Die bereits beschriebene disproportionale Entwicklung der Bevölkerung führte dazu, dass der Anteil der Rekruten aus Mittelasien und dem Kaukasus von 17 Prozent im Jahr 1970 auf 37 Prozent 1988 anstieg, was zur Folge hatte, dass sich die Beziehungen unter den Ethnien stetig verschlechterten.150 Zwar waren die Rekruten auch zuvor mit präformierten ethnischen Stereotypen zum Militärdienst angetreten, doch hatten die Berührungsängste den vorschriftsmäßigen Umgang miteinander nicht behindert.151 Die Zunahme nichtslawischer Nationalitäten bei den Rekruten, wachsende Sprachprobleme, kulturelle Unterschiede und Unverständnis der meist slawischen Vorgesetzten152 führten seit Mitte der achtziger Jahre zur Herausbildung »nationaler« Mikrogruppen, die sich gegenüber den Vorgesetzten wie gegenüber anderen Gruppen absonderten und diese nicht selten sogar bekämpften.153 Sowohl der beschriebene Werteverfall innerhalb der Nachkriegsgenerationen als auch die aggressiven Phänomene der Dedowschtschina ließen das
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jahrzehntealte Postulat der »militärischen Einzelleitung« an seine Grenzen stoßen: Die Exaktheit der Organisation des militärischen Kollektivs wird dadurch verstärkt, daß jede Einheit, jeder Truppenteil und jeder Verband nach dem Prinzip der militärischen Einzelleitung geführt wird. Die Organisation des militärischen Kollektivs, die festgelegte militärische Ordnung und die exakt bestimmten Normen und Regeln des Gemeinschaftslebens fördern die Herausbildung von Diszipliniertheit, Zuverlässigkeit und Ordnungsliebe beim Soldaten, festigen seinen Willen und Charakter und tragen dazu bei, daß sich Koordiniertheit und Gewohnheiten des kollektiven Handelns entwickeln. […] Die KPdSU stellt hohe Anforderungen an den Führer jedes militärischen Kollektivs, an seine politischen und fachlichen Qualitäten und an seinen Führungsstil. Die Partei, die in der Einzelleitung das wichtigste Prinzip der Führung der sowjetischen Streitkräfte sieht, fordert, parteilich an dieses Prinzip heranzugehen, das heißt, daß sich der Kommandeur, jeder Vorgesetzte den Leninschen Führungsstil aneignet und sich in seiner Arbeit auf die gesellschaftlichen Organisationen, vor allem auf die Partei- und Komsomolorganisationen, stützt.154
Ein Leninscher Führungsstil, der darauf setzte, innere wie äußere Feinde zu erkennen und zu liquidieren, konnte vorgesetzten Offizieren im Umgang mit Untergebenen nun kaum mehr hilfreich sein. Der Feind im Innern der Truppe trug ein Allerweltsgesicht: Er konnte der Kamerad von nebenan sein, ihn zu entfernen, hätte Ende der achtziger Jahre die Erosion der gesamten Armee bedeutet. Weil sich die gesellschaftlich induzierten Probleme innerhalb der GSSD kaum zufrieden stellend lösen ließen, versuchten sich das Oberkommando wie die Regimentskommandeure in Geheimhaltung und Schadensbegrenzung. Wie all die Jahrzehnte zuvor sollte auch diesmal das Prinzip konsequenter Exterritorialität ein wirksames Instrument zur Disziplinierung sein – eine Illusion, wenn man bedenkt, dass ein rigoroser Abschluss allenfalls bei den Mannschaftsdienstgraden durchgesetzt werden konnte. Und selbst hier versagten die Repressionsapparate immer wieder. Sämtliche höhere Dienstgrade wie auch die Zivilangestellten der GSSD genossen Freiheiten genug, um zumindest partiell und peripher am deutschen Alltag teilzunehmen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Weltwahrnehmung der Wehrpflichtigen, die vielfältigen Kontakte der ranghöheren Armeeangehörigen werden an späterer Stelle behandelt.
In Klausur: Blicke über die Mauern Neben der Durchsetzung eines bis ins Detail festgelegten Tagesablaufs setzte die Führung vor allem auf die möglichst vollständige Abschottung der Truppe nach außen.155 Das streng reglementierte Leben hinter den Kasernenmauern
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ohne freie Räume und Zeiten ließ aufkommende Fragen zum Stationierungsland und zu den »Deutschen« zunächst einmal in den Hintergrund treten. Wichtig war, das erste Dienstjahr zu überstehen.
Ausgang und Alkohol Wenn sich mit zunehmender Routine das Interesse manches Soldaten auch auf die Welt außerhalb der Mauern richtete, stellten sich ihm nicht nur räumliche, sondern auch mentale Hindernisse in den Weg: Laut allgemeiner Dienstordnung stand den Mannschaftsdienstgraden regelmäßig Ausgang zu, samstags dauerte der Ausgang bis 24 Uhr, sonntags bis zum Zapfenstreich um 22 Uhr. Für Wehrdienstleistende, die auf dem Territorium der DDR stationiert waren, traf dies nicht zu: Ausgang bekam man hier nur in der Gruppe und unter Aufsicht eines Vorgesetzten. So hieß es in der Vorschrift: »Verlassen zwei oder mehr Armeeangehörige die Einheit, ist in jedem Fall einer von ihnen als Verantwortlicher einzusetzen. Trupps von drei Angehörigen und mehr bewegen sich unter dem Kommando des Verantwortlichen in Marschordnung zum Bestimmungsort.«156 Auf diese Weise glaubte man, allen Unwägbarkeiten, vor allem aber eventuellen Disziplinarverstößen infolge unmäßigen Alkoholgenusses vorbeugen zu können. Die Rechnung ging nicht auf. Nicht zuletzt die Mannschaftsdienstgrade machten immer wieder illegale Wege nach draußen ausfindig und erschlossen sich so auf eigene Faust Gelände und Infrastrukturen, um ihre persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Häufigstes Vorkommnis war das regelwidrige Kaufen oder Stehlen von Alkohol. Zwar ließ sich der Missbrauch innerhalb der GSSD längst nicht mit dem von Wodkaexzessen bestimmten Tagesablauf der Nachkriegsjahre vergleichen, dennoch stellte er weiterhin ein Problem dar.157 Verstöße gegen das generelle Alkoholverbot für Wehrdienstleistende wurden gewöhnlich mit einigen Tagen Arrest sanktioniert, dabei gerieten weniger die Delinquenten als ihre Vorgesetzten in die Kritik. Ihnen warf man regelmäßig vor, nicht Herr der Lage zu sein, ihre Truppe nicht erziehen oder wenigstens im Zaum halten zu können. Es war an der Tagesordnung, dass sich Soldaten heimlich absetzten, um vom kargen Sold Schnaps zu kaufen. Meine Mutter betrieb in unserem Haus einen Konsum, und zwar schon vor dem Krieg. […] Mit den Russen war es anfänglich ein bisschen schwierig. Sie wollten vor allem jede Menge Schnaps kaufen! Ihre Kasernen waren kaum einen Kilometer von hier entfernt. Dort brachen sie abends heimlich aus und kamen zu unmöglichen Zeiten einkaufen. Meine Mutter entwickelte in dieser Beziehung sehr schnell eine Art Routine. Sie machte das Fenster auf, wusste auch schon, was die Soldaten wollten, Braunen oder Wodka. Die warfen dann das Geld zum Fenster rein und verschwanden wieder. Manchmal klopften sie auch nachts um drei, ganz unterschiedlich. Das war für meine
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Mutter natürlich sehr belastend. Aber dies unterbinden zu wollen, hätte wenig Sinn gemacht. Wenn man nicht reagierte, wurde alles nur noch schlimmer. Die Soldaten blieben hartnäckig und klopften ewig. Sie kletterten sogar über das Tor und rannten an den bellenden Hunden vorbei.158 Mein Großvater betrieb eine Gastwirtschaft, die nicht weit von den Russenkasernen entfernt lag. Ich habe ihnen Alkohol verkauft und gute Geschäfte dabei gemacht: Die Militärs wussten, dass die Flasche Schnaps in der Wirtschaft dreißig Mark kostet, im Handel kostete sie nur 15 Mark. Da habe ich im Konsum ein paar Flaschen billig gekauft und sie dann weiterverscherbelt.159
Die Militär-Medien Den offiziellen Darstellungen einer »sozialistischen« Freizeitgestaltung entsprach diese jahrzehntelang andauernde Praxis freilich nicht: Die Freizeit des Soldaten ist mit interessanten Beschäftigungen ausgefüllt. Überall kann man aktuelle Zeitungen lesen, Rundfunksendungen hören und Filme ansehen. […] Unter Berücksichtigung der ständig wachsenden geistigen Bedürfnisse treten vor den Angehörigen der GSSD bekannte sowjetische Künstler, das Gesangs- und Tanzensemble der GSSD, Agitationsbrigaden und Laienkollektive auf. Erklingt Musik, ertönt ein Lied, wirbeln die Tänzer umher, vergeht die Müdigkeit, erfaßt die Soldaten eine helle freudige Stimmung.160
Wie war es um die Mediennutzung der Soldaten bestellt? Welche Möglichkeiten eröffneten sich ihnen, via Medien ihr Stationierungsland näher kennen zu lernen? Ende des Jahres 1988 gab der Chef der Abteilung Kultur und Kunst innerhalb der sowjetischen Armee, W. Jakimow, folgende Zahlen bekannt: In der Armee und Flotte stünden den Soldaten 120 Millionen Bücher zur Verfügung. Das zentrale Fernsehen und der Rundfunk sendeten täglich bis zu 600 Stunden »über militärpatriotische Themen«, die Armeeangehörigen könnten jährlich 500 Stunden fernsehen, 200 Stunden Radio hören, zwanzig Bücher lesen, zehn bis zwölf Mal Museen und Theater besuchen.161 Tatsache sei allerdings, räumte sein Vorgesetzter, Verteidigungsminister Dmitri Jasow, später ein, dass – es kaum Bücher in den nationalen Sprachen gäbe, demgegenüber aber dreißig Prozent der Wehrdienstleistenden nicht Russisch lesen konnten; – die Sendezeiten nur selten mit der Freizeit der Soldaten übereinstimmten; – der gezeigte Hurra-Patriotismus auf Ablehnung stoße, da die erlebten Wirklichkeiten sich anders darstellten; – die Museums- und Theaterbesuche im besten Fall in Großstädten stattfänden, nicht jedoch in abgelegenen Garnisonen.162
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Laut offiziellen Angaben standen den Truppen außerdem fast hundert Zeitungs- und Zeitschriftentitel zur Verfügung. Die Armee unterhielt eine eigene Tageszeitung namens Krasnaja Zvezda (Roter Stern). Diese glich der sowjetischen Tagespresse bis auf wenige Details: Wie diese war sie in die Rubriken Politik, Militär, Sport, Literatur und Ausland eingeteilt, wobei das Hauptaugenmerk gleichwohl auf militärischen Themen lag. Charakteristisch für diese Zeitung war ihr streng bipolares, auf das strategische Verhältnis der UdSSR zu den USA verengtes Weltbild, wobei Bedrohungsszenarien des Zweiten Weltkrieges zumeist im Hintergrund mitschwangen.163 Der Fokus der Krasnaja Zvezda richtete sich in der Hauptsache auf den politischen »Westen«, auf die Bundesrepublik und die USA; Qualität wie Quantität dieser Texte übertrafen die Miszellen aus den sozialistischen Bruderländern bei weitem. Über Jahrzehnte blieb die von Moskau vorgegebene Linie alleinige Maßgabe, selbst während der Perestroika hielt man am bewährten konservativen Kurs fest. Dies wurde nicht nur während der Debatten um eine Armeereform Mitte der achtziger Jahre deutlich, sondern auch während der Ereignisse des November 1989: So berichtete die Zeitung sehr ausführlich über die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR in Berlin. Lange Sequenzen handelten von Michail Gorbatschows Besuch am Treptower Ehrenmal und von dessen Gedanken zum Großen Vaterländischen Krieg. Von Dissonanzen zwischen den beiden Staatschefs vernahm man nichts.164 So erfuhren die Leser aus ihrem Nachrichtenblatt auch erst mit einer Woche Verspätung von der »Wende« im November 1989.165 Dennoch: Die Wehrdienstleistenden suchten und fanden weitere Nachrichtenkanäle, schließlich erfuhren sie aus ihrem ureigensten Informationsmedium kaum je echte Neuigkeiten. Neben der Krasnaja Zvezda unterhielt die GSSD noch eine eigene Truppenzeitschrift, die Sovetskaja Armija, die sich in ihrer Berichterstattung freilich akkurat an die Vorgaben ihrer großen Schwester hielt. Zwar publizierte man hier häufiger Beiträge über Politik, Wirtschaft und Kultur der DDR, doch waren die Texte gewöhnlich bloße Nachdrucke aus dem Neuen Deutschland. Über das wirkliche Leben, über die Sorgen und Nöte der ostdeutschen Bevölkerung erfuhren die stationierten Soldaten ebenso wenig wie über Belange des eigenen Militäralltags. Die im starren Duktus sozialistischer Berichterstattung verfassten Beiträge dürften nur wenige wirklich interessiert haben. Ein geeignetes Beispiel dafür stellt folgende Kolumne dar: Unter der Rubrik »Soldaten unter sich« erschienen in regelmäßigen Abständen Zuschriften von Wehrdienstleistenden. Hierbei handelte es sich um eine Art Kummerkasten, wobei nicht irgendein qualifizierter Spezialist Seelsorge leistete, vielmehr stieß der jeweilige Verfasser stets selbst auf die Lösung seiner Probleme. Folgende Briefe des Rekruten Viktor S. an seine Mutter sollen dies verdeutlichen:
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Erster Brief: Liebe Mama! Mir kommt es vor, als hätte ich mich gerade erst von Dir verabschiedet, von der Stadt, den Freunden. Eine neue Umgebung, unbekannte Leute erwarteten mich hier. Ich habe niemals geglaubt, dass der Armeedienst leicht sei – die Feldpostbriefe von Großvater haben mich schon gewarnt. Erinnerst Du Dich, Mama, wie ich mich auf den Armeedienst vorbereitet habe? Ich habe viel gelesen, Sport getrieben. Alles, was nötig war, habe ich getan. Geholfen hat das scheinbar nicht viel. Ich will Dir ein bisschen vom Dienst erzählen: Wir wurden freundlich willkommen geheißen, ein Orchester hat sogar gespielt. Der Truppenkommandeur hat über die Kampfgeschichte unseres Regiments gesprochen, von den Veteranen, die von Moskau nach Berlin gekommen waren. Wir haben zugehört und hatten nichts anderes im Sinn, als unsere Sache möglichst gut zu machen, zu den Besten zu gehören. Nun will ich wirklich nicht jammern, Mama, doch erst einmal ist alles anders gekommen, als ich erwartet hatte. Manchmal will ich hier verzweifeln! Versteh mich nicht falsch, Mama, ich will wirklich ein guter Soldat sein, doch die Ausbildung ist hart und ich frage mich oft, ob ich das alles schaffen werde. Mama, in schwierigen Momenten war mir Dein Rat immer wichtig, streng, aber gerecht. Hilf mir doch, meine Gedanken zu ordnen. Mich drängt es zu erfahren, was ich hier falsch mache. Ich warte auf Deine Antwort und küsse Dich. Dein Viktor. Zweiter Brief: Mama, meine Liebe, sei gegrüßt! Ich habe Deinen Brief erhalten, vielen Dank. Ich freue mich, dass Dir die Kumpel bei den Wintervorbereitungen geholfen haben. Es sind wirklich Prachtkerle! Mach Dir um mich keine Sorgen. Ich habe hier viel verstanden. Diese wenigen Monate waren für mich eine echte Schule fürs Leben. Ich weiß nun, wozu jeder Einzelne fähig ist, was in ihm steckt. Heute hat mir Kirpitschew (ich habe Dir von ihm geschrieben) angeboten, eine Politversammlung zu leiten. Da habe ich ihm erst einmal von meinen Schwächen erzählt und ihn aufgefordert, er solle doch besser einen der Besten für diese Aufgabe auswählen. Doch davon wollte er nichts wissen, er blieb bei seinem Angebot. […] Du siehst, Du musst Dir um mich keine Sorgen mehr machen. Trotzdem danke ich Dir für Deinen Rat, Mama. Ich küsse Dich. Viktor.166
Die Ex-Territorialen Mischa P.s unvollendeter Brief: Im wahren Kasernenleben kamen BilderbuchGeschichten wie diejenige von Viktor S. freilich selten vor. Die Briefe von Mischa P. zeugten von keiner Erfolgsgeschichte. Seine Mutter schrieb ihm keine aufmunternden Briefe, vielmehr berichtete sie von den Sorgen zu Hause auf dem Hof. Dass sich die Arbeit nicht von alleine mache, dass die Schwester nun zur Ausbildung in die Stadt fahren würde und sie selbst ganz allein auf dem Hof zurückbleibe. Dass keiner seiner Schulkameraden mehr im Dorf lebe, keiner auch, der ihr bei der Ernte helfen könne. Aber nicht nur über den täglichen Kleinkram mache sie sich Sorgen, sondern auch um Mischa: ob es ihm gut gehe, ob die Ausbildung schwer wäre, ob er mit den anderen zurechtkäme. Er solle ihr schreiben, dass es ihm gut gehe, damit sie sich nicht noch mehr gräme.
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Mischas Schwester Ljuda interessierte sich nicht für Mischas Soldatenalltag. Sie schilderte detailliert ihr Liebesleben, die Sorgen und Nöte ihrer Ausbildung, die nervtötende Mutter. Mischas Freundin Sina studierte am Technikum. Sie habe schlechte Dinge über Mischa gehört und sei sich nicht sicher, ob die Gerüchte der Wahrheit entsprächen. Sie sei ihm zwar deswegen nicht böse, aber verunsichert sei sie schon. Überhaupt sei nichts mehr wie zuvor: Früher habe man nach der Schule zusammengesessen, geklönt, Musik gehört. Heutzutage treffe sie niemanden mehr von der alten Clique. Sie wisse auch nicht recht, wie das mit ihnen beiden weitergehen solle, schließlich habe man sich mittlerweile doch ein wenig auseinander gelebt. Mischas Freund Sascha schien der Einzige zu sein, der dessen neue Erfahrungen im Armeealltag mitfühlen konnte: Er selbst diente in einem Sanitätsregiment, allerdings in der Heimat. Der Dienst sei in Ordnung, die Eltern schickten ihm regelmäßig Pakete und Geld. Er komme zurecht. Dass Mischa keinen Urlaub und auch keine Fresspakete von zu Hause bekam, fand er schrecklich. Mischa selbst verfasste zwei Briefe an seine Schwester: Er sei traurig und auch besorgt, weil sie ihm nur so selten schreibe. Hier in Deutschland fühle er sich unendlich einsam, viel einsamer als irgendwo in der Sowjetunion. Tausend Kilometer trennten ihn von zu Hause, viel zu weit, um sich der Familie nah zu fühlen. Hier gäbe es niemanden, dem er sich anvertrauen könne, keinen Landsmann. Er hoffe nur, die Zeit würde schnell verfliegen, er wünsche sich zurück ins Dorf. Die Briefe hat Mischa nicht abgeschickt.167 Mischas P.s Korrespondenz eröffnet ein Schlaglicht auf die Befindlichkeiten der in der DDR stationierten einfachen Soldaten. Nicht nur die Kasernen, sondern sie selbst waren ex-territorial: In Deutschland lebten sie in der Fremde – und für die russische Heimat und für ihre Familien galten sie als unerreichbar, zeitweilig geradezu verschluckt vom Archipel Sovetskaja Armija. Ihre einzigen Kanäle nach Hause waren die Briefe, eine telefonische Verbindung blieb ihnen verwehrt. Warum hat Mischa seine Antworten nicht zum Versand gebracht? Darüber lässt sich nur spekulieren. Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag, Mischa und die jungen Männer konnten jedenfalls nicht hoffen, dass ihre Erfahrungen, ihre Nöte und ihre Einsamkeit zu Hause verstanden werden würden. Die Erlebniswelt der Dedowschtschina und die mit ihr verknüpften inneren Bilder und Erfahrungshorizonte waren zu weit entfernt, als dass sie von den ungeübten Briefautoren auch nur annähernd nachvollziehbar wiedergegeben werden konnten. Nicht nur das amtliche mediale Angebot, sondern selbst die persönlichste Kommunikation mit den Lieben zu Hause konnte die jungen Rekruten bisweilen in die seelische Verarmung treiben.
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Haussender der GSSD Ende 1971 fand in den Räumen des Deutschen Fernsehfunks in Adlershof eine geheime Beratung über ein ganz neues Sendeformat statt: ein Programm »Für Freunde der russischen Sprache«. Anwesend waren neben Vertretern der sowjetischen Botschaft mehrere Offiziere der Politischen Hauptverwaltung der GSSD sowie der Programmverantwortliche des DFF. Das hochrangige Gremium diskutierte vor allem über Art und Umfang der Unterstützung, die seitens der Sowjetarmee in dieses Gemeinschaftsprojekt einfließen sollte. Die Politische Hauptverwaltung erklärte sich bereit, Spielfilme, Wochenschauen und andere Filmproduktionen aus dem eigenen Archiv zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug wünschte sie sich entsprechende Würdigungen militärpolitischer Ereignisse: der Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, der Jahrestag der Sowjetarmee, der Jahrestag der Befreiung, der 1. Mai und noch weitere zwei Dutzend Höhepunkte.168 Im Verlauf der Sitzung glichen beide Seiten ihre Vorstellungen für das geplante russischsprachige Sendeformat an, nur in einem Punkt konnten sie keine Einigung erzielen: Die Politische Hauptabteilung drängte auf die Ausstrahlung einer aktuell-politischen Sendung zur besten Sendezeit, nämlich donnerstags um zwanzig Uhr! Mit dem anvisierten Sendeplatz wollte man absichern, dass die eigenen Truppen gezwungen waren, zunächst einmal das Politmagazin zu verfolgen und danach erst den deutlich beliebteren Spielfilm. Die beschlossene Programmfolge passte zwar exakt zum Tagesablauf der Soldaten, entsprach jedoch nicht den Usancen des ostdeutschen Publikums. Am selben Wochentag und zur selben Stunde präsentierte das ZDF »große Unterhaltung«.169 Wenn man überhaupt eine Handvoll Ostdeutsche für das neue Programm gewinnen wollte, dann mit einem spannenden Spielfilm, nicht aber mit einer in Moskau produzierten, originalsprachigen Politsendung. Am Ende dieser ersten Beratung konstituierte sich eine ständige Arbeitsgruppe.170 Am 21. Januar 1972 konnten die Medienexperten eine erste gültige Sendekonzeption vorlegen: Die neue Reihe, das war von Anfang an klar gewesen, sollte sich weniger an die Angehörigen der GSSD wenden, als an »den ständig wachsenden Teil der Zuschauer des Fernsehens der DDR, der die russische Sprache beherrscht beziehungsweise sie erlernt«.171 Donnerstagabend und bald auch Samstagnachmittag wurden nun Filme in Originalfassung gezeigt, wobei nur die dramatischen Produktionen deutschsprachig untertitelt waren. Entgegen den Wünschen der Politischen Hauptabteilung bildete nun doch der Spielfilm den Auftakt des Abends, gefolgt von einem aktuellen Nachrichtenmagazin. Offensichtlich hatten sich die DDR-Programmgestalter wenigstens in diesem Punkt durchgesetzt. Sowjetische Filme wurden nun tatsächlich ein bis zwei Jahre vor ihrer Ausstrahlung im sowjetischen Fernsehen gezeigt. Alle Produktionen erlebten fast
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ausnahmslos auf dem Zweiten Kanal ihre DDR-Bildschirmpremiere und wurden erst im Nachhinein für ostdeutsche Zuschauer aufbereitet. Fortlaufende Umfragen in den Garnisonen zeigten, dass vor allem die Mannschaftsdienstgrade den Haussender zu schätzen wussten. Nach kurzer Zeit war das vom DFF – zumindest auf dem Papier – für die eigene russophile Bevölkerung konzipierte Programm zum Armeefernsehen avanciert.172 Dieses Zugeständnis, meinten die DDR-Fernsehverantwortlichen, war man den »Freunden« schon deshalb schuldig, weil diese immerhin »großzügige ideologische und materielle Unterstützung«173 gewährten. Dabei lasen sich die von den Partnern regelmäßig erstellten Verzeichnisse der Jubiläen und bedeutsamen Daten weniger wie willkommene Hilfeleistungen als vielmehr wie direkte Regieanweisungen.174 Die Einschaltquoten der Bevölkerung blieben zeit der DDR miserabel. Hier halfen weder Programmerweiterungen am Sonntagnachmittag, noch das neu erworbene Erstaufführungsrecht für alle sowjetischen Fernseh- und Filmprogramme seit 1974 und damit ein deutlich höherer Neuigkeitswert. Die Sehbeteiligung stieg nicht an, die Programmachse am Donnerstagabend war die an Resonanz schwächste der gesamten Fernsehwoche. Die Beiträge »Für Freunde der russischen Sprache« wandten sich allenfalls an einen speziellen Zuschauerkreis, der etwa ein Prozent des DDR-Fernsehpublikums ausmachte175, eine Hürde, die die Sendung niemals zu überspringen vermochte.176 Die wechselseitige Nutzung von Programmen und Formaten ließ nicht nur deutsche Bürger an sowjetischen Sendungen teilhaben, sondern auch umgekehrt. Neben dem Programm »Für Freunde der russischen Sprache« konnten manche Einheiten mit etwas Geschick auch Westfernsehen empfangen. Mittels selbst gefertigter Zusatzantennen fand der eine oder andere Stützpunkt auf diese Weise medialen Zugang zum Feind. Erlaubt war dies natürlich nicht: Üblicherweise wurde allabendlich um zwanzig Uhr gemeinsam die sowjetische Tagesschau namens Wremja (Zeit) verfolgt. Da die Nachtruhe erst um 22 Uhr begann, durften die Soldaten auch manchen Spielfilm und manche Unterhaltungssendung anschauen. Als Vorgesetzter war es das Beste, man erlaubte den Soldaten das Fernsehen. Wenn sie alle zusammen saßen, konnte weniger passieren. Ich habe immer einen Verantwortlichen bestimmt, der dafür sorgte, dass es zu keinen unerwünschten Vorfällen kam. Bis zehn Uhr waren dann alle im Bett. Welche Sender die Soldaten geschaut haben, hat mich nicht weiter interessiert. […] Natürlich wusste ich, dass die Jungs umschalteten, wenn ich aus dem Raum ging. Ich wusste auch, dass Westfernsehen geguckt wird. Nur, was wollte man machen? Die ganze Zeit daneben sitzen? Hauptsache, es gab keinen Ärger, dann war ich schon zufrieden.177
Im Leninzimmer, umgeben von ideologisch einwandfreien Zeitungen, Magazinen und Büchern, empfingen die Soldaten also Programme des »Westimperialismus«. Die deutschen Texte verstanden zwar die wenigsten, doch sprachen
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die Bilder für sich. Und zeigten Wirkung. Im Dezember 1988 beklagte Verteidigungsminister Jasow anlässlich einer Parteiversammlung innerhalb der GSSD, dass unter den Militärdienstleistenden »ein ausgesprochener USA- und Westfimmel« herrsche, »ein Nachäffen aller im Westen üblichen Formen und Methoden der Meinungsmache von nicht begreifbaren Auswüchsen«. Jasow vermochte dieses Phänomen sogar zu erklären, gleichwohl er es nicht goutieren wollte: »Theoretisch wird diese Richtung gestützt durch das Setzen der Priorität des Allgemeinmenschlichen vor die Interessen der Klassen und daß friedliche Koexistenz keine Form des Klassenkampfes sei.«178 Ähnlich realitätsarm wie die Schilderungen des Soldatendaseins innerhalb der sowjetischen Medien gestalteten sich auch die – seltenen – ostdeutschen Bezugnahmen. Der wirkliche Alltag der »Freunde« blieb in sowjetischen wie in ostdeutschen Medien bis zum Ende der achtziger Jahre ein Tabu.
Geheimdienste auf Grenzposten Blicke über die Kasernenmauern sowohl von sowjetischen Soldaten wie auch von DDR-Bürgern ließen sich nicht unterbinden – wohl aber kontrollieren. Dies zu gewährleisten war Auftrag und Anspruch der auf dem Territorium der DDR operierenden Geheimdienste. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges agierten gleich mehrere sowjetische Dienste in Deutschland: das Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB), das Volkskommissariat des Innern (NKWD) sowie der militärische Abwehrdienst (GUKR, auch SMERSCH). Bis 1946 wurden diese Agenturen aufgelöst und ihre Mitarbeiter dem Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR (MGB), später Komitee für Staatssicherheit (KGB), überantwortet, das fortan auch auf dem Territorium der SBZ/DDR Dependancen unterhielt.179 Seit Kriegsende existierten in sämtlichen Ländern, Kreisen, größeren Städten sowie an strategisch wichtigen Punkten »operative Gruppen [Opergruppen]« des MGB. Ihre Büros waren räumlich zumeist den Standortkommandanturen beziehungsweise den Verwaltungen und Abteilungen des NKWD angegliedert. Zu ihren Aufgaben zählte die Beobachtung »subversiver Elemente« in der Nähe der eigenen Militärareale. Die Bedarfsfelder entwickelten sich so schnell, dass man sich gezwungen sah, deutsche Vertrauensleute für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.180 Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre stellten diese Opergruppen sichtbare und gefürchtete Vertretungen der sowjetischen Macht vor Ort dar.181 Damit nicht genug, wurden bald auch die Dienste der DDR Teil des ohnehin schon unübersichtlichen Netzes. Hatte die Verantwortung für die Geheimdienstarbeit vor Ort bisher vornehmlich in den Händen der Opergruppen gelegen, änderte sich dies mit dem Aufbau eines ostdeutschen Sicherheitsdienstes.
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Bereits im August 1947 betraute die SMAD die politische Geheimpolizei der Kriminalpolizei, die Kommissariate fünf, mit dem »Kampf gegen verbrecherische Aktivitäten der Feinde der neuen demokratischen Ordnung«182, wobei diese neue Instanz selbstverständlich von den MGB-Vertretungen in OstBerlin und in den Landeshauptstädten angeleitet wurde. Mit dem Aufbau des Ministeriums für Staatssicherheit seit 1950, der unter unmittelbarer Anleitung und Kontrolle der sowjetischen Kollegen erfolgte,183 erhielten die ostdeutschen Agenten eigene Kompetenzen übertragen, wenngleich von einer selbstständigen Arbeit auf deutscher Seite zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein konnte.184 Nach dem 17. Juni 1953 wurden die Staatssicherheitsorgane der DDR mit den konkreten Aufgaben eines Inlandsnachrichtendienstes betraut: der Herausbildung eines Auswertungs- und Informationssystems, der Erweiterung des inoffiziellen Netzes, der Neuregelung des Verhältnisses zur Partei und dem Übergang zu einer offensiven Strategie gegen Regimegegner.185 Um für die immer umfangreicheren Aufgaben gerüstet zu sein, unterhielten die Bezirksbüros des KGB ein wachsendes Netz von Informanten sowie zahlreiche Kontakte zu örtlichen Behörden, Polizeidienststellen, Kombinaten, Betrieben und Bildungseinrichtungen. Die Kontrolle durch Karlshorst war streng, wöchentlich hatten sich die Bezirkschefs zu Stabssitzungen einzufinden.186 Die Umstellung auf eine bloße Beratertätigkeit Mitte der fünfziger Jahre fiel den KGB-Offizieren nicht leicht. Sie beklagten das gewachsene Selbstbewusstsein deutscher Funktionäre und vor allem der MfS-Offiziere. So waren diese zwar weiterhin gehalten, die Empfehlungen der sowjetischen Lehrmeister umzusetzen, diese aber sollten nun bei ihren Anweisungen deutsche Gesetzgebungen und Praktiken berücksichtigen. Eine Kompetenzbeschneidung, die nicht von allen Tschekisten gleichermaßen akzeptiert wurde. Berater, seit 1958 Verbindungsoffiziere, waren bis zum Ende der DDR in den Reihen des MfS tätig, wobei sich beider Verhältnis seit den sechziger Jahren von einer Subordination zur Partnerschaft entwickelte, wenngleich diese, zumindest aus Sicht des MfS, nicht immer auf Augenhöhe stattfand. Die Zusammenarbeit erstreckte sich über den Austausch von Spionagematerialien bis hin zur Überstellung von MfS-Agenten. Regelwerk der Zusammenarbeit: Mit der Unterzeichnung des Rechtshilfeabkommens im Jahr 1957 war es auch zwischen KGB und MfS zu einer »Vereinbarung über die künftige Verfahrensweise gegenseitiger Rechtshilfe und Zusammenarbeit bei Strafverfahren« gekommen.187 Tenor der zunächst noch allgemein gehaltenen Willenserklärung war, dass man künftig die geheimdienstlichen Anstrengungen koordinieren und sich in wichtigen Punkten gegenseitig unterstützen wolle. Wie genau eine erfolgreiche Zusammenarbeit aussehen solle, über welche Strukturen und Personen man Verbindungen schaffen
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würde, blieb zu diesem Zeitpunkt weitgehend ungeklärt. Eine erste Aufgabenverteilung ergab sich mit dem Schreiben der Abteilung II des MfS vom 7. März 1962. Unter dem Abschnitt »Zusammenarbeit mit den Freunden« hieß es nun: »In der Zusammenarbeit mit den Freunden ist eine neue Qualität in der Arbeit zu erreichen. Diese besteht im Austausch der vorhandenen Informationen sowie im gemeinsamen Einsatz zur Absicherung und zur Festlegung neuer Werbungen von Informanten.«188 Von nun an waren sämtliche Maßnahmen zu koordinieren: Für die Außenabsicherung der Militärobjekte zeichneten künftig die Dienststellen des MfS verantwortlich, für die Überprüfung der unmittelbar im Objekt beschäftigten DDR-Bürger hingegen sowjetische Dienststellen.189 Die Bezirks- und Kreisverwaltungen für Staatssicherheit arbeiteten nun auf der Grundlage von so genannten Quartalsplänen mit den sowjetischen Kollegen zusammen. Wichtige Vorgänge waren darüber hinaus mit den sowjetischen Verbindungsoffizieren bei den Bezirksverwaltungen zu beraten. Sämtliche Informationen wurden selbst innerhalb der Sicherheitsapparate streng geheim gehalten. Am 6. April 1967 wurden erstmals auch Prinzipien zur einheitlichen Erarbeitung von komplexen Objektanalysen aufgestellt. Demnach sollte die Aufklärungsarbeit in Bezug auf zwei Bereiche erfolgen: einen »feststehenden« Teil, der sich auf die Beschaffenheit des Objektes bezog, und einen »beweglichen« Teil, der sich mit Personen in der Nähe der Objekte befasste. Zum feststehenden Bereich zählten rein militärisch genutzte Objekte ebenso wie Bahnhöfe, Wohnhäuser, Betriebe und Gelände in unmittelbarer und mittelbarer Nachbarschaft der Militärareale. Zudem richtete sich die Aufmerksamkeit auf so genannte Kontaktstellen oder »Abschöpfungsmöglichkeiten« wie Gaststätten, Klubhäuser, Geschäfte, Friseursalons, Fotografen und Bushaltestellen. Kaum eine Örtlichkeit im Umfeld war für die Geheimdienstmitarbeiter also ohne Belang. Der Kreis der beweglichen Objekte wurde ähnlich umfassend ausgelegt: Neben Personen, die von ihrer Wohnung aus, vom Betrieb oder vom Garten das Objekt oder dessen Verbindungsstraßen einsehen konnten, waren vor allem Bürger von Interesse, die sich in der Nähe von Objekten neu angesiedelt hatten. Dazu zählten Personen, die sich »von ihrer Einstellung her« verdächtig machten: ehemalige Wehrmachtsangehörige, bis 1961 »Berlinfahrer«, Empfänger von Westpaketen, Rentner, die nach Westdeutschland fuhren, »Empfänger von Westbesuchen« sowie Haftentlassene. In einem Ort wie Nohra, in dem mehr oder weniger jeder Einwohner Kasernennachbar war, hätte man diejenigen Personen, auf die keines der hier festgelegten Merkmale zutraf, an Fingern abzählen können. Selbst wenn ein Bürger keinen dieser Verdachtsmomente aufwies, konnte er sich noch lange nicht in Sicherheit wiegen. Vielmehr musste »berücksichtigt werden, daß sich ein Spion sehr geschickt tarnt,
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oft positiv auftritt und sich nach außen absichert. Deshalb ist hierzu eine sehr gründliche, umsichtige und gewissenhafte Arbeit notwendig.«190 Aus Sicht der Geheimdienste stand jeder Bürger in Verdacht, mit dem allgegenwärtigen Feind zu konspirieren. Da indes weder die deutschen noch die sowjetischen Dienststellen über genügend hauptamtliches Personal verfügten, um die wachsende Zahl potentieller Gegner zu überwachen, – musste erstens das vorhandene Netz Inoffizieller Mitarbeiter dichter ausgebaut werden. Vor allem Kräfte der Volkspolizei, die zuständigen Abschnittsbevollmächtigten, Hausfrauen und auch Rentner sollten von nun an verstärkt zur Mitarbeit herangezogen werden; – mussten zweitens die Formen deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit effektiver gestaltet werden. Nun erfolgten regelmäßig gemeinsame Arbeitstreffen, bei denen »neu erkannte Angriffs- und Zielrichtungen des Gegners«, »Erkenntnisse über angewandte Methoden des Gegners« sowie »operative Schwerpunkte« besprochen wurden.191 Trotz dieser umfassenden Richtlinien und trotz des hohen Einsatzes der Agenten endete die Zusammenarbeit nicht selten in peinlichen Misserfolgen: Im Februar 1989 etwa trafen sich Mitarbeiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden mit den Kollegen vom Stab der 1. Gardepanzerarmee, um angesichts eines neuerlichen Debakels über die weitere gemeinsame Arbeit zu beraten. Ende Januar war bekannt geworden, dass eine 19jährige Küchenhilfe aus Dresden seit geraumer Zeit in Besitz von geheimen Militärunterlagen war. Unter anderem verfügte sie über Lichtpausen von Lageplänen der GSSD. Es stellte sich heraus, dass das Mädchen soeben ihren Sonderschulabschluss gemacht hatte und sich bis zu ihrer neuen Anstellung die Zeit in Objekten der GSSD vertrieb. Die geheimen Dokumente, erklärte die junge Frau, habe sie im Dezember 1988 aus der Kommandantur Dresden entwendet. Dort hätten sie im Hof gelegen, es sei wohl geplant gewesen, die Papierstapel zu verbrennen. Ihres Wissens würden sich in diesem Militärobjekt regelmäßig Kinder aus dem umliegenden Wohngebiet aufhalten und ebenfalls derartige Dinge an sich nehmen, um sie zum städtischen Altstoffhandel zu bringen. Dies brächte erkleckliche Summen ein.192 Die Maßnahmen, die die anwesenden Geheimdienstler infolge dieses Vorfalles beschlossen, muteten altmodisch-vertraut an: »Zur weiteren exakten Durchdringung der Objekt-Umwelt-Beziehungen sowie der gezielten abwehrmäßigen Sicherung der Militärobjekte wurde den sowjetischen Genossen vorgeschlagen, eine Übersicht über alle betretensberechtigten DDR-Bürger zu erarbeiten und der Abteilung II des MfS zu übergeben. Durch Einspeichern dieser Personen [in die Personaldatei, S. S.] ist die Informationsverdichtung bei eventuellen Anfällen an anderen Objekten beziehungsweise in anderen
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Bereichen möglich und wir sind in der Lage, im Ergebnis gezielter Informationserarbeitung […] Ausgangsmaterialien zu erarbeiten. Diese Aufstellung soll in der Folgezeit auch von Kooperanten (DDR) zu Militärobjekten der GSSD erarbeitet werden.«193 Im letzten Jahr der DDR übergab das MfS innerhalb einer Aktion namens »Geschenk« noch einmal 16.600 Personenüberprüfungen an die sowjetischen Kollegen, aus dem Bezirk Erfurt stammten davon 660, aus dem Bezirk Dresden 735.194 Informationsverdichtung, nun nicht mehr mit Hilfe von Lochkarten, sondern per Computerdateien, war seit Anfang der sechziger Jahre Hauptansinnen geheimdienstlicher Konspiration.195 Ein lückenloses Datennetz sollte die Sicherheit der Streitkräfte lückenlos werden lassen, eine Illusion – gemessen an der alltäglichen legalen und illegalen Perforation durch die beteiligten Akteure.
Blicke hinter die Zäune und Mauern Abschließend seien exemplarisch Eindrücke von Zeitzeugen wiedergegeben, für die sich das exterritoriale Gebiet der Russenkasernen einen mehr oder minder großen Spalt breit öffnete. Sie schildern ihre Erinnerungen an die Begegnungen mit der Welt dahinter: Ich erinnere mich, dass einmal ein großer Feiertag der Russen begangen wurde. Das war so in den achtziger Jahren. Ich bin mit in die Garnison zum Feiern gegangen. Der Tisch war ein bisschen gewöhnungsbedürftig gedeckt, aber gut, andere Leute, andere Sitten. Damit hatte ich kein Problem. Das Schlimmste, was mir auch heute noch in Erinnerung ist, war, dass ich damals dringend eine Toilette gesucht habe. Verzweifelt bin ich in der Garnison umhergeirrt und landete schließlich im Speiseraum der Soldaten. Dort gab es nur eine sparsame Beleuchtung. Und da standen große junge Männer mit kahl geschorenen Köpfen. Sie hatten zerrissene weiße Unterhemden an und nichts darüber. Sie hantierten mit Alunäpfen, stark zerbeulten Alunäpfen. Im Raum stand ein Tisch, der bestand nur aus einer Bohle. Die war im Erdboden verankert und dahinter diente eine weitere Bohle als Bank. Die Leute konnten also nur mit dem Gesicht nach vorn sitzen und waren im Rücken immer ungeschützt. Sie konnten den Tagesbefehl gleich neben ihrer Suppe empfangen. Es war so düster, ich dachte, ich sei in der Hölle. Es war schon bald Mitternacht und die haben da die Teller, die Alunäpfe, abgewaschen. So etwas Gespenstiges, diese Bänke, diese verbeulten Näpfe, diese Schüsseln und diese jungen Männer! Es waren ganz schmale, hagere Jungs und diese zerrissenen Leinenunterhemden. Ich war so entsetzt, ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Und die da oben haben getanzt und getrunken.196 Der Polit hat uns gesagt: ›Ihr müsst bedenken, das sind alles blutjunge Kerle, die kommen mit achtzehn Jahren hierher. Wenn hier nicht so ein hartes Regime aufgefahren würde, dann bekämen die Sowjets bei den Truppenbewegungen hier in der DDR überhaupt keine Ordnung rein. Es muss mit so harter Hand durchgegriffen werden.‹ So hat
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man eben auf uns eingeredet. Gehirnwäsche gemacht. Wir unterhielten ein Patenregiment, eine russische Brotbäckerei in Finow [bei Berlin]. Gegen die dort stationierten sowjetischen Soldaten haben wir immer mal Fußball gespielt. So bekamen wir auch die Möglichkeit, uns in der Garnison umzuschauen. Also, die Soldaten hatten ja keine Zimmer – wir bei der NVA waren acht Leute auf der Stube – die Russen hatten Schlafsäle, riesenlange Säle. Das waren schmale Betten, ein Nachttisch, die eine Hälfte hat dem einen, die andere Hälfte dem anderen gehört. Unter dem Nachttisch stand der Rucksack und an der Wand waren riesige, lange Regale; das ist ein Bild, das vergesse ich nicht. Da dran hingen die ganzen Uniformen mit Holzschildern, und unter den Uniformen standen die Gewehre. Die Soldaten hatten nichts Persönliches. Wir haben uns das angeguckt und haben uns gesagt: ›Mensch, wie können sie die Kerle so halten?‹ Auch das Essen. Es gab einen tiefen Teller Krautsuppe mit zwei, drei fetten Brocken Fleisch. Mehr Brühe und Kraut! Dazu gab es einen dicken Kanten Brot. Das war’s! Mehr haben die einfachen Soldaten nicht gekriegt! Also, wir sind hungrig aufgestanden. Ein Offizier hat mich dann gefragt: ›Na Genosse Soldat, wie schmeckt Ihnen bei uns das Essen?‹ Ich habe ihm geantwortet: ›Wenn ich ehrlich sein soll, es ist sehr knapp.‹ Darauf hat der Offizier erwidert: ›Ein hungriger Soldat ist ein guter Soldat.‹ Wenn die Freunde dann zu uns zum Fußballspielen kamen, hat der Chef zum Koch gesagt: ›Doppelte Ration für die Kerle, für unsere Soldaten, dass die nicht so fett werden, die einfache Ration.‹ Die Russen haben das Essen reingeschlungen. Die einfachen Soldaten haben einen manchmal in der Seele Leid getan!197 Die Zustände in der Armee standen völlig im Gegensatz zur offiziellen Darstellung, in der die Armee die Heimstatt für junge Leute und eine Institution der Erziehung verkörpern sollte. Also im Gegensatz zu dieser offiziellen Darstellung war das, was dort ablief, teilweise extrem widerwärtig. Die Leute wurden regelrecht verheizt. Sie mussten zum Beispiel tagelang an irgendwelchen Kreuzungen rumstehen und wurden häufig einfach dort vergessen. Ich habe so etwas wirklich oft erlebt. Vor allem im Winter sah man die kleinen verhungerten Kerlchen stehen, viele, viele Tage hintereinander. Wir haben auch Getränke und Essen hingebracht oder mal eine Schachtel Zigaretten, aber sie hatten Angst, es anzunehmen. Vielleicht haben sie gedacht, dass es vergiftet ist, aber letztendlich haben sie es doch gegessen, denn sie hatten ja Hunger. […] Ich habe mal einen Soldatenschlafsaal gesehen. Das war so eine richtig große Halle. Ich schätze mal: für sechzig bis achtzig Leute. Alles war in diesem Russengrün angestrichen. Jeder Soldat hatte nur seine Pritsche mit einem kleinen Kästchen am Kopfende. An der Seite gab es noch eine Abhängemöglichkeit, die für die Ausrüstung vorgesehen war. Alles sah geordnet und sortiert aus, aber kein Soldat hatte die Möglichkeit, sich individuell zu entfalten oder auch mal nur allein zu sein. Das ging überhaupt nicht. Es sei denn, man hatte spezielle Aufgaben oder eine besondere Dienststelle, etwa als Gärtner. Der war natürlich auf sich gestellt. Aber in der Kompanie gab es in der gesamten Zeit keine Möglichkeiten für Privatsphäre. Sicher hatten die Soldaten auch Freizeit, wo sie sich im Lesesaal oder im Kulturzimmer aufhalten konnten, aber auch an solchen Orten war immer die Truppe dabei.198 Die Soldaten waren ja zwei Jahre lang hier und durften, wenn überhaupt, nur einmal nach Hause. Sie kamen aus den unterschiedlichsten Gegenden und Kulturkreisen. Das heißt, sie mussten erstmal auf Linie gebracht werden. Deshalb gab es auch sofort nach
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der Ankunft einen Kahlschnitt. Das war schon eine Art Ritual, sie sollten alle gleich gemacht und auf eine Ebene gebracht werden. Dann wurde gedrillt. Disziplin war angesagt und ich vermute, dass dies auch das Problem war. Viele kamen hier an und kannten kein Klo, das war einfach so. In der Kaserne, in welcher sie lebten, hatten sie einen Raum für zwanzig bis vierzig Mann. Dort hatte jeder neben seiner Schlafstelle einen Nachtschrank und den Rucksack, welcher dann drüber gehängt wurde. Mehr hatten die nicht. […] Das Essen für die Mannschaftsdienstgrade war sehr dürftig und nicht gerade abwechslungsreich. Das haben wir daran gemerkt, dass sie immer, wenn sie bei uns arbeiteten, reingehauen haben. Ich habe so einiges gesehen, was mich gestört hat. Da waren zum Beispiel die sanitären Einrichtungen, die wirklich unter aller Würde waren. Das waren nur Löcher im Boden und wenn da den ganzen Tag die Kompanie drauf geht, sahen die auch dementsprechend aus.199 Ich glaube, die Soldaten machten eine sehr harte Ausbildung durch. Aber die war notwendig. Ich kann mir vorstellen, dass die unterschiedlichen Völkerschaften in ihrer Militärausbildung unterschiedlich reagierten. Also, dass ein gewisser Druck da sein musste und eine gewisse Diktatur und die Prügelstrafe. Wir haben eingesehen, dass das notwendig war, weil bestimmt viele Rekruten – wer weiß, wo die herkamen – gar kein Gefühl für das Militärische hatten beziehungsweise keinen Sinn darin sahen. Die mussten sich dann eben unterordnen.200 Ich habe zwei- oder dreimal ganz gravierende Sachen miterlebt, womit ich wochenund monatelang nicht mehr fertig geworden bin. Das hat mir mein Bild verschoben. Das war etwas, das ich auch zu Hause nie erzählen konnte. Man fing zwei Soldaten ein, die sich wohl irgendwie abgesetzt hatten. Und die wurden von dem LKW geworfen, als ich gerade wegen irgendwelcher Abrechnungen auf der Kommandantur war. Die waren schon halb tot, geschlagen und blutig und alles Mögliche. Die wurden regelrecht vom LKW geschmissen. Und dann haben sie die in diesen Keller runtergeschleppt. Ich bin damals stehen geblieben, mir kamen die Tränen. Ich wurde gedrängt, die Treppen hochzugehen. Einer der Chefs hat mich beiseite genommen und gesagt: ›Was Du gesehen hast, das ist so bei uns. Ich kann Dir auch sagen, warum: Solche Soldaten müssen hart bestraft werden. Das ist wie ein Exempel.‹ Sie mussten so hart bestraft werden, weil wenn sich jeder zehnte Soldat das einfach erlauben würde, sich von der Kaserne zu entfernen und Leute zu überfallen, sich irgendwas holen würde, was er begehrt, dann wäre das ein Riesenchaos aufgrund dieser Menge an Menschen, die ja hier war. Das ist eine andere Kultur, die kannten sich ja nicht aus. Die hatten ihre Feldposten hier und wussten mitunter gar nicht, in welchen Landstrichen sie waren. Er sagte dann noch: ›Wir müssen das so machen.‹201
Besonders bei einfachen Wehrpflichtigen reifte zuweilen der Entschluss, diesem Regime der Repression hinter den Mauern durch Fahnenflucht zu entkommen. Zuweilen bekamen die Deserteure Hilfestellungen von Einheimischen – fast immer brachten sowjetische und deutsche Fahnder ein massives Aufgebot an Suchtrupps gegen sie in Stellung. Die Chancen, dem Militärapparat zu entkommen, gingen gegen Null.
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3.1.3 Flucht und Fahndung Eigenmächtiges Entfernen oder Fahnenflucht? Eine der schwersten Straftaten, die ein Angehöriger der Sowjetischen Armee begehen konnte, war das eigenmächtige Entfernen von der Truppe und – als schlimmste Form – die Fahnenflucht. Von »eigenmächtigem Entfernen« ging man aus, wenn es sich um eine vorübergehende Absonderung handelte. Eine ungleich folgenschwerere Straftat, die Fahnenflucht, war laut sowjetischem Strafgesetz dann gegeben, wenn der Täter die Absicht hatte, sich auf Dauer oder für eine bestimmte kritische Phase dem Dienst zu entziehen. Der Tatbestand der unerlaubten Entfernung wurde je nach Dauer der Abwesenheit geahndet. – Entfernte sich ein Soldat länger als einen Tag, aber höchstens drei Tage mutwillig von der Truppe, so drohten ihm bis zu zwei Jahre Dienst in einem Strafbataillon.202 – Blieb der Flüchtige bis zu einem Monat verschwunden, konnte er wegen eigenmächtigen Verlassens mit ein bis fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. – Kehrte die Person auch nach einem Monat nicht zurück, musste sie mit einer Freiheitsstrafe von drei bis sieben Jahren rechnen. Bei den genannten Fällen ging es immer um ein zeitweiliges Entweichen vom Militärdienst, weshalb sich die Truppenkommandeure oder die Militärstaatsanwälte vor Ort in der Regel selbst mit diesen Vorfällen befassten. Die für dieses Delikt verhängten Strafen konnten von Disziplinarmaßnahmen innerhalb der Einheit bis zur Einweisung in ein Strafbataillon reichen.203 Ausschlaggebend für eine Verurteilung wegen Fahnenflucht war die Absicht, den Armeedienst auf Dauer zu verlassen.204 Bei diesem Tatbestand ging man davon aus, dass der Flüchtende den Vorsatz hatte, sich dem Militärdienst für immer zu entziehen. Hier war das entscheidende Kriterium also der ausdrückliche Willensakt des Delinquenten, wobei hier weder Zeit- noch Raumkategorien von irgendeiner Bedeutung waren. Bei der Ahndung ergab sich nicht nur die Schwierigkeit, die wahren Absichten des Täters unwiderlegbar festzustellen, vielmehr musste auch noch eine mögliche Kluft zwischen der Absicht und der daraus folgenden Handlung bewertet werden. Ohne ein Geständnis des Angeklagten war dies praktisch nicht möglich. Ein Grundwehrdienstleistender musste bei Ergreifung mit Freiheitsentzug von drei bis sieben Jahren, Offiziere mit fünf bis sieben Jahren rechnen. Wurde ein Fluchtversuch in Richtung der Grenze zur Bundesrepublik unternommen, so handelte es sich nicht mehr nur
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um Fahnenflucht, sondern laut Artikel 64 des Strafgesetzbuches der RSFSR um Hochverrat, der mit einer Freiheitsstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren und in besonders schweren Fällen mit der Todesstrafe205 geahndet werden konnte.
Konjunkturen Blieben Desertionen innerhalb der GSSD in den fünfziger und sechziger Jahren eher die Ausnahme, stieg die Anzahl der Vorfälle Anfang der siebziger, vor allem jedoch seit den achtziger Jahren rapide an. Nach Ersuchen seitens sowjetischer Dienststellen wurde in den Jahren von 1983 bis 1987 durch deutsche Polizeibehörden insgesamt nach 1.981 Personen gefahndet. Eil- oder gar Großfahndungen lösten vor allem jene Flüchtigen aus, die sich bewaffnet von ihren Einheiten entfernten, die armeeeigene Fahrzeuge benutzten, die aus dem Arrest geflohen waren sowie diejenigen, die sich Richtung Staatsgrenze bewegten.206 Tab. 2: Groß- und Eilfahndungen nach Angehörigen der GSSD207 Groß-und Eilfahndungen
1967
19 208
1968
25
1971
77
1972
112
1973
181
209
1974
202
1980
195
1981
218
1982
233
210
1983
382
1984
310
1985
437
1986
406
211
1987
446
1988
318
212
1989 (Juli, August, September)
100
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Tab. 3: Fahndungen nach Angehörigen der GSSD in den Bezirken213 Bezirk Dresden 1971
6
1972 1973 1974214
Bezirk Erfurt
Bezirk Potsdam
10
22
6
4
48
5
16
50
7
5
–
1985
25
34
91
1986
27
40
108
1987
20
37
129
24
26
79
215
1988
Diese Daten beziffern nicht das Ausmaß der Fahnenfluchten insgesamt, sondern quantifizieren lediglich diejenigen Fälle, bei denen über die sowjetischen Maßnahmen hinaus auch die Sicherheitsorgane der DDR einbezogen wurden. Dies geschah vor allem dann, wenn Deserteure Waffen bei sich trugen und/ oder wenn sie die Staatsgrenze nach Westdeutschland zum Ziel hatten. Wie hoch die Zahl derjenigen Fahnenfluchten war, bei denen deutsche Instanzen nicht involviert wurden, lässt sich nicht abschätzen. Dennoch sind anhand der in den Tabellen verzeichneten Näherungswerte Entwicklungen auszumachen: Während der sechziger Jahre stellte das unerlaubte Entfernen von der Truppe offenbar kein größeres Problem dar. In den siebziger Jahren kam es zu einer kontinuierlichen Aufwärtstendenz. Ein Grund dafür könnte im Wechsel der Rekruten-Generationen liegen. In diesem Jahrzehnt zog eine entideologisierte, individualistisch denkende Jugend in die GSSD-Kasernen ein. In diesen Jahren häuften sich auch die Klagen der Militärpresse, die jungen Männer seien, anders als ihre Großväter und Väter, nicht mehr bereit, Opfer für die Sache des Sozialismus zu erbringen. Gleich zwei Schübe lassen sich mit Blick auf die Ziffern der achtziger Jahre erkennen. Die hohen Abgänge seit 1983 sind mit dem Krieg in Afghanistan in Verbindung zu bringen. Mit dem Bekanntwerden der außerordentlich großen Zahl an Gefallenen fürchteten die Wehrdienstleistenden in der GSSD, dass auch sie bald in den Krieg abkommandiert werden würden. Dem wollten sie entgehen. Der ebenfalls aus diesem Krieg resultierende Verfall der Moral aufgrund der ausufernden Praxen der Dedowschtschina und inspiriert durch haltlose Veteranen, ließ vor allem die neuen Rekruten bangen, den Härten des Armeedienstes nicht gewachsen zu sein. Die Unterscheidung nach Bezirken bestätigt diese Trends. Aus diesen Daten lässt sich überdies ein weiteres Moment schlussfolgern: die Wahrnehmung der Fahnenfluchten aus der Perspektive der Bevölkerung vor Ort. Im Brandenbur-
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gischen, wo die militärischen Infrastrukturen besonders ausgeprägt und dicht waren, kam es auch zu einer Häufung der Fahndungen. Spätestens seit Anfang der achtziger Jahre dürften die regelmäßigen Suchaktionen für die dortigen Einwohner deutlich wahrnehmbar gewesen sein. In der Peripherie hingegen blieben solche Großaktionen bis zum Ende der DDR Einzelphänomene.
Fahndungsnetze Suchaktionen nach Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte gehörten nicht nur zum Aufgabenbereich deutscher Polizeibehörden, sondern waren darüber hinaus Bestandteil der operativen Arbeit aller Diensteinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit. Vor allem bei bedeutsamen Fahndungen verfügte dieses über eigene Ressourcen zur »lückenlosen Kontrolle des unmittelbaren Fahndungsraumes«.216 Dabei ging es zum einen um die Überwachung von »Personenbewegungen«: um die »Sicherung« von Unterschlupf- und Versteckmöglichkeiten, um die Ermittlungsführung im Umfeld der Abgängigen und um die Besetzung von geeigneten Beobachtungspunkten. Zum anderen kümmerte sich das MfS darum, »progressive Kräfte in Schlüsselpositionen« zu lancieren: LPG-Vorsitzende und Leiter von staatlichen Forstwirtschaftsbetrieben, Vorstände von Jagdgesellschaften, Direktoren von örtlichen Verkehrsbetrieben und Bürgermeister, aber auch Schäfer, Bademeister, Spartenvorsitzende und Gaststättenbesitzer wurden mit Vorliebe verpflichtet. Ihre Namen befanden sich in einer speziellen Datei für Fahndungskräfte, einem Netz inoffizieller Mitarbeiter und »patriotischer Kräfte« – bereit, im Einsatzfall die von der Staatssicherheit zugewiesene Position einzunehmen. Ungeachtet der weiträumigen Einbeziehung der Bevölkerung sollten die Fahndungen natürlich so wenig wie möglich öffentlich werden, weshalb vor allem die sowjetischen Ergreifungstrupps aus der vorderen Linie genommen werden mussten. Da diese laut Stationierungsabkommen über keinerlei Ermittlungsrechte auf deutschem Hoheitsgebiet verfügten, war es von Vorteil, deren Präsenz herunterzuspielen. Durch den Einsatz gemischter deutschsowjetischer Streifen sowie gemeinsamer Kontroll- und Blockierungskräfte glaubte man, einer womöglich kritischen Bevölkerung entgegensteuern zu können. Allerdings, eine veritable Unterordnung unter deutsche Fahndungsleiter strebten die um ihre Karriere besorgten Offiziere der GSSD nicht an. Sie wollten die Übeltäter auf jeden Fall selbst fassen, Mittel und Wege dazu waren für sie stets von zweitrangiger Bedeutung. Infolgedessen ließen sich die mit Kalaschnikows und Hunden bewaffneten sowjetischen Kräfte niemals wirklich vor der Bevölkerung verbergen. Mit dem Ansteigen der Fluchtzahlen seit Anfang der achtziger Jahre wurden auch die Forderungen des MfS wie der Polizeibehörden lauter, die sowje-
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tischen Fahndungsorgane enger in die Ergreifungsaktionen einzubinden. Man bemühte sich nun, feste sowjetische Verbindungsoffiziere in den eigenen Führungsstab zu integrieren. Regelmäßige Lagebesprechungen mit Vertretern der GSSD, der Volkspolizei und des MfS auch ohne akute Vorkommnisse sollten die Zusammenarbeit optimieren. Immer wieder drängten die deutschen Behörden auf gründliche Fahndungsauswertungen. Insbesondere bei Vorfällen, in denen der Deserteur von der Waffe Gebrauch gemacht hatte (und zumeist den Tod fand), wollte man mögliche Versäumnisse abklären und die künftige Vorgehensweise abstimmen. Doch an solchen Analysen post festum waren die sowjetischen Verantwortlichen lange Zeit nicht interessiert. Für sie war der Fall mit der Ergreifung des Flüchtigen schlicht abgeschlossen. Ebenso wichtig wie eine zweckdienliche Abstimmung aller beteiligten Instanzen war die Definition ihrer jeweiligen Kompetenzen. Laut Rechtshilfeabkommen von 1957 lagen sämtliche Maßnahmen zur Kontrolle, Sicherung und Überwachung innerhalb der Militärobjekte in sowjetischer Verantwortung. Alle Maßnahmen außerhalb von Sperrgebieten oblagen den Behörden der DDR. Vor allem das sowjetische Militär hielt sich nur selten an diese juristischen Formeln. Sobald ein Deserteur lokalisiert war, konnte den Kommandeuren – auf welchem Territorium auch immer – de facto niemand mehr hineinreden. In der Regel zogen sich die deutschen Fahndungskräfte dann zurück – für die Verhaftung des Täters sollten auch nach ihrer Vorstellung, wenn irgend möglich, sowjetische Kommandos verantwortlich sein. Der Zeitzeuge Bernd Stumpe gehörte Ende der siebziger Jahre dem Fahndungstrupp einer Eliteeinheit der NVA an und kennt die Fahndungs-Praxen aus eigener Erfahrung: In diesem Fall hieß es: ›Ein höherer Dienstgrad, geflohen vom Schießplatz mit einem Jeep, rückstoßfreies Geschoss, also eine Panzerfaust hinten drauf. Wahrscheinlich […] weitere Panzerfäuste in einer Kiste bei sich, unterwegs in Richtung Bernau. Absperren!‹ Wir sollten bei solchen Fahndungen möglichst nicht aktiv werden. Nur wenn der Flüchtige auf uns geschossen hätte. Das war oberste Priorität! Kopp runter, über Funk melden und Signal schießen, also den Mann verunsichern, aber ohne, dass er uns sieht. […] Aber wir waren nicht die Einzigen, es waren noch andere Einheiten draußen. Ein paar waren in Zivil auf den Bahnhöfen verteilt. Und die Russen waren auch da. Die sowjetische Kommandantur hatte bereits Sonderstäbe eingerichtet und die Russen hatten das Suchgebiet schon eingegrenzt. Man informierte uns, in welchem Gebiet sich der Flüchtige aufhielt. Wir schirmten nur den Radius außen ab, innen war noch ein Ring Russen. Das war immer so. […] Wir beobachteten die Umgebung, aber wir waren so weit außerhalb, dass die Russen das dann praktisch selbst erledigten. […] Wir haben vor der Ortschaft Zülow Straßensperren aufgebaut. Hinter dem Ort zweigte seitlich ein Feldweg ab, der zu einer Scheune führte. Hinter uns warteten schon die Freunde! Da hatte schon ein Panzerspähwagen Stellung bezogen. Unser Offizier unterhielt sich kurz mit den Russen und berichtete uns: ›Sie haben ihn schon eingekreist, er ist in der Feldscheune. Ihr sperrt jetzt hier ab und zwar mit dem Rücken zur
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Scheune! Hier kommt keiner mehr durch! Was hinter Euch passiert, das geht Euch nichts an!‹ Dann kam noch einmal der Polit: ›Egal was jetzt passiert, Ihr verhaltet Euch ruhig und wenn Ihr nachher reinkommt in die Kaserne, kann sich jeder mit mir unterhalten, ob das richtig oder nicht richtig ist, was jetzt passiert!‹ Danach ging der Politoffizier – der sprach perfekt Russisch – wieder zu den russischen Offizieren. Da hat einer aus unserer Kompanie gesagt: ›Die wollen den doch jetzt nicht etwa ausräuchern. Mit den Panzerfäusten…‹ Da haben wir nun so gefachsimpelt. Ein Krad-Melder blieb mit hinten bei der Scheune und unser Offizier blieb mit seinem Jeep, in dem unser Funker saß, auch hinten. Nach einer ganzen Weile kam dann der Befehl: ›Jetzt Sicherheitsstufe eins! Waffen scharf machen! Alles absperren!‹ Jetzt kam kein Auto mehr durch, nichts. Die Anwohner, die in ihre Häuser wollten, durften auch nicht mehr durch. Die Leute, die ja nicht wussten, was los war – die haben ja die Russen nicht gesehen, sondern nur uns und wir waren ja drei Kilometer davor – haben uns dann beschimpft: ›Ihr müsst doch spinnen, was ist denn los? Ihr spinnt wohl! Macht Eure Faxen woanders!‹ Wir durften ja auch nichts sagen und dann ist unser Offizier gekommen und hat erklärt, dass hier eine Fahndungsmaßnahme durchgeführt werde. Ein Flüchtiger habe sich da hinten verschanzt und er sei bewaffnet. […] Etwa eine Stunde, nachdem Sicherheitsstufe eins befohlen worden war, hörten wir eine Flak schießen. Wir wussten, wie sich das anhört, wir hatten selbst solche Flak. Hinter uns stiegen schwarze Säulen hoch, ein Brand. Dann gab es ein paar richtige Detonationen. Die haben den Russen kaltgemacht! Die haben in die Scheune reingeschossen! Plötzlich kamen von den Freunden zwei Tschaikas angerast. Die Scheiben waren zugehängt, wir konnten also nicht sehen, wer drin saß. Aber die Autos hatten rote Nummernschilder, das heißt, sie waren von der MVM in Karlshorst. Hinterher kamen zwei Russen-Tanklastzüge mit Wasser, die fuhren durch. Dann kam unser Wasserwerfer und fuhr auch durch. Schließlich kam der Befehl: ›Wir ziehen uns zurück! Alles zusammenräumen und abrücken in die Kaserne!‹ Unser Jeep kam gefahren mit dem Funker drin, der war kreidebleich. Das war eigentlich ein Hüne. Der Funker hatte ja alles, was passiert war, mitgekriegt. Er hat ja den ganzen russischen Funkverkehr an unseren Major weitergegeben. In der Kaserne sind wir alle in das Polit-Kabinett eingerückt, haben uns hingesetzt und da kam dann der Polit und hat uns erzählt, was passiert war. Der Flüchtige sei ein sowjetischer Soldat und ein ganz gefährlicher Gewaltverbrecher gewesen. Er hätte schon in der Kaserne einen Posten erschossen und auf dem Truppenübungsplatz auch noch zwei Mann. Da er sich nicht ergeben habe und das Feuer auf die Kräfte, die ihn überzeugen wollten aufzugeben, eröffnet habe, hätte man zurückgeschossen und bei diesem Schusswechsel sei der Flüchtige auf tragische Weise ums Leben gekommen. Aber letztlich sei es seine eigene Schuld gewesen, er hätte sich ja ergeben können. Da wurde uns ein richtiges Märchen aufgetischt. Es wurde quasi als Notwehr hingestellt. Der Flüchtige habe geschossen und dann hat man zurückgefeuert. Aber der Soldat hatte ja gar nicht gefeuert. Das hätten wir doch gehört. […] Man hat immer gehört, dass die Russen, wenn sie abhauten, von ihren eigenen Leuten liquidiert wurden, dass es für die keine Überlebenschance gab, sobald sie bewaffnet waren. Der Polit hat dann noch gesagt, ›Ihr müsst auch bedenken, das sind alles blutjunge Kerle, die kommen mit achtzehn Jahren hierher. Wenn hier nicht so ein hartes Regime aufgefahren würde, dann bekämen die Sowjets bei den Truppenbewegungen hier in der DDR überhaupt keine Ordnung rein. Es muss mit so harter Hand durchgegriffen werden.‹ So hat man eben auf uns eingeredet. Gehirnwäsche gemacht. Aber geglaubt hat
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es in dem Fall keiner. Wir wussten, die Russen haben draufgehalten. Bevor die sich mit irgendwas einließen, haben sie den Flüchtigen einfach umgenietet.217
Bei der Festnahme von Militärpersonen, die bewaffneten Widerstand leisteten, konnte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, wobei sowohl die Disziplinarvorschriften als auch Standort- und Wachdienstvorschriften der Sowjetischen Armee diesen Einsatz nur nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten vorsahen.218 Für die GSSD galten die zitierten Anweisungen allerdings nur innerhalb des Militärobjekts. Das Stationierungsabkommen von 1957 sah vor, dass strafbare Handlungen außerhalb der Kasernenmauern grundsätzlich deutscher Jurisdiktion unterstanden, wobei es zwei Ausnahmefälle gab: Für Straftaten, gerichtet gegen andere Armeeangehörige sowie für Straftaten, die in dienstlicher Obliegenheit begangen wurden, galt das sowjetische Recht der Strafverfolgung. Geklärt wurde in den entsprechenden Absätzen allerdings nicht, was »Ausübung dienstlicher Obliegenheiten« im Detail meinte. Diese Frage war zum Zeitpunkt der Aushandlung des Stationierungsabkommens wie auch später nie erörtert und folglich auch nicht geklärt worden. Und so galt in der Praxis, dass Fahnenflucht zwar wortwörtlich begriffen keine dienstliche Obliegenheit war, dass sie jedoch auch nicht die Rechtsschutzinteressen der DDR berührte. Fallbeispiele Ursachen, Anlässe, Durchführung und Folgen von Desertionen lassen sich nicht ohne weiteres rekonstruieren. Der vor allem von der DDR-Bevölkerung immer wieder gemutmaßte Grund, wonach den Soldaten aufgrund unmenschlicher Bedingungen innerhalb der Kasernenmauern gar nichts anderes übrig geblieben sei, als diese ungesetzlich zu überwinden, traf vielfach zu, aber nicht immer. Im Folgenden soll die Darstellung einiger exemplarischer Fahnenfluchten aus Dresden, Weimar und Nohra verdeutlichen, wie ähnlich und doch spezifisch die Umstände einer Flucht immer wieder sein konnten. Erster Fall: Die Fahnder im Kompetenzen-Wirrwarr Am 28. Juli 1987 verließ der neunzehnjährige Soldat Wladimir K. gegen zwei Uhr nachts zu Fuß seine Einheit mit dem Ziel, sich nach Dresden abzusetzen. Als Grund gab er später an, er hätte von seiner Frau monatelang keine Post mehr bekommen und deshalb umgehend nach Hause in die Ukraine gewollt. Trotz Sommertemperaturen war er mit Uniform, einem Wintermantel, einer Feldmütze und mit Stiefeln bekleidet. Er trug nicht nur seinen Komsomolzenausweis und ein wenig Geld bei sich, sondern auch eine Kalaschnikow samt sechzig Schuss Munition. Es dauerte nur wenige Stunden, bis seine Flucht
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bemerkt wurde. Um 6.50 Uhr erhielt die örtliche Polizeidienststelle eine Sofortmeldung aus Berlin, um acht Uhr morgens wurden eine Eil- und später eine Großfahndung ausgerufen. Alarmierte Bürger meldeten der Polizei allerlei auffällige Personen. Einer der Verdächtigten, auf den die Beschreibung der Polizei passte, war in der Nähe des Autobahnkreuzes Schkeuditz gesehen worden. Polizeieinsatzgruppen aus mehreren Bezirken machten sich also auf den Weg; ein sowjetisches Ergreifungskommando, hörten die Deutschen, sei ebenfalls in Marsch gesetzt worden. Im Gegensatz zu den sowjetischen Militärs jedoch kamen die Einsatzkräfte der Volkspolizei mit erheblicher Verspätung am Tatort an, sie hatten die entsprechende Autobahnabfahrt verpasst. Es dauerte einige Zeit, bis das Kommando an einer dicht bewachsenen Böschung mit Maschinengewehren, ebenfalls vom Typ Kalaschnikow in Stellung ging. Einige hundert Meter entfernt lagen die Ergreifungstrupps der GSSD, ausgerüstet mit denselben Waffen. Um Missverständnisse auszuschließen, war vereinbart worden, dass die sowjetischen Suchkräfte ausnahmslos Kopfbedeckungen in Form von Stahlhelmen oder Schirmmützen tragen sollten. Gegen 21.40 Uhr bemerkte der sowjetische Leutnant T. in unmittelbarer Nähe eine schemenhafte Gestalt in Zivilkleidung. Da T. nicht wusste, dass mittlerweile auch Mitarbeiter des MfS in Zivil zum Einsatz gerufen worden waren, glaubte er, den Deserteur vor sich zu haben. Er schlich sich an, um den Verdächtigen ohne Blutvergießen zu überwältigen. Entgegen dem erteilten Befehl legte er für das Anpirschmanöver die Kopfbedeckung, sein Koppelzeug sowie die Uniformjacke ab. Seine Pistole steckte er in die Hosentasche, in der Hand hielt er das Maschinengewehr. T. kam nicht weit; der fälschlicherweise ins Visier genommene deutsche Geheimdienstbeamte machte seinerseits in Leutnant T. das gesuchte Fahndungsobjekt aus. T. riss seine Waffe hoch und feuerte. Dann zog er sich in die Böschung zurück, der MfS-Agent schoss ebenfalls. Mit einem Mal kamen von überallher Geschosse der Einsatztruppen. Der Deutsche geriet in Panik und trat, genau wie sein sowjetischer Kollege, den Rückzug an. Russische Kommandos hallten durch die Nacht, abermals wurde das Feuer eröffnet. Irgendwann in den Morgenstunden erklärte man den Einsatz für beendet. Den gesuchten Deserteur griff man erst Tage später weitab von diesem Kampfplatz auf.219 Der Vorfall avancierte schnell zum öffentlichen Gesprächsthema, schließlich musste die Autobahn für Stunden gesperrt werden. Ein solches Desaster wollte keiner der verantwortlichen Beteiligten ein zweites Mal erleben. So bat der Leiter der sowjetischen Militärabwehr Anfang Dezember 1987 Mitarbeiter des MfS zur Lagebesprechung. Die Sowjets verwiesen auf einen eigens erstellten Maßnahmenkatalog, der den künftigen Umgang mit Fahnenflüchtigen regeln sollte und der ihrer Meinung nach sämtliche Empfehlungen der Deutschen Polizeibehörden berücksichtigte. Ein Zugeständnis verblüffte die deutschen Gäste besonders: Demnach würde es DDR-Ermittlungsorganen in
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Zukunft erlaubt sein, auf sowjetischem Militärgelände selbstständige Untersuchungen durchzuführen – ein Novum. Zwar hatten das Stationierungs- sowie das Rechtshilfeabkommen von 1957 diese Möglichkeit bereits festgeschrieben, doch war diese juristische Formel aus politischen Gründen eine bloße Floskel geblieben. Sie war in der Folge niemals angewandt worden. Inwieweit sich diese zum Teil revolutionären Anweisungen durchsetzen ließen, inwiefern sich die örtlichen Kommandeure zu einer so weit gehenden Zusammenarbeit tatsächlich bereit zeigen würden, blieb freilich abzuwarten.220 Zweiter Fall: In der terra incognita In diesem Fall erweist sich das überlieferte Verhörprotokoll der Volkspolizei als aufschlussreich, daher sei es ausgiebig zitiert. Frage: Sie wurden am 11. Februar 1988 gegen 17.12 Uhr auf der Mülldeponie bei Schönberg in der Nähe der Staatsgrenze der DDR zur BRD durch Grenzsicherungskräfte vorläufig festgenommen. Erklären Sie, inwieweit Sie versucht haben, die DDR ungesetzlich zu verlassen. Antwort: Ich möchte dazu sagen, daß mir zum Zeitpunkt der Festnahme nicht bewußt war, daß ich mich in der Nähe der genannten Staatsgrenze befand. Trotz dieser Einschränkung ist es jedoch vollkommen richtig, daß mein Ziel darin bestand, die DDR ungesetzlich nach der BRD zu verlassen. Frage: Unter welchen Umständen entschlossen Sie sich, die DDR zu verlassen? Antwort: Wie ich bereits bei der Angabe meiner Personalien aussagte, bin ich seit November 1987 Angehöriger der GSSD und war seitdem in der Garnison Dresden stationiert. Ich habe mich zur Fahnenflucht von meiner Einheit aufgrund erheblicher Differenzen mit meinem unmittelbaren dienstlichen Vorgesetzten entschlossen. Ich fühlte mich dieser Auseinandersetzung einfach nicht mehr gewachsen und wollte dem genannten fortwährenden Konflikt mit einem Fluchtversuch entgehen. Frage: Sagen Sie konkret zu den Gründen Ihres versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts aus! Antwort: Dazu muß ich etwas weiter ausholen. Anfang Januar 1988 wurde mir während der Ausbildung der zu meiner Ausrüstung gehörende Militärmantel gestohlen. Am 25. Januar 1988 machte es sich erforderlich, daß ich zur Durchführung einer Operation in ein Militärhospital eingewiesen wurde. Zur Aufnahme ins Hospital hatte ich jedoch mit meiner vollständigen Ausrüstung zu erscheinen. Bedingt durch den genannten Diebstahl war ich gezwungen, mir einen Mantel von einem Freund auszuborgen. Im Hospital selbst war ich vom 25. Januar 1988 bis 9. Februar 1988. Vom Hospital wurde ich dann zurück in meine Einheit entlassen, wo ich mich am 10. Februar 1988 dem zuständigen Arzt vorstellte. Geplant war, daß ich danach weitere 15 Tage ambulant weiterbehandelt wurde und sozusagen innendienstkrank bin. Verbunden mit meiner Rückkehr in die Garnison war die Rückgabe des geliehenen Mantels. Dadurch bedingt befürchtete ich erneute Unannehmlichkeiten und Auseinandersetzungen mit dem bereits genannten Vorgesetzten. Ich habe mich dann, ohne weitere Vorbereitungen zu treffen, entschlossen, meine Einheit zu verlassen und mich in die BRD zu begeben.
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Frage: Welche Vorstellungen hatten Sie bezüglich der Realisierung dieser Zielstellung? Antwort: Mein Ziel war es, ohne darüber konkrete Vorstellungen zu haben, nach Berlin zu gelangen. Dort, meinte ich, einfach laufen zu müssen, um über die Grenze in die BRD zu gelangen. Ich ging bei meinen Vorstellungen nur von diesem einen Fakt aus. Mir war dabei nicht bekannt, in welche Richtung und in welcher Zeit ich mich zu bewegen hatte. Vom Grunde her wollte ich erst einmal nur weg von der Einheit und dann weiter in die BRD. Von der BRD selbst hatte ich keinerlei Vorstellungen. Frage: Gehen Sie darauf ein, wie Sie Ihr Vorhaben realisiert haben! Antwort: Unmittelbar nachdem ich mich dem Arzt vorgestellt hatte, ich würde sagen gegen 17.00 Uhr, begann ich mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Meine Einheit verließ ich durch einen unbewachten Durchgang zwischen der Wohnsiedlung und dem Dienstbereich. Im weiteren Verlauf begab ich mich zu Fuß auf einer Straße aus Dresden heraus. Ich kann nicht mehr genau sagen, in welcher Zeit und welche Wegstrecke ich mich dabei fortbewegte. Ich habe dann auf einem Parkplatz einen LKW mit Anhänger entdeckt und mich entschlossen, auf diesem die Nacht zu verbringen und mitzufahren. Entsprechend meines Entschlusses kletterte ich auf die Zugmaschine, welche beplant war. So wie ich festgestellt hatte, übernachtete der Fahrer im Fahrerhaus. Am Morgen des 11. Februar 1988, genaue Zeiten kann ich nicht angeben, fuhr der LKW mit einem mir unbekannten Fahrziel los. Zur Ladung des LKW muß ich noch ergänzen, daß es sich dabei meiner Meinung nach um eine Menge Müll, darunter auch leere Ölbüchsen, handelte. Im weiteren Verlauf der Fahrt fuhren wir dann auf der Autobahn. Soweit ich mich erinnern kann, machte der Fahrer unterwegs eine Rast. Während der Fahrt stellte ich dann anhand von Hinweisschildern fest, daß sich der Lkw nicht nach Berlin, sondern von Berlin weg bewegte, was natürlich nicht meinen Vorstellungen entsprach. Ich hatte jedoch keine weitere Möglichkeit, das Fahrzeug zu verlassen. Am späten Nachmittag fuhr der Lkw dann eine Mülldeponie an, wo ich das Fahrzeug verließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer noch die Vorstellung, zur Realisierung meines Vorhabens unbedingt nach Berlin gelangen zu müssen. Dazu bin ich jedoch aufgrund meiner Festnahme nicht mehr gekommen. Frage: Mit welchen Konsequenzen rechneten Sie für diesen Fall? Antwort: Mir war von Beginn an bewußt, daß ich Fahnenflucht begehe, wenn ich meine Einheit unerlaubt verlasse. Desweiteren war mir klar, daß ich im Gefängnis lande, wenn ich gestellt werde. Ich möchte nochmals betonen, daß ich diese Konsequenzen bewußt in Kauf genommen habe, um den von mir genannten Schwierigkeiten zu entgehen.221
Dritter Fall: David gegen Goliath Am 10. September 1989 erreichte das Ministerium des Innern in Berlin eine telegraphische Sofortmeldung über eine Fahnenflucht höchster Priorität. Zu diesem Zeitpunkt war die ausgeschriebene Großfahndung bereits in vollem Gange. Morgens um elf Uhr hatte das Volkspolizeikreisamt die Nachricht erhalten, dass um 9.45 Uhr zwei bewaffnete Angehörige der GSSD auf einem LKW das Objekt Nohra unerlaubt verlassen hätten und in Richtung deutsch-
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deutscher Grenze unterwegs seien. Die Tatsache, dass die beiden bewaffnet waren, und vor allem ihr Fluchtziel, die Grenze nach Westen, versetzte deutsche wie sowjetische Ermittler in höchste Alarmbereitschaft. Knapp eine Dreiviertelstunde nach Eingang der Nachricht waren die Fahndungskommandos des Bezirkes Erfurt einsatzbereit, mit dem Ministerium des Innern hatte man sich über sämtliche Maßnahmen einer Großfahndung verständigt, die Suche konnte beginnen. Auch die Bezirkspolizeiämter der umliegenden Bezirke waren informiert und zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert worden. Man wartete nur noch auf den sowjetischen Verbindungsoffizier, der in der Fahndungsgruppe mitarbeiten und den Kontakt zu den eigenen Suchtrupps halten sollte. Zudem hoffte man auf Geruchskonserven für die Fährtenhunde, auf konkretere Personenbeschreibungen oder sogar auf Passfotos. Bisher gab es nämlich keinerlei Beschreibungen der Deserteure, außer, dass sie in Trainingsanzügen unterwegs waren. Trotz dieser frühen Informationsdefizite wurde um zwölf Uhr die Fahndung in Abwesenheit des sowjetischen Verbindungsoffiziers eingeleitet. Die Posten und Streifen hatten ihre vorgeschriebenen Plätze bezogen, mehrere Polizeieinheiten setzten sich in Richtung Autobahnabfahrt Nohra in Marsch, wo man die Delinquenten vermutete. Mittlerweile waren auch die bewährten »gesellschaftlichen Kräfte« alarmiert worden, das Bezirksklinikum hatte Rettungsfahrzeuge zur Verfügung gestellt, die Abschnittbevollmächtigten setzten die Bevölkerung über die Flucht in Kenntnis. Jedermann sollte wachsam sein und Unregelmäßigkeiten im eigenen Umfeld unverzüglich melden. Gegen 15 Uhr traf endlich der sowjetische Verbindungsoffizier mit den Geruchsproben ein, so dass die bereitstehenden Fährtenhunde in den Nohraer Waldgebieten zum Einsatz kommen konnten. Per Lautsprecherwagen versuchte der Offizier die in unmittelbarer Nähe vermuteten »Fahndungsobjekte« zur Aufgabe zu überreden, doch die blinde Maßnahme fruchtete nicht. Um 16.22 Uhr begannen auch die Militärtrupps der GSSD mit ihrer Suche. Um 20.15 Uhr kam durch eine Bürgerin von Niederzimmern der entscheidende Hinweis. Sie hatte eine unbekannte männliche Person in Zivil ausgemacht, die ihrer Meinung nach nicht ins Dorf gehörte. Der Mann, glaubte sie, hielt sich in einer nahe gelegenen Scheune auf. Um 20.20 Uhr wurde einer der beiden Flüchtigen von der deutschen Fahndungsgruppe festgenommen, eine Waffe trug er nicht bei sich. Mit der Kenntnisnahme der ersten Verhaftung hatten die sowjetischen Militärtrupps die Ortschaft abgeriegelt. Keiner konnte von hier ungesehen entkommen. Die Nacht verging mit Warten. Um 4.45 Uhr traf eine zweite Hundemeute ein, seit dem Morgengrauen überwachten zwei Hubschrauber die Gegend. Mittlerweile hatten die Volkspolizei und sowjetische Offiziere den verhafteten Soldaten verhört. Dabei erfuhren sie, dass dessen flüchtiger Kamerad in Besitz einer Waffe war; dass dieser jedoch über keine einzige Patrone verfügte, verschwieg der
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Geständige. Die Suche ging weiter. Mittlerweile befanden sich 780 Angehörige der sowjetischen Armee mit 16 Fahrzeugen, drei Spürpanzern und weiteren Spezialfahrzeugen im Einsatz. Hinzu kamen mehrere Hundertschaften der Polizei und der Staatssicherheit. Stundenlang durchkämmten die Fährtenhunde die Gegend, am Nachmittag des zweiten Fahndungstages nahmen deutsche Fahnder auch den zweiten Flüchtigen fest, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Bevor die beiden Deserteure den eigenen Streitkräften zur Aburteilung übergeben wurden, hatten die deutschen Ermittler auch in diesem Falle Gelegenheit zu einem Verhör: Sie erfuhren, dass die beiden Flüchtigen tatsächlich geplant hatten, sich bis zur Westgrenze durchzuschlagen. Wie man allerdings dorthin gelangte, wussten sie bis zum Zeitpunkt ihrer Flucht nicht. Sie liefen zunächst zum nahe gelegenen Schießplatz und stahlen aus einem Panzer das Maschinengewehr und Kartenmaterial. Die Militärfahrzeuge parkten in der Regel unverschlossen. Ein ebenfalls ungesicherter Transporter sollte sie unentdeckt zur Grenze bringen. Wegen der (zu) schnell aufgezogenen Postenketten mussten sie das Fahrzeug verlassen und sich zu Fuß in Richtung Transitautobahn durchschlagen. Die beiden hatten gehofft, irgendjemand würde sie per Anhalter mitnehmen. In einem Dorf schob ihnen ein Einheimischer Kleidung zu, Hemden und Jeans. Überall hörten die beiden die Hundemeute, die Hubschrauber, die Lautsprecher, die von den sowjetischen Ergreifungstrupps abgegebenen Warnschüsse. Ihnen war klar, dass sie nicht entkommen konnten, und so versteckten sie sich im Gras und warteten. Als sich einer von ihnen auf die Suche nach etwas Essbarem machte, wurde er von der besagten Bürgerin entdeckt, sie machte Meldung und er wurde festgenommen. Einen Tag später ergab sich auch sein Gefährte. Am Morgen des 11. September 1989 konnte der Leiter der Fahndungsgruppe allen Einsatzkräften melden, dass die Fahndung erfolgreich abgeschlossen worden sei. Allen Beteiligten sprach er »für die gezeigten Leistungen Dank aus«. Besondere Aktivitäten, versprach er, würden zu einem späteren Zeitpunkt in besonderer Weise gewürdigt werden.222 Vierter Fall: Am point of no return Am 22. März 1985 gegen 5.40 Uhr wurde durch die Angehörigen der Grenztruppen der DDR ein versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt vereitelt. Der neunzehnjährige Tischler aus Tallin war erst wenige Wochen zuvor in eine Dresdener Einheit eingezogen worden. Bei seiner Flucht führte er eine Maschinenpistole sowie sechzig Patronen mit sich. Mit einem Kübelwagen fuhr er in Richtung Eisenach, mithin in Richtung Grenze. Mehrfach passierte er dabei Kontrollstellen, ohne auf die Haltesignale zu reagieren. Es dauerte wenige Minuten, da tauchten »dienstverrichtende Grenzsicherungskräfte« vor ihm auf und befahlen ihm stehen zu bleiben. Der Russe eröffnete aus seiner
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Maschinenpistole das Feuer, die Grenzer schossen zurück. Der Soldat entkam zunächst, dann stellte sich ihm ein zwanzigjähriger Grenzpostenführer in den Weg, der Deserteur erschoss ihn. Wieder flüchtete er durch den Wald in Richtung Grenze. Gegen fünf Uhr morgens wurde er erneut entdeckt. Er feuerte wild um sich, die Soldaten erwiderten das Feuer. Jetzt brach der Deserteur am Geländer einer Brücke zusammen. Die Grenzposten fanden ihn später hockend, am Geländer gelehnt. Die Obduktion seiner Leiche durch die Medizinische Akademie Erfurt ergab, dass sich der Soldat durch einen Nahschuss in den Kopf selbst getötet hatte.223 Dieser Fahnenflüchtige hatte offenbar die Tragweite seiner Handlung erkannt: Die gezielte Mitnahme einer Waffe und das Fluchtziel Westgrenze machten ihn zum gefährlichen Staatsfeind und seine Ergreifung zu einer Staatsaktion. Wer seinen Verfolgern nicht zu entkommen vermochte, musste mit härtesten Strafen rechnen. Nachdem er sein Scheitern vor Augen hatte, entschied dieser Flüchtende, sich selbst zu richten. Fünfter Fall: Untergetaucht Am 22. März 1989 richtete das Oberkommando der GSSD ein Rechtshilfeersuchen an die Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR, die bei der Fahndung nach einem flüchtigen Sowjetsoldaten behilflich sein sollte.224 Nun war diese Bitte an sich nichts Ungewöhnliches; ständig liefen in der Berliner Behörde solche Anfragen ein. Das Erstaunliche in diesem Fall war der angegebene Fluchtzeitpunkt. Der Soldat Edward G. war nicht weniger als elf Jahre zuvor, am Jahrestag des Sieges, dem 9. Mai 1978, fahnenflüchtig geworden. Er leistete damals seinen Grundwehrdienst ab. Seinen Stationierungsort in Thüringen verließ er mit einer Maschinenpistole mitsamt Munition. Ende der achtziger Jahre erbat nun die Militär-Hauptstaatsanwaltschaft in Wünsdorf Auskunft darüber, ob: – im Jahr 1978 oder zu einem späteren Zeitpunkt ein Grenzdurchbruch in die BRD oder in ein sozialistisches Land registriert worden war, der auf die beschriebene Person passte; – nach 1978 eine »entsprechende Leiche« gefunden worden war; – die betreffende Maschinenpistole zwischenzeitlich irgendwo aufgetaucht sei.225 Nicht nur der deutsche Militär-Oberstaatsanwalt erhielt dieses Schreiben, sondern auch der sowjetische Militärstaatsanwalt in Weimar. Auch er wurde um Rechtshilfe gebeten, allerdings wich die Personenbeschreibung von derjenigen, die die Berliner Kollegen erhalten hatte, in einigen Punkten ab. So suchten die deutschen Behörden nach einer Person mit einer Tätowierung »GDR 1978«. Das Schreiben an den sowjetischen Militärstaatsanwalt erwähnte gleichfalls
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eine Tätowierung, doch lautete sie in diesem Schreiben »GSSD 78«. Auch die angegebene Registriernummer der Waffe stimmte in den Bittgesuchen nicht überein.226 Falsche Angaben und vage Hinweise waren charakteristisch in der Zusammenarbeit mit sowjetischen Stellen; dennoch machten sich beide Instanzen auf die Suche nach dem verschwundenen jungen Mann, freilich ohne Erfolg. Während die deutsche Militärstaatsanwaltschaft noch angeben konnte, dass G. nach seiner Flucht an verschiedenen Orten im Süden der Republik gesehen worden war, wussten die sowjetischen Militärstaatsanwälte rein gar nichts über dessen Verbleib. Sämtliche Spuren hatten sich längst verwischt. G. blieb verschwunden und er war kein Einzelfall. In regelmäßigen Abständen ersuchten die sowjetischen Militärbehörden ihre deutschen Kollegen, nach längst verschollenen Deserteuren Ausschau zu halten. Manche von ihnen wurden erst Jahre später aufgegriffen, andere blieben dauerhaft unentdeckt.227
Sym-Pathie im Zwiespalt: Der Fluchthelfer Weil das sowjetische Strafrecht Fahnenflucht als Dauerdelikt verstand, mit dessen Beginn ein verbrecherischer Zustand geschaffen wurde, den der Flüchtige durch seine Flucht aufrechterhielt, wurden sämtliche Personen, die mit dem Täter in Berührung kamen, in die Pflicht zur Meldung und Aufdeckung genommen. Kamen sie dieser nicht nach, mussten sie mit Konsequenzen rechnen. Falls sie sich sogar der Fluchthilfe schuldig machten, drohten ihnen langjährige Haftstrafen. Am 14. Juni 1973 leistete der 37jährige Förster Siegfried C. einem fahnenflüchtigen sowjetischen Armeeangehörigen Beihilfe.228 Er versteckte ihn zwei Tage lang in seinem Keller, versorgte ihn mit Lebensmitteln und Zivilkleidung und beriet ihn in Sachen Grenzübertritt. Nicht über die Westgrenze solle es der 19jährige Soldat versuchen, sondern über die Volksrepublik Polen, von dort seien die Chancen zur Flucht in die Bundesrepublik größer. Am 15. Juni wurde der Deserteur durch die Volkspolizei festgenommen und dem zuständigen sowjetischen Militärstaatsanwalt übergeben. Da der Delinquent Zivilkleidung trug und mit Proviant ausgerüstet war, schöpften die Ermittler der Sonderabteilung des KGB Verdacht. Im Verhör erfuhren sie, dass ein deutscher Bürger Beihilfe zur Flucht geleistet hatte, am 11. Juli machten sie der Abteilung Kriminalpolizei Mitteilung, die ihrerseits die Kollegen vom MfS informierte. Am 9. August wurde der verdächtige Förster von Ermittlern der Staatssicherheit in Untersuchungshaft genommen, in der er insgesamt vier Wochen verblieb. Im Verlauf des nun eröffneten Operativen Vorgangs »Grünrock« sammelten die Mitarbeiter des MfS allerhand Beweismaterial. Beispielsweise
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stellte sich heraus, dass der 1946 umgesiedelte C. neunzehn Jahre zuvor schon einmal auffällig geworden war. Im Rahmen des Vorganges »Neubürger« waren die damaligen Kollegen einem inoffiziellen Hinweis nachgegangen, wonach C. Spionage betrieben haben sollte. Der Verdacht hatte sich damals nicht bestätigt und das Verfahren war eingestellt worden. Dennoch blieb C. unter Beobachtung, akribisch listete man jahrelang seine Westkontakte auf, auch alle Beziehungen zum »sozialistischen Ausland« wurden sorgfältig notiert. Im Jahr 1968 hatte er in der Nähe eines Bahnüberganges, den auch sowjetische Militärtransporte passierten, ein Häuschen gekauft. Während einer Objektbeobachtung »Aktion Herbstblume« im November 1969 war sein Auto in einer angrenzenden Straße ausgemacht worden, wenngleich »ein Interesse nicht festgestellt« werden konnte. Doch hatte er von seinem Grundstück aus »günstige Abschöpfungs- und Beobachtungsmöglichkeiten«.229 Nicht weniger belastend wirkte sich im Nachhinein die Tatsache aus, dass C. mitsamt seiner Familie wenige Wochen vor den Prager Ereignissen 1968 in der ČSSR Urlaub gemacht hatte. Am schwersten allerdings wog seine Zugehörigkeit zu einem Kreis von Baptisten. Bereits ein erster Blick in das Archiv des MfS ließ die Geheimdienstler entscheiden, den neuerlichen Fall allseitig aufzuklären sowie »die bestehenden Verdachtsmomente einer Spionagetätigkeit herauszuarbeiten«.230 Angefordert wurde nun eine Beurteilung des Beschuldigten durch dessen vorgesetzte Dienststelle, durch die Leitung der Freiwilligen Feuerwehr wie durch den Vorstand des Jagdkollektives, in dem C. Mitglied war. Die Ermittler selbst recherchierten für einen Situationsbericht über die »ideologische, politische und ökonomische Situation im Arbeitsbereich des Beschuldigten«.231 Zudem interessierten sie sich für die politische Lage in der Gemeinde, im Jugendkollektiv, bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Wohngebiet; hier vor allem für das Verhalten der Einwohner in Bezug auf die stationierten Streitkräfte. Zeugen wurden vernommen, Inoffizielle Mitarbeiter wie andere »gesellschaftliche Kräfte« herangezogen. Vor allem aber nahmen die emsigen Geheimdienstler sämtliche Kontakte des Beschuldigten innerhalb und außerhalb der DDR unter die Lupe. Zwar hatte man bei der anberaumten Hausdurchsuchung ein Adressbuch sichergestellt, doch waren nicht alle Eintragungen identifizierbar gewesen. Hier brachte dann die am 20. August eingeleitete Postkontrolle weitere Klarheit.232 Die in der Wohnung aufgefundenen, noch unentwickelten Urlaubsfilme hatten sich nicht als belastendes Material erwiesen, sondern als Urlaubsschnappschüsse. Die in den verschiedenen Institutionen eingeholten Beurteilungen zeigten nach Meinung des MfS allesamt das gleiche Ergebnis: C. sei durchaus ein guter Fachmann und zeige in Beruf und bei gesellschaftlicher Arbeit auch Einsatzbereitschaft. Doch offenbare seine Haltung »ein typisch bürgerlich-kirchliches und weiches Auftreten«. Überdies würde er innerhalb der Jagdgesellschaft so-
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wie im Aktiv Hundewesen und Hundezucht einzig »die Verwirklichung seiner persönlichen Vorteile« verfolgen.233 Innerhalb weniger Wochen hatten die Ermittler also flugs jede Menge Indizien zusammengetragen, die dazu geeignet schienen, den Verdächtigen einer schweren Straftat zu überführen. Bei allem Eifer konnten sie jedoch nicht damit rechnen, dass ihr sowjetischer Auftraggeber eine Kehrtwende vollziehen und sich von weiteren Untersuchungshandlungen zurückziehen würde. Der sowjetische Militärstaatsanwalt teilte seinem deutschen Kollegen nämlich überraschend am 3. September 1973 mit, dass der angeklagte Soldat letztlich doch nur für seine »unerlaubte Entfernung« zur Verantwortung gezogen worden war, nicht aber für Fahnenflucht. Laut Strafgesetzbuch der DDR konnte C. nun im schlimmsten Fall noch wegen Beihilfe bei einer unerlaubten Entfernung belangt werden, was allenfalls eine schriftliche Rüge zur Folge hatte. Vom Militärstaatsanwalt der NVA wurde daher eine sofortige Freilassung von Herrn C. für den folgenden Tag, den 4. September, um elf Uhr festgelegt. Die Geheimdienstermittler entschieden, den Angeklagten noch vor seiner Haftentlassung »wegen seiner günstigen Möglichkeiten« als IM anzuwerben. Am Morgen der Entlassung fand daher ein Werbungsgespräch statt. C. selbst wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts von der Verfügung zu seiner Freilassung, »so daß die taktische Gesprächsvariante auf der Basis der Wiedergutmachung aufgebaut« werden konnte.234 Im Gespräch gestand C. nochmals freimütig seine Verfehlung. Er sei sich vollkommen im Klaren darüber, dass er dafür gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden müsse. Nach »gesellschaftlichen Möglichkeiten der Wiedergutmachung befragt, sagte C., daß er nach der Haftverbüßung bereit [sei] den ABV zu unterstützen, im Verkehrssicherungsaktiv und in der Feuerwehr mitzuarbeiten.« Die im Folgenden unterbreitete Offerte einer Inoffiziellen Mitarbeit lehnte C. jedoch konsequent ab.235 »Als dem C. dargelegt wurde, daß wir als MfS ihm helfen wollen. Wenn er uns Unterstützung gibt, würde die Möglichkeit einer Strafaussetzung bestehen. Die Frage, die ebenfalls zu unserer vorbeugenden und erzieherischen Aktivität gehört, lehnte er ab und bestand auf einem Gerichtsverfahren. C. brach dabei in einen Weinkrampf aus. Auch in diesem Zusammenhang aufgeführte Fragen wie Familie, arbeitsmäßige Funktion […] hatten zur Werbung keinen Erfolg. […] Diesbezüglich wurde im Gespräch der Weg festgelegt, daß wir als MfS mit ihm noch einmal während der Haft beziehungsweise nach seiner Freilassung sprechen werden. Eine schriftliche Schweigeverpflichtung zum geführten Gespräch wollte C. anfangs strikt ablehnen. Er schrieb sie erst nach längerer Diskussion durch den operativen Mitarbeiter.«236 Am 4. September 1973 kam C. auf freien Fuß, am 5. Dezember 1973 wurde der Operative Vorgang »Grünrock« abgeschlossen. Eines der letzten Dokumente in dieser Akte war der »Beschluß über den Ausschluß des Weidgenossen C. aus der Jagdgesellschaft:
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Die Entscheidung erfolgte aufgrund dessen negativer Handlung vom August 1973, welche nicht davon zeugt, daß C. fest im Arbeiter- und Bauern-Staat steht und zu den staatlichen Organen volles Vertrauen hat, indem er gegen die Gesetze der DDR verstoßen hat und Beihilfe zur Fahnenflucht eines Bürgers leistete. In der Auseinandersetzung im Vorstand zeigte sich, daß er es vorzog den Flüchtigen aus Mitleid zu unterstützen, statt den staatlichen Organen bei der Mithilfe Unterstützung zu geben. Damit ist festzustellen, daß der Weidgenosse nicht die politische Reife besitzt um die Jagd mit der Jagdwaffe auszuüben. Es zeugt von einer politischen Unzuverlässigkeit, die wir uns als Jagdgesellschaft nicht leisten können. Es wird vorgeschlagen die Jagderlaubnis durch die Deutsche Volkspolizei einzuziehen.237
Am 28. September 1973 meldete der Vorsitzende der Jagdgesellschaft dem MfS Vollzug. Obwohl jedem der anwesenden Weidgenossen der Jagdversammlung deutlich gewesen sein musste, dass ihr Gefährte einen 19jährigen Sowjetsoldaten lediglich aus Mitgefühl mit Kleidung und Nahrung versorgt hatte, befürworteten sie einstimmig den Ausschluss des Mannes aus ihrer Gemeinschaft. Das Gedächtniskreuz Manchmal reichte bereits für eine strafrechtliche Ahndung, wenn Bürger allzu laut nach den konkreten Umständen einer Fahnenflucht fragten. Im Thüringischen Effelder wurde ein 46jähriger Anstreicher wegen »Herabwürdigung der Maßnahmen der Deutschen Volkspolizei zur Ergreifung eines Flüchtigen« dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Am 5. Mai 1981 war es im Zusammenhang mit der Festnahme eines sowjetischen Sergeanten238 in unmittelbarer Nähe einer 1.350 Einwohner zählenden Gemeinde zu einem Schusswechsel gekommen, in dessen Folge der Flüchtige aus der Garnison Nohra »durch einen gezielten Schuß« seitens der Deutschen Volkspolizei tödlich getroffen wurde. Der Vorfall machte schnell die Runde, die Einwohner dachten an das überlegene Ergreifungskommando mitsamt Hunden auf der einen Seite und an den jungen Soldaten auf der anderen. Am nächsten Morgen stellte ein »22jähriger geistesgestörter Einwohner« der Gemeinde ein aus Haselnussstöcken gefertigtes Kreuz an jenem Platz auf, an dem der Mann erschossen worden war. Das Kreuz wurde später vom Bürgermeister entfernt. Gerüchte gingen um, was für die Provinzpolitiker zunächst noch kein Anlass zur Sorge darstellte. Schließlich war dies nicht der erste Fluchtversuch – und er würde wohl auch nicht der letzte bleiben. Doch als etwa »fünfhundert vorwiegend konfessionell [katholisch] gebundene Kinder, Jugendliche und Jungerwachsene« am Ort des Ereignisses auftauchten, um Gebete zu sprechen und Blumen niederzulegen, konnten Partei und Staat nicht mehr passiv bleiben. Nachdem sich der Effelder Pfarrer von diesen Handlungsweisen »distanziert« und die Mitglieder seiner Gemeinde als »gläubig etwas zu stark engagiert« charakterisiert hatte, leitete die Bezirksleitung der SED Erfurt Maßnahmen ein, um »durch ein entsprechendes politisch-ideologisch
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offensives Vorgehen […] die Gerüchte und Diskussionen« schnellstmöglich »zurückzudrängen«. Es fanden nun Sondersitzungen der Gemeinderäte und Parteileitungen des Umlandes statt, alle Genossen »zeigten eine große Bereitschaft zur politischen Mitarbeit«. Freilich konnten sich einige Anwesende auch hier nicht die Frage verkneifen, ob es denn nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte, den Soldaten kampfunfähig zu machen.
Blindgänge Modi der Flucht Aus den verfügbaren Quellen lässt sich lesen, dass die Flucht aus der Kaserne – kurzfristig und eher spontan – überwiegend von Wehrdienstleistenden im ersten Jahr – zumeist ohne Bewaffnung und ohne Gewalt und – zu Fuß erfolgte. Ohne zureichende Ausrüstung, ohne Sprachkenntnisse, ohne finanzielle Mittel und ohne Personalausweis zogen diese jungen Männer in eine terra incognita. Sie waren zum Dienst per Militärzug oder per Flugzeug herantransportiert worden und hatten die Kaserne bis dahin nur unter Aufsicht eines Offiziers verlassen: Das Land, in dem sie dienten, und die Einzelheiten, die Risiken und Gefahren seiner physischen und seiner politischen Grenzen waren den meisten unbekannt. Jedoch, es gab nicht nur diesen hilflos-naiven Typus von Deserteur. Sechzehn von hundert Flüchtenden (in den achtziger Jahren) verließen das Militärgelände mit einer Waffe, zumeist mit einem Maschinengewehr oder mit einer Maschinenpistole. Diese Gruppe handelte oft aggressiv, erwies sich als unberechenbar und war bereit zu töten. Sie war sich dieses points of no return bewusst: Wer sich mit Waffengewalt den Weg zur Staatsgrenze bahnte, musste mit einer langjährigen Gefängnishaft oder gar mit der Todesstrafe rechnen.
Modi der Fahndung Warum wurden ganze Heere von Ergreifungstrupps in Stellung gebracht, obschon selten mehr als zwei Soldaten gemeinsam die Flucht ergriffen? – Die Flüchtigen konnten sich aus den militärischen Arsenalen der Sowjetarmee fast beliebig mit Hochleistungswaffen bedienen, was sie besonders gefährlich machte. – Während der Flucht mussten die Soldaten bald die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens erkennen, was die Gefahr eines Amoklaufes mit unüberseh-
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baren Folgen auch für die DDR-Bevölkerung erhöhte. Dies galt insbesondere dann, wenn der oder die Flüchtigen lokalisiert waren und sich in die Enge getrieben fühlten. – Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen überließen die Sicherheitskräfte der DDR dem sowjetischen Militär grundsätzlich den letzten Akt der Ergreifung und zogen sich zur Absicherung in die zweite Reihe zurück. Die sowjetischen Genossen gingen dann in der Regel ohne Rücksicht auf das Leben des Deserteurs vor. Trotz der sowjetischen Kompromissangebote Ende der achtziger Jahre kann man keineswegs von einer abgestimmten deutsch-sowjetischen Ermittlungsarbeit sprechen. Die Truppenkommandeure hatten aus ihrer Sicht gute Gründe, die Ergreifung und nachfolgende Disziplinierung der Deserteure möglichst in eigener Verantwortung zu halten.239 Zu unangenehm wären Fragen nach den Beweggründen der größtenteils sehr jungen Täter gewesen. So mahnten die deutschen Ermittlungsinstanzen auch im Jahr 1989 noch zahlreiche Probleme beim »insgesamt bewährten Zusammenwirken« mit den Kollegen der GSSD an. Dabei klangen die neuerlichen Klagen wie diejenigen der Jahre zuvor. Wieder forderten Polizisten und Geheimdienstler: – Eine rechtzeitige Einleitung der Fahndung: Immer noch wurde etwa ein Viertel der Abgänge mit erheblicher zeitlicher Verzögerung bei den zuständigen Polizeidienststellen angezeigt. Dies ließ dem Deserteur nicht nur einen enormen Vorsprung, es weitete auch den Fahndungsraum unnötig aus. Handelte es sich in den meisten Fällen um drei bis vier Tage Verzug, war es bei vier Fällen des Vorjahres erst nach mehr als zehn Tagen zu einer Anzeige gekommen. Die Gründe dafür waren evident: Die Kommandeure wollten das Problem wieder einmal klein halten, selbst regeln und versuchten deshalb, einer Meldung zu entgehen. Damit das Oberkommando in Wünsdorf oder gar Moskau nichts erfuhr, sollte der ermittelnde Personenkreis minimal gehalten werden. – Eine vollständige Bereitstellung der notwendigen Angaben zur Person. Dazu gehörte eine genaue und nachvollziehbare Beschreibung des Flüchtigen; Angaben zur Kleidung, Ausrüstung, zu Spezial- und Sprachkenntnissen, zur physischen Verfassung. Dazu zählten auch Bildmaterial und Geruchskonserven. In den Anzeigen der GSSD waren zumeist nur Name, Haarfarbe und Größe angegeben – und nicht selten solch kryptische Personenbeschreibungen wie: »Der Flüchtige hat ein dreieckiges Gesicht«. – Kenntnisse über die Umstände der Flucht. Bedeutsam war das Motiv der Fluchthandlung: vorhergegangene Vorkommnisse wie Disziplinarverletzungen, Strafen, Suizidversuche, evidentes Heimweh. Zudem forderte man Details zum Abgangsort. – Anhaltspunkte für die geplante Bewegungsrichtung des Deserteurs und für erwartbare Handlungen wie etwa eine Neigung zur Gewalttätigkeit.240
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Diese Forderungen bilanzierten gleichzeitig kritisch die Jahrzehnte geübte Fahndungspraxis.
Modi der Wahrnehmung Die Bevölkerung war hinsichtlich der Fluchtversuche zwiegespalten: Einerseits brachte man Verständnis dafür auf, dass »die Muschiks« den unzumutbaren Bedingungen in den Kasernen entrinnen wollten. Nicht wenige Bürger wären daher auch bereit gewesen, einem Deserteur, so er dann an ihre Tür klopfte, mit Lebensmitteln, etwas Geld und Kleidung zu helfen. Andererseits entsetzte man sich über das brutale Vorgehen von Deserteuren. Vor allem bei bewaffneten Fluchtversuchen schenkte man den Erklärungen von DDR-Einsatztrupps gerne Glauben, wonach »den Russen« keine andere Wahl bleibe als den Flüchtigen kompromisslos zu stellen, um niemanden sonst in Gefahr zu bringen. So oszillierten die Gefühle der meisten Bürger zwischen Mitleid und Angst. Sie fühlten sich zwischen der Entscheidung hin- und hergerissen, Hilfe zu leisten oder den Flüchtigen mit Blick auf das Allgemeinwohl zu melden. Freilich, bei der Mehrheit der Bevölkerung klopfte niemals ein sowjetischer Soldat auf der Flucht an, weswegen eine Entscheidung über das »richtige Verhalten« von den wenigsten abgefordert wurde. Kaum einer der Fluchtpläne ließ sich unter diesen Bedingungen realisieren. Und doch gab es eine kleine Chance, zumindest für einige Zeit aus dem Blickfeld der Verfolger zu entkommen. Weil die verantwortlichen Kommandeure in der Regel versuchten, Fahnenfluchten zu vertuschen, konnte es vorkommen, dass man untergetauchte Deserteure schlichtweg vergaß. Die Betreffenden blieben dann einfach verschwunden: So hielt sich von 1982 bis Mitte 1986 ein Deserteur aus Dresden in Wäldern versteckt. Er lebte von Einbrüchen in Bungalows, wo er sich Bekleidung und Lebensmittel verschaffte, und von Müllkippen. Er hatte sich mehrere Erdhöhlen gegraben, die mit einem Bett, einem Ofen und sogar mit einem Radio ausgestattet waren. Der Flüchtige wurde nie festgenommen, vielmehr stellte er sich nach Jahren aus eigenem Antrieb den Behörden der DDR.241
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3.1.4 Tod und Bestattung Tod hinter Kasernenmauern Der Tote auf dem Gleis Am 14. Februar 1983 wurde die Bezirkspolizeidirektion Frankfurt an der Oder zu einem Leichenfund gerufen.242 An diesem Montagmorgen hatte der Triebwagenführer Siegfried F. auf den Geleisen vor sich eine reglose Person ausgemacht. Obwohl er unverzüglich den Bremsvorgang einleitete, konnte er den Zug nicht mehr rechtzeitig zum Halten bringen, er überrollte den Körper. Kurze Zeit nach Eingang der Meldung tauchten die Kriminalpolizei, die Transportpolizei aus Frankfurt, der Militärstaatsanwalt der NVA sowie die zuständige Kreisärztin an der Unglückstelle auf. Der Tote lag auf dem Gleisbett, Kopf und Arm waren abgetrennt. Seine Identität ließ sich nur anhand des in die Uniform eingenähten Namens feststellen, da er keinerlei Ausweispapiere bei sich trug. Bei dem Mann handelte es sich um den zwanzigjährigen Soldaten Michail A. aus der Garnison Bad Freienwalde. Kurze Zeit später traf auch der Militärstaatsanwalt der GSSD ein. Er wies ohne weitere Nachfragen an, dass die Leiche von sowjetischer Seite gerichtsmedizinisch zu untersuchen sei und dass der Abtransport sofort zu erfolgen habe. Um 14.20 Uhr brachte man die sterblichen Überreste des Soldaten in dessen Einheit zurück. Zum gleichen Zeitpunkt wurden auch die Untersuchungen am Tatort beendet. Auf welche rechtlichen Grundlagen sich der Militärjurist bei seinen Anordnungen berief, wurde von keinem der Beteiligten hinterfragt. Nach geltendem Recht wären die DDR-Behörden für die Untersuchungen zuständig gewesen. Der Lokführer gab zu Protokoll, dass er den Körper auf der eingleisigen Strecke schon von weitem hatte sehen können. Etwa dreißig Meter vor dem Aufprall bemerkte er, dass der Kopf bereits vom Körper abgetrennt war, dass der Tote also bereits zuvor überfahren worden sein musste. Am Ort des Geschehens selbst habe er zwar keine weiteren Personen ausgemacht, doch seien ihm in der Nähe der Geleise drei uniformierte Angehörige der GSSD aufgefallen, die aber schnell verschwanden. Alle sieben Lokomotiven, die diese Strecke seit dem Morgen passiert hatten, wurden nun durch DDR-Kriminaltechniker untersucht, doch keine wies Spuren eines Unfalls auf. Auch die Ermittlungen durch die Transportpolizei gaben keinerlei Hinweise darauf, wann und von welchem Fahrzeug der Mann überrollt worden sein konnte.243 So stellten die Verantwortlichen im Untersuchungsprotokoll lediglich fest: »Die am Ereignisort vorgefundene Situation bezüglich der Lage der Leiche, Leichenteile und anderer Spuren« sei für das »Überfahren bei Selbsttötung eisenbahntypisch«244
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gewesen. Am 21. Februar 1983 verfügte der Leiter der Untersuchung, dass von einem Ermittlungsverfahren abgesehen werden könne, denn in dieser Sache lasse sich ein Verdacht auf eine Straftat nicht bestätigen. Der Tod des Soldaten wurde ohne weitere Nachforschungen als Suizid eingestuft.245 Die Frage, ob womöglich noch andere Personen mit dem Vorfall befasst waren – schließlich hatte der Lokführer Militärs in der Nähe wahrgenommen – blieb ebenso ausgeblendet wie die Möglichkeit, dass man es mit einem Unfall oder gar einem Mord zu tun haben könnte. Für die deutschen Ermittler stellte der Fall keine Straftat dar, zumal Bürger der DDR nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Zudem hatten die sowjetischen Kollegen die Leiche und damit auch die Hauptbeweistücke längst in eigenen Gewahrsam und in eigene Verantwortung überführt. Was ein Gefreiter in der Nacht überhaupt außerhalb seiner Kaserne zu suchen hatte, ob er womöglich unter dem Einfluss von Alkohol stand, was wohl einen Entlassungskandidaten246 zum Selbstmord veranlassen könnte, weshalb seine Nase zerschlagen, sein Gesicht aber unverletzt geblieben war: Das wären nur einige Fragen gewesen, die sich die deutschen Ermittlungsbehörden im Interesse einer unabhängigen Aufklärung und Strafverfolgung hätten stellen müssen. Überdies: Weshalb wurde das Koppel des Toten trotz unverletzten Unterkörpers fünfzehn Meter entfernt gefunden und weshalb war die Naht seiner Hose am Gurt eingerissen, gerade so, als hätte man den Körper geschleift?247 Dass man keine weiteren Fragen stellte, dass man die Ermittlungen rasch einstellte, dass die Ermittler der DDR die Anweisungen des sowjetischen Militärstaatsanwaltes auf Zuruf befolgten, dass noch vor Abschluss des Verfahrens ohne weiteres sämtliche Beweisstücke an die GSSD übergeben wurden, verweist auf eine gängige, geradezu kategorische Praxis. Der Umgang mit dem toten Sowjetsoldaten auf den Gleisen ist insofern paradigmatisch: Todesfälle von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte, so das informelle Gesetz, waren soweit als möglich geheim zu halten. Sie waren ausschließlich von sowjetischen Instanzen zu untersuchen. Die bei der Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR archivierten vergleichbaren Todesfälle belegen, dass der geschilderte Vorfall insofern keinesfalls eine Ausnahme darstellte. Eine auf Anordnung von Michail Gorbatschow Mitte November 1990 einberufene Untersuchungskommission, zusammengesetzt aus Parlamentariern, Vertretern des Justizministeriums und Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen, bezifferte die Zahl der Todesfälle innerhalb der sowjetischen Armee im Zeitraum von 1975 bis 1990 auf insgesamt 120.000 Personen.248 Jährlich kamen zwischen 6.000 und 8.000 Rekruten ums Leben,249 wobei hier auch sämtliche »Sonder«-Todesfälle im Afghanistankrieg sowie in anderen Krisenund Kriegsgebieten mitzählten. Laut Bericht standen 75 bis 80 Prozent aller Todesfälle und 70 Prozent aller während des Wehrdienstes eingetretenen Fälle
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von Invalidität in einem mittelbaren oder in einem unmittelbaren Zusammenhang mit »vorschriftswidrigen Beziehungen« unter den Rekruten respektive zwischen den Rekruten und ihren Vorgesetzten. Die Umschreibung spielte vor allem auf die mittlerweile öffentlich diskutierte Dedowschtschina an. Mit dieser zurückhaltenden Formulierung versuchte man allerdings, Schuldzuweisungen gegenüber dem Offizierskorps und Forderungen nach einer Reform der Armeereglements abzuwehren. Verantwortlich für die Todesfälle zeichneten, so der Kommissionsbericht, nicht die Strukturen, sondern vielmehr Einzelpersonen, die bewusst gegen die Dienstordnung verstoßen würden und die daher allein für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen seien. Offizielle Angaben des sowjetischen Verteidigungsministeriums und der Militär-Hauptstaatsanwaltschaft, denen zufolge die Todeszahlen innerhalb der sowjetischen Armee weitaus niedriger ausgefallen seien, wies die Kommission als »der tatsächlichen Lage nicht entsprechend« zurück.250 Im März 1991 informierte der Leiter der Rechtsabteilung im Moskauer Verteidigungsministerium die Öffentlichkeit über eine außerordentliche Entscheidung: Aufgrund des öffentlichen Druckes sollte von den Abgeordneten des Unionsparlaments eine Summe von drei Milliarden Rubel zur Verfügung gestellt werden, um die Angehörigen verstorbener Militärs zu entschädigen.251 Freilich galt das nur für solche Fälle, für die die Armee eine Verantwortung zu übernehmen bereit war. Selbstmorde etwa sowie selbst verschuldete Unfälle waren hier nicht eingerechnet. Für jede Familie sollten 25.000 Rubel zur Verfügung gestellt werden, womit sich die von der Kommission bestätigte Gesamtzahl von 120.000 ums Leben gekommenen Personen ergab. Im Jahresmittel kamen in der Sowjetarmee demnach etwa 8.000 Personen »unverschuldet« zu Tode.252
Mortalitätsrate innerhalb der GSSD Für die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte machte das Oberkommando in Wünsdorf 1990 erst- und letztmalig Zahlen öffentlich: Bis Ende November dieses Jahres waren demnach 84 Todesfälle registriert worden.253 Über die Mortalitätsziffern der Jahrzehnte zuvor existieren keinerlei öffentlich einsehbaren Dokumente. Lediglich über die Zahl der auf dem Territorium der DDR bestatteten Militärs und Zivilpersonen lassen sich einigermaßen konkrete Angaben machen. Auf den Garnisonsfriedhöfen wurden von 1946 bis Ende der sechziger Jahre etwa 17.000 Militärs sowie Zivile beigesetzt, danach wurden die Toten in die Heimat verbracht und dort beigesetzt.254 Bei dieser Ziffer handelt es sich ebenfalls nicht um die Gesamtsumme der verstorbenen Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte. Infolge umfangreicher Umbettungen Ende der vierziger
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Jahre wurden auch Sowjetbürger, die nicht zur Armee gehört hatten, auf den Garnisonsfriedhöfen bestattet. Außerdem handelt es sich bei dieser Zahl eben nur um die auf dem Territorium der DDR beigesetzten Personen. In welchem Umfang seit dem Ende der sechziger Jahre Überführungen in die Sowjetunion durchgeführt worden waren, lässt sich aus den zugänglichen Unterlagen nicht ersehen. Die Bestattungsinstitutionen der DDR waren zu keinem Zeitpunkt angehalten, Buch über die entsprechenden Leichenrücktransporte in die Sowjetunion zu führen. So lassen sich anhand der Bestattungsbücher von Weimar255 und Dresden lediglich Hinweise auf Anstieg und Absinken von Todesfällen innerhalb der GSSD ausmachen. Sämtliche Aufzeichnungen über Geburts- und Todestag der Verstorbenen sowie über das Datum der Bestattungen erfolgten bis Ende der sechziger Jahre parallel durch deutsche und durch sowjetische Behörden: Einerseits durch die städtischen Friedhofsverwaltungen und andererseits durch die sowjetischen Kommandanturen, wobei die registrierten Todesfälle gewöhnlich nicht ganz präzise übereinstimmten. Laut den Eintragungen im deutschen Bestattungsbuch wurden auf dem Ehren- sowie auf dem Garnisonsfriedhof in Weimar im Zeitraum zwischen 1945 und 1968 insgesamt 2.420 Tote bestattet.256 Hinzu kamen noch 197 bis Anfang der siebziger Jahre verzeichnete Überführungen in die Sowjetunion.257 Mit einiger Gewissheit kann man also davon ausgehen, dass von Kriegsende bis 1971 insgesamt 2.617 Militärs und Zivilpersonen in Weimar bestattet beziehungsweise in die Sowjetunion überführt worden sind. Wie viele Personen später in die Heimat verbracht wurden, ist nicht zu rekonstruieren. Dabei ist anzumerken, dass die Gebiete, aus denen die Verstorbenen kamen, seit Ende der vierziger Jahre immer weiträumiger wurden.258 Bestatteten die Kommunen Armeeangehörige nach dem Kriege zunächst auf den Gemeindefriedhöfen, an Kriegerdenkmälern oder aber einfach in Waldstücken, wurden die sterblichen Überreste mit der Errichtung von Garnisonsfriedhöfen seit 1946 an eben diese zentralen Ruhestätten überführt. Die Eintragungen in den Bestattungsbüchern belegen, dass es in den ersten Jahren nach Kriegsende zu deutlich mehr Begräbnissen gekommen war, als in den folgenden Jahrzehnten. Die Zahlen lagen vor allem in den unmittelbaren Nachkriegsjahren sehr hoch. In den späten vierziger Jahren reduzierten sie sich auf die Hälfte, um im Jahr 1955 erneut auf insgesamt 112 Fälle anzusteigen. Erst 1956 kam es zu einem rapiden Abfall der Sterberate auf insgesamt 68 Fälle. In den sechziger Jahren bewegten sich die Zahlen um die vierzig Fälle pro Jahr.259 In Dresden wurden bis Anfang der siebziger Jahre insgesamt 2.328 Militärs und Zivilpersonen der sowjetischen Armee bestattet.260Auch hier waren nach Kriegsende zwei sowjetische Friedhöfe angelegt worden, wobei auf dem Ehrenfriedhof im Norden der Stadt vornehmlich diejenigen Militärs und Zivilisten
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beigesetzt sind, die vor oder um 1945 gefallen oder verstorben waren.261 Auf dem Garnisonsfriedhof an der Marienallee wurden diejenigen Armeeangehörigen beigesetzt, die in Friedenszeiten verstorben waren. Auch hier spiegeln die Bestattungsbücher ähnliche »Konjunkturen« wie in Weimar wider: Erreichte die Todesrate 1945 einen außerordentlich hohen Wert, sank sie bis zum Ende der vierziger Jahre allmählich. Bis zum Jahr 1949 waren auf beiden Dresdener Friedhöfen insgesamt 1.684 Tote beigesetzt worden. Anfang der fünfziger Jahre verzeichnete man jährlich noch etwa siebzig Fälle; 1953 stieg die Zahl erneut auf 91 an, erreichte im Jahr 1954 die Höchstzahl von 123 Fällen, um im Jahr darauf auf 61 zu fallen. Bis zum Ende der sechziger Jahre bewegten sich die Todeszahlen nur mehr zwischen zwanzig und dreißig per annum.262 In den beiden Garnisonsstädten hatte man bis Ende 1949 eine Vielzahl von Toten zu bestatten, wobei der absolute Höhepunkt das Kriegs- und Friedensjahr 1945 gewesen sein dürfte. Nachdem die Todesziffern Anfang der fünfziger Jahre kurzzeitig absanken, stiegen sie Mitte der fünfziger Jahre erneut an, um 1956/57 rapide zu sinken. Die Ursachen für dieses Phänomen dürften mit armeeinternen Zuständen zu erklären sein.
Fälschungen Die bereits erwähnte Gorbatschow-Kommission stellte fest, dass bei den nachträglich untersuchten 107 Berichten in vier von fünf Fällen falsche Todesursachen angegeben worden waren. Was aber auf der jeweiligen Sterbeurkunde als Ursache vermerkt war, hatte die Truppenführung entschieden – und auf deren Wunschzettel standen so genannte natürliche Todesumstände ganz oben. Zwar gab es in jedem Garnisonshospital spezielle Ärztekommissionen, welche die Leichen zu untersuchen hatten, doch gingen diese unterschiedlich kritisch an ihr Werk. Schließlich unterstand auch das Militärlazarett dem für die Einheit verantwortlichen Kommandeur. Hier entstanden bei den Ärzten und Pathologen zwangsläufig Interessenskonflikte. Laut Dienstordnung mussten Verstorbene in jedem Fall in das nächstgelegene Garnisonskrankenhaus gebracht werden, wo – zumindest in den achtziger Jahren – in der Regel eine Untersuchung erfolgte. Das hauseigene Ärztegremium befand über die Umstände des Todes und füllte Formulare zur Vorlage bei der Standortkommandantur aus. Nach dieser vorgeschriebenen Begutachtung wurde der Tote per Krankentransport in seine Einheit zurückgebracht,263 wo der unmittelbar vorgesetzte Kommandeur die Bestattung organisierte.264 Zu dessen Aufgaben gehörte es, die Angehörigen zu informieren und die Beisetzung zu bestellen. Bis Anfang der siebziger Jahre hatte er sich dafür an die zuständige Standortkommandantur zu wenden und unter Vorlage des
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ärztlichen Attests eine Bestattung auf dem nächstgelegenen Garnisonsfriedhof zu beantragen. Zur Ausstellung einer solchen Genehmigung hielten die Standortkommandanturen seit Anfang der fünfziger Jahre entsprechende Formulare bereit. Freilich wurden diese Vordrucke in vielen Fällen gar nicht verwendet. So findet sich im Archiv des Bestattungsamtes Dresden eine Sammlung sämtlicher über die Jahrzehnte vorgelegter Begräbnisanträge: Es stellt sich heraus, dass die amtlichen Dokumente erheblich differieren: Einige Bescheinigungen wiesen nicht den vorgeschriebenen Siegelstempel des Standortkommandanten auf, sondern lediglich Stempel von Truppenkommandeuren oder deren Stellvertretern, wobei deren Feldpostnummern nur in wenigen Fällen deutlich lesbar waren. Auf einigen Scheinen hatte man sie sogar eigens übermalt. Andere muteten wie herausgerissene Seiten an und waren handschriftlich verfasst; die Unterschrift stammte von diensthabenden Offizieren, wobei auch hier Namen häufig nicht zu entziffern waren. Allein der dreieckige Stempel der Kommandantur zeugte von einer amtlichen Bestätigung. In einigen Fällen bestand das Dokument aus einem Blatt Papier, das mit krakeliger Handschrift Namen sowie Geburts- und Todesdatum des Verstorbenen angab; Stempel, Datum und Unterschrift fehlten. Fest steht, dass sich die Bestattungsbehörden der DDR über solch unbürokratisches Vorgehen kaum je offiziell beschwerten. Sie hefteten auch noch so ominöse und obskure Scheine, Zettel und Schnipsel in die dafür vorgesehene Mappe und bestatteten die Toten ohne Rückfragen. Ohnehin hatten ihre Vorgesetzten sie immer wieder darauf hingewiesen, dass sie über ihre Arbeit in jedem Fall Stillschweigen bewahren mussten – dieses Gebot schloss offenbar das Verschweigen aller Ungereimtheiten ein. Bleibt zu fragen, welche Beweggründe womöglich die Offiziere dazu trieben, den offiziellen Dienstweg zu umgehen. Selbstverständlich wurde jeder Todesfall den vorgesetzten Behörden in Wünsdorf und auch in Moskau bekannt. Die Todesziffern und -raten ließen sich zu keiner Zeit vertuschen. Das galt jedoch nicht für die näheren Mortalitätsumstände: Innerhalb der Einheit kam es im Sterbefall nicht selten zu »gemeinschaftsbildenden Maßnahmen«, die die gesamte Kompanie in die Verantwortung nahmen. Die Offiziere »sprachen im Vertrauen« mit den Kameraden des Verstorbenen, manchmal wurde am Ende solcher Zusammenkünfte sogar Geld für eine angemessene Bestattungsfeier gesammelt.265 Kritische Fragen hatten hier keinen Platz, beschweren konnte man sich bis Mitte der achtziger Jahre ohnehin nur auf dem Dienstweg, so dass der zuständige Kommandeur nicht nur für die Bearbeitung der Beschwerde verantwortlich zeichnete, sondern meist auch für deren Ursache.266 Bei einer Meldung des Todes an die zuständige Standortkommandantur aber hätte sich der Kreis der Eingeweihten deutlich erweitert. Hier nahmen nicht nur der Kommandant selbst sowie seine Stellvertreter Notiz von dem Vorfall, sondern auch der Militärstaatsanwalt und – was noch folgenreicher
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war – der Geheimdienst. Beide waren in der Regel in Gebäuden der Kommandantur untergebracht und verfügten über ausgezeichnete Informationskanäle. Schöpfte man dort Verdacht über Unregelmäßigkeiten innerhalb einer Einheit, konnte es möglicherweise zu höchst unangenehmen Untersuchungen kommen, noch bevor die Leiche eines Soldaten unter der Erde lag. Über manche Enthüllungen bezüglich der Todesursache dürften die Kommandeure der Einheiten nicht erfreut gewesen sein. Hier galt es, so wenige Informationen wie möglich an Außenstehende und konkurrierende Dienststellen durchsickern zu lassen. Wenn der Tote erst einmal bestattet war, kam es nur in absoluten Ausnahmefällen zu Exhumierungen. Schließlich wollten auch Militärstaatsanwaltschaft und Geheimdienst kein öffentliches Aufsehen riskieren.267 Wurden gewaltsame, vorsätzliche Todesfälle dennoch publik, kamen die Polizei- und Geheimdienststellen der Armee nicht umhin sich einzuschalten. Die Umstände wurden dann untersucht, Schuldige ausgemacht und abgestraft. Mancher Vorgesetzte bemühte sich also durchaus mit Berechtigung, die wahren Gründe für einen Mord oder gar einen Selbstmord zu verbergen. So auch in einem Fall in Nohra 1984. Rekruten hatten im Wald einen ihrer Kameraden gefunden, der sich an einem Baum erhängt hatte. Die entsetzten Männer meldeten den Vorfall ihrem Vorgesetzten, der sich – gemeinsam mit einem zufällig anwesenden Kollegen – unverzüglich zum Tatort begab. Der Leichnam wurde auf Befehl des diensthabenden Offiziers abgenommen, dann begann dieser, die Taschen des Toten zu durchsuchen. Er fand einen Brief, steckte ihn ein und wandte sich ab. Sein Begleiter hatte das Geschehen beobachtet und gab zu bedenken, dass es sich bei dem vorgefundenen Abschiedsbrief um ein letztes Zeugnis handele und dass man dieses zumindest den Angehörigen des Verstorbenen nicht vorenthalten könne. Der Offizier ignorierte den Einwand, rief seinen Untergebenen einige Befehle zu und verließ den Wald in Richtung Kaserne. Der Vorfall fand keine weitere Erwähnung mehr.268
Todesursachen Sämtliche Fakten abwägend muss wohl konstatiert werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt weder über die Mortalitätsziffern noch über die jeweiligen Mortalitätsumstände hinreichend präzise Aussagen gemacht werden können. Hierzu wären Unterlagen des sowjetischen Verteidigungsministeriums erforderlich, die nicht zur Verfügung stehen – und die aufgrund der Geheim- und Vertuschungspraktiken mit großer Wahrscheinlichkeit auch gar nicht existieren.269 Anhand der Akten der Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR lassen sich indes einige begründete Mutmaßungen anstellen, wenngleich sich diese allein auf die außerhalb der Garnisonen von Behörden der DDR aufgefundenen Toten und damit nur auf einen Teil der Sterbefälle beziehen.270 Zu den häu-
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figsten Sterbeursachen zählten hier unzweifelhaft Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit unachtsamen Personentransporten: Die Soldaten saßen zumeist auf offener Ladefläche und waren im Ernstfall Gefahren schutzlos ausgeliefert. Verzeichnet waren auch Schienenunfälle, wobei fahrlässiges Verhalten infolge zu hohen Alkoholgenusses und Selbstmord ganz oben rangierten.271 Innerhalb der Militärareale führte am ehesten der fehlerhafte Umgang mit Militärtechnik zu Todesfällen, vor allem Unfälle mit Stromleitungen und schwerem Gerät. Während Manövern und Übungen kam es häufig zu Unfällen mit scharfer Munition.272 Kein Wunder, sollten die Rekruten das Kriegshandwerk doch so realitätsnah wie möglich erlernen. Wie viele Soldaten darüber hinaus Opfer von Misshandlungen durch ihre Kameraden und durch Offiziere geworden waren, lässt sich mit Zahlen nicht belegen; diese dürften in den achtziger Jahren allerdings weitaus höher gelegen haben als in den Jahrzehnten zuvor.
Bestattungen Reglements und Rituale Auch für Beisetzungen sah die Dienstvorschrift der Armee konkrete Maßnahmen vor. Bis Ende der sechziger Jahre fanden Bestattungen auf Garnisonsfriedhöfen auf deutschem Territorium statt,273 lediglich in Sonderfällen konnte der Verstorbene auf Kosten der Armee und auf Anweisung des Kommandeurs in die Heimat überführt werden.274 Üblich war folgende Praxis: Der Verstorbene wurde in Begleitung seines Vorgesetzten zum zuständigen Bestattungsinstitut vor Ort gebracht, wobei die Leichenwagen sowohl bei Tag als auch bei Nacht anfuhren.275 Im Amt trug man den Namen, den Dienstrang sowie die Geburts- und Todesdaten in ein gesondertes Bestattungsbuch ein. Ärztlich beglaubigte Totenscheine waren für eine solche amtliche Aufnahme nicht erforderlich. Die Leiche wurde in einen vorgefertigten Holzsarg gelegt und zum ausgehobenen Grab gebracht. Seitens der deutschen Behörden gab es bei diesem Prozedere keinerlei Veranlassung, die jeweiligen Todesumstände zu hinterfragen. Vielmehr erfüllten sie ungeschriebene Gesetze, in manchen Fällen taten sie dies sogar in vorauseilendem Gehorsam. So auch in Weimar: Im September 1966 wurden der Stabschef von Nohra sowie der Standortkommandant zu einer gemeinsamen Begehung des Belvederer Garnisonsfriedhofes gebeten. Beide Militärs zeigten sich mit dem aktuellen Gestaltungsplan der Kommune einverstanden, nicht aber mit einer in ihren Augen unziemlichen Vorsorgemaßnahme. Es war nämlich üblich, dass die Friedhofsverwaltung einige ausgehobene Gräber für plötzliche Sterbefälle innerhalb der GSSD vorhielt. Wurde dann eine dringende Beisetzung angemeldet, musste man mit
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arbeitsintensiven Schachtarbeiten keine Zeit mehr vergeuden. Was die deutschen Fachleute für eine gelungene praktische Maßnahme hielten, missbilligten die Offiziere aufs Schärfste. Der Stabschef erklärte, dass er in seinem Standort »Maßnahmen einleiten werde, daß anfallende Sterbefälle künftig 24 Stunden vor der Bestattung am Friedhof bekannt würden und somit genügend Zeit zur Vorbereitung der Grüfte gegeben werde«.276 Von den ebenfalls auf Vorrat angefertigten Holzsärgen erfuhr der hochrangige Offizier an diesem Tag nichts. Vor allem im Zusammenhang mit den jährlichen Frühjahrs- und Herbstmanövern hatte es sich bei einheimischen Tischlerfirmen bewährt, Dutzende davon im Voraus anzufertigen. Erfahrungsgemäß wurden sie immer benötigt. Laut Dienstordnung musste der unmittelbare Vorgesetzte die Angehörigen noch am Todestag über den Sterbefall informieren, damit diese zumindest theoretisch die Möglichkeit hatten, dem Begräbnis beizuwohnen. Für die Angehörigen von Soldaten der GSSD war eine Anreise allerdings eher unwahrscheinlich; zum einen, weil man keineswegs innerhalb weniger Tage einen Reisepass und ein Visum bekommen konnte. Und laut Gräberregister erfolgten sämtliche Beisetzungen innerhalb von zwei bis vier Tagen. Zum anderen war die Anreise für die Angehörigen schlichtweg zu teuer.277 Viele Eltern oder Ehefrauen erfuhren auch erst später vom Tod des Sohnes oder des Ehemanns. So auch Marta Ivanovna M. aus dem ukrainischen Dorf Rydomel. Sie schrieb am 21. Mai 1971 an die Deutsche Demokratische Republik, Land Thüringen. An den Nationalrat der Stadt Weimar. Mein Sohn […], geboren 1940, war Soldat der Sowjetarmee und diente im Jahre 1960 in der Stadt Gera [DDR], wo er am 31.VII.1960 einem plötzlichen Herzschlag zum Opfer fiel. Die entsprechende Militärbehörde teilte mir mit, dass mein Sohn am 2. August 1960 in Weimar auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof bestattet wurde. Ich wünsche in die DDR zu fahren um den Bestattungsort meines Sohnes zu besuchen. Zu diesem Zwecke benötige ich Ihre Bestätigung der Tatsache, dass mein Sohn in Weimar bestattet wurde und dass sein Grab noch vorhanden ist. Ich ersuche Sie daher mir eine entsprechende Bestätigung an die oben erwähnte Adresse zu übersenden.278
Das Grab konnte trotz falscher Eintragung im Bestattungsbuch letztlich gefunden werden, allerdings nur dank eines engagierten Grabpflegers. Häufig waren sie es, die sich – tagtäglich in unmittelbarer Nähe der Gräber – an die Namen erinnerten und die Orte wiederzufinden vermochten. Den standardisierten Grabstein musste der zuständige Offizier bei örtlichen Steinmetzen in Auftrag geben. Je nachdem, ob es sich bei dem Toten um einen Militär- oder einen Zivilangehörigen handelte, erfolgte die Bezahlung durch Rechnung an die Standortkommandantur oder in bar bei der ausführenden Firma. Manchmal wurde der Betrag für den Grabstein in vielen Münzen entrichtet, dann war bei den Kameraden für die Bestattung gesammelt worden.279
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Die Dienstordnung der sowjetischen Armee sah sowohl für einfache Soldaten als auch für Unteroffiziere und Offiziere im Todesfall Ehrenbezeigungen vor, die je nach Dienstgrad differierten. In jedem Fall sollte eine Eskorte von sechs bis acht Mann den Sarg begleiten, ein Orchester hatte Trauermärsche zu spielen, Gewehrsalven waren abzuschießen. Wenn es sich bei dem Toten um einen Ordensträger handelte, wurden die Auszeichnungen dem Sarg vorangetragen. Doch kann man in der entsprechenden Dienstordnung ebenfalls nachlesen, dass solche Ehrenbezeigungen nicht in jedem Fall geleistet werden mussten. Nur wenn der Soldat »in Ausübung seiner Pflicht« sein Leben gab, stand ihm diese posthume Würdigung zu. Die Formulierung ließ freilich einen Interpretationsspielraum, dem unmittelbaren Vorgesetzten oblag es zu entscheiden, ob die Kriterien für eine feierliche Zeremonie erfüllt waren. So konnte ein Soldat, der bei einem Manöver oder bei einer Übung ums Leben gekommen war, auf jeden Fall mit einem aufwendigen Ritual rechnen. Bei »natürlichen« Erkrankungen oder bei Verkehrsunfällen wurde oft anders entschieden. Hier trat der Tod nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung der »vaterländischen Pflicht« ein, sondern im besten Fall in Ausübung des Dienstes, wobei hier noch die Schuldfrage zu klären war. Hatte der Soldat selbst einen Unfall verursacht, war er infolge einer – womöglich selbst zu verantwortenden – Krankheit (etwa einer Alkoholvergiftung) verstorben, wurde er in aller Stille beigesetzt. Auch hier hatte der Vorgesetzte nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Handelte es sich um fahrlässige Tötung, Mord oder Selbstmord kamen Ehrbezeigungen gar nicht in Betracht. Neben den konkreten Umständen des Todes war auch der jeweilige Dienstgrad des Verstorbenen für die Bestattungsfeierlichkeiten von Bedeutung. Handelte es sich um einen Offizier, fanden die in der Dienstordnung festgelegten Ehrungen in erweitertem Umfang statt.280 Bis in die sechziger Jahre wurden höhere Offiziere im offenen Sarg durch die Straßen des jeweiligen Garnisonsstandortes gefahren. Am Straßenrand hielten vorbeieilende Bürger inne, mancher konnte vom Fenster aus direkt auf die Leiche schauen, ein für deutsche Trauergebräuche ungewöhnlicher Anblick. Handelte es sich bei dem Toten um einen einfachen Soldaten, wurde dieser mit einem geschlossenen Fahrzeug zum Friedhof verbracht und bestattet. Bisweilen waren Kameraden des Verstorbenen bei der Zeremonie zugegen. Essen und Trinken wurden, traditionellen russischen Bestattungsusancen folgend, am Grab aufgetischt, nicht selten lud man auch den Bestatter und den Steinmetz zu diesem Leichenschmaus ein. Manchmal allerdings fand auch diese eingeschränkte letzte Ehrerweisung nicht statt. Der verstorbene Soldat wurde dann bar jedes Rituals begraben. Anfang der siebziger Jahre veränderten sich die Begräbnismodalitäten innerhalb der GSSD.281 Von nun an wurden verstorbene Soldaten und Zivilmitarbeiter gemäß der »Anordnung über die Überführung von Leichen« vom
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20. Oktober 1971 in die Heimat verbracht.282 Im Falle der sowjetischen Streitkräfte existierten freilich Sondervereinbarungen, die nicht den allgemeinen Vorgaben entsprachen. So mussten beim Bestattungsamt weder amtliche Dokumente vorgelegt werden, noch war beim Versiegeln der Särge ein Zollbediensteter zugegen. Im Zinksarg und in Begleitung eines Offiziers gelangten die Verstorbenen in die Heimat zurück, je nach Entfernung per Bahn oder per Flugzeug, wobei die Beförderungs-Chiffre »200« in beiden Fällen dieselbe blieb. Am Zielort organisierte dann das örtliche Wehrkommando die Beerdigungsfeierlichkeiten, den Todesumständen gemäß mit militärischen Ehrenbezeigungen – oder aber schlicht als private, zivile Zeremonie. Deutsche Handwerksbetriebe fertigten wie all die Jahre zuvor im Voraus Metallsärge an und lieferten sie per Rechnung an das kommunale Friedhofsund Bestattungsamt, sie waren auch für das Verlöten des Särge zuständig.283 Ein Sichtfenster in Kopfhöhe ermöglichte den Angehörigen zumindest einen eingeschränkten Blick auf den Toten. Geöffnet werden durften die verzinkten Behälter auch hier unter keinen Umständen.
Garnisonsfriedhöfe Am Ende der DDR existierten etwa 850 militärhistorische Gedenkstätten und Friedhöfe, in und auf denen mehr als 420.000 ehemalige Sowjetbürger bestattet lagen.284 Viele der hier Beigesetzten waren allerdings nicht Opfer eines harten Armeealltags geworden: Nicht wenige kamen als Kriegsgefangene sowie als Zwangsarbeiter in den Jahren 1941 bis 1945 ums Leben.285 Andere starben bei den Kämpfen im Frühjahr 1945.286 Viele erlagen nach Kriegsende ihren Verletzungen. Bei einem Teil aber handelte es sich um Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die auf den seit 1946 errichteten Garnisonsfriedhöfen beigesetzt worden waren.287 Nach Kriegsende hatte man, wie bereits ausgeführt, auf kommunalen Arealen, häufig in unmittelbarer Nähe zu Kirch- und Friedhöfen, erste Ruhestätten für gefallene oder verstorbene Rotarmisten angelegt. Mancherorts war die Zivilbevölkerung angehalten worden, die Körper der Toten zu waschen und zu bestatten. Die ephemere Bestattungspraxis befriedigte weder die Militärs noch die örtlichen Behörden, doch ließ die von den Leichen ausgehende Seuchenbedrohung keine Zeit für repräsentative Ehrenhaine. Es dauerte ein gutes Jahr, bis der SMAD-Befehl zur »Durchführung der Erhaltungsarbeiten an Gräbern und die Erfassung der Gräber durch die Militärkommandanten« vom 18. März 1946 diesen frühen Provisorien ein Ende bereitete. Grund für die Anweisung der Militärregierung war eine vorangegangene Überprüfung aller bekannten Grabstätten gewesen. Es stellte sich heraus, dass die Militärkommandanten auch ein Jahr nach Kriegsende über keinerlei
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detaillierte Aufstellungen von Einzel- und Massengräbern in ihrem Befehlsbereich verfügten.288 Mit dem Dekret waren diese nun angehalten, Gräberlisten zu erstellen und sie den örtlichen deutschen Verwaltungen zur Sicherung und ständigen Pflege zu übergeben. Ausgeschlossen blieben vorerst die Garnisonsfriedhöfe. Knapp einen Monat später allerdings hieß es: »Die Einrichtung von Friedhöfen, die Pflege der Gräber und alle mit der Bestattung und der Unterhaltung der Gräber verbundenen Aufwendungen obliegen den zuständigen Bürgermeistern. Auf jedem Friedhof sind Wächter und die erforderliche Anzahl Arbeiter für die Durchführung der Begräbnisse und die Friedhofspflege zu halten.«289 Wie anderenorts wurden nun auch in Weimar und Dresden Ehren- und wenig später Garnisonsfriedhöfe angelegt. In Weimar existierte im Park an der Ilm zwar bereits ein umsäumtes Gräberfeld, doch waren die bestatteten Soldaten alles andere als repräsentativ beigesetzt. Im April 1946 befahl der dortige Standortkommandant, zusätzlich zu dem in Ansätzen bereits vorhandenen Ehrenfriedhof mit kommunalen Mitteln einen Garnisonsfriedhof zu errichten. Die deutschen Behörden waren über den befohlenen Standort in der Nähe des Schlosses Belvedere alles andere als glücklich; schließlich erwartete man Besucher aus aller Welt, die sich für das klassischen Erbe der ehemaligen Fürstenresidenz interessierten, nicht aber für deren Kriegsopfer. Die Stadtväter schlugen daher den Ettersberg als Standort für den Garnisonsfriedhof vor, dort, argumentierten sie, lagen ohnehin bereits sowjetische Kriegsopfer des Konzentrationslagers Buchenwald.290 Die verantwortlichen Militärs zeigten sich jedoch nicht gewillt, mit der Kommune in Verhandlungen einzutreten. Der Standortkommandant befahl am 30. April 1946 ultimativ, zwei Friedhöfe für insgesamt etwa 4.000 Grabstätten anzulegen, einen sowjetischen Ehrenfriedhof im Park und einen Garnisonsfriedhof unterhalb des Schlosses Belvedere. Der Übergabetermin für letzteren wurde für den Monat Oktober anberaumt. Die Zeit drängte, täglich kamen neue Tote hinzu, die schnellstmöglich beigesetzt werden mussten. Die Gelder für die Gestaltung der Gräber, der Mauer und des Denkmals sowie für die vorgesehene Bepflanzung mit Stiefmütterchen sollten aus den Fonds der Militäradministration finanziert werden. Um möglichst bald erste Erfolge vorweisen zu können, forderte die Kommune nun eilends vierhundert Arbeitskräfte beim Arbeitsamt an, zudem beauftragte sie elf Weimarer Firmen mit der Gestaltung des Friedhofs. Zur Unterstützung der Arbeiten wurden auch fünfzig Insassen des örtlichen Gefängnisses herangezogen. Zur Steigerung der Motivation erhielten alle verantwortlichen Bauleiter des Projektes zusätzliche Lebensmittelkarten.291 Den vorgeschriebenen Termin konnten die Stadtväter dennoch nicht einhalten, so dass es am 28. Juni 1947 zu einem erneuten Arbeitstreffen von Kommune und Kommandantur kam. Mittlerweile hatte die Besatzungsmacht ihre Ansprüche auf 2.000 bis 2.500 Gräber halbiert; eine geschlossene Mauer sollte
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den zunächst geplanten, offenen Zaun ersetzen.292 Die Stadtkämmerei scheute die enormen einmaligen wie auch die Folgekosten einer solchen Anlage. Sie stemmte sich dagegen und berief sich dabei auf den Befehl der SMAD vom März 1946, der ja die Pflege von reinen Garnisonsfriedhöfen durch die Gemeinden explizit ausgeschlossen hatte. Die zuständige Militärregierung in Thüringen konterte umgehend: Im Haushaltsplan seien Mittel für die Grabpflege allgemein vorgesehen; ob die Stadt nun die Gelder für Ehrenfriedhöfe oder für Garnisonsfriedhöfe, mithin für Kriegs- oder für Besatzungsopfer verwende, sei nicht von Bedeutung.293 Ohnehin hatte die Kommune zu diesem Zeitpunkt kaum mehr eine Wahl: Bereits seit April 1946 waren auf dem noch brachliegenden Garnisonsfriedhof in spe Bestattungen durchgeführt worden. Hier konnte man nur noch nacheilenden Vollzug leisten, die vorhandenen Grabfelder begrünen und die Grabstellen mit Namen versehen. Auch in Dresden wurde von Juli bis September 1945 auf einer Fläche von 2.750 Quadratmetern ein Friedhof angelegt.294 Wie in Weimar wurden zu diesem Zweck Kräfte vom Arbeitsamt rekrutiert. Neben dem bereits vorhandenen Ehrenfriedhof entstand im Herbst 1945 ein reiner Garnisonsfriedhof. Aus pragmatischen Gründen befand sich dieser unmittelbar neben den Kasernen, in der Nachbarschaft zum Lazarett. Wie überall in der Sowjetischen Besatzungszone entstand auch hier ein Areal mit normierten Grabstätten und einem standardisierten Sandsteinobelisken. Krieger blickten dem Besucher wehrbereit entgegen, sie hatten im jüngsten Krieg ihre »heilige Pflicht« erfüllt. Ihre Söhne und Enkel, so das steinerne Versprechen, würden dies auch künftig tun: »Ewige Ehre den im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der sowjetischen Heimat gefallenen Soldaten 1941–45«. Obwohl bei näherem Hinschauen schnell offenbar wurde, dass die überwiegende Mehrheit der hier Bestatteten in den nachfolgenden Friedensjahrzehnten verstorben war, hielt man offiziell bis zum Ende der DDR am Mythos der gefallenen Befreier fest. Sowohl in Weimar als auch in Dresden gelangten die Garnisonsfriedhöfe, im Gegensatz zu den zu Kriegsende entstandenen Ehrenfriedhöfen, letztlich erst im Jahr 1949 in vollständige kommunale Obhut. In Weimar wurden den städtischen Behörden im April 1949 zusätzlich zu den bereits verwalteten Ehrenmalen 625 Garnisonsgräber überantwortet.295 Den Akten zufolge war die Mehrzahl der Gräber zu diesem Zeitpunkt »gepflegt und in Ordnung gehalten«. In Dresden erfolgte die Übergabe im November 1949.296 Auf dem dortigen Garnisonsfriedhof lagen zu diesem Zeitpunkt insgesamt 1.684 Tote.297
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Sacrosanctitas Mit den Überführungen der Toten seit Anfang der siebziger Jahre gingen die Bestattungen vor Ort stark zurück, was wiederum zur Folge hatte, dass notwendige Maßnahmen zur Instandhaltung nicht mehr kontinuierlich, sondern mehr und mehr sporadisch und zu bestimmten Anlässen in Auftrag gegeben wurden. Zunehmend setzte man nun auf »Grasnutzung durch Kleintierhaltung« (Schafe) und, vor großen Gedenktagen, auf freiwillige Sondereinsätze, auf so genannte Subbotniks.298 Die fortgesetzte Vernachlässigung und die Tatsache, dass die Grabsteine nach zwei Jahrzehnten Form und Farbe verloren, führten immer wieder zu aufwändigen Generalreparaturen. Gedrängt von unzufriedenen Standortkommandanten, erfolgten im Auftrag der Kommunen sowohl in Weimar als auch in Dresden über die Jahrzehnte mehrere Umgestaltungen.299 Als problematisch erwies sich vor allem der Umgang mit den stark verwitterten Aufschriften. Die Namen konnten nach mehrmaligen Umlagerungen nicht mehr in jedem Fall verlässlich den Liegeplänen zugeordnet werden, so dass man etwa in Weimar eine pensionierte Russischlehrerin bitten musste, fragliche Schriftzeichen zu entziffern, um auf dieser Basis neue Beschriftungen anfertigen zu können.300 In Dresden erneuerte man einfach, was man zu lesen glaubte. Kein Wunder, dass sich Angehörige immer wieder beschwerten, sie könnten Grabstätten nicht mehr auffinden.301 Die Stadt zeigte sich ob solcher Klagen alarmiert und wies eine halbjährliche Überprüfung der Grabstätten an.302 Es sollte sichergestellt werden, dass künftige Besucher, vor allem aber »das Ausland« vermittelt bekamen, dass man sehr wohl um die Verpflichtungen, die sich aus den nationalsozialistischen Verbrechen herleiteten, wusste. An den Ad-hoc-Einsätzen im Vorfeld großer Feierlichkeiten änderte diese generelle Bereitschaft freilich wenig. Bisweilen kam es vor, dass schnell sprießende Kresse statt Rasensamen gesät wurde oder dass rot blühende Pflanzen von anderen Grünanlagen »abgezogen« wurden, um kurzfristig das politisch erwünschte Erscheinungsbild auf den sowjetischen Friedhöfen inszenieren zu können.303 Das galt auch für die Gedenkroutinen im Jahreslauf: So fanden über Jahrzehnte hinweg zum Tag der Sowjetarmee am 23. Februar, zum Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus beziehungsweise zum Tag des Sieges am 8. und 9. Mai, am Internationalen Gedenktag für die Opfer des Faschismus im September, am Nationalfeiertag der DDR am 7. Oktober sowie zum Tag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 7. November Kundgebungen statt, zu denen neben Funktionären von Partei und Staat sowie Angehörigen der GSSD auch gewöhnliche Bürger Gebinde niederlegten und Gedenkrituale abhielten.304 Anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung erfolgte wieder einmal eine Begehung des sowjetischen Ehrenfriedhofes, anwesend waren der Dresdner
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Standortkommandant sowie einige Stadträte. Im Interesse aller Anwesenden, führte der hohe Militär aus, müsse eine »moderne, gartenarchitektonisch wertvolle Gedenkstätte« stehen, »mit der die Stadt Dresden bei nationalen und auch internationalen Vergleichen gut bestehen« könne. Dazu aber wäre es von Vorteil, eine dauerhafte Besucherbetreuung einzurichten. Die deutsche Seite zeigte sich von diesem Vorstoß überrascht. Das Gelände hatte aufgrund seiner Topographie jahrzehntelang außerhalb der Touristenströme gelegen. Wie wollte man nun in unmittelbarer Nähe zu einem streng bewachten militärischen Sperrgebiet einen »lebendigen Gedenkort« schaffen?305 Auch in Weimar verfolgten die Kommunalpolitiker auf zentrale Weisung hin Anstrengungen zur Belebung der stillen Friedhöfe. Ende Oktober 1974 schrieb der Leiter des örtlichen Pionierhauses »Pawlik Morosow« nach einer vorangegangenen Besprechung im Rat des Bezirkes, Abteilung Volksbildung, folgenden Brief an die Friedhofsverwaltung: Der Pionierauftrag ›Folgt dem Weg des roten Sterns!‹ wie auch die internationale Pionieraktion ›Salut Pobeda!‹ zur würdigen Vorbereitung des 30. Jahrestages der Befreiung vom faschistischen Joch beinhaltet für die Pioniere die Aufgabe, Gedenkstätten und Gräber der Sowjetsoldaten zu pflegen. Auch die Weimarer Pionierfreundschaften sollen Grabreihen in Pflege erhalten. Wir möchten Sie als zuständigen Leiter von unseren Maßnahmen informieren und bitten Sie gleichzeitig um Ihre Zustimmung. Bitte geben Sie uns Hinweise, wie weit die Pflege gehen darf (Unkraut jäten, hacken, gießen) beziehungsweise ob das Pflanzen von Blumen gestattet ist. Um eine Kontrolle zu gewährleisten, wurden vom Klub der internationalen Freundschaft des Hauses der Pioniere Skizzen der Ehrenfriedhöfe im Goethepark und Park Belvedere angefertigt, in denen die Schulen namentlich vermerkt werden.306
Der Pädagoge lief mit seinem Vorschlag offene Türen ein. Schon nach kurzer Zeit vereinbarten die Stadt und die Schulen diverse Pflegepatenschaften, jede Schule erhielt zwei bis drei Grabreihen zur Bearbeitung. Der »Gräberplan« des Klubs der internationalen Freundschaft wurde zur Pioniertat, auf jeder sorgfältig gezeichneten Grabreihe prangte nun der Name einer Schule.
Im Dienst der Toten – der Dienst der Toten Der Tod Über zuverlässige Quellen, welche die Mortalität innerhalb der GSSD dokumentieren würden, verfügen wir nicht. Es lässt sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass die Sterblichkeitsrate der Truppen auf dem Territorium der DDR auf niedrigerem Niveau lag als bei den auf sowjetischem Gebiet stationierten Streitkräften. Dies lässt sich mit den generell höheren Ausbildungs-, Ausrüstungs- und Sicherheitsstandards begründen.
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Zumindest bis zu den siebziger Jahren mag auch eine gewisse Rücksichtnahme gegenüber dem deutschen Bündnispartner eine Rolle gespielt haben, denn bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Tod eines Soldaten nur im Zusammenwirken mit Dienststellen der DDR verwaltet werden. Erst mit den dann einsetzenden Rücktransporten der sterblichen Überreste in die Heimat waren Deutsche mit den Toten nicht mehr befasst – abgesehen vom Verlöten der Transportsärge. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass eine Vielzahl der Todesfälle einerseits auf fahrlässige und mutwillige Praktiken im Umgang mit Waffen und Gerät und andererseits auf die Verletzung moralischer Kodices zurückzuführen sind. Zur letzteren Kategorie zählten Morde und Selbstmorde, aber auch fahrlässige Tötungen; vor allem unter Mannschaftsdienstgraden im Rahmen der Dedowschtschina. Die Truppenkommandeure verfügten über vielfältige Instrumente, um Todesumstände und -ursachen zu vertuschen. Denn: Sie zeichneten sowohl für die Moral ihrer Einheit wie für deren Sicherheit verantwortlich. Ein offenkundiges Versagen hätte zu einer Ahndung und womöglich sogar zu einem Karriereeinbruch geführt.
Die Bestattung Die Dienstordnung der sowjetischen Streitkräfte schrieb eine mehrfach gestaffelte Klassifizierung der verstorbenen Militärpersonen vor. Auch hier wurden den Truppenkommandeuren weitreichende Vollmachten verliehen: Sie waren es, die die Toten posthum als ehrenhaft oder ehrlos qualifizierten. Je nachdem, wie die Umstände des Ablebens bewertet wurden, konnte die Ausgestaltung einer Begräbnisfeier sehr unterschiedlich ausfallen. Sie reichte vom quasi Staatsbegräbnis bis zur Beisetzung im Geheimen.
Memoriale Indienstnahmen Nur wenige Monate nach Ende des Krieges gerannen die Totenstätten zu Ehrenhainen für die Roten Armee und ihre Befreiungstat. In der gesamten Republik entstanden memoriale Strukturen, die nicht nur Friedhöfe waren, sondern darüber hinaus als Gedächtnisorte dienten. Die Botschaft der Befreiung wurde in steinerne Obelisken eingemeißelt und sollte durch die Totenfelder beglaubigt werden. Diese Orte wurden zwar zunächst von der Besatzungsmacht in Auftrag gegeben und von ihr moralisch und politisch ausgestaltet. – Ende der vierziger Jahre gingen sie jedoch in die administrative, ökonomische und vor allem kulturelle Verantwortung der neuen Elite der Deutschen Demokratischen Repu-
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blik über. Sie war es, die diese Friedhöfe im Laufe der kommenden Jahrzehnte mit Reden und Ritualen zu sakrosankten Orten ausformte. Die hier bestatteten Kriegstoten ließen sich im Sinne einer solchen kultischen Überhöhung durchaus in Dienst nehmen, nicht jedoch die Jahr um Jahr hinzukommenden Friedenstoten.307 Deren profaner und sinnloser Tod ließ sich weder in den Augen der Funktionäre noch in der Wahrnehmung der Bevölkerung der großen Befreiungstat zurechnen. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass die Gräber als Denk- und Mahnmale erhalten bleiben sollten, dass aber die Aufschriften der Grabsteine in der weiteren Geschichte dieser Ehrenhaine eine untergeordnete Rolle spielten: Für die große Botschaft spielte der Einzelne und seine Tat, der Einzelne und sein Name, sein Geburts- und sein Todesdatum, mithin sein persönliches Schicksal, keine Rolle. Vielmehr schien es sogar geboten, die toten Individuen zu anonymisieren. Übergriffe auf diese Orte blieben, obschon die Tore mit den Sowjetsternen stets offen standen, eine Seltenheit.308 Diese Grabstätten wurden sicher nicht geliebt – und dennoch stellten sie Medien dar, die ein gewisses Einvernehmen zwischen den Herrschenden und den Beherrschten ermöglichten. Gegenstand dieser Gemeinsamkeit war die Anerkennung der sowjetischen Opfer des Krieges.
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(Un-)Freiwillige Nachbarschaften
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3.2 (Un-)Freiwillige Nachbarschaften 3.2.1 Der Vertrag von Warschau Heute, in Friedenszeiten, hat die Partei- und Staatsführung, in Abstimmung mit der Sowjetunion, auf Eurem Territorium das Sagen. Deshalb empfange ich auch Walter Ulbricht als Staatsoberhaupt der DDR mit militärischem Zeremoniell, erstatte ihm Meldung und schreite mit ihm gemeinsam die Front ab. Anders sieht die Lage im Verteidigungszustand aus. Da werden mir die NVA, die Grenztruppen und ein Teil der anderen bewaffneten Organe unterstellt, da bin ich Oberbefehlshaber der zu bildenden Westfront, die Euer ganzes Territorium umfaßt, und da hat auf dem Gebiet der DDR nur einer das Sagen – und das bin ich. Marschall Pjotr Koschewoi, Oberbefehlshaber der GSSD von 1965 bis 19691
Im Rahmen des 1955 begründeten Warschauer Vertrages waren die Streitkräfte sämtlicher Satellitenstaaten dem sowjetischen Oberbefehl unterstellt worden, die propagandistisch suggerierte Gleichberechtigung aller Militärpartner blieb eine Schimäre. Nikita S. Chruschtschows Entstalinisierungsrede anlässlich des XX. Parteitags der KPdSU im Februar 1956, die Auflösung der Kominform nur wenige Monate später und die von Moskau initiierte Annäherung an Jugoslawien ließen in den Bruderstaaten Hoffnungen keimen, künftig ebenfalls eigene Wege zum Sozialismus beschreiten zu dürfen. Moskau sah dies freilich anders. Im dortigen Generalstab2 führten die Krisenerscheinungen im Ostblock nicht zu einem Tauwetter, sondern zu einer noch stringenteren militärischen Absicherung der eigenen Einflusssphäre. Dort forderte man nun – vertragliche Regelungen für die Dislozierung sowjetischer Truppen in den sozialistischen Bündnisstaaten, – den Aufbau multinationaler Streitkräfte im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation aufgrund unzuverlässiger Partner (vor allem Ungarn) zunächst aufzuschieben sowie – eine stringentere ideologische Ausrichtung der verbündeten Streitkräfte.3 Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die sowjetische Führung vehement gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands gewandt, gleichzeitig aber betrieb sie im eigenen Einflussbereich eine stetige Militarisierung. Militärberater und Geheimdienstoffiziere verfolgten und beeinflussten den Wiederaufbau der osteuropäischen Staaten auf so durchdringende Weise, dass eine zusätzliche Militärallianz zu diesem Zeitpunkt wenig Sinn gemacht hätte. Die dennoch wenige Jahre später erfolgte Gründung der Warschauer Vertragsorganisation 1955 dürfte folgenden Umständen geschuldet gewesen sein:
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– Sie verstand sich als machtpolitische Konkurrenz zur Europäischen Gemeinschaft und zur Nordatlantikvertrag-Organisation. – Sie verlieh den in Osteuropa und in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräften die Möglichkeit, Tendenzen zur Renationalisierung der Verbündeten zu überwachen und gegebenenfalls einzudämmen. – Sie konsolidierte Chruschtschows innenpolitische Macht, in dem sie seinem Bündnispartner, dem Militär, weitreichende Zugeständnisse machte.4 Die politische Institutionalisierung und die militärische Integration der Bündnisarmeen innerhalb der Warschauer Vertragsorganisation bedeuteten somit eine außenpolitische Abschreckung gen Westen und eine innenpolitische Stabilisierung der prekären, von Moskau eingesetzten Regimes. Am 21. März 1955 kündigte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS die Bildung dieser östlichen Gegenallianz an. Auf der Warschauer Konferenz vom 11. bis 14. Mai 1955 wurde der Vertrag zwischen der Sowjetunion und ihren sieben Verbündeten – Albanien, Bulgarien, ČSSR, DDR, Polen, Rumänien und Ungarn – unterzeichnet.5 Die DDR wurde am 28. Januar 1956 Partner.6 Zumindest in ihrer Anfangsphase blieb die WVO machtstrategisch irrelevant. Bis Anfang der sechziger Jahre hatte sich deren Politisch-Beratender Ausschuss nur viermal getroffen, während der Zeit des Ungarn-Aufstandes 1956 war es nicht einmal zu einer Zusammenkunft gekommen. Erst mit der Verstärkung der politisch-ideologischen Divergenzen zwischen der Sowjetunion und China7 sowie im Gefolge der Berlin- und der Kuba-Krise Ende der fünfziger Anfang der sechziger Jahre schien es der Moskauer Führung angeraten, den militärischen Zusammenhalt im sozialistischen Lager zu stärken.8 Für die DDR hieß dies, dass die NVA Anfang der sechziger Jahre in die strategischen Planungen des Vereinten Oberkommandos einbezogen und seit 1962/63 in ihre nuklearen Pläne integriert wurde.9 Im Zusammenhang mit der »Vorbereitung des Territoriums der DDR als Teil des Kriegsschauplatzes« sollten ab nun auch Einheiten der NVA zur Territorialverteidigung sowie zur »materiell-technischen und medizinischen Sicherstellung« zur Verfügung stehen.10 Dieser Zugewinn an Bedeutung beschleunigte eine umfangreiche und schnelle Modernisierung der ostdeutschen Streitkräfte, was auch die Einführung taktischer Raketen für konventionelle wie nukleare Sprengköpfe einschloss.11 Die DDR besaß mit Beginn der sechziger Jahre zwar keine eigenen Nuklearwaffen, doch verfügten ihre Landstreitkräfte über Raketensysteme, für die der sowjetische Bündnispartner im Ernstfall nukleare Gefechtsköpfe zur Verfügung stellen konnte. Bis zur Absetzung Chruschtschows im Jahr 1964 kann insgesamt jedoch kaum von einer institutionell verankerten, multilateralen außenpolitischen Koordination der WVO die Rede sein, obwohl es Anlässe genug dafür gegeben
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hätte. Erst die militärische Aufrüstung unter Leonid Breshnew bot Anlass für eine Aufwertung des östlichen Verteidigungsbündnisses. Die von Chruschtschow forcierte Konzentration auf eine nukleare Kriegsführung wurde unter Breshnews Ägide zugunsten des vom Militär geforderten Ausbaus aller Teilstreitkräfte fallen gelassen.12 Die Folgen für die WVO waren evident: Angesichts des sich zuspitzenden Konfliktes zwischen der UdSSR und China Ende der sechziger Jahre und infolge des Prager Frühlings 1968 standen nun mehr sowjetische Divisionen in Asien und Osteuropa als je zuvor.13 Die militärischen Stäbe wurden ausgebaut, die Bündnisarmeen nach Vorbild der sowjetischen Streitkräfte organisiert, modernisiert und der Moskauer Strategie angepasst. Bis zum Ende der WVO blieben deren wichtigste Institutionen dem sowjetischen Politbüro, dem Verteidigungsrat der UdSSR sowie dem sowjetischen Generalstab unterstellt.14 Seit Anfang der sechziger Jahre fanden auf dem Gebiet der DDR sowie der Bruderstaaten regelmäßig bi- wie multilaterale Manöver statt. Die militärischen Planungen der teilnehmenden Verbände gingen davon aus, dass ein Krieg in Mitteleuropa ausschließlich durch die NATO begonnen werden würde. Um gegen deren Angriff gerüstet zu sein, bereitete man sich auf einen Präventivschlag vor, was nicht zwangsläufig bedeutete, dass man den Westen ohne Veranlassung anzugreifen gedachte.15 Vielmehr hatte die UdSSR aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges ein überdimensioniertes Sicherheitsbedürfnis entwickelt: Im Falle eines Überfalls sollte der anrückende Feind schnellstmöglich auf sein eigenes Territorium zurückgedrängt und dort besiegt werden. Ein vorangegangener Überfall galt als die grundlegende Voraussetzung eines militärischen Gefechts. Erwiderungen darauf wurden seit 1957 in zahlreichen Übungen und Manövern erprobt.16
»Oktobersturm« im Raum Thüringen Beim Manöver im Thüringer Land, Armee und Bevölkerung Hand in Hand. Zu jeder Stunde, nachts und am Tag, schützen die Bruderarmeen uns’ren Arbeiter- und Bauernstaat. Der Oktober ist stürmisch, die Volkssoldaten helle, die Kriegstreiber zittern, sie kommen nie über uns’re Schwelle.17
Das Manöver »Oktobersturm«, dem diese Sprechgesänge gewidmet waren, fand im Herbst 1965 in Thüringen statt und fokussierte die Beziehungsgeschichte zwischen DDR-Deutschen und Sowjets in den sechziger Jahren in zweierlei Hinsicht: Es bezog weite Bevölkerungsteile zwei Jahrzehnte nach Kriegsende intensiv in extensive Militärübungen ein und es offenbarte gleichzeitig die
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operative Hegemonie im Binnenverhältnis und die gefühlte Dominanz der sowjetischen Streitkräfte in der Wahrnehmung durch die Bevölkerung.18
Die Beat-Jugend im »Oktobersturm« Wochen zuvor schon war das ganz Thüringen umfassende Manövergebiet zum Sperrgebiet erklärt worden. Neben offiziellen Friedenskundgebungen, Militärforen und Betriebsbesichtigungen fanden auch zahlreiche so genannte Freundschaftstreffen statt, sowohl zwischen den »befreundeten Armeen« als auch zwischen den Soldaten und der Bevölkerung. Möglichst viele Einwohner sollten, gewissermaßen als zivile Reservisten, in die bevorstehende Großübung einbezogen werden. Dabei ging es nach Meinung der Organisatoren, »nicht nur um die formale Beteiligung […], sondern darum, bei allen Bürgern die Bereitschaft zur Verteidigung unserer Republik mit der Waffe in der Hand zu erreichen«. Vor allem aber ging es um »die Entwicklung eines klaren Feindbildes durch die offensive Darstellung der westdeutschen Imperialisten und Militaristen als Feind des gesamten Volkes«.19 Mit dem Eintreffen der Truppen herrschte der Ausnahmezustand, der so manche Verhaftung nach sich zog: »In dieser Periode wurde – wie bereits schon vorher – mit der Liquidierung gefährlicher Gruppierungen begonnen. Schwerpunkt war das Manövergebiet, insbesondere die Kreise und Städte Weimar, Erfurt, Gotha und Arnstadt. Auch gegen Einzelpersonen wurden zahlreiche Ermittlungsverfahren eingeleitet. […] Mehrere gefährliche Gruppierungen wurden aufgelöst und Personen inhaftiert.«20 Ganz unbegründet waren die Befürchtungen der Staatsorgane nicht. Gerade vor den Volkswahlen am 10. Oktober 1965 waren Straftaten wie »Hetze, Ausreißen von Fahnen, Staatsverleumdung und Widerstand« auf das Doppelte angestiegen.21 Vom 15. bis zum 25. Oktober kam es in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl zu insgesamt 61 Arrestierungen,22 und das, obwohl man bereits im Zusammenhang der Wahlen »eine Anzahl Jugendlicher festgenommen und inhaftiert«23 hatte. Doch immer noch galt es, vermeintliche Gefahrensituationen abzuwehren. In allen größeren Städten Thüringens wurden »Konzentrierungen Jugendlicher mit ›Baetle‹-Aussehen [sic!] festgestellt, die »bei Veranstaltungen [besonders Tanzabenden mit Jugendkapellen] mit flegelhaftem Benehmen in Erscheinung traten«.24 Das Manöver fand nicht nur in großer Nähe zur deutsch-deutschen Grenze, sondern überdies in einer aufgeheizten Atmosphäre statt: Für die jungen Leute, die in den vierziger Jahren geboren waren und jetzt am Beginn des Erwachsenseins standen, hatten sich im Sommer und Herbst des Jahres 1965 gravierende alltagskulturelle Änderungen ergeben. Unmittelbar vor dem 11. Plenum der SED
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verkündete der Vorsitzende der FDJ, Erich Honecker, das Ende des seit dem Jugendkommuniqué von 1963 geltenden liberalen Kurses. Die Beat-Bands wurden aus Kinos, Kulturhäusern und Jugendclubs verbannt, mancherorts sogar verboten. Demonstrationen gegen die Diffamierungs- und Verfolgungspolitik von Partei und Regierung wurde mit massivem Polizeiaufgebot aufgelöst. Die Jugendlichen in den Manövergebieten spürten ebenso wie ihre Altersgenossen republikweit den neuerdings unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der offiziellen Kultur von Partei und Staat und ihrer angefeindeten Alltagskultur. Die DDR-Teens hörten mit Vorliebe westliche Musik und gingen dafür sogar auf die Straße. In den Operationsgebieten wuchs sich der ideologische Gegensatz sogar zu einem physischen Zusammenprall aus: Angeführt von den sowjetischen »Freunden« rollte eine schier unübersehbare »östliche« Militärmaschinerie ein, flankiert von einem Netz von Maßnahmen der Volkspolizei und der Staatssicherheit. – Mit ihrer Stoßrichtung gen Westen richtete sie sich zugleich auch gegen die Handlanger des Westens, die »inneren« Feinde der DDR. Konfrontiert mit der physischen Gewalt des Manövers avancierten die von den westlichen Beatles begeisterten Jugendlichen in den Augen von Partei und Staat wie selbstverständlich zu Feinden des kommunistischen Oktobersturms.
Kampf und Kampagne Schon im Sommer erging ein Auftrag an alle politischen Verantwortlichen: Oberstes Gebot sei es, eine »kluge Verbindung der Vorbereitung der Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen mit der Vorbereitung auf das gemeinsame Herbstmanöver ›Oktobersturm‹ herzustellen«.25 Die Furcht davor, die Leute könnten aus Verärgerung über die wochenlangen Kriegsspiele am 10. Oktober nicht zur Wahl gehen, war erheblich, also bezog man die Bürger aktiv ein. Mitglieder der Betriebskampfgruppen wurden vom Arbeitsplatz abkommandiert, um sich auf ganz spezielle Manöveraufgaben, in der Regel ein Treffen von Truppenverbänden im Feld, vorzubereiten. Ihre zivilen Kollegen fanden sich in den Mittagspausen sowie nach Arbeitsschluss zu Informationsveranstaltungen zusammen. Vordergründiges Ziel war es, kritische Fragen zu entschärfen und kritischen Fragestellern Einhalt zu gebieten. Im Mittelpunkt der geradezu inflationär einberufenen Diskussionsforen standen Probleme des Manövers selbst. Nicht wenige Bürger glaubten, dass in den Operationsgebieten ganze Dörfer geräumt werden müssten, um die Soldaten dort einzuquartieren. Die Befürchtungen zeigten, dass das Kriegsende und die damit verbundenen Erfahrungen mit »den Russen« 1965 durchaus noch präsent waren. Furcht vor Luftangriffen, vor gewaltsamen Einquartierungen und vor Vergewaltigungen von Frauen beherrschten auch zwanzig Jahre nach Kriegsende noch die Gedanken der Menschen.
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Die Militärexperten bemühten sich nach Kräften, die sich im Westen aus ihrer Perspektive formierende Bedrohung in möglichst drastischen Farben auszumalen. In ganz unterschiedliche Argumentationsfiguren gehüllt, wurden die politischen und militärischen Ziele des Manövers öffentlich kommuniziert.26 Doch ließen sich die Bürger in dieser Ausnahmesituation kaum durch die bekannten ideologischen Phrasen überzeugen; vielmehr forderten sie Aufklärung über den Krieg, der sich unmittelbar vor ihrer Haustür abspielte.27 Legionen von Propagandisten und Agitatoren wurden nicht müde, immer wieder den detaillierten Ablauf der Großübung zu schildern: Im Verlauf des Manövers hatten die Truppen des Verbandes »Rot« einen von der Manöverpartei »Blau« aus dem hessischen Raum tief auf das Territorium der DDR vorgetragenen Überraschungsangriff zu stoppen und im Gegenangriff zurückzuschlagen. Polnische Fallschirmjäger, die in sowjetischen »Kampfzonentransportern« herangeflogen und mit Panzern und schwerem Gerät abgesetzt worden waren, operierten gleichzeitig im feindlichen Hinterland. Panzerverbände aus der DDR wie aus der ČSSR sowie motorisierte Schützeneinheiten sollten mit taktischer Unterstützung durch Jagdflieger und Jagdbomber den Gegner aufhalten und – einem sowjetischen Stoßkeil folgend – zurückwerfen. Der Feind würde schließlich von den siegreichen »roten« Truppen in einem atomaren Vergeltungsschlag auf eigenem Territorium »endgültig vernichtet«. Dieses Szenario geriet erstaunlich wirklichkeitsfern. Der westliche Aggressor (in der Übung vertretungsweise die eigenen Truppen) griff mit dem alten Panzermodell des Typs T 34 an, wohingegen die Verteidiger mit dem weit überlegenen Modell T 54 zurückschlugen. Offenbar in der Annahme, dass die feindliche Luftwaffe und die Flugzeugabwehr bereits vernichtet worden seien, setzten die polnischen Luftlandetruppen der Verteidiger unbeschadet in riesigen Transportflugzeugen im Hinterland des Aggressors auf, wo sie sich Flügelspitze an Flügelspitze aufstellten und in aller Ruhe Personal wie Gerät ausluden. Ohne Tarnung schritt die sowjetische Infanterie in dichten Reihen durch feindliches Gebiet. Alles in allem erinnerte das Manöver nicht an eine erbitterte Schlacht, sondern an eine kampflose Besetzung. Für eine solche Interpretation lieferten die Agitatoren freilich ein Argument: »Demokratische Kräfte« und Gewerkschafter würden in Westdeutschland bereitstehen, um eventuell sich in den Weg stellende NATO-Truppen vorab zu entwaffnen und den sozialistischen Verbündeten einen freien Durchmarsch zu ermöglichen. Die Unterstützung der »roten« Truppen durch kommunistische Spionage- und Sabotagegruppen aus dem Westen war Grundvoraussetzung der Gefechtsplanung. Das Neue Deutschland hob dann auch hervor, dass »die Kommandeure und Stäbe sich beim Fassen ihrer Entschlüsse auf Auskünfte stützten, die ihnen von national- und klassenbewußten Arbeitern und anderen friedliebenden Kräften im Bereich des Gegners erbracht wurden.«28
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Manövereröffnung auf dem Ettersberg Die flächendeckende Agitation und Propaganda im Vorfeld des Manövers zeitigte zumindest äußerliche Erfolge: 5.000 Weimarer marschierten in Formation zur Eröffnungsveranstaltung am Buchenwalder Glockenturm; doppelt so viele Teilnehmer wurden per Bus zur Veranstaltung gefahren. Insgesamt kamen an diesem Nachmittag 30.000 Menschen auf den Ettersberg, um die Manövertage zu eröffnen.29 Die Feier begann, indem vier Kompanien, zusammengestellt aus Soldaten aller beteiligten Armeen, zu Ehren der Toten des Konzentrationslagers unmittelbar vor dem Glockenturm ihre Waffen präsentierten. Die Nationalhymnen der beteiligten Bruderländer erklangen, Schüler rezitierten Gedichte, Soldaten sprachen sich für den Frieden aus. Dann trat der Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates und Mitglied des Politbüros Erich Honecker an das Rednerpult. Allein die Entsendung eines so hochrangigen Genossen aus Berlin ließ ahnen, welchen Stellenwert einem erfolgreichen Manöver durch die Staatsund Parteiführung beigemessen wurde.30 Über zwanzig Jahre sind seit jenem 19. April 1945 vergangen, da auf diesem Gelände 21.000 befreite Häftlinge des faschistischen Konzentrationslagers Buchenwald im Gedenken an ihre 56.000 von den SS-Banditen ermordeten Kameraden und Genossen den feierlichen Schwur leisteten: ›Unsere Sache ist gerecht – unser muß der Sieg sein.‹ Heute sind wir hier, in dieser Nationalen Mahn- und Gedenkstätte auf dem Ettersberg, aus Anlaß des morgen beginnenden gemeinsamen Herbstmanövers ›Oktobersturm‹ haben sich Soldaten der Sowjetarmee, der Polnischen Armee, der Tschechoslowakischen Volksarmee und der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik […] versammelt. Das ist kein Zufall. Die Wahl des Ortes […] ist Ausdruck des Charakters und der politischen Ziele unserer Staaten und ihrer Militärkoalition. In unseren sozialistischen Staaten sind die Wurzeln des Krieges ein für allemal beseitigt. Bei uns ist der Frieden zu Hause. Unsere Armeen sind wahrhafte Armeen des Volkes. Ihnen sind Eroberungspläne und Aggressionsgelüste fremd. Ihre geschichtliche Aufgabe ist es, die fortschrittlichste Ordnung der Welt, den Sozialismus, den Hort des Friedens, des Fortschritts und der Menschlichkeit zuverlässig zu schützen.31
Honeckers Rede verfolgte ein großes politisch-propagandistisches Ziel: Die Kämpfer des einstigen Konzentrationslagers, versinnbildlicht durch die weit aufragenden Antifaschisten des Bildhauers Fritz Cremer, sollten mit den angetretenen Kämpfern der Warschauer Vertragsstaaten in eine Linie gestellt werden. Die jungen Garden gerannen so zu Verwaltern und Vollstreckern des Vermächtnisses von Buchenwald. Unzweifelhafter Höhepunkt war der »zweite« Buchenwaldschwur, eingeleitet von mahnenden Glockenschlägen und gesprochen von einem jungen Offizier der NVA: Wir, Soldaten des Volkes, angetreten in Buchenwald, der Gedenkstätte der Opfer und dem Mahnmal des Kampfes gegen den Faschismus:
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Wir schwören, mit der ganzen Kraft unserer Herzen und Hirne, mit all unserem Wissen und Können, den Sozialismus – Hort des Frieden, des Fortschritts und der Menschlichkeit – für alle Zeiten sicher zu behüten. Wir schwören, nie und nimmer den Henkern von gestern, den Atomkriegstreibern von heute eine Chance zu lassen und jeden Aggressor unter Einsatz unseres Lebens in seiner Brutstätte unbarmherzig zu vernichten. Wir schwören, als sozialistische Internationalisten die eherne Waffenbrüderschaft der im Warschauer Vertrag brüderlich verbundenen Armeen wie unseren Augapfel zu hüten, Schulter an Schulter unerschütterlich vereint und jederzeit zum Kampf für die Macht der Arbeiter und Bauern bereit zu sein. Im Angesicht der heiligen Flammen, getreu dem Vermächtnis unserer teuren Toten; eingedenk der Verpflichtung vor den Lebenden – für das Glück und den Frieden aller Völker – wir schwören es!32
Die Veranstalter waren mit der Manövereröffnung überaus zufrieden, die noch am Abend gelieferten ersten Stimmungsberichte des MfS bestätigten dies: »Aus den zahlreich aus allen Kreisen vorliegenden Hinweisen und Informationen geht übereinstimmend hervor, daß die Kundgebungsteilnehmer sich stark beeindruckt fühlten. In allen Kreisen wurde eine starke Nachfrage zur Teilnahme an dieser Veranstaltung festgestellt.«33 Die überwiegend positive Resonanz auf die Eröffnungsveranstaltung lässt sich nicht verallgemeinern, die Manöverstimmung der Bevölkerung blieb überwiegend kritisch. Am 20. Oktober 1965, am Abend des ersten Tages, saßen zu später Stunde erneut Mitarbeiter des MfS der Bezirke zu einer geheimen Beratung zusammen. Die Genossen zeigten sich in ihren Einschätzungen hinsichtlich der agitatorischen Erfolge zurückhaltend. Noch, mahnten sie an, gebe es zu wenige brauchbare inoffizielle Informationen »aus der gegnerischen Basis in der DDR«. Auch die Stimmung im Volk sei bisher nur oberflächlich eingeschätzt worden: Vielfach würde seitens der Bevölkerung das korrekte Verhalten der Angehörigen der Armeen gelobt sowie deren offensichtliches Bemühen, Manöverschäden zu vermeiden. Solche Rücksichtnahme sei man von den »einheimischen« stationierten Sowjettruppen ganz und gar nicht gewohnt. Studenten der Universität Jena, so lautete die Einschätzung, nähmen relativ wenig zum Manöver Stellung. Die Reaktion kirchlicher Kreise sei offenbar unterschiedlich: Sie reiche von der Aufforderung, Verständnis für die Manöver aufzubringen, bis zu Desinteresse und offener Ablehnung. Letztere glaube man, vor allem bei katholischen Geistlichen ausmachen zu können.34 Selbstverständlich, gaben die an diesem Abend zusammengekommenen Genossen zu, sei innerhalb der Bevölkerung auch Kritik laut geworden: So zeigten sich die Bürger unzufrieden über Verkehrsbehinderungen und Straßensperren, die mangelnde Versorgung mit Kraftstoff lastete man dem Manö-
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ver an. Ein LKW-Fahrer machte, nachdem er die Fernverkehrsstraße von Erfurt nach Weimar aufgrund einer Absperrung nicht mehr befahren durfte, aus seinem Herzen keine Mördergrube. »Er vertrat die Meinung, daß er die Schnauze vom Krieg voll habe und wenn das bei allen anderen auch der Fall wäre, dann brauchten wir dieses Manöver nicht. Walter Ulbricht habe 1949 erklärt, dem Deutschen, der noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, sollen die Hände abfaulen. Die Manöver zeigen, daß es bald schon wieder so sei wie bei den Nazis.«35 Auch bahnten sich Gerüchte ihren Weg. In den Dörfern befürchteten die Menschen, dass sie wegen unterbrochener Telefonleitungen und gesperrter Verbindungswege tagelang von der Außenwelt abgeschlossen bleiben würden.36 Das führte dazu, dass Einheimische zu Hamsterkäufen aufbrachen. Vor allem die Fleischverkaufsstellen waren am Ende des ersten Manövertages völlig leergefegt.37 Auch Getränke und Schokolade wurden gehortet, schließlich war bereits in der Vorbereitungsphase ersichtlich geworden, dass die dislozierten Truppen Bier, Brause und Süßwaren en gros kauften. Viele Bürger glaubten sich in punkto Zuteilungen gegenüber den Manövertruppen benachteiligt: »Die Tschechen, Polen und Russen fressen uns alles weg. Für uns gibt es Butter auf Karten, für die ist sie frei.«38 So deckten sich nicht nur die Einwohner von Nohra im Voraus großzügig mit Waren ein. An den Abenden nach den Kampfübungen luden Städte und Dörfer zu »bunten Abenden« ein: zu Militärkonzerten, zu Filmveranstaltungen, zu geselligem Beisammensein mit den Soldaten. Viele der Zusammenkünfte glichen eher Volksfesten als politischen Veranstaltungen, zumindest auf dem ersten Blick. Es wurden Stände der Handelsorganisationen aufgebaut, Geschenke überreicht, Fähnchen, Getränke, Zigaretten, Bratwürste und belegte Brötchen angeboten. Nur mit Hochprozentigem geizte man, die Gefahr des rausch-enthemmten menschlichen Austausches schien den Veranstaltern zu groß. Freilich nützten die speziell ausgegebenen Direktiven zum Alkoholkonsum während der Manövertage gar nichts. Diese auch als »Trinkerfestspiele«39 bezeichnete Woche der Waffenbrüderschaft bot nahezu jedem, der Interesse zeigte, die notwendigen Gelegenheiten. Es dauerte nicht lange, da erzählte man sich sogar Witze über die Gewohnheiten so manches Kommandeurs. Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Kamel und dem Leitungsstab? Antwort: Ein Kamel kann sieben Tage arbeiten, ohne zu saufen. Der Leitungsstab kann sieben Tage saufen, ohne zu arbeiten.40
Ganz unrecht hatten die Spötter nicht. So schenkte etwa ein hochrangiger Major der GSSD in einer Autogrammstunde (und offensichtlich nach erheblichem Alkoholkonsum) einem Schulkind sein Notizbuch mit sämtlichen Manöveraufzeichnungen. Trotz intensiver Suche konnte das Geheimdokument nicht wiedergefunden werden. Über solche Pannen bestens informiert,
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versuchte das offizielle Presseamt einen »sauberen« Eindruck von den Ereignissen zu vermitteln.41 Das offizielle Manöverbild Vom 20. Oktober an fanden vor Beginn der jeweiligen Tagesübungen gemeinsame Pressekonferenzen statt, »auf der die Manöverlage und die Richtung der Berichterstattung präzisiert«42 wurde. In pathetischem Ton wurden die Bürger über die politischen und militärischen Dimensionen der internationalen Wehrübung, aber auch über Begebenheiten rund um ihre »Gäste« informiert. Täglich gaben die Lokalzeitungen Manöveranekdoten zum Besten. Eine Extraausgabe der Volksarmee präsentierte für die militärisch Interessierten harte Fakten, ein Preisausschreiben zum Thema: »Wer hat das schönste Erlebnis mit den Streitkräften?« fragte nach den »weichen« Begebenheiten und winkte mit attraktiven Gewinnen.43 Also schrieb so mancher Bürger kleinste, kleine und große Begebenheiten am Rande der Übungen auf. So entstand auch folgende Geschichte, aufgeschrieben von einem Genossenschaftsbauer aus dem Weimarer Landkreis. Am Ortseingang eines Dorfes nahe Weimar beobachten Bauern das Begegnungsgefecht der Panzer: Alle bewundern die Geschicklichkeit der Panzerfahrer. Eine sowjetische Kolonne von Gardepanzern überquert einen Straßengraben zwischen zwei kleinen Obstbäumen. Beiderseits der Kolosse bleibt zwischen Baum und Panzer ein knapper halber Meter Zwischenraum. Die Wagen preschen heran, der Motor heult auf, der Fahrer reißt die Kette herum. Die Bauern wetten: Aber den nächsten haut’s um … Etwa zwanzig Kampfwagen T 54 klirren durch die Überfahrt – das Bäumchen steht unversehrt. ›Die können fahren‹ – die Wettgesellschaft begibt sich zur Dorfschenke, um mit der freiwilligen Feuerwehr einen ›Manöverbrand‹ zu löschen.44
Im Nachbardorf hatten Panzer ein Haus eingefahren, das zu nah an einer Kurve gebaut war. Nachdem es langwierig und mühselig wiederaufgebaut worden war, schob es wenige Jahre später ein anderer Panzer noch einmal zusammen. Davon freilich las man nichts in den Zeitungen.45 Selbstverständlich waren auch Filmregisseure aus den teilnehmenden Ländern vor Ort: Mit sechs Drehstäben arbeiteten sie rund um die Uhr im gesamten Manövergebiet. Am Ende verfügte allein das deutsche Filmteam über 20.000 Meter Film, die später zu einer Dokumentation »Oktobersturm« geschnitten wurden. Im März 1966 war die Premiere: Das Armeefilmstudio lud zur Präsentation des Films »Sender Oktobersturm meldet« ein. Aus der Filmankündigung erfuhren die Zuschauer vorab, dass »Kameraleute und Redakteure der Filmstudios der beteiligten Armeen […] unter der Regie von Major Hans-Günther Schneider heitere und einfühlsame Aufnahmen von der engen Verbindung der Bevölkerung zu den Soldaten und eindrucksvolle Bilder
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von den Gefechtsvorgängen«46 gedreht hätten, die man nun vor allem einem jugendlichen Publikum vorstellen wollte. Als Beiprogramm der öffentlichen Lichtspielhäuser erreichte der Film über 200.000 Zuschauer.47 Auch der Hörfunk und das Fernsehen waren präsent und sendeten Dokumentationen frei Haus. Neben den gewohnten Programmen »aus sozialistischem Bruderland« liefen in diesen zwei Wochen zahlreiche Sondersendungen. Der Deutsche Fernsehfunk war mit drei Drehstäben vor Ort und bereitete das Tagesgeschehen in Zehn-Minuten-Formaten für die Aktuelle Kamera auf. Original übertragen wurden die Eröffnungsveranstaltung in Buchenwald sowie die Feldparade zum Abschluss des Manövers.48 »Waffenbrüderschaft bedeutete, man muß miteinander auskommen« Groß angelegte, internationale Manövertage wie den »Oktobersturm« erlebten die meisten Bürger nur wenige Male in ihrem Leben, wenngleich es solche Kampfübungen bis zum Ende der DDR immer wieder gab. Die Woche der Waffenbrüderschaft, die seit 1968 jährlich zwischen dem Tag der Sowjetarmee am 23. Februar und dem Tag der NVA am 1. März stattfand, bot hinreichenden Ersatz. Vor allem die männlichen Bürger, Wehrdienstleistende wie Reservisten, wurden hier Teil eines verbindlichen Wehrbereitschaftsnetzes.49 Regelmäßig fanden Beratungen zwischen Politarbeitern und Jugendfunktionären beider Armeen statt, in deren Ergebnis langfristige Konzeptionen zur Zusammenarbeit entstanden. Mit der Zeit entwickelten sich feste Verbindungen von Truppenteilen, Einheiten und Stäben der NVA zu sowjetischen Patengarnisonen, wo vor allem dem »emotionalen Erleben der Waffenbrüderschaft« große Bedeutung beigemessen wurde. Auf allen Ebenen, angefangen beim Ministerium, über die Militärbezirke und Kommandos, Verbände und Truppenteile bis hin zu den untersten Einheiten, wurden fortan freundschaftliche Beziehungen gepflegt. Zumindest die Statistiken sprachen für den Erfolg der Anfang der sechziger Jahre begonnenen Initiative.50 Die jahrzehntelang vorgeführte mustergültige militärische Zusammenarbeit und Freundschaft schienen vertraut und vertrauensvoll – doch im Alltag existierten sie kaum. Die auf dem Papier abgerechneten Maßnahmen wie der in den Medien vorgestellte Alltag spiegelten zu keinem Zeitpunkt die wirkliche Dichte und Qualität der Kontakte wieder. Denn in der Realität fanden Freundschaftstreffen sowie berufliche Kontakte zwar zuhauf statt, aber nur in seltenen Fällen kam es zu echten menschlichen Annäherungen. Diese wurden gerade im Umfeld der beiden Armeen planmäßig verhindert: Ich arbeitete als eine Art Verbindungsoffizier, habe also Kontakte zu den Russen gepflegt. Doch selbst für mich war es sehr schwierig, in die sowjetische Kaserne zu kommen. Man ließ mich jedes Mal am KPP stehen und ich musste von einem Fähnrich
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oder einem Offizier dort abgeholt werden. Hier war alles bedeutend strenger als bei der NVA. Man konnte sich überhaupt nicht frei bewegen. Es wurden regelmäßig gemeinsame Manöver veranstaltet. Eigentlich aber war es so, dass die NVA ihre Übungen durchzog und die Freunde eben auch. Zwischen den Truppenteilen gab es kaum Berührungspunkte. Ein wenig anders war das bei so genannten Waffenbrüderschaftstreffen. Das waren sportliche Wettspiele oder Freundschaftskämpfe. Dabei war es egal, ob beim Federball ein Deutscher gewann oder ob das der Kasache war, der im Schießen der Beste war. Einen wirklichen Vergleich gab es bei solchen Wettkämpfen nicht. Unsere Kontakte, vor allem zu den Mannschaftsdienstgraden, waren auch hier eher spärlich. Meine Kompanie unterhielt wie alle anderen offizielle Patenschaftsbeziehungen zu einer Kompanie aus dem Panzerregiment. Wir sind mit denen gemeinsam ins Planetarium gegangen und haben in Cospeda das Museum der Schlacht von 1806 besucht. Die Soldaten wechselten dabei ständig, so wie bei uns auch. Im Nachhinein war die viel beschworene Waffenbrüderschaft nur ein Wort. Zwar verfügten wir zum Großteil über die gleichen Waffen, man hat sich da ein bisschen ausgetauscht. Aber letztlich lebte man nebeneinander her. Alles war von oben festgelegt worden: Waffenbrüderschaft bedeutete, man muss miteinander auskommen.51 Mein Freund hieß Wolodja Zwenker und kam aus St. Petersburg. Er war Hauptmann und wie ich Kompaniechef. Uns verband eine echte deutsch-sowjetische Freundschaft. Ich bin mit meiner Familie zu ihm gefahren, wir haben dort gefeiert und er ist zu uns gekommen, zu Weihnachten beispielsweise. Irgendwann merkte ich, dass er sich mir gegenüber deutlich verhaltener zeigte als vorher und ich fragte mich, was los war. Eines Tages sprach ich ihn darauf an. Wir waren wie immer mit dem Auto zu ihm gefahren, als er mich aufforderte: ›Nimm das Auto und stell es da hinten hin, so fällt es nicht so auf, dass du dich hier mit uns triffst.‹ Ich fragte ihn, was das sollte, denn mein Auto hatte ja immer dort gestanden. Er antwortet mir: ›Man will das nicht. […]. Als wir das nächste Mal zur Kaserne kamen, um Wolodja zu besuchen, wollte uns die Wache nicht einlassen. Darauf habe ich verlangt, den Politoffizier zu sprechen. Er kam und ich habe ihn gefragt: ›Was soll das? Wir sprechen von deutsch-sowjetischer Freundschaft und jetzt möchte ich Wolodja hier drinnen besuchen und darf es nicht.‹ Der Polit sagte, ich solle einen Moment warten. Nachdem er eine halbe Stunde weg gewesen war, erhielt die Wache einen Anruf, dass ich rein dürfte. Der Polit kam nicht mehr zurück. Als wir in Wolodjas neuer Unterkunft ankamen, erwartete er uns mit den Worten: ›Wir werden uns nicht mehr oft sehen. Ich werde versetzt, nach Hause.‹ Und normalerweise hätte er noch ein volles Jahr bleiben können. […] Ich war am Bahnhof und habe ihm Lebwohl gesagt. Am Zug standen aber auch Leute, denen das nicht passte. Ob das das KGB war oder eine Streife, weiß ich nicht. Sie wollten nicht, dass wir dort lange zusammen waren und sagten, wir sollten uns doch endlich verabschieden und auseinander gehen. Ich bin frech geworden und fragte: ›Warum? Wir sind befreundet und ich bleibe hier, solange mein Freund hier ist.‹ Darauf haben sie nichts weiter gesagt und uns nur beobachtet. Wolodja hat mir nie gesagt, wohin er geschickt wurde. Erst später erfuhr ich, dass er drei Jahre nach Afghanistan versetzt worden ist, als Strafe.52
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Stiefbrüder in Waffen Zu keinem Zeitpunkt besaß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die uneingeschränkte Befehlsgewalt über die eigenen Truppen. Per definitionem oblag dem sowjetischen Generalstab das Oberkommando über die Armeen des Warschauer Vertrages – im Frieden wie im Krieg. Die propagierte deutsch-sowjetische Waffenbrüderschaft stellte insofern ein asymmetrisches Militärbündnis dar; die jeweils gültige Moskauer Doktrin hatte auch für die Nationale Volksarmee als verbindlich zu gelten. Das ideologisch-propagandistische Freundschafts-Postulat richtete sich gerade an die »im Kampf gegen den Feind« verbundenen Waffenbrüder. Zugleich galt jedoch auch die Ambiguität dieser Forderung in einem besonderen Maße. Gerade die Militärs und Geheimnisträger sollten sich niemals unkontrolliert und unvoreingenommen begegnen. Sämtliche Zusammenkünfte wurden akribisch beobachtet und reglementiert und – sofern politisch notwendig – auch verhindert.53 Unter diesen Auspizien gedieh keine Freundschaft im klassischen Sinne – und sollte auch keine gedeihen. Das Manöver »Oktobersturm« rief zwanzig Jahre nach Kriegsende zumindest bei den Kriegs- und bei den Kriegskinder-Generationen höchst virulente Erinnerungen wach. Nicht nur der Geschützlärm, nicht nur die dröhnenden Flugzeuge, sondern auch das erneute Einrücken einer gepanzerten Armada versetzte diese Altersgruppen in Angst und Schrecken – und evozierte Reaktanzen. Auf solche Widerstände war man – freilich aus rein politischen Gründen – vorbereitet. Die Leitung des Manövers reagierte in Zusammenarbeit mit der Staats- und Parteiführung auf zweierlei Weise: Einerseits mit einer spürbaren Erhöhung repressiver Maßnahmen und andererseits mit dem Einsatz eines ganzen Heeres von Propagandisten und Öffentlichkeitsarbeitern. Zu den politischen und publizistischen Zielen des Manövers gehörte es, die älteren Jahrgänge mit der fortschreitenden Militarisierung des Landes anzufreunden und die Jüngeren sowie die Allerjüngsten aktiv in die neue Wehrgemeinschaft unter Führung der »Befreier« einzubeziehen. Die politischen Zugewinne dienten einem noch größeren Ziel – der Mobilmachung der Gesellschaft. Seit Mitte der sechziger Jahre wurde die Wehrerziehung der Kinder und Jugendlichen planmäßig forciert. Die Uniformierung der Jungen Pioniere und FDJler, die Fahnenappelle in den Schulen, die wehrpolitische und wehrsportliche Ausbildung in schulischen wie außerschulischen Institutionen gehörten ebenso wie die vormilitärischen Lager der Gesellschaft für Sport und Technik zum Alltag der Kinder und Jugendlichen.54 Lange vor Beginn der Armeezeit war ihr Leben durch militärische Prinzipien und Organisationsformen geprägt. Zumindest zahlenmäßig entwickelte sich das Militarisierungsprogramm über Jahrzehnte erfolgreich.
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Noch im Sommer 1989 nahmen republikweit 63.000 Jungen des neunten Schuljahres an einem Wehrausbildungslager teil, von denen lediglich 29 praktische Schießübungen verweigerten. Die Veranstalter zeigten sich zufrieden: Es sei gelungen, die »FDJ-Kollektive zu Auseinandersetzungen mit politischideologischen Fragen« zu stimulieren und »für das Erreichen hoher Ausbildungsergebnisse und einer guten Disziplin und Ordnung« zu motivieren.55 Tatsächlich verweigerte auch im letzten Jahr der DDR kaum ein Heranwachsender ernsthaft seine staatsbürgerlichen Wehrverpflichtungen.
3.2.2 Netzwerke gemeinsamen Wirtschaftens Den Festlegungen des Stationierungs- sowie des Inanspruchnahmeabkommens von 1957 zufolge hatten die sowjetischen Streitkräfte Sach-, Werk- und Dienstleistungen sowie den Ankauf von Waren und die Nutzung nichtstaatlicher Objekte zu den allgemein gültigen Tarifen in Mark der DDR abzugelten. Die dafür bereitzustellende Summe wurde in Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission der Parteiführung zur Bestätigung vorgelegt und in den jährlichen Staatshaushalt eingestellt. Zumindest waren die ökonomischen Beziehungen zu den sowjetischen Streitkräften in den Vereinbarungen so geregelt worden. In der Praxis gestalteten sich die Kooperationen vielfältig und nahezu unüberschaubar.
VEB Spezialhandel Leipzig Deutsche wie sowjetische Wirtschafts- und Handelsorganisationen zeichneten von 1957 an gleichermaßen für die Versorgung der stationierten Truppen verantwortlich.56 Ein Teil der Waren wurde direkt aus der UdSSR eingeführt,57 Ende der siebziger Jahre rollten jährlich 6.600 bis 8.000 Militärzüge über die Grenze.58 Die restlichen Güter bezogen die Streitkräfte unmittelbar aus der DDR. Zur Wahrnehmung sämtlicher bilateraler administrativer Aufgaben wurde eigens die deutsche Generaldirektion Spezialhandel Leipzig59 gegründet, die dem Ministerium für Handel und Versorgung der DDR unterstand und die sich um die Versorgung der sowjetischen Truppen mit Industrieerzeugnissen, Rohstoffen, Materialien, Brennstoffen und landwirtschaftlichen Produkten kümmerte.60 Für ihre Arbeit gab es laut Inanspruchnahmeabkommen jedoch eine Bedingung: Der Umfang der Lieferungen und Leistungen durfte die Kennziffern des Planjahres 1956 nicht übersteigen. Die praktische Umsetzung dieser Klausel brachte insofern keine Probleme mit sich, als den Behörden
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diese Höchstgrenzen bis Ende der achtziger Jahre nicht vorlagen und demnach auch nicht zu einer limitierenden Messlatte erhoben werden konnten. Zu den Hauptaufgaben des Spezialhandels zählten die Versorgung sämtlicher sowjetischer Handelsunternehmen auf der Grundlage vereinbarter Perspektiv- und Jahrespläne sowie die Auslastung der vorhandenen Dienstleistungskapazitäten zur Versorgung weiterer Bedarfsträger. Zudem kontrollierte der Leipziger VEB die Einhaltung der Verträge, die die sowjetischen Handelsbetriebe mit örtlichen Produktionsbetrieben über die Lieferung von Obst, Gemüse und Frischwaren geschlossen hatten. Zur sowjetischen Versorgungsbehörde gehörten neben der Hauptdirektion insgesamt sieben Hauptwirtschaften (in den jeweiligen Militärbezirken), 47 Unterwirtschaften sowie eine Anzahl von Unternehmen des Einzelhandels und der Gastronomie: etwa 2.000 Kaufhäuser, Magazine61 sowie zahlreiche Restaurants, die in geschlossenen, für DDR-Bürger offiziell nicht zugänglichen Militärobjekten, aber auch außerhalb der Kasernenmauern inmitten der Städte und Gemeinden situiert waren. Zur Bewältigung dieser Anforderungen bestanden umfangreiche Beziehungen zu deutschen Betrieben und Kombinaten; solche Sonderkontakte sollten auch helfen, den Bedarf an hochwertigen Konsumgütern für leitende sowjetische Militärangehörige und deren Gäste zu decken.62 So kam es, dass in Russenmagazinen Waren angeboten wurden, welche in deutschen Verkaufseinrichtungen als Raritäten galten.
Freundschafts-Boni Der VEB Spezialhandel Leipzig arbeitete von Anfang an mit den bilanzierenden Organen der DDR, den Wirtschaftsräten der Bezirke, den örtlichen Staatsorganen und anderen zentralen Instanzen des Handels zusammen, wenngleich das Inanspruchnahmeabkommen keine Details zur praktischen Umsetzung vorgab. Vereinbart war lediglich, dass die zuständigen DDR-Organe entsprechend den Bedarfsmeldungen des Oberkommandos Leistungen zu erbringen hatten. In Ermangelung konkreter Abmachungen über Umfang und Form der Warenbereitstellung agierten die Betriebe und Behörden auf allen Leitungsebenen informell und akzidentiell, willkürlich und ohne Abstimmung mit den geltenden Wirtschaftsplänen. Eine Praxis, die in der Staatlichen Plankommission wie in deren Bezirks- und Kreisplankommissionen während vierzig Jahren zu fortwährendem Ärger führte. Gleichwohl beklagten sich die sowjetischen Streitkräfte immer wieder, dass die SPK unrechtmäßig Kürzungen einzelner Aufträge veranlasse und dass dringliche Aufträge dilatorisch behandelt würden. Hintergrund für diese Beschwerden war jedoch nicht eine mangelnde Zuverlässigkeit seitens der Plankommission, sondern vermeint-
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liche wie tatsächliche Kompetenzüberschreitungen auf beiden Seiten. So wurden zusätzlich zum Plan geäußerte Wünsche seitens der GSSD von kommunalen SPK-Mitarbeitern (vielfach ohne Rückversicherung mit der Zentrale) wegen »Schwierigkeiten bei der Planerfüllung« abgelehnt. Die erbosten Militärs wandten sich dann gewöhnlich an kommunale wie zentrale Parteiinstanzen, nicht selten an den Ministerpräsidenten Willy Stoph persönlich, von dem sie wussten, dass er die unbedingte Erfüllung aller sowjetischen Aufträge einfordern würde. Bezug nehmend auf diese für beide Seiten unbefriedigende Situation, äußerte das Oberkommando im Dezember 1960 den Wunsch, beim Staatsrat eine gesonderte Abteilung einzurichten, welche sämtliche sowjetische Militäraufträge bearbeiten und deren unmittelbare Realisierung anordnen sollte. Die SPK mitsamt ihrer Unterkommissionen, so die Klage der Militärs, entscheide viele Fragen nach sachlichen – nicht jedoch nach politischen Gesichtspunkten. Dies müsse fortan anders gehandhabt werden: Die jeweiligen Ersten Stellvertreter der Vorsitzenden der Kreis- beziehungsweise Bezirksräte sollten künftig für sämtliche Fragen der Versorgung rechenschaftspflichtig sein, denn diese würden unzweifelhaft nach ihrem politischen Pflichtgefühl handeln.63 – Und im Interesse des Mythenbonus der »Befreier«. Solches Entgegenkommen, argumentierte Wünsdorf, wäre nur recht und billig, schließlich käme man selbst ja auch manchen Sonderwünschen der deutschen Genossen entgegen. Etwa bei der Lieferung von Ersatzteilen, bei der Aushilfe mit Lastkraftwagen und bei Arbeitseinsätzen der Soldaten in DDRBetrieben.64 Am Ende dieses frühen Konfliktes zwischen sowjetischem Oberkommando und Staatlicher Plankommission konnte sich letztere dennoch behaupten, die Genehmigung und Kontrolle sämtlicher Warenlieferungen an die GSSD verblieben – vorerst – in ihrer Hand. Doch sollte dies nicht die letzte Auseinandersetzung der beiden Kontrahenten sein.
Musterhandel – Handelsmuster seit 1978 Erst mit einem Beschluss des Politbüros des ZK der SED Ende Januar 1978 wurden die Kompetenzen der SPK in Bezug auf die Belieferung der GSSD im Detail vereinbart, was fortan freilich auch die Bilanzierung aller Lieferungen zur Folge hatte.65 Bislang war es gängige Praxis gewesen, die sowjetischen Bedarfsträger aus Gründen der Geheimhaltung in den Verteilungsplänen der Bezirke auszusparen, vielmehr sollten deren Anforderungen aus der so genannten Planreserve gedeckt werden. Den Bezirksabteilungsleitern Handel und Versorgung war in regelmäßigen Abständen die Auflistung des Sonderbedarfs persönlich übergeben worden, wobei die Mitteilung höchst vertraulich zu behandeln und »stets im Panzerschrank aufzubewahren«66 war. Anhand dieser
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Lieferlisten waren dann interne Kreispläne aufgestellt worden, so dass jederzeit ausreichende Planreserven zur Deckung der Warenbedürfnisse der GSSD zur Verfügung standen. Mit dem Abkommen von 1978 wurde die Handelspraxis neu festgeschrieben: In Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten beider Vertragspartner übergaben die zuständigen deutschen Dienststellen dem Oberkommando der GSSD Warenkataloge, aus denen diese die gewünschten Erzeugnisse auswählen und als Militäraufträge ordern konnten. Auf Grundlage der genehmigten Kontingente erteilte die SPK dann so genannte Regierungsaufträge an die jeweiligen Betriebe. Für die Bereitstellung von Erzeugnissen der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft wurden auf der Grundlage der bestätigten Quartalspläne Waren direkt vom Erzeuger beziehungsweise aus dem Großhandel bezogen.67 Für alle Lieferungen galten die gesetzlich gültigen Industrieabgabe- sowie Großhandelspreise. Mit der Vereinbarung war ein wichtiges Ziel formuliert worden: die einheitliche Bilanzierung aller Leistungen für die GSSD innerhalb des Volkswirtschaftsplanes. Vor der Beschlussfassung des jährlichen Budgets hatten die SPK und das Finanzministerium Erich Honecker persönlich über alle vorgesehenen Handels-, Bau- und Sach- und Werkleistungen für die Streitkräfte zu informieren. Der SPK sollte es von nun an nicht nur obliegen, die erforderlichen Mittel und Waren bereitzustellen, sie hatte auch alle Leistungen außerhalb des Planes zu unterbinden. Letzteres gelang ihr jedoch zu keinem Zeitpunkt; gleich mehrere Faktoren verhinderten dies: die fortwährende Artikulation von Sonderwünschen der GSSD, die Differenzen zwischen materieller und finanzieller Planung, Schwarzarbeiten, der Überhang von Geldmitteln ohne materielle Gegenwerte, Kompetenzstreitigkeiten der involvierten Behörden und schließlich Vereinbarungen per Handschlag vor Ort. So gehörte es auch nach 1978 zur üblichen Praxis, dass die GSSD den eingeräumten Finanzfonds ohne weitere Rückfragen ständig überzog. Bis zu diesem Zeitpunkt bedurfte es in einem solchen Fall lediglich eines Sonderantrags, worauf die SPK unbürokratisch die Verfügbarkeit veranlasste. Mit dem neuen Bilanzierungsbeschluss war zwar die politische Maxime der hohen Flexibilität den »Freunden« gegenüber nicht außer Kraft gesetzt worden, doch wollte man sich auch nicht mehr auf deren Maximalforderung einlassen: Ein Versorgungsregime zu schaffen, in dem die Truppen nicht an irgendwelche staatlichen Plansummen gebunden waren, sondern sämtliche Dienstleistungen und Warenlieferungen nach ihren jeweiligen Bedürfnissen und nach ihrem Gutdünken regeln konnten.68
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VEB Spezialbau Potsdam Ein weiterer Sonderbereich, in dem solche Alleingänge zur alltäglichen Praxis gehörten, stellte der VEB Spezialbau Potsdam dar. Der Betrieb hatte sich aus Erfassungs- und Baukontoren sowie aus Sonderbaubüros gegründet, die gemäß Befehl Nr. 185 der SMAD vom 26. Juni 1946 zur Lösung von Besatzungsaufgaben in den damaligen Ländern der Sowjetzone geschaffen und zwischenzeitlich mehrfach umorganisiert worden waren. Im Jahr 1957 löste der VEB Spezialbau Potsdam die bisherigen, unkoordinierten Betriebe ab. Die Entwicklung eigener Baukapazitäten des Unternehmens sowie deren materielle und monetäre Absicherung erfolgten im Zusammenwirken mit der Staatlichen Plankommission und dem Finanzministerium der DDR. Der Spezialbau unterhielt eine Hauptdirektion in Potsdam-Rehbrücke sowie siebzehn Betriebsteile. Fünfzehn dieser Dependancen waren mit der Durchführung von Bauinvestitions- und Baureparaturaufgaben für die GSSD beauftragt, in einem Betriebsteil konzentrierten sich die Projektierungskräfte, in einem weiteren die Verantwortlichen für Versorgungsaufgaben. Der gesamte Personalbestand belief sich 1983 auf 4.380 Arbeiter und Angestellte.69 Der Spezialbau Potsdam war als Betrieb mit spezieller Produktion dem Ministerium für Bauwesen, Bereich Spezialbauwesen, unterstellt und hatte folgende Aufgaben zu bewerkstelligen: – Als Auftragvermittler im Dienst der GSSD war er verantwortlich für die Vorbereitung und Durchführung von Investitionen an militärischen Anlagen und im Wohnungsbau entsprechend den vom Vorsitzenden des Ministerrates der DDR gegenüber den Vorsitzenden der Räte der Bezirke erteilten speziellen Staatsauflagen. – Als Generalauftragnehmer war er zuständig für die Ausführung von Instandsetzungs- und Werterhaltungsmaßnahmen an Gebäuden und baulichen Anlagen der GSSD, für Ausbauarbeiten in Gebäuden, deren Rohbau in sowjetischer Eigenleistung erfolgt war, sowie für die Ausführung von Projektierungsleistungen zur Vorbereitung von Investitionsmaßnahmen, Wohnbauten und Baureparaturen. – Als Auftragnehmer beschaffte er die erforderlichen Baumaterialien, Ausrüstungen und Ausstattungen auf der Grundlage der mit den speziellen Staatsauflagen festgelegten Fondsanteile. – Zudem hatte er die Bauorgane der GSSD durch bautechnische Beratung und durch »Übermittlung fortgeschrittener wissenschaftlich-technischer Erfahrungen des Bauwesens der DDR« zu unterstützen.70 Was im Leistungskatalog des Spezialbaus so differenziert beschrieben stand, hatte – zumindest bis Ende der siebziger Jahre – mit der Alltagsrealität wenig
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gemein. Die Tätigkeit des Betriebes wurde oftmals nicht von sachlichen, sondern von personellen Begründungszusammenhängen bestimmt.
Konfrontationen um Kompetenzen Der Eklat begann mit einer Beratung beim Vorsitzenden der SPK am 1. Juli 1977: Anwesend waren neben dem Verantwortlichen des Militärbereiches auch der sowjetische Oberbefehlshaber, Jewgeni Iwanowski, mitsamt seinen Baubeauftragten. Der Armeegeneral informierte die Anwesenden gleich zu Anfang darüber, dass die Regierung der UdSSR festgelegt hatte, eine Summe von fünf Millionen Rubel für den Wohnungsbau der GSSD bereitzustellen. Die Häuser sollten in Teilen aus der Sowjetunion geliefert und in den kommenden drei Jahren durch Eigenleistungen der Streitkräfte an den einzelnen Standorten errichtet werden. Im Auftrag von Moskau bat Iwanowski nun, die Möglichkeiten zu prüfen, bis 1980 nicht weniger als fünfhundert Wohnungseinheiten aus dem Budget der DDR zusätzlich zum Plan zur Verfügung zu stellen; allein die Hälfte davon war für den Standort Nohra vorgesehen.71 In architektonischer Hinsicht, entschuldigte Iwanowski die Bitte, seien die angelieferten sowjetischen Plattenbauten nämlich nicht für jeden Standort geeignet, in den Städten würden sie wie Fremdkörper wirken. Hier wäre es wohl besser, deutsche Modelle zu bauen.72 Der Armeegeneral bat weiterhin, die durch die DDR jährlich veranschlagte Summe für Kommunalleistungen und Rekonstruktionen von Militärobjekten zu erhöhen. Die bereits genehmigten 65 Millionen Mark sollten noch im laufenden Jahr um vier bis fünf Millionen, in den darauffolgenden Jahren um zehn Millionen erhöht werden. Der Vorsitzende der SPK, Gerhard Schürer, machte gute Mine zum bösen Spiel und erklärte sich zunächst einmal bereit, die vorgetragenen Anfragen zu prüfen. Gleichzeitig informierte er die sowjetischen Partner darüber, dass die SPK trotz aufgetretener volkswirtschaftlicher Probleme, anders als in den übrigen Wirtschaftsbereichen, bislang davon ausgegangen sei, die im Fünfjahrplan von 1976 bis 1980 bestätigten Bauanteile der Streitkräfte in vollem Umfang realisieren zu können. Dies allerdings setzte seiner Meinung nach voraus, dass es zu keinen eigenmächtigen und kurzfristigen Erhöhungen der Leistungen kam.73 Die versprochene Prüfung zusätzlicher Forderungen im laufenden Haushaltsjahr zog sich einige Monate hin. Am 27. Dezember 1977 schrieb Schürer dem Oberkommandierenden, dass man sowohl mit den von sowjetischer Seite zu errichtenden eintausend als auch mit den durch deutsche Firmen zu bauenden fünfhundert Wohnungen einverstanden sei. Am 16. Januar 1978 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen der SPK und dem Oberkommando: Bei diesem Termin fehlten die obersten Chefs. Zu
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den Verhandlungen erschienen vielmehr der stellvertretende Vorsitzende der SPK und Leiter der dortigen Militärsektion, Generalmajor Dr. Friedrich Zeiler, und der Stellvertreter des Oberkommandierenden, verantwortlich für Truppenunterbringung und Bauwesen, Generalmajor Wladimir F. Kalin. Man besprach die Investvorhaben der kommenden Jahre, die auf Wunsch der GSSD bis 1980 jährlich 85 Millionen Mark, ab 1981 jährlich 90 Millionen Mark ausmachen sollten. Zeiler wies die Kollegen darauf hin, dass der Antrag für die bereitzustellenden Gelder bis Ende September 1978 eingereicht sein müsse.74 Gleichzeitig informierte er sie über neue Bilanzierungsregelungen. Knapp einen Monat später, am 13. Februar 1978, erklärte der Oberkommandierende der GSSD die zwischen den Stellvertretern getroffenen Absprachen bezüglich einer präziseren Planbarkeit für null und nichtig. Er teilte dem Vorsitzenden der SPK mit, dass die Streitkräfte neben den bereits genehmigten jährlichen siebzig Millionen Mark noch zusätzliche Bauleistungen zur Rekonstruktion von Flugplätzen wünschten. Für das laufende und das folgende Haushaltsjahr belaufe sich dieser Sonderposten auf insgesamt dreißig Millionen, für die nächste Planperiode jährlich auf zwanzig Millionen Mark extra. Zudem forderte er zum Ausbau von Reparaturbetrieben für technische Kampfmittel weitere sechzig Millionen Mark. Es sei wünschenswert, so der Oberkommandierende, »diese Mittel in den Jahren 1979–1982 zu gleichen Teilen von 15 Millionen jährlich einzusetzen«. Alles Weitere würde sein Stellvertreter für Baufragen mündlich mit SPK-Chef Schürer besprechen.75 Der für den Militärbereich eigentlich verantwortliche Stellvertreter Friedrich Zeiler wurde wissentlich übergangen. Der als unbestechlich geltende Fachmann galt den Sowjets als Störenfried und sollte in künftige Projekte nicht mehr einbezogen werden. Was war geschehen? Es stellte sich heraus, dass die sowjetischen Genossen Zeilers offene Worte zu den neuen Planverfahren übel genommen hatten. In der besagten JanuarZusammenkunft hatte der Baubeauftragte der GSSD und der Kommandeur der Luftstreitkräfte kurzfristig 1,2 Millionen Mark für die Einrichtung einer Baustelle auf dem Flugplatz Parchim gefordert. Statt der erwarteten Zustimmung aber »erhielten die Genossen […] keine Antwort, sondern wurden in einem zirka einstündigen Vortrag über Planungsgrundlagen belehrt.«76 Die sowjetischen Genossen empfanden dies als Bevormundung und wandten sich umgehend an einen Vertrauten, an den Hauptdirektor des VEB Spezialbau, der seinerseits das Ministerium für Staatssicherheit informierte. Der Kommandeur der Luftstreitkräfte habe, so der Spezialbau-Chef, unter anderem geäußert, »daß ihm seine Zeit zu kostbar sei, sich als Truppenkommandeur eine Lektion über Planungsgrundlagen vom Genossen Dr. Zeiler anzuhören«. Er lehne es ab, mit diesem noch weiter zu verhandeln, vielmehr werde er mit seiner Bitte an SPK-Chef Schürer herantreten. Überhaupt habe man den Eindruck, Zeiler wolle »den Warschauer Vertrag untergraben«.77
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In der erwähnten Sitzung hatte sich Zeiler dem Stellvertreter für Bauwesen der GSSD gegenüber tatsächlich im Klartext geäußert: Er lehnte die Bitte um Zusatzgelder für den Flugplatz ab und verwies darauf, »daß die Regierungsstellen der DDR nicht mehr länger zusehen werden, wenn einerseits der Plan nicht erfüllt würde, andererseits aber an verschiedenen Stellen Bauwerke entstehen würden, die nicht Bestandteil des Staatsplanes« seien.78 Am 14. Februar 1978 wies der Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit den Leiter seiner Hauptabteilung XVIII (Volkswirtschaft) an, eine konspirative Überprüfung in Sachen Dr. Zeiler einzuleiten. Zwei Wochen später ging dem Auftraggeber ein entsprechender Bericht zu: Dieser bestätigte zunächst einmal den vom Hauptdirektor des VEB Spezialbau erhobenen Vorwurf, dass es im Zusammenwirken mit einigen leitenden Generälen der GSSD »Komplikationen« gegeben habe. Über die Gründe indes war der Untersuchungsleiter der Staatssicherheit anderer Ansicht. Grundlegend für die vorangegangenen Irritationen war seiner Meinung nach die Tatsache, dass die Kapazitäten des VEB Spezialbau Potsdam bisher nie in die volkswirtschaftliche Bilanzierung einbezogen worden waren. Aus diesem Grund konnte auch niemals eine exakte Abrechnung und Kontrolle des Betriebes nach Kennziffern der volkswirtschaftlichen Gesamtplanung stattfinden. Bisherige zusätzliche Mittel wurden regelmäßig für Vorhaben außerhalb des Plans und zum Teil für »Bauten mit undurchsichtigem Verwendungszweck [Einfamilienhäuser!]« verausgabt.79 Dem Spezialbau stand ein jährliches Volumen von einhundert Millionen Mark zur Verfügung, wovon 63 Millionen für die GSSD verausgabt wurden. Hinzu kamen jährlich vierzig Millionen Mark Reparaturleistungen aus den Fonds der Bezirksplankommissionen. Zusatzleistungen wurden in der Regel organisiert, indem Spezialbau von anderen Baukombinaten der DDR Kapazitäten abzog. Der Potsdamer VEB revanchierte sich bei den betreffenden Firmen mit Materiallieferungen und Ausrüstungsgegenständen, die diesen wiederum fehlten. – Ein Tauschhandel zum zumeist beiderseitigen Vorteil.80 Zum Eklat zwischen der SPK und dem Oberkommando war es erst mit der 1978 reformierten Planpraxis für den Sonderbedarf der GSSD gekommen. Die Januarberatung hatte Zeiler zum Anlass genommen, den sowjetischen Kollegen die neuen Verfahren zu erläutern, wobei auf der Hand lag, weshalb sich diese gegen die Neuerungen zur Wehr setzten. Ihrem Auftrag gemäß gingen sie »vorrangig vom Standpunkt der Truppenführung« und damit von hoher Flexibilität aus, zeigten jedoch »kaum Verständnis für die Verantwortung der SPK […] für die Bilanzierung des Bedarfs der GSSD und die Abstimmung mit anderen notwendigen Verteidigungsausgaben«. Zeiler könne, so der Abschlussbericht des MfS, keine unnötige Intransigenz angelastet werden, vielmehr habe er »den Freunden« oft in eigener Verantwortung geholfen. Doch sei auch er nicht mehr umhin gekommen, die unverhältnismäßigen Reserve-
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Volumina des Spezialbaus wahrzunehmen und sich »in diesem Zusammenhang gegenüber zusätzlichen Forderungen etwas prinzipieller zu verhalten« als in den Jahren zuvor. Zeiler jedenfalls, zu diesem Ergebnis kam der Bericht, treffe an dem Vorfall keine Schuld, auch sei ihm zu keinem Zeitpunkt »eine Unterschätzung der Aufgaben im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag anzulasten«.81 Nachdem Zeiler rehabilitiert war, richtete die Staatssicherheit ihr Augenmerk auf den Strippenzieher im Ränkespiel, auf den Hauptdirektor des VEB Spezialbau Potsdam. Es sei erstaunlich, weshalb dieser versuche, die »Anwendung der Planmethodik auf den Sonderbedarf der GSSD« mit solcher Vehemenz zu unterlaufen. Stattdessen nutze er seine persönlichen Kontakte zum Stellvertreter für Bauwesen der GSSD, um gemeinsam mit diesem den Bedarf abzustimmen, bevor dieser bei der SPK angemeldet wurde. Auf diese Weise sei es möglich, einen Teil der Kapazitäten des VEB Spezialbau der volkswirtschaftlichen Bilanzierung vorzuenthalten, also weiterhin so zu arbeiten, wie es vor der Neuregelung 1978 der Fall war. Der Bericht endete mit begründeten Spekulationen: Der Spezialbau-Direktor unterhalte enge Beziehungen zu hohen Militärs und arbeite mit diesen »nicht immer auf Basis von Verträgen« zusammen. So hätten auch dessen eigene Interessen eine Rolle gespielt: »ein Wohnhaus, das sich im Besitz des Spezialbaus befand, soll beispielsweise zu Lasten von vier Wohnungseinheiten der GSSD aus Fonds des Staates gebaut und finanziert worden sein«.82
Problemhorizonte der Zusammenarbeit Trotz fortwährender Beschwerden seitens der GSSD wegen nicht erfüllter Forderungen blieb die Verantwortung weiterhin bei der Arbeitsgruppe Militärbereich der SPK, mithin bei Friedrich Zeiler, eine Entscheidung des Politbüros vom 31. Januar 1978 bestätigte dessen Zuständigkeit.83 Bei der Plandurchführung und Kontrolle staatlicher Auflagen wurden nun folgende Neuerungen eingeführt: Die Abrechnung von Leistungen für die GSSD erfolgte künftig im Rahmen der Gesamtabrechnung des Ministeriums für Bauwesen nach Monaten und für den Jahresplan. Zudem hatten sämtliche Betriebe die ordnungsgemäße Verwendung der bereitgestellten finanziellen Fonds gegenüber dem Ministerium für Finanzen unter Beweis zu stellen.84 Auch der VEB Spezialbau sollte künftig seine Rentabilität nachweisen, allerdings blieb diese Festlegung bis zum Ende der DDR ein bloßer Entwurf. Trotz weitgehender zentraler Lenkungsmaßnahmen gestalteten sich gemeinsame Bauprojekte ausgesprochen schwierig: – So stimmten die vom Oberkommando an die Räte der Bezirke übergebenen Leistungsanforderungen häufig nicht mit den von der SPK übermittelten
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Plänen überein, in der Regel lagen die von den Streitkräften geforderten Mittel wesentlich höher. – Zudem wurden Termine zur Einreichung der Objektlisten zwecks Bilanzierung nicht eingehalten, so dass seitens der SPK und der Bezirke kaum langfristig geplant werden konnte. – Nicht selten kam es vor, dass während laufender Baumaßnahmen Leistungen erhöht werden mussten, weil die sowjetischen Ingenieure die Baupreise der DDR respektive notwendige Arbeiten nicht einkalkuliert hatten. Immer wieder bemühten sich die verantwortlichen Bezirksbauämter und Bezirksplankommissionen um Absprachen mit Mitarbeitern des Spezialbaus sowie mit den zuständigen Kommandeuren vor Ort – vereinbarte Termine aber wurden von jenen häufig nicht wahr- beziehungsweise ernst genommen.85 Problematisch gestalteten sich nicht nur gemeinsame Bauvorhaben, auch von der GSSD in Eigenleistung errichtete Gebäude ließen manches kommunale Amt verzweifeln. Im Inanspruchnahmeabkommen war festgelegt worden, dass jedes Neubauvorhaben der Streitkräfte in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen der DDR und mit Zustimmung der zuständigen Organe zu erfolgen hatte. Sofern solche Neubauten Bestandteil des Plans waren und durch Leistungen deutscher Baubetriebe oder des VEB Spezialbau ausgeführt wurden, war dies kompatibel mit geltendem DDR-Recht. Doch hielt es die sowjetische Seite häufig nicht für nötig, deutsche Bauaufsichtsbehörden über in Eigenleistung errichtete Neubauten zu informieren. Immer wieder kam es dazu, dass Bauarbeiten an den verschiedenen Standorten der GSSD ohne Genehmigung in Angriff genommen wurden, dass Einheiten ganze Gebäudekomplexe errichteten, ohne dass die zuständige kommunale Behörde darüber Bescheid wusste. Häufig waren es Bürger, die solche Aktivitäten auf die Tagesordnung brachten. Diese erkundigten sich dann gewöhnlich besorgt bei der Kommune, ob es denn rechtens sei, dass vor ihrem Grundstück »über Nacht« eine Garage, ein kleiner Schießplatz oder auch ein Mülldepot aus dem Boden gestampft worden war. Die Kommunalpolitiker wandten sich daraufhin in der Regel an die zuständige SPK oder an das Ministerium für Bauwesen, doch konnten auch diese Stellen zumeist keine Auskünfte geben. So wurde an einem Flugplatz in der Nähe von Dresden, in direkter Nachbarschaft zu einem Tanklager(!), ein behelfsmäßiges Depot für Artilleriemunition angelegt und genutzt. An anderen Orten entstanden in Landschaftsschutzgebieten illegal Schießplätze für die Luftstreitkräfte. Sobald sich die zuständigen Kreis- und Bezirksbehörden einschalteten, zeigten sich die verantwortlichen Offiziere verbal bereit, die deutschen Normen für Umweltschutz und für technische Sicherheit einzuhalten. Gerne bekräftigten sie dann, alle verantwortlichen Kommandeure der Garnisonen dazu anzuhalten, derartige Investitionen vor Baubeginn mit den zuständigen Instanzen abzustimmen und die notwen-
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digen Genehmigungen einzuholen. Doch auch drei Jahrzehnte nach der Unterzeichnung des Stationierungsabkommens waren solche Eigenmächtigkeiten Normalität.86 Gravierende Probleme brachte auch die jahrzehntelange Vernachlässigung der Militärobjekte, vor allem der Unterkünfte, mit sich: Nach Kriegsende waren bei intensivster Nutzung kaum Mittel zur Unterhaltung der Bausubstanz aufgewendet worden, was bereits in den fünfziger Jahren eklatante Verschleißerscheinungen zur Folge hatte. Bis zum Inanspruchnahmeabkommen blieb die Verantwortung für die Gebäude ungeklärt. Zwar differierte der Grad des Zerfalls je nach Einheit und Befehlshaber, am allgemeinen Zustand fortschreitender Verwahrlosung änderte dies indes wenig. Im Abkommen von 1957 war festgelegt worden, dass die zur Verfügung gestellten Liegenschaften unentgeltlich genutzt werden konnten. Die Kosten für die Generalreparaturen und für laufende Instandsetzungen waren von der GSSD zu tragen. Tatsächlich kamen die sowjetischen Streitkräfte ihren vereinbarten Verpflichtungen in keiner Weise nach. Bezogen auf die Wohnsubstanz beispielsweise unterließen sie es über Jahrzehnte, Gelder zu investieren. Erst auf beharrliches Drängen deutscher Instanzen gab die GSSD im Jahr 1988 eine einmalige Summe von 18 Millionen Mark zur Renovierung von Wohnungen aus, ein Tropfen auf dem mittlerweile siedend heißen Stein.87 Die zuständigen Kommandeure gingen einen weit bequemeren Weg: Sie wandten sich an die Räte der Bezirke und Kreise, baten sie um die notwendigen Reparaturen und erreichten in den meisten Fällen ihr Ziel, obgleich den Verantwortlichen laut Weisung des Vorsitzenden des Ministerrates vom 21. April 1978 eigentlich die Hände für solche ungeplanten und nicht genehmigten Maßnahmen gebunden waren. Abmachungen per Handschlag Die alltägliche Zusammenarbeit von Truppenteilen mit den örtlichen Behörden lief weiterhin an der Staatlichen Kontrollkommission vorbei. Für viele Maßnahmen vor Ort bedurfte es nach Meinung der unmittelbar Beteiligten keines Antrags nach ganz oben, solche Kleinigkeiten regelte man unter sich – durchaus zum beiderseitigen Vorteil: Man kannte sich seit Jahren, hatte immer mal wieder miteinander gefeiert, kurz, man vertraute einander.88 In den siebziger und achtziger Jahren kam ich in meiner Funktion als Investbauleiter immer wieder mit Russen zusammen. Beispielsweise habe ich Anfang der achtziger Jahre für die Sowjetische Armee in Rothenstein eine Kranbahnanlage für die Simulation von Luftangriffen gebaut. Die Idee kam von den Russen selbst. Eines schönen Tages musste ich zum Betriebsdirektor hoch. Im Büro des Direktors saßen auch die sowjetischen Kommandeure – da wurde immer ein bisschen gefeiert. Ich erhielt den
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Auftrag: ›Genosse Schramm, Du fährst jetzt mit den Genossen mit.‹ Wir sind dann nach Rothenstein gefahren. Dort unterhielten die Russen ein Panzerübungsgelände. Zu den Panzereinheiten gehörte immer eine Kompanie Infanterie, die in der Luft abgesetzt wurde und die Bodenziele hinter den Panzern bekämpften – so hatten sie es uns erklärt. Da die Russen solche Übungen nicht immer mit Hubschraubern oder Flugzeugen machen wollten, benötigten sie eine spezielle Anlage, mit der es ihnen möglich war, von oben nach unten zu schießen. Also hieß es: ›Hier Ihr Büromaschinenwerker – ran!‹ Ein Offizier hatte die Zeichnung einer solchen Anlage gleich dabei. An diesem Tag also fand die erste Ortsbesichtigung statt, wir schritten das etwa 200 Meter große Gelände ab und ich dachte: ›Mensch, wie machen wir das nur?‹ Es stand außer Frage, den Auftrag abzulehnen. Nach der Besichtigung gab es aus der Feldküche noch etwas zu Essen und dann ging es mit dem Jeep nach Weimar. Nun stand ich mit dem Problem alleine da. Ich bin zum Förderanlagenbau nach Leipzig gefahren, die große Kräne herstellten, und habe mich mit Spezialisten beraten. Die haben gesagt: ›Alles Reden macht keinen Sinn, Du musst in die Tschechoslowakei. Wenn Du Personenbeförderung machen willst, dann bist Du hier falsch. Wir machen das nicht mehr, das ist zentral in die Tschechoslowakei verlagert worden.‹ Eines schönen Abends haben mich meine Kinder überredet, alte Urlaubsdias anzuschauen. Ich habe die Dias durchgeschoben und da waren Bilder vom Granitsteinbruch in Demitz-Thumitz in der Oberlausitz dabei. Eine Kranbahn überspannte diese Gruben und holte von unten die tonnenschweren Granitsteine hoch. Da kam mir die Idee! Ich bin mit dem Vorschlag zum Betriebsdirektor gegangen und der hat gesagt: ›Du kriegst meinen Fahrer und mein Auto und dann fährst Du los.‹ Also bin ich in die Oberlausitz gefahren, zu den Demitzer Granitsteinbrüchen. Dort kannte ich von früher noch den technischen Direktor. Ich habe ihm die Situation geschildert, er hat eingewilligt und dann haben wir den Preis aushandelt. Die Anlage – mitten im Wald gelegen und inzwischen stillgelegt – kostete zu diesem Zeitpunkt noch 50.000 Mark. Wir mussten nur die Konstruktion demontieren und nach Rothenstein bringen. Ich bin wieder zum Kommandeur nach Weimar und habe ihm vorgeschlagen, die Kräne mit dem Hubschrauber nach Rothenstein zu fliegen. Aber das hat der Kommandeur abgelehnt. Das waren 300 Kilometer und ein Hubschrauber mit so einer Last dran…, das ging nicht! Wir mussten die Anlage also komplett zerlegen! Vom Betriebsdirektor bekam ich für die Demontage acht Mann mit Fahrzeug, mit Werkzeug und Gerätschaften zugeteilt. […]. Die 27 Meter hohen Kräne haben wir abgebaut und auf LKWs verladen; Maschinenhaus, Seile, Seilbahnen, alles haben wir mitgenommen und nach Rothenstein gefahren. Dort begann dann die Montage der Anlage. Ich fuhr erneut zum Kommandeur, denn die sowjetischen Soldaten sollten die Fundamente ausheben. Es hieß: ›Jawohl, das machen wir, wir haben die Technik.‹ Doch der Bagger ging immer kaputt. Also das war typisch russisch, diese Liederlichkeiten, diese Faulheit! Also, sie hatten die Steckverbindungen in den Autos überbrückt; einfach die Kabel blank gemacht, die Enden verbunden und verknotet… Furchtbar dieser Umgang mit dem Material! Es ging also nicht richtig voran. Aber ich hatte ja einen Termin. Den hatte mein Chef beziehungsweise der Erste Kreissekretär der SED mit den Russen ausgehandelt. Das war wie beim Volkswirtschaftsplan: Am 1. Mai geht die Anlage in Betrieb! Die Technik funktionierte nicht, also kamen die Handschachter, die mussten nun die Fundamente ausschachten. Der Fertigstellungstermin rückte näher. […] Am 1. Mai war dann tatsächlich die Einweihung der Anlage. Der oberste Divisionskommandeur
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vom Stab Nohra und der Erste Kreissekretär der SED waren gekommen. Jeder durfte einmal hoch und runter fahren, sie haben sich gefreut wie die Kinder. Ach war das schön! Natürlich hatten die Russen in ihrem Casino auch eine Tafel aufgebaut und dort wurde die Fertigstellung der Anlage gefeiert. (…) Solch ein Projekt war für mich selbstverständlich. Ich hatte schließlich einen Auftrag von meinem Betriebsdirektor und der hätte mir den Auftrag nicht gegeben, wenn das nicht zu unserem Vorteil gewesen wäre. Das haben auch viele andere Betriebe gemacht. Es gab einen Ware-gegenWare-Austausch zwischen den Betrieben und der Sowjetischen Armee und zwar im gegenseitigen Interesse. Man war doch aufeinander angewiesen. Die Betriebe waren zum Beispiel verpflichtet, bei Bauvorhaben bestimmte Eigenleistungen zu erbringen. Dann haben wir eben mit den Kommandeuren verhandelt, ob sie uns einige Soldaten als Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Die Deutschen waren nicht dumm und die Russen waren ja auch nicht dumm. Man hat die erbrachten Leistungen mit einem so genannten Extrakonto verbucht. Wenn die Russen mit einer Kompanie, also mit vierzig Mann, kamen, wurde das leistungsmäßig erfasst und der Armee gut geschrieben. Dafür mussten wir wieder andere Leistungen entgegenbringen, wie etwa in Rothenstein. Bei der Planverteidigung wurden die damit verbundenen Ausgaben als Sonderkonto sanktioniert. Außerdem haben wir solche Sachen auch nicht groß breit getreten. […] Sowjetische Arbeitskräfte kamen in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu uns. Wenn wir das Bedürfnis hatten, dann stellten wir das an die Kommandantur durch. Es gab einen Beauftragten im Betrieb, der den Kontakt zur Sowjetischen Armee in Weimar und Jena hielt; über den lief alles. Das war ordnungsgemäß geregelt. Wir bekamen dann die Order: ›An diesem Tag kommen vierzig Soldaten von der Sowjetischen Armee zum Arbeiten auf die Baustelle.‹ Die Küche wurde auch benachrichtigt, sodass die Soldaten mit versorgt wurden. Das war alles geregelt. Die Russen bekamen ihr Handwerkszeug und begannen zu schachten.89
Obskure Wirtschaftsweisen Schattenwirtschaften Ähnlich wie im Baugewerbe funktionierte die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit auch in anderen Versorgungsbereichen. Die illegale Distribution staatlicher Produktion war in beiden sozialistischen Gesellschaften etabliert, ein Fakt, der nicht zuletzt die Beschäftigten im Handel betraf, die durch Zurückbehalten oder gezielte Verknappung einen »schwarzen« Mehrwert abschöpften. Betriebe nutzten Tauschmedien wie Vieh oder Baumaterial, um dringend benötigte Ersatzteile und Zubehör zu bekommen. Die Umgehung der planmäßigen Verteilung wurde von den staatlichen Planungs- und Kontrollinstanzen in Teilen geduldet, diente sie doch der Verbesserung der Mikroabstimmung zwischen den Betrieben. Es war offensichtlich, dass diese Art Schattenwirtschaft eine Reaktion auf die andauernden planwirtschaftlichen Unzulänglichkeiten darstellte, beide Systeme waren wechselseitig miteinander verbunden.
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Die Offiziere der stationierten Einheiten stützten sich bei ihren Praktiken also auf ein vertrautes, in der Heimat ebenfalls etabliertes Schattensystem wirtschaftlichen Handelns, das in modifizierter Form auch im Wirtschaftsalltag der DDR existierte.90 Mit dem stetigen Rückgang der Wachstumsraten des sowjetischen Nationaleinkommens seit Ende der sechziger Jahre hatte sich innerhalb der Gesellschaft die Ansicht durchgesetzt, dass »tragende Elemente der Wirtschaftspolitik und des ökonomischen Mechanismus erschöpft seien«, dass »Funktionsdefekte und Steuerungsdefizite« des zentral-wirtschaftlichen Plansystems vielmehr durch »informelle Wirtschaftsaktivitäten« kompensiert werden müssten.91 Parallel zur offiziellen Planwirtschaft entwickelte sich auch in der DDR ein System der »Verhandlungswirtschaft auf Gegenseitigkeit«, mit dem Effekt, dass die zentralen Stellen immer weniger von den realen Möglichkeiten und Ressourcen der ihnen zugeordneten Betriebe wussten. Weil sie aber zumindest ein Mindestmaß ihrer Funktionen erfüllen mussten, gingen sie offen oder versteckt zu Verhandlungen auf Gegenseitigkeit zwischen Behörden und Betrieben über. Auf diese Weise erteilten die oberen Instanzen nicht einfach Befehle an die unteren (wobei es eine solche Form auch gab), sondern begannen in eine Art von Dialog einzutreten, der beiderseits zu zufrieden stellenden Vereinbarungen führte. Im Zuge solcher Verhandlungen operierte jede Seite mit den spezifischen potentiellen Werten und Ressourcen, über die sie verfügte.92 In Bezug auf die Verteilung entwickelte sich neben einer vertikalen Regulation auch eine horizontale zwischen Betrieben und Einrichtungen. Obwohl die vom Staatlichen Plankomitee und den Fachministerien zugewiesenen Mittel und Materialien trotz aller »Verhandlungswirtschaft« nur in den seltensten Fällen mit dem tatsächlichen Bedarf der Betriebe übereinstimmten, nahmen sie jede Zuteilung an, auch wenn sie selbst dafür keine Verwendung hatten. Auf diese Weise legten sie sich Vorräte zu, um sie bei anderen Betrieben gegen fehlende Mittel einzutauschen. Es entstand ein »schwarzer« Markt, dessen Aufgabe es war, die Schwächen des zentralisierten Versorgungssystems zu kompensieren. Die Tatsache, dass die Schattenwirtschaft geltende Gesetze und Verträge verletzte, entschuldigte man gewöhnlich mit dem Hinweis, dass ein optimales Funktionieren der Wirtschaft nur auf diese Weise erreicht werden könne. Noch ein zweiter Aspekt spielte bei der Durchsetzung dieser flächendeckenden Schattenwirtschaft eine Rolle: das etablierte System personeller Versorgungsnetzwerke. Es stützte sich auf persönliche Kontakte und individuell zur Verfügung stehende Privilegien (öffentliche Ämter und den mit ihnen verbundenen Zugängen zu Ressourcen) mit dem Ziel, knappe Güter zu reklamieren. Vor dem Hintergrund staatlichen Eigentums, zentral-administrativer Lenkung und einer kommunistischen Ideologie, nach der sich die Individuen mit den Zielen ihres Staates oder ihres Betriebes identifizieren sollten, verschwammen die Grenzen zwischen persönlicher Bereicherung und gesellschaftlichem Handeln schnell. Indem das System auch weniger Bevorteilten Zugang zu begehrten Gütern und
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Diensten ermöglichte, diese also quasi neu verteilte, bedeuteten diese schwarzen Aktivitäten letztlich sogar eine Form der Einlösung des Gleichheits-Postulates. Sie waren also ökonomisch und moralisch eine Bedingung für den Fortbestand der sozialistischen Gesellschaft – und höhlten diese gleichzeitig aus.93
Kontroversen im Konsum Mit dem Beschluss des Politbüros zur »Gewährleistung der einheitlichen Bilanzierung aller Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes« vom 28. Januar 1986 wurde wieder einmal mit Nachdruck angemahnt, dass sämtlicher von der GSSD gemeldete Bedarf zu bilanzieren sei. Ähnlich wie im Bausektor sollte auch bei der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen eine höhere Präzision sowie die Übereinstimmung zwischen materieller und finanzieller Planung gewährleistet werden. Einer von vielen Gründen für den neuerlichen Versuch einer gesetzlichen Festschreibung war die spürbare Diskrepanz zwischen offenkundigen Versorgungsengpässen in der DDR einerseits und dem Warenüberfluss in den Russenmagazinen andererseits. Als Zeichen dafür stand der fortwährende ambulante Handel der GSSD auf öffentlichen Plätzen und Märkten der Republik. Die anfängliche Begeisterung der Bevölkerung über die dort angebotenen Mangelwaren hielt nicht an. Hatten die Bürger noch in den frühen siebziger Jahren die Meinung vertreten, die sporadischen Abverkäufe wären für sie selbst ein willkommener Zugewinn, verkehrte sich diese Einschätzung mit der Verschlechterung der Versorgungslandschaft Anfang der achtziger Jahre in ihr Gegenteil. Man verstand nicht, weshalb die Truppen über üppige Warensortimente verfügten, während die eigenen Verkaufsregale vergleichsweise leer blieben.94 Aus Sicht der Regierung verband sich mit den illegalen Abverkäufen auch ein großes ökonomisches Problem: Die sowjetischen Dienststellen erhielten diese Waren zum Großhandelspreis, verkauften sie aber zum Ladenverkaufspreis. Der Gewinn aus der Einzelhandelstätigkeit floss in die eigenen Kassen, weshalb sich die sowjetischen Handelsunternehmen an einer guten Umsatzentwicklung sehr interessiert zeigten. Immer wieder machten sie sich für eine Erweiterung des Verkaufsnetzes im öffentlichen Raum stark. Durch die so erwirtschafteten Erträge waren sie dann wiederum in der Lage, zusätzliche Bauund andere Leistungen anzufordern und zu bezahlen, die jedoch durch den Volkswirtschaftsplan nicht abgedeckt waren und die wiederum zu Lasten der allgemeinen Versorgung der Bevölkerung gingen. Über den öffentlich ausgestellten Warenüberfluss in den Sowjetläden hinaus ärgerten sich die Leute zunehmend über Hamsterkäufe seitens der Offiziersfrauen in deutschen Verkaufslokalen. Nicht etwa, weil ihnen deren aggressives Einkaufsverhalten fremd gewesen wäre, sondern weil sie in ihnen
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ihre unwillkommenen Meisterinnen gefunden hatten. DDR-Bürger reagierten auf die Herausforderungen des Einkaufens, ähnlich wie ihre Konkurrentinnen, mit für Mangelgesellschaften typischen Strategien: Zu ihnen gehörten neben einer kollektiven Verständigung über die Mängel der und über den Mangel an Waren auch die Sofortinformation über aktuelle Angebote. Die daraus resultierenden individuellen Praxen des Warenerwerbs waren systemkonforme Anpassungen wie »Schlangestehen«, »Herumrennen und Suchen« sowie »Vordrängeln«, aber auch nonkonforme wie »Stehlen«, »Verschieben und Schmuggeln«, »Horten und Hamstern«, »Beziehungen« spielen lassen sowie »Korruption und Bestechung«.95 Die Kultur des Einkaufens erwies sich daher nicht nur als eine dominant diskursive, sie zeigte die potentiellen Käufer überdies als höchst wendige und kreative Akteure. Die defizitäre Warenproduktion wie -distribution brachte informierte und flexible Käufer hervor: Nachrichten über gegenwärtige wie zukünftige Zuteilungen mussten präzise erworben sowie Tausch-Mittel und Umwege ausfindig gemacht werden, um in den Besitz begehrter Produkte zu kommen. Insofern beklagten einheimische Konsumjäger kaum die Einkaufstaktiken der Offiziersfrauen als solche, sondern vielmehr, dass die Fremden zuweilen weitaus erfolgreicher agierten als sie selbst. Vor allem seit den achtziger Jahren waren Beschwerden über Ungerechtigkeiten beim Abverkauf an sowjetische Bürgerinnen an der Tagesordnung. Vorwiegend handelte es sich hierbei um Kinderbekleidung, Schuh- und Spielwaren sowie selten erhältliche Lebensmittel. Dabei wurde nicht nur über das Einkaufsverhalten der »Russenfrauen« debattiert, sondern auch über deren Umgang mit den Waren. Nach Meinung der Einheimischen ignorierten diese die Hinweise und Gebote des Verkaufspersonals und setzten ihre Interessen auf bisweilen unorthodoxe Weise durch. In Ausnahmefällen kam es sogar zu Handgreiflichkeiten. Vor allem in kleineren Ortschaften wie Nohra konnten solche Besorgungen en masse schnell zu großen sozialen Problemen führen: Der Dorf-Konsum wurde nach Plan mit Waren für fünfhundert Einwohner beliefert, tatsächlich lag er inmitten des konsumtiven Einzugsbereichs von vielen Tausenden potentieller Kunden. Mancherorts wuchsen sich die Konkurrenzen und Konfrontationen im Konsum zu geradezu existenziellen Krisen aus, so dass sich örtliche Funktionäre sogar dazu durchrangen, Aussprachen mit sowjetischen Militärs zu organisieren. So kam es am 12. November 1987, anlässlich des 70. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, in Dresden zu einem solchen Gespräch am Runden Tisch. Hierzu hatte der Vorsitzende des Kulturbundes Vertreter von Staats- und Parteiorganen sowie Offiziere mehrerer Dresdener Einheiten eingeladen. Von sowjetischer Seite erschienen der Standortkommandant, einer seiner Stellvertreter, der Komsomol-Sekretär sowie zwei Lehrerinnen der sowjetischen Mittelschule. Es dauerte nicht lange, und der Kulturbundchef kam zur
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Sache: Es habe in der Vergangenheit Vorkommnisse gegeben, die die beiderseitige Freundschaft mitunter kompliziert gestalteten. Diese Differenzen sollten nun offen auf den Tisch gelegt und diskutiert werden, schließlich würde man im Freundesland neuerdings ja auch recht offen sprechen. Gleich die erste Wortmeldung befasste sich mit dem Hauptthema des Abends – dem Einkaufsverhalten der Offiziersfrauen. Den Anfang machte die Abgeordnete des Demokratischen Frauenbundes. Sie berichtete von den langen Schlangen vor den Läden. Besonders vor den Bekleidungsgeschäften würden zu jeder Tageszeit sowjetische Frauen auf der Jagd nach Mangelwaren anstehen. Die eigenen Frauen, meinte die Politikerin, sähen die »deutsch-sowjetische Freundschaft oftmals anders, da sie tagsüber arbeiten müßten und nach Feierabend die Schlangen vor den Geschäften sähen, wenn sie selbst einkaufen wollten.« Der Kommandant fragte daraufhin, welche Vorschläge man zur Veränderung habe. Die Antwort kam prompt: Die Kommandeure der Einheiten sollten doch künftig dafür Sorge tragen, dass sowjetische Kundinnen nur noch vormittags einkaufen gingen und nachmittags nur Einheimische. Der Offizier zeigte sich verärgert und meinte, dass dies nur dann möglich sei, wenn er die Frauen einsperre. Empört verließ er mit seiner Entourage den Saal. Ein anwesender Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit sinnierte in seinem Bericht: »Wenn ich das Rundtischgespräch werten sollte, müßte ich einschätzen, daß die Versorgungsfragen und die Schlangen vor den Geschäften ein Maßstab für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft sind und das Verhältnis verbessert wird, wenn die sowjetischen Frauen vormittags einkaufen gingen.«96 Er hatte wohl Recht. Seit Mitte der achtziger Jahre traten auch in Weimar verstärkt Reaktionen zum Kaufverhalten der Ehefrauen von Angehörigen der GSSD auf. Diese kauften, so lautete die fortwährende Klage, nicht nach Größen, sondern nach Mengen, wobei vorrangig begehrte Exportwaren wie Kinder-, Damen- und Herrenbekleidung sowie Schuhe aller Größen erworben wurden. Immer öfter forderte die deutsche Kundschaft, die Fremden mögen ihren Bedarf in den eigenen Geschäften decken, in diesen Einrichtungen gäbe es ohnehin alles. Unverständnis zeigte sie auch über die Ausmaße der Einkäufe. Es sei unmöglich, dass die erworbenen Waren nur für den Eigenbedarf bestimmt seien, vielmehr würden sie wohl in die Sowjetunion verbracht und dort gewinnbringend verkauft. Die Verkäuferinnen beschwerten sich immer wieder bei ihren Vorgesetzten, doch diese zögerten, eigens Handlungsanweisungen für Sowjetkunden zu erlassen, weshalb das Personal mitunter zur Eigeninitiative überging: »Ich führe eine Strichliste, wo ich festhalte, an welchem Tag wie viele Freunde Kinderschuhe kaufen. Damit kann ich der HO-Leitung beweisen, daß durch Angehörige der Sowjetarmee in letzter Zeit verstärkt Einkäufe getätigt werden.«97 Immer häufiger kam es zu Äußerungen wie: »Da gibt es schon mal was, da kaufen die Russen alles weg.« Oder: »Die haben Zeit zum Anstehen und Einkaufen, weil sie nicht arbeiten.« Oder: »Wir dürfen in ihren Kasernen, wo es alles gibt, nicht
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einkaufen, aber bei uns nehmen sie alles mit.« »Wenn das nicht unterbunden wird, bekommt der normale Arbeiter bei uns nichts mehr.« Schließlich stand die Frage im Raum: »Wo haben die Russen überhaupt das viele Geld her?«98
Einkauf bei den »Freunden« Das für eine Mangelgesellschaft charakteristische alltägliche Rennen um die Ressourcen des Alltags gebar drastische Kommunikationsmuster »vom Anderen«. Während die Propagandisten der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft unbeirrt Lobgesänge über die »Freunde« ohne Fehl und Tadel anstimmten, konstruierten die sich auf ihrem eigenen Territorium bedrängt fühlenden DDR-Konsumenten dieselben Anderen eigensinnig als Sündenböcke und belegten sie mit üblen Schimpf- und Schmähworten. Dies geschah seit den siebziger Jahren überall dort, wo sich vor dem Hintergrund unzureichender Warenbereitstellungen soziale Unerwünschtheiten beim Einkauf bestimmter Gruppen beobachten ließen.99 Dabei ignorierten die einheimischen Beschwerdeführer nicht nur die Einwände der Offiziersfrauen, dass die DDR aus ihrer Perspektive geradezu ein Einkaufsparadies darstelle und hier jede Unzufriedenheit fehl am Platze sei. Man wollte auch die Tatsache nicht wahrhaben, dass die deutschen Nachbarn ebenso gerne das Angebot der Russenmagazine zum günstigen Einkauf nutzten: Wenn bei uns in der Nachbarschaft eine Silberhochzeit, Jugendweihe, Kindstaufe, Geburt oder ein runder Geburtstag war, dann bekam ich erst einmal wochenlang vorher Eier geschenkt und selbst geschlachtete Wurst, bis ich dann mitgekriegt habe, was die brauchten: Ananas in Konserven, Mandarinen und verschiedene andere Sachen. Ölsardinen haben die Leute gleich kistenweise gekauft. Exportbier, das heißt Radeberger, Pilsener Urquell und noch ein paar andere Sorten. Das wollten die haben. Die wollten sich zu ganz bestimmten Festtagen, Weihnachten, Ostern, auch familiären Anlässen, etwas Luxus gönnen. Dann Teppiche. Da gab es ja hier im deutschen Handel nur diese aus Dederon, die gefusselt haben. Im Russenmagazin gab es die richtigen Wollteppiche, mit dem Persermuster, die geknüpft waren. Und dann natürlich alle Bauartikel, die es im deutschen Handel selten oder nie gab. Es waren so viele Sachen offiziell nicht zu haben, ich kann sie gar nicht alle beziffern. Schließlich saß ich ja seit meiner Lehre immer an der Krippe.100
Das Warenangebot »der Freunde« öffnete sich nicht allein für Privilegierte; in der einen oder anderen Form konnte sich ein Großteil der Bevölkerung aus diesen Sortimenten bedienen. In jenen Einrichtungen, die sich außerhalb von Militärobjekten befanden, war der Zugang problemlos: Hier arbeitete zum Teil deutsches Verkaufspersonal, die Lokale lagen inmitten der Städte und Gemeinden. In den internen Russenmagazinen war das Einkaufen mit Risiken verbunden. Für diejenigen DDR-
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Bürger, die sich im Besitz von speziellen Genehmigungen (Propusk) wussten, bedeutete der Einlass kein Problem. Der Vorstand der DSF Weimar unternahm beispielsweise mehrmals im Jahr Ausfahrten in das Garnisonskaufhaus Nohra. Zu diesem Zweck wurden alle Vorstandmitglieder einbestellt; ein gemieteter Bus stand bereit und die Maßnahme konnte sogar als Freundschaftsbesuch in der Patengarnison protokolliert werden.101 In manchen Objekten winkten die Posten Konsum-Pilger einfach durch, andernorts gab es Löcher im Zaun, durch die man problemlos kriechen konnte. In Nohra beispielsweise führte ein Trampelpfad vom Zaun direkt zum Warenumschlagplatz. Zwar wiesen vor allem neue, ehrgeizige Standortkommandeure mitunter die vollständige Abschließung des Geländes an, doch ohne nachhaltigen Erfolg. Einzig in SpezialEinheiten, Nachrichtenregimentern oder Raketenbasen, bekamen deutsche Bürger keinen Zutritt. Solchermaßen exzessiv betriebenen Konsumtourismus beobachtete das Oberkommando in Wünsdorf mit gemischten Gefühlen: Zwar wurde auf diese Weise der Warenumsatz gesichert und ein beträchtlicher Gewinn erzielt;102 andererseits musste die Sicherheit der Objekte gewahrt bleiben, was kaum möglich war, wenn praktisch jedermann Zugang erhielt.103 Auch für die Regierung der DDR waren die über Jahrzehnte offerierten Konsum-Alternativen nicht ohne Probleme: Auf der einen Seite beklagten sich die Bürger über den Überfluss hinter den Kasernenmauern; auf der anderen Seite befürchtete man, dass mit der Schließung der externen Verkaufseinrichtungen zusätzliche Versorgungsdefizite auftreten könnten. Das Politbüro entschied sich daher im August 1982 für eine Beibehaltung des Status quo.104
Mafiöse Strukturen Nicht nur die Konkurrenz nicht berufstätiger Offiziersfrauen war deutschen Bürgern ein Dorn im Auge, ab Mitte der achtziger Jahre ärgerten sie sich auch über eine zunehmend auftretende sowjetische Handels-«Mafia«. – Eine Bedrohung, mit der sich gezwungenermaßen auch das MfS beschäftigen musste: »Im Rahmen der Erarbeitung von Privatkontakten sowjetischer Armeeangehöriger zu DDR-Bürgern als möglicher Ausgangspunkt für den Gegner zur Schaffung von Innenquellen wurde bekannt, daß es ein erhebliches Anwachsen von Privateinreisen sowjetischer Bürger gibt, deren Angehörige bei den sowjetischen Truppen in der DDR sind.«105 Diese privaten Einreisen erfolgten aufgrund volkspolizeilich genehmigter Einladungen durch DDR-Bürger. Die ausgestellten Dokumente waren jeweils ein Jahr lang gültig und ermöglichten den Aufenthalt von bis zu neunzig Tagen. Zwar waren die Angaben derjenigen Bürger, die diese Einladungen beantragt hatten, auf den Dokumenten verzeichnet, doch verfügten die Polizeidienststellen über keinerlei Registratur
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der ausgegebenen Einladungen. Weder wussten sie, wer einlud, noch, wie viele Bürger sich zu welchem Zeitpunkt besuchsweise in der DDR aufhielten. Nach dem Gesetz wäre zwar eine Eintragung ins Hausbuch der Gastgeber notwendig gewesen, doch hielt sich kaum jemand an dieses Gebot. Zumal die Besucher häufig nicht bei den Einladenden wohnten, sondern innerhalb der Militärobjekte, bei Freunden oder Verwandten. Weshalb sich deutsche Bürger über derlei ungesetzliche Einreisepraktiken ärgerten, lag auf der Hand: Jede Einladung ermächtigte die einreisende Person zum vorteilhaften Umtausch von Rubeln im Gegenwert von bis zu 2.000 Mark der DDR noch in der Sowjetunion. In der Regel galt das Visum jedoch nicht nur für eine Person, sondern zugleich für sämtliche unmittelbaren Angehörigen. So war der Einreisende, ungeachtet dessen, ob er allein reiste oder en famille, berechtigt, bei den Banken der DDR bis zu fünf Schecks gegen 10.000 Mark Bargeld einzulösen. Dieses Geld setzten die Besucher sodann in Waren um, oft überließen sie den Einkauf auch einem verwandten oder bekannten Militärangehörigen, der die Güter später in die Heimat verbrachte.106 Gemäß den Stationierungsvereinbarungen von 1957 hatte die Regierung der DDR den Streitkräften das Recht auf die zollfreie Ein- und Ausfuhr ihres Eigentums zu gewähren, wozu auch sämtlicher Privatbesitz gehörte. Das Problem dabei war weniger, dass die deutsche Seite auf Einnahmequellen von beachtlicher Größenordnung verzichtete, sondern vielmehr, dass die Überführungen ohne Kontrolle seitens der DDR-Grenzbehörden vonstatten gingen.107 Die Zollverwaltung der DDR versuchte immer wieder, eine Übereinkunft zu erlangen, wonach deutsche Grenzbeamte ohne zusätzliche Kosten den Einund Ausfuhrverkehr überwachen sollten. Das Oberkommando lehnte solche Anersuchen stets ab. Die seitens der Regierung der DDR angeführten Argumente, dass es in beiden Ländern unterschiedliche Angebots- und Preisbindungen gäbe, die »in immer stärkerem Maße mit Erscheinungen der illegalen Ausfuhr von Waren verbunden« seien, ignorierte es ebenso wie deren Klagen, wonach die Ausfuhr von Mangelwaren »hinsichtlich des Umfanges und der Intensität Größenordnungen erreicht [hätten], die bereits negative ökonomische und politische Wirkungen« hervorriefen.108
Warenbörsen zum beiderseitigem Nutzen Parallel zu den beschriebenen semioffiziellen Abverkäufen seitens sowjetischer Handelseinrichtungen kam es jahrzehntelang republikweit zu privaten Handelsbeziehungen zwischen Militärangestellten und der Bevölkerung. In den überlieferten Dokumenten liest man nur in Ausnahmefällen von dieser weit verbreiteten Form von Wirtschaftskriminalität, kaum jemand zeigte solche »Bagatellen« an, oft war man selbst Nutznießer dieser Geschäfte. Vor allem in den
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nahe den Garnisonen gelegenen Gemeinden blühte der Handel, hier konnten die Soldaten weitgehend ungestört von den Blicken ihrer Vorgesetzten Waren aller Art feilbieten. So auch im Dorf Nerkewitz unweit von Weimar. Angefangen hat das schon während meiner Schulzeit, als ich für fünfzig Mark ein großes Kofferradio gekauft habe. Damals sind immer Soldaten über den Jägerberg gelaufen, einfache Soldaten, keine Offiziere, die hatten dann meistens – in alten Wolldecken eingewickelt – Matrjoschkas oder Radios oder so etwas dabei und damit sind sie in die Gaststätte gekommen. Der Anlaufpunkt war immer die Kneipe. Unser Wirt, ein alter Kriegsveteran, verhandelte dann mit den Russen. Zuerst haben sich die Leute, die in der Kneipe saßen, die Sachen angeschaut. Wenn einer sagte, der oder der im Ort sucht ein Radio oder goldene Ringe, dann lief einer los, denjenigen zu holen. Die Russen blieben derweilen etwas abseits sitzen. Einer patrouillierte draußen vor der Kneipe, für den Fall, dass eine Militärstreife kam. Der Wirt hielt den Soldaten allerdings immer auch einen Fluchtweg offen. Da hieß es: ›Wenn Kommandantur, dann hinten raus! Scheune raus und dann dawai über die Wiese!‹ Auch mich hatte man gerufen, ich wollte ja ein Radio kaufen. Also trabte ich in die Kneipe. Erst forderten die Russen achtzig Mark, dann wurde verhandelt, um den Preis noch zu drücken, schließlich einigten wir uns. Ich habe den Kerlen noch einen Schnaps bezahlt und für fünfzig Mark das Radio gekriegt. Meistens haben die Russen dann noch eine Flasche Schnaps mitgenommen, wahrscheinlich auch für ihre Kameraden. Es wurden auch Uhren, Armbanduhren verkauft. Ich glaube, da hat so mancher noch heute eine Uhr, so robust waren die. Der Sohn vom Wirt hatte Uhrmacher gelernt, der hat die Gehäuse gleich im Gastraum aufgemacht: ›Mensch, das ist ein gutes Uhrwerk, die könnt ihr kaufen.‹ […] Den Handel mit kleinen Sachen gab es vor allem in den siebziger Jahren. Damals wurden beispielsweise auch Fischkonserven verkauft. Fisch in Tomatensauce und Öl, der schmeckte wunderbar. Da kamen die Russen mit Rucksäcken! Sie haben die Konserven beim Wirt abgegeben, der Wirt hat sie gezählt, fünfzig Büchsen von der Sorte und fünfzig Büchsen von der Sorte. Dann hat er gesagt: ›Mittwoch seid Ihr wieder hier, da gibt’s Geld.‹ Der Wirt hat die Konserven im Ort vertrieben. Das lief über die ›Kasse des Vertrauens‹, die Russen kamen einige Tage später wieder und bekamen ihr Geld. […] Zwei, drei Mal sind auch Offiziere hinterher gekommen und haben dabei ein paar Soldaten erwischt. Die sind dann, noch auf dem Gehweg vor der Kneipe, von den Offizieren verprügelt worden. Mit der Faust ins Gesicht und mit Tritten und Schlägen auf den Rücken Richtung Jeep. Die Offiziere waren schnell bekannt und man nahm sich vor ihnen in Acht; nicht nur, weil sie unsere Wirtschaftsbeziehungen zu den Soldaten störten. Sie kamen mit ihrem Auto immer das Tal herunter und mussten erst durch den ganzen Ort fahren, bevor sie die Kneipe erreichten. Wenn sie jemand anfahren sah und Soldaten waren in der Kneipe, dann kam er entweder selbst gerannt oder schickte eines der Kinder in den Gastraum: ›Die Kommandantur rückt an!‹ So waren die Soldaten längst über die Gartenzäune verschwunden, bevor ihre Vorgesetzten auftauchten. Manchmal hat der Wirt auch schnell den Bierkeller aufgemacht. Da gab es schon ein Alarmsystem. Das hat nicht immer geklappt, aber es war Ehrensache, dass die Soldaten versteckt wurden. In den achtziger Jahren gestalteten sich die Handelsbeziehungen dann noch intensiver. Vor allem mit der LPG. Aufgrund der Energiekrise zu Beginn der Achtziger wurde zur Erntezeit der Diesel knapp und die Mähdrescher konnten nicht fahren. Also
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hat die LPG zwei Schlachtschweine an die sowjetische Kaserne geliefert und als Gegenleistung kamen zwei russische Tankwagen mit Diesel. Damit wurden die Traktoren und auch die anderen Fahrzeuge aufgetankt. Es herrschte ein enormer Wirtschaftsverkehr. Selbst der Rat des Kreises hat weggeschaut – schließlich musste man das Benzin so nicht teuer auf Staatskosten kaufen. Einer unserer Funktionäre hat immer gesagt: ›Wenn wir die Russen nicht hätten, würde kein Mähdrescher rollen.‹ Und so lud man die sowjetischen Freunde, die Offiziere mit ihren Frauen, Jahr für Jahr zum Erntefest ein. […] In den achtziger Jahren wurde der Handel dann sogar über die Offiziere abgewickelt. Ich hatte mich ja mit einem in Jena stationierten Offizier namens Wolodja, der aber immer Wolfgang genannt werden wollte, angefreundet. Der saß wohl auf einem ziemlich hohen Posten in der Armee, jedenfalls hatte der eine Gruppe Soldaten unter sich, die für ihn arbeitete. Wer immer im Dorf etwas brauchte, fragte erstmal bei Wolfgang an. Der hat dann versucht, was möglich war. Die Ware wurde bar an Wolfgang bezahlt. Entweder kam er vorbei, nachdem geliefert worden war, und man hat ihm das Geld gegeben oder man gab das Geld gleich den Soldaten mit. Auch mit Kohlen wurde gehandelt. Das waren gute Kohlen, Industriekohlen. Kohlen, Kupferkabel, Zement und Benzin hatten einen guten Absatz hier im Ort. Das ging dann in großem Maßstab. Die kleinen Geschäfte mit Fischkonserven, Uhren und so weiter liefen nur noch nebenbei. Hier entstanden in den Achtzigern viele Eigenheime und wenn jemand etwas brauchte, hieß es: ›Wolfgang, ich brauche Kupferkabel.‹ ›Wieviel? Ich schicke ein Auto vorbei. Aber Du musst eine große Rolle nehmen, das fällt am wenigsten auf.‹ Dann kam ein Auto mit Soldaten, die haben das Kabel abgeladen und was der eine von der Rolle nicht benötigte, wurde an den Nächsten weitergegeben. Wolfgang wurde für diese Geschäfte von den Militärbehörden auch nicht belangt. Er hatte immense Beziehungen innerhalb der Armee, keiner wagte es, ihn anzuschwärzen. Ich habe das nie so richtig durchschaut, welche Funktion er innerhalb der Roten Armee bekleidete. […] Die Geschäfte wurden immer umfangreicher, je schlechter sich die Versorgungslage entwickelte. Wenn die Russen durchs Dorf fuhren und es stand irgendwo ein Auto am Straßenrand, dann hielten sie an und boten Benzin zum Verkauf an. Sie saugten das Benzin mit dem Mund und füllten es dann mit einem Schlauch in das parkende Auto. Um die abgezapfte Menge auszugleichen, denn in der Kaserne fiel die fehlende Menge natürlich auf, warfen sie kleine Pflastersteine in den Tank. So ging der Benzin-Spiegel wieder hoch. Am Ende, kurz bevor sie abgezogen sind, haben sie wirklich Sack und Seele verkauft, was dann durchaus auch gefährlich war. Ein Soldat bot dem Wirt auch mal eine Pistole und eine Kalaschnikow an. Da hat der Wirt aber gesagt ›Nitschewo‹ und ist auch böse geworden. Das haben sich die Russen gemerkt, es kam dann nicht wieder vor.109
Kraftstoffe en gros Der illegale Abverkauf oder Eintausch von Kraftstoffen war eine sowjetische Praxis, die für Bürger wie für Betriebe über Jahrzehnte hinweg zum Alltag gehörte und die nur in Ausnahmen strafrechtlich verfolgt wurde. Dennoch leitete die Kripo Weimar am 10. Oktober 1984 ein Ermittlungsverfahren gegen drei Bürger der DDR ein. Alle drei arbeiteten in einer LPG im Umkreis, mit Offizieren der Nohraer Garnison trieben sie einen schwunghaften Han-
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del. Die Anklage lautete in diesem Fall auf »Benzinschiebereien zum Nachteil der GSSD«: Im März 1984 waren zwei Militärs in den Betrieb gekommen und hatten Benzinlieferungen gegen ein Schwein angeboten. Die Kollegen verhandelten daraufhin mit ihrem Chef über die Lieferung eines Achtzig-KiloTiers aus dem eigenen Stall. Als Gegenleistung erhielt der Betrieb 1.600 Liter Dieselvorrat, der in die LPG-eigene Tankstelle eingefüllt wurde. Beide Seiten zeigten sich mit dem Handel zufrieden. Im Juli desselben Jahres wurden zwei weitere Schweine übergeben, wofür wiederum Kraftstoff floss. Die deutschen Mittelsmänner erzählten ihren Lieferanten von erneuten Engpässen in der LPG, worauf man einen weiteren Verkauf von 7.000 Litern für 7.000 Mark in bar vereinbarte. In der daraufhin einberufenen Vorstandssitzung beschlossen die Kollegen den Erwerb der angebotenen Menge für den angegebenen Preis, das Geld sollte dem Prämienfonds entnommen werden. Am 8. Oktober 1984 kam es während der Nacht in einem Waldstück bei Nohra zum Verkauf von 6.000 Litern Diesel. Die sowjetischen Partner waren mit einem Tanktransporter angefahren, der Kraftstoff wurde in 200-Liter-Fässer umgefüllt und auf drei LPGs der Umgebung verteilt. Weil die anvisierten 7.000 Mark für eine LPG allein nicht aufzubringen waren, hatte man zwei benachbarte Betriebe überredet, sich an dem Deal zu beteiligen. Ein paar Fässer fielen zudem für den persönlichen Bedarf der beteiligten Genossenschaftsbauern ab. Ein Betrieb zahlte sofort, die beiden anderen wollten ebenfalls in bar zahlen, forderten jedoch Rechnungen über fingierte Arbeitsleistungen. Zwei der beteiligten deutschen Partner brauchten nicht zu zahlen – als Gegenleistung für bereits zuvor erfolgte Baumaßnahmen. Weil alles so reibungslos ablief, vereinbarte man für den übernächsten Abend eine weitere Lieferung von 2.000 Litern Kraftstoff. Jetzt flog die Sache auf: Bei der vorgesehenen Übergabe des Benzins erfolgte der Zugriff durch die Volkspolizei. Der Grund für die nun eingeleiteten Ermittlungen war indes nicht die Tatsache gewesen, dass sich irgendjemand an dem Benzinhandel gestört hätte. Vielmehr hatte ein Dorfbewohner Anzeige wegen illegalen Viehhandels erstattet! Einer der beteiligten LPG-Mitarbeiter war von den sowjetischen Geschäftspartnern gebeten worden, einen PKW-Motor zu besorgen. Die »Freunde« betrachteten den Motor als Geschenk, sein Zulieferer aber musste die verausgabten achthundert Mark irgendwo abbuchen. Aus der LPG-Kasse konnte man nichts mehr nehmen, diese war bereits für die Benzinkäufe geschröpft worden. Er erbat sich als Gegenleistung für den Motor nochmals 3.800 Liter Diesel, tauschte das flüssige Gold bei seinem Chef gegen zwei Schweine ein und verkaufte diese wiederum an einen Bauern im Dorf. Das muss ein aufmerksamer Nachbar bemerkt haben, weshalb er Anzeige erstattete. Vom Erlös der 1.900 Mark erhielt der LPG-Mitarbeiter 950 Mark, den Rest gab er seinem sowjetischen Freund. Dieser nannte am Ende nicht nur den Motor sein eigen, sondern hielt auch noch knapp eintausend Mark Bargeld in Händen.
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Die Polizeidienststelle war der Anzeige wegen illegalen Viehhandels nachgegangen und den nächtlichen Verkäufen auf die Schliche gekommen. Sie übergab den Fall der zuständigen Militärstaatsanwaltschaft der NVA, diese leitete die Akte an die sowjetischen Kollegen weiter.110 In den Dokumenten der deutschen Staatsanwaltschaft tauchte der Fall nicht mehr auf. Diese Form einer deutsch-sowjetischen »Bewältigung« von Versorgungsengpässen durch illegale Handelsbeziehungen war freilich reine Augenwischerei. Die von den Streitkräften in großem Maßstab angebotene Überschussware stammte aus Sonderzuweisungen seitens der Staatlichen Plankommission, die sich ihrerseits über den ständig wachsenden Verbrauch durch die GSSD alles andere als erfreut zeigte. Doch konnte sie sich gegen den wohlfeilen politischen Verweis auf die notwendige Verteidigungsbereitschaft im Rahmen des Warschauer Vertrages kaum entziehen. Die geforderten Zusatzleistungen vermochte sie nur jenem Fonds zu entnehmen, der für die Versorgung deutscher Betriebe, Einrichtungen wie der eigenen Bevölkerung gedacht war, was wiederum dazu führte, dass man vereinbarte Lieferverträge nicht erfüllen konnte. So blieben die Betriebe ohne Rohstoffe, ohne Benzin, ohne Kohle und ohne Baumaterial. Damit diese wiederum den Produktionsplan erfüllen konnten, bedurfte es der guten Kontakte zu benachbarten Garnisonen. Die lieferten gegen Privatkasse, dafür aber zuverlässig und schnell. Der Effekt des illegalen Abverkaufs war aber, dass die Garnisons-Depots schnell zur Neige gingen. Also forderten die für die Versorgung des Regiments verantwortlichen Offiziere bei der Staatlichen Plankommission Nachschub an – der Handel begann von vorn.
Arbeitskräfte en masse Ende September 1964 präsentierte das Erste Programm des Deutschen Fernsehfunks zur besten Sendezeit ein buntes »Erntetagebuch«. Während die Zuschauer auf den unmittelbar folgenden Abendfilm warteten, wurden sie Zeugen eines propagandistisch aufbereiteten Kartoffeleinsatzes von sowjetischen Einheiten in einer Neustrelitzer LPG. Keine spektakuläre Sache, man sah Soldaten beim Einsammeln von Feldfrüchten. Auf Steinen kauernd spielte eine Militärkapelle lustige Weisen. Im Vordergrund protokollierte die Sendung das Gespräch eines Politbüro-Kandidaten mit einem der emsigen Erntehelfer. Ihnen, so versprach der Genosse, sollte für ihre Mühen auf besondere Weise gedankt werden. Der Berliner Gast überreichte dem Truppenkommandeur ein Bildnis von Walter Ulbricht, zwei Offiziere wurden zudem als Aktivisten des Fünfjahrplanes mit einer Medaille für hervorragende genossenschaftliche Arbeit ausgezeichnet. Den Soldaten wurde je eine Plakette an die Uniformjacke geheftet. Die Szene endete mit einer fröhlichen Tanzeinlage auf dem Stoppel-
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Abb. 5: Arm in Arm: Sowjetische Offiziersfrauen arbeiteten illegal in volkseigenen Betrieben (Nohra, achtziger Jahre)
acker, Trompeter gaben sodann das Signal zum Aufbruch, die Erntehelfer zogen sich in ihre Kasernen zurück.111 Tatsächlich reproduzierten die Medien der DDR über vier Jahrzehnte hinweg vielfältige Bilder solch brüderlicher Hilfe: Soldaten und Thälmannpioniere gemeinsam beim Ernteeinsatz, Soldaten mit Dorfbewohnern bei Machmit-Wettbewerben, Soldaten beim Decken eines Scheunendaches oder Soldaten beim Aufbau neuer Wohnkomplexe. Die Orte wechselten, nicht aber die Bildeinstellungen. Immer waren es Soldaten benachbarter Standorte, die deutschen Bürgern uneigennützig »sozialistische Hilfe« leisteten.112 Was den Zuschauern an jenem Septemberabend als gewohnte, ein wenig blank polierte Praxis unter Freunden erschien, durfte jedoch nach Recht und Gesetz überhaupt nicht existieren. Laut Stationierungsvertrag sollten Angehörige der GSSD allein im Havariefall in DDR-Einrichtungen arbeiten. Alle Tätigkeiten darüber hinaus würden nach Ansicht der Moskauer Militärjuristen die Gefechtsbereitschaft der Armee schwächen, eine Befürchtung, die aufgrund der Nähe zum Westen durchaus verständlich erscheint. Doch sah der Alltag eben ganz anders aus und sowohl die Streitkräfte als auch die Bürger waren es gewohnt, mit dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu leben.
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Tatsächlich hatten sowjetische Soldaten von Anfang an für die Wirtschaft des kleinen Bruderlandes Dienst getan: Von 1945 an waren sie zu außerplanmäßigen Sonderaufgaben herangezogen worden, später leisteten sie regelmäßige Einsätze in der ostdeutschen Wirtschaft. Seit den siebziger Jahren arbeiteten sie fortwährend in Industrie und Landwirtschaft der DDR.113 Für die Soldaten waren solche zivilen Formen des Dienstes Usus. Auch im Heimatland leistete jeder vierte Soldat und Unteroffizier seinen Armeedienst auf Baustellen oder Feldern ab. Bis zu einem Viertel der Mannschaften beschäftigte sich dort statt mit Gefechtsübungen mit Räumungs-, Bau- und Reinigungsaufgaben; Abwesenheitsquoten von bis zu zwanzig Prozent bestimmten die Ausbildung.114 Solch soldatische Leiharbeit, für die entweder Geld oder Naturalien gezahlt wurden, gehörten im sowjetischen Alltag zur Normalität. Nur selten geriet sie, wie im folgenden Fall, zur Anzeige. In einem Schreiben vom 17. Oktober 1984 teilte der Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden der Sowjetischen Militärabwehr der I. Gardepanzerarmee mit, dass sich neuerdings Hinweise aus den Kreisen häuften, wonach DDR-Bürger im Besitz von Ausweisen seien, die von Kommandeuren sowjetischer Einheiten unterzeichnet waren und die zum Betreten von Militärobjekten berechtigten. Bei der Überprüfung kamen aus Sicht des Geheimdienstes interessante Erscheinungen ans Licht: Die Ausweise waren im Zusammenhang mit engen Arbeitsbeziehungen zwischen Kommandeuren und Betriebsleitern ausgestellt worden, sozusagen eine Art Vertrauensbeweis. Auch der Leiter der LPG Panschwitz besaß einen solchen Passierschein, der ihn berechtigte, ohne Begleitperson sowjetische Objekte zu betreten beziehungsweise sogar mit dem privaten PKW zu befahren. Seit 1978 unterhielt seine LPG enge Kontakte zu mehreren Dresdener Einheiten. Von Jahr zu Jahr waren die Formen der Zusammenarbeit erweitert worden. Soldaten kamen für mehrere Tage, bisweilen auch für Wochen zu Arbeitseinsätzen in den Betrieb. Für ihre Unterbringung wurden notdürftige Lagerstätten eingerichtet, die Entlohnung erfolgte gewöhnlich nach dem Arbeitsnormenkatalog. Bei der Staatsbank der DDR war ein Sonderkonto eingerichtet worden, auf welches man den Geldwert für die erbrachten Leistungen einzahlte. Je nach Bedarf veräußerte man die Beträge später wieder: Bargeldauszahlungen lagen laut Finanzrevision zwischen hundert und tausend Mark und wurden vom Kommandeur der Einheit beim Hauptbuchhalter quittiert. Mitunter kaufte die LPG auch Waren wie Gardinen, Rundfunkempfänger oder Baumaterialien zur Verschönerung der Soldatenunterkünfte, auch diese Ausgaben wurden über das genannte Konto verrechnet. Zudem erhielt die Einheit Schweine, Kartoffeln und Gemüse aus den eigenen Beständen. Die durch den Passagierscheinvorfall 1984 angewiesene, außerordentliche Überprüfung aller ansässigen Betriebe durch die Staatliche Finanzinspektion
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Dresden brachte zum Vorschein, dass die Unterlagen über die Verrechnung und Auszahlung in den meisten Fällen lückenhaft und dass große Geldsummen gar nicht nachweisbar waren. Die Finanzprüfer erbosten sich freilich noch aus einem anderen Grund: »Völlig unzureichend bezüglich der Ordnung und Sicherheit (sei) die Verfahrensweise, daß sämtliche Einsätze von GSSD-Angehörigen im Betrieb lediglich auf mündlichen Absprachen zwischen dem für die Einsätze zuständigen Abteilungsleiter und den jeweiligen Kommandeuren der Einheiten beruhen. Bestimmungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes werden dabei nicht beachtet. Es erfolgen keine Arbeitsschutzbelehrungen, und die Einweisungen in Arbeiten an der Technik werden nur flüchtig vorgenommen. […] In der zurückliegenden Zeit wurden durch die Betriebe Meldungen von Vorkommnissen mit Angehörigen der GSSD verzögert beziehungsweise unterlassen.«115 In fast allen Betrieben und Einrichtungen umfassten solche Arbeitskontakte keinesfalls nur ökonomische Leistungen. Wie der nachstehende »Freundschaftsvertrag« verdeutlicht, handelte es sich vielmehr um einen breit gefächerten Maßnahmeplan langjähriger Beziehungspflege. Freundschaftsvertrag zwischen der Einheit der Sowjetarmee ›Kleines Zeisholzer Lager‹ und dem VEB Sachsenglas: Zur weiteren Festigung der ›Deutsch-Sowjetischen Freundschaft‹ und zur Verwirklichung der Beschlüsse des XXVI. Parteitages der KPdSU sowie des X. Parteitages der SED schließen die oben genannten Partner einen Freundschaftsvertrag ab. Dieser Freundschaftsvertrag soll auf allen Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens wirksam werden. Gemeinsame politische kulturelle sportliche und die ökonomische Zusammenarbeit soll auf das politisch-ideologische Bewußtsein beider Partner wirken, das Zusammengehörigkeitsgefühl weiter ausprägen und ein würdiger Beitrag zur Erhaltung und Sicherung des Friedens sein. Beide Partner vereinbaren folgende Aufgaben und Maßnahmen: I. Aus Anlaß von gesellschaftlichen Höhepunkten wie: am 23. Februar den Gründungstag der Sowjetarmee und am 7. November den Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution werden alljährlich Werktätige des VEB Sachsenglas der sowjetischen Einheit Grüße und Glückwünsche überbringen. II. Der VEB Sachsenglas lädt Vertreter der sowjetischen Einheit zu Höhepunkten am 8. Mai, dem Tag der Befreiung bzw. Tag des Sieges, am 7. Oktober, dem Nationalfeiertag der DDR, zu gemeinsamen Veranstaltungen ein. III. Zum Internationalen Frauentag am 8. März wird eine gemeinsame Veranstaltung mit Frauen der sowjetischen Einheit und des VEB Sachsenglas im Betrieb organisiert.
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IV. Am alljährlich stattfindenden Betriebssportfest des VEB Sachsenglas nehmen Soldaten, Unteroffiziere, Fähnriche und Offiziere mit ihren Familienangehörigen als Aktive und Gäste teil. V. Über die Leitung der BSG Chemie Schwepnitz und der sowjetischen Einheit werden Vergleichssportwettkämpfe nach mündlicher Vereinbarung organisiert. Der VEB Sachsenglas stellt dafür Pokale zur Verfügung. VI. Der VEB Sachsenglas gibt der sowjetischen Einheit die Möglichkeit, den Betrieb zu besichtigen, um sich mit der ökonomischen Aufgabenstellung noch besser vertraut zu machen. VII. Die FDJ-Grundorganisation des VEB Sachsenglas und die Komsomolorganisation organisieren eine Betriebsbesichtigung und führen in der Woche der Jugend und Sportler ein Komsomoltreffen im Betrieb durch. VIII. Bei der Lösung von Aufgaben in der sowjetischen Einheit hinsichtlich der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der ökonomischen Aufgabenerfüllung des VEB Sachsenglas leisten beide Partner nach Möglichkeit und gegenseitiger Absprache sozialistische Hilfe. IX. Zur weiteren Vertiefung der Waffenbrüderschaft zwischen der sowjetischen Einheit und unserem Kampfgruppenzug sowie der FDJ-Grundorganisation werden jährlich Schießwettbewerbe und eine Besichtigung von sowjetischer Waffentechnik in der sowjetischen Einheit nach vorhergehender Absprache organisiert und durchgeführt. Schlußbestimmungen: Zu allen Veranstaltungen ergehen rechtzeitig schriftliche oder mündliche Einladungen. Probleme und Anforderungen beider Partner sind nach Möglichkeit in gemeinsamen Kontakten zu klären. Dieser Vertrag gilt für die Dauer eines Jahres ab Unterzeichnungsdatum und verlängert sich um ein weiteres Jahr, wenn er nicht von einem Partner vorher annulliert wird. Der Vertragsabschluß bildet einen gemeinsamen Höhepunkt zum 60. Jahrestag der Gründung der Sowjetunion.116 Der Vertrag vom Dezember 1982 trägt die Unterschriften des Betriebsdirektors, des Parteisekretärs, des BGL-Vorsitzenden, des FDJ-Sekretärs und des Vorsitzenden der DSF des Betriebes. Seitens der Einheit unterzeichneten der Kommandeur, der Sekretär der KPdSU, der stellvertretende Kommandeur für politische Arbeit und der Sekretär des Komsomol.
Dass solche Freundschaften nicht allein auf dem Papier existierten, dass Arbeitskontakte, die über Jahrzehnte unterhalten wurden, auch menschliche Annäherungen mit sich brachten, machen die Erinnerungen des Betriebsdirektors des VEB Uhrenkombinats Weimar deutlich. Erste Kontakte zur Sowjetarmee entstanden in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Betriebsdirektors. Zu meinen Aufgaben gehörte es damals, Veranstaltun-
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gen mit unserer Patengarnison vorzubereiten. Denn schon damals gab es Kontakte mit dem Nachrichtenregiment der 8. Gardearmee in der Leibnizallee. Die Feiern endeten immer gleich: Am Ende gab es ein großes Saufgelage. Wer nahm an solchen Festen teil? Offiziere, nur die Offiziere. Soldaten hatten da nichts zu suchen. Die durften ja in der Regel auch nichts trinken. Damals waren in Weimar noch einige Frontoffiziere, und zwar zum Teil in hohen Positionen. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg mitgemacht und waren unheimlich trinkfest, das hat man selber gar nicht durchhalten können. Es gab aber nicht nur diese Anlässe. Wir wurden auch zu Volleyballspielen in die Kaserne eingeladen. Da habe ich festgestellt, dass der Kontakt zwischen unserem Betrieb und der Garnison, insbesondere zwischen den Vorgesetzten, schon sehr lange bestand und offensichtlich durch die Partei gefördert wurde. Wer hat denn die Verbindung über die Jahre aufrechterhalten? Immer die jeweiligen Betriebsleiter. Unser Betrieb bestand schon seit 1950. Seit dieser Zeit gab es Beziehungen, die dann immer von Hand zu Hand weitergegeben wurden. Vor allem, wenn ein neuer Kommandant kam, war dies üblich. Denn es war ja so, dass die Offiziere nur fünf Jahre hier in Deutschland blieben. Dann sind sie nicht selten zurück zur Militärakademie und später als höhere Offiziere noch einmal hierher gekommen. Die höheren Regimentsoffiziere hatten alle eine ähnliche Laufbahn. In welcher Sprache verständigten Sie sich? Ich hatte mein Schulrussisch, um mich mitzuteilen. Damit kam ich ganz gut zurecht. So lernte ich 1983 auch Viktor kennen. Ich war damals schon Betriebsdirektor und häufig bei Feiern zum Regimentsgeburtstag dabei. Viktor war auch dort. Mit ihm hat sich im Laufe der Zeit eine richtige Freundschaft entwickelt. Die Chemie zwischen uns hat einfach gestimmt. Dabei sprach er zu Beginn gar kein Wort Deutsch. Trotzdem konnte ich mich immer ganz gut mit ihm verständigen. Das ging dann so weit, dass ich mit meinem Betriebsauto zu ihm gefahren bin und am Eingang einfach gesagt habe, dass ich den Kommandeur sprechen wolle. Mit der Zeit kannten sie mich, so dass ich mich irgendwann ganz alleine in der Kaserne bewegen durfte. Waren in diese Freundschaft zu Viktor auch Ihre Familien einbezogen? Ja, sie kamen zu uns zum Geburtstag, wir haben getanzt und so weiter. Wir wohnten in einer kleinen Gartenanlage mit zehn Häuschen. Eines Tages kam auch Viktor zu Besuch. Der hat dann draußen einen Jeep hingestellt und eine große Antenne ausgefahren, um so seine Verbindung nach Moskau aufrechtzuerhalten. Er musste ja immer in Kontakt bleiben. Zum Gartenfest wollte er damals auch seinen Beitrag leisten. Und da er Sibirier war, brachte er solche Säbel mit, die mit Fleisch bestückt waren. So nahe sind wir uns also gekommen, wir telefonieren heute noch miteinander. Probleme gab es nicht! Das war alles von seinem General in Nohra abgesegnet. So ohne weiteres ging das freilich nicht vor sich. Es war eher ein Entwicklungsprozess. Eines Tages, das war noch zu Beginn meiner Amtszeit, war ich wieder einmal in die Sauna eingeladen worden. Da war auch der Divisionsgeneral aus Nohra dabei. Anschließend saßen wir noch über drei Stunden am Samowar und mit der Zeit wurde unser Verhältnis immer lockerer. Ich nehme an, Viktor hat dies mit seiner Einladung
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beabsichtigt. Vielleicht aber hatte er sogar den Befehl zu dieser Einladung bekommen. Es entspann sich in den folgenden Jahren ein enges Verhältnis und zwar zum gegenseitigen Vorteil. Das war immer ein Geben und Nehmen, auch schon in den vorangegangenen Jahren. Das Uhrenkombinat war ja im Prinzip ein Frauenbetrieb, und wenn irgendwelche Baumaßnahmen anstanden, wie zum Beispiel Schachtarbeiten oder die Säuberung des Außengeländes, sagte ich zu Viktor: ›Ich brauche für einen Tag eine Kompanie Soldaten.‹ Die kamen natürlich gerne, weil sie gut zu essen bekamen und ordentlich von unseren Küchenfrauen versorgt wurden. Andersherum kamen die Russen auch auf uns zu. Beispielsweise wollten sie ihr Traditionskabinett neu gestalten. Da habe ich ihnen unsere Tischler hingeschickt, die Vertäfelungen und dergleichen gemacht haben. Die Russen hatten immer wieder irgendwelche neuen Ideen. Die Baumaterialien, die wir für solche Umgestaltungsmaßnahmen brauchten, mussten wir allerdings auch bezahlen. Dafür haben wir ein Konto eingerichtet. Wenn Soldaten bei uns gearbeitet hatten, wurde der Durchschnittslohn errechnet und auf dem Konto gutgeschrieben. Im Gegenzug verrechneten wir solche Tischlerarbeiten. Im Schnitt waren das Kontobewegungen in Höhe von etwa 50.000 Mark im Jahr. In Absprache mit der Buchhaltung war das ein anonymes Konto. Wir mussten ja auch unsere Bilanz machen. […] Wir haben das alles im Betrieb bewerkstelligt. Auch die Jahresbilanzen wurden dort erstellt, ich war also nur dem Betriebsdirektor Rechenschaft schuldig. Ich glaube, in Berlin war man grundsätzlich mit solcher gegenseitigen Hilfe einverstanden. Die Geschenke wurden dagegen aus dem Kultur- und Sozialfond bezahlt, dafür war ja das Geld da. […] Mit Viktor und mir, das hielt etwa fünf Jahre, bis Ende 1988, da musste er zurück. Es kam ein Neuer, und zwar direkt aus Afghanistan. Mit dem konnte ich nicht mehr so gut umgehen. Der hatte auch richtig gelitten. Bei einer Feier hat er einmal etwas zu viel getrunken. Da fing er plötzlich an, Toaste auf seine toten Kameraden auszusprechen. Dabei hat er geweint. Er war einfach fertig, dass ging auch nicht mehr lange.117
Die Dresdener Bezirksverwaltung für Staatssicherheit hatte sich im Passagierscheinvorfall nicht nur an die Kommandeure der 1. Gardearmee gewandt, sondern auch an den Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, Hans Modrow, der sich nun aufgefordert sah, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Er wandte sich umgehend an die Leiter der in Ungnade gefallenen Betriebe, allerdings fehlte denen das erwartbare Unrechtsbewusstsein. Schließlich, argumentierten sie, hätte man stets auf »Empfehlungen der SED-Kreisleitungen und der Vorsitzenden der Räte des Kreises« gehandelt. Bereits vor Jahren wäre man so in Verbindung zu sowjetischen Einheiten getreten und hätte Verträge zur weiteren Vertiefung der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft wie der gegenseitigen Unterstützung abgeschlossen. Die ebenfalls anwesenden Staatssicherheitsleute machten den scheinbar arglosen Betriebsleitern deutlich, dass das von ihnen praktizierte Geschäft per Handschlag Inhalt und Rahmen der »gegebenen Empfehlungen zum Vorteil der Betriebe« überschritt und bestehende rechtliche Grundlagen unterlaufe. Vor Jahren mündlich getroffene Vereinbarungen seien mittlerweile zum Gewohnheitsrecht und zur Umgangspraxis geworden, dabei hätte man arbeitsschutzrechtliche Festlegungen ebenso missachtet wie
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bestehende Vergütungsordnungen. Zudem wäre es immer wieder zu Verstößen gegen die Sicherheit militärischer Objekte und – durch den Kauf diverser Gebrauchsgüter für die Kasernen – zu ungerechtfertigten Eingriffen in den Bedarf der Bevölkerung und somit zur »Schwächung der Warendecke« im Einzelhandel gekommen. Aus diesen illegalen Umgangsusancen hätten sich auch Möglichkeiten für »finanzpolitische Manipulationen im persönlichen Interesse der Partner« ergeben, denen man keinesfalls länger Vorschub leisten könne.118 Am Ende wies Hans Modrow die Betriebsleiter an, »hinsichtlich des in der Information dargestellten Sachverhaltes Ordnung zu schaffen, um alle begünstigenden Bedingungen für Gesetzesverletzungen auszuräumen«.119 Eine Legalisierung der Arbeitseinsätze konnte er ebenso wenig erreichen wie deren Unterbindung. Wäre er dem Geist des Stationierungsabkommens gefolgt, hätte er nicht die Klärung der Konten, sondern die sofortige Einstellung der sowjetischen Hilfeleistungen anordnen müssen – eine Konsequenz, die angesichts der Alltagswirklichkeiten geradezu absurd angemutet hätte. Sowohl der Staatsund Parteiführung der DDR als auch dem Oberkommando in Wünsdorf war bewusst, dass das Missverhältnis von Dringlichkeit und Regelbruch kaum aufzulösen war. Also beschränkten sich beide Seiten auf Ermahnungen und Verwarnungen – und forderten die Geheimdienste zur Beschattung der Schattenwirtschaft auf.
Der Operative Vorgang »Plast« Mitte Dezember 1982 suchte ein Mitarbeiter des KGB beim Armeestab Nohra seine Amtskollegen in der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Erfurt auf. Man kannte sich gut und nannte sich vertraulich beim Vornamen. Sascha trug an diesem Vormittag eine Bitte vor: Er bat um die geheimdienstliche Überprüfung eines Thüringer Betriebsleiters, vom dem man wusste, dass er umfangreiche Kontakte zu hohen Offizieren in Nohra pflegte. Er statte den Militärs regelmäßige Besuche ab oder lade sie mitsamt ihren Familien zu sich nach Hause ein. Hierbei, führte Sascha weiter aus, würden zahlreiche Geschäfte zum beiderseitigen Vorteil ausgehandelt und auch in die Tat umgesetzt. Damit nicht genug, habe man festgestellt, dass der Verdächtige in Gesprächen mit Offizieren geheime Militärinformationen auskundschafte.120 Von den Kollegen wolle man nun wissen, ob der Werkleiter Verbindungen nach Westdeutschland unterhalte und ob anderweitig Informationen abfließen könnten.121 Die deutschen Kollegen ließen sich nicht lange bitten und legten den Operativen Vorgang »Plast« an, nur wenige Tage später konnten sie erste Ergebnisse präsentieren: Der Verdächtige selbst verfüge zwar über keine aktiven Verbindungen zum Westen, wohl aber seine Frau, die in der Vergangenheit mehrfach
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Reisen dorthin unternommen habe. Kurze Zeit später erschien Sascha erneut im Büro, diesmal berichtete er, dass »Plast« umfangreiche Arbeitseinsätze mit sowjetischen Soldaten organisiert habe, die Gelder dafür aber »in dunklen Kanälen bei Offizieren« verschwanden. Für die Tschekisten wäre es von Interesse zu erfahren, welche Militärpersonen bei »Plast« ein- und ausgingen und zu welchem Zweck.122 Der zweite Bericht des MfS bestätigte die unterstellten engen Kontakte »Plasts« zu Offizieren der Sowjetarmee, wobei sie diesen Tatumstand als »normal« einstuften: »Heutzutage ist es so, daß jeder neue Kommandant oder Politoffizier von seinem Vorgänger gleich entsprechend eingewiesen wird, so daß die Kontakte reibungslos weiter bestehen bleiben.«123 Der Spionage verdächtig sei er deshalb jedoch noch nicht. »In seiner politischen Einstellung ist er positiv und hat in Diskussionen gute Argumente für den Sozialismus.«124 Zur Datenbeschaffung hatte man mittlerweile einige Inoffizielle Mitarbeiter auf »Plast« angesetzt, so auch eine langjährige Kollegin. Diese gab in ihrer Stellungnahme zu, von den Beziehungen zu leitenden Sowjetoffizieren gewusst zu haben. Es sei an der Tagesordnung, dass in ihrem und in anderen Betrieben Soldaten zu Arbeitseinsätzen kämen, die dann durch materielle Werte vergütet würden.125 Am 10. März 1983 fand erneut ein Treffen mit Sascha statt, diesmal war auch dessen Vorgesetzter zugegen. Man tauschte erste Ergebnisse aus, so auch die Information, dass ein des Geheimnisbruchs verdächtiger Kommandeur A. immer wieder Kontakt zu »Plast« suche. Nach Aussagen der Militärabwehr hielt sich »Plast« häufig privat bei A. auf, »während dieser Zeit wird auch viel Alkohol getrunken«.126 Die sowjetischen Kollegen zeigten sich in hohem Grad beunruhigt und forderten für die Bearbeitung des Vorgangs höchste Priorität. Die Ermittlungen nahmen ihren Lauf. Die deutschen Spezialisten durchforsteten nun sämtliche Datenspeicher nach in- und ausländischen Verbindungen. Sie eruierten umfängliche Beziehungen »Plasts« zu Personen mit »besonderen beruflichen und gesellschaftlichen Funktionen«: zu Betriebsleitern, Angehörigen von Schutz- und Sicherheitsorganen, selbstständigen Handwerksmeistern, zu Funktionären der Partei sowie zu Ärzten. Gleichzeitig erfolgten weitere Ermittlungen im Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich. Um eine konspirative Durchsuchung der Wohnung sowie die Installation von Abhörgeräten umzusetzen, wurde Ende April die geheime Maßnahme »Schlüssel« eingeleitet. Seitens der sowjetischen Kollegen waren alle Vorbereitungen wie die Einladung »Plasts« zu einem vertrauten Zusammensein sowie die heimliche Beschaffung des Schlüssels getroffen worden. Die Aufgabe der deutschen Kollegen war es, die unmittelbaren technischen Arbeiten zur Schlüsselkopie zu übernehmen. Der Betriebsleiter kam zum vereinbarten Zeitpunkt und wurde von seinen Gastgebern unverzüglich in die angeheizte Sauna gebeten.
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Hier war es für die Agenten ein leichtes, den Schlüsselbund aus dessen Jackentasche zu entwenden. Die Aktion verlief zunächst erfolgreich, der Gast bemerkte nichts. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung musste man allerdings feststellen, dass die eilends angefertigte Schlüsselkopie nicht passte. Die Experten des MfS hatten den Garten- und nicht den Wohnungsschlüssel gefälscht.127 Obwohl der des dringenden Geheimnisverrats verdächtige Stabskommandeur A. inzwischen vorzeitig in die Sowjetunion zurückversetzt worden war, observierte man »Plast« weiter. Im Oktober 1983 setzten die Tschekisten eigens einen Informanten auf ihn an, einen neu eingetroffenen Panzerkommandeur. Dieser freundete sich schnell mit dem Zielobjekt und dessen Frau an, die Beziehung wurde enger. Man unternahm Ausflüge in die Umgebung, besuchte sich gegenseitig und feierte gemeinsam. Der beauftragte Spitzel führte ein ganzes Jahr lang über jede Begegnung Tagebuch – indes konnte oder wollte er keine verwertbaren Informationen liefern. Beide Geheimdienste beschlossen nun Schritte, die »bei der OPK-Person ›Plast‹ zwingende Aktivitäten auslösen« mussten. Alle Kraft sollte darauf verwendet werden, den immer noch fehlenden Wohnungsschlüssel zu beschaffen, um endlich die Abhörmaßnahme B installieren zu können. Sodann war »Plast« zu Handlungen zu zwingen, die den Verdacht einer Straftat bestätigen oder aber ausschließen sollten. Am Ende führten auch die installierten Wanzen nicht zur Überführung des mutmaßlichen Agenten.128 Im Abschlussbericht vom 13. November 1985 war vermerkt: »Durch den Einsatz inoffizieller Mitarbeiter der GSSD und durch den Einsatz inoffizieller Kräfte und Mittel des MfS konnten keinerlei Hinweise erarbeitet werden, die das spionageverdächtige Verhalten der OPK-Personen erhärten. Entsprechend der Dienstanweisung 1/80 des Genossen Minister und der Dienstanweisung 5/80 des Leiters der Bezirksverwaltung ist die OPK-Person ›Plast‹ als Person einzukategorisieren, die auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Tätigkeit beziehungsweise Kontakte im Interesse des Feindes stehen und deren Mißbrauch, Ausnutzung oder Einbeziehung durch den Feind möglich sind und dadurch bedeutende Schäden und Störungen der gesellschaftlichen Entwicklung beziehungsweise Gefährdungen der inneren Sicherheit und Ordnung eintreten können.«129 Anlässlich des 40. Jahrestages des Sieges wurde den sowjetischen Genossen als Dank und Anerkennung für die gemeinsame Lösung des Operativen Vorganges »Plast« eine Bilddokumentation: »Mit der Sowjetunion für immer fest verbunden« überreicht. Mit einer Quittung über 33,50 Mark schließt die Akte.130 Diese tradierte alltägliche Agentengeschichte aus der DDR-Provinz offenbart zunächst einmal die Perfidie geheimdienstlicher Tätigkeit: Einmal unter Verdacht geraten, hat das beobachtete »Objekt« keine Chance, dem Aufklä-
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rungs-Handeln zu entrinnen. Der Schlusssatz seiner Akte spricht den Mann auf einer ersten Ebene frei – und hält auf einer weiteren Ebene doch unbeirrt am Verdacht fest: Solche Leute seien gefährlich, wird dort dekretiert, »bedeutende Schäden und Störungen« könnten von ihnen ausgehen. Nun ließe sich argumentieren, dass die ehrgeizigen Geheimdienstmitarbeiter Probleme gehabt hätten, ihre Niederlage einzugestehen, so dass es zu solch einer ambivalenten Formulierung kommen musste. Die üble Dichotomie dieser Schlusssentenzen lässt sich aber auch strukturell erklären: Die Berichte der Staatssicherheit offenbaren sehr deutlich, wie das Objekt der Beobachtung, der Betriebsleiter mit den zahlreichen Russenfreunden, in einer schier ausweglosen Ambivalenz dachte, fühlte und handelte: Er lebte aus Überzeugung das politisch-propagandistisch eingeforderte Freundschafts-Gebot – und er ignorierte bewusst das implizite, aber allseits bekannte Vermeidungsgebot. Dem Mann war keine Verfehlung nachzuweisen; er handelte als umsichtiger sozialistischer Ökonom. Und dennoch geriet er unter den Verdacht des Vaterlandsverrates.
Die Erschließung neuer Ressourcen Mit den zunehmend wachsenden wirtschaftlichen Problemen seit den achtziger Jahren begann der Ministerrat der DDR darüber nachzudenken, wie man die seiner Meinung nach ungenügend erschlossene Ressource sowjetischer Arbeitskraft aktiv, planmäßig und legal erschließen könnte. Im Jahr 1988 erarbeitete das Staatssekretariat für Arbeit und Löhne auf sein Geheiß eine längst fällige »Vereinbarung über die Planung und Vermittlung von Arbeitskräften für die Betriebe, Dienststellen und Einrichtungen der GSSD sowie die Zusammenarbeit bei der Anwendung der arbeitsrechtlichen Regelungen der DDR für die dort beschäftigten DDR-Bürger«. Im selben Jahr waren 926 Ostdeutsche in den Reparaturwerken der GSSD beschäftigt,131 etwa eintausend arbeiteten in weiteren Armee-Einrichtungen, als Betriebshandwerker, Bedienungskräfte für Heiz-, Wasser- und Abwasseranlagen, als Küchenkräfte, Wäscherinnen oder als Hausmeister. Hinzu kamen örtliche Bau- oder Dienstleistungsunternehmen, die in den Kasernen regelmäßig Aufträge ausführten. Die nun angestrebte Regelung stellte insofern eine Neuerung dar, als sie die Gewinnung von Arbeitskräften aus Familien von Angehörigen der GSSD für deutsche Einrichtungen inkludierte.132 »Geleitet vom Bestreben der Vertiefung der brüderlichen Beziehungen auf der Grundlage des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigem Beistand« vom 7. Oktober 1975 sollte es endlich möglich werden, Familienangehörige von sowjetischen Militärs in Betrieben, Einrichtungen und Genossenschaften auf legale Weise als Arbeiterinnen zu gewinnen. Die Beschäftigung und die damit verbun-
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dene soziale Sicherstellung der sowjetischen Bürger wollte man entsprechend den geltenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen regeln. Immer wieder hatte es bis dahin Versuche gegeben, die jahrzehntelange illegale Arbeitstätigkeit von Offiziersfrauen in DDR-Betrieben auf Basis einer Regierungsvereinbarung zu regeln. Allerdings war man zu keinem Ergebnis gekommen, denn die Rechtslage blieb unverrückbar: Militärangehörige einschließlich deren Ehefrauen durften in deutschen Einrichtungen nur in Notfällen arbeiten. Überdies galten die Frauen der Armeeangehörigen als politisch unsicher, denn ihr Verhalten ließ sich nicht so problemlos steuern wie dasjenige ihrer auf Gehorsam gedrillten Männer. Ende März 1983 berichtete die Krasnaja Zvezda, dass das Oberkommando der GSSD »wegen der subversiven Einflüsse unter den Frauen« das politische Direktorium hatte einberufen müssen. Die Generäle hätten beschlossen, eine Umerziehungs-Kampagne für die Frauen zu starten. Die Auffrischung kommunistischer Werte werde beim weiblichen Geschlecht benötigt, denn »die Erscheinungsformen fremder Moral und fremder Ideologie müssten umgehend ausgemerzt werden«. Der Artikel führte aus, dass sich so manche Gattin bei westlicher Musik vergnügte und westlich inspirierte Mode trug. Manche, so die Generäle, übten gar einen staatsfeindlichen Einfluss auf ihre Männer aus.133 Anders als in der Heimat, wo die Ehefrauen in der Regel weiterhin einer qualifizierten Tätigkeit nachgehen konnten, bedeutete der Aufenthalt im Ausland eine professionelle Degradierung der in der Regel gut ausgebildeten Fach- zu Hausfrauen. Die Möglichkeiten, innerhalb der Garnison Arbeit zu finden, waren verschwindend gering; auf den ohnehin rar gesäten Posten saßen in der Regel weibliche Armeebedienstete.134 So sprach es sich schnell herum, dass es in deutschen Betrieben ein großes Interesse an Arbeitskräften gäbe, eine offizielle Genehmigung seitens der Standortkommandantur sei dafür nicht erforderlich. Außerdem würde die Arbeit gut bezahlt, ohne Abzüge und bar auf die Hand. Ein Grund, weshalb sich manche Offiziersfrau trotz ihrer Überqualifizierung zu harten Schichtdiensten meldete. Tatsächlich kam eine Vielzahl der Frauen aus akademischen Berufen, sie hatten bisher eine hohe gesellschaftliche Anerkennung genossen. Jetzt waren sie als Arbeiterinnen dritter Klasse zu obskuren Bedingungen in einem fremden Land beschäftigt. Dennoch scheint bei der schwächer qualifizierten deutschen Stammbelegschaft keine Notwendigkeit nach sozialer Distinktion aufgekommen zu sein. Man habe sich verstanden, fühlte sich auf Augenhöhe – so jedenfalls der Bericht einer Melkerin aus Nohra. Sie erzählt von Selbstverständlichkeiten des Umgangs, ihr Bericht zeigt eine überraschende Arglosigkeit bezüglich vorhandener Unterschiede, die man wohl mit einem grundsätzlichen, tief verankerten Überlegenheitsgefühl gegenüber den »Freund(inn)en« begründen muss.
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In den siebziger Jahren kamen russische Offiziersfrauen zu uns, auf der Suche nach Arbeit. Wir waren mehr als froh darüber, denn wir brauchten dringend Leute. Wir schickten sie zur LPG-Leitung und sie fragten dort, ob sie arbeiten könnten. Das hat dann so zehn, fünfzehn Jahre funktioniert, bis die Truppen weg sind. Denen hat es super gefallen und wir waren auch sehr zufrieden. […] Es sind sehr fleißige Leute gewesen, alle. Ich kann ihnen da ein paar Beispiele nennen: Wir hatten eine Balletttänzerin, die hat mir, als sie wegging, ein Autogramm und ein Foto dagelassen. Ich habe noch eine andere Aufnahme von ihr, wie sie im Kuhstall steht, ein Melkgerät auf der Schulter und die Bluse voller Dreck. Nein, also da kann man nichts sagen, wir waren wirklich sehr, sehr zufrieden mit diesen Leuten. Sie waren natürlich nicht versichert, weil sie ja eigentlich nicht bei uns arbeiten durften. Sie sind immer in guten Kleidern gekommen, haben sich umgezogen und spazierten nach Feierabend, gerade als kämen sie vom Einkaufen, in ihren sauberen Sachen wieder durch die Wache. Frühmorgens allerdings, wir haben ja um vier Uhr angefangen, konnten sie den offiziellen Eingang nicht benutzen. Da haben ihre Männer ihnen Löcher gegraben, durch die sie dann durchgekrochen sind. Wir sind nie erwischt worden. Die Offiziere und Wachen haben das unter sich ausgemacht. Ich habe allerdings von Russenfrauen unten im Nohraer Schlachthof gehört, die regelmäßig kontrolliert wurden. Mein Vater, der dort arbeitete, erzählte aber, dass die Frauen immer schon vorher gemerkt hätten, wenn eine Kontrolle kam. Dann hätten sie sich sofort versteckt. Und wenn sie in ihrer Not unter die Dusche krochen. Sie durften sich nicht sehen lassen. Uns hat das nichts ausgemacht, sie haben gut gearbeitet, besser manchmal als die Deutschen. Na, wie gesagt, ich war Arbeitsgruppenleiter und die Offiziersfrauen kamen oft und fragten mich: ›Och Edith, keine Arbeit?‹ Die wollten alle arbeiten. […] Die Frauen passten sich schnell an. Wir saßen oft zusammen, auch in den Pausen. Unser Stall war ja nun nicht sehr groß, weniger als fünf, sechs Personen, von denen immer zwei, manchmal auch drei Offiziersfrauen waren. Sie gehörten dazu. Manchmal waren wir unten bei ihnen, bei den Familien, privat. Sie haben dann Delikatessen aufgetischt, alles, was im Kühlschrank stand. Komfortabel war es dort nicht, aber sie haben sich alle Mühe gegeben. Auch mein Mann ging manchmal mit, der sprach sogar ein paar Brocken Russisch. Sie sind dann mitsamt ihren Männern zu seinem sechzigsten Geburtstag gekommen. […] Schauen Sie mal, bei uns war eine Balletttänzerin beschäftigt, eine Narkoseärztin und noch eine Kinderkrankenschwester. Jedenfalls waren das alles Leute aus Großstädten, so dass wir keinen Unterschied gemerkt haben. Uns ist nicht aufgefallen, dass die eine andere Mentalität hatten, gar nichts. Wir verstanden uns wirklich ganz toll. Ich war gern mit ihnen zusammen.135
Tatsächlich kam es im letzten Jahr der DDR noch einmal zu einem Vorstoß seitens der DDR-Behörden: In der Zeit vom 24. bis 29. September 1989 sondierten Beauftragte des Staatssekretariats für Arbeit und Löhne beim Ministerrat und der Regierung der UdSSR die Möglichkeiten, Familienangehörige sowjetischer Militärs in Einrichtungen der DDR legal zu beschäftigen. Was man über Jahrzehnte versucht hatte, gelang allerletzten Endes. Die Beteiligten konnten sich tatsächlich auf eine Regelung einigen: Die Beschäftigung sollte demnach entsprechend den volkswirtschaftlichen Erfordernissen der DDR und aufgrund einer personenbezogenen Genehmigung der zuständigen Dienststellen der Sow-
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jetarmee erfolgen. Man beschloss, möglichst rasch die notwendigen Schritte zur Unterzeichnung des innerstaatlichen Vertrages durchzusetzen. Zum Abschluss eines solchen Vertragswerkes kam es freilich nicht mehr.136
Bilanzen Die sowjetischen Streitkräfte als Wirtschaftsfaktor Nicht nur aufgrund des 1957 vereinbarten Inanspruchnahmeabkommens, sondern vor allem aufgrund ihres politisch motivierten Bonus als »Befreier« hatten die Dienststellen der GSSD als privilegierte Kunden zu gelten. Diesem Anspruch und den damit verknüpften (An-)Forderungen kamen die Versorgungsfunktionäre der DDR bis zum Ende nach. Fachleute und Funktionseliten, allen voran die Staatliche Plankommission, strebten seit Ende der siebziger Jahre für beide Seiten gleichermaßen praktikable wie rationale Kompromissformen an, waren sogar bereit, Kontroversen und Konfrontationen mit den sowjetischen Interessenvertretern in Kauf zu nehmen. Doch die übermäßigen Forderungen des Oberkommandos sowie der Militärs vor Ort trafen bei den politischen Eliten der DDR, vor allem bei den Funktionsträgern aus der Generation der »misstrauischen Patriarchen«, immer wieder auf offene Ohren. Insofern misslang der Versuch, die Besatzer zu »gewöhnlichen« Kunden und Verbrauchern zu degradieren.
Die kulturellen Implikationen der »Sozialistischen Hilfe« Die Schattenwirtschaft, in welche Dienststellen der Armee teilweise offiziell und in welche Einzelpersonen und Personengruppen inoffiziell involviert waren, begründete Interaktionen zwischen Militärangehörigen und DDR-Bürgern zum beiderseitigen Nutzen. In diesen obskuren Zonen des Wirtschaftens kam es zu Kompromissformen, deren Grenzlinien anders verliefen als in den ideologisch-propagandistisch durchwirkten öffentlichen Sphären. Hier hatten die sowjetischen Geschäftsleute ihren deutschen Partnern Produkte und Waren von Wert anzubieten: sei es die eigene Arbeitskraft, seien es Kraftstoffe, seien es Posten aus den Arsenalen der Streitkräfte. Hier konnten sie die Gebenden sein: als Wohltäter und als Nothelfer – zu einem vergleichsweise geringen Preis und mit einem ebenso geringen Risiko. Die sowjetischen wie die DDR-Sicherheitsorgane wussten sehr wohl von diesen Tauschgeschäften in großem Stil, sie ließen es jedoch zumeist bei der bloßen Beobachtung der Delinquenten. Denn ein radikales Unterbinden der Machenschaften unter Freunden
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– hätte auf sowjetischer Seite den erschlichenen Mehrwerten und somit so mancher Annehmlichkeit für die Soldaten, vor allem aber dem lukrativen Zubrot für die vermittelnden Offiziere ein schmerzliches Ende bereitet; – hätte auf Seiten der ostdeutschen Kompagnons geradezu verheerende Auswirkungen gehabt: Für zahlreiche Betriebe vor Ort waren die Lieferungen aus den Militärarsenalen und die soldatischen Arbeitskräfte zunächst eine willkommene Unterstützung und Erleichterung; spätestens seit den achtziger Jahren stellten sie überlebenswichtige Faktoren in der sozialistischen Mangelwirtschaft dar. Was nicht ausschloss, dass auch hier die verantwortlichen Akteure aus diesen Jumelagen persönliche Vorteile zogen. Groß-Aktionen dieser Art, aber auch der ambulante Kleintausch in semiöffentlichen Räumen wie Gaststätten, Gärten oder gar in Wohnhäusern machten Absprachen und Abmachungen zwischen den Akteuren erforderlich – und damit erfolgreiche Verständigungen auf der Basis von Vertrauen. Wiederholten sich die Geschäftsbeziehungen, kam es zu nachhaltigen Kauf- und Tauschhandlungen, entwickelten sich zuweilen sehr trag- und strapazierfähige Beziehungen zwischen Sowjet- und DDR-Bürgern. Die Schiebereien auf unterer Ebene waren es daher, die punktuell zu regelrechten Freundschaften im klassischen Sinne führten. Oft entwickelten sie sich netzartig um bestimmte menschliche Nuklei, die bereits eine gute und ertragreiche Geschäftsfreundschaft aufgebaut hatten: Gewährsleute bei der örtlichen Einheit, Organisationstalente wie die von den Zeitzeugen benannten Figuren Viktor und Wolfgang ermöglichten diese Brückenschläge, die nicht nur wirtschaftliche Erfolge zeitigten, sondern auf lange Sicht auch personelle und kulturelle Leistungen hervorbrachten. Bei dieser Art deutsch-sowjetischer Freundschaft steckten beide Seiten unter einer dunklen Decke, die wiederum den Selbstschutz mit dem Schutz des Anderen, des Geschäftsfreundes, verknüpfte. Makroökonomisch gesehen, erwies sich dieser in vielfältiger Hinsicht vorteilhafte und belebende Kreislauf von Waren und Produkten aus den Kasernen jedoch als fragwürdiger circulus vitiosus: Denn die meisten der großzügigen Lieferungen entstammten letztlich den Lagern und Depots der kleinen DDR. Die steigenden planmäßigen Forderungen und die außerplanmäßigen Sonderwünsche der GSSD waren seitens der Staatlichen Plankommission nur dadurch zu realisieren, dass Betrieben und Bürgern eben dieselben Güter entzogen wurden. Insofern entpuppten sich die zahlreichen Siege der deutsch-sowjetischen Bundesgenossen über die Mangelwirtschaft ökonomisch als Pyrrhussiege.
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3.2.3 Straftaten und Strafverfolgung Theorie und Praxis Mein Bruder wohnte noch bei meinen Eltern in Ohrdruf. Er hatte sich an diesem Abend, wie so oft, mit seinem Moped auf den Weg in die Disko gemacht. Es war schon dunkel, so gegen 18 Uhr. Er nahm eine Abkürzung vorbei an der Russensiedlung. Auf einmal kam ein Militär-Lastkraftwagen auf ihn zugeschossen. Der Fahrer hatte das Stoppschild missachtet, ist einfach losgefahren und erwischte meinen Bruder voll mit dem vorderen Teil des LKWs in Höhe des Kotflügels. Mein Bruder war auf der Stelle tot. Der Fahrer fuhr ihn dann ins Krankenhaus nach Ohrdruf, aber der Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Meine Eltern identifizierten ihn am selben Abend. Sie wurden zum Glück sofort informiert, weil Einheimische den Unfall gesehen hatten. Einer der Zeugen war mein ehemaliger Schulkamerad, ein anderer ein Freund meines Bruders. Beide wussten sofort, wer da auf dem Moped gesessen hatte. Ich glaube, dadurch konnte der Fahrer auch nicht mehr so einfach weglaufen. Die Zeugenaussagen sind dann von der Volkspolizei zu Protokoll genommen worden, allerdings wurden sie später widerrufen. In den am Tatort gemachten Aussagen stand, dass der sowjetische Soldat die Vorfahrt nicht beachtet hatte, dass mein Bruder vorschriftsmäßig gefahren und die Kreuzung hell beleuchtet war. Der Unfall passierte am Sonntag und tags darauf wurden schon die ganzen Formalitäten geklärt. Das defekte Moped wurde ersetzt und für die Beerdigung kam die Versicherung auf. Zu diesem frühen Zeitpunkt akzeptierten die Behörden, dass mein Bruder am Unfall keinerlei Schuld trug.
Kam es zur Anklageerhebung? Wir bekamen zwischenzeitlich überhaupt keine Informationen. Also gingen wir davon aus, dass es irgendwann zu einer Anklage kommen würde. Als sich nach Monaten immer noch nichts rührte, fuhr ich zur deutschen Militärstaatsanwaltschaft nach Erfurt, weil man mir bei Gericht gesagt hatte, dass die Klärung der Sache der NVA oblag. In Erfurt zeigte man mir erstmalig die Unfallakte. So konnte ich den Unfall nachvollziehen und sah Fotos vom Auto und vom Moped meines Bruders. In der Akte befanden sich auch die Obduktionsberichte. Allerdings bekam ich nur einen Teil der Akte, der andere Teil befand sich noch bei der Technischen Überprüfung in Berlin. Dort sollte geklärt werden, ob mein Bruder mit Licht gefahren war oder nicht. Ich hatte das Gefühl, dass man sich in Erfurt viel Mühe gab, den Fall aufzuklären. Man wollte nicht, dass dieser russische Soldat ungestraft davon kam, schließlich war ja ein Mensch getötet worden. Ich ging dann noch einmal zur Militärstaatsanwaltschaft, und zwar im nächsten Frühjahr. Wieder ließ mich der zuständige Staatsanwalt die Akte einsehen. Doch diesmal hatte ich den Eindruck, dass er keinen Einfluss mehr auf den Fall hatte. Ich erfuhr dann, dass die Akte an die Oberstaatsanwaltschaft in Berlin abgegeben worden war und dann weiter an die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft in Weimar gegangen ist. Also fuhr ich dorthin. Schon am Telefon teilte man mir mit, dass das gesamte Verfahren eingestellt worden war. Ich ließ mir daraufhin sofort einen Termin geben.
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Wie verlief dieses Treffen mit dem sowjetischen Militärstaatsanwalt? Zunächst erzählte ich den anwesenden Offizieren alles, was ich in Erfurt erfahren hatte, vor allem erwähnte ich die Zeugenaussagen. Und fragte, wieso auf Grund dieser Sachlage noch kein Verfahren eröffnet worden war. Sie antworteten mir daraufhin in schroffem Ton, man habe herausgefunden, dass der Soldat unschuldig sei. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Sie lasen mir aus ihren Unterlagen vor, dass mein Bruder ohne Licht gefahren sei und den Soldaten eben deshalb keine Schuld treffe. Die Zeugenaussagen waren, meinten sie weiter, zurückgezogen worden, weil diese sich im Nachhinein nicht mehr genau erinnern konnten, ob mein Bruder nun mit Licht gefahren war oder nicht. Was den Unfallhergang betraf, so stellten sie den nicht in Frage. Über die Rücknahme der Zeugenaussagen war ich maßlos enttäuscht, wobei ich vermutete, dass das KGB oder die Kommandeure selbst versucht hatten, den Fall zu vertuschen. Ich konnte es zwar nicht beweisen, aber irgendwer hatte meinen Schulkameraden unter Druck gesetzt, von alleine zog der eine solche Aussage nicht zurück. Als ich aufstand und mich anschickte zu gehen, sagte der sowjetische Dolmetscher leise zu mir: ›Das sind alles Lumpen, die wollen die Sache doch nur vertuschen.‹ Die Offiziere hatten bereits den Raum verlassen.137
Am 6. März 1985 teilte die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft der MilitärOberstaatsanwaltschaft der DDR in einer ihrer wöchentlichen Besprechungen mit, dass von einem Ermittlungsverfahren gegen den sowjetischen Fahrer des Militärtransporters abgesehen werden würde. Die folgende Begründung diente ihr zur Rechtfertigung: »M. hat sich beim Befahren der Kreuzung, während der Dunkelheit ohne Beleuchtung von der untergeordneten Straße kommend, nicht vom Verkehr auf der Hauptstraße überzeugt und fuhr auf das sowjetische Kfz auf. Der Tod des Bürgers M. ist auf seine persönliche Unaufmerksamkeit zurückzuführen.«138 Die Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR glaubte – in Kenntnis der vorangegangenen Untersuchungen – ihren Augen und Ohren nicht zu trauen und widersprach der Entscheidung der sowjetischen Kollegen umgehend. Sie argumentierte, dass sämtliche vorgetragenen Details im krassen Widerspruch zum Unfallbefund, zur Unfallskizze, zu den Aussagen der beiden Zeugen und zu den Aufnahmen vom Tatort stünden. Nicht M. habe sich auf einer Nebenstraße befunden, sondern das sowjetische Fahrzeug. Auch sei M. laut Zeugenaussagen mit Licht gefahren; der technische Bericht hatte tatsächlich bestätigt, dass die Glühbirne im eingeschalteten Zustand durchgebrannt war – kein Wunder, bedenkt man, dass das Moped noch dreißig Meter mitgeschleift und der Scheinwerfer dabei zerstört worden war.139 Drei Monate später beantragte die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft eine Gegenüberstellung des Fahrers mit einem der beiden Zeugen. Im Verlauf der Befragung gab der deutsche Zeuge an, sich nicht mehr hundertprozentig erinnern zu können, ob das Moped mit oder ohne Licht gefahren sei. Er habe damals unter Schock gestanden.140 Am 24. Oktober 1985 kam es zwischen der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft und der Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR zu einer letzten
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Beratung in dieser Sache. Angesichts der Tatsache, dass einer der Zeugen seine ursprüngliche Aussage zumindest in Teilen widerrufen hatte, und im Hinblick auf den technischen Untersuchungsbericht, der nicht mit letzter Sicherheit bestätigen konnte, ob die Glühbirne nun kurz vor dem Unfall oder erst infolge des Zusammenstoßes durchgebrannt war, einigte man sich auf die Einstellung des Verfahrens.141 Keiner der Anwesenden jedoch konnte in Kenntnis der Beweislage ernsthaft daran glauben, dass man diese Entscheidung zu Recht getroffen hatte. Dieser Vorgang stellte nach Ansicht der Hauptabteilung VII des MfS keinen Sonderfall dar: In lediglich 18 Prozent aller übergebenen Fälle erkannten die sowjetischen Militärstaatsanwälte die Täterschaft eines Angehörigen der GSSD an.142 Wenige Monate nach Abschluss des Stationierungsabkommens im Jahr 1957 hatten die sowjetische und die deutsche Regierung ein zweites Regelwerk beschlossen: ein Rechtshilfeabkommen.143 Ergänzend zum Stationierungsabkommen enthielt es konkrete Bestimmungen über die gegenseitige Rechtshilfe der Justiz-, Polizei- und Verwaltungsorgane der DDR und der korrespondierenden Dienststellen der GSSD. Das Abkommen ging von dem im Stationierungsabkommen (Artikel 5) enthaltenen Grundsatz aus, dass bei strafbaren Handlungen DDR-Recht angewandt werden sollte. Eine sowjetische Zuständigkeit war demzufolge nur dann gegeben, wenn sich die Tat gegen Angehörige der Armee sowie gegen deren Familien richtete, beziehungsweise wenn die Tat in »Ausübung dienstlicher Obliegenheiten« begangen worden war. In diesem Fall zeichnete die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft verantwortlich. Diese im Stationierungsabkommen bereits grundsätzlich festgelegten Bestimmungen wurden nunmehr durch weitere Vereinbarungen untermauert. Sie legten – eine gegenseitige Unterstützung der Justiz-, Polizei- und Verwaltungsorgane der DDR und der Justizorgane der sowjetischen Streitkräfte, – die Rechtshilfe in Straf- und Zivilsachen sowie – Fragen der Untersuchungshaft und der Bestrafung fest. Die Vollstreckung rechtskräftiger Strafurteile oblag grundsätzlich den Vollzugsbehörden der DDR. Sämtliche notwendigen Maßnahmen, einschließlich des Verkehrs mit den sowjetischen Streitkräften, sollten durch die Militärstaatsanwaltschaft der NVA144 in den Bezirken sowie durch die Militär-Oberstaatsanwaltschaft in Berlin veranlasst werden.145 Diese bilateralen Vereinbarungen, die das Prinzip der deutschen Rechtsund Gerichtshoheit festlegten, standen jedoch nur auf dem Papier. Mit der alltäglichen Praxis der Strafverfolgung hatten diese Normen nur wenig gemein, was die im Folgenden geschilderten Fallbeispiele augenfällig verdeutlichen.
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Straftaten und Strafverfolgung in den sechziger und siebziger Jahren Grabenkämpfe eines Abschnittsbevollmächtigten Im Jahr 1952 hatte das Politbüro beschlossen, in größeren Städten sowie in besonders wichtigen ländlichen Gebieten das System der Abschnittsbevollmächtigten einzuführen. Besonders »zuverlässige und bewusste Volkspolizisten mit großer Erfahrung auf den verschiedensten Gebieten der polizeilichen Tätigkeit« sollten sich von nun an um den »Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den Ortschaften«146 kümmern. Günther Kabbe aus Nohra war einer von ihnen, freilich konnte man ihn zunächst nicht als erfahren bezeichnen. Vielmehr hatte er bei Dienstantritt gerade erst seine Ausbildung beendet, einen Lehrgang, bei dem er auch die russische Sprache erlernte. Seine Sprachfertigkeiten schienen dann auch ausschlaggebend dafür gewesen zu sein, dass man ausgerechnet diesen Neuling an einem Ort einsetzte, wo Einheimische und Stationierungstruppen seit Jahren Kämpfe austrugen. Als ich meine Ausbildung beendet hatte, war ich erst zwanzig Jahre alt. Man fragte mich, ob ich bereit wäre, als ABV nach Nohra zu gehen. Die Russen waren zu dieser Zeit nicht gerade beliebt dort. Man sprach zwar immer von den ›Freunden‹, aber es waren ja damals noch keine Freunde! Das Wort haben nur die ganz oben verwendet. Die Leute haben da ganz anders gedacht, und zwar nicht nur die Deutschen über die Russen, sondern auch umgekehrt. Bis dahin waren in Nohra immer wieder Bürger in Haft genommen worden. Von Offizieren des Armeestabes. Es kam vor, dass ein Bauer sein Feld pflügte und irgendein Posten meinte, er hätte das Militärgelände fotografiert. Daraufhin wurde er, ohne dass man den Angehörigen Bescheid sagte, in Arrest genommen. Solche Inhaftierungen waren natürlich ungesetzlich, was den Russen aber völlig egal war. So erging es nicht wenigen Männern von Nohra. Sie wurden für einen Tag oder eine Nacht einfach so ins Gefängnis gesteckt. Selbst mich haben sie schon mal in den Knast gesteckt! Das war 1957, als die russischen Einheiten in Troistedt einen Bunker zu bauen begannen. Natürlich blieb eine solche Maßnahme nicht unbemerkt. Die Leute kamen zu mir und erzählten, dass die Russen oben im Wald etwas Illegales bauen würden. Und weil ich nicht wollte, dass es Ärger gab, machte ich mich umgehend auf den Weg dorthin. Ich wies mich beim Posten als Polizist aus. Dieser forderte mich auf Russisch auf, stehen zu bleiben. Aber das war mir egal, schließlich befanden wir uns nicht auf gekennzeichnetem Militärgelände, weshalb ich verantwortlich war und nicht die Freunde. Der Posten telefonierte kurz und es dauerte nicht lange, bis ich abgeholt wurde. Man nahm mir meine Pistole weg und brachte mich in die Hauptwache, wo ich einen ganzen Tag und eine Nacht lang festgehalten wurde. Erst am nächsten Morgen, während des Verhörs, stellten die Russen fest, dass ich der Abschnittsbevollmächtigte war und ich wurde gefragt, was ich hier zu suchen gehabt hätte. Schließlich müsse ich doch die russischen Truppen gesehen haben. Daraufhin antwortete ich, dass ich lediglich einem Hinweis
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aus der Bevölkerung nachgekommen sei. Posten hin, Posten her, es sei meine Pflicht, jeder Anzeige nachzukommen. Im Anschluss an diese Unterredung und nach einigen Ermahnungen setzten sie mich wieder auf freien Fuß.147
Mit der Zeit fand sich Kabbe im Umfeld des Militärdorfes besser zurecht. Mittlerweile war er mit seiner Frau nach Nohra gezogen, saß abends mit den Einheimischen beim Bier und erfuhr von so mancher Sorge. Diese Nähe erleichterte und erschwerte ihm die Arbeit. Einerseits wurde er nun in wichtige Angelegenheiten eingeweiht, er kannte die illegalen Geschäfte der Bauern mit der Armee und hatte sie gemäß seinem Dienstauftrag sofort an seine vorgesetzte Polizeibehörde sowie beim Stab Nohra zu melden. Doch konnte und wollte er das erlangte Vertrauen nicht ohne Not verspielen, also galt es, Mittelwege, gangbare Kompromisse, zu finden. Wissen Sie, ich wusste so manches, aber ich erzählte nicht alles. Zum Beispiel verschwieg ich, dass deutsche Familien ganz persönliche Freundschaften zu russischen Familien unterhielten. Darüber habe ich im Armeestab Nohra nie etwas erzählt, sondern lediglich über die polizeiliche Lage berichtet, und auch nur über solche Vorfälle, von denen ich meinte, ich müsste sie anbringen. Über alles andere habe ich keine Angaben gemacht, auch nicht über Geschäfte wie den Benzinverkauf. Schließlich war ich darin selbst involviert! Gemeldet habe ich vorwiegend Fahrraddiebstähle und Einbrüche, die auch nicht groß zur Anzeige gekommen sind, da sie die Einheimischen nicht den Russen, sondern ausschließlich mir gegenüber vorbrachten. Ich habe das auch nicht bei der Kriminalpolizei angegeben, sondern nur immer zu den Bauern gesagt, ich würde das mit den Russen klären, und zwar so, dass die Betreffenden zu ihnen kommen und das Entsprechende ersetzen. Das passierte dann in der Regel auch. Wenn ich zum Armeestab ging, um Rapport abzulegen, wurde ich manchmal vom Pfarrer begleitet. Er wollte persönlich darauf dringen, dass die Diebstähle im Ort endlich aufhörten. Damals bezweifelte ich so manche Bauernaussage. Ich glaubte zum Beispiel nicht, dass die Russen aus den Kellern eingeweckte Lebensmittel entwendeten, da sie viel zu große Angst davor hatten, vergiftet zu werden. Zu größeren Vorfällen kam es aber ohnehin nur noch selten. Die russischen Soldaten hatten sich mittlerweile an bestimmte Regeln gewöhnt. Nicht zuletzt auch wegen der drakonischen Strafen, die sie erwarteten, wenn sie erwischt wurden. Auch die Deutschen hatten angefangen, sich mit manchen Dingen abzufinden, und das nicht zuletzt wegen der Vorteile, die sie durch die Russen hatten.148
Der ABV von Nohra meldete also viele Vorkommnisse gar nicht erst seiner vorgesetzten Dienststelle. In Fällen, in denen er es doch tat, oblag es dieser Polizeibehörde zu entscheiden, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte, ob also die Militär-Staatsanwaltschaft von dem Vorgang Kenntnis erlangen sollte oder nicht.
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Ermittlungen auf schmalem Grat Am 1. November 1968 fand bei der Militär-Oberstaatsanwaltschaft eine Beratung statt, bei der Vertreter des MdI und des MfS über Aspekte einer künftigen Strafverfolgung und -ahndung im Zusammenhang mit Angehörigen der GSSD debattierten. Zunächst einmal stellten die Anwesenden fest, dass – entgegen einer Weisung des Generalstaatsanwaltes vom 3. Dezember 1957 über die Zuständigkeit der DDR-Gerichtsbarkeit – die entsprechenden Ermittlungen keinesfalls durch die zuständigen Militärstaatsanwaltschaften der NVA geführt würden. Vielmehr hatte sich eine andere Praxis herausgebildet: Der Originalvorgang wurde nach Prüfung der Anzeige und nach der Sicherung des Tatortes durch die örtlichen Polizeidienststellen umgehend dem Standortkommandanten beziehungsweise der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft übergeben. Duplikate erhielt dann die Militär-Oberstaatsanwaltschaft in Berlin, die solche Fälle in der Regel nicht ermittelte, sondern nur verwaltete. Die laut Vereinbarung zuständigen Instanzen, die Bezirks-Militärstaatsanwaltschaften der NVA, blieben von den Vorkommnissen und Straftaten weithin unbehelligt; lediglich in besonders schweren Fällen wurden sie hinzugezogen, vor allem bei Vorgängen, die breitere Bevölkerungskreise in Unruhe zu versetzen vermochten.149 Die Juristen des MdI und des MfS rechtfertigten den permanenten Bruch des Stationierungsabkommens damit, dass die Militärstaatsanwaltschaften der NVA ohnehin nicht in der Lage seien, die 400 bis 450 anfallenden Verfahren gegen sowjetische Militärpersonen pro Jahr zusätzlich zu bearbeiten – und dass es auch dem Wunsch der sowjetischen Genossen entspräche, diese Verfahren in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen. Diese Routine sei zum beiderseitigen Vorteil und fördere die Konzentration und Beschleunigung der Ermittlungen. Es gäbe kein Gerangel um Kompetenzen mehr, keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten und keine Fälle, bei denen die Ergebnisse der Spurensuche und Zeugenaussagen nicht anerkannt werden würden. Dem Militär-Oberstaatsanwalt in Berlin, argumentierte man weiter, würden nach Abschluss der Verfahren ohnedies alle notwendigen Informationen über eingestellte wie zur Anklage erhobene Straffälle zugehen. Am Ende der Sitzung sprachen sich die Anwesenden einmütig dafür aus, dass die frühzeitige Abgabe der Vorgänge an die sowjetische Seite legitim, vor allem aber zweckmäßig sei.
Strafermittlungsorgane der GSSD Zunächst einige Bemerkungen zum System der Militärtribunale der GSSD, die nicht nur der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR zur Rechenschaft verpflichtet waren, sondern auch gegenüber der militärischen Führung der Streitkräfte.150 Ihre Mitarbeiter waren bezüglich ihrer Ermittlungsergebnisse den
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Die Zeit der »Besatzung«
Armeeorganen (gegen die sie nicht selten ermittelten) unterstellt.151 Hauptaufgabe dieser Gerichte war die Verhandlung von Straf- und Zivilsachen, die Militärdienstleistende und deren Familien sowie Zivilangestellte betrafen. Dabei wurde das prozessuale Hauptaugenmerk nicht auf eine gerechte Verhandlung, sondern auf eine effektive Bestrafung des Angeklagten gelegt. Dem Schutz der Soldaten, ihrer Rechte und Freiheiten, schenkte man bis zum Ende der achtziger Jahre wenig Aufmerksamkeit. Das System der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft bestand aus der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft in Wünsdorf, den Staatsanwaltschaften der Militärbezirke sowie den Staatsanwaltschaften der Militärstandorte.152 Auf dem Territorium der DDR agierten gemäß der Militärtribunalordnung von 1957153 zwei Organe der Militärgerichtsbarkeit: Militärtribunale erster Instanz waren dem Stab der jeweiligen Armee zugeordnet. Für die Garnison Weimar war dies die 8. Gardearmee in Nohra, für die Garnison Dresden die 1. Gardepanzerarmee in Dresden. Hier verhandelte man kleinere Straftaten. Dem Angeklagten stand in jedem Fall ein Verteidiger zur Seite, der freilich nicht unabhängig vom Richter agieren konnte. Vielmehr waren die Militärverteidiger Angestellte der Militärtribunale, die vergleichsweise gut bezahlt wurden. Die Mehrzahl der Verteidiger setzte alles daran, eine solch prestigeträchtige Auslandsstelle zu behalten. Dies bedeutete aber auch, dass die Verteidiger mit Rücksicht auf den Vorsitzenden des jeweiligen Gerichtes arbeiteten. Stimmten die Ansichten des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung nicht überein, konnte das vor allem für die Verteidiger berufliche Nachteile bringen.154 Es ist daher nicht abwegig, diese Konstellation von Abhängigkeiten für eine mangelnde Qualität und ein mangelndes Engagement im einen oder anderen Verteidigungsfall verantwortlich zu machen. Als Militärtribunal zweiter Instanz fungierte der Gerichtshof der GSSD in Wünsdorf. Seine Kompetenzen umfassten zum einen die Kontrolle der Gerichte erster Instanz und zum anderen die Verhandlung schwerer Straffälle; mithin Spionage, Landesverrat und Verbrechen, die von höheren Offizieren begangen worden waren. Vergehen von Militärangehörigen im Rang eines Generals und höher sowie von Personen, die Divisionskommandeursstellen bekleideten, wurden ausnahmslos vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR verhandelt. Alle Militärtribunale urteilten nach dem Straf- und Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und sämtliche Urteile ergingen im Namen der Sowjetunion.155 Die frühzeitige Abgabe von deutschen Ermittlungsfällen an diese sowjetischen Instanzen hätte aus zwei entscheidenden Gründen nicht befürwortet werden dürfen: Erstens war im Rechtshilfeabkommen eindeutig festgelegt worden, dass in Bezug auf die Strafverfolgung außerhalb der Kasernen die Gesetze der DDR
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und nicht das Recht der UdSSR zu gelten hatte. Zwar gab es, wie bereits erwähnt, die Einschränkung, dass Straftaten, die in »dienstlicher Obliegenheit« begangen worden waren, von sowjetischen Ermittlern bearbeitet werden sollten. Doch konnte davon bei der Struktur der Delikte zumeist keine Rede sein. Totschlagdelikte, Raubüberfälle, Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss sowie Vergewaltigungen waren wohl kaum geeignet, in Zusammenhang mit der Ausübung dienstlicher Pflichten gebracht zu werden. Dass diese Klausel im Stationierungsabkommen dennoch für eine durchgängige und pauschale Praxis der Übertragung herangezogen wurde, widersprach dem geltenden Recht. Zweitens stellte man die Kommandeure der Einheiten sowie die ihnen angegliederten Standortkommandanten vor die Aufgabe, Strafsachen zu verfolgen, für deren Verhinderung sie eigentlich verantwortlich gewesen wären. Die Truppenteile wiederum standen im strengen Wettbewerb miteinander. Rechenschaftsberichte sorgten dafür, dass sich die einzelnen Einheiten einem ständigen Vergleich stellen mussten. Kam es infolge strafrechtlicher Ermittlungen zu Schuldurteilen, mussten die Kommandeure ihren Vorgesetzten im Oberkommando Wünsdorf erklären, wie solche Übergriffe seitens ihrer Untergebenen überhaupt möglich gewesen waren und wessen Versagen dafür verantwortlich gemacht werden konnte. Die Aufgaben der sowjetischen Militärstaatsanwälte standen insofern den Interessen ihrer Kommandeure diametral entgegen: Die Militärstaatsanwaltschaft war Bestandteil eines zentralisierten Justizsystems mit dem Generalstaatsanwalt der UdSSR an der Spitze. Ihre vorgesetzte Behörde befand sich in Moskau und nicht in Wünsdorf. Auch die Militärstaatsanwälte standen in einem aktiven Wettbewerb. Sie hatten Straftaten aufzuklären. Gelang ihnen dies nicht, mussten sie sich rechtfertigen, wobei eine geringe Aufklärungsrate der beruflichen Karriere nicht gerade förderlich war. Um einen guten Zustand ihrer Einheit rapportieren zu können, kam es immer wieder vor, dass die Kommandeure Ermittlungen der zuständigen Militärstaatsanwälte behinderten. Sie vernichteten Spuren, beeinflussten Täter- wie Zeugenaussagen und verweigerten mitunter sogar die Übergabe von Tatverdächtigen, wobei so mancher Standortkommandant den Truppenkommandeuren bei solchen unlauteren Machenschaften sekundierte. So stellte der Militär-Hauptstaatsanwalt der GSSD Ende der achtziger Jahre fest, dass nicht weniger als 83 Standortkommandanturen auf dem Territorium der DDR zweckentfremdet existierten. Die jeweiligen Truppenkommandeure fungierten hier gleichzeitig als Standortkommandanten. Die Hauptaufgabe der Truppenkommandeure war es, die Disziplin innerhalb der Einheiten zu sichern. Die Pflicht der Standortkommandanten war es, für Ruhe und Ordnung außerhalb der Militärobjekte zu sorgen, was automatisch mit der Kontrolle über die Arbeit der Truppenkommandeure einherging. Wo aber beide Instanzen in eins gesetzt wurden, gehörte die Verschleierung von Straftaten
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Die Zeit der »Besatzung«
und Tätern zum Programm.156 Jede Ahndung von Vorfällen außerhalb der Kasernenmauern wäre zwangsläufig auf eine Pflichtverletzung zurückzuführen gewesen. Der Truppenkommandeur als Standortkommandant vereinte so die Rollen des Anklägers und des Angeklagten in einer Person. Tatsächlich nutzten viele Truppenkommandeure die ihnen übertragenen, weitreichenden Kompetenzen zur Strafverfolgung zu deren Vertuschung. Standgerichte Am 22. November 1961 hatte der Minister für Verteidigung der UdSSR die Einführung von eigenständigen Ermittlungsorganen innerhalb der Sowjetarmee angewiesen.157 Von nun an verfügten alle Kommandeure der Truppenteile und Verbände sowie alle Standortkommandanten über die Rechte von Ermittlungsorganen, gedacht zur »Festigung der Disziplin, zur Erziehung der Armeeangehörigen im Geiste der strikten Einhaltung der Gesetze, des Fahneneides, der Vorschriften und der Befehle der Vorgesetzten«.158 Dem Kommandeur sowie seinen Vertretern oblag es, ihnen unterstellte Armeeangehörige bei Bedarf zur Verantwortung zu ziehen. Vor allem bei geringfügigen Verfehlungen oder wenn der Vorfall »keine große gesellschaftliche Gefahr darstellte«, hatte der Kommandeur dem zuständigen Militärstaatsanwalt zwar Mitteilung über die von ihm eingeleitete Untersuchung zu machen, aber ansonsten konnte er frei walten.159 In welchem Fall eine »gesellschaftliche Gefahr« vorlag und in welchem nicht, ließen die Instruktionen offen; die Entscheidung darüber, ob das Verfahren innerhalb der Einheit geklärt werden konnte oder ein externer Ermittler der Militärstaatsanwaltschaft hinzuzuziehen war, oblag in vielen Fällen dem Kommandeur. Er entschied im Verlaufe der Untersuchungen auch darüber, ob der Delinquent »durch Maßnahmen der kollektiven Einwirkung gebessert« werden konnte, ob der Schuldige also »zur Umerziehung im Kollektiv der Einheit«160 verbleiben durfte, oder aber ob vom Militärstaatsanwalt ein externes Ermittlungsverfahren einzuleiten war. Selbst dann hatte der Kommandeur immer noch sämtliche Zuarbeiten für die Militärstaatsanwaltschaft zu leisten: die Sicherung von Spuren, die Feststellung von Zeugen, die Festnahme und die erste Vernehmung von Verdächtigen.161 Die Truppenkommandeure waren somit Ermittlungsorgane und Vorgesetzte in einer Person, was jedem Gebot einer unabhängigen Rechtsfindung widersprach. Jedes eingeleitete Ermittlungsverfahren aber musste nach Wünsdorf gemeldet werden, wo man sie dann selbst als verantwortliche Befehlshaber zur Rechenschaft zog.162 Die Verharmlosung oder gar Verheimlichung von Straftaten nach außen bedeutete freilich nicht, dass Vorfälle nicht geahndet wurden. Der Kommandeur, vor allem aber sein politischer Stellvertreter, hatten größtes Interesse an der Disziplinierung von Delinquenten und an der damit einhergehenden disziplinierenden Verwarnung der gesamten Truppe. Vor allem der
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Zampolit, der für den moralischen Zustand der Soldaten verantwortlich war, hatte Übergriffe auf die deutsche Bevölkerung durch geeignete Erziehungsmaßnahmen zu verhindern. Nahmen solche Vorfälle überhand, hatte sein Ausbildungsprogramm versagt, so zumindest sahen es seine Vorgesetzten.163 Diese gesetzwidrigen, eigenmächtigen Verfahrensweisen der GSSD, vor allem aber der Anstieg von Straftaten, veranlassten den deutschen Militär-Oberstaatsanwalt Ende der sechziger Jahre, die Ermittlungen zur Chefsache zu machen. Künftig zeichnete seine Unterabteilung III für Internationale Arbeit für die Verfolgung solcher Vorkommnisse verantwortlich.164 1978 erarbeitete das MdI einen Katalog von Maßnahmen, welche erstmalig auch die Bezirks-Militärstaatsanwälte der NVA stärker in die Pflicht nahmen. Von nun an wurden für jedes eingeleitete Ermittlungsverfahren statt zwei drei Duplikate angefertigt: Neben der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft und der Militär-Oberstaatsanwaltschaft Berlin erhielt nun auch der Bezirks-Militärstaatsanwalt der NVA einen Aktenvorgang.165
Die achtziger Jahre: Perestroika in der Strafverfolgung? Anfang der achtziger Jahre traten neue, exaktere Festlegungen zur Strafverfolgung in Kraft.166 Neben der Analyse bereits begangener Verbrechen sowie deren Verfolgung sollten sich die Militärstaatsanwaltschaften der NVA nunmehr auch um die Verbrechensprävention kümmern. Was waren die Gründe für eine insofern erweiterte Indienststellung der Militärstaatsanwaltschaften? Schließlich hatte man jahrzehntelang eine regelwidrige Praxis der Strafverfolgung nicht nur bereitwillig hingenommen, sondern sogar begünstigt. Hauptgrund für die Reform war vor allem das wachsende Aufkommen an Straftaten. Anfang der achtziger Jahre häuften sich Verbrechen, an denen Angehörige der sowjetischen Streitkräfte beteiligt waren. Vor allem Einbrüche und Diebstähle gehörten an manchen Orten mittlerweile zum Alltagsgeschehen. Die Bevölkerung reagierte zunehmend verärgert. Bisher hatte es zwar hin und wieder Grund zur Klage gegeben, aber das Verhältnis zwischen Einheimischen und Stationierten war im Vergleich zu den Jahren unmittelbar nach dem Krieg längst berechenbar geworden. Seit Anfang der achtziger Jahre begannen die fragilen Kompromisse des Alltags sichtbar zu splittern.
Straftaten zum Nachteil von Angehörigen der GSSD Allerdings gingen die Straftaten nicht allein von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte aus, sondern richteten sich zuweilen auch gegen sie. Vorkommnisse, bei denen sowjetische Bürger zu Opfern wurden, machten in der ersten
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Die Zeit der »Besatzung«
Hälfte der achtziger Jahre zehn bis fünfzehn Prozent der Gesamtvorfälle aus,167 wobei gerade diese Statistiken der Berliner Militär-Oberstaatsanwaltschaft nur einen Teil der tatsächlich begangenen Verbrechen berücksichtigten. Neben der Beschimpfung von Wachposten, der sexuellen Belästigung von sowjetischen Frauen, neben Diebstählen aus Wohnungen wie aus Garnisonen und neben Verkehrsunfällen kam es häufig vor, dass deutsche Bürger Prügeleien mit sowjetischen Militärs anzettelten. Dies geschah zumeist im Wissen um die eigene Überzahl und infolge reichlichen Alkoholgenusses.168 Das folgende Beispiel aus Dresden soll als Exempel für diese Kategorie von Verbrechen dienen:169 In einer Julinacht 1972 kam es nach einer Tanzveranstaltung am Rande Dresdens zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und sowjetischen Offizieren. Die Veranstaltung neigte sich gegen ein Uhr morgens dem Ende zu, die Gäste strömten nach draußen. Auf dem Platz vor dem Lokal bildeten sich zwanglose Grüppchen, es war eine warme Sommernacht, man unterhielt sich noch. Zum Tanzen waren an diesem Abend auch sechs sowjetische Offiziere in Zivil gekommen. Für sie gab es einen besonderen Anlass zu feiern: die bevorstehende Heimkehr eines Freundes in die Sowjetunion. Einer der deutschen Jugendlichen, nicht weniger angetrunken als die übrigen Versammelten, begann ein junges Mädchen zu belästigen. Alle schauten zu und niemand griff ein. In ihrer Not bat sie einen der Offiziere, ihr zu helfen. Sie hatte am Abend mehrmals mit ihm getanzt und wohl Zutrauen gewonnen. Der Offizier wurde, noch bevor er die Möglichkeit hatte, dem Hilferuf nachzukommen, von einem Freund des Zudringlichen verbal und mit Fäusten attackiert. Weitere Anwesende mischten sich in den »Kampf« ein, die Offiziere eilten ihrem Freund zu Hilfe, es kam zur Schlägerei. Die Militärs wussten sich jedoch in der Minderheit und versuchten, in Richtung ihrer Unterkünfte zu entkommen. Zwei Dutzend Jugendliche feuerten nun sowohl die sowjetischen als auch die deutschen Raufbolde an, großer Lärm entstand, was die Militärstreife der nahe gelegenen Garnison auf den Plan rief. Einer der Posten feuerte Schüsse in die Luft ab, woraufhin man auf beiden Seiten inne hielt. Eine zweite sowjetische Streife erschien und forderte alle Versammelten auf, sich auf den Boden zu setzen. Einige leisteten Gehorsam, andere suchten das Weite. Die deutschen Schläger wurden nun festgenommen und zur nahe gelegenen Standortkommandantur verbracht, alle übrigen sollten ihrer Wege gehen, was sie allerdings nicht taten. Vielmehr zogen sie ebenfalls zur Kommandantur; etwa zwanzig Personen standen nun »Buh«rufend und pfeifend vor dem Gebäude. Die Russen hätten keinen Anspruch auf »ihre Mädchen«, weshalb man die inhaftierten Freunde »herausgeben« solle. Inzwischen waren auch der ABV und eine deutsche Polizeistreife zur Stelle, die jedoch nichts ausrichten konnten. Erst als man die Übeltäter wieder auf freien Fuß setzte, löste sich die lautstarke Versammlung auf. Bis zu diesem Zeitpunkt war es in den Dresdner Lokalen zwar wiederholt zu
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Auseinandersetzungen zwischen alkoholisierten deutschen und sowjetischen Männern gekommen, doch noch nie zu einer derart ausufernden Schlacht. Häufig war es um vermeintliche Ansprüche auf die eigenen Mädchen gegangen: Man sah es nicht gern, wenn die Russen intime Kontakte knüpften.170 Während die meisten Straftaten zum Nachteil deutscher Bürger zur Anzeige kamen, allein deshalb, weil die Staatliche Versicherung der DDR nur dann Schadensersatz leistete, wurden Übergriffe auf sowjetische Militärs sehr viel seltener Gegenstand einer Anzeige. Hauptgrund dafür war die Angst vor Repressionen seitens der eigenen Vorgesetzten. Im Falle von körperlichen Übergriffen beispielsweise hätten die Opfer erklären müssen, weshalb sie sich zum Zeitpunkt des Geschehens in deutschen Lokalen aufgehalten hatten. Zwar war zumindest den höheren Dienstgraden, ihren Familien wie den Zivilbediensteten weitgehend frei gestellt, wo sie sich in ihrer Freizeit bewegten, doch schärfte man ihnen auch immer wieder ein, dass es das Oberkommando nicht gern sah, wenn sich Angehörige der Streitkräfte in einheimischen Kneipen betranken. Die Gefahr von rauschhaften Entgleisungen schien den Vorgesetzten stets zu groß. Selbst wenn die potentiellen sowjetischen Anzeigenerstatter also keinerlei Schuld an einem gemeldeten Vorkommnis trugen, wurden sie dennoch zum Rapport befohlen und zur Rechenschaft gezogen. Jeder Vorfall lenkte die Aufmerksamkeit auch auf den Beschwerdeführer – eine Aufmerksamkeit, die für die weitere Karriere mit Sicherheit in keiner Weise förderlich war. Also schwieg man lieber über solch unangenehme Dinge.171
Straftaten zum Nachteil von DDR-Bürgern Präziser lassen sich Ausprägungen und Konjunkturen von Straftaten verfolgen, bei denen sowjetische Bürger nicht Opfer, sondern Täter waren. Seit Mitte der siebziger Jahre ließ sich, im Gegensatz zur generellen Kriminalitätsentwicklung in der DDR, ein stetiges Ansteigen der durch Angehörige der GSSD verübten Verbrechen ausmachen. Vor allem seit Beginn der achtziger Jahre schnellten die Statistiken in die Höhe: 1981 verdoppelte sich die Anzahl der verfolgten Straftaten, 1984 erreichten sie mit 3.000 Fällen ihren zahlenmäßigen Höhepunkt. Innerhalb von zehn Jahren hatte sich die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren um mehr als das Dreifache erhöht. Erst ab Mitte der achtziger Jahre sank sie wieder. Ein guter Grund, im Rahmen dieses Kapitels vor allem diese Konjunktur in den frühen achtziger Jahren anhand von Statistiken und charakteristischen Beispielen eingehend zu dokumentieren und zu hinterfragen. Die folgende Übersicht gibt über die Entwicklung dieser Straftaten detailliert Aufschluss. Allerdings sind in ihr nur die von der Militär-Staatsanwaltschaft der NVA eingeleiteten Ermittlungsverfahren enthalten. Über Vorkommnisse, bei denen von DDR-Seite kein Verfahren eingeleitet wurde, existieren keinerlei Angaben.172
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Tab. 4: Übersicht über die Straftaten, verübt von Angehörigen der GSSD in den Jahren 1976–1989173 Kalenderjahr
1976
1977
1978
1979
1980
1981
vorsätzliche Tötungsdelikte
3 (0,3%)
8 (0,8%)
4 (0,4%)
3 (0,2%)
3 (0,2%)
4 (0,1%)
vorsätzliche Körperverletzungen
6 (0,7%)
10 (1,0%)
10 (0,9%)
7 (0,5%)
13 (0,8%)
14 (0,5%)
fahrlässige Körperverletzungen
2 (0,2%)
4 (0,4%)
4 (0,4%)
3 (0,2%)
4 (0,2%)
1 (0,04%)
Vergewaltigungen
50 (5,6%)
38 (3,7%)
47 (4,3%)
64 (4,2%)
61 (3,6%)
62 (2,3%)
Raubüberfälle
18 (2,0%)
6 (0,6%)
8 (0,7%)
23 (1,5%)
27 (1,6%)
28 (1,0%)
Straftaten gegen sozialist. Eigentum
268 (30,2%)
323 (31,1%)
352 (31,8%)
511 (33,2%)
653 (38,6%)
1.095 (41,0%)
Straftaten gegen privates Eigentum
213 (24,0%)
213 (20,5%)
259 (23,5%)
454 (29,5%)
521 (30,9%)
930 (34,8%)
Rowdytum
32 (3,6%)
49 (4,7%)
58 (5,3%)
75 (4,9%)
81 (4,8%)
143 (5,4%)
schwere VKU mit tödl. Verletzungen
58 (6,5%)
52 (5,0%)
55 (4,9%)
67 (4,4%)
49 (2,9%)
52 (1,9%)
schwere VKU mit Schwerverletzungen
165 (18,6%)
257 (24,7%)
233 (21,1%)
240 (15,6%)
167 (9,9%)
197 (7,3%)
Unbefugte Benutzg. von Kfz.
44 (5,0%)
39 (3,8%)
40 (3,6%)
57 (3,7%)
56 (3,3%)
98 (3,7%)
vorsätzliche Sachbeschädigung
7 (0,8%)
33 (3,2%)
20 (1,8%)
25 (1,6%)
32 (1,9%)
37 (1,4%)
Brandstiftungen (außer Übungen)3
21 (2,4%)
7 (0,7%)
14 (1,3%)
10 (0,6%)
18 (1,1%)
10 (0,4%)
887
1.039
1.104
1.539
1.685
2.671
sonstige sexuelle Straftaten1
schw. VKU mit hoh. Sachschäden2
sonstige Straftaten4 Insgesamt
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(Un-)Freiwillige Nachbarschaften
241
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
5 (0,2%)
1 (0,04%)
4 (0,1%)
5 (0,2%)
3 (0,1%)
2 (0,1%)
6 (0,4%)
–
6 (0,2%)
16 (0,6%)
6 (0,2%)
17 (0,7%)
24 (1,1%)
31 (1,5%)
44 (2,8%)
71 (4,4%)
–
1 (0,04%)
3 (0,1%)
1 (0,04%)
2 (0,09%)
5 (0,2%)
10 (0,6%)
2 (0,1%)
65 (2,3%)
62 (2,3%)
70 (2,3%)
44 (1,8%)
45 (2,0%)
17 (0,8%)
40 (2,5%)
40 (2,5%)
32 (1,5%)
18 (1,1%)
27 (1,7%)
31 (1,1%)
29 (1,1%)
45 (1,5%)
11 (0,4%)
37 (1,6%)
40 (1,8%)
22 (1,4%)
45 (2,7%)
1.260 (43,8%)
1.044 (39,3%)
1.085 (36,2%)
991 (40,0%)
719 (31,9%)
755 (35,4%)
547 (34,3%)
494 (30,4%
1.080 (37,6%)
1.087 (40,8%)
1.260 (42,0%)
1.004 (40,0%)
919 (40,8%)
767 (35,9%)
559 (35,1%)
633 (39,0%)
113 (3,9%)
142 (5,3%)
154 (5,1%)
136 (5,4%)
127 (5,6%)
104 (4,9%)
68 (4,3%)
39 (2,4%)
38 (1,3%)
51 (1,9%)
63 (2,1%)
44 (1,8%)
28 (1,2%)
27 (1,3%)
23 (1,4%)
22 (1,4%)
137 (4,8%)
121 (4,5%)
140 (4,7%)
120 (4,8%)
118 (5,2%)
125 (5,9%)
77 (4,8%)
84 (5,2%)
14 (0,6%)
3 (0,1%)
–
2 (0,1%)
123 (4,3%)
82 (3,1%)
93 (3,1%)
100 (4,0%)
108 (4,8%)
76 (3,6%)
62 (3,9%)
39 (2,4%)
16 (0,6%)
19 (0,7%)
71 (2,4%)
29 (1,2%)
57 (2,5%)
63 (2,9%)
32 (2,0%)
30 (1,8%)
–
4 (0,2%)
6 (0,2%)
6 (0,2%)
12 (0,5%)
3 (0,1%)
4 (0,3%)
10 (0,6%)
40 (1,8%)
85 (4,0%)
82 (5,1%)
86 (5,3%)
2.253
2.135
1.594
1.624
2.874
2.659
3.000
2.508
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Anhand dieser Statistik lässt sich der außerordentliche Anstieg der Vergehen seit Ende der siebziger Jahre in absoluten Ziffern gut nachvollziehen: Innerhalb von sieben Jahren, von 1977 bis 1984, verdreifachte sich die Zahl. Aufschlussreich stellt sich die Verteilung der Straftaten nach Delikten dar: – Eigentumsdelikte bildeten stets das Gros der Straftaten. Wobei der Anteil der Straftaten gegen privates Eigentum (hier dürfte es sich überwiegend um kleinkriminelle Machenschaften und Mundraub gehandelt haben) von rund zwanzig Prozent im Jahr 1977 auf über vierzig Prozent im Jahr 1984 anstieg. Ähnlich verhielt es sich mit den Straftaten zum Nachteil gesellschaftlichen oder staatlichen Eigentums; auch hier macht die Tabelle einen signifikanten Anstieg von rund dreißig auf knapp 44 Prozent im Jahr 1982 deutlich. – Der Anteil schwerer Verkehrsunfälle, die noch Ende der siebziger Jahre stets mehr als ein Viertel aller Vergehen ausmachten, war in den achtziger Jahren sowohl in absoluten Ziffern wie prozentual deutlich rückläufig. – Körperverletzungen und Tötungsverbrechen schlugen mit vergleichsweise niedrigen Werten zu Buche – ihr Anteil am Gesamtaufkommen blieb im Großen und Ganzen konstant niedrig. – Die Anzahl der angezeigten Vergewaltigungen variierte zwischen vierzig und maximal siebzig pro Jahr und erreichte mithin einen prozentualen Anteil von 5,6 bis rund zwei Prozent – mit sinkender Tendenz. Tab. 5: Übersicht über den zahlenmäßigen Anfall der erfassten Vorgänge zu den Straftaten der GSSD174 Vorgänge 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980
498 546 581 528 547 651 835 1.053 1.241 1.273 1.482 1.598 2.006 2.144
davon Straftaten
887 1.039 1.104 1.539 1.685
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1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989
Vorgänge
davon Straftaten
3.220 3.223 2.871 3.217 2.669 2.504 2.340 1.833 1.823
2.671 2.874 2.659 3.000 2.508 2.253 2.135 1.594 1.624
243
Diese Übersicht verzerrt das Bild insofern, als sie bis zum Jahr 1975 zwischen erfassten Vorgängen und Straftaten nicht unterscheidet. Somit lassen sich die Daten aus den Jahren zuvor nicht direkt mit den seit 1976 aufgeführten reinen Straftaten vergleichen. Sie werden hier dennoch präsentiert, weil sie gleichwohl Tendenzen der Kriminalitätsentwicklung aufzuzeigen vermögen. Es lässt sich deutlich sehen, dass sich die Anzahl der Vorgänge und damit auch die Anzahl der Straftaten kontinuierlich – und seit 1972 stärker als zuvor – erhöht hat. Solche absoluten Zahlenangaben über sowjetische Straftaten vermögen das Problem allerdings nur unvollständig abzubilden. Erst die quasi synoptische Zusammenschau der generellen Kriminalitätsentwicklung innerhalb der DDR mit der Entwicklung der Straftaten, verübt durch GSSD-Angehörige, lässt Aussagen darüber zu, welchen Stellenwert im Gesamtzusammenhang letztere einnahmen – was freilich noch keine Rückschlüsse auf die Wahrnehmung dieser Verbrechen durch die Bevölkerung zulässt. Die folgende Übersicht verdeutlicht, dass »sowjetische« Straftaten von Mitte der siebziger Jahre bis 1989 zwischen 0,7 bis 2,5 Prozent der insgesamt in der DDR verübten Delikte ausmachten. Dabei fällt auf, dass die landesweite Kriminalitätsrate über die Jahrzehnte weitgehend unverändert blieb beziehungsweise leicht anstieg, wohingegen die von Angehörigen der GSSD begangenen Straftaten deutliche Konjunkturen aufwiesen. Tab. 6: Übersicht über die Entwicklung der Straftaten im Gesamtgebiet der DDR 1976 Straftaten insgesamt175 Straftaten GSSD176 in Prozent
1977
1978
1979
1980
1981
1982
124.678 116.170 126.620 129.099 129.270 122.221 120.275
887
1.039
1.104
1.539
1.685
2.671
2.874
0,7%
0,9%
0,9%
1,2%
1,3%
2,2%
2,4%
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Die Zeit der »Besatzung«
244 1983 Straftaten insgesamt
1984
1985
1986
1987
1988
122.656 119.125 113.363 110.768 114.815 119.124
1989 99.971
Straftaten GSSD
2.659
3.000
2.508
2.253
2.135
1.594
1.624
in Prozent
2,2%
2,5%
2,2%
2,0%
1,9%
1,3%
1,6%
Tab. 7: Vergleich der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung und der »sowjetischen« Straftaten im Bezirk Dresden177
Allgemeine Kriminalität DDR178
1982
1983
1984
1985
120.275
122.656
119.125
113.363
179
Allgemeine Kriminalität Stadt Dresden Kriminalität GSSD184 Stadt Dresden
4.028180
3.908181
3.954182
3.847183
96
61
56
85
Tab. 8: Kriminalität GSSD in der Stadt Dresden nach Delikten185 1982
1983
1984
1985
Insgesamt
96
61
56
85
Diebstahl privaten Eigentums
59
5
26
31
Diebstahl sozialist. Eigentums
31
19
20
46
Schwere Verkehrsunfälle
5
4
5
1
Verkehrsunfälle mit Todesfolge
–
3
1
–
Sexualdelikte
1
–
2
4
Körperverletzung
–
–
1
2
Raub
–
–
1
1
Offiziers-Veteranen aus Afghanistan Was sind die Ursachen für den Anstieg der Straftaten, verübt durch die GSSD Anfang der achtziger Jahre? Im Zusammenhang mit dem sozialen Werteverlust innerhalb der sowjetischen Gesellschaft wurden und werden immer wieder Argumente vorgetragen, welche die radikalen Veränderungen infolge von Glasnost und Perestroika
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für die Auflösung fester Strukturen, für den Verlust von Disziplin und Werten verantwortlich machen. Doch für das hier fassbare Epiphänomen scheint dieses Argument nicht zu greifen. Die Statistiken zeigen sehr deutlich, dass der Anstieg von Verbrechen und Vergehen bereits seit Beginn der achtziger Jahre zu verzeichnen war, überdies, dass diese Entwicklung im Jahr 1984, mithin vor dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow, ihren Höhepunkt erreichte, um dann wieder abzuebben. Noch bevor die unmittelbaren Auswirkungen der Perestroika auf das Militär einsetzten, verringerte sich die Verbrechensrate also wieder. Ganz im Gegensatz zur Verbrechensstatistik innerhalb der Sowjetunion. Hier stiegen die Ziffern zum Ende der achtziger Jahre kontinuierlich an.186 Es liegt daher nahe, einen anderen Umstand für den rapiden Verfall der Disziplin innerhalb der Armee zu diskutieren: Ebenso wie der Anstieg der Desertionen ist auch der Anstieg der Strafdelikte unmittelbar wie mittelbar auf den Krieg in Afghanistan zurückzuführen. In einem 1988 in der Tageszeitung Izvestija veröffentlichten Interview mit dem sowjetischen Generalstaatsanwalt Boris S. Popow stellte ein Journalist genau diese Frage: Haben Sie schon einmal etwas von der ›afghanischen Kriminalität‹ gehört? Popow: Habe ich nicht, zumal in den Streitkräften das Problem einer ›afghanischen Kriminalität‹ nicht existiert. Die Rechtsverletzungen im begrenzten sowjetischen Truppenkontingent weisen keinerlei Besonderheiten auf. Mehr noch, ihre Zahl ist innerhalb der letzten zwei Jahre um die Hälfte gesunken. Ebenso haltlos sind die Redereien darüber, dass Soldaten, die in Afghanistan waren, zu irgendwelchen ›Gewaltakten‹ neigen würden.187
Die Ausführungen des Generalstaatsanwaltes lassen vermuten, dass ihm dieses Phänomen, zumindest jedoch die Rede darüber, sehr wohl bekannt war. Ohne weitere Nachfrage präsentierte er Argumente für die Nichtexistenz einer besonderen, kriegsbedingten Eskalation von Verbrechen. Obwohl über die Folgen von Afghanistan für das Militär schon im Zusammenhang mit der Dedowschtschina sowie der Fahnenfluchten die Rede war, soll hier noch ein Aspekt des Krieges erörtert werden, der im unmittelbaren wie mittelbaren Zusammenhang mit dem Ansteigen der Straftaten stand: die ethnische und soziale Zusammensetzung der sowjetischen Truppen in Afghanistan. Wie bereits beschrieben, waren mit Kriegsbeginn GSSD-Eliteeinheiten zum Kampfeinsatz abgezogen worden. An ihre Stelle traten schlechter ausgebildete Wehrdienstpflichtige aus den mittelasiatischen Landesteilen, deren Ausbildung laut armeeinterner Berichte große Probleme bereitete.188 So war man bislang von einer Eingewöhnungsphase von dreieinhalb Monaten ausgegangen, nun jedoch benötigten vierzig Prozent der Eingezogenen bis zu einem halben Jahr, um sich im Armeealltag zurecht zu finden.189 Darüber hinaus hatten sie
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Die Zeit der »Besatzung«
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sich – zumindest partiell – auch den Herausforderungen des fremden Landes DDR zu stellen. Diesen Ansprüchen konnte nicht jeder Rekrut gerecht werden.
Schadensbegrenzungen Mehr und mehr kam es in dieser zugespitzten Situation zu vertraulichen Gesprächen zwischen Regierungsvertretern und dem Oberkommandierenden. Das MfS legte zur Vorbereitung solcher Gespräche gewöhnlich Dossiers vor, die zwar zunächst mit verbindlichen Formeln der Partei- und Staatsführung begannen, »dem verantwortungsvollen Dienst der Angehörigen der Sowjetarmee in der GSSD an der Trennlinie zwischen den beiden Weltsystemen in Europa auch weiterhin hohe politische Bedeutung und Wertschätzung«190 beizumessen. Schließlich seien sowohl die Beziehungen zu den engsten Klassen- und Waffenbrüdern, dem Regiment nebenan stetig gewachsen, als auch die Freundschaft zwischen der Bevölkerung und den Sowjetarmisten auf allen Ebenen ausgebaut worden. Doch bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, die sich aus dem entbehrungsreichen Dienst ergäben, könne die Ost-Berliner Regierung nicht umhin, die anstehenden Probleme, die bei der deutschen Bevölkerung zu großer Beunruhigung, zumindest jedoch zu »negativen Diskussionen« führten, zur Sprache zu bringen.191 Vor allem in Gegenden in der Nähe von Garnisonen, wo es zu Häufungen von Straftaten komme, würden die Bürger zunehmend mit Zweifeln an der Substanz der deutsch-sowjetischen Freundschaft und mit Unverständnis darüber, dass die Behörden der DDR scheinbar so gar nichts gegen den Verbrechensanstieg auszurichten vermochten, reagieren. Bisweilen fürchteten die Leute um Leben und Gesundheit. Die Folge seien zunehmende Proteste, Unterschriftensammlungen sowie Eingaben, »Verunglimpfungen der Sowjetarmee, der Sowjetunion und ihrer Politik« sowie eine abnehmende Bereitschaft zu »gesellschaftlicher Arbeit«.192 Diese Gespräche brachten zunächst zögerliche, auf lange Sicht dennoch deutlich spürbare Veränderungen. Eine 1984 beschlossene Neuerung war der Aufbau einer lückenlosen Dokumentation über begangene Straftaten unter Federführung der Hauptabteilung VII des MfS;193 alle involvierten Behörden bekamen nun jederzeit über sämtliche Vorkommnisse Bescheid.194 Dabei reklamierte die Staatssicherheit nicht nur dokumentarische und kommunikativ-vernetzende, sondern auch exekutive Aufgaben für sich. In mehreren Vereinbarungen zwischen dem MfS und dem KGB über die Verfahrensweise gegenseitiger Rechtshilfe und Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung195 wurde festgeschrieben, in welchen Fällen durch das MfS künftig selbst ermittelt werden sollte.196 Eine gesonderte Untersuchungskommission des MfS stellte fortan nicht nur Beweismittel sicher und wertete sie aus, sie führte darüber hinaus auch Ver-
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höre von Verdächtigen und von Zeugen durch.197 Somit waren die Staatssicherheitsorgane künftig nicht nur für Nachrichtenbeschaffung und -weiterleitung zuständig, ihnen oblagen auch Bereiche der unmittelbaren Strafverfolgung.198
Unkonventionelle Amtshilfe Nachdem er auch in den eigenen Reihen immer mehr unter Druck geraten war, führte der sowjetische Militär-Hauptstaatsanwalt am 23. September 1987 ein vertrauliches Telefonat mit dem Militär-Oberstaatsanwalt der DDR.199 Der sowjetische Amtsträger informierte seinen Kollegen über eine bevorstehende interne Lagebesprechung auf höchster Ebene, an der unter anderen auch der Verteidigungsminister der UdSSR und Mitglieder des Militärrates teilnehmen würden. Der Oberkommandierende in Wünsdorf beabsichtige, das Zusammentreffen mit einem Referat zum Thema: »Der Kampf gegen Gesetzesverletzungen von sowjetischen Armeeangehörigen auf dem Territorium der DDR« zu eröffnen. Im Vorfeld war er, der Militär-Hauptstaatsanwalt, aufgefordert worden, ein Dossier zu erarbeiten. Ein sensibles Unterfangen, weshalb er den deutschen Kollegen um Amtshilfe ersuche; schließlich, schmeichelte er, wurden die Unterlagen nirgends so akribisch geführt wie bei der Militär-Oberstaatsanwaltschaft. Die beiden Männer vereinbarten, das Fachgutachten gemeinsam zu erstellen. Der noch am selben Tag verfasste Bericht über die Schwerpunkte der Verbrechensentwicklung seit Mitte der achtziger Jahre sprach eine unverblümte Sprache: »Die sowjetischen Soldaten stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Ihr Verhalten wird nicht nur von den Bürgern der DDR, sondern auch von zahlreichen Touristen aus dem kapitalistischen Ausland genau registriert. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Bürgern der DDR und Bürgern der BRD führen dazu, daß Vorkommnisse, die von Angehörigen der GSSD verursacht werden, nach kurzer Zeit im kapitalistischen Ausland bekannt werden. Insgesamt gesehen muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß Straftaten und besondere Vorkommnisse im zivilen Bereich, gleichgültig um welche Arten es sich handelt, immer geeignet sind, außerordentlich negative politisch-moralische Auswirkungen unter der Bevölkerung auszulösen.«200 Welche Informationen der Oberbefehlshaber der GSSD seinen Moskauer Vorgesetzten tatsächlich zugemutet und welche er verschwiegen hat, lässt sich kaum einschätzen. Zumindest folgten dieser Zusammenkunft auf höchster Ebene noch weitere. Die Schwerpunkte der Kriminalitätsentwicklung, die hier im Geheimen besprochen wurden, blieben bis zum Ende der Stationierung dieselben, sie entsprachen dem Trend der Kriminalitätsentwicklung sowohl in der UdSSR als auch in der DDR in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre.
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Die Zeit der »Besatzung«
Vergehen und Verbrechen – eine Tour d’horizon Im Folgenden sollen anhand ausgewählter Vorkommnisse in Dresden, Weimar und Nohra wesentliche Strafhandlungen sowie Aspekte der Strafverfolgung und -prävention analysiert sowie an aussagekräftigen und typischen Beispielen illustriert werden. Als Grundlage für die weiteren Betrachtungen dient die Verbrechensstatistik des letzten Jahres der DDR. Bei dieser Auflistung handelt es sich insofern um besondere Dokumente, als die von GSSD-Angehörigen begangenen Straftaten hier erstmalig nicht nur detailliert aufgeführt, sondern auch Angaben zur tatsächlichen Ahndung der Fälle gemacht wurden. Im Jahr 1989 erfasste die Militär-Oberstaatsanwaltschaft republikweit insgesamt 1.624 Straftaten, die von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte begangen worden waren. Dabei verhielt sich deren territoriale Verteilung analog zur Dislozierung der Truppen. Verzeichnete der Wehrbezirk Potsdam 396 Vorgänge, waren es in Suhl nur zwei. Dresden und Erfurt lagen mit je 120 registrierten Fällen im Mittelfeld. Die Art der Delikte glich derjenigen in den vorangegangenen Jahren: Tötungsdelikte waren kaum zu verzeichnen, dafür jedoch Eigentumsdelikte, Verkehrsunfälle sowie vorsätzliche Körperverletzungen.201 Der Militär-Oberstaatsanwalt traf sich wöchentlich zu Absprachen mit dem sowjetischen Militär-Hauptstaatsanwalt in Wünsdorf, in der Regel verhandelten beide Seiten dann 25 bis 30 Fälle. Die deutsche Seite informierte die Kollegen über neu aufgetretene Straftaten und über besondere Vorkommnisse. Ihrerseits erhielt sie Mitteilung über abschließende Strafentscheide, die sie sodann betroffenen deutschen Bürgern mitzuteilen hatte. Schaut man sich die Urteile durch die Militärtribunale in den achtziger Jahren an, so fällt auf, dass die spezifischen Tatumstände in Bezug auf das Strafmaß kaum eine Rolle spielten, vielmehr wurden für Vergehen ganz unterschiedlicher Tragweite vergleichbar milde oder aber harte Strafen verhängt. So musste man für einfachen Diebstahl mit zwei bis vier Jahren Gefängnis, für schwere Verkehrsdelikte mit Todesfolge ebenfalls mit zwei bis vier Jahren und für eine Vergewaltigung mit drei bis fünf Jahren Freiheitsentzug rechnen.202 Sexuelle Nötigung dagegen wurde in vielen Fällen gar nur mit Disziplinarstrafen geahndet. 1989 erhielt ein Fähnrich für den Diebstahl eines Anoraks in einem Dresdner Kaufhaus eine Haftstrafe von zwei Jahren, ein sowjetischer Offizier im selben Jahr für den Einbruch in einen Textilladen in Weimar drei Jahre. Ein achtzehnjähriger Soldat, der 1989 in Dresden schuldhaft einen Unfall mit tödlichem Ausgang verursachte, bekam ebenfalls eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Ein in Weimar stationierter Sergeant erhielt 1989 für eine Vergewaltigung wiederum dasselbe Strafmaß: drei Jahre Freiheitsentzug. Die genann-
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ten Fälle repräsentieren im Großen und Ganzen die Urteilspraxis der Militärtribunale in den siebziger und achtziger Jahren.203 War die Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR mit einer Anklage oder mit einem Gerichtsurteil nicht einverstanden, konnte sie eine erneute Prüfung beim Wünsdorfer Militärtribunal zweiter Instanz beantragen. Dies gestaltete sich insofern schwierig, als die deutschen (Vor)Ermittler während dieser Besprechungen lediglich darüber informiert wurden, ob es eine Verurteilung gegeben hatte oder nicht. Falls ein Richterspruch erfolgt war, erfuhren sie das Strafmaß. Mit welcher Begründung dieses ausgesprochen worden war, welche Erkenntnisse die sowjetischen Untersuchungsführer nach Übergabe der Akten durch die deutsche Seite dazugewonnen hatten und welche Vergehen im Einzelnen letztlich im Prozess verhandelt worden waren – darüber erhielt die Militär-Oberstaatsanwaltschaft keinerlei Informationen. Legte sie dennoch in einzelnen Fällen Einspruch gegen ein Urteil ein, war es für die sowjetischen Ermittler ein Leichtes, neue, den Kollegen unbekannte Erkenntnisse zu präsentieren. Vertrauen ließ sich auf diese Weise nur schwer aufbauen.
Straftaten zum Nachteil sozialistischen und privaten Eigentums Seit Mitte der siebziger Jahre betrug ihr Anteil zwischen 51,6 und 81,4 Prozent der Gesamtvorgänge, wobei sich Diebstahlsdelikte in der ersten Hälfte der achtziger Jahre mehr als verdoppelten. 1989 verzeichnete die Militär-Oberstaatsanwaltschaft insgesamt 1.127 Diebstahlshandlungen, begangen durch Angehörige der GSSD. Obgleich sowjetische Militärtribunale eine Mehrzahl der von den Ermittlern der DDR als erwiesen angesehenen Straftaten nicht anerkannten, sprachen sie, wenn es dann doch zu Urteilssprüchen kam, außergewöhnlich hohe Strafen aus. Ein Grund dafür war die spezifische Ausrichtung des sowjetischen Strafsystems: Hier bestand bei Verletzungen vor allem von sozialistischem, weniger von privatem Eigentum eine deutliche Tendenz zur Strafverschärfung. Ebenso wie bei politisch intendierten Vergehen fielen die Urteile bei diesem Delikt überproportional hart aus.204 Einbrüche und Diebstähle hatten bereits in den siebziger Jahren ein erhebliches Ausmaß angenommen und machten seit Mitte der achtziger Jahre etwa zwei Drittel aller Straftaten aus. Sie richteten sich sowohl gegen privates als auch gegen gesellschaftliches und staatliches Eigentum. Bei der Schädigung privaten Eigentums handelte es sich überwiegend um Einbrüche in Wochenendhäuser, Gartenlauben und Fahrzeuge in der Nähe von Kasernen. Die Anwohner wurden häufig mehrfach bestohlen, wie beispielsweise Hans-Werner S. aus Weimar. Dieser Geschädigte schrieb schließlich dem Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, im April 1987 einen Be-
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schwerdebrief. Er schilderte seine kleine Gartenparzelle und seinen Bungalow, den er über die Jahre »in Eigenleistung« gebaut und ausgebaut habe. Alles sei bestens, bis auf die Tatsache, dass dort seit etwa zwei Jahren ständig eingebrochen würde. Die Diebe seien Angehörige der sowjetischen Armee; gewöhnlich würden sie Fenster und Türen aufbrechen und Lebensmittel, mitunter auch persönliche Gegenstände stehlen. Insgesamt zwölf Mal hatte Herr S. die Weimarer Polizei rufen müssen; diese war mit Fährtenhunden angerückt, hatte Fußspuren und Fingerabdrücke aufgenommen. Doch einen Effekt konnte Herr S. nicht erkennen. Keiner der Täter wurde je überführt. Zwar hatte Herr S. von der Staatlichen Versicherung der DDR in jedem einzelnen Einbruchsfall Schadensersatzleistungen erhalten, doch gehe es ihm und seinen Gartennachbarn, denen Ähnliches widerfahren sei, nicht um Geldentschädigungen, sondern darum, dass diese ständigen Beutezüge ein Ende finden müssten. Er selbst sei jahrzehntelang bei der Nationalen Volksarmee beschäftigt gewesen, es falle ihm deshalb sehr schwer feststellen zu müssen, dass alle polizeilichen Ermittlungen auf »Genossen der sowjetischen Garnison« hinwiesen.205 Der Brief von Hans-Werner S. ging unverzüglich an die Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR, gleichzeitig erhielt die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft in Weimar die Aufforderung, zum Vorgang Stellung zu nehmen.206 Auch die örtlichen Polizeidienststellen wurden um schriftliche Darstellung der Einbruchsfälle gebeten. Es stellte sich heraus, dass es im vergangenen Jahr in dieser Gegend tatsächlich zu zweiundzwanzig Anzeigen wegen Diebstahls gekommen war. Der aufgebrachte Bürger hatte also korrekte Angaben gemacht, weshalb nun die sowjetischen Behörden in die Pflicht genommen wurden. In einem Schreiben des sowjetischen Militärstaatsanwaltes an seine deutschen Amtskollegen vom 21. Mai 1987 versicherte dieser, »entsprechende Maßnahmen« eingeleitet zu haben. Der zuständige Standortkommandant sei von ihm angewiesen worden, solche Rechtsverletzungen künftig zu verhindern. Gemeinsam mit »den militärischen und politischen Führungen der Einheiten« solle im vorliegenden Fall überdies eine »gründliche Überprüfung durchgeführt« und ausgehend vom Ergebnis »die schuldigen Vorgesetzten wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht streng disziplinarisch und parteilich zur Verantwortung«207 gezogen werden. Zudem würde geprüft, ob es zweckmäßig sei, solche Vorgesetzten überhaupt in ihren Dienststellungen zu belassen. Wenige Wochen nach seiner Eingabe lud man Herrn S. zu einem klärenden Gespräch zum Militärstaatsanwaltschaft der NVA in Erfurt ein. Dem Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen des ZK der SED wurde das Schreiben der sowjetischen Militärbehörde zugesandt. Für alle Beteiligten war die Angelegenheit damit erledigt.208 Das couragierte Aufbegehren des Herrn S. blieb gerade in den achtziger Jahren kein Einzelfall. Die Art und Weise, mit solchen Besatzerübergriffen umzugehen, konnte vielmehr erstaunlich vielfältig sein. So zeigte auch der Gartenbesitzer und Universitätsangestellte Herr E. eine Initiative eigener Art:
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In unserer Gartenlaube wurde öfter etwas geklaut: Lebensmittel, auch mal eine Trainingshose. Das ist mir mehrmals passiert. Ich kam in den Garten und sah, dass eingebrochen worden war. Ich wusste sofort, ob es Deutsche oder Russen gewesen waren. Man konnte das riechen, die Russen hatten ihre bestimmte Seife oder ihr besonderes Parfüm. Ich habe mir dann jedes Mal gedacht: Gott sei Dank, es war ein Russe, da ist nicht viel passiert. Die Russen haben nur das Essen mitgenommen. […] Ich habe mich natürlich trotzdem aufgeregt, weil mich das irgendwie genervt hat, dass das Türschloss immer wieder zertrümmert wurde. Die sind ja ziemlich brutal vorgegangen. Als ich wieder einmal vor der kaputten Eingangstür stand, habe ich mir das Moped geschnappt und bin zur Kaserne gefahren. Hinten im Wald fand ich dann schon die ausgefutterten Konservendosen aus meinem Vorratsschrank. Die hatten dort oben ein Feldlager, dort bin ich hin. Ich griff mir einen Offizier und forderte ihn auf, mich zu meinem Garten zu begleiten. Er setzte sich auf mein Moped und fuhr mit. Ich hatte das Gefühl, dass der Vorfall in der Kaserne ausgewertet wurde. Bei mir kam es dann jedenfalls nicht mehr so häufig zu Einbrüchen.209
Mundraub-Prophylaxe Die Vereinsmitglieder einer Gartensparte bei Nohra gingen das Einbruchproblem ähnlich kreativ an. Die Anlage war insofern etwas Besonderes, als hier zahlreiche Mitarbeiter der Erfurter Justizbehörden Laubengrundstücke ihr Eigen nannten. Sie wussten aus ihrer täglichen Praxis, welche elementaren Bedürfnisse Diebe aus den umliegenden Garnisonen antrieben. So hängten sie prophylaktisch Beutel mit Lebensmitteln und Getränken an ihre Gartentüren, in der Hoffnung, die Täter würden diese nehmen und weiterziehen. Letztlich waren sich diese Geschädigten über die wirklichen Ursachen der fortwährenden Diebstähle durchaus im Klaren.210 Die Russen hatten ja nicht viel. Der einfache Landser bekam nur Kartoffeln und Kraut zu essen. Die haben alles gegessen, was ihnen die Natur geboten hat. Wir Bauern bekamen damals ein Ablieferungssoll und mussten Rote Beete, Weißkraut, Obst und Mohn auf unseren Feldern anbauen und später abliefern. Manchmal kamen wir aber gar nicht dazu, irgendwelches Obst zu ernten, weil die Landser das vor lauter Hunger schon vor uns gepflückt hatten. Einmal lief ich früh in den Garten, da waren Futterrüben herausgerissen, angebissen und es fehlten welche. Die Äpfel waren noch nicht reif, da wurden sie schon vom Baum gerupft und zwar alles bei Nacht. Immer wieder gingen wir zum Bürgermeister um uns zu beschweren, aber der konnte auch nichts machen. Auf irgendeine Wiedergutmachung haben wir jedenfalls vergeblich gewartet. Man muss allerdings sagen, dass die Soldaten streng bestraft wurden, wenn man sie draußen erwischte.211 Unsere Versicherung hatte häufig mit Einbrüchen in Gartenlauben zu tun. Typisch für solche Einbrüche war es, dass die Russen eigentlich selten etwas beschädigten und keine Wertgegenstände stahlen. Sie waren lediglich auf der Suche nach etwas Essbarem und nach Alkohol. Wertgegenstände konnten die Soldaten in die Kaserne ja nicht mitnehmen, weil man dort schlecht etwas verstecken konnte und der Diebstahl sehr schnell
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aufgeflogen wäre. Die Leute, deren Gärten sich in der Nähe sowjetischer Kasernen befanden, schlossen ihre Gartenlauben meist gar nicht mehr ab, damit sie nicht ständig ein neues Türschloss kaufen mussten. So grotesk das klingen mag, aber man hatte sich mit den russischen Einbrüchen arrangiert. Man wusste, wie schlecht die Verpflegung der einfachen Soldaten war. Sie hatten es scheinbar nötig, in den umliegenden Gärten etwas zum Essen zu stehlen.212
Großzügige Regulierungspraxis So verständnisvoll reagierten freilich nicht alle Bürger. In der Regel wurden solche Vorkommnisse nicht stillschweigend geduldet, sondern zur Anzeige gebracht. Nicht nur, weil man hier elementare Persönlichkeitsrechte verletzt sah, sondern auch, weil es nur im Falle einer Anzeige eine Entschädigung seitens der Staatlichen Versicherung der DDR gab. Unabhängig davon, ob man den Täter ausfindig machen konnte, unabhängig auch, ob es zu einem Prozess und zu einem Gerichtsurteil kam, wurden sämtliche Schäden aus dem Fonds der Hausratsversicherung ersetzt. Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass die sowjetische Seite eine eigene Beteiligung ausschloss, konnten die Geschädigten das Geld behalten. Die Praxis der Regulierung durch die Versicherung erfolgte zumeist schnell, unbürokratisch und kulant. Zum einen wollte man auf diese Weise öffentlich artikulierten Bürgerunwillen verhindern. Durch großzügige Summen, die nicht zuletzt auch als Abfindungen gedacht waren, hoffte man, die Geschädigten ruhig zu stellen. Zum anderen schien es den Versicherungsagenten auch von Vorteil, die Ermittlungsphase so schnell wie möglich zu beenden; zogen sich die Verhandlungen über längere Zeit hin, wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch sowjetische Instanzen einmischten. Ein direkter Kontakt der »Parteien« aber war nicht nur ungesetzlich, erfahrungsgemäß schürte er auch den Unmut der Geschädigten. Diese fühlten sich von den (nochmals) ins Haus eindringenden Militärs bedroht. Ging es in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten des Stationierungsabkommens vornehmlich um Einbrüche in Lauben und Keller, häuften sich Anfang der achtziger Jahre Raubzüge in Geschäftslokale und in staatliche Betriebe. Eine sowohl qualitative als auch quantitative Steigerung erfuhren vor allem Diebstähle von »sozialistischem Eigentum«. Diese wurden häufig für die Belange der Truppe begangen, etwa wenn Holz, Baumaterialien, Ersatzteile für Kraftfahrzeuge oder Autobatterien in großer Anzahl entwendet wurden. An solchen Aktionen beteiligten sich auch Vorgesetzte, vielfach verfügten die Täter sogar über offizielle Fahraufträge. Sie konnten ihre Militärlaster direkt an das Diebesgut heranfahren, dieses aufladen und in die Sicherheit der Militärenklaven verbringen. In der Regel verschwand die Beute dann für immer auf dem Gelände der Armee.
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Beiden Formen der Eigentumskriminalität war gemeinsam, dass die überwiegende Mehrzahl dieser Straftaten nicht geahndet werden konnten. In den achtziger Jahren richteten sich etwa siebzig Prozent der Ermittlungsverfahren »gegen unbekannt«. Bemühungen seitens der örtlichen Polizeidienststellen, Nachweise für eine sowjetische Täterschaft zu erbringen, wurden von der zuständigen sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft häufig konterkariert. Vor allem in territorialen Brennpunkten reagierten die Bürger auf solche fortwährenden und folgenlosen Diebeszüge zunehmend mit Unwillen. Während man in der Vergangenheit kleinere Vorkommnisse oftmals mit Bemerkungen abtat wie: »Die armen Muschiks haben ja sonst nichts, die Soldaten bekommen ja nie etwas außer der Reihe«, hieß es nun: »Mit Mundraub hat das nichts mehr zu tun, hier wird zielgerichtet geraubt.«213 Verständnis vermochte man nun kaum mehr aufzubringen.
Schwere Verkehrsunfälle Im Jahr 1989 wurden republikweit 108 schwere Verkehrsunfälle verzeichnet. In den siebziger und achtziger Jahren lag ihr Anteil an den Gesamtvorgängen zwischen 6,2 und 29,7 Prozent. Entgegen der allgemeinen Verbrechensstatistiken, wonach Straftaten der GSSD mit den Jahren allmählich (in manchen Fällen auch abrupt) zunahmen, war es hier genau umgekehrt. Die statistischen Werte der Verkehrsunfälle lagen Ende der siebziger Jahre deutlich höher als in den Achtzigern. Es scheint, als hätten die vorbeugenden Maßnahmen deutscher wie sowjetischer Instanzen zumindest in Teilen zu Erfolgen geführt. So kam es seit Mitte der achtziger Jahre zwischen dem Leiter der Hauptabteilung VII (Volkspolizei) und den verantwortlichen Offizieren des Oberkommandos zu periodischen Beratungen. Hier standen neben der Auswertung schwerer Verkehrsunfälle, der Interpretation verkehrsrechtlicher Fragen und Probleme der Öffentlichkeitsarbeit auch die Modi der Fahrausbildung zur Diskussion. Die auf Prävention ausgerichtete Zusammenarbeit bewährte sich auf lange Sicht, zumindest gingen die Unfallzahlen allmählich zurück. Im Jahr 1987 betrug ihr Anteil lediglich noch 1,6 Prozent des republikweiten Verkehrsunfallgeschehens.214 Bei der Ahndung von Vorfällen kam es zwischen deutschen und sowjetischen Verantwortlichen allerdings immerfort zu Reibereien. Grund dafür war die bereits angesprochene Regelung des Stationierungsabkommens (Artikel 6.b), wonach die Ermittlungen bei Verkehrsunfällen, die »in Ausübung des Dienstes« erfolgten, allein den sowjetischen Organen überlassen blieben. Anhand der wöchentlichen Mitteilungen im Jahr 1989 lässt sich Folgendes feststellen: Lediglich bei 41 Vorgängen (37,9 Prozent) war von der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, vornehmlich
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bei Verkehrsunfällen mit Todesfolge. Von allen eingeleiteten Untersuchungen wurden in nur zwanzig Fällen am Ende des Verfahrens Verurteilungen ausgesprochen. Insgesamt ergingen in 73 von 108 Vorgängen (67,6 Prozent) keine strafrechtlichen Sanktionen – ein Ergebnis, das in etwa den Verhältnissen während der gesamten achtziger Jahre entsprach.215 Dabei führte ein immergleiches Argument regelmäßig zur Abweisung der Verfahren: Der betreffende Fahrer habe sich nicht allein schuldhaft verhalten; vielmehr läge ein beiderseitiges Fehlverhalten vor. Wenn aber beide am Unfall beteiligten Parteien gleichermaßen Verursacher waren, mache eine womöglich langwierige detaillierte Schuldabwägung kaum Sinn. Als Beispiel sei nochmals der am Beginn dieses Kapitels geschilderte Fall eines Moped-Unfalls mit Todesfolge bemüht. Hier lautete die Argumentation so: Die technische Untersuchung habe ergeben, dass die vordere Glühlampe durchgebrannt war; ob dieser Defekt dem Zusammenstoß mit dem beteiligten Militärlaster beziehungsweise dem Sturz anzulasten oder die Lampe bereits zuvor kaputt gewesen sei, könne nach so langer Zeit nicht mehr geklärt werden. Zwar hätten beide Zeugen unmittelbar nach dem Unfall ausgesagt, das Licht habe gebrannt, doch seien aufgrund des Chaos’ am Unglücksort Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen angebracht. Überhaupt seien die Folgen des Unglücks weder gesellschaftsgefährdend noch von wirklichem Belang für die Allgemeinheit. Eine weitere Überprüfung erübrige sich daher. Für die betroffenen Bürger, in diesem Fall für die Eltern und den Bruder des Verunglückten, waren solch milde Urteile nicht nachvollziehbar. Unfallursache: Alkohol Seit Beginn der achtziger Jahre mehrten sich Verkehrsunfälle unter Einfluss von Alkohol.216 Dieses Problem betraf höhere und mittlere Dienstgrade ebenso wie zivile Mitarbeiter der GSSD, so gut wie nie einfache Mannschaftsdienstgrade. Solche Ordnungswidrigkeiten wurden zwar der zuständigen Standortkommandantur gemeldet, Folgen zeitigten die bloßen Anzeigen zumeist nicht. So auch nicht folgender Vorfall in einem Dresdener Vorort: Anfang August 1986 fuhr ein Panzer zur Hauptverkehrszeit durch Ponickau. Vor der Konsumgaststätte hielt der Fahrer an und kaufte zwei Flaschen Wodka. Gegen zwanzig Uhr sichtete man denselben Panzer auf der Ortsverbindungsstraße der Gemeinde, diesmal fuhr er deutlich Schlangenlinien. Gegen 21.40 Uhr wurde der Abschnittsbevollmächtigte durch den Besitzer einer Gaststätte darüber informiert, dass die betrunkenen Panzerfahrer in seinem Lokal zechten und zwei Dutzend ebenfalls angetrunkene Einheimische provozierten. Als der herbeigerufene Schutzmann die Kneipe betrat, erklärte der Panzerfahrer gerade lautstark, dass es sich bei seinem Freund, einem Major, um einen ehemaligen Afghanistankämpfer handelte. Der Major fuchtelte daraufhin mit einem
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langen Stock herum, den er angeblich aus dem Krieg mitgebracht hatte. Der Oberleutnant drohte den Anwesenden Prügel an, woraufhin der ABV die Kommandantur verständigte. Als die Besatzung dies mitbekam, rannte sie zu ihrem parkenden Panzer. Der ABV wollte den Koloss mit Hilfe von Signalen seiner Taschenlampe am Weiterfahren hindern, schließlich waren die Insassen volltrunken. Doch der Panzer setzte an, ihn einfach zu überrollen. Ihm blieb nur, sich mit einem kühnen Sprung in Sicherheit zu bringen. Wie und wo die waghalsige Fahrt endete, ist den Akten nicht zu entnehmen.217 Unfallursache: Technische Mängel Ein weiteres folgenschweres Problem stellte die mangelhafte technische Ausrüstung vor allem der Militärtransporter dar. Viele Unfälle geschahen mit betriebs- und verkehrsuntüchtigen Fahrzeugen, die weitgehend ungehindert am öffentlichen Verkehr teilnahmen. Freilich bekamen die deutschen Kontrollstellen selten genug Gelegenheit, den genauen Zustand der Kraftfahrzeuge zu untersuchen. In der Regel überführten sowjetische Dienststellen Unfallwagen umgehend mit der Bemerkung, man werde die eigenen Inspektionen beauftragen, eventuelle technische Mängel zu finden – oder aber, solche auszuschließen. So war es auch im Fall von Werner H. Am Montag, dem 18. Oktober 1982, wurde der 73jährige Rentner nahe dem Weimarer Bahnhof von einem sowjetischen Bus überrollt. Um zehn Uhr morgens hatte sich H. auf den Weg zum Lebensmittelladen um die Ecke gemacht. Die Ampel zeigte grünes Licht, also betrat der Mann den Fußgängerüberweg. Wenige Sekunden später schoss ein Militärbus bei rotem Ampelsignal und mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke. Der Fahrer konnte den Fußgänger sehen und trat auf die Bremse, doch das Fahrzeug reagierte nicht. Der Bus erfasste das Opfer, schleifte es einige Meter mit sich und kam dann zum Halten. Um diese Tageszeit war die Kreuzung von Passanten bevölkert, sie alle waren fassungslose Zeugen des Geschehens. Unmittelbar hinter dem defekten Militärtransporter setzte ein städtischer Linienbus voller Fahrgäste zur Notbremsung an. Einer der Augenzeugen rannte in das nächstgelegene Ladenlokal und rief die Polizei. Andere versuchten, die Unfallstelle abzusichern. Der sowjetische Fahrer versuchte, dem Opfer Erste Hilfe zu leisten, bis der Notarzt kam. Der alte Mann starb im Krankenhaus infolge seiner Verletzungen. Allen Beteiligten war klar, dass der junge Fahrer die Vorfahrt nicht beachtet und bei Ansicht der Gefahr nicht reagiert hatte oder infolge defekter Bremsen nicht reagieren konnte. Über die Gründe für dieses Versagen konnte man nur spekulieren. Die deutschen Einsatzkräfte vor Ort teilten dem anwesenden Vertreter der Standortkommandantur mit, dass man selbst das Fahrzeug technisch untersuchen sowie den mutmaßlichen Täter zu Befragungen in die Polizeidienststelle bringen würde. Laut Stationierungsabkommen hatte allein die Deut-
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sche Volkspolizei diese Sofortmaßnahmen zu veranlassen und zu verantworten. Die sowjetischen Militärs jedoch interessierten deutsche Verantwortlichkeiten wie üblich nicht; sie winkten ab, luden den Fahrer in einen Wagen und ließen ihn und das Unfallfahrzeug unverzüglich wegschaffen. Neben dem schwer verletzten Opfer wäre der Fahrer der einzige gewesen, der über den Vorfall präzise hätte Auskunft geben können. Grund genug für den kommandierenden sowjetischen Offizier, ihn rasch vom Ort des Geschehens zu entfernen. Nachdem die Aussagen einiger anwesender Bürger protokolliert worden waren, schlossen die DDR-Ermittler die Akte und übergaben sie der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft zur weiteren Verfügung. Den Duplikatvorgang erhielt die Bezirks-Militärstaatsanwaltschaft der NVA, denn schließlich handelte es sich um eine schwere Straftat mit Todesfolge. Den Unfallfahrer bekamen die deutschen Ermittler nicht mehr zu Gesicht. Es dauerte wenige Wochen, da wandte sich der verantwortliche Bearbeiter der Staatlichen Versicherung an den Militärstaatsanwalt der NVA mit der Anfrage, ob es denn rechtens sei, dass die GSSD sämtliche Zahlungen an die Angehörigen von Werner H. verweigere. Vom Bezirks-Militärstaatsanwalt zur Rede gestellt, gaben die sowjetischen Kollegen zu, bereits eine endgültige Entscheidung getroffen zu haben. Der angeklagte Fahrer sei von jeder Schuld frei zu sprechen, da nicht er, sondern das Opfer unrechtmäßig gehandelt habe. Zwar habe Werner H. grünes Licht gehabt, doch sei er nicht unmittelbar auf der Fußgängermarkierung gelaufen, sondern einen halben Meter davon entfernt. So habe der Fahrer den Mann nicht rechtzeitig wahrnehmen und deshalb auch nicht mehr adäquat reagieren können. Der deutsche Militärjurist war empört und wandte sich telegraphisch an die Militär-Oberstaatsanwaltschaft in Berlin: »das ermittlungsverfahren wurde eingestellt. h. soll selbst schuld sein, weil er angeblich die fahrbahn auszerhalb der begrenzungslinien ueberquerte. der zeuge b. ist nochmals zu vernehmen.«218 Der Hauptzeuge indes sagte erneut aus, dass sich das Opfer vorschriftsmäßig verhalten habe.219 Nun wandte sich die Militär-Oberstaatsanwaltschaft an die sowjetischen Amtskollegen mit der Bitte, die Gründe für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens detailliert zu benennen.220 Am 17. März 1983 erhielt sie einen endgültigen Bescheid: Dem Militärfahrer sei zwar eine gewisse Schuld zuzusprechen, doch »unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Tat« hätte man sich entschlossen, das Ermittlungsverfahren einzustellen.221 Gegen diesen Entscheid ließ sich kaum noch etwas einwenden: Nicht nur, dass die allgemeine Formulierung »unter Berücksichtigung der konkreten Umstände« keinerlei Argumentationsmöglichkeiten lieferte. Auch standen den deutschen Behörden entscheidende Beweismittel nicht zur Verfügung. Sowohl der Täter als auch das Tatfahrzeug waren schließlich unmittelbar nach dem Unfall von der Standortkommandantur konfisziert worden. Die eigenen Ermittlungen beriefen sich allein auf mittelbare Zeugenaussagen.
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Unfallursache: Kettenfahrzeuge Erhebliche Gefahren stellten nicht nur defekte Fahrzeuge, sondern auch schweres Militärgerät dar. Vor allem Panzerkonvois gefährdeten immer wieder die Sicherheit auf den Straßen. In den frühen Morgenstunden des 13. August 1988 ereignete sich in der Ortschaft Niebel bei Luckenwalde ein schwerer Unfall. Ein sowjetischer Panzer stieß mit einem PKW Trabant zusammen. Die Insassen starben noch am Unfallort. Der 25jährige Fahrer des Wagens hatte sich kurz vor sieben Uhr morgens mit einem Bekannten auf den Weg gemacht, um im Nachbarort einen Ofen zu setzen. Die Männer nahmen wie immer die Strecke von Niebel zur Fernverkehrsstraße, die seit den fünfziger Jahren auch als Panzertrasse durch die GSSD genutzt wurde. In der Nacht, das wussten die beiden, hatte ein Militärtransport zu einem Truppenübungsplatz ganz in der Nähe begonnen. Doch nun war kein Kolonnenfahrzeug mehr zu sehen und so fuhren sie los. Nach wenigen Metern Fahrt sahen sie einen Nachzügler kommen. Die Abmessungen des Panzers ließen es nicht zu, auf der Straße zu verbleiben – aus Sicht des Trabantfahrers gab es nun zwei Möglichkeiten: nach rechts in den angrenzenden Wald zu fahren oder nach links auf das freie Feld. Später erklärten Dorfbewohner, dass die Einheimischen gewöhnlich nach links auf das Feld fuhren, weil die entgegenkommenden Panzer zumeist auf der Straße blieben. Der Trabantfahrer scherte also nach links aus und bemerkte nicht, dass auch der Panzer bereits in diese Richtung abdrehte. Die Besatzung des Panzers bestand aus einem zwanzigjährigen Kommandanten und einem gleichaltrigen Fahrer aus der Garnison Dresden. Sie fuhren die Strecke zum ersten Mal und handelten der Vorschrift gemäß. Der Kommandant hatte die Luken geöffnet, der Fahrer sah durch eine Glasscheibe auf den Fahrweg. Beide bemerkten, dass auch der PKW nach rechts fuhr – also direkt auf sie zu steuerte. Der Abstand betrug jetzt kaum mehr einhundert Meter. Der Panzer wich noch weiter auf den Acker aus, etwa drei Meter von der Straße entfernt stießen beide Fahrzeuge zusammen. Der Panzer erfasste den Trabant mit der rechten Kette, schob ihn vor sich her und überrollte ihn dann. Der Kommandant stieg ab, lief zurück zum PKW und sah, dass beide Insassen tot waren. Er dirigierte den Panzer zur Straße und ließ ihn zurückfahren, um Hilfe zu holen. Die beiden Soldaten verstanden nicht, weshalb der Kleinwagen auf das Feld zugesteuert hatte, obwohl die Straße doch völlig frei gewesen war. Das Verfahren – »Tod von zwei Personen unter verdächtigen Umständen« – wurde dem Volkspolizeikreisamt Luckenwalde übergeben und kurze Zeit später, völlig zu Recht, wegen Nichtvorliegens einer Straftat eingestellt. Für die Bevölkerung war die Sache damit jedoch noch längst nicht erledigt. Vor Ort stellte niemand die Frage nach der konkreten Schuld. Das Unglück an sich wurde den Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte angelastet: »Wären die
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nicht hier, wäre das nicht passiert.«222 »Die Russen richten nur Schaden an. Sie fahren nicht nur die Straßen kaputt, sondern die Leute auch noch tot.« »Warum fahren die Panzer überhaupt durch den Ort. Nachts kann man nicht schlafen.« »Die Russen sollen endlich nach Hause fahren.«223 Immer wieder beschwerten sich Bürger über Kettenfahrzeuge auf ihren Straßen; die riesigen Spuren fanden sich teilweise nur wenige Zentimeter von Häuserwänden entfernt. Risse in Bauwerken, ob ursächlich oder nicht, wurden auf die Durchfahrt von Panzern zurückgeführt. Sah man die Kolonnen anfahren, brachte man sich schleunigst in Sicherheit, doch auch die eigenen vier Wände konnten gefährlich werden. Eine solche Erfahrung machte Hannelore W., die damals in einer kleinen Ortschaft nicht weit entfernt vom Unglücksort lebte: Wir wohnten an einer Ecke, neben uns der Schmied und das alte Schulhaus. Dort mündete eine spezielle Panzerstraße. Doch um auf diese aufzufahren, mussten die schweren Kettenfahrzeuge erstmal drehen. Und dies taten sie unmittelbar neben unserem Haus. Sie rutschten rum und gaben noch mal Gas. Kein Fenster war geöffnet, trotzdem konnten die Kinder natürlich nicht schlafen. Wir waren übermüdet, doch das ging die ganze Nacht lang. Unser Nachbar hatte sein Wohnzimmer vorn zur Straße raus. Zwei Fenster und dazwischen stand der Fernseher. Einmal saß er mit seiner Frau vor dem Fernseher, plötzlich stakte ein Kanonenrohr durch die Wand, der Panzer hatte die Kurve nicht gekriegt!224
Der Ärger war über die Jahrzehnte so angewachsen, dass viele Bürger in solchen Fällen nicht mehr objektiv zu urteilen vermochten. Obwohl sich die Panzerfahrer im Fall von Niebel korrekt verhalten hatten, erklärten die Bürger sie für schuldig. Es sei unverantwortlich, meinten sie, dass schlecht oder gar nicht ausgebildete Soldaten als Kraftfahrer im normalen Straßenverkehr eingesetzt würden. Aus eigener Erfahrung wussten die meisten der Einheimischen zu berichten, dass diese die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung der DDR nur in Ansätzen beherrschten. Wobei ihnen keine vorsätzliche Rücksichtslosigkeit vorgeworfen wurde, sondern mangelnde Ausbildung und Praxis. Extrem erbost zeigten sich die Leute vor allem dann, wenn Offiziere als Beifahrer mitfuhren oder Zivilfahrer der GSSD, die über eine größere Fahrpraxis verfügten beziehungsweise für einen längeren Zeitraum in der DDR gewesen waren und sich deshalb eigentlich hätten auskennen müssen.225 Der Zusammenstoß bei Forst Zinna Jahrzehntelang wurden Verantwortlichkeiten hin und her geschoben, zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation kam es nicht. – Jedenfalls nicht bis zu einem Vorfall, der die gesamte Republik aufhorchen ließ und dessen Nachbeben bis nach Moskau reichten.
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Am 19. Januar 1988 um 17.47 Uhr stieß der D-Zug Nummer 716 von Leipzig nach Stralsund im Bahnhofsbereich Forst Zinna mit einem Panzer des Typs T 64 aus der Garnison Jüterbog zusammen. Das Fahrzeug hatte die Schienen befahren und war im Gleisbett stecken geblieben. Als die Fahrer den Zug näher kommen sahen, sprangen sie ab und brachten sich in Sicherheit. Beim Zusammenstoß wurden die zwei Triebfahrzeugführer und vier Reisende tödlich verletzt. Im Zug befanden sich insgesamt vierhundert Reisende. Die Strecke blieb für Stunden gesperrt, der gesamte Zugverkehr in und aus Richtung Berlin wurde umgeleitet.226 Über vierhundert Kräfte der Feuerwehr, der dringenden medizinischen Hilfe, Einsatzkräfte der Deutschen Volkspolizei und der Zivilverteidigung, freiwillige Helfer, Einheiten der Sowjetarmee sowie Bedienstete der Eisenbahn versuchten, die Gleise für den weiteren Zugverkehr schnellstmöglich freizubekommen, schließlich mussten an diesem Tag fast zweihundert Züge umgeleitet werden.227 Der Fahrer war gerade in die Armee eingezogen worden, er und sein Ausbilder trugen den Dienstgrad Soldat, beide waren im Umgang mit schwerer Technik nicht erfahren. Die beiden Unfallverursacher wurden sogleich in Haft genommen und von deutschen sowie sowjetischen Militärstaatsanwälten verhört. Ihnen drohte eine strenge Verurteilung, in deutschen Funktionärskreisen munkelte man gar, die Todesstrafe.228 Die Sonderermittler wussten selbstverständlich, dass die beiden jungen Rekruten von allen Beteiligten die wenigste Schuld traf. Der Untersuchungsbericht kam niemals an die Öffentlichkeit, dafür schrieb die Armeezeitung Krasnaja Zvezda zwei Wochen nach dem Vorfall in ungewöhnlich offenen Worten, was sowohl sowjetische Soldaten als auch DDR-Bürger längst ahnten: Dass es sich hierbei weniger um einen einmaligen Fall handelte, sondern um ein eklatantes Beispiel für eine strukturelle Gefahr. »Wie konnte es passieren, daß ein Panzer auf ein Eisenbahngleis gerät?«, fragte das Armeeorgan und lieferte sogleich die Antwort: Am 19. Januar um 17 Uhr war eine Panzer-Ausbildungskompanie unter dem Kommando von Major W. Schamschur auf dem Panzerübungsgelände eingetroffen. Die künftigen Panzerfahrer sollten sich im Fahren mit dem Nachtsichtgerät üben. Unter der Kontrolle des besagten Fahrlehrers hatte jeder Schüler auf der Panzerfahrstrecke eine Runde zu drehen. Nach kurzer Anleitung setzte sich Soldat P. als erster an den Steuerhebel. Keine hundert Meter von der Ausgangslinie entfernt, sollte er nach rechts abbiegen. P. bog aber nicht ab, er reagierte weder auf das Hinweisschild noch auf die über die Wechselsprechanlage übermittelten Anweisungen seines Fahrlehrers. Er beachtete auch den mehrfach wiederholten Befehl nicht, sofort stehen zu bleiben. Der Ausbilder versuchte nun seinerseits, den Panzer zu stoppen, der dafür vorgesehene Mechanismus versagte aber. Er kletterte also aus dem Turm zur Luke des Fahrers und versuchte, ihm die Sicht zu nehmen, was aber auch nicht half. Der Panzer fuhr weiter Richtung Bahn-
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damm – und blieb dort stehen. Der Motor war ausgegangen. Nun erst hörte der Schüler das Klopfen, er öffnete die Luke und ließ sich vom Fahrlehrer an den Schultern herausziehen. Dieser wollte den Panzer wieder in Gang bringen, was ihm allerdings nicht gelang. Als er den Zug kommen sah, rollte er seinen Schüler und sich selbst den Bahndamm herunter. Die Frage, weshalb der achtzehnjährige Kasache den wiederholten Befehlen nicht Folge geleistet hatte, ließ sich schneller beantworten, als es manchem Vorgesetzten lieb war. In seinen Personalunterlagen stand vermerkt: »Ist der russischen Sprache nur wenig mächtig.« Gleichwohl hatten das Wehrkreiskommando seines Heimatortes, überdies der für die Kandidatenauswahl zuständige Offizier des Regimentes, aber auch sein unmittelbarer Ausbilder und alle anderen mit ihm befassten Offiziere und Unteroffiziere keinerlei Bedenken gehabt, den sprachlich nicht versierten Rekruten zum Panzerfahrer auszubilden. Obgleich man laut Vorschrift für diesen Dienst »gut Russisch« sprechen musste. Es stellte sich im Nachhinein heraus, dass der junge Mann von der Ausbildung so gut wie gar nichts mitbekommen hatte; dass er weder die Hinweisschilder, noch die Technik, noch die exakten Vorschriften zum Führen eines Panzers kannte. Dennoch wurde just er als erster zum Probefahren eingeteilt, auf einer Übungsstrecke, die gerade einmal zweihundert Meter von einem der meist befahrenen Streckenabschnitte der Reichsbahn entfernt lag. Befragt nach der gefährlichen Nähe des Übungsplatzes zum öffentlichen Schienennetz, antwortete der für die Ausbildung verantwortliche Oberleutnant S. bei seiner Vernehmung: »Die Grenzen dieser Panzerfahrstrecke kenne ich nicht so genau; Karten, auf denen das Gelände verzeichnet gewesen wäre, habe ich nie gesehen.«229 Am Tag nach der Katastrophe erließ der Oberkommandierende in Wünsdorf die Anordnung, dass sämtliche Panzerübungsplätze innerhalb der nächsten vier Tage auf ihre Sicherheitsbestimmungen hin überprüft werden sollten.230 Den jeweiligen Kommandeuren oblag es nun, Ordnung in ihren Verantwortungsbereichen zu schaffen, wozu auch die Überprüfung und Instandsetzung der Panzertechnik durch eine Sonderkommission gehörte. Der Chef der Politischen Verwaltung Wünsdorf war unmittelbar nach dem Unglück beim 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Potsdam erschienen, um sich »im Auftrage des Oberkommandierenden der GSSD für das von einem sowjetischen Panzer verschuldete Zugunglück bei der SED-Bezirksleitung mit großem Bedauern zu entschuldigen.«231 Der Emissär hegte nicht zu Unrecht die Befürchtung, »daß die gemeinsame politische Arbeit zum bevorstehenden 70. Geburtstag der Sowjetarmee und die Woche der Waffenbrüderschaft unter den Nachwirkungen des Unglücks beeinträchtigt werden könnte«.232 Doch der Parteisekretär beruhigte seinen Kollegen, »in kommunistischer Atmosphäre« brachte er zum Ausdruck, dass sich die »einträchtige deutsch-sowjetische Soldatenfamilie in guten wie in schlechten Tagen zu bewähren habe«. Allerdings
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dürfe sie nicht länger durch solche Vorkommnisse belastet werden. Es waren wohl nicht zuletzt die heftigen Reaktionen der Bevölkerung, die den Parteigenossen solch ungewohnt direkte Worte haben finden lassen.233 In der gesamten Republik waren nach Bekanntwerden des Zusammenstoßes »spontane Gesprächsgruppen« mit »teilweise sehr heftigen Meinungsäußerungen« zusammengekommen, die sich »in den Morgenstunden mit Arbeitsbeginn in massiver und kritischer Weise« fortsetzten. Überall vermutete man die Disziplinlosigkeit bei den sowjetischen Streitkräften als Auslöser des Geschehens. Nicht menschliches Versagen sei verantwortlich, sondern strukturelle Mängel.234 Allerdings sahen es die meisten Bürger mit Wohlwollen, dass die sowjetische Armee erstmals als Unfallverursacherin öffentlich benannt wurde. Am 25. Januar 1988 fand im Ministerium für Verkehrswesen eine Beratung zwischen den Verantwortlichen für das Militärtransportwesen der UdSSR und der DDR statt. Nachdem man sich auf sowjetischer Seite noch einmal für das tragische Unglück entschuldigt hatte, versicherte man, dass »strengste Maßnahmen und gerichtliche Ermittlungsverfahren gegenüber einer Reihe verantwortlicher Vorgesetzter« eingeleitet werden würden. Zur Vermeidung künftiger Vorkommnisse sei auf Befehl des Oberkommandierenden eigens eine Kommission einrichtet worden, die alle Übungsstrecken auf Gefahrensituationen hin untersuchen solle. Zudem würden nun regelmäßig Lehrvorführungen zum Überqueren von Bahnübergängen stattfinden, insgesamt sei die Fahrtüchtigkeit der Soldaten zu verbessern. Die Prüfungsbedingungen würden verschärft werden.235 Mit diesen Versprechen ging man auseinander. Ende Juni 1988 musste sich der Minister für Verkehrswesen jedoch erneut an das Oberkommando wenden. Leider, schrieb er, »sei festzustellen, daß sich nach wie vor eine Vielzahl von Vorkommnissen, die zu einer Gefährdung des Eisenbahnbetriebes führen«, ereignet hatten. Dem Schreiben war eine lange Auflistung von Unfällen beigefügt, die Angehörige der GSSD allein an Schienenübergängen verursacht hatten. In nur fünf Monaten waren nicht weniger als 34 zum Teil tödliche Zusammenstöße zu verzeichnen: Meistens hatten die Fahrer die geschlossenen Schranken nicht ernst genommen.236 Das Vorhaben sowjetischer Verantwortlicher, bei den eigenen Leuten ein größeres Bewusstsein für Verkehrssicherheit zu schaffen, schien sich wohl nicht so schnell umsetzen zu lassen.
Gewaltdelikte Im Jahr 1989 ermittelte die Militär-Oberstaatsanwaltschaft der DDR republikweit zu 45 Raubüberfällen, verübt von Militärangehörigen. Bei 33 Vorgängen blieben die Täter namentlich unbekannt; entgegen der Einschätzung der
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deutschen Kriminalpolizei verneinte die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft in 19 Fällen (57,6 Prozent) sogar eine sowjetische Täterschaft. Bei den zwölf Vorgängen mit namentlich bekannten Tätern erfolgten in vier Fällen Verurteilungen, in drei Fällen Freisprüche, in fünf Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren gar nicht erst eingeleitet. Vorsätzliche Tötungsdelikte kamen in den siebziger und achtziger Jahren relativ selten vor; sie machten zwischen 0,1 und 0,8 Prozent aller Verbrechen aus; Körperverletzungen machten 0,2 bis 4,5 Prozent der Fälle aus. Seit Mitte der achtziger Jahre ließ sich hier ein deutlicher Anstieg feststellen, der 1988 seinen Höhepunkt erreichte. An Attacken gegen Leib und Leben waren in überwiegendem Maße Unteroffiziere und Zivilangestellte beteiligt. Diese so genannten Außenschläfer waren dem Einfluss und der Kontrolle ihrer Vorgesetzten weitgehend entzogen, sie durften sich in ziviler Kleidung bewegen, was ihnen Besuche in Lokalen sowie den Kontakt zu den Einheimischen erleichterte. Relativ häufig kam es zu Körperverletzungen, wenn deutsche Bürger einen oder mehrere Täter bei Einbrüchen ertappten. Die gestellten Delinquenten versuchten dann zu entkommen und schreckten mitunter auch vor brutaler Gegenwehr nicht zurück. Nicht selten zettelten betrunkene Militärs in Lokalen oder auf der Straße schwere Prügeleien an. Kamen solche Fälle gehäuft vor (zumeist an territorialen Brennpunkten), wandte sich in der Regel der Erste Stellvertreter des Rates des Kreises an den für Sicherheit und Ordnung zuständigen Standortkommandanten. Zu Ergebnissen führten solche Stellvertreterbeschwerden kaum, hier schien es eher notwendig, sich auf direktem Wege zu verständigen, wie der im Folgenden beschriebene Vorfall in Nohra zeigt: Im Oktober 1970 erschienen vier angetrunkene Fähnriche zur Kirmesveranstaltung im örtlichen Kulturhaus. Sie wollten Alkohol kaufen und sahen nicht ein, dafür den vergleichsweise hohen Eintritt zu zahlen. Die Türsteher wollten sie zu Recht nicht durchlassen, ein Wort gab das andere. Die folgende Schlägerei wurde so erbittert geführt, dass die Polizei aus der nahe gelegenen Bezirksstadt Erfurt geholt werden musste. Die achtzehn-, neuzehnjährigen Männer beschimpften sich als »Faschistenschweine« und »Russensäue«, obgleich sie im Krieg niemals gegeneinander gestanden hatten.237 Die zuständigen Bezirksbehörden wie auch die SED-Parteiorganisation beschwiegen den Vorfall, der Ortsbürgermeister hingegen ergriff die Initiative. Gemeinsam mit dem Schuldirektor und dem LPG-Vorsitzenden bat er beim Armeestab um einen Termin. Die kleine Gruppe trug den Vorfall vor und fand beim Truppenkommandeur Gehör. Beide Seiten vereinbarten, fortan regelmäßig Zusammenkünfte durchzuführen, in Ausnahmefällen sollten sich die Bürger sogar direkt an den Armeestab wenden können.
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Vergewaltigungen in den achtziger Jahren Von hoher öffentlicher Resonanz und Brisanz waren Vergewaltigungen. Bis 1987 wurden Fälle von sexueller Nötigung und sexuelle Gewalt als ein Tatbestand aufgeführt, sie machten zwischen 0,8 und 5,6 Prozent aller Verbrechen aus. Dabei unterschieden sich Tat und Täter in keiner signifikanten Weise von einheimischen Sexualstraftätern. Dessen ungeachtet hielten sich Mutmaßungen über Russen als besonders brutale Vergewaltiger über Jahrzehnte in den Köpfen der Bürger. Einer Analyse der Volkspolizei aus dem Jahr 1986 lässt sich entnehmen: In siebzig Prozent der von Sowjetsoldaten begangenen Fälle erfolgte die Entscheidung zum Übergriff spontan. Als Ausgangspunkte dienten Gaststätten oder öffentliche Plätze. Gewaltanwendungen waren bei etwa achtzig Prozent der Fälle dominant. Die Tat selbst wurde auf öffentlichen Straßen und Plätzen mit geringen Einsichtmöglichkeiten innerhalb und außerhalb von Ortschaften sowie in Wohnungen begangen. In etwa achtzig Prozent der Fälle erfolgte sie zur Nachtzeit, zwischen 22.00 und 2.00 Uhr, ohne auf bestimmte Wochentage festgelegt zu sein. Damit entsprach die Vorgehensweisen sowjetischer Sexualtäter weitgehend denen deutscher Täter.238 Anders als bei der Begehung der Tat waren bei deren Verfolgung allerdings Spezifika festzustellen: Versuchte sexuelle Handlungen sowie Nötigungen und Missbrauch wertete so mancher Vorgesetzte als Kavaliersdelikte, die wirksamer mit Disziplinarstrafen innerhalb der Truppe geahndet werden konnten. Allerdings schätzte die Militär-Oberstaatsanwaltschaft noch im Jahr 1989 ein, dass auch der zuständigen Militärstaatsanwaltschaft der NVA wie den Polizeiermittlern in Vergewaltigungsfällen erhebliche Versäumnisse unterliefen. Vor allem dann, wenn der Täter zunächst unbekannt blieb, so die Beschwerde, schöpften die deutschen Erstuntersucher ihre Möglichkeiten in Bezug auf Fahndungen nicht aus. Die Polizeibehörden vor Ort freilich sahen das ganz anders. Klaus Dalski, Ende der achtziger Jahre stellvertretender Leiter der Bezirkskriminalpolizei und Leiter der Untersuchung im Bezirk Erfurt, berichtet folgenden Fall: Vergewaltigungen hatten oberste Priorität. Wenn der Verdacht bestand, dass es ein Russe gewesen sein könnte, dann musste das geklärt werden. Deswegen waren die Ermittlungsansätze immer erheblich. Eine gute Bekannte von mir ist vergewaltigt worden. Der Täter war ein Mongole: Glatze, klein, der hat sie vom Fahrrad gerissen. Die Polizisten holten den Kommandanten und das Theater ging los! Die Kommandanten versuchten immer, die Täter aus der Schusslinie zu ziehen. Auf einmal wollte die Kommandantur den Soldaten selbst befragen – und weg war er. Ich habe gesagt: ›Jetzt ist aber Schluss mit lustig. Der Kerl kommt her und wir machen eine Gegenüberstellung.‹ Daraufhin brachten die Russen – ich werde es nie vergessen – acht Glatzköpfe gleicher Größe und asiatischer Herkunft. Die Geschädigte sollte den Täter benennen und sie hat ihn benannt.
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Das waren ganz linke Eier, mit denen sie versuchten, aus der Verantwortung heraus zu kommen. Das war nicht in Ordnung und widersprach unserem Anspruch, an solche Strafsachen ohne Vorurteile heranzugehen. Ohne die Russen vorher schon zu be- oder entlasten.239
Rolf Rebhan, in den achtziger Jahren Militärstaatsanwalt der NVA im Bezirk Erfurt, erinnert sich an Verhinderungsstrategien seitens sowjetischer wie auch deutscher Amtsträger: Ich würde gern einen Fall schildern und zwar eine Vergewaltigung in Gotha an einem Feiertag, einem Ersten Mai. Hier trieben es die Kommandeure, aber auch involvierte deutsche Zivilisten so weit, dass sie dem Mädchen unterstellten, sie hätte sich die Hose selbst runter gezogen. Vor allem die Deutschen, die Kreisleitung der SED und sogar die zivile Staatsanwaltschaft, meinten, sie wären es der deutsch-sowjetischen Freundschaft schuldig, solche ungeheuerlichen Vorwürfe zumindest doch in Frage zu stellen. Erst als wir, die Militärstaatsanwaltschaft, einschritten, ließ man von den Verdächtigungen ab beziehungsweise zog sich zurück. Wir konnten den Fall dann richtig aufklären und den Täter stellen. In solchen Fällen spielte das KGB eine große Rolle, das uns geholfen hat, die Straftaten aufzuklären. Auch im geschilderten Fall holte der deutsche K-Leiter einen Verantwortlichen des KGB. Wie diese Verbindung zustande kam, weiß ich nicht. Es gab meist private Beziehungen zwischen deutschen Justizbeamten und dem sowjetischen Geheimdienst. Auf alle Fälle gab es eine Abmachung zwischen KGB, russischer Militärstaatsanwaltschaft und mir, dass der Fall erst abgeschlossen war, wenn der Täter gefunden wurde. Die Tschekisten nahmen dem Kommandeur Maß, dann liefen die Ermittlungen ohne Zwischenfall ab. Das KGB konnte sich in solche Fälle einfach einschalten, und wir haben das genutzt, so lange es ging. Mit ihnen sind wir immer schneller vorangekommen als ohne sie. Ich meine, dass wir ohne sie selten auf einen grünen Zweig gekommen wären.240
Untersuchungen solcher Vorfälle wurden häufig dadurch gestört, dass die Vorgesetzten bereits überführter Täter die geschädigten Bürgerinnen aufsuchten und mit Versprechungen zu beeinflussen versuchten. Noch einmal sei Klaus Dalski zitiert: Die Kommandeure waren darauf bedacht, dass ihr Bereich sauber blieb. Bei Vergewaltigungen, es waren glücklicherweise nicht viele, gab es in meinem Verantwortungsbereich einen Fall, bei dem mir die Geschädigte später gestand, ihr Küchentisch habe noch nie so viel Geld gesehen. Da war der zuständige Offizier zu ihr nach Hause gekommen und hatte versucht, ihr Geld anzubieten, wenn sie die Anzeige wieder zurücknähme. Nicht zuletzt aufgrund solcher Machenschaften habe ich 1987 eine Weisung an alle Leiter der Kriminalpolizei gegeben, grundsätzlich keine Namen von Opfern preiszugeben. Während in der Sowjetunion Vergewaltigung ein Antragsdelikt war, das heißt, die Geschädigte selbst befunden hat, ob das an ihr begangene Verbrechen verfolgt werden sollte oder nicht, ist die Straftat im deutschen Gesetz ein reines Offizialdelikt, das in jedem Fall verfolgt werden musste. Das haben die Russen nie begriffen, die waren im-
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mer der Meinung, sie könnten die Geschichte auf diese Art und Weise lösen. Denen tat das Geschehene genauso Leid wie uns und sie wollten eine Wiedergutmachung leisten. Das hatte den Vorteil, dass die Polizei aus der Geschichte raus war und damit das sowjetische Oberkommando in Wünsdorf nichts davon erfuhr. Denn wenn ein Kommandeur bei seinen Vorgesetzten wiederholt mit solchen Dingen auffiel, schadete dies beträchtlich seiner Karriere. Wenn er es aber vertuschte, blieb seine Statistik sauber.241
In jedem der Fälle erfolgten die Aufnahme der Anzeige sowie die ersten Überprüfungen des Sachverhaltes durch die Kriminalpolizei. Zur Aufklärung wurden in der Regel Einsatzgruppen gebildet, zusammengesetzt aus Mitarbeitern der Polizei, der deutschen und sowjetischen Militärstaatsanwaltschaften sowie des MfS.242 Weimar 1988: Ein exemplarischer Fall Der im Folgenden dargestellte Fall von Vergewaltigung wurde Ende der achtziger Jahre in Weimar begangen. Er eignet sich insofern für die Exemplifizierung sowjetischer Sexualstraftaten, als er nicht nur typisch verlief, sondern auch, weil die vollständigen Untersuchungsakten der Militär-Oberstaatsanwaltschaft verfügbar sind und somit die Handlungsweisen der beteiligten Instanzen rekonstruiert werden können.243 An einem Märzabend saßen die Soldaten Sergej. S. und Anatoli A. in ihrer Garnison beisammen und unterhielten sich. Sie konnten an diesem Wochenende mehr oder weniger tun und lassen, was sie wollten, ihre Einheit war zu einer Übung ausgerückt und hatte sie als Wachposten zurückgelassen. Die beiden waren keine Neulinge mehr, der verheiratete Familienvater wie sein lediger Landsmann dienten seit mehr als einem Jahr in der DDR. Gegen 23 Uhr machten sich die Männer zu einem nächtlichen Spaziergang auf. Über den Zaun beim Fuhrpark zu steigen, stellte für die beiden keine Hürde dar. Wie jeder Soldat der Einheit wussten sie ganz genau, in welchen Bereichen die Militärstreife gewöhnlich Patrouille lief. Auf ihrem Weg hörten sie Musik aus einem Tanzlokal nahe den Kasernen. Sie gingen dorthin, schauten durch die Fenster und sahen den Tanzenden zu. Sie waren warm angezogen, Wattejacken, Handschuhe, Pelzmützen – und so warteten sie fast drei Stunden lang vor dem Eingang darauf, dass ein oder zwei Frauen ohne Begleitung herauskommen würden. Sie wollten, so gaben sie später an, »Mädchen kennenlernen«. Gegen zwei Uhr morgens verließ eine junge Frau allein den Club. Weil sie ganz in der Nähe wohnte und sich in der Gegend auch im Dunkeln gut zurechtfand, nahm sie eine Abkürzung über unbewohntes Gelände. Die beiden Soldaten drückten ihre Zigaretten aus und folgten ihr. Sergej S. sprach das Opfer schließlich an: »Fräulein komm zu mir nach Hause – fick, fick.« Die Frau begann zu schreien, S. hielt ihr den Mund zu und gebot ihr, still zu sein. Nun trat auch Anatoli A. aus dem Dunkeln. Er fragte die Frau auf
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Russisch, wie sie denn mit Vornamen hieße und sie antwortete ihm. Sie erzählte den beiden, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hätte, müde sei und zu Hause ihr Baby warte. Die Männer interessierte das nicht, sie nahmen ihr Opfer in die Mitte und führten es in einen menschenleeren Hof. Als das Mädchen schrie, trat A. hinter sie und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu. ›Wir hatten dann das Mädchen zwischen uns und sind mit ihr weitergegangen. Zu dieser Zeit wehrte sie sich nicht dagegen. Sie redete viel in deutscher Sprache, was ich aber nicht verstand. […] Wir wollten sie in die Einheit bringen, um mit ihr dort den Geschlechtsverkehr auszuführen, da es draußen so ungemütlich war. A. war an diesem Abend außerdem alleine in seinem Zimmer.«244 Die beiden Männer überlegten es sich jedoch anders. Neben einem Strauch machten sie Halt, zogen ihre Wattejacken aus und legten sie auf den Boden. Sie drückten ihr Opfer auf die Jacken und hielten es fest. A. zog sich aus und missbrauchte sie, er küsste sie dabei »zum Vergnügen und damit sie nicht schreien konnte«.245 Dann vergewaltige S. die Frau. Mittlerweile hatte auch eine Anwohnerin die Schreie gehört. Zwar waren nächtliche Ruhestörungen in der Nachbarschaft des Klubs nichts Ungewöhnliches, doch diese Geräusche klangen anders als sonst. Sie weckte ihren Mann, der die Polizei rief und in die Richtung rannte, aus welcher die Hilferufe gekommen waren. Als die Soldaten den Mann erspähten, ließen sie von ihrem Opfer ab und flüchteten in Richtung Kasernen. A. überwand, von den Wachposten unbemerkt, die Mauer, lief in sein Zimmer und legte sich schlafen. S. wurde vom Torposten entdeckt und festgehalten, bis die bereits alarmierte Polizei ihn stellte. Nachdem die Vergewaltiger die Flucht ergriffen hatten, zog sich die Frau wieder an, sie wollte nach Hause. Unterwegs wurde sie von den Einsatzkräften der Polizei bemerkt, sie luden sie ins Auto und brachten sie aufs Polizeikreisamt. Die ganze Nacht dauerten die Befragungen, Untersuchungen und Gegenüberstellungen. Die Frau konnte keinen der vorgeführten Täter identifizieren, dafür war es zu dunkel gewesen. Lediglich an eine Armbanduhr erinnerte sie sich: Anatoli A. trug eine Uhr mit der Aufschrift »Pobeda« (Sieg). Beide Täter wurden noch in derselben Nacht verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalt der Polizeidienststelle Weimar verbracht. Die Verhöre dauerten einige Tage, dann übergab man die Soldaten wie auch die Ermittlungsdokumente der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft zur weiteren Verfügung. Ob ein Gerichtsprozess stattgefunden und welche Urteile das sowjetische Militärtribunal womöglich gesprochen hatte, erfuhren weder die örtlichen Polizeibehörden noch die junge Frau. Sie bekam von der Staatlichen Versicherung der DDR eine Schadensersatzzahlung für die ruinierte Kleidung und für den Verdienstausfall von zwei Wochen. Obwohl man alle Beteiligten »wegen möglicher negativer Auswirkungen« um Stillschweigen gebeten hatte, sprach sich das Verbrechen herum. Immer-
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hin hatte es ja Zeugen gegeben: Im Klub wurde darüber geredet, im Wohngebiet und wohl auch auf der Arbeitsstelle der Frau. Zwar versuchte man, die Anwohner durch die Hausvertrauensleute zu beruhigen, von Erfolg war diese Maßnahme aber nicht. Befragte Bürger erinnerten sich noch zwei Jahrzehnte später an das begangene Verbrechen.246 »Die Freunde« als Vergewaltiger Die starke und nachhaltige Präsenz von Vergewaltigungen im kollektiven Gedächtnis der DDR-Bevölkerung scheint erklärungsbedürftig. Sie lässt sich kaum mit den tatsächlichen Dimensionen sexueller Straftaten durch Angehörige der GSSD begründen. Schaut man sich die Statistiken der siebziger und achtziger Jahre an, muss man – mit aller Vorsicht – feststellen, dass sexuelle Gewalt einen vergleichsweise geringen Prozentsatz an den gesamten Delikten ausmachte. Für die hohe Aufmerksamkeit seitens der Bürger dürfte vielmehr ein anderes Phänomen verantwortlich gewesen sein, das bis zum Ende der DDR tabuisierte Problem der Massenvergewaltigungen bei Kriegsende 1945. Wobei die Verdrängung aus den Arenen öffentlicher Kommunikation nicht etwa mit einer Nicht-Bearbeitung gleichzusetzen ist. Vielmehr scheint es, dass die offiziell beschwiegenen und im privaten Umfeld vielfach beschnittenen Erinnerungen an damalige Vergewaltigungen zu einem spezifisch ostdeutschen Umgang mit dieser Form von Gewalt führten. Frauen erlebten die Masse der Vergewaltigungen durch Rotarmisten im Frühjahr 1945, vor dem Erfahrungshintergrund der letzten Bombenangriffe, im Zeichen von Wohnungsnot, von Seuchengefahr, in einer Zeit familiärer Trennung und familiärer Verluste. Vergewaltigung wurde zu einer »kollektiven Erfahrung in einer allgemeinen Krisensituation«.247 Zu diesem frühen Zeitpunkt fühlten sich die Frauen allerdings nicht nur als passive Opfer des Geschehens und damit auch des Gewaltaktes, vielmehr waren sie in den letzten Kriegstagen und in der unmittelbaren Nachkriegszeit tatsächlich wie auch in ihrer Selbstwahrnehmung aktiv Handelnde. Als Versorgerinnen der Kinder, der Alten und der Kranken organisierten sie maßgeblich das Überleben unter schwierigsten Bedingungen. In ihrer Mehrzahl versuchten sie, mit dem sexuellen Gewaltakt den Umständen der Zeit entsprechend pragmatisch umzugehen.248 Mit der Rückkehr der Männer aus der Kriegsgefangenschaft, davon gehen mittlerweile zahlreiche Untersuchungen aus, wurde einer weiteren kollektiven Bearbeitung dieser frühen Vergewaltigungen die Grundlage entzogen. Vielen Frauen schien es unmöglich, ihren ohnehin depotenzierten Ehemännern von den Verbrechen zu erzählen, die vom siegreichen Feind, »vom Russen«, begangen worden waren.249 Sowohl eine vermeintlich notwendige Rücksichtnahme auf den männlichen Seelenzustand als auch die Angst, die familiäre Situation zu verschlimmern, ließ nicht wenige schweigen.
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Hinzu kam im Osten Deutschlands ein öffentliches Verdikt: Der politische Offizialdiskurs der DDR legalisierte die Verbrechen, indem man sie mit der »Unbezwingbarkeit des männlichen Sexualtriebes«250 entschuldigte, später verbot man öffentliche Erklärungsversuche bei Strafandrohung. Konnte innerhalb der westdeutschen Gesellschaft bald nach Kriegsende ein scheinbar tragfähiger (männlicher) Erklärungszusammenhang etabliert werden, demzufolge die Frauen wehrlose Opfer geworden waren (womit auch direkte und indirekte Schuldzuweisungen verbunden waren), stellte sich die Situation in der SBZ/DDR anders dar. Hier konnten die heimgekehrten Männer keine offiziellen Rechtfertigungen für das eigene Versagen (beim Schutz der Familie) geltend machen. Keine »asiatischen Horden« waren hier ins Land eingefallen, um die Frauen zu schänden, sondern der nunmehr offiziell befreundete Rotarmist. Was reizt eigentlich unsere sozialistischen Schriftsteller die vom Feinde künstlich aufgebauschten Vorkommnisse (als wesentliches Element der Antisowjethetze und des ›modernen‹ Antikommunismus) immer wieder in ihre Bücher aufzunehmen??? […] Zweitens erfolgte häufig keine ›Vergewaltigung‹, sondern durch den Krieg haltlos gewordene deutsche Frauen ›schmissen sich an‹ und boten sich an, um etwas zu Essen zu bekommen. Und schließlich wuchs über Einzelfälle sehr rasch wieder Gras und es kam höchstens später ein Kind an. […] Gegen allzu Hartnäckige haben wir 1945/46 sogar etwas hart so argumentiert: Kinder machen, wenn auch nicht ganz freiwillig bei der Empfangenden, ist lang nicht so arg wie Kinder töten. […] Zum andern ist es nicht Aufgabe des sozialistischen Autors in einer dummen Sache, über die Gras gewachsen ist, als Kamel zu fungieren, das ›alles wieder runterfrißt‹!!251
Anders als im Westen wurden die Erfahrungen der Frauen im Osten unter dem politischen Verdikt der Freundschaft banalisiert, mitunter sogar kriminalisiert, was bisweilen zu Isolation und Traumatisierung führen konnte.252 Hinzu kam, dass weder die Opfer noch ihre Angehörigen die politisch-ideologisch induzierten und die Opfer vernichtenden Verzerrungen öffentlich geraderücken durften. Dafür gab es keine Arenen, niemand erteilte ihnen Rederecht. Beides, die erlittene Gewalt wie die spätere Marginalisierung und Kriminalisierung der Opfer, führten zu einem individuellen und kollektiven Trauma: Die verdrängten Vergewaltigungen durch Angehörige der GSSD wuchsen sich im kollektiven Unter-Bewusstsein zu brutalen Massenakten aus, wurden quasi rituell mit den Feindfreunden in Verbindung gebracht – das Monstrum Vergewaltigung kompensierte all das diktierte Verschweigen und Verdrängen auf unterschiedlichen Ebenen, machte die offiziell geleugneten Verbrechen nachträglich und nachhaltig glaubhaft – und gab sowohl Frauen als auch Männern das Gefühl einer späten Genugtuung. So kam es zeit der DDR zu dem Paradoxon, dass erst neuerliche Vergewaltigungen die Verbrechen der frühen Jahre ex post verifizierten. Als doppelte Ungerechtigkeit wurde es empfunden, wenn die späteren Delikte ebenfalls nur halbherzig
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oder gar nicht geahndet wurden. Für die Frauen von damals bedeutete dies eine neuerliche Missachtung ihrer Erfahrungen und Gefühle – wie damals unter den Auspizien einer politisch geforderten deutsch-sowjetischen Freundschaft, die sich in dieser Praxis als eine Solidargemeinschaft von Männern verstand.
Rechtshilfe in Besatzermanier Im Stationierungsabkommen war festgelegt worden, dass Straftaten, begangen durch Angehörige der GSSD, prinzipiell von Ermittlungsorganen der DDR verfolgt und von Gerichten der DDR abgeurteilt werden sollten. Dieser Grundsatz erwies sich von Anfang an als Makulatur. Selbst nachdem die Position der Militärstaatsanwaltschaften der NVA Anfang der achtziger Jahre deutlich gestärkt worden war, konzentrierten sich ihre Untersuchungsleiter lediglich auf erste Ermittlungen, in jedem Fall erfolgte eine Übergabe des Vorgangs an die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft.253 Von einer Gerichtsbarkeit, ausgeübt durch einen souveränen Staat, war man auch Ende der achtziger Jahre weit entfernt. Da aber alle schriftlichen Vereinbarungen von DDR-Recht und von einer DDR-Gerichtshoheit ausgingen, diese de facto aber nie angewandt wurde, verfügte man Zeit der Besatzung über keinerlei Rechtsgrundlage, die der täglichen Praxis entsprach. Trotz aller Reformansätze erkannten die sowjetischen Militärtribunale in den achtziger Jahren gerade einmal bei einem Fünftel der ihnen überantworteten Fälle die Täterschaft von Angehörigen der GSSD an.254 Stattdessen legten sie alle Verantwortung für die Disziplinierung der Truppe in die Hände der Kommandeure vor Ort. Anfang der sechziger Jahre hatte das Verteidigungsministerium der UdSSR die im Großen Vaterländischen Krieg bewährte Einrichtung der Standgerichte wiederbelebt. Fortan verfügte jeder Kommandeur der sowjetischen Armee nicht nur über die Vollmacht, in Strafsachen zu ermitteln. Er entschied überdies auch über die Art und Weise der Bestrafung des Delinquenten. Die Möglichkeit, Vergehen und Verbrechen in kurzen Prozessen zu ahnden, brachte aus der Sicht der Armeeführung zwei erhebliche Vorteile mit sich: – Zum einen hielt eine solche Praxis die Schadensersatzansprüche von deutschen Antragstellern in Grenzen. Was vor Militärtribunalen nicht verhandelt und verurteilt wurde, konnte auch keine Grundlage für monetäre Forderungen gegen die Streitkräfte sein. So zahlte in der Regel die Staatliche Versicherung der DDR. – Die Disziplinierung der Übeltäter coram publico, mithin vor den Augen und Ohren der angetretenen Kameraden, barg weitaus größere unmittelbare Wirkmacht als der Schiedsspruch eines Gerichts fernab der Truppe.
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Selbst wenn man diesem System zu Gute halten mochte, dass es geeignet war, die Mannschaften verhältnismäßig effektiv im Zaum zu halten, so verletzte das autokratische Vorgehen der Standortoffiziere doch immer wieder das Rechtsempfinden der Militärjuristen der NVA und der Bürger der DDR.
3.2.4 Umweltfrevel Es treten im Zusammenhang mit der Armee zunehmend Fragen zum Naturschutz auf. Wer steht insbesondere für den Schaden ein, der der Natur bei Übungen zugefügt wird? Popow: Die Armee hat hier keinerlei Privilegien. Erstens werden Übungen auf speziell zugewiesenen Truppen- und Seeübungsplätzen durchgeführt. Zweitens gelten die die Natur betreffenden Gesetze in vollem Umfang für militärische Truppenteile. Ist eine Schädigung der Umwelt verursacht worden, wird der Schaden aus dem Haushalt des Ministeriums für Verteidigung ersetzt. Von der Prinzipienfestigkeit der örtlichen Organe, der Staatsanwaltschaften und der Öffentlichkeit hängt die Entscheidung dieser oder jener ökologischen Probleme ab. Der sowjetische Generalstaatsanwalt Boris S. Popow im Jahr 1988255
Gefährliche Händel – gefährlicher Handel Am 23. März 1989 liefen vier Schüler einer Polytechnischen Oberschule in Dresden nach Schulschluss auf eine illegale »Russen«-Müllkippe, um Buntmetall zu sammeln. In ihrem Eifer krochen sie durch eine Zaunlücke zum angrenzenden Panzerhangar und wurden hier schnell fündig. Ein Fass Benzin reizte sie besonders, sie besorgten sich leere Flaschen und füllten den Kraftstoff zur eigenen Verwendung ab, zusätzlich stahlen sie noch einige Patronen aus herumstehenden Kisten. Nachdem sie wieder auf der Müllkippe waren, verabschiedete sich einer der Jungen. Die drei anderen begannen, herumliegende Lumpen mit dem Benzin in Brand zu setzen. Einer der drei versuchte, nur zum Spaß, die gestohlenen Patronen zu öffnen. Irgendwann besannen sich die Drei auf ihr eigentliches Vorhaben; sie ließen von den lodernden Flammen ab und suchten weiter nach metallenen Schätzen. Es kam zu einer Explosion, womit keiner der Jungen gerechnet hatte. Zwei Jungen verstarben noch am Unfallort, der dritte wurde mit schwersten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.256 Rasch verbreiteten sich in der Stadt Gerüchte über den Vollfall: Eine Tellermine der GSSD sei explodiert, hieß es, sie habe einen Krater von sechs Metern Durchmesser in die Erde gerissen, eines der Opfer sei fünfzehn Meter durch die Luft geschleudert worden. Schuld an alledem, da war man sich einig, sei ein unsachgemäß gelagertes Panzergeschoss gewesen: »Immer, wenn etwas
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passiert, sind auch die Russen dabei.« Nur wenige Stunden nach der Detonation beräumte ein Trupp der Armee den Unglücksort, die illegale Müllkippe des Militärs. Was zuvor bei der Bevölkerung womöglich mit Wohlwollen wahrgenommen worden wäre, galt jetzt als Vernichtung von Beweisen.257 Am 4. April 1989 informierte die Militärstaatsanwaltschaft der NVA eine Gruppe von Funktionären der SED-Bezirksleitung und des Rates der Stadt über die ermittelten Fakten. Alle Anwesenden erklärten sich damit einverstanden, »auftretenden Gerüchten mit aller Macht entgegen zu wirken«258. Die Lagerung scharfer Munition auf illegalen Mülldeponien stellte nur eine von zahlreichen Beschwerden dar. So »verloren« die Einheiten häufig Waffen, Munition und Sprengmittel insbesondere im Zusammenhang mit Übungen. Die vermissten Gegenstände lagen dann irgendwo im Gelände verscharrt. Vor allem abenteuerlustige Kinder und Jugendliche fanden auf ihren Streifzügen immer wieder großkalibrige Granaten mit und ohne Zünder, Übungspanzerminen, Tellerminen, Handgranaten, Maschinenpistolen sowie die dazugehörige Pistolen- und Leuchtsignalmunition.259 Ein Delikt im Rahmen solcher Veruntreuungen war der Tausch von Waffen und Munition gegen Bargeld oder gegen Wertgegenstände, wobei auch hier häufig Minderjährige beteiligt waren. So informierten besorgte Eltern am 8. März 1983 den Abschnittsbevollmächtigten eines Dresdner Wohnviertels darüber, dass ihr vierzehnjähriger Sohn scharfe Munition von sowjetischen Militärangehörigen erhalten habe und dass am darauffolgenden Tag erneut eine Übergabe stattfinden solle. Die sogleich informierte Kriminalpolizei stellte bei einer Gruppe von Schülern 66 Patronen für Maschinenpistolen und sechs Flugabwehrgranaten sicher. Ein Patronengurt mit 24 Patronen war zuvor von einem der Jungen in einem Abwassergraben versteckt worden und blieb verschwunden. Gemeinsam mit einem Offizier der sowjetischen Militärabwehr namens Viktor wurde vereinbart, dass die Schüler zum vereinbarten Treffpunkt gehen sollten, um die Ermittler auf die Spur der Täter zu führen. Die Jungen standen zum rechten Zeitpunkt an der verabredeten Stelle. Es dauerte nicht lange, bis sich fünf sowjetische Soldaten näherten. Als sie jedoch schon von weitem auch die Sicherheitskräfte entdeckten, machten sie kehrt und rannten davon. Aufgrund der Beschaffenheit des Geländes, so der Polizeibericht, hätten die mutmaßlichen Täter zu entkommen vermocht. Lediglich ein Soldat mit einer Fußverletzung geriet in die Fänge der Einsatzkräfte; nach den Namen der anderen befragt, versicherte er, diese nur zufällig getroffen und zuvor nie gesehen zu haben. Die Schüler wiederum erklärten, dass sie den gefassten Soldaten nicht wiedererkennen würden. Es stellte sich heraus, dass sie bereits mehrfach zu Geschäften einbestellt worden waren. Zuletzt hatten sie die Munitionslieferung gegen fünfzehn weibliche Aktbilder aus der Zeitschrift Magazin getauscht. Ein anderes Mal erhielten sie für vier Taschenmesser vier Originalpackungen Munition für Maschinenpistolen. Obwohl die Jungen an-
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geben konnten, dass einer der Beteiligten an einem bestimmten Tag auf einem bestimmten Postenturm Dienst versehen hatte, war es der Militärabwehr nicht möglich, die Schuldigen zu stellen. Zumindest erfolgte keine Rückmeldung an die deutschen Ermittlungsinstanzen.260 Der leichtfertige Umgang mit Waffen, Munition, aber auch mit giftigen Abfällen war ein Charakteristikum für die sowjetischen Streitkräfte und bildete keineswegs eine Ausnahme. Ein Bericht zur Kontamination sowjetischer Militärobjekte sowie zugehöriger Mülldeponien vom Sommer 1990 bestätigte, was die Bevölkerung ohnehin längst wusste: dass Schrott, Siedlungsabfälle und Munition massenhaft illegal abgelagert wurden. Diese Tatsache war den Behörden seit langem bekannt, doch erstmals konnten und wollten sie jetzt die aufgelisteten Problemfelder öffentlich machen. Demnach handelte es sich bei den gefährlichen Entsorgungen zumeist: – um Munition und Explosivstoffe, aufbewahrt in Lagern für Munition und Waffen, Schießanlagen, Spreng- und Brandplätzen; – um Betriebsstoffe (Treib- und Schmierstoffe), entsorgt auf Tankstellen, Tanklagern, Flugplätzen, Umschlagplätzen und auf Wasch- und Wartungsrampen; – um Vergrabungen und geschobene Flächen, bestehend aus Bauschutt, Schrott, Hausmüll; – um wilde Schrottplätze; – um Verbrennungsrückstände, Haus- und Sperrmüll, Altöl, Reifen, Farbreste, Chemikalien oder Bleiakkumulatoren; – um ungeordnete Ablagerungen: Siedlungs- und Sonderabfälle sowie – um Abwasser und Klärschlamm. Die innerstädtischen Liegenschaften waren in der Regel an das kommunale Kanalisationsnetz angeschlossen. Außerstädtischen Anlagen fehlte zumeist ein solcher Anschluss, weshalb durch unbehandelte Abwässer erhebliche Kontaminationen auftraten; gefährliche Flüssigkeiten versickerten oder wurden in Oberflächenwasser eingeleitet.261 Über vier Jahrzehnte hatten die Streitkräfte ihren Müll eigenverantwortlich entsorgt, indem sie ihn auf Transporter geladen und auf die zugewiesenen Mülldeponien verbracht hatten. Dies bedeutete jedoch auch, dass illegalen Maßnahmen Tür und Tor geöffnet war, schließlich gab es außer den Nutzern selbst keinerlei weitere Kontrollinstanzen. Eine Dresdener Analyse vom Februar 1989 bestätigte, dass sich auf kommunalen Schrottplätzen neben gemeinem Hausmüll auch Schloss- und Visierteile von Maschinengewehren befanden, Munitionsgurte sowie militärische Dokumentationen, sogar mit Dienststempeln besiegelt. Diese waren abgekippt und mit Erde überdeckt worden. Zudem fanden sich massenhaft Panzerschrott, Bauschutt sowie konservierte, unbenutzte Gewehrteile und sogar demontierte Spürpanzerwagen. Die Ablagerungen wa-
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ren visuell wahrnehmbar, doch nicht nur das: Sie besaßen vor allem für Kinder höchste Attraktivität, zumal es entweder gar keine Umzäunungen gab oder aber höchst defekte. Für die Berichterstatter war die Aufzählung solcher Missstände Alltag, den man resigniert hinnahm. So endete auch das Dresdner Exposé mit dem lapidaren Hinweis, dass man vorschlage, den Bezirkschef der Volkspolizei zu veranlassen, beim nächsten Gespräch mit verantwortlichen Offizieren der I. Gardearmee auf die Beseitigung der genannten Mängel Einfluss zu nehmen.262 Wohl wissend, dass man hier auf verlorenem Posten kämpfte. Als sich die Westgruppe im Sommer 1994 verabschiedete, ließ sie neben den leeren Kasernen auch unauffindbare Munitionsdepots zurück: Laut offiziellen Angaben des Oberkommandos Wünsdorf von 1990 verfügte die Armee zu diesem Zeitpunkt über 677.000 Tonnen Munition. Tatsächlich nach Hause geschickt aber wurden 81.040 Tonnen weniger, was etwa 4.000 Eisenbahnoder 7.000 LKW-Ladungen entsprach. Die wahrscheinlichste Erklärung, meinte Matwej Burlakow 1994, für dieses gravierende Manko an Munition sei ein schlichter Buchungsfehler seitens der Armeeverwaltung.263 Eine allzu schlichte Erklärung.
Haus- und Waldbrände Die verantwortlichen Mitarbeiter der Feuerwehr der DDR klagten über Jahrzehnte, dass die Zusammenarbeit zwischen deutschen Brandschützern und den Truppenkommandeuren äußerst problematisch sei. Dies galt sowohl für Havarien innerhalb der Militärobjekte als auch auf freier Flur. Ein Faktum, das nicht erstaunt, wenn man bedenkt, dass das Thema Brandschutz im Stationierungsabkommen nicht geregelt war und erst dreißig Jahre später vom Wünsdorfer Oberkommando eine gemeingültige »Weisung über den Brandschutz in den militärischen Objekten sowie über die Verhütung von Bränden« erlassen wurde.264 Allein in den Jahren 1983 und 1984 wurden in Dresdener Garnisonen insgesamt zwölf Brände in Wirtschafts- und Unterkunftsobjekten bekannt. Wie viele Vorfälle es gegeben hatte, ohne dass DDR-Behörden hinzugezogen worden waren, lässt sich nicht feststellen. In sieben Fällen entstand ein Sachschaden von über 100.000 Mark, wobei die hohen Verluste vordergründig der Abwehr professioneller deutscher Hilfeleistungen geschuldet waren. So kam es nach dem Ausbruch von Bränden regelmäßig zu erheblichen Verzögerungen: Zuviel Zeit verstrich bis zur Meldung an deutsche Feuerwehren. Zumeist versuchten die Einheiten, die Brände aus eigener Kraft zu löschen, wobei sie weder über die notwendige Ausrüstung noch über entsprechend geschultes Personal verfügten. Diese hinhaltende Praxis beklagte man nicht nur in Dresden, sondern auch in Weimar.
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Neben den Überflutungen kam es auch zu Bränden. Ich kann mich noch erinnern, wie einmal ein großes Feuer ausbrach. Es war weithin zu sehen und so rückte die städtische Feuerwehr an, den Brand zu löschen. Das Schlimme war, die Löschfahrzeuge durften den Posten nicht passieren. Dieser ließ die Feuerwehr von Weimar mit ihren fünf Löschzügen nicht auf das Territorium, weil der Kommandant meinte, er würde das mit seinen Soldaten allein erledigen. Die versuchten, das Feuer mit Eimern zu löschen, schafften es natürlich nicht. Bei diesem Brand sind viele Soldaten ums Leben gekommen, was bei den deutschen Feuerwehrleuten im Nachhinein zu heftigen Diskussionen geführt hat. Sie konnten nicht begreifen, weshalb ihre Hilfe abgewiesen wurde, obwohl es doch ihre Aufgabe war, Menschenleben zu retten.265
Die wiederholten Ersuchen und Bitten von deutscher Seite, auf Bezirks- oder auf Kreisebene Vereinbarungen zwischen den örtlichen Feuerwehren und den Verantwortlichen für Sicherheit beziehungsweise Brandschutz der GSSD zu treffen, verliefen im Sande. Ob und wie die Feuerwehr involviert wurde, oblag einzig dem Gutdünken der diensthabenden Kommandeure.266 Deren Interesse war es – ähnlich wie bei den Fluchtversuchen –, Havarien möglichst zu vertuschen. Wurden erst einmal Hilfskräfte von außen geordert, musste man Bericht erstatten. Dann erfuhr auch Wünsdorf von dem Vorfall und zog daraufhin den verantwortlichen Offizier oder Truppenkommandeur zur Rechenschaft. Eine unerfreuliche Prozedur für die örtlichen Befehlshaber. Das Oberkommando betrachtete solche Vorfälle nämlich nicht als Bagatelldelikte, schon deshalb nicht, weil die an DDR-Instanzen zu zahlenden Schadensersatzleistungen jährlich Unsummen der Unterhaltskosten verschlangen. In einem Schreiben des Oberbefehlshabers vom 12. Februar 1987 an alle Leiter der Truppenverbände zählte dieser auf, wie viele Brände im vergangenen Jahr durch fährlässiges Handeln gemeldet worden waren. »Eine Analyse sowie Überprüfungen liefern den Beweis, daß in einigen Verbänden und Truppenteilen die Forderungen der allgemeinen Weisungen und Befehle des Ministers für Verteidigung der UdSSR und des Oberkommandierenden der GSSD zum Brandschutz nicht erfüllt werden, der Personalbestand der Einheiten und des Tagesdienstes nur schwach hinsichtlich des Brandschutzes und Maßnahmen bei einem Brand ausgebildet ist, keine Kontrolle über die Unterhaltung der Löschmittel, insbesondere der Feuerlöscher an der Militärtechnik festgelegt ist.«267 Die Abmahnung lief allerdings insofern ins Leere, als dieses Schreiben bewusst allgemein gehalten war und weder konkrete Maßnahmen noch bestimmte Verantwortungsträger festschrieb. Die ungeregelte Situation änderte sich scheinbar mit einem Befehl des Oberkommandierenden der Sowjetischen Streitkräfte vom 29. Februar 1988, in dem er neue »Maßnahmen zur Verstärkung des Brandschutzes und zur Verhütung von Bränden in den Truppen der Gruppe« anwies.268 Zwei hauptsächliche Probleme blieben aber auch mit dieser Verordnung noch bestehen: Erstens: Die Verantwortung war – wie in der Vergangenheit – breit gestreut.
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Im Schadensfall konnte kaum ein Einzelner zur Rechenschaft gezogen werden, denn nicht nur die Brandschutzkommissionen, sondern auch der einfache Soldat und die Vorgesetzten unterschiedlicher Ebenen bis hin zum Regimentskommandeur trugen auf dem Papier die Verantwortung. Zweitens: Eine Zusammenarbeit mit professionellen deutschen Feuerwehren wurde in den neuen Regelungen nicht einmal erwähnt. Auch künftig lag es demnach im persönlichen Ermessen des Vorgesetzten, Hilfe von außen zu ordern oder aber das Leben der eigenen Leute aufs Spiel zu setzen, weiterhin mit der Aussicht auf größtmögliche Geheimhaltung. Die Brandschutzreform von 1988 beinhaltete auch Anweisungen für den Schutz von Übungsplätzen und Waldarealen, doch auch hier bedeutete die Umsetzung der Anordnungen die schwierigste Hürde. Ein Beispiel aus Dresden: Am 23. Juli 1989 gegen 13 Uhr befuhr eine sowjetische Kolonne von Ketten- und Räderfahrzeugen eine Panzerstraße am Stadtrand Dresdens. Ein NVA-Posten beobachtete starken Funkenflug, verursacht durch abruptes Beschleunigen der Panzermotoren. Nur Sekunden später flammte das trockene Gestrüpp auf, das Waldstück begann zu brennen. Dem deutschen Posten gelang es, die letzte Fahrzeuggruppe des Konvois zu stoppen. Nach Meinung des NVA-Soldaten sollte diese nicht weiterfahren, sondern sich an den verschuldeten Löscharbeiten beteiligen. Die rasch gerufenen Forstarbeiter und Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr mussten dann allerdings feststellen, dass die Verursacher des Brandes keineswegs gewillt waren, bei den Löscharbeiten anzupacken. Vielmehr argumentierten die Militärs, dass sie um jeden Preis Anschluss an die Kolonne halten müssten; Verspätungen, aus welchem Grund auch immer, würden von ihrem Vorgesetzten empfindlich geahndet. Schließlich befand man sich mitten in einer Gefechtsübung. Im Kriegsfall könne man sich auch nicht um den Wald sorgen, sondern doch wohl nur um die Menschen. Forstarbeiter und Feuerwehrleute dachten gar nicht daran, dieses aus ihrer Perspektive arrogante und ignorante Verhalten zu akzeptieren. Eine handfeste Prügelei begann, die erst der hinzueilende Abschnittsbevollmächtigte beendete. Später gestand der Dresdener Polizeichef den Kommandierenden der 1. Gardepanzerarmee, dass aufgrund des Vorfalls »großes Unverständnis« unter den Einsatzkräften herrsche. Nicht allein, dass man bei einer hohen Waldbrandgefahrenstufe in verantwortungsloser Weise Panzer durch den Forst kreuzen ließ, stieß auf harsche Ablehnung, sondern vor allem die Tatsache, dass der Kommandeur vor Ort nicht unverzüglich die Brandbekämpfung angewiesen oder wenigstens unterstützt hatte. Hinzu kam, dass sich einige der Soldaten während des Disputs gelangweilt Zigaretten angezündet hatten, statt die lodernden Flammen zu ersticken.269 Da half es wenig, dass Offiziere der Kommandantur die Schäden später besichtigten und versprachen, diese schnellstmöglich zu beheben. So einfach kamen die Brandverursacher
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dieses Mal nicht davon: Die Feststellung der Höhe der Schäden erfolgte ganz offiziell durch den Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb in Anwesenheit sowjetischer Militärs sowie durch die Bezirksdirektion der Staatlichen Versicherung. Zu zahlen waren: Feuerlöschkosten, Mehrkosten für die Verarbeitung des geschädigten Holzes, Ausgleichskosten für die vernichteten Bestände sowie die Rechnung für das Abräumen der Schlagfläche, um eine Wiederaufforstung zu ermöglichen.270
Wasser-»Fälle« Im Februar 1986 erarbeitete der VEB Spezialbau Potsdam erstmalig eine kritische Analyse zum Zustand ostdeutscher Gewässer mit Blick auf die sowjetischen Streitkräfte: Die völlig unzureichende Abwasserentsorgung schafft eine erkennbare kritische Belastung der Gewässer und des Grundwassers im Umfeld von GSSD-Objekten, die für die Bevölkerung – besonders aus dem Anliegerbereich – nicht mehr unerkannt bleibt. Dies führt zu negativen politisch-ideologischen Reaktionen und Eingaben, die in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen operative Beachtung erfordern. Grund für die Misere sind die unzureichend oder gar nicht funktionierenden Abwasseranlagen. So wird das ungereinigte Wasser direkt in umliegende Gewässer respektive Geländeabschnitte eingeleitet, das heißt die Garnisonen sind mit öffentlichen Seen und Flüssen ›kurzgeschlossen‹. Ursachen sind ein natürlicher Verschleiß und die fehlende Wartung und Instandsetzung durch die verantwortlichen Rechtsträger, die GSSD.271
Hier gestaltete sich die Rechtslage freilich eindeutig: Im Inanspruchnahmeabkommen war klar geregelt, dass DDR-Instanzen für die Instandhaltung und Reparatur von Wasserversorgungs- und -entsorgungsanlagen Verantwortung trugen, denn schließlich bezahlten die Garnisonen für diese kommunalen Leistungen monatliche Abschlagsbeträge. Doch galt auch hier eine andere Praxis: Die Militärverantwortlichen hatten von Anfang an den Zutritt zu den Objekten verweigert. Sie erklärten sich vielmehr bereit, sämtliche Wartungsarbeiten durch eigene Fachleute durchführen zu lassen. Für solche Maßnahmen zur Erhaltung der Infrastruktur erhielten sie beispielsweise im Jahr 1988 insgesamt 115 Millionen Mark zusätzlich ausgezahlt.272 Dabei zeigte sich an den Einfärbungen und am Zustand der umliegenden Gewässer bald, dass bestenfalls ein Teil dieser Gelder für die vorgesehenen Zwecke verwendet wurde. Ein Umstand, der auch den Anwohnern auffiel. Die Kinder badeten in verschmutzten Gewässern, die Bevölkerung entnahm aus dem mehr und mehr defekten Versorgungsnetz ihr Frischwasser: Um den sich mehrenden Eingaben begegnen zu können, vor allem aber um drohenden Epidemien vorzubeugen, sann die Regierung der DDR frühzeitig auf Abhilfe. Schon Anfang der siebziger Jahre bemühte sie sich um die Renovierung und auch den Neubau
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maroder Wasser- und Abwasseranlagen. Ein Vorhaben, das zur konsequenten Sicherung einen Wechsel der Rechtsträger, nämlich den Übergang in deutsche Zuständigkeit, zur Folge hätte haben sollen. Entsprechende Direktiven waren damals zwar erlassen, jedoch nicht in die Tat umgesetzt worden. Mitte der Siebziger drängte die (Ab-)Wasserpolitik erneut auf die Agenda, nun trat der VEB Spezialbau als Vermittler zwischen den Wasser- und Abwasserbetrieben (WAB) und dem sowjetischen Oberkommando auf. Um die Probleme zu konkretisieren und um zu praktischen Ergebnissen zu gelangen, hatte man die oben zitierte Analyse über den Zustand aller bekannten Abwasseranlagen erarbeitet und »den Freunden« im Herbst 1976 präsentiert. Hauptziel war es auch diesmal, die Anlagen in deutsche Trägerschaften zu überführen, denn schließlich hatte alle bisherige Praxis gezeigt, dass deren Betrieb in alleiniger Verantwortung der Streitkräfte zumindest für die Kommunen höchst unbefriedigend blieb. Die sowjetischen Verantwortlichen lehnten eine so weitreichende Änderung rundweg ab. Vielmehr gab die GSSD selbst eine Reihe neuer Kläranlagen bei VEB Spezialbau in Auftrag, die auch zu einem Teil realisiert wurden. Der Grund für die nur zögerlichen Maßnahmen lag in Grundsatzentscheidungen, die zwischenzeitlich von Wünsdorf und von Moskau gefällt worden waren. Vor allem den vorgesetzten Dienststellen war die Bereitstellung von erheblichen finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen allein für die Wasser- und die Abwasserversorgung ein Dorn im Auge.273 Auch die Unterhändler der DDR zeigten sich damals kompromissbereit und nahmen die Forderung nach einer baldigen Generalreparatur Stück für Stück zurück. Zudem hätte die verlangte Anstellung von deutschen Fachkräften für die Wartung eine dauerhafte finanzielle Belastung bedeutet, was Hochrechnungen der WAB deutlich zeigten. Gleich mehrere hundert qualifizierte Arbeitskräfte hätten eingestellt werden müssen, was allemal unattraktiver war, als Soldaten unentgeltlich für diese Arbeiten zu verpflichten. So kam es, daß die Probleme auch dieses Mal keiner Lösung zugeführt wurden. Im Gegenteil, sie verschärften sich zusehends.274 Die Missstände vor Ort brachten wiederum die Bevölkerung dazu, mit weiteren Beschwerden an zentrale und örtliche Organe das Wasserproblem auf der Tagesordnung zu halten. Ein ganzes Jahrzehnt später, im Jahr 1986, sollte die Problematik endlich in Angriff genommen werden. Im Frühjahr wurde eine neuerliche Analyse in Auftrag gegeben, welche die altbekannten Mängel bilanzierte und bestätigte, freilich in einem ungleich höheren und gefährlicheren Ausmaß.275 Alarmiert durch die niederschmetternden Nachrichten liefen nun Erste-Hilfe-Maßnahmen an. Die sowjetische Seite gab erneut die Projektierung von neuen Kläranlagen in Auftrag, Abstimmungen zwischen der GSSD, dem VEB Spezialbau sowie der VEB WAB wurden künftig zu einer regelmäßigen Praxis. Doch mussten die Verantwortlichen zwei Jahre später, im Jahr 1988, einsehen, dass »ausgehend von der Umweltbelastung […] eine wesentliche Änderung der
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Situation nicht eingetreten« war.276 Die Hoffnungen der Fachleute aus der DDR richteten sich jetzt vielmehr auf die neunziger Jahre, denn in diesem Jahrzehnt sollte das Gros der anvisierten Projekte endlich in die Tat umgesetzt werden. Für den Fünfjahrplan von 1991 bis 1995 war eine größere Anzahl von Neubauten und Rekonstruktionen vorgesehen. Bis dahin galt es, den wachsenden Unmut der Bürger im Zaum zu halten.277
Der Lärm der Geschütze Seit Mitte der achtziger Jahre gingen bei den Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit immer wieder Beschwerden über die Zustände rund um die zahlreichen Truppenübungsplätze ein. So würden dort vor allem in Manöverzeiten während der ganzen Nacht Schießübungen durchgeführt.278 Anwohner artikulierten ihren Ärger über die Lärmbelästigung durch Geschütze und durch Flugzeuge in Aussagen wie: »Wie lange soll dieser Psychoterror noch anhalten?« »Das kann kein Mensch mehr aushalten!« »Nicht einmal die Kinder können schlafen.« »Wenn nichts unternommen wird, wenden wir uns weiter…« »Die von sowjetischen Generalen gegebenen Versprechungen sind wertlos.«279 Belegschaften umliegender Betriebe diskutierten seit Anfang der achtziger Jahre immer wieder, ob es nicht ihr gutes Recht sei, bei anhaltendem Geschützdonner nicht zur Arbeit zu erscheinen und stattdessen tagsüber den versäumten Schlaf nachzuholen. Schließlich kam man des Nachts nicht mehr zum Schlafen, weshalb eine anstrengende Tätigkeit zunehmend unmöglich gemacht würde. Andernorts wurden Unterschriftensammlungen organisiert. Einige Familien schrieben Eingaben an die Staatsorgane, so auch Jörg Ernst aus Nohra.280 Als die Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal schreiend ins Haus gelaufen, wenn die Hubschrauber anflogen. Ganze Nächte sind die bis zum Morgengrauen durchgeflogen. Im Minutentakt. Zuerst hört man in der Ferne ein Brummen, das langsam näher kommt, immer stärker wird, dann ein ohrenbetäubender Lärm über dem Kopf und dann geht es wieder weg. Im Weggehen hört man schon den nächsten. Das war regelrechter Psychoterror, man konnte wirklich nicht schlafen. Es gab Zeiten, da flogen sie wochenlang jede Nacht, dann gab es auch Ruhephasen. Wir waren soweit, das Handtuch zu schmeißen und wegzuziehen. Das war 1980. Ich habe dann auch eine Eingabe gemacht, obwohl mir jeder im Dorf sagte, dass das keinen Sinn macht. Ich schrieb an den Rat des Kreises, Abteilung Inneres. Unser Bürgermeister wusste Bescheid, der hatte, wie wir alle, die Faxen dicke. Er hat mir sogar zugeraten, mich zu beschweren. Für ihn war es ja nicht so einfach, er war ja im System verhaftet. Aber ich als Schmied, wer sollte mir schon etwas tun. Also habe ich den Brief geschrieben und bin dann auch eingeladen worden. Der Bürgermeister ist mitgekommen. In der Abteilung Inneres saßen dann drei oder vier Mann, einer sogar von der Berufsgenossenschaft. Naja, das Gespräch verlief relativ freundlich. Die sagten, dass ich froh sein solle, dass
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nicht amerikanische Kampfhubschrauber über unser Dorf flögen, sondern sowjetische. Da war für mich klar, dass das alles nichts bringt.281
Die avisierten DDR-Instanzen traf dabei kaum eine Schuld, vielmehr verfügten sie über keinerlei Instrumentarium, gegen die Verursacher der Missstände dauerhaft vorzugehen. Zwar bekannte das Stationierungsabkommen von 1957, die »Unverletzlichkeit des Luftraumes« zu gewährleisten sowie für jedermann gültige Flugregeln festzulegen. Die Wirklichkeit sah auch hier anders aus: Aufgrund der im Warschauer Vertrag abgestimmten Verantwortung des Oberkommandierenden der GSSD für die Luftverteidigung aller Objekte auf ostdeutschem Territorium, aufgrund der Verantwortung der GSSD für die »zeitweilige Ausübung der Kontrolle« auf den Luftverbindungswegen und in der Berliner Kontrollzone wurde eine »ausschließliche Souveränität, die Zuständigkeit der Organe der DDR und die nationale Verantwortung für die Gewährleistung der Flugsicherheit verneint«.282 Nach den gültigen Hauptflugregeln war der Gefechtsstand der GSSD »das Hauptorgan zur Führung und Koordinierung der Flüge und Überflüge aller Institutionen« im Luftraum. Der Minister für Nationale Verteidigung der DDR verzichtete aus diesem »höheren« Grund auf den Erlass bindender Verordnungen.
Formen der Schadensabwicklung Zur Regulierung von Schäden, die durch sowjetische Streitkräfte in Luft, Land und Wasser verursacht worden waren, vereinbarten das Ministerium der Finanzen der DDR und das Oberkommando der GSSD in den fünfziger Jahren eine Schadensersatzvereinbarung.283 Demnach konnten Ansprüche einzelner Bürger oder Organisationen nicht unmittelbar gegenüber den Streitkräften geltend gemacht werden, die Abwicklung erfolgte vielmehr über die Regierungen beider Staaten. Die Auszahlung der Beträge an die Geschädigten vollzog sich in den ersten beiden Jahrzehnten vergleichsweise formlos durch die Staatliche Versicherung der DDR.284 Ein beträchtliches Problem bei der Bearbeitung vor Ort jedoch war es, dass die für die Instandsetzung verantwortlichen kommunalen Administrationen die Details der Schadensersatzvereinbarung von 1957 nicht kannten und so eigenmächtig über Handhabungen entschieden. – Mit der Folge, dass die stets knappen kommunalen Etats vielfach unrechtmäßig für von der GSSD verursachte Schadensfälle, für zerstörte Straßen und Forste, verwendet wurden. Unzufrieden mit diesen von Fall zu Fall unterschiedlichen Herangehensweisen, erließ das Finanzministerium der DDR am 18. Oktober 1979 neue, konkrete Anweisungen zur Schadensregulierung. Von nun an waren Ansprüche ausschließlich von der Staatlichen Versicherung zu bearbeiten. Dies galt auch
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für Wiedergutmachungsleistungen von Übungs-, Manöver- und Waldbrandschäden, die die Kommunen bislang häufig im gegenseitigen Einvernehmen ausgehandelt hatten. Weil die immensen Summen der jährlich durch die Streitkräfte verantworteten Zerstörungen keinesfalls an die Öffentlichkeit dringen sollten, inkludierte die neue Richtlinie auch detaillierte Anweisungen an die zuständigen Bearbeiter: »Für die Durchführung der Aufgaben sind politisch zuverlässige und fachlich besonders qualifizierte Kader einzusetzen.«285 Die Mitarbeiter des Sektors 48 sollten in Arbeitszimmern untergebracht werden, die zum Schutz von Staatsgeheimnissen als so genannte Siegelzimmer abgesichert werden konnten. Alle Schadensunterlagen waren im Tresor aufzubewahren. Die Übergabe von Unterlagen an sowjetische Dienststellen hatte nicht per Kurier oder auf dem Postweg, sondern nur persönlich zu erfolgen. Die Korrespondenz mit Antrag stellenden Bürgern und Betrieben über die Schadensfälle durfte keinerlei Angaben über beteiligte sowjetische Einheiten beinhalten. Die Bezirks- und Kreisdirektoren der Staatlichen Versicherung hatten von nun an zu gewährleisten, dass zwei Mal pro Monat Konsultationen mit den örtlichen Kommandanturen und dem Bezirksbeauftragten des Oberkommandos einberufen wurden. Schäden bis zu 10.000 Mark konnten durch die Kreis- und Bezirksdirektionen in eigener Verantwortung entschieden werden. Bei Schadenssummen, die dieses Limit überstiegen, waren die Unterlagen der Hauptverwaltung der Staatlichen Versicherung in Berlin vorzulegen. Dies galt auch bei dauerhaften Rentenzahlungen, bei strittigen Fällen sowie bei Vorkommnissen mit besonderer politischer Bedeutung. Im Interesse einer raschen Abwicklung waren die Verantwortlichen angehalten und bevollmächtigt, noch vor der Abstimmung mit den Kommandanturen Schadensersatzleistungen zu verauslagen. Die Streitkräfte hatten die vorgestreckten Beträge später bei der Staatlichen Versicherung direkt zu begleichen. Einen unmittelbaren Kontakt zwischen Verursachern und Geschädigten wollte man um jeden Preis vermeiden, denn dabei hatte man in der Vergangenheit unliebsame Erfahrungen gemacht. So waren Offiziere aus Angst vor hohen Entschädigungszahlungen in die Häuser von Klägern gekommen und hatten diese bedroht, andere wiederum offerierten schnelle Abhilfe in Form von Geldzahlungen oder aber durch Arbeitsleistungen. Es muss Mitte der siebziger Jahre gewesen sein. Wir wohnten schon damals in diesem Haus. Weil es direkt in einer schmalen Kurve steht, kam es immer wieder vor, dass ein Panzer, der die Kurve nicht schaffte, die Mauer mit sich riss. Wir waren daran gewöhnt. In der Regel meldete man den Schaden der Versicherung, füllte ein paar Formulare aus und bekam die Reparatur bezahlt. Das war zwar alles andere als erfreulich, weil man das Geld ja hatte, nicht aber die Steine und den Mörtel – aber was sollte man schon unternehmen. Dieses eine Mal, an das ich mich erinnere, lief es anders ab. Wieder kamen schwere Fahrzeuge durch das Dorf, mitten in der Nacht. Plötzlich bebte unser Haus und
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wir hörten die Mauer zusammenfallen. Ich rannte auf die Straße und versuchte, noch irgendein Nummerschild aufzuschreiben. Für die Versicherung. Nachdem die Kolonne vorbei war und wir den Schaden begutachtet hatten, legten wir uns wieder schlafen. Frühmorgens klingelte es dann an unserer Haustür. Ein Offizier stand davor mit fünf Soldaten. Sie hielten alle eine Art Essgeschirr – Schöpfkellen und Schüsseln – in der Hand. Der Mann erklärte mir, dass ein Untergebener die Mauer kaputt gefahren hätte und man bereit wäre, den Schaden sofort zu beheben. Er gab den mitgebrachten Soldaten ein Zeichen und die legten los. Sie mauerten die Wand innerhalb kürzester Zeit neu – mit Schöpfkellen. Ich muss wohl nicht sagen, wie die Mauer ausgesehen hat!286 Bei meiner Tante, die hier im Ort wohnte, kam einmal ein Querschläger ins Wohnzimmer. Er schoss durch die Scheibe in das Bild von der Rudelsburg. Es war ein großes Ölgemälde, ein Original, und da ist der Querschläger rein. Wir riefen sofort die Kommandantur an und die sind auch gekommen und haben sich alles angeguckt. Kurze Zeit später kehrten sie zurück, um den Schaden zu regulieren: mit einem Trink- und Fressgelage. Sie brachten Flaschen und etwas zu Essen mit und sagten: ›Kommt, setzt Euch hin!‹ Damit war die Sache erledigt.287
Im Rahmen der Wiedergutmachung gab es neben solchen persönlichen Absprachen für die Geschädigten beispielsweise auch die Möglichkeit, Anträge auf Absetzung beschädigter landwirtschaftlicher Nutzflächen zu stellen. Immer wieder wiesen die Vorsitzenden der LPGs ihre Vorgesetzten beim Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft darauf hin, dass die von der GSSD verantworteten Flächenverluste Größenordnungen erreichten, die weit über das abgestimmte Maß hinausgingen. So waren vielfach Trassenbreiten von zuvor acht bis zehn Metern in wenigen Jahren auf bis zu einhundert Metern ausgeweitet worden. Zwar versuchten die örtlichen Verantwortlichen, an das Pflichtgefühl der Kommandeure zu appellieren, doch diese schritten im besten Fall ein, wenn die Beschwerdeführer einwandfrei nachweisen konnten, welche Einheit konkret den reklamierten Schaden verursacht hatte. Da es aber aus Gründen militärischer Geheimhaltung strengstens untersagt war, Kennzeichen von Militärfahrzeugen zu notieren oder gar zu fotografieren, waren den Zuständigen zumeist die Hände gebunden. Es fehlten dann schlicht Beweise und Belege für die schuldhafte Beteiligung sowjetischer Fahrzeuge. Als ich 1960 Direktor der damals neu eingerichteten Sowjetische Kraftfahrzeugs-Haftpflichtstelle (SKH) im Kreis Weimar geworden bin, kam ich mit den Russen erstmals eng in Kontakt. Die SKH war eine Institution der Staatlichen Versicherung und kümmerte sich um alle Schäden, die von sowjetischen Armeefahrzeugen auf dem Territorium der DDR angerichtet wurden. Hatte es einen Vorfall mit sowjetischer Beteiligung gegeben, fuhren wir vor Ort und schätzten den Schaden. Die verantwortliche sowjetische Einheit musste dann dafür aufkommen. Die eigentliche Aufgabe bestand jedoch darin, zwischen der für den Schaden verantwortlichen sowjetischen Einheit und den geschädigten Bürgern zu vermitteln. Wir waren also eine Art Vermittlungs- und Beratungsinstanz. Mit Geld wurden nur kleinere Schäden beglichen. Bei großen Fällen war das nicht möglich, weil ja auch gar nicht so viel Geld da war. Das wurde dann an-
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derweitig gehandhabt. Wurde zum Beispiel eine Friedhofsmauer umgefahren, kamen die Soldaten der verantwortlichen Einheit am nächsten Tag und bauten sie wieder auf. Ähnlich lief das, wenn etwa durch Panzer die Straßen arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Hier stellten die Russen meistens schweres Gerät für Straßenbauarbeiten zur Verfügung. […] Besonders viele Schäden verursachten die Russen bei ihren Manövern. Dann waren immer zahlreiche sowjetische Einheiten mit ihren Fahrzeugen unterwegs. Es kam vor, dass die Russen mit ihren Panzern einfach übers Feld fuhren, weil sie Marschbefehl hatten und möglichst pünktlich einen bestimmten Ort erreichen mussten. Fuhren die Russen durch Ortschaften, ramponierten sie gelegentlich die Wohnhäuser, was für die Bürger besonders ärgerlich war. Da wurde es zuweilen schwierig, diejenige Einheit ausfindig zu machen, die den Schaden tatsächlich verursacht hatte. Die Kommandeure stritten nämlich ihre Schuld gern ab und beschuldigten andere Einheiten, die im Zuge eines solchen Manövers ebenfalls am Unfallort vorbeigefahren waren. Teilweise sorgten dann die Bürger für Aufklärung. Sie schrieben geistesgegenwärtig die Nummern der Militärfahrzeuge auf und teilten sie uns mit. Offiziell war das zwar verboten, weil es als Spionage galt. Mir ist aber nicht bekannt, dass irgendjemand jemals dafür bestraft wurde.288
Offene Forderungen: Zum Ende jedes Kalenderjahres verblieben in den achtziger Jahren etwa 4.500 nicht abgeschlossene Schadensfälle: 200 bis 300 Anspruchsfälle der GSSD gegenüber Institutionen der DDR und, vice versa, 4.000 bis 4.200 Anspruchsfälle von Antragstellern aus der DDR gegenüber der GSSD. Die Gründe für solche Überhänge blieben über Jahrzehnte die gleichen: – unterschiedliche Ermittlungsergebnisse zum Sachverhalt durch die Organe der DDR und der GSSD; – zeitweise verzögerte Haftungsentscheidung durch die Kommandanturen; – divergierende Auffassungen zu Schadensersatzpositionen nach den rechtlichen Regelungen und der Rechtspraxis der DDR; – unzureichender Ausgleich von Manöverschäden durch Arbeitsleistungen der GSSD.289 Von der Staatlichen Versicherung wurden in Vorleistung immer wieder Schäden reguliert, die sich die GSSD später weigerte anzuerkennen. Aus den Jahren von 1978 bis 1981 standen 1983 noch Forderungen gegenüber der GSSD in Höhe von 1,8 Millionen Mark zu Buche. Durch einen Entscheid des Finanzministers der DDR vom 30. November 1983 wurden davon eine Millionen Mark aus eigener Kasse ausgeglichen. Die restlichen 34 Fälle wurden der GSSD mit der Bitte übergeben, diese Vorgänge zu prüfen und eine Erstattung an die Staatliche Versicherung zu veranlassen. Die sowjetische Seite versprach, dass sie die Angelegenheit unverzüglich entscheiden werde. Der ausstehende Betrag wurde auch zwei Jahre später noch als offene Forderung in der Bilanz der Staatlichen Versicherung ausgewiesen.290 In den Jahren 1983 bis 1987 regulierte die Ost-Berliner Versicherung insgesamt 27.000 Schadensfälle mit einer Schadensumme von rund 34 Millionen
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Mark, davon waren 25.000 Schadensfälle mit einer Summe von 27,5 Millionen Mark durch Angehörige der GSSD verursacht worden.291
Besatzungsrealität zwischen Gesetz und Gesetzlosigkeit Der hier geschilderte Umgang mit Ressourcen, mit Waffen und Gerät, mit Grund und Boden fand aus Sicht der Besatzer in einem quasi gesetzesfreien Raum statt: Zwar hatte das Stationierungsabkommen bestimmt, dass die Streitkräfte selbst für Sicherheit und Ordnung in und um ihre militärischen Exklaven zu sorgen hatten, doch war dieser Grundsatz damals nicht im Detail ausformuliert worden. Auch die Dienstvorschriften gaben keine Richtlinien zum Umgang mit besetzten Gebieten und Räumen vor. Was Sicherheit und Ordnung bedeutete, unterlag der Definitionsmacht der Offiziere und Mannschaften der Einheiten. Und diese handelten nach hergebrachten Dispositionen, gemäß den Usancen in der Sowjetunion. Der rücksichtslose Ge- und Verbrauch von Ressourcen gereichte nicht nur der Umwelt zum Nachteil, sondern auch den Menschen, allen voran den eigenen Bediensteten. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der registrierten Todesfälle in den Streitkräften auf unsachgemäße Handhabungen von Material und Technik zurückzuführen waren. Dies konnte mutwillig, aber auch unwissentlich geschehen. Doch blieben Schäden und Verluste nicht allein auf die Militärareale begrenzt. Ungesicherte Munition, Waldbrände und verseuchte Gewässer, aber auch der Lärm der Geschütze und das Dröhnen der Hubschrauber und Flugzeuge gingen auf Kosten von Leib und Gesundheit der Anwohner. Diese mussten die grundlegende Erfahrung machen, dass sie solchen Belästigungen hilflos und ohne Schutz durch Partei und Regierung ausgeliefert waren. In den achtziger Jahren hatte sich die Empörung und Verbitterung zahlreicher Nachbarn derart aufgestaut, dass sie selbst »gewöhnliche« Gefechtsübungen nicht mehr zu akzeptieren vermochten. Gerade um die Truppenübungsplätze herum entwickelte sich ein Protestpotential, welches sich im letzten Jahrzehnt der DDR auch Wege in die Öffentlichkeit bahnte.
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3.2.5 Liebes-Verhältnisse Meine Freundin spielte gern Tischtennis. Irgendwann fragte sie mich, ob ich mit ins ›Haus der Offiziere‹ käme, dort gäbe es Tischtennisplatten und man könne dort einfach so spielen. Ich war damals in so einer Russischschule – seit der dritten Klasse paukten wir Vokabeln. Nach so vielen Jahren glaubte ich, es wäre an der Zeit, mit echten Russen zu reden. Wirklich Gelegenheit dazu hatte ich noch nicht gehabt. Meine Freundin und ich zogen also an einem Samstagabend zum Tischtennis. Ich kann mich nicht mehr genau an das erste Mal erinnern, nur dass es dort ganz anders roch, süßlich nach irgendeinem Parfüm. Die anderen Spieler hatten sich alle fein gemacht, mit Anzug und so. Ich fand das komisch, schließlich spielten wir ja in einer Art Turnhalle. Wir gingen dann öfter dorthin und ich lernte Igor kennen. Der konnte besser spielen als ich, ich sprach besser Russisch als Igor Deutsch. Eins kam zum anderen, wir verabredeten uns im Park, gingen zum Tanz, ins Kino. Was man halt so tut, wenn man verliebt ist. Eines Tages kam Igor in Uniform zu mir, das war ungewohnt, bisher hatte er immer nur Jeans getragen. Meine Eltern und seine wie meine Freunde wussten über uns Bescheid, manche rieten uns von der Beziehung ab. Nach etwa zwei Jahren beschlossen wir zu heiraten. Igor hatte sich erkundigt, er brauchte eine Genehmigung von seinem Kommandeur. Ich glaube, er hat die Bescheinigung damals gefälscht, jedenfalls brachte er sie eines Tages mit, wir gingen zum Dresdener Standesamt und bestellten das Aufgebot. Die Beamtin war freundlich und meinte, man müsse das Ersuchen noch prüfen, in einigen Wochen würden wir Bescheid bekommen. Tatsächlich dauerte es knapp einen Monat und wir wurden ins Amt geladen. Dort saß eine Angestellte, die uns fragte, ob wir uns denn wirklich liebten, ob ein Kind unterwegs sei, wo wir später gemeinsam wohnen und wovon wir leben wollten. Wahrscheinlich haben wir alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet, jedenfalls erhielten wir bald darauf die Heiratsgenehmigung. Wir vereinbarten einen Termin und planten die Feier: Polterabend, Hochzeit, mit allem Drum und Dran. Zwei Tage vor der Hochzeit rief mich unser Rektor aus dem Unterricht, meine Eltern seien am Telefon, es sei dringend. Tatsächlich erzählte mir meine Mutter ganz aufgeregt, dass ein Militärjeep bei ihnen vorgefahren wäre. Sie suchten Igor. Ich rannte eilig nach Hause und wartete. Er kam bald und erzählte, man suche ihn schon überall. Freunde hätten ihn gewarnt, seine Vorgesetzten wüssten von dem Termin und würden versuchen, ihn innerhalb der nächsten 24 Stunden nach Hause zu schicken. In dem Wissen, dass die Kommandantur zum Termin vor dem Standesamt warten könnte, liefen wir dorthin, um die Hochzeit vorzuverschieben. Und wir hatten Glück. Die Aufgebote standen damals in so einem gebundenen Buch, auf jeder Seite eine Hochzeit, man konnte nicht einfach eine Zeremonie dazwischenschieben. Glück hatten wir, weil ein anderes Paar für den kommenden Tag abgesagt hatte, man konnte unsere Hochzeit also drüberkleben, was die Beamtin dann auch tat. In der Nacht schliefen wir bei Verwandten, wir hatten riesige Angst, dass der Jeep wieder auftauchen würde. Tatsächlich kamen irgendwelche Militärs am selben Abend noch einmal zu meinen Eltern. Am nächsten Morgen heirateten wir, im kleinsten Kreis natürlich, schließlich war an diesem Tag eigentlich nur Polterabend angesagt. Als wir vom Standesamt zurückkehrten, wartete dort bereits ein Auto. Ich stand da, im Brautkleid, das Familienbuch in der Hand. Der Kommandeur konnte es gar nicht fassen, sein Dolmetscher studierte das Dokument und redete auf seinen Chef ein. Wütend zischte
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er Igor noch ein paar Sätze zu und fuhr davon. Ich fragte ihn vorher noch, wie es sich denn anfühle, zwei Menschen auseinander zu reißen, er gab mir keine Antwort, tat so, als wäre ich gar nicht vorhanden. Bald darauf erhielt Igor seine Entlassung aus der Armee. Innerhalb von zwei Tagen musste er das Land verlassen, er wurde sogar zum Bahnhof eskortiert. Zwischenzeitlich, das erfuhr ich jedoch erst später, hatten ihm Geheimdienstleute einen Deal angeboten. Wenn er sich bereit erkläre, nach seiner Rückkehr in die DDR Informationen über andere ›Emigranten‹ zu liefern, würde man die Einreiseprozedur verkürzen. Igor ließ sich auf den Handel nicht ein und so warteten wir sieben Monate auf seine Ausreise aus der Sowjetunion. Schon vorher war ich in Kontakt mit anderen Paaren gekommen, man lernt sich in solchen Kreisen schnell kennen. Die erzählten, dass so mancher Bräutigam die Ehe in der Heimat rückgängig mache, schließlich müsse man eine lange Zeit warten. – Viel Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Igor kam kurz vor Weihnachten zurück.292 Als ich an der Fachschule war, an einer Ausbildungsstätte für Russischlehrer, da hatten wir eine dabei, die hieß Maria. Das war eine tragische Sache. Sie hatte ein Verhältnis mit einem Offizier. Die beiden liebten sich. Das war nicht aus finanziellen Gründen. […] Eines Tages kam die Kommandantur – die beiden waren von irgendwelchen Deutschen denunziert worden – und holten den Offizier ab. Binnen weniger Stunden wurde er an einen anderen Ort versetzt, ohne dass er Maria Bescheid sagen konnte. Sie wusste gar nichts. Ein halbes Jahr später musste Maria aus irgendeinem Grund nach Gera fahren und dort traf sie ihren Geliebten zufällig auf der Straße: Die beiden haben sich ein Zimmer genommen. Und dann hat er erst sie erschossen und dann sich selbst. Unser Rektor hat später eine Ansprache gehalten und gesagt, er wünsche nicht, dass über diese Sache in irgendeiner Form diskutiert würde. Uns allen war damals klar, dass sich die beiden erschossen haben, weil sie nicht zusammen sein konnten. Das war eine sehr tragische Sache.293
Deutsch-sowjetische Ehegemeinschaften Am 27. November 1953 übermittelte der Stabschef der GSSD, Generalleutnant A. Tarassow, dem »amtierenden Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik Genossen Walter Ulbricht« folgende Botschaft: Ich gebe Ihnen davon Kenntnis, dass es den Offizieren und längerdienenden Unteroffizieren der im Ausland stationierten Truppenteile der Sowjetarmee auf Grund eines Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 24. Oktober 1953 gestattet ist, Ehen mit Bürgerinnen derjenigen Länder einzugehen, in denen diese Truppenteile stationiert sind. Der genannte Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR wurde den Kommandeuren aller Truppenverbände mitgeteilt, die sich auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik befinden.294
Mit konkreten Bedingungen für deutsch-sowjetische Vermählungen befasste sich weder das Schreiben, noch die Vereinbarungen des Stationierungsver-
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trags. Seit Mitte der sechziger Jahre existierten auf deutscher Seite inoffizielle Handreichungen zur Verfahrensweise, auf sowjetischer Seite handelte man weiterhin nach Gutdünken Einzelner.
Ehefähigkeitszeugnis Laut Vorschrift musste die heiratswillige Militärperson von ihrer Dienststelle ein so genanntes Ehefähigkeitszeugnis beibringen; dieses Schriftstück war das Schlüsseldokument, um die Ehe auf einem Standesamt der DDR schließen zu können.295 Was zunächst wie Routine klingen mag, stellte die schwierigste Hürde im gesamten Verfahren dar. Die Armeebehörden sollten dem Bittsteller keine Genehmigung zur Heirat erteilen, sondern lediglich Angaben über dessen Familienstand bestätigen – eine Information, die leicht in der jeweiligen Personalkartei zu finden war. In der Praxis gab es drei Möglichkeiten, in Besitz dieses Dokuments zu kommen: Entweder der Antragsteller hatte ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vorgesetzten, dann konnte er ihn um die Ausstellung bitten. Falls dies nicht so war, verblieben zwei weitere Wege: Er konnte die amtliche Bestätigung entweder über Dritte »kaufen«. Oder er sah sich gezwungen, es zu fälschen, indem er ein Blanco-Formular erstand und das Zeugnis selbst ausstellte.296 Die verfügbaren, archivierten Unterlagen der Standesämter lassen den Schluss zu, dass es sich bei dem Ehefähigkeitszeugnis um einen semiformalen Beleg handelte.297 Die vorzulegenden Schriftstücke glichen sich insofern, als sie mit einem Regimentsstempel, einer Datumsangabe sowie der Unterschrift des Truppenkommandeurs versehen waren. In ihrer konkreten Ausführung jedoch wichen sie voneinander ab: Offenbar war nicht festgelegt worden, von welcher Dienststelle der Stempel stammen musste, denn in den Archiven der Standesämter Weimar und Dresden fanden sich verschiedene Stempelausführungen ein und desselben Regiments. Zwar glichen sich die runden Siegelstempel auf dem ersten Blick, bei genauerer Betrachtung jedoch waren sie mit unterschiedlichen Beschriftungen versehen. Dies fiel kaum auf, zumal die Standesbeamten vornehmlich die von Intertext298 übersetzten Eintragungen studierten, nicht aber das schlecht leserliche Original. Die Aufgabe des staatlichen Übersetzungsdienstes war es nur, den Wortlaut des Schreibens ins Deutsche zu übersetzen, nicht aber abweichende Ausführungen zu kommentieren.299 Auch der Name des Vorgesetzten musste nicht zwangsläufig zu lesen sein, in einigen eingesehenen Fällen war die Unterschrift unleserlich, die Übersetzung ließ dann die Spalte neben dem Vermerk »Unterschrift« ohne Eintrag. Die Standesbeamten wie auch die Mitarbeiter des Rates des Kreises waren nicht geschult, die vorgewiesenen Dokumente auf ihre Echtheit zu überprüfen. Wenn das Schriftstück auch nur im Entferntesten den genannten formalen
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Ansprüchen entsprach, wurde es anerkannt. Maßgeblich war allein der Text, dieser musste bescheinigen, dass die betreffende Person laut Militärkartei als unverheiratet galt. Die Standesämter benötigten neben diesem Zeugnis lediglich noch die Geburtsurkunden der beiden Antragsteller. Über die Zustimmung zur Eheschließung entschieden letztlich nicht sie selbst, sondern die Leiter der Abteilungen Innere Angelegenheiten der Räte der Kreise. Grundlage für deren Entscheidung bildeten die Abstimmungsergebnisse mit den Volkspolizeikreisämtern sowie der Kreisdirektion des Ministeriums für Staatssicherheit.300 Nachdem das Standesamt die Dokumente entgegengenommen hatte, informierte es die Kollegen vom Rat der Stadt, Abteilung Personenstandswesen, die dann zum persönlichen Gespräch einluden.301 Konnte das Brautpaar den Beamten von seinen ernsthaften Absichten überzeugen, sprachen diese eine Empfehlung aus und sandten sie an den Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Kreises zur endgültigen Entscheidung. Dieser informierte seinerseits das Volkspolizeikreisamt wie die Kreisdirektion des MfS. Erhoben diese beiden Stellen innerhalb von zehn Tagen keine Einwände, ging der zuständige Beamte automatisch davon aus, dass eine Zustimmung vorlag. Eine schriftliche Bestätigung war dann nicht mehr notwendig. Die Staatssicherheit reagierte nur in Fällen, in denen die Antragstellerin im Rahmen eines Operativen Vorgangs unter Verdacht stand, dann wurden Eheschließungen in der Regel nicht genehmigt.302 Die Anzahl deutsch-sowjetischer Eheschließungen lässt sich kaum präzise angeben. Es existierte zu keiner Zeit eine Zentralstelle, in der die entsprechenden Daten zusammengeführt beziehungsweise Statistiken erstellt worden wären.303 Es lässt sich lediglich feststellen, dass seit Anfang der achtziger Jahre jährlich 3.500 Eheschließungen von Bürgern der DDR mit Ausländern genehmigt wurden, davon stammte die Hälfte der Antragsteller aus sozialistischen Staaten.304 Hinsichtlich der verzeichneten Eheschließungen mit Bürgern aus der UdSSR in Weimar ergeben sich folgende Daten:305 – für die sechziger Jahre: 1965: drei; 1966: zwei; 1967: vier (zwei GSSD); 1968: fünf (ein GSSD) und 1969: acht (zwei GSSD). – für die siebziger Jahre: 1970: zehn; 1971: drei; 1972: sieben und 1973: fünf.306 Im Bezirk Dresden heirateten in den achtziger Jahren durchschnittlich dreißig bis vierzig DDR-Bürger(innen) sowjetische Staatsbürger pro Jahr, wobei sich aus diesen Zahlen nicht ersehen lässt, wie viele von ihnen aus den Reihen der GSSD stammten.307
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Barrieren Hatte der Antragsteller seine Dienstzeit innerhalb der GSSD bereits beendet oder war er aus anderen Gründen in die Heimat zurückgekehrt, konnte »die betreffende deutsche Staatsangehörige, die mit ihm eine Ehe eingegangen ist oder dies beabsichtigt zu tun, eine Genehmigung zur Ausreise aus der DDR und Einreise in die UdSSR beantragen«.308 Diese Möglichkeit stand vornehmlich auf dem Papier, denn die Wahrscheinlichkeit einer Genehmigung zur Vermählung in der Sowjetunion war mehr als gering; vor allem, wenn es sich bei dem betreffenden Kandidaten um einen Offizier handelte, wenn dieser also als so genannter Geheimnisträger galt. Von einem solchen Fall berichtet Boris A., der in den achtziger Jahren als Major in der Einheit Nohra diente: Es kam selten vor, dass einer meiner Offiziere in Deutschland heiraten wollte, die meisten hatten ja sowieso ihre Frauen mitgebracht. In erinnere mich an einen Vorfall, da kam mein Politoffizier zu mir und informierte mich, dass einer meiner Unteroffiziere eine Deutsche heiraten wolle und ihn um Genehmigung gebeten hatte. Ich antwortete ihm: ›Na, dann lass ihn doch.‹ Woraufhin mein Politoffizier meinte: ›Mich schicken sie zurück, wenn das passiert.‹ Ich habe ihn damals gut verstanden. Er war schließlich für den moralischen Zustand der Truppe zuständig, hatte darauf zu achten, dass so etwas nicht passierte. Also gingen wir zu dieser Deutschen, um sie zu überreden, dem Unteroffizier den Laufpass zu geben. Ich habe so etwas damals zum ersten Mal gemacht. Der Zampolit, noch ein anderer Kapitän und ich wussten, wo das Mädchen wohnte und eines Abends gingen wir, alle drei in Uniform, dorthin. Unser Plan war einfach: Wir erklärten ihr, dass es aussichtslos sei, in der DDR zu heiraten. Schließlich sei ihr Bräutigam ja Militär. Wir schlugen ihr stattdessen vor, dass Kolja zunächst zurück in die Heimat fahren solle. Seine Dienstzeit wäre ohnehin bald abgelaufen. Nach seiner Entlassung aus der Armee könne er dann wiederkommen und heiraten. Uns war natürlich klar, dass ein Militär nach seinem Dienst mehrere Jahre nicht ins Ausland reisen durfte. Was immer dann passiert ist – ich weiß nur, dass die Hochzeit damals nicht stattgefunden hat.309
Ähnlich ging es auch Unteroffizier Jewgenij A. K. aus Lenino (Krim). Er leistete bis Juli 1979 Militärdienst in der GSSD und wollte im Anschluss daran seine deutsche Freundin heiraten. Als ihm dies immer wieder verwehrt wurde, wandte er sich an Erich Honecker persönlich: Ich ersuche Sie, Genosse Honecker, um Hilfe. Bis Juli vorigen Jahres leistete ich meinen Militärdienst auf dem Territorium der DDR ab. Hier lernte ich vor vier Jahren die Bürgerin der DDR, Simone W., kennen, ich liebe sie. Unsere Gefühle sind tief, gegenseitig und ernsthaft. Im Juli 1979 fuhr ich in die Sowjetunion zum Militärdienst. Am 3. Oktober 1979 wurde unsere Tochter D. geboren. Wir, Simone und ich, Bürger zweier sozialistischer Staaten, stellen uns unser Leben und die Erziehung unseres Kindes nicht ohne den anderen Partner vor. Auf Grund der vielen Formalitäten in den Gesetzen unserer Staaten konnten wir uns nicht standesamtlich trauen lassen. Ich möchte Ihnen nicht aufzählen, wie viele Schwierigkeiten es auf unserem Weg gab, Schwierigkeiten,
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die nach wie vor bestehen. Und alles nur deshalb, weil wir nicht in einem, sondern in zwei sozialistischen Staaten leben. Ich denke, daß Sie gegenüber dem Schicksal der beiden Bürger Simone und D. W. nicht gleichgültig bleiben und helfen werden, drei Menschen zu einer glücklichen Familie zu vereinen.310
Das Bittschreiben ging als Eingabe an den Rat des Bezirkes, Abteilung Innere Angelegenheiten, zurück. Am 18. Juni 1980 fand ein persönliches Gespräch mit Simone W. statt, der Entsender aus Lenino bekam keine Antwort auf sein Schreiben. Eine spätere Eheschließung ist in den Unterlagen nicht verzeichnet. Übersiedlungen Wurde eine Ehe zwischen sowjetischen und DDR-Bürgern geschlossen, konnten die Brautleute relativ frei über ihren künftigen Wohnort entscheiden.311 Anders als für den Akt der Eheschließung selbst, gab es hierfür von beiden Seiten klare Regelungen, die zwar mit deutlichem Zeitverzug, aber in ihrer Mehrzahl doch umgesetzt wurden. Freilich bewirkten die zuweilen jahrelangen Wartezeiten die Annullierung mancher geschlossenen Ehe. Wollte ein sowjetischer Staatsbürger in die DDR übersiedeln, und dies war in der Mehrzahl der Fälle so312, erfolgte die jeweilige Antragstellung bei den Sicherheitsorganen in der UdSSR.313 Lag eine entsprechende korrekte Anforderung vor, erbat die sowjetische Regionalmiliz, die in Angelegenheiten der Übersiedlung häufig ähnlich unerfahren war wie ihr DDR-Pendant, die Vorlage einer Reihe weiterer Dokumente: Fragebögen, Beurteilungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Organisationen sowie Stellungnahmen einer Vielzahl von Ämtern. Die Entscheidung über Ausreiseanträge hing von diversen Faktoren ab: – Vom Charakter der ehemaligen und gegenwärtigen Arbeitsstelle sowie der Tätigkeit des Antragsstellers: Arbeitete er in einem militärisch wichtigen Betrieb, so konnte der Antrag frühestens zwei Jahre nach seinem Ausscheiden genehmigt werden. Diese Regelung galt auch für höhere Offiziere. – Vom Wohnort des Antragstellers: Wohnte er in einer »geschlossenen« Stadt314 oder gar in einem Sperrgebiet, dann konnte seine Ausreise abgelehnt, frühestens aber ein Jahr nach Änderung seines Wohnsitzes genehmigt werden. – Vom politischen und moralischen Verhalten des Antragstellers: Es wurden Anträge mit der Begründung abgelehnt, der Kandidat habe sich während des Zweiten Weltkrieges »sehr zweifelhaft verhalten«.315 – Von Unterhaltsansprüchen verbleibender Kinder: Die Ausreise konnte beispielsweise wegen zu zahlender Alimente verhindert werden. – Von der Einstellung der örtlichen Miliz zum Antragsteller: Es wurden Einzelfälle bekannt, in denen die örtlichen Organe den Antragstellern insofern Schwierigkeiten bereiteten, als sie ihnen Vaterlandsverrat vorwarfen.316
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Letztlich wurde laut Einschätzung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten dennoch eine Mehrzahl von Anträgen genehmigt, wobei die örtlichen Miliz- und Sicherheitsorgane einen bedeutenden Anteil an diesen Entscheidungen hatten. Die Bearbeitung dauerte mindestens drei Monate. Es gab auch Antragsteller, die ihre Ausreise mehrmals beantragen mussten. Wurde diese abgelehnt, mussten sie ein ganzes Jahr warten, um erneut alle (aktualisierten) Dokumente beibringen zu können. Die Gründe für Verzögerungen waren oft nicht nachvollziehbar; zu viele regionale wie zentrale Behörden waren in den Vorgang involviert.
Heiratsgeschäfte der Geheimdienste Es gehörte in den siebziger und achtziger Jahren zur Strategie des KGB, Personal aus den Reihen der Heiratswilligen zu rekrutieren. Die frisch getrauten Militärs wurden in der Regel vor ihrer Abreise in die Sowjetunion vom Geheimdienst ihres Dienstortes vorgeladen. Dort klärte man sie über alle kommenden Schwierigkeiten auf, über all die Unwägbarkeiten und langen Wartefristen. In einem zweiten Anlauf bot man den solchermaßen Eingeschüchterten ein Agreement an: Der Kandidat musste sich bereit erklären, nach seiner Rückkehr in die DDR gewisse Informationsdienste zu leisten; er sollte sowohl Angehörige der Armee als auch im Land lebende Sowjetbürger bespitzeln. Im Gegenzug bot man in Bezug auf Passformalitäten großzügige Hilfe an. Dann würde, argumentierten die Anwerber, der Genehmigungsmarathon nicht sechs Monate oder länger, sondern allerhöchstens ein Vierteljahr dauern.317 Solche Ausreisekader waren bei den Geheimdiensten äußerst begehrt. Von ihrem Nutzen zeugten nicht zuletzt geheime Dossiers des MfS: Es liegen Erkenntnisse darüber vor, daß imperialistische Geheimdienste, Feindorganisationen und Einzelpersonen im Operationsgebiet enge Beziehungen zu den vorgenannten Personen unterhalten mit dem Ziel, deren ständigen Wohnsitz in einem sozialistischen Land, der DDR, auszunutzen, um über sie Verbindungen in die Sowjetunion aufzubauen, zu erweitern und zu konsolidieren. […] Manche haben Zutritt zu den militärischen Objekten oder sind als Dolmetscher eingesetzt. […] So gibt es vielfältige Möglichkeiten des Geheimnisabflusses in diesem Bereich, die der Feind nutzt, um zu Spionageerkenntnissen aus dem für ihn besonders wichtigen militärischen Bereich zu gelangen. 318
Anträge auf Übersiedlungen aus der UdSSR in die DDR wurden nicht zuletzt aus diesem Grund zuallererst durch die zuständigen sowjetischen und deutschen Geheimdienststellen bearbeitet und entschieden. Erst mit deren Einverständnis waren die Auslandsvertretungen der DDR berechtigt, die weitere Bearbeitung des Einreiseantrages vorzunehmen.319
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Ob sich ein Handel mit dem sowjetischen Geheimdienst lohnte, lässt sich kaum nachweisen. Alle Gesprächspartner gaben an, darüber keine Auskunft geben zu können, sie selbst hätten sich auf keinerlei Absprachen eingelassen.320 Ein befragter ehemaliger Mitarbeiter des KGB in Dresden erklärte, dass sich so mancher Kandidat zwar zur Mitarbeit bereit erklärte, ob dieser aber tatsächlich frühzeitiger als andere in die DDR zurückkehren durfte, könne er nicht sagen. Er habe die Anweisung gehabt, Angebote zu unterbreiten, ob diese Versprechen später eingehalten worden seien, wäre nicht seine Angelegenheit gewesen. Die solchermaßen womöglich Geprellten werden dies wohl nie bemerkt haben, denn die Genehmigungsverfahren waren zu undurchsichtig. Zudem fehlten sichere Referenzhorizonte: Kaum ein Fall ließ sich mit einem anderen vergleichen. Im Jahr 1965 siedelten insgesamt 226 Personen aus der UdSSR in die DDR über, 1966 waren es insgesamt 184 Personen. Wie viele Migranten zuvor Angehörige der GSSD gewesen waren, lässt sich nicht eruieren. In den Dokumenten über die jährlichen Übersiedlungen fehlen sämtliche Angaben zu einer früheren Zugehörigkeit zur Armee.321 Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Anzahl einstiger Sowjetbürger mit ständigem Wohnsitz in der DDR seit den siebziger Jahren im Wachsen begriffen war. Tab. 9: Übersiedlungen in den siebziger Jahren322 1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
296
377
420
296
457
522
780
1.027
Im März 1989 lebten immerhin 11.009 Bürger der UdSSR und 34 Staatenlose mit ehemaliger Staatsbürgerschaft der UdSSR ständig in der DDR. Im Bezirk Dresden waren es 1.760 Personen, in Erfurt 693.323 Insbesondere mit Beginn der achtziger Jahre hatten die zuständigen sowjetischen Behörden mehr Anträgen auf ständigen Wohnsitz in der DDR zugestimmt. Die Grundsätze für die Gewährung waren maßgeblich vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR erstellt worden und seit 1985 gültig. Die Regelungen waren einfach zu handhaben. Demnach erlaubte man nur jenen Sowjetbürgern die dauerhafte Einreise, die entweder mit einem DDR-Bürger verheiratet waren, Verwandte ersten Grades in der DDR nachweisen konnten oder deren Aufenthalt von gesellschaftlichem Interesse war.324
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Deutsch-sowjetische Kinder Unterhaltsverhandlungen Am 31. Juli 1957 rief ein Angestellter des Justizministeriums der DDR in der Zentralstelle Jugendhilfe an, um die Kollegen zu einer dringlichen Sitzung über Unterhaltsfragen deutsch-sowjetischer Kinder einzuladen. Das Treffen, an dem auch Vertreter des Finanzinisteriums teilnahmen, fand noch am gleichen Tag statt. Zur Eröffnung der spontanen Konferenz teilte der Sitzungsleiter mit, dass sich zurzeit eine Delegation des Justizministeriums der UdSSR in Berlin befände, um im Zusammenhang mit dem unlängst abgeschlossenen Stationierungsabkommen über Unterhaltsansprüche deutscher nichtehelicher Kinder von Angehörigen der GSSD zu verhandeln. Die sowjetischen Kollegen hätten bereits einige Vorgaben zur Diskussion gestellt, über die man sich hier – in aller gebotenen Eile – verständigen wolle.325 Die Vorschläge der Verhandlungspartner muteten durchaus großzügig an – zumindest auf den ersten Blick: Der sowjetische Staat wolle künftig für sämtliche Unterhaltsverpflichtungen aufkommen, solange die Väter noch ihren Wehrdienst ableisteten. Die Soldaten selbst, begründeten die Verhandlungsführer, könnten sich aufgrund ihres geringen Solds Alimente nicht leisten. Die Anerkennung der Vaterschaft würde vor dem versammelten Kommando der betreffenden Truppeneinheit erfolgen und Gültigkeit besitzen, solange sich die Militärperson auf dem Territorium der DDR aufhielt. Nach der Rückkehr in die Heimat sollte für die gerichtliche Weiterverfolgung innerhalb der UdSSR eine urkundliche Anerkennung stattfinden.326 In diesem Entwurf über eine bilaterale Vereinbarung waren mehrere strittige Punkte ausgespart worden: Erstens: Die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt sollte demnach nur für Kinder gelten, die nach dem 6. Oktober 1955, mithin nach dem Inkrafttreten des Souveränitätsvertrages geboren worden waren. Berechtigte Ansprüche von Kindern, die seit dem Jahr 1945 zur Welt gekommen waren, fanden in der geplanten Vereinbarung keine Entsprechung. Deren Mütter richteten immer noch Jahr für Jahr Eingaben an DDR-Behörden in der Hoffnung, irgendwann einmal eine finanzielle Unterstützung für ihre heranwachsenden Kinder gezahlt zu bekommen. Zum Beispiel Helga L. aus Potsdam: Alle Kinder, wo der Vater entweder gefallen oder vermißt ist, bekommen eine Halbweisenrente in der Mindesthöhe von DM 35. Von der anderen Seite wird angestrebt, daß die deutsch-sowjetische Freundschaft gefestigt werden soll und auch über die bestehende Freundschaft wird sehr viel gesprochen. Warum werden wir Frauen, die wir
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nun ein Kind von einem Angehörigen der damaligen Besatzungsmacht haben, dafür bestraft? Gestern hörte ich zufällig im Berliner Rundfunk im Jugendfunk einen Bericht, in dem scharf das Verhalten der Regierung der Bundesrepublik kritisiert wurde, daß sie nicht für die Kinder der amerikanischen Besatzungsmacht sorgt. Wie verhält es sich aber hier? Ich bitte Sie um eine aufschlußreiche Antwort.327
Zum Beispiel Frau Lieselotte N. aus Bergen: Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe seit meiner Schulentlassung 1945 ständig gearbeitet, bis 1949 in der Landwirtschaft und dann fünf Jahre freiwillig im WismutBergbau. Seit einem dreiviertel Jahr bin ich wieder in meiner Heimatstadt und arbeite ebenso lange als Maschinistin bei der Union Rostock. Ich habe bisher gegen jedermann die Politik der DDR verteidigt, weil ich überzeugt bin, daß der Arbeiter nur in einem Arbeiterstaat leben kann. Ich war bisher überzeugt, daß in der DDR für die Arbeiter alles getan wird. Heute bin ich anderer Meinung. Ich kann nicht das Krankenhaus aufsuchen, weil mir das Geld für die Pflege meines Kindes fehlt. Vor Tagen las ich in der Zeitung von einem ähnlichen Fall in Westdeutschland. Warum schreiben unsere Zeitungen nur Westen, mir geht es in der DDR ebenso. Weiter schreiben die Zeitungen, daß der westdeutsche Staat jährlich so und soviel Geld für uneheliche Kinder amerikanischer Besatzungstruppen ausgibt. Sehr geehrter Herr Präsident, der Vater meines Kindes war sowjetischer Besatzungsangehöriger.328
In der Präsidialkanzlei häuften sich solche Schreiben von Müttern, die um Unterhalt für ihre unehelichen, von Besatzungssoldaten gezeugten Kinder baten.329 Es sind uns in den letzten Jahren viele Schreiben der Mütter solcher Kinder zugegangen. Die Frauen hatten sämtlich kein Verständnis dafür, daß die Gleichberechtigung für sie insoweit nicht besteht, als sie für den Unterhalt ihrer Kinder allein aufzukommen haben. Inzwischen sind derartige Eingaben bei uns ganz zurückgegangen, aus dem einfachen Grunde, weil die Mütter inzwischen zur Kenntnis genommen haben, daß ihnen nicht geholfen werden kann. Sie erhalten in den Kreisen und Bezirken ablehnenden Bescheid.330
Für die Nachkriegsmütter bedeutete Berlin die letzte Instanz, doch konnten selbst die vermeintlich einflussreichen Ministerien und Kanzleien des Arbeiter- und Bauernstaates an diesem Unrecht nichts ändern. Sie verfügten nicht einmal über detaillierte Zahlen geschweige denn über notwendige Mittel. Einen ungefähren Eindruck von der Anzahl solcher »Besatzungskinder« konnten – wenngleich nur partiell – die Beschwerden vermitteln, die beim Ministerium für Volksbildung und bei der Präsidialkanzlei eingegangen waren beziehungsweise noch eingingen. In den fünfziger Jahren erhielt allein die Präsidialkanzlei acht bis zehn Eingaben pro Woche. Aus den Briefen geht hervor, dass zumeist keinerlei Verbindungen (mehr) zu den Vätern bestanden. Es existierten allerdings auch einige wenige Fälle, in denen Mütter konkrete Angaben über deren aktuellen Aufenthalt machen konnten. Besonders dann, wenn das
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Paar wie Eheleute zusammengelebt hatte, konnten die Frauen die Ignoranz der Behörden nicht nachvollziehen.331 Ein zweiter Schwachpunkt der Moskauer Vorschläge: Die nun, im Jahr 1957, geplante Regelung bezog sich lediglich auf Wehrdienstleistende als Väter, höhere Dienstgrade sowie Zivilbedienstete wurden nicht berücksichtigt. Doch hatten gerade die einfachen Mannschaftsdienstgrade am seltensten Gelegenheit, mit deutschen Bürgerinnen Kinder zu zeugen: Wo und wann sollten sie diese kennen lernen? Für Unteroffiziere, Offiziere wie Zivilbeschäftigte galten die Einschränkungen nicht, sie hatten durchaus Möglichkeiten zu flüchtigen wie dauerhaften Bekanntschaften. Ein dritter Aspekt: Die in der Vereinbarung geforderte öffentliche Anerkennung der Vaterschaft vor der Truppe konnte in der Praxis kaum stattfinden. Den Wehrdienstleistenden ebenso wie allen Zivilarbeitern war bei der Ankunft unmissverständlich klar gemacht worden, dass es solche engen Beziehungen zeit ihres Dienstes nicht zu geben hatte. Undenkbar wäre die öffentliche Statuierung eines Exempels gewesen, das aus Sicht der Vorgesetzten gerade nicht Schule machen sollte. Undenkbar wäre es auch gewesen, dass staatliche Kassen für diesen (internen) Gesetzesbruch auch noch gezahlt hätten. So war es Usus, dass ein Soldat im Falle der bekannt werdenden Zeugung eines Kindes unverzüglich in eine andere Garnison oder in die Heimat versetzt wurde. Die zunächst von sowjetischer Seite generös klingende Regelung der seit über einem Jahrzehnt drängenden Unterhaltsfragen bedeutete in Wahrheit also keine Erleichterung für die betroffenen Frauen und Kinder. Allerdings vermittelt die Lektüre der Dokumente zu dieser Vereinbarung, dass die deutschen Verhandlungsführer erst im Nachhinein erkannten oder erkennen wollten, dass es sich bei den vereinbarten Regelungen um einen Pyrrhussieg handelte. Tatsächlich orientierten sich die Rechtsbeziehungen zwischen Kind und Vater ab 1958 am DDR-Recht. Das bedeutete, dass die Mutter den Unterhalt für ihr uneheliches Kind einklagen konnte – ein Zugeständnis, das im Gesetzbuch der UdSSR allerdings so nicht vorgesehen war. Doch auch nach Inkrafttreten des Unterhaltsgesetzes waren die Chancen auf finanzielle Zuwendungen seitens des Kindsvaters gering. Folgender Fall soll dies verdeutlichen: Im November 1954 wandte sich der Jugendamtsleiter aus dem sächsischen Oelsnitz an die Zentralstelle. Er schilderte einen Vorgang, in dem eine junge Mutter im Februar ein Kind zur Welt gebracht hatte, dessen Vater Angehöriger der GSSD gewesen war. Sie hatte über das Volkspolizei-Kreisamt sowie über die örtliche Kommandantur versucht, den Aufenthaltsort des »angeblichen Erzeugers ihres Kindes« feststellen zu lassen, um diesen zu veranlassen, die Vaterschaft anzuerkennen. Die Informationen der örtlichen Standortkommandantur ließen darauf schließen, dass der mutmaßliche Vater bereits in die Sowjetunion zurückgekehrt war und in einem Dorf im Bezirk Charkow
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wohnte. Er war auf Anforderung deutscher Behörden im Juni 1964 vor Ort zum Fall gehört worden und gab zu Protokoll: »Ich kenne die Bürgerin B. nicht und erkenne die Vaterschaft des neugeborenen Kindes nicht an. Es ist alles nicht wahr.«332 Ärztliche Untersuchungen, die dies bestätigen beziehungsweise widerlegen konnten, waren – weil illegal – nicht veranlasst worden. Die Zentralstelle in Berlin riet nun dem Kollegen, die Klägerin solle sich doch gemäß Artikel 26 des Rechtshilfeabkommens mit einer Klage auf Vaterschaftsfeststellung und Unterhaltsverpflichtung an das zuständige Kreisgericht der DDR wenden, wenngleich sie einschränkend zu bedenken gab, dass »dem sowjetischen Recht das Institut der Vaterschaftsfeststellung und Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem nichtehelichen Kind« nicht bekannt sei.333 Es gäbe allerdings die Möglichkeit, dass der Verklagte seine Vaterschaft freiwillig anerkenne und bereit sei, Unterhalt zu zahlen. Genau das aber, dies war ja dem Schreiben an die Zentralbehörde zu entnehmen gewesen, hatte der »angebliche Erzeuger« nicht getan. Der vorgeschlagene, schmale Rechtsweg wurde dann auch bald in seine Grenzen verwiesen, und zwar wiederum von sowjetischer Seite. Im Jahr 1966 teilte das Oberste Gericht der UdSSR dem Justizministerium der DDR mit, dass es »die Fahndung nach Verklagten in Sachen Feststellung der Vaterschaft und Unterhaltszahlung für Kinder, die außerhalb einer registrierten Ehe geboren wurden«, generell nicht übernehmen wolle. Nach sowjetischer Auffassung seien solche Fahndungsersuchen eindeutig nicht Bestandteil des Rechtshilfeabkommens in Zivil-, Familien- und Strafsachen: »Im Zusammenhang damit fehlt dem sowjetischen Gericht die Möglichkeit, vorgenanntes Ersuchen wegen Feststellung der Wohnanschriften des Leonid B. und der anderen zu erledigen.«334 Für das Justizministerium der DDR war nun klar, dass es sich künftig nicht mehr mit derlei Anfragen an die sowjetischen Behörden zu wenden brauchte, es sei denn, man wusste genau, »wo sich die betreffende Person zum gegebenen Zeitpunkt befände.«335 Wie jedoch sollte man darüber Kenntnis erlangen? Nachdem dieser offizielle Weg, Väter zwecks Unterhaltszahlungen ausfindig zu machen, ausgeschlossen worden war, beschloss die Zentrale Stelle für Jugendhilfe gemeinsam mit dem Ministerium für Justiz und dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, kurze und inoffizielle Wege zu gehen. So sollten sich die zuständigen Kreisgerichte nicht mehr an Behörden innerhalb der UdSSR wenden, sondern direkt an die Standortkommandanturen. Dieses Vorgehen, meinten sie, habe »in Einzelfällen bereits Erfolg« gehabt. Sollten die Bemühungen dennoch ohne Resultat bleiben, könne sich die Mutter immer noch an das Deutsche Rote Kreuz wenden.336 Wie häufig dieser direkte Weg dann tatsächlich die notwendigen Auskünfte erbrachte, kann kaum eingeschätzt werden. Sicher ist, dass es für die Karriere eines Vorgesetzten alles andere als förderlich war, wenn dieser öffentlich eingestehen musste, dass sich seine
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Untergebenen nicht an die gemeingültigen Fraternisierungsverbote gehalten hatten. Ein offizielles Gerichtsverfahren zur Anerkennung einer Vaterschaft hätte ohne Zweifel Kreise nach Wünsdorf, wenn nicht gar nach Moskau gezogen. Selbst in den Fällen, in denen eine Frau über den konkreten Aufenthaltsort des Kindsvaters informiert war, hieß dies noch nicht, dass sie nun Unterhalt für das geborene Kind erwarten konnte. Die Gesetzeslage innerhalb der UdSSR hatte mit den bilateral vereinbarten Regelungen von 1957 nichts zu tun. Nur auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter und mit dem Willen des Vaters konnte der Name des Vaters in der Geburtsurkunde festgehalten werden. Zum Unterhalt verpflichtet war der Vater des unehelichen Kindes in keinem Fall. Im Jahr 1970 kam es seitens der DDR insgesamt zu 71 zivilen Rechtshilfeersuchen an die Behörden der UdSSR, laut Justizministerium handelte es sich dabei vorrangig um Vaterschaftsfeststellungen und Unterhaltsklagen.337 Die Bearbeitung der Ersuchen dauerte in der Regel sechs bis acht Monate (in der DDR waren ein bis drei Monate üblich). Kompliziert waren nicht zuletzt die Entnahme von Blutproben sowie die Erstellung von Blutgruppengutachten. Die Verträge sahen vor, dass die involvierten deutschen und sowjetischen Organe der Rechtspflege zur Unterstützung der bei ihnen anhängigen Verfahren die verschiedensten Prozesshandlungen füreinander vornehmen konnten. So wurden für Unterhaltsverfahren in der Regel Gutachten angefordert beziehungsweise um Blutproben gebeten. Selbst wenn sich der mutmaßliche Vater mit einer Entnahme einverstanden erklärte, kamen die Sendungen aufgrund ihres langen Weges oft in unbrauchbarem Zustand an. Die betroffenen Mütter begriffen die seit 1957 gültigen Regelungen als Diskriminierung. Eingaben beim Ministerium der Justiz, dem Ministerium für Arbeit, dem Sektor Frauen beim ZK der SED sowie beim Demokratischen Frauenbund machten ihre Unzufriedenheit deutlich.338 Dabei ärgerten sie sich nicht allein über die ausbleibende finanzielle Unterstützung seitens der Väter. Als mindestens ebenso demütigend empfanden sie die psychischen Torturen. Die Mehrheit der Mütter war letztlich nicht in der Lage, einen Nachweis hinsichtlich der Vaterschaft zu erbringen, sei es, weil der Vater nicht mehr im Lande war, sei es, weil er sich einer Untersuchung willentlich entzog.339
»Vater unbekannt« Seit 1953 war zwar de jure die Möglichkeit gegeben, deutsch-sowjetische Ehen zu schließen. De facto wurden sie bis auf wenige Ausnahmen bis zum Ende der DDR verhindert. Das lag nicht an der Bürokratie oder der Familienpolitik
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der DDR. Vielmehr ließen weder die Regierung der UdSSR noch das Oberkommando in Wünsdorf jemals auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass eine solch enge Vermischung politisch nicht erwünscht war. Deutsch-sowjetischen Vermählungsbegehren wurden daher zu jeder Zeit alle denkbaren Hindernisse und Hemmnisse in den Weg gelegt. Einer der Hauptgründe lag sicher darin, vor allem militärischen Geheimnisträgern den Ausbau selbstkontrollierter Räume zu versagen. Moskau vermochte kein Vertrauen zu seinen ostdeutschen Verbündeten aufzubringen, weshalb allerorten Spione des Westens vermutet wurden. Binationale Ehen stellten aus der Sicht des Kremls stets ein Sicherheitsrisiko dar, das möglichst ausgeschaltet werden musste. Unter diesen Auspizien gab es keine Spielräume für deutsch-sowjetische Kompromissformen. Diese Maxime galt auch, wenn aus unerwünschten Verbindungen Kinder geboren wurden. Gerade dann, wenn eine Beziehung durch Nachwuchs eine höhere Dignität in Anspruch nehmen konnte, setzten Repressionen durch Vorgesetzte und Geheimdienste ein. Es entsprach dem individuellen Usus vieler Väter wie der Politik des Staates, diese Kinder nicht anzuerkennen und keine Verantwortung für sie zu übernehmen. Bis zum Ende der DDR und darüber hinaus wurden keinerlei amtliche Statistiken über Kinder mit Vätern aus den Reihen der GSSD geführt. Eine derartige Feststellung wäre auch gleich mehrfach gescheitert: Eine generelle Erhebung solcher Fälle hätte nur in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden getroffen werden können. Aus politischen Gründen indes unterließ man solche Beweisführungen. Auch die Eintragungen in den Personenstandsregistern ließen keine Rückschlüsse auf die Gesamtzahl der Kinder zu. Eine Notiz erfolgte nur, wenn die Vaterschaft ausdrücklich anerkannt worden war, doch eben dazu kam es aufgrund der geltenden Verordnungen nicht. In den meisten Fällen war in der Geburtsurkunde lediglich die Eintragung »Vater unbekannt« vermerkt.340 Erst mit dem Ende beider Bruderstaaten machte sich das eine oder andere »Besatzungskind« auf die Suche nach dem Vater. Im Oktober 1991 richtete der Vorsitzende der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft an den Oberkommandierenden der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte das folgende Anschreiben: »Sehr geehrter Herr Oberkommandierender, ich wende mich heute mit einem etwas delikaten Problem an Sie, dessen Lösung Ihrer Unterstützung bedarf. Frau D. aus P. hat uns gebeten, ihr bei der Suche nach ihrem Vater behilflich zu sein. Entsprechend ihren Angaben war ihr Vater Angehöriger der GSSD und von Ende der fünfziger Jahre (ca. 1957) bis 1965 vorwiegend in P. stationiert. Sein Name ist Leonid T. Er wurde am 6. Januar 1938 geboren. […] Die Eltern von Frau D. haben sich bei einer Tanzveranstaltung in P. kennengelernt und unterhielten über mehrere Jahre lang enge familiäre, wenn auch heimliche Beziehungen, eine Tochter wurde geboren. Im Herbst 1965 mußte er plötzlich über Nacht die DDR verlassen.
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Die Zeit der »Besatzung«
Seinen Aussagen nach sei er an die chinesische Grenze versetzt worden. Seither gibt es keinerlei Spur, keinerlei Nachricht. Frau D. hofft sehr, daß es heute durch die immer offenere Politik der UdSSR möglich sein wird, ihren Vater oder dessen Verwandte ausfindig zu machen. Das ist aber nur mit Ihrer Hilfe möglich, sehr geehrter Herr Oberkommandierender. Deshalb bitte ich Sie nochmals sehr, Frau D. in dieser Angelegenheit zu unterstützen. Ein von Frau D. übergebenes Foto von ihrem Vater legen wir diesem Schreiben bei.«341
In der Akte findet sich freilich kein Antwortschreiben des Oberkommandos in Wünsdorf.
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Eine geheime Bestandsaufnahme der Besatzung
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3.3 Eine geheime Bestandsaufnahme der Besatzung Die Keßler-Kommission: Sapere aude – sapere time! Mitte Januar 1988 lud der Minister für Nationale Verteidigung Heinz Keßler eine Gruppe von Fachleuten in seine Amtsräume, um mit ihnen streng geheim über die Realisierung des Stationierungsabkommens von 1957 zu reden.1 Anwesend waren Vertreter des Ministeriums des Innern, des Ministeriums für Staatssicherheit, des Ministeriums der Finanzen, der Staatlichen Plankommission sowie des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten.2 Heinz Keßler begrüßte die Herren mit einer Warnung: Auf gar keinen Fall sollte das Problem außerhalb dieser Runde besprochen und so »in die Breite getragen« werden. Alsdann kam Keßler zum Punkt: Die Parteiführung habe eine Einschätzung, eine Analyse des Ist-Standes des Stationierungsabkommens, angefordert und ihm die Verantwortung dafür übertragen. Dies sei für ihn alles andere als eine angenehme Aufgabe: »Es gab Genossen, die sagten, gib den Auftrag zurück. Das wird eine sehr komplizierte und diffizile Sache. Dies traue ich mir nicht. Der Auftrag ist gegeben und wenn ich hingehe, muß ich sagen warum. Wenn ich sage, daß es keine vollständige Übersicht gibt, dann sagt man uns, dann wird es Zeit.«3 Den Anwesenden war natürlich bewusst, dass eine solche Untersuchung geltender Besatzungsrichtlinien und -realitäten zunächst einmal bedeutete, dass man sich einen Überblick über sämtliche Vereinbarungen verschaffen musste. Allein es existierte keine Instanz, die über ein solches Gesamtverzeichnis verfügte. Keßler kam nicht umhin, den Versammelten einzugestehen: »Ich muß offen sagen, ich habe mir dies viel leichter vorgestellt, als mir der Auftrag gegeben wurde. Ich dachte, du nimmst das Abkommen und ergänzt, was zu analysieren ist. […] Ich bin schnell zu der Schlußfolgerung gekommen, daß ich dazu gar nicht in der Lage bin, weil Material fehlt, manches weiß man nur andeutungsweise, Fragmente. Es ist schwer, sich eine allgemeine Vorstellung zu verschaffen. So, wie ich mir es vorgestellt habe, geht es überhaupt nicht.«4 Hier war der Augenblick gekommen, den Ministerialen den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit vorzutragen: Jeder von ihnen sollte in den nächsten Wochen sämtliche relevanten Besatzungsdokumente des eigenen Bereiches zusammentragen. Im Februar würde man sich dann erneut treffen, die Informationen vergleichen und schließlich eine Analyse erstellen. Bis zum Ausgang des Sommers 1988 sollte das Auftragswerk nach Willen der Partei abgeschlossen sein. Die Genossen waren im Prinzip mit diesem Vorgehen einverstanden, allein die Beschränkung der Runde auf die wenigen Anwesenden ließ einige von ihnen aufhorchen; war doch den Experten bewusst, dass mehrere Dutzend
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Behörden in die praktische Umsetzung des Stationierungsvertrages involviert waren, Instanzen, die voneinander häufig überhaupt nicht wussten. Trotz vorsichtiger Einwände beharrte Keßler auf seinem warnenden Eingangsstatement: »Mein Gedanke geht dahin, daß sich mit dieser Gesamtproblematik der heute an diesem Tisch versammelte Kreis beschäftigt und dieser Kreis nicht erweitert wird und daß, wenn sich in weiterer Arbeit Notwendigkeiten zeigen, festgelegt wird, wer mit wem zusammenarbeiten soll, so daß dieser Kreis bleibt und keine größeren Bereiche einbezogen werden und nicht längere und größere Erklärungen abgegeben werden müssen. […] Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen oder daß Absichten unterstellt werden können, daß wir etwas ändern wollen. Gott sei Dank, daß wir sie [die GSSD, S. S.] haben. Dies ist die elementarste Voraussetzung, daß hier nichts passiert.«5 Den Fachleuten war klar, dass sich eine solch unbedingte Geheimhaltung für die vorgesehenen Recherchen mehr als hinderlich erweisen würde: Wie sollte der Status quo dokumentiert und bewertet werden, wenn entscheidende Partner und Dienstleister wie etwa die kommunalen Behörden außen vor blieben? Der Vertreter des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten wandte denn auch ein, dass es sehr schwer werden würde zu erfassen, welche Vereinbarungen über die Jahre vor Ort getroffen worden waren, wenn man die sowjetischen wie die Dienststellen der DDR nicht fragen dürfe. Schließlich vollziehe sich im alltäglichen Zusammenleben »vieles, was der zentralen Kontrolle«6 nicht unterliege. Doch der Minister ließ nicht mit sich reden: Order sei es, die zentralen staatlichen Dokumente zu analysieren, wenn es nebenher noch mündliche Absprachen gäbe, so müssten sich andere damit beschäftigen. Seine Last sei wahrlich schwer genug. Am 13. Juni 1988 kam die Runde erneut zusammen, nun, um sich über eine 180 Seiten umfassende Bestandsaufnahme abzustimmen. Im Großen und Ganzen zeigte man sich mit den über die Jahrzehnte entstandenen Vereinbarungen zufrieden: Keiner der Anwesenden sah einen Vorteil darin, ein neues Stationierungsabkommen einzuklagen. Hauptsächlich trieb die Experten die Sorge um, was wohl die sowjetischen Genossen zu ihrem kompakt geschnürten Forderungspaket sagen würden.7 Nicht geheuer war ihnen vor allem das aus der Analyse erwachsene Postulat, über sämtliche, von den Streitkräften genutzte Standorte endlich Informationen zu erhalten: »Ein ganz kompliziertes Problem ist die Erfassung [der Liegenschaften, S. S.]. Es ist klar, dies ist keine spezifische Eigenschaft der sowjetischen Genossen, daß sie sich nicht in ›die Karten gucken‹ lassen wollen. […] Wir müssen wahrscheinlich, wenn wir das überprüfen, eine Formel finden, die auch die Bedingungen und die Bedürfnisse der GSSD berücksichtigt. Nicht den Eindruck erwecken, daß wir auch wissen wollen, welche konkreten militärischen Einrichtungen bestehen und dazu von Leuten, die militärisch nicht kompetent sind. Dies wird sehr kompliziert. Bei den Festlegungen müssen wir konkrete Festlegungen treffen, ganz hart sein,
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die gleichen Regelungen, wie sie für uns gelten.« Am Ende entschieden sich die Fachleute, notwendige Änderungen nicht so massiert durchzusetzen, wie dies in der Expertise vorgesehen war. »Wenn jetzt alle Probleme, die einer Lösung und Klärung bedürfen, sofort in Angriff genommen werden, hat dies die Wirkung einer Lawine. Man müßte eine Reihenfolge solcher Art machen, daß man nicht alle Probleme kompakt stellt, sondern aufgliedert, zum Beispiel bis 1990 sind komplex folgende Probleme einer Klärung zuzuführen, im Verlaufe von 1990 bis 1995 sind jene Komplexe zu lösen.«8 Alle Beteiligten waren sich einig, keine Diskreditierung der Streitkräfte zuzulassen. »Es darf nicht das im Prinzip wunderbare Verhältnis, welches wir zur GSSD haben, beeinträchtigt werden.«9 So trennte man sich mit dem Ziel, im September 1988 eine Vorlage für den Nationalen Verteidigungsrat zu erarbeiten. Tatsächlich befasste sich dieser am 25. November 1988 mit dem Thema, wobei der Entwurf ohne größere Korrekturen angenommen wurde. Erich Honecker zeigte sich über das gesammelte Material bestürzt und stimmte dem Verteidigungsminister dahingehend zu, dass es zweckmäßig sei, hinsichtlich des Aufenthaltsrechts der GSSD »einiges zu verbessern«. Den neuen Befehlshabern in Moskau, beschwerte sich der Staatschef, falle es offenbar schwer »zu verstehen, daß sie sich nicht im besetzten Gebiet« befänden.10 Dem Verteidigungsminister wurde nun der Auftrag erteilt, die Vorlage im Politbüro einzubringen. Anfang Dezember 1988 lag dem Ministerrat der DDR die Analyse des Stationierungsabkommens offiziell vor.11 Dort war man sich einig, dass es nicht darum gehen könne, an den getroffenen Regelungen irgendetwas zum Nachteil der sowjetischen Genossen und Waffenbrüder12 zu verändern, sondern nur darum, die Jahrzehnte alten Vereinbarungen endlich in die Praxis umzusetzen oder aber die Praxis endlich aufs Papier zu bringen.
Die Ergebnisse Was beinhaltete die ersehnte und befürchtete Untersuchung der Expertenkommission? Wichtigste Zielsetzung war gewesen zu prüfen, ob das Abkommen und seine Folgedokumente noch den gesellschaftlichen Bedingungen und dem Stand der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR entsprachen. Weiterhin war aufzulisten, welche Fragen in dem Dokument nicht oder nicht ausreichend geregelt waren und welche Schwierigkeiten es hinsichtlich der praktischen Umsetzung gab. Im Vorfeld hatten die Fachleute damit gerechnet, dass das Abkommen neu beschlossen, zumindest aber in weiten Teilen ergänzt werden müsse. Eine Annahme, die ein Jahr später revidiert wurde. Nachdem sich fast zwanzig zentrale Staatsorgane mit den etwa siebzig zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Dokumenten beschäftigt hatten, stellte die Kommission erstaunt fest, dass das Abkommen, dessen konkrete Richtlinien mehrheitlich
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erst in den achtziger Jahren vereinbart worden waren, tatsächlich nahezu jedes Problem zu erfassen vermochte, das sich aus der Stationierung sowjetischer Streitkräfte in der DDR ergab.13 Unzulänglich geregelt waren lediglich allgemeine Fragen von Ordnung und Sicherheit, wobei die beidseitig gewachsenen Vorstellungen, was im Detail darunter zu verstehen sei, in Theorie und Praxis so weit auseinander klafften, dass es trotz größter Anstrengungen unmöglich schien, diese in Paragraphen zu fassen.14 Am Ende der Untersuchung stand die Versicherung der ostdeutschen Regierung, am Stationierungsabkommen als solchem nichts verändern zu wollen. Grundsätzlich, meinten die Verfasser, stimme das Vertragswerk mit der Souveränitätszusage für die DDR überein. Oder besser: Es würde damit übereinstimmen, wenn die eigene Regierung es nicht von Anfang an versäumt hätte, den zuständigen zentralen sowie den örtlichen Behörden eindeutige Orientierungen über die Umsetzung des Vertrages mit auf den Weg zu geben. Jahrzehntelang hätten die unterschiedlichen zuständigen Organe isoliert voneinander und fernab jeder Kontrolle gearbeitet. Besonders in den sechziger und siebziger Jahren hätten die örtlichen Instanzen nicht auf Grundlage der geltenden zwischenstaatlichen Verträge gehandelt, sondern auf bloßer Freundschaftsbasis. Dies habe die beiderseitige Zusammenarbeit einerseits erleichtert, andererseits aber auch verkompliziert, denn nicht nur den Kommunalpolitikern würden die notwendigen Kenntnisse der Regularien fehlen, gleiches gelte auch für die Truppenkommandeure. Die ihnen zur Verfügung stehenden allgemeinen Dienstanweisungen bezögen sich vornehmlich auf Vorgänge innerhalb der Armee, nicht aber auf Belange des Stationierungslandes. Selbst wenn ihnen die eine oder andere Verordnung bekannt werden würde, so verträten viele Militärs veraltete Auffassungen über den Status der Streitkräfte und ihre Rechte. So mancher Offizier wähne sich weiterhin als Besatzer, nicht aber als befreundeter Partner. Die Verantwortlichen vor Ort berichteten allerdings auch immer wieder, dass nicht nur die Arroganz der Besatzer zu Verunsicherungen führte, sondern eine unterschiedlich gelebte Alltagskultur. So versuchten die Offiziere und Mannschaften das beiderseitige Miteinander zu gestalten, indem sie auf Handlungsmuster aus der Heimat zurückgriffen, ihre deutschen Partner beriefen sich ihrerseits auf tradierte einheimische Gebräuche. Die auf beiden Seiten empfundene Kluft aber wurde nur selten offen thematisiert.
Zukunftsentwürfe Um das Durch- und Nebeneinander zugunsten eines abgestimmten, auf Kompromissen basierenden Vorgehens zu überwinden, wurde nun, im Jahr 1988, der Grad der Geheimhaltung bestimmter Teile des Stationierungsabkommens aufgehoben, vor allem über die konkreten »Bedingungen der Inanspruch-
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nahme von Objekten und Leistungen durch die Streitkräfte« sollten die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen sowie die Vorsitzenden der Räte der Bezirke nun informiert werden. Am 25. November 1988 rief der Minister für Nationale Verteidigung die betroffenen Provinzpolitiker in sein Amt, um sie mit den teils Jahrzehnte alten Stationierungsregelungen bekannt zu machen. Auf zwei Aspekte legte er besonderen Wert: Zum einen sollte die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bereich der Kasernen- und Wohnkomplexe, der Übungsgelände und der Mülldeponien deutliche Verbesserungen erfahren. Zum anderen erklärte er Investitionen, Baureparaturen und andere materielle sowie finanzielle Leistungen außerhalb bestätigter Pläne sowie die Inanspruchnahme von Gebäuden und Grundstücken ohne Entscheidung der zuständigen zentralen Staatsorgane für nicht statthaft.15 Grundforderung an alle Beteiligten wurde, künftig sämtliche getroffenen Übereinkünfte mit den Kommandeuren der Garnisonen zu protokollieren und deren Erfüllung systematisch zu kontrollieren. Eigensinnige Sondervereinbarungen aufgrund jahrzehntelanger Praktiken würden, so der Vertreter des Ministers, von der Berliner Zentrale fortan nicht mehr geduldet werden.16 Wie genau man es bewerkstelligen sollte, altbewährte Vorgehensweisen über Nacht zu ändern, ohne sich den Unmut des jeweiligen Regimentskommandeurs mitsamt seinen Offizieren zuzuziehen, wurde weder an diesem Tag noch zu einem späteren Zeitpunkt erörtert. Die Ratschläge des Ministerialbeamten zumindest halfen hier nicht weiter: Wie soll man diese Aufgaben realisieren? Es gibt natürlich kein Rezept, das für alle Kreise gleichermaßen gilt. Wichtig ist, daß die Ersten Kreissekretäre und Vorsitzenden der Räte der Kreise über unser Grundanliegen eine einheitliche politische und sachliche Orientierung erhalten. […] Wir müssen dabei jeglichen Eindruck einer ›Kampagne‹ vermeiden, die anstehenden Probleme aber auch nicht auf die lange Bank schieben.17
Die zentralen Regierungsstellen schoben wieder einmal alle Verantwortung auf die Kommunen ab. Auch diesmal bekamen die örtlichen Behörden keinerlei Instrumente zur Durchsetzung der geforderten Normen zur Hand. Sie konnten ihre Partner vor Ort lediglich um die Einhaltung der Abmachungen bitten, drohen konnte sie nicht. Eine funktionsfähige Schiedsgerichtsbarkeit war auch im Jahr 1988 nicht vorgesehen. Zudem erhielten die versammelten Lokalpolitiker auch diesmal nur Halbwahrheiten vorgesetzt. Über die allgemeinen Rahmenbedingungen der Stationierung sowie über Regelungen anderer Funktionsbereiche ließ man sie weiterhin im Unklaren. Am Ende der im Herbst 1988 vorliegenden Inventur stand vor allem eine Grundforderung: Von nun an sollte die Einhaltung der Regelungen von einer zentralen Instanz überwacht werden – von der mit dem Abkommen von 1957 eingerichteten Gemischten deutsch-sowjetischen Kommission, die sich schon Jahrzehnte zuvor als unfähig für diese Aufgabe erwiesen hatte.18
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Um die beschlossenen Reformen in die Realität umzusetzen, trafen sich Ende April 1989 der Leiter der Abteilung Sowjetunion im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR mit dem Leiter der Hauptabteilung Sozialistische Länder Europas im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR zu außerplanmäßigen Konsultationen.19 Hauptgesprächsthema war die erstellte Regierungsanalyse, wobei die sowjetischen Teilnehmer mit Genugtuung vernahmen, dass ihre Partner das Stationierungsabkommen auch weiterhin unangefochten lassen wollten. Bei den angesprochenen Detailfragen allerdings reagierten sie zurückhaltend: vor allem in Bezug auf das im Abkommen ultimativ geforderte Konsultationsverfahren bei Veränderungen der Truppenstärke und der Standortverteilung. Nicht nur, dass über Jahrzehnte keinerlei Konsultationen erfolgt waren, es war auch nicht geklärt worden, ob es hierbei um bloße Informationen ging oder ob bei solchen Beratungen ein Einvernehmen mit der Regierung der DDR erzielt werden musste. Nun, im Frühjahr 1989, forderte die deutsche Seite ihre Partner auf, doch zumindest regelmäßige Informationen über Truppendislozierungen zu erwägen, wenn es für eine ausdrückliche Genehmigung oder eine Kontrolle schon keine rechtlichen Grundlagen gäbe. Die sowjetischen Militärs sahen keinerlei Notwendigkeit für eine derartige Reform. Die DDR sei doch bei der Raketenstationierung Anfang der sechziger Jahre sowie im Zusammenhang mit den Reduzierungsmaßnahmen in den achtziger Jahren ausreichend informiert worden. Im Übrigen gäbe es eine gute Zusammenarbeit der General- respektive Hauptstäbe der Armeen, es genüge ja wohl, dass auf dieser Ebene regelmäßige Beratungen stattfänden.20 Nachdem die deutsche Seite jedoch mit Nachdruck darauf verwies, dass der Artikel zwei des Stationierungsabkommens von 1957 Konsultationen einfordere und nicht bloß die Übermittelung von Informationen, und dass solche Fragen nur von den Regierungen selbst, nicht aber von untergeordneten Behörden verhandelt werden könnten, erklärte sich die sowjetische Seite bereit, das Problem in Moskau vorzutragen. Ende Juni 1989 informierte man die deutsche Seite dahingehend, dass »in Anbetracht des höchst geheimen Charakters der entsprechenden Informationen« weiterhin alle Abstimmungen zwischen den Militärstäben der Streitkräfte der UdSSR und der DDR durchzuführen seien. Die Regierung in Ost-Berlin könne sich dort entsprechend kundig machen.21 Im Verlaufe dieser Apriltage 1989 konnten die Ost-Berliner Unterhändler kaum Erfolge verbuchen. Die meisten angesprochenen Aspekte wurden in die Verantwortung der aufgewerteten Gemischten Kommission gegeben, allerdings wollten auch die sowjetischen Gesandten der gesamten Stationierungsproblematik einen neuen Atem verleihen; eine »Etappe verbesserter Zusammenarbeit« würde, da war man sich einig, die Zukunft bestimmen.22 In einem Punkt gaben die eisernen Moskauer Verhandlungsführer dann doch nach – sie erklärten sich
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mit dem von der DDR jahrzehntelang erbetenen Namenswechsel für die Streitkräfte einverstanden. Ein wahrlich geringes Zugeständnis an die ostdeutschen Bündnisgenossen – gemessen am Forderungskatalog des Jahres 1989.
Nomen non est omen Auf Befehl Stalins vom 29. Mai 1945 war die 1. Belorussische Front in »Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland« umbenannt worden. Mit der Souveränitätserklärung der Moskauer Regierung im März 1954 hatte man die Bezeichnung »Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland«23 eingeführt, wobei die Umbenennung der Besatzungs- in Stationierungstruppen in keinem offiziellen Dokument verkündet worden war.24 Offensichtlich sollte diese Denomination der Wahrung der Rechte und Pflichten der Sowjetunion und ihrer Streitkräfte aus den bestehenden, Deutschland als Ganzes betreffenden Abkommen der vier Mächte dienen. Am 8. April 1985 tauchte im Neuen Deutschland erstmalig eine alternative Bezeichnung auf: Im Zentralorgan der Partei war plötzlich von der »Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in der DDR« die Rede.25 Es dauerte nur wenige Tage, bis die eigenmächtige Manipulation von den sowjetischen Bündnispartnern öffentlich korrigiert wurde.26 1988 brachte die deutsche Seite den Wunsch zur Namensänderung nun auch in die Gemischte Kommission ein. Mit dem Vorstoß, die Bezeichnung »Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland« sei unvereinbar mit den territorialen und politischen Realitäten in Europa, war man unter der Maximalforderung Erich Honeckers geblieben. Der Parteichef wollte den Ersatz der territorialen Definition »Deutschland« durch die implizite anerkennende Festschreibung »DDR«. Stattdessen beschränkte sich der Antrag nun auf eine denkbar unpolitische, geographische Attribuierung: »Westgruppe der Streitkräfte«. Die sowjetischen Genossen erklärten sich nach einigem Zögern mit dem Kompromissvorschlag einverstanden, stellten allerdings die Bedingung, dass bei der offiziellen Bekanntgabe des neuen Namens darauf hingewiesen werden müsse, dass der Status der Streitkräfte gemäß dem Staatsvertrag von 1955 sowie alle Rechte aus den Abkommen mit den Westmächten unberührt blieben.27 Ende Juni 1989 informierte der sowjetische Botschafter den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten der DDR darüber, dass die Regierung der UdSSR die erwünschte Umbenennung beschlossen hätte.28 Da die Veröffentlichung dieser Veränderung ein Prärogativ der UdSSR darstelle, würde sie zunächst in den sowjetischen Medien angekündigt werden.29 Drei Wochen später verfügte das Politbüro des ZK der SED, nunmehr in allen offiziellen Verlautbarungen die Bezeichnung »Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR« zu verwenden.30
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Die spätestens seit dem Januarplenum des ZK der KPdSU 1987 in Distanz zu Moskau stehende Regierung der DDR hatte offenbar den Versuch unternommen, sich mit dieser Bestandsaufnahme der Besatzung ein politisches Druckmittel zu verschaffen. Über dreißig Jahre lang galten diese deutsch-sowjetischen Stationierungspraxen, die jetzt, Ende der achtziger Jahre, durch eine penible Dokumentation in Frage gestellt werden sollten? Eine durchsichtiges Manöver Ost-Berlins, mit dem Imperativ: Glasnost in Stationierungsfragen! den Imperativ: Glasnost und Perestroika im ganzen System! zu steuern. Die mit der Untersuchung betrauten Fachleute mussten dann auch feststellen, dass der kritische Blick auf die Besatzungsusancen ein ganz und gar untaugliches Mittel war, um sich gegenüber Moskau zu behaupten. Denn die alltägliche Praxis zwischen Besatzern und deutschen Zivilisten auf dem Territorium der DDR war ein Ergebnis von beidseitig gesetzten Vertragsnormen und von wechselseitigen Beziehungen. Ärgerliche Vorkommnisse und Probleme konnte man daher nicht allein den Russen anlasten. Auch die Keßler-Kommission musste anerkennen, dass es zur Anwesenheit der fremden Truppen und zu den eingeübten Mustern der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens keine Alternativen gab – zumindest aus einer systemimmanenten Perspektive.
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4 Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
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Abb. 6: Statik und Dynamik der Demarkation: Verbotsschild in Dresden (achtziger Jahre)
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Entgrenzungen und Grenzziehungen Im Frühjahr 1945 marschierte die Rote Armee in Deutschland ein. Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht zwang die Bevölkerung dazu es hinzunehmen, dass vermeintlich unzivilisierte Feinde in das eigene Territorium eindrangen und sich dort als Besatzer einrichteten. Die Sieger des Großen Vaterländischen Krieges ihrerseits mussten erfahren, dass ihr Selbstbild als Träger einer überlegenen Kultur auf ein Lebensniveau prallte, auf das sie nicht vorbereitet waren. Dabei prägten die am Ende des Krieges vorhandenen »inneren Bilder« vom jeweils Anderen in entscheidender Weise den künftigen Umgang miteinander, sie sollen hier deshalb noch einmal vergegenwärtigt werden: Russen und Deutsche waren einander Feind, zumindest galt dies bei Kriegsende für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sowie der Rotarmisten. Schon in Friedenszeiten, besonders aber nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941, hatten beide Seiten begonnen, das Bild des wahrgenommenen Feindes sukzessive zu verändern. Er wurde entmenschlicht, ihm wurden spezifische, die eigene Furcht widerspiegelnde Symbole zugeschrieben. Die Rotarmisten diffamierten die Deutschen als Bestien, die in der »eigenen Höhle« zu erlegen seien, die Wehrmachtssoldaten sahen in den Russen »Untermenschen«, die es zu versklaven, wenn nötig sogar zu töten galt. Unter der Ägide dieser Feindbildschemata schien es zwischen der eigenen und der anderen Gruppe kaum Verständigung zu geben, sondern vielmehr Kampf; keine Kompromisse, sondern nur den »bedingungslosen Sieg« oder »die totale Niederlage«. Freilich: Eine vollständige Vernichtung des Feindes wäre für den Erhalt der eigenen, unter dem Einfluss der jeweiligen Diktatur lang vor Kriegsbeginn regredierten Gruppe von großem Nachteil gewesen. Vielmehr schienen beide Seiten die Feindbilder auch nach dem Ende der Schlachten noch als Projektionsfläche für eigene negierte Anteile zu benötigen. Sowohl die (Ost)Deutschen als auch die Russen idealisierten auch nach Kriegsende das Hier, das eigene Territorium, indem sie ihm alles Gute und alles Ganzheitliche anhefteten, alles Schlechte und Fragmentierte hingegen weiterhin den Anderen zuschrieben. Dies geschah jedoch unter komplizierten Bedingungen: Schließlich bezogen sich Sieger wie Besiegte auf ein und dasselbe »verlorene« beziehungsweise »eroberte«, in jedem Fall aber auf ein gemeinsam genutztes Territorium. Beide schmerzte die Anwesenheit des Anderen als Stachel im Fleisch. Beider Verlangen nach territorialer Integrität und imaginierter Ganzheitlichkeit schien in den ersten Nachkriegsjahren mehr als prekär gewesen zu sein: Die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung fühlte sich mit den Besatzungsreglements von Jalta abgetrennt und entwertet: Aus ihrer Sicht lag der zerstörte
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
deutsche (Volks-)Körper danieder, das »wirkliche« Deutschland befand sich im Westen. Schon bald nach Kriegsende machte sich eine Vergleichsmentalität breit, die in den Westzonen noch funktionstüchtige Organe ausmachte und auf dieses Territorium, nicht zuletzt aufgrund der tatkräftigen Unterstützung durch die Amerikaner, Erwartungen projizierte. Dem abgetrennten Glied in Ostdeutschland blieb nach diesem Szenario nichts weiter, als sich auf eine deutlich weniger potente und noch dazu primitive Krücke zu stützen: auf die in Lumpen, auf ausgemergelten Pferden eingezogenen sowjetischen Besatzer. Schon bald verkündeten die Politiker und Propagandisten in Moskau und OstBerlin die Geburt einer großen, sozialistischen Völkerfamilie: Für die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR bedeutete dies, dass die verhassten Gegner im Osten, die man eben noch erbittert bekämpft hatte, per Dekret sozialistische Geschwister zu sein hatten. Das galt auch vice versa: Die sowjetischen Besatzer wie ihre Angehörigen in der Heimat haderten ähnlich mit ihrem Schicksal. Hatte man im Großen Vaterländischen Krieg gemeinsam gegen die äußeren Feinde gekämpft und auf diese Weise als Sowjetvolk (womöglich zum ersten Mal) wirklich zusammengefunden, brach diese real gewordene, Sicherheit verheißende Erfahrung einer Zusammengehörigkeit und Ganzheit nach Kriegsende entzwei. Stalins Vergangenheits- und Repressionspolitik sowie stark differierende Nachkriegserfahrungen ließen das einende Gefühl der Kampfgemeinschaft brutal und rasch auseinander brechen. Die Markierung von Freunden und die Fixierung von Feinden, mithin die Festlegung strikt zu beachtender Grenzen, war somit nicht nur während des Zweiten Weltkrieges, sondern auch nach 1945 für den Selbsterhalt der eigenen Gruppen unverzichtbar.1 Um dies zu erreichen, griffen die politischen und propagandistischen Akteure beider Seiten auf bewährte Instrumentarien zurück: Durch die Partizipation an bestimmten eigenen Symbolen und Ritualen sollten sich die jeweiligen Gruppenmitglieder ihrer Zugehörigkeit weiterhin in besonderem Maße versichern. Zu diesem unmissverständlichen (alten) neuen Grenzregime gehörte auch, alle den Status quo störenden Elemente vom eigenen Territorium zu entfernen und so jegliche, die phantasierte Verschmelzung der eigenen Gruppe störende Fremdkörper aus dem Weg zu räumen.2 Weil das Territorium seit Kriegsende jedoch vom Feind besetzt gehalten wurde, weil dieser sogar im selben Haus wohnte, mussten dringend neue, Sicherheit spendende Markierungen eingezogen werden. Der jenseits der zunächst provisorischen Demarkationslinien verwiesene Feind beziehungsweise das Bild, welches man sich von ihm machte, sollte auf diese Weise nicht nur unschädlich gemacht werden, sondern gleichzeitig der eigenen psychopolitischen Stabilisierung dienen. Es ging dabei immer um die Stärkung des Selbst »durch den schmeichelhaften Vergleich mit dem Gegner […], indem dieser niedriger, kleiner, schwächer und moralisch minder-
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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wertiger« gemacht wurde.3 Die mit dem Kriegsende vom Verfall bedrohten deutschen wie sowjetischen Größenphantasien sowie die damit verbundenen Selbstwertproblematiken ließen sich demnach nur durch den Erhalt der tradierten Feindbilder, ungeachtet der beginnenden offiziellen Freundschaftspropaganda, stabilisieren.4 In der Identifikation mit der als (weiterhin) machtvoll erlebten eigenen Gruppe bestand für den Einzelnen auch nach dem Kriege die Möglichkeit, das gefährdete Selbstbild zu stabilisieren. Wenngleich Irritationen nicht ausblieben: – Die Angehörigen der siegreichen Roten Armee mussten auf ihrem Vormarsch in Deutschland unvermittelt erkennen, dass sie zwar große Schlachten militärisch und unter Einsatz größter Opfer gewonnen hatten, dass sie dennoch weit davon entfernt waren, zu wirklichen Siegern der Geschichte zu avancieren. Die nahe Sicht auf den hohen Lebensstandard des Feindes versetzte sie in einen Schockzustand, der es dringend notwendig erscheinen ließ, den im Moment des Einzugs erlittenen Gesichtsverlust durch Symbole und Rituale einer überdimensionierten Besatzerpotenz im Nachkriegsalltag zu kompensieren. – Die (Ost-)Deutschen mussten zwar widerwillig die erlittene militärische Niederlage anerkennen, sie bestätigten sich jedoch zugleich den eigenen kulturellen Sieg. Mit abfälligen Bemerkungen über die auf mageren Pferden und in zerschlissenen Uniformen einziehenden Rotarmisten konnten sie ihr Selbstwertgefühl stärken.
Kompromissformeln und Kompromissformen Die Besatzungsrealitäten und die Einbindung in ein politisches, wirtschaftliches wie militärisch begründetes sozialistisches Staatensystem, aber auch die bald nach Kriegsende verkündete deutsch-sowjetische Freundschaft negierten diese über das Kriegsende hinweg beibehaltenen Praktiken der Andersartigkeit weitgehend. Vielmehr forderten sie ein aktives, gemeinsames Handeln der »Befreier« und »Befreiten«. Den Machthabern in Moskau und Ost-Berlin ging es darum, möglichst problemlos den »antifaschistischen« politischen Umbau und den sozialistischen gesellschaftlichen Aufbau zu organisieren. Besatzer und Bevölkerung blieb nichts anderes übrig, als trotz ihrer Abgrenzungsbestrebungen auf einer pragmatischen Alltagsebene miteinander umzugehen, vorhandene Widerstände wurden fortan mithilfe psychosozialer »Kompromisse« stabilisiert.5 Diese Kompromisse sollten ein dauerhaftes Zusammenleben der einstigen Feinde ermöglichen, mit ihnen wurden die Wünsche und Ängste der Individuen mehr oder minder befriedigend aufgehoben. – Wobei nicht zu vergessen
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
ist, dass jene offiziell propagierten Kompromissformeln und auch die letztlich gefundenen Kompromissformen bis zum Ende der Besatzungszeit 1994 auf dem Eindringen der Anderen in das vermeintlich eigene Territorium beruhten. Kompromissformeln manifestierten sich als juristische und als ideologischpropagandistische Vorgaben. Sie waren im mehr oder weniger willkürlichen Besatzungs-, seit 1957 im Stationierungsrecht der sowjetischen Streitkräfte kodifiziert. Gesetze und Verordnungen sollten die einstigen Gegner zu prinzipiell gleichen Partnern im Alltag machen. Mit Hilfe ideologisch-politischer Losungen sollten sie zu Freunden im Kampf gegen den neuen Feind im Westen werden. Zur Kanalisierung von Entgleisungs- und Gefährdungspotentialen des Kompromisses dienten demnach Institutionen wie Regelwerke, Rituale und Mythologien. Zum Kanon vorgegebener und vorschreibender Formeln des Kompromisses zählte die mythische Grunderzählung von der »Befreiung«, aber auch die präsentativ-symbolische Generierungsmacht von räumlicharchitektonischen Ensembles: von Kasernenbauten, von Mauern, von Sperrschildern und im Extremfall – von Panzerformationen. Im Jahr 1949 reichten die Besatzer dem deutschen Volk die Hand zur Versöhnung. So hieß es in Stalins Glückwunschtelegramm anlässlich der Staatsgründung der DDR: Die Erfahrung des letzten Krieges hat gezeigt, daß das deutsche und das sowjetische Volk in diesem Kriege die größten Opfer gebracht haben, daß diese beiden Völker die größten Potenzen in Europa zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung besitzen. Wenn diese beiden Völker die Entschlossenheit an den Tag legen werden, für den Frieden mit der gleichen Anspannung ihrer Kräfte zu kämpfen, mit der sie den Krieg führten, so kann man den Frieden in Europa für gesichert halten.6
Veranlasst durch die neuen »antifaschistischen« Staats- und Parteiführer in Ost-Berlin, musste auch die Bevölkerung die Sieger sehr bald nach Kriegsende um Verzeihung für die begangenen und bislang beschwiegenen Verbrechen bitten. Dies geschah unter Zwang, nicht aber, weil die emotionale Basis für einen solchen Schritt bereits gelegt gewesen wäre. Problematisch war die beiden Seiten oktroyierte Versöhnungsgeste auch für die Besatzer. Eine wirkliche Vergebung hätte eine ernsthafte Trauerarbeit vorausgesetzt. Doch ein solcher Prozess war Ende der vierziger Jahre noch nicht einmal in Gang gekommen. So bedeuteten die Akte der Vergebung, die auf den errichteten Friedhöfen und Mahnmalen in Szene gesetzt wurden, allenfalls eine präjudizierende Geste,7 die eine weitere Auseinandersetzung mit den Verbrechen deutscher wie sowjetischer Soldaten be- wenn nicht gar verhinderte. Die im Stationierungsabkommen von 1957 und seinen Folgevereinbarungen gefundenen und die im Mythos von der »Befreiung« ideologisch untermauerten Kompromissformeln dienten nur unzureichend als Instrumentarien, um den Alltag dieser Besatzung zu bewältigen. Die Partner vor Ort stellten schnell
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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fest, wie vage, widersprüchlich und unrealistisch die zentralen BeschlussFormeln für die Ausgestaltung der Praxis daherkamen. Von den Staats- und Parteiführern sowie vom Oberkommando in Wünsdorf im Stich gelassen, versuchten die Protagonisten vor Ort notgedrungen, praktikable Kompromissformen zu finden, wobei sich ihr Handeln häufig auf die hergebrachten Gewohnheitsrechte aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stützte. Annäherungen der aus Politik- und Parteiräson zu prinzipiell Gleichen deklarierten, in Wirklichkeit jedoch höchst differenten Fremden, führten immer wieder zu Irritationen. Beide Seiten glaubten, die Kontrollmacht8 über den jeweils Anderen – unbegrenzt von Einschränkungen – ausüben zu dürfen. Die alltägliche Erfahrung beider Seiten, eben nicht unangefochten über die eingeforderte Freiheit der Kontrolle zu verfügen, in den eigenen Handlungen zuweilen sogar radikal eingeschränkt zu sein, konnte auf beiden Seiten zur Ausbildung von Reaktanzen führen. Dabei ging es nicht allein um praktische Entscheidungs- und Handlungsebenen: ob eine Kaserne neu gebaut, eine Marschstraße repariert oder ob eine Straftat geahndet wurde. Vielmehr schienen beide von einem Recht auf Kontrolle über den Anderen auszugehen. Insofern maß sich der Wert der verlorenen Freiheit nicht am Faktum selbst, sondern an einer allgemeineren, dauerhaften Furcht vor Kontrollverlust über einen vermeintlich weniger berechtigten, weil weniger werten Partner.9 Manche Militärs argumentierten mit dem Recht der Sieger: Sie hatten unter Opfern das Land »befreit«, sie hatten es gemäß den Vereinbarungen des Warschauer Vertrages weiterhin zu schützen, ihnen kam die seit 1945 ausgeübte Kommandogewalt zu. In Kontroversen artikulierten die Offiziere aus dieser Perspektive immer wieder, dass man nicht zum Spaß und vor allem nicht aus Eigennutz im Land stehe, sondern allein im Interesse des Weltfriedens. Nur allzu schnell konnte ein den Besatzerwünschen gegenüber nicht willfähriger deutscher Partei- oder Staatsfunktionär dem Verdikt verfallen, das sozialistische Verteidigungsbündnis schwächen zu wollen, womöglich sogar ein Staatsfeind zu sein. Viele Deutsche meinten ebenfalls, ihnen stünde die Kontrollmacht zu. Schließlich befand man sich seit 1955 de jure auf souveränem Territorium; die Militärs unterstanden formal den Gesetzen der DDR. – Und nicht zuletzt, dies zeigten die Gespräche mit deutschen Zeitzeugen immer wieder, fühlte man sich den Besatzern in vielen Lebensbereichen überlegen. Dort, wo die Besatzer reale, bisweilen sogar brutale Macht ausübten, konterte man mit kommunizierten Phantasien kultureller Depotenzierung der Anderen. Dazu gehörte das Kommunikationsmuster des »armen Muschik«, das sich zwar teilweise an Tatsachen orientierte, das aber nicht zuletzt auch der Kompensation tagtäglich zugefügter Kränkungen diente. Verstärkt wurden die ausgefochtenen Kämpfe um die Kontrolle durch die unabwendbare, schmerzliche »Besetzung« des eigenen Territoriums.10 Vor allem
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
an dieser Front wurde ein Großteil der Divergenzen ausgetragen. Fast fünf Jahrzehnte gab es Auseinandersetzungen um die Überlassung von Grund und Boden, um Gebietserweiterungen und -verluste: Dem sowjetischen Verlangen nach Ausdehnung von Truppenübungsplätzen, Marschstraßen und sogar Mülldeponien stand auf deutscher Seite ein verständliches Bedürfnis gegenüber, den beanspruchten Raum als eigenen zu verteidigen. Die Aushandelungen zeigten im Grundsatz stets die gleichen Interessen, Aktionen, Reaktionen und Enttäuschungen – überdies aber auch graduelle Unterschiede: – In Dresden, der Halbmillionenstadt, waren die Kasernen und Militärgebäude an den Rand der Stadt gedrängt; Kristallisationsorte des Nahkontaktes erwiesen sich hier als weniger eng geknüpft. Die Besatzer lebten regelrecht im »Russenstädtchen« eingehegt und blieben zumeist für sich. Wer in Dresden nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnte, konnte und musste zu den Besatzern kaum mehr als passagere Kontakte aufnehmen. Intimere Begegnungen setzten in der Großstadt einen Akt des Willens und Strategien der Annäherung voraus. – In Weimar gehörten die Besatzer dagegen alltäglich und selbstverständlich zur Stadt. Hier waren die Wege zum jeweils Anderen kurz: Die Häuserblocks der Armee bildeten auffällige und bisweilen auch übel beleumundete Dominanten des Stadtbildes, die Familien lebten inmitten der »deutschen« Wohnviertel und die Kinder spielten und trugen »Gefechte« miteinander aus. Hier lebten die Angehörigen beider Gruppen als Nachbarn zusammen. Einhegungen fanden in diesem Fallbeispiel kaum räumliche und soziale, sondern eher symbolische und kulturelle Formen des Ausdrucks. – Die Nohraer Bauern, fünfhundert an der Zahl, fühlten sich von den mehr als fünftausend Umwohnern samt deren Kriegsgerät regelrecht bedrängt. In dieser Situation avancierte das ganze Dorf zu einem einzigen Kristallisationsort des Nahkontaktes, ohne die Russen ging hier nichts: Sie saßen am Morgen in den Bussen, abends in der Dorfschenke, zu jeder Zeit sah man sie in der Konsumverkaufsstelle, sonntags flanierten sie herausgeputzt entlang der Hauptstraße. Je enger die territoriale Verflechtung, desto notwendiger war es für die Beteiligten, Grenzen zu markieren. Unter Besatzungsbedingungen erfüllten die während fünf Jahrzehnten in diesem Sinne unablässig neu justierten Markierungen von Grenzen einen doppelten Zweck: Sie schufen einen physischen Schutz vor Übergriffen und sie dienten als psychische Haut, die mögliche kulturelle Kontaminationen durch den jeweils Anderen abprallen ließ. In jedem Fall blieb es auch nach vielen Jahren des Miteinanders notwendig, die physischen wie psychischen Frontlinien entgegen aller politischen Freundschaftsbeteuerungen aufrecht zu erhalten. Die dauerhafte gegenseitige Beschneidung von Entscheidungsräumen bis hin zu ihrer Außerkraftsetzung
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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konnte sich in durchaus verschiedener Weise manifestieren: durch das Bedürfnis, »die Freiheit dennoch auszuüben«, bis hin zu offen aggressivem Verhalten. Führten anfängliche Widerstandsreaktionen immer wieder zu Misserfolgen – vor allem die Funktionäre und Bürger der DDR mussten diese Erfahrungen jahrzehntelang machen – konnte die aufgestaute Aggression in ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht umschlagen. Die vereinbarten Kompromissformeln und die tatsächlich umgesetzten Kompromissformen blieben infolge der ihnen zugrunde liegenden konträren Wünsche und Ängste bis zum Abzug der Truppen 1994 labil. Trotz der dem Gesamtsystem inhärenten Stabilisierungsfaktoren eignete den Kompromissformen immer auch ein Krisenpotential an, das in psychosozialen Spannungsmomenten drohte, zum Ausbruch zu kommen. Solche Krisen konnten dann zur Infragestellung des ausgehandelten Kompromisses und damit wiederum zur Verstärkung von Ängsten und Aggressivität führen. Ereignisse wie der 17. Juni 1953 und der Mauerbau 1961 reaktivierten dabei vorhandene kollektive Traumata: den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 ebenso wie den Einmarsch der Roten Armee in Deutschland 1945. So zeugte die in Ausnahmesituationen artikulierte Furcht der Bevölkerung vor Hungersnöten, Evakuierungen, Plünderungen und Vergewaltigungen, verantwortet durch die Besatzer, weniger von einer tatsächlichen Bedrohung als vielmehr von Repräsentanzen der Kriegs- und Nachkriegserlebnisse.
Wiederkehrende Grenzziehungen Als kollektive Traumata sollen hier jene unbewältigbaren Repräsentanzen von Ereignissen verstanden werden, durch die sich die Deutschen wie auch die Russen »einst gezwungen sahen, mit starken, die Allgemeinheit betreffenden Verlusten fertig zu werden, sich hilflos und von einer anderen Gruppe in die Opferrolle gedrängt zu fühlen und demütigende Verletzungen mit anderen zu teilen«.11 Um von Gefühlen der Schuld, der Scham und der Demütigung befreit zu werden, deponierten sie die eigenen beschädigten Selbstbilder unbewusst in die sich entwickelnde persönliche Identität ihrer Kinder. Gleichzeitig wurden den Kindern spezifische Aufgaben der Wiedergutmachung zugewiesen, gerade so, als wären diese imstande, den erlittenen Verlust anstelle ihrer Eltern zu betrauern oder aber die gefühlten Demütigungen adäquat zu beantworten.12 Die Vermittlung des Traumas funktionierte nonverbal und verbal, über elterliche oder kulturelle Vorurteile, historische Mythen und Verhaltensmuster, die über Generationen hinweg die feindlichen Anderen festschrieben.13 Es handelte sich hierbei offensichtlich um ein Phänomen gegenseitigen Schutzes angesichts einer zertrümmerten Welt, die neu aufgebaut und gestaltet werden musste. Aus dem Schweigen und (zumindest auf deutscher Seite)
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
der vermuteten Mitschuld der Eltern erwuchsen generationsspezifische Handlungsdispositionen, die – in Bezug auf die einstigen Gegner, nun Besatzer, Besetzte und Brüder – verschieden geprägt sein konnten. Schon deren bloße Existenz und Anwesenheit aber, davon ist auszugehen, ließ die verdrängte Vergangenheit immer auch gegenwärtig sein. Die von den Eltern übertragenen Einstellungs- und Handlungsdispositionen konnten sich in einem Bestreben nach Wiedergutmachung durch aktive Mitarbeit an den Aufbauplänen äußern. Umgekehrt konnten sie auch zu dem Bedürfnis führen, den »unheiligen« Teil der Familie auszuleben. Dann verachteten die Nachkommen »die Russen« respektive »die Deutschen«, damit sie das von ihnen so peinlich Verdrängte nicht bei sich selbst suchen mussten.14 Distanzierung und Nähe machten dabei nur zwei mögliche Pole aus, zwischen denen weitere, differente Verarbeitungsstrukturen lagen. Der unvermeidliche Umgang mit diesem Trauma bekam mit dem zwingenden Nahkontakt der einstigen Gegner eine weitere gewichtige Dimension: Indem sich die Besatzer als Sieger (des Krieges) und als Verlierer (des Alltags) zu begreifen begannen und die Deutschen sich als Verlierer (des Krieges) und als Sieger (des Alltags) fühlten, entstand ein Chiasmus von Sieg und Niederlage, in dem sich beide Seiten zurechtzufinden hatten. Diese Über-Kreuz-Stellung führte, wie es in dieser Arbeit immer wieder offenbar wurde, trotz oder gerade aufgrund der tagtäglichen Nähe und Annäherungen nicht selten zu Formen von Reaktanz und von Hilflosigkeit.
Generationenspezifische Annäherungen und Distanzierungen Zäsuren und Konjunkturen Die Geschichte des Aufenthaltes der sowjetischen Streitkräfte auf deutschem Territorium offenbart vier Zäsuren: – Der erste Einschnitt erfolgte im Jahr 1947: Mit dem Rückzug der Truppen aus den kommunalen Öffentlichkeiten hinter Kasernenmauern entzerrte sich der anfänglich chaotische Besatzungsalltag. Die Räumung war mit sozialen Restriktionen verbunden: Fortan galt das Fraternisierungsverbot. Die globale politische Destabilisierung des Kalten Krieges führte also auf lokaler Ebene zu dem Bemühen, die eigene Zone zu stabilisieren. – Die zweite Zäsur war eine Folge des Juni-Aufstandes 1953: Die nach 1947 eingestellten frühen Kompromisse wurden mit der Proklamation des Aufbaus des Sozialismus 1952 durch Walter Ulbricht scheinbar aufgekündigt. Die Bevölkerung lehnte sich dagegen auf und die Besatzer zeigten ein zweites Mal militärische Stärke. Im Nachgang kam es durch Moskau und Wünsdorf erneut zu einer Politik der Stabilisierung; sowohl die Souveräni-
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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tätserklärung vom März 1954 als auch das Stationierungsabkommen von 1957 erwuchsen daraus. – Der dritte Einschnitt wurde vom Bau der Mauer 1961 markiert: Anfang der sechziger Jahre schien die Phase der Besetzung abgeschlossen, denn jetzt war die Zeit des Justierens auf unterschiedlichen Ebenen beendet. Von nun an konnten sich Routinen etablieren: Die Mythen waren verfasst, die Verträge geschlossen, Recht und Gesetz kodifiziert und die Regeln kommuniziert. Es begann die Phase der Besatzung, der jahrzehntelangen Einübung gangbarer Kompromissformen. – Der vierte tiefe Einschnitt vollzog sich während der achtziger Jahre: Der Krieg in Afghanistan, der Wechsel von Kriegs- zu Nachkriegsgenerationen sowie Glasnost und Perestroika stellten den eingeübten Umgang miteinander erneut in Frage. Veränderungen und Reformen wurden jetzt zwar von beiden Seiten diskutiert – vor der Implosion der sozialistischen Staaten konnten sie aber nicht mehr umgesetzt werden. Im Folgenden sollen die kollektiven Akteure dieser Zäsuren noch einmal vergegenwärtigt werden. Die Besatzer Die Frontgeneration Der Große Vaterländische Krieg prägte Generationen von Sowjetbürgern, vor allem aber die unmittelbaren Kriegsteilnehmer, die Frontkämpfer wie die Zivilbevölkerung an der Heimatfront.15 Dabei verband diese zunächst nicht nur der Triumph über den errungenen Sieg, sondern auch die gemeinsame Trauer über die enormen Verluste an Menschen, die Trauer über die materiellen Schäden sowie über die physischen und psychischen Folgen der vernichtenden Schlachten. Unmittelbar nach Kriegsende 1945 setzte jedoch ein Prozess ein, der dieses verbindende Gefühl von Triumph und Trauer auseinanderdividierte. Dieser Bruch in der »Generation der Sieger«16 verlief nicht etwa spontan, sondern geplant, kontinuierlich und von Partei und Staat gelenkt. Stalin und seine Genossen wollten eine Re-Partikularisierung dieses Generationenkonglomerats der Kämpfer, schließlich handelte es sich bei den Kriegsheimkehrern um unkontrollierbar gewandelte Menschen. »In den schweren Heimsuchungen des Krieges erwuchs neben dem Gefühl der persönlichen Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes auch eine persönliche Sichtweise davon, wie es, das Vaterland, jetzt werden sollte und vor allem, wie es in Zukunft werden sollte.«17 Dabei spielte nicht allein das Gefühl der persönlichen Verantwortung eine Rolle, sondern auch die neuartigen Informationen, die im Krieg für viele
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
erstmals zugänglich geworden waren. Der Feldzug außerhalb der eigenen Landesgrenzen, die Nahsicht auf den Feind mitsamt seinem Lebensumfeld, das Sowjetbürger bisher nur durch die zensierten Medien zu sehen bekommen hatten, bedeutete für die Soldaten, wie mehrfach beschrieben, ein Schockerlebnis. Das allzeit vermittelte Postulat von der Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus begann an Glaubwürdigkeit einzubüßen; daher bedurfte es zusätzlicher, die eigene Auserwähltheit beglaubigender Argumente. Ein unverrückbares Faktum blieb weiterhin der über Deutschland errungene Sieg, der die Autorität von Partei und Regierung über alle Maßen stützte. Doch verhielt sich der inszenierte wie ehrlich gefühlte Siegesrausch konträr zur neuen Stalinschen Doktrin: In den ersten Nachkriegsmonaten vermochte er die beginnenden Selbstzweifel noch zu übermalen, rückgängig machen konnte er sie nicht. Die ehemaligen Soldaten erzählten vom Wohlstand der deutschen Bevölkerung – und diese Geschichten standen in einem krassen Widerspruch zum sowjetischen Nachkriegsalltag. Das unliebsame Wissen vom Westen stellte für das Regime eine zunehmende Bedrohung dar; es ließ sich jedoch nicht einfach auslöschen, denn es wurde in millionenfachen Varianten von Person zu Person kommuniziert.18 Die Annahme, dass es in Deutschland ausreichend Lebensmittel für alle gab, auch die Vermutung, man selbst leiste den Feinden zusätzlich noch Nahrungsmittelhilfe, brachte die Menschen nicht nur gegen ihre eigene Regierung auf, sondern auch gegen die verhassten Deutschen. Kriegskinder Die sowjetische Nachkriegsgesellschaft war nicht nur deutlich dezimiert worden, sie war überdies eine vorwiegend weibliche sowie infantile Gesellschaft. Die Kinder übernahmen, wie in Deutschland auch, frühzeitig die Rolle fehlender Erwachsener: Sie litten im Krieg an Hunger und Krankheiten, verloren ihre Angehörigen und wurden vielfach ihres Zuhauses, wenn nicht gar, durch Deportationen, ihrer Heimat beraubt. Diese Kriegskinder wurden frühzeitig erwachsen, sie wuchsen in unvollständigen Familien, manchmal sogar außerhalb ihrer Familie auf. Wie ihre Mütter und Väter prägten frühe traumatische Erfahrungen ihr gesamtes späteres Leben; der biographische Bezug zum Krieg blieb für sie existentiell. Etwa vier Millionen Menschen verblieben nach Kriegsende im aktiven Armeedienst; aus dieser Frontgeneration wie aus der Generation der Kriegskinder rekrutierte sich über Jahrzehnte das in der DDR stationierte Besatzungspersonal. Ihre Kriegs- und Nachkriegserfahrungen bestimmten wesentlich den Umgang mit den besiegten Deutschen. Der in Potsdam formulierte Besatzungsauftrag verlieh ihnen weitreichende Befugnisse auch gegenüber der deutschen Bevölkerung. Auf allen Ebenen wurde dieser Handlungsfreiraum fortan ge-
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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nutzt, um Rechte der Militärs über das Kriegsende hinweg zu legalisieren und so auch nach der Souveränitätserklärung von 1954 nutzbar zu machen. Mit Verweis auf den Überfall vom 22. Juni 1941 und das daraus resultierende Sicherheitsbedürfnis schien eine hinlängliche Begründung für die beanspruchte Kontrollmacht gefunden. Das alte Offizierskorps wusste darüber hinaus die praktischen Vorteile für Dienst und Privatleben zu schätzen und bemühte sich, diese auch für die nachfolgende Kriegskindergeneration zu bewahren. Auch diese war einer hohen ideologischen Beeinflussung ausgesetzt gewesen und glaubte wie ihre Väter an den technischen, politischen und kulturellen Fortschritt des Landes. Sie hatten die Entbehrungen des Krieges als Kinder hautnah erlebt, waren von enormem Enthusiasmus und nur von geringem Interesse an materiellen Gütern geprägt. Auch kleinster Komfort las sich für sie als Beweis des angestrebten Vorwärtskommens. Freilich hatten gerade die Kriegskinder den Ende der fünfziger Jahre begonnenen Prozess der Entstalinisierung zu tragen; für einige wirkte diese Erfahrung politisch desillusionierend, was ihren Glauben an die gesellschaftliche Fortentwicklung jedoch nicht beeinträchtigte. Wie lässt sich deren Widerpart, die jeweiligen DDR-deutschen Partner-Generationen beschreiben? Welche Wert- und Wahrnehmungshorizonte, welche Erfahrungs- und Erwartungshorizonte trafen aufeinander? Welche Chancen und Möglichkeiten, welche Risiken und Gefahren barg das Zusammenwirken dieser in besonderer Weise geprägten sowjetischen und ostdeutschen Generationen? Generationen der DDR und die Besatzer Die »misstrauischen Patriarchen« als Formulierer Als Generation der Patriarchen wird eine kleine Gruppe zusammengefasst: Diese kommunistischen Urgroßväter und Großväter gründeten die DDR und beherrschten »ihren« Arbeiter- und Bauernstaat bis zu ihrem Tod oder bis zum Ende der Republik. Die Ältesten von ihnen waren noch in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, die Jüngsten während des Ersten Weltkrieges geboren. Die bestimmende Generationseinheit der politischen Gründerväter legte ein besonderes Verhältnis zur Sowjetunion und zu ihren Repräsentanten an den Tag, das sich aus ihrer politischen Vorgeschichte erklärt. Der Erfahrungshintergrund dieser Generation war ebenso existenziell wie extrem: Kriege, Todesgefahr, Not und Unsicherheit wurden durch die besonderen Erlebnisse des politischen Kampfes und der politischen Verfolgung modifiziert und prägten so zeitlebens die Weltsicht und die Handlungsweise der Angehörigen dieser Generation. Die nach 1945 zu dieser Patriarchen-Gruppe neu Hinzugestoßenen hatten zwar nicht Illegalität, Widerstand, Konzentrationslager, Flucht, Exil und stali-
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
nistische Repression durchgemacht, waren aber durch die allgemeinen traumatischen Erlebnisse der ersten Jahrhunderthälfte an den Wahrnehmungs- und Reaktionsstil des proletarischen Kämpfers psychisch anschlussfähig: mit Härte, Rücksichtslosigkeit und Gefahrenbewusstsein persönliche und politische Herausforderungen zu bewältigen und eben neue gesellschaftliche Zustände zu erzwingen.19 Zu den extremen Erfahrungen existentieller Bedrohung zählte nicht nur der nationalsozialistische Terror, sondern ebenso die Bekanntschaft mit dem stalinistischen Terror, die die Mehrzahl dieser Gruppe im Moskauer Exil machen musste. Die fortgesetzte Diffamierung, Inhaftierung und Exekution der eigenen Parteigenossen prägten die Angehörigen dieser späteren politischen Elite der DDR in erheblichem Ausmaß. Der politische Offizialdiskurs, die Argumentationen ihrer Agitation und Propaganda, waren wesentlich von dieser Generation gestaltet: Unter der Anleitung Moskaus sowie der Besatzer vor Ort gaben sie die politische und rhetorische Richtschnur vor, nach der sich alles und alle auszurichten hatten. Der Mythos der »Befreiung«, das Konzept der Freundschaft, all die gültigen Formeln – waren Formeln, die von dieser Generation übernommen und von dieser Generation durchgesetzt wurden. Sie avancierten zu Hohepriestern des Bruderbundes mit der Sowjetunion. Nicht überraschend war ihre Partei, die SED, in den ersten Jahren als »Russenpartei« verschrieen. Dabei sahen sie sich zwischen zwei politischen Polen: Einerseits wurden sie immer wieder von Moskau gemaßregelt und geschulmeistert, andererseits fühlten sie sich durch den anderen deutschen Staat, durch seine Repräsentanten und seine Prosperität, herausgefordert und in Frage gestellt. Die Sowjetunion galt ihnen zu Recht als Garant »ihres« Staates und als Bürge für ihre sowohl ideologisch wie persönlich motivierten Träume von der großen kommunistischen Zukunft. Ohne die Präsenz der sowjetischen Truppen auf dem Territorium des ersten Arbeiter- und Bauern-Staates auf deutschem Boden wäre dieses Staatswesen dem Untergang geweiht gewesen – das war dieser generationellen Gruppe allerspätestens am 17. Juni 1953 augenfällig geworden, als sie sogar glaubte, sich persönlich in die Obhut der sowjetischen Streitmacht nach Karlshorst flüchten zu müssen. Die Macht dieser Generation war eine von Moskau abgeleitete Macht. Dieser Tatsache trugen ihre Repräsentanten in Partei und Staat stets Rechnung, indem sie den Forderungen »der Freunde« in der Regel willfährig nachkamen. So genehmigte Ministerpräsident Willi Stoph dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte entgegen den Ratschlägen seiner Planungsfachleute noch für das Jahr 1989 eine Aufstockung der finanziellen Mittel, zu einem Zeitpunkt, als das Land politisch und wirtschaftlich bereits Bankrott anmelden musste. Eine solche Vasallen-Treue bedeutete allerdings keineswegs, dass die Führungsriege der DDR ihren misstrauischen Habitus gegenüber den sowjetischen Genossen abgelegt hätte. Im Gegenteil, dass man immer wachsam bleiben
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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musste, bestätigte sich für die Genossen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als die Führungsmacht des sozialistischen Lagers aus ihrer Sicht in Häresie verfiel. Die Patriarchen waren gerade auch in Bezug auf die Besatzungsmacht die Generation der Formeln und Floskeln. Mit den Soldaten vor Ort hatten sie nichts zu tun. Die Generation der Formen, des Verhandelns und des Aushandelns, war eine andere. Die Aufbaugeneration als Formatierer Diejenige Generation der DDR, welche spätestens seit den sechziger Jahren die Nahkontakte zu den sowjetischen Militärs trug und maßgeblich gestaltete, war die Aufbaugeneration. Deren Angehörige errichteten das Fundament jener Beziehungsmuster, die in dieser Arbeit unter dem Rubrum »Kompromissformen« vorgestellt wurden. Seit den sechziger Jahren hatten sie die mittleren Kommandohöhen vor Ort eingenommen, sie stellten die politischen, administrativen und ökonomischen Funktionseliten, die tagtäglich mit den Russen Umgang pflegten, mit ihnen verhandelten, Kompromisse aushandelten – und Tauschgeschäfte in Gang brachten. Zu dieser Generation zählten die Bürgermeister, die LPG-Vorsitzenden, die Betriebs- und Kombinatsdirektoren, all die Parteileute und Funktionäre unterhalb der politischen Entscheidungsebenen. Zu dieser Generation zählte denn auch die Mehrzahl der im Rahmen dieser Arbeit interviewten Zeitzeugen. Nach den Patriarchen gelten sie als die »zweite politische Generation« in der DDR.20 Wie lässt sich deren Denken und Handeln in Bezug auf die Besatzer charakterisieren? Sie sind Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre geboren und im Laufe ihrer primären und sekundären Sozialisation durch die nationalsozialistischen Schulen und Organisationen geprägt worden. Im späteren Kindes- und im Jugendalter kamen ihnen die Anmutungen und Zumutungen der nationalsozialistischen Sozialisationsinstanzen entgegen, sie entsprachen vielfach ihrem kindlichen und jugendlichen Weltverständnis, der Sehnsucht nach Abenteuer, Aufbruch und Gemeinschaft, einer altersgemäßen Faszination an der Technik und auch dem Streben, sich in verantwortlichen Führungspositionen zu bewähren. Ein großer Teil der Aufbaugeneration hatte der Propaganda von »der deutschen Sache« und ihrem letztendlichen Sieg Glauben geschenkt; er hatte überdies gelernt, sich für ein Großes Ganzes unterzuordnen.21 Der Zweite Weltkrieg hinterließ bei allen um 1930 Geborenen einschneidende emotionale Spuren, doch nur die ältesten, die in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre Geborenen, mussten noch als Soldaten an die Front. Die Jüngeren durchliefen die Schule der regimetreuen Kinder- und Jugendorganisationen. Ihre prägenden Schlüsselerlebnisse erfuhren sie 1944/45.22 Mit dem Ende des Krieges mussten sie nicht nur die bittere und verstörende Erfahrung
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
machen, dass der bis dato scheinbar übermächtige und unzerstörbare staatlich-institutionelle Rahmen zusammengebrochen war. Sie fanden sich nicht nur in den Ruinenlandschaften der Nachkriegsstädte wieder, sondern auch in der Trümmerlandschaft ihrer jugendlichen Träume und ihres nationalsozialistisch durchtränkten Weltbildes. In der atomisierten Rationen-Gesellschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit mussten sie überdies Hunger und Not als Folgen des von der Generation ihrer Eltern angezettelten Krieges erleiden und bewältigen. Ihre Mütter waren physisch und psychisch mit der Organisation eines notdürftigen Alltags und Überlebens überlastet. Die Väter, deren Einberufung in den Krieg sie sehr bewusst wahrgenommen hatten, fehlten immer noch, waren tot, vermisst oder in Gefangenschaft. Kamen sie als Heimkehrer zurück, gestaltete sich das Zusammenleben mit den physisch wie psychisch Geschädigten nicht selten problematisch. Aus ihrer Sicht waren die Eltern depotenziert, als Versorger und Ratgeber, als Orientierungshilfen in praktischen, geistigen oder seelischen Fragen konnten viele von ihnen nur mehr wenig leisten. Die Familien der unmittelbaren Nachkriegszeit erwiesen sich als prekär und fragil, sie vermochten den Heranwachsenden kaum Halt in einer haltlosen Zeit zu geben.23 Hinzu kam, dass die Ideologie eines nationalsozialistisch gefärbten Wir-Verständnisses 1945 wegbrach; im Gegensatz zu den Älteren konnte gerade diese Generation in der existentiellen Herausforderung der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht auf ein vornazistisches Set von Werten und Normen zurückgreifen. So waren sie wie keine andere Generation eine Generation der Losigkeit, die sich »vaterlos, sprachlos und geschichtslos«24, ebenso orientierungslos wie hoffnungslos einen Weg suchen und bahnen musste. 1949, als die beiden deutschen Staaten gegründet wurden, standen sie etwa im zwanzigsten Lebensjahr. In den folgenden Jahren sah sich der in Ostdeutschland aufgewachsene Teil dieser Generation vor eine grundlegende Entscheidung gestellt: Im Osten, in der Deutschen Demokratischen Republik, zu bleiben und dort den Sozialismus mit aufzubauen – oder in den Westen, in die Bundesrepublik, zu gehen und dort ein eher privates Glück im Kapitalismus zu suchen. Denjenigen, die sich entschieden, in der DDR zu bleiben und sich dort zu engagieren, versprachen die »Patriarchen« Bildung und sozialen Aufstieg – freilich nur unter der Voraussetzung, dass sie sich aktiv zum Projekt des Sozialismus bekannten. Das wiederum bedeutete, dass es zuvörderst die Angehörigen dieser Generation waren, die ihre Freund- und Feindbilder auswechseln mussten.25 Das Wechselspiel zwischen den Freund- und Feindbildern bei der Aufbaugeneration erweist sich insbesondere deshalb als spektakulär, weil sie, anders als die nachfolgenden Generationen, eine eklatante ideologische Grenzüberschreitung, einen spezifischen Wandlungsprozess zu vollziehen hatte. Die ehemals bewunderten Führer avancierten nun zu Feinden des
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Kompromissformeln und Kompromissformen
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Sozialismus (und damit auch zu persönlichen Feinden), die früheren Gegner, die von der nationalsozialistischen Propaganda aufgebauten sowjetischen »Untermenschen«, wandelten sich indes zu Freunden oder gar zu Helden der eigenen Sache. Die Angehörigen der Aufbaugeneration hatten somit einen gewaltigen Spagat zu bewältigen, um im Gedanken- und Gefühlskosmos des Arbeiter-und-Bauern-Staates in statu nascendi anzukommen. Eine der Voraussetzungen für diesen doppelten Umwidmungsprozess: vom Feind zum Freund und vom Freund zum Feind war bereits durch ihre Erfahrungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit grundgelegt worden. Die Schlüsselzeit der Aufbaugeneration lieferte auch den Schlüssel, um ihr späteres Verhältnis zur Sowjetunion und zu den sowjetischen Soldaten zu fassen. Es war das Verhalten der sowjetischen Besatzungssoldaten, das die Kriegskinder und Nachkriegs-Jugendlichen in Staunen versetzte. Die sowjetischen Sieger hielten nicht strahlend Einzug, sondern zeigten sich vom Krieg erschöpft. Die Besiegten verbarrikadierten sich, kauerten im Innern der Häuser und warteten in peinigender Ungewissheit darauf, dass etwas »passierte«. Die darauf folgende ungleiche Behandlung lässt die Vermutung zu, dass die Jüngeren eher bereit waren, sich als »Befreite« zu begreifen, und dass die Älteren sich eher als Besiegte sahen. Anders als gegenüber der erwachsenen Bevölkerung, von der die Frontsoldaten die Herausgabe von Wertsachen forderten, beschenkten armselig gekleidete Rotarmisten die Kinder zumeist. Die Erwachsenen mussten mit Verhaftung, Vergewaltigung und sogar mit Erschießung rechnen – den Heranwachsenden aber wurde gestattetet, auf die Panzer zu klettern und die Pferde zu versorgen.26 Anders als ihre Elterngeneration durften die Kinder und Jugendlichen im Chaos der Losigkeiten auch eine persönliche »Befreiung« verspüren: Die bohrende Angst der Bombennächte war endlich vorbei, die Ruinen eröffneten sogar Freiräume für Abenteuer, lastete doch der autoritäre Blick der Älteren in den Nachkriegswirren weniger streng auf dem Nachwuchs. Die heranwachsende Generation spürte, dass sie den Krieg hinter sich gebracht und ihr Leben noch vor sich hatte. Manche saßen jetzt bei den Russen am Lagerfeuer, näherten sich neugierig an, machten jedenfalls insgesamt gute Erfahrungen. Freilich hielt diese Nähe der sowjetischen Soldaten ihre Erinnerung an deutsche Verbrechen stets wach, auch deren grober Umgang mit den Erwachsenen bezeugte dies immer wieder: Die zahllosen Klagen über Plünderungen, über sexuelle Übergriffe und über Morde ließen sich auch in den Augen und Ohren der Jungen als eine Antwort auf die deutschen Verbrechen im fremden Land entziffern.27 Die Freundlichkeit der Rotarmisten ihnen gegenüber erschien zunächst unverständlich, vielleicht unannehmbar. Diese unverhofften Zuwendungen konnten aus ihrer Perspektive nur ein Vorschuss auf die Zukunft sein, eine erste freiwillige Gabe, die man durch künftige eigene Loyalität zurückzuschenken hatte. Ins-
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
besondere diese ersten Kontakte zu den Besatzern gebaren ein grundlegendes Erfahrungsmuster dieser ostdeutschen Generation: Leben heißt Geben und Nehmen, das Überleben macht Kompromisse erforderlich. Viele der Jungen begannen, sich in der Pflicht für den Aufbau eines neuen Deutschland zu sehen. Die Rechnung, die bei den leiderfahrenen sowjetischen Soldaten und deren Familien noch offen stand, sollte dereinst von ihnen selbst, stellvertretend für die schuldbeladenen Eltern, beglichen werden. Diese hatten schreckliche Verbrechen begangen, weshalb ihnen nun auch eine gerechte Strafe widerfuhr – in diesem Sinne beobachteten und verfolgten gerade diese Jahrgänge den Nürnberger Prozess sehr genau. Diejenigen, die sich später für den Weg des Aufbaus des Sozialismus entschieden, nahmen sich in die Verantwortung, die Schuld der Eltern mit rechtschaffenen Worten und Taten zu sühnen – so ihnen die Sieger die Möglichkeiten dazu einräumen würden. Es war also gerade diese Generation der nach 1930 Geborenen, die bereits früh ein Gefühl von Befreiung verspürte – das wiederum eine Affinität zum politischen Mythos der »Befreiung« und zum Konzept der deutsch-sowjetischen Freundschaft disponierte. Der politisch-moralische Imperativ, sich auf die Seite des Sozialismus und der Sowjetunion zu schlagen, war für diese Generation leichter zu bewerkstelligen, als der komplementäre Imperativ, damit einhergehend Westdeutschland als feindliches Territorium zu betrachten. Für die jungen Leute der Aufbaugeneration stellte die Akzeptanz des zweiten Teiles des Umwidmungsanspruches eine größere emotionale Herausforderung dar. Hier baute sich eine Reaktanz auf, die sich aus der Erfahrungsgeschichte dieser Generation erklären lässt. Diese Generation kannte ja noch das eine, gemeinsame Deutschland. Die von den kommunistischen Machthabern nach 1945 eingeforderte Distanzierung vom anderen Deutschland widersprach ganz und gar ihren Sozialisationserfahrungen. Der Referenzhorizont ihres Denkens und Fühlens war wie selbstverständlich das ganze Deutschland. Insofern war der vermeintlich feindliche Westen stets eine veritable Alternative, eine präsente persönliche Option gerade für diese Generation. Daher bewahrten sich viele eine innere kritische Distanz zu demjenigen Teil des neu formulierten bipolaren Modells, das gerade die Bundesrepublik zur Zentrale des Feindes stempelte. Die Ambivalenzen ihrer Biographien ließen viele Angehörige dieser Generation überzeugt beim Projekt des Sozialismus mitmachen und aktiv mit den Repräsentanten der Sowjetunion vor Ort zusammenarbeiten. Zugleich schreckten sie aber auch vor einer unumwundenen Akzeptanz aller Bestandteile der sozialistischen Meistererzählung zurück. Die Besonderheit ihrer Biographien lassen sich folgerichtig auch an der selektiven Nutzung des neuen Freund-Feind-Schemas ablesen. Sie entzogen sich einer vollständigen ideologischen Inbeschlagnahme, indem sie sich zu handfesten Pragmatikern des Alltags entwickelten. Nachdem sie in den sechziger Jahren ihre mittleren Macht-
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positionen eingenommen hatten, begegneten sie ihren sowjetischen Partnern ebenso pragmatisch wie wohlwollend.
Der Bruch der Generationen Es waren also die Patriarchen der DDR, welche die Politik der Freundschaft vorgaben, und die Aufbauleute, welche die Begegnungen vor Ort gestalteten. Ihnen gegenüber standen Repräsentanten der sowjetischen Kriegsgenerationen. Sie alle hatten eines gemein: Die traumatischen Erfahrungen des Krieges – und die damit verknüpften Konstrukte und Konnotationen von Sieg und Niederlage, von Schuld, Sühne und Wiedergutmachung. Das an die Aufbaugeneration weitergegebene Trauma drängte nach einer Lösung. Aufgrund dieser psychosozialen Grundkonstellation kam es jahrzehntelang dazu, dass die Sowjets in der Rolle der Besatzer auftreten konnten und dass ihnen weiterhin seitens der DDR-Deutschen der Habitus der Besatzer zuerkannt wurde. Während der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre interagierten in der Hauptsache diese Kriegs-Generationen nach dem Muster eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Generationenwechsel Die Situation änderte sich erst Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als bei den sowjetischen Streitkräften die verdienten Frontkämpfer ihre Posten nach und nach einer jungen Generation von Offizieren räumten. Diese Enkelgeneration nahm die Welt aus einer ganz anderen Perspektive wahr als ihre Vorgänger. Vor allem das Gefühl, vom Westen bedroht zu sein, fehlte ihr fast vollständig. Für die militärische Führung der Streitkräfte hatte dies weitreichende Folgen: Immer weniger Führungskader zeigten sich bereit, ihre individuellen Ziele zugunsten nationaler Interessen hintanzustellen – und gerieten so (aus der Sicht der Militärführung) zu unliebsamen Vorbildern für ihre Untergebenen:28 »Das Schlimmste der gegenwärtigen Entwicklung ist der zerstörerische Charakter von Oberflächlichkeit und kultureller Überfremdung. Wir verlieren nach und nach alle geistigen Werte, die unsere Vergangenheit und vor allem den Großen Vaterländischen Krieg beherrscht haben.«29 Spätestens Anfang der achtziger Jahre kündigte sich mit der generationellen Wachablösung eine Ablösung der Werte an, zwischen den Generationen öffnete sich ein unüberbrückbarer moralischer Graben. Die abtretende Kriegsgarde hielt sich an den letzten Resten der eigenen Erziehung fest, während ihre kritisch eingestellten Enkel Systemmängel rigoros enthüllten. Überdies desavouierte der Afghanistan-Krieg die bis dato gültigen, Generationen verbindenden Werte einer Verteidigung der sozialistischen Heimat einmal mehr. Die Zweifel an einer militärisch gestützten Politik der sowjetischen
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
Großmacht stellten die Berechtigung der sowjetischen Armee insgesamt in Frage, die in der öffentlichen Wahrnehmung stärker als jede andere Institution für den ungerechten und unmenschlichen Krieg verantwortlich gemacht wurde. So klagte der letzte Oberkommandierende der 40. Armee in Afghanistan, Boris Gromov: Daß das Prestige der Armee heute gefallen ist, ist nicht einfach ein Unglück. Darin sehe ich eine Tragödie unserer Gesellschaft, deren Tragweite wir überhaupt noch nicht erfaßt haben. Das Schrecklichste daran ist, daß jahrhundertealte nationale Traditionen besonders in Rußland zerstört werden, wo der Dienst für das Vaterland in den Reihen seiner bewaffneten Verteidiger immer als eine heilige Angelegenheit verstanden wurde.30
Nicht einmal für den Generalobersten, einen ausgezeichneten Helden der Sowjetunion, ging es noch darum, das sozialistische Vaterland zu verteidigen – vielmehr sprach er vom Schutz des russischen Nationalstaates. Für eine internationalistisch verstandene Sowjetunion zu kämpfen, schien in den achtziger Jahren nur noch für wenige Loyale eine ehrlich gemeinte Pflicht zu sein. Diese neue, unpolitisch-pragmatische Offiziersgeneration strebte nichtsdestotrotz danach, die Besatzerprivilegien ihrer Vorgänger weiterhin abzufordern und für sich zu nutzen. Dabei blieb die ideologische Untermauerung ihrer Anspruchshaltung auf der Oberfläche dieselbe: Auch die Enkelgeneration beanspruchte Teilhabe am Ruhm der Altvorderen. Den Veteranen wie auch deren Söhnen und Enkeln gebühre höchste Anerkennung für ihre historische Befreiungstat. Die reklamierten Gratifikationen jedoch beanspruchten sie offensichtlich nicht mehr für die gute Sache, für die Zukunft des Sozialismus, sondern ganz banal für sich selbst und für ihre Familien. In der DDR waren zwar weitere Generationen nachgewachsen, in den frühen achtziger Jahren rückten diese jedoch noch nicht zu Gesprächs- und Verhandlungspartnern der sowjetischen Militärinstanzen auf. Dort gaben vielmehr weiterhin die Repräsentanten der Aufbaugeneration in ihren mittleren Chefposten den Ton an. Mit der jungen Offiziersgarde aus den Militärakademien der Sowjetunion fanden sie keine gemeinsame Sprache. Es gab weder eine historische noch eine emotionale Begründung für die Aufbauleute, die tendenziell hedonistischen Ansprüche der im Kern entideologisierten Offiziere zu erfüllen. Seit Anfang der achtziger Jahre kam es zu einer schleichenden Erosion der seit Jahrzehnten auf Kompromissformeln und -formen basierenden Übereinkünfte. Die generationengeschichtliche Analyse zeigt, dass die Beziehung zwischen »Besatzern« und »Besetzten« vor Ort bereits einen anderen Aggregatzustand angenommen hatte, bevor Glasnost und Perestroika in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die »Patriarchen« in Ost-Berlin aufschreckten.
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Der Schlussakkord: Die »zweite Befreiung«
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Der Schlussakkord: Die »zweite Befreiung« Im vierzigsten Jahr nach der »Befreiung« brach das so lange einjustierte Bündnis von »Befreiern« und »Befreiten« endgültig entzwei. Als Michail Gorbatschow an die Macht kam, war die kleine Schwester DDR politisch gescheitert und wirtschaftlich bankrott. Der neue sowjetische Generalsekretär ließ die ostdeutsche Bevölkerung aufhorchen. Mit dem XXVII. Parteitag der KPdSU im Februar 1986 waren plötzlich neue Töne zu vernehmen: Schonungslos sprach man von Verkrustungen des Parteiapparates, von der Selbstherrlichkeit des Politapparates, von Korruption quer durch alle gesellschaftlichen Ebenen. Waren es nicht gerade solche Missstände, die auch das Leben im vierten Jahrzehnt der DDR unerträglich machten? Immer mehr Ostdeutsche blickten gespannt und hoffnungsvoll nach Moskau. Sowjetische Presseerzeugnisse stiegen vom Ladenhüter zur Bückware auf, sowjetische Kulturhäuser fanden bisher unbekannten Zulauf, Filme, Theaterstücke und Bücher aus dem Bruderland wurden mit großem Interesse rezipiert. Gorbatschows Reformideen waren in aller Munde. Der Generalsekretär selbst wie die erstaunlich wagemutige Sowjetunion wurden in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu Hoffnungsträgern einer zweiten Befreiung, der Befreiung vom erstarrten Sozialismus der »misstrauischen Patriarchen«. Zunächst noch abwartend, begannen die DDRBürger spätestens mit dem Januar-Plenum des ZK der KPdSU 1987, das Perestroika und Glasnost als politische und soziale Imperative verkündete, auf Moskau zu setzen. Vom sowjetischen »Bruder« erwartete man nun ehrlichen Herzens einen Impuls, eine »Befreiung« aus der so sehr empfundenen Stagnation.31 Im selben Licht wurden auch die sowjetischen Streitkräfte in der DDR als Hoffnungsträger gesehen: An Siegesdenkmälern prangten nun Losungen wie: »Perestroika« und »Befreit uns noch mal«.32 Die DDR-Oberen aber verweigerten diesen neuen Kurs mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln: Die bisherige, unantastbare Parole »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!« hatte ausgedient, und damit auch die Meistererzählung von der »Befreiung« und dem Siegeszug von 1945. Die Patriarchen eröffneten nun eine Schlacht an gleich mehreren Fronten: – Nun sollten die als neue »Befreier« von der Bevölkerung umworbenen Soldaten stärker reglementiert werden. Die ebenfalls 1987 eingesetzte KeßlerKommission nahm Kompromissformeln und -formen auf Anweisung von Erich Honecker akribisch unter die Lupe. Zwar stellte sie am Ende die bewährten Usancen nicht gänzlich in Frage, bedeutete jedoch per se mehr als ein Fingerzeig in Richtung Moskau. – An der ideologischen Front kam es zu Bestandsaufnahmen mit spürbaren Folgen. Mit Glasnost setzte auch eine umfassende kritische Aufarbeitung der Geschichte ein, ein Meinungspluralismus, der seine Akteure, wie die
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
SED-Spitze kritisierte, »klassenindifferent« an die Interpretation der jüngsten Vergangenheit herangehen ließ. Bereits im Frühsommer 1987 begann die Parteiführung der SED, neueste historische Veröffentlichungen des Bruderlandes kritisch unter die Lupe zu nehmen. Im Mai erhielt die ZK-Abteilung für Internationale Verbindungen den Auftrag, den sowjetischen Literaturmarkt präzise zu beobachten und Vorschläge zu unterbreiten, wie man mit unerwünschten Publikationen künftig umgehen könne.33 Vor allem die Aufarbeitung der Rolle Lenins und Stalins sowie der Komintern veranlasste die Parteiführung zu ärgerlichen Beschwerden im Kreml. Im Januar 1987 drohte Kurt Hager mit der Einführung einer strikten Zensur auch für die »Freunde«: »[…] wir werden auch bestimmte Werke, die gegenwärtig in der Sowjetunion veröffentlicht werden, Filme, die neu in die Kinos kommen, Bücher, die neu erscheinen, Theaterstücke, die neu aufgeführt werden, keineswegs alle übernehmen. Wir werden sorgfältig auswählen, was der Entwicklung des Bewusstseins, der Stärkung des Sozialismus in unserem Land nützt«.34 Spätestens ab März 1988 beschnitt man kritische Wortäußerungen über den Stalinismus, die Komintern und die Krise des marxistischleninistischen Systems. Im Herbst wurden der sowjetische Digest Sputnik und fünf sowjetische Glasnost-Filme verboten, zudem verschwanden reformorientierte sowjetische Zeitungen aus den Kiosken.35 Anders als ihre große Schwesterpartei lehnte die SED öffentliche Diskurse über die Aufarbeitung der deutsch-sowjetischen Geschichte ab, neben Verhinderungsstrategien setzte sie auf Polemik. Weder wollte sie Enthüllungen über die kommunistische Mitverantwortung bei der Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung und damit am Aufstieg Adolf Hitlers zulassen, noch über die Rolle der Komintern nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 öffentlich diskutieren. Beides hätte den antifaschistischen Gründungsmythos des Arbeiter- und Bauern-Staates zutiefst in Frage gestellt – und mit ihm die Rolle der Sowjetunion (mitsamt der kommunistischen deutschen Widerstandskämpfer) als »Befreier« Deutschlands in unziemliche Zweifel gezogen. Tatsächlich enttäuschte die hoffnungsvoll beobachtete Westgruppe die Bevölkerung der DDR im Herbst 1989 nicht. Anfang Oktober stellte Gorbatschow bei seinem Geburtstags-Besuch unmissverständlich klar, dass anders als 1953 sowjetische Panzer zur Lösung politischer Konflikte nicht mehr auffahren und sowjetische Truppen nicht mehr aufmarschieren würden.36 Die Befreier von 1945 trugen so in praxi ihren Teil zur »Befreiung« von 1989 bei.
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Besatzungs-Bilanzen
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Besatzungs-Bilanzen Die von den Kriegs- und Nachkriegs-Generationen austarierten Kompromisse der Besatzung waren ungleich gewichtet: Hier verhandelten keineswegs Partner auf Augenhöhe, sondern stets Besatzer und Besetzte – bis zum Ende der DDR. Diesen Kompromissformen lag eine asymmetrische und dennoch komplementäre Beziehung zugrunde, so dass auch deren fortdauernde Lasten ungleich verteilt waren. Die Grenzlinien dieser Kompromisse verliefen daher weit im physischen Territorium wie im (sozial-)psychischen Terrain der Ostdeutschen. Der Begriff »Kompromiss« hat gleichwohl insofern seine Berechtigung, als das Zusammenleben und das Zusammenwirken auf demselben Grund und Boden und in denselben Handlungsfeldern ein gewisses Aufeinanderzugehen und ein gewisses Ausbalancieren auf beiden Seiten unverzichtbar machten. Die beinahe fünf Jahrzehnte andauernde Besatzung lässt sich somit als ein beständiges Oszillieren zwischen Ferne und Nähe, zwischen Annäherung und Distanzierung beschreiben. Nach Kriegsende hatten die fremden Feinde begonnen, physisch und psychisch Kontakt miteinander aufzunehmen. Jede dieser Begegnungen brachte die gefürchteten Besatzer und die verachtete Bevölkerung nicht nur näher, sie barg immer auch die Gefahr der Anomie – des Verlustes tradierter kultureller Ordnungen und Normen. Die eigenen Wertestrukturen und die eigenen Handlungen schienen nicht mehr die einzig denkbaren Formen des Daseins zu sein. Mit der Feststellung dosierter kultureller Annäherung und mit der schleichenden Auflösung vormaliger, scharfer Grenzziehungen kam es jedoch sowohl bei den Besatzern als auch innerhalb der Bevölkerung zu neuen Trennungsbegehren, ein Ergebnis unerwünschter und unregierbarer Überschreitungen von Demarkationslinien. In diesen Zusammenhang gehörten nicht nur die seitens der hohen Militärbefehlshaber aus nachvollziehbaren Gründen verordneten Fraternisierungsverbote. Deren Anliegen waren vordergründig Geheimnisschutz sowie die dringend gebotene Disziplinierung der eigenen Truppen. Auch einfache deutsche Bürger sowie mittlere sowjetische Chargen waren trotz oberflächlicher Beteuerungen der Freundschaft immer wieder bemüht, das Eigene von den Anderen abzugrenzen, die Anderen scheinbar unvermittelt zurückzuweisen, überdimensioniert Kontrollmacht zu demonstrieren und auch auszuüben, sich womöglich abrupt abzuwenden. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Das in der sozialpsychologischen Forschung als »Akkordeonphänomen«37 bezeichnete, scheinbar unvermittelte Reagieren auf vermutete oder tatsächliche, unwillkommene Annäherungen beschreibt ein unbewusstes Bemühen, mit tief liegenden aggressiven Gefühlen umzugehen. Es beschreibt ein Vor und Zurück, einen Ziehharmonika-Effekt von Annäherung und Distanzierung. Es ist zu vermuten, dass jede Annähe-
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
rung der einstigen Feinde auch die Erinnerung an historische Verletzungen, Ängste und die Verpflichtung gegenüber der eigenen Herkunftsgruppe aufrufen konnte. Mit den einstigen Feinden auf engstem Territorium zu leben, Kompromissformeln und -formen zu praktizieren, schien immer wieder zu einer für beide Seiten notwendigen, alten wie neuen Regeln unterworfenen Distanzierung zu führen. Die ursprünglichen Aggressionen zu unterdrücken und sich stattdessen einem illusorischen Gefühl von Freundschaft oder gar Brüderlichkeit hinzugeben, konnte dann auf einer tieferen Bewusstseinsebene zu Reaktionsbildungen führen. Sowohl die Besatzer als auch die Besetzten näherten sich einander bewusst wie unbewusst an, solches Aneinandergewöhnen aber stand nicht selten im Widerspruch zu verborgenen Ressentiments. Ließ sich die eingestellte »Harmonie« nicht mehr ertragen, konnte es zu einer erneuten Abgrenzung kommen. Das Auseinanderziehen und Zusammendrücken des »Akkordeons«, die psychische Notwendigkeit eines ständigen Wechsels von Nähe und Distanz, schwächte sich freilich in dem Maße ab, in welchem sich das Bedürfnis nach Reaktionen verringerte. Mit der Zeit eröffnete sich eine größere Freiheit, Aggressivität und guten Willen in tragfähigen Kompromissformen zu leben.
Was bleibt? Die Traumata der Sieger und der Besiegten, mehr noch: deren chiastische Beziehung begründeten eine schwerwiegende Erbschaft aufeinanderfolgender Generationen38 und es bleibt zu fragen, welche Wandlungen diese aufgebürdeten Lasten in der jahrzehntelangen tagtäglichen Konfrontation mit den Anderen erfuhren. Welche Folgen zeitigte der Umstand, dass die ebenso wie die Westdeutschen von Krieg und Niederlage traumatisierten Ostdeutschen ein halbes Jahrhundert lang Seite an Seite mit einer der größten Opfergruppen hatten leben müssen? Wie haben sich die »inneren Bilder« voneinander in diesem Neben- und Miteinander à la longue verschoben? Wurden sie nur von pragmatischen, lebbaren Deckerzählungen überschichtet – oder rieben sich alte und neue Sichten aneinander: mit dem Erfolg eines geläuterten Denkens voneinander? Tatsächlich können über diese fundamentalen Fragen am Ende dieser geschichtswissenschaftlichen Untersuchung nur Vermutungen angestellt werden. Zu keinem Zeitpunkt dokumentierten die Machthaber in Moskau und Ost-Berlin die wirklichen Gedanken und Gefühle der einander fremden Freunde. Von den wenigen vor dem Ende der DDR angestellten Oral History-Projekten stellte nur ein einziges die Frage nach dem »Russenbild« der Ostdeutschen. In den achtziger Jahren erhob eine westdeutsche Forschergruppe um den Historiker Lutz Niethammer im Ruhrgebiet und in Industriestädten der DDR lebensgeschichtliche Erinnerungen. Dabei fand sie Folgendes heraus:
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Besatzungs-Bilanzen
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Während die Wahrnehmungsstereotypen vom »Russen« in den Erinnerungen der Westdeutschen auf Erfahrungen an der Front oder in der Kriegsgefangenschaft basierten und überwiegend erstarrt waren, erzählten Ostdeutsche zwar ähnliche Episoden, doch interpretierten sie diese anders. Entsprechende Erinnerungsszenen dienten hier vielmehr als »Beleg einer Ersterfahrung der Menschlichkeit des russischen Volkes beziehungsweise der Freunde«.39 Ähnlich different formulierten sie auch ihre Erfahrungen der Besetzung und der Besatzung durch die Rote Armee: Auch hier glichen sich die Berichte an der Oberfläche; Ostdeutsche jedoch erinnerten sich an ganz widersprüchliche Begebenheiten und versuchten, diese in höhere Argumentationsstrukturen einzubinden, welche die Russen teilweise sogar entlasteten. Diese Befunde lassen sich mit Untersuchungen des Leipziger Institutes für Jugendforschung – »Parlamentsstudie 80« – in Einklang bringen.40 Die damaligen Befragungen junger Ostdeutscher kamen zu dem Schluss, dass die Befreiungstat der Roten Armee von diesen durchaus anerkannt wurde. Der Tenor der Botschaft war in beiden Studien der gleiche: Die Sowjetunion habe im vergangenen Krieg große Opfer gebracht, dafür verdiene sie Anerkennung. Über persönliche Begegnungen und über den Einfluss der russischen Literatur, so Niethammer, habe sich ein vielschichtiges Bild entwickelt. »Viele in der DDR« hätten »von einem Umlernen über die Russen« berichtet.41 Im Oktober 1990 initiierte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine repräsentative Studie »zu Ursachen, Umfang und Auswirkungen von Ausländerfeindlichkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sowie zu den Möglichkeiten ihrer Überwindung«. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden umfangreiche Erhebungen bei der ostdeutschen Bevölkerung durchgeführt, deren Ergebnisse überraschen. »Im Zusammenhang mit dem Thema ›Gegen wen richtet sich Ausländerfeindlichkeit?‹ haben wir im Rahmen unserer Interviews auch einige Fragen von besonderer Bedeutung angesprochen, nämlich die Einstellungen zu den in der ehemaligen DDR stationierten sowjetischen Soldaten […]. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den man in den letzten Monaten aus der Berichterstattung der Medien gewinnen konnte, richtet sich die Meinung der in der ehemaligen DDR lebenden Bürger kaum unmittelbar gegen die dort stationierten Soldaten: nur eine kleine Minderheit von kaum sechs Prozent unserer Befragten fühlte sich persönlich durch die Soldaten beziehungsweise deren Angehörige gestört. Bei der offenen Nachfrage, durch was man sich denn gestört fühle, erhielten wir allerdings Nennungen, die bei einem Teil dieser kleinen Gruppe mehr als eine deutliche Abneigung erkennen lässt: der Fluglärm, Militärfahrzeuge, Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, Lärmbelästigung durch Trinken und Familienkrach, Vernachlässigung des Wohnraums, Frechheit der Weiber, Geruch der sowjetischen Menschen, Arroganz, Faulheit, gehen nicht arbeiten, standen aber finanziell besser da, haben sich insgesamt zuviel rausgenommen, Hamsterei, kaufen alles weg, aber einfache Soldaten sind arme Schweine, stellen sich in der Kaufhalle nicht an, Schiebereien, Einbruchsdiebstähle, Berichte über Kriminalität der Russen, bringen Angst mit sich.«42
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Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze
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Was erstaunt, sind nicht die aufgeführten Störfaktoren, sondern die Umfragewerte für sich genommen. Im Jahr 1990 gaben 94,1 von Hundert der ostdeutschen Befragten an, dass sie sich in ihrem Alltag durch die Anwesenheit von sowjetischen Soldaten beziehungsweise von deren Familien nicht gestört fühlen würden. Dass es sich hierbei keineswegs um eine vom Mainstream abweichende Erhebung handelte, bestätigte eine im Jahr 1994 vom Allensbacher Institut für Demoskopie durchgeführte Untersuchung: Eine Frage zu den Truppen der Sowjetarmee, die hier nach dem Krieg bis heute stationiert waren. Wie haben Sie diese Truppen bislang empfunden, wie haben Sie die gesehen, eher als Freunde oder Verbündete oder eher als Besatzungsmacht? Tab. 10: Auf diese Frage antworteten Eher als Freunde
32 Prozent
Eher als Besatzungsmacht
42 Prozent
Unentschieden
26 Prozent43
Bemerkenswert erscheint bei diesen Werten, dass knapp ein Drittel der Befragten die stationierten Truppen sogar »als Freunde« betrachtete. Mehr als die Hälfte der Respondenten konnte sich nicht dazu verstehen, ihnen die Kennzeichnung »Besatzer« zu geben. Dezidiert machen dies nur 42 von Hundert – was freilich keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Konnotationen zulässt, die mit der Kategorisierung »Besatzungsmacht« im Jahr 1994 verknüpft wurden. Laut modernem völkerrechtlichen Verständnis von Besatzung, wie es in der Haager Landkriegsordnung von 1907 erstmals verbindlich festgelegt wurde, handelt es sich dabei um eine zeitlich begrenzte (Militär-)Herrschaft mit eingeschränkten Souveränitätsrechten.44 Dieser Lesart zufolge blieben die sowjetischen Streitkräfte bis zu ihrem Abzug faktisch Besatzungstruppen – auch wenn sie im Jahr 1955 formal den Status von Stationierungstruppen annahmen. Mit dem Verweis auf seine Verteidigungspflichten im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation behielt sich Moskau bis zum Ende der DDR die letzte Entscheidungsgewalt vor. Dieser politische und militärische Hegemonialanspruch sowie die fortbestehenden Besatzungsmentalitäten lassen es angemessen erscheinen, von einer Besatzungsgeschichte der Jahre von 1945 bis 1994 zu schreiben – wenngleich eine Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung offenbar post festum eine andere Zuschreibung bevorzugte. Zieht man die von dem Verhaltenswissenschaftler Werner Kroeber-Riel entwickelte Theorie der »inneren Bilder« heran, um den Wandel der Disposition der Ostdeutschen gegenüber den Russen zu erklären, so erscheint es an dieser Stelle sinnvoll, noch einmal auf zwei grundlegende Gegebenheiten hinzuweisen. Solche inneren Bildbestände, auch »Gedächtnisbilder« genannt, werden
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Besatzungs-Bilanzen
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zwar als vergleichsweise beständig modelliert, sie unterliegen jedoch gleichwohl einem gewissen Wandlungsgeschehen. Im Gegensatz zu den Westdeutschen verfügten die Ostdeutschen – metaphorisch gesprochen – über Hautkontakt zu den sowjetischen Soldaten: Allein die territoriale Nähe, die räumliche Erfahrung des Anderen, führte mit der Zeit zu neuen äußeren Schlüsselreizen und in der Folge zur Aufschichtung dieser Bilder. Die Russen wurden seit 1945 nicht mehr solo wahrgenommen, sondern nolens volens im Verbund mit DDR-Bürgern. Das Wahrnehmungsschema änderte sich. Die Ostdeutschen rezipierten die Russen nunmehr komplementär zur eigenen Gruppe. – Und diese Paarbeziehung von Besatzern und Besetzten wurde nicht neutral verarbeitet, sondern emotional aufgeladen. Gerade diese Emotionalität aber führte mit der Zeit zur Akzeptanz neuer Attribute und damit zur Überschichtung tradierter Bildbestände. Mit diesen ein halbes Jahrhundert laufenden Umwidmungsprozessen wurden die hergebrachten Denk- und Fühlweisen nicht aufgelöst, sondern mit neuen Additiven verschmolzen. Keinesfalls gelang es den Angehörigen der beiden Völker, eine vermeintlich gewünschte tiefe Freundschaft zueinander zu schließen. Obgleich es viele Personen gab, die miteinander persönliche Beziehungen pflegten. Bei den Interviews mit Zeitzeugen fiel Folgendes besonders auf: Für viele Russen stellt der Aufenthalt in Deutschland ein einschneidendes Erlebnis in ihrem Leben dar. Vor allem diejenigen, die längere Zeit in Deutschland gedient hatten, erinnern sich nach eigenen Aussagen sehr oft an diese Zeit zurück. Man erzählt den Kindern und Kindeskindern davon, und bei den Trinkgelagen der Veteranen spielen die »alten Zeiten in Germanija« immer wieder eine Rolle. Auch viele Ostdeutsche empfinden das Russische und die Russen als einen Bestandteil ihrer Vergangenheit. – Nicht als uneingeschränkt positiven Part, aber dennoch als einen nicht weg zu denkenden Teil ihrer eigenen Geschichte. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass heute, mehr als zehn Jahre nach dem Abzug der Streitkräfte, in Ostdeutschland kyrillisch beschriebene Blätter die Runde machen, auf denen zu lesen ist: »Wer das nicht lesen kann, ist ein dummer Wessi«? Verdrängt scheint da die Tatsache, dass die Mehrzahl der DDRBürger auch nach jahrelangem Studium der russischen Sprache nicht in der Lage war, auch nur einfache Gespräche mit »den Freunden« zu führen.45 Es scheint, als gäbe es subintentional ein gemeinsames Verständnis von Zusammenhängen für bestimmte Dinge: Ostdeutsche wie Sowjetbürger hatten sehr ähnliche Erfahrungen im selben Gesellschaftssystem gemacht. Mehr noch: Man wusste und weiß bis heute von diesen gleichartigen Alltagspraktiken und Alltagsproblemen. Dieses geteilte Gemeinsame nahm besonders in Bezug auf die Härten des Alltags nach der »Wende« von 1989 deutliche Konturen an. Es scheint so, als würden die fremden Freunde, die die Russen – nicht zuletzt aufgrund der wechselseitigen Grenzbestimmungen – immer geblieben waren, zuweilen zu Stützen eines neuen ostdeutschen Wir-Gefühls avancieren.
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Anmerkungen
1. Der Abzug 1 Vgl. Thüringer Allgemeine, 25.2.1991. 2 MdI Thüringen, Ref. WGT, 54-2347.46-002/92, unfol. Vermerk des Befehlshabers im Wehrbereich VII, Generalmajor Richter (19.8.1992). 3 SHStAD, Sächsische Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/36, unfol. Verabschiedungsfeierlichkeiten vom 18. August 1992. 4 Vgl. ebd. 5 Vgl. ebd. 6 Thüringer Landeszeitung, 4.5.1994. 7 Ostthüringer Zeitung, 6.5.1994. 8 Beteiligt waren Gerd Schuchardt (Thüringen), Reinhard Höppner (Sachsen-Anhalt), KarlHeinz Kunkel (Sachsen), Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern), Manfred Stolpe (Brandenburg) und Wolfgang Thierse (Bundestag/Berlin). Thüringer Landeszeitung, 9.5.1994 u. Osterländer Volkszeitung, 9.5.1994. 9 Pressedokumentation des Deutschen Bundestages, PPP, 050-62.985-8 (22.3.1994). 10 Ebd. 11 Ebd., 050–62.985–8 (20.6.1994). 12 Krasnaja Zvesda, 14.6.1994. 13 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, ZD1643590. 14 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berliner Zeitung u. Die Welt, 1.9.1994. 15 Pressedokumentation des Deutschen Bundestages, PPP, 105-3.985-8 (16.8.1994). 16 Ebd., 105-3.985-8 (3.9.1994). 17 Ebd., 985-8. Ansprache Boris Jelzins auf dem Gendarmenmarkt vom 31.8.1994. 18 Sovetskaja Rossija, 1.9.1994. 19 Isvestija, 31.8.1994. 20 Vgl. zum genauen Wortlaut: Bundesminister des Auswärtigen, Zwei plus Vier. 21 Vgl. Zwei plus Vier, S. 21. Zu den Abzugsverhandlungen: Hellmann; Kaiser; von Plato. 22 Vgl. »Überleitungsabkommen« vom 9.10.1990, veröff. in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes, 17.10.1990, S. 1281ff. Zu den konkreten Zahlen: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Sowjetunion 1990/91, S. 237 u. 308. 23 Schröder, Militärreformdebatte, S. 2. 24 Vgl. Green, Karasik; Rumer; Sternthal. 25 Vgl. Auswärtiges Amt, Außenpolitik, S. 251ff., Nichols, S. 130ff. 26 Schröder, Militärreformdebatte, S. 4. 27 Am 16.3.1992 gab Jelzin die Bildung eines russischen Verteidigungsministeriums und eigener Streitkräfte bekannt. Seit Mai 1992 vereidigte man nicht mehr sowjetische, sondern »Soldaten Russlands«. Sämtliche nichtstrategischen Streitkräfte, die nicht in die jeweiligen Nationalarmeen überführt wurden, gingen in russische Verantwortung über. Russland trat damit die Nachfolge sowjetischer Militärpräsenz in den früheren Warschauer-VertragsStaaten an. Vgl. Tiller, Umbach, S. 7ff. Zur Umwandlung der Streitkräfte: HeinemannGrüder. 28 Vgl. eine Studie des russischen Informationszentrums der Armee über die »Probleme des
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Armeelebens in den Augen der Militärkollektive« von 1992, zit. nach: Fischer, Militärmacht, S. 78ff. Zu den Augustereignissen: Schröder, Rüstungs- und Sicherheitspolitik; Sapper, Afghanistan. Vgl. MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2321.71-001, unfol. Bericht des Referats 540 (20.7. 1992). Vgl. Erlass vom 12.12.1990, abgedruckt in: Isvestija, 27.12.1990. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.1.1991. Krasnaja Zvezda, 22.12.1990. Der militärische Abwehrdienst sowie die III. Hauptabteilung des KGB/Bereich Militärspionage zählten es weiterhin zu ihren Aufgaben, Fahnenflüchtige zu ergreifen und in das eigene Hoheitsgebiet zurückzuholen. MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2321.71-001, unfol. Polizeibericht (28.8.1991). Vgl. Lüthke, S. 22f. Vgl. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1989. Vermerk vom 16.8.1990. Auf Anfrage der Verfasserin erfolgte eine Auskunft des Vizepräsidenten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17.8.2004. In: Archiv Silke Satjukow. Vgl. http://www.igfm.de/index.php?id=530 (30.8.2006). Im Zusammenhang mit der Anfrage (Bundestagsdrucksache 13/6607, 18.12.1996) wurde zumindest ein weiterer Abschiebestopp beschlossen. Am 6.7.1997 erging der Erlass des Bundesministeriums des Innern, Abschiebungshindernisse im Sinne des Artikels 53/6.1 Ausländergesetz festzustellen. Seitdem ist der Status der Deserteure nicht endgültig geklärt. In einigen Bundesländern wurden Duldungen ausgestellt, andere wandelten die Duldung in ein dauerhaftes Bleiberecht um. Voraussetzung für eine solche Bestrafung gemäß Art. 64 bzw. Art. 65 des Strafgesetzbuches der RSFSR war, dass »militärische Geheimnisse« oder »Staatsgeheimnisse« an einen anderen Staat weitergegeben wurden. Dies bestätigten neben Betroffenen auch Organisationen wie Frieden e. V., Pro Asyl und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). In der Antwort der Bundesregierung auf die bereits erwähnte Kleine Anfrage bestritt diese zwar den unterstellten Zusammenhang zwischen der Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten und den positiven Asylantragsbescheiden, die Befragungen als solche bestritt sie nicht. Einem Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 30.9.1995 (Az: 1034976-159) ist zu entnehmen, dass die Verhöre der Geheimdienste jeweils in getrennten Zimmern stattfanden. Darüber hinaus wurden die Asylantragsteller vom Koordinierungsausschuss für die Alliierten Streitkräfte befragt, der zu diesem Zweck in Augsburg ein Regionalbüro eingerichtet hatte. Vgl. MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2321.71-001, unfol. Protokoll über die 3. gemeinsame Konferenz von Vertretern der 8. Gardearmee der WGT, der Landkreise und der Bundeswehr (2.4.1991). Vgl. MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2347.12-019, unfol. Ergebnisniederschrift der Sitzung der Regierungsbeauftragten der neuen Bundesländer mit Vertretern des Bundes (17.4.1991). Nikita Sholkwer: Warum ist der Weg nach Hause so weit? In: Neue Zeit 43 (1990), S. 23. Vgl. Pressedokumentation des Deutschen Bundestages, PPP, A12-985-8 (30.3.1993). Vgl. BStU, AKG-PJ, 117/84, Bl. 23ff. Vgl. SHStAD, Sächsische Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/1, unfol. Zwischenbericht zur Altlastensituation (15.7.1994). Vgl. die bundesdeutsche Presseberichterstattung 1990 bis 1994. In: Pressedokumentationssammlung der Bundesregierung zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte von 1990 bis 1994. Zur Problematik der Schuldverschiebung vgl. Maaz, S. 41ff.
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Ebd., S. 81ff. Vgl. Ahbe, Tesak. Zum Konzept der Sowjetisierung vgl. Lemke, Sowjetisierung; Jarausch, Siegrist. Lorenzer, S. 100ff. Zur Propaganda und Wirklichkeit der deutsch-sowjetischen Freundschaft: Silke Satjukow, Befreier. Mythen und Medien deutsch-sowjetischer Freundschaft. Leipzig 2008.
2. Die Zeit der Besetzung: Vom Kriegsende bis 1961 1 1946 wurde die Rote Armee in »Sowjetarmee« umbenannt. 2 Vgl. Satjukow, Gries, Feindbilder, S. 15. 3 Zur Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. Keller; Schlögel, Kucher, Suchy, Thum; Kulešova, Fejercherd; Lektorskij; Eimermacher, Volpert, Stürmische Aufbrüche. 4 Vgl. Kuhn, S. 43ff. 5 Was denken Russen, S. 15ff. Vgl. auch Staatliches Puschkin-Museum; Pocivalov; Hellmann, Russland; Rheinisch-Westfälische Auslandsgesellschaft. 6 Koenen, S. 438. 7 Ebd., S. 439. 8 Senjavskaja, Deutschland, S. 248ff., sowie Aufzeichnungen des Schriftstellers und Frontsoldaten David Samojlov, zit. nach: Perepelicyn, Timofeeva, S. 267. Vgl. auch: Scherstjanoi: Das Bild vom feindlichen Fremden, S. 95ff. 9 Bericht des deutschen Soldaten Alfred Liskow. In: Isvestija, 27.6.1941. 10 Erklärung des Schriftstellers Willi Bredel. In: Isvestija, 27.6.1942. 11 Die Worte Ilja Ehrenburgs wurden im Juli 1942 in mehreren Zeitungen veröffentlicht und auch als Flugblatt verteilt. Vgl. Fisch, Ubej, S. 22–27; Tischler, S. 326–339; Gorjajewa, S. 427–467. 12 Vgl. Perepelicyn, Timofeeva, S. 267f. 13 Konstantin Simonow, zit. nach: Senjavskaja, Deutschland, S. 256. Vgl. auch: Scherstjanoi, Das Bild vom feindlichen Fremden, S. 100ff. 14 Agitator i propagandist Krasnoj Armii (1943) 13/14, S. 39. Zit. nach: Perepelicyn, Timofeeva, S. 279. Vgl. auch: Brody. 15 Vgl. Scherstjanoi, Höhle der Bestie, S. 200. 16 Vortrag von Generalleutnant Andrej D. Okorokov während einer Besprechung der Politarbeiter der 2. Belorussischen Front (6.2.1945), zit. nach: Scherstjanoi, Höhle der Bestie, S. 207. 17 Brief von Ivan A. S. (23.2.1945), zit. nach: Scherstjanoi, Rotarmisten, S. 78. 18 Brief von Pavel V. S. (25.1.1945), zit. nach: Ebd., S. 38. Vgl. auch Merridale, Iwans Krieg, S. 328ff. 19 Brief der Militärärztin Nina N. R. (9.2.1945), zit. nach: Senjavskaja, Deutschland, S. 262. 20 Brief eines Obersergeanten an seine Frau (1.2.1945), abgedruckt in: Scherstjanoi, Rotarmisten, S. 219. 21 Die Thematisierung deutschen Elends in den Briefen von Rotarmisten blieb eine Ausnahme. Vgl. Scherstjanoi, Höhle der Bestie, S. 212f. 22 Vgl. Perepelicyn, Timofeeva, S. 281. 23 Ebd. 24 Zit. nach: Senjavskaja, Deutschland, S. 260. 25 Schätzungen zufolge belief sich die Zahl der zivilen Kriegs- und Kriegsfolgenopfer in den »Vertreibungsgebieten« auf etwa 600.000. Vgl. Hofmann, S. 34.
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Vgl. Klautke; Doehring-Manteuffel; Lüdtke, Marßolek, von Saldern. Vgl. Klopke; Jahn, Russenfurcht; Klug. Vgl. Pietrow-Ennker, NS-Wochenschauen; Bussemer; Bartels; Veltzke; Janssen. Zit. nach: Ueberschär, Wette, S. 306f. Streit, S. 441. Joseph Goebbels, zit. nach: Wette, Russlandbild, S. 68. Vgl. auch: Wette, Rassenfeind« Camphausen. Vgl. Bussemer, S. 12. Mitteilungen für die Truppe 115 (1941), zit. nach: Stenzel, S. 48. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 178f. Ebd. Ebd., S. 223. Vgl. Stenzel, S. 131. Mitteilungen für die Truppe 203 (1942), zit. nach: Ebd. Mitteilungen für die Truppe 201 (1942), zit. nach: Ebd. Vgl. Ueberschar, Wette, S. 312 u. 316. Vgl. Latzel, Deutsche Soldaten, S. 222. Vgl. Stenzel, S. 134. GARF, 7212/1/57. Bl. 12f. Politische Einschätzung des Leiters der Politabteilung der SMAD vom 20.8.1945. Vgl. Broszat, Weber; Foitzik, Inventar; Naimark, Die Russen in Deutschland; Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht; Benz, Deutschland; Scherstjanoi, Rotarmisten; Hilger, Sowjetisierung. Auch Memoiren: Klimow; Leonhard, Revolution; Weiß; Tjulpanow; Kolesničenko; Kuczynski; Semjonow. Thüringer Gauzeitung, 8.3.1945. Zu den Presseberichten über »den Russen« in Thüringen im letzten Kriegsjahr vgl. Pachmann. Thüringer Gauzeitung, 20.3.1945. Völkischer Beobachter, 8.3.1945. Rosi S. (12.3.2002), geb. 1926, bei Kriegsende lebte sie in Dresden. In: Archiv Silke Satjukow. Dörr, Wer die Zeit nicht miterlebt hat, S. 53. Vgl. Dörr, Verhältnis zum Nationalsozialismus, S. 77. Scherstjanoi, Höhle der Bestie, S. 223. Die bislang fundiertesten Untersuchungen stellten Helke Sander und Barbara Johr an, sie gehen für Berlin von einem Ausmaß von etwa sieben Prozent aller Frauen aus. Sander, Johr, S. 54. Vgl. auch: Grossmann; Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 146ff.; Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 60ff.; Scherstjanoi, Höhle der Bestie, S. 222f.; Merridale, Iwans Krieg, S. 338ff. Eine Folge der Vergewaltigungen waren Schwangerschaftsabbrüche. Ein Erlass des Reichsinnenministers vom 14.3.1945 über die »Unterbrechung der Schwangerschaften, die auf eine Vergewaltigung der Frauen durch Angehörige der Sowjetarmee zurückzuführen sind«, erlaubte Eingriffe, um »rassisch minderwertigen« Nachwuchs zu verhindern. Er galt indes nicht für von deutschen Männern oder westlichen Alliierten vergewaltigte Frauen. Seit Herbst 1945 wurden neue Rechtgrundlagen diskutiert, 1947/48 setzte sich schließlich ein regional differenziertes Indikationsmodell durch, wobei der Anteil illegaler Abtreibungen auch weiterhin hoch blieb. Vgl. Poutrus, Massenvergewaltigungen. Vgl. Dörr, Kriegsalltag, S. 418ff. Ließ die Anonymität der Großstädte solche Ereignisse, wenn sie denn überhaupt öffentlich wahrgenommen wurden, schnell in Vergessenheit geraten, hielten sich die Gerüchte in kleineren Gemeinden oft jahre-, bisweilen sogar jahrzehntelang im kommunikativen Gedächtnis der Mitbürger. Während einer Buchlesung zum Thema »Die Russen kommen!« im
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Jahr 2005 im thüringischen Nohra machte sich bei der Erwähnung von Vergewaltigungen aufgeregtes Murmeln breit. Namen von Opfern wurden ausgetauscht, obgleich die Vergewaltigungen sechzig Jahre zurücklagen. Ähnliche Beobachtungen konnten auch in Österreich gemacht werden: Vgl. BandhauerSchöffmann, Hornung; Stelzl-Marx, Freier. Vgl. Keim; Ortmeyer; Schneider, Schule im Nationalsozialismus; Weber; Dithmar. Volkmann, Russlandbild in der Schule, S. 244. Erziehung und Unterricht, zit. nach: Ebd., S. 242. Vgl. Buddrus, Totale Erziehung, Bd. 2, S. 865ff. Analyse der Zustände im Volksbildungswesen Anfang 1939, erstellt durch den Stab des Stellvertreters des Führers, zit. nach: Ebd., S. 866f. Erinnerungen von Willy H., bei Kriegsende vierzehn Jahre alt. In: Niethammer, Blick der Kinder, S. 2. Vgl. zur »vormilitärischen Ausbildung« der Jugend im Nationalsozialismus: Buddrus, Totale Erziehung, Bd. 2, S. 175–249. Wolfgang E. (26.5.2003), geb. 1941, erlebte den Einmarsch der »Russen« als Vierjähriger in einer thüringischen Kleinstadt. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 102f. Vgl. auch: Gröschner. Dietrich G. kam mit seiner Mutter 1945 aus Schlesien nach Thüringen. In: Archiv Silke Satjukow. Vgl. Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 51. Vgl. Foitzik, Die Besetzung, S. 378f. Zu den Befehlen der SMAD: Dejatel’nost ’ sovetskich voennych kommendatur. Vgl. Arlt, Sowjetische (russische) Truppen, S. 597. Die Umbenennung erfolgte durch das Hauptquartier des Oberkommandos der Sowjetischen Streitkräfte mit der Direktive Nr. 11096 vom 10.6.1945. Vgl. ebd., S. 594f. Vgl. zu Beutezügen und Demontagepolitik: Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 92ff. u. 177ff.; Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 181–256.; Fisch, Reparationen; Karlsch, Laufer, Sowjetische Demontagen. Bericht des Genossen Rosenboom vom Januar 1966, zit. nach: Gräfe, S. 123. Vgl. Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 331f. Vgl. Kaiser, Sowjetischer Einfluß, S. 111f. Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, Kap. 1; Großbölting; Brunner. Vgl. Gries, Rationen-Gesellschaft. ThHStAW, Land Thüringen, MdI, 208, Bl. 99ff. Instruktionen zu ordnungsgemäßen Belieferungen und Verrechnungen für gelieferte Lebensmittel, Viehfutter, Güter und sonstige materielle Werte, welche für die Versorgung der Gruppe der Sowjet-Okkupationstruppen in Deutschland bestimmt sind (o. D.). StAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus, 311.012, Bl. 149. Protokoll der Ratssitzung vom 4.9.1945. Wortmeldung Otto Wagners auf dem SPD-Parteitag vom 8.10.1945, zit. nach: Sozialdemokratische Partei des Landes Sachsen. Bericht über die Verhandlungen des Landes-Parteitages (7.–9.10.1945 in Dresden/Freital). Dresden o. J., S. 123. SHSt Dresden, MdI, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen, 357, Bl. 236f. Stimmungsbericht der Ordnungspolizei (12.5.1947). StAW, HpA 13 00/300, unfol. Notiz über eine Rücksprache mit dem russischen Stadtkommandanten (19.7.1945). StAD, Bezirksverwaltung III, C/I/50, unfol. Schreiben des Stadtkommandanten (6.9.1945). Werner W., zit. nach: Gröschner, S. 88. ThHStAW, Land Thüringen, MdI, 208, Bl. 54. Anweisung des Obersten Chefs der SMAD (o. D.). Vgl. SAPMO-BArch, NY 4090/314, Bl. 38–43. Schreiben an das Zentralsekretariat der SED, Abt. Arbeit- und Sozialpolitik (15.1.1947).
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84 StAW, HpA 13 15 11 01/1813, unfol. Instruktionen des Chefs der SMA des föderalen Landes Thüringen (27.11.1945). 85 Vgl. ebd. 86 Vgl. StAW, HpA 13 15 11 02/1830, unfol. Schreiben des Militärkommandanten an den Stadtvorstand (25.6.1946). 87 Diesen Schluss lassen die monatlichen Stimmungsberichte der Abteilung Propaganda und Information der SMAD zu, die auf Zuarbeiten durch die Besatzungsbehörden der Länder, der Informationen der sowjetischen Geheimdienste wie der Berichte von deutschen Behörden- respektive Parteiinstanzen basierten. Informationen erhielt man auch aus den Berichten der Postkontrollbehörden des NKVD/MVD in Deutschland. 88 BArch Koblenz, NL 18/315, Bl. 2–18. Amtlicher deutscher Bericht über die »Lage im russischen Raum von Ende Juni 1945« (o. D.). 89 Am 1.1.1949 befanden sich laut sowjetischen Angaben noch insgesamt 396.180 sowjetische Staatsbürger in den westlichen Besatzungszonen (bei Kriegsende waren es fünf Millionen), am 1.1.1952 waren es sogar 451.561. Wie viele von ihnen Deserteure der Sowjetischen Armee waren, lässt sich aus den Unterlagen nicht ersehen. Klar dürfte für alle Fahnenflüchtigen gewesen sein, dass sie ihre Angehörigen nicht nur niemals wieder sehen würden, sondern dass sie diese auch den Repressionen der Geheimdienste aussetzten. Dennoch entschieden sich wohl nicht wenige Soldaten für einen Neuanfang im Westen. In den Städten gab es in den ersten Nachkriegsjahren Netzwerke, die den Militärs Fluchthilfe anboten. Vgl. zu den Zahlen: Polian, Deportiert, S. 195. 90 Vgl. zur Verhaftungs- und Internierungspolitik: Mironenko, Niethammer, Plato; Christoforov, Hilger, Tod den Spionen. 91 Operative Sektoren: die im Außendienst tätigen Abteilungen des NKGB/MGB. 92 Memorandum Iwan Kolesnitschenkos (29.11.1948). In: Bonwetsch, Bordjugov, Naimark, S. 194. 93 Iwan Serow an Sergej Kruglow (26.6.1946), zit. nach: Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 69. Für Thüringen: BStU, AS, 400/66, Bl. 22–35. Bericht über die von den Kriminal-Dienststellen gemeldeten Vorkommnisse im Lande Thüringen 1946. Für Dresden: Ebd., Bl. 219ff. Bericht des Bezirkspolizeipräsidenten (2.6.1946). 94 Vgl. ThHStAW, Land Thüringen, MdI, 1014, Bl. 1. »Angaben über Verbrechertum, Aufdeckung von Verbrechen und Anfall von Personen, die zur Verantwortung gezogen wurden in Thüringen« (Juli bis Dezember 1946). 95 Vgl. Zubkova, Poslevoennoe sovetskoe obšžestvo, S. 89ff.; Merridale, Iwans Krieg, S. 394ff.; Fitzpatrick; Zima. 96 GARF, 7077/1/181, Bl. 23f. Beschwerden an den politischen Stab der SMAD der Jahre 1945–1948. 97 Ebd., Bl. 27. Briefausschnittsammlung vom Dezember 1945. 98 Ebd., Bl. 115. 99 GARF, 7317/10/37, Bl. 5ff. Beschwerdebriefe vom ersten Quartal 1946. 100 GARF, 7317/10/30, Bl. 38ff. Bericht der Zensurbehörde des MGB über Beschwerden von Offiziersfrauen vom 30.8.1947. 101 GARF, 7317/10/31, Bl. 178. Brief vom 11.11.1947. 102 GARF, 7317/10/29, Bl. 108ff. 103 GARF, 7317/10/30, Bl. 116. Brief vom 4.2.1947. 104 Hannelore W. (18.4.2004), geb. 1938, war sieben Jahre alt, als 1945 eine sowjetische Offiziersfamilie einquartiert wurde. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 79. 105 StAD, Dezernat Innere Verwaltung, 19, unfol. Einquartierungen Besatzungstruppen (Februar 1947). 106 Ebd. 107 GARF, 7317/10/30, Bl. 32ff. Brief vom 3.4.1946.
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108 Hannelore W. (vgl. Kap. 2, Anm. 104), S. 79f. 109 Irene H. (24.5.2003), war 1945 zehn Jahre alt und beaufsichtigte die Tochter eines einquartierten Besatzungsoffiziers. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 48. 110 Ursula L., geb. 1924, seit den sechziger Jahren Russischlehrerin in Weimar. Zit. nach: Ebd., S. 30. 111 Brief von Genatij an Erika S. (wahrscheinlich 1952). In: Archiv Silke Satjukow. 112 Diesen Hinweis verdanke ich Mitarbeitern der Standesämter Weimar und Dresden, welche die entsprechenden Urkunden aufbewahren. 113 GARF, 7103/1/22, Bl. 199. Bericht über die politische Stimmung innerhalb der deutschen Bevölkerung (9.7.1946). 114 SAPMO-BArch, ZPA/NL 90/314, unfol. Schreiben von Werner Eggerath und Heinrich Hoffmann (Landesvorsitzende der SED in Thüringen) an den Chef der SMATh, Iwan S. Kolesnitschenko (6.1.1947). 115 Kolesničenko, S. 131. 116 Rede von Iwan S. Kolesnitschenko (10.1.1947), zit. nach: Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 106f. 117 Ebd., S. 109. 118 Ebd., S. 119f. 119 GARF, 7317/10/37, Bl. 218. Bericht über die Stimmung innerhalb der Bevölkerung, erstellt durch die Abteilung für Propaganda und Information der SMAD (Februar 1949). 120 Schreiben Kolesnitschenkos (29.11.1948), zit. nach: Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 121. 121 Ebd., auch: Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 217. 122 Henke, Kriegsende West, S. 14. 123 Ausführlich dazu: Satjukow, Befreier. 124 Gries, Mythen des Anfangs, S. 12f. Zur Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder, Soldaten und Offiziere der Wehrmacht vgl. Danyel, SED und die »kleinen Pg’s«. 125 Karl-Heinz Jeismann, zit. nach: Gries, Mythen des Anfangs, S. 12. 126 Vgl. zum »Mythos Antifaschismus«: Meuschel; Herbert, Groehler; Grunenberg; Frei, NSVergangenheit; Herf. 127 Telegramm Jossif W. Stalins an Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl (13.10.1949), abgedruckt in: Steininger, Deutsche Geschichte, S. 115. 128 Ansprache von Boris Polewoi anlässlich des 3. Kongresses der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft, abgedruckt in: Von der Sowjetunion lernen, S. 17. 129 Vgl. Gibas, S. 75ff. 130 Zur Theorie von Gedächtnisbildern: Satjukow, Gries, Feindbilder des Sozialismus, S. 26ff. 131 Vgl. Fuchs, S. 247ff. 132 Das von Heiner Müller nachgedichtete Lied erschien in: Singt mit unseren Freunden, S. 18ff. 133 Vgl. Arlt, Fremdbestimmung, S. 173. 134 Auf Gefechtsposten, S. 75. 135 Zu den Ereignissen des 17. Juni 1953 allgemein: Fricke, Engelmann; Kowalczuk, 17. Juni; Bentzien; Diedrich, Waffen gegen das Volk; Steininger, 17. Juni; Knabe, 17. Juni. 136 Vgl. sowjetische Einflussnahmen im Vorfeld des 17. Juni 1953: Bruce, S. 41ff.; Harrison, Driving the Soviets, S. 25ff. 137 Vgl. Hagen, S. 26. 138 Vgl. Bruce, S. 43. 139 BStU, BV Suhl, AU 11/53, Bl. 70. UV Nr. U. 16/53. Vgl. zum Stalin-Kult: Löhmann; Plamper; Tichomirov, Obraz Stalina; Behrends, S. 152ff. 140 SAPMO-BArch, DY 30/IV2/5/41, Bl. 211f. Bericht des ZK der SED, Staatliche Verwaltung, Sektor Kirche über das feindliche Auftreten von Geistlichen anlässlich des Todes des Genossen Stalin (26.3.1953).
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141 Die Propaganda stilisierte den Diktator gern als »Väterchen« Stalin. 142 BArch, DO 1/11/1111, Bl. 7. Berichte über die Stimmung der Bevölkerung zum Tod Stalins. 143 Vgl. zu den Vorgängen des Mai 1953 in Moskau: Scherstjanoi, Fehlentscheidungen, S. 61ff., Harrison, Driving the Soviets, S. 25ff.; Wettig, Sowjetunion und die Krise, S. 94ff. 144 Der Bericht wurde von Wassilij Tschuikow, von Pawel Judin (dem politischen Berater beim Vorsitzenden der SKK) sowie vom Geheimdienstexperten Iwan Iljitschow verfasst und verantwortet und am 18.5.1953 dem neuen sowjetischen Regierungschef Georgi Malenkow übermittelt. Vgl. Scherstjanoi, Fehlentscheidungen, S. 61f. 145 Vgl. ebd., S. 96. 146 Vgl. zu den Auseinandersetzungen der Stalin-Epigonen: Wettig, Sowjetunion und die Krise, S. 95f. 147 Ulbricht wurde von Ministerpräsident Otto Grotewohl und dem Politbüromitglied Fred Oelßner begleitet. Von sowjetischer Seite nahmen an den Gesprächen unter anderem der Chef des Innenministeriums und des Staatssicherheitsdienstes Lawrentij Berija teil, der KPdSU-Vorsitzende Nikita Chruschtschow, der Hohe Kommissar der UdSSR für Deutschland Wladimir Semjonow sowie der Oberkommandierende der sowjetischen Truppen in Deutschland, Andrej Gretschko. 148 »Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR«, abgedruckt in: Otto, S. 38–43. 149 Scherstjanoi, Fehlentscheidungen, S. 65. 150 Vgl. das »Kommuniqúe« vom 9.6.1953, veröff. in: Dokumente der SED. Bd. IV, S. 428ff. 151 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 18, Bl. 104f. Abschlussbericht über die Vorkommnisse am 17.6.1953 im Bezirk Dresden (24.8.1953). 152 Vgl. Diedrich, Waffen gegen das Volk, S. 166. 153 Vgl. ebd., S. 162. 154 Vgl. Bruce, S. 49, sowie Diedrich, Waffen gegen das Volk, S. 63f. 155 Vgl. Arlt, Fremdbestimmung, S. 174, sowie Diedrich, Waffen gegen das Volk, S. 64. 156 Vgl. Scherstjanoi, In 14 Tagen, S. 926. 157 Vgl. Diedrich, Waffen gegen das Volk, S. 79f. 158 Vgl. ebd., S. 80. 159 Vgl. ebd. 160 Arlt, Fremdbestimmung, S. 175. 161 Meldung des Oberbefehlshabers Andrej A. Gretschko an den Verteidigungsminister Nikolai A. Bulganin vom 17.6.1953, zit. nach: Ebd. 162 Die Aufzeichnungen des 17. Juni 1953 seitens der Besatzer sind der Forschung bislang nicht zugänglich. So muss sich diese Bewertung auf Berichte der regionalen Polizei, Partei und Sicherheitsdienste stützen. 163 Semjonow, S. 296. Bislang können 55 Todesopfer durch Quellen belegt werden. Von 25 noch ungeklärten Todesfällen ist bislang bei sieben belegt, dass diese nicht unmittelbar im Zusammenhang des Volksaufstandes standen. Zu 41 wegen angeblicher Befehlsverweigerung in Berlin und Biederitz bei Magdeburg erschossenen sowjetischen Soldaten gibt es keine gesicherten Hinweise. Ahrberg, Hertle, Hollitzer, S. 5f. 164 Die Gesamtzahl der Festgenommenen belief sich bis Mitte 1955 auf 13.000 bis 15.000 Menschen. Vgl. Kowalczuk, 17. Juni, S. 244. 165 Kowalczuk beziffert sie mit 500 bis 750 Menschen, Karl-Heinz Fricke spricht von mehreren Hundert. Vgl. ebd., S. 246. 166 So war es im Jahr 1952 zu 1.127 Verurteilungen durch die SMT gekommen, 1953 waren es 327, 1954 waren es 29, 1955 waren es sechs. Vgl. Hilger, Schmeitzner, S. 20. 167 Arlt, … stets wachsam, S. 207. 168 Vgl. Erklärung der Regierung der UdSSR vom 25.3.1954, in: Dokumente zur Deutschland-
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politik der Sowjetunion, Bd. I, hg. vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte. Berlin (Ost) 1957, S. 501f. Veröffentlicht in: GBl. DDR/I, Nr. 107 (1955), S. 917. Vgl. auch: BStU, MfS HA XVII, 400, Bl. 6ff. Analyse des Abkommens zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen (1988) (Analyse 1988). SAPMO-BArch, NY/4077, Bl. 109f. Direktive des ZK der SED zur Auswertung der Ergebnisse des Vertragsabschlusses zwischen der DDR und der Sowjetunion an die Bezirks- und Kreisleitungen sowie die Leiter der Massenorganisationen und leitende Staatsfunktionäre (23.9.1955). SAPMO-BArch, NY/4077/51, unfol. Direktive des ZK der SED zur Auswertung der Ergebnisse des Vertragsabschlusses zwischen der DDR und der Sowjetunion (23.9.1955). Ebd. Vgl. PAAA, A5855, Bl. 85. Zu den Aufgaben der Arbeitsgruppe (Januar 1957). Ihr gehörten neben Armeegeneral Alexej Antonow sieben weitere Experten an. Bei den eigentlichen Verhandlungen waren allerdings insgesamt zehn sowjetische Fachleute zugegen. Vgl. PAAA, A00304, Bl. 122 u. 124. Vermerk über den Abschluß des Stationierungsvertrages (o. D.). Vgl. PAAA, A00304, Bl. 95. Bemerkungen zu inhaltlichen Änderungen, Ergänzungen und Formulierungsänderungen (o. D.Febr./März 1957). Zu verschiedenen Änderungswünschen auf beiden Verhandlungsseiten vgl. auch PAAA, A5855, Bl. 1–35. Vgl. PAAA, A00304, Bl. 95ff. Bemerkungen zu inhaltlichen Änderungen, Ergänzungen und Formulierungsänderungen (o. D.Febr./März 1957). Vgl. PAAA, A00304, Bl. 126. Vermerk Verhandlungen über den Abschluß des Stationierungsvertrages (o. D.März 1957). Vgl. ebd., Bl. 93f. Ablauf der Plenarsitzung vom 12.3.1957. Vgl. ebd., Bl. 122–129. Vermerk des Leiters der Abteilung Sowjetunion über den Abschluss des Stationierungsvertrages (o. D.). Vollständiger Gesetzestext, abgedruckt in: Ebd., Bl. 295–303. Neues Deutschland, 14.3.1957. Die Regionalzeitungen informierten am 13. März lediglich über die Tatsache des Abschlusses, Details wurden nicht veröffentlicht. Rede Georgi K. Schukows zum Stationierungsabkommen, abgedruckt in: Krasnaja Zvezda, 14.3.1957. Veröff. in: GBl. DDR/I, Nr. 28 (1957). Vgl. PAAA, A00304, Bl. 122–138. Aus den Moskauer Verhandlungen sich ergebende Aufgaben (o. D.). Vgl. PAAA, G-A1, G-A2, A17149, A17182, A00303. Sitzungsprotokolle der sechziger und siebziger Jahre. 26. Sitzung der Gemischten Deutsch-Sowjetischen Kommission am 18. März 1970. Vgl. PAAA, G-A2, Bl. Die Kommission hatte seit ihrer Konstituierung im Jahr 1957 bis 1987 insgesamt 44 Sitzungen getagt. Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 22. Analyse 1988. Vgl. zur Berlin-Krise: Lemke, Berlin-Krise, 93ff.; Harrison, Driving the Soviets, S. 97ff.; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 32ff. Seit dem Frühjahr 1960 waren die Flüchtlingszahlen noch einmal angestiegen. Durch die strengere Grenzüberwachung der deutsch-deutschen Demarkationslinie wurde West-Berlin ein zentraler Fluchtort. Kam es hier 1956 zu 40 Prozent aller Fluchten, waren es 1960 fast 95 Prozent. Vgl. Major, S. 222ff.; Slusser, S. 94f.; Heidemeyer, S. 339; Bispinck, Republikflucht; Lemke, Berlin-Krise, S. 48ff. Vgl. Lemke, Berlinkrise, 108ff.; Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 14ff. Vgl. Lemke, SED und die Berlin-Krise, S. 133. Ulbrichts bisweilen eigensinniges Agieren in Sachen Mauerbau zog wiederholt Spannungen und Konflikte mit der UdSSR nach sich. Welches Ausmaß dieser Eigensinn annahm, wird von Historikern unterschiedlich bewer-
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Anmerkungen zu Seite 81–88 tet: Vgl. Harrison, Berlin-Krise, S. 105–122; Trachtenberg, Constructed Peace, S. 321–324; Lemke, Berlinkrise, S. 36–92; Nakath, Konfrontation, S. 42; Fursenko, S. 73. Vgl. Lemke, Berlinkrise, S. 462f. Vgl. Harrison, S. 144ff.; Uhl, Wagner, S. 21ff. Vgl. Uhl, Wagner, S. 23. Niederschrift über Beratung im Ministerium für Nationale Verteidigung (10.2.1961), zit. nach: Ebd. Zu Chruschtschow und der Berlin-Krise: Harrison, Driving the Soviets. Vgl. Wettig, Chruschtschows Berlinkrise, S. 138f. Information S-Nr. 932237 (26.4.1961), zit. nach: Ebd., S. 24. Vgl. Uhl, Wagner, S. 30ff.; Kornienko, S. 102ff., Harrison, Driving the Soviets, S. 172ff. Vgl. Chruščev, S. 128., Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 170. Vgl. Uhl, Wagner, S. 33. Schreiben des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages Gretschko an den Minister für Nationale Verteidigung Hoffmann (15.7.1961), zit. nach: Ebd.; auch Harrison, Driving the Soviets, S. 187. Notiz über die Absprache zwischen dem Chef des Stabes der GSSD und dem Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef des NVA-Hauptstabes (25.7.1961), zit. nach: Uhl, Wagner, S. 34. Studie des Instituts für Deutsche Militärgeschichte »Die Nationale Volksarmee in der Aktion vom 13. August 1961« (20.2.1964), zit. nach: Ebd., S. 35. Vgl. Harrison, Driving the Soviets, S. 187. Sowohl die Erklärung der Warschauer Vertragsstaaten als auch die Mitteilung für die Ersten Sekretäre der Kommunistischen und Arbeiterparteien über die Sitzung der Warschauer Vertragsstaaten waren bereits am Vormittag des 3. August vom Präsidium des ZK der KPdSU bestätigt worden. Vgl. Harrison, Driving the Soviets, S. 192ff.; Uhl, Wagner, S. 39, Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise, S. 175ff. Chruschtschows Rede vom 4.8.1961: Bonvečec, Filitov, S. 72 (russ. Originaltext); Bonwetsch, Filitow, S. 187 (dt. Übersetzung) Vgl. auchVojtech, Byrne, S. 126ff. Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung Nr. 01/61 vom 12.8.1961, zit. nach: Uhl, Wagner, S. 40. Bericht des Verteidigungsministeriums der UdSSR an das ZK der KPdSU über die Situation in Berlin und der DDR (22.8.1961), zit. nach: Ebd., S. 40. Vgl. Diedrich, Grenzsicherung, S. 137f. Vgl. Wolle, Lage stabil, S. 252.
3. Die Zeit der »Besatzung«: Vom Mauerbau bis zum Abzug 1994 1 Vgl. Sovetskie Vooružonnye Sily, S. 374. 2 Vgl. Operativer Plan der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (5.11.1946), zit. nach: Garelow. 3 Vgl. Arlt, Sowjetische (russische) Truppen, S. 594f. 4 Vgl. ebd., S. 601. 5 Erreicht wurde dies durch den Abzug eines Stabes der 18. Armee und zweier Divisionen im Jahr 1956/57. Vgl. Die GSTD, S. 622f., auch Umbach, S. 139. 6 Vgl. Arlt, Sowjetische (russische) Truppen, S. 607. 7 Demnach hätte die NVA im Kriegsfall allenfalls als Verstärkung gedient, eine eigenständige oder gar tragende Rolle bekam sie nicht zugewiesen. Hinzu kam, dass es Moskau bei seiner
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Strategie in Mitteleuropa vornehmlich um die Sicherung der eigenen Streitkräfte ging, auf ein tief gestaffeltes Verteidigungssystem auf dem Gebiet der DDR verzichtete man. Die Tatsache, dass man den Untergang der DDR mit ihren rund 17 Millionen Bewohnern für den eventuellen Sieg der Warschauer Vertragsstaaten in Kauf nehmen musste, erzürnte die politische und militärische Führung der DDR. Vgl. Arlt, … stets wachsam, S. 205, 218f. u. 224. Vgl. Arlt, Sowjetische (russische) Truppen, S. 609; Bassistow, Die DDR, S. 215. SHStAD, Sächs. Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/36, unfol. Sowjetische Truppen in Deutschland 9. Mai 1945–31. August 1994 (o. D.), sowie MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2347.01185, unfol. Abzug der WGT. Überblickspapier (o. D.). MdI Thüringen, Ref. WGT, 52-2347.01-185, unfol. Abzug der WGT. Überblickspapier (o. D.). SHStAD, Sächs. Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/47, unfol. Abzugsplan der WGT 1992 (o. D.). StAW, 13151100/1956, unfol. Abzugsplanung WGT/Präzisierung der Angaben (24.1.1992). Ebd. BStU, MfS-HA I, 14 166, Bl. 83–94. Maßnahmeplan zur Realisierung der Aufgabenstellung des Genossen Minister – die Sicherheit und Ordnung an den militärischen Sperrgebieten zu erhöhen (13.10.1987). BStU, MfS-HA VII, 504, Bl. 13. Schreiben des Ministers für Staatssicherheit an den Minister für Nationale Verteidigung (2.7.1987); ebd., Bl. 15. Schreiben des Ministers für Staatssicherheit an den Oberkommandierenden der GSSD (2.7.1987), sowie BStU, MfS-ZAIG, 5316, Bl. 90. Schreiben des Ministers für Staatssicherheit an den Minister für Nationale Verteidigung (3.7.1987). BStU, MfS-ZAIG, 5316, Bl. 92. Schreiben des Oberbefehlshabers der GSSD an den Minister für Staatssicherheit (4.7.1987), sowie BStU, MfS-Sekr. Neiber, 310, Bl. 32. Aktennotiz vom 5.7.1987. BStU, MfS-HA VII, 504, Bl. 3. Maßnahmeplan zur Realisierung der Aufgabenstellung des Genossen Minister – die Sicherheit und Ordnung an den militärischen Sperrgebieten zu erhöhen (13.10.1987). BStU, MfS-HA XVIII, 400, Bl. 19. Analyse 1988. BStU, MfS-HA VII, 504, Bl. 38f. Vermerk der HA VII (23.10.1987). BStU, MfS-Abt. X, 1303, Bl. 90. Notiz über den Beschluss des Ministerrates (8.12.1988). Ebd., Bl. 109. BStU, MfS-HA XVIII, 400, Bl. 32ff. Analyse 1988. Dies geschah auf der Grundlage einer Anordnung des Vorsitzenden des Ministerrates »über die Verfahrensweise bei der Bearbeitung von Anträgen des Oberkommandos der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte auf Bereitstellung von Gelände einschließlich Wasserflächen« vom 22.8.1969. Vgl. BStU, MfS-HA XVIII, 400, Bl. 33. Analyse 1988. ThHStAW, Bezirkstag und Rat des Bezirkes Erfurt, 019573, Bl. 14. Information über Probleme der Zusammenarbeit mit den im Bezirk Erfurt stationierten sowjetischen Streitkräften (7.7.1972). BStU, MfS-HA VII, 504, Bl. 18–21. Festlegung des Sekretariats des ZK der SED vom 28.4.1982. ThHStAW, Bezirkstag und Rat des Bezirkes Erfurt, 019573, Bl. 15. Information über Probleme der Zusammenarbeit mit den im Bezirk Erfurt stationierten sowjetischen Streitkräften (7.7.1972). Ebd. BStU, MfS-HA II, 30190, Bl. 269f. Schreiben der BVfS Dresden an den Leiter der HA II/4 des MfS (16.2.1987). BStU, MfS BV Dresden, Abt. II, 9556, Bl. 1. Information der BV Dresden an die Hauptabteilung (4.11.1986).
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30 MdI Thüringen, Ref. WGT, 52–2347.01–001, unfol. Abzug der WGT. Übersichtspapier (o. D.), sowie SHStAD, Sächs. Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/32, unfol. Ergebnisprotokolle der deutsch-russischen Kommission (o. D.). 31 SHStAD, Sächs. Staatskanzlei, Ref. WGT, 185/32, unfol. Ergebnisprotokolle der deutschrussischen Kommission (o. D.). 32 Ende der siebziger Jahre waren es insgesamt 12.019 Kilometer, davon waren 6.231 Kilometer unbefestigte land – und forstwirtschaftliche Wege. Vgl. BArch MA, DVW 1/55614, Bl. 126. Derzeitiger Zustand der Marschstraßen für Kettenfahrzeuge (19.6.1979). 33 Entsprechend der Straßenverordnung der DDR vom 22.8.1974, Paragraph 14. 34 Verordnung des Ministers für Nationale Verteidigung -Übungsschadenverordnung- vom 10.1.1983. Vgl. BStU, MfS-HA XVIII, 400, Bl. 37. Analyse 1988. 35 BArch MA, DVW 1/55614, Bl. 128ff. Derzeitiger Zustand der Marschstraßen für Kettenfahrzeuge (19.6.1979). 36 BStU, MfS-HA XVIII, 400, Bl. 37. Analyse 1988. 37 Vgl. Diedrich, Herrschaftssicherung, S. 262. 38 Vgl. Dejatel’nost’ Sovetskoj voennoj administracii, S. 248–328. 39 Jüngst, »Macht« und »Raumbezogenheit«, S. 11 u. 15ff. 40 Territorialität wird hier als Wunsch eines Individuums beziehungsweise einer Gruppe nach Einhegung eines Territoriums verstanden, in dessen Grenzen ihm das Recht auf die Vereinbarung von Spielregeln zusteht. Vgl. Jordan, S. 40. 41 Vgl. Jüngst, Meder, S. 508ff. 42 Vgl. Sovetskie vojska v Germanii 1945–1994, S. 225. 43 Vgl. zur Geschichte Wünsdorfs: Kaiser, Sperrgebiet. 44 BStU, AS Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 18. Auftrag durch den Leiter des Einsatzes (15.9.1977). 45 Auch der Bundesnachrichtendienst hat Standortaufklärung betrieben, wobei es ihm hauptsächlich um das militärische Potential der GSSD ging. Vgl. BArch Koblenz, B 206, Standortkartei DDR. 46 Die Tatsache, dass diese »Bestandsaufnahmen« nur in den Akten der Bezirksverwaltung Erfurt, nicht jedoch in der Zentralen Verwaltung Berlin gefunden wurden, sowie der Umstand, dass für Dresden keine Unterlagen (mehr) existieren, lässt den Schluss zu, dass es sich um eine Sicherungsmaßnahme seitens der federführenden Sonderabteilung des KGB in Nohra handelte. Ob es ähnliche Erhebungen auch in anderen Verwaltungsbezirken gegeben hat, lässt sich anhand der verfügbaren Dokumente nicht nachweisen. 47 Das Fotografieren der Militärobjekte war streng untersagt, tatsächlich finden sich auch im Archiv der BStU republikweit kaum Aufnahmen. Das vorhandene Kartenmaterial ist in einem Maßstab gefertigt, der zur Abbildung nicht geeignet ist. Vgl. MdI Thüringen, Ref. WGT. Bestand: Karten sowie Archiv Werner E. Ablaß, Staatssekretär a. D. und Beauftragter für Sonderaufgaben der Bundeswehr in den neuen Ländern. 48 BStU, AS Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 2ff. Auskunftsbericht des militärischen Objektes Nohra (o. D.). 49 Ebd., Bl. 11ff. Ergänzung zum Auskunftsbericht des militärischen Objektes Nohra-StabFlugplatz und Wohnsiedlung Nohra-Bahnhof (o. D.). 50 BStU, AS Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 40ff. Aufklärung der Regimeverhältnisse des militärischen Objekts in Weimar in der Leibnizallee (19.11.1980). 51 Dies betraf vor allem drei Gebäude: das Hauptgebäude (ehemals Streichankaserne), die Soldatenunterkünfte sowie den Küchentrakt. Diese Gebäude waren von nahezu allen Seiten auszumachen, zumindest die an den oberen Fenstern befindlichen Soldaten dürften demnach präsent gewesen sein. 52 BStU, Außenstelle Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 44–50. Aufklärung der Regimeverhältnisse des militärischen Objekts in Weimar in der Leibnizallee (19.11.1980). 53 BStU, Außenstelle Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 53. Aufklärungsbericht Objekt Ettersburger Straße (o. D.1980).
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54 Peter Ludwiczak (5.11.2003), arbeitete als Fußballtrainer beim DDR-Liga-Verein Motor Weimar, in dem auch sowjetische Armeeangehörige über Jahrzehnte trainierten. Zit in: Satjukow, Die Russen, S. 100. 55 1950 war mit dem »Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau« ein restriktives Indikationen-Modell mit einer bedingten Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischen und eugenischen Gründen eingeführt worden, das bis 1972 in Kraft blieb. Seitdem galt das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft«, das eine Fristenlösung vorsah. In der UdSSR waren Schwangerschaftsabbrüche bereits 1955 im »Dekret über die Rücknahme des Abtreibungsverbotes« legalisiert worden. Vgl. Baranova. 56 Paradoxerweise gingen sowjetische Armeeangestellte in späteren Jahren in deutsche Krankenhäuser, um dort Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen. Sie zahlten zwar ein Honorar, doch waren sie ihren Vorgesetzten gegenüber keine Rechenschaft schuldig. Frauen im Militärdienst schrieb das »Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht« vom 12.10.1967 nämlich vor, für die Zeit ihrer Dienstpflicht ledig und kinderlos zu bleiben. Eine Schwangerschaft hätte das Dienstverhältnis vorzeitig beendet. 57 Lutz Scheider (23.5.2003), wohnte in den siebziger und achtziger Jahren in unmittelbarer Nähe der Standortkommandantur Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. 58 BStU, Außenstelle Erfurt, Abt. II, 449, Bl. 44–50. Aufklärung der Regimeverhältnisse der Kommandantur der GSSD in Weimar (23.12.1980). 59 StAW, HpA 13 15 11 00/1950, unfol. Liegenschaften der WGT in Thüringen (Januar 1991). 60 Vgl. BStU, KD Weimar, 1145, Bl. 2. Aufstellung über militärische Objekte auf dem Territorium des Weimarer Stadt- und Landkreises (11.7.1988). 61 BStU, BV Dresden, 10831, Bl. 33f. Übersicht über die Objekte der Sowjetarmee, der NVA sowie des MdI, die auf dem Territorium des Bezirkes Dresden stationiert sind (1991). 62 Vgl. Steiner, Plan zu Plan, S. 376. 63 Vgl. Diedrich, Aufrüstungsvorbereitung, S. 332. 64 Vgl. Karlsch, Krisen als Chance, S. 193. 65 Vgl. ebd., S. 194; Diedrich, Waffen gegen das Volk, S. 202f. 66 PAAA, A00304., Bl. 152. Einige Daten über die Entwicklung des Fragenkomplexes Aufenthaltskosten (1958). 67 Vgl. Karlsch, Allein bezahlt, S. 129ff. 68 PAAA, A00304., Bl. 152. Einige Daten über die Entwicklung des Fragenkomplexes Aufenthaltskosten (1958). 69 Ebd. Bl. 146–149. Protokoll über die Kürzung der Ausgaben der DDR in den Jahren 1958– 1959 für den Aufenthalt der auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte sowie Pressemitteilung über die Unterzeichnung eines Protokolls über eine erneute Kürzung der Ausgaben der DDR für den Aufenthalt der sowjetischen Streitkräfte, veröff. in: Neues Deutschland, 25.6.1958. 70 PAAA, A16432, Bl. 2ff. Schreiben Nikita S. Chruschtschows an Walter Ulbricht und Otto Grotewohl (7.7.1958). 71 PAAA, A00304, Bl. 149f. Kommuniqué über den Vorschlag Moskaus zu den Besatzungskosten vom 26.11.1958. 72 Ebd., Bl. 43. Schreiben eines Mitarbeiters der SPK an den Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten (22.9.1958). 73 Brühl, S. 20. 74 Vgl. Karlsch, Buch mit sieben Siegeln, S. 297. 75 Ebd., S. 285. 76 Nettozuschüsse zum »Sonderbereich« 1970, 1980, 1982 und 1984, Zahlen gerundet. In: Ebd., S. 296f. 77 Dieser Bericht tauchte erst im Zusammenhang mit der Keßler-Kommission im Jahr 1988 auf. Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 87f. Analyse 1988.
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78 Laut Stationierungsabkommen mussten von der GSSD beanspruchte Leistungen nach geltenden Preisen und Tarifen in Mark der DDR beglichen werden. Die hierfür jährlich bereitzustellende Summe wurde jeweils in die Planung des Staatshaushaltes eingestellt. Die Bereitstellung von Mark der DDR wie deren Rückerstattung in transferablen Rubeln erfolgte nach einem von beiden Regierungen am 26.11.1958 vereinbarten Umrechnungsverfahren, das im Laufe der Jahrzehnte Veränderungen durchmachte. Wie kam es zu der in der Jahresbilanz 1978 ausgewiesenen Zuschuss-Zahlung: Laut Plan erhielt die GSSD Mittel in Höhe von 1.570 Millionen Mark, wofür die UdSSR insgesamt 141,9 Millionen transferable Rubel zahlte. Da der Sonderkoeffizient vom normalen Volkswirtschaftskurs abwich, betrug der Zuschuss aus dem Staatshaushalt der DDR für den 1978 geplanten Markbedarf nicht weniger als 860 Millionen Mark. Vgl. BStU, MfS ZAIG, 7501, Bl. 1–14. Einschätzung der finanziellen Beziehungen, die sich aus den bestehenden vertraglichen Regelungen zwischen der DDR und der UdSSR für den Unterhalt der zeitweilig auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte ergeben (24.1.1978). 79 Vgl. SAPMO-BArch DY 30/2779, unfol. Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR an den Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR. Anlage (3.7.1978). Bislang lassen sich nur diese beiden Gesamtaufstellungen finden. Die Aufstellung von 1978 erfolgte im Rahmen der neuen Planungs- und Bilanzierungspolitik der DDR von 1978. 80 BArch DC 20/12588, unfol. Schreiben des Oberkommandierenden der GSSD an den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR (25.8.1988). 81 Ebd. Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR an den Oberkommandierenden der GSSD (6.10.1988). 82 Schulter an Schulter, S. 61. 83 Vgl. zur Erziehung von Freund- und Feindbildern: Satjukow, Gries, Feindbilder des Sozialismus. 84 »Grundsätze der Strafgesetzgebung der UdSSR« vom 25.12.1958 (Art. 17), abgedruckt in: Amtliche Entwürfe der »Grundsätze der Strafgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken«, S. 24. 85 Informationen von Igor W. (7.9.2005), geb. 1958, diente von 1980 bis 1986 als Politoffizier in Dresden; von Wladimir S. (30.1.2004) arbeitete in den achtziger Jahren als Militärrichter in Wünsdorf; und von Igor T. (1.3.2004), geb. 1948, arbeitete von 1982 bis 1985 als Major in Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. 86 Vorwort des Verteidigungsministers Dmitri Jasow, zit. nach: Schofield, S. 9. 87 Vgl. Art. 121, Abs. 15, 16. In: Verfassung (Grundgesetz). 88 Vgl. Schröder, Geschichte und Struktur, S. 54; auch: Umbach, S. 19ff.; Nichols, S. 12ff. 89 Vgl. Umbach, S. 36ff. 90 Vgl. Ders., S. 40. 91 Partijno-političeskaja rabota (1984), S. 48ff. 92 Vgl. Petrov, S. 409; Epišev, S. 68f.; Reese, Red Commanders, S. 207ff. 93 Vgl. Scott, Scott, S. 294. 94 Colton, Commissars. 95 Russ.: Političeskij zamestitel’. 96 Obščevoinskie ustavy, S. 25ff. u. 217ff. 97 Ebd., S. 25. 98 Vgl. Bailey, Kondraschow, Murphy, S. 67. 99 Informationen von Igor W. (vgl. Kap. 3, Anm. 85). 100 Über diese Mitarbeiter ist in der Forschung kaum etwas bekannt. Angelegenheiten des ehemaligen Geheimdienstes wie der Spionageabwehr unterliegen weiterhin der Geheimhaltung. 101 Informationen von Igor W. (vgl. Kap. 3, Anm. 85); von Alexander L. (5.7.2002), geb. 1956, bis 1990 Dolmetscher bei der Standortkommandantur Weimar. In: Archiv Silke Satjukow.
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102 Vgl. zum Armeepersonal: Arlt, … stets wachsam, S. 210ff. 103 Voennaja prisjaga, abgedruckt in: Obščevoinskie ustavy, S. 5. 104 In der Regel verfügte jeder Soldat über eine Paradeuniform und eine Arbeitsuniform, einen Wintermantel, einen Regenumhang, eine Winter- und Sommermütze, Schuhe für die Paradeuniform sowie Stiefel aus Kunstleder. Unterwäsche und Fußlappen. Die Kleiderausstattung innerhalb der GSSD galt als ausgesprochen nobel. Zumeist wurde noch nicht getragene Kleidung an die Rekruten ausgegeben, ein Privileg, das auf dem Territorium der UdSSR nicht selbstverständlich war. 105 Zu den Einrichtungsvorschriften: Obščevoinskie ustavy, S. 70ff. 106 Reese, Red Commanders, S. 177ff. u. 217ff.; Weiner, Myth; Weeks. 107 Reese, Soviet Military Experience, S. 144ff. 108 Eine Untersuchung der Leninakademie in Moskau aus dem Jahr 1991 deckte ein dichtes Netz protektionistischer Beziehungen innerhalb der Streitkräfte auf. Vgl. Armija (1991) 22, S. 42. 109 Reese, Soviet Military Experience, S. 138ff. 110 Etwa neunzig Prozent der Offiziere waren Ende der siebziger Jahre Mitglied der KPdSU, achtzig Prozent verfügten über Hoch- oder Oberschulbildung. Vgl. Horizont, 12.2.1978; Jones, Red Army, Kap. 5; Nichols, S. 7ff. 111 Vgl. Moskovskij, S. 140. 112 Vgl. Steinert, Treiber, S. 121. 113 Vgl. Heiseler, S. 119f. 114 Vgl. Mosen, S. 46f. 115 Vgl. zum Afghanistan-Krieg: Allan; Ljachovskij; MacEachin; Korž. 116 Vgl. Sapper, Afghanistan, S. 97. 117 Vgl. Sovetskie vojska v Germanii, S. 40. 118 Vgl. zum Afghanistan-Syndrom: Sarin, Dvoretsky; Tamarov. 119 Vgl. BStU, MfS HA II, 22584, Bl. 10. Information über Probleme der Entwicklung in den sowjetischen Streitkräften nach dem XXVII. Parteitag und der XIX. Parteikonferenz der KPdSU (Dezember 1988). Zu dieser Generation allgemein: Bachkatov, Wilson, Die Kinder Gorbatschows; Gross. 120 Vgl. Verteidigungsminister Dmitri Jasow, in: BStU, MfS HA II, 22584, Bl. 9f. Information über Probleme der Entwicklung in den sowjetischen Streitkräften nach dem XXVII. Parteitag und der XIX. Parteikonferenz der KPdSU (Dezember 1988). 121 Es ist davon auszugehen, dass die militärische Mobilisierung der UdSSR ebenso wie die direkte Involvierung der Gesellschaft in den Krieg vergleichsweise gering blieb. Die Angaben reichen von 520.000 bis 730.000 mobilisierte Soldaten. Je nachdem, auf welche Quelle man sich stützt, repräsentierten die kämpfenden Truppen etwa 0,21 Prozent bis 0,34 Prozent der Gesamtbevölkerung. Vgl. Sapper, Afghanistan, S. 102f. 122 Vgl. Varennikov, S. 14. 123 Vgl. Znakov; Abdurachmanov. 124 Pravda, 4.4.1987. 125 Vgl. Lewin, S. 36f. 126 Vgl. Riordan. 127 Vgl. Treml, S. 12. 128 Vgl. Gabiani; Ahlberg. 129 Vgl. Verteidigungsminister Dmitri Jasow, zit. nach: BStU, MfS HA II, 22584, Bl. 8. Information über Probleme der Entwicklung in den sowjetischen Streitkräften nach dem XXVII. Parteitag und der XIX. Parteikonferenz der KPdSU (Dezember 1988). 130 Ebd., sowie Kramer, S. 102. 131 Die Statistiken über die durch Angehörige der GSSD verübten Straftaten auf dem Territorium der DDR bestätigen diese Tendenz. Vgl. hierzu Kapitel 3.2.3.
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Anmerkungen zu Seite 121–127 Veröff. in: Isvestija, 3.9.1988. Vgl. Sapper, Das sowjetische Militär, S. 114. Komsomol’skaja Pravda, 29.12.1988. Über die gegenwärtige Situation: The Wrongs of Passage: Inhuman and Degrading Treatment of New Recruits in the Russian Armed Forces. Human Rights Watch 8 (October 2004) (http://hrw.org/reports/2004/russia1004/). Vgl. Lewada, S. 126–138; Goffman, S. 25f. Obščevoinskie ustavy, S. 18ff. Vgl. Lewada, S. 133. Vgl. Goffman, S. 16ff. Vgl. ebd., S. 17. Ebd., S. 118. Die Jugendzeitschrift »Komsomol’skaja Pravda« veröffentlichte 1987 einen Artikel über einen jungen Soldaten, der seine Peiniger tötete. Daraufhin erhielt die Redaktion 15.000 Leserzuschriften – eine Resonanz, wie bis dahin bei keinem anderen Thema. Auf einer Allunions-Armeekonferenz Anfang der sechziger Jahre deutete der Chef der Politischen Hauptverwaltung an, dass dieses Phänomen neuerdings verstärkt auftreten würde. Vgl. Schröder, Kameradenschinderei, S. 6. Vgl. Gornyj, S. 69f.; Lizičev, S. 130f. 1987 erschien eine Kurzgeschichte von Jurij Poljakov, »Hundert Tage bis zur Entlassung«. Die Erzählung schildert die Hierarchien unter den Soldaten und das Ausmaß der Repressionen. Sie leitete eine monatelange Diskussion ein, in deren Verlauf immer neue Fälle der »Herrschaft der Großväter« bekannt wurden. Vgl. Slučaj v specvagone. In: Komsomal’skaja Pravda, 29.7.1988; Rekord uchodjačevo goda? In: Komsomol’skaja Pravda, 29.12.1988. Vgl. Belanovskij, Marzeeva. Die Zahl der Nationalitäten variierte bei den einzelnen Volkszählungen. Vgl. Plaggenborg, Handbuch Russlands, S. 604. Nacional’nyj sostav, Anm. 20/21 u. 26/27. Vgl. Rakowska-Harmstone, Minority nationalism, S. 251. Vgl. Zur Nationalitätenfrage innerhalb der Armee: Rakowska-Harmstone, Nationalities; Szayna. Vgl. Rakowska-Harmstone, Nationalities, S. 9; Sapper, Nationalitätenkonflikte, S. 6. Die am meisten favorisierten Gruppen waren Russen, Ukrainer, Weißrussen, Tataren und Kasachen. Die am deutlichsten negativ definierten Stereotype hatten sich gegenüber Armeniern, Usbeken, Aserbaidschanern und Tadschiken ausgebildet. Vgl. »Einschätzung des Zustandes der Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen in den Basiskollektiven der Streitkräfte der ehemaligen UdSSR«, zit. nach: Fischer, Zerfall einer Militärmacht, S. 89–105. 1990 bestand das Offizierskorps zu 97 Prozent aus Russen, Weißrussen, Ukrainern und Tataren. Vgl. Rodionov, S. 3ff. BStU, MfS HA I, 13215, Bl. 114. Protokoll über die Arbeitsgespräche zwischen den Delegationen der HA I des MfS der DDR und der 3. Hauptverwaltung des KGB der UdSSR vom 28. bis 30.3.1985 (3.6.1985). Barabanstschikow, S. 53. Vgl. Obščevoinskie ustavy, S. 79ff. Freiheiten des Soldaten im Dienstalltag hingen ab vom Standort, von seiner Stellung und von seinem Dienstalter: Facharbeiter, Fahrer, Sportler, Musiker oder Künstler verfügten über deutlich mehr Freiräume als Soldaten ohne Spezialausbildung. Obščevoinskie ustavy, S. 183. Vgl. Mikul’skij, Rogovin, Šatalin. Klaus R. (22.4.2003), geb. 1941, seine Mutter betrieb seit den fünfziger Jahren einen Lebensmittelladen in Nohra. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 91. Ähnlich erging es auch
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der Inhaberin einer Gaststätte in Dresden. Aus Angst vor Beschädigungen beziehungsweise vor Einbrüchen in ihr Grundstück verkaufte sie auch in der Zeit von 23.00 bis 3.00 Uhr alkoholische Getränke. Vgl. BStU, MfS HA II, 24376, Bl. 315. Information der BVfS Dresden (8.10.1985). Wolfgang E. (26.5.2003), geb. 1941, sein Großvater betrieb seit den vierziger Jahren eine Gastwirtschaft nahe einer Garnison. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 103f. Schulter an Schulter, S. 90. Vgl. BStU, MfS HA II, 22584, Bl. 7f. Information über Probleme der Entwicklung in den sowjetischen Streitkräften nach dem XXVII. Parteitag und der XIX. Parteikonferenz der KPdSU (Dezember 1988). Verteidigungsminister Dmitri Jasow, zit. nach: Ebd., Bl. 8. Diese Einschätzung basiert auf einer Inhaltsanalyse ausgewählter Jahrgänge der »Krasnaja Zvezda« (1950, 1953, 1960, 1961, 1965, 1970, 1975, 1980, 1985, 1989). Krasnaja Zvezda, 7.10.1989. Krasnaja Zvezda, 16.11., 18.11. u. 9.12.1989. Sovetskaja Armija, 14.3.1979. Mischa P. stammt aus der Ukraine, er diente seit Mai 1989 in Weimar. Im Jahr 1992, kurz nachdem das Weimarer Nachrichtenregiment aus der Leibnizallee in die Heimat zurückgekehrt war, fand sich im Mauerwerk des Gebäudes ein dickes Paket Briefe. Die meisten waren von Angehörigen und Freunden an Mischa gerichtet, nur zwei Briefe waren von ihm selbst verfasst worden. BArch, DR 8/118, unfol. Zusammenstellung von Fest- und Gedenkanlässen (Dezember 1971). BArch, DR 8/133, unfol. Übersicht über die Programmstruktur 1974. Ebd. BArch, DR 8/118, unfol. Konzeption zur Sendereihe »Guten Abend Freunde« (21.1.1972). Offiziell lautete der Titel »Für Freunde der russischen Sprache«. Die unterschiedlichen Benennungen weisen darauf hin, dass man sich über die Intention der Sendung und über deren Zielpublikum keineswegs im Klaren zu sein schien. Ebd. DRA Potsdam-Babelsberg, IV SU, unfol. Informationsmaterial zur Sendereihe »Für Freunde der russischen Sprache« (Ablage 1977). Ebd. Liste der Jubiläen und anderen bedeutsamen Daten, die unseres Erachtens zweckmäßigerweise bei der Zusammenstellung des Sendeprogramms »Für Freunde der russischen Sprache« 1977 zu berücksichtigen sind (Ablage 1977). Die Angehörigen der GSSD waren hier nicht berücksichtigt. Vgl. BArch DR 8/133, unfol. Analyse der Sehbeteiligung an jedem Wochentag 1976 (o. D.). Zu ähnlichen Ergebnissen kamen neben den Sendequoten auch die regelmäßig durchgeführten Bevölkerungs-Foren. Vgl. SAPMO-BArch, DY 32/2044, unfol. Aktennotiz über ein Zuschauerforum der Redaktion »Freunde der russischen Sprache« am 23.9.1974 im Zentralen Haus der DSF in Rostock (30.9.1974). Gespräch mit Kasimir S. (3.5.2003), geb. 1960, von 1982 bis 1986 Offizier im Nachrichtenregiment Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. Dmitri Jasow, zit. nach: BStU, MfS HA II, 22584, Bl. 10. Information über Probleme der Entwicklung in den sowjetischen Streitkräften nach dem XXVII. Parteitag und der XIX. Parteikonferenz der KPdSU (Dezember 1988). Zur Westorientierung vgl. auch Müller, Tragische Anti-Helden. Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland, S. 28. Zu Geschichte und Struktur sowjetischer Geheimdienste allgemein: Barron; Albaz; Bakatin, Izbavlenie; Andrew, Mitrochin. Vgl. Foitzik, SMAD (Handbuch), S. 29; Gieseke, Mielke-Konzern, S. 38.
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Anmerkungen zu Seite 133–141 Vgl. Bailey, Kondraschow, Murphy, S. 65. Ebd., S. 173. Vgl. Gieseke, Mielke-Konzern, S. 42ff. Vgl. Kondraschew, S. 152. Vgl. Engelmann, S. 240. Ebd. Die Vereinbarung wurde am 26.6.1975 von KGB-Chef Juri W. Andropow und dem Chef des MfS Erich Mielke unterzeichnet. Vgl. BStU, MfS HA IX, 2597, Bl. 34–42. Ebd., Bl. 15. Aufgabenstellung des Mitarbeiters der Linie II in der Kreisdienststelle (7.3.1962). Ebd., Bl. 7. Dienstanweisung Nr. 3/63 des Ministers für Staatssicherheit (15.9.1964). Ebd. Vgl. BStU, Außenstelle Erfurt, KD Gotha, 130, Bl. 17. BStU, MfS BV Dresden, Abt. II, 9556, Bl. 8f. Schreiben des Leiters der BV Dresden an die Sowjetische Militärabwehr bei der 1. Gardepanzerarmee (31.1.1989). Ebd., Bl. 16f. Protokoll zur Absprache beim Stab der 1. Gardepanzerarmee (8.3.1989). BStU, MfS Abt. XII, 4465, Bl. 5. Statistische Erfassung der Suchaufträge der Freunde (Kennung »F«) vom November 1988 bis Juni 1989 (12.7.1989). Seit April 1985 wurden Halbjahresstatistiken über die Anzahl der Überprüfungen erstellt. Tatsächlich lag die Zahl der Personenüberprüfungen jährlich bei etwa 20.000. Seit Oktober 1979 waren Personendaten in das elektronische Informationssystem SOUD eingegeben worden. Der Rechner befand sich in Moskau und war im Verbund mit dem MfS, den Geheimdiensten der ČSSR, Bulgariens, Kubas, der Mongolei, Polens, Ungarns und Vietnams betrieben worden. Vgl. Anklageschrift gegen Generaloberst a. D. Markus Wolf, zit. nach: Fricke, DDR-Staatssicherheit, S. 77. Antje Gutermann (22.4.2003), geb. 1944, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren in einer LPG bei Weimar. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 139ff. Bernd Stumpe, geb. 1960, bekam während seines Militärdienstes Einblick in den Alltag des Partnerregiments. Zit. nach: Ebd., S. 192ff. Dietrich G., geb. 1949, arbeitete in den achtziger Jahren im Polizeidienst. Zit. nach: Ebd., S. 64ff. Herbert T. (9.9.2003), geb. 1947, arbeitete in den achtziger Jahren als Betriebsdirektor im VEB Uhrenkombinat Weimar. Zit. nach: Ebd., S. 175f. Wolfgang Schramm (8.9.2003), geb. 1947, arbeitete als Investbauleiter im VEB Weimar-Werk und als Ökonomischer Direktor im VEB Uhrenkombinat Weimar. Zit. nach: Ebd., S. 186. Frau P. (25.7.2003), geb. 1954, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren beim VEB Spezialhandel Leipzig und bei VEB Spezialbau Potsdam. Zit. nach: Ebd., S. 156ff. Bei der Durchsicht der (nicht vollständig überlieferten) Sofortmeldungen der BDVP an das MfS aus den siebziger und achtziger Jahren fällt auf, dass die übergroße Zahl der Deserteure Mannschaftsdienstgrade waren und dass die Tat überproportional häufig in den ersten Dienstwochen oder -monaten erfolgte. Spravočnik, S. 440ff. Obwohl Desertion weltweit als schwere Straftat galt und immer noch gilt, unterscheiden sich die nationalen Sanktionen stark voneinander. Anders als beispielsweise das bundesdeutsche Wehrstrafgesetz setzte das DDR- und auch das sowjetische Strafgesetz bei Desertion zusätzlich ein politisches Element voraus: die Beeinträchtigung des Ansehens des eigenen Staates. Zudem lagen die Höchststrafe von fünfzehn Jahren respektive die Todesstrafe deutlich höher als beispielsweise in der Bundesrepublik. Zum Problem der Desertion siehe: Seidler, Fahnenflucht. Militärrichter Wladimir S. bestätigt, dass von 1987 bis 1993 in Wünsdorf keine solchen Fälle von Hochverrat verhandelt worden sind. Vgl. Gespräch mit Wladimir S. (vgl. Kap. 3, Anm. 85).
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206 Laut Angaben des MfS gelang im Zeitraum von 1983 bis 1987 nur zwei Soldaten die Flucht in die Bundesrepublik. 19 Deserteure wurden im gleichen Zeitraum in der ČSSR, in Polen sowie in der UdSSR festgenommen. BStU, MfS HA IX, 64, Bl. 13f. Analyse zu Vorkommnissen mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD in der DDR (25.3.1982). 207 Zusammenhängende Statistiken zu Fahnenfluchten konnten nicht aufgefunden werden; den hier präsentierten Daten liegen Angaben unterschiedlicher Dienststellen zugrunde. 208 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Besprechungen mit der sowjetischen Militär-Hauptstaatsanwaltschaft (umfasst 1967/1968). 209 BArch, DO 1/5.0/40832, unfol. Analyse der Eilfahndungen Stufe I und II nach Angehörigen der Sowjetarmee (umfasst 1971 bis 1974). 210 BStU, MfS ZAIG, 5174, Bl. 32. Zu einigen Problemen des Zusammenwirkens zwischen den zuständigen Organen der GSSD und der DDR im Zusammenhang mit Fahndungen nach Angehörigen der GSSD (umfasst 1980 bis 1983). 211 BStU, MfS Sekr. Neiber, 418, Bl. 252. Information der HA VII, Abt. Fahndung vom 8.1.1988 (umfasst 1984 bis 1987). 212 BStU, MfS Sekr. Neiber, 73, Bl. 110. Fahnenfluchten WGT (Juli, August, September 1989). 213 BStU, MfS HA VII, 1334, Bl. 103. Information der Hauptabteilung Kriminalpolizei über Fahndungen nach Angehörigen der GSSD im Jahr 1987 (o. D.). 214 BArch, DO 1/5.0/40832, unfol. Analyse der Eilfahndungen Stufe I und II nach Angehörigen der Sowjetarmee (Februar 1975) (umfasst 1971 bis 1974). 215 BStU, BV Potsdam, Abt. VII, 805, Bl. 24. Information über Fahndungen nach Angehörigen der GSSD im Jahre 1988 (Februar 1989) (umfasst 1985 bis 1988). 216 BStU, KD Weimar, 1308, Bl. 7. Rückflußinformation über Probleme der operativen Fahndung (17.11.1986). 217 Bernd Stumpe, geb. 1960, diente Ende der siebziger Jahre in einer Elite-Einheit der NVA im Raum Brandenburg. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 187ff. 218 Spravočnik, S. 440ff., sowie BStU, MfS HA VII, 397, Bl. 74f. 219 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Groß- und Eilfahndungen. Fahndung GSSD 282/87. 220 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1987. Vermerk über eine Einweisung zum Befehl 0125/87 des Oberkommandierenden der GSSD »Über die Organisation des Wiederauffindens von Angehörigen der GSSD, die unerlaubt die Einheit verlassen haben« vom 14.10.1987 (5.12.1987). 221 Solche Verhöre, geleitet durch deutsche Ermittler, waren eine Seltenheit. In der Regel überließ man es den sowjetischen Fahndern, Gründe und Ursachen einer Flucht herauszufinden. Die deutschen Instanzen erfuhren von solchen »Innensichten« der Desertion gewöhnlich nichts. 222 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Groß- und Eilfahndungen. Fahndung GSSD 1989. 223 BStU, MfS HA IX, 9836, Bl. 39f. Vorläufiger Abschlussbericht des Leiters der BV Erfurt (22.3.1985). 224 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Rechtshilfeersuchen 1989. Schreiben der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft an den MOSTA (22.3.1989). 225 Ebd. 226 Ebd. Im Fahndungsgesuch 1978 war für die verschwundene Maschinenpistole vom Typ ›Kalaschnikow‹ die Nr. 8499 angegeben, im Schreiben von 1989 die Nr. 8399. 227 Vgl. ein »Sammelfahndungsersuchen« vom 4.7.1984, in dem sechs Personen aufgelistet waren, die bereits zwischen acht und sechs Jahren verschwunden waren. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Rechtshilfeersuchen 1984. 228 Auf Ortsbezeichnungen soll aus Gründen der Anonymisierung verzichtet werden. Zum Vorgang: BStU, KD Templin III, 25/74, Bl. 6f., 48, 58f., 65ff., 112, 144–149, 151ff., 168– 176. 229 Ebd., Bl. 59.
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Anmerkungen zu Seite 154–163 Ebd. Ebd., Bl. 66. Ebd., Bl. 112. Ebd., Bl. 169. Ebd., Bl. 148. Ebd. Ebd., Bl. 148f. Ebd., Bl. 144. BStU, MfS ZAIG, 3122, Bl. 2ff. Information über Vorkommnisse in Effelder, Bezirk Erfurt, im Zusammenhang mit der tödlichen Verletzung eines Angehörigen der GSSD (o. D.). Flüchtete der betreffende Militär mit der Waffe, kam er um den Arrest nicht herum. Entfernte er sich unbewaffnet, kam es darauf an, wie lange seine Ergreifung dauerte. Fand man ihn innerhalb der ersten 24 Stunden auf, so konnte sein Kommandeur im Prinzip entscheiden, ob er vor ein Tribunal zu stellen war oder nicht. Eine »Disziplinierung« durch den Vorgesetzten zog vor allem Strafdienste nach sich. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Sitzungsnotiz vom 24.2.1989. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Groß- und Eilfahndungen. Fahndung GSSD 045/86. Zum gesamten Vorgang: BArch MA, MOSTA. MB III (GSSD). Todesfälle 1983. Untersuchungsprotokoll Nr. 319/83. Ebd. Abschlussbericht des Transportpolizei-Amtes Frankfurt Oder, Abt. Kriminalpolizei (21.2.1983). Ebd. Ebd. Verfügung des Leiters der Außenstelle der Abt. Kriminalpolizei, TransportpolizeiAmt Frankfurt/Oder (21.2.1983). Den Angaben der GSSD war zu entnehmen, dass sich A. am Ende seiner zweijährigen Ausbildungsphase befand und bald hätte entlassen werden sollen. Fingerabdrücke vom Koppel waren nicht abgenommen worden. Die aufgeworfenen Fragen ergeben sich sowohl aus den Protokollen vom unmittelbaren Tatort als auch aus den Fotoaufnahmen des Vorgangs. Vgl. http://www.openweb.ru/smo/german/german.htm#Vorwort%20der%20Menschenrechtsorganisation (23.4.2006). Armija Nužna v zaščite. Ot kovo? In: Komsomol’skaja Pravda, 4.7.1990. Zum Abschlussbericht der Kommission: Zaključitel’nij doklad spezial’noj kommissii po proverke objektivnosti i polnoty rassledovanija pričin gibeli i travmatizma voennoslužaščich i voennych stroitelej v mirnoe vremja (Moskva, 23.3.1991). Zit. nach: Plač Jaroslavny (1991) 1, S. 4–8. Die Kommission ging von einer Gesamtstärke von vier Millionen Militärdienstleistenden aus. Die hier zitierten Ziffern lassen sich allerdings nicht anteilig auf die GSSD rechnen, denn: In unterschiedlichen Quellen wird immer wieder deutlich, dass die Bedingungen in der GSSD weitaus besser und »sicherer« waren als in den Militärbezirken auf sowjetischem Territorium. Es ist anzunehmen, dass es hier aufgrund optimierter Sicherheits- und Vorsichtsmaßnahmen sowie aufgrund intensiverer medizinischer Betreuung zu weniger Todesfällen gekommen ist. Vgl. http://www.openweb.ru/smo/german/german.htm#Vorwort%20der%20Menschenrechtsorganisation (4.6.2006). Isvestija, 18.3.1991. Die »Novoe Vremja« sprach unter Berufung auf »offizielle« Quellen [ohne sie zu benennen] von jährlich 10.000 Toten. Vgl. Novoe Vremja 32 (1990), S. 19. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 26.11.1990, und Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.1990. Vgl. Sowjetische Kriegsgräberstätten, S. 6. Die Militärs und Zivilen der Einheiten in Nohra wurden auf den Weimarer Friedhöfen bestattet.
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256 Das Bestattungsbuch der Kommandantur Weimar verzeichnete bis zum 31.12.1950 insgesamt 1.046 Tote, wohingegen die Eintragungen im Bestattungsbuch des Friedhofsamtes »nur« 1.038 Tote auswiesen, woraus sich eine Differenz von acht Fällen ergibt. StAW, HpA 13 15 11 02/1896, unfol. Bestattungsbuch GSSD 1945 bis 1978. 257 Ebd. 258 Freilich lässt sich anhand der Unterlagen – der Bestattungsbücher und der Bestattungsgenehmigungen durch die Kommandantur – nicht eruieren, aus welchen Einheiten genau die Toten kamen. Die Feldpostnummern der Verstorbenen wurden nicht angegeben. 259 StAW, HpA 13 15 11 02/1896, unfol. Bestattungsbuch GSSD 1945 bis 1978. 260 StAD, 9.1.14–814, unfol. Verzeichniskarte: Sowjetischer Ehrenfriedhof Dresden-Marienallee (1981), sowie Bericht über den Garnisons- und Zivilfriedhof der Besatzungsmacht (20.11.1949). 261 Hierbei handelte es sich um ehemalige Zwangsarbeiter, um Kinder, die unmittelbar nach der Geburt verstarben, und um Rotarmisten, die zu Kriegsende verstorben und erst später auf dem Ehrenfriedhof beigesetzt worden waren. Viele von ihnen konnten namentlich nicht mehr identifiziert werden. 262 Auch in Dresden weichen die Bestattungsbücher deutscher und sowjetischer Registraturen geringfügig voneinander ab. Ein Grund dafür könnten die festgestellten Mehrfachnennungen sein. So wurden in den fünfziger Jahren Personen gleich mehrfach in die Liste eingetragen, wobei die Grabeintragung die gleiche blieb, die Listennummer hingegen differierte. Vgl. Archiv des Städtischen Friedhofs- und Bestattungswesen, o.Sig. Russische Friedhöfe: Bestattungslisten der Kriegsgefallenen sowie der Angehörigen der GSSD 1945 bis 1969. 263 Obščevoinskie ustavy, S. 228. 264 Neben den Anweisungen der Dienstordnung existierten verschiedene Praxen unmittelbar nach der Feststellung des Todes, die jedoch kaum mit Unterlagen nachweisbar sind. Diese Angaben beruhen auf Gesprächaussagen von Zeitzeugen: Vgl. Informationen von Boris A. (23.11.2005), von 1984 bis 1989 Major im Stab Nohra; von Vera S. (6.8.2004), von 1979 bis 1984 Krankenschwester im Hospital Weimar, sowie von Andrej F. (5.4.2005), Anfang der achtziger Jahre Militärarzt im Hospital Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. 265 Informationen von Boris A. (vgl. Kap. 3, Anm. 91), sowie von Boris S. (4.5.2005), von 1983 bis 1987 Offizier in Dresden. In: Archiv Silke Satjukow. 266 Vgl. Obščevoinskie ustavy, S. 22 267 Exhumierungen waren vom jeweiligen deutschen Amtsarzt sowie vom kommunalen Bestattungsamt zu genehmigen. 268 Vgl. Gespräch mit Boris A. (vgl. Kap. 3, Anm. 91). In: Archiv Silke Satjukow. 269 In einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Militärarchivs Podolsk (Juni 2002) wurde deutlich, dass es mehr als unwahrscheinlich sei, über die wirklichen Todesumstände zuverlässige Informationen zu finden. Außerhalb der Gorbatschow-Kommission wurden keinerlei offizielle Untersuchungen über die Sterblichkeitsrate innerhalb der Sowjetischen Armee durchgeführt. Auch die von dieser Kommission erfassten etwa einhundert Todesfälle weisen zwar darauf hin, dass die in den Militärakten angegebenen Umstände nicht den Obduktionsbefunden entsprachen. Welche eigentlichen Gründe für den Tod dieser Soldaten verantwortlich waren, lässt sich anhand der kargen Veröffentlichungen aber nicht nachvollziehen. 270 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Leichenfälle 1968–1990. 271 Zaključitel’nij doklad spezial’noj kommissii po proverke objektivnosti i polnoty rassledovanija pričin gibeli i travmatizma voennoslužaščich i voennych stroitelej v mirnoe vremja (Moskva, 23.3.1991). Zit. nach: Plač Jaroslavny (1991) 1, S. 4–8. 272 Dies lässt sich sowohl aus Gesprächen mit sowjetischen Militärs als auch aus Aussagen deutscher Bestatter folgern.
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273 Vgl. Obščevoinskie ustavy, S. 227 u. 313ff. 274 Wie häufig dies bis Anfang der siebziger Jahre geschehen ist, lässt sich nicht sagen, weil lediglich die Bestattungszahlen, nicht aber die Todeszahlen bekannt sind. In Weimar gab es laut vorliegenden Akten nur einen Antrag auf Exhumierung. StAW, HpA 13 18 11 02/1896, unfol. Bestattungsbuch GSSD 1945 bis 1978. 275 Bis Anfang der siebziger Jahre waren die Wachhäuschen auf den Garnisonsfriedhöfen ständig besetzt, so dass die Transporte sofort in die Bestattungsbücher eingetragen werden konnten. 276 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Aktennotiz zur gemeinsamen Beratung zwischen dem kommandierenden General der Roten Armee für den Standort Weimar, dem Kommandanten der sowjetischen Militär-Kommandantur Weimar sowie dem Betriebsleiter des VVB(K) Stadtgärtnerei und Friedhöfe Weimar (19.9.1966). 277 Angehörige schrieben vielfach Briefe an die Friedhofsverwaltungen, in denen sie um eine Fotographie oder eine Beschreibung des Grabes baten. Es wurden auch Wünsche geäußert, an bestimmten Feiertagen Blumen auf das Grab zu legen. Vgl. Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Bestattungen GSSD, sowie Archiv des Städtischen Friedhofsund Bestattungsunternehmens Dresden, o.Sig. Angelegenheiten Russische Friedhöfe. 278 BArch DO 1/8.0/44733, unfol. Vermerk der Konsularabteilung der Botschaft der DDR in der UdSSR über ein Gespräch im MdI der UdSSR am 12.5.1971 (15.5.1971). 279 Vgl. Informationen von Boris A. (vgl. Kap. 3, Anm. 91); von Igor W. (vgl. Kap. 3, Anm. 85), sowie von Alexander L. (vgl. Kap. 3, Anm. 101); Günter Dospiel (9.8.2003), geb. 1930, seit den sechziger Jahren Steinmetz in Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. 280 Obščevoinskie ustavy, S. 317ff., sowie Informationen von Günter Dospiel (vgl. Kap. 3, Kap. 279). 281 Obščevoinskie ustavy, S. 314. 282 Veröffentlicht im GBl. DDR/II, Nr. 73 (1971). Die vorherige Verordnung von 1961 unterschied sich kaum von den neuen Bestimmungen [veröffentlicht im GBl. DDR/II, Nr. 14 (1961)]. 283 Klaus U. (5.9.2003), Klempnermeister in Weimar, war in den achtziger Jahren für das Verzinken der Särge zuständig. 284 Arbeitsgemeinschaft Sowjetische Gräberstätten, S. 23ff. 285 Zu den Todeszahlen vgl. Filimošin, S. 24. 286 Vgl. Krivošeev, S. 219ff. 287 Sowjetische Friedhöfe aus der Zeit nach 1945 befinden sich in Berlin-Marzahn, Schwerin, Güstrow, Greifswald, Potsdam, Eberswalde, Cottbus, Magdeburg, Halle/Saale, Weimar, Gotha, Chemnitz, Dresden sowie an einigen weiteren ehemaligen Garnisonsstandorten. Vgl. Befehl Nr. 117 des Obersten Chefs der SMAD und Oberkommandierenden der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland vom 15. April 1945 »Über die Einrichtung gesonderter Friedhöfe für die Bürger der UdSSR (Militär- und Zivilpersonen) in der sowjetischen Zone Deutschlands«. StAD, 9.1.14–742, unfol. Anweisungen SMAD zur Anlegung von Ehrenhainen (1946–1949). 288 Ebd. Befehl der SMAD Nr. 86 vom 18.3.1946. Solche ausführlichen Register wurden nicht angelegt, sondern lediglich Totenlisten mit entsprechenden Grabnummern erstellt. Vielerorts waren sie nach Rang und Position unterschieden, so existieren in Dresden gesonderte Listen für Zivilpersonen, Mannschaftsdienstgrade und Offiziere. 289 Ebd. Befehl des Obersten Chefs der SMAD Nr. 117 vom 15.4.1946 »Über die Errichtung besonderer Friedhöfe für die Bestattung von Staatsangehörigen der UdSSR (Militär- und Zivilpersonen) in der sowjetischen Okkupationszone Deutschlands«. 290 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Unterlagen zum Ehren- und zum Garnisonsfriedhof in Weimar. 291 StAW, HpA 13 15 11 02/114, unfol. Schreiben der Verwaltung der Russischen Militärkommandantur Weimar an den Oberbürgermeister (30.4.1946).
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292 Ebd. Notiz einer Besprechung zur Gestaltung der Militärfriedhöfe (18.6.1947). 293 StAW, HpA 13 15 11 02/114, unfol. Niederschrift der Stadtkämmerei über eine Besprechung mit dem Oberfinanzkontrolleur der SMATh (9.10.1947). 294 StAD, 9.1.14-815 Bd. I, unfol. Bereitstellung der Finanzabteilung der Kommandantur Dresden zum Bau eines Garnisonsfriedhofes vom 6.8.1945. 295 StAW, HpA 13 15 11 02/651, unfol. Übergabeprotokoll des Garnisonsfriedhofes Belvedere (15.4.1949). 296 StAD, 9.1.14-816 Bd. 2, unfol. Notiz über eine Zusammenkunft des Leiters des Kommunalen Bestattungsamtes mit dem Stadtkommandanten Dresden (2.6.1949). 297 Archiv des Städtischen Friedhofs- und Bestattungsunternehmens Dresden, o. Sig. Bericht über den Garnisons- und Zivilfriedhof der Besatzungsmacht in Dresden (20.11.1949). 298 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Zuarbeit für eine Berichterstattung der Entwicklung der sowjetischen Soldatenfriedhöfe in Weimar (30.9.1991). 299 Die überflüssigen Grabeinfassungen wurden in Weimar von einigen Mitarbeitern zum Ausbau der privaten Garage genutzt. Vgl. Günter Dospiel (vgl. Kap. 3, Anm. 279). 300 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Rekonstruktion der Grabinschriften Russische Friedhöfe 1988. 301 Archiv des Städtischen Friedhofs- und Bestattungsunternehmens Dresden, o. Sign. Schriftverkehr Russische Friedhöfe. 302 StAD, 9.1.14-742, unfol. Schreiben des Rates des Bezirkes, Örtliche Versorgungswirtschaft, an den Rat der Stadt Dresden, Abt. ÖVW und Abt. Innere Angelegenheiten (23.1.1974). 303 Gespräch mit Hans Backhaus (10.5.2003), in den siebziger Jahren Mitarbeiter des Friedhofsamtes, später in der PGH Gartenbau in Weimar; mit Frau K. (4.7.2002), seit den sechziger Jahren Mitarbeiterin des Friedhofsamtes Weimar, sowie mit Familie Weber (23.11.2006), geb. 1935 u. 1937, beide arbeiteten von den sechziger bis Anfang der neunziger Jahre auf dem Dresdener Garnisonsfriedhof. In: Archiv Silke Satjukow. 304 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o. Sig. Kranzniederlegungen Sowjetischer Ehrenfriedhof Park 1987. 305 StAD, 9.1.14-738, unfol. Niederschrift des Rates der Stadt Dresden zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus – Kurzbericht über Pflege und Zustand der Ehrenhaine, Gedenkstätten der gefallenen Helden der Sowjetunion und der antifaschistischen Widerstandskämpfer (o. D.). 306 Archiv des Bau- und Grünflächenamtes Weimar, o.Sig. Schreiben des Leiters des Pionierhauses »Pawlik Morosow« an die VEB Stadtgärtnerei und Friedhöfe (31.10.1974). 307 Entsprechend dem »Kriegsgräbergesetz« der DDR vom 1. März 1972 galten die meisten der hier bestatteten Toten nicht als Kriegsgefallene. Die Regelung bezog sich nur auf »Gräber von Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 31. März 1952 während ihres militärischen oder militärähnlichen Dienstes gefallen oder tödlich verunglückt oder an den Folgen der in diesen Diensten erlittenen Gesundheitsschädigungen gestorben sind, ferner Gräber von Personen, die während der Kriegsgefangenschaft oder an deren Folgen bis 31. März 1952 oder innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft gestorben sind.« Vgl. »Grundsätze für die Kennzeichnung, Pflege und Gestaltung von Gräbern Gefallener und ausländischer Zivilpersonen in der DDR« vom 1. März 1972. 308 Vgl. BStU, ZA, 4149, Bl. 2ff. BStU, MfS HA IX, 34. Informationen zum Umstürzen von Grabsteinen 1985–1987. In diesem Zeitraum finden sich insgesamt nur drei Meldungen. Ehemalige Mitarbeiter der Friedhofsverwaltungen bestätigen, dass es nur selten zu Übergriffen gekommen sei. Die Täter wären dann zumeist Kinder oder Jugendliche gewesen, die die Grabplatten umgeworfen hatten. In den achtziger Jahren seien bisweilen Hakenkreuze auf die Steine gemalt worden.
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3.2 (Un-)Freiwillige Nachbarschaften 1 Eine Bemerkung gegenüber dem späteren Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates, Fritz Streletz. Zit. nach Streletz, S. 132. 2 Zur WVO: Wiener; Gribkov, Warschauer Pakt; Umbach; Mastny, Byrne. 3 Umbach, S. 134. 4 Vgl. Umbach, S. 115ff., sowie Mastny, Byrne, S. 3ff. 5 Am 5.3.1955 hatte Nikita S. Chruschtschow den Entwurf des Vertragswerkes an die Parteiund Regierungschefs der Verbündeten geschickt. Vgl. Umbach, S. 118. 6 Vgl. Fodor, S. 8ff. Zu den Truppenstationierungsverträgen: Frenzke, Uschakow, S. 94ff. 7 Vgl. Subok, Pleschakow, S. 296ff. 8 Vgl. Tiedtke, S. 53. 9 Vgl. Nielsen, S. 55f.; Giese, S. 185ff.; Mastny, Byrne, S. 20ff.; Umbach, S. 143. 10 Nielsen, S. 57ff.; Simon, Warsaw Pact, S. 22. 11 Anfang Dezember 1960 teilte das Vereinte Oberkommando der NVA-Führung mit, dass ostdeutsche Streitkräfte demnächst R-11M (SCUD-A) Flugkörper samt Abschusseinrichtungen für die Aufstellung einer 1.200 Mann starken Raketenbrigade erhalten werden. Ab Sommer 1962 erfolgte nördlich von Pasewalk die Aufstellung einer NVA-Raketenbrigade. Parallel dazu begann die Zuführung von Einsatzmittel für taktische Nuklearsprengköpfe. Die Aufstellung der ersten selbstständigen Raketenabteilung »Luna« begann am 11.5.1962. Die atomaren Gefechtsköpfe blieben freilich unter sowjetischer Verfügungsgewalt, wenngleich sie – anders als bei den anderen Warschauer Mitgliedsstaaten – nicht auf dem Territorium der UdSSR stationiert waren, sondern seit Mitte der sechziger Jahre auf dem Gebiet der DDR. Vgl. Uhl, S. 194ff. Auch: Ivkin, Uhl; Umbach, S. 144; Simon, S. 22. 12 Nichols, S. 91ff. 13 Vgl. Mastny, Byrne, S. 68ff. 14 Wiener, S. 23ff. 15 Vgl. Nielsen, S. 21; Nichols, S. 69ff. u. 87ff. 16 Die erste Übung der Vereinten Streitkräfte hatte im Herbst 1961 auf dem Gebiet der DDR, der Tschechoslowakei und Polens stattgefunden und trug den Namen »Burja« (Der Sturm). Im Jahr 1963 fand dann das große Manöver »Quartett« im Raum Dresden statt, an dem 40.000 Soldaten auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern den »Ernstfall« probten. Später trugen die Manöver zumeist nur noch die Bezeichnung »Waffenbrüderschaft«. 17 ThHStAW, BPA SED Erfurt, B IV/2/9.01/665, unfol. Losungen für die Öffentlichkeitsarbeit während der gemeinsamen Manöver (o. D.). 18 Am Manöver (vom 10.–24. Oktober 1965) beteiligt waren 65.000 Personen, 1.200 Panzer, 1.200 Schützenpanzerwagen, 10.000 Kraftfahrzeuge, 800 Artillerie- und Flak-Geschütze, 700 Flugzeuge und 3.000 Funkstationen. Vgl. BStU, MfS ZAIG, 23510, Bl. 19. Mappe »Oktobersturm«. 19 ThHStAW, Bezirkstag und Rat des Bezirkes Erfurt, I-235, Bl. 1 u. 3. Ergänzung des Arbeitsplanes der Kommission für sozialistische Wehrerziehung bis zum 20. Jahrestag der Gründung der SED (Dezember 1965). 20 Ebd., Bl. 191. Berichterstattung zur Durchführung der Sicherungsaufgaben des Manövers »Oktobersturm« (26.10.1965). 21 Ebd., Bl. 193. Zu den Wahlvorbereitungen im Bezirk Erfurt allgemein: ThHStAW, Nationale Front der DDR, Bezirkssekretariat Erfurt, 473. 22 BStU, MfS GH 8/68, Bd. 1, Bl. 71. Melde- und Informationssystem Einsatzstab Aktion »Oktobersturm« (10.10.1965). 23 Ebd., Bl. 29. Einschätzung der Abteilung VII der BV Erfurt (15.10.1965).
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24 Ebd., Bl. 30. 25 Ebd., Bl. 219ff. 26 Ebd., Bl. 559f. Zur militärisch-politischen Einschätzung des abgeschlossenen Manövers »Oktobersturm« (25.10.1965). 27 BArch MA, VA-P-01/2193, Bl. 202ff. Sonderinformation über die militärpolitische Arbeit im Übungsraum des Manövers »Oktobersturm« unter der Bevölkerung (9.10.1965). 28 Ebd. 29 ThHStAW, MdI, BDVP 20.1, 126, Bl. 18f. Abschlussbericht über die Großkundgebung Buchenwald 19.10.65 (20.10.1965). 30 Neben dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, waren weitere namhafte Regierungs- und Parteimitglieder gekommen. Dazu Vertreter der Botschaften aller teilnehmenden Armeen sowie deren Verteidigungsminister, aber auch die Ressortchefs aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien und aus Kuba. 31 Das Volk, 20.10.1965. 32 Das Volk, 19.10.1965. 33 ThHStAW, MdI, BDVP 20.1, 126, Bl. 18f. Abschlussbericht über die Großkundgebung Buchenwald 19.10.65 (20.10.1965). 34 BStU, MfS GH 8/68, Bd. 1, Bl. 71. Melde- und Informationssystem Einsatzstab Aktion »Oktobersturm« (10.10.1965). 35 Ebd., Bd. 1, Bl. 57. Informationsbericht Nr. 18 (14.10.1965). 36 ThHStAW, BPA SED Erfurt, IV-2/9.01/662, unfol. Kurzinformationsbericht über Stimmungen und Meinungen zum bevorstehenden Manöver der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Vertrages (18.10.1965). 37 BStU, MfS GH 8/68, Bd. 1, Bl. 58. Informationsbericht Nr. 18 der KD Weimar (14.10.1965). 38 Ebd., Bl. 28. Lageeinschätzung des Abschnittes I der Aktion »Oktobersturm« (19.10.1965). 39 Ebd., Bd. 3, Bl. 44ff. Witze, die während und nach dem Manöver »Oktobersturm« innerhalb der NVA kursierten (3.12.1965). BStU, MfS GH 8/68, Bd. 1, Bl. 274. Meldung des Stabes MdI (20.10.1965). 40 BStU, MfS GH 8/68, Bd. 3, Bl. 44ff. Witze, die während und nach dem Manöver »Oktobersturm« innerhalb der NVA kursierten (3.12.1965). 41 BStU, MfS GH 8/68, Bd. 1, Bl. 274. Meldung des Stabes MdI (20.10.1965). 42 BArch MA, VA-01/2941, Bl. 225. Sonderinformation: Die Arbeit der Publikationsorgane, Anlage 1 (13.11.1965). Der Morgen, 23.10.1965. 43 Sonderausgabe der »Volksarmee«, 22.10.1965. 44 Ebd. 45 Harry Berbig (30.6.2003), geb. 1927, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren als Direktor der POS Isseroda. In: Archiv Silke Satjukow. 46 Berliner Zeitung, 16.3.1966. 47 Ebd. 48 Vgl. FF-Dabei, Programm vom 16. bis 26.10.1965. 49 Seit der Gründung der NVA 1957 hatte es bereits regelmäßige Kontakte zum »Regiment von Nebenan« gegeben. Auf der Basis des Staatsvertrages zwischen der UdSSR und der DDR über »Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit« vom 12.6.1964 wurden die vorhandenen Beziehungen unter Einbeziehung sämtlicher Parteien und Massenorganisationen der DDR sowie der KPdSU und des Komsomol ausgebaut. 50 BArch MA, DVW1/55649, Bl. 190ff. Einschätzung der Waffenbrüderschaftsmaßnahmen im Ausbildungsjahr 1985/86 (o. D.). 51 Roland H. (8.3.2004), geb. 1959, diente in den achtziger Jahren als Offizier in der NVA. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 207ff. 52 Wilfried K, geb. 1940, war als technischer Offizier und später als Kompaniechef in einem Panzerregiment der NVA in Gotha tätig. Vgl. ebd., S. 201ff.
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53 BStU, MfS HA XVIII, 15230, Bl. 1–4. Koordinierungsvereinbarung zwischen der HA XVIII und der HA II des MfS über die Zusammenarbeit zur Realisierung von Sicherungsaufgaben im Interesse des Schutzes der GSSD vor subversiven Angriffen (30.3.1981). 54 Vgl. zur Wehrerziehung allgemein: Heitmann; Sachse. 55 BArch, DR 2/D 471, unfol. Information über die Durchführung der Wehrausbildung im Lager und des Lehrgangs Zivilverteidigung für die Schüler der Klasse 9 im Schuljahr 1988/89. 56 Im Abkommen waren kommunale Leistungen wie Müllabfuhr, Kanalreinigung und Schornsteinfegen sowie Gas-, Strom- und Wasserversorgung definiert worden. In diesen Bereichen ging man weitgehend sachdienlich miteinander um. Die historiographische Rekonstruktion solcher Routinen ist jedoch mit einem Manko an Quellen konfrontiert. Weil die Streitkräfte als »normale Kunden« betrachtet wurden, erhielten sie ebenso wie andere Abnehmer monatliche Rechnungen über erbrachte Leistungen, die sie in der Regel auch zahlten. Die Quittungen aber wurden nach dem Ende der DDR vernichtet. Aufklärung konnten hier vielfach die Aussagen von Zeitzeugen bieten: Einstige kommunale Bedienstete erinnerten sich an eine akzeptable Zusammenarbeit; erst Ende der achtziger Jahre, vor allem aber kurz vor dem Abzug sei es zu auffälligen Zahlungsverzögerungen gekommen. Weitere Dienstleistungen wurden durch direkte Verträge mit örtlichen Betrieben vereinbart: mit Wäschereien, Bäckereien, Reparaturdiensten, Schlachthöfen. Auch hierüber existieren für die hier bearbeiteten Garnisonen keine Unterlagen mehr. 57 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 171. Informationen zu Bedarfsmeldungen und Warenbereitstellung (1988). Der Wert der zollfrei aus der UdSSR eingeführten Waren betrug im Jahr 1987 insgesamt etwa 30 Millionen Mark. 58 BStU, MfS HA XIX, 2027, Bl. 50. Probleme für politisch-operatives Zusammenwirken mit den sowjetischen Staatssicherheitsorganen (18.4.1977). Die DDR wurde im Inanspruchnahmeabkommen verpflichtet, alle Militärtransporte für die Streitkräfte zu gewährleisten: Dazu gehörten neben Eisenbahn-, auch Schiffs- und Fährtransporte (via Rostock und Wismar bzw. via Mukran). Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 41f. Analyse 1988. 59 Zur rechtlichen Stellung des VEB Spezialhandel wie zu seinen Aufgaben vgl. die »Anordnung über das Statut der Hauptdirektion vom 6.5.1971« des Ministers für Handel und Versorgung, veröffentlicht in: GBl. DDR/III, Nr. 46 (1971), S. 356. 60 Geregelt wurde die Zusammenarbeit im »Handelsvertrag zwischen dem Sowjetischen Handelsunternehmen 147 und der Hauptdirektion Spezialhandel über Methoden und Bedingungen der Versorgung der sowjetischen Streitkräfte mit Konsumgütern« vom 25.6.1979. 61 Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 171. Analyse 1988. 62 Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 15080, Bl. 198–204. Einschätzung des Standes der politisch-operativen Abwehrarbeit im Bereich der Versorgung der GSSD-Spezialhandel (14.9.1981). 63 Vgl. ebd. 64 PAAA, G A1, Bl. 207. Niederschrift des Sekretärs der deutschen Seite der Gemischten deutsch-sowjetischen Kommission vom 2.12.1960. 65 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 59f. Analyse 1988. 66 SHStAD, Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden, 5096, unfol. Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium für Handel und Versorgung an den Abteilungsleiter beim Rat des Bezirkes Dresden (21.8.1952). 67 Seit Ende der fünfziger Jahre existierten spezielle Lieferverordnungen sowie Militärabnehmerverordnungen, mit deren Hilfe Schwächen des Wirtschaftssystems gemildert werden sollten. Bei Nichterfüllung solcher Aufträge konnte der Betrieb respektive der zuständige Leiter wegen »Verstoßes gegen die Staatsdisziplin« mit Disziplinarverfahren und Wirtschaftssanktionen geahndet werden. Das Militär genoss in der Planung Priorität, trotzdem kam es auch in diesem Bereich immer wieder zu Engpässen. Gesetzliche Grundlagen dafür waren die »Verordnung über die Erteilung und Durchführung von Regierungsaufträgen« vom 17.12.1953 (GBl. DDR/III, Nr. 134 [1954], S. 1307),
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die »Mitteilung über die Allgemeinen Lieferbedingungen für Regierungsaufträge« vom 2.2.1959 (Verfügungen und Mitteilungen der SPK Nr. 4/1959) und die »Verordnung über Lieferungen und Leistungen an die bewaffneten Organe – Lieferverordnung (LVO)« vom 15.10.1981 (GBl. DDR/I, Nr. 31 [1981], S. 357). SAPMO-BArch DY 30/2784, Bl. 132f. Schreiben des Ministers für Finanzen an Günter Mittag (17.8.1981). Ebd., Bl. 230. SAPMO-BArch DY 30/2844, Bl. 222. Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Effektivität des VEB Spezialbau Potsdam bei der Vorbereitung und Durchführung von Lieferungen und Leistungen für die GSSD (1982). Durch die Einrichtung eines Hubschrauberlandeplatzes hatte sich die Zahl der Soldaten, Offiziere, Zivilarbeiter und Familienangehörigen in Nohra deutlich erhöht, für sie mussten nun Wohnblocks im Wert von fast einer Million Mark gebaut werden. Weil das Vorhaben zum Teil von der Gemeinde finanziert werden sollte, musste dieselbe auch einen Beschluss fassen. Vor allem aber hatte sie ihre Bürger davon zu überzeugen, dass Leistungen im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks in diesem Fall unerlässlich wären. Nicht ganz einfach, wenn man bedenkt, dass im Dorf seit dem Kriegsende keine Wohnhäuser für die Einheimischen mehr gebaut worden waren, die Bevölkerungszahl hingegen ständig zugenommen hatte. Vgl. Berbig, S. 45. Auf Antrag des Oberkommandos und aufgrund der Entscheidungen des Vorsitzenden des Ministerrates baute der VEB Spezialbau seit 1967 Wohnungen für die Truppe, die aus den Mitteln des Staatshaushaltes der DDR finanziert und zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung gestellt wurden. Von 1967 bis 1990 wurden auf Grund »zentraler Entscheidungen« aus Mitteln des Staatshaushaltes der DDR 34.515 Wohnungseinheiten gebaut und unentgeltlich bereitgestellt. Im Jahr 1986 lebten 1.609 Familien von Angehörigen der GSSD in Räumen, die ursprünglich nicht für Wohnzwecke gedacht waren. 2.122 Familien verfügten über weniger als fünf Quadratmeter Wohnfläche pro Person, sechzig Prozent der Familien waren in überbelegten beziehungsweise mit mehreren Familien belegten Wohnungen untergebracht. Seitens der Regierung der DDR wurde hier eine umfangreiche Hilfe gewährt, nicht indes seitens der Regierung der UdSSR. Vgl. BStU, MfS ZAIG, 7501, Bl. 11f., sowie BStU, MfS XVIII, 400, Bl. 32f. Analyse 1988. BStU, MfS HA XVIII, 2096, Bl. 6. Niederschrift über die Ergebnisse einer Beratung beim Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission am 1.7.1977 (4.7.1977). BStU, MfS ZAIG, 7501, Bl. 12. Festlegungsprotokoll der Beratung zu Fragen der Bauleistungen für die GSSD am 16.1.1978 (17.1.1978). Ebd., Bl. 14. Schreiben des Oberkommandierenden der GSSD (13.2.1978). Ebd., Bl. 18. Information zu Genossen Generalmajor Dr. Zeiler – Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission und Chef des Militärbereichs (7.2.1978). Ebd. Ebd. Ebd., Bl. 16. Schreiben des Leiters der HA XVIII an den Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit (3.3.1978). BStU, MfS HA XVIII, 2996, Bl. 11. Erfüllung der Pläne für die GSSD in den Jahren 1976 und 1977 (o. D.). Ebd., Bl. 27. Weisung zur konspirativen Überprüfung des Falles durch den Stellvertreter des Ministers für Bauwesen (14.2.1978). Ebd., Bl. 27ff. Information zum Schreiben des Stellvertreters Operativ der BV Potsdam vom 7.2.1978. Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 1883, Bl. 4. Konzeption des Militärbereichs der SPK für die Beratung des Ministers für Nationale Verteidigung am 15.1.1988 (14.1.1988), sowie BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 172. Beschluss des Politbüros des ZK der SED »Information über
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Anmerkungen zu Seite 198–209 die Verantwortlichkeit und Aufgabenstellung der Arbeitsgruppe Militärbereich (GSSD) in der SPK und ähnlichen Organen in anderen Ministerien und ihre Unterstellung« (31.1. 1978). SAPMO-BArch DY 30/2844, Bl. 223. Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Effektivität des VEB Spezialbau Potsdam bei der Vorbereitung und Durchführung von Lieferungen und Leistungen für die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (1983). Ebd., Bl. 20. Dies betraf vor allem die Übergabe von Projektunterlagen an deutsche verantwortliche Instanzen, die Durchführung von Standortgenehmigungsverfahren sowie die Genehmigung der staatlichen Bauaufsicht der DDR. BStU, MfS HA XVIII, 1898, Bl. 1ff. Notiz des Stellv. Vorsitzenden des SPK vom 7.7.1988. Ebd., Bl. 6. Erinnerungen eines ehemaligen Ersten Kreissekretärs der SED Weimar (4.7.2003), geb. 1941, sowie eines Bezirksverantwortlichen für die Koordination kommunaler Aufgaben in Dresden (für die GSSD) (5.12.2003), geb. 1935. In: Archiv Silke Satjukow. Wolfgang Schramm (8.9.2003), geb. 1937, arbeitete als Investbauleiter im VEB WeimarWerk und als Ökonomischer Direktor im VEB Uhrenkombinat Weimar. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 180ff. Vgl. Heller; Nuss. Vgl. Segbers, S. 181f. Vgl. Saslawskaja, S. 96f. Vgl. ebd. BStU, MfS BV Dresden, AKG PI, 146/86, Bl. 34f. Informationen über den ambulanten Handel durch die GSSD, sowie BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 52. Analyse 1988. Zu Einstellungen gegenüber dem Konsumverhalten von Ausländern in der DDR vgl. Gries, Jenseits der »Brücken der Freundschaft«. Vgl. Merkel, 278ff. Zum Gesamtvorgang: BStU, MfS BV Dresden, 8242, Bl. 1–5, Bl. 5. BStU, MfS AKG PI, 139/85, Bl. 23f. Informationen der BV Dresden zum Kaufverhalten von Ehefrauen von Angehörigen der GSSD (22.5.1985). Ebd. Vgl. auch Gries, Konfrontationen im ›Konsum‹. Frau P. (25.7.2003), geb. 1954, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren beim VEB Spezialhandel Leipzig und bei VEB Spezialbau Potsdam. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 163f. Karl Garbers (6.12.2002), geb. 1927, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren als hauptamtlicher DSF-Sekretär im VEB Weimar-Werk sowie als Mitglied des DSF-Kreisvorstandes Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 171. Analyse 1988. Ebd. Information zum Beschluß des Politbüros des ZK der SED »Bereitstellung von Konsumgütern der Angehörigen der GSSD« vom 7.9.1981. Ebd. Deutsche Bürger verstanden dies als Freundschaftsdienst, bisweilen erlangten sie auch handfeste Vorteile. Ende der achtziger Jahre konnte man bis zu 200 Mark für die (kostenlose) Beantragung einer Einladung kassieren. BStU, MfS HA XVIII, 15080, Bl. 198–204. Information vom 1.9.1989. BStU, MfS HA XIX, 2027, Bl. 152. Probleme für politisch-operatives Zusammenwirken mit den sowjetischen Staatssicherheitsorganen (18.4.1977). Konkret benannt wurden die Bedingungen in einem Briefwechsel zwischen den Außenministern Lothar Bolz und Andrej A. Gromyko vom 12. März 1957. Die sowjetischen
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Transportorgane waren bei den Reichsbahndirektionen und den Bahnhöfen Frankfurt/ Oder, Rostock und Mukran unentgeltlich untergebracht. Ihre Kapazität betrug maximal fünfzehn Militärangehörige beziehungsweise Zivilbeschäftigte. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 44, Analyse 1988. BStU, MfS Abt. X, 919, Bl. 42. Vorschläge zur künftigen Zollabfertigung von Touristen-, Besuchs- und Dienstreisenden der UdSSR seitens der Zollverwaltung der DDR (1988). Bernd Stumpe (24.9.2003), geb. 1960, lebte in einem Dorf nahe Weimar. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 194ff. BStU, MfS HA IX, 9051, Bl. 6–10. Information vom 13.10.1984. »Blickpunkt«, 29.9.1964. 1. Programm des DFF, 19.50 Uhr. Vgl. DRA Babelsberg DFF/ DDR-F-Archiv-Überlieferung. StandardReport, IDNR: 85532. Vgl. Fotobestand des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR. In: BArch Koblenz, ADN-Zentralbild. Bestand GX. Dies galt in deutlich geringerem Ausmaß auch für die NVA: Wenzke, Nationale Volksarmee, S. 511. Armija (1986) 21, S. 49, sowie Colton, S. 396f.; Kaledin; Odom. Ebd. BStU, BV Dresden, AKG-PI A, 13/85, Bl. 6–9. Information der BV Dresden an Hans Modrow (28.2.1985). Herbert T. (9.9.2003), geb. 1947, arbeitete in den achtziger Jahren als Betriebsdirektor im VEB Uhrenkombinat Weimar. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 171ff. BStU, BV Dresden, AKG, 7542, Bl. 65–91, Bl. 70. Information über negative Erscheinungen im Zusammenwirken von Betrieben und Einrichtungen des Bezirkes mit Kommandeuren und Angehörigen der GSSD (17.10.1984). Ebd., Bl. 91. Aktenvermerk vom 25.11.1984. BStU, MfS BV Erfurt, 1325/85, Bl. 38. Information der Sonderabteilung der Armee Nohra zu »Plast« (2.2.1984). Ebd., Bl. 17. Aktenvermerk vom 5.1.1983. Ebd., Bl. 18. Aktenvermerk vom 6.1.1983. Ebd., Bl. 20. Aktenvermerk vom 24.1.1983. Ebd. Ebd., Bl. 35. Bericht zur Person (22.7.1983). Ebd., Bl. 24. Aktenvermerk: Weitere Maßnahmen zum operativen Ausgangsmaterial »Plast« (10.3.1983). Ebd., Bl. 65. Bericht zur Maßnahme »Kopie von Schlüsseln« zur OPK »Plast« (4.5.1984). Ebd., Bl. 113. Maßnahmen zur Realisierung der Zielstellung der OPK »Plast«, insbesondere der Klärung des Charakters der Verbindungen und der Motive der Handlungen der OPK-Personen (Mai 1985). Ebd., Bl. 144. Abschlußbericht des Operativen Vorgangs »Plast« (13.11.1985). Ebd., Bl. 145. Die Vermittlung der Arbeitskräfte erfolgte durch die Ämter für Arbeit unter der Dringlichkeitsstufe für spezielle Betriebe, weshalb diese auch besonders bezahlt wurden. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 170. Analyse 1988. BStU, MfS Abt. X, 919, Bl. 13. Notiz über die 2. Beratung beim Minister für Nationale Verteidigung zum Stationierungsabkommen am 13.6.1988 (14.6.1988). Krasnaja Zvezda, 30.3.1983. Armija (1985) 7, S. 65. Edith Lobenstein (6.11.2003), geb. 1933, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren als Melkerin in der LPG Nohra. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 147ff. ThHStAW, Bezirkstag und Rat des Bezirkes Erfurt, 044874, Bl. 262. Gemeinsames Protokoll (29.9.1989).
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137 Andreas M. (7.9.2003), geb. 1960. Sein Bruder verunglückte im Jahr 1984 bei einem Verkehrsunfall. Vgl. Satjukow, Die Russen, S. 214ff. 138 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Todesfälle 1984. Aktennotiz vom 6.3.1985. 139 Ebd. Schreiben des Leiters der U/A III an die Militärstaatsanwaltschaft der GSSD (21.3.1985). 140 Ebd. Protokoll der Gegenüberstellung zwischen dem Zeugen und dem Fahrer (20.6.1985). 141 Ebd. Beratung vom 24.10.1985 (Punkt 2553/84). 142 Vgl. BStU, MfS HA IX, 64, Bl. 60. Vorkommnisse mit Angehörigen der GSSD (9.3.1988). 143 Zum Rechtshilfeabkommen siehe: BArch MA, DVW 1/53315, sowie BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 25ff. Abkommen 1988. 144 Auf Befehl des damaligen Verteidigungsministers Willy Stoph war 1957 die Institution der Militärstaatsanwaltschaft geschaffen worden. Zu dieser gehörten der Militär-Oberstaatsanwalt sowie die Militärstaatsanwälte der Militärbezirke, der Divisionen, des Standortbereiches Strausberg, der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, der Seestreitkräfte, der Deutschen Grenzpolizei, der Bereitschaftspolizei sowie der kasernierten Einheiten des MfS. BArch MA, DVW 1/1832, Bl. 48–54. Befehl Nr. 71/57 des Ministers für Nationale Verteidigung vom 2.9.1957. 145 PAAA, G-A2 Bd. 2, Bl. 317–325. Schreiben des Justizministers der DDR an die Leiter der Justizverwaltungsstellen sowie die Direktoren der Kreis- und Bezirksgerichte der DDR (14.11.1957). 146 Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 16.9.1952, Punkt 8, zit. nach: Lindenberger, S. 300. 147 Günther Kabbe (6.8.2003), geb. 1932, arbeitete in den fünfziger und sechziger Jahren als ABV in Nohra. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 68ff. 148 Ebd., S. 75f. 149 BStU, MfS HA IX, 13367, Bl. 37ff. Information über eine Beratung bei der MOSTA am 1.11.1968 (2.11.1968). 150 Vgl. zur sowjetischen Militärgerichtbarkeit: Karev. 151 Vgl. Spravočnik, S. 534–539. Erst 1992 wurden die Organe der Militärstaatsanwaltschaft dem Generalstaatsanwalt der Russischen Förderation unterstellt. Vgl. Wladimir S. (Kap. 3, Anm. 85). Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Wladimir S. für die Möglichkeit, in dessen Privatarchiv Gesetzestexte und Dienstanweisungen einsehen zu dürfen. 152 Die sowjetischen Militärstaatsanwaltschaften waren Militärbezirken zugeordnet, welche nur bedingt der Bezirksstruktur der DDR folgten. In weniger »dichten« Militärbezirken umfasste die Zuständigkeit der Militärstaatsanwaltschaft mehrere politische Bezirke der DDR (so »teilten« sich die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl einen Militärstaatsanwalt in Weimar und einen Untersuchungsführer in Ohrdruf). Vgl. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1988. Zuständigkeiten der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaften für die Militärbezirke der GSSD in der DDR (o. D.). 153 Ordnung über die Militärtribunale vom 25.12.1957, veröff. in: Vedomosti Verchovnogo Soveta SSSR 1958, Nr. 1, Pos. 14. 154 Vgl. Wladimir S. (vgl. Kap. 3, Anm. 85). 155 Vgl. Spravočnik, S. 5. 156 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1988. Protokoll über die Mitteilung des Militärstaatsanwaltes der GSSD in der Besprechung vom 7.7.1988 (29.7.1988). 157 Dieser Befehl Nr. 261 setzte den Befehl des Volkskommissars für die Verteidigung der UdSSR von 1942 über die »Einführung von Ermittlungsorganen der Roten Armee« außer Kraft. 158 Spravočnik, S. 11f. 159 Vgl. auch das Gespräch mit dem Militärstaatsanwalt Alexej Smertin, zit. nach: Krasnaja Zvezda, 25.3.1992.
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160 Obščevoinskie ustavy, S. 182ff. Offizielle Disziplinarmaßnahmen waren: eine Rüge, ein Verweis, ein strikter Verweis, Extradienst oder Gefängnisstrafe bis zu zehn Tagen. Zudem existierten auch unkonventionelle Strafen, erteilt durch den verantwortlichen Offizier: etwa das Kahlrasieren – ein öffentliches Zeichen, beim Vorgesetzten in Ungnade gefallen zu sein. 161 Auch die nachfolgenden Instruktionen für die Ermittlungsorgane von 1968 und 1978 behielten diese Regelungen bei. Die Festlegungen von 1978 erteilten Kommandeuren weit reichende Vollmachten zur Strafverfolgung. 162 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1978. Vorlage zu Fragen der Verwirklichung des Stationierungsabkommens (9.5.1978). 163 Vgl. Alexej M. (9.12.2003), geb. 1952, diente von 1984 bis 1987 als Zampolit in einer Dresdener Einheit. In: Archiv Silke Satjukow. 164 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1969. Anweisung Nr. 1/69 des Generalstaatsanwaltes der DDR und Anweisung Nr. 033/69 des Ministers des Innern der DDR. 165 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1978–81. Anweisung Nr. 3/78 des Generalstaatsanwaltes der DDR über die Zuständigkeit der Militärstaatsanwaltschaft. 166 Ebd. Anweisung Nr. 4/80 des Generalstaatsanwaltes der DDR. Bearbeitung von Strafsachen mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD; Bestimmungen des Militär-Oberstaatsanwaltes vom 21.4.1981 zur Tätigkeit des Militärstaatsanwaltes bei der Verwirklichung des Stationierungsabkommens. 167 In absoluten Zahlen: 1981: 280; 1982: 340; 1983: 354; 1984: 417 und 1985: 432. Vgl. BStU, MfS HA VII, 1334, Bl. 100. Hinweis zu Vorkommnissen mit Straftatencharakter im Zusammenhang mit Angehörigen der GSSD im Zeitraum vom 1.1. bis 31.12.1985. Für Straftaten, bei denen Angehörige der GSSD geschädigt wurden, konnten keine weiteren statistischen Angaben gefunden werden. 168 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1989. Vorkommnisse GSSD 1976 bis 1989. 169 BStU, MfS ZAIG, 2057, Bl. 1–6. Information des Ministeriums für Staatsicherheit (28.7.1972). 170 Ebd. 171 Igor G. (7.8.2003), geb. 1962, war bis 1992 Verbindungsoffizier im Stab Nohra, sowie Serjoscha M. (5.3.2003), geb. 1959, war bis 1988 Politoffizier der Nachrichteneinheit Leibnizallee in Weimar. In: Archiv Silke Satjukow. 172 Die hier zusammengefassten Daten (ohne Prozentangaben) finden sich in: BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1989. Bericht über die in der Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 beim Militär-Oberstaatsanwalt erfassten Vorgänge über Straftaten Angehöriger der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR, Anlage 2. 173 Anmerkungen zur Tabelle 4: 1 Ab 1987 wurden »sonstige Sexualstraftaten« gesondert ausgewiesen. 2 Schwere Verkehrsunfälle mit hohen Sachschäden wurden nur aufgenommen, wenn kein Personenschaden vorlag. 3 Hier sind fahrlässig verursachte Waldbrände grundsätzlich nicht enthalten. 4 Ab 1986 wurden auch »sonstige Straftaten« erfasst, wozu auch Waffen- und Munitionsverluste größeren Ausmaßes zählten. 174 In zahlreichen Fällen traten Häufungen von Straftaten auf, weshalb die Zahl der einzelnen Straftaten insgesamt höher ist als diejenige der erfassten Vorgänge. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1989. Bericht über die in der Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 beim Militär-Oberstaatsanwalt erfassten Vorgänge über Straftaten Angehöriger der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR, Anlage 2. 175 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 8778, unfol. Langfristige Entwicklung der Straftaten und Täter (o. D.).
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176 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1989. Bericht über die in der Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 beim Militär-Oberstaatsanwalt erfassten Vorgänge über Straftaten Angehöriger der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR, Anlage 2. 177 Für Weimar und Nohra ließen sich keine Statistiken finden. 178 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 8778, unfol. Langfristige Entwicklung der Straftaten und Täter (o. D.). 179 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 115, unfol. Einschätzung der Straftaten durch Angehörige der GSSD 1982–1985 im Bezirk Dresden (23.1.1986). 180 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 351, unfol. Kriminalitätsvorbeugung und Bekämpfung (o. D.). 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Ebd. 184 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 115, unfol. Einschätzung der Straftaten durch Angehörige der GSSD 1982–1985 im Bezirk Dresden (23.1.1986). 185 Ebd. 186 Vgl. Sowjetunion 1990/91, S. 117ff. 187 Veröff. in: Isvestija, 3.9.1988. 188 Sovetskoe voennoe obozrenie (1989) 9, S. 10. 189 Armija (1989) 22, S. 44. 190 BStU, MfS ZAIG, 5174, Bl. 6. Gesprächskonzeption zur Auswertung der durch Angehörige der Sowjetarmee in der GSSD im Zeitraum vom 1. Juli 1982 bis 31. März 1983 begangenen Vorkommnisse mit Straftatcharakter (o. D.). 191 Ebd., Bl. 7; BStU, MfS ZAIG, 5170, Bl. 1–12. Gesprächskonzeption von März 1982, sowie BStU, MfS ZAIG, 5191, Bl. 1–8. Gesprächskonzeption vom 11.1.1988. 192 BStU, MfS ZAIG, 577, Bl. 101f. Analyse von Straftaten durch Angehörige der GSSD (7.1.1986). 193 BStU, MfS HA VII, 3251, Bl. 28. Aufgabenstellung für die Hauptabteilung und Linie VII aus dem Schreiben des Genossen Minister vom 17.2.1988 zu Vorkommnissen mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD (16.3.1988). 194 Mit einer Weisung des MfS vom 18.6.1984 waren alle Anzeigen, auch Hinweise über vermutliche Vorkommnisse und sie begünstigende Umstände im Zusammenhang mit der GSSD über den Operativen Diensthabenden der Bezirksverwaltung an den Leiter der Abteilung VII, bei politisch-operativ bedeutsamen Vorkommnissen an den Leiter der BV des MfS, zu melden. Die Informationen wurden von dort an die HA VII des MfS weitergeleitet. Diese sowie die Militär-Oberstaatsanwaltschaft informierten wöchentlich das Oberkommando in Wünsdorf. 195 Am 26.6.1975 kam es zu einer ersten Vereinbarung zwischen KGB und MfS über die Verfahrensweise gegenseitiger Rechtshilfe und Zusammenarbeit bei Strafverfahren, die in die Zuständigkeit der Organe für Staatssicherheit fielen. Vgl. BStU, MfS HA IX, 2597, Bl. 34–42. 196 Dies galt auch für Straftaten gegen Angehörige der GSSD. Allein im Zeitraum von Januar bis August 1984 wurden vom MfS gegen 82 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Gründe waren Spionage (5 Personen), tätliche Angriffe gegen Angehörige der GSSD (6 Personen), Hetze und öffentliche Herabwürdigung der GSSD (61 Personen, wobei die Hälfte von ihnen gegen die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen demonstriert hatte), Eigentums- und Zolldelikte (6 Personen), sowie Waffendelikte (4 Personen). Die Untersuchungen sollten möglichst diskret erfolgen, so dass »Angehörige der GSSD den Vorfall, der sich gegen sie richtete, nicht bemerkten«. In jedem Fall wurden notwendige Maßnahmen ergriffen, »um Auswirkungen unter der Bevölkerung der DDR wie Mißstimmungen, Unruhe, Anstiftung zu ähnlichen Handlungen vorzubeugen bzw. unter Kontrolle zu halten«: Unautorisierte Losungstexte wurden umgehend beseitigt, Schriften sicher gestellt, die zuständigen Parteiorgane zwecks Einleitung propagandistischer Einflussnahme informiert,
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die »politisch-ideologische Erziehungsarbeit, bei der die Freundschaft zur UdSSR und das unverbrüchliche Bündnis im Mittelpunkt stand« unverzüglich intensiviert, die Straftäter zu einer angemessenen »Wiedergutmachung« veranlasst. BStU, MfS HA IX, 15153, Bl. 243ff. Übersicht Straftaten/Vorkommnisse (1.1.–31.8.1984). BStU, MfS HA IX, 16153, Bl. 197ff. Probleme, die bei der bisherigen Bearbeitung von Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der GSSD sichtbar wurden (Oktober 1985). Von nun an wurden vom MfS regelmäßig Analysen der Straftaten angefertigt. Durch die ODH-Gruppe wurden entsprechend der neuen Verantwortung operative Meldungen für den Tagesrapport der HA VII aufbereitet. Diese Rapportmeldungen bildeten die Grundlage für die zu erarbeitenden Informationen der ZAIG (in der Regel ein Mal pro Woche), die durch den Minister an den Oberkommandierenden der GSSD weitergegeben wurden. BStU, MfS HA VII, 1814, Bl. 32ff. Hinweise zur Erarbeitung von Informationen über schwere Vorkommnisse und Straftaten durch Angehörige der GSSD oder gegen Angehörige der GSSD durch HA VII (7.5.1984). BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1987. Gesprächsnotiz vom 23.9.1987. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Allgemeine Angelegenheiten 1987. Teilbeitrag für einen Auskunftsbericht zum Thema »Kampf gegen Gesetzesverletzungen von sowjetischen Armeeangehörigen auf dem Territorium der DDR« (23.9.1987). BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Bericht über die in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.1989 beim Militär-Oberstaatsanwalt erfaßten Vorgänge über Straftaten Angehöriger der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR (21.3.1990). BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Registratur der Ermittlungsverfahren 1960 bis 1989. Hier wurden alle laufenden Ermittlungsverfahren eingetragen und mit einer Nummer versehen. In den meisten Fällen erfolgten nachträglich die Eintragungen des von den Militärtribunalen der GSSD verkündeten Strafmaßes oder aber Vermerke über die Einstellung der Verfahren. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Registratur der Ermittlungsverfahren 1960 bis 1989. Rolf Rebhan (6.6.2002), bis 1989 Militärstaatsanwalt der NVA im Bezirk Erfurt. In: Archiv Silke Satjukow, sowie Uwe S. (15.6.2002), arbeitete Ende der achtziger Jahre als Untersuchungsführer der NVA. In: Archiv Silke Satjukow. BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Eingaben Mai 1987. Schreiben an den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker (7.4.1987). Ebd. Schreiben der U/A III an Hans-Werner S. (22.5.1987). Ebd. Schreiben des Militär-Hauptstaatsanwaltes der GSSD an den Militär-Oberstaatsanwalt der DDR (21.5.1987). Ebd. Schreiben der U/A III (9.6.1987). Wolfgang E. (26.5.2003), geb. 1941, besaß ein Gartengrundstück in Jena. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 106f. Uwe S. (vgl. Kap. 3.2, Anm. 204). Solche Maßnahmen zur Selbsthilfe wurden auch in anderen Gartenanlagen ergriffen. Vgl. Gespräch mit Rolf L. (23.11.2003), geb. 1937, Vorsitzender eines Spartenvereins nahe der Garnison Dresden-Nickern. In: Archiv Silke Satjukow. Diethelm Saalfeld (4.6.2003), geb. 1934, lebt in Nohra und war in den sechziger Jahren Vorsitzender der LPG Nohra. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 123. Hans R. (7.8.2003), arbeitete als Sachverständiger der Staatlichen Versicherung der DDR, Amtsstelle Weimar. Zit. nach: Ebd., S. 213. BStU, MfS HA VII, 691, Bl. 19. Information über Vorkommnisse mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD im Bezirk Erfurt im Zeitraum vom 1.1.–15.9.1983 (o. D.). BStU, MfS HA IX, 64, Bl. 15. Analyse zu Vorkommnissen mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD in der DDR (25.3.1982).
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215 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Bericht über die in der Zeit vom 1.1. bis 31.12.1989 beim Militär-Oberstaatsanwalt erfaßten Vorgänge über Straftaten Angehöriger der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR (21.3.1990). 216 Staatliche sowjetische Instanzen gingen davon aus, dass sich in der Sowjetunion 30 bis 40 Prozent aller Fahrer regelmäßig alkoholisiert in ihr Auto setzten. Vgl. Mikul’skij, Rogovin, Šatalin, S. 322ff.; Prot’ko, S. 142f. 217 BStU, AKG-PI 224/86, Bl. 7. Information der Bezirksverwaltung für Staatsicherheit Dresden (19.8.1986). 218 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Verkehrsunfälle 1982. Fernschreiben der Militärstaatsanwaltschaft der NVA Erfurt an die MOSTA (16.12.1982). 219 Ebd. Zweite Zeugenvernehmung von Axel B. durch die Militärstaatsanwaltschaft der NVA Erfurt (4.1.1983). 220 Ebd. Schreiben des Leiters der U/A III an die Militärstaatsanwaltschaft der GSSD (20.1.1983). 221 Ebd. Handschriftliche Notiz vom 17.1.1983. 222 BStU, MfS HA VII, 343, Bl. 2–6, 31f. Information der Hauptabteilung VII des MfS (22.8.1988). 223 Ebd. 224 Hannelore W., geb. 1938, lebte in den achtziger Jahren in einem Dorf im Raum Brandenburg. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 84. 225 BStU, MfS HA VII, 691, Bl. 19f. Information über Vorkommnisse mit Beteiligung von Angehörigen der GSSD im Bezirk Erfurt im Zeitraum vom 1.1.–15.9.1983 (o. D.). 226 BStU, MfS ZOS, 1875, Bl. 9. Information Nr. 67/88 des Zentralen Operativstabes des MfS (o. D.). 227 BStU, Archiv der Zentralstelle, 23901, Bl. 24. Information zum schweren Eisenbahnunfall am 19.1.1988 auf dem Bahnhof Forst Zinna, Kreis Jüterbog (der Partei- und Staatsführung am 20.1.1988 übermittelt). 228 Ebd. 229 Der Bericht des Sonderkorrespondenten der GSSD, Oberst G. Miranowitsch, basierte auf Untersuchungsunterlagen der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft. Vgl. Krasnaja Zvezda, 9.2.1988. 230 Vgl. die Anordnung Nr. 37/110 des Oberkommandierenden der GSSD, zit. nach: BStU, MfS Sekr. Neiber, 505, Bl. 143. Verzeichnis von Maßnahmen zur Verhinderung von besonderen Vorkommnissen auf Eisenbahnlinien und Straßen, eingeleitet durch die GSSD (o. D.). 231 Ebd., Bl. 158. Auszug aus der Monatsinformation 1. Sekr. BL Potsdam an Genossen Erich Honecker (o. D.). 232 Ebd. 233 BStU, MfS HA VII, 392, Bl. 12. Information der Transportpolizei Gera (17.2.1988). 234 BStU, Archiv der Zentralstelle, 23901, Bl. 27f. Information über erste Reaktionen von Bürgern des unmittelbaren Einzugsgebietes des schweren Eisenbahnunglücks in Forst Zinna (o. D.). 235 SAPMO-BArch, DY 30/2919, Bl. 18ff. Information über die Beratung am 25.1.1988 beim Minister für Verkehrswesen zur Festlegung von Maßnahmen in Auswertung des Bahnbetriebsunfalls am 19.1.1988 auf dem Bahnhof Forst Zinna (25.1.1988). 236 SAPMO-BArch, DY 30/2919, Bl. 132–137. Schreiben des Ministers für Verkehrswesen an den Stellvertreter des Oberkommandierenden der GSSD (29.6.1988). 237 ThHStAW, MdI, BDVP 20.1. Tagesrapporte von 1956 bis 1990. 238 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 115, unfol. Einschätzung der Straftaten durch Angehörige der GSSD 1982–1985 im Bezirk Dresden (23.1.1986). 239 Klaus Dalski (vgl. Kap. 3.2, Anm. 70). Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 220f. 240 Rolf Rebhan (vgl. Kap. 3.2, Anm. 204). Zit. nach: Ebd., S. 225f.
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241 Klaus Dalski (vgl. Kap. 3.2, Anm. 70). Zit. nach: Ebd., S. 220. 242 SHStAD, MdI, BDVP 23, 115, unfol. Einschätzung zur gesellschaftlichen Wirksamkeit bei der Bekämpfung von Sexualstraftaten für den Zeitraum 1984–1988 (9.5.1989). 243 BArch MA, MOSTA, MB III (GSSD). Verhörprotokoll von Anatoli A. (16.3.1988). Im Archiv der MOSTA befinden sich nur noch vereinzelt solche »Vorgänge«. Die Originalakten sind in der Regel der sowjetischen Militärstaatsanwaltschaft übergeben worden und falls noch vorhanden, nicht einsehbar. Die Kopien der Bezirks-Militärstaatsanwaltschaft der NVA wurden nicht archiviert. 244 Ebd. Verhörprotokoll Anatol A. 245 Ebd. 246 Vgl. Gespräch mit Hildegard M. (4.5.2004), sowie mit Wolfgang S. (6.5.2004), beide Anwohner. In: Archiv Silke Satjukow. 247 Mühlhauser, S. 385. Die Verfasserin beschäftigt sich mit der Frage, wie weibliche Erfahrungen von Vergewaltigungen in Westdeutschland kommuniziert wurden. Bislang existieren noch keine Forschungen darüber, wie man innerhalb der DDR mit diesem Phänomen umgegangen ist. Vereinzelte Feststellungen, dass Vergewaltigungen seitens der Roten Armee offiziell tabuisiert worden sind, bieten keine hinreichende Erklärung dafür, wie die Einzelnen diese Verbrechen privatissime »bearbeiteten«. 248 Grossmann, S. 53f. 249 Vgl. über die Beweggründe des Verschweigens innerhalb der Familie: Mühlhauser, S. 403f. 250 Eifler, S. 163. 251 Egon Rentzsch (27.9.1961), stellv. Leiter der Abt. Literatur und Buchwesen im Ministerium für Kultur, zit. nach: Dahlke, S. 293. 252 Einer Studie der Jenaer Universität von 1999 zufolge leiden sechzig Prozent von 32 befragten Frauen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges vergewaltigt worden waren, bis heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Vgl. www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ 342700. 253 Die BV-SU-Vorgänge (Bezirksstaatsanwaltschaften der NVA—Sowjetunion, S. S.) wurden in der Regel sechs Monate nach Übergabe des Originalvorganges an die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft oder die Standortkommandantur geschlossen. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist (von bis zu zwei Jahren) wurden sie in eigener Zuständigkeit vernichtet. BStU, MfS Sekr. Neiber, 505, Bl. 114. Schließung und Aufbewahrung von Ermittlungsakten GSSD bei der Bezirksmilitärstaatsanwaltschaft (1.12.1981). 254 Vgl. BStU, MfS HA IX, 64, Bl. 60. Vorkommnisse mit Angehörigen der GSSD (9.3.1988). 255 Isvestija, 5.7.1988. 256 BStU, MfS Sekr. Neiber, 75, Bl. 41ff. Information der BV Dresden über die Reaktionen der Bevölkerung zum Explosionsunglück vom 23.3.1989 (30.3.1989). 257 Ebd. 258 Ebd. 259 BStU, MfS HA VII, 1814, Bl. 22. Hinweise über von Angehörigen der GSSD begangene Straftaten u. a. Verletzungen von Rechtsvorschriften der DDR im Jahr 1987 (3.3.1988). 260 BStU, MfS BV Dresden, Abt. IX, 223, Bl. 2ff. Zusammenfassender Bericht über die Weitergabe von patronierter Munition durch sowjetische Militärangehörige (10.3.1983). 261 MdI Thüringen, Ref. WGT, 2.4.1991.52-2321.71-007. Bericht des Ref. 540 des IM zur Situation der Giftmüllablagerung in Thüringen (20.7.1990). 262 BStU, MfS HA VII, 354/12, Bl. 59ff. Information der BV Dresden (17.2.1989). 263 Mitteldeutsche Allgemeine, 17.2.1994, sowie Thüringische Landeszeitung, 17.2.1994. 264 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 8778, unfol. Schreiben des Oberkommandierenden der GSSD (12.2.1987). 265 Günther Kabbe, geb. 1932, arbeitete in den sechziger Jahren im Polizeidienst. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 76ff.
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266 BStU, MfS HA II, 24376, Bl. 237ff. Schreiben des Leiters der BV Dresden an den Leiter der Sowjetischen Militärabwehr bei der I. Gardearmee (30.1.1985). 267 SHStAD, MdI, BDVP 23.1, 8778, unfol. Schreiben des Oberkommandierenden der GSSD (12.2.1987). 268 Ebd. Plan der jährlich durchzuführenden Brandschutzmaßnahmen in den Truppenteilen der GSSD (Anlage 1 zu Befehl 26/1988). 269 BStU, MfS HA VII, 354/18, Bl. 49f. Protokoll der BDVP Dresden (26.7.1989). 270 BStU, MfS HA IX, 16.153, Bl. 153. Arbeitsanweisung für die Bearbeitung von Schadensfällen mit Beteiligung der auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte, erstellt von der Hauptabteilung der Staatlichen Versicherung (18.10.1979). 271 BStU, AKG PI, 946, Bl. 171ff. Bericht über unhaltbare Zustände im Zusammenhang mit völlig unzureichender Funktionsfähigkeit von Abwasserkläranlagen in Objekten der GSSD (14.2.1986). 272 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 40. Analyse 1988. 273 BStU, AKG, 946, Bl. 171ff. Bericht über unhaltbare Zustände im Zusammenhang mit völlig unzureichender Funktionsfähigkeit von Abwasserkläranlagen in Objekten der GSSD (14.2.1986). 274 Ebd. 275 BStU, AKG, 946, Bl. 176. Sachstandsbericht zu Abwasserbehandlungsanlagen der GSSD sowie angrenzenden Entsorgungsproblemen (Februar 1986). 276 Ebd., Bl. 331ff. Bericht zur Problematik »Entsorgungsprobleme der GSSD« (6.4.1988). 277 Vgl. ebd. Beschluss des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft vom 8.12.1988. 278 BStU, AKG PI 130/87, Bl. 2f. Informationen über neue erhebliche Reaktionen der Bevölkerung aus Anliegergemeinden von Truppenübungsplätzen der GSSD (o. D.). 279 Ebd. 280 Ebd. 281 Gespräch mit Jörg Ernst (3.7.2003), seit Ende der siebziger Jahre Schmied in Bechstedtstraß (nahe Nohra). In: Archiv Silke Satjukow. 282 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 21. Analyse 1988. 283 Vgl. die »Vereinbarung zwischen dem Ministerium der Finanzen der DDR und dem Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in der DDR über das Verfahren zur Regelung von materiellen Schadensersatzansprüchen – Schadensersatzvereinbarung« – vom 27.12.1957. Vgl. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 126. Analyse 1988. 284 PAAA, A00304, Bl. 246. Niederschrift zum Vorschlag der Vereinbarung zwischen dem Ministerium der Finanzen und dem Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte über das Verfahren zur Regelung von Schadensersatzansprüchen (6.12.1957). 285 Ebd. 286 Gespräch mit Herrn H. (28.5.2003), Einwohner von Nohra. In: Archiv Silke Satjukow. 287 Wolfgang E. (vgl. Kap. 2, Anm. 161). Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 105f. 288 Gespräch mit Hans R. (7.8.2003), von 1960 bis 1987 als Sachverständiger bei der Staatlichen Versicherung der DDR. In: Archiv Silke Satjukow. 289 BStU, MfS HA IX, 3885, Bl. 30ff. Schreiben der Hauptabteilung XVIII des MfS über Versicherungsangelegenheiten mit Beteiligung der GSSD (24.6.1986). 290 Ebd. 291 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 109. Analyse 1988. 292 Katrin T. (3.2.2005), geb. 1963, heiratete 1982 in Dresden einen Angehörigen der GSSD. In: Archiv Silke Satjukow. 293 Ursula L. (5.3.2003), geb. 1924, seit den sechziger Jahren Russischlehrerin in Weimar. Zit. nach: Satjukow, Die Russen, S. 29f. 294 BArch DY 30/3691, Bl. 1f. Büro Walter Ulbricht im ZK der SED. Schreiben des Stabschefs der GSSD an Walter Ulbricht (27.11.1953).
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295 Vgl. die »Verordnung über Eheschließungen mit Ausländern« vom 15.9.1983. Ein zentrales Standesamt nur für Angehörige der GSSD befand sich in Potsdam. Hier wurden sämtliche standesamtlichen Angelegenheiten sowjetischer Militärs wie Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle registriert. 296 Igor T. (vgl. Kap. 2, Anm. 83), Juri S. (4.7.2003), geb. 1962, Kasimir S. (vgl. Kap. 2, Anm. 187), sowie Alexander L. (vgl. Kap. 3, Anm. 101). Sie alle arbeiteten in den achtziger Jahren als Offiziere und als Zivilbedienstete in Weimar. Die Zeitzeugen haben während ihres Armeedienstes auf DDR-Standesämtern deutsche Bürgerinnen geheiratet. In: Archiv Silke Satjukow. 297 Akten von Standesämtern dürfen aus Personenschutzgründen nur mit Genehmigung der Betroffenen eingesehen werden. Für diese Studie wurden insgesamt zwölf archivierte Anträge auf Eheschließung eingesehen, neun in Weimar, drei in Dresden. 298 »Intertext« war der staatliche Fremdsprachendienst der DDR. 299 Dabei waren sich die Mitarbeiter sehr wohl darüber im Klaren, dass es hier Unregelmäßigkeiten geben konnte. Vgl. Heike K. (6.5.2005), geb. 1954, arbeitete seit 1982 als Sprachmittlerin bei »Intertext« Erfurt. In: Archiv Silke Satjukow. 300 Vgl. Inge Stuhlträger (3.8.2005), geb. 1948, arbeitete in den siebziger und achtziger Jahren als Standesbeamtin in Weimar, sowie Ramona M. (14.12.2004), geb. 1942, war in den achtziger Jahren Standesbeamtin in Dresden. In: Archiv Silke Satjukow. 301 Vgl. Ingrid P. (17.2.2003), geb. 1930, war in den siebziger und achtziger Jahren Mitarbeiterin des Rates der Stadt Weimar, Abt. Personenstandswesen. In: Archiv Silke Satjukow. Frau P. führte Gespräche mit »deutsch-sowjetischen« Paaren. Sie erinnert sich, dass es kaum Schwierigkeiten von Seiten der deutschen Behörden gegeben habe. Ihr war jedoch bekannt, dass es für Militärs häufig kompliziert war, die notwendigen Dokumente vorzulegen. 302 Der Leiter der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises informierte die Antragsteller dann über die Ablehnung ihres Antrages. 303 Nur in den Büchern der kommunalen Standesämter finden sich Eintragungen über sämtliche Eheschließungen (mit Deutschen wie mit Ausländern). Da diese Unterlagen jedoch strengen Personenschutzbestimmungen unterliegen, lassen sich hieraus keine statistischen Daten erheben. 304 BStU, MfS HA IX, 19033, Bl. 22. Information über Probleme im Zusammenhang mit den Regelungen zu Reisen von Bürgern der DDR nach dem Ausland, zur Gewährung des ständigen Wohnsitzes für Ausländer in der DDR und zur Eheschließung von Bürgern der DDR mit Ausländern (1985). 305 Eheschließungen in Nohra gab es in diesem Zeitraum keine. Vgl. ThHStAW, Rat des Bezirkes, Inneres, 044899, Bl. 15–23. Eheschließungen mit Ausländern (1965–1973). 306 Seit 1970 finden sich keine Angaben mehr über die jeweilige Zugehörigkeit zur sowjetischen Armee, seit Mitte der siebziger Jahre existieren überhaupt keine Statistiken mehr zu Eheschließungen mit Bürgern aus Staaten des sozialistischen Auslandes. 307 SHStAD, Rat des Bezirkes, Innere Angelegenheiten, 40226, unfol. Berichterstattungen über Eheschließungen mit Bürgern anderer Staaten 1978–1982 (o. D.). 308 PAAA, A132, Bl. 9ff. Aktenvermerk über die Besprechung mit dem Leiter der Konsularabteilung der Botschaft der UdSSR, Herrn Wisirjakin (13.1.1956). 309 Boris A. (vgl. Kap. 3, Anm. 91). 310 ThHStAW, Rat des Bezirkes, Inneres, 019920, Bl. 55. Schreiben von Jevjenij A. K. an Erich Honecker vom 8.5.1980. 311 Dienstvorschrift über den Aufenthalt von Ausländern in der Deutschen Demokratischen Republik vom 10.7.1979. 312 Vgl. ThHStAW, Rat des Bezirkes, Inneres, 044899, Bl. 15–23. Eheschließungen mit Ausländern (1965–1973), sowie SHStAD, Rat des Bezirkes, Innere Angelegenheiten, 40226, unfol. Berichterstattungen über Eheschließungen mit Bürgern anderer Staaten 1978–1982.
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313 PAAA, A001171, Bl. 16–23. Konsularabteilung der Botschaft in Moskau: Einschätzung der Entwicklung der Übersiedlungen aus der UdSSR nach der DDR und nach Westdeutschland durch die Konsularabteilung der Botschaft der UdSSR in Berlin (21.11.1966). 314 Eine Stadt oder ein Gebiet mit Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen. 315 Eine solche vom MfAA wiedergegebene Begründung erfolgte noch im Jahr 1966, über zwanzig Jahre nach Kriegsende. Was das Attribut »zweifelhaft« bedeutete, erfährt man aus den Dokumenten nicht. Ebd., Bl. 18. 316 Ebd., Bl. 18. 317 Vgl. einen ehemaligen Mitarbeiter des KGB (anonym, Gespräch geführt im August 2003), von 1984 an in Dresden stationiert. In: Archiv Silke Satjukow. 318 BStU, MfS HA VII, 3868, Bl. 9–32. Gesprächskonzeption für eine Konsultation mit dem KfS der UdSSR am 25.3.1985 zu gemeinsamen Sicherheitserfordernissen, die mit der ständigen Wohnsitznahme von Bürgern und staatenlosen ehemaligen Bürgern der UdSSR in der DDR im Zusammenhang stehen (25.3.1985). 319 BArch, DO 1/8.0/44757, unfol. Schreiben des Leiters der HA Paß- und Meldewesen an das MfAA (30.11.1970). 320 Vgl. Information von einem ehemaligen Mitarbeiter des KGB (vgl. Kap. 3.2, Anm. 97), sowie von Igor T. (vgl. Kap. 2, Anm. 83), Juri S. (vgl. Kap. 3.2, Anm. 234), Kasimir S. (vgl. Kap. 2, Anm. 187), Alexander L. (vgl. Kap. 3, Anm. 101) und Boris S. (vgl. Kap. 3, Anm. 90). 321 BArch DO 1/8.0/41771, unfol. Notiz der Hauptabteilung Personenstandsmeldungen: Übersiedlung von Bürgern der UdSSR in die DDR (13.8.1980). 322 Hierbei handelte es sich um Familienzusammenführungen mit bereits in der DDR lebenden Verwandten, um Eheschließungen, aber auch um so genannte Aussiedler mit deutscher Nationalität. Ebd. 323 BStU, MfS BV Dresden, Abt. II, 9556, Bl. 28. Informationen des Ministeriums des Innern an Erich Honecker, Anlage 1 (20.3.1989). 324 Ebd., Bl. 25ff. Nicht mitgerechnet wurden diejenigen, die inzwischen Staatsbürger der DDR geworden waren. BStU, MfS BV Dresden, Abt. II, 9556, Bl. 21. Information zur Lage und zum Stand der Übersiedlung von Bürgern der UdSSR in das Territorium der Stadt Dresden im Zeitraum 1.1.1988 bis 30.6.1989 (26.7.1989). 325 BArch, DR 2/K1081, unfol. Aktenvermerk des Leiters der Zentralstelle für Jugendhilfe (1.8.1957). 326 Ebd. 327 PAAA, A00304 Bl. 60f. Auszug aus dem Arbeitsbericht für das I. Quartal 1956 zur Frage des Unterhalts für nichteheliche Kinder, deren Väter Sowjetbürger sind (o. D.). 328 Ebd. 329 Ebd., Bl. 45f. Einige offene Fragen in den Beziehungen der DDR und der UdSSR (29.11.1956). 330 Ebd., Bl. 55f. Unterhalt für nichteheliche Kinder, deren Väter Sowjetbürger sind (29.11.1956). 331 Ebd. 332 BArch, DR 2/K1081, unfol. Schreiben des Jugendhilfeleiters Oelsnitz an die Zentralstelle für Jugendhilfe Berlin (16.10.1964). 333 Ebd. Schreiben des Hauptreferats der Zentralstelle Berlin an die Abt. Jugendhilfe Oelsnitz (10.11.1964). 334 Ebd. Schreiben des Ministeriums der Justiz an das Ministerium für Volksbildung, Abt. Jugendhilfe (6.10.1966). 335 Ebd. 336 Ebd. Notiz der Zentralstelle Jugendhilfe über eine telefonische Rücksprache mit dem MfAA (13.11.1967). 337 Ebd.
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Anmerkungen zu Seite 296–304
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338 Die Eingaben selbst sind kassiert, es existieren lediglich indirekte Bezugnahmen auf solche Beschwerdeführungen. 339 PAAA, A00304, Bl. 60f. Auszug aus dem Arbeitsbericht für das I. Quartal 1956 zur Frage des Unterhalts für nichteheliche Kinder, deren Väter Sowjetbürger sind (o. D.). 340 Vgl. Inge S. (vgl. Kap. 3.2, Anm. 300), sowie Ramona M. (vgl. Kap. 3.2, Anm. 300). In: Archiv Silke Satjukow. 341 SAPMO-BArch, DY 32/5786, unfol. Brief des Vorsitzenden der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft an den Oberkommandierenden der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte (22.10.1991).
3.3 Eine geheime Bestandsaufnahme der Besatzung 1 Auf Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 27.10.1987 sollte drei Jahrzehnte nach seiner Unterzeichnung eine umfassende Analyse der Umsetzung des Stationierungsabkommens von 1957 erarbeitet werden. BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 100. Analyse 1988. 2 Vgl. für die Sitzung: BStU, MfS Abt. X, 1302, Bl. 3–17. Notiz über eine Beratung im MfNV unter Leitung des Ministers für Nationale Verteidigung – Genossen Armeegeneral Keßler – am 15.1.1988 zur Problematik Stationierungsabkommen (15.1.1988). 3 Ebd., Bl. 5. 4 Ebd., Bl. 6. 5 Ebd., Bl. 6ff. 6 Ebd. 7 BStU, MfS Abt. X, 919, Bl. 13. Notiz über die 2. Beratung beim Minister für Nationale Verteidigung zum Stationierungsabkommen am 13.6.1988 (14.6.1988). 8 Heinz Keßler, zit. nach: Ebd., Bl. 21. 9 Heinz Keßler, zit. nach: Ebd., Bl. 23. 10 BStU, MfS Abt. X, 919, Bl. 39. Notiz zur NVR-Sitzung: Stationierungsabkommen (25.11.1988). 11 BStU, MfS Abt. X, 1303, Bl. 87ff. Beschluss des Ministerrates zur Verbesserung der Anwendung des Abkommens vom 12. März 1957 zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen sowie seiner Folgedokumente (8.12.1988). 12 Ebd. 13 Ebd., Bl. 100–105. 14 Ebd., Bl. 106. 15 BStU, MfS Abt. X, 1303, Bl. 87ff. Beschluss des Ministerrates zur Verbesserung der Anwendung des Abkommens vom 12. März 1957 zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen sowie seiner Folgedokumente (8.12.1988). 16 BStU, MfS HA XVIII, 400, Bl. 106. Analyse 1988. 17 Ebd., Bl. 110. 18 BStU, MfS HA IX, 659, Bl. 87–110. Beschluss zur Verbesserung der Anwendung des Stationierungsabkommens vom 12.3.1957 (8.12.1988). 19 Ebd., Bl. 67–73. Bericht über Konsultationen vom 24. bis 26.4.1989 zwischen Delegationen der DDR und der UdSSR zu Problemen der Anwendung des Stationierungsabkommens und seiner Folgedokumente (27.4.1989). 20 Ebd., Bl. 71f.
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21 BStU, MfS Sekr. Neiber, 75, Bl. 57. Vermerk der Abt. Internationale Verbindungen des MfAA (29.6.1989). 22 BStU, MfS Abt. X, 1303, Bl. 67. Bericht über die Konsultationen zwischen Delegationen der DDR und der UdSSR zu Problemen der Anwendung des Stationierungsabkommens und seiner Folgedokumente (o. D.). 23 Russ.: Grupa Sovetskich Vojsk v Germanii. 24 Die Umbenennung erfolgte am 26.3.1954, einen Tag nach der Erklärung der Moskauer Regierung über die Herstellung der vollen Souveränität der DDR. 25 »Neues Deutschland«, 8./9.4.1985. Schon Ende 1972 und im Juni 1974 hatte die DDR-Regierung versucht, das Wort »Deutschland« aus dem offiziellen Wortlaut zu eliminieren. 26 BStU, MfS Abt. X, 1302, Bl. 8. Notiz vom 14.4.1985. 27 BStU, MfS Abt. X, 1303, Bl. 62f. Bericht über Konsultationen des Sekretärs des DDR-Teils der Gemischten Kommission DDR-UdSSR mit dem Leiter der Hauptabteilung Sozialistische Länder Europas im MfAA der UdSSR vom 24. bis 26.4.1989 in Berlin (o. D.). 28 Vgl. BStU, MfS-Sekr. Neiber, 75, Bl. 54f. Vermerk über ein Gespräch des Genossen Hermann Axen mit dem 1. Sekretär der Botschaft der UdSSR in der DDR im Haus des Zentralkomitees vom 29.6.1989. 29 BStU, MfS-Abt. X, 1303, Bl. 228f. ADN-Information (30.6.1989). 30 BStU, MfS-HA IX, 659, Bl. 80. Verlautbarung des Leiters des Sekretariats des Ministerrats vom 28.7.1989.
4. Besatzer und Besetzte – Theoretische Erklärungsansätze 1 Zum realen wie ideell-ideologischen Grenzregime vgl. Gries, Satjukow, Freunde, Feinde, S. 20ff. 2 Vgl. Jüngst, Meder, Psychodynamik und Territorium. Bd. III, S. 518ff. 3 Mentzos, Rohde-Dachser, S. 74. 4 Vgl. Berghold, S. 121f. 5 Vgl. Heigl-Evers, Heigl. 6 Telegramm Jossif W. Stalins an Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl (13.10.1949), abgedruckt in: Steininger, Deutsche Geschichte, S. 115. 7 Zum Zusammenhang von Repräsentanzen von Verlusten und »Erinnerungsbildung« siehe Veikko Tähkä. 8 Zum Phänomen internaler und externaler Kontrolle vgl. Rotter. 9 Vgl. Brehm, sowie Crawford, McConnell, Lewis, Sherman. 10 Vgl. Gniech, Preuss. 11 Volkan, Blindes Vertrauen, S. 53. Volkan spricht von einem »gewählten Trauma«. 12 Vgl. Volkan, Blindes Vertrauen, S. 333. Vgl. auch Giesen; Froese, Überlegungen zur psychohistorischen Situation; Seidler, Trauma, Schweigen, Erinnern. 13 Vgl. Volkan, Blutsgrenzen, S. 65; Hecker, S. 176f. Zur Weitergabe von Traumata: Bergmann, Jucovy, Kestenberg; Volkan, Ast, Greer. 14 Vgl. Hecker, S. 193, vgl. zur »Weitergabe« von Traumata und daraus erwachsenden Dispositionen: Bohleber, Entwicklung der Traumatheorie; Faimberg; Froese; Seidler, Lange Schatten; ders., Trauma; Leuzinger-Bohleber. 15 Forschungen zu sowjetischen Generationen sind bislang selten: vgl. Lewada, Sowjetmenschen; Senjavskaja, 1945–1945 frontovoe pokolenie; Bachkatov, Wilson. 16 Vgl. Gefter, Stalin umer včera. 17 Vgl. Gefter, Ot anti-Stalina, S. 501.
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18 Vgl. Zubkova, Die sowjetische Gesellschaft, S. 373, sowie Senjavskaja, 1941–1945 frontovoe pokolenie. 19 Ahbe, Gries, 493ff., auch: Epstein, S. 214ff. 20 Engler, S. 321. Grundlegend zur Abfolge der Jugendgenerationen in der DDR siehe Lindner. 21 Ahbe, Gries, S. 503ff. 22 Einige Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von einer Generation der »45er«. Vgl. Moses; Schörken. 23 Vgl. Radebold, S. 16ff. 24 Bude, S. 179 u. 183. 25 Zu diesem Prozess vgl. Gries, Satjukow, Grenzüberschreitungen. 26 Vgl. Satjukow, Der erste Sommer, S. 236ff. 27 Vgl. Engler, S. 26f. 28 Details der Untersuchung wurden nicht veröffentlicht. Vgl. Il’inskij, S. 16ff. 29 Literaturnaja Gaseta, 18.6.1986. 30 Boris Gromov, zit. nach: Sapper, Afghanistan, S. 355. 31 Vgl. die Stimmungsberichte des MfS in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, ausgewertet in: Crome, Franzke, S. 101f. 32 BStU, BV Schwerin AKG 13b, Bl. 18. Besondere Vorkommnisse 1988. 33 Vgl. Nepit, S. 176. 34 Rede von Kurt Hager (22.1.1987), abgedruckt in: Ebd., S. 178. 35 Zur Sputnikaffäre: Holzweißig; Kuhn. 36 Außenminister Eduard Schewardnadze hatte bereits im August einen Befehl durchgesetzt, wonach die sowjetischen Einheiten bei Massendemonstrationen in der DDR Neutralität wahren und in der Kaserne verbleiben sollten. Vgl. Der Spiegel (1991) 16, S. 41. Nach der Maueröffnung wiederholte er diese Anweisung. Vgl. Maximytschew, S. 30. 37 Volkan, The need to have enemies, S. 246. 38 Reiterer, S. 61. 39 Niethammer, Juden und Russen, S. 126. 40 Vgl. Zentralinstitut für Jugendforschung 1979 (W. Netzker), sowie Zentralinstitut für Jugendforschung 1980 (W. Netzker). 41 Niethammer, Juden und Russen, S. 129. 42 Ausländerfeindlichkeit in der ehemaligen DDR, S. 41f. 43 Einer Allensbacher Studie vom April 1995 zufolge bewerteten Ost- und Westdeutsche die Rolle der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg sehr unterschiedlich: Fünfzig Jahre nach Kriegsende antworteten auf die Frage: ›Wer hat die entscheidende Rolle im Zweiten Weltkrieg beim Sieg über den Faschismus, über Deutschland gespielt?‹ 87 Prozent der Ostdeutschen: ›Russland‹ – 69 Prozent der Westdeutschen antworteten hingegen: ›die USA‹. Vgl. Noelle-Neumann, Köcher, S. 522. 44 Haager Landkriegsordnung, S. 92ff. 45 Satjukow: Unsere Freunde mit den schlechten Manieren. Nicht in meinem Haus: Sowjetische Soldaten in der DDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.9.2004.
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Wolgast, Eike: Die Wahrnehmung des Dritten Reiches in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945/46). Heidelberg 2001. Wolle, Stefan: »Lage stabil, vereinzelte Vorkommnisse«. Die Stimmung der DDR-Bevölkerung nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 und nach dem Mauerbau am 13. August 1961. In: Diedrich; Kowalczuk, Staatsgründung auf Raten, S. 225–252. Zaloga, Steven J.: Red Army handbook 1939–1945. Stroud 2003. –: The Kremlin’s Nuclear Sword. The Rise and Fall of Russia’s Strategic Nuclear Forces 1945– 2000. Washington, DC/London 2002. Zedilin, Leonid I.: Sowjetunion, DDR und RGW in der Ära Gorbatschow (= Schriften des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Bd. 34). Köln 1995. Zeidler, Manfred: Kriegsende im Osten. Die Rote Armee und die Besetzung Deutschlands östlich von Oder und Neiße 1944/45. München 1996. Zemskov, Igor N.: SSSR-GDR. 30 let otnošenij 1949–1979. Dokumenty i materialy. Moskva 1981. Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig: Expertise, bearb. von Wolfgang Netzker. Leipzig 1979. Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig: Parlamentsstudie 80, bearb. von Wolfgang Netzker. Leipzig 1980. Zima, Veniamin: Golod v SSSR 1946–1947 godov: proischoždenie i posledstvija. Moskva 1996. Zimmering, Raina: Mythen in der Politik der DDR. Ein Beitrag zur Erforschung politischer Mythen. Opladen 2000. Znakov, V. V.: Ponimanie voinami-internacionalistami situacij nasilija i uniženija čelovečeskogo dostoinstva. In: Psichologičeskij žurnal 11 (1989) 4, S. 113–124. Zolotarev, Vladimir A. (Hg.): Istorija voennoj strategii Rossii. Moskva 2000. –: Rossija (SSSR) v lokal’nych vojnach i voennych konfliktach vtoroj poloviny XX veka. Moskva 2000. Zubok, Vladislav M.; Harrison, Hope M.: The Nuclear Education of Nikita Khrushev. In: Gaddis, John L.; Gordon, Philip H.; May, Ernest R.; Rosenberg, Jonathan (Hrgs.): Cold War Statesman Confront the Bomb: Nuclear Diplomacy since 1945. Oxford 1999, S. 141–170. Zubkova, Elena: Poslevoennoe sovetskoe obšžestvo: politika i povsednevnost’ 1945–1953. Moskva 1999. –: Die sowjetische Gesellschaft nach dem Krieg. Lage und Stimmung der Bevölkerung 1945/46. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 47 (1999), S. 371–383. Zwei plus Vier. Die Verhandlungen über die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit. Hg. vom Bundesminister des Auswärtigen. Bonn 1991.
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-36380-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-36380-6
Bildnachweis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6:
Deutscher Bilderdienst Frankfurt a. M. Archiv Silke Satjukow Archiv Maik Schuck (Weimar) aus: Klaus Naumann (Hg.): NVA. Anspruch und Wirklichkeit, Hamburg 21996, S. 345. Archiv Silke Satjukow Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
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Sowjetunion und deutsche Geschichte Andreas Hilger / Mike Schmeitzner / Clemens Vollnhals (Hg.) Sowjetisierung oder Neutralität?
Wilfried Loth Die Sowjetunion und die deutsche Frage
Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945–1955 Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 32. 2006. 574 Seiten mit 18 Tab., 6 Abb. und 2 Karten, gebunden ISBN 978-3-525-36906-7
Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik von Stalin bis Chruschtschow 2007. 318 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-36298-3
Dieser Band vergleicht erstmals systematisch die sowjetische Besatzungspolitik in Österreich und in Deutschland nach 1945. Weshalb konnte Österreich seine staatliche Souveränität bewahren und 1955 den Abzug aller Besatzungstruppen erreichen, während Moskau im selben Jahr seine These von der Existenz zweier deutscher Staaten endgültig zementierte? Die Beiträge stellen die Gemeinsamkeiten der Instrumente und Maßnahmen der Besatzungsmacht dar und beleuchten darüber hinaus die fundamentalen Unterschiede in der Ausgangslage und der Besatzungssituation. Beiträger: Rainer Behring (Köln), Burghard Ciesla (Berlin), Alexei Filitov, Jan Foitzik (Berlin), Andreas Hilger (Hamburg), Gerhard Jagschitz (Wien), Otto Klambauer (Wien), Harald Knoll (Graz), Jochen Laufer (Potsdam), Jörg Morré (Dresden), Wolfgang Mueller (Wien), Klaus-Dieter Mulley (Wien), Nikita Petrov, Oliver Rathkolb (Wien), Rolf Steininger (Innsbruck), Barbara Stelzl-Marx (Graz), Mike Schmeitzner (Dresden), Clemens Vollnhals (Dresden).
Mit seinem Buch Stalins ungeliebtes Kind stieß er eine Debatte an. Jetzt legt Wilfried Loth eine Bilanz seiner Forschungen zur sowjetischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Was sagen die Moskauer Archive über die Intentionen Stalins, über sein Programm für das besiegte Deutschland und über seine Motive? Wie hat sich die sowjetische Deutschlandpolitik in der Auseinandersetzung mit den westlichen Alliierten und den Gegebenheiten im besetzten Deutschland entwickelt? Wer hat auf die Politik Stalins Einfluss genommen, und wie sind seine Nachfolger mit dem Erbe der Stalinschen Deutschlandpolitik umgegangen? Wilfried Loth liefert mit dieser Bilanz einen entscheidenden Baustein zum Verständnis der Teilung Deutschlands und Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-36380-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-36380-6
Der Blick in den Osten Per Brodersen Die Stadt im Westen
Gregor Thum (Hg.) Traumland Osten
Wie Königsberg Kaliningrad wurde Mit einem Vorwort von Haug von Kuenheim. 2008. Ca. 368 Seiten mit ca. 30 Abb., geb. ISBN 978-3-525-36301-0
Deutsche Bilder vom östlichen Europa im 20. Jahrhundert 2006. 215 Seiten mit 19 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-36295-2
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das nördliche Ostpreußen unter die Verwaltung der Sowjetunion gestellt. Auch Königsberg gehörte dazu. Es wurde mit einer sowjetischen Verwaltungsund Verkehrsinfrastruktur versehen, bekam einen neuen Namen, Sowjetbürger wurden an- und die verbliebene deutsche Bevölkerung ausgesiedelt. Kaliningrad – wie Königsberg nun hieß – wurde mit einer Geschichte und mit einer Gegenwart ausgestattet, die es fortan begleiten sollten.
Nichts scheint die Phantasie der Deutschen im 20. Jahrhundert mehr beflügelt zu haben als der Osten Europas. Ob es um die Dostojewski-Verehrer auf der Suche nach spiritueller Erneuerung oder um die zahlreichen Bewunderer der Sowjetunion geht – für sie alle war der Osten Ziel ihrer Hoffnungen und Sehnsüchte. In gleichem Maße aber diente der Osten den Deutschen auch als Projektionsfläche für ihre Ängste und Phobien: Immer wieder ritten »asiatische Horden« durch ihre Alpträume.
Moskaus Kenntnisse von der neuen Region waren lückenhaft, und die Bevölkerung zweifelte an einer sowjetischen Zukunft Kaliningrads. Um die Normalität aufrechtzuerhalten und Kaliningrad auf Dauer zu einer sowjetischen Stadt zu machen, musste die Gebietsführung eine besondere Identitätspolitik entwickeln. Wie aber ging der schleichende Bevölkerungsaustausch vor sich? Womit wurde die Lücke gefüllt, die der Verlust der deutschen Bevölkerung hinterließ? Per Brodersen hat bislang unentdeckte Dokumente aus Kaliningrader und Moskauer Archiven ausgewertet und entwirft ein detailliertes Bild vom Selbstverständnis dieser ungewöhnlichen sowjetischen Stadt und ihrem schwierigen Verhältnis zu Moskau.
Die von Gregor Thum zusammengestellten Beiträge gehen diesem komplexen Verhältnis der Deutschen zum Osten Europas nach. Dabei begegnen sie einer Wahrnehmung, die sich zwischen überspannten Erwartungen und übertriebenen Ängsten hin und her bewegte, die aber nur selten von einem nüchternen Blick auf die Realitäten des östlichen Europa geprägt war.
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-36380-5 — ISBN E-Book: 978-3-647-36380-6