Beruflich in Griechenland: Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte 9783666491535, 9783525491539, 9783647491530


110 95 5MB

German Pages [145] Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Beruflich in Griechenland: Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte
 9783666491535, 9783525491539, 9783647491530

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

$

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Handlungskompetenz im Ausland herausgegeben von Alexander Thomas, Universität Regensburg

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Melanie Maurus Daniela Weis Alexander Thomas

Beruflich in Griechenland Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Mit 7 Cartoons von Jörg Plannerer.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-49153-9 ISBN 978-3-647-49153-0 (E-Book) © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, USA www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: H Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einführung in das Training . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnung des Trainingsmaterials . . . . . . . . . . . Das Trainingskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zur Optimierung der Wirkung des Trainings

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. 9 . 9 . 11 . 12 . 14

Themenbereich 1: Beziehungsorientierung mit Partikularismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel 1: Der gesprächige Handwerker . . . . . . Beispiel 2: Das lässt sich doch irgendwie regeln . . Beispiel 3: Willkür bei der Steuer . . . . . . . . . . Beispiel 4: Immobilienpreise auf Kreta . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. 19 . 19 . 23 . 28 . 32

. . . . .

. . . . .

Kulturelle Verankerung von »Beziehungsorientierung mit Partikularismus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Themenbereich 2: Familienorientierung . . . . . . . . . . 41 Beispiel 5: Ein Gläschen am Feierabend . . . . . . . . . . . . 41 Beispiel 6: Olivenernte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Kulturelle Verankerung von »Familienorientierung« . . . . . 50 Exkurs: Rollenverteilung innerhalb der griechischen Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Themenbereich 3: Hierarchieorientierung . . . . . . . Beispiel 7: In den Weiten des griechischen Rechtssystems Beispiel 8: Nichts geht mehr: Produktionsstopp! . . . . . Beispiel 9: Säumige Kreditkunden . . . . . . . . . . . . . Beispiel 10: Radfahren in Athen . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. 55 . 55 . 59 . 62 . 66

Kulturelle Verankerung von »Hierarchieorientierung« . . . . 70 5 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 4: Gegenwartsorientierung . . . . . Beispiel 11: Frühbucherrabatt . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel 12: Auf den letzten Drücker . . . . . . . . . . . Beispiel 13: Das Provisorium . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Verankerung von »Gegenwartsorientierung« Themenbereich 5: Emotionale Kommunikation Beispiel 14: »Ich bring dich um!« . . . . . . . . . . . Beispiel 15: Kälte im Büro . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Verankerung von »Emotionale Kommunikation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

75 75 78 82 86

. . . . 91 . . . . 91 . . . . 95 . . . . 98

Themenbereich 6: Ansehen und Ehrgefühl . . . . Beispiel 16: Wie kompetent sind Sie? . . . . . . . . . . Beispiel 17: Chaos in der Buchhaltung . . . . . . . . . Beispiel 18: Studium beendet . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Verankerung von »Ansehen und Ehrgefühl«

. . . . .

. . . . .

. . . . .

103 103 108 111 115

Themenbereich 7: Philanthropie . . . . . . Beispiel 19: Im neuen Jahr . . . . . . . . . . . Beispiel 20: Sparen auf die Operation . . . . Beispiel 21: In der Taverne auf Korfu . . . . . Kulturelle Verankerung von »Philanthropie«

. . . . .

. . . . .

. . . . .

119 119 122 126 129

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Kurze Zusammenfassung der Kulturstandards . . . . . 133 Zusammenhangsstruktur der Kulturstandards . . . . . 137 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

6 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Vorwort

»Europa ohne Griechenland wäre wie ein Kind ohne Geburtsurkunde gewesen«, so äußerte sich der in Koblenz geborene Franzose Valéry Marie René Giscard d’Estaing, der in meiner Kindheit Staatspräsident von Frankreich war (1974–1981), am Rande des 2. Forums der Uhrmacherkunst in Cologny am 29. April 2010. Damit unterstreicht Giscard d’Estaing die existenzielle und sogar originäre Bedeutung Griechenlands für Europa (= »die mit der weiten Sicht«). Und so erfährt die Vandenhoeck-&-RuprechtReihe zur Handlungskompetenz im Ausland »Beruflich in . . . – Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte« durch diesen letzten Band zumindest, was die Bände zu europäischen Mitgliedsstaaten angeht, eine – wie wir Psycholog(inn)en sagen – »geschlossene Gestalt«, die jede/r als »rund« wahrnehmen wird. Aber nicht nur auf der Grundlage historischer Bedeutungszuweisungen, auch durch die Aktualisierung des gesamtgesellschaftlichen Interesses an Griechenland ist dieser Cultural Sensitizer für die Leserinnen und Leser sowie für meine im interkulturellen Bildungs- und Trainingsfeld arbeitenden Kolleg(inn)en ein lang ersehnter Band. Soweit ich es nach der Begleitung der beiden zugrunde liegenden Diplomarbeiten, die an der Universität Regensburg zur Identifikation der griechischen Kulturstandards aus deutscher Sicht sowie zur Konzipierung des Trainingsmaterials erstellt wurden, einschätzen kann, halten Sie einen sehr gehaltvollen Band in den Händen, der auch für die an einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Kulturstandardkonzept von Alexander Thomas Interessierten noch Überraschungen und Denkanstöße bereit hält. Der Anfrage, zu diesem Band das Vorwort zu schreiben, bin 7 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

ich gern nachgekommen, auch wenn ich mich mit der Form eher schwer getan habe. Eine solche Einladung bedeutet für mich zum einen eine große Ehre, zum anderen erlaubt sie mir als Begleiterin vieler Bände, dieser gelungenen Reihe Anerkennung auszusprechen: dem Herausgeber Alexander Thomas, der die Idee zu dieser Reihe hatte, und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der sie ermöglicht hat! Vielen hat diese Reihe, die sich durch die Arbeit mit Fallbeispielen auszeichnet, den Zugang zu anderskulturellem (Er-)Leben und Verhalten überhaupt erst eröffnet. Kulturhistorische Herleitungen erschließen die innere Logik anderer Kulturen und laden dazu ein, den eigenen Handlungsspielraum zu vergrößern. Dazu möchte ich nun auch Sie, liebe Leser(innen), ermuntern: Packen Sie die Gelegenheit am Schopfe und lernen Sie Griechenland von innen heraus zu verstehen! Das von Alexander Thomas, Melanie Maurus und Daniela Weis aufbereitete Trainingsmaterial eignet sich hervorragend dazu. Viel Spaß mit diesem letzten Band der Reihe! Ulrike de Ponte

8 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Einführung in das Training

Einleitung Unternehmerische Tätigkeiten weltweit verlangen von den Akteuren immer häufiger ein hohes Maß an interkultureller Handlungskompetenz. Dies trifft nicht nur für deutsche Fachkräfte zu, die in die großen Exportnationen wie China, USA, Frankreich entsendet werden, sondern auch für solche, die in kleineren Ländern wie Griechenland geschäftlich erfolgreich sein sollen. Schon seit langem besteht eine enge Beziehung und ein reger Austausch zwischen Deutschland und Griechenland. Derzeit leben rund 300.000 Menschen mit griechischen Wurzeln in Deutschland. Viele davon kamen als Gastarbeiter nach Deutschland und blieben entweder dort oder kehrten mit deutschen Kontakten nach Griechenland zurück. Außerdem verließen unter anderem Politiker und Wissenschaftler während der Obristendiktatur (1967–1974) ihr Heimatland und suchten in Deutschland Exil. Bis heute absolvieren viele griechische Akademiker ihr Studium in Deutschland, wie zum Beispiel Ingenieure, Ärzte und Juristen. Eine ähnlich enge Beziehung zwischen den Ländern besteht in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch wenn der deutsche Export krisenbedingt seit 2008 stetig abnimmt, zählt Deutschland neben Italien weiterhin zu den wichtigsten Handelspartnern Griechenlands. Deutsche Unternehmen sind vor allem im Einzelhandel und in der Pharmaindustrie angesiedelt (Auswärtiges Amt, 2013). Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass sich im wirtschaftlichen und politischen Bereich in der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Griechen nachhaltig wirkende, kulturell bedingte Missverständnisse vornehmlich dann zeigen, wenn 9 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

die Akteure sich überhaupt nicht oder zu wenig mit den für die kulturelle Prägung der griechischen Partner bedeutsamen Werte, Normen, Sitten, Gebräuche und Verhaltensgewohnheiten befasst haben. Ein paar Worte in griechischer Sprache, ein freundliches Lächeln und ein paar landeskundliche Kenntnisse reichen zum erfolgreichen Arbeiten in Griechenland eben nicht aus, selbst dann nicht, wenn man glaubt, das Land schon relativ gut von Urlaubsaufenthalten her zu kennen. Es bedarf vielmehr interkultureller Handlungskompetenz als Schlüsselqualifikation für den Berufserfolg zugeschnitten auf das, was im griechischen Geschäftsleben anders läuft als in Deutschland und was deutsche Fach- und Führungskräfte in der Kommunikation, Interaktion und Kooperation mit griechischen Partnern immer wieder irritiert. Interkulturelle Handlungskompetenz lässt sich generell definieren als eine notwendige Voraussetzung für eine angemessene, erfolgreiche und für beide Seiten zufriedenstellende Kommunikation, Begegnung und Kooperation zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen (Thomas, 2011a). Interkulturelle Handlungskompetenz ist das Resultat eines Lern- und Entwicklungsprozesses. Der Aufbau interkultureller Handlungskompetenz setzt die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit fremden kulturellen Orientierungssystemen voraus, basierend auf einer Grundhaltung kultureller Wertschätzung. Interkulturelle Handlungskompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, die kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung, des Denkens, des Urteilens, des Empfindens und des Handelns bei sich selbst und bei anderen Personen, in diesem Fall also bei Griechen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen. Ein hoher Grad an interkultureller Handlungskompetenz ist dann erreicht, wenn differenzierte Kenntnisse über ein vertieftes Wissen des eigenen und fremden kulturellen Orientierungssystems vorliegen und wenn aus dem Vergleich der kulturellen Orientierungssysteme zwischen zum Beispiel Griechen und Deutschen kulturadäquate Reaktions-, Handlungs- und Interaktionsweisen generiert werden können (Thomas, Kinast u. Schroll-Machl, 2005). Genau das, was hier beschrieben wird, kann mithilfe des in diesem Band zusammengetragenen und systematisch struktu10 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

rierten Trainingsmaterials erworben werden. Das Buch enthält also keine Informationen, wie man sie üblicherweise in Reiseführern über Griechenland im Allgemeinen, seine Geschichte, seine kulturellen Sehenswürdigkeiten, seine Landschaften und seine Bewohner finden kann, sondern ein genau durchstrukturiertes und auf seine nachhaltige Wirksamkeit hin mehrfach evaluiertes Trainingsmaterial zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz zu Leben und Arbeiten mit griechischen Partnern.

Gewinnung des Trainingsmaterials Zutreffende Erkenntnisse über kulturell bedingte Probleme in der Zusammenarbeit mit Deutschen und Griechen, also sogenannte kulturell bedingte kritische Interaktionssituationen im Geschäftsleben, lassen sich nur von deutschen Fach- und Führungskräften gewinnen, die in Griechenland mit griechischen Partnern im Berufs- und Lebensalltag zu tun haben. Unter einer kulturell bedingt kritischen Interaktionssituationen versteht man eine interpersonale Begegnung, in der Partner unterschiedlicher kultureller Herkunft füreinander bedeutsam werden, miteinander kommunizieren und kooperieren und bei denen in ähnlichen Begegnungskontexten von unterschiedlichen griechischen Partnern immer wieder dieselben erwartungswidrigen Reaktionen beobachtet werden, die sich die deutschen Partner nicht erklären können und sie daher ratlos und irritiert zurücklassen. Genau mithilfe dieses Materials kann man viel und sehr Handlungsrelevantes über das Verhalten griechischer Partner lernen (Utler u. Thomas, 2010). Für dieses Trainingsmaterial wurden deutsche Fach- und Führungskräfte in Griechenland zu ihren Erfahrungen im Umgang mit griechischen Partnern befragt. Sie sollten konkrete Begegnungssituationen aus ihrem Berufs- und Lebensalltag schildern, die sie irritierten, die sie nicht verstanden und über die sie sich zum Teil auch geärgert hatten. Diese kritischen Interaktionssituationen wurde von kulturellen Experten, die sich in beiden Kulturen gut auskennen und kulturvergleichend zu bestimmten The11 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

men geforscht hatten, daraufhin analysiert und bewertet, warum sich der griechische Partner so unerwartet verhalten hat.

Das Trainingskonzept Lernpsychologische Erkenntnisse zeigen, dass erworbenes Wissen nur dann tatsächlich aktiviert wird, wenn es gebraucht wird und nicht nur als träges Wissen zwar verfügbar, aber nicht abrufbar ist, wenn es kontextualisiert, also in dem Lernenden vertraute Situationen eingebettet wird. Dieses Trainingskonzept folgt genau dieser Vorgabe, da es von kulturell bedingt kritischen Interaktionssituationen ausgeht, die dann vom Lernenden analysiert werden. Zunächst wird der Lernende gebeten, die präsentierte kritische Interaktionssituation genau zu lesen und sich selbst zu überlegen, warum der griechische Partner so irritierend reagiert hat. Diese eigenen Überlegungen soll er schriftlich festhalten. Dann werden ihm vier alternative Deutungen zur Erklärung des Verhaltens des griechischen Partners angeboten, die er auf einer Skala von sehr zutreffend bis nicht zutreffend im Hinblick darauf bewerten soll, wie gut sie das Verhalten des Griechen erklären. Anschließend erhält der Lernende zu jeder Deutung eine nähere Erklärung (Bedeutung), warum die jeweilige Deutungsalternative zutrifft, eher nicht zutrifft oder überhaupt keine erklärende Funktion hat. In einem nächsten Schritt unter dem Thema »Lösungsstrategie« wird der Lernende gebeten, sich nochmals in die kritische Interaktionssituation zu vertiefen und sich nun zu überlegen, was der Deutsche hätte tun können, um in der kritischen Interaktionssituationen besser fertigzuwerden und um sie für beide Partner zufriedenstellend zu beeinflussen und zu bearbeiten. Nachdem er seine eigenen Überlegungen dazu schriftlich festgehalten hat, sollte er die im Buch präsentierte Lösungsstrategie mit seinen Überlegungen vergleichen und sich so ein eigenes Urteil bilden. Drei bis vier solcher kulturell bedingt kritischen Interaktionssituationen werden unter einem so genannten »Kulturstandard« bearbeitet. Das aus den Interviews generierte kulturspezifische Erfahrungsmaterial in Form von kritischen Interaktionssituationen konnte im Verlauf einer spezifischen Analyse in Bezug auf das Ver12 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

halten der griechischen Partner bestimmten Erklärungsmustern zugeordnet werden, die als Kulturstandards bezeichnet werden. Unter Kulturstandards versteht man kulturspezifische Arten der Wahrnehmung, des Denkens, des Wertens, des Empfindens und des Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und für andere Personen als normal, typisch, selbstverständlich und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage von Kulturstandards beurteilt und reguliert. Kulturstandards wirken wie Maßstäbe, Gradmesser und Bezugssysteme für richtiges und kulturell akzeptiertes Handeln. Nachdem die einem Kulturstandard zuzurechnende kulturell bedingt kritischen Interaktionssituationen bearbeitet sind, wird der Kulturstandard benannt und eine kulturelle Verankerung des Kulturstandards präsentiert (Thomas, 2011b). Die in dem für griechische Fachund Führungskräfte im Kontext wirtschaftlichen und beruflichen Handelns typischen Kulturstandard sich niederschlagenden kulturspezifischen Besonderheiten der Bewertung von Interaktionssituationen sind nicht zufällig entstanden, sondern entspringen bestimmten kollektiven Erfahrungen, die sich über längere Zeiträume hinweg erstrecken und dann in einem Kulturstandard verdichtet werden können. Unter dem Stichwort »Kulturelle Verankerung von Kulturstandard X« wird erläutert, wie die kulturspezifischen Merkmale die das Verhalten der griechischen Partner steuern, entstanden sind. Das in diesem Buch verwendete Trainingskonzept entspricht im Wesentlichen dem, was in der Literatur unter dem Stichwort »Culture Assimilator Training« (Albert, 1983; Cushner u. Landis, 1996; Thomas, 2009; Thomas, Kinast u. Schroll-Machl, 2005) behandelt wird. Dabei geht es nicht darum, dass mit dem Training eine Assimilation also eine Anpassung an eine Fremdkultur erreicht wird, sondern eine Sensibilisierung für die kulturspezifischen Besonderheiten des fremden und des eigenen kulturellen Orientierungssystems. Dieses Trainingskonzept wurde am häufigsten evaluiert und in den entsprechenden Wirkungsstudien hat sich gezeigt, dass genau dieses Trainingsformat besonders gut dazu geeignet ist, kulturspezifische Handlungskompetenz zu erwerben (Thomas, 2009). 13 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Hinweise zur Optimierung der Wirkung des Trainings Interkulturelle Handlungskompetenz generell und in diesem Fall die interkulturelle Handlungskompetenz in Bezug auf das Arbeiten und Leben in Griechenland entwickelt sich nicht von allein. Sie entwickelt sich als Resultat eines interkulturellen Lernprozesses, in dem vom Lernenden ein hohes Maß an eigenständiger Analyse und Reflexion zum Beispiel der angebotenen kritischen Interaktionssituationen, eigenständiges Abwägen und Bewerten von Deutungen und Bedeutungen und ein Hineinversetzen in die Lage der in den kritischen Interaktionssituationen agierenden deutschen Fach- und Führungskräfte und ihrer griechischen Partner geleistet werden muss. Selbst ein mehrjähriger Aufenthalt in Griechenland und den entsprechenden Erfahrungen im Umgang mit Griechen führt noch nicht automatisch zu interkultureller Handlungskompetenz. Einen optimalen Nutzen aus diesem Trainingsmaterial gewinnt man nicht dadurch, dass man die Texte, ob kritische Interaktionssituationen oder Deutungen, Bedeutungen, Lösungsstrategien oder Kulturstandards und ihre kulturellen Verankerungen nur nacheinander durchliest. Man kann so zwar Wissen über das Verhalten griechischer Geschäftspartner erhalten, aber dieses angelernte Wissen wird womöglich nicht aktiviert werden können, wenn es im Berufs- und Lebensalltag benötigt wird. Vor dem Lesen sollte die Selbstbefragung stehen! Der Lernende verfügt ja in der Regel über ein umfangreiches Wissen darüber, wie soziale und interpersonale Interaktionsprozesse normalerweise ablaufen, entweder aus Erfahrungen ausschließlich mit Partnern in der eigenen Kultur oder schon mit Partnern fremdkultureller Herkunft. Darauf aufbauend ist er in der Lage, sich ein eigenes Bild vom Verhalten der in den Fallbeispielen agierenden Personen zu machen. Dabei wird der Lernende beim Lesen der Deutungen und besonders der Bedeutungen bemerken, wie sehr seine Interpretationen, Überzeugungen und Bewertungen vom eigenen kulturellen Orientierungssystem bestimmt sind und wie wenig er in der Lage ist, die Intentionen, Absichten und Gefühlslagen seiner griechischen Partner angemessen zu berück14 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sichtigen. Aber genau darum geht es, wie schon der chinesische Kriegsphilosoph Sun Tsu in seinem Buch »Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft – die Kunst der richtigen Strategie« (500 v. Chr.) bemerkt: »Nur wer den Gegner und sich selbst gut kennt, kann in 1000 Schlachten siegreich sein« (Sun Tsu, 1997). »Nur wer das eigene kulturelle Orientierungssystem und das kulturelle Orientierungssystem des Partners gut kennt, kann in den geschäftlichen Aktivitäten weltweit erfolgreich sein!«, könnte die moderne Übersetzung dieser Erkenntnis lauten. In diesem Training kann man zwar viel über die griechischen Partner lernen und auch einiges über das kulturspezifische Orientierungssystem deutscher Fach- und Führungskräfte, besonders im Kontext der präsentierten Bedeutungen und der Lösungsstrategien das Wissen um das eigene kulturelle Orientierungssystem sollte aber sinnvoller Weise vertieft und erweitert sowie mit dem kulturellen Orientierungssystem der griechischen Partner kontrastiert werden durch die Lektüre »Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben« (Schroll-Machl, 2013). Eine kulturell bedingt kritische Interaktionssituation entsteht ja nicht allein dadurch, dass der griechische Partner so unerwartet reagiert und die deutsche Fach- und Führungskraft irritiert ist, sondern auch dadurch, dass die deutschen Partner kulturspezifisch geprägt Erwartungen in die Situation mit einbringen und die Zusammenarbeit dementsprechend steuern und bewerten, was auf griechischer Seite ebenfalls zu Irritationen führen kann. Das Trainingsmaterial ist zum Selbststudium geeignet. Dabei ist das schriftliche Festhalten der eigenen Überlegungen, der Vergleich dieser Resultate mit den Vorgaben im Text und die weitere Generierung alternativer Deutungen und Lösungsstrategien wichtig. Auch die auf Griechenland bezogenen unter der Überschrift »Literaturhinweise« angeführten Quellen hinzuzuziehen, ist sinnvoll und bereichernd. Das Trainingsmaterial kann auch als Baustein in Gruppentrainings zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz eingesetzt werden. Dabei können die einzelnen Gruppenmitglieder wie beim Selbstlernen erst einmal ihre individuellen Eindrücke und Bewertungen feststellen und schriftlich festhalten. Danach können sie das Material miteinander austauschen und mit 15 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

den Deutungen und Bedeutungen im Text vergleichen. Einzelne kritische Interaktionssituationen können auch als Vorlage für Rollenspiele mit und ohne Videofeedback herangezogen werden. Nach Bearbeitung dieses auf die Zusammenarbeit mit Griechen bezogenen Trainingsmaterials sollte sich der Leser auch fragen, was er generell zum besseren Verständnis der Handlungswirksamkeit des eigenen kulturellen Orientierungssystems und der kulturellen Orientierungssysteme von Partnern aus anderen Kulturen gelernt hat. Diese Art der Metakontexualisierung – also das Herausnehmen des erworbenen Wissens und des Gelernten aus dem spezifischen Griechenlandbezug – ist wichtig, denn so kann eine Generalisierung des Gelernten erreicht werden. Dies ist ein wichtiges Lernziel, um im Zuge des kontrastierenden Fallvergleichs der kritischen Interaktionssituationen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Situationen zu thematisieren und so eine erweiterte Wahrnehmung und Flexibilisierung des Wissens zur Bewältigung kulturell bedingt kritischer Interaktionssituationen zu erreichen (Mandl, Prenzel u. Gräsel, 1991).

16 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 1: Beziehungsorientierung mit Partikularismus

Beispiel 1: Der gesprächige Handwerker Situation Herr Bergmann wurde vor einem guten Jahr von seiner deutschen Firma nach Griechenland entsandt. Er arbeitet in Athen als kaufmännischer Leiter und ist in seiner Firma unter anderem für die Wartung des Gebäudes zuständig. Kurz vor Weihnachten fällt die Heizung im Haus aus. Ein älterer griechischer Handwerker, Herr Theodorídis, wird beauftragt, dieses Problem schnellstmöglich zu beheben. Herr Theodorídis beginnt seinen ersten Arbeitstag damit, dass er Herrn Bergmann in seinem Büro aufsucht. Herr Theodorídis erklärt Herrn Bergmann dort, was seine nächsten Arbeitsschritte sind, wie lange er heute arbeiten will und welche Ersatzteile er bestellen müsse. Herr Bergmann hat großen Zeitdruck – der Jahresabschluss steht an – und er versucht höflich, das Gespräch mit Herrn Theodorídis abzukürzen,da er findet,dieser müsse selbst wissen,was zu tun sei. Am nächsten Morgen sowie an den übrigen Tagen, an denen Herr Theodorídis an der Heizung arbeitet, steht dieser wieder vor seiner Tür. Die Besprechungen dauern bis zu 45 Minuten täglich, da Herrn Theodorídis’ Fragen sich auch auf private Themen beziehen, zum Beispiel wie Herr Bergmann denn plane, Weihnachten zu feiern. Herr Bergmann ist verzweifelt, denn er hatte den Eindruck, dass bereits am ersten Tag alles besprochen worden sei. Wieso verhält sich Herr Theodorídis auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. 19 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

– Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) In Griechenland werden Hierarchien wichtiger genommen als in Deutschland. Herr Theodorídis versucht, bei Herrn Bergmann die einzelnen Schritte abzuklären, damit dieser seine Zustimmung geben kann.Damit ist er abgesichert für den Fall,dass seine Arbeit nicht auf Herrn Bergmanns Zustimmung stößt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Weihnachten steht vor der Tür und da ist es in Griechenland üblich, zusätzliche Trinkgelder an Handwerker und anderes Personal zu verteilen. Herr Theodorídis hofft auf eine solche Gabe und bemüht sich daher um Herrn Bergmanns Sympathie. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Theodorídis möchte eine engere Beziehung zu Herrn Bergmann aufbauen, was er über lange und private Gespräche zu erreichen versucht. Dies ist für ihn die Voraussetzung einer konstruktiven Zusammenarbeit. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) In Deutschland würde man Herrn Theodorídis als arbeitsscheuen Gesellen bezeichnen, der versucht, die Zeit nicht mit fachlicher Arbeit und entsprechenden Leistungen, sondern mit angenehmen Gesprächen zu füllen. So kann er längere Arbeitszeiten in Rechnung stellen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

20 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Die Antwort erklärt zwar Herrn Theodorídis’ lange Gespräche über seinen Auftrag, aber nicht, warum er auch private Themen anschneidet. Auch wenn in Griechenland detailliertere Absprachen mit dem Chef und weniger eigenverantwortliches Arbeiten üblich sind, trifft die Antwort doch nur teilweise zu und lässt einige Fragen offen. Erläuterung zu b): Weihnachten und die Feiertage sind in Griechenland nach dem Osterfest, dem eine noch größere Bedeutung zukommt, Anlass zum Feiern und Schenken. Eine gute Beobachtung ist, dass Herr Theodorídis Herrn Bergmanns Sympathie zu gewinnen versucht, doch macht er dies nicht nur aufgrund der bevorstehenden Feiertage und eines möglichen Trinkgeldes. Diese Deutung erklärt die Situation nicht vollständig. Erläuterung zu c): Herr Theodorídis gehört einer älteren Generation von Griechen an, bei denen ein guter persönlicher Kontakt häufig die Grundlage für Geschäftsbeziehungen darstellt. Eine gute zwischenmenschliche Beziehung vermittelt Sicherheit, dem anderen vertrauen zu können und in Zukunft einen Stammkunden bzw. einen zuverlässigen Handwerker bei der Hand zu haben. Bei jüngeren Griechinnen und Griechen ist ein solches Verhalten seltener zu beobachten. Diese Antwort trifft zu. Erläuterung zu d): Herr Bergmann beschwert sich nicht darüber, dass Herr Theodorídis nicht genug arbeitet und stattdessen seine Arbeitszeit mit 21 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nichtssagenden Gesprächen vertrödelt. Ihn stört es, dass er ihn über jeden einzelnen Schritt informiert und immer wieder Details mit ihm besprechen will, die sich eigentlich von selbst verstehen oder mit der Arbeit in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen. Insofern ist diese Deutung recht unbefriedigend. Gerade in Krisenzeiten ist Herr Theodorídis eher auf zufriedene Auftraggeber und mögliche Folgeaufträge angewiesen als auf einen einmaligen Auftrag.

Lösungsstrategie Herr Bergmann ist in einer angespannten Situation: Zusätzlich zu den normal anfallenden Aufgaben hat er den Jahresabschluss zu erledigen und dann fällt zu allem Überfluss auch noch mitten im – auch in Griechenland – kalten Winter die Heizung aus. Er möchte mit Herrn Theodorídis nur das Nötigste besprechen, damit dieser die Heizung reparieren und Herr Bergmann sich wieder dem Jahresabschluss und Alltagsgeschäft zuwenden kann. Dass Herr Theodorídis so oft und lange das Gespräch mit Herrn Bergmann sucht, läuft dessen Zeitplan und Verständnis von sachund ergebnisorientierter Kommunikation zuwider. Um seine Interessen durchzusetzen, könnte er Herrn Theodorídis auf seinen Zeitdruck hinweisen, das Gespräch so kurz wie möglich halten oder unterbrechen und Herrn Theodorídis wieder seiner Arbeit überlassen. Dies würde zu seinem Zeitplan passen, dafür aber Herrn Theodorídis’ Bedürfnissen nicht gerecht werden. Herr Theodorídis auf der anderen Seite erhofft sich von Herrn Bergmann, zunächst einmal das Gegenüber kennenzulernen und eine gemeinsame Beziehung aufzubauen, um dann eine Arbeitsbeziehung wachsen zu lassen. Er möchte wissen, mit wem er es zu tun hat. Außerdem möchte er Herrn Bergmann zeigen, dass er den Auftrag ernst nimmt und durch den Aufbau eines guten Kontakts zu seinem Auftraggeber seine Professionalität demonstrieren. Er versteht nicht, wieso Herr Bergmann ihm gegenüber so zurückhaltend ist und dadurch den Beziehungsaufbau, der beiden die Arbeit erleichtern würde, unnötig erschwert. 22 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Tatsächlich kann Herr Bergmann von dieser Herangehensweise durchaus profitieren. Gute Handwerker sind – in Griechenland wie anderswo – nicht immer leicht zu finden. Baut er jetzt einen guten Kontakt zu Herrn Theodorídis auf, kann er sich auf diesen auch bei Folgeaufträgen verlassen und kommt vielleicht sogar in den Genuss von schnellem Service auch am Wochenende oder Preisnachlässen. Dafür muss er sich aber die Zeit nehmen, mit Herrn Theodorídis über scheinbar belanglose Themen zu plaudern und die so vermeintlich »vergeudete« Zeit abends wieder nachzuarbeiten. Herr Theodorídis nimmt es Herrn Bergmann sicherlich nicht übel, wenn dieser nach einem kürzeren, aber doch angeregten Gespräch auf den Jahresabschluss verweist. Herr Bergmann kann in einer ruhigen Minute oder nach Feierabend kurz bei Herrn Theodorídis vorbeischauen, um sich nach dessen Befinden oder Feierabendplänen zu erkundigen. Dabei ist es natürlich wichtig, dass hier die nette Geste im Vordergrund steht und nicht der Eindruck möglicher Kontrollbesuche entsteht.

Beispiel 2: Das lässt sich doch irgendwie regeln! Situation Herr Kühn ist seit eineinhalb Jahren für eine deutsche Einrichtung in Athen als Führungskraft tätig. Für die Elektrik des Gebäudes soll ein neuer Wartungsvertrag mit einer griechischen Handwerksfirma abgeschlossen werden. Dazu holt sich Herr Kühn die Angebote von drei Firmen ein. Bei den Angeboten wie auch dem Vorläufervertrag fällt ihm auf, dass nicht geregelt ist, wer die Kosten für etwaige Ersatzteile während des Vertragszeitraums übernimmt. Herr Kühn überlegt sich eine Regelung und schlägt den drei Ansprechpartnern der Firmen vor, diese in dem Angebot zu ergänzen. Alle drei sind irritiert über den Vorschlag und versuchen ihn davon abzubringen. Das könne man doch irgendwie regeln, wenn es soweit ist, es hänge doch auch davon ab, wie viele Reparaturen er zusätzlich in Auftrag gäbe, und wer wisse 23 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

schon, was morgen ist, sind Argumente, die aufgeführt werden. Herr Kühn empfindet dieses Verhalten als wenig professionell. Wieso verhalten sich die griechischen Elektriker auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Herr Kühn hat offensichtlich Angebote von Firmen bekommen, die sich bislang noch nicht ausreichend mit der Abwicklung von Wartungsverträgen auskennen und überhaupt nicht verstehen, warum er ihnen diesen Vorschlag unterbreitet.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Verträge und Formalien haben in Griechenland einen geringeren Stellenwert. Die Elektriker gehen davon aus, dass sich auftauchende Probleme auch durch mündlichen Austausch und gegenseitiges Entgegenkommen lösen lassen. Dass Herr Kühn die Einzelheiten genau vereinbaren will, empfinden sie als Misstrauen ihnen gegenüber. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Das Verhalten der griechischen Handwerker ist auf die Beziehung zwischen Deutschen und Griechen seit Ausbruch der Schuldenkrise in Griechenland zurückzuführen. Die Elektriker haben Angst, vom deutschen Auftraggeber über den Tisch gezogen zu werden und deutschen Regeln folgen zu müssen, die ihnen letztlich schaden. Deshalb versuchen sie, Herrn Kühns Vorschläge abzuwehren. 24 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Herr Kühn verkörpert für die griechischen Handwerker eine anonyme Institution, der gegenüber es kein moralischer Fehler ist, sie auszubeuten. Die Elektriker erhoffen sich weiteren Verdienst durch Ersatzteile, was ihnen nur möglich ist, wenn es nicht allzu genau im Vorhinein festgelegt ist.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Herr Kühn ist immerhin seit anderthalb Jahren in Athen tätig und wenn er Angebote für die Wartung der Elektronik des Gebäudes einholt, kann man davon ausgehen, dass er sich sachkundig gemacht hat, wer für einen solchen Wartungsauftrag überhaupt infrage käme. In der Situationsschilderung gibt es außerdem keine Hinweise darauf, dass die anbietenden Handwerksfirmen fachlich unqualifiziert oder die Angebote fehlerhaft wären. Herr Kühn bemängelt nur, dass seiner Meinung nach ein wichtiges Detail übersehen wurde. Erläuterung zu b): Personalisierte Geschäftsbeziehungen bis hin zum Klientelismus herrschen in Griechenland vor. Gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung sind die Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Probleme werden eher durch Austausch gelöst als durch Regelungen. Dabei wird darauf geachtet, dass durch gegenseitige Gefälligkeiten beide Parteien profitieren können. Diese Antwort 25 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

beschreibt eine für Deutsche oft ungewohnte Einstellung sehr gut und trifft zu. Erläuterung zu c): Die Beziehungen zwischen Griechen und Deutschen sind seit der Schuldenkrise und den darauf folgenden politischen Entscheidungen deutlich angespannter. Viele Griechinnen und Griechen empfinden die von der Troika auferlegten Sparmaßnahmen als tiefen Einschnitt für weite Teile der Bevölkerung, die zunehmend in prekären Verhältnissen lebt. Durch die Führungsrolle Deutschlands in der EU und die gemeinsame Geschichte vor allem der Besatzungszeit des Zweiten Weltkriegs werden Deutsche von einigen Griechinnen und Griechen mit Unmut betrachtet. Dies trifft allerdings nicht auf die Mehrheit der Griechen zu und erklärt diese Situation nicht ausreichend. Erläuterung zu d): Ein richtiger Aspekt dieser Antwort ist sicher, dass sich die Loyalität der Griechinnen und Griechen gegenüber Institutionen in Grenzen hält. Es herrscht tendenziell ein Misstrauen öffentlichen Einrichtungen gegenüber. Persönliche Beziehungen hingegen haben einen deutlich höheren Stellenwert. Es ist aber keine moralische Legitimation, Institutionen nach Gutdünken zur persönlichen Bereicherung auszunehmen. Im Vordergrund steht hier eine griechische Grundeinstellung, die in einer anderen Antwort genannt wird. Die Antwort ist nur teilweise richtig.

Lösungsstrategie In der geschilderten Situation treffen zwei verschiedene Motive mit einem doch recht ähnlichen zugrunde liegenden Bedürfnis aufeinander: Herr Kühn möchte sich auf die beauftragte Elektrofirma verlassen können. Daher wünscht er, wie er es aus Deutschland gewohnt ist, klare Regelungen und Verträge, auf die er sich später berufen kann. Sollte etwas nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufen oder die Elektriker ihn übers Ohr hauen wollen, könnte er als letzte Konsequenz rechtliche Schritte einleiten, um die Leis26 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

tungen einzufordern. Dadurch sichert er sich ab, dass er sein Geld vernünftig investiert hat. Die griechischen Elektriker dagegen haben grundsätzlich eher ein Misstrauen gegenüber verbindlichen Verträgen, denn sie haben die Erfahrung gemacht, dass man sich einzig auf vertrauensvolle Beziehungen vollständig verlassen kann. Die Möglichkeit von rechtlichen Schritten ziehen sie aufgrund eines fehlenden Zutrauens in die Justiz und Verwaltung nicht in Betracht. Sollte Herr Kühn sie also betrügen wollen, würde ihn keine Vertragsklausel davon abhalten können, sondern einzig und allein die vertrauensvolle Beziehung zu ihnen als Geschäftspartner. Um zu vermeiden, dass Herr Kühn in eine solche Situation gerät, wäre es aus griechischer Sicht hilfreich, zunächst eine persönliche Beziehung aufzubauen. Dies wäre auch die Basis für Verhandlungen über finanzielle Details, die Herr Kühn trotz alledem für sein eigenes Sicherheitsgefühl geregelt haben möchte. Wenn Herr Kühn sich einen Elektriker für den Wartungsvertrag von einem Kollegen oder Bekannten empfehlen lässt, verhält er sich damit ganz entsprechend der griechischen Linie und kann von vornherein durch die gemeinsamen Kontakte punkten. Falls dies aber seinen Vorstellungen zuwiderläuft, ist es natürlich auch möglich, sich den Elektriker mit dem auf den ersten Blick interessantesten Angebot einzuladen und beispielsweise bei einem Rundgang durchs Gebäude und einer gemeinsamen Tasse Kaffee ins Gespräch zu kommen. Der Aufbau einer persönlichen Beziehung kann verhindern, dass der Elektriker Herrn Kühn, wie in Antwortmöglichkeit d) angedeutet, als nicht vertrauenswürdige Institution wahrnimmt. Letzterer fühlt sich der Elektriker womöglich nicht derart verpflichtet, sich fair zu verhalten – im Unterschied zu einem guten Bekannten. Auch ließe sich über einen Kompromiss bei der Vertragsgestaltung nachdenken, sodass dieser mehr Spielraum für Verhandlungen im akuten Fall bzw. Änderungen während der Laufzeit lässt. Das in Griechenland übliche Feilschen (bazari) kann auch dazu beitragen, das Gegenüber besser kennenzulernen und nicht zuletzt sein schauspielerisches und rhetorisches Talent und Verhandlungsgeschick unter Beweis zu stellen. Letztere werden nicht selten als Kompetenzen angesehen, die einem Anerkennung einbringen. 27 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Beispiel 3: Willkür bei der Steuer Situation Herr Peters ist vor dreieinhalb Jahren in eine Kleinstadt im Norden Griechenlands gezogen und arbeitet nun bei einem großen deutschen Unternehmen als Bereichsleiter. Herr Peters hat eine private Krankenversicherung, die in britischen Pfund abgerechnet wird. Er erhält jedes Jahr ein griechisches Schreiben für seine persönliche Steuererklärung, worin der bezahlte Betrag bestätigt wird. Sein zuständiger Steuersachbearbeiter akzeptiert dieses Schreiben und akzeptiert die Krankenversicherung in der Steuererklärung. In diesem Jahr ist Herr Hatzinikoláou, ein anderer Sachbearbeiter der Steuerbehörde, für Herrn Peters zuständig. Herr Hatzinikoláou erklärt Herrn Peters Folgendes: Da die private Krankenversicherung in britischen Pfund abgerechnet wird und es in Griechenland schließlich keine britischen Pfund gebe, wäre es sehr kompliziert und schwierig, diese bei der Steuer zu berücksichtigen. Weil Herr Peters die Versicherung im letzten Jahr mit einreichen konnte, besteht er darauf, dass sie auch dieses Jahr wieder mit aufgenommen wird. Herr Hatzinikoláou nimmt die Unterlagen entgegen, weist aber nochmals darauf hin, dass ihm dies aufgrund des Arbeitsaufwandes und der Komplexität dieser speziellen Situation sehr schwierig sein wird. Die Krankenversicherung wird nach der Bearbeitung tatsächlich nicht mehr in der Steuererklärung aufgeführt. Herrn Peters überrascht das, er kann Herrn Hatzinikoláous’ Verhalten nicht nachvollziehen und ist sehr verärgert. Wieso verhält sich Herr Hatzinikoláou auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

28 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Deutungen a) Herr Hatzinikoláou kennt seinen Vorgänger persönlich und hat nun gemerkt, dass dieser einen Fehler begangen hat, ohne es selbst zu bemerken. Er möchte aber seinem Vorgänger nicht schaden und nimmt klammheimlich die Krankenversicherung aus der Steuererklärung heraus in der Hoffnung, dass dies niemandem auffällt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Die Versicherung mit in die Steuererklärung aufzunehmen, ist grundsätzlich möglich. Herr Hatzinikoláou hätte jedoch gern eine finanzielle Gefälligkeit dafür, dass er Herrn Peters’ Anliegen bearbeitet.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Leider ist das griechische Steuersystem nicht besonders ausgereift, sodass es keine genauen Vorschriften für einen solchen Fall gibt. Die Entscheidung liegt deswegen im Ermessen des Sachbearbeiters, Herr Peters hat mit Herrn Hatzinikoláou nicht so viel Glück wie mit seinem ehemaligen Sachbearbeiter. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Durch den in Griechenland vorherrschenden Klientelismus erhalten Beamte ihre Stellen meist durch Beziehungen und bringen nur selten die nötige Eignung oder Motivation für die Tätigkeit mit. Herr Hatzinikoláou versucht seine Unwissenheit und Inkompetenz durch Arroganz zu überspielen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. 29 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

– Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass Herr Hatzinikoláou seinen Vorgänger kennt und weiß, wenn dieser Quittungen anerkannt hat, die er eigentlich nicht hätte anerkennen dürfen. Um diese Fehler zu bereinigen, würde Herr Hatzinikoláou sich bemühen, dabei dessen Ansehen nicht zu verletzen, da Ansehen und Ehrgefühl wichtige Handlungsmotive in Griechenland darstellen. Dies könnte eine Rolle spielen, ist in diesem Fall aber nur eine unzureichende Erklärung. Erläuterung zu b): Dass in Griechenland seit Jahrzehnten in weiten Teilen des Staatsapparates ein System des Klientelismus und der damit verbundenen Bestechung herrscht, ist richtig. Patron-Klient-Beziehungen, bei denen eine Person mit Zugang zu Macht oder Geld Gefälligkeiten erweist gegen Zahlung von Geld (fakelaki) oder anderen Leistungen (z. B. Unterstützung, Wählerstimmen, Loyalität), sind in Griechenland häufig zu beobachten, jedoch rückläufig. Diese Deutung trifft zu, für Herrn Hatzinikoláou stellt sein Verhalten ein übliches Vorgehen dar. Erläuterung zu c): Das griechische Steuersystem wird von vielen Seiten als ineffektiv und die Falschen besteuernd kritisiert. Die Antwort erklärt die Situation trotzdem nicht hinreichend. Herr Hatzinikoláou folgt einem Verhalten, dass nicht nur mit den Vorlieben seiner Person zu erklären ist, sondern weit verbreitet. Erläuterung zu d): Der über Jahrhunderte hinweg entstandene Klientelismus in Griechenland bringt es mit sich, dass viele Posten des Staatsapparates durch die gerade herrschende Partei als so genannte rous30 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

fetia, als Gefälligkeiten im Austausch zu Unterstützung von Anhängern wie Wählern, geschaffen wurden. Nicht immer finden sich dadurch geeignete Personen auf den so geschaffenen Posten. Die Antwort trifft jedoch nicht ganz zu, Herr Hatzinikoláou hat andere Motive für sein Verhalten.

Lösungsstrategie In dieser Situation stehen sich kulturelle Unterschiede gegenüber, die auch die moralischen Vorstellungen in großem Maß betreffen. Herr Peters kann Herrn Hatzinikoláous’ Verhalten nicht nachvollziehen. Nach seiner Erfahrung wäre es normal, wenn dieser entweder seinen Job von sich aus korrekt machen würde oder aber, als Herr Peters ihn auf seinen Fehler hinweist, diesen korrigiert. Dass Herr Hatzinikoláou Herrn Peters Einwand übergeht und die Krankenversicherungsangabe einfach verschwinden lässt, wäre für Herrn Peters Grund genug, Einspruch gegen die Bearbeitung seiner Steuerangaben zu erheben oder aber sich bei dessen Vorgesetzten zu beschweren. Für Herrn Hatzinikoláou ist es – im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute – normal, einen zusätzlichen Obolus zu erwarten, damit er sich Herrn Peters gegenüber hilfsbereit zeigt. Er nutzt damit dessen Abhängigkeit ihm gegenüber aus, was für Herrn Peters eher ungewohnt ist. Hilfreich für einen Aufenthalt in Griechenland ist es sicherlich, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass die Gabe von fakelaki nach wie vor in manchen Bereichen verbreitet ist, um nicht wie Herr Peters die Signale hierfür zu übersehen. Vieles ist in Griechenland im Wandel, besonders bei der Korruptionsbekämpfung wurde in den letzten Jahren einiges auf den Weg gebracht. Dass sich solche Strukturen nicht von heute auf morgen auflösen lassen, sollte jedoch nicht verwundern. Wenn Herr Peters nicht bereit ist, für die korrekte Steuerbearbeitung zu zahlen, lohnt sich vielleicht der Versuch, eine größere Nähe zu Herrn Hatzinikoláou herzustellen, sei es durch Smalltalk oder über einen griechischen Bekannten, der Herrn Peters begleiten und für ihn sprechen kann. Bleibt Herr Hatzinikoláou jedoch bei seiner Weigerung und wird der 31 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Weg über Beschwerden oder Klagen als zu mühselig und ergebnislos eingeschätzt, so sollte Herr Peters sich wohl darauf einstellen, dass nicht alles, was ihm formal zustehen würde, für ihn auch erreichbar ist.

Beispiel 4: Immobilienpreise auf Kreta Situation Herr Schröder wurde von einer internationalen Firma auf Kreta angeworben und ist nach seiner Ankunft dort auf Wohnungssuche. Er sieht sich gemeinsam mit seiner Frau ein Haus an. Der griechische Eigentümer, Herr Chatzidákis, sagt, dass die Miete 1.700 Euro im Monat beträgt. Herr und Frau Schröder finden das ziemlich viel und entscheiden sich dagegen, das Haus zu mieten. Ein paar Tage später unterhält sich Herr Schröder mit Herrn Brokalákis, einem langjährigen Mitarbeiter der Firma. Über eine Nachbarin des Vermieters ist Herr Brokalákis auf dasselbe Haus aufmerksam geworden und er hat es am Vortag besichtigt. Herr Chatzidákis verlangt von Herrn Brokalákis nur 1.200 Euro. Als Herr Schröder das erfährt, ist er überrascht und fühlt sich ungerecht behandelt. Wieso verhält sich Herr Chatzidákis derart? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Herr Chatzidákis bevorzugt Herrn Brokalákis, da sie der gemeinsame Kontakt zur Nachbarin verbindet. Dadurch vertraut Herr Chatzidákis Herrn Brokalákis eher als dem fremden Herrn Schröder. 32 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Herr Chatzidákis möchte keine Ausländer in seinem Haus als Mieter haben und bevorzugt daher seine Landsleute.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Chatzidákis hat durch die Absage des Ehepaars Schröder festgestellt, dass die Miete zu hoch angesetzt war. Er bietet daraufhin dem nächsten Interessenten, Herrn Brokalákis, einen günstigeren Preis, um einen Mieter für das Haus zu finden.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Herr Chatzidákis geht davon aus, dass Herr Schröder als Deutscher viel verdient und deshalb bereit ist, mehr zu bezahlen als der griechische Herr Brokalákis. In Folge dessen verlangt er bei Herrn Schröder einen höheren Preis. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Netzwerke sind für das alltägliche Leben in Griechenland sehr wichtig. Freunde und Bekannte, die man zu seinem Netzwerk zählen kann, erweisen einem Gefälligkeiten, wie in diesem Fall die Nachbarin durch die Empfehlung des Hauses. Netzwerke lie33 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

fern aber auch Sicherheit, in dieser Situation für Herrn Chatzidákis und Herrn Brokalákis. Durch die gemeinsame Bekannte können sich beide eher darauf verlassen, dass der andere ein guter Partner ist. Die Antwort erklärt die Situation am besten. Erläuterung zu b): Die Bevorzugung von Landsleuten findet in Griechenland vielerorts statt. Unterschiedliche Preise bei Speisekarten für Einheimische und Touristen, aber auch die aggressive Bedrohung von Migranten in den Städten sind zwar nicht unbedingt die Regel, aber leider doch – verstärkt in den letzten Jahren – zu finden. Dies spiegelt sich auch in den zunehmenden Wählerstimmen für nationalistische Parteien seit der Krise wider. Trotz alledem ist Ausländerfeindlichkeit kein flächendeckendes oder auch nur für Griechenland geltendes Motiv, das alltägliche Situationen wie die beschriebene erklären könnte. Eine andere Antwort trifft besser zu. Erläuterung zu c): Die Antwort klingt auf den ersten Blick sehr einleuchtend, erklärt die Situation aber letztlich nicht zufriedenstellend. Herr Chatzidákis könnte zielstrebig auf das Ergebnis abzielen, einen Mieter zu finden und sich dabei an den Gegebenheiten wie der Miethöhe und der Nachfrage orientieren. Dies würde zur in Deutschland üblichen Orientierung an der ortsüblichen Miete in Mietspiegeln passen. Es gibt aber einen Blickwinkel, der in Griechenland eine größere Bedeutung hat. Dieser kommt in einer anderen Antwort zum Zug. Erläuterung zu d): Die weit verbreitete Einstellung, dass es Deutschen finanziell besser geht als Griechen, stimmt zwar nicht im direkten Vergleich von Einzelpersonen, trifft aber wohl im Durchschnitt zu. Hier hat nicht zuletzt die Entwicklung der Finanzkrise und Deutschlands politische Rolle in den letzten Jahren Unmut und Neid geschürt. Trotzdem gelten Deutsche vor Ort weiterhin als zuverlässige und daher beliebte Geschäftspartner, mit denen man es sich nicht verscherzen will. Herr Chatzidákis hat andere Gründe für sein Verhalten, die Antwort trifft eher nicht zu. 34 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Lösungsstrategie Herr Schröder ist gerade erst aus Deutschland angereist und erwartet dementsprechend, dass der Ablauf der Besichtigung so abläuft, wie er es aus Deutschland gewohnt ist: Das Haus wird angesehen, alles für ihn Wichtige wie Nebenkosten, Anschlüsse, Müllgebühren etc. wird besprochen, Herr Chatzidákis nennt einen angemessenen Preis und nach einer kurzen Bedenkzeit meldet sich Herr Schröder bei Herrn Chatzidákis und sagt zu oder ab. Vielleicht möchte Herr Chatzidákis Genaueres zu Herrn Schröders Verdienstsituation wissen, ansonsten ist erst einmal alles geklärt. Herrn Chatzidákis hingegen hat andere Vorstellungen: Er trifft bei Herrn Schröder auf einen völlig Fremden, über den er kaum etwas weiß. Folglich kann er nicht beurteilen, ob dieser vertrauenswürdig ist. Er verlangt einen zu hohen Betrag, vielleicht weil er hofft, Herrn Schröder durch Feilschen und den damit verbundenen Geschichten (z. B. »Einen so hohen Betrag können wir uns momentan gar nicht leisten, wir sind doch gerade erst in Griechenland angekommen und müssen erst Fuß fassen«) besser kennenzulernen. Vielleicht hofft er auch insgeheim, dass Herr Schröder dann absagen wird. Im Falle einer Zusage hat er zwar keinen Mieter gewonnen, bei dem er sich sicher fühlt, dafür erhält er aber einen hohen monatlichen Betrag. Mit Herrn Brokalákis trifft er schließlich auf den idealen Mietkandidaten: Durch die Nachbarin als gemeinsame Bekannte hat er eine Sicherheit, die bei Herrn Schröder fehlt. Dies kann Herr Schröder, der durch seinen kurzen Aufenthalt noch über keine solchen Kontakte verfügt, kompensieren, indem er versucht, die Hausbesichtigung zum Zweck eines Beziehungsaufbaus zu nutzen. Er kann Herrn Chatzidákis auf dem Weg durchs Haus nach dessen Situation erkundigen, wo er wohne, von sich selbst erzählen, warum es ihn nach Griechenland verschlagen habe. Wird der zunächst übermäßig hohe Preis genannt, kann er die Chance für bazari, das Feilschen, nutzen und dabei weitere Dinge über sich erzählen. Erfährt er von Herrn Brokalákis etwas über den Preisunterschied, kann er Herrn Chatzidákis nochmals kontaktieren und ihm ein wenig mehr als Herr Brokalákis bieten. Der griechische 35 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Weg bis zum (Miet-)Vertrag ist nicht immer derart ziel- und sachorientiert, wie Herr Schröder das aus Deutschland kennt.

Kulturelle Verankerung von »Beziehungsorientierung mit Partikularismus« Beziehungen haben in Griechenland eine große Bedeutung, was für Deutsche in diesem Ausmaß erst einmal ungewohnt sein kann. Enge und stabile Beziehungen werden sowohl im Privaten als auch im beruflichen Kontext meist als wichtiger und verlässlicher eingeschätzt als Verträge oder Absprachen. Hier kommt der Partikularismus ins Spiel: Die Beziehung und die individuelle Situation entscheiden, ob die Regeln momentan gelten oder nicht. Ein bestehender Vertrag kann also abgeändert werden, wenn sich die finanzielle Lage eines Beteiligten ändert, oder vom Bekannten, der knapp bei Kasse ist, wird weniger Geld verlangt als in der Preisliste ausgezeichnet. Dafür wird an anderer Stelle der Preis beim wohl situierten Fremden hochgesetzt. Daher ist es für Geschäftspartner immens wichtig, sich gut zu kennen und zu vertrauen. Bevorzugt werden als Partner Personen, die dem eigenen Netzwerk angehören, seien es nun Verwandte oder gute Bekannte. Da der private und der geschäftliche Lebensbereich nicht getrennt werden, kann die geschäftliche Beziehungspflege auch in privatem Rahmen stattfinden, genauso wie die privaten Kontaktpersonen in der eigenen Firma angestellt oder als Geschäftspartner herangezogen werden. Viele Deutsche berichten, dass sie anfangs von ihren griechischen Kollegen über private Themen ausgefragt wurden, was sie als neugierig und aufdringlich empfanden. Für sie ist es ungewohnt, dass Themen wie Familie oder private Unternehmungen auch bei Geschäftskontakten ein normales Thema sind, da sie die Gelegenheit bieten, das Gegenüber kennenzulernen und die so wichtige Beziehung aufzubauen. Innerhalb des eigenen Beziehungsnetzwerks unterstützen sich die meisten Griechinnen und Griechen und achten gleichzeitig auch darauf, dass diese Unterstützung beiderseitig geschieht. Dadurch sind Formalitäten und Strukturen weniger wichtig. Das 36 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Vertrauen und das Wissen, dass man das eigene Entgegenkommen irgendwann zurückbekommen wird, vermitteln Sicherheit. Pflicht- und Verantwortungsgefühl werden an einer bestimmten Person festgemacht. Nicht die Vereinbarung mit einer bestimmten Firma ist entscheidend, sondern die Beziehung zu dem Geschäftsführer, mit dem man diese ausgehandelt hat, ist entscheidend. Entsprechend werden Verträge nicht nur nach rationalen Gesichtspunkten festgelegt, sondern der zwischenmenschlichen Ebene wird eine größere Gewichtung eingeräumt. Dies hinterlässt bei vielen deutschen Fach- und Führungskräften ein Gefühl der Unsicherheit, da sie es gewohnt sind, Sicherheit durch schriftliche Fixierung von Vereinbarungen zu gewinnen. Das Gefühl, nichts Greifbares in der Hand zu haben, führt aus deutscher Sicht oft zu dem Schluss, die griechischen Partner würden irrational und unsachlich oder unprofessionell handeln. Hinzu kommt, dass mündlicher Kommunikation gegenüber schriftlicher oft der Vorrang gegeben wird, da bei dieser mehr Interaktion stattfinden kann. Besonders auffällig ist das beim in Griechenland üblichen bazari, dem Feilschen. Dieses bietet neben der flexiblen Aushandlung von Preisen oder Bedingungen die Möglichkeit, das Gegenüber besser kennenzulernen. Aufgrund des Misstrauens gegenüber öffentlichen Behörden, auf die für große Teile der griechischen Bevölkerung kein Verlass war und ist, wird das Vertrauen in einzelne Personen gesetzt. Auf der anderen Seite besteht bei nicht personalisierten Geschäftsbeziehungen, die mit unpersönlich bleibenden Vertretern von Firmen und Behörden oder anderen Fremden eingegangen werden, die Gefahr, dass die getroffenen Vereinbarungen als nicht so bedeutend empfunden werden wie die aus einer personalisierten Verbindung entstandenen. Die beschriebene personalisierte Beziehungsorientierung äußert sich insbesondere in Patron-Klient-Beziehungen. Hierbei ist der abhängige Klient dem einflussreichen Patron mit Gefälligkeiten zu Diensten und profitiert dafür von dessen Kontakten oder Geld. Dies ist sowohl in Wirtschaftsunternehmen als auch in der Politik verbreitet und führt in seiner Spitze zum immer noch weit verbreiteten fakelaki, »kleiner Umschlag«, der von vielen Beamten erwartet wird, um die Anliegen der Kunden zu 37 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

bearbeiten. Doch auch bei größeren Aufträgen ist Korruption nicht unüblich, wie auch diverse Skandale der jüngeren Vergangenheit aufzeigten. Die Verankerung dieses Kulturstandards lässt sich historisch erklären. Mit der Eroberung durch die Osmanen war Griechenland ab 1453 für fast 400 Jahre unter osmanischer Besatzung. In dieser Zeit war die griechische Bevölkerung deutlich eingeschränkt in ihren Rechten, die griechische Sprache und Kultur auszuleben. Wie einschneidend diese Zeit für die griechische Bevölkerung war, belegt übrigens auch der bis heute gefeierte Nationalfeiertag am 25. März, der an den Beginn des Unabhängigkeitskampfes gegen das Osmanische Reich erinnern soll. Durch die lange währende osmanische Unterdrückung entstand ein tiefes Misstrauen dem Staat gegenüber, das später durch weitere Fremdherrschaften und Diktaturen bestätigt wurde (»Bavarokratie« durch bayerische Könige ab 1830, Diktatur unter Metaxas ab 1936, deutsche Besatzung ab 1940, Diktatur ab 1967). Umso wichtiger wurde in dieser Zeit der Zusammenhalt der Bevölkerung untereinander. Der hohe Stellenwert von Familie und persönlichen, vertraulichen Beziehungen im Allgemeinen folgte daraus. Gegenseitiges Vertrauen in Beziehungen war oftmals überlebensnotwendig, ein gutes Kennen des Gegenübers unerlässlich. Auf persönliche Beziehungen war letztlich mehr Verlass als auf von außen diktierte Versprechen oder Regelungen. Der Stellenwert von festen Regelsystemen wurde entsprechend gesenkt. Die osmanische Führung setzte zur Verwaltung ihres Reichs sogenannte Muchtare ein, die als Sprecher von bestimmten Gemeinden fungierten. Da diese im Lauf der Zeit immer mehr an Bedeutung gewannen und es schafften, ihren Einfluss auch nach der osmanischen Zeit beizubehalten, entwickelten sich mehr und mehr Strukturen, die Klientelismus begünstigten. Der Muchtar, der Patron einer Gemeinde, konnte Gefälligkeiten erweisen, Unsicherheiten nehmen und genoss in der Regel dadurch mehr Vertrauen. Das bis zur Krise übliche Prozedere von Politikerinnen und Politikern, Wahlgeschenke (wie Beschäftigung im Staatsapparat) gegen Stimmen zu tauschen, ist ein Relikt aus dieser Zeit (Giannakopoulos, 2012; Giordano, 2012; Richter, 2012). 38 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 2: Familienorientierung

Beispiel 5: Ein Gläschen am Feierabend Situation Herr Wolff bekommt von seiner Firma in der Solarbranche die Möglichkeit, für einige Zeit als Fachkraft in Griechenland zu arbeiten, was er gern annimmt. Er ist erst seit wenigen Tagen in einem kleinen deutschen Unternehmen in Athen tätig, als ihn sein alleinstehender Kollege Ioannis anspricht, ob er nicht Lust hätte, mit ihm in der nächsten Woche abends privat etwas zu unternehmen. Die beiden malen sich genau aus, wo und was sie essen und welche Bar sie besuchen wollen. Herr Wolff freut sich über den Kontakt, stimmt zu und spricht Ioannis einige Tage später an, um ihre Verabredung fix zu machen. Ioannis sieht ihn verblüfft an und meint, er wisse nicht, wovon Herr Wolff spräche. Herrn Wolff ist das sehr peinlich, da er merkt, dass die Situation für Ioannis unangenehm ist. Ein anderer Kollege, Dimitrios, spricht ihn einige Zeit später an, ob er nicht zu ihm nach Hause zum Essen kommen wolle, um seine Familie kennenzulernen. Herr Wolff geht freundlich darauf ein, denkt sich aber nach der Erfahrung mit Ioannis, dass diese Einladung wohl nicht wörtlich zu verstehen ist und hakt nicht weiter nach. Dimitrios kommt zwei weitere Male auf die Einladung zu sprechen und fragt, ob er denn nun am Freitag Zeit hätte, um Frau und Kinder zu treffen. Herr Wolff merkt, dass diese Einladung wohl von Anfang an ernst gemeint war. Das verwirrt ihn.

41 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Wieso verhalten sich Ioannis und Dimitrios auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) Ioannis hat aus einer Augenblicksstimmung heraus einfach einmal so ein bisschen über einen lustigen Abend mit Herrn Wolff fantasiert. Verabredungen haben in Griechenland auch den Sinn, sich gegenseitig schon bei der Planung besser kennenzulernen. Erst wenn wie im Fall von Dimitrios ein fester Zeitpunkt genannt wird, ist ein Treffen als verbindlich anzusehen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Herr Wolff hat einem Treffen mit Ioannis zwar zugestimmt, aber aus Sicht von Ioannis nicht mit der von ihm erwarteten besonders großen Begeisterung. Da Ioannis eine eher empfindsame Person ist, wollte er im letzten Moment einen Rückzieher machen, was Herrn Wolff in die ungute Situation mit Dimitrios gebracht hat. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Einladungen nach Hause zur Familie haben grundsätzlich einen höheren Stellenwert als Verabredungen in Bars oder Cafés. Die Einladung von Dimitrios war deshalb von Beginn an als verbindlich anzusehen, während das Gespräch mit Ioannis erst einmal unverbindlich bleibt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

42 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

d) Die Familie von Dimitrios möchte wissen, mit wem er in der Arbeit zu tun hat und ist deswegen sehr interessiert daran, Herrn Wolff kennenzulernen. Dimitrios kommt deshalb, von Frau und Kindern animiert, immer wieder auf das Thema zu sprechen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Die Antwort ist teilweise richtig. Gespräche über mögliche Verabredungen dienen dem Kennenlernen und dem Beziehungsaufbau. Sie sollen eine angenehme Atmosphäre schaffen, sind dabei allerdings nicht immer als verbindlich anzusehen. Zum Beziehungsaufbau werden in Griechenland häufig private Themen Sachthemen vorgezogen. Die Unterschiede im Verhalten von Dimitrios und Ioannis sind aber nicht durch die Nennung des Zeitpunkts zu erklären. Erläuterung zu b): Gerade dann, wenn jemand neu in einem fremden Land tätig ist, fällt es schwer, die Feinheiten interpersonaler Kommunikation und Interaktion richtig zu deuten. Es kann also durchaus sein, dass Ioannis die eher sachlich-nüchterne Zustimmung seitens von Herrn Wolff zu einem Treffen als höfliche Ablehnung interpretiert hat, weil ihm die erwartete Begeisterung fehlte. Kommunikation ist in Griechenland oft deutlich emotionaler als in Deutschland. Dieser Antwort fehlt trotzdem ein wichtiger Aspekt. Erläuterung zu c): Die Familie ist in Griechenland die wichtigste Bezugsgruppe und das höchste Gut. Herr Wolff kann sich geehrt fühlen, von Dimit43 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

rios eingeladen zu werden. Dass er auf die Einladung nicht eingeht, könnte von Dimitrios als Zurückweisung seiner Person und Desinteresse aufgefasst werden. Diese Antwort trifft zu. Der Familienbegriff geht in Griechenland übrigens weit über die Kleinfamilie hinaus, auch Tanten, Cousins und Großeltern werden zum engen Familienkreis gezählt. Erläuterung zu d): Die Lebensbereiche sind in Griechenland nicht so stark getrennt wie in Deutschland, sodass die Familie und die Kollegen oftmals mehr Überschneidungspunkte und Interesse aneinander haben. Die Antwort ist allerdings nicht zufriedenstellend, da die zugrundeliegenden Wertvorstellungen darin zu kurz kommen.

Lösungsstrategie Herr Wolff ist neu in Griechenland und hat noch nicht viele Kontakte, als ihn Ioannis auf den gemeinsamen Barbesuch anspricht. Vermutlich ist er froh, Anschluss gefunden zu haben, und umso enttäuschter über dessen verhaltene Reaktion, als er das gemeinsame Treffen ein weiteres Mal anspricht. Er versucht beim nächsten Mal alles richtig zu machen und liegt bei der Einladung von Dimitrios wieder falsch, indem er dessen Einladung nicht ernst nimmt. Ioannis wiederum möchte den neuen Kollegen aus Deutschland gern näher kennenlernen und verwickelt ihn in ein aus seiner Sicht unverbindliches Gespräch über das Athener Nachtleben, indem er einen möglichen gemeinsamen Abend mit ihm bespricht. Vielleicht hatte er bislang schlicht noch keine Zeit, vielleicht hat er auch wirklich das Interesse am Treffen verloren. So oder so kann er nicht nachvollziehen, wieso Herr Wolff dieses Gespräch derart wörtlich genommen hat. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Ioannis in diesem Fall ernst zu nehmen, solange Herr Wolff noch kein Gespür dafür hat, wann eine Verabredung verbindlich ist und wann humorvolle Spinnerei. Dabei sollte er aber die Möglichkeit im Hinterkopf behalten, dass bezüglich der Verbindlichkeit eines solchen Gespräches 44 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen herrschen. Kommt Ioannis noch einmal auf das Thema zu sprechen, umso besser. Möchte Herr Wolff den Kontakt zu Ioannis vertiefen, helfen Gespräche über private und allgemeine Themen und, wenn er möchte, kann er einfach selbst die Initiative ergreifen und Ioannis – auch gern zusammen mit weiteren Kollegen – in ein Restaurant einladen. Erst, wenn Ioannis zum wiederholten Male die Einladung ausschlägt, sollte Herr Wolff dies als persönliche Zurückweisung einstufen. Dimitrios hingegen will Herrn Wolff die Ehre erweisen, ihn zu sich nach Hause zu seiner Familie einzuladen. Er wird sich viel Arbeit machen, um den Gast angemessen zu bewirten, und kann Herrn Wolffs Zurückhaltung beim besten Willen nicht nachvollziehen. Vermutlich fühlt er sich sogar vor den Kopf gestoßen. Für Herrn Wolff ist es deshalb hilfreich, seine Wertschätzung der Einladung deutlich zum Ausdruck zu bringen. Eine schöne Geste wäre in diesem Zusammenhang, sich nach den Kindern und deren Interessen zu erkundigen, da sie der Mittelpunkt jeder griechischen Familie sind, und eine Kleinigkeit für sie mitzubringen. Insgesamt kann es für Herrn Wolff hilfreich sein, das Thema Verabredungen mit viel Gelassenheit anzugehen. Dies ist sicherlich besonders in der Anfangszeit schwierig, in der man dringend nach Kontakten sucht. Nur deshalb ist die Situation mit Ioannis für Herrn Wolff auch so bedeutsam. Trotzdem erspart er sich viele Enttäuschungen, wenn er die Kontaktaufnahme entspannter auf sich zukommen lässt. In Griechenland ist der Umgang mit privaten Terminen und Verabredungen sehr flexibel.

Beispiel 6: Olivenernte Situation Herr Scholz lebt bereits seit vierzig Jahren in einer Kleinstadt auf dem griechischen Festland. Er betreute als Geschäftsführer den Aufbau einer griechischen Tochterfirma eines deutschen Unternehmens, das auf die Herstellung von Maschinenteilen spezialisiert war. In seiner Anfangszeit bestand das Unternehmen nur aus 45 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

zwölf Mitarbeitern. In dieser Zeit spielte sich folgende Situation ab: An einem Tag im November erscheint die Hälfte der Mitarbeiter ohne Ankündigung nicht zur Arbeit. Herr Scholz ist verwundert und fragt bei den verbliebenen Mitarbeitern nach, wo die anderen denn seien. Die Antwort, die er erhält, ist folgende: Momentan sei Olivenernte und da in jeder Familie jemand sei, der Oliven zu ernten hat, seien die anderen Mitarbeiter gefahren, um mitzuhelfen. Herr Scholz ist irritiert, schließlich hätten sich seine Mitarbeiter vorher abmelden können. Wieso verhalten sich die griechischen Mitarbeiter auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) Herr Scholz ist noch nicht lange im Unternehmen. Er wurde bisher noch nicht darüber informiert, dass es zu den informellen Regelungen der Firma gehört, dass die Mitarbeiter selbstverständlich einen Erntetag freinehmen können. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Die nicht zur Arbeit erschienenen Mitarbeiter sind vermutlich alle miteinander verwandt und waren nach einer ausgiebigen Familienfeier überhaupt nicht in der Lage, zur Arbeit zu erscheinen. Die Olivenernte ist nur ein vorgeschobener Grund. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Für die griechischen Mitarbeiter hat in diesem Moment die Unterstützung ihrer Familie Vorrang. Sie gehen davon aus, dass dies bei Herrn Scholz ebenso ist und sie ihm deshalb keine großen Erklärungen schuldig sind. 46 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Da in Griechenland die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, kommen in ländlichen Regionen zur Erntezeit Sonderregelungen zum Zug. Dies hilft die kleinen Agrarbetriebe zu stärken.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Dass Herr Scholz noch nicht über alle Einzelheiten der griechischen Gepflogenheiten informiert ist, stimmt sicherlich. Auch nach jahrelangen Aufenthalten kann es passieren, dass man auf eine unbekannte Verhaltensweise stößt, die man bisher noch nicht erlebt hat. Was Herrn Scholz in dieser Situation fehlt, ist aber nicht die Kenntnis über eine bestimmte Regel, sondern das Verständnis für eine kulturelle Besonderheit, die in einer anderen Antwort erklärt wird. Erläuterung zu b): Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, dass viele Mitarbeiter weitläufig miteinander verwandt sind, weil man sich gegenseitig die Arbeitsplätze vermittelt hat. Herr Scholz würde im Laufe der Zeit erfahren, wenn die Hälfte seiner Mitarbeiter miteinander verwandt wäre. Die angebliche Notwendigkeit der Olivenernte als Grund für das Fernbleiben der Hälfte der Mitarbeiter anzugeben, ist aber sehr gewagt, weil Herr Scholz den Wahrheitsgehalt problemlos überprüfen könnte, und trifft daher nicht zu. 47 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu c): Aufgrund des Misstrauens gegenüber staatlichen und wirtschaftlichen Instanzen wird die Familie oftmals höher bewertet als in diesem Fall die Arbeit. Hierzu müssen keine großen Worte verloren werden. In einem kleinen Unternehmen wird davon ausgegangen, dass der Chef über die Belange und dringlichen Anliegen seiner Mitarbeiter und deren Familien Bescheid weiß. Das hier beobachtete Verhalten der griechischen Mitarbeiter ist sicherlich nicht mehr typisch in der heutigen Zeit, verdeutlicht aber sehr gut den hohen Stellenwert der Familie und der engen Verbindung zum Arbeitsleben. Erläuterung zu d): Die Landwirtschaft ist neben dem Tourismus eine wichtige Säule der griechischen Wirtschaft. Dies stellt die Antwort richtig dar. Dass den Mitarbeitern in diesem Fall die Beteiligung an der Ernte so am Herzen liegt, hat seinen Grund jedoch in einer tiefer liegenden Einstellung. Die Antwort erklärt die Situation nur unbefriedigend. Hier lohnt sich der Blick hinter die wirtschaftlichen Zusammenhänge.

Lösungsstrategie Begebenheiten wie die geschilderte Situation sind heute zwar nur noch selten zu finden, es lohnt sich aber, die dahinterliegenden Bedürfnisse des deutschen Chefs und seiner griechischen Mitarbeiter, die bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren haben, genauer zu betrachten. Herr Scholz erwartet von seinen Mitarbeitern, dass sie zuverlässig am Arbeitsplatz erscheinen und sich bei Krankheit und anderen triftigen Gründen abmelden bzw. Urlaub beantragen. Dies gehört zu seinem Verständnis von Regeln und liegt auch in der Eigenverantwortung seiner Mitarbeiter. Für ihn wäre es daher wünschenswert, wenn sie sich ohne sein Zutun abmelden würden und dies möglichst zu einem Zeitpunkt, an dem Herr Scholz die fehlenden Mitarbeiter bei seiner Planung berücksichtigen kann. Dieses Verhalten wird er in der heutigen Zeit und beson48 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

ders in großen und internationalen Unternehmen auch erwarten können. Für die griechische Sicht ist es wichtig, die Rahmenbedingungen zu kennen: Herr Scholz lebt in einer Kleinstadt im ländlichen Raum, seine Firma ist eher ein kleiner Betrieb mit wenigen Mitarbeitern. Die griechischen Mitarbeiter gehen davon aus, dass Herr Scholz über den Zeitpunkt der Ernte informiert ist. Außerdem ist für sie die große Bedeutung der Familie und damit auch deren Unterstützung in arbeitsreichen Zeiten selbstverständlich. Sie gehen davon aus, dass dies bei Herrn Scholz auch so ist. Dass sie einen Tag in der Arbeit fehlen, sollte Herrn Scholz also nicht weiter überraschen. Um die Situation zu vermeiden, kann sich Herr Scholz rechtzeitig über die persönlichen Belange seiner Mitarbeiter informieren und – im Sinne der in Themenbereich 1 aufgeführten Beziehungspflege – sich regelmäßig nach deren Familien erkundigen. So wird er frühzeitig vom Bruder, der finanziell von seinem Olivenhain abhängig ist und Hilfe braucht, erfahren. Eine enge Beziehung zahlt sich darüber hinaus aus, wenn es um den Arbeitseinsatz für die Firma geht: Für einen Chef, der sich als Vorgesetzter für sie interessiert und ihnen bei Problemen väterlich unter die Arme greift, sind die meisten Griechen gern bereit, ihn und das Unternehmen jederzeit zu unterstützen. Wenn es Herrn Scholz wichtig ist, dass seine Mitarbeiter den formellen Weg einhalten und rechtzeitig (Sonder-)Urlaub beantragen, kann er dies – statt mit rein sachlichen Argumenten – auf persönlicher Ebene kommunizieren. Schließlich liegt es ihm als Vorgesetztem am Herzen, über den Verbleib seiner Mitarbeiter informiert zu sein, vor allem da er noch nicht genug über das griechische Alltagsleben weiß und sich vielleicht Sorgen machen würde. Vielleicht lohnt es sich ferner, über die Einführung einer speziellen Urlaubsregelung für diesen Fall nachzudenken, wenn dadurch den Bedürfnissen der griechischen Mitarbeiter nach Freistellung in diesem Fall und dem Bedürfnis des deutschen Chefs nach Planungssicherheit und Gewährleistung der vereinbarten Arbeitszeiten gedient wird.

49 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Kulturelle Verankerung von »Familienorientierung« Die Familie ist ein zentraler Teil der Identität und wichtiger Bestandteil des Lebens der meisten Griechinnen und Griechen. Innerhalb der Familie herrscht starker Zusammenhalt. Das Wohlbefinden jedes Einzelnen ist sehr wichtig und der Einsatz dafür, dass es jedem gut geht, sehr hoch. Auf die Familie ist jederzeit Verlass, sie hat eine wichtige Hilfs- und Schutzfunktion, besonders in schwierigen Zeiten. Im Gegensatz zu misstrauisch beäugten staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen vermittelt die Familie ein Gefühl der Sicherheit, während Fremde oft zurückhaltender behandelt werden. Der Familienbegriff wird hierbei deutlich weiter gefasst als in Deutschland und bezieht sich nicht nur auf die Kernfamilie. Auch Verwandte zweiten und gelegentlich sogar dritten Grades kommen in den Genuss der Unterstützung und bieten im Gegenzug ihren Verwandten jede Hilfe an, die nötig ist. Dies gilt zum Beispiel für die Vermittlung von Arbeitsstellen in der eigenen Firma, weshalb verwandtschaftliche Beziehungen innerhalb eines Unternehmens keine Seltenheit sind. Einen besonderen Stellenwert innerhalb der Familie nimmt die Taufe ein. Hier werden die Neugeborenen in die Familie und in die griechische Gesellschaft aufgenommen. Überhaupt sind Familienfeste wichtiger Bestandteil des Familienlebens. Für Feiern wie Hochzeiten werden keine Mühen gescheut, um ein prächtiges Fest zu feiern. Da die Familie für Griechinnen und Griechen so wichtig ist, ist es kaum verwunderlich, dass großes Interesse an den Familien der Gesprächspartner herrscht. Fragen nach der Familie sind als Interesse an der Person einzuschätzen und nicht aufdringlich gemeint, auch wenn sie auf den ersten Blick irritierend sein können. Da die Familie einen zentralen Wert darstellt, stoßen Deutsche, deren Familie keine große Rolle in ihrem Leben einnimmt, häufig auf Unverständnis. Eine Einladung zur Familie oder die Vorstellung der eigenen Familienmitglieder sind eine Einführung in das höchste Gut von Griechinnen und Griechen und bedeuten hohe Anerkennung. 50 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Die griechische Familienstruktur mit vielen ihrer bis heute geltenden Werte und Wertigkeiten lässt sich bis in die klassische Antike Griechenlands zurückverfolgen. Ein Haushalt mit Mann, Frau, ledigen Kindern und Dienern oder Sklaven samt Besitztümern war als das kleinste Element eines Staates, genannt oikos, definiert. Eine Person wurde nicht als Individuum, sondern vor allem durch ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten oikos gesehen. Ergänzt wurden die oikoi durch unterschiedliche entferntere Verwandte anderer oikoi, die sich gegenseitig durch Handel oder Absprachen unterstützten. Der oikos diente als Grundlage des Stadtstaates, der polis, und hatte vielfältige Aufgaben, aber auch Rechte innerhalb des Staates. So lagen beispielsweise Religionsausübung und das Festlegen von Gesetzen, die das Zusammenleben mit anderen oikoi regelten, in der Hand der einzelnen Familien. Diese Aufgaben haben bis heute Kirche und Staat übernommen, trotzdem zeigt es die hohe Bedeutung des oikos zur damaligen Zeit. In Bereichen, die der Staat nicht zuverlässig übernahm bzw. übernimmt, wie etwa im Gesundheits- und Sozialsystem, ist es bis heute Aufgabe der Familie, einzuspringen und die Verantwortung zu übernehmen. Der Mann war Oberhaupt des oikos und regelte die Angelegenheiten des oikos nach außen. Die inneren Belange des oikos wie Haushaltsführung und Kindererziehung waren in Frauenhand. Die Aufgabenteilung von inneren und äußeren Angelegenheiten bestand also bereits zu dieser Zeit und war über die Jahrhunderte hinweg nie bedeutenden Veränderungen unterworfen. Für das Fortbestehen des oikos waren Kinder unerlässlich. Die vorteilhafte Verheiratung der eigenen Kinder konnte zudem Besitz und Prestige mehren. Ein oikos ohne (männliche) Nachkommen bedeutete dessen Ende. Wie wichtig das Fortleben der Familie war und ist, zeigt auch die griechische Tradition, Kindern bis heute den Vornamen eines Verwandten, meist eines Großelternteils, zu geben und somit die familiäre Linie fortzuführen (Korossis, 1982; Lacey, 1983).

51 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Exkurs: Rollenverteilung innerhalb der griechischen Familie Vielen deutschen Expatriates fällt während ihres Aufenthaltes in Griechenland auf, dass innerhalb der griechischen Familie stärkere Rollenbilder und -vorstellungen herrschen, als sie es aus Deutschland kennen. Dies spielt in der Arbeitswelt nicht täglich eine Rolle, kann aber doch Einfluss auf einige Bereiche haben, weshalb darauf in einem Exkurs eingegangen wird. Im Allgemeinen fällt auf, dass Kinder in der griechischen Gesellschaft, besonders aber innerhalb der Familie, einen hohen Stellenwert haben. Wer ein Kind dabei hat, genießt die Aufmerksamkeit aller. Die Kinder werden von der ganzen Familie geliebt und mit Geschenken und Liebesbezeugungen überhäuft. Dies mag womöglich dazu führen, dass die ehemals kleinen Kinder mit einem oftmals übergroßen Selbstwert erwachsen werden, vielleicht aber auch dazu, dass die griechischen Kinder zu den zufriedensten Europas zählen – trotz Krise (UNICEF Office of Research, 2013). Dies kann relevant sein für den Beziehungsaufbau. Geschenke an die Kinder oder Nachfrage nach dem Befinden der Kinder können sich positiv auf den Beziehungsaufbau auswirken. Werden die Kinder älter, bemerken viele Deutsche eine strengere Hierarchie, als sie das aus Deutschland kennen. In Familienbetrieben, in denen Vater und Sohn gemeinsam wirtschaften, ist generell der Vater das Oberhaupt, unabhängig vom Fachwissen des Sohnes. Dies kann für deutsche Fach- und Führungskräfte in der Zusammenarbeit mit griechischen Familienbetrieben bedeutsam werden. Dies ist besonders im ländlichen Raum anzutreffen, weniger in den Großstädten Athen und Thessaloniki. In der innerfamiliären Hierarchie folgt als zweite Person die Mutter bzw. Großmutter. Die Kinder bzw. Enkelkinder sind dazu angehalten, den Älteren mit Respekt zu begegnen und gegebenenfalls zurückzustecken. Auch bei der Arbeitsteilung unter den Geschlechtern wird stärker zwischen den Aufgaben getrennt. Zwar gehen immer mehr Frauen zur Arbeit und sind zunehmend auch beruflich erfolgreich, trotzdem wird – besonders von älteren Griechinnen 52 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

und Griechen – traditionelle Aufgabenteilung erwartet. Deutsche Frauen, auch in Führungspositionen, werden gelegentlich nach ihrer Haushaltsführung und der Versorgung des Mannes gefragt. Dies beruht auf der Vorstellung, dass der Mann für die äußeren Dinge, also alles Geschäftliche und Finanzielle verantwortlich ist, die Frau dagegen für die inneren Belange, also Haushaltsführung und Kindererziehung. Dafür erfährt sie in der Regel sehr große Wertschätzung. In der finanziellen Versorgung durch den Mann bzw. der kulinarischen Versorgung durch die Frau kommt die hohe Bedeutung der Familie zum Ausdruck. Allerdings werden Vorbehalte gegenüber Frauen in der Arbeitswelt eher selten berichtet und selbst in einem bisher patriarchalisch dominierten Arbeitsfeld können Frauen mit ein wenig Durchhaltevermögen nach einiger Zeit auf breite Akzeptanz stoßen.

53 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 3: Hierarchieorientierung

Beispiel 7: In den Weiten des griechischen Rechtssystems Situation Herr Lange lebt seit dreieinhalb Jahren in Griechenland und leitet als Geschäftsführer ein großes deutsches Unternehmen in Athen. Als Herr Lange ein Geschäft mit einem Kunden abschließen will, fragt er Frau Topalídou, seine griechische Anwältin, ob er den Vertrag, den ihm der Kunde vorgibt, akzeptieren kann. Frau Topalídou antwortet, dass einer der im Vertrag enthaltenen Sätze gesetzeskonform und damit in Ordnung sei, ein anderer hingegen nicht. Diesen müsse Herr Lange nicht akzeptieren. Einerseits sei der Vertrag insgesamt in Ordnung, andererseits aber auch wieder nicht. Sie legt Herrn Lange einen Auszug aus dem geltenden Gesetzbuch vor: In diesem sei alles zu finden, falls er noch weitere Fragen habe. Herr Lange ist verwirrt, er erwartet eine konkrete Antwort auf seine Frage. Was ist der Grund für Frau Topalídous’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

55 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Deutungen a) In Griechenland ändern sich Gesetze sehr häufig, sodass Frau Topalídou sich auf keine stabile Rechtsgrundlage stützen kann. Diese Schwierigkeit möchte sie Herrn Lange aus Nationalstolz vorenthalten. Aus diesem Grund vermeidet sie eine eindeutige Stellungnahme. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) In vielen Bereichen ist es in Griechenland üblich, Geschäfte zu machen, ohne dazu einen schriftlichen Vertrag abzuschließen. Frau Topalídou will Herrn Lange darauf aufmerksam machen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Frau Topalídou will sich in diesem Fall vor der Verantwortung drücken, eine Entscheidung zu treffen. Im Konfliktfall könnte Herr Lange sie ansonsten zur Rechenschaft ziehen, was Frau Topalídou vermeiden will.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Frau Topalídou erwartet von Herrn Lange, dass dieser als Chef die Entscheidungen trifft. Würde sie selbst entscheiden, würde sie damit Herrn Langes Kompetenz infrage stellen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

56 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Bedeutungen Erläuterung zu a): Frau Topalídous’ Verhalten hat nichts mit der griechischen Gesetzeslage zu tun. Sie würde auch keine konkretere Antwort geben, wenn sie es mit einem anderen Rechtssystem zu tun hätte. Richtig ist aber, dass sie eine eindeutige Stellungnahme vermeidet. Die Erklärung dafür findet sich allerdings in einer anderen Antwort und nicht im Nationalstolz. Erläuterung zu b): Auch wenn das mündliche Wort in Griechenland einen höheren Stellenwert hat als in Deutschland, wie bereits in Themenbereich 1 ausgeführt, so ist es doch – insbesondere, da es sich um ein großes und internationales Unternehmen handelt – üblich, Geschäfte mit schriftlichen Verträgen als Grundlage zu treffen. Die Antwort trifft eher nicht zu. Erläuterung zu c): Die Übernahme von Verantwortung wird in Griechenland nicht immer als Ehre, sondern häufig auch als Last empfunden. Die Situation lässt sich jedoch nicht einfach durch Frau Topalídou persönliche Antipathie gegenüber Verantwortung erklären. Hier lohnt sich ein Blick auf eine tiefer liegende Grundeinstellung. Erläuterung zu d): Frau Topalídou hat ein anderes Verständnis von Hierarchie, als Herr Lange dies erwartet: Für sie entscheidet Herr Lange als Chef, da dieser durch seine Position die größere Entscheidungskompetenz innehat. Diese Deutung ist zutreffend, Frau Topalídou sieht sich hier lediglich in der Funktion einer Beraterin.

Lösungsstrategie Herr Lange hat eine Anwältin engagiert, damit er beim Vertragsabschluss Hilfestellung bekommt. Herr Lange ist kein Jurist, schon gar nicht spezialisiert auf griechisches Recht und daher angewiesen auf Frau Topalídous’ Expertise. Für ihn ist die Rollen57 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

verteilung klar: Er stellt die Frage, Frau Topalídou beantwortet diese auf Basis ihres Fachwissens und kann ihm auch ein Fazit vermitteln, was von dem vorliegenden Vertrag zu halten ist. Als er keine zufriedenstellende Antwort erhält, versucht er, Frau Topalídou konkrete Angaben zu entlocken. Dies könnte er noch einmal explizit einfordern, vielleicht sogar mit einer Drohung verbunden. Damit würde er gegebenenfalls für den Moment Erfolg haben, der Situation jedoch insgesamt wenig gerecht werden. Wenn Herr Lange das Gesetzbuch nicht selbst durcharbeiten möchte, was selbst für muttersprachliche Griechinnen und Griechen eine große Herausforderung wäre, muss er einen Blick auf Frau Topalídous’ Sichtweise werfen: Diese ist von ihrem deutschen Chef beauftragt, einen Vertrag zu prüfen. Da sie lediglich die Aufgabe hat, den Vertrag zu prüfen, nicht aber Entscheidungsbefugnisse innehat, gibt sie Herrn Lange Hinweise auf das Vertragswerk, geht aber nicht so weit, eine grundsätzliche Wertung vorzunehmen. Herr Lange ist die Führungskraft, die für das Treffen ihrer Entscheidungen neben Prestige und Ansehen auch deutlich mehr Geld verdient. Dass Herr Lange so penetrant nachfragt, deutet vielleicht auf Misstrauen seinerseits hin, denn er scheint Frau Topalídou nicht zu glauben. Deswegen legt Frau Topalídou ihm das Gesetzbuch vor, damit er ihre Einschätzungen überprüfen kann. Eine adäquate Reaktion für Herrn Lange wäre es, dankend abzulehnen und zu sagen, er vertraue auf Frau Topalídous’ Einschätzungen und brauche kein Gesetzbuch. Hätte Herr Lange gern eine klare Antwort bzw. Entscheidung bezüglich des Vertrags, wird dies aller Voraussicht nach nur funktionieren, wenn er Frau Topalídou zuvor Sicherheit und Vertrauen vermitteln konnte. Auf Augenhöhe kommuniziert wird die Frage »Was würdest du tun?«, vermutlich in entspanntem Rahmen wie einem Kaffee in der Kantine, eher funktionieren als in Herrn Langes Büro, wo die hierarchische Rollenverteilung vermeintlich klar zu sein scheint. Sicherlich bedarf es einiges an Fingerspitzengefühl und Geduld, bis Herr Lange die richtige Form und Art der Kommunikation für sich erprobt und gefunden hat. 58 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Beispiel 8: Nichts geht mehr: Produktionsstopp! Situation Herr Peters lebt seit zwei Jahren in einer Großstadt auf dem griechischen Festland. Dort arbeitet er in einem großen deutschen Unternehmen. Das Unternehmen produziert vor Ort Maschinenteile, die dann in den umliegenden Ländern vertrieben werden. Hierfür ist Herr Peters als Vertriebsleiter zuständig. Als eines Tages in der Fabrik eine Maschine ausfällt, muss die Produktion der Maschinenteile gestoppt werden. Herr Alexandrídis, der Produktionsleiter, meldet dies Herrn Dimitrakópoulos, dem Geschäftsführer. Herr Peters selbst erfährt erst später von Herrn Dimitrakópoulos davon. Herr Peters wundert sich, dass Herr Alexandrídis direkt zum Geschäftsführer geht und ihn nicht auch informiert. Schließlich betrifft das Thema sein Arbeitsfeld, da das Produkt so lange nicht verkauft werden kann, bis das Problem der Produktion gelöst ist. Was steckt hinter Herrn Alexandrídis’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Herr Alexandrídis möchte vermeiden, dass der Verdacht entsteht, Fehler vertuschen zu wollen. Durch die Meldung an seinen Chef kommt er seiner Informationspflicht nach und sichert sich ab. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Der Geschäftsführer erwartet, dass er als Erster informiert wird, da er so seiner Position gemäß handeln und über das 59 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

weitere Vorgehen entscheiden kann. Würde Herr Alexandrídis mit Herrn Peters sprechen, würde sich Herr Dimitrakópoulos übergangen fühlen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Vom deutschen Mutterhaus gibt es eine betriebliche Anweisung, wie die Kommunikationswege im Problemfall vorgesehen sind. Selbstverständlich muss dabei der Vertriebsleiter umgehend informiert werden. Herr Alexandrídis ist mit dieser Richtlinie nicht vertraut.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Herr Alexandrídis verhält sich in dieser Situation Herrn Peters gegenüber nicht loyal. Durch das Nichtinformieren des Kollegen kann für Herrn Peters ein Nachteil entstehen, was Herr Alexandrídis als rivalisierender Bereichsleiter gern in Kauf nimmt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Herr Alexandrídis macht seine Meldung an den Geschäftsführer tatsächlich, um sich abzusichern. Hierbei ist seine Befürchtung allerdings nicht, dass ihm Vertuschung oder Schlampigkeit vorgeworfen wird. Seine Motivation wird in einer anderen Antwort dargestellt, die weiterhin erklärt, warum Herr Alexandrídis den Produktionsstopp nicht auch noch an Herrn Peters meldet. 60 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu b): Die innerbetrieblichen Kommunikationswege verlaufen in Griechenland tendenziell eher vertikal. Das heißt, dass die Informationen meist bei den Vorgesetzten zusammenlaufen, die wiederum über alle weiteren Schritte entscheiden und für die Informationsweitergabe an ihre Mitarbeiter zuständig sind. Diese Antwort trifft zu. Herr Alexandrídis kommt daher nicht auf die Idee, dass er eigenmächtig Herrn Peters selbst informieren könnte. Erläuterung zu c): Auch wenn es in dem Unternehmen genaue Anweisungen geben sollte, könnte eine solche Situation eintreten. Hinter Herrn Alexandrídis’ Verhalten steckt eine kulturelle Besonderheit in der griechischen Arbeitswelt, die in dieser Antwort nicht enthalten ist. Erläuterung zu d): Rivalitäten unter Kollegen kommen wohl in allen Ländern der Welt in unterschiedlichen Ausprägungen vor. Herr Alexandrídis fühlt sich in dieser Situation jedoch schlicht nicht zuständig für die Meldung des Problems an den Kollegen. Dies wird in einer anderen Antwort erklärt.

Lösungsstrategie Als es ein Problem in der Produktion gibt, erfährt Herr Peters dies von Herrn Dimitrakópoulos, seinem Vorgesetzten, und nicht, wie er erwartet hätte, von Herrn Alexandrídis. Dieser hat die Probleme zuerst seinem Chef gemeldet. Herr Peters erwartet als Teil einer kollegialen Zusammenarbeit die Meldung seines Kollegen direkt, damit er sofort auf das Problem reagieren kann. Herr Alexandrídis auf der anderen Seite meldet seinem Chef die auftretenden Probleme, da er diesen in der Verantwortung sieht zu reagieren. Herr Dimitrakópoulos kann entsprechend die anderen Mitarbeiter über das Problem und den Umgang damit informieren. Herr Peters erwartet einen selbstständigen Umgang der einzelnen Mitarbeiter und Eigeninitiative von Herrn Alexandrídis, 61 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

während dieser andere Vorstellungen von hierarchischen Abläufen hat und sich mehr nach seinem Chef richtet. Um eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden, sollte Herr Peters in einem angenehmen Rahmen wie zum Beispiel bei einem gemeinsamen Mittagessen Herrn Alexandrídis bitten, das nächste Mal auch informiert zu werden, damit er sofort auf die Konsequenzen reagieren kann. Dies sollte nicht in direktem Stil erfolgen, wie Herr Peters das aus Deutschland kennt und gewohnt ist, sondern vermutlich reicht ein einzelner Satz über die schwierige Situation, die er durch den Ausfall hatte. Die Kunden waren sehr unzufrieden, er hatte Mühe, das Ansehen der Firma zu retten. Herr Alexandrídis wird dann vermutlich sehr schnell von sich aus den Vorschlag machen, ihn das nächste Mal sofort zu informieren. Herr Peters kann an die Gemeinsamkeit mit Herrn Alexandrídis appellieren, schließlich arbeiten sie beide für dasselbe Unternehmen und sollten an einem Strang ziehen. Herr Peters sollte bei einem solchen Gespräch mehr Zurückhaltung üben, als er das gewohnt ist, denn die deutsche, oftmals sehr direkte Art zu kommunizieren, wird von vielen Griechinnen und Griechen als grob und unhöflich empfunden.

Beispiel 9: Säumige Kreditkunden Situation Herr Vogel ist seit einem Jahr als Geschäftsführer bei einem deutschen Finanzunternehmen in Athen tätig. Einige seiner griechischen Mitarbeiterinnen haben die Aufgabe, Kreditkunden, die mit ihren Raten im Rückstand sind, anzurufen und die fälligen Zahlungen einzufordern. Es gibt eine Liste der entsprechenden Kunden, die von den Mitarbeiterinnen alphabetisch oder nach individuellen Vorlieben »durchtelefoniert« wird. Aufgrund der Krise steigt die Zahl der Kreditkunden und damit verbunden das Arbeitspensum der Mitarbeiterinnen. Auch bei der größer werdenden Arbeitslast ändern Herrn Vogels Mitarbeiterinnen nichts an ihrem Vorgehen. Sie wählen die Kunden weiterhin willkürlich aus, was zur Folge hat, dass weder besonders viele Nachzahlun62 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

gen eingehen noch die Arbeitslast geringer wird. Nach einiger Zeit bestimmt Herr Vogel jemanden, der ein System entwickelt, mit welcher Priorität die Kunden angerufen werden sollen. Dadurch beschleunigt sich die Arbeitsweise. Herr Vogel ist verwundert und verärgert, dass seine Mitarbeiterinnen nichts von sich aus unternommen haben. Was ist der Grund für das Verhalten der Mitarbeiterinnen? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Die Mitarbeiterinnen hinterfragen ihre Arbeitsweise nicht. Da Effizienzdenken bei den meisten Griechinnen und Griechen nicht sehr weit verbreitet ist, tun sie einfach, was man ihnen gesagt hat, ohne weiter darüber nachzudenken.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Die Kunden anzurufen und zu Zahlungen aufzufordern, ist ein undankbarer Job, der den Mitarbeiterinnen keinen Spaß macht. Sie haben die Möglichkeit, durch Auswahl der Kunden zumindest die unangenehmsten Fälle beiseite zu lassen und sich die Arbeit so zu erleichtern. Daher besteht aus ihrer Sicht kein Änderungsbedarf an dieser Regelung.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Eigeninitiative ist in diesem Fall für die Mitarbeiterinnen nicht erforderlich. Sie sehen den Chef im Zugzwang, wenn dieser Änderungen am Vorgehen wünscht. Da Herr Vogel nichts dazu sagt, gehen sie davon aus, dass ihr Vorgehen in Ordnung ist. 63 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Jede und jeder von Herrn Vogels Mitarbeiterinnen hat in Zeiten der Krise jemanden im Verwandten- und Bekanntenkreis, der selbst verschuldet ist. Aus diesem Grund möchten sie nicht von sich aus bei Personen in einer ähnlichen Lage die Schulden schneller eintreiben, als dies nötig ist.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Selbstständiges und vernetztes Denken ist keine Fähigkeit, die durch das griechische Bildungssystem begünstigt wird. Trotzdem liegt die – aus Herrn Vogels Sicht – mangelnde Eigeninitiative nicht an einer fehlenden Fähigkeit oder fehlendem Verständnis für Effizienz. Diese Deutung trifft eher nicht zu. In einer anderen Antwort werden die abweichenden Vorstellungen seiner Mitarbeiterinnen gut dargestellt. Erläuterung zu b): Diese Antwort unterstellt Herrn Vogels Mitarbeiterinnen Bequemlichkeit als Motiv für ihr Handeln bzw. Nichthandeln. Dies mag auf eine Anzahl von Griechinnen und Griechen zutreffen, ist jedoch bei Weitem keine kulturelle Eigenart und erklärt die Situation nicht zufriedenstellend. Hier lohnt es sich, abseits der persönlichen Befindlichkeiten der Mitarbeiterinnen zu suchen. Erläuterung zu c): Die Mitarbeiterinnen sehen es als Aufgabe eines Vorgesetzten an, die Führung über alle Belange der Firma zu übernehmen. Die 64 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

anstehenden Probleme anzugehen und Entscheidungen über Arbeitsabläufe zu treffen, liegt in dessen Hand. Die Antwort erklärt die Situation am besten. Würden sie das Problem der länger werdenden Telefonlisten ansprechen, würden sie damit in Herrn Vogels Zuständigkeitsfeld eingreifen. Erläuterung zu d): Sicherlich können die persönlichen Erfahrungen der Mitarbeiterinnen zu manchem Zögern und Unwohlsein bei Telefonaten führen, vor allem aufgrund der hohen Bedeutung der Beziehungsnetzwerke. Trotzdem können sie sehr wohl zwischen persönlich erlittenem Schicksal und professionell geleisteter Arbeit trennen. Um das Verhalten der Mitarbeiterinnen zu verstehen, braucht es eine andere Deutung, die deren Motive besser erfasst.

Lösungsstrategie Das Problem, das sich Herrn Vogel und seinen Mitarbeiterinnen stellt, ist klar ersichtlich: Bei steigender Arbeit und etwa gleichbleibender Mitarbeiterzahl muss sich entweder etwas an der Arbeitsweise oder den Erwartungen an die Ergebnisse ändern. Dies ist sowohl den Mitarbeiterinnen als auch deren Vorgesetzten klar. Hier jedoch driften die Erwartungen auseinander: Herr Vogel erwartet Eigeninitiative, ihm wurde von klein auf die Wichtigkeit von selbstständigem Denken und Eigenverantwortlichkeit beigebracht. Seinen griechischen Mitarbeiterinnen hingegen wurde im Laufe ihres Lebens immer wieder der Respekt vor hierarchisch Höhergestellten nahegelegt und sie haben gelernt, ihrem Vorgesetzten und dessen Kompetenzen zu vertrauen. Dazu kommt mutmaßlich ein gewisser Hang zu Traditionen und Gewohnheiten, der Veränderungen nicht allzu dringlich oder attraktiv scheinen lässt. Es scheitert hier demnach nicht am guten Willen der Beteiligten, sondern schlicht an unterschiedlichen Erwartungen. Herr Vogel wird gleichermaßen an anderer Stelle die Erfahrung machen, dass er sehr wenig Rückmeldung – beispielsweise in Form von Kritik – zu seiner Arbeit bekommt. Er muss in diesem Fall handeln, ohne den richtigen Weg gezeigt zu bekommen. 65 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Möchte er, dass sich die Mitarbeiterinnen selbst mit der Thematik auseinandersetzen, muss er den Anstoß dazu geben, ähnlich wie in der Situation geschildert. Er kann seinen Mitarbeiterinnen etwa ein Ziel nennen, in welchem Umfang Lücken geschlossen werden sollten. Um die Zielerreichung und die damit dringend notwendige Priorisierung der Anrufe werden die Mitarbeiterinnen sich dann eher selbstständig kümmern. Er kann dabei an die Expertise seiner Angestellten appellieren, schließlich haben diese mehr Erfahrung im Umgang mit ihren Landsleuten und sicherlich auch in ihrem Arbeitsbereich. Sensibilität und kein allzu autoritäres und direktes Vorgehen sind gefragt, wenn er eine Veränderung bewirken möchte. Ganz wichtig ist hier die Grundhaltung, die Herr Vogel ausstrahlt. Möchte er, dass seine Mitarbeiterinnen langfristig auch ohne sein Zutun Verbesserungsvorschläge zu ihrer Arbeit machen, muss er deren Vorschlägen wertschätzend begegnen. Wenn der Vorschlag ihm inhaltlich nicht gefällt, darf er das selbstverständlich anmerken, der Großteil seiner Reaktion sollte aber zeigen, dass er den Vorschlag schätzt und ihn ernst nimmt.

Beispiel 10: Radfahren in Athen Situation Frau Böhm ist seit sieben Jahren in Griechenland. Sie ist als Personalleiterin in einer deutschen Firma in Athen tätig, als sich Folgendes ereignet: Frau Böhm ist im Gespräch mit drei ihrer griechischen Kollegen, darunter Herrn Karafoulídis, dem kaufmännischen Leiter. Sie erzählt, dass sie am Wochenende ausprobiert hätte, wie lange sie mit dem Fahrrad in die Arbeit bräuchte. Die Kollegen reagieren mit Unverständnis, sie fänden das unglaublich, sie könne doch nicht mit dem Fahrrad fahren! Herr Karafoulídis weist sie darauf hin, dass sie sich das in ihrer Position nicht erlauben dürfe, schließlich habe sie einen Firmenwagen. Frau Böhm ist diese Einstellung fremd, sie kann die Ablehnung nicht verstehen. 66 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Was ist der Grund für das Verhalten der griechischen Kollegen? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Der Straßenverkehr in Griechenland, besonders der in Athen, ist für Radfahrer sehr gefährlich. Die Kollegen fürchten, dass Frau Böhm etwas zustoßen könnte, und wollen sie von dem gefährlichen Arbeitsweg abbringen. Herr Karafoulídis ist außerdem in Sorge, dass sie als Arbeitskraft ausfällt, falls ihr etwas passiert. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Sport als Freizeitbeschäftigung ist in Griechenland nicht sonderlich weit verbreitet und wird, wenn überhaupt, in geschlossenen Räumen ausgeübt. Griechen bevorzugen den Weg des geringsten Widerstands und der Bequemlichkeit und der ist nun mal in diesem Fall die Nutzung des Autos. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Das Auto gilt als Statussymbol in Griechenland, ein Autoverzicht gilt als Zeichen von Armut. Das Fahrrad dagegen nutzen nach gängiger Meinung ausschließlich Personen, die sich nicht einmal ein Busticket leisten können. Die Kollegen finden demzufolge Radfahren in Frau Böhms Position nicht angemessen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

67 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

d) Sport und Bewegung werden in Griechenland ausschließlich im Privatleben praktiziert. Berufswege mit Sport zu verbinden, ist sehr unüblich und stößt bei den griechischen Kollegen auf Verwunderung, die ihr den dafür gedachten Dienstwagen nahelegen wollen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Die Radwege sind in Athen eher spärlich ausgebaut und das Fahren auf der Straße kann – schon allein aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens – mitunter sehr gefährlich sein. Doch die Sorge um Frau Böhm als Person oder Arbeitskraft sind nicht die einzigen Motive, die die griechischen Kollegen bewegen. Eine andere Antwort erklärt die Situation besser. Erläuterung zu b): Schon allein aufgrund der Hitze im Freien in den Sommermonaten ist das Sporttreiben in der Großstadt nicht so bequem, wie man sich das vielleicht vorstellen mag. Auch wenn Sport keinen so großen Stellenwert in der Freizeit einnimmt wie in Deutschland, gibt es auf der anderen Seite aber auch viele Griechinnen und Griechen, die sich viel in der Natur, etwa beim Wassersport oder Skifahren, betätigen. Die Antwort trifft nicht zu. In der Situationsbeschreibung steht für die diskutierenden Kollegen die Alternative Fahrrad oder Auto überhaupt nicht zur Diskussion, denn für sie steht fest, dass für Frau Böhm nur Auto fahren in Frage kommt. 68 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu c): Frau Böhm als Abteilungsleiterin repräsentiert die Firma nach außen. Die griechischen Kollegen erwarten, dass sie diese Rolle mit Stolz ausführt und ihre Position gern zeigt. Ihr Dienstwagen, bei dem durch Marke oder Größe ihr Status in der Firma ersichtlich wird, ist bei dieser Präsentation nach außen ein unverzichtbarer Bestandteil, was die verständnislose Reaktion der Kollegen sehr gut erklärt. Erläuterung zu d): Frau Böhm steht ein Firmenwagen zur Verfügung und das ist ja auch bekannt, vermutlich hat sie ihn sogar schon mehrfach genutzt. Das in der Situationsbeschreibung thematisierte Problem liegt nicht in der Frage, wer diesen organisiert hat, sondern in den Erwartungen der Kollegen, die sie an Frau Böhm als Führungskraft haben.

Lösungsstrategie Eine Bemerkung vorweg: Bei Kundenbesuchen ist die Fahrt mit dem Dienstwagen sowohl in Deutschland als auch in Griechenland eine Selbstverständlichkeit. Die beschriebene Situation ergibt sich, da es um Frau Böhms Weg zur Arbeit geht. Frau Böhm ist es aus Deutschland gewohnt, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Für sie ist es eine praktische Möglichkeit, sich auf dem Arbeitsweg sportlich zu betätigen und den Kopf »freizufahren«. Was sie nicht gewohnt ist, ist die Erwartung der griechischen Kollegen, ihren Status als Führungskraft jederzeit zu präsentieren – in diesem Fall mit einem positionsgerechten Auto. Der Stolz auf eine hohe Position, der von der ganzen Familie geteilt wird, soll auch nach außen getragen werden. Außerdem kann man seinem Unternehmen etwas zurückgeben, indem man einen guten Eindruck macht, der auf die Firma abfärbt. Frau Böhm kann sich in diesem Fall an die Erwartungen der Kollegen anpassen und mit dem Auto zur Arbeit fahren. Dies ist aufgrund der Verkehrssituation in Athen günstig und sie vermei69 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

det langwierige Auseinandersetzungen oder Irritationen. In ihrer Freizeit könnte sie selbstverständlich – dann auch auf weniger befahrenen Straßen – weiterhin mit dem Fahrrad fahren. Insgesamt gewinnt das Fahrradfahren zurzeit an Ansehen. In Thessaloniki beispielsweise werden zunehmend Radwege ausgebaut und immer mehr Geschäftsleute nutzen den Arbeitsweg als Fahrradfahrt. Frau Böhm wird also vermutlich erst einmal – besonders bei nicht mehr ganz jungen Männern – auf Verwunderung und Unverständnis stoßen, wie in der Situation geschildert, muss aber in der Regel keine dauerhaften Verstimmungen befürchten. Hat sie eine gewisse Sensibilität für die unterschiedlichen Rollenerwartungen von sich und ihrer Kollegen entwickelt, ist es für sie letztendlich eine Abwägungssache, wie wichtig ihr das Radfahren neben der Erwartungshaltung der Kollegen ist.

Kulturelle Verankerung von »Hierarchieorientierung« In der Zusammenarbeit mit griechischen Partnern wird für viele Deutsche eine Hierarchieorientierung augenfällig. Hierarchisch höhergestellte Personen werden mit großem Respekt und grundsätzlich freundlich behandelt. Griechische Vorgesetzte haben einen eher autoritären Führungsstil, tragen mehr und alleinige Verantwortung und treffen alle Entscheidungen, die die Firma betreffen. Daneben wird den Mitarbeitern eine zurückhaltendere Rolle eingeräumt: Sie nehmen die Anweisungen von oben entgegen, führen sie aus und gehen anschließend davon aus, ihre Arbeit gut zu machen, solange sie nichts Gegenteiliges hören. Dies mag für den einen oder anderen deutschen Angestellten in Griechenland schwierig sein, da er oft den aus Deutschland gewohnten größeren Handlungsspielraum und die Übernahme von Verantwortung im Kleinen vermisst. Viele deutsche Führungskräfte berichten, dass sie den Eindruck hätten, ihre Mitarbeiter zeigten keinerlei Eigeninitiative. Ein weiterer Aspekt, der zunächst ungewohnt erscheint, ist, dass der Informationsfluss anders geleitet ist 70 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

– und zwar eher vertikal als horizontal. Dies wird in der Regel auch von den Expatriates so erwartet. Sichtbar werden die Hierarchien im Griechischen des Weiteren durch die Nutzung von »Du« oder »Sie«. Höhergestellte Personen werden grundsätzlich gesiezt, Untergebene dürfen auch geduzt werden. Je nach Situation kann aber auch immer wieder zum respektvolleren »Sie« oder zum vertraulichen »Du« gewechselt werden. Von der Anrede sollten sich Deutsche in Griechenland daher nicht irritieren lassen, die Spielarten sind dort sehr viel vielfältiger. Lange Zeit war es üblich, dass Mitarbeiter jahrelang im selben Unternehmen bleiben und im Laufe der Zeit in ihrer Position aufsteigen. Gehalten hat sich davon ein gewisser Respekt vor dem Alter und der Berufserfahrung. Grundsätzlich wird Führungskräften eine große Kompetenz zugeschrieben, die ihnen die alleinige Entscheidungsmacht zuspielt. Fehlt dem Vorgesetzten Fachwissen in einem Themenfeld, erläutern ihm die Mitarbeiter das Thema, die Entscheidung bleibt jedoch in seiner Hand. Diese Entscheidungen werden meist als richtig hingenommen. Fehler anzusprechen, ist bei der älteren Generation immer noch ein Tabubruch. Dies unterliegt seit einiger Zeit einem langsamen, aber stetigen Wandel. Kritik an der Vorgehensweise des Chefs wird zunehmend toleriert. In weiten Bereichen gilt dies jedoch weiterhin als respektloser Eingriff in das Handlungsfeld des Vorgesetzten und wird vermieden, weshalb viele deutsche Führungskräfte wiederum den Eindruck gewinnen, griechische Mitarbeiter hätten keine eigenen Ideen und könnten nicht eigenverantwortlich arbeiten. Auf der anderen Seite sind bei vielen griechischen Vorgesetzten eher väterliche, paternalistische Züge zu beobachten. Die Einladung aller Mitarbeiter zum Essen, bei dem man es an nichts mangeln lässt, gehört hierzu. Auch das Interesse am Leben und auch Privatleben seiner Mitarbeiter und die Sorge um das Wohlergehen sind keine Ausnahme, sondern werden als Teil der Aufgaben als Führungskraft verstanden. Die Orientierung an hierarchischen Ordnungen etablierte sich bereits im antiken Griechenland. In der mykenischen Zeit 1600 bis 1100 v. Chr. gab es Herrscher, die wie Könige in Palästen leb71 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

ten und repräsentative Aufgaben erfüllten. Erst in der Zeit der klassischen Antike bekleideten in der Siedlung, der polis, Adlige bestimmte Ämter und Funktionen, in denen sie Macht und Entscheidungsbefugnis hatten. Dass sich hier keine einheitliche Monarchie gebildet hat bzw. die Tyrannen, die im Alleingang regieren wollten, jedes Mal schnell vertrieben wurden, hat vielfältige Ursachen. Ein einheitlicher Herrscher war wohl schlicht nicht notwendig, da keine Bedrohung von außen vorlag, die die Motive der Einzelnen nach Individualität in den Hintergrund hätte treten lassen. Die Adligen hatten die Entscheidungsrechte, Nichtadlige wurden lediglich bei Entscheidungen über Krieg und Frieden nach ihrer Meinung gefragt. Hier entstand ein System mit Weisungsbefugnis, das über die repräsentative Funktion des mykenischen Königs hinausging. Die Orientierung an hierarchisch höhergestellten Personen, in deren Entscheidungen nicht eingegriffen werden kann und darf, hat sich bis heute erhalten. Begünstigt wurde diese Haltung durch die Fremdherrschaften der folgenden Jahrhunderte durch Römer, Byzantiner, Venezianer und Osmanen. Gehorsam und Nichtinfragestellen von Autoritäten konnte eine wichtige Überlebensstrategie darstellen. Durch die Fremdherrschaften und die damit verbundene Orientierung am Orient gelangten gesellschaftliche Ströme der Aufklärung oder Impulse zur Revolution nur sehr begrenzt nach Griechenland. Auch Formen der Kunst, wie etwa während der Renaissance, zeichneten in Westeuropa das Bild des aufrechten, eigenständigen Menschen und wurden dort zwar oft von griechischen Exilgelehrten inhaltlich geprägt, erreichten aber nicht das griechische Volk. Verstärkt wurde die hierarchische Prägung sicherlich durch den großen Einfluss der orthodoxen Kirche, die eine konservative und traditionelle Haltung fördert. Eng verankert ist die Hierarchieorientierung auch im griechischen Bildungssystem, das viel Wert auf Faktenwissen legt, das Hinterfragen von Sachverhalten und Autoritäten jedoch nicht unbedingt fördert (Auernheimer, 2001; Barceló, 2004; Welwei, 2002).

72 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 4: Gegenwartsorientierung

Beispiel 11: Frühbucherrabatt Situation Frau Friedrich lebt seit fünf Jahren in Griechenland und arbeitet in einem griechischen Finanzunternehmen in Athen. In ihrem ersten Arbeitsjahr plant sie einen längeren Aufenthalt in Deutschland und bespricht das mit ihrem griechischen Chef, Herrn Galánis. Sie erzählt von ihren Plänen und bittet um seine Zustimmung, damit sie die Flugtickets buchen und ihm anschließend den genauen Zeitraum angeben kann. Herr Galánis stimmt zu. Frau Friedrich bucht ihre Tickets und freut sich über ihren Frühbucherrabatt. Als Frau Friedrich am nächsten Tag einen Urlaubsantrag für den geplanten Zeitraum stellen will, reagiert Herr Galánis überrascht. Er weigert sich diesen anzunehmen, denn der Urlaub sei ja erst in drei Monaten und sie solle kurz vorher noch einmal wiederkommen. Frau Friedrich verweist auf das Gespräch am Tag zuvor. Plötzlich ändert Herr Galánis seine Meinung. Da er noch Platz in seiner Schublade habe, könne er den Antrag also in der Zwischenzeit aufbewahren. Frau Friedrich ist perplex über dessen Verhalten und kann sich sein Verhalten nicht erklären. Wieso verhält sich Herr Galánis auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. 75 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Deutungen a) Urlaub hat in Griechenland keinen so großen Stellenwert wie in Deutschland. Da Herrn Galánis Urlaub entsprechend auch nicht wichtig ist, ist er irritiert von Frau Friedrichs Beharren auf Urlaubsregelungen, das er so noch nicht erlebt hat. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) In Griechenland wird oft kurzfristiger geplant, weshalb es Herrn Galánis schwerfällt, sich bei Frau Friedrichs Urlaubsantrag festzulegen. Es könnte ja noch etwas Unerwartetes dazwischenkommen, weshalb Frau Friedrich doch noch gebraucht wird. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Frau Friedrich ist noch nicht lange im Unternehmen beschäftigt und hat, wie vielerorts üblich, in der ersten Zeit noch keinen Urlaubsanspruch. Herr Galánis versucht sie durch seine Zurückhaltung darauf hinzuweisen, ohne sie direkt auf ihren Fehler anzusprechen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Herr Galánis hat sich erst nach Frau Friedrichs Anfrage darüber informiert, dass er Urlaubsanträge ausschließlich kurzfristig genehmigen soll. Da er Frau Friedrich gegenüber aber schon zugestimmt hat, versucht er nun die Situation zu lösen, ohne sein Ansehen als Vorgesetzter zu verlieren. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. 76 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Bedeutungen Erläuterung zu a): Der Gedanke, dass Urlaub weniger wichtig ist als hierzulande, ist nicht von der Hand zu weisen. Viele attraktive Urlaubsziele liegen direkt vor der Haustür, Ausflüge ans Meer oder eine der zahlreichen Inseln sind auch kurz übers Wochenende leicht machbar. Trotzdem erfasst diese Deutung nicht den Kern der Situation. Es ist eine andere Haltung, die Herrn Galánis hier beeinflusst. Erläuterung zu b): Durch die immer wieder erlebte Ungewissheit, was die Zukunft bringt, entstand in Griechenland die Herangehensweise, Dinge kurzfristig zu planen. Diese Deutung trifft die Situation am besten. Herr Galánis wollte Frau Friedrich mit seiner Zusage eine Freude machen, stellt dann aber fest, dass er sich noch nicht derart verbindlich festlegen kann und will. Erläuterung zu c): Diese Erklärung scheint plausibel, dass Herr Galánis Frau Friedrich nicht direkt auf ihren Fehler ansprechen mag, wäre eine nicht unwahrscheinliche Möglichkeit. Das Verhalten von Herrn Galánis ist aber nicht auf spezielle Umstände dieser Situation zurückzuführen, sondern liegt in einer Grundhaltung begründet, die in einer anderen Deutung zum Ausdruck kommt. Erläuterung zu d): Diese Antwortalternative zielt auf besondere Regelungen ab, nach denen sich Herr Galánis ohne das Wissen von Frau Friedrich richten soll. Dies trifft jedoch nicht zu. Die Erklärung für Herrn Galánis’ Verhalten lässt sich nicht in den Eigenheiten dieser Situation finden, sondern ist tiefer liegend.

Lösungsstrategie Das Problem in dieser Situation liegt im unterschiedlichen Zeitverständnis und Planungsbedürfnis der beiden Partner. Frau Friedrich möchte ihren Urlaub gern lange im Voraus planen, hat 77 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

daher bereits ihren Flug gebucht und hält dies für das normale Vorgehen. So hat sie die Gelegenheit, einen günstigeren Preis zu ergattern. Herr Galánis auf der anderen Seite möchte ihr einen Gefallen tun, indem er zustimmt, rechnet jedoch nicht damit, sich auf so lange Zeit festlegen zu müssen, was ihm unangenehm ist. Viele andere Faktoren spielen für seine Planungen eine Rolle und diese sind unter Umständen nicht derart vorhersehbar. Die Situation wird gelöst, indem Herr Galánis Frau Friedrich entgegenkommt und ihren Antrag entgegennimmt. Dies tut er mit der Begründung, ihn lediglich in seiner Schublade aufzubewahren, was ihm aber dabei hilft, sein Gesicht zu wahren, obwohl er einen so plötzlichen Meinungsumschwung an den Tag legt. Um Planungssicherheit zu haben, kann Frau Friedrich natürlich darauf bestehen, dass ihr Vorgesetzter den Antrag schriftlich genehmigt. Dies wäre für Herrn Galánis jedoch ein Zeichen von Misstrauen ihrerseits und sollte wohlüberlegt sein. In der Regel zählt das Wort in Griechenland mehr, als es Frau Friedrich aus Deutschland gewohnt ist. Für Herrn Galánis wäre es hilfreich, wenn Frau Friedrich ihm die Wichtigkeit dieses Urlaubs begreiflich macht, bevor sie den formellen Antrag stellt. Hierbei kann sie betonen, wie wichtig es für sie ist, bei ihrer Familie zu sein (auch in Anlehnung an Themenbereich 2), oder aber öfter vom geplanten Urlaub und den Unternehmungen, die sie vorhat, berichten. Herr Galánis gewinnt dadurch einen anderen Bezug zu Frau Friedrichs Urlaubsplänen und tut sich leichter, ihren dann später eingereichten formellen Antrag abzusegnen und mit einzuplanen. Der Urlaub hat dadurch eine andere Dringlichkeit für seine Planungen.

Beispiel 12: Auf den letzten Drücker Situation Herr Hofmann ist Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens in Athen, das elektronische Geräte produziert und vertreibt. Er lebt seit sechs Jahren in Griechenland. In einer Woche wird in der Firma hoher Besuch von Geschäftsführern aus 78 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Deutschland erwartet. Herr Hofmann ist sehr nervös, weil in der Fabrik noch nicht geputzt und aufgeräumt wird. Als er die zuständigen griechischen Mitarbeiter diesbezüglich anspricht, entgegnen sie ihm, dass sie wissen, dass es in einer Woche ordentlich sein muss. Sie fragen, warum sie nun schon anfangen sollen. Herr Hofmann bittet sie, rechtzeitig anzufangen. Vierundzwanzig Stunden vor dem Besuchstermin wird die Fabrik von den Fabrikmanagern und dem gesamten Personal in der Fabrik auf Hochglanz geputzt. Herr Hofmann empfindet das als sehr spät. Was steckt hinter dem Verhalten der griechischen Mitarbeiter? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Das Verhalten der griechischen Mitarbeiter hat ihre Ursache in der Führungspersönlichkeit von Herrn Hofmann. Da er wenig autoritär ist und zu ungenaue Anweisungen gibt, was die Mitarbeiter zu tun haben, warten sie einfach ab.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) In der Fabrik wird vor dem Besuch weiterhin gearbeitet. Da die Mitarbeiter nicht zweimal putzen wollen, warten sie bis zur letzten Minute. So sparen sie sich doppelte Arbeit, was bei der ungeliebten Putzarbeit doppelt erstrebenswert erscheint.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Griechische Mitarbeiter wissen in der Regel sehr genau, wofür ihre Kräfte reichen und wie sie ihre Energie am effizientesten 79 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

einsetzen. Die Angestellten von Herrn Hofmann haben schon häufig genug erlebt, dass sich hoher Besuch ankündigt, aber dann doch nicht kommt und all die Arbeit umsonst ist. Das wollen sie dieses Mal nicht schon wieder erleben. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Für die griechischen Mitarbeiter ist der kurzfristige Beginn nicht stressig, sondern normal. Sie entscheiden über ihre Handlungen eher nach Dringlichkeit, in diesem Fall war der Fabrikputz einfach noch nicht dringlich genug. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Der Gedanke, dass die Hierarchie in dieser Situation eine Rolle spielen könnte, ist nicht schlecht. Wie in Themenbereich 3 ausgeführt, erwarten griechische Mitarbeiter oft einen anderen Führungsstil als Herr Hofmann das vielleicht erwartet. Trotzdem ist das in diesem Fall eher zweitrangig. Ein anderer Aspekt kommt hier zum Tragen, der in einer anderen Deutung enthalten ist. Erläuterung zu b): Diese Antwort geht davon aus, dass die griechischen Mitarbeiter zum einen sehr gut voraus planen, wie sie sich die Arbeit einteilen, zum anderen aber auch sehr daran interessiert sind, sich die Arbeit so einfach wie möglich zu gestalten. Beides ist nicht völlig ausgeschlossen, aber auch nicht typisch, und geht am Kern dieser Situation vorbei. 80 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu c): Es ist keineswegs so selten, dass ein angekündigter hoher Besuch, für den sehr viele Vorbereitungsarbeiten durchgeführt wurden, schließlich doch nicht kommt. Das frustriert all diejenigen, die sich so viel Mühe gemacht haben, die Gäste zu empfangen. Wer das mehrere Male erlebt hat, ist sicher nicht mehr so recht motiviert, schon weit im Voraus viel Arbeit in die Vorbereitung zu stecken. Deshalb ist diese Deutung nicht ganz von der Hand zu weisen und doch wird eine andere Deutung die Situation besser erklären können. Erläuterung zu d): Das Zeitverständnis vieler Griechinnen und Griechen liegt aus deutscher Sicht mehr in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Das führt dazu, dass weniger im Voraus geplant wird und eher Themen behandelt werden, die in diesem Moment die höchste Wichtigkeit haben. Diese Antwort erklärt die Situation am besten. Aufgaben, die eine hohe Priorität haben, werden dann umso tatkräftiger erledigt.

Lösungsstrategie In diesem Beispiel treffen deutsche langfristige Planung auf das griechische Leben im Hier und Jetzt aufeinander. Noch ist der anstehende Besuch nicht so nahe, dass der Großputz dringlich wäre. Für Herrn Hofmann dagegen wäre es entspannter, die Mitarbeiter würden schon frühzeitig beginnen und hätten dann lieber noch etwas Zeit übrig. Die Situation endet darin, und dies ist auch als Schlüssel zur Lösung anzusehen, dass die Mitarbeiter sich »kurz vor knapp« mit Feuereifer auf die Aufgabe stürzen und rechtzeitig zum Eintreffen der Geschäftsführer fertig werden. In einer Situation wie dieser ist es hilfreich für Herrn Hofmann, ein wenig Gelassenheit und Vertrauen in seine Mitarbeiter an den Tag zu legen. Selbstverständlich kann er darauf bestehen, dass sie früher beginnen. Dann wäre es aber am besten, er übernimmt die Planung selbst und koordiniert die Aufgabenverteilung. Stellt er seinen persönlichen Wunsch nach frühzeitigem Beginn heraus 81 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

und hat darüber hinaus eine gute Beziehung zu seiner Mitarbeiterschaft aufbauen können, werden sie diesem Wunsch vermutlich Folge leisten. Keiner der Mitarbeiter ist daran interessiert, ihn ins schlechte Licht zu rücken, wenn sie ihn als Vorgesetzten schätzen. Das kann er sich immer wieder ins Gedächtnis rufen. Für den Erhalt des guten Rufs ihres Chefs würden die meisten griechischen Mitarbeiter viele Überstunden auf sich nehmen und in kurzer Zeit sehr viel leisten. Aus Sicht seiner Mitarbeiter wäre in dieser Situation die beste Reaktion, wenn Herr Hofmann sich über deren Leistung freut, sich bedankt und seine Anerkennung ausspricht. Kritik würde in dieser Situation nicht nur auf Unverständnis stoßen, sondern könnte sich nachhaltig auf die Beziehung zu seinen Angestellten auswirken. Diese haben schließlich – auf ihre Art und Weise und dem von ihnen gewählten Zeitpunkt – großes Engagement gezeigt, das letztendlich Herrn Hofmann als Vorgesetzten und Repräsentanten der griechischen Tochterfirma zugute kommt.

Beispiel 13: Das Provisorium Situation Herr Schwarz lebt seit vielen Jahren in einer Großstadt auf dem griechischen Festland. Er ist als Geschäftsführer bei einem deutschen Unternehmen, das Maschinenteile produziert, angestellt. An einem Tag fällt in der Fabrik eine Maschine, die wichtig ist für die Produktion, aus. Für diese Maschine gibt es keinen Spezialisten im Haus, der sie sofort reparieren könnte, da sie zum einen sehr komplex ist und zum anderen wenig störanfällig, sodass sich die Beschäftigung eines speziell qualifizierten Mitarbeiters nicht lohnen würde. Herr Schwarz nimmt deshalb mit einigen seiner Ingenieure in der Mutterfirma in Deutschland Kontakt auf, um dort die Experten für diese spezielle Maschine nach der Lösung ihres Problems zu fragen. Noch während sie telefonieren, sieht sich Herr Antonios, ein griechischer Schlosser des Schichtdiensts, mit einigen Kollegen die komplex aufgebaute Maschine an und repariert sie provisorisch. Als Herr Schwarz zurückkommt, läuft sie wieder. Die 82 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Kollegen in Deutschland reagieren nicht begeistert über die Art der Reparatur, die jedoch die Zeit bis zur Ankunft der deutschen Pläne überbrückt. Herr Schwarz empfindet das Verhalten von Herrn Antonios als sehr voreilig und unprofessionell, er hat nicht die passende Qualifikation und Expertise für die Reparatur und hätte mit Leichtigkeit etwas kaputtmachen können. Was ist der Grund für Herrn Antonios’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) Nach Herrn Antonios’ Ansicht ist in dieser Situation Pragmatismus gefragt, um die technischen Mängel zu kompensieren. Er freut sich über die Gelegenheit, an der Maschine zu tüfteln und seine Kreativität zu zeigen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Herr Antonios erhofft sich Lob und Anerkennung, vor allem aber eine Beförderung oder Gehaltserhöhung, wenn er seine Fähigkeiten und seinen Einsatz in dieser Situation tatkräftig unter Beweis stellen kann. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Antonios wusste nichts von dem Telefonat mit Deutschland und sieht es als seine Aufgabe an, etwas wegen der kaputten Maschine zu unternehmen. Dass ihm die Reparatur gelingt, ist ein glücklicher Zufall.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

83 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

d) Herr Antonios identifiziert sich sehr stark mit seinem Unternehmen, daher denkt er mit und hilft schnell und unbürokratisch, wenn auch provisorisch, um das Fortlaufen der Produktion zu gewährleisten.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Für Herrn Antonios ist es in diesem Moment wichtiger, überhaupt zu handeln, als unbedingt regelkonform zu handeln. Dies hat mit dem Leben in der Gegenwart und dem damit verbundenen erforderlichen Pragmatismus zu tun. Da er aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen nicht davon ausgehen kann, dass das Problem schnell behoben wird, behebt er es eben selbst. Diese Antwort trifft zu. Erläuterung zu b): Diese Erklärung wirkt sehr einleuchtend, nutzt Herr Antonios doch eine seltene Chance, um seine verborgenen Talente im Reparieren von komplexen Maschinen zu präsentieren. Trotzdem ist die Antwort nur teilweise zufriedenstellend. Es sind andere Motive, die Herrn Antonios zum Handeln animieren. Erläuterung zu c): In dieser Deutung wird davon ausgegangen, dass Herrn Antonios’ Verhalten durch das (Nicht-)Wissen über Herrn Schwarz’ Telefonat bestimmt wird. Diese Frage ist in diesem Fall jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Herr Antonios würde sich in jedem Fall auf diese Art und Weise verhalten. Eine andere Antwort ist hier zufriedenstellender. 84 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu d): Identifikation mit dem eigenen Unternehmen spielt in Griechenland vielleicht eine noch größere Rolle als in Deutschland, da es dort lange Zeit üblich war und in kleinem Rahmen auch bis heute ist, seine Firma über die Lebensspanne nicht zu wechseln. Das könnte eine Rolle spielen. Entscheidender ist jedoch eine andere Denkweise.

Lösungsstrategie Herr Antonios nimmt in dieser Situation ein Problem wahr, nämlich eine kaputte Maschine. Er ist es gewohnt, anfallende Probleme spontan und zeitnah zu lösen, ohne dabei irgendwelche besonderen Abläufe berücksichtigen zu müssen. Ein bisschen fühlt er sich vielleicht auch angespornt, da die Maschine sehr komplex ist und vermeintlich seine Fähigkeiten übersteigt. Ein idealer Fall, um sein Improvisationsgeschick unter Beweis zu stellen. Für ihn ist sein Verhalten absolut logisch und die richtige Reaktion auf das auftretende Problem. Er erwartet Anerkennung für seine Leistung und wäre über Verärgerung seitens von Herrn Schwarz sehr irritiert. Für Herrn Schwarz ist das Problem der Maschine eines, das als Teil der üblichen Abläufe an die Mutterfirma gemeldet werden muss und dann nach Anweisung kostensparend seinen ordnungsgemäßen Gang gehen muss. Er weiß, dass er sich auf die Kollegen in Deutschland verlassen kann und diese ihm bei einer nachhaltigen Lösung helfen werden. Diese Gewissheit wiederum fehlt Herrn Antonios, er hat andere Erfahrungen in seinem Land gemacht. Darüber könnte Herr Schwarz versuchen aufzuklären, für ihn sind die deutschen Abläufe wichtig und er möchte, dass diese eingehalten werden. In dieser Situation ist es wiederum wichtig, die Leistung seines Mitarbeiters zu würdigen. Herr Antonios sorgt in diesem Fall für eine gelungene Zwischenlösung, er hat sich sehr für das Funktionieren der Produktion in der Firma eingesetzt. In welcher Form Herr Schwarz seinen Dank ausspricht, ist zweitrangig, dies kann zum Beispiel in Form eines Lobes oder dem Ausgeben einer Runde Getränke geschehen. 85 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Für die Zukunft erleichtert es die Arbeitsbeziehungen, wenn Herr Schwarz für seine Mitarbeiter Spielräume schafft, in denen sie kreativ sein und ihr Geschick ausprobieren können, ohne dabei die üblichen Abläufe zu unterbrechen. Dies gilt sicherlich nicht nur für griechische Mitarbeiter, ist aber wichtig, um die Eigeninitiative, die in Griechenland aus deutscher Sicht oft zu kurz kommt (siehe Themenbereich 3), nicht sofort im Keim zu ersticken.

Kulturelle Verankerung von »Gegenwartsorientierung« Das griechische Leben findet zu einem großen Teil im Hier und Jetzt statt. Planungen werden nicht allzu vorausschauend getätigt. Langfristigkeit ist kein erklärtes Ziel. Dies hat seinen Hintergrund in der gefühlten Unsicherheit der Zukunft. Was morgen ist, wird als sehr ungewiss und nicht planbar empfunden. Deshalb ist es nicht sinnvoll, alle Eventualitäten im Geiste durchzuspielen oder alle möglichen Konsequenzen zu beachten. Bei der nächsten Gelegenheit ändern sich die Umstände wieder und alles müsste wieder neu geplant werden. Dies steht in deutlichem Kontrast zum in Deutschland oft üblichen Planungsdenken, bei dem weit im Voraus unter Berücksichtigung möglichst vieler Faktoren gedacht wird. Bei den meisten Griechinnen und Griechen herrscht ein polychrones Zeitverständnis vor, was bedeutet, dass oft mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigt werden, anstatt linear Schritt für Schritt vorzugehen. Dabei entscheiden vor allem zwei Kriterien, was als Nächstes erledigt wird: die Dringlichkeit der Aufgabe, was also nicht mehr vertagt werden kann, sowie die Beziehung zum Auftraggeber. Hier kommt die in Themenbereich 1 genannte Beziehungsorientierung zum Tragen. Die Beziehung hat maßgeblich Einfluss auf die Erledigung der Aufgaben. Dabei werden während der Arbeitszeit auch oft private Dinge erledigt, wenn diese in diesem Moment am wichtigsten erscheinen. Andersherum legen die viele Griechinnen und Griechen aber eine ungeheure Arbeitskraft an den Tag, wenn es darum geht dringliche beruf86 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

liche Aufgaben während ihrer Freizeit zu bearbeiten. Auch hier verschwimmt die klare Linie zwischen dem beruflichen und privaten Lebensbereich. Viele deutsche Fach- und Führungskräfte haben anfangs Probleme mit dieser Haltung zur Zeit. Das Vertrauen, dass dringliche Dinge innerhalb der Fristen fertig werden, muss in der Anfangszeit erst aufgebaut werden. Besonders an Schnittstellenpositionen wird diese Polychronie oft als schwierig empfunden. Das deutsche Mutterhaus pocht auf Fristen und Termine, während in der griechischen Tochterfirma noch lange keine Hektik ausbricht. Dazwischen die Balance zu finden, ist nicht immer einfach. Genaue Zeitangaben werden daher flexibler gehandhabt. Pünktlichkeit hat keine so große Bedeutung wie in Deutschland. Dadurch entstehende Wartezeit wird eher als geschenkte Zeit, die man mit etwas anderem verbringen kann, denn als Ärgernis gesehen. Einhergehend mit dem Leben im Hier und Jetzt und der daraus resultierenden Zeitknappheit für viele Aufgaben trifft man in Griechenland auf eine große Improvisationsliebe. Spontanität und Experimentierfreude verbunden mit großem Einsatz und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sorgen oftmals für unkonventionelle Lösungen von Problemen. Regeln spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Problematisch werden dieser Pragmatismus und der Hang zum Provisorischen jedoch, wenn es um automatisierte Abläufe geht. Dass sich die Orientierung an der Gegenwart in Griechenland bewährt hat, liegt an der wechselhaften und fremdbestimmten Geschichte. Während der Besatzungszeit durch die Osmanen war der Einfluss von Einzelpersonen auf die Lebensumstände gering. Man musste sich mit den Gegebenheiten arrangieren, was Pragmatismus und Improvisation begünstigte. Nach dieser Zeit wechselten sich Fremdherrscher, Diktatoren, Besatzermächte ab mit Kriegen und Bürgerkriegen und friedlichen demokratischen Phasen. Keine dieser Phasen hatte allerdings lange Bestand. Die Gesetze und politischen Beschlüsse waren für viele Griechinnen und Griechen nicht vorhersehbar und oft radikal in ihren Auswirkungen. Jüngst bestätigt die Sparpolitik der griechischen Regierungen mit vielen massiven Einschnitten in die Lebensum87 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

stände der griechischen Bürger/-innen, dass es sich nicht lohnt, langfristig zu planen. Morgen kann der Job verloren sein oder sich etwas Neues ergeben, vielleicht wandern wir aus, es wird weiter gekürzt oder geht wieder aufwärts. Die oft passive Haltung gegenüber der Politik wird ergänzt durch informelles, spontanes Handeln. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der erlassenen Gesetze und Regelungen fern der griechischen Realität aus einem völlig anderen Kontext heraus formuliert wurden. Dies war während der osmanischen Zeit, aber auch während der Bavarokratie, der Regierung durch das bayerische Königshaus, der Fall. Auch später, beim Marshallplan oder Regelungen der EG, wurde der gesellschaftliche griechische Kontext nicht immer berücksichtigt. Deswegen mussten und müssen Griechinnen und Griechen neue Wege für sich finden, um diese Implementierungen an ihre Lebenswelt anzupassen, wofür eine gewisse Flexibilität Regeln betreffend und Improvisationsliebe von Vorteil sind (Greve, 1993; Hösch, 2008; Lymperopoulos, 2012).

88 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 5: Emotionale Kommunikation

Beispiel 14: »Ich bring dich um!« Situation Frau Schumacher ist seit sieben Jahren in Griechenland und arbeitet bei einem deutschen Logistikunternehmen in Athen als Abteilungsleiterin. In ihrer Anfangszeit, als sie als Assistentin im Vorzimmer ihres Chefs beschäftigt war, sollte sie im Namen ihres griechischen Chefs, Herrn Nikiforídis, eine E-Mail verschicken. Sie geht davon aus, dass die aktuelle Form der E-Mail in Ordnung ist, und schickt sie deshalb ab. Herr Nikiforídis erhält eine Kopie der versendeten E-Mail. Da er sein Büro im Zimmer nebenan hat, hört Frau Schumacher das Signal des Mailprogrammes, das beim Eintreffen der E-Mail erklingt. Sofort hört sie Herrn Nikiforídis aus dem Zimmer nebenan schimpfen, was sie sich dabei gedacht hat, die Mail zu verschicken, und ihn rufen, er werde sie umbringen. Beunruhigt geht Frau Schumacher nach Hause und fürchtet, nun werde er sie entlassen. Am nächsten Tag begrüßt Herr Nikiforídis sie jedoch wie immer sehr freundlich und verhält sich den ganzen Tag über, als sei nichts passiert. Herr Nikiforídis kommt nie wieder auf die E-Mail zu sprechen. Frau Schumacher ist verwirrt, sie kann seine Haltung ihr gegenüber nicht einordnen. Was ist der Grund für Herrn Nikiforídis’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darun91 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

ter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Herr Nikiforídis reagiert spontan verärgert und zeigt dies auf impulsive Art sehr wütend und lautstark. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Situation und ist am nächsten Tag schon vergessen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Eigentlich würde Herr Nikiforídis Frau Schumacher gern direkt für ihren Fehler zur Rechenschaft ziehen, doch da Frau Schumacher als Deutsche in einem deutschen Unternehmen arbeitet, fürchtet er Konsequenzen von seinem wiederum deutschen Chef. Deswegen belässt er es bei einem unbestimmten und doch lautstarken Schimpfen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Nikiforídis erwartet, vor dem Abschicken der E-Mail noch einmal informiert zu werden. Dass Frau Schumacher die E-Mail eigenmächtig abschickt, untergräbt seine Autorität und misst ihm nicht den nötigen Respekt als Führungskraft bei. Dies erklärt seine heftige Reaktion. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) »Ich bring dich um« ist eine in Griechenland häufig gebrauchte Redewendung und ist nicht wörtlich zu verstehen. Frau Schumacher hat sich unnötig Sorgen gemacht.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

92 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): In Griechenland sind emotionale und spontane Gefühlsäußerungen nicht unbedingt wörtlich zu verstehen. Was diese Antwort gut verdeutlicht ist, dass die Botschaft eher im Ausdruck des momentanen Befindens liegt, welches sich auf die jeweilige Situation bezieht. Herr Nikiforídis ist nicht insgesamt unzufrieden mit Frau Schumacher, sondern nur über das Abschicken der E-Mail empört. Am nächsten Tag gibt es für Herrn Nikiforídis keinen aktuellen Anlass, wütend zu sein, also verhält er sich freundlich wie immer. Erläuterung zu b): Die Beziehungen und die Kommunikation zwischen Stammhaus und Auslandsniederlassung sind sicherlich eine Herausforderung für jede Führungskraft. Die unterschiedlichen Vorstellungen und Arbeitsabläufe gilt es immer wieder auf möglichst konstruktive Arte und Weise zu verbinden. In der vorliegenden Situation verhält sich Herr Nikiforídis jedoch nicht aus diplomatischem Kalkül heraus auf diese Art und Weise. Er hat andere Beweggründe, die Antwort trifft also nicht zu. Erläuterung zu c): Hierarchien werden in Griechenland tendenziell wichtiger genommen als in Deutschland, wie bereits in Themenbereich 3 behandelt. Mit dem Chef wird grundsätzlich mehr und detaillierter abgesprochen, eigenständiges Arbeiten hat keinen so hohen Wert wie in Deutschland. Frau Schumacher hätte in diesem Fall die E-Mail vorher absprechen können, um dem Hierarchieverständnis besser gerecht zu werden. Die Antwort trifft jedoch nur teilweise zu, denn die Heftigkeit von Herrn Nikiforídis’ Reaktion ist nicht nur darauf zurückzuführen. 93 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu d): Die Formulierung »Ich bring dich um« findet in Griechenland in unterschiedlichen Situationen und häufiger Verwendung als in Deutschland. Hier lohnt sich jedoch der Blick dahinter: Dass sich solche Ausrufe als Redewendungen im Sprachgebrauch etablieren konnten, hat einen Grund, der in einer anderen Antwort enthalten ist. Die Antwort trifft zu, erklärt die Situation aber nur teilweise.

Lösungsstrategie In dieser Situation wäre es für Frau Schumacher einfacher gewesen, wenn Herr Nikiforídis seine Wünsche darüber, wie eigenständig sie arbeiten soll, klar zu formuliert hätte. Frau Schumacher ihrerseits hätte sich ein weiteres Mal vergewissern können, bevor sie die Mail im Namen ihres Chefs verschickt. Abgesehen von diesen vorbeugenden Maßnahmen, um eine solche Situation zu vermeiden, ist es sinnvoll, sich anzusehen, wie man die kulturellen Eigenheiten des griechischen Chefs und der deutschen Assistentin in Einklang bringen kann. Frau Schumacher kann sich gemäß der griechischen Kultur verhalten, Herrn Nikiforídis’ Wutausbruch entgegennehmen und sich weniger Sorgen über mögliche Konsequenzen machen. Falls dies ihrem Naturell entspricht, kann sie genauso emotional reagieren wie er, sich schuldbewusst zeigen oder aufgebracht sein. Da sie aber Deutsche ist, wird Herr Nikiforídis dies vielleicht anders auffassen, als er es bei einer Landsfrau täte. Eine nachhaltige Lösung wäre es, Herrn Nikiforídis in einer ruhigen Minute darauf anzusprechen. Ihm seine Gefühlsausbrüche abzusprechen, wird freilich schwer funktionieren, aber vielleicht kann er verstehen, dass Aussprüche wie »Ich bring dich um« außerhalb ihrer Toleranzgrenze liegen. Idealerweise kann ein gemeinsamer Weg gefunden werden, bei dem – ganz griechisch – emotional und impulsiv den Gefühlen freien Lauf gelassen werden darf, ohne langfristig Unmut zu schüren, andersherum aber auch sachlich über die problematischen Themen oder Abläufe gesprochen werden kann.

94 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Beispiel 15: Kälte im Büro Situation Herr Dietrich ist seit einigen Monaten in Athen, da er von seinem Arbeitgeber, einer deutschen Behörde, als Fachkraft im Bereich IT dorthin entsandt wurde. Eines Tages im Winter spricht ihn Frau Marinaki, eine der griechischen Mitarbeiterinnen, an. Sie schimpft darüber, dass sie heute um sieben Uhr morgens angekommen sei und es im ganzen Gebäude unglaublich kalt gewesen sei. Herr Dietrich weiß, dass die Heizung um sieben angestellt wird und es etwas dauert, bis es im ganzen Gebäude warm ist. Er fragt Frau Marinaki, ob sie gemeinsam zum Hausmeister gehen sollen, damit dieser die Heizung schon früher anstellt, schließlich ist Frau Marinaki nicht die Einzige, die so früh morgens zu arbeiten beginnt. Frau Marinaki lehnt diesen Vorschlag sofort ab: Nein, da brauche man nichts weiter zu machen, aber es sei furchtbar ärgerlich, bei dieser Kälte zu arbeiten. Anschließend verlässt sie sichtlich zufrieden Herrn Dietrichs Büro, ohne weiter auf dessen Vorschläge einzugehen. Herr Dietrich ist sehr verwundert, er fragt sich, welche Konsequenzen er aus diesem Gespräch ziehen soll. Was ist der Grund für Frau Marinakis’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Frau Marinaki ärgert sich sehr über die Kälte am Morgen, möchte Herrn Dietrich aber keine Umstände deswegen machen. Sie ist froh, dass er so verständnisvoll reagiert, jede weitere Handlung wäre ihr aber unangenehm. 95 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Frau Marinaki möchte Herrn Dietrich damit zu verstehen geben, dass er sich doch beim Hausmeister für das Anstellen der Heizung einsetzen soll. Dass sie sein Angebot ablehnt, ist lediglich ein Zeichen der Höflichkeit.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Frau Marinaki möchte ihren Unmut loswerden, ohne dass sie sich Änderungen verspricht. Für sie ist das ein normales Kommunikationsthema, das sie engagiert verfolgt.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Frau Marinaki ist schon länger an einem Gespräch mit Herrn Dietrich interessiert. Sie nutzt die günstige Gelegenheit und gebraucht das Thema lediglich als Vorwand für eine Unterhaltung.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Frau Marinaki freut sich sicherlich über Herrn Dietrichs Verständnis. Trotzdem winkt sie nicht nur ab, um keine Umstände zu machen. Sie ist nicht mit der Erwartung zu Herrn Dietrich 96 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

gekommen, dass dieser sich um die Lösung des Problems kümmert. Eine andere Antwort erklärt die Situation besser. Erläuterung zu b): Ein wichtiger und richtiger Aspekt dieser Antwort ist, dass Frau Marinaki Herrn Dietrich auf indirekte Art und Weise zu verstehen geben könnte, was sie von ihm erwartet. In Griechenland werden in vielen Situationen Sachverhalte nicht explizit angesprochen, sondern durch die Blume und indirekt kommuniziert. Trotzdem trifft die Deutung den Kern der Situation nicht ganz, das Gespräch erfüllt hier einen anderen Zweck. Erläuterung zu c): In Griechenland dient ein großer Teil der Kommunikation weniger dem Erzielen bestimmter Änderungen oder Ergebnisse, sondern hat stattdessen die Funktion des sozialen Austauschs. Dass es dabei lebhafter und energischer zugeht als in Deutschland, verleitet oft zu der Annahme, dass es sich hier um ein dringliches Anliegen handelt. Die Antwort erklärt die Situation am besten. Dabei soll das gemeinsame Schimpfen auch schlicht Kontakt und Verbundenheit herstellen. Erläuterung zu d): Es ist richtig, dass Frau Marinaki mit Herrn Dietrich ins Gespräch kommen will. Nicht richtig ist allerdings, dass ihr das Thema als Vorwand dient. Es ist für sie ein normales Gesprächsthema wie etwa das Wetter.

Lösungsstrategie Eine solche Situation kann im alltäglichen Umgang mit Griechinnen und Griechen täglich passieren. Es ist deswegen eher schwierig, eine solche zu vermeiden. Für Herrn Dietrich ist es wichtig, das Gesagte einordnen zu können: Frau Marinaki möchte Kontakt und Austausch, das Thema kommt nicht von ungefähr, ist jedoch zweitrangig. Herr Dietrich kann zuhören, er kann sich – wenn er das möchte – auch gemeinsam mit ihr über die Kälte ereifern. Ansonsten kann er die 97 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Sache einfach auf sich beruhen lassen. Frau Marinakis Wutausbruch ist eher ein Zeichen ihres Unmuts über die nicht angestellte Heizung als ihrer Gefühle Herrn Dietrich gegenüber. In Deutschland ist es üblich, Gespräche ergebnisorientierter zu führen. Wenn diese Ergebnislosigkeit des Gesprächs für Herrn Dietrich nicht zufriedenstellend ist, kann er eigene Themen einbringen, über die er sich lieber austauschen möchte. Frau Marinaki erzählt bestimmt gern von guten Tavernen, von Land und Leuten oder Veranstaltungen, die stattfinden werden. So kann Herr Dietrich auch von dem Austausch profitieren.

Kulturelle Verankerung von »Emotionale Kommunikation« Eng zusammenhängend mit der Beziehungsorientierung, die aus deutscher Sicht in der griechischen Arbeitswelt von hoher Bedeutung ist (vgl. Themenbereich 1), ist die Kommunikation zum Beziehungsaufbau sehr wichtig. Kommunikation dient als sozialer Austausch, dem Kennenlernen und der Kontaktpflege. Dabei unterscheidet sich die Herangehensweise von Deutschen an die berufliche Kommunikation oft sehr von der der Griechen. Während in Deutschland bei Geschäftskontakten – sicher nicht immer, aber doch vorwiegend – der sachliche Informationsaustausch, das gemeinsame Suchen und Finden von Lösungen zu bestimmten Problemen im Vordergrund steht, hat in Griechenland die Diskussion an sich schon einen hohen Wert. Dass Besprechungen unterbrochen werden, Gespräche abschweifen und Sitzungen entsprechend länger dauern, wird dabei gern in Kauf genommen. Diese Art von Beziehungspflege ist Teil eines reibungslosen Arbeitsablaufs. Dabei ist die Art der Kommunikation deutlich impulsiver, lebhafter, lauter und gefühlvoller. Durch den starken Emotionsausdruck wird die Bedeutsamkeit der besprochenen Themen gezeigt. Viele der gesprochenen Inhalte findet über Stimme und Gestik, über Wortwahl und Lautstärke ihren Weg zum Empfänger, weniger über die wörtlichen Botschaften wie in Deutschland 98 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

üblich. Dadurch haben deutsche Neuankömmlinge – an vorwiegend in ruhigem Tonfall geführte, meist zielorientierte Diskussionen gewöhnt – in Griechenland oftmals den Eindruck, vor einem tiefgehenden Streit zu stehen, wenn aus Sicht der griechischen Kollegen sachlich diskutiert wird. Doch genauso schnell, wie sich die Gemüter erhitzten, kehrt wieder Gelassenheit und Entspannung ein: Die wahrgenommene Dramatik entpuppt sich als engagierter Einsatz unter einander wohlgesonnenen Kollegen. Diese Situationsbezogenheit findet auch in der Gegenwartsorientierung (Themenbereich 4) ihren Ausdruck. Auffällig ist für deutsche Fach- und Führungskräfte des Weiteren die Indirektheit der Kommunikation, die zu vielen Missverständnissen führen kann. Vieles muss im griechischen Alltag nicht explizit ausgesprochen werden. Oft reicht schon ein kleiner Kommentar oder eine Antwort, die sich scheinbar auf ein anderes Thema bezieht, um große Botschaften zu vermitteln. Betrachtet man die geografische Lage und Beschaffenheit Griechenlands, wird deutlich, dass Kommunikation schon immer einen besonderen Stellenwert einnahm. Es gibt zwei geografische Räume: Land und Meer. Während das Meer von jeher leicht befahrbar war und für relativ unkomplizierte Kommunikation sorgte (sofern die Strecken nicht zu weit waren), gab es auf dem kargen und zerklüfteten Festland wenige Verkehrswege. Diese waren zudem – klimatisch bedingt – auch nicht immer leicht zu nutzen, sodass jede Art Kontakt nach außen umso wertvoller wurde. Wer an einem der großen Handelswege lebte, konnte leicht Kontakte und Handel aufbauen und sich daher glücklich schätzen. Eine andere Wichtigkeit erfährt die Kommunikation durch die hohe Zahl an Emigrant/-innen, die seit mehreren Jahrhunderten aus materiellen Gründen nach Amerika, Australien oder auch Deutschland auswandern, nicht selten aber Jahre später zurückkehren. Durch den starken Familienzusammenhalt war und ist es umso wichtiger, zu den seltenen Gelegenheiten Kontakt zu den Emigrierten zu halten und sich regelmäßig auszutauschen. Dies zusammengenommen kann als eine Erklärung für den hohen Stellenwert von Kommunikation als sozialem Austausch hinzugezogen werden. 99 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Durch die warmen Temperaturen und den Aufenthalt im Freien war es nie wichtig, sich in Lautstärke oder Gefühlsausdruck zu beschränken. Auch andere geistige Strömungen wie Protestantismus oder Rationalismus, die in Deutschland entscheidend waren und die Zurückhaltung in der Emotionalität begünstigten, waren in Griechenland aufgrund der langen osmanischen Besatzungszeit nicht bedeutsam (Hösch, 2008; Papoulia, 2009; Weithmann, 1994).

100 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 6: Ansehen und Ehrgefühl

Beispiel 16: Wie kompetent sind Sie? Situation Herr Zimmermann lebt seit zweieinhalb Jahren in Athen. Er ist Projektleiter in einem großen internationalen Unternehmen in der IT-Branche. Bei seinem Projekt, bei dem eine Software für einen Kunden entwickelt werden soll, gibt es eine so genannte Kompetenzmatrix. In diese kann jedes Team eintragen, welche Kompetenzen (beispielsweise Programmiersprachen) es in bestimmten Teilbereichen, die für das Projekt wichtig sind, hat. Dabei soll auf einer Skala von eins bis fünf eingeschätzt werden, wie hoch diese Kompetenzen sind. Dies soll Herrn Zimmermann helfen, das Projekt effizient zu planen und seinem Chef, der die Personalverantwortung für die Mitarbeiter trägt, die Mitarbeiter ideal auf dieses und weitere laufende Projekte zu verteilen. Die Mitarbeiter sind informiert über dieses Vorgehen und wissen auch, dass die Einschätzung keinerlei Einfluss auf Gehaltserhöhungen haben soll. Die griechischen Mitarbeiter, vorwiegend junge Akademiker, schätzen sich auf diesen Skalen ein und Herr Zimmermann bekommt anschließend eine Zusammenstellung zur Verfügung gestellt. Als ein Kollege aus Deutschland, der als Spezialist für sein Fach nach Griechenland bestellt wird, die Übersicht sieht, sagt er lachend zu Herrn Zimmermann, dass er sich auf seinem Gebiet als drei eingeschätzt hätte, während die Kollegen aus Griechenland sich alle mit einer vier bewerten. Herr Zimmermann ist überrascht, dass sich die Mitarbeiter so hoch einschätzen, und 103 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

ärgert sich, dass dadurch die Matrix so wenig Aussagekraft für ihn hat. Wieso verhalten sich die griechischen Mitarbeiter so? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Bescheidenheit wird in Griechenland nicht groß geschrieben. Die griechischen Mitarbeiter drücken mit ihrer sehr guten Bewertung ihr Selbstbewusstsein aus, die verschiedenen Aufgaben kompetent zu meistern. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Die Situation ist der unterschiedlichen Bevölkerungsgröße Deutschlands und Griechenlands geschuldet. Da die deutsche Bevölkerung achtmal so groß ist wie die griechische, ist das Niveau der Experten dort auch deutlich höher, da mehr fähige Personen zum persönlichen Vergleich zur Verfügung stehen. Deshalb schätzt sich der Deutsche relativ gesehen schlechter ein.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Die griechischen Mitarbeiter haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Um nicht durch einen vermeintlich fähigeren Kollegen ersetzt zu werden, stufen sie ihre Fähigkeiten höher ein, als sie tatsächlich sind.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

104 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

d) In Griechenland spielen Formalitäten und Strukturen keine große Rolle. Die griechischen Mitarbeiter denken, dass sie die Arbeiten, die sie tagtäglich durchführen, wohl auch gut beherrschen, und machen sich keine weiteren Gedanken über die Skalen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Bei Selbsteinschätzungen und Präsentationen kommt es häufig vor, dass Griechen ihre Fähigkeiten sehr selbstbewusst in den Mittelpunkt rücken, auch wenn die tatsächlichen Fähigkeiten dahinter zurückbleiben. Dies wird nicht als negativ angesehen, vielmehr ist es ein legitimes Mittel, sich dadurch Vorteile zu verschaffen. Die Antwort trifft zu. Ein griechischer Projektleiter würde vermutlich ganz selbstverständlich ein bis zwei Punkte abziehen, um sich ein realistisches Bild zu machen. Erläuterung zu b): Dass Griechenland mit rund zehn Millionen Einwohnern deutlich kleiner ist als Deutschland mit achtzig Millionen, kann sicherlich Einfluss auf die Bewertungsmaßstäbe der Mitarbeiter haben. Auch die Unterschiede im Bildungssystem mögen hier einen Einfluss haben. Es gibt jedoch ein weiteres Handlungsmotiv, das in dieser Situation zum Tragen kommt. Dies wird in einer anderen Antwort erläutert, die die Situation besser erklärt. Trotzdem ist es natürlich immer wichtig, in solchen Fällen auch die kontextuellen Hintergründe im Blick zu haben. 105 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu c): Arbeitsplätze sind in Zeiten einer solch hohen Arbeitslosigkeit, wie sie Griechenland gerade erlebt, sehr begehrt und überlebenswichtig. Die Chancen, selbst gut ausgebildet, einen neuen Job zu finden, sind in den meisten Branchen eher gering. Die in der Situation geschilderte Selbsteinschätzung lässt sich allerdings auch jenseits der Krisenzeiten beobachten. Daher erklärt die Antwort die Situation nicht zufriedenstellend. Erläuterung zu d): Für Angestellte eines großen internationalen Unternehmens sind Formalia wie die Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen auch in Griechenland normal. In kleineren Betrieben oder manchen griechischen Firmen mag dies anders sein, doch die Ablehnung von Abläufen wie in der Situation genannt spielt im Großen und Ganzen eher keine Rolle, weshalb die Antwort nicht zutrifft.

Lösungsstrategie Für Herrn Zimmermann ist die Situation klar: Um effektiv arbeiten zu können, müssen die Führungskräfte die genauen Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter kennen. Er erwartet eine möglichst realistische Einschätzung, die er von jedem professionellen Mitarbeiter glaubt bekommen zu können. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass die Einschätzung nicht dazu dient, Beförderungen oder Entlassungen abzuwägen, sondern schlicht der effizienten Projektplanung. Er wird nun den Eindruck haben, die griechischen Mitarbeiter haben kein realistisches Bild von sich, und ihnen in Zukunft misstrauen. Für Herrn Zimmermann ist die Eigenverantwortlichkeit auch bei Selbsteinschätzungen Standard und dieser Prozess sachlich zu bewerten. Für die griechischen Mitarbeiter auf der anderen Seite ist die Selbsteinschätzung weniger Anlass zur Sachlichkeit, sondern mehr eine Gelegenheit, ein positives Bild von sich zu zeichnen. Sie stellen sich kompetent dar, in der Zuversicht, dass sich eine Lösung finden wird, falls sie eine Aufgabe übertragen bekommen, die ihre Fähigkeiten übersteigt (vgl. Themenbereich 4). 106 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Gleichzeitig bleibt ihre Einschätzung aber so niedrig, dass sie nicht aus der Masse herausstechen und deshalb eine besonders exponierte Position einnehmen. Dahinter steckt keine böse Absicht, das sachliche Vorgehen zu boykottieren, sondern schlicht die verinnerlichte Gewohnheit, ihr Ansehen zu vergrößern, sobald sich die Möglichkeit dazu auftut. Sie gehen womöglich davon aus, dass ihr Chef sowieso insgeheim einige Punkte abzieht, und bewerten sich aus diesem Grund so, dass anschließend immer noch etwas Glanz übrig bleibt. Um eine solche Situation, die für Herrn Zimmermann wenig zielführend ist, zu vermeiden, sollte er sich überlegen, ob dieses Tool geeignet ist bzw. er sich einer anderen Methode bedienen kann, die besser in den vorliegenden Kontext passt. Die Fremdeinschätzung des Team- oder Projektleiters, sofern er seine Mitarbeiter kennt, wäre gegebenenfalls eine solche Möglichkeit. Auch ein griechischer Kollege auf der gleichen Hierarchieebene könnte behilflich sein, die Einschätzung im Rahmen eines Gesprächs (!) mit ihm vorzunehmen. Hilfreich für die griechischen Mitarbeiter wäre es zudem, wenn zusätzlich zur Skala der Selbsteinschätzung enge Maßstäbe vorliegen, nach denen sich die eigene Kompetenz besser bzw. objektiver bewerten lässt. Außerdem spielt eine große Rolle, auf welche Art und Weise die Mitarbeiter über die Methode informiert wurden. Ist allen klar, worum es geht? Hat Herr Zimmermann seine Ziele genau benannt? Wissen die Mitarbeiter, wer genau Einsicht in die Matrix hat? Die Transparenz der Methode könnte hierbei entscheidend sein. In diesem wie in vielen anderen Beispielen kann es sehr hilfreich sein, seinen Vorgänger zu befragen. Wie ist dieser mit solchen Situationen umgegangen? Wie schätzt er seine Mitarbeiter ein? Welche Handlungsweisen haben sich in dessen Zeit in Griechenland bewährt? Ein Befragen des Kollegen, der nach Deutschland bzw. ein anderes Land der Erde weitergereist ist, kann Herrn Zimmermann weiterhelfen und lässt die große Erfahrung, die sich der potenzielle Vorgänger erworben hat, weiterwirken.

107 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Beispiel 17: Chaos in der Buchhaltung Situation Herr Schreiber ist seit eineinhalb Jahren als kaufmännischer Leiter für die Buchhaltung einer deutschen Einrichtung in Athen verantwortlich. Er entdeckt bei Herrn Tsingelídis, einem älteren griechischen Mitarbeiter, einen Fehler in der Buchhaltung. Außerdem fehlt ein Beleg zu einer weiteren Buchung. Gemeinsam suchen sie lange Zeit nach dem fehlenden Beleg, den sie schließlich unter Herrn Tsingelídis’ Schreibtischunterlage finden. Herr Schreiber sagt Herrn Tsingelídis, dass er mit der Fehlbuchung und dem vermissten Beleg nicht zufrieden sei. Herr Tsingelídis meint daraufhin in beleidigtem Tonfall, er würde jetzt nach Hause gehen. Am nächsten Morgen erscheint Herr Tsingelídis ganz normal zur Arbeit, korrigiert den Fehler bei der Buchung und verhält sich, als sei nichts passiert. Herr Schreiber empfindet die Situation als sehr schwierig, da man auf diese Art und Weise schließlich zu keiner dauerhaften Lösung komme. Wieso verhält sich Herr Tsingelídis auf diese Art und Weise? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

Deutungen a) Herr Tsingelídis hatte gehofft, bei der Buchhaltung tricksen zu können, sodass er eine kleine Summe für sich unterschlagen kann. Als Herr Schreiber auf den Fehler stößt, versucht er dies zu überspielen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

108 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

b) Das Verhalten von Herrn Tsingelídis ist typisch für Griechen. Sie sind oft nicht bereit, sich einmal begangenen Fehlern zu stellen und den Schaden zu beheben, sondern entziehen sich der Verantwortung durch »Aus-dem-Felde-Gehen«. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Tsingelídis empfindet die offene Kritik Herrn Schreibers als persönliche Kränkung und sieht sich in seiner Ehre verletzt.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Der Respekt vor Älteren wird in Griechenland großgeschrieben. Herr Schreiber als der Jüngere verhält sich Herrn Tsingelídis gegenüber nicht respektvoll genug, was Herrn Tsingelídis’ Reaktion erklärt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Herr Schreiber könnte als für die Buchhaltung Verantwortlicher mögliche Unterschlagungen seitens von Herrn Tsingelídis nachprüfen. Deshalb ist diese Deutung recht gewagt. Da Herr Schreiber bislang wohl keinen Grund zur Beanstandung hatte, sollte die Ursache für den Verlauf der Situation besser anderswo gesucht werden. Erläuterung zu b): Niemand lässt sich gern für einen banalen Fehler kritisieren, zu109 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

mal dann, wenn die Fehlersuche zeitraubend war und auch noch der Chef daran beteiligt ist. Dies ist ein richtiger Aspekt dieser Antwort. Sie erklärt aber Herrn Tsingelídis’ emotionale Reaktion nicht zufriedenstellend und ist damit unzureichend. Erläuterung zu c): Herr Schreiber konfrontiert Herrn Tsingelídis direkt mit dessen Fehler, sodass diesem keine andere Reaktion als das Weggehen bleibt, um sein Gesicht zu wahren. Die Verletzung seines Ehrgefühls wird dadurch verstärkt, dass Herr Schreiber jünger ist als er selbst und erst seit kurzem in Griechenland und im Unternehmen ist. Diese Antwort ist zutreffend. Um den Konflikt nicht zu verschlimmern, spricht er das Thema nicht mehr an. Erläuterung zu d): Altersunterschiede im beruflichen Umfeld sind ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Zusammenarbeit mit griechischen Partnern. Beförderungen nicht nach Leistung, sondern nach Alter vorzunehmen, ist erst seit kurzem kein flächendeckender Usus mehr. Entsprechend erwarten ältere Mitarbeiter oft eine respektvollere Behandlung. Es gibt aber noch eine andere Antwort, die Herrn Tsingelídis’ Reaktion besser erklärt. Herrn Tsingelídis’ Alter hat den Verlauf dieser Situation aber sicherlich verschärft. Lösungsstrategie Herr Tsingelídis versucht in der geschilderten Situation zu mehreren Zeitpunkten sein Ehrgefühl zu wahren. Als ihn Herrn Schreibers Kritik trifft, versucht er sich der Situation zu entziehen, indem er den Raum und die Arbeit verlässt. Die Kritik trifft ihn persönlich, da in Griechenland weniger zwischen Sache und Person getrennt wird. Er vermeidet in der Folge den Konflikt und die damit zusammenhängende Ehrverletzung, indem er den Fehler stillschweigend korrigiert und die Sache auf sich beruhen lässt. Für ihn ist sein Verhalten ein deutliches Signal dafür, dass er den Fehler wahrgenommen hat und wiedergutzumachen versucht. Herr Schreiber hingegen ist es gewohnt, dass Fehler direkt und sachlich besprochen werden, und versucht dies an Herrn Tsin110 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

gelídis’ Schreibtisch. Er erwartet ein direkt kommuniziertes Eingeständnis des Fehlers, damit gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann, um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden. Vermeiden ließe sich eine solche Situation, indem er die falsche Buchung zunächst auf sich beruhen lässt. Der Fehler ist behoben, die Unzufriedenheit Herrn Schreibers ist an anderer Stelle einmal anzusprechen, wenn sich die Wogen geglättet haben. Entweder er lässt das Thema vollständig auf sich beruhen und kommt damit Herrn Tsingelídis und der Wahrung seines Ehrgefühls entgegen oder aber er äußert sogar seine Freude darüber, dass der Fehler korrigiert wurde. Eine gewisse Gelassenheit, was Fehler im Allgemeinen betrifft, wäre hier hilfreich, selbstverständlich ohne dass die Qualität der Arbeit Schaden nimmt. Für Herrn Tsingelídis ist es nicht nötig, das Thema noch einmal aufzugreifen. Wenn es Herrn Schreiber jedoch trotzdem ein Anliegen ist, so sollte er dies zu einem späteren Zeitpunkt tun. Dabei kann er sehr vorsichtig oder auf indirekte oder allgemeine Art sprechen, ohne Herrn Tsingelídis direkt zu kritisieren. Er kann beispielsweise fragen, ob er bei der Arbeit gut vorankomme und ob mit der Ablage alles in Ordnung sei. Herr Tsingelídis wird dies als Hinweis verstehen, dass Herr Schreiber über den Fehler nicht begeistert war. Ein beliebtes Mittel für Kritik in Griechenland ist es, Negatives humorvoll zu verpacken, sodass die Kritik würdevoll angenommen werden kann. Dies ist vor allem unter Gleichaltrigen üblich, wäre in diesem Beispiel aber je nach Persönlichkeit nicht unbedingt zu empfehlen.

Beispiel 18: Studium beendet Situation Herr Weiß lebt seit zweieinhalb Jahren in Athen. Er arbeitet als Fachkraft in einem deutschen Pharmaunternehmen. Er kam zusammen mit Kalliopi, seiner griechischen Partnerin, die er während deren Studium in Deutschland kennengelernt hat, nach Griechenland. Herr Konstantinídis, der Cousin von Kalliopi, hat in England studiert. Als er wieder in Griechenland ist, erzählen 111 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

seine Eltern und seine Schwester Herrn Weiß, dass er das Studium beendet hat und nun auf Arbeitssuche ist. Über mehrere Ecken erfährt Herr Weiß jedoch, dass Herr Konstantinídis das Studium nicht abgeschlossen, sondern abgebrochen hat und nun arbeitslos sei. Herrn Weiß irritieren die Heimlichtuerei und die Lügen der Familie. Was ist der Grund für das Verhalten der Familie? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) In Griechenland sind die Studienbedingungen sehr viel leichter als in anderen Ländern, sodass Studienabbrüche so gut wie gar nicht vorkommen. Ein Studienabbruch würde auf Unverständnis im Umfeld stoßen, weshalb die Familie lieber darüber schweigt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Das gescheiterte Studium wird als Schande für die ganze Familie empfunden. Um ihr Ansehen nach außen zu wahren, überspielt die Familie den Studienabbruch von Herrn Konstantinídis daher. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Herr Weiß ist in der Familie seiner griechischen Partnerin noch nicht als vollwertiges Mitglied akzeptiert. Um ihm zu verstehen zu geben, dass er nicht dazugehört, lässt ihn die Familie bewusst über einige Familienthemen im Unklaren, so wie in diesem Fall der Studienabbruch des Cousins. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

112 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

d) Eine gute Ausbildung mit Studienabschluss hat eine immense Bedeutung für griechische Familien und die Eltern bringen viele finanziellen Opfer, um ihren Kindern den Bildungsaufstieg zu ermöglichen. Scheitert der Sohn, wie in diesem Fall, waren die Investitionen in die Zukunft des Kindes umsonst.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. Bedeutungen Erläuterung zu a): Das Bildungssystem unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem deutschen, besonders was die Berufsausbildung betrifft. Viele junge Griechinnen und Griechen studieren jedoch im Ausland, sodass Vergleichswerte im Bekanntenkreis oft vorhanden sind. Ein guter Aspekt dieser Antwort ist, dass das Schweigen der Familie tatsächlich auf die Reaktionen im Umfeld auf den Studienabbruch zurückzuführen ist. Hier lohnt sich jedoch ein Blick hinter die Oberfläche, der in einer anderen Antwort zu finden ist. Erläuterung zu b): Ein Studienabbruch gilt in vielen Kreisen als großes Scheitern, was wohl auch auf den hohen Stellenwerts eines Studiums (siehe Antwort d) zurückzuführen ist. Das Ansehen der ganzen Familie wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Um das Gesicht zu wahren und das Ansehen nicht unnötig zu beschädigen, versucht die Familie die Wahrheit so lange wie möglich zu beschönigen, was zur geschilderten Situation führt. Die Antwort erklärt die Situation am besten. Erläuterung zu c): Die Zurückhaltung der griechischen Familie, was den Studienab113 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

bruch von Herrn Konstantinídis betrifft, liegt nicht in der Beziehung von Herrn Weiß zu seiner Partnerin oder deren Familie begründet. Innerfamiliäre Spannungen sind kein kulturspezifisches Phänomen, deswegen ist der Erklärungswert dieser Antwort eher gering. Erläuterung zu d): Dass die eigenen Kinder in Griechenland im Mittelpunkt jeder Familie stehen, ist oft bis in deren Erwachsenenalter der Fall. Viele Eltern sehen es als ihre Aufgabe, jahrelang auf eigenen Luxus wie Urlaube oder Auto- bzw. Hauskauf zu verzichten, um ihren Kindern eine gute Ausbildung – vielleicht auch im Ausland – zu finanzieren. Dass dieses Geld durch den Studienabbruch falsch angelegt war, ist allerdings nicht die größte Sorge der Familie Konstantinídis und auch nicht der Grund für ihr Schweigen. Lösungsstrategie Das griechische Motiv, das Ansehen der Familie zu wahren und den Studienabbruch des Familienmitglieds nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, trifft in diesem Fall auf Herrn Weiß’ Verständnis von Wahrhaftigkeit. Er kann nicht verstehen, wieso die Familie die Unwahrheit spricht, da für ihn dieser Wert höher steht als das vielleicht verletzte Ansehen. Wenn er auf seiner Sichtweise beharrt und die Familie darauf anspricht, wird er diese vermutlich mit seinen Fragen vor den Kopf stoßen. Sollte er Herrn Konstantinídis nicht bei sich einstellen wollen, eine Einstellung empfehlen wollen oder einen anderen wichtigen Grund haben, sollte er die direkte Konfrontation mit dem Thema vermeiden. Wenn er sich sehr vertraut mit der Familie fühlt, könnte er eine Aussprache erwägen, welche jedoch zu jeder Zeit für ein gewisses Unwohlsein seitens der Familie sorgen wird. Die griechische Familie, die das Thema umgehen will, erwartet vermutlich von ihm, dass er darüber hinwegsieht und das Thema nicht mehr zur Sprache bringt. Hier gilt es Diskretion zu wahren, vielleicht sogar Herrn Konstantinídis oder dessen Familie zu gratulieren und viel Erfolg bei der Arbeitssuche zu wünschen. Dies gibt der Familie die Chance, ihr Gesicht zu wahren. 114 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Um zukünftige Überraschungen, die Herrn Weiß vielleicht auch direkter treffen als diese Situation, die ihn ja nicht direkt beeinträchtigt, zu vermeiden, kann Folgendes hilfreich sein: Zum einen wird Herr Weiß mit ein wenig Geduld meistens die Wahrheit erfahren, wie auch dieser Fall zeigt. Zum anderen kann er seinen Blickwinkel und seine Erwartungen an den reinen Wahrheitsgehalt vieler Aussagen verändern. Dies gilt besonders bei Themen, die sich auf das eigene Ansehen oder die eigene Ehre beziehen. Er sollte sich bewusst sein, dass die griechischen Partner ihre eigenen Gründe haben, die Halbwahrheiten und Notlügen sehr gut rechtfertigen, auch wenn diese seinem eigenen Bedürfnis nach objektiver Wahrheit zuwiderlaufen. Dies mag ihm vielleicht helfen, in dieser Diskrepanz zu leben, sollte aber nicht dazu führen, dass er Aussagen von Griechinnen und Griechen grundsätzlich als nicht wahrheitsgetreu abtut.

Kulturelle Verankerung von »Ansehen und Ehrgefühl« In Griechenland wird sehr viel Wert auf das Ansehen und filotimo, das Ehrgefühl der Person und auch der Familie, gelegt. Jede sich bietende Gelegenheit wird genutzt, um das Ansehen zu vermehren, mindestens aber zu wahren. Stolz und Selbstvertrauen bis hin zum Selbstlob werden positiv gewertet. Bescheidenheit ist keine erstrebenswerte Tugend wie in protestantisch geprägten Ländern. Besonders deutlich wird die Darstellung der eigenen Fähigkeiten im beruflichen Kontext bei Präsentationen, oft auch bei Meetings. Bei diesen wird oftmals dem von Deutschen als am wichtigsten erachteten Informationsgehalt weniger Bedeutung beigemessen. Das große Selbstvertrauen geht oft einher mit einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, wird griechischen Kindern aber von klein auf beigebracht. Dieses Selbstvertrauen führt auch dazu, dass viele Griechinnen und Griechen Führungspositionen anstreben und der Wunsch nach Erfolg sehr groß ist. Führungskräfte genießen in Griechenland einen guten Ruf. Durch das Repräsentieren des 115 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Unternehmens und die gewonnenen Statussymbole wie Dienstwagen oder Büroausstattung kann das Ansehen der ganzen Familie vermehrt werden. Bleibt eine Beförderung aus, löst das Unbehagen aus. Daher ist in vielen Bereichen für eine Beförderung weniger die Qualifikation ausschlaggebend, sondern mehr das Alter oder die Arbeitsdauer im Unternehmen. Wird ein jüngerer Kollege bevorzugt, fühlt sich dies für den älteren Kollegen oftmals wie eine Beleidigung an. Das Ansehen ist sehr eng mit der eigenen Familie verknüpft. Alle Familienmitglieder sollten einen guten sozialen Status haben. Sind die Kinder erfolgreich, mehrt dies auch das Ansehen der Eltern. Daher ist es auf der anderen Seite wichtig, dass Misserfolge nicht an die Öffentlichkeit gelangen und Verhalten gemieden wird, das zu Gesichtsverlust führen kann. Neben dem Ausbleiben des Erfolgs kann ein Bloßstellen in der Öffentlichkeit beispielsweise durch offene Kritik durch den Vorgesetzten zum Gesichtsverlust führen. Kritik kann normalerweise nur bei sehr gutem persönlichen Kontakt indirekt oder humorvoll verpackt ohne Gesichtsverlust angenommen werden. Die Vermeidung von Konflikten genießt ein höheres Ansehen als die Durchsetzungsstärke bei der Führung von Konflikten. Dies erklärt die oft als sehr heftig wahrgenommenen Reaktionen, die viele deutsche Fach- und Führungskräfte beobachten. Die in Deutschland übliche Form der Feedbackgespräche und das direkte Ansprechen von Missständen können hier zu problematischen Situationen in der zwischenmenschlichen Interaktion führen. Um sein Gesicht zu wahren, kann es legitim sein, durch geschickte Formulierungen seine Fehltritte zu kaschieren oder die Wahrheit ein wenig an die Umstände anzupassen. Dies kann für Deutsche ungewohnt sein. Hier gilt es Sensibilität für die zugrundeliegenden Motive zu entwickeln. Historisch kann der Kulturstandard »Ansehen und Ehrgefühl« in enger Verbindung zur Entwicklung des Nationalstaates und auch des Nationalstolzes Griechenlands gesehen werden. Im frühen 19. Jahrhundert entdeckten viele westeuropäische Länder die griechische Antike wieder als Wiege Europas. Es gründeten sich philhellenistische, das heißt griechenfreundliche Vereine, die es 116 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

zum Ziel hatten, die griechische Kultur zu fördern. Reiseberichte von philhellenistischen Autoren befeuerten das Thema weiterhin. Auch in der Malerei sind viele verklärte Darstellungen antiker Tempel, häufig auch zusammen mit »typisch« griechischer Bevölkerung, zu finden. Griechenland war zu dieser Zeit osmanisch besetzt. Dies war Anlass, die aufkeimenden Ideen eines Nationalstaates zu unterstützen bis hin zur aktiven militärischen Unterstützung im griechischen Unabhängigkeitskrieg. Die Bestrebungen führten zu einem griechischen Staat, der von einem bayerischen König regiert wurde und anfangs etwa ein Drittel der heutigen Fläche Griechenlands umfasste. Es ist sicherlich nicht mehr zu ermitteln, wie sich Griechenland ohne diese philhellenistische Bewegung entwickelt hätte, trotzdem erlebten die zuvor jahrhundertelang fremdbestimmten Griechinnen und Griechen eine große Anerkennung für Leistungen, die Jahrtausende vor ihnen in der Antike vollbracht worden waren und somit einen großen Rückhalt für ihre Nationalbestrebungen. Griechische Ideale und Tugenden wurden in der Literatur, Architektur und Malerei, aber auch in der Französischen Revolution aufgegriffen und stärkten das griechische Selbstvertrauen und den Nationalstolz. Dieser Stolz ist nicht nur bezogen auf die Nationalität, sondern wurde in den Familien und der Kindererziehung übernommen. Kinder sollen zu selbstbewussten, aufrechten griechischen Menschen erzogen werden. Sie bekommen in den Kinderjahren sehr viel Anerkennung und sind der Mittelpunkt jeder Familie. So wird die große Selbstachtung weitergetragen, das Bild vom stolzen und würdevollen Griechen gilt es nicht nur gegen Anfeindungen bezogen auf die Nationalkultur zu wahren (Konstantinou, 1998; Maras, 2012).

117 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Themenbereich 7: Philanthropie

Beispiel 19: Im neuen Jahr Situation Herr Schulte ist seit zwei Monaten in einer deutschen Firma in Athen beschäftigt. Als er nach dem Weihnachtsurlaub im neuen Jahr das erste Mal das Gebäude betritt, wünscht ihm die griechische Mitarbeiterin am Empfang augenblicklich ein schönes neues Jahr, einen schönen Monat, eine schöne Woche und einen schönen Tag. Dabei umarmt und küsst sie Herrn Schulte. Ein paar Schritte weiter trifft er auf die Putzfrau, die dieselbe Fülle an Wünschen über ihm ausschüttet, ebenso die andere Putzfrau, die er schließlich am Aufzug antrifft. Verbunden sind die guten Wünsche jeweils mit Umarmungen und Küsschen. Herr Schulte lässt all dies über sich ergehen, er empfindet dies aber als übertrieben und distanzlos. Ihm kommt es so vor, als müsse er sich bis in sein Stockwerk »durchküssen«. Was steckt hinter dem Verhalten der Griechinnen? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

119 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Deutungen a) In Griechenland ist es üblich, sich an Neujahr überschwänglich zu beglückwünschen. Zu dieser Neujahrstradition gehört es auch, sich herzlich zu umarmen und zu küssen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Die Frauen, die Herrn Schulte zum Beginn des neuen Jahres um den Hals fallen, küssen und ihm ein gutes neues Jahr wünschen, wissen, dass er aus Deutschland kommt und erst seit kurzem in Griechenland tätig ist. Sie sind stolz darauf, ihm als Ausländer zeigen zu können, wie herzlich Griechen sein können. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Die Griechinnen sind froh, dass sie mit Herrn Schulte einen ungewöhnlich netten Kollegen gewonnen haben. Als er aus dem Urlaub wiederkommt, freuen sie sich sehr über seine Rückkehr und drücken ihre Gefühle deutlich aus. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Für die Griechinnen ist ihr Verhalten ein üblicher offener Umgang miteinander. Dass sie sich zu allen möglichen Anlässen umarmen und beglückwünschen, ist für sie Ausdruck von Herzlichkeit. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

120 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Bedeutungen Erläuterung zu a): Herzliche Glückwünsche an Neujahr sind in Griechenland normal und üblich. Glückwünsche und Körperkontakt wie Umarmungen oder Küsschen kommen jedoch grundsätzlich häufiger und bei entfernteren Freundschaften vor als in Deutschland. Es gibt eine andere Antwort, die das Verhalten noch besser erklärt. Erläuterung zu b): Diese Deutung unterstellt, dass die Griechinnen, denen Herr Schulte am ersten Arbeitstag nach Beginn des Neujahrs begegnet, nur aus Nationalstolz und um die Herzlichkeit der Griechen zu demonstrieren, Herrn Schulte als Ausländer umarmen und küssen. Zweifelsohne sind Griechen sehr stolz auf ihr Land und ihre Jahrtausende alte Kulturtradition. Gerade deshalb haben sie es sicher nicht nötig, gegenüber Herrn Schulte als Ausländer und Deutschem eine solche Demonstration zu veranstalten. Entsprechend der Fallschilderung waren Umarmungen und das Küssen viel zu spontan, um als »Demonstration« interpretiert zu werden. Erläuterung zu c): Die Antwort erklärt die Situation nicht vollständig. Herr Schulte ist zwar bestimmt ein netter Kollege, trotzdem würden die Griechinnen dasselbe Verhalten auch bei einem Kollegen zeigen, der ihnen noch fremd ist oder nicht derart sympathisch. Erläuterung zu d): Herr Schulte ist zu einem Zeitpunkt in der Arbeit erschienen, an dem viel zusammenkam: Gute Wünsche und Glückwünsche sind in Griechenland eine große Tradition, vor allem zu besonderen Anlässen wie Namenstagen, kirchlichen Festen oder eben Neujahr. Dabei geht es häufig herzlicher zu als in Deutschland üblich, wozu auch Körperkontakt gehört. Die Umarmungen und Küsschen sind als Ausdruck von Herzlichkeit und aufrichtigen Wünschen zu verstehen. Diese Deutung erklärt die Situation am besten. 121 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Lösungsstrategie Herr Schulte ist in dieser Situation überrumpelt von der Herzlichkeit und dem damit verbundenen Körperkontakt der Griechinnen. Auch wenn er es im ersten Moment vielleicht als aufdringlich empfindet, ist in diesem Moment die emotionale Botschaft, die die Griechinnen senden, entscheidend. Es wäre ein schönes Zeichen, die Glückwünsche zu erwidern – gern auch zu anderen Anlässen – und seine Freude über die guten Wünsche auszudrücken. Wenn ihm der Kontakt zu nah ist, wäre es verletzend, dies auszusprechen. Es wird ihm niemand übelnehmen, wenn er von sich aus keinen Körperkontakt sucht – Deutschen eilt vielerorts stereotyp der Ruf des »verstockten« Deutschen voraus. Wenn er partout nicht gewillt ist, die Umarmungen über sich ergehen zu lassen, sollte er auf subtile Art und Weise seine Zurückhaltung zeigen. Dies können körperliche Signale während der Umarmung sein, indem er bei seinen Wünschen dem Gegenüber die Hand entgegenstreckt oder etwa nur den Oberarm berührt. Herr Schulte sollte sich bewusst sein, dass für die Griechinnen der Körperkontakt als ganz normal empfunden wird. Wehrt Herr Schulte diesen ab, um zu seinem »normalen« und gewohnten Maß an Körpernähe zu gelangen, werden die Griechinnen dies als Zurückweisung empfinden.

Beispiel 20: Sparen auf die Operation Situation Frau Martin ist seit sieben Jahren bei einem deutschen Speditionsunternehmen in Athen beschäftigt. Sie hat es in ihrer Zeit mehrmals erlebt, dass die griechischen Kollegen gemeinsam Geld sammeln, wenn ein Kollege das Geld für die dringende Operation eines Familienmitglieds nicht aufbringen kann. Dabei schließen sich einige Kollegen zusammen und bitten die anderen Mitarbeiter – die Zustimmung des betroffenen Kollegen vorausgesetzt – um eine Spende. Frau Martin findet den großen Einsatz erstaun122 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

lich. Auch die Diskretion, mit der die Kollegen dabei vorgehen, überrascht sie. Was steckt hinter dem Verhalten der griechischen Kollegen? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) In Griechenland wird nicht zwischen beruflich und privat getrennt. Arbeitskollegen haben den Stellenwert von Familienmitgliedern und da der Zusammenhalt in der Familie sehr groß ist, ist es in gleichem Maß auch der unter Kollegen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Das griechische Gesundheitssystem ist sehr schwach ausgebaut und die Versicherung übernimmt kaum Kosten für ihre Mitglieder. Dass die Kollegen sich unterstützen, ist deshalb üblich und dient als private Krankenversicherung. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Hilfsbereitschaft und Solidarität sind in Griechenland ganz selbstverständliche Tugenden, die aus Sicht der Kollegen keiner besonderen Erwähnung bedürfen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Die übliche Krankenversicherung in Griechenland bezahlt nur einen Minimalbetrag auch für Operationen. Wer etwas auf sich hält, lässt sich als Privatpatient behandeln und operieren, und das kostet sehr viel Geld. Um sich diesen Luxus leisten zu können, wird schon einmal die Hilfe der Kollegen in Anspruch genommen. 123 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Wie in vielen anderen Situationen bereits deutlich wurde, gibt es zahllose Überschneidungen zwischen Arbeitswelt und Privatleben im griechischen Alltag. Dass die griechischen Kollegen sich für das Familienmitglied verantwortlich fühlen, wird sicherlich bestärkt durch die Tatsache, dass sie es kennen und der Familie näherstehen, als dies in Deutschland meist üblich ist. Trotzdem trifft die Antwort nur teilweise zu. Die Unterstützung des Kollegen würde ähnlich ausfallen, wenn der Kollege ein entfernterer Bekannter wäre. Erläuterung zu b): Diese Antwort stimmt, was die Versorgungsleistungen des griechischen Gesundheitssystems betrifft. Private Aufwendungen sind bei Operationen, aber auch bei gewöhnlichen Arztbesuchen oft notwendig. Sicherlich hat dies die gegenseitige Unterstützung begünstigt, dahinter steht jedoch eine Grundüberzeugung, die in dieser Deutung zu kurz kommt. Erläuterung zu c): Verstärkt durch das vielerorts geforderte fakelaki, finanzielle Zuwendungen an Ärzte und Pfleger, ist die monetäre Belastung durch Krankheit für die Familie groß. Die griechischen Kollegen können eine solche Situation gut nachfühlen. Solidarität und grundsätzlich menschenfreundliches Verhalten in Notsituationen wird generell erwartet und gelebt. Diese Deutung erklärt die 124 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Situation am besten, da die diskrete Unterstützung des Kollegen schlicht als Akt der Menschlichkeit gewertet wird. Erläuterung zu d): Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein Patient eine teure »Luxusoperation« leistet, selbst dann, wenn sie nicht aus dem eigenen Budget bezahlen kann. Es ist aber auch in Griechenland höchst unwahrscheinlich, dass er in diesem Fall darauf spekuliert, dass seine Kollegen ihm finanziell unter die Arme greifen, denn damit würde er sich vor allen blamieren. Die Situationsschilderung legt außerdem nahe, dass die Kollegen diese Sammelaktion freiwillig starten und das nur, wenn sie sicher sind, dass sie damit eine offensichtliche Notlage beheben können. Lösungsstrategie Frau Martin ist von der großen Solidarität mit der Familie des Kollegen überrascht. Nach ihren Erwartungen ist das Bezahlen der Operation private Aufgabe der Familie und kein öffentliches Thema. Dass die griechischen Kollegen eine Spendensammlung für die Operation eröffnen, liegt an deren Verständnis von Hilfsbereitschaft, die verstärkt wird durch das griechische Gesundheitssystem, weiter geht und auch vor Kollegen nicht Halt macht. Frau Martin kann, wenn sie das will, einen Beitrag für die Operation geben. Dies würde die griechischen Kollegen sicherlich sehr freuen und sie macht sich damit zum Teil der Solidargemeinschaft. Wichtig ist es, dabei sehr diskret vorzugehen, den betroffenen Kollegen nicht darauf anzusprechen und die Würde aller Beteiligten zu wahren. Die griechischen Mitarbeiter würden auf der anderen Seite keinen Beitrag von Frau Martin als Deutsche und damit Außenstehende (zumindest des Gesundheitssystems) erwarten. Sie werden vielleicht auf ihr Angebot zu spenden reagieren, indem sie dankend ablehnen, sie brauche doch nicht zahlen. Dies ist jedoch eher als höfliche Floskel zu verstehen denn als Ablehnung. Frau Martin hat hier die Chance auf den Einblick in die täglichen Nöte und Sorgen ihrer Mitarbeiter, wenn sie sich dabei behutsam und aufmerksam solidarisch zeigt. 125 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Beispiel 21: In der Taverne auf Korfu Situation Herr Schwarz lebt seit eineinhalb Jahren in Athen und ist als kaufmännischer Leiter in einem deutschen Unternehmen der Automobilbranche angestellt. Herr Schwarz und sein griechischer Kollege besuchen Herrn Vasiliádis, einen griechischen Kunden, auf der Insel Korfu. Herrn Vasiliádis geht es finanziell sehr schlecht, aus diesem Grund sucht Herr Schwarz ihn auf. Nachdem sie das Geschäftliche besprochen haben und Herr Vasiliádis ihnen die Stadt gezeigt hat, sagt er, dass sie nun noch etwas essen gehen. Herr Schwarz antwortet, dass sie das sehr gern machen, aber dass sie Herrn Vasiliádis einladen. Dieser erwidert, dass sie das dann sehen werden. Herr Vasiliádis führt sie in eine Taverne, die er sehr schätzt. Da Herr Schwarz sein Versprechen einhalten will, geht er gegen Ende des Essens zur Bedienung und will bezahlen. Als Herr Vasiliádis das mitbekommt, wird er sehr aufgeregt und redet auf die Bedienung ein, dass er derjenige ist, der bezahlt. Herr Schwarz gibt nach und ist überrascht, wie wichtig es Herrn Vasiliádis ist, die Rechnung zu bezahlen. Was steckt hinter Herrn Vasiliádis’ Verhalten? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen. Deutungen a) Herr Vasiliádis will sich mit dem Essen für die Unterstützung in den schlechten Zeiten bedanken. Es ist ihm sehr wichtig, dass diese Dankbarkeit Herrn Schwarz erreicht, deshalb beharrt er darauf zu zahlen. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

126 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

nicht zutreffend

b) Für Herrn Vasiliádis wäre es eine Ehre, Herrn Schwarz einladen zu dürfen. Als Gastgeber auf der Insel ist es für ihn selbstverständlich zu zahlen. Dass Herr Schwarz dies ablehnt, empfindet er als Beleidigung. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) In Griechenland ist es üblich, dass derjenige, der bezahlt auch als Oberhaupt des Treffens gilt. Herr Vasiliádis möchte Herrn Schwarz zeigen, dass er – zumindest an diesem Tag – das Heft in der Hand hält. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Dadurch, dass Herr Schwarz mehrmals darauf zurückkommt, dass er für Herrn Vasiliádis zahlen möchte, weist er auch immer wieder auf dessen finanzielle Probleme hin. Für Herrn Vasiliádis stellt dies einen Gesichtsverlust dar, was seine emotionale Reaktion erklärt. sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

– Versuchen Sie, Ihre Einstufung jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen.

Bedeutungen Erläuterung zu a): Eine Essenseinladung wäre zwar eine gute Gelegenheit, seine Dankbarkeit zu zeigen, trotzdem trifft diese Antwort nicht zu. Eine andere Antwort erklärt besser, wieso Herr Vasiliádis derart auf seiner Position beharrt. 127 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Erläuterung zu b): Gastfreundschaft hat in Griechenland einen sehr hohen Stellenwert und ist gleichzeitig Pflicht und Privileg. Diese Antwort ist richtig. Als Gastgeber kann man seine Großzügigkeit ausleben und für das Wohl seiner Gäste sorgen, indem man beispielsweise eine große Auswahl und Menge an Gerichten bestellt und bezahlt. Bezahlt der Gast, bedeutet das einen Gesichtsverlust für Herrn Vasiliádis. Erläuterung zu c): Diese Antwort trifft teilweise zu. Der Gastgeber hat tatsächlich Rechte und Pflichten eines Oberhaupts. So entscheidet er über das Essen, bestellt für alle und hat für das Wohl der Gäste zu sorgen. Diese Rolle hat er – unabhängig von der Bezahlung – während des Essens jedoch bereits wahrgenommen, indem er beispielsweise die Lokalität ausgewählt hat. Herrn Vasiliádis’ Verhalten wird durch eine andere Antwort umfassender erklärt. Erläuterung zu d): Diese Antwort erklärt gut Herrn Vasiliádis’ emotionale Reaktion, denn die Ablehnung der Einladung durch Herrn Schwarz stellt für Herrn Vasiliádis wirklich eine Art von Gesichtsverlust dar. Dies hat aber andere Gründe als in der Antwort dargelegt. Herr Vasiliádis fühlt sich nicht an seine eigenen Probleme erinnert.

Lösungsstrategie Herr Schwarz besucht Herrn Vasiliádis, von dem er weiß, dass es ihm finanziell nicht gut geht. Er entscheidet für sich: Herr Vasiliádis ist bedürftiger als ich, also werde ich die Rechnung selbstverständlich übernehmen. Für Herrn Vasiliádis ist die Situation anders gelagert: Gastfreundschaft geht für ihn weit über das Begleichen der Rechnung hinaus. Für ihn ist es eine Ehre und große Freude, seinen Gast einzuladen. Bezahlt Herr Schwarz die Rechnung, nimmt er Herrn Vasiliádis dabei die Freude und greift ihn auch in seiner Ehre an. Sicherlich ist es ein wohlmeinendes Zeichen, zahlen zu wollen, damit zeigt er seinen guten Willen. Lehnt Herr Vasiliádis das jedoch wie 128 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

im geschilderten Beispiel ab, muss Herr Schwarz die Einladung annehmen, sich herzlich dafür bedanken und das Essen genießen. Herr Vasiliádis wird sich über seine Gastgeberrolle freuen und darüber, Herrn Schwarz seine Insel und sein Lokal gezeigt zu haben. Diese Freude ist ihm mehr wert als das gezahlte Geld. Möchte Herr Schwarz dies nicht ohne Gegenleistung annehmen, kann er eine Gegeneinladung aussprechen und bei der nächsten Gelegenheit das Zahlen übernehmen. Über die Einladung von Herrn Vasiliádis bei diesem Mal sollte er sich jedoch freuen und geehrt fühlen.

Kulturelle Verankerung von »Philanthropie« Der Begriff »Philanthropie« steht für eine wohlwollende Grundhaltung seinen Mitmenschen gegenüber, die sich in Beziehungen zu griechischen Partnern immer wieder an menschenfreundlichen Handlungen zeigt. Während in deutschen Geschäftsbeziehungen meist das gemeinsame Sachthema, an dem beide interessiert sind, im Vordergrund steht, herrscht in Griechenland ein größeres Interesse an der Person und deren Belange vor. Dies kann für einen Deutschen auf den ersten Blick wie ein Eingriff in die Privatsphäre wirken. Die Kolleginnen und Kollegen werden als eine Art Familie gesehen, für die man einsteht und für deren Leben man sich aufrichtig interessiert. Fehlende Anteilnahme an den Höhen und Tiefen im (»Privat-«)Leben des anderen kann auf der anderen Seite als Gefühlskälte interpretiert werden. Besonders deutlich wird diese andere Vorstellung von Nähe und Distanz bei der Art, wie mit Körperkontakt umgegangen wird, aber auch bei besonderen Anlässen wie beispielsweise Hochzeiten. Hier werden alle Kolleginnen und Kollegen herzlich eingeladen. Alle wollen dem besonderen Moment beiwohnen und nehmen teil. Dabei steht nicht unbedingt immer der Wunsch im Hintergrund, eine engere Beziehung aufzubauen, wie dies in Themenbereich 1 erläutert wurde. Es ist auch in der Interaktion mit völlig Fremden ohne Wunsch, die Beziehung zu vertiefen, zu beobachten. 129 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Das griechische Wort xenos bedeutet sowohl Fremder als auch Gast. Gastfreundschaft ist in Griechenland grundsätzlich oberstes Gebot und eine große Ehre. Der geladene Fremde wird bewirtet und umsorgt. Geht ein Ausländer mit einem Griechen in Griechenland aus, fühlt sich der Grieche automatisch als Gastgeber. Bei Einladungen sorgt der Gastgeber dafür, dass es den Gästen an nichts mangelt, bestellt für alle und verliert Ansehen, wenn bei einem Essen nichts übrig bleibt. Irgendjemand könnte ja noch Hunger haben. Unter Freunden wird für alle gemeinsam bestellt, am Ende wird die Rechnung zu gleichen Teilen zwischen allen aufgeteilt. Die sogenannte »deutsche Methode«, das heißt die Rechnung genau zu teilen, gilt als kleinlich und ist unüblich. Wird ein Ausländer an der Rechnung beteiligt, kann er sich freuen: Er gehört dazu! Die Herzlichkeit gegenüber den Mitmenschen wird besonders augenfällig in Notsituationen: Die Solidarität mit Menschen, die in einer schwierigen Lage sind, ist groß, finanzielle Unterstützung von Kollegen oder Freunden hat keinen Seltenheitswert. Diese privaten Hilfeleistungen entspringen Tugend und Not zugleich: Sie ergänzen das unzureichende Gesundheits- und Sozialsystem Griechenlands. Die Philanthropie lässt sich auf das starke und geschichtlich bedeutsame Wirken der orthodoxen Kirche Griechenlands zurückführen. Seit der Trennung der West- und der Ostkirche 1054 gewann die orthodoxe (= »rechtglaubende« in Abgrenzung zur römisch-katholischen) Kirche, die lange Zeit von Byzanz aus geführt wurde, besonders während der osmanischen Besatzungszeit an Bedeutung für die griechische Identität. Im Osmanischen Reich bekam Griechenland durch die einheitliche Kirche den Status als eigenständige Nation. Dabei vermittelte die Kirche weiterhin neben der Religionsausübung griechische Sprache und Kultur. Auch die Abgrenzung von den muslimischen Osmanen durch die Zugehörigkeit zur christlichen griechisch-orthodoxen Kirche verstärkte das Nationalbewusstsein. Die Liebesethik der orthodoxen Kirchen will, dass sich alle Menschen – ob (orthodoxe) Christen oder nicht – als Brüder ansehen. In der Liturgie der Kirche wurde und wird diese Liebe auch immer wieder durch Gesten und Sätze ausgedrückt. Liebe 130 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

hat hier einen höheren Stellenwert als die in den westlichen Kirchen oft betonte Gerechtigkeit. Besonders das Mönchtum der griechisch-orthodoxen Kirche übernahm während der bewegten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Verantwortung für die verarmte Bevölkerung und versuchte zugunsten der Bedürftigen, Einfluss auf Staat und Politik zu nehmen, was die Gesellschaft bis heute geprägt hat. Die hohe Bedeutung der Gastfreundschaft hat eine noch längere Tradition in Griechenland als die orthodoxe Kirche. Gastfreundschaft war in einem Land, in dem immer schon viel Handel getrieben wurde, bereits in den Jahrhunderten vor Christi Geburt sehr wichtig. Reisende Händler mussten auf ihren Reisen auch an abgelegenen Orten eine Unterkunft finden. Die christliche Lehre der Brüderlichkeit unterstützte diese Einstellung ebenso wie der lange währende osmanische Einfluss. Bis heute ist die griechisch-orthodoxe Kirche ein wichtiger Bestandteil der griechischen Gesellschaft. Griechisch-orthodox ist in der Verfassung von 1975 als vorherrschende Religion genannt, 98 % der Griechinnen und Griechen nennen griechisch-orthodox als zugehörende Konfession und die Zahl der zivil statt kirchlich geschlossenen Ehen beschränkt sich auf unter 5 %. Dies bedeutet zwar nicht, dass alle beim sonntäglichen Gottesdienst zu finden sind, die wichtigen Feierlichkeiten wie Ostern, Taufe und Hochzeit werden allerdings meist in den zahlreichen orthodoxen Kirchen begangen (Auernheimer, 2001; Benz, 1971; Gallas, 2003; Savramis, 1972).

131 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Kurze Zusammenfassung der Kulturstandards

Beziehungsorientierung mit Partikularismus – große Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen und gegenseitige Unterstützung innerhalb des Netzwerks – personalisierte Geschäftsbeziehungen, wobei gegenseitiges Vertrauen die Grundlage für Geschäfte darstellt – partikularistische Handlungsweise, das heißt, Entscheidungen werden je nach Situation und Person getroffen – Flexibilität im Umgang mit Regelsystemen und schriftlichen Vereinbarungen – höherer Stellenwert von mündlicher gegenüber schriftlicher Kommunikation – Diffusion des geschäftlichen und privaten Lebensbereichs Familienorientierung – hoher Stellenwert der Familie und Identifikation des Individuums über Familie – starker Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung innerhalb der Familie – Interesse an Familie des Gegenübers dient als Gesprächsthema zum Beziehungsaufbau Hierarchieorientierung – großer Respekt gegenüber Vorgesetztem, der Verantwortung und Entscheidungsbefugnis innehat 133 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

– Zurückhaltung der Mitarbeiter, die sich darin zeigt, dass diese Anweisungen ausführen, ohne dabei Kritik oder Verbesserungsvorschläge zu äußern – vertikaler Informationsfluss in Unternehmen, wobei der Vorgesetzte als Erster informiert wird, der dann die Informationen weiterleitet und das weitere Vorgehen beschließt – paternalistische Züge des Vorgesetzten, die sich gegenüber Mitarbeitern in Interesse und Sorge um ihr Wohlbefinden äußern Gegenwartsorientierung – Leben im Hier und Jetzt – kurzfristige Planung und flexible Handhabung von Zeitangaben aufgrund der Unberechenbarkeit der Zukunft – polychrones Zeitverständnis, das heißt Bearbeitung von mehreren Aufgaben gleichzeitig je nach Dringlichkeit und Beziehung zum Auftraggeber – Pragmatismus, Improvisationsliebe und großer Einsatz zur (teils unkonventionellen) Lösungsfindung in kürzester Zeit Emotionale Kommunikation – Kommunikation als sozialer Austausch, ohne dabei zwingend konkrete Ziele zu verfolgen – impulsive, laute und lebhafte Gefühlsausdrücke mit starkem Situationsbezug vermitteln Bedeutung eines Themas – Indirektheit in der Kommunikation Ansehen und Ehrgefühl – große Wertschätzung des Ansehens und Ehrgefühls (filotimo) einer Person und deren Familie – positive Bewertung von Stolz und Selbstvertrauen und Nutzung von Gelegenheiten zur positiven Selbstdarstellung – Vermeidung von Bloßstellungen und Bekanntwerden von Misserfolgen in der Öffentlichkeit 134 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Philanthropie – wohlwollende Einstellung und aufrichtiges Interesse gegenüber seinen Mitmenschen, die sich in menschenfreundlichen Verhaltensweisen äußert – Anteilnahme am Leben der Mitmenschen und Herzlichkeit – Hilfe und Solidarität bei Mitmenschen in Notsituation – Gastfreundschaft als oberstes Gebot und große Ehre

135 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Zusammenhangsstruktur der Kulturstandards

Bei der Bearbeitung des Trainings ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass die Kulturstandards teilweise ineinander übergehen. In vielen Situationen wirken mehrere Kulturstandards und werden deswegen in den Antwortalternativen erwähnt. Die geschilderten Situationen sind häufig ziemlich komplex, was erklärt, dass es nicht nur einen möglichen Grund zur Erklärung des Verhaltens des griechischen Interaktionspartners gibt. Je nachdem, welcher Kulturstandard in der Situation am wirksamsten war, wurde die Situation diesem Kulturstandard zugeordnet. Die folgende Abbildung veranschaulicht, welche der Kulturstandards oft miteinander einhergehen. Bestandteil der Philanthropie ist die Gastfreundschaft. Diese steht in Verbindung mit dem Kulturstandard Ansehen und Ehrgefühl, denn die Übernahme der Gastgeberrolle erfüllt die betreffende Person mit Stolz und gibt ihr die Gelegenheit, ihr Ansehen zu vermehren. Da Ansehen und Ehrgefühl nicht nur die einzelne Person, sondern die ganze Familie betreffen, wird hier auch die Familienorientierung wirksam. Jeder ist bemüht, nicht nur sein eigenes Ansehen und Ehrgefühl, sondern das der ganzen Familie zu bewahren und zu vermehren. Dies ist des Weiteren im beruflichen Umfeld möglich. Griechen streben häufig Führungspositionen an, da diese mit sozialem Status und Statussymbolen verbunden sind, die das Ansehen in der Öffentlichkeit stärken. Somit gehen Ansehen und Ehrgefühl und Hierarchieorientierung miteinander einher. Hierarchieorientierung steht weiterhin in Verbindung mit der Familienorientierung, denn in Familien zeichnen sich ähnliche Hierarchiestrukturen ab wie im unternehmerischen Kontext. Äl137 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

teren begegnet man mit viel Respekt und schätzt deren Lebensbzw. Berufserfahrung. Der Vater als Familienoberhaupt wird ähnlich wie der Vorgesetzte respektiert und seine Entscheidungen akzeptiert. In der Familienorientierung kommt auch die Beziehungsorientierung zur Geltung. Die Beziehungen innerhalb der Familie sind sehr eng und vertraut und zeichnen sich durch gegenseitige Unterstützung aus. Bei der Gegenwartsorientierung spielt wiederum Beziehungsorientierung mit Partikularismus eine Rolle. Das Leben im Hier und Jetzt begünstigt das Handeln nach Dringlichkeit. Daneben ist auch die Beziehung zum Auftraggeber entscheidend dafür, ob eine Aufgabe sofort erledigt oder auf später verschoben wird. Außerdem hängen Gegenwartsorientierung und Emotionale Kommunikation zusammen. Letztere ist durch impulsive Gefühlsausdrücke mit starkem Situationsbezug gekennzeichnet. Gefühle werden im Hier und Jetzt gezeigt, um seine momentane Gefühlslage zum Ausdruck zu bringen. Wechselt das Thema oder die Situation, kann sich dementsprechend schnell auch die Gefühlslage und damit verbunden die Kommunikationsart ändern. Philanthropie und Emotionale Kommunikation wirken häufig in ein und derselben Situation, denn der soziale Austausch und die Offenheit der Griechen sind Ausdruck der Herzlichkeit. Durch diese Form der Kommunikation erkundigt man sich nach dem Wohlbefinden des Gegenübers und zeigt Interesse an seiner Person und Anteilnahme an seinem Leben. Hier kommt zudem die Beziehungsorientierung ins Spiel, denn sowohl menschenfreundliches Verhalten als auch Kommunikation in Form von sozialem Austausch dienen Beziehungsaufbau und -pflege. Ist die Beziehung zu einer Person erst einmal aufgebaut, ist diese wiederum durch Solidarität und Hilfsbereitschaft gekennzeichnet. Philanthropie kann als zugrundeliegende Lebenseinstellung aufgefasst werden, die in weite Bereiche des Erlebens und Verhaltens hineinwirkt.

138 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Literatur

Albert, R. (1983). The intercultural sensitizer or cultural assimilator. A cognitive approach. In D. Landis, R. Brislin (Eds.), Handbook of intercultural training. Vol. 2: Issues in training methodology (pp. 186–217). Elmsford, N. Y.: Pergamon. Auernheimer, G. (2001). Griechenland zwischen Tradition und Moderne. Zur politischen Kultur eines europäischen Landes. Athen: Sakkoulas & Nomos. Auswärtiges Amt (2013). Griechenland. Zugriff am 15.07.2013 unter http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/ Laender/Laenderinfos/01-Laender/Griechenland.html Barceló, P. (2004). Kleine griechische Geschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Benz, E. (1971). Geist und Leben der Ostkirche. München: Wilhelm Fink. Cushner, K., Landis, D. (1996). The intercultural sensitizer. In D. Landis, R. S. Bhagat (Eds.), Handbook of intercultural training (2nd ed., pp. 185–202). New Delhi: Sage. Gallas, K. (2003). Kirche und Staat. Griechisch-orthodoxe Religion. In K. Gallas, U. Klemm (Hrsg.), Griechenland. Begegnung mit Landschaft, Kultur und Menschen (S. 259–275) Stuttgart: Konrad Theiss. Giannakopoulos, A. (2012). Aspekte des »Sozialvertrages« in Griechenland: Politischer Klientelismus und die Rolle von Korruption. In B. Balla, W. Dahmen, A. Sterbling (Hrsg.), Korruption, soziales Vertrauen und politische Verwerfungen unter besonderer Berücksichtigung südosteuropäischer Gesellschaften (S. 113–133). Hamburg: Krämer. Giordano, C. (2012). Korruption und personalisiertes Vertrauen. Balkanische und mediterrane Parallelen. In B. Balla, W. Dah139 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

men, A. Sterbling (Hrsg.), Korruption, soziales Vertrauen und politische Verwerfungen unter besonderer Berücksichtigung südosteuropäischer Gesellschaften (S. 57–74). Hamburg: Krämer. Greve, T. P. B. (1993). Planen in Griechenland. Analyse der Eigenarten und Entwicklung regionaler Konzeptionen. Dissertation. Universität Stuttgart. Hösch, E. (2008). Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck. Konstantinou, E. (1998). Die Rezeption der Antike und der europäische Philhellenismus. Frankfurt a. M.: Peter Lang. Korossis, C. (1982). Zur Struktur der griechischen Familie im Wandel der Zeit. Dissertation. Universität Köln. Lacey, W. K. (1983). Die Familie im Antiken Griechenland. Mainz: Philipp von Zabern. Lymperopoulos, L. (2012). Kurze Geschichte Neugriechenlands. Aus Politik und Zeitgeschichte, 62, 23–30. Mandl, H., Prenzel, M., Gräsel, C. (1992). Das Problem des Lerntransfers in der betrieblichen Weiterbildung. Unterrichtswissenschaft, 2, 126–143. Maras, K. (2012). Philhellenismus. Eine Frühform Europäischer Integration. Würzburg: Königshausen & Neumann. Papoulia, F. M. (2009). Griechen. In Roth, H. (Hrsg.), Studienhandbuch Östliches Europa. Bd. 1: Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas (2. Aufl.). Köln: Böhlau. Richter, H. (2012). Politische Kultur in Griechenland. Aus Politik und Zeitgeschichte, 62, 30–36. Savramis, D. (1972). Ostkirche. In D. Savramis (Hrsg.), Religionen. Düsseldorf u. Wien: Econ. Schroll-Machl, S. (2013). Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Sun Tsu (1997). Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft – die Kunst der richtigen Strategie. Freiburg: Bauer Verlag. Thomas, A. (2009). Interkulturelles Training. Gruppendynamik & Organisationsberatung, 2, 128–152. Thomas, A. (2011a). Interkulturelle Handlungskompetenz. Ver140 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

siert, angemessen und erfolgreich im internationalen Geschäft. Wiesbaden: Gabler/Springer. Thomas, A. (2011b). Das Kulturstandardkonzept. In W. Dreyer, U. Hößler (Hrsg.), Perspektiven interkultureller Kompetenz (S. 97–124). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Thomas, A., Kinast, E.-U., Schroll-Machl, S. (2005). Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Bd. 1: Grundlagen und Praxisfelder (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. UNICEF Office of Research (2013). Child well-being in rich countries: A comparative overview. Innocenti Report Card 11. Florenz: UNICEF Office of Research. Utler, A., Thomas, A. (2010). Critical incidents und Kulturstandards. In A. Weidemann, J. Straub, S. Nothnagel (Hrsg.), Wie lernt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Ein Handbuch (S. 317–329). Bielefeld: transcript Verlag. Weithmann, M. W. (1994). Griechenland. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg: Pustet. Welwei, K.-W. (2002). Die griechische Frühzeit: 2000–5000 v. Chr. München: C. H. Beck.

141 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Literaturempfehlungen

Griechenland Überblick über Wirtschaft, Geografie und Kultur: Eichheim, H. (2006). Griechenland (2. akt. und erg. Aufl.). München: C. H. Beck. Land und Leute: Gallas, K., Klemm, U. (Hrsg.) (2003). Griechenland. Begegnung mit Landschaft, Kultur und Menschen. Stuttgart: Konrad Theiss. Geschichte: Weithmann, M. W. (1994). Griechenland. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg: Pustet. Zur Krise: Markaris, P. (2012). Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland. Zürich: Diogenes.

Interkulturelles Thomas, A., Kinast, E.-U., Schroll-Machl, S. (Hrsg.) (2005). Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Bd. 1: Grundlagen und Praxisfelder (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Thomas, A., Kammhuber, S., Schroll-Machl, S. (Hrsg.) (2007). Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Bd. 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 143 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530

Dreyer, W., Hößler, U. (Hrsg.) (2011). Perspektiven interkultureller Kompetenz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schroll-Machl, S. (2013). Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

144 © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525491539 — ISBN E-Book: 9783647491530