Überlegungen zur Entstehung von Vergils Aeneis 9783666252105, 3525252102, 9783525252109


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Überlegungen zur Entstehung von Vergils Aeneis
 9783666252105, 3525252102, 9783525252109

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H Y P O M N E M A T A 113

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 113

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

HANS-CHRISTIAN GÜNTHER

• ·

Überlegungen zur Entstehung von Vergils Aeneis

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Hugh Lloyd-Jones

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Günther, Hans-Christian: Überlegungen zur Entstehung von Vergils Aeneis / Hans-Christian Günther. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Hypomnemata; 113) ISBN 3-525-25210-2 NE: GT

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

AGLIAMICI DI VENEZIA

MARIO CANTILENA LORENA DE FAVERI PAOLO ELEUTERI MARIO GEYMONAT MARINA MOLIN PRADEL CARLO ODO PAVESE

Vorwort Der vorliegende Beitrag ist als ein Parergon meiner Beschäftigung mit den Problemen des Properztextes entstanden. Als mich diese Arbeit wieder zur augusteischen Dichtung führte, ließ mich gerade die Lektüre Vergils auf Schritt und Tritt fühlen, welche Schwierigkeiten der Text auch dieses so reich überlieferten Klassikers immer noch bietet. Das, wie ich glaube, brennende und in der neueren Forschung völlig vernachlässigte Problem der Vergilinterpolation führte mich unweigerlich auf die Fragen des unfertigen Zustands der Aeneis und ihrer Entstehung und posthumen Edition. Je mehr man sich in die ungeheuer umfangreiche ältere Forschung zu letzterem Thema einarbeitet, desto mehr gewinnt man den Eindruck, daß der moderne Agnostizismus bezüglich dieser Fragestellung zu einem guten Teil auf eine prinzipielle Weigerung zurückzuführen ist, diese Forschung noch ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. Neben den unweigerlich zahlreichen Abwegen sind in den maßgeblichen Werken der klassischen Vergilanalyse die Grundlinien vorgegeben, die heute weniger originell Neues als vielmehr eine sinnvolle Sichtung des schon Gesagten erforderlich machen. Ich will mich hier nicht mit langen methodischen Vorbemerkungen aufhalten und verschiebe auch die Würdigung der älteren Forschung im einzelnen lieber auf später. Gerckes bekanntes Buch zur Entstehung der Aeneis ist trotz mancher kluger Einzelbeobachtung insgesamt ein Fehlschlag. Seine nüchterne, geradezu banale methodische Vorbemerkung (vgl. insbesondere S. 6ff.) jedoch möchte ich gerade heute wieder jedem Emstgesinnten zur Lektüre empfehlen. Entstanden ist das Buch hauptsächlich im Sommer vergangenen Jahres in Venedig, wo ich nun schon seit so langer Zeit die großzügigste materielle und persönliche Unterstützung durch die Freunde und Kollegen des dortigen Instituts erfahre. Als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit und Verbundenheit steht die Widmung. Für Ermutigung, Hinweise, Kritik und vielfältige Unterstützung danke ich Prof. Mario Geymonat und Dr. Antonios Rengakos; auch Prof. Sir Hugh Lloyd-Jones muß ich wieder einmal für die Ermutigung und tatkräftige Unterstützung danken, die er mir nun schon seit so vielen Jahren stets entgegenbringt. Besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. E. Leftvre für seine ebenso radikale wie fruchtbare und förderliche Kritik, die mich an so mancher

8

Vorwort

Stelle zu genauerem Nachdenken und präziserer Formulierung gezwungen hat. Weitere Hinweise verdanke ich auch Herrn Prof. Dr. E. Schäfer und Prof. Dr. J. Schmidt. Für Hilfe bei der Bearbeitung des Manuskripts und die Erstellung der Indices danke ich Frl. Lorena De Faveri und Frau Marina Molin Pradel.

Venedig, im März 1995

H.-C. Günther

Inhalt

Die Halbverse des siebten Buches

11

Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

26

Halbverse als Indizien späterer Zusätze

40

Halbverse in lückenhaften Entwürfen

49

Zur Chronologie der Bücher

54

Vergils Arbeitsweise und die Ausgabe des Varius

63

Literaturverzeichnis

85

Indices

89

Namen und Sachen

89

Stellen

91

Die Halbverse des siebten Buches D i e Erforschung der Entstehung der Aeneis ist in neuerer Zeit durch die Monographie von Berres um einen wichtigen Beitrag bereichert worden. Auch w e n n ich manches an Berres' Methode s o w i e seine Ergebnisse im einzelnen für verfehlt halte 1 , so hat seine scharfsinnige Arbeit doch nicht nur das Verdienst, den beruhigenden Frieden der harmonisierenden Vergilinterpretation erheblich gestört zu haben 2 ; Berres hat zu Recht seinen Ausgang v o n den unvollendeten Halbversen, d.h. den unübersehbaren konkreten Spuren der U n f e r t i g k e i t d e s V e r g i l s c h e n W e r k e s 3 , g e n o m m e n und e n e r g i s c h und konsequent versucht, sie als Indizien späterer Einschübe zu verwerten 4 . 1

Ich will im folgenden auf unnötige Polemik verzichten und Berres eher für seine positiven Beiträge zitieren; um meine Kritik auf das Unabdingbare beschränken zu können, schicke ich voraus, daß ich Berres' Versuch, im Anschluß an die Mahnung Büchners (405 = 1427) verwandte Formulierungen in einzelnen vergilschen Versen genetisch zu verwerten, für keiner Widerlegung wert halte (vgl. auch Suerbaum 2,406), und ebensowenig kann ich seine daraus abgeleitete Behauptung von der sukzessiven Entstehung der Aeneis ernst nehmen („if, one should add, it were taken seriously, it would invalidate virtually all writing on the growth of the Aeneid that there has ever been", Horsfall 2, 15; zur Datierung der einzelnen Bücher s. unten S. 54ff.). Ich möchte es jedoch nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß Reichel (376ff.), der mit gutem Grund eine sukzessive Abfassung der Ilias in erzählchronologischer Folge vertritt, auf ein interessantes Indiz der Lexikostatistik verweist (378 Anm. 23): der erstaunlich geringe Anstand der nur an zwei Stellen belegten Iterata (s. F.X. Strasser, Zu den Iterata der frühgriechischen Epik [Beiträge zur Klassischen Philologie 156, Königstein 1984] 66); für Vergil gilt genau das Gegenteil (s. meinen demnächst im Hermes erscheinenden Beitrag zur Vergilinterpolation). Ebenso unglücklich ist Berres' Verfechtung der unseligen Überarbeitungshypothese des vierten Georgicabuches (in neuerer Zeit immerhin noch verteidigt von Jocelyn in: Atti del convegno mondiale di studi su Virgilio [1981], Milano 1984, I 439ff. und Leffevre, WS 20 [1986] 183-192; bezeichnenderweise wird sie selbst von einem der Zuverlässigkeit der antiken Vergilerklärung eher positiv gegenüberstehenden Gelehrten wie Timpanaro abgelehnt; s. Timpanaro 56 Anm. 8, ansonsten s. jetzt die Einleitung zu R.F. Thomas' Kommentar [Cambridge 1988] 13ff.; zur Struktur der Bugonie-Passage vgl. auch Horsfall in der Einleitung zu A. Biottis neuem Kommentar zum vierten Buch [Bologna 1994] 24ff. und Biotti zu 315-558 [S. 248f.]). Leider hat er auch gerade das Verfehlte in seiner in vielem durchaus verdienstvollen Analyse der Halbverse (s. dazu unten S. 23 Anm. 40) in einem neueren Beitrag (Vergil und die Helenaszene [Heidelberg 1992]) in unfruchtbarer Weise weiterentwickelt, den ich im folgenden unberücksichtigt lasse. Trotz aller schweren Bedenken überwiegt jedoch der positive Beitrag von Berres' Arbeit und stellt einen durchaus schätzenswerten Stimulus für die moderne Vergilanalyse dar. 2

Gute methodische Diskussion bei Berres 25Iff. Auch in neuster Zeit wird im Anschluß an das Standardwerk Sparrows noch vereinzelt die Ansicht vertreten, die unvollständigen Halbverse könnten zumindest teilweise von Vergil 3

12

Die Halbverse des siebten Buches

Grundsätzlich wäre es gewiß denkbar, daß Vergil in einem ersten Durchgang durch den Text Verse zunächst unvollendet gelassen hat, wie die antiken Nachrichten über seine Arbeitsweise nahezulegen scheinen 5 . Ein derartiges Vorgehen läßt sich auch in der Tat anderswo gut belegen; ich verweise hier nur auf die unvollendet hinterlassenen Werke von Solomos (Κρητικός,'Ελεύθεροι Πολιορκημένοι, Πορφύρας 6 ), die aus einer Serie von mit zahlreichen unvollständigen Versen durchsetzten Entwürfen bestehen, Schillers Dramenfragmente oder auf Hölderlins Empedoklesdramen und fragmentarische Gedichte. Freilich zeigt gerade der Vergleich des Textbefundes in der Aeneis mit den unvollendeten Versen bei Solomos, Schiller oder Hölderlin, daß der Hintergrund der Vergilschen Halbverse im allgemeinen ein anderer ist. Läßt der Dichter bei einem ersten Durchgang Lücken, wo er um das passende Wort oder die passende Phrase verlegen ist, so führt dies nicht unbedingt zum Fehlen des Versendes, sondern zu Lücken intendiert gewesen sein (s. etwa Geymonat 287), und in der Tat mag man trotz des Fehlens echter Parallelen für eine derartige Technik (vgl. Peases konzisen Überblick über die Halbverstheorien der älteren Forschung zu IV 44; neuerdings auch Baldwin, SO 68 [1993] 144ff.) eine Neuerung Vergils vielleicht nicht a priori ausschließen können. Angesichts der Tatsache, daß zumindest Halbverse wie etwa III 340 gewiß als unvollständig angesehen werden müssen, kann eine derartig revolutionäre Neuerung jedoch nicht einfach daraus erschlossen werden, daß einige Halbverse manchem an ihrer Stelle wirkungsvoll scheinen mögen („It must also be said that the fact that hemistichs were not intended to be permanent is not necessarily incompatible with a modern response which may find some of them effective", Gransden S. 48; vgl. auch die vernünftige Argumentation Crumps 8ff.). Zumindest müßten die Verfechter dieser Interpretation objektiv nachvollziehbare Kriterien zu entwickeln suchen, an welchen Stellen und zu welchem Zweck Vergil unvollständige Verse zugelassen hat. Sparrow 41 leistet dies nicht, und mir jedenfalls fällt es schwer, die sentimentalen Ergüsse mancher Vergilkommentatoren zu einzelnen angeblich eindrucksvollen Halbversen nachzuvollziehen. Wenn die Halbverse eine bewußte Neuerung darstellten, würde man gewiß auch eine größere metrische Einförmigkeit erwarten (zur metrischen Struktur der Halbverse s. Sparrow 27). 4 „Es hat sich gezeigt, daß die Halbverse, die trotz umfangreicher Literatur nie tiefgreifend bearbeitet und als Randerscheinung oft auch vernachlässigt wurden, offenkundiges Zeugnis sind für den stark überarbeiteten Zustand der Aeneis. Jede Aeneisanalyse hätte von hier ihren Anfang nehmen müssen" (Berres 106). Dies ist ein richtiger methodischer Ansatz. Berres' (VIII) hartes Urteil über die ältere Forschung ist freilich durch nichts gerechtfertigt. Gegenüber dem wichtigen Werk Cartaults, der tüchtigen und höchst verdienstlichen Dissertation Walters und auch dem trotz einer gewissen Oberflächlichkeit insgesamt doch äußerst klugen Sparrow stellt Berres geradezu einen Rückschritt dar (s. unten S. 23 Anm. 40). Gute Einzelbeobachtungen auch allenthalben bei Mackail. 5 Zu den antiken Berichten über Vergils Arbeitsweise s. unten S. 63ff. 6 Weitere Fragmente im Anhang ('Επίμετρο, S. 239ff.) des zweiten Bandes der Gesamtausgabe von L. Politis (Athen 1955, mehrfach nachgedruckt); vgl. auch id., Διωνισίου Σωλομοΰ αυτόγραφα εργα (Thessaloniki 1964).

Die Halbverse des siebten Buches

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an jeder beliebigen Stelle des Verses. Insbesondere führt dieses Verfahren zu zahlreichen auch syntaktisch unvollständigen Versen, und genau dieses Bild bieten die unvollständigen Verse bei Solomos, Hölderlin und Schiller7. Bei Vergil hingegen fehlt stets das Versende, und es ist auch wohlbekannt, daß fast alle der immerhin 58 Halbverse in Vergil syntaktisch vollständig sind, wobei der syntaktische Einschnitt fast immer nach dem Halbvers eintritt und zumeist nicht einmal eine grobe inhaltliche Lücke entsteht8. Nun könnte der Textbefund in der Aeneis natürlich u.U. von der Politik der posthumen Ausgabe bestimmt sein, und bis zu einem gewissen Grade dürfte dies auch tatsächlich der Fall sein. Wir werden weiter unten (S. 77ff.) noch darauf zu sprechen kommen. In einzelnen Fällen ist es sicher denkbar und plausibel, daß ein unvollendeter Halbvers einen lückenhaften Erstentwurf Vergils bezeugt, zunächst einmal weist der Textbefund jedoch prima facie auf eine andere Erklärung, und eine Prüfung der einzelnen Passagen wird zeigen, daß lückenhafte Ausarbeitung eindeutig nicht die Ursache für die Mehrzahl der unvollendeten Verse ist. Selbst dort, wo wir tatsächlich mit einer lückenhaften Ausführung eines Textentwurfes durch Vergil rechnen müssen, liegen zumeist spezifische Bedingungen vor, die auf sukzessive Stadien in der Ausarbeitung 7

Zur Evidenz bei Solomös vgl. S. 197ff. des ersten Bandes der Gesamtausgabe von Politis (Athen 1948, mehrfach nachgedruckt). Beispiele für syntaktisch grob unvollständige Verse etwa Κρητικός 22.45,49; fehlender Versanfang etwa ΕΠ 5. 1, in Politis' Apparat S. 215; Lücke in der Versmitte etwa im Apparat zu ΕΠ 3 (S. 213). Weitere Beispiele finden sich in Politis' kritischem Anhang (Σημίιώσεις) zu Εις τό θάνατο τοϋ Λόρδ Μπάιρον S. 345, zum Λαμπρός S. 352f. und zu ΕΠ S. 355, und zahlreich im Anhang des zweiten Bandes (s. die vorige Anmerkung). Zu Hölderlin vgl. e.g. Vv. 1363,1576,1592 der ersten Fassung des Empedokles oder die zahlreichen unvollendeten Gedichte und Entwürfe in Bd. 2 der Beissnerschen Ausgabe. Beispiele aus Schiller finden sich in den Bänden 11 (Demetrius) und 12 (Dramatische Fragmente) der Schiller-Nationalausgabe (Weimar 1971 bzw. 1982). Lehrreich im Vergleich mit Vergil ist im übrigen in vieler Hinsicht ein Blick auf die Entstehung von Goethes Achilleis (vgl. auch unten S. 66 Anm. 181), wo wir in der auf Goethes Diktat von seinem Sekretär Geist geschriebenen Erstfassung (H a in der Akademieausgabe [Bd. 9, 2; Berlin 1963]) einige später von Goethe (G^ und G c ) ergänzte Lücken vorfinden (vgl. dort S. 307ff.; vgl. neuerdings auch E. Dreisbach, Goethes „Achilleis" [Beiträge zur Neueren Literaturgeschichte 130, Heidelberg 1994] 39ff.). V. 34 liegt in der Tat ein den Halbversen in der Aeneis strikt paralleler Fall vor; hier wird der Vers einfach von G^ aufgefüllt. In V. 50-1 fehlt im Erstentwurf wieder das Versende von V. 50; doch geht im Gegensatz zu den meisten Halbversen in der Aeneis der Satz über die Lücke hinweg, und Goethes Ergänzung von 50 ändert zugleich den Anfang von 51. Mit Vv. 73 und 259f. werden auch ganze Verse zugesetzt; 145f. wird ein Vers in H a von G c durch zwei neue ersetzt. 225f. sind zwar ebenfalls syntaktisch vollständig doch fehlt in H a jetzt der Beginn von 226, und die Ergänzung G c ' s in 226 greift auch in den Text von 225 ein. 8

S. die Übersicht bei Goold 150ff. = 109ff.; Verzeichnis der Halbverse etwa auch bei Berrcs 332; vgl. auch meine Listen unten S. 40ff. und 49.

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Die Halbverse des siebten Buches

weisen (s. unten S. 77ff.). Da in der neueren Forschung, insbesondere auch in maßgeblichen Vergilkommentaren immer noch vielfach die naive Ansicht perpetuiert wird, Vergil habe mit den unvollständigen Halbversen einfach Lücken gelassen, die er später auszufüllen gedachte 9 , ist es ein nicht zu unterschätzendes Verdienst der Arbeit von Berres, entschieden dagegen argumentiert zu haben. Nun ist freilich in der recht umfangreichen älteren Forschung zu den unvollendeten Halbversen inzwischen doch ein Stand erreicht, bei dem m.E. die korrekte Erklärung des Sachverhalts für die meisten Fälle bereits von irgend jemandem gefunden ist 10 , und ich glaube, daß mit einigen wenigen Präzisierungen und Zusätzen eine umfassende Überschau möglich ist. Zunächst scheint es freilich sinnvoll, von der Diskussion einiger Einzelstellen auszugehen, um einen Einstieg in die Problematik zu gewinnen. Einen guten Eindruck von den verschiedenen Ursachen für unvollendete Verse in Vergils Epos vermittelt ein Blick auf die Halbverse des siebten Buches, die ich hier zunächst einmal kurz besprechen will, auch wenn meine Diskussion kaum über das in der älteren Forschung bereits Gesagte hinausgeht. Im siebten Buch finden sich nebeneinander eine Reihe von besonders deutlichen Fällen für die verschiedenen Entstehungsursachen für unvollendete Verse; außerdem wird es sich im Verlauf der Untersuchung auch zeigen, daß die unvollendeten Halbversen nicht nur hinsichdich ihrer Anzahl, sondern auch hinsichtlich ihrer Ursache durchaus ungleichmäßig auf die verschiedenen Bücher der Aeneis 9 Besonders simplizistisch etwa Eden zu VIII41 oder auch (unter Berufung auf die antiken Nachrichten) ein so hervorragender Kenner wie W.A. Camps, An Introduction to Vergil's Aeneid (Oxford 1969) 129; doch selbst Austin, dessen Kommentare zur Natur der Halbverse der Wahrheit recht nahe kommen, drückt sich seltsam unklar aus; so etwa zu II 66: „some (sc. half-lines) look as if Virgil had not yet found exactly what he wanted to complete them (e.g. 346, 614, 640, 757), others support a completed run of thought that he has not yet integrated with the context (e.g. 233, 468, 623, 720)." Verständlicher äußert er sich immerhin zu IV 44, wo er im Anschluß an Mackail (S. lif.) die verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten für Halbverse folgendermaßen zusammenfaßt: „1) few can be detached, forming notes at the beginning or end of a speech (e.g. V 653, IX 295), 2) a few others, though not resembling such notes, could be easily removed without any obvious gap resulting (e.g. 503 'ergo iussa parat'), and a somewhat greater number form part of a line and a half which could be similarly detached (e.g. 515-16), the rest, by far the majority, are part of the structure and could not be removed without breaking the sense or the connection (here, germanique minas is needed to explain the previous line)." Sobald man Ablösungen von mehr als anderthalb Versen ins Auge faßt, wird die zweite Gruppe auf Kosten der dritten die größte. Recht umsichtig in der Beurteilung der Halbverse verfährt im übrigen der neue Kommentar zum zehnten Buch von Harrison. 10 Insbesondere Cartault, Walter und Sparrow haben oft das Richtige erkannt (s. unten S. 22f.).

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Die Halbverse des siebten Buches

verteilt sind, und wir werden daraus noch die entsprechenden Schlüsse ziehen (s. unten S. 58f.). Beginnen wir mit einem besonders eindeutigen Fall eines nicht integrierten, ja überhaupt nicht integrierbaren Zusatzes in der Aeneis, VII 698ff.: ibant aequati numero regemque canebant: ceu quondam niuei liquida inter nubila cycni cum sese e pastu referunt et longa canoros dant per colla modos, sonat amnis et Asia longe pulsa palus. nec quisquam aeratas acies examine tanto misceri putet, aeriam sed gurgite ab alto urgeri uolucrum raucarum ad litora nubem.

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Hier gibt sich der Vergleich 699-702 eindeutig als späterer Zusatz zu erkennen, da er neben 703-5 überhaupt nicht stehen kann 11 . 699-702 ist zweifelsohne eine Ersatzfassung für 703-5; offenbar hat sich der Dichter später entschlossen, statt 704bf.(nach A.R. IV 238ff. 12 ) einen regelrechten Vergleich (in Anlehnung an Horn. II. II 459ff. 13 und A.R. IV 1300ff. 14 ) einzuführen 15 , den er jedoch nicht mehr bis zu Ende ausgeführt hat16. Die hier zu beobachtende Verbindung von Halbvers und Dublette kann bei vorurteilsloser Betrachtung nur die Annahme nahelegen, daß der Halbvers hier 11 Diese in der Forschung seit Cartault (561 Anm. 4, vgl. auch Walter 56) bekannte und allgemein akzeptierte Tatsache (vgl. etwa Fordyce ad loc.) hat Berres (97ff.) mit Argumenten zu erschüttern gesucht, die kaum im einzelnen widerlegt werden müssen. 12 ούδέ κε φαίηο/ TÖCCOV νηίτην ο τ ό λ ο ν εμμεναι. ό λ λ ' οιωνών/ ίλαδόν α ο π ε τ ο ν εθνοο έπιβρομεειν π£λάγεccιv. Zu einer möglichen ennanischen Zwischenstufe vgl. S. Wiemer, Ennianischer Einfluß in Vergils Aeneis VII-XII (Diss. Greifswald 1933) 34. 13 τ ω ν 6' coc τ' όρνίθων πετεηνών ϊθνεα π ο λ λ ά , / χηνών η γ ε ρ ά ν ω ν η κύκνων δουλιχοδείρων./ Άςίωι έν λειμώνι. Καυοτρίου άμφΐ ρέεθρα./ ενθα και ενθα π ο τ ώ ν τ α ι ά γ α λ λ ό μ ε ν α τ τ τ ε ρ ΰ γ ε ς α . / κ λ α γ γ η δ ό ν προκαθιζόντων, ςμαραγεΐ δέ τε λειμών./ coc κτλ. Vgl. auch//. III 1-7 (αύτσρ έπε'ι κόομηθεν αμ' ήγεμόνεοαν έκαςτοι,/ Τρώεο μέν κλαγγηι τ' ένοπήι τ' ϊοαν. όρνιθες ώο./ ήύτε π ε ρ κ λ α γ γ ή γ ε ρ ά ν ω ν πέλει ούρανόθι π ρ ό . / αϊ τ' έπε'ι οδν χειμώνα φ ύ γ ο ν και ά θ έ ο φ α τ ο ν ό'μβρον./ κ λ α γ γ η ι ταί γ ε π έ τ ο ν τ α ι έττ' ΌκεανοΤο £ ο ά ω ν . / άνδράοι Πυγμαίοιοι φ ό ν ο ν καϊ κήρα φέρουοαι:/ ήέριαι δ' δρα ταί γ ε κακήν έριδα προφέρονται); vgl. Knauer 1 , 4 0 2 . 14 η δτε καλά νάοντοο έπ' όφρύοι Πακτωλοϊο/ κύκνοι κινήοωοι έόν μέλοο, άμφΐ δέ λειμών/ έροήειο βρέμεται ποταμοΐό τε καλά φέεθρα. 15

Heyne (ad loc.) weist zu Recht auf die starke Komprimierung des Gedankens in 704f. hin, die an andere wenig ausgearbeiteten Partien erinnert; vgl. dazu unten S. 19 Anm. 32. 16 Vgl. auch M. Hügi, Vergils Aeneis und die hellenistische Dichtung (Diss. Bern 1951) 32 und Rieks 1045f.

16

Die Halbverse des siebten Buches

das Ende einer nicht voll ausgearbeiteten Partie bezeichnet, die mit in den ursprünglichen Text aufgenommen wurde. Die Verse beweisen zudem, daß Varius 17 gelegentlich auch konkurrierende Textfassungen aufgenommen hat, jedenfalls dann, wenn sie wie hier das zusammenhängende Lesen des Textes nicht allzusehr stören. Wir werden auf die Methode der posthumen Aeneisedition noch zurückkommen. Jedenfalls muß die Frage der Halbverse in der Aeneis ebensosehr unter dem Aspekt der Herstellung der Ausgabe und der physischen Beschaffenheit ihrer handschriftlichen Grundlage wie unter dem der Arbeitsweise des Dichters betrachtet werden (s. unten S. 63ff.). Die soeben behandelte Passage wirft ein neues Licht auf einen in vieler Hinsicht parallelen, freilich weit komplizierteren Fall im zehnten Buch, den ich hier nicht versäumen will zu behandeln, auch wenn dafür eine längerer Passus ausgeschrieben werden muß, X 689ff.: At Iouis interea monitis Mezentius ardens succedit pugnae Teucrosque inuadit ouantis. concurrunt Tyrrhenae acies atque omnibus uni, uni odiisque uiro telisque frequentibus instant, ille (uelut rupes uastum quae prodit in aequor, obuia uentorum furiis expostaque ponto, uim cunctam atque minas perfert caelique marisque ipsa immota manens) prolem Dolichaonis Hebrum sternit humi, cum quo Latagum Palmumque fugacem, sed Latagum saxo atque ingenti fragmine montis occupat os faciemque aduersam, poplite Palmum succiso uolui segnem sinit, armaque Lauso donat habere umeris et uertice figere cristas, nec non Euanthen Phrygium Paridisque Mimanta aequalem comitemque, una quem nocte Theano in lucem genitore18 Amyco dedit et face praegnas Cisseis regina Parim; Paris urbe patema occubat, ignarum Laurens habet ora Mimanta. ac uelut ille Canum morsu de montibus altis actus aper, multos Vesulus quem pinifer annos defendit multosque palus Laurentia silua

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17 Zur alleinigen Verantwortung des Varius für die posthume Ausgabe s. Berres 21ff.; Suerbaum 2,409; Timpanaro 18 Anm. 7. 18 Der Text in 704ff. verdankt seine Herstellung an mehreren Stellen Bentley: 704 genitore] genitori codd.\ Parim; Paris] Parim creat codd. (Geymonat zieht Ellis' creat: Paris vor); pauit sive pascit Bentley] pastus codd:, s. Harrison ad loc.

Die Halbverse des siebten Buches

pauit19 harundinea, postquam inter retia uentum est, substitit infremuitque ferox et inhorruit armos, nec cuiquam irasci propiusue accedere uirtus, sed iaculis tutisque procul clamoribus instant; haud aliter, iustae quibus est Mezentius irae, non ulli est animus stricto concuirere ferro, missilibus longe et uasto clamore lacessunt ille autem impauidus partis cunctatur in omnis dentibus infirendens et tergo decutit hastas.

17 710

715

717f. werden seit Scaliger allgemein nach 713 gestellt, und bereits die Mehrzahl von Mynors Minuskelcodices stellt 716-8 nach 713. Die Untragbarkeit der überlieferten Reihenfolge muß nach den neueren Behandlungen der Stelle durch Courtney (18) und Harrison (ad loc.) gewiß nicht erneut begründet werden. Fraglich scheint mir allerdings, ob der von Scaliger hergestellte Text wirklich befriedigt. Mir scheint die Apodosis zunächst einmal insgesamt unpassend; das tertium comparationis ist Mezentius, nicht seine Gegner20. Außerdem sind 714-6 in der Formulierung anstößig; dabei ist der Bezug quibus (714) - ulli (715) noch das geringste Problem. Schlecht sind die beiden Dative mit esse nebeneinander, umso mehr nach derselben Konstruktion in 712 (nec cuiquam ... uirtus). Im zweiten iustae ... irae ist zudem das qualifizierende Adjektiv störend, wie Nisbet 21 gezeigt 19

Zum Text vgl. die vorige Anm. Auf dem tertium comparationis zu bestehen, mag nach der auch über die Homerforschung hinaus leider als Standardwerk geltenden Arbeit H. Frankels (Die homerischen Gleichnisse [Göttingen 1921]) pedantisch erscheinen. Angesichts des ungeheuren Einflusses dieser Arbeit bis heute (man lese etwa Äußerungen wie die von Rieks 109 Iff. über homerische und vergilsche Gleichnisse) kann ich nur emphatisch auf Jachmanns (Der homerische Schiffskatalog und die Ilias [Köln 1953] 259ff.) vernichtende Kritik verweisen. Eine umfassende systematische (!) Untersuchung der vergilschen Gleichnisse (insbesondere der Doppelgleichnisse) unter formalen Gesichtspunkten, die die von Jachmann gelegten Grundlagen beherzigt, wäre dringend erforderlich und könnte auch für die Aeneisanalyse fruchtbar sein (zu nachträglich eingelegten Gleichnissen vgl. auch unten S. 46, 50 und S. 40f. Anm. 85). Wichtige Vorarbeiten sind die beiden Arbeiten Wests (JRS 59 [1969] 40ff. = ORVAe 429ff.; Philologus 114 [1970] 262ff.; nicht erwähnt in Rieks 101 Iff. eingehendem Forschungsbericht), vgl. auch W.W. Briggs (in Enc. Virg. s.v. 'similitudini'), Harrison (Papers of the Liverpool Latin Seminar 5 [1985] 99ff.), Van den Bergh (Lampas 20 [1987] 265ff.) und R.O.A.M. Lyne (Words and the Poet [Oxford 1989] 63ff.); einen nützlichen Überblick über die moderne Gleichnisforschung zu Homer bis Vergil bietet U. Gärtner, Gehalt und Funktion der Gleichnisse bei Valerius Flaccus [Hermes Einzelschriften 67] 2 Iff.). 20

21

S. Nisbet in AJPh 47 (1926) 259-271.

Die Halbverse des siebten Buches

18

hat, der deshalb einen Genitiv annimmt 22 . Und überhaupt: Was soll der Vergleich mit dem Eber im Netz am Ende der Metzelserie 696ff.? Er scheint eine seltsame Dublette zu dem die Reihe einleitenden Vergleich in 693ff. 23 In einem demnächst im Hermes erscheinenden Aufsatz zur Vergilinterpolation habe ich darauf hingewiesen, daß Störungen der Versordnung u.U. als externe Evidenz für Interpolation in Anspruch genommen werden können, und habe drei Beispiele für dieses Phänomen in der Aeneis behandelt 24 . Ich denke, auch hier weist die Verstellung von 7146 2 5 auf Interpolation. Offenbar hat der Interpolator eine fehlende Apodosis ergänzt. Wahrscheinlich hat er dabei durchaus an 713 anschließen wollen; aus 712 hat er stupiderweise die Dative übernommen. 717f. wollte er streichen. Die Verse 'wiederholen' gewissermaßen das bereits in 711 Gesagte; Streichungen derartiger Pleonasmen lassen sich auch sonst reichlich nachweisen, und ich habe andernorts zahlreiche, darunter auch dokumentarische Fälle zusammengestellt 26 . Mit ac uelut(i) eingeleitete Gleichnisse ohne Apodosis finden sich in der Aeneis auch an drei anderen Stellen 27 ; offenbar hat Vergil zuweilen gerade mit ac uelut(i) eingeleitete, jeweils besonders lange Gleichnisse sich zunächst noch ohne Apodosis notiert, und wir müssen annehmen, daß Varius in diesen Fällen selbst derartig unvollständige Entwürfe in den Text aufgenommen hat. In X 707ff. - und darin liegt die Parallele zu VII 699ff. - haben wir es mit einer Alternativfassung für das Gleichnis in 693ff. zu tun. Offenbar dachte Vergil daran, den ganzen Passus völlig umzugestalten. Varius wollte die jüngere und somit gültigere Fassung nicht ganz missen, auch wenn sie noch zu mangelhaft ausgearbeitet war, um die alte zu ersetzen. So hat er das Stück am Ende der Passage zugesetzt 28 . Genau dasselbe Verfahren können wir im nächsten Fall eines Zusatzes im siebten Buch beobachten. Zwei Passagen des siebten Buches weisen, wenn nicht wie die beiden eben besprochenen Partien auf eine Ersatzfassung, so doch deutlich auf einen späteren Zusatz hin. Zunächst Vv. 239ff.: 22

24

Dagegen zu Recht Hanison (ad loc.). 7 0 2 - 6 stellen im übrigen einen guten Abschluß einer Perikope dar. VI 242 (habet RBy : om. cett. : ante 241 γ ) , V 777 (post 778 Paef), X 79 (ante 78

dht). 25 D i e Passage 707ff. wird im übrigen von Statius zweimal imitiert; beidesmal finden sich nur Anklänge an 712f. (~ Silv. V 442f„ VI 61 lf.), nicht an 714-6. 26 S. Günther 19ff. 27 II 626ff. (s. unten S. 41 Anm. 85, S. 48 Anm. 124 und 129), IV 402ff. (S. 50, 70) und VI 707ff. (41 Anm. 85; dort auch zu Nordens Versuch, die Konstruktion zu rechtfertigen). 28 Zu diesem Verfahren s. unten S. 70ff.

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Die Halbverse des siebten Buches

sed nos fata deum uestras exquirere terras imperiis egere suis, hinc Dardanus ortus, hue repetit iussisque ingentibus urget Apollo Tyrrhenum ad Thybrim et fontis uada sacra Numici. dat tibi praeterea fortunae parua prions munera, reliquias Troia ex ardente reeeptas. hoc pater Anchises auro libabat ad aras, hoc Priami gestamen erat cum iura uocatis more daret populis, seeptrumque sacerque tiaras Iliadumque labor uestes.' Talibus Ilionei dictis etc.

240

245

Der unvermittelte Subjektswechsel in 243 (dat sc. Aeneas) erweist 243-7 als fremden Zusatz (die letzte Erwähnung des Aeneas in 234f. ist fast zehn Verse entfernt 29 ); vor allem sind die Verse überhaupt kein passender Abschluß der Rede, die freilich sehr wohl mit 242 enden konnte. 243-7 sind klärlich ein Nachtrag des Dichters, der offenbar beabsichtigte, das 155 30 erwähnte Geschenkangebot an Latinus nachträglich irgendwo in die Rede einzuschieben, vielleicht nicht einmal unbedingt am Ende. Selbstverständlich setzt die Reaktion des Latinus (251f. und 261 31 ) die Verse voraus 32 ; dennoch zeigt der schließende Halbvers und der mangelnde Anschluß des Passus nach oben, daß Vergil für eine Erwähnung der Geschenke durch Ilioneus nur einen nicht 29 Die Erklärung Conington-Nettleships zur Stelle („The sovereign whose ambassadors they are is easily understood") ist gänzlich unbefriedigend; „the omission of the subject - his leader, for whom he is acting - makes the sentence somewhat abrupt", Fordyce ad loc. Vgl. auch Walter 54. Schon Heyne (ad loc.) empfand den Übergang als 'durum' und betrachtet deshalb 222-242 als nachträgliche Zutat, doch kann 243 keinesfalls glatt an 221 anschließen (praeterea}.). 30 tum satus Anchisa delectos ordine ab omni/ centum oratores augusta ad moenia regis/ ire iubet, ramis uelatos Palladis omnisj donaque ferre uiro pacemque exposcere Teucris (1525). nec purpura regeml picta mouet nec seeptra mouent Priameia tantum ... (251f.); munera nec sperno (261). 32 Ich habe allerdings den Verdacht, daß die gesamte Partie 249ff. noch zahlreiche Spuren mangelnder Vollendung zeigt. Ich weiß nicht, ob Vergil tatsächlich beabsichtigte, das Faunusorakel aus 96ff. zweimal in so kurzem Abstand (255-8 und 270-3) ausführlich zu wiederholen. 255ff. sind zudem ungeschickt formuliert: man erwartet gewiß keinen A.c.I., eher einen indirekten Fragesatz („er überlegte, ob jener etwa..."). Besonders störend ist uocari (256). Der Stil zeigt eine starke Komprimierung, die u.U. ein Zeichen skizzenhafter Komposition sein könnte (s. unten S. 51 Anm. 136). Die Wiederholung intentos uoluens oculos (251) - uoluit sub pectore sortem (254) erscheint mir unschön.

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Die Halbverse des siebten Buches

integrierten Entwurf hinterlassen hat. Das Provisorium wird besonders dadurch deutlich, daß sich der Vers ohne Eingriff in den Wortbestand hier nur schwer vollenden läßt. Varius hat jedenfalls keinen besseren Platz für den Nachtrag gefunden als den am Ende der Rede. Der Fall bietet wiederum interessante Einsichten in die Herstellung der Ausgabe der Aeneis und wird uns im folgenden noch beschäftigen (s. unten S. 70ff.). Doch zunächst ein weiterer Zusatz im siebten Buch (750ff.): Quin et Marruuia uenit de gente sacerdos fronde super galeam et felici comptus oliua Archippi regis missu, fortissimus Umbro, uipereo generi et grauiter spirantibus hydris spargere qui somnos cantuque manuque solebat, mulcebatque iras et morsus arte leuabat. sed non Dardaniae medicari cuspidis ictum eualuit neque eum iuuere in uulnera cantus somniferi et Marsis quaesitae montibus herbae. te nemus Angitiae, uitrea te Fucinus unda, te liquidi fleuere lacus. Ibat et Hippolyt! proles etc.

750

755

760

Wiederum haben wir es mit einem späteren Zusatz am Ende eines Sinnabschnitts zu tun. Ganz abgesehen von der metrischen Unvollständigkeit von 760 würde die plötzliche Apostrophe in dieser so knappen Form einen wenig befriedigenden Abschluß der Vorstellung des Umbro bilden. Man muß die Absicht voraussetzen, nach 760 mit noch einigen Versen fortzufahren. Andererseits könnte die Perikope gewiß mit 758 anstandslos enden. Wiederum dürften 759f. ein flüchtig hingeworfener Entwurf des Dichters für eine Erweiterung der Umbropassage durch eine pathossteigernde Apostrophe sein, die Varius am Ende des Abschnitts mit in den Text aufgenommen hat. Wir werden weiter unten (S. 43) noch weitere Beispiele für derart motivierte Zusätze finden 33 . In denselben Zusammenhang gehört auch die folgende vieldiskutierte Passage vom Anfang des Buches (120ff.): continuo 'salue fatis mihi debita tellus uosque' ait 'o fidi Troiae saluete penates: hic domus, haec patria est. genitor mihi talia namque

120

33 Norden (zu VI 14ff.) weist darauf hin, daß Vergil die Apostrophe insgesamt durchaus sparsam verwendet, in der zweiten Hälfte der Aeneis jedoch deutlich häufiger.

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Die Halbverse des siebten Buches

(nunc repeto) Anchises fatorum arcana reliquit: "cum te, nate, fames ignota ad litora uectum accisis coget dapibus consumere mensas, tum sperare domos defessus, ibique memento prima locare manu molirique aggere tecta." haec erat ilia fames, haec nos suprema manebat exitiis positura modum. quare agite etc.

125

130

Der Text bietet für sich betrachtet, so wie er steht, gewiß keinen Anstoß, doch könnte die Erklärung des Orakels in 128f. ohne weiteres fortbleiben 34 . Nach dem, was wir aus den beiden eben behandelten Beispielen gelernt haben, darf der Halbvers 129 als Indiz dafür gelten, daß 128f. ein späterer Zusatz sind. Der Verdacht, daß Vergil tatsächlich vorhatte, die ganze Stelle umzuschreiben, läßt sich erhärten, wenn man bedenkt, daß die Zuweisung des Tischorakels an Anchises mit der Verkündung des Orakels durch Celaeno im dritten Buch (255ff.) in eklatantem Widerspruch steht. Die Widersprüche zwischen der Verkündigung des Tischorakels im dritten Buch der Aeneis und seiner Darstellung im siebten Buch sind seit Heinzes klassischer Analyse (9Iff.) vieldiskutiert, und Berres (212ff.) hat zulezt die harmonisierenden Interpretationen von Grassmann-Fischer 35 und Büchner (343 = 1365) überzeugend zurückgewiesen 36 . Die weiteren Fälle von Unstimmigkeiten zwischen Buch III und anderen Büchern der Aeneis und die Stellung des ersteren im Gesamtwerk werden uns weiter unten noch beschäftigen (s. unten S. 26ff.). VII 128f. könnten jedenfalls im Rahmen eines ersten Versuches entstanden sein, VII 122ff. mit III 255ff. zu harmonisieren. Zwar scheinen VII 128f. selbst den Widerspruch nicht zu berühren, doch könnten sie u.U. aus einem Entwurf stammen, der VII 122ff. zu ersetzen suchte. 37 Die Absichten des Dichters sind gewiß nicht mit 34

S. Cartault 542 Anm. 1. S. Grassmann-Fischer 39ff. 36 Vgl. auch Thalers (45ff., ähnlich Mackail ad loc.) kluge, doch letztlich nicht überzeugende Argumentation. Selbst wenn man Thalers Interpretation von fatorum arcana reliquit zustimmen könnte, nach Helenus' Versicherung in III 394f. hätte Anchises kaum Wesentliches zum Verständnis der Celaenoprophezeiung hinzufügen können. Thaler zeigt hingegen gut auf, daß Celaenoprophezeiung und Tischorakel insgesamt in VII aufeinander abgestimmt sind. Vergil hätte in einer Endredaktion nur die Zuweisung des Orakels in VII mit III harmonisieren müssen, ansonsten konnte VII neben III ohne weiteres bestehen bleiben; zu Horsfall 1,472 und 3 , 9 9 s. unten S. 27 Anm. 45. 37 Sicherlich vermittelt die Darstellung des Eintritts des Tischorakels in VII den Eindruck, daß die Szene zunächst unter der Voraussetzung allgemeiner Unkenntnis des 35

Die Halbverse des siebten Buches

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genügender Sicherheit nachzuweisen, doch könnte 128f. zur N o t an 121 anschließen. Selbstverständlich müßte man annehmen, daß die eineinhalb Verse nur einen ersten Ansatz darstellen, darauf müßte ein Rückgriff auf die C e l a e n o p r o p h e z e i u n g f o l g e n . Der A n s c h l u ß ist f r e i l i c h nicht recht befriedigend. Ich denke aber, auch haec nos s- m- e- p- m- schließt nicht sonderlich gut an fames an ( s u p r e m a l ) ; man könnte sich vorstellen, daß eher ein neues Bezugswort folgen sollte 3 8 . Unter der Voraussetzung, daß 128b/9 unvollständig sind, schlössen die eineinhalb Verse gut an 122a (hic domus, haec patria est) an. Könnte haec erat ilia fames interpoliert sein, um den Vers neben 127 voll zu machen? 3 9 W i e d e m auch sei, in allen bisher besprochenen Fällen w e i s t ein unvollendeter Halbvers auf das Ende einer nachträglich eingeschobenen Partie. S i c h e r l i c h - und das soll hier a b s c h l i e ß e n d mit aller D e u t l i c h k e i t hervorgehoben werden - ist in keinem der hier besprochenen Fälle, außer Orakels komponiert ist (so richtig Büchner 373 = 1395). Dennoch ist die Darstellung bis 121 keineswegs mit der Verkündung des Orakels coram publico in Buch III unvereinbar und hätte m.E. von Vergil nicht unbedingt geändert werden müssen. Warum sollte Ascanius nicht in gedankenloser knabenhafter Naivität das allen bekannte Orakel unabsichtlich gedeutet haben, und Aeneas war - selbstverständlich - der erste, dem der Zusammenhang mit Celaenos Prophezeiung aufging und der die Anwesenden an das gemeinsam vernommene Omen erinnerte. In jedem Fall geht die Unstimmigkeit zwischen Buch III und der Landungsszene in VII nicht über die unterschiedliche Zuweisung des Tischorakels hinaus. Daß die Landungsszene in VII zunächst unter der Voraussetzung komponiert worden sei, daß die Trojaner das Ziel ihrer Fahrt überhaupt nicht kennen, wie nach Gercke (60ff.) in neuerer Zeit auch D'Anna (55ff.) angenommen hat, ist gewiß abzulehnen. D'Anna hat selbst mit Recht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die eine derartige Konzeption mit sich brächte („sarebbe stato molto difficile descrivere un itinerario dei Troiani privi sino alia fine di ogni conoscenza della meta, destinata a manifestarsi loro in una terra assolutamente ignota per il compimento del prodigio delle mense", D'Anna 73) und die seiner Ansicht nach Vergil dazu veranlaßt haben, diesen ursprünglichen Plan wieder aufzugeben. Ich denke, sie dürften es Vergil von Anfang an verboten haben, eine derartige Konzeption auch nur ins Auge zu fassen. Die Landungsszene in VII ist so komponiert, daß die Aeneaden zunächst nur von der einladenden Landschaft an der Rußmündung zur Landung aufgefordert werden, ohne zu wissen, wo sie sich befinden (25ff.). Der Eintritt des Tischorakels gibt ihnen dann die Sicherheit, im verheißenen Land angekommen zu sein (107ff.). Am folgenden Tag (148ff.) erfahren sie, wo sie sich befinden. Daß Aeneas auch nach dem Tischorakel, aber ohne weitere Aufklärung über die Örtlichkeit noch zu den adhuc ignota flumina betet (137f.), bedeutet doch nicht, daß er sein Reiseziel nicht kannte. Und daß der Dichter nach dem Tischorakel dann, wenn die Trojaner die Gegend erkundet haben, eine Erklärung nachschieben soll, daß dies ja nun wirklich der Ort, den dies oder jenes Orakel verheißen hat, wird doch wohl niemand emstlich erwarten (vgl. auch Grassmann-Fischer 50). Zu Berres' Versuch, das Celaenoorakel in III als spätere Zutat zu erweisen s. unten S. 43 Anm. 104. 38 39

Zu syntaktisch unvollständigen Halbversen s. unten S. 38, 50, 69. Zur Ergänzung unvollständiger Halbverse und Varius' Ausgabe s. unten S. 74.

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Die Halbverse des siebten Buches

vielleicht im ersten, die vorgeschlagene Erklärung zwingend. Im Gegenteil, ich habe die vier im vorigen besprochenen Beispiele bewußt in absteigender Reihenfolge besprochen, wobei im ersten Falle für die hier vorgetragene - und ja auch weitgehend Gemeingut bildende - Hypothese eindeutige, in den folgenden beiden Fällen mehr oder minder deutliche Indizien sprechen. Im letzten Fall bleibt sie eine, wenn auch attraktive, so doch auch unweigerlich spekulative Möglichkeit, mehr nicht. Was hier mit Entschiedenheit behauptet werden soll, ist jedoch dies: in allen diesen Fällen liefert die Annahme, ein Halbvers markiere das Ende eines später, wie auch immer integrierten Zusatzes, eine unkomplizierte am materiellen Textbefund orientierte Erklärung für mehr oder minder schwerwiegende Unstimmigkeiten des Textes, und sie hat den Vorteil subtilere Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dem konkreten physischen Befund der Unfertigkeit in einem Halbvers zu erklären. Zumindest darf man sagen, daß dasselbe Erklärungsmodell in allen genannten Fällen glatt aufgeht und dabei das handgreifliche Indiz der Unfertigkeit, den Halbvers einfach erklärt. Es ist der Mühe wert, es versuchsweise weiter anzuwenden, und, wie sich zeigen wird, geht es bei der überwiegenden Zahl von unvollendeten Halbversen auf. Sie erlauben jeweils eine Ausscheidung einer vorausgehenden Versreihe als nachträgliche Zutat, und insbesondere Cartault kann das Verdienst für sich beanspruchen, dies zuerst energisch und konsequent durchgeführt zu haben.40 Freilich nicht überall geht diese Hypothese auf; das zeigen schon die verbleibenden beiden Halbversen im siebten Buch (439 und 455)! Sie stehen in unmittelbarer Nachbarschaft, und beide Stellen müssen im Zusammenhang betrachtet werden: Hic iuuenis uatem inridens sie orsa uicissim ore refert: 'classis inuectas Thybridis undam non, ut rere, meas effugit nuntius auris;

435

40 Vgl. die Auflistung und Diskussion der so zu erklärenden Halbverse unten S. 40ff. Daß Vergil zuweilen Zusätze unvollendet und mitten im Vers abbrechen ließ, ist eine so überaus einleuchtende Erklärung für die Entstehung von Halbversen, daß sie, soweit sie sich nur irgendwie mit dem Textbefund vereinbaren läßt, a priori alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, und in der Tat wird sich zeigen, daß sich der Textbefund in einer Mehrzahl der Fälle sogar glänzend zu dieser einfachen Annahme fügt. Wenn Berres nun dagegen nachzuweisen versucht, daß Halbverse im allgemeinen eher das Ende des ursprünglichen Textes vor einem mit vollem Vers beginnenden Einschub anzeigen, so ist dies ein bedauerlicher Rückschritt und Berres' 'Erklärungen* (vgl. etwa 89f., 105) dieses - außer in einigen wohlbegründeten und von ganz bestimmten Bedingungen begleiteten Sonderfällen (s. unten S. 28, 30ff., 42) absurden Verfahrens zeigen, was eine darauf bauende Theorie wert ist (vgl. auch Suerbaum 2, 407).

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Die Halbverse des siebten Buches

ne tantos mihi finge metus. nec regia Iuno immemor est nostri. sed te uicta situ uerique effeta senectus, ο mater, curis nequiquam exercet, et arma regum inter falsa uatem formidine ludit. cura tibi diuum effigies et templa tuen; bella uiri pacemque gerent quis bella gerenda.' uerberaque insonuit rabidoque haec addidit ore: 'en ego uicta situ, quam ueri effeta senectus arma inter regum falsa formidine ludit. respice ad haec: adsum dirarum ab sede sororum, bella manu letumque gero.' sic effata etc.

440

455

In beiden Fällen ist die Annahme eines späteren Zusatzes gewiß ausgeschlossen. Beide Reden, insbesondere die zweite, sind ja überhaupt sehr kurz, und es scheint, als ob hier der Dichter in der Tat nur zwei Fragmente verfaßt hat, die jeweils auch noch unvollendete Verse enthalten. Man wird zwar nicht sagen dürfen, daß 436-444 - von der metrischen Lücke abgesehen - als zusammenhängender Text völlig undenkbar sind, und 452-5 sind gewiß ohne Anstoß. Heinze hat jedoch darauf hingewiesen, daß Turnus' Worte auch inhaltlich nicht ganz vollständig sind41, und man erwartet eine Ausfüllung von mehr als nur der zweiten Hälfte von 439 (ein derart kurzes sinnvolles Füllsel ist auch schwer vorstellbar). 452ff. beschränken sich praktisch auf die höhnende Nachäffung von Turnus Worten in 441 f., und es muß auffallen, daß ein unvollständiger Halbvers zweimal in enger Nachbarschaft neben einer fast identischen Versreihe auftritt. Es scheint, daß Vergil das Ende der Allectoszene mit dem Redeaustausch 'Turnus-Allecto' zunächst einmal nur in seinem äußeren Verlauf voll ausgestaltet hat. Für die beiden Reden hat er nur eine grobe Skizze hinterlassen. Offenbar hat er sich hauptsächlich den Gedanken notiert, Allecto höhnisch mit Turnus' eigenen Worten antworten zu lassen. Und so beschränkt sich der erhaltene Text der Allectorede fast ganz auf die wörtliche Wiederholung von 441 f.; 454f. fügen nur das Allernötigste hinzu,

41 „...uns freilich scheint es nicht recht glücklich, wenn Turnus diese Offenbarung zurückweist und sich dann selbst auf Iuno beruft, die ihn nicht vergessen werde. Die Verse sind nicht zum Abschluß gebracht, wie der Halbvers 439 lehrt: Turnus sollte wohl sagen, er glaube nicht an die vorgebliche Mahnung der Iuno, denn diese werde es nicht soweit kommen lassen, daß seine Braut ihm vorenthalten werde" (Heinze 180); zustimmend Walter 54f.

Die Halbverse des siebten Buches

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um einen vollständigen Gedanken zu gewinnen, und stellen zugleich eine höhnische Anspielung auf 444 dar 42 . Dieser Überblick über die Halbverse des siebten Buches hat uns, so denke ich, einiges über Vergils Kompositionstechnik und den Zustand der Aeneis beim Tode des Dichters gelehrt. Bevor wir nun die unvollständigen Halbverse des Werks im Überblick betrachten und gemäß den soeben entwickelten Kriterien sortieren, wird es nützlich sein, noch drei weitere Stellen genauer in den Blick zu nehmen, die weiterreichende Probleme der Entstehung der Aeneis berühren. Es handelt sich um drei Stellen, an denen ein unvollständiger Halbvers in einem Kontext auftritt, der zugleich inhaltliche oder anderweitige Unstimmigkeiten mit anderen Passagen des Werkes aufweist und so größere analytische Zusammenhänge betrifft. Hier kann man m.E. zum Teil durchaus über die bisherigen Lösungsversuche hinauskommen; eine Betrachtung dieser Stellen wird sowohl unsere Annahme späterer nicht voll integrierter Zufügungen als auch die eines teilweise grob lückenhaften Zustand des Aeneistextes entschieden stützen und unsere Einsichten in Vergils Arbeitsweise und den Zustand des Manuskripts der Aeneis beim Tode des Dichters weiter vertiefen.

42

„Vergil hatte die Antwort der Allecto genau an die Worte des Turnus angepaßt (vgl. Heinze 489 Anm. 1). Man darf vielleicht vermuten, daß er bei Vers 455 absichtlich eine Lücke im Vers gelassen und die Rede der Allecto nicht „prima labore" zu Ende geführt hat, weil er die Rede des Turnus ja auch nur stichwortartig entworfen hatte", Walter 55. Vergils Vorgehen wird besonders einleuchtend vor dem Hintergrund von Fraenkels Analyse der Motivwiederholung und -variation in der Allectoszene (s. JRS 35 [1945] 6f. = ORVAe 261f.).

Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches Wie bei der oben kurz behandelten Passage vom Tischorakel im siebten Buch (s. oben S. 20ff.) werfen alle drei Stellen, die ich diskutieren will, Probleme in Hinblick auf das notorische dritte Buch auf. Es handelt sich um folgende mit unfertigen Halbversen durchsetze Passagen: die Ilioneusrede des ersten Buches (520ff.) mit dem Halbvers 534, die Creusaepisode am Ende des zweiten Buches (735ff.) mit dem Halbvers 767 und die Tiberrede mit den darauf folgenden Vorgängen im achten Buch (36ff.) mit dem Halbvers 41. Beginnen wir mit dem letzten Beispiel, VIII 36ff.: Ο sate gente deum, Troianam ex hostibus urbem, qui reuehis nobis aeternaque Pergama seruas, exspectate solo Laurenti aruisque Latinis, hic tibi certa domus, certi (ne absiste) penates. neu belli terrere minis; tumor omnis et irae concessere deum. iamque tibi, ne uana putes haec fingere somnum, litoreis ingens inuenta sub ilicibus sus triginta capitum fetus enixa iacebit, alba solo recubans, albi circum ubera nati. [hic locus urbis erit, requies ea certa laborum,] ex quo ter denis urbem redeuntibus annis Ascanius clari condet cognominis Albam. haud incerta cano. nunc qua ratione quod instat expedias uictor, paucis (aduerte) docebo.

40

45

50

Der unvollständige Halbvers steht vor der Wiederholung des Sauorakels aus dem dritten Buch (388ff.) durch Tiber. Dabei werden drei Verse (43-45) wörtlich aus III 390-392 wiederholt 43 . In dem in der letzten Anmerkung genannten Aufsatz habe ich nachzuweisen versucht, daß Vergil wörtliche Wiederholungen, die über den Umfang von zwei vollen Versen hinausgehen, meidet, und eine Wiederholung, die durch einen unvollendeten Halbvers in der 43 VIII 46 (= III 393) ist eine Konkordanzinterpolation; der Vers wird schon durch die diplomatische Evidenz (om. MPar) als unecht erwiesen (vgl. auch Eden ad loc.; Berres 207). Warum Tib. II 5, 56 die Echtheit des Verses beweisen soll, wie Buchheit (Philologus 109 [1965] 104ff.) behauptet, verstehe ich überhaupt nicht (Berres 315ff. hat Buchheit einer ausführlichen Widerlegung gewürdigt). Zur Konkordanzinterpolation in Vergil vgl. meinen demnächst erscheinenden Beitrag in Hermes.

Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

27

Nachbarschaft auf den unfertigen Zustand des Werks weist, kann gewiß nicht für das letztgültige Kunstwollen des Dichters in Anspruch genommen werden. Entgegen der vielfach vorgebrachten Behauptung des Gegenteils legt der Textbefund in VIII eindeutig die Vermutung nahe, daß das Sauorakel in die Tiberrede nachträglich eingelegt ist44. Zunächst einmal muß festgestellt werden, daß das Sauorakel in ΠΙ und VIII in zwei leicht abweichenden Fassungen erscheint: in III mit dem Anhang von 393 (=46), d.h. mit dem Hinweis auf die Gründung Laviniums am Ort der Auffindung der Sau, in IV mit dem Anhang von 47f., d.h. der Deutung der spezifischen Details des Sauwunders auf die spätere Gründung Alba Longas. Die oft vorgetragene Argumentation, das Sauorakel sei in VIII originär, da es hier organisch mit der Erwähnung Alba Longas verbunden sei,45 setzt eine viel zu mechanische Ansicht von der Entstehung eines Dichtwerks voraus. III 389ff. sind ganz offensichtlich im Hinblick auf ganz spezifische Elemente der Tiberszene in VIII verfaßt 46 . Das beweist nicht zwingend, daß die Tiberszene vor ΙΠ 389ff. schon gedichtet war - Vergil könnte beim Verfassen von 389ff. auch nur den Plan zur Ausführung der Tiberszene, so wie wir sie lesen, im Kopf gehabt haben. Daß sie dem Dichter von Buch III schon in der uns bekannten Form vorlag, ist allerdings gewiß naheliegender. In jedem Falle ist es ohne weiteres plausibel, daß die Tiberszene zunächst keine Erwähnung des Sauorakels durch den Flußgott vorsah. Als Vergil dann die Verkündung des Orakels in III ausarbeitete, wird ihm der Gedanke gekommen sein, daß der Kontext von III 389ff. nur einen Hinweis auf die endgültige Ankunft am Ziel der Reise verträgt. Eine weitere aitiologische Ausdeutung könnte an dieser Stelle nur stören. So hat der Dichter den Plan gefaßt, das Sauorakel mit einer Erklärung seiner tieferen Bedeutung in der Tiberrede in VIII zu wiederholen, und in der Tat kann man dies nur als einen glücklichen Einfall betrachten. So umgeht er elegant das Problem der genauen Lokalisierung von Lavinium, das eine pedantische Interpretation von 393 aufwirft. Indem Vergil dem in III 389ff. als Ortsorakel angekündigten Sauprodigium bei seinem tatsächlichen Eintreten einen neuen Rahmen gibt, tritt seine örtliche Ausdeutung in den Hintergrund 4 7 . Viel schwerer wiegt das Argument, die Darstellung des Sauorakels und Opfers in 8Iff. setze die unmittelbar vorausgehende 44 Die Priorität des Sauorakels im dritten Buch vertrat, wenn auch mit unzutreffender Begründung, Büchner 343 = 1365. 45 Vgl. Heinze 94; Cartault 248 Anm. 6; Ehlers, MH 6 (1949) 175; D'Anna 64f; zur vorvergilschen Tradition des Suaorakels vgl. auch Horsfall 1,472. 46 S. Grassmann-Fischer 54f. 47 Berres 202ff. hat unter Referat der Forschungsgeschichte die Sachlage im wesentlichen korrekt interpretiert; gute Darstellung der Problematik auch bei Thaler 52ff. und D'Anna 60ff.

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Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

Ankündigung durch Tiber voraus, da sonst ein Rückverweis auf das dritte Buch erforderlich sei 48 . Dieser Einwand kann nur in einem größeren Zusammenhang erledigt werden und wird uns weiter unten noch beschäftigen (s. unten S. 3 Iff.). Der Textbefund in VIII 36ff. muß prima facie jedenfalls so gedeutet werden, daß Vergil bei Verfassen von 389ff. sich zugleich einen Verweis in der Tiberrede notiert hat, dort das Sauorakel mit der Appendix 47f. statt 393 zu wiederholen. Dabei hat er sich zunächst noch nicht die Mühe gemacht, den endgültigen Text der Wiederholung festzulegen, sondern einfach provisorisch die Fassung von 390-2 wörtlich übernommen. Allerdings hat er dem Einschub mit 42 eine Einleitung gegeben, die ihn in den Kontext integriert. Die Frage ist, warum er diese Einleitung nicht glatt an den vorausgehenden Halbvers anschließen ließ. Hier muß zunächst einmal festgestellt werden, daß die Sachlage in 36ff. sich rein formal grundlegend von allen bisher diskutierten Einschüben, in der Tat von fast allen nachträglichen Einschüben, die unvollendete Halbverse hinterlassen haben, unterscheidet. Der unvollendete Halbvers steht hier nicht am Ende des Einschubs, er steht vor dem Einschub, ist Teil des ursprünglichen Textes. Es scheint, als ob der Dichter einen Einschub mitten im Vers geplant hätte, dann jedoch diesen Einschub metrisch nicht integriert hat. Nun, daß in der Tiberrede das Sauorakel nachträglich so eingelegt wurde, daß dabei ein Vers des Originals in der Mitte zerrissen wurde, das läßt sich im Text, den wir lesen, immer noch leicht feststellen. Heyne, Peerlkamp, Ribbeck und andere 49 haben versucht, die anstößige wörtliche Wiederholung aus Buch III durch Tilgung zu beseitigen und 42-49a (-cano) ausgeschieden. Somit ergibt sich ein glatter Anschluß von 49b an 41. Nun ist an eine Interpolation an dieser Stelle natürlich gar nicht zu denken, nicht nur weil diese gewiß keinen unvollständigen Halbvers zurückgelassen hätte. An der Echtheit der Erklärung des Sauorakels in 47f. kann ja nicht der geringste Zweifel bestehen. Heyne und Peerlkamp haben freilich den nachträglichen Einschub Vergils richtig abgegrenzt. Die ursprüngliche Fassung der Tiberrede ließ in der Tat 49b an 41 anschließen. 50 Ein formal analoger Textbefund läßt sich in der Aeneis nur an einer anderen Stelle nachweisen, V 293ff.: undique conueniunt Teucri mixtique Sicani, Nisus et Euryalus primi, 48 49 50

S. Berres 191 mit Anm. 7. S. Berres 191 Anm. 6. Richtig Berres 190f.

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Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

Euryalus forma insignis uiridique iuuenta, Nisus amore pio pueri; quos deinde secutus regius egregia Priami de Stirpe Diores; hunc Salius simul et Patron, quorum alter Acarnan, alter ab Arcadio Tegeaeae sanguine gentis...

295

296b (quos) schließt glatt an den Halbvers 294 an; 295-296b sind klärlich als Zusatz zu betrachten, der die beiden Helden des folgenden Rennens näher vorstellen soll 51 . Bereits Conrads (8, 23) hat bemerkt, daß Nisus und Euryalus bei ihrem zweiten Auftreten im neunten Buch (176ff.) ganz so vorgestellt werden, als seien sie bisher nicht erwähnt worden52. Die Nisus und Euryalus-Episode im neunten Buch muß somit verfaßt worden sein, bevor Vergil das Rennen in Buch V in der vorliegenden Form gestaltet hat. Unter Hinweis auf einen zweiten unvollendeten Halbvers in der betreffenden Partie (V 322) hat Berres (169ff.) geschlossen, daß die prominente Rolle des Freundespaares in 286ff. einer Überarbeitung angehöre, die den Hauptteil des Textes mit 295ff. und 323ff. umfasse, ohne daß er sich dabei imstande sieht, den Umfang der Überarbeitung präzise zu bestimmen. Trotz der Unklarheit über die Abgrenzung der Bearbeitung entbehrt Berres' Argumentation gewiß nicht einer gewissen Stringenz. Doch Berres' Hypothese geht an dem eigentlichen Problem des Verhältnisses zwischen Buch V und Κ vorbei. Die Vorstellung von Nisus und Euryalus in Κ setzt voraus, daß sie bisher nicht aufgetreten sind, nach Berres' Rekonstruktion müßten die beiden jedoch in Buch V, wenn auch in weniger prominenter Funktion, bereits aufgetreten sein. Wie sollten sie denn in Buch V vorgestellt worden sein, so daß IX 176ff. danach möglich wäre? Nein, DC 176ff. ist unter der Voraussetzung gedichtet, daß Nisus und Euryalus noch nicht aufgetreten sind, d.h. bevor Buch V insgesamt (oder doch zumindest der Wettlauf) verfaßt war53. In der Tat bietet sich mit Cartaults Text eine weitaus einfachere Erklärung des Sachverhaltes als Berres' weitreichende Umarbeitungshypothese an 54 . 51

Erkannt von Cartault 375 Anm. 3; Mackail in der Einleitung S. LVII zu seinem Kommentar; Walter 47f. 52 Heinzes (154 Anm. 1 und 377f. der dritten Auflage; gegen seine frühere Auffassung, vgl. S. 151 der 2. Auflage [Leipzig 1908]) harmonisierende Erklärung ist von Berres (170f.) treffend widerlegt worden. 53 Warum IX 216-8 und 284-6 die Priorität von Buch V vor Buch IX beweisen, wie Berres (187f.) behauptet, kann ich nicht sehen. Die Verse beweisen nur, daß Vergil, als er die Verse schrieb, den Aufenthalt in Sizilien, den Schiffsbrand und das Zurückbleiben der matres bei Acestes bereits fest geplant hatte, nicht daß Buch V bereits fertig vorlag. Zum chronologischen Verhältnis der Bücher V und IX s. auch unten S. 60ff. 54 Im wesentlichen durchaus richtig, nur wenig präzise Sparrow 33f.

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Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

Daß Nisus und Euryalus in der ersten Fassung überhaupt nicht näher vorgestellt werden, ist nicht nur angesichts der Angaben über die anderen, weniger wichtigen Läufer anstößig (vgl. 297-9), gegen den nach Ausscheidung von 295-296a hergestellten Text muß der Einwand erhoben werden, daß zumindest eine Erwähnung des innigen Freundschaftsverhältnisses der beiden zum Verständnis der folgenden Szene unerläßlich ist; 334 (non tarnen Euryali, non ille oblitus amorum) reicht dazu keinesfalls aus. Eben dieses Minimum an Information ist in dem Einschub 295-296a gegeben. Hatte Vergil sich einmal dafür entschieden, die beiden Liebenden bereits in Buch V auftreten zu lassen, nachdem IX 176ff. bereits vorlagen, so stellte sich ihm das Problem eines Ausgleichs zwischen unserer Stelle und dem neunten Buch. Nun können dort natürlich die Einleitungsverse 176ff. keinesfalls einfach gestrichen werden; ein Ausgleich mit der Rennszene in V erforderte zugleich die Umarbeitung des Abschnitts 176ff. in Abstimmung mit Buch V. Offenbar hat Vergil bei der Arbeit an dem Wettlauf diese Probleme zunächst ausgeklammert und Nisus und Euryalus ohne nähere Angaben eingeführt. V 295-296b sind ein erster Ansatz zu einer Revision, die zumindest die für den unmittelbaren Textzusammenhang nötige Information nachholt. Die fehlende Verbindung nach oben hat der Dichter nicht mehr gegeben, ebenso wie jeder Hinweis auf eine Umarbeitung von IX 176ff. in unserem Text fehlt. Wenn auch der zweite unvollendete Halbvers der Partie (322) mit dem Namen des Euryalus endet 55 , so dürfte dies tatsächlich einer der Fälle sein, wo der Halbvers in der Tat eine Lücke in Vergils Erstentwurf markiert. Die beiden Protagonisten Nisus und Euryalus verdienen, auch bei Start des eigentlichen Rennens gewiß gegenüber den anderen Läufern nochmals irgendwie hervorgehoben zu werden, und Nisus hat in 318f. 56 auch zwei Verse für sich. Heinze (154) hat richtig vermutet hat, daß Vergil Euryalus in 322 näher zu charakterisieren beabsichtigt hat, und wieder hat er mit Rücksicht auf eine letztgültige Harmonisierung mit 294ff. und dem neunten Buch die endgültige Ausformulierung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben 57 . Doch kommen wir zu der Tiberrede im achten Buch zurück! Die Situation ist der in V 294ff. analog, insofern eine nachträgliche Einlage in die Mitte eines Verses der ursprünglichen Fassung einschneidet, und diese Einlage nur nach unten anzuschließen scheint. Freilich ist in 295f. der fehlende Anschluß nach oben plausibel zu erklären, nicht so in VIII 42ff. 42 scheint ja gerade zu dem 55 insequitur Sali us; spalio post deinde relictol tertius Euryalus;/ Euryalumque Helymus sequitur... (32Iff.). 56 primus abit longeque ante omnia corpora Nisusl emicat et uentis et fulminis ocior alis... (318f.). 57 Zu dem analogen Fall im neunten Buch (IX 467) s. unten S. 50 und 62.

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Zweck verfaßt, die Wiederholung des Sauorakels inhaltlich an das Vorige anzubinden. Wie ist dies mit der metrischen Lücke vor 42 vereinbar? Nun, offenkundig ist 42 nicht für den Anschluß an 41 gedacht, vielmehr schließt der Vers nahtlos an 39 an. 40f. können dazwischen auch inhaltlich nur stören. An 40f. hat bereits die antike Aeneiskritik Anstoß genommen 58 , und auch moderne Kommentatoren fühlten sich irritiert. Zwar sind die Einwände gegen die Verse keineswegs unüberwindlich. Eden (ad loc.) hat geltend gemacht, daß der Flußgott die Wahrheit durchaus im Sinne seiner Absicht, den von Sorge gequälten Aeneas aufzurichten, zurechtbiegen kann59, und auf andere ähnliche Beispiele hingewiesen. Darin steckt ein richtiger Ansatz, allerdings ist die Aussage in 40f. durchaus nicht einfach als opportune Lüge zu verstehen. Mit seiner Versicherung, der Götterzorn sei gewichen, sagt Tiber nicht so sehr die Unwahrheit, als daß er vielmehr den guten Ausgang und Iunos letztendliche Versöhnung schon vorwegnimmt60. Mit der Ankunft in Latium ist Aeneas am Ziel, seiner harrt noch manche Mühe, doch der gute Ausgang, die göttliche Versöhnung ist gewährleistet. Ähnlich scheint auch am Ende des Werks nach dem Redewechsel des Götterpaares Iunos Zorn ans Ende gelangt. Auf Iuppiters Zusage hin verläßt sie den Schauplatz: mentem laetata retorsit (XII 841). Doch wer wüßte nicht, daß Iunos Zorn erst mit der Vernichtung Carthagos sein definitives Ende findet? Auch hier nimmt Vergil das Ziel des Geschehens in einer Götterszene vorweg61. Trotz alle dem müssen die Verse VIII 40f. in dieser Form Erstaunen erregen, zumindest dann, wenn man schon kurz darauf Tiber die Notwendigkeit betonen hört, Iuno durch Gebete zu versöhnen 62 . Man wird nicht umhin kommen, eine gewisse Flüchtigkeit in dem ersten Entwurf der Tiberrede zu bemerken 63 . In der Tat werden wir sogleich feststellen, daß die ganze Tiberszene mit der darauffolgenden Vorbereitung der Abfahrt zu 58

S. Georgii 345f. Vorweggenommen von DServ. ad loc. (s. Georgii 1. cit.). Ähnlich auch Gransden ad loc., der jedoch hinzufügt: „In any case, we cannot expect to reach a wholly satisfactory interpretation of this passage because of the presence in it of one of the poem's fifty-nine incomplete lines." 60 In diese Richtung interpretiert bereits Heyne ad loc. „The words are rather a promise for the future than a statement of fact", Mackail ad loc. 61 Vgl. die ausgezeichnete Interpretation der Iunoszene durch V. Buchheit, Vergil über die Sendung Roms (Gymnasium Beiheft 3, Heidelberg 1963) 133ff.; und neuerdings Feeney, CQ 34 (1984) 179-194 (= ORVAe 339-362). 62 Zu Berres' Annahme, VIII59-61 seien eine spätere Einlage, s. unten S. 33. 63 Hierher mag man vielleicht auch den unerträglich unklaren Vers 65 (am Ende der Rede!) rechnen (vgl. Eden ad loc.); Mackail (liii und CR 29 [1915] 227) hat hier wohl recht mit seiner Forderung: „rhythm, no less than sense, calls for another line to complete the period." 59

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Euander von Vergil in einem äußerst skizzenhaften Zustand hinterlassen wurde, und gerade das Iunogebet bereitet im überlieferten Textzusammenhang einiges Kopfzerbrechen. Es scheint durchaus verständlich, daß Vergil secundis curis 40f. zu streichen beabsichtigte und deshalb 42 an 39 anschließen ließ64. Für die im Vorigen vorausgesetzte Annahme, die Tiberrede habe in Vergils ursprünglichem Plan keine Ankündigung des Sauorakels enthalten, gibt es neben den bereits genannten Gründen noch ein weiteres Indiz. Anläßlich seiner Streichung von 42ff. hat Peerlkamp mit vollem Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Beschreibung der Erfüllung des Sauorakels in 8Iff. (ecce autem subitum atque oculis mirabile monstrum etc.) weit besser ohne eine unmittelbar vorangehende Erwähnung steht. Insbesondere jedoch scheint mir die Opferung der Sau an Iuno in Erfüllung der Aufforderung des Flußgottes seltsam, wenn in dessen Rede die Ankündigung des Sauorakels und die Aufforderung in 60f., Iuno durch Gebete zu besänftigen, völlig unverbunden nebeneinanderstehen. Freilich gehen die Unstimmigkeiten in der Darstellung der auf die Tiberrede folgenden Ereignisse, weit darüber hinaus65. Wie auch immer es mit der Ankündigung des Sauorakels steht, die Aufforderung des Gottes zum Gebet an Iuno primis cadentibus astris (59) wird von Aeneas im folgenden grob mißachtet. Als der Held aus seinem Traum erwacht, verrichtet er ein Gebet; dies richtet sich jedoch ausschließlich an die Nymphen und Tiber selbst. Iunos gedenkt er dann erst, nachdem er bereits seine kleine Flotte zum Auslaufen vorbereitet hat (sie memorat, geminasque legit de classe biremisl remigioque aptat, socios simul instruit armis 79f.), und nun endlich auch die versprochene weiße Sau auftaucht (8Iff. s. oben). Nach dem Opfer scheint es bereits Nacht zu sein (Thybris eafluuium, quam longa est, nocte tumentem/ leniit... 86f.). Dabei ist der Hergang der Ereignisse und ihr zeitlicher Rahmen überhaupt unerträglich unklar. Aeneas hat kaum zuendegebetet, da wird in kaum zwei Versen davon berichtet, wie er die Flotte klarmacht. Dann taucht die weiße Sau auf; man fragt sich, ob noch vor oder erst nach der Abfahrt, und wo. Dann ist es plötzlich Nacht, und Tiber gibt, wie 57f. (ipse ego te ripis et recto flumine ducamj aduersum remis superes subuectus ut amnem) versprochen, gute Fahrt, indem er seine Strömung zum Stillstand bringt (86ff., s. oben). 64 Der Anschluß von 42 an 39 wurde bereits bemerkt von Kloucek, der 41 f. tilgen wollte; Walter 57 hält 41 f. für nachträgliche Zutat Vergils. Das sieht auf den ersten Blick plausibel aus, läßt jedoch die wörtliche Wiederholung des Sauorakels im Folgenden außer Acht. 65 Die unüberwindlichen Anstöße des überlieferten Textes und das Scheitern aller harmonisierenden Interpretationsversuche sind von Berres 192ff. gut herausgestellt worden. Zur Chronologie der Ereignisse vgl. auch Eden zu V. 59 (mit Referat der älteren Forschung), der die Unstimmigkeiten und Unklarheiten zugibt, ohne daraus weitere Schlüsse zu ziehen.

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Man gewinnt den Eindruck, in VIII 66ff. eine knappe Skizze der auf die Tiberrede folgenden Ereignisse vor sich zu haben, wobei die einzelnen Episoden nicht einmal in einen kohärenten Zusammenhang integriert sind. Es ist durchaus plausibel, daß Aeneas beim Erwachen zunächst einmal zu dem Flußgott und den Nymphen betet; daß er jedoch das Gebet an Iuno auf einen Zeitpunkt nach den Vorbereitungen für die Abfahrt oder gar dem Auslaufen verschiebt, ist undenkbar. Dies bedeutet, die Verse 79f. können von Vergil in keinem Stadium der Ausarbeitung für eine Position vor 8 Iff. verfaßt sein, es sei denn, man nimmt an, daß die Aufforderung zum Iunogebet in 59-61 ein späterer Zusatz ist. Berres (195) 66 hat in der Tat nicht nur 59-61, sondern auch das Sauopfer in 81-85 als Zusatz zu erweisen gesucht. Sicher ist, daß beide Passagen zusammengehören, und Vergil gewiß beabsichtigt hat, Iunogebet und Sauopfer zu verbinden; 81-85 sind ohne 59-61 nicht denkbar. Dies hat Berres gut herausgestellt 67 . Die Annahme eines späteren Einschubs erklärt jedoch noch keineswegs die mangelnde Koordination zwischen beiden Passagen. Diese wird nur aus dem unfertigen, skizzenhaften Zustand der Darstellung des Sauopfers verständlich, und dieser wiederum macht die Annahme eines späteren Zusatzes überflüssig. Ein sinnvoller Handlungsverlauf ergibt sich, wenn das Erscheinen der Sau unmittelbar auf das Tibergebet folgt. Aeneas mag sein Gebet durchaus mit einer Anrede an Tiber und die Nymphen beginnen, da wird er durch die plötzliche Erscheinung in seiner Gebetstätigkeit unterbrochen; eingedenk seiner Verpflichtung, Iuno zu besänftigen, opfert er ihr die Sau und verrichtet ein Gebet. 81 paßt dabei durchaus an 78. Doch woher stammen dann 79f.? 86 kann kaum unmittelbar auf 85 folgen. Außerdem darf man vielleicht auch erwarten, neben dem Opfer auch ein Gebet an Iuno von Aeneas zu hören. Wenn 79f. unmöglich nach dem Gebet an die Nymphen stehen können, könnten sie für den Abschluß eines Gebets an Iuno nach 85 gedacht sein? Wir haben oben (S. 24) für den Schluß der Allectoszene angenommen, daß Vergil zunächst den Handlungszusammenhang ausgearbeitet und den Redewechsel 66

Wie vor ihm bereits Mackail (zu VIII41). „Da aber die Darstellung des bloßen Eintritts poetisch kühl und steril geblieben wäre man stelle sich vor, Aeneas hätte die Sau gefunden, ohne daß weiteres geschehen wäre! - , ersann Vergil das Motiv des Opfers für Juno. Diese Erfindung ist von großer symbolischer Kraft, wird doch die Sau als Zeichen für das allmählich sich vollziehende Fatum Juno, der Widersacherin des Fatums, geopfert. Um das Opfer nun auch im Zusammenhang des äußeren Geschehens zu motivieren, legte er zusätzlich dem Rußgott die Aufforderung an Aeneas in den Mund, Junos Feindschaft (iramque minasque) durch Akte der Frömmigkeit (preces; supplicibus uotis) zu überwinden" (Berres 197). Zur Opferung der Sau an Iuno vgl. auch Eden zu V. 84. 67

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Turnus-Allecto nur ansatzweise skizziert hat. Könnte er hier das Iunogebet zunächst ausgelassen haben und nur den Redeabschluß mit einem kurzen Übergang zum Folgenden verfaßt haben? Dann klaffte zwischen 85 und 79 eine unübersehbare Lücke, die ein zusammenhängendes Lesen des Textes unmöglich machte. Wir müßten annehmen, daß Varius, um einen lesbaren Text herzustellen, 79f. nach 78 versetzt hat. Für einen derartigen Eingriff eines Editors oder Redaktors lassen sich aus der Überlieferung anderer Autoren durchaus Beispiele anführen 6 8 und die Herstellung der posthumen Aeneisausgabe soll uns unten noch ausführlich beschäftigen. Jedenfalls erledigt sich so auch das letzte oben angesprochene Argument für die Annahme, die Darstellung des Sauprodigiums in 8 Iff. verlange eine Ankündigung in der Tiberrede. Offenkundig hatte Vergil den Anfang des achten Buches mit dem Sauprodigium in seinem groben Verlauf skizziert, ohne noch seine Ankündigung im dritten Buch verfaßt zu haben. Zunächst einmal plante er, mit dem Sauprodigium nur auf eine derartige Ankündigung Bezug zu nehmen. Die lag jedoch noch nicht ausformuliert vor. Somit ließ er die Rede des Aeneas, die darauf zu sprechen kommen mußte, zunächst aus. Er hat sie auch später nicht ausgearbeitet, denn im Verlauf der Arbeit am dritten Buch kam ihm der Gedanke, die Ankündigung des Sauorakels in der Tiberrede im achten Buch zu wiederholen. Dies hätte ohnehin eine andere Fassung der Aeneasrede erfordert und u.U. darf man gar eine Überarbeitung auch der Darstellung vom Auffinden der Sau erwarten, da der erhaltene Text, wie ich glaube, auf eine unvorhergesehene Erscheinung abgestimmt ist. VIII 43ff. sind nicht die einzige längere wörtliche Wiederholung einer Passage aus dem dritten Buch, die mit einem unvollendeten Halbvers einhergeht. Eine weitere Stelle findet sich im ersten Buch (530ff.): est locus, Hesperiam Grai cognomine dicunt, terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae; Oenotri coluere uiri; nunc fama minores Italiam dixisse ducis de nomine gentem. hic cursus fuit, cum subito adsurgens fluctu nimbosus Orion in uada caeca tulit penitusque procacibus Austris perque undas superante salo perque inuia saxa dispulit...

68

530

535

Vgl. etwa den dokumentierten Fall E. Med. 725-9 (behandelt in Günther 21f. s. auch den Apparat von Diggles OCT zur Stelle) oder Μ 117f. (vgl. Fraenkel (Festschrift Paoli [Florenz 1955] 300f.) oder 631—4; weitere Beispiele aus Sophokles in Günther 52ff.

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530-3 werden in der Penatenrede des dritten Buches wörtlich wiederholt (163-6), und ich habe das Problem andernorts bereits kurz besprochen69. Daß 530-4 im ersten Buch sekundär sind, ist in der Forschung längst erkannt worden 7 0 , und die Argumente einiger Gegenstimmen 71 sind von Berres (56ff.) zur Genüge widerlegt worden. Wie Berres (68) richtig bemerkt hat, dürfte Vergil in der Tat hier einen Anklang an die Penatenrede im dritten Buch intendiert haben, freilich gewiß nicht die wörtliche Wiederholung von vier Versen. Wahrscheinlich hat er sich analog zu dem Vorgang in VIII 43ff. die betreffenden Verse aus dem dritten Buch zur späteren Überarbeitung für die betreffende Stelle notiert. 534 schließt provisorisch an das Folgende an. Der syntaktische Anschluß ist allerdings unbefriedigend, da das Tempus von fuit nicht zu dem folgenden cum inversum paßt. Hat Vergil hier einfach eine Lücke in einem ersten Entwurf notdürftig überbrückt? Nun, es ist nicht einzusehen, warum Vergil einen Nebensatz wie 535ff. hätte voll ausformulieren und für den vorausgehenden Hauptsatz nur einen erbärmlichen, den Regeln der Sprachrichtigkeit zuwiderlaufenden Lückenbüßer vorausschicken sollen. Wahrscheinlich ersetzen 530-4 eine frühere Fassung. Ebenso wie in der Tiberrede im achten Buch dürfte hier nach Ausarbeitung des dritten Buches eine Revision vollzogen worden sein. Vergil faßte den Entschluß, in der Ilioneusrede des ersten Buches ebenso wie in der des elften einen Anklang an die Penatenrede des dritten Buches einzuarbeiten. Dies erforderte die Streichung des ursprünglichen Passus mit der Nennung des Fahrtziels in Ilioneus' Rede. Wahrscheinlich war er untrennbar - zumindest metrisch - mit dem folgenden zu 535ff. gehörigen Hauptsatz verbunden. Vergil hat somit den ursprünglichen Text zwischen 529 und 535 gestrichen, einen Verweis auf III 163ff. notiert; 534 kann ein erster Ansatz zum Anschluß an das Folgende sein. Dieser Anschluß bedurfte jedoch in jedem Falle noch einer breiteren Ausführung, bevor 535ff. glatt daran passen. Varius hat offenbar die ursprüngliche Fassung, falls sie ihm erhalten war, ausgeschieden. Im Gegensatz zu dem zu Anfang besprochenen Fall (VII 698ff.) hätten die beiden konkurrierenden Fassungen zu einen nicht mehr fortlaufend verständlichen Text geführt, und er fühlte sich gezwungen, sich für eine der beiden Fassungen zu entscheiden. Wahrscheinlich war die erste Fassung in Vergils Manuskript eindeutig als die obsolete erkennbar, und man wählte somit trotz des unvollendeten Verses diejenige, die wir lesen.

69 70 71

S. meinen demnächst in Hermes erscheinenden Aufsatz zur Vergilinterpolation. Seit Cartault 137; gute Diskussion bei Walter 23ff.; ebenso Sparrow 93f. Darunter eine so gewichtige wie Heinze 89 Anm. 2.

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Der letzte hier zu besprechende Fall einer Vergilschen Textrevision zugunsten einer Harmonisierung mit Buch III steht im zweiten Buch. Es handelt sich um das vieldiskutierte Problem der Creusaepisode. Ich schreibe hier die Verse 752ff. aus: principio muros obscuraque limina portae, qua gressum extuleram, repeto et uestigia retro obseruata sequor per noctem et lumine lustro: horror ubique animo, simul ipsa silentia terrent. inde domum, si forte pedem, si forte tulisset, me refero: inruerant Danai et tectum omne tenebant ilicet ignis edax summa ad fastigia uento uoluitur, exsuperant flammae, furit aestus ad auras, procedo et Priami sedes arcemque reviso: et iam porticibus uacuis Iunonis asylo custodes lecti Phoenix et dirus Vlixes praedam adseruabanL hue undique Troia gaza incensis erepta adytis, mensaeque deorum crateresque auro solidi, captiuaque uestis congeritur. pueri et pauidae longo ordine matres stant circum. ausus quin etiam uoces iactare per umbram impleui clamore uias...

755

760

765

Nach dem bisher Festgestellten dürfen wir gewiß mit einigem Grund in einem unvollständigen Halbvers das Ende eines Zusatzes vermuten und nach einem ablösbaren Stück suchen. In der Tat schließt 768 nahtlos an 754 an 72 , ja der Anschluß ist gewiß auch inhaltlich weit besser als der an 767. Recht betrachtet ist der Anschluß an 767 anstößig, quin etiam paßt nicht zu dem Subjektswechsel zwischen 767 und 768; zudem mußte man nach 767 einen stillschweigenden Ortswechsel annehmen: Aeneas wird kaum in der Nähe von Phoenix und Odysseus Creusas Namen durch die Straßen gerufen haben, ohne bemerkt zu werden. 755-767 sind ein erster Entwurf zu einer Umarbeitung der Creusaszene. Wie wir gesehen haben, schließt 768 in keiner Weise an das Ende des Zusatzes an, und es ist wahrscheinlich, daß 755-767 nicht einfach als Zusatz zu dem bereits vorliegenden Text gedacht waren, um der Suche nach der verlorenen 72 Bereits Mackail (ad loc.) vermutet in 761-7 einen Zusatz. Doch 768 paßt ohne Zweifel besser an 754 als an 760. Warum der Übergang von 760 zu 761 abrupt sein soll, wie Mackail behauptet, sehe ich nicht.

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Gattin einige weitere Einzelzüge hinzuzufügen; wahrscheinlich sollten 768ff. ersetzt werden. Es fragt sich nur, wieviel des ursprünglichen Textes sollte geopfert werden. Nun, angesichts der eklatanten Widersprüche, die Creusas Verkündigung des Fahrtziels 'Hesperien-Tiber', mit dem Reiseplan des dritten Buches aufwirft 73 , hätte eine endgültige Redaktion gewiß einen Ausgleich suchen müssen, und 755-767 scheinen ein erster Ansatz dazu zu sein, in die Creusaszene einzugreifen74. Nun mag man es vielleicht nicht als unbedingt zwingender erachten, zur Harmonisierung mit Buch III die Begegnung mit Creusa gänzlich zu streichen 75 . Dennoch wird man vielleicht doch geneigt sein, Gercke (36f.) zuzustimmen, wenn er bemerkt, daß Creusas Erscheinung ohne ihre Verheißung des künftigen Reichs und der künftigen Gemahlin recht dürftig ausfallen müßte und besser ganz wegfiele 76 . Mag uns der Gedanke, Vergil hätte auf die rührende schon Augustinus so sehr ans Herz gewachsene Szene verzichten wollen, auch noch so schmerzlich sein, ich denke, 755-767 legen eindeutig den Verdacht nahe, daß der Dichter in der Tat von einer Begegnung mit der entrückten Gattin überhaupt Abstand zu nehmen gedachte. 755-767 scheinen der Ansatz zu einer schaurigen Ausgestaltung der Suche durch die besetzte Stadt zu sein, die ergebnislos enden konnte, u.U. auch mit einer göttlichen Aufforderung, sich weiterer Gefahr zu entziehen und nicht weiter nach der Gattin zu forschen. Diese Vermutung läßt sich erhärten durch einen Blick auf eine weitere mit einem Halbvers durchsetzte Partie, die Prophezeiung der Sibylle in VI 86ff.: bella, horrida bella, et Thybrim multo spumantem sanguine cerno. non Simois tibi nec Xanthus nec Dorica castra 73

Bereits festgestellt in DServ. ad loc. (vgl. Georgii 145 und 149f.). Ältere Harmonisierungsversuche sind wieder von Berres (148ff.) überzeugend widerlegt worden; doch wenn Berres (154ff.) dann eine Lösung des Widerspruchs, die im übrigen bereits Constans (L' Eniide de Virgile [Paris 1938] 115f.) versucht hat, anbietet, so kann er nicht überzeugen. Selbst wenn man zuzugeben bereit wäre, daß Creusas Hinweis auf Hesperia und den Lydius Thybris Aeneas nicht voll verständlich gewesen sein könnten, so bleibt unerklärt, warum ihre Prophezeiung im Folgenden völlig ignoriert wird, und wie immer Aeneas ihre Worte verstanden oder nicht verstanden haben mag, auf Thrakien oder Kreta lassen sie sich gewiß nicht deuten (s. Suerbaum 2, 403; vgl. auch die richtigen Einwände von D'Anna 37); zu Horsfall 1, 471 s. unten S. 80 Anm. 216. 74

Zu Berres' (152ff.) Ansicht, die Creusaszene sei später als Buch III, s. Anm. 73. In diesem Sinne äußert sich etwa entschieden Heinze 62, der mit vollem Recht hervorhebt, daß Creusas Prophezeiung zum Abschluß des (Einzell)Buches hervorragend geeignet ist. 76 Ähnlich auch Thaler 32f. und Büchner 342 = 1364. 75

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defuerint; alius Latio iam partus Achilles, natus et ipse dea; nec Teucris addita Iuno usquam aberit, cum tu supplex in rebus egenis quas gentis Italum aut quas non oraueris urbes! causa mali tanti coniunx iterum hospita Teucris extemique iterum thalami. tu ne cede malis, sed contra audentior ito, qua tua te Fortuna sinet. uia prima salutis (quod minime reris) Graia pandetur ab urbe.

90

95

Den Halbvers in 94 wird man gewiß im Zusammenhang mit der Dublette in VI 890-2 7 7 beurteilen müssen. Dabei darf es als sicher gelten, daß 890-2 die obsolete, 83ff. die jüngere Fassung darstellen78. Dies kann nur bedeuten, daß 83ff. einen älteren, nicht mit 890ff. kollidierenden Text verdrängt haben 79 . Der Schluß der Rede 95-98, mit seiner mysteriösen Andeutung der Griechenstadt könnte zur ursprünglichen Fassung gehören. Selbstverständlich konnte die Sibylle Aeneas auch neben 890-2 ganz allgemein auf kommende Schwierigkeiten vorbereitet haben. Störend sind nur die konkreten Details in 86ff. 83-94 dürften einer späteren Überarbeitung der Rede der Sibylle angehören, die einen älteren Entwurf ersetzt hat 80 . Nun hat Gercke (37) zu Recht darauf hingewiesen, daß VI 87 und 93f. auch geradezu eine Dublette zur Prophezeiung Creusas darstellen. Es scheint, als ob der Nachtrag 83-94 unter der Voraussetzung der Streichung der Creusaepisode gedichtet ist. Erweisen sich 83-94 gerade auch durch die Übereinstimmung mit einer Passage im dritten Buch (s. Anm. 78) gegenüber der Dublette in 890-2 als Nachtrag, so liegt hier neben den vier bisher diskutierten Passagen auch ein weiterer in einen

77 exim bella uiro memorat (sc. Anchises) quae deinde gerendaj Laurentisque docet populos urbemque LatiniJ et quo quemque modofugiatqueferatque laborem. 78 Erweisbar aus III 458ff. (ilia [sc. Sibylla] tibi Italiae populos uenturaque bella/ et quo quemque modo fugiasque ferasque laborem/ expediet...) und V 735ff. (hue casta Sibylla/ nigrarum multo peeudum te sanguine ducet.l tum genus omne tuum et quae dentur moenia disces); vgl. Norden zu VI 885-900 (S. 347). Die Gründe, die Vergil zu der Änderung veranlaßt haben, hat Heinze (440) treffend herausgestellt, auch wenn er den analytischen Befund nicht ganz richtig beurteilt (er glaubt, die Anfangsszenen des sechsten Buches seien insgesamt nach der Anchisesrede verfaßt [vgl. 1. cit. Anm. 1]; der Halbvers VI 94 weist freilich auf die spätere Überarbeitung hin). 79 Walters (52f.) Ausscheidung von 93f. ist nicht überzeugend. 95 (tu\) schließt keinesfalls an das tu in 91 f. an 80 Selbstverständlich lösen VI 84ff. die Ankündigung von III 458ff. noch nicht voll ein (s. Conrads 5f.) und stellen nur einen ersten Ansatz zu einer Umarbeitung dar.

Einige Halbverse und die Probleme des dritten Buches

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Halbvers auslaufender Passus vor, der einen Texteingriff Vergils mit Rücksicht auf Buch ΠΙ anzeigt. Vielleicht darf man zuletzt auch an die Erwähnung Creusas durch Andromache in III 341 erinnern. Bereits Heinze (109 Anm. 1) hat darauf hingewiesen, daß die Andromacheszene - die ja mit 340 den eklatantesten Fall eines nicht einmal syntaktisch vollständigen Halbverses enthält - in vielfacher Hinsicht deutliche Spuren starker Unfertigkeit aufweist 81 . Insbesondere fragt man sich natürlich, wie Andromache über Creusas Schicksal in II unterrichtet sein konnte. Die Annahme scheint mir unumgänglich, daß Vergil bei Verfassung der Andromacheszene an ein anderes Schicksal für Creusa gedacht hat, dies jedoch mit Rücksicht auf die entsprechend umzuarbeitende Creusaszene in II in unserem Text des dritten Buches noch nicht gegeben hat 82 . Selbstverständlich können wir Vergils Absichten kaum erraten, doch darf man annehmen, daß er Aeneas in II noch keine volle Gewißheit über das Schicksal der Gattin gegeben hätte. Dies wäre wohl durch Andromache in III nachgeholt worden 83 . Als Ergebnis der Diskussion der im vorigen behandelten Halbverse darf gelten, daß Halbverse zunächst daraufhin befragt werden sollten, ob sie das Ende einer aus dem Kontext herauslösbaren Partie markieren. Dabei können, wie sich gezeigt hat, weiterreichende analytische Probleme durchaus mitberücksichtigt werden, doch sollte zunächst einmal unabhängig von weiterführenden Überlegungen nach einer möglichst einfachen Hypothese, d.h. dem Ausschluß einer möglichst kurzen Partie gesucht werden, die die unmittelbaren Bedürfnisse der betreffenden Passage befriedigt.

81

Vgl. auch Walter 39ff. Die unerträgliche Inkongruenz zwischen Andromaches Erwähnung Creusas und der Creusaepisode im zweiten Buch hat bereits Servius bemerkt (s. Georgii 170f.). Heinze (109 Anm. 1) und andere nach ihm (vgl. etwa Williams unter Berufung auf Page zu III 341) haben sie vergeblich wegzudiskutieren gesucht; s. Georgii in: Fesischr. der Gymnasien und ev. theol. Seminarien Württembergs zur vierten Säcularfeier der Univ. Tübingen (Stuttgart 1877) 76ff. Man könnte sie höchstens als eine Imitation homerischer Technik zu rechtfertigen suchen (zur Ausrichtung von Rückverweisen am Wissensstand des Publikums bei Homer vgl. Reichel 96f. mit Literatur); doch halte ich das für außerordentlich unwahrscheinlich, zumal keine weiteren Parallelen bei Vergil vorliegen. 83 Vergils Absicht, das Ende des zweiten Buches umzuarbeiten, läßt sich auch aus dem unbefriedigenden Anschluß von III an II erkennen (vgl. Thaler 21). Heinze (457) hat zu Recht vermutet, daß der Einsatz von III bereits „mit den in den Schlußpartien von II erforderlichen Änderungen rechnete". Zur späten Entstehung von III s. unten S. 54ff. 82

Halbverse als Indizien späterer Zusätze Ausgehend von dieser Voraussetzung können nun die Halbverse der Aeneis im Überblick behandelt und nach ihren Entstehungsursachen katalogisiert werden. Nur eine Auswahl soll im folgenden unter typisierenden Gesichtspunkten näher besprochen werden. Auf eine ausführliche Behandlung will ich verzichten; ich hoffe, die Evidenz spricht für im wesentlichen sich selbst. Wo das Richtige bereits erkannt ist, mache ich in einer Anmerkung die diesbezüglichen Angaben, ansonsten gebe ich in den Fußnoten einige knappe Hinweise. Die folgende Liste enthält diejenigen Passagen, die sich durch unvollständige Halbverse als spätere Zusätze erweisen. In deutlich über der Hälfte der überlieferten Halbverse (37) läßt sich ein Passus glatt als Zusatz heraustrennen. In vier Fällen (hier kursiv gedruckt) weist freilich der Textbefund doch möglicherweise auf eine lückenhafte Ausarbeitung des Textes. Die bereits behandelten Stellen sind in die Liste mitaufgenommen. Außer bei den beiden mit * gekennzeichneten und im vorigen bereits behandelten Passagen, steht der unvollständige Halbvers jeweils am Ende des Einschubs (s. oben S. 1 Iff.); fett gedruckt sind Zusätze die mit einer Streichung ursprünglichen Textbestandes einhergehen (6 Fälle). I

II

530-534 (s. oben S. 35) 559-560 (s. unten S. 45) 631-63684 63-66 (s. unten S. 42, 46, 78) 199-234 (s. unten S. 47) 342/345-346 (s. unten S. 42f.) 463-468 85

84 Wahrscheinlich ist der Vers wie III 340 auch syntaktisch unvollständig, wie bereits in DServ. ad loc. richtig erkannt; vgl. Georgii 96; dann kann der direkten Überlieferung dei gelesen werden, vgl. Walter 26f., Conington-Nettleship, Mackail und Austins verständige Diskussion ad loc.; femer unten S. 49, 69,74. Di e Gründe für den Zusatz sind offenkundig. Heinze (41) hat zu Recht das Peinliche, geradezu Komische der Situation bemerkt, in der Aeneas zum hilflosen Zuschauer der Greueltaten des Neoptolemos wird. Die betreffenden Verse sind ein erster Versuch, dies zu mildern und Aeneas eine weniger passive Rolle spielen zu lassen. Berres (95f.), der das folgende Gleichnis ausscheiden will, weist zu Recht auf die Tatsache hin, daß unvollständige Halbverse mehrfach den nachträglichen Einschub eines Gleichnisses markieren. VII 702 wurde oben (S. 15) bereits behandelt, zu V 595 und X 728 unten S. 41, 49. Wie er jedoch dazu kommt, diese Stelle oder II 623 (Berres 91f. vgl. auch unten S. 47f.) hierherzurechnen, ist unbegreiflich. Der Halbvers steht ja nicht einmal direkt vor den Gleichnissen in II 47 Iff.

Halbverse als Indizien späterer Zusätze

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6 0 4 - 6 1 4 (s. unten S. 4 8 ) 6 2 1 - 6 2 3 (s. unten S. 45, 48) 7 1 7 - 7 2 0 (s. unten S. 4 4 ) 7 5 5 - 7 6 7 (s. oben S. 36f.) 7 8 7 (s. unten S. 42f.) III IV

V

VI Vn

Vm IX

214-21886 660-661 (s. unten S. 4 6 mit Anm. 1 1 7 , 4 9 , 51) 39-44 87 3 6 0 - 3 6 1 (s. unten S. 4 4 ) 50388 515-51689 2 9 5 - 2 9 6 a * (s. oben S. 29f.) 573-57490 5 9 4 - 5 9 5 9 1 (s. unten S. 46) 65392 79293 814—815 9 4 8 3 - 9 4 (s. oben S. 38) 832-835 128-129 243-248 699-702 759-760 42-49a* 166-167

(s. unten S. 4 2 mit Anm. 99, 43) (s. oben S. 21f.) (s. oben S. 18f.) (s. oben S. 15, 18) (s. oben S. 20) (s. oben S. 28, 30ff.) (s. unten S. 4 6 )

oder 626ff. und schon gar nicht am Ende eines Gleichnisses wie V 595, X 728. Richtig ist freilich, daß die mit ac uelut(i) eingeleiteten Gleichnisse II 626ff. und VI 707ff., denen beiden die Apodosis fehlt, nachträglich eingelegt sind (zu IV 402ff. und X 707ff. s. unten S. 70 und oben S. 18); Nordens (zu VI 707ff.) Erklärung von ac uelut kann nicht überzeugen; PI. Cas. 860 steht ut pleonastisch neben ac = quam (s. Kühner-Stegmann Π 20). 86 Richtig Cartault 242 Anm. 3; vergeblicher Widerlegungsversuch in Berres 23 Iff. 87 Nach A.R. 1677-9 gestaltet (vgl. Cartault 342); vgl. Walter 44. 88 S. Cartault 357, Sparrow 33, Walter 46; vgl. auch Austin ad loc. („The broken line is perhaps a note, to remind Vergil that an insertion is needed"). 89 Vgl. Sparrow 33; überzeugender als Walters (46f.) Ausscheidung von 512-516. 90 Vgl. Walter 48f. 91 Der Halbvers 595 ist nur in Ree überliefert. An seiner Echtheit kann natürlich keinerlei Zweifel bestehen - wer hätte einen Halbvers interpolieren sollen? 92 S. Cartault 389 Anm. 2, Berres 73ff. 93 S. Walter 50; die partizipiale Phrase ist nach fr eta (791) ein unschönes Anhängsel. 94 S. Walter 51.

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X XI

572/57J-520 95 284 (s. unten S. 44, 49) 7231726-728 (s. unten S. 46f.) 371-375 (s. unten S. 44f.) 383-391

Streichung von ursprünglichem Versbestand betrifft im wesentlichen bereits diskutierte Stellen. Ferner gehören auch II 63-6 hierher. 63 dürfte für den Anschluß an 58 verfaßt sein, und mit dem Zusatz von 63-6 war zumindest die Streichung von 59-62 verbunden. Vv. 63-6 dienen einmal der lebhafteren Ausgestaltung der Szene96, zum andern dürfte Vergil beabsichtigt haben, die aus seiner griechischen Quelle97 übertragenen und genauer betrachtet für seine Zwecke weniger geeignete Charakterisierung Sinons in 61f. durch eine passendere, negativere im Anschluß an 66 zu ersetzen98. In VII 759f.(s. oben S. 20) wie auch bei dem formal untypischen Fall V 295-296a (s. oben S. 30) trafen wir auf die Zufügung weiterer Angaben zur Vorstellung einer Person; strikt parallel zu der zusätzlichen Apostrophe in VII 759f. sind VI 832-5. Auch hier ist unverkennbar, daß 835 schon aus inhaltlichen Gründen wesentlich besser an 831 als an 835 anschließt. Ganz unabhängig von der metrischen Unvollständigkeit kann die Perikope über Caesar und Pompeius so abrupt kaum enden.99 Nähere Personenbeschreibung in einem nachträglichen Zusatz finden wir außerdem II 342-6, 787 und III 214-8. II 342-6 stellen den letzten Helden der Reihe Rhipeus (339), Epytus, Hypanis, Dymas (340) und Coroebus (341) näher vor 100 . Angesichts seiner prominenten Rolle in 384ff. verdient er das natürlich; überhaupt ist eine Erwähnung seiner Beziehung zu Kassandra zum Verständnis von 402ff. unabdingbar. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß diese Information

Trotz der Möglichkeit zur Abtrennung eines Zusatzes gehört der Fall eindeutig zu den mangelhaft ausgearbeiteten Passagen und wird unten S. 50f. behandelt werden. 96 Ähnliche Zusätze s. unten S. 46f. 97 Vgl. Q.S. XII 250ff.(T0 γ α ρ νύ μοι εϋαδε θυμώι/ η θανέειν δ η ί ο ι α ν ύπ' ά ν δ ρ ά α ν η ύπαλύξαι/ Άργείοιο μέγα KÜSOC έελδομένοια φέροντα). 98 Richtige Beobachtungen bei Walter 28f., obwohl er den Zusatz nicht korrekt abgrenzt. 99 Grundlos ist die Annahme, die gesamte Perikope über Caesar und Pompeius sei späterer Zusatz, vgl. Norden, Hermes 28 (1893) 506 (aufgegeben im Kommentar zur Stelle, gebilligt von Walter 53). Gerade jedoch ein Blick auf das Folgende erweist die Apostrophe 832-5 als Zusatz. Der Katalog der Helden Roms läuft mit 84Iff. in eine Reihe von Apostrophen aus; 832-5 nehmen dies störend vorweg. 100 quos (347) schließ nahtlos an 340f., kaum jedoch an 346 an.

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unbedingt in Vergils Erstentwurf gegeben worden sein m u ß 1 0 1 . Man könnte freilich parallel zu der zugesetzten Apostrophe in VI 8 3 2 - 5 und VII 759f. auch nur 345f. als pathossteigernden Zusatz ansehen 1 0 2 . 347 schließt zwar am besten direkt an 341 an, doch nach Ausscheidung von 345f. ist der Text gewiß erträglich. Π 7 8 7 1 0 3 bringt eine zusätzliche Angabe zu Creusas Status, der ihre Sonderbehandlung rechtfertigt. III 2 1 4 - 8 bieten eine schaurige fc'tccppacic der Harpyie Celaeno 1 0 4 . In VII 243ff. hatten wir einen von Varius ans Ende der Rede des Ilioneus gestellten Zusatz vermutet, wobei es durchaus Vergils Absicht g e w e s e n sein mag, die Rede am Ende durch ein neues Detail zu bereichern, auch w e n n 2 4 3 so nicht an 2 4 2 anschließt. Zusätze am Ende einer R e d e 1 0 5 finden wir in der

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Vgl. oben (S. 29f.) zu V 295f. Vergil mag, ja wird unweigerlich in einem ersten Durchgang nicht jede Forderung einer bis in jedes Detail durchdachten Gesamtkonzeption berücksichtigt haben. Selbst wenn er sich, wie man annehmen darf, der Tatsache von Anfang an bewußt war, daß Coroebus hier einer nähere Bestimmung bedarf, er muß das nicht alles sofort ausgearbeitet haben. Erwogen von Walter 31. 103 Richtig erklärt von Walter 37. Cartaults (205 Anm. 3) Ausscheidung von 785-7 weist Berres (115ff.) im Anschluß an De Piceis Polver (Annali dell' Islitulo Sup. di Mag. del Piemonte 3 [1929] 82 Anm. 1; zitiert von Berres, mir nicht zugänglich) zu Recht zurück. Sein Einwand gegen Walters Ausscheidung von 787 ist freilich gegenstandslos; 787 ist nach non ego (785) keineswegs unentbehrlich; ego ist allein aus dem Übergang von der dritten Person (lacrimas dileclae pelle Creusae 784) vollauf gerechtfertigt. 787 kann im übrigen ohne weiteres sinnvoll ergänzt werden; zu der bei Servius mitgeteilten Ergänzung et tua coniunx bemerkt Austin (ad loc.) zu Recht: „a more felicitous supplement than most of those recorded on other incomplete lines." Zu Berres' Deutung vgl. oben S. 36f. Anm. 73. hue (219) steht wesentlich besser direkt nach der Erwähnung der Strophaden in 210-3 als nach einer längeren Passage über Celaeno (vgl. Walter 39). Der Einschub wurde bereits richtig abgegrenzt von Cartault 242 Anm. 3. Berres' (209ff.) Versuch, aus dem Halbvers die gesamte Celaenoprophezeiung als nachträgliche Zutat zu erweisen, hängt mit seiner irrigen Interpretation des Verhältnisses von Sau- und Tischorakel in den Büchern III, VII und VIII zusammen (vgl. dazu oben S. 26ff. und 20ff.; zur Stellung des dritten Buches im Gesamtwerk vgl. auch unten S. 54ff.) und verdient angesichts der einfachen und offenkundigen Lösung Cartaults kaum eine ausführliche Widerlegung. 105 Vgl. auch Sparrow 37ff.

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Aeneis an fünf Stellen: II 7 1 7 - 7 2 0 1 0 6 , IV 3 6 0 - 1 1 0 7 , V 8 1 4 - 5 , Χ 2 8 4 1 0 8 , XI 3 7 1 - 5 . In allen Fällen kann der betreffende Passus ohne Schaden wegbleiben, so daß ein fortlaufender Text ohne metrische Lücke entsteht. In X 276ff. könnte man j e d o c h auch mangelnde Ausarbeitung des ganzen Passus vermuten. Turnus' Rede fehlt die Einleitung 1 0 9 . D i e s muß natürlich nicht unbedingt auf Unfertigkeit deuten, doch erinnert der Textbefund an einige andere nicht voll ausgearbeitete kürzere Reden, die unten (S. 51f.) noch zu besprechen sein werden. Eine nähere Betrachtung verdienen XI 3 7 1 - 5 , die mit 3 8 3 - 3 9 1 in Zusammenhang stehen. Die schneidende Ironie in 37 Iff. paßt nicht zu dem sonstigen Ton der Rede und steht zu 364f. (primus ego, inuisum quem tu tibi fingis (et esse/ nihil moror), en supplex uenio) in krassem Gegensatz. Wahrscheinlich handelt es sich um einen unkoordinierten Entwurf zu einer Umarbeitung der gesamten Rede, um ihr einen schärferen Ton zu geben und Drances unsympathischer erscheinen zu lassen. Insbesondere scheinen 3 7 3 - 5 (etiam tu, si qua tibi uis,! sipatrii quid Martis habes, illum aspice contra/ qui 106 Recht betrachtet ist eine Erwähnung der Mitnahme der Penaten (vgl. dazu Wissowa, Hermes 22 [1887] 29ff.) angesichts der hohen Bedeutung des Aktes natürlich höchst angebracht, doch muß dies keineswegs bedeuten, daß Vergil den Text unbedingt von Anfang an in dieser Form gestaltet hat. Daß Aeneas die Penaten mitgerettet hat, geht schon aus 747 unmißverständlich hervor. Wie sie aus der brennenden Stadt herausgetragen wurden, kann in einem Erstentwurf ebenso ausgelassen worden sein, wie unser Text des zweiten Buches seit der Rettung der sacra ... uictosque deos (320) durch Panthus zu deren Verbleib bis zum Auszug des Aeneas nichts zu berichten weiß. 107 Gute Besprechung bei Walter 44f. Prof. Lefövre weist mich auf Williams (zu 381) Beobachtung hin, daß 381 in seiner ersten Hälfte an 361 (ähnlich bereits Pease ad loc.), in der zweiten an 350 anklingt (zu derartigen Bezügen vgl. auch Lefövre WS 8 [1974] 99-115). Ich denke, gerade der doppelte Bezug von 381 erklärt sich gut mit der Annahme, 361 sei später mit Rücksicht auf 381 eingelegt. Man hat im übrigen Aeneas Rede an Dido oft als kalt getadelt, und Lefövre (1. cit.) hat Aeneas zu Recht gegen den Vorwurf der Gefühlskälte in Schutz genommen. Ohne 360f. wird mancher seine Rede vielleicht als noch kälter empfinden. Wie weit ist eine Zeit von den Werten der Dichtung Vergils entfernt, in der man Aeneas nur noch als sympathisch empfinden kann, wo er verliebt ist oder seine Mission vergißt, und bei jeder Regung der Pflicht von vornherein argwöhnt, hier stehe einer vielleicht doch zu schnell stramm. Aeneas' Sachlichkeit hier zu verteidigen sehe ich keinen Anlaß; die Rede kann fur mein Empfinden passend mit 359 enden. 108 „... dagegen scheint mir der Halbvers an der Stelle, wo er jetzt steht, etwas unglücklich nachzuhinken; er ist ja auch nur eine Wiederholung des in Vers 280 ausgedrückten Gedankens", Walter 61. Auch Walters Idee, der Halbvers könnte u.U. ein Altemativentwurf für die erste Hälfte von 280 (in manibus Mars ipse uiris) sein, den Varius ans Ende der Rede gesetzt hat, ist ansprechend. 109 Nachgeholt in einer Konkordanzinterpolation in R und einigen Minuskelcodices; zur Interpolation von Redeeinleitungen s. meinen demnächst erscheinenden Aufsatz im Hermes.

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uocat) darauf hinzuweisen, daß Vergil vorhatte, Aeneas' implizites Angebot zum Einzelkampf in 115ff. (aequius huic Turnum fuerat se opponere mortiJ si bellum finire manu, si pellere Teueres! apparat, his meeum deeuit eoneurrere teils:! uixet cui uitam deus aut sua dextra dedisset) in Drances' Rede nochmals explizit zu machen, um Turnus' Anspielung auf Aeneas' Angebot in 442 (solum Aeneas uocat?) besser zu motivieren. Die Einlage in Turnus' Antwort, 383-91, scheint in Abstimmung mit 371-5 verfaßt zu sein. 383f. (proinde tona eloquio (solitum tibi) meque timoris! argue tu, Drance) nehmen auf 373-5 Bezug; nur da kann Turnus den Vorwurf der Feigheit heraushören110. Hier fügen sich vielleicht auch drei weitere Fälle an, wo Vergil nachträglich ein verbum dicendi am Ende einer Rede zugesetzt zu haben scheint: 1 5 5 9 f . m , II 621-3, V 653. Daß eine ganze Reihe von Halbversen das verbum dicendi in Redeeinleitung oder -abschluß betrifft, ist seit langem bekannt.112 Die Fälle, die die Redeeinleitung betreffen, können nicht einfach als nachträgliche Zusätze zu einem vollständigen Text angesehen werden und sollen weiter unten noch näher besprochen werden (s. unten S. 51f.); sie zeigen, daß Vergil ab und an zuerst die Rede ausgearbeitet und für die Redeeinleitung nur ein Provisorium verfaßt hat. Beim Redeabschluß steht dies etwas anders. Hier könnte grundsätzlich auch auf ein verbum dicendi verzichtet werden, und in den genannten Fällen ist der Text ohne den betreffenden Zusatz vollständig. Vergil schließt längere Reden zwar in der Regel durch ein verbum dicendi in der ein oder anderen Form ab, doch gibt es Ausnahmen113. Es muß auffallen, daß zwei der drei Beispiele im ersten Buch stehen; hier findet sich in der Tat ein eklatantes Beispiel für eine lange Rede ohne anschließendes verbum dicendi (Venus in 229-253). Die Ergänzung haec effata in V 653 ist kaum mehr als eine flüchtig hingeworfene Randnotiz für einen Versanfang mit dem partieipium coniunctum. I 559f. und 631-6 lassen das Bestreben zu einer näheren Ausgestaltung des szenischen Hintergrunds erkennen. 559bf. (nach Horn. II. I 22 1 1 4 ) sind dabei aus V 385f. geborgt. 115 In 631-6 ist mit 110

Daß die Halbverse in Drances' und Turnus' Rede im Zusammenhang betrachtet werden müssen, hat Walter (63) richtig erkannt. 111 Vgl. Austin ad loc. 112 S. Sparrow 1. cit. (S. 43 Anm. 105). Nur gehören die hier und unten (S. 51f.) diskutierten Fälle nicht strikt zu derselben Gruppe wie die Anfügungen am Ende einer Rede, denn dort betrifft die Umarbeitung nicht die Einbettung der Rede in den Kontext. 113 Vgl. die Auflistung bei Berres 72 Anm. 3, der zugleich den Versuch einer Klassifizierung macht. 114 ϊνθ' ϋλλοι μέν πάντεο έττευφήμηοαν 'Αχαιοί. 115 Erkannt von Walter 25f. Berres' (295ff.) Versuch, aus dem Halbvers 560 weitreichende analytische Schlußfolgerungen abzuleiten, geht von seiner verfehlten Annahme aus, daß Halbverse im allgemeinen einen folgenden Zusatz anzeigen. Die Didorede als

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Einführung des Redeabschlusses sie memorat (631) eine Ausgestaltung der S z e n e v o n immerhin sieben Versen verbunden. Leichte Inkongruenzen mit 6 4 3 f f . stützen unsere Annahme, daß 6 3 1 - 6 im Erstentwurf fehlten. In d e m Text, den wir lesen, sind die Didogeschenke an die Gefährte des Aeneas ( 6 3 3 6) und die Mission des Achates, Ascanius und Geschenke für Dido zu bringen (643ff.) schlecht koordiniert. A u c h bei den übrigen B e i s p i e l e n für spätere Zusätze, die mit e i n e m unvollständigen Halbvers abschließen, handelt e s sich zumeist um lebhaftere Ausgestaltung der Erzählung wie oben in II 6 3 - 6 oder etwa in IX 1 6 6 - 7 1 1 6 , und vielleicht gehören auch III 6 6 0 - 1 hierher 1 1 7 . V 5 9 4 - 5 1 1 8 und X 7 2 3 / 6 8 1 1 9 wird, w i e in VII 6 9 8 - 7 0 2 (s. oben S. 15, 35), ein Gleichnis eingelegt. Der zweite Fall ist schwer zu beurteilen; drei Erklärungsmöglichkeiten bieten sich an: 1) man könnte sich auf die Ausscheidung v o n 7 2 6 - 8 beschränken. D a ß der Vergleich so nicht zu einem vollen Vergleichssatz ausgedehnt wird, ist i m Hinblick auf den Bezug des vorausgehenden Temporalsatzes auf 7 2 9 gewiß ein Gewinn. Freilich führt die Einlage eines längeren Vergleichs zwischen 7 2 2 und 7 2 9 s o w i e die Einleitung der A p o d o s i s mit sie zu einer äußerst umständlichen Periode. Man wird den Verdacht nicht los, daß 2) entweder die nachträgliche Einlage zu betrachten, löst überhaupt nichts von den durchaus bestehenden kleineren Unstimmigkeiten im ersten Buch, wie Berres ja auch selbst zugeben muß, daß auch die Ilioneusrede überarbeitet sein muß, wenn man die zunächst feindliche Aufnahme der Troer in Carthago aus dem Erstentwurf verbannen will. Den Widerspruch zwischen Iuppiters Auftrag an Merkur (297-303) und der zunächst feindlichen Aufnahme der troischen Rotte, den Berres im Anschluß an ältere Beiträge (vgl. Berres 296 Anm. 71) herausstellt, halte ich nicht für unüberwindlich (Stahls, Hermes 97 [1969] 357, Verteidigung des vergilschen Textes ist allerdings nicht voll befriedigend). Der Akzent von Merkurs Mission liegt ganz auf der Vorbereitung Didos; ponunt ferocia Poeni corda (302f.) wird nur ganz nebenbei hingeworfen, und so gewalttätig, wie Ilioneus das Verhalten der Carthager verständlicherweise - ausmalt (539-541), scheint es ja in Wirklichkeit gar nicht gewesen zu sein. Keinem Trojaner wird doch ein Haar gekrümmt; ihre Gesandtschaft wird anstandslos zur Königin vorgelassen. Was die Carthager taten, war doch wirklich nicht mehr als finis custode tueri (564). Sobald die Trojaner sich und ihre friedliche Absicht zu erkennen geben, werden sie ganz im Sinne Merkurs behandelt. 116 Vgl. Walter 58. 117 So Walter 43 (bereits Heyne hielt 660f. für interpoliert). In diesem Fall vom Ende des besonders mangelhaft ausgearbeiteten dritten Buches (s. unten S. 54ff.) könnte man u.U. aber auch eher einen lückenhaften Entwurf der Szene als einen späteren Zusatz vermuten. 118 S. Norden zu VI 270ff.; Cartault 387 Anm. 4, Sparrow 34, Walter 49f. Rieks (1075) lehnt es ab, das Delphingleichnis als Zusatz zu betrachten, und verweist auf die angeblich symmetrische Komposition ab; angesichts der Einbeziehung eines Halbverses sind derartige Berechnungen hinfällig. 119 Vgl. auch Sparrow 37ff., Walter 62 und Berres lOOff. Zu den homerischen Vorbildern vgl. Knauer 1,418f.

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ganz Passage 719 aus drei unkoordinierten Entwürfen (d.h. 719-22, 723-8, 729) zusammengestückt ist, oder daß 3) der lange Vergleich 723-8 ein erster Entwurf zu einer Umgestaltung der Passage ist und eine andere Fortsetzung von 722 verdrängt hat. Letztere Möglichkeit scheint allerdings weniger wahrscheinlich, da die nach 721f. unpassende Einleitung der Apodosis mit sie dann zum ursprünglichen Text gehören müßte. Bevor noch zwei Passagen des zweiten Buches erwähnt werden sollen, wo wir Spuren einer besonders weitreichenden Überarbeitung fassen, will ich nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß die im vorigen versuchte Typisierung der Vergilschen Selbstinterpolation deutliche Parallelen zu geläufigen Typen der antiken Interpolation aufweist, wie sie gerade neuerdings Tarrant wieder in einem hervorragenden Beitrag zusammengestellt hat 120 . Insbesondere die weitverbreiteten Typen der Schlußinterpolation 121 und der explikativen Interpolation sind prominent vertreten. Die Probleme der Laokoonepisode (II 35-56 und 199-233) sind in der älteren Forschung viel diskutiert worden, und die mangelnde Koordination mit der Sinonepisode ist wohlbekannt 1 2 2 . Heinze (12ff.) - der die Unstimmigkeiten ausführlich diskutiert und zusammenfaßt - hat die Gründe, die Vergil bewogen haben, die Episode neben der Sinonrede aufzunehmen sowie ihre Teilung in zwei getrennte Szenen mit dem ihm eigenen Einfühlungsvermögen in Vergils Kunstwollen mustergültig herausgestellt. Dies muß jedoch keineswegs bedeuten, daß die Laokoonepisode unbedingt zusammen mit der Sinonepisode verfaßt sein muß. Vergil kann die Sinonepisode durchaus erst später durch die Laokoonepisode erweitert haben; er mag durchaus auch von Anfang an geplant haben, Laokoon neben Sinon auftreten zu lassen, doch weist der Textbefund mit dem Halbvers 234 darauf hin, daß die Laookonszene nicht in einem Zuge mit der Sinonepisode gedichtet ist 123 . Man darf annehmen, daß auch die leichten Unstimmigkeiten in der Koordinierung der Szenen in seiner Endredaktion weiter geglättet worden wären. Starke Spuren von Überarbeitung weist auch die Venusbegegnung 589ff. auf. Zwei auf engem Raum aufeinander folgende Halbverse (614 und 623)

120 Ygi r t Tarrant, The Reader as Author: Collaborative Interpolation in Latin Poetry, in: J.N. Grant (ed.), Editing Greek and Latin Texts (New York 1989) 121-162. 121

Zu diesem besonders weit verbreiteten Interpolationstyp s. insbesondere Jachmann in: Festschrift F. Schulz (Weimar 1951) II 179-187. 122 Vgl. insbesondere Bethes (RhM 46 [1891] 511-527) im wesentlichen richtige Darlegungen. 123 Richtig beurteilt von Walter 29f.

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stehen am Ende jeweils glatt ablösbarer Zusätze 124 . Der Zusatz am Ende der Rede (621-3) gehört zu dem verbreiteten, oben besprochenen Typ der nachträglichen Anfügung des verbum dicendi. 604-14 sind zugleich erklärender Zusatz und weitere Ausgestaltung der kühnen Vergilschen Erfindung, Aeneas den Untergang Trojas direkt aus der übernatürlichen Perspektive miterleben zu lassen 125 . Der Venusauftritt folgt direkt auf die interpolierte Helenaszene (567-88) 1 2 6 , die man im allgemeinen für die Interpolation einer Lücke hält. Freilich könnte 589 direkt an das Praesens in 564 anschließen 127 . Kraggerud 128 hat in der Tat argumentiert, daß die Venusbegegnung ohne nähere Vorbereitung mit einem kurzen Übergang auf 566 folgen könnte. Dies scheint möglich, doch gewiß mehr schlecht als recht. Venus' Worte in 594f. (nate, quis indomitas tantus dolor excitat iras?/ quid furis...?) blieben schlecht motiviert. Gut vorstellbar ist freilich, daß Vergil in einem ersten Durchgang diese Motivierung noch nicht geboten hat. 565f. dürften ein späterer Zusatz sein und einen ersten Ansatz zur Einfügung einer die Venusbegegnung vorbereitenden Partie sein. Die Aufnahme dieses Fragments in den Text zerstört den Anschluß von 589 129 .

124 Man beachte auch den unmittelbar auf die Rede folgenden Vergleich mit fehlender Apodosis (626ff.; s. oben S. 40f. Anm. 85) 125 Vgl. Heinze 5Iff. 126 Die Unechtheit halte ich nach Goolds grundlegendem Beitrag für erwiesen (vgl. auch die neueren Beiträge Murgias, CSCA 4 [1971] 203-274 und Zetzels, neuerdings auch Gransden, G&R 32 [1985] 69f.; vgl. auch die Diskussion bei Geymonat 290); neuere Verteidigungsversuche (s. etwa die oben Anm. 2 genannte Abhandlung von Berres) gehen am Überlieferungsbefund vorbei und verdienen keine Widerlegung. 127 Vgl. Austin ad loc. Zu cum inuersum nach Praesens in Vergil vgl. X 261, mutatis mutandis auch VII166; nach Inf. Praes. V 657. 128 SO 50 (1975) 108ff. 129 Die mangelnde Ausarbeitung der Venusbegegnung zeigt sich auch in dem Fehlen der Apodosis zu dem Gleichnis in 626-31 (s. oben S. 40f. Anm. 85). In 640 folgt ein Halbvers, der lückenhafte Ausführung des Textes verrät (s. unten S. 58).

Halbverse in lückenhaften Entwürfen Es bleibt, die restlichen Fälle von unvollständigen Halbversen zu betrachten, wo eine glatte Ablösung eines Textstücks unmöglich scheint. Mitaufgenommen sind die vier oben (S. 40ff.) bereits erwähnten Stellen, wo zwar eine saubere Abtrennung eines Zusatzes möglich wäre, die jedoch trotzdem in die folgende Kategorie zu gehören scheinen; die betreffenden Halbverse sind in der folgenden Liste kursiv gedruckt. Neben den beiden oben diskutierten Stellen aus dem siebten Buch (439 und 455) handelt es sich um folgende, insgesamt 25 Halbverse: Π ΠΙ

IV V Vm IX

X

XII

640 316 340 470 527 640 661 (s. oben S. 41,46 mit Anm. 117) 400 322 469 536 295 467 520 721 761 17 284 (s. oben S. 42, 44) 490 580 728 (s. oben S. 40f. Anm. 85) 876 631

Nun muß natürlich zunächst einmal der Vorbehalt gemacht werden, daß grundsätzlich auch dort, wo keine glatte Abtrennung eines Textstückes möglich ist, nachträgliche Zusätze vorliegen können, die einen früheren Text ganz oder teilweise verdrängt haben (s. oben S. 40ff.). Eine derartige

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Hypothese ist in einigen der hier aufgelisteten Fälle nicht völlig ausgeschlossen, doch haben einerseits die beiden zu Beginn besprochenen Halbverse aus dem Redeaustausch Turnus-Allecto im siebten Buch (439 und 455) gezeigt, daß Halbverse durchaus auch ursprüngliche Lücken im Erstentwurf darstellen können, und eine nähere Analyse des Textbefundes spricht in den meisten der hier aufgelisteten Fällen mehr oder weniger eindeutig für eine derartige Interpretation. In der Mehrzahl der Fälle wird sich zwar zeigen, daß die unvollständigen Verse unseres Textes letztendlich doch auf sukzessive Stadien in Vergils Ausarbeitung des Textes schließen lassen, im Gegensatz zu den oben aufgelisteten Fällen bleibt hier jedoch eine lückenhafte Ausführung des Erstentwurfs durch den Dichter zurück. Den krassesten Fall einer unausgefüllten Lücke stellt gewiß der bereits erwähnte Halbvers III 340 dar, der auch syntaktisch unvollständig ist 130 . Die Stelle wurde oben bereits im Zusammenhang mit der Creusaszene besprochen (s. oben S. 35ff.); es ist klar, daß der Text hier in höchstem Grade skizzenhaft blieb. Besonders starke Spuren von Unfertigkeit und Lückenhaftigkeit zeigt auch die Umgebung des Halbverses IV 400 131 . Dem mit ac uelut eingeleiteten Gleichnis 402-407 fehlt die Apodosis (s. oben S. 40f. Anm. 85). Die Lücke in V 322 wurde oben bereits im Zusammenhang behandelt (s. oben S. 30). Interessanterweise endet auch im neunten Buch ein Halbvers mit den Namen des Nisus und Euryalus (467). Die Lückenhaftigkeit des Textes ist offenkundig; die Genitive Euryali et Nisi sind über den vorhergehenden Halbsatz (multo clamore sequuntur) kaum mehr mit dem Vorigen koordiniert 132 . Auch der nicht weit entfernte Halbvers IX 520 steht in einem nur skizzenhaft ausgearbeiteten Kontext. Hier könnte man zwar daran denken, 515-20 (u.U. sogar 512-20) als Zusatz zu betrachten, doch eine nähere Analyse des Passus legt die Vermutung nahe, daß der gesamte Passus 503ff. mangelhaft ausgearbeitet ist. Nach der achtzehn Verse in Anspruch nehmenden Bestürmung des trojanischen Lagers durch Rutuler und Volsker (503-20) kann die Perikope (vor dem die Aristie des Turnus einleitenden Musenanruf 525ff.) kaum mit vier Versen (521-4) über die Aktivitäten von Mezentius und Messapus parte alia (521) enden, pars in 507 bleibt ohne Pendant; dagegen 130 Zu einem weiteren möglicherweise syntaktisch unvollständigen Vers s. oben S. 40 Anm. 84; vgl. auch unten S. 69. 131 Zu den inhaltlichen Problemen s. Georgii 220, Walter 45f. 132 S. Walter 59. Die Integration des Halbverses ist so mangelhaft, daß Heynes Verdacht auf Interpolation der Genitive durchaus Berechtigung hat; freilich müßte in jedem Falle eine Lücke in Vergils Text angenommen werden, da eine Identifikation der aufgespießten Köpfe unentbehrlich ist. Zu den möglichen weiteren Implikationen des Halbverses hinsichtlich der Datierung des neunten Buches s. unten S. 62.

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werden dann Mezentius und Messapus viel weiter unten eben mit parte alia eingeführt, und 523f. (IX 523 = VII 691!) sind eine seltsame Dublette zu 506f. Zudem sollte man, denke ich, bereits vor dem die Metzelszene der Turnusopfer einleitenden Musenanruf eine kurze Erwähnung des Turnus erwarten. 503-20 und 521-4 dürften zwei unkoordinierte Entwürfe für den Auftakt der Schlacht um das Lager darstellen 133 . Ein weiterer Halbvers des dritten Buches (III 316) sowie II 640 und X 876 1 3 4 gehören jedesmal an den Anfang einer kurzen Rede, der mit einem Halbvers abbricht 135 . Dies erinnert deutlich an die unvollendeten Reden des Turnus und der Allecto in Buch VII, und ich denke, man wird auch VIII 536 hierherrechnen dürfen 1 3 6 . Bezeichnenderweise steht III 316 nahe bei dem soeben erwähnten Halbvers III 340 in der besonders lückenhaften Andromacheszene, und auch die Achaemenidesszene weist mit III 640 und 661 zwei Halbverse in kurzem Abstand auf. Der zweite könnte auf einen Zusatz zurückgehen (s. oben S. 49), doch im ersten Falle sehe ich keine andere Möglichkeit als die Annahme einer Lücke. Besonders deutlich ist die mangelnde Ausarbeitung einer kurzen Rede in X 875f.; die eineinhalb Verse bieten nur einen ersten Entwurf für Aeneas' Gebet, das nicht weiter ausgearbeitet wurde. Genau umgekehrt steht es mit einer ganzen Reihe von Fällen, wo Vergil offenbar zunächst eine direkte Rede voll ausgearbeitet, sie jedoch noch nicht voll in den Kontext integriert hat: III 527, VIII 469, IX 295, X 17, 490, 580 und XII 631. Hier schließt der Vers, der das redeeinleitende verbum dicendi enthält, nicht an den folgenden Redeanfang an 137 . Bedenkt man, daß Vergil in der Gestaltung der Redeeinleitung und des Redeabschlusses sich einer wohldurchdachten Formeltechnik bedient, die eine

133 S. auch P. Deuticke, Vergils Gedichte III (Berlin 1904) 285. Vgl. ferner die anderen beiden mangelhaft ausgearbeiteten Schlachtszenen im neunten Buch 717ff. und 756ff. (s. unten S. 52f.). 134 Vgl. Walter 62. 135 Zu III 316 vgl. die plausiblen Vermutungen Walters 39. 136 Die inhaltlichen Mängel der ganzen die Schildbeschreibung einleitenden Partie (520ff.) hat Walter (58) im Anschluß an Ladewig (Über einige Stellen des Vergil [Grat. Sehr. Neustrelitz 1853] 3ff.) richtig hervorgehoben. Auch hier dürfte der Text ähnlich wie in der Tiberszene noch in einem gewissen Rohzustand sein. Auch Eden (zu 532ff.) spricht unter Verweis auf seine Anmerkungen zum Einzelnen von einer „number of obscurities" in der Rede, die den Eindruck mangelnder Vollendung entstehen lassen; ich würde weniger von „obscurity" sprechen, doch erweckt die Ellipse in 5 3 4 - 6 den Eindruck extremer Komprimierung, die u.U. als Zeichen mangelnder Vollendung gewertet werden könnte (s. oben S. 19 Anm. 32). Kein Problem sehe ich in 533: Olympo gehört eindeutig zum Vorigen. 137

Vgl. Sparrow 37f.

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empfindliche Mitte zwischen Formelhaftigkeit und variatio einhält 138 , so ist es äußerst plausibel, daß er öfters zunächst einmal auf die Formulierung der Redeeinleitung und, wie wir oben gesehen haben (s. oben S. 45f.) auch des Redeabschlusses, verzichtet hat und zunächst nur die Rede selbst ausformulierte. Die Integration der Rede in den Kontext durch die Redeeinleitung mag er sich für einen späteren Zeitpunkt aufgespart haben, wenn er bereits einen weiteren Überblick über die Bedürfnisse des Gesamtwerks haben würde 139 . Die erhaltenen Halbverse dürften erste Skizzen für eine Redeeinleitung darstellen 140 . In diesen Zusammenhang gehört, wie wir oben gesehen haben auch III 470, wo wir in 463^470 den Redeabschluß samt eines Entwurfes zur Überleitung ähnlich dem Zusatz I 631-635 fassen. Nur daß im Gegensatz zu den oben (S. 45f.) aufgelisteten Stellen, der ursprüngliche Textentwurf grob lückenhaft bleibt; der auf den Halbvers 470 folgende Vers stellt gewiß den Abschluß der Überleitung dar, schließt jedoch noch nicht nach oben an. Somit weist diese Gruppe von Halbversen doch wieder auf sukzessive Stadien in der Ausarbeitung, nur daß hier der Erstentwurf keinen wie auch immer im Zusammenhang lesbaren Text ergab. Dasselbe gilt für die beiden noch verbleibenden Halbverse aus dem neunten Buch (721 und 761). Auf beide Halbverse folgt unvermittelt der Einsatz einer Einzelkampfszene, der im ersten Falle jede Verbindung zum Vorigen fehlt. Es scheint, daß Vergil zuweilen zunächst Einzelkämpfe und Aristien ausgearbeitet, die Einordnung in den größeren Kampfzusammenhang jedoch ausgespart hat 1 4 1 . 717-21 und 756-761 scheinen erste Ansätze zu verbindenden Versatzstücken zu sein, die Vergil zunächst ausgespart hatte 142 .

138 v g j dazy di e neueste, in der Sammlung des Materials umfassendste, jedoch leider recht oberflächliche Arbeit von W. Moskalew, Formular Language and Poetic Design in the Aeneid, Mnemosyne Suppl. 73 (Leiden 1982), insbesondere 63ff. ('Speaking Formulae'); ansonsten bereits Heinze 366 Anm. 2, 462ff. Die Sensibilität gegen die leere Formalhaftigkeit traditioneller epischer Redeeinleitungen illustriert Lucil. fr. 18. 139 140

Vgl. auch Walter 42. Es ist bemerkenswert, daß alle Lücken im zehnten Buch gleichermaßen zu erklären

sind. 141 Ein weiteres Indiz dieser Technik scheinen XI636-654 zu sein, in denen Mackail (ad loc.) mit einiger Wahrscheinlichkeit einen nicht integrierten Entwurf Vergils für eine Einzelkampfszene vermutet hat, den Varius an dieser Stelle eingeschoben hat. 142 Im Falle von 717-21 ist das Provisorium besonders deutlich zu erkennen. Das Subjekt zu conueniunt (720) ist unerträglich unklar; man kann höchstens die beiden Armeen verstehen, und schon das ist nach Teucris in 719 schlecht. Der Kontext freilich legt eher die Rutuler nahe (Hardie ad loc. behauptet ohne nähere Erklärung: „undique conueniunt applies only to the Latins"); vgl. Conington-Nettleship Kommentar ad loc.: „The meaning seems to be that the two armies join battle, though one is inspirited, the other disheartened.

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Z u s a m m e n f a s s e n d wird man sagen dürfen, daß in den oben (S. 4 9 ) aufgelisteten, mit VII 439und 4 5 5 , 2 5 Fällen unvollendeter Halbverse der uns überlieferte T e x t in der R e g e l aus einer mehr oder w e n i g e r g r o b e n Z u s a m m e n s t ü c k u n g separat ausgearbeiteter Einzelpassagen beruht, ganz ähnlich d e m Textbefund am Anfang des achten Buches, w i e wir ihn oben interpretiert haben (s. oben S. 26ff.).

It is conceivable however that we may be meant to think of the Rutulians alone, which would agree better with the next line." Ferner vgl. Walter 60. Die beiden Versatzstücke 717-21 und 756-761 sind kläriich aufeinander abgestimmt. Die allgemeine Flucht, die die 'Beinahe-Episode' 756ff. (s. dazu H.-G. Nesselrath, Ungeschehenes Geschehen [Beiträge zur Altertumskunde 27, Stuttgart 1992] 12ff„ 76, s. auch Hardie ad loc.) einleitet, wird 717-21 vorbereitet; freilich wird sie durch die dazwischenstehende Einzelepisode 'Turnus-Pandarus' nicht hinreichend motiviert, und 756 schließt so recht vage an das Vorhergehende an.

Zur Chronologie der Bücher Versuchen wir nun einen Ausblick auf weiterreichende Probleme der Aeneisanalyse sowie auf die gewonnenen Einsichten in Vergils Arbeitsweise und die posthume Aeneisausgabe, so darf zunächst einmal festgehalten werden, daß die im vorigen vorgetragene Analyse der Passagen, die das notorische Probleme der Stellung des dritten Buches betreffen, schlagend die in der neueren Forschung immer wieder bestrittene Position Heinzes bestätigt hat, das dritte Buch sei als eines der spätesten der Aeneis nach den Büchern I, II, IV, VI, VII und VIII verfaßt 1 4 3 . Entgegen der häufig vorgetragenen Behauptung des Gegenteils legt das unzweideutige Zeugnis der Halbverse in den auf ΙΠ Rücksicht nehmenden, bzw. mit III kollidierenden Partien in I, Π, VI, VII und VIII die Annahme nahe, daß die betreffenden Bücher mit Rücksicht auf III umgearbeitet werden sollten 1 4 4 . Ich hoffe die im vorigen gegebene Interpretation der betreffenden Partien hat zur Genüge klar gemacht,

143 S. Heinze 86ff. (zuerst vertreten von Schüler 8ff.) Gegen Heinze in neuerer Zeit etwa Büchner 34 Iff. = 1363ff., Berres 199ff. (zur älteren Forschung vgl. die Bibliographie bei D'Anna 49 Anm. 1). Williams (Einleitung zu Buch III S. 22 Anm. 1) bezeichnet die auch von ihm selbst gebilligte frühe Entstehung des dritten Buches als die 'generally held view'. Büchner (343ff. = 1365f„ 405 = 1427; noch schärfer Horsfall 3, 92) hat im übrigen Aussagen über die Chronologie der Bücher der Aeneis mit dem Argument zu relativieren gesucht, Vergils nach Auskunft der antiken Quellen sprunghafte Arbeitsweise lasse nur Aussagen über die chronologischen Verhältnisse einzelner Episoden, nicht ganzer Bücher zu. Darin steckt gewiß etwas Richtiges; dennoch ist Büchners Position zu einem guten Teil auch von seiner Polemik gegen Heinzes starke Betonung der inneren Einheit und Abgeschlossenheit der Einzelbücher der Aeneis bestimmt (vgl. Büchners Einleitung zu seinem Aeneisabschnitt 316f. = 1338f.) und hängt außerdem an einer Fehleinschätzung des Wertes der Nachricht in VSD 23f. (s. unten S. 64). Gewiß dürften Pauschalaussagen über die Chronologie ganzer Bücher - ganz abgesehen von der unvermeidlichen Unsicherheit aller derartiger Hypothesen überhaupt - den wahren, für uns aus innerer Evidenz im einzelnen nicht mehr erschließbaren Sachverhalt stark vergröbern. Gerade in der zweiten, weit weniger von thematisch in sich abgeschlossenen Einzelbüchern bestimmten Aeneishälfte wird man dem Einzelbuch auch als chronologischem Fixpunkt weniger Gewicht zumessen. Hier werden wir im folgenden auch einen Fall für die selbständige Komposition einer Einzelszene kennenlemen (s. unten S. 62; ähnliches wurde insbesondere für die Camillaepisode XI 53984 vermutet, s. Heinze 416; vgl. neuerdings auch Suerbaum WJbb 6a [1980] 139-160). Bücher wie das zweite, vierte und sechste dürften hingegen doch auch als Einheit geschrieben sein, und sie lassen sich ja auch schon aufgrund der Nachricht von ihrer Rezitation vor Augustus als chronologische Fixpunkte verwerten (s. unten S. 60f.). Im übrigen wird Heinzes Auffassung von Vergils Arbeitsweise aus der im folgenden versuchten Interpretation der inneren Evidenz des Textes weitestgehende Bestätigung finden (s. unten S. 66f.). 144 Zu IV und VI s. unten.

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daß es keinen Grund gibt, diese Evidenz nicht für das zu nehmen, was sie ist; nichts zwingt dazu, den Sachverhalt künstlich umzukehren. Die mangelnde Zustimmung, die Heinzes Auffassung in der Forschung gefunden hat, liegt allerdings gewiß daran, daß Heinze selbst die für die richtige Beurteilung der Stellung von Buch III zentralen Passagen, das Sau- und das Tischorakel, gründlich mißinterpretiert hat, da er sich durch seine überzogene Hypothese von der schrittweisen Enthüllung des Reisezieles und mangelnde Berücksichtigung der Halbverse den Weg zu einem richtigen Verständnis verbaut hatte. Richtig an seiner These bleibt, daß Vergil mit der Ausarbeitung des Reisebuches von einem ursprünglichen Plan abrückte, nach dem den Aeneaden das Ziel von Anfang an bekannt war. Dieser ursprüngliche Plan läßt sich unzweideutig aus der Creusaszene im zweiten Buch erschließen, und diese Szene wäre in der Endfassung gefallen (s. oben S. 35ff.). Unbegründet ist die Annahme, Vergil habe beabsichtigt, im dritten Buch als Reiseziel nur Italien, nicht jedoch Latium zu nennen. Auffällig ist die Tatsache, daß der Tiber in Buch III nur 500f. (si quando Thybrim uicinaque Thybridis arua intraro...) von Aeneas wie nebenbei und nirgends an prominenterer Stelle in einer Prophezeiung erwähnt wird, doch dürfte dies mit dem unfertigen Zustand gerade diesen späten Buches zusammenhängen. Die Stellen in den Büchern I, IV, VI, die das Reiseziel als bekannt voraussetzen, dürften zwar noch unter der Voraussetzung des ursprünglichen Planes gedichtet sein 145 , sind jedoch mit der neuen Konzeption des dritten Buches ohne weiteres vereinbar. Ebenso bestand kein Grund die Landungsszene im siebten Buch umzuschreiben, wie Heinze angenommen hat 146 . Eine relativ späte Entstehung des dritten Buches in seiner vorliegenden Form wurde nach Heinze fast nur in Zusammenhang mit Sabbadinis Hypothese von der doppelten Redaktion des dritten Buches vertreten 147 . Doch 145 Dies legen insbesondere IV 31 Iff., 345ff. und 376ff. nahe, die Gercke (60ff.) glaubte, nicht mit ΙΠ vereinbaren zu können; vgl. dazu jedoch D'Anna 55. 146 Zu Gerckes und D'Annas Auffassung s. oben S. 21f. Anm. 37. 147 S. das im Literaturverzeichnis genannte Werk; Sabbadinis Hypothese wurde angenommen von Pascal, Rend. Acc. Arch. Lett. Belle Arti Napoli 1908 (= Scritti vari di letteratura latina [Turin 1920], 171-184); Crump 16ff., lOOff.; F. Richards, The Aeneid of Virgil (London 1928) llff.; Mackail S. 89ff.; Columba 81ff„ Thaler 87ff., A. Rostagni, Suetonio - De poetis e Biografi minori (Turin 1944) 102, A. Mazzarino, II racconto di Enea (Turin 1955) 73ff., D'Anna 68ff., Eden zu VIII 41; selbst Williams äußert sich trotz seiner zu Recht entschiedenen Ablehnung in einer Anmerkung der Einleitung zu seinem Kommentar zu Buch III („but it must be stressed that there is no possibility whatsoever that the bulk of book III is a third-person narrative slightly rewritten into the first person. If anyone thinks that it is, let him try to write it back again into the third person, adding the subjects Aeneas, Teucri, etc., where necessary", S. 2 Anm. 3) zuweilen zwiespältig (s. bereits S. 3 der Einleitung und seine Anmerkung zu V. 698). Eine ähnliche Hypothese wurde

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keines der von Sabbadini vorgetragenen Argumente für Relikte seiner 'narrativen' Fassung des dritten Buches ist wirklich stichhaltig 1 4 8 , und schwere Bedenken sprechen a priori gegen einen ursprüngliche Beginn der Aeneis mit dem Irrfahrtenbuch. Nicht nur daß die Irrfahrten schon im homerischen Modell in der ersten Person erzählt sind 149 , der Einsatz des Epos zu einem relativ frühen Zeitpunkt des Geschehens widerspricht fundamental der Struktur beider homerischer Epen mit ihrer Tendenz zur Konzentration des Stoffes, und Vergils Werk zeigt unzweideutig, daß er dieses Strukturprinzip des homerischen Vorbilds voll gewürdigt und in seinem Sinne fruchtbar gemacht hat 150 . Die jahrelangen Irrfahrten der Aeneaden in einem Buch zu

im übrigen für die Bücher κ-μ der Odyssee von Kirchhoff (Die homerische Odyssee [^Berlin 1879) aufgestellt; sie hat bis R. Merkelbachs wichtigen Untersuchungen zur Odyssee [Zetemata 2, München 1951] 67 Anm. 1,206 Anm. 2 Nachfolge gefunden); weitere Literatur bei Suerbaum 1, 158 Anm. 14. 148

Das Wesentliche ist gesagt von Helm in Bursians Jahresbericht 113 (1902) 49-56, dessen Argumente teilweise auch von D'Anna (68) anerkannt werden. Insbesondere Sabbadinis scheinbar stärkstes Indiz für eine Erzählung in der dritten Person, die dritten Personen in 686 und 352f. beweisen gar nichts. In 352f„ wo die Trojaner gastliche Aufnahme in einer Miniaturnachbildung ihrer alten Heimat finden, ist Teucri auch im Munde des Aeneas unanstößig. In 684-6 gehen die Schwierigkeiten des überlieferten Textes über die dritte Person in 686 hinaus; entweder ist der Text hoffnungslos korrupt, oder man wird mit Williams (ad loc.) einen nur in Ansätzen formulierten Entwurf Vergils vermuten (wenn dies richtig ist, so dürfte m.E. Page [ad loc.] mit seiner Erklärung des Textes auf der richtigen Spur sein). Zwar sollte man gegenüber derartigen Hypothesen mißtrauisch sein, doch angesichts der fragmentarischen Ausarbeitung der vorausgehenden Achaemenidesszene (s. oben S. 51) und der Tatsache, daß wir uns am Ende eines besonders wenig ausgearbeiteten Buches befinden, ist Williams Vermutung nicht ganz von der Hand zu weisen. Man tut Vergil keinen Gefallen, wenn man den unschönen Wechsel zum Singular in 698 aus der Übertragung aus der dritten Person erklärt; er bleibt unentschuldbar. Hätte Vergil im dritten Buch tatsächlich so primitiv gearbeitet, wäre das nicht die einzige Stelle, wo ein derartiger Text entstanden wäre. 704 mag man ebenso wie 702 oder auch 13ff., 75, 334, 506, 55 Iff. und 688ff. überhaupt (als Beleg für die narrative Fassung angeführt etwa von Mackail 90 und Thaler 88) im Munde Aeneas für weniger passend halten als im Munde des Dichters, doch wird man es Vergil kaum verübeln, wenn er auf derartige Gepflogenheiten epischer Erzählung auch in Aeneas' Bericht nicht ganz verzichten will (zum Schluß des dritten Buches vgl. jetzt Geymonat, HSCP 95 [1993] 323ff.). Wenn die Erzählung im dritten Buch insgesamt wesentlich unpersönlicher wirkt als im zweiten, Aeneas sich selbst weit weniger ins Licht setzt, die Zuhörerin Dido im Gegensatz zu II 2, 65f., 506 nie ins Blickfeld rückt, so hängt dies einerseits gewiß mit dem Stoff der Erzählung selbst zusammen. Doch mag durchaus auch die mangelnde Ausarbeitung des Buches eine Rolle spielen. 149

Richtig Helm 50; vgl. auch F. Mehmel 93 Anm. 19. „Die Übersicht lehrt zugleich eines: daß Vergil danach gestrebt hat, die Handlung auf einen möglichst kleinen Zeitraum zusammenzudrängen; sieht man von den handlungslosen und handlungsarmen Zwischenräumen ab, so sind es nur einige zwanzig Tage, von denen 150

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Beginn zusammenzufassen, um dann zu weiteren Büchern überzugehen, die außer dem vierten Buch 151 die Ereignisse weniger Tage schildern, hätte zu einem unerträglich lahmen Anfang und zu einer unerträglichen Inkongruenz mit dem Folgenden geführt, während die Einbettung in Aeneas' Bericht zu der von Vergil erstrebten Konzentration und Zeitraffung geeignet ist 152 . Es scheint mir unglaublich, daß Vergil ohne Not eine grundsätzlich so völlig Virgil erzählt. Dazu hat nicht nur das Vorbild von Ilias und Odyssee geführt: das Streben nach konzentrierter Wirkung mußte das gleiche Resultat haben", so kommentiert Heinze (342) seine Zeittafel der Aeneis\ des weiteren vgl. auch seine Einführung (173) in die Struktur der zweiten Hälfte der Aeneis: „Virgils erstes Bedürfnis war die Konzentrierung des Stoffes: aus den drei oder vier Fehlschlägen der Tradition macht er einen, der allerdings mehrere Treffen umfaßt, und drängt die Ereignisse einer Reihe von Jahren in wenigen Tagen zusammen; lückenlos reihen sich die Begebnisse aneinander, ohne Einschnitt, der die Teilnahme des Lesers unterbräche. So hatte ja auch der Dichter der Ilias eine Fülle von Stoff, die sich auf Jahre verteilen ließ, in die wenigen Tage der μήνκ zusammengedrängt". Die Konzentration des Stoffes und die besondere von Rückblenden und Vorverweisen geprägte Struktur der homerischen Epen, die in der neueren Forschung seit Schadewaldts IHasstudien (vgl. insbesondere 160f., zu Vergil auch 158; ansonsten verweise ich nur auf A. Lesky, Homeros [Stuttgart 1967] 94 und neuerdings Latacz in: Zweihundert Jahre HomerForschung, Colloquium Rauricum 2 [Stuttgart 1991) 381ff. und Reichel mit bequemem Überblick über die Forschung S. Iff. und 12ff„ vgl. neuerdings auch Davies SIFC 82 [1989] 7ff„ Tsagarakis, SIFC 85 [1992] 781ff.; zur Odyssee s. U. Hölscher, Untersuchungen zur Form der Odyssee [Hermes-Einzelschriften 6, Berlin 1939), Kulimann, Poetica 2 [1968] 16f„ Suerbaum 1; eine Behandlung der von der Neoanalyse aufgeworfenen Strukturprobleme vom oralistischen Standpunkt bietet Notopoulos, ΤΑΡΑ 82 [1951] 81-101 und HSCP 68 [1964] 1-77) ein Gemeinplatz geworden ist, hat schon die antike Literaturkritik gewürdigt (s. Brink [Cambridge 1971] zu HOT. AP 140-52 und 148 mit Zitat der einschlägigen Stellen und Bibliographie, zu ergänzen durch Richardson, CQ 30 [1980] 265-287, M. Heath, Unity in Greek Poetics (Oxford 1989), insbesondere S. 56ff„ 102ff. und Hunter 190ff.), ebenso wie Vergils Nachahmung der homerischen Erzähltechnik; vgl. DServ. zu Α. I 34 (ut Homerus omisit initia belli Troiani, sie hic non ab initio coepit erroris); zur Wirkungsgeschichte der von Vor- und Rückverweisen geprägten homerischen Erzähltechnik in der Epik s. G.E. Duckworth, Foreshadowing and Suspense in the Epics of Homer, Apollonios, and Vergil (Diss. Princeton 1933); zu Apollonius vgl. neuerdings auch Hunter 119ff. Zu Vor-und Rückverweisen in den Homerscholien s. Duckworth, AJP 52 (1931) 320-338, S. Nannini, Omero e il suo pubblico (Rom 1986) 26ff., Schadewaldt 15 Anm. 1 und Reichel 3. Zu Vergils Verhältnis zu den Homerscholien vgl. auch R.R. Schlunk, The Homeric Scholia and the Aeneid (Ann Arbor 1974; zur Benutzung griechischer Dichterscholien durch lateinische Dichter vgl. auch Jocelyn, The Tragedies of Ennius [Cambridge 1967] 46 Anm. 4; Zetzel, AJP 95 [1974] 137ff„ ibid. 99 {1978] 332f.), zur Benutzung homerischer Scholien durch Servius s. Fraenkel, JRS 39 (1949) 145ff. und M. Mühmelt, Griechische Grammatik in der Vergilerklärung (Zetemata 37; 1965). 151 z u Vergils Methode der Zeitraffung in diesem Buch, die die Inkongruenz nicht mehr fühlbar werden läßt vgl. Heinze 343ff. 152 S. Heinze 347f.; vgl. auch Horsfall 1,468f.

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unbefriedigende Anordnung wie die Anfangsstellung des Irrfahrtenbuches auch nur erwogen haben soll, wo ihm das homerische Vorbild mit Odysseus' Irrfahrtenerzählung doch das Gegenteil nahelegte153. Nachdem Knauer Vergils sorgsame Analyse Vergils Umgestaltung homerischer Motivik und Erzählstruktur so eindrucksvoll nachgezeichnet hat 154 , wird heute wohl kaum mehr jemand an einen annalistischen ersten Plan Vergils glauben155. Nun läßt sich für die relativ späte Entstehung des dritten Buches aus dem oben gegebenen Überblick über die unvollendeten Halbverse noch ein weiteres Indiz gewinnen. Wirft man einen Blick auf die beiden oben vorgestellten Listen unvollständiger Halbverse, so springt nicht nur die ungleiche Verteilung derselben überhaupt über die einzelnen Bücher, sondern auch die ungleiche Verteilung zwischen nachträglichen Zusätzen und unausgefüllten Lücken ins Auge. Bei weitem die stärkste nachträgliche Überarbeitung weist das zweite Buch auf (9 Zusätze), dagegen besitzt es nur eine Lücke (640). Gefolgt wird es von den Büchern V, VII und IV mit 5 bzw. 4 Zusätzen und einer, was VII angeht zwei Lücken. Die Bücher I, VI und XI weisen nur zwei bis drei Zusätze, jedoch keine Lücken auf. Ganz anders als in II, IV, V und VII sieht das Verhältnis zwischen Zusätzen und Lücken in den Büchern III, VIII, IX und X aus. In IX stehen fünf Lücken einem Zusatz gegenüber, in X fanden wir neben vier sicheren Lücken zwei Stellen, wo die Entscheidung zwischen Lücke und Zusatz schwerfällt. In VIII steht der eine Zusatz nicht nur den zwei Lücken in 468 und 536, sondern vor allem dem grob lückenhaften Zustand der Tiberszene, wie wir sie oben interpretiert haben, gegenüber. Ebenso weist Buch III fünf oder gar sechs Lücken gegen nur ein oder zwei geringfügige Zusätzen auf. Nun wäre es zwar übereilt, den Grad von Unfertigkeit oder nachträglicher Überarbeitung eines Buches nur an seinen unvollständigen Halbversen zu

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Die in der Donatvita (42) mitgeteilte Nachricht des Nisus von Varius Umstellung des dritten Buches vom Anfang an seine jetzige Stelle steht im Zusammenhang mit der Behauptung der Streichung der unechten Anfangsverse der Aeneis, und verdient selbstverständlich keinen Glauben. Geymonat (289) verweist zu Recht auf den Hintergrund derartiger Kritik der posthumen Aeneisausgabe in der klassikfeindlichen Grammatik des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. 154 S. Knauer 1 passim und besonders den ganz strukturellen Fragen gewidmeten Überblick in Knauer 2. 155 „The complete structure of the Homeric epics, not simply occasional quotations, was no doubt the basis for Vergil's poem. I cannot explain these findings otherwise than by the suggestion that Vergil must have intensively studied the structure of the Homeric epics before he drafted in prose his famous first plan for the whole Aeneid " (Knauer 2, 81 = 409f.).

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messen 1 5 6 , doch scheint die hier vorgelegte Evidenz doch darauf hinzudeuten, daß insbesondere das zweite Buch, das höchste Maß an Bearbeitung erfahren hat, und dies ist gewiß auch in doppelter Hinsicht einleuchtend, nicht nur deshalb, weil es aufgrund äußerer und innerer Evidenz (die Creusaszene!) gewiß ein frühes Buch ist 1 5 7 . Heinze (3ff.) hat zu Recht darauf hingewiesen, vor welch gewaltiger Aufgabe sich Vergil gerade im zweiten Buch gestellt sah, und daß er, um die vielbewunderte Vollkommenheit seiner Lösung zu erreichen, auf dieses Buch besondere Sorgfalt und Nachbesserung verwendet hat, ist wohl glaublich 1 5 8 . Daß das maius opus der zweiten Aeneishälfte im allgemeinen eher nach der ersten Hälfte gedichtet ist, ist nicht nur aus sich selbst heraus plausibel 1 5 9 , der insgesamt weniger ausgefeilte Zustand der zweiten Hälfte ist auch aus der zumindest in den Büchern Χ - Χ Π zu beobachtenden metrischen Einförmigkeit geschlossen worden 1 6 0 . Bei aller gebotenen Vorsicht läßt die Evidenz der Halbverse doch die Beobachtung zu, daß sich Buch ΙΠ in seinem von vielen Lücken und wenig späterer Überarbeitung geprägten Zustand zu den Bücher IX und X und, wenn man an die Tiberszene denkt, auch des achten Buches

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„It is hardly possible to draw any firm conclusion about the date or the state of revision of individual books from the incomplete lines: the highest number (ten) is in book II which in some respect is one of the most carefully finished books, but clearly was undergoing yet further revision", Williams zu V 294. Vgl. aber auch Crump 12f. 157 Zur äußeren Evidenz s. unten S. 60f. 158 Bereits G. Bernhardy (Grundriss der römischen Litteratur [^Braunschweig 1872] 483f.) hat das besonders häufige Voikommen von Halbversen in Π so interpretiert. 159 Gerckes leider auch in neuerer Zeit von Paratore (210f.; Virgilio [^Florenz 1953] 327ff., 336f. und zuletzt in: Atti Acc. Properziana del Subasio, Assisi, serie V, n. 5 [1957] lf.) und in dem wichtigen und höchst intelligenten Buch von D'Anna wiederaufgenommene These von der Priorität der zweiten Aeneishälfte geht von einer völlig abwegigen Deutung von Prop. II 34 61-66 aus (zu dieser Stelle vgl. den im Literaturverzeichnis genannten Artikel Tränkles). Die wörtlichen Anklänge des Properzschen Text beweisen Kenntnis des Prooemiums der Aeneis sonst nichts (noch nicht einmal Kenntnis des achten Buches). Die von Paratore (s. oben) und D'Anna (13ff.) angeführten Argumente sind schlechter als die Gerckes und verdienen keine Widerlegung. Die von Gercke aus dem Text der Aeneis herangezogenen Hinweise auf die Priorität der zweiten Hälfte sind ebenso wie seine Interpretation der Properzstelle bereits von Heinze (GGA 177 [1915] 153-171; vgl. auch Thaler 71ff.) hinreichend widerlegt worden, und auch hier fügt D'Anna (21 ff.) Gerckes Argumentation nichts Wesentliches hinzu; bezeichnend für die Qualität der analytischen Argumentation ist sein Eingeständnis, daß letztendlich doch nur das Zeugnis Properz' den Ausschlag für die Priorität der zweiten Aeneishälfte geben kann. 160 Vgl. G.E. Duckworth, ΤΑΡΑ 95 (1964) 49-53 und Vergil and Classical Hexameter Poetry (Ann Aibor 1969) 53ff.

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gesellt, und so in scharfen Kontrast zu dem frühen zweiten Buch tritt161. Den Büchern III und X ist zudem die nachlässige Behandlung der zeitlichen Struktur gemeinsam, die u.U. auch durch die mangelnde Ausfeilung bedingt ist 162 . Was das neunte Buch anlangt, so stellt sich allerdings, wie oben (S. 29f.) bereits angedeutet, das Problem seines zeitlichen Verhältnisses zum fünften Buch. Das fünfte Buch weist, wie sich gezeigt hat, starke Spuren von Überarbeitung auf, doch ist das Buch gegenüber den anderen Büchern der ersten Aeneishälfte gewiß eher spät anzusetzen163. Mit Sicherheit ist das fünfte Buch insgesamt nach dem sechsten entstanden164, und bei aller gebotenen Vorsicht darf aus der Nachricht der Donatvita (VSD 32) 165 über die Rezitation der Bücher II, IV und VI vor Augustus doch mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die zeitliche Priorität dieser Bücher geschlossen werden166; die frühe 161

Im wesentlichen völlig richtig erkannt von Walter 39ff., der überhaupt das Verdienst für sich beanspruchen kann, einer der wenigen Verfechter der Heinzeschen Spätdatierung des dritten Buches zu sein. 162 Zum dritten Buch vgl. Heinze 347ff„ Mehmel 85ff„ D'Anna 49ff„ Williams in der Einleitung S. 21f., Perret I 169f.; zum zehnten Buch Heinze 386ff., Mehmel 70ff., D'Anna 37ff. (mit gutem Überblick über die Forschungsgeschichte), Harrison S. xxxiiif.; vgl. jetzt auch die Übersicht Deila Cortes in: Enc. Virg. II s.v. Eneide' 236ff. Wie Heinze (zu III neuerdings auch Perret) gezeigt hat, sind die Schwierigkeiten in beiden Fällen nicht unüberwindbar, und eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit der Chronologie wird jeder dem Dichter zugestehen wollen. Freilich darf man doch vermuten, daß Vergil bei der Endrevision einiges geglättet hätte, hätte er Gelegenheit dazu gehabt. Zum zehnten Buch und D'Annas Hypothese s. unten S. 67 Anm. 184. 163 Dies ist seit Conrads (23f.) in der Vergilanalyse trotz unterschiedlicher Interpretationen im einzelnen im wesentlichen unbestritten; s. Heinze 146 Anm. 1; Williams in der Einleitung S. xxvff. Heinze 1. cit. hat im Anschluß an Conrads klar gemacht, daß die notorischen Widersprüche zwischen der Palinurusepisode im sechsten Buch (295ff.) mit dem Ende des fünften (779ff.) zeigen, daß erstere zunächst ohne Rücksicht auf eine vorausgehende Erzählung vom Tode des Palinurus verfaßt ist und nichts mehr. Umstellungshypothesen, wie sie zuletzt wieder D'Anna 85ff. (im Anschluß an Kettner, Zeilschr.f. d. Gymnasium 1879, 641; Kroll, Jahrb. f . class. Phil. Suppl. 27 [1902] 155f.; Sabbadini und Columba 81f.) vertreten hat, sind ebenso verfehlt (ablehnend auch Monaco S. 18ff.) wie die neueste Hypothese zum Ende des fünften Buches von Berres (250ff.; vgl. bereits Büchner 405 = 1427); vgl. auch Horsfall 2, 16; Horsfall 3, lOOf. Zu der 'Dublette' Palinurus-Misenus s. Knauer 1,135ff. und Knauer 2 , 6 6 = 395; Hunter 183. 164 Neben den in der vorigen Anmerkung genannten Arbeiten vgl. auch Norden zu VI lf. 165 Di e Version bei Servius (zu IV 323), die das zweite Buch durch das dritte ersetzt, beruht gewiß auf Irrtum; u.U. gar einfach auf Korruptel (s. Williams in der Einleitung zum dritten Buch S. 2 Anm. 3; „absichtliche Korrektur" vermutet Heinze 261 Anm. 1). 166 So bereits Schüler 20; vgl. auch Häberlin, Philologus 47 (1888) 310 und Noack, Hermes 27 (1892) 407. Ganz phantastische sind die Spekulationen D'Annas (15f.) über mehrere Rezitationen, mit denen er die Priorität der zweiten Aeneishälfte zu retten sucht.

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Entstehung (vor 26) des Prooemiums des ersten Buches ergibt sich aus Properz Π 34, 61ff. (s. oben S. 59 Anm. 159)167. Bei der chronologischen Verwertung der Suetonschen Nachricht muß sicher in Rechnung gestellt werden, daß bei der Wahl der Augustus zur Kenntnis gebrachten Bücher auch innere Faktoren eine Rolle gespielt haben mögen. Gewiß eignen sich die genannten Bücher aufgrund ihrer inneren Geschlossenheit besonders zum Einzelvortrag (weit mehr als das u.U. bereits ebenfalls vollendete erste Buch oder gar das siebte, neunte oder elfte, selbst wenn diese Bücher bereits vorgelegen hätten), und vor allem das sechste jedoch auch das zweite und bis zu einem gewissen Grade auch das vierte Buch - kann gewiß auch unter patriotischen Aspekten besondere Aufmerksamkeit beanspruchen 168 . Andererseits ist es nicht einzusehen, warum gerade das durchaus eine gewisse Einheit bildende fünfte Buch mit seiner Aetiologie der ludi funerales und insbesondere des Augustus so ans Herz gewachsenen lusus Troiae dem Kaiser hätte vorenthalten werden sollen, hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits fertig vorgelegen, und dasselbe gilt im Grunde genommen auch für das unter patriotischen Gesichtspunkten durchaus ergiebige dritte Buch, vom achten ganz zu schweigen. Das dritte und das achte Buch erweist der Textbefund als besonders wenig ausgearbeitet und somit eher spät; wahrscheinlich muß auch das fünfte Buch als spät angesehen werden. Und überhaupt, wären das erste, dritte und das fünfte Buch genügend ausgearbeitet gewesen, hätte Vergil gewiß die ganz erste Hälfte des Werkes zum Vortrag gebracht 169 . Die Nachricht der Donatvita von der Lesung der Bücher II, IV, VI vor Augustus verträgt sich in jedem Falle so gut mit den chronologisch 167

Daß der Seesturm und die Iuppiter-Venus-Szene vor dem Jahre 27 entstanden sind, wie zuletzt Berres 295f. und Büchner 403 = 1425 nach Ribbeck 64, Sabbadini, Studi critici sulla Eneide (Lonigo 1889) 133, Cartault 24, 110 und Friedrich, Philologus 94 (1941) 174 annehmen, ist nicht beweisbar, s. D'Anna in Enc. Virg. II s.v. 'Eneide' 240f. (zur IuppiterVenus-Szene vgl. aber auch Tränkle 62 Anm. 16). Zu den Parallelen mit dem Panegyricus Messallae vgl. jetzt Tränkles Kommentar zum Corpus Tibullianum, Texte und Kommentare 16 (Berlin-New York 1991) S. 179ff. 168 Vgl Pease S. 58 der Einleitung seines Kommentars zum vierten Buch. Künstlerische Qualität (so etwa Büchner 39 = 1059) sollte man freilich als Auswahlgrund fernhalten. Ich habe größte Zweifel daran, daß Vergils und Augustus' Urteil mit modernem (oder auch nur spätantikem) Geschmack übereingestimmt hätte, und ich glaube kaum, daß der Dichter dem vierten Buch den Rang eingeräumt hätte, den ihm die moderne Vergilrezeption zuweist (auf Ovid wird sich hoffentlich niemand ernsthaft als Zeugen des Zeitgeschmacks berufen wollen). Jedenfalls halte ich das fünfte für ein hinreißend schönes Buch das dem vierten um nichts nachsteht, ganz im Gegenteil (neben der schönen Würdigung des Buchs durch Heinze 145ff. vgl. etwa Monaco 47f.). 169

Ähnlich mit Bezug auf das erste Buch Heinze 261 Anm. 1, der völlig zu Recht die chronologische Interpretation vertritt.

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verwertbaren Daten der inneren Evidenz, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach historisch ist und für die chronologische Priorität dieser Bücher verwertet werden darf. Ob das fünfte Buch allerdings nach dem neunten Buch als ganzem liegt, ist fraglich. Es wäre durchaus möglich, daß die Nisus-und-Euryalus-Episode des neunten Buches zunächst als Einzelszene komponiert wurde; dann könnte das neunte Buch insgesamt dem fünften folgen. Als ein Indiz dafür, daß dies tatsächlich so war, könnte der Halbvers 467 angesehen werden (s. oben S. 50). Hier scheint ebenso wie bei den beiden Halbversen V 294 und 322 (s. oben S. 29f.) eine nähere Charakterisierung des Freundespaares mit Rücksicht auf eine später vorzunehmende Harmonisierung ausgespart zu sein. Dies rückt die DC 467 enthaltende Passage in die Nähe des fünften Buches und weist darauf hin, daß sie später als DC 176ff. verfaßt ist.

Vergils Arbeitsweise und die Ausgabe des Varius Die späte Ausarbeitung insbesondere des dritten und des fünften Buches hat durchaus einiges Interesse für unser Verständnis von Vergils Arbeitsweise und unsere Wertung der antiken Berichte. Daß Vergil gerade die den Gesamtplan des Werkes bestimmenden Bücher, insbesondere das dritte, zunächst ausgespart, sich vielmehr zuerst an die Ausarbeitung im wesentlichen auf sich selbst gestellter Bücher wie II, IV und VI gemacht und dann mit Buch III manch älteren Entwurf umgestoßen hat 170 , steht bei tieferem Nachdenken in grundsätzlichem Widerspruch zu einer in den antiken Nachrichten über Vergils ursprünglichen Prosaplan des Werkes erkennbaren Tendenz. Die Analyse der Widersprüche zwischen Buch ΙΠ und den Büchern II, VII und VIII zeigt, daß ein solcher Prosaplan, wenn es ihn gegeben haben sollte, entweder außerordentlich grob gewesen sein muß oder daß Vergil offenbar, sobald er sich emsthaft daran machte, die wesentlichen Grundpfeiler der Großstruktur auch wirklich dichterisch zu gestalten, das bisher im einzelnen Geplante weitgehend wieder umgestoßen hat 171 . In der uns überlieferten Form ist die Nachricht über den Prosaplan der Aeneis nichtssagend und letztlich unglaubhaft 172 . In seinem Überblick über die biographischen Zeugnisse zu Vergils Arbeitsweise und der posthumen Aeneisausgabe hat Berres (Iff.) verdienstlicherweise einen guten Teil der nur bei Servius überlieferten Angaben als aus dem Zustand des Textes selbst erschlossene Fiktion entlarvt (s. dazu unten S. 66). Die jüngere Forschung hat freilich im Anschluß an die hervorragende Einleitung der Diehlschen Ausgabe 173 den dokumentarischen 170 v g l . Heinzes (95) zutreffende Beschreibung von Vergils Arbeitsweise: „Statt also zuerst sozusagen das Gerüst des Baues herzustellen, hat Virgil dies weit hinausgeschoben und zunächst Einzelpartien bearbeitet, ohne doch diesen Voraussetzungen großen Einfluß auf die Gestaltung des einzelnen einzuräumen." 171

„B. macht zwar mehrfache Lippenbekenntnisse gegenüber der V S D 23 bezeugten Prosafassung der Aeneis, faktisch rechnet er aber mit so vielen Abweichungen Vergils von dem, was man bei der Filmproduktion 'Treatment' nennt, daß der Prosaplan praktisch zu einem Phantom wird", Suerbaum 2 , 4 0 7 f . „Since we know that Virgil wrote out in advance a prose version of the whole poem we have, on the one hand, a presumption against his having made violent and capricious changes in the general plan", Pease S. 58. 172

Zum realen Hintergrund des Prosaplans s. unten S. 65f. S. E. Diehl, Die Vita Vergilii und ihre antiken Quellen (Bonn 1911); vor ihm zu Einzelfragen bereits Leo, Hermes 38 (1903) 1-18; Vollmer, SBAW IX 2 (1909), 5 - 1 1 ; Kroll, RhM 64 (1909) 150-155. Diese Arbeiten weisen voraus auf eine Methode der Interpretation antiken biographischen Materials, die in neuerer Zeit insbesondere M. Lefkowitz mit ihren zahlreichen Arbeiten zur Biographie griechischer Dichter (neben 173

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Wert auch des alten Kerns der Sueton-Donat-Vita äußerst vorsichtig bewertet und die Dürftigkeit von Suetons Quellen herausgestellt 174 . Nun ist durchaus anzunehmen, daß Sueton teilweise Nachrichten und Anekdoten verwertet hat, die letztlich aus der unmittelbaren Umgebung Vergils stammen. Insbesondere gilt dies wohl von den drei dem Dichter selbst zugeschriebenen Aussagen über seine Arbeitsweise und Dichtung, dem Bärengleichnis ( V S D 22; Gellius XVII 10, 2), dem Wort über Homer und die Keule des Hercules ( V S D 46) und den vielberufenen tibicines (VSD 2 3 f . ) 1 7 5 . Ursprung einer Anekdote in der Umgebung des Dichters garantiert natürlich noch keineswegs ihre Authentizität

zahlreichen Aufsätzen zusammenfassend in The Lives of the Greek Poets [London 1981]) mit Erfolg durchgeführt hat und die, wie die in der folgenden Anmerkung zitierten Beiträge zeigen, sich inzwischen auch in der Vergilforschung Bahn bricht. 174 Entgegen der früher verbreiteten Methode, unglaubwürdiges Material für Donatsche Interpolation zu erklären (besonders energisch vertreten von Paratore; bequeme Übersicht über die verdächtigten Passagen bei Brugnoli 576), hat Naumann in seinem ausgezeichneten Artikel zur Donatvita in der Enciclopedia Virgiliana (572) im Anschluß insbesondere an die Dissertation v. K. Bayer, Der suetonische Kern und die späteren Zusätze der Vergil-Vita (Diss, maschinenschriftlich München 1951; vgl. auch Naumann, RhM 87 [1938] 356-9; W. Steidle, Sueton und die antike Biographie [Münchenl951] 171f.; neuerdings auch Naumann, WS 13 [1979] 161 und Rieks in: ANRW II 31/2 [1981] 754-8) die Suetontreue der Donatvita betont und dagegen den Wert der Suetonschen Berichte äußerst kritisch bewertet; s. Naumann 572, 574 unter Verweis auf seine früheren Arbeiten:Vergi7, Hirtengedichte/ Bucolica (München 1968) 20; id. Der altsprachl. Unterricht 24 (1981) 10; id. Mnemosyne 35 (1982) 149-151; vgl. auch Suerbaum in: ANRW II 31/2 (1981) 1163 und Brugnoli 578ff. 175 £>as Bärengleichnis will Favorin bei Gellius (1. cit.) in his, quae de ingenio moribusque eius tradiderunt gefunden haben. Alys, PhW 43 (1923) 645-648 von Büchner (15f. = 1035f.), Berres (9) und neuerdings auch Brugnoli (575f.) akzeptierte Rekonstruktion eines Buches der Freunde de ingenio moribusque Vergilii ist bereits von Bill, CPh 23 (1928) 65-68 und zuletzt auch von Naumann (574) zu Recht zurückgewiesen worden. Die betreffenden Anekdoten hat Sueton über die Vergilapologeten des ersten Jahrhunderts wahrscheinlich aus Asconius geschöpft (der explizit als Quelle des Herculeswortes genannt wird); vgl. die Einleitung zu Hardies Ausgabe (Oxford 1957) XIV-XXI, Naumann, Philologus 118 (1974) llf.; Brugnoli 577. Und selbst wenn Aly recht hätte, eine Behauptung wie die von Berres (9), daß ein Buch der Freunde schon aus Pietät keine groben Lügen habe enthalten könne, ist geradezu rührend naiv. Um zu begreifen, was fehlgeleitete Pietät aus der näheren Umgebung großer Persönlichkeiten anrichten kann, braucht man nur an das notorische Beispiel des Beethovenbiographen Schindler und seine von D. Beck und G. Herre als Fälschungen entlarvte Eintragungen in Beethovens Konversationsheften, an die Biographie Liszts und seine 'offiziellen' Biographin Lina Ramann (vgl. den Überblick bei A. Walker, Franz Liszt: The Virtuoso Years 1811-1847 [London 1983] 3ff., insbesondere 7ff.) oder etwa an die pseudobiographischen Werken von D' Annunzios Privatsekretär Tom Antongini (La vita segreta diD'Annunzio [Mailand 1938]; D'Annunzio aneddotico [Mailand 1939]) zu denken. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

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und schon gar nicht ihre unentstellte Überlieferung176, das zeigt nicht zuletzt die gänzlich abwegige und völlig unglaubwürdige Vergils librarius Erotes zugeschriebene Nachricht von der spontanen Vollendung zweier direkt aufeinander folgender Halbverse im sechsten Buch (VSD 34). Freilich gibt es gute Gründe, in dem Bärengleichnis und, wie sich zeigen wird, auch in den tibicines möglicherweise ein echtes Vergilwort zu sehen177. Nun taucht der Prosaplan für die Aeneis in der Donatvita eben im Zusammenhang mit der Nachricht von Vergils sprunghafter Arbeitsweise und eben jenen tibicines auf. In dieser Nachricht entspricht das Primat der Planung der Handlungsführung mit späterer Versifizierung einem Stereotyp peripatetischer Aesthetik, dem wir in Nachrichten zu dichterischer Gestaltung auch sonst begegnen, etwa in dem berühmten bei Plutarch mitgeteilten Menanderwort178. Dabei entspricht die Vergil unterstellte Arbeitsweise bis zu einem gewissen Grade sicher dem, was wir über die Arbeitsweise insbesondere antiker Prosaautoren aus direkten Mitteilungen wissen und erschließen können. Tiziano Dorandi hat in seiner hervorragenden Abhandlung zum Thema die wichtigsten Zeugnisse zusammengestellt und im Zusammenhang mit der papyrologischen Evidenz interpretiert 179 . Insbesondere die von ihm herangezogenen Passagen aus Lukian und in Marcellinus' Thukydidesvita 176

Das zeigt gerade auch die abwegige Ausdeutung des Bärengleichnisses in der Donatvita; vgl. Berres 7ff. 177 Berres (7 Anm. 9) weist zu Recht auf Α. VIII643 hin; vgl. auch Horsfall 2, 15. 178 λέγεται δέ και Μενάνδρωι των ςυνήθων TIC ειπείν 'έγγϋς οδν. Μένανδρε, τα Διονύαα, και cü την κωμωιδίαν ού πεποίηκας:' τόν δέ άποκρίναςθαι 'νή T O Ü C θεούς έ'γωγε πεποίηκα τήν κωμωιδίαν ώικονόμηται γάρ ή διάθεςις. δεΤ δ' αύτήι τά ςτιχίδια έπαιςαι', δτι και αύτοί τά πράγματα τών λόγων αναγκαιότερα και κυριώτερα νομίζουαν (Plut. Mor. 347e), vgl. dazu E.W. Handley, The Dyskolos ofMenander (London 1965) S. 10 Anm. 2. Vgl. auch Philod. poet. V 13 (έτερα δέ Δημήτριος ό Βυζάντιος πάλιν έγραψεν. έπε! δέ φηςιν οτι τό καλόν πόημα νοηθήναι δεί πρώτον άςτείως, είτα δέ λόγους λαβείν μή παρηλλαγμένους τών ύποτεταγμένων. έ'ςχατον δέ τήν της λέξεως έξεργαςίαν καλώς ςυνκεΐςθαι. [...] νοηθήναι γαρ αϋτά δεΤ καλώς και λόγους οικείους λαβείν κα! κατά τήν λέξιν έζεργαςθήναι καλώς). 179

Dorandi stützt sich dabei insbesondere auf die beiden herculanensischen Fragmente von Philodems Geschichte der Akademie (Philodems Revisionsexemplar P. Here. 1021 und der Reinschrift P. Here. 164); zum Verhältnis der beiden Papyri und Philodems Arbeitsweise vgl. auch Dorandi in: Proceed. XVI Intern. Congress of Papyrology (Chico 1981) 139-144; G. Cavallo, Libri scritture, scribi a Ercolano I, Suppl. a CErc 13 (Neapel 1983) 26f., 61f.; Gallo, CErc 13 (1983) 75-79; Giannattasio, CErc 13 (1983) 81-83; Cavallo, Scrittura e Civiltä 8 (1984) 5-30; Dorandi in: Atti XVII Congr. Intern, di Papirologia (Neapel 1984) II, 577-582; Gaiser, CErc 15 (1985) 85-99; Dorandi, ZPE 73 (1988) 25-29; s. auch die Einleitungen zu Gaisers und Dorandis (Neapel 1991) Ausgaben.

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lassen sich sehr wohl auch im Hinblick auf das Vorgehen des Dichters a u s w e r t e n 1 8 0 . Der Prosaplan der Aeneis als solcher ist nicht so sehr unglaubwürdig, nur geht die Nachricht der Vita keineswegs auf unmittelbare Kenntnis der Vergilschen Arbeitsweise zurück, sie unterstellt ihm mutatis mutandis einfach das Vorgehen, das man für üblich erachtete und das bis zu einem gewissen Grade ohnehin selbstverständlich ist. Natürlich hatte Vergil zunächst ein Gesamtkonzept irgendeiner Art. Wie detailliert es war, wieviel zunächst offen blieb, wieviel er davon später umgestoßen hat, das wußten die antiken Vergilbiographen ebensowenig, wie wir es wissen können 181 . Die angeblich sprunghafte Arbeitsweise Vergils, d.h. das separate Verfassen einzelner Blöcke könnte dagegen einfach aus dem offenkundig unfertigen Zustand des Textes mit seinen Halbversen erschlossen sein. Die architektonische Metaphorik für ein Dichtwerk ist dabei durchaus traditionell 182 . Andererseits scheint der folgende Passus der Vita in gewisser Weise durchaus dem zu entsprechen, was wir im vorigen als Vergils Arbeitsweise aus der inneren Evidenz des Textes erschlossen haben 183 . Vergil hat, wie wir gesehen haben, tatsächlich oft Einzelszenen, einzelne Reden oder Kampfepisoden ausgearbeitet und ihre Integration in den Kontext auf später verschoben und dann offenbar zuweilen nur mangelhaft ausgearbeitet. Diese Vorgehensweise wurde besonders deutlich in den Redeeinleitungen (s. oben S. 51) und den beiden zuletzt besprochenen Kampfszenen des neunten Buches (s. oben S. 52f.); ganz abgesehen von den Halbversen läßt sich diese Technik 180 y g j Luic. hist. scr. XLVIII (και έπειδάν άθροίςηι απαντα η τα πλεϊςτα. πρώτα μέν υπόμνημα τι ς υ ν υ φ α ι ν έ τ ω α ύ τ ώ ν και ςώμα ποιείτω άκαλλές ετι και ά δ ι ά ρ θ ρ ω τ ο ν εΐτα έπιθεϊο την τάζιν έπαγέτω τό κάλλος και χρωννύτω τήι λέξει και ςχηματιζέτω και φυθμιζέτω) und Marcell. vita Thucyd. XLVII (άφ'οδ μέν γ α ρ ό πόλεμος η ρ ζ α τ ο , έςημειοϋτο τ α λεγόμενα πάντα και τα π ρ α τ τ ό μ ε ν α . οϋ μήν κάλλους έφρόντιςε την άρχήν. άλλα τοϋ μόνον ςώςαι τήι ςημειώςει τα πράγματα· ϋςτερον δέ μετά κάλλουο ü έζ άρχής μόνον έςημειοΰτο διά τήν μνήμην). Vgl. dazu G. Avenarius, Zu Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung (Meisenheim/ Glan 1956) 85ff. 181

Daß Planung und Ausführung eines Sichtwerkes jedenfalls wesentlich weniger geradlinig und simpel vor sich gegangen sein dürfte (eines in jeder Hinsicht derart komplexen Gebildes wie der Aeneis allemal), als es die Annahme 'zuerst Ausarbeitung eines endgültigen detaillierten Prosaplans, dann Verifizierung' nahelegt, das exemplifizieren etwa die verschiedenen Entwürfe und 'Schemata' Goethes zu seiner Achilleis (vgl. dazu zuletzt die oben [S. 13 Anm. 7] genannte Arbeit Dreisbachs) oder die Entstehungsgeschichte der Dramen Schillers (s. die eben genannte Anmerkung). 182 Vgl. Pi. Ο VI Iff., fr. 194, S. F 159 (mit Pollux' VII 117 Kommentar), Ar. Ran. 1004, Thesm. 49ff„ Pax 749f„ V. G. III 12ff. (vgl. Thomas, CQ 33 [1983] 96ff.); im übrigen s. G. Kuhlmann, De poetae et poematis Graecorum appellationibus (Marburg 1906) 9ff. 183 Eine verständige Interpretation des Passus bietet Heinze 261 f.

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durchaus auch sonst beobachten, insbesondere in den mangelhaft integrierten B l ö c k e n zu B e g i n n d e s achten B u c h e s 1 8 4 . Vergil scheint j e d o c h die so entstandenen Stücke kaum j e völlig isoliert gelassen, sondern schon bald danach zumindest eine vorläufige Einbettung in den Kontext vorgenommen zu haben, auch wenn diese u.U. nicht einmal metrisch vollständig war. Hätte er dies nicht getan, wäre e s nicht möglich g e w e s e n in der posthumen Ausgabe ohne nachträgliche Zusätze einen durchgängig lesbaren Text herzustellen. In unserer Besprechung der Tiberszene haben wir in der Tat vermutet, daß an einer S t e l l e V e r g i l s Text eine unheilbare Lücke ließ, und wir hatten angenommen, daß Varius sich mit einer Umstellung zu helfen suchte (s. oben S. 33ff.). Ansonsten weisen jedoch gerade die unvollständigen Verse darauf hin, daß der Text der Aeneis, so wie wir ihn lesen, im wesentlichen auf Vergil zurückgeht. Hätte Vergil öfter nur unzusammenhängende E i n z e l s z e n e n hinterlassen und hätte ein posthumer Herausgeber den Text ergänzen müssen,

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S. oben S. 26ff.; in der älteren Forschung vgl. etwa Heinze 335 (zur nachträglichen Motivation von Einzelszenen). Auch die unklare Chronologie des zehnten Buches (s. oben S. 60 Anm. 162) dürfte zum Teil auf die am Anfang des achten Buches noch direkt greifbare Kompositionsweise zurückgehen; im zehnten Buch konnten wir ja gerade auch die mangelnde Integration der Reihen besonders häufig beobachten. Wenn D'Anna (45ff.) nun die Chronologie durch Ausscheidung der Götterversammlung zurechtzubiegen sucht, so legt er damit den Finger durchaus auf die Ursache der Unklarheiten. Nur muß die Götterversammlung keineswegs ein späterer Zusatz sein; die Unklarheiten erklären sich einfach daraus, daß Vergil zunächst unabhängige Blöcke, d.h. auch die Götterversammlung des zehnten Buches separat verfaßt und dann mehr oder weniger provisorisch nebeneinandergestellt hat; zu ihrer widerspruchsfreien Koordination ist er nicht mehr gekommen. Auf diese Weise erklären sich m.E. glänzend zahlreiche der subtileren Widersprüche der Aeneis, die zum Teil zu weitreichenden Umarbeitungshypothesen geführt haben (insbesondere etwa im ersten Buch; vgl. dazu oben S. 45f. Anm. 115 und Berres 282ff.). Es handelt sich häufig um kleinere Unstimmigkeiten, wie sie bei einer derartigen Arbeitsweise unweigerlich entstehen, und die grundsätzlich durchaus in einer durchdachten und voll ausgearbeiteten Gesamtkonzeption aufgehen können, nur daß der uns erhaltene Aeneistext diese Auflösung zum Teil nur mangelhaft gibt. Bei einer letzten Revision wären diese Unstimmigkeiten weniger Anlaß zu einer völligen Umarbeitung Anlaß, als vielmehr zu einer sorgfältigeren Koordination gewesen, wobei durchaus nicht unbedingt alles geglättet worden wäre. Gercke (lOf.) hat zu recht die Parallele zu Schiller gezogen, der in mancher Hinsicht ähnlich wie Vergil gearbeitet hat (ich verweise hier nur auf die Entstehungsgeschichte der Räuber und des Don Karlos\ s. Bd. 3 [Weimar 1953] S. 260ff. und Bd. 7 II [Weimar 1986] S. 12ff. der SchillerNationalausgabe), und manche Unebenheiten selbst in der Endfassung der Frühdramen stehenließ (s. Gercke 6).Gerade der Vergleich mit Schiller zeigt jedoch auch das Streben des Autors, bei aller Toleranz gegen unvermeidliche Unebenheiten doch das Maß an inneren Widersprüchen durch beständige Revision so gering wie möglich zu halten (vgl. etwa Schiller-Nationalausgabe Bd. 3 S. 287f.).

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so hätte er das gewiß nicht in Halbversen getan 185 . Nein, ein Teil der unvollendeten Halbverse legt Zeugnis ab von Vergils Bestreben, auch die zunächst isoliert ausgearbeiteten Einzelpassagen von vornherein zumindest provisorisch irgendwie auch in den Kontext zu integrieren. Was sagt uns nun der Text der Donatvita? Vergil habe: particulatim componere instituit, prout liberet quidque, et nihil in ordinem arripiens. ac ne quid impetum moraretur, quaedam imperfecta transmisit, alia leuissimis uersibus (v.l. uerbisiu) uelutifulsit, quae per iocum pro tibicinibus interponi aiebat ad sustinendum opus, donec solidae columnae aduenirent. Bei genauerem Zusehen scheint der Passus verschiedene nicht ganz kompatible Vorstellungen zu vermengen. Daß Vergil nihil in ordinem arripiens gedichtet haben soll, paßt nicht recht zu der folgenden Aussage, er habe im Fluß der Inspiration weitergedrängt, und dabei manches zunächst unvollendet oder nicht völlig ausgearbeitet hinterlassen. Dies hat im Grunde genommen auch mit particulatim componere gar nichts zu tun. Bemerkenswert ist auch, daß unvollendete Partien (imperfecta), d.h. doch wohl die Halbverse und die tibicines scharf getrennt werden. Die Schwierigkeiten, die mancher Vergilforscher mit dieser Angabe der Donatvita zu Vergils Arbeitsweise hatte 187 , erklären sich einfach daraus, daß sich uns hier ein wahrer Kern, wahrscheinlich durchaus ein echtes Vergilwort, gründlich von späteren Mißverständnissen überlagert präsentiert. Mit tibicines hat Vergil die von uns im vorigen identifizierten Versatzstücke gemeint, d.h. nicht Halbverse schlechthin, sondern diejenigen mit Halbversen abschließende Partien, die notdürftig einen im Zusammenhang lesbaren Text herstellen, ja ganz allgemein weniger ausgearbeitete Versatzstücke, die uns, wo sie sich nicht durch unvollständige Verse zu erkennen geben, kaum mehr mit Sicherheit nachweisbar sind 1 8 8 , particulatim componere ist dabei durchaus eine zutreffende Interpretation des Bildes im Sinne der oben gegebenen Interpretation der Evidenz des Textes. Es bedeutet, wie Heinze 189 völlig richtig herausgestellt hat, keineswegs, daß Vergil heute am Didomonolog und morgen an einer Kampfszene gearbeitet hat, es bedeutet nur, daß Vergil etwa bei der Komposition der Götterversammlung des zehnten Buches vielleicht zunächst die Reden selbst verfaßt und sie erst dann zu einem

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Zu möglichen Zusätzen des Varius im Text der Aeneis s. unten S. 74. Zum Text vgl. Sparrow 8. 187 v g l . etwa Sparrow 8ff. Der Widersprüche bewußt scheint sich Paratore 2 3 I f f . zu sein, der den Passus für unsuetonianisch erklärt, vgl. dazu oben S. 64 Anm. 174. 188 Die Identifizierungen von vergilschen tibicines bei Servius (ad VI 186 und I 560) sind selbstverständlich aus dem Textbefund erschlossene Spekulationen ohne Interesse. 189 v g l . Heinze 261f.; nihil in ordinem arripiens erklärt er für starke Übertreibung. 186

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zusammenhängenden Text verbunden hat; dabei blieb zum Zeitpunkt seines Todes an einer Stelle (v. 17) ein Provisorium stehen, nihil in ordinem arripiens stellt eine gedankenlose Paraphrase des particulatim componere dar 190 , das Folgende eine unreflektierte Interpretation der Metapher von den tibicinesm. Der uns überlieferte Text der Aeneis mit seinen metrisch, ja zuweilen selbst syntaktisch unvollständigen Versen (ΠΙ340 s. oben S. 38 und eventuell auch I 636 s. S. 40 Anm. 84) weist so deutliche Spuren der Unfertigkeit auf wie kaum ein anderes posthum herausgegebenes Werk der antike Literatur192. Dies darf als Beweis dafür gelten, daß Varius bei der Edition des Vergilschen Manuskripts sich bemüht hat, den originalen Text so rein wie möglich zu bewahren, und wir dürfen sicher sein, daß er uns Vergils Werk weitgehend unentstellt durch Redaktion bieten wollte. Die im vorigen bereits erwähnten Ausführungen von Berres (19ff.) erlauben es, auf eine ausführliche Diskussion der antiken Zeugnisse zu Varius' Aeneisausgabe zu verzichten; es mag der Hinweis genügen, daß das bei Servius (SV 29-42) überlieferte Verfahren des superflua demere sed nihil addere allein aus dem Textbefund herausgesponnen ist193: nihil addere aus der Existenz der Halbverse, superflua demere aus der mangelhaften Bezeugung der als echt betrachteten Interpolationen. Letzteres Verfahren würde, so formuliert, auch grundlegend allem widersprechen, was wir von antiker Editionstechnik mit ihrem Bemühen

Zu particulatim componere und nihil in ordinem arripiens vgl. auch Quintilians Bemerkungen inst. X 33 (debet uacare etiam locus in quo notentur quae scribentibus solent extra ordinem, id est ex aliis quam qui sunt in manibus loci, occurrere. Inrumpunt enim optimi nonnumquam sensus, quos neque inserere oportet neque differre tutum est, quia interim elabuntur, interim memoriae sui intentos ab alia inuentione declinant: ideoque optime sunt in deposito). 191 Vgl. dazu Quint, inst. X 17 (Diuersum est huic eorum uitium, qui primo decurrere per materiam stilo quam uelocissimo uolunt et sequentes calorem atque impetum ex tempore scribunt; hanc siluam uocant. Repetunt deinde et componunt quae effuderant [...]. Aliquando tarnen adfectus sequemur, in quibus fere plus calor quam diligentia ualet), 20 (über langsame librarii: inhibetur cursus atque omnis quae erat concepta mentis intentio mora et interdum iracundia excutitur) und 31 (über Schreiben mit Tinte: calami morantur manum et cogitationis impetum frangunt). 192 Syntaktisch unvollständige Fragmente, die auf Notizen des Autors zurückgehen, lesen wir meines Wissens sonst nur in Aristoteles (vgl. I. Düring, Aristoteles [Heidelberg 1966] 34f.). Für die Herstellung der posthumen Ausgabe seiner esoterischen Schriften gilt mutatis mutandis ähnliches wie für Varius' Aeneisausgabe. 193 Für derartige Fiktionen bei Servius vgl. Goold 1323ff.; zu analogen Erfindungen in griechischen Dichterscholien vgl. Günther 27 mit Anm. 41.

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nach möglichst vollständiger Erhaltung des Überlieferten wissen 194 . Es wird gerade auch durch das Vorhandensein einer so offenkundigen Dublette wie dem ganz zu Anfang (s. S. 15ff.) besprochenen Fall VII 699ff. widerlegt 195 . Varius hat ganz offenbar auch Partien, die Vergil zu streichen beabsichtigte neben der neuen Fassung in seinen Text aufgenommen, jedenfalls dann, wenn die Kombination ein zusammenhängendes Lesen nicht völlig unmöglich machte. Nichts zwingt uns zu der Annahme, Varius sei über die Absicht Vergils, Partien wie II 59-62 (s. oben S. 42), 768ff. (S. 36), VII 122-7 (S. 20ff.), 703-5 (S. 15) und VIII 40f. (S. 31f.) auszuscheiden, im unklaren gewesen. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß Vergils Manuskript zumindest in einem Falle wie VII 699ff. die obsolete Fassung eindeutig bezeichnete. Das Bestreben nach möglichst vollständiger Erhaltung des Textbestandes läßt sich übrigens auch in VII 243ff. (s. S. 43) erkennen, wo Varius auch auf einen nicht in den Kontext integrierten Zusatz nicht verzichten wollte und ihn mehr schlecht als recht ans Ende des betreffenden Textstückes setzen mußte 196 . Passagen wie IV 402ff. (s. S. 50) und X 707ff. (s. S. 40f. Anm. 85) zeigen, daß Varius im Interesse einer weitestgehenden Erhaltung der Überlieferung u.U. sogar einen syntaktisch unvollständigen Text in Kauf nahm. Die Bewahrung alternativer Fassungen im Text ist ein bewährtes Prinzip alexandrinischer Editionstechnik, das uns gerade in der Tragikerüberlieferung auf Schritt und Tritt begegnet, und das bis in die Spätantike hinein gang und gäbe war 197 . Was die römische Literatur anbelangt, so erinnere ich nur an den Ovidtext mit seinen zahlreichen Ersatzfassungen gerade in den Metamorphosen198. Wenn wir uns das ganz offenbar von Zusätzen und Streichungen 194

Vgl. B. Neuschäfer, Origenes als Philologe (Basel 1987), Reeve in: L.D. Reynolds (td.)Texts and Transmission (Oxford 1983) 244 Anm. 42, O. Zwierlein, Zur Kritik und Exegese des Plautus I, Abh. Mainz 1990 Nr. 4, S. 7f.; S. auch unten S. 71f. Anm. 199. 195 Der deutlichste Fall einer nicht mit einem Halbvers einhergehenden Dublette in der Aeneis ist der Vers IX 85, der wahrscheinlich einen ersten Entwurf für eine Ersatzfassung von 86f. darstellt. 196 Das Zusetzen von Textstücken von zweifelhafter Lokalisierung am Ende einer größeren Einheit ist nicht nur ein an sich plausibles Verfahren, es läßt sich in der Tat in der handschriftlichen Überlieferung bei der nachträglichen Integration ausgelassener Partien regelmäßig beobachten, die regelmäßig ans Ende des Werkes oder eines Buches gesetzt werden (Beispiele aus der Überlieferung Claudians gibt J.B. Hall in seiner kommentierten Ausgabe von De raptu Proserpinae (Cambridge 1969) S. 57 Anm. 2 und 58 Anm. 2; für weitere Fälle s. meine in Vorbereitung befindlichen Quaestiones Propertianae). Mit Tib. I 5 , 7 1 - 7 6 sind Verse, die, wie Ovids Imitation in Trist. II 447ff. zeigt, nach 6, 32 gehören (trans. Scaliger), ans Ende der vorhergehenden Elegie geraten. 197 S. meine diesbezüglichen Ausführungen in Günther 92ff. 198 Vgl. dazu auch unten S. 71f. Anm. 199.

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erfüllte Manuskript der Aeneis vorstellen (s. unten S. 77f.), dürfen wir freilich mit einiger Gewißheit annehmen, daß Varius weit mehr alternative Fassungen kannte, als uns seine Ausgabe überliefert hat. Der Textbefund an unserem Aeneistext zeigt, daß er alternative Fassungen nur da aufgenommen hat, w o sie auch kombiniert immer noch einen irgendwie verständlichen Text ergaben. Sich gegenseitig grob ausschließende Fassungen, wie wir sie etwa aus der Tragikerüberlieferung kennen, hat er nicht nebeneinandergestellt. Nun habe ich in meiner oben S. 6 9 Anm. 193 genannten Arbeit zu zeigen versucht, daß auch die Alexandriner Ersatzfassungen nicht unterschiedslos in den T e x t aufgenommen haben. Gerade in der Homerüberlieferung zeigen die Plusverse der ptolemäischen Papyri, daß die alexandrinische Vulgata nicht nach Erhalt alles Überlieferten strebte; sie konnte es auch gar nicht, das im Versbestand chaotische Bild der frühalexandrinischen Homerüberlieferung hätte einen derartigen Text unbenutzbar gemacht 1 9 9 . Auch für die Tragikerüberlieferung 199

Die Bedeutung der Alexandriner für die Entstehung der Homervulgata (besonders energisch vertreten von G. Jachmann, Vom frühalexandrinischen Homertext, NGG 1949, 7 S. 167-224 = Textgeschichtliche Studien [Beiträge zur Klassischen Philologie 143, Königstein 1982] 826-883) ist seit der einflußreichen Arbeit Ludwichs (Die Homervulgata als voralexandrinisch erwiesen [Leipzig 1898]) bis in die jüngste Zeit umstritten (vgl. besonders S. West, The Ptolemaic Papyri of Homer, Papyrologica Coloniensia 3 [KölnOpladen 1967] 15ff., etwas anders in ihrer Einleitung zum Odysseekommentar (ed. Haynsworth-Heubeck-West; Fondazione G. Valla 1981) S. LVIIf.). Eine besonnene Beurteilung des Textbefunds wird überzogene Positionen in beide Richtungen fernhalten müssen (vgl. etwa die vermittelnde Position der neuen Arbeit von A. Rengakos, Der Homertext und die hellenistischen Dichter [Hermes Einzelschriften 64, Stuttgart 1983] 15f.); gewiß haben die Alexandriner nach allem, was wir über ihre Editionsarbeit und kritische Methode wissen können, keine völlig neue Textvulgata aus dem nichts geschaffen, sie haben vielmehr eine tendenziell immer schon existente Vulgata verfestigt und kanonisiert. Im Falle der homerischen Epen war der voralexandrinische Text gewiß weniger fest als für andere Autoren, insbesondere was den Versbestand anbelangt; die quantitative Differenz zwischen friihptolemäischer und nachalexandrinischer Überlieferung ist ja auch völlig unbestritten, und auch die Argumente Ludwichs zur qualitativen Einheitlichkeit der Überlieferung sind m.E. weniger beeindruckend als häufig behauptet. Der relativ geringe Einfluß der alexandrinischen Gelehrten auf die Konstituierung des Wortlautes ergibt sich schon aus der Tatsache, daß Zenodots Text, wie zuletzt Nickau in einer sorgfältigen Untersuchung der Zeugnisse zweifellos richtig hervorgehoben hat (Untersuchungen zur textkritischen Methode des Zenodotos von Ephesus, UaLG 16 [Berlin-New York 1977] Iff., id. REX A Sp. 30; vgl. auch Wilson, CR 83 [1969] 369), wahrscheinlich allein auf mündliche Überlieferung zurückgeht und Aristarchs Homerausgabe bloß in den Lemmata seines Kommentars bestand (richtig Erbse, Hermes 87 [1959] 275ff.). Den Einfluß dieser gelehrten Arbeit auf die Konstitution der im Umlauf befindlichen Lesetexte muß man sich auf dem Wege über die Annotation und Expurgierung von Schülerexemplaren vorstellen. Doch selbst dieser indirekte Einfluß mußte in die chaotische Situation im Versbestand entscheidend einschneiden, denn offenbar haben sich die Lehre Zenodots sowie auch ein Kommentar wie der Aristarchs auf

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habe ich zu zeigen versucht, daß die Alexandriner bei allem Konservativismus größere Überarbeitungen in der Regel nur dort aufgenommen haben, w o diese den ursprünglichen Text völlig verdrängt hatten 2 0 0 . Eine g e w i s s e Rücksicht auf die Lesbarkeit des gewonnenen Textes ist somit auch hier erkennbar. G a n z ä h n l i c h w i e der c h a o t i s c h e Zustand d e s S o n d e r f a l l s der Homerüberlieferung die Alexandriner veranlaßte, hier in der Auswahl des Versbestandes weniger konservativ als bei dem weniger disparat überlieferten Tragikertext v o r z u g e h e n , so dürfte gerade der b e s o n d e r s stark v o n Überarbeitung und Korrektur geprägte Zustand des vergilschen A e n e i s m a n u skripts Varius dazu b e w o g e n haben, so gut es ging, einen reinen Lesetext zu erstellen. Hätte er erst einmal damit angefangen, auch sich g e g e n s e i t i g ausschließende Alternativfassungen aufzunehmen, so hätte er eine kritische A u s g a b e nach den Prinzipien einer modernen kritischen A u s g a b e erstellen müssen; für die Gepflogenheiten und technischen Möglichkeiten der Antike wäre ein unbenutzbares Textmonstrum entstanden 2 0 1 . Mögen wir e s uns auch

einen begrenzten Versbestand bezogen und eine Anbindung des Lesetextes an die gelehrte Erklärung führte somit notgedrungen zu einer Beschränkung auf das in Zenodots Lehre und Aristarchs Kommentaren berücksichtigte Material. 200 Man denke etwa an die nur in der Hypothesis überlieferten unechten Prologe des Rhesus (vgl. dazu Ritchie, The Authenticity of the Rhesus of Euripides [Cambridge 1964]), die offenbar nicht in den Text aufgenommen wurden. 201 Der mit den Problemen der modernen Editionstechnik bei historisch kritischen Ausgaben moderner Autoren weniger vertraute klassische Philologe kann sich anhand des Sammelbandes von G. Martens/ H. Zeller, Texte und Varianten (München 1971) einen bequemen Überblick verschaffen. Einen Eindruck von den graphischen Erfordernissen zur adäquaten Darstellung von KoiTekturvorgängen in Autorenmanuskripten, divergierenden Fassungen und unvollendeten Entwürfen vermittelt etwa ein Blick in die Frankfurter Hölderlinausgabe von D.E. Sattler (Frankfurt 1975-) oder in die Traklausgabe W. Killys und H. Szklenars (Salzburg 1969). Die Tatsache, daß Varius bei der posthumen Herausgabe der Aeneis einen einheitlichen Lesetext hergestellt hat, hat durchaus ihr Interesse für die Methode posthumer Dichterausgaben in der Antike und das notorische Problem der Präsenz von Autorenvarianten in unseren Texten. Selbstverständlich können posthume Ausgaben in jedem Einzelfalle nach anderen Prinzipien veranstaltet worden sein, doch scheint mir die Tatsache, daß Vergils Aeneis trotz der besonders starken Spuren der Unfertigkeit kaum eklatante Doppelfassungen aufweist und zudem auch keine Schwankungen im Versbestand nachweisbar sind, die auf ursprüngliche Varianten zurückgehen (die Schwankungen im Verbestand der Aeneis beziehen sich bekanntermaßen ausschließlich auf die Konkordanzinterpolation, vgl. meinen Beitrag in «Hermes»), muß die häufig geäußerte Ansicht, in einem guten Teil der Doppelfassungen oder uneinheitlich bezeugten Passagen etwa in Ovids Metamorphosen oder Lucans Pharsalia seien Autorenvarianten zu greifen, zweifelhaft erscheinen lassen (zu Ovid vgl. K. Dursteier, Die Doppelfassungen in Ovids Metamorphosen [Diss. Hamburg 1940]; zu den uneinheitlich bezeugten Versen bei Lucan und ihrer Beurteilung vgl. die praefatio zu Housmans Ausgabe

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noch so bedauern, nicht mehr als die bescheidenen Fingerzeige auf Vergils Arbeitsweise und das Wachsen des Werkes in unserem Text zu finden, der Zustand des uns überlieferten Textes muß uns jedenfalls zuversichtlich machen, daß Varius in der Auswahl dessen, was er in seinen Text aufnahm, mit Sorgfalt, Kompetenz und Respekt vor dem Willen des Dichters vorgegangen ist. Wir haben jeden Grund, zu glauben, die Aeneis in einer den

(Oxford 21927) S. xviiiff. mit Fraenkels Rezension, Gnomon 2 [1926] 517ff. = Kleine Beiträge zur Klassischen Philologie II (Rom 1964) 291ff.; G. Bernstein, Die Versauslassungen in Lucans Bellum civile (Diss. Jena 1930) und Luck, RhM 112 (1969) 254ff.). Ja die hier rekonstruierte Methode des Varius spricht durchaus ganz allgemein gegen die Annahme von der Überlieferung von Autorenvarianten in größerem Umfang sowohl in der Aeneis als auch sonst. Selbst die posthume Ausgabe des prominenstesten und schon zu Lebzeiten zum Schulautor avancierten Dichters scheint kein Interesse an der Überlieferung ursprünglicher Varianten gehabt zu haben, und auch der Rückgriff auf das Manuskript des Dichters selbst über die kanonische Ausgabe hinaus ist nicht nachweisbar (zu den angeblichen Autographen Vergils s. Goold 160f. = 119f., Zetzel 233ff., Timpanaro 5 Iff., 62 dazu Horsfall, CR 101 [1987] 177-180, Jocelyn, Gnomon 60 [1988] 199-201; L. HolfordStrevens, Aulus Gellius [London 1988] 139ff.). Die reichste Fundgrube für antike Editionstechnik und für genuine Autorenvarianten sollten gewiß die aristotelischen Schriften darstellen, doch ist hier die Lage aufgrund der ungeheuren sachlichen Probleme des Textverständnisses so komplex, daß man kaum zu Ergebnissen kommen dürfte, auf die man anderswo bauen könnte; zur Forschungslage vgl. Flashar in: H. Flashar (ed.), Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Basel-Stuttgart 1983), 256-262, 376-385; ausgezeichnet die kurzen Bemerkungen von Barnes in: J. Barnes (ed.), The Cambridge Companion to Aristotle (Cambridge 1995), 1 Iff.; bezeichnend scheint mir jedenfalls, daß in neuerer Zeit ein eher kritischer Standpunkt zu Entstehungs- sowie auch Echtheitsfragen gerade von philosophischer Seite eingenommen wird, man denke nur an das höchst provokante und stimulierende Werk von H. Schmitz; Die Ideenlehre des Aristoteles (Bonn 1985). Doch auch abgesehen davon dürfte sich in der Prosa reicheres und sichereres Material zur Frage der Erhaltung von antiken Autorenvarianten finden. Die besten Argumente Doppelfassungen unserer Überlieferung tatsächlich auf den Autor zurückzuführen lassen sich nach bisherigem Kenntnisstand m.E. für Prosawerke anführen, insbesondere Ciceros De officiis (vgl. die tüchtige Dissertation K.B. Thomas, Textkritische Untersuchungen zu Ciceros Schrift De officiis [Münster 1971; mit guter methodischer Diskussion Iff.], der mit Umsicht und Kompetenz den konservativen Standpunkt gegen W J . Brüser, Der Textzustand von Ciceros Büchern de officiis [Diss. Köln 1948] vertreten hat; s. ferner A. Goldbacher, Sitzungsber. Wien, Phil.-hist. Klasse 196 [1922] Abh. 3); hier gibt es gute Gründe selbst eine uneinheitlich überlieferte Doppelfassung wie 140 für echt zu halten (s. Winterbottom in der praefatio S. xii des neuen OCT). Für weniger überzeugend halte ich die konservative Option allerdings bei Cato und Laktanz, wo sie ebenfalls in jüngerer Zeit energisch und kenntnisreich vertreten wurde (s. A.E. Astin, Cato the Censor [Oxford 1978] 191ff.; E. Heck, Die dualistischen Zusätze und die Kaiseranreden bei Lactantius, Abh. Heidelberg phil. hist. Kl. 1972, 2).

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Form zu besitzen, die Vergils Intentionen zum Zeitpunkt seines Todes in größt möglichem Umfang entspricht. Bei allem offenkundigen Konservativismus der posthumen Aeneisausgabe kann dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden, daß Varius sich in einzelnen Fällen genötigt sah, den ihm vorliegenden Urtext zu ergänzen. Die Tatsache, daß er metrisch, ja in ein bis zwei Fällen selbst syntaktisch unvollständige Verse stehenließ, stellt es außer Zweifel, daß Varius mit eigenen Zusätzen zum Text mehr als zurückhaltend war. Doch auch wenn Varius sich der Ergänzung der Halbverse offenbar enthalten hat, so ist es doch möglich, daß er etwa bei der Vereinigung zweier Alternativfassungen in den Text eingegriffen hat, wie wir dies in einer unserer Hypothesen zu X 728f. vermuteten (s. S. 46f.); hier wäre sonst ein in seiner ersten Hälfte unvollständiger Vers stehengeblieben. In neuerer Zeit hat etwa Courtney 2 0 2 auch sonst vereinzelt die Ergänzung unvollendeter Verse in der posthumen Aeneisausgabe vermutet, und unabhängig von der Beurteilung der von Courtney herangezogenen Einzelfälle mag man durchaus ein offenes Auge für derartige Vorgänge behalten 203 . Die uns erhaltenen Halbverse sind, wie oft hervorgehoben wurde, zum allergrößten Teil schwer zu ergänzen, wenn man sich auf Zusätze innerhalb des einen Verses beschränkt. Dies muß Varius bewußt gewesen sein, und wir dürfen ihm gewiß mehr Verstand zutrauen als den späteren Autoren der uns in einzelnen Zeugen erhaltenen Ergänzungen. Es wäre durchaus möglich, daß Varius in Fällen, wo eine Ergänzung zur Herstellung eines zusammenhängenden, verständlichen Textes notwendig und zugleich leicht und in aller Kürze vorzunehmen war, eine solche Ergänzung geliefert hat. Insbesondere könnte er auch am Anfang oder in der Versmitte lückenhafte Verse, wie wir sie im Hinblick auf die oben (S. 12f.) in Solomös bezeugten unvollständigen Verse vermuten könnten, ergänzt haben. In III 340 mag er trotz der syntaktischen Unvollständigkeit darauf verzichtet haben, da eine sinnvolle Ergänzung einen recht bedeutenden Umfang hätte in Anspruch nehmen müssen und zugleich weiterreichende Probleme der Textrevision betroffen hätte, deren Varius sich wohl bewußt gewesen sein wird 204 .

202 vgl. auch Geymonat 287. Besonders weit ging bekanntlich in der Annahme durch Interpolation gefüllter Halbverse in der Vergangenheit Ribbeck. 203

Selbstverständlich müssen derartige Zusätze auch gar nicht unbedingt auf Varius zurückgehen; auch spätere Zusätze können in den Text unserer Handschriften eingedrungen sein. 204 Es wäre durchaus plausibel, wenn unheilbare Lücken im Text in Varius' Ausgabe in irgend einer Weise als solche gekennzeichnet worden wären. Auch jenseits der Unvollständigkeit eines Halbverses darf man annehmen, daß Varius die Anstößigkeit des Anschlusses von I 535 an 534 (s. oben S. 35) und II 589 an 566 (s. S. 48) empfunden hat;

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Bleibt zuletzt die Frage, was uns der im vorigen interpretierte Textbefund über die physische Beschaffenheit von Vergils Aeneismanuskript lehren kann. Selbst die so geringen Einblicke, die uns der Textbefund in die Redaktionsarbeit des Varius noch vermittelt, stellen es außer Zweifel, daß Varius nicht einfach eine Reinschrift von Vergils letztem Gesamtentwurf unverändert herausgegeben hat; zumindest die Präsenz von Ersatzfassungen, doch auch eine Passage wie VII 243ff. zeigen, daß Varius sich mit alternativen Entwürfen des Dichters konfrontiert sah, aus denen er nach bestem Wissen und Gewissen einem lesbaren und den letztgültigen Absichten des Freundes entsprechenden Text zu erstellen versuchte 205 . Bei der Untersuchung analytischer Fragen in der Aeneis sollte man sich stets bewußt sein, daß die posthume Ausgabe von einem Mann besorgt wurde, dessen Kompetenz man gar nicht zu hoch veranschlagen kann. Dieser Kompetenz dürfte es zum guten Teil zuzuschreiben sein, daß wir die Aeneis bei aller Unfertigkeit doch in einem insgesamt so genießbaren Zustand lesen; gerade dies erschwert jedoch unsre Rekonstruktion der Vorstadien des Textes. Leider sind unsere Informationen zu den materiellen Grundlagen der Arbeitsweise antiker Dichter und Schriftsteller äußerst dürftig. Die jüngste oben (S. 65) bereits erwähnte Arbeit Dorandis hat nachzuweisen versucht, daß antike Autoren häufig oder gar regelmäßig ihre Werke diktierend verfaßten. Dorandi hat zunächst einmal gezeigt, daß es keine tragfähige äußere Evidenz für die bis in jüngste Zeit vertretene Ansicht gibt, daß größere Werke der Antike von ihren Autoren zunächst auf einer Anzahl von Einzelblättern schriftlich niedergelegt und so hinterlassen wurden 206 . Dorandi hat auch wenn er die Lücke markiert hat, so erklärt dies die Interpolation der Helenaepisode. Zu einer anderen Interpolation einer - syntaktischen - Lücke s. oben S. 18 zu X 714-6. 205 „The draft or drafts left by Virgil, so much is certain, presented the poem in a very incomplete and disordered shape; and the task of the editors was intricate and difficult. When we reflect how the Aeneid was, on its publication, received and acclaimed as a complete poem, how it has been and is accepted as such by thousands of readers in all countries and ages, how little in fact it suffers from the irrelevances, displacements, inconsistencies, incompletions, which yield themselves to a more minute scrutiny, we are bound to conclude that the editors did their work with remarkable skill and judgement", Mackail xlviii. 206 S. Dorandi l l f f . (zu antiken Nachrichten über derartige Autographe Dorandi 30); diese insbesondere für das Geschichtswerk des Thukydides erschlossene Arbeitsweise (zuerst Prentice, CPh 25 [1930] 117-127) wurde in neuerer Zeit insbesondere von L. Canfora in seiner Thukydidesmonographie (Tucidide continuato [Padua 1970] 9ff.) wiederaufgenommen; derselbe Autor hat das Thema dann auch in einem hochinteressanten Beitrag (Traslocazioni testuali in testi greci e latini) in dem von E. Flores herausgegebenen Band La critica testuale greco-latina oggi: Metodi e problemi (Rom 1981) 299-315 weiterentwickelt (vgl. auch die anderen von Dorandi S. 12 Anm. 3 , 4 und 5 genannten Beiträge). Es ist im Rahmen der hier vorgelegten Untersuchung unmöglich, auf die Fülle der angesprochenen Probleme und seine

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sicherlich recht, wenn er das Diktat durch den Autor als eine durchaus verbreitete Arbeitsweise herausstellt, doch schießt er m. E. in seiner allzu starken Betonung dieser Kompositionsweise etwas über das Ziel hinaus. Gerade für die augusteische Zeit beweist schon die Tatsache, daß scribere der gewöhnliche Ausdruck für Dichten ist207, daß dabei vorzüglich an schriftliches Arbeiten gedacht ist, und wenn seit der hellenistischen Zeit das Schreiben auf der Schreibtafel selbst in die Metaphorik des Berufungserlebnisses und der dichterischen Inspiration eindringt und das geläufige Bild des Singens verdrängt208, so zeigt dies mit aller Deutlichkeit, daß die Autoren der Zeit ihre Werke im allgemeinen schreibend verfaßt haben, und auch Dorandi übersieht die Rolle des Schreibens gerade bei der dichterischen Komposition keineswegs (21ff.)· Unbedingt richtig ist an Dorandis Ausführungen, daß die papyrologische Evidenz nahelegt, daß die zunächst in einem Notizheft 209 niedergeschriebenen oder diktierten Textstücke, sobald sie in einen größeren Kontext integriert wurden, sofort auf eine Rolle übertragen wurden. Inwieweit dabei der Autor selbst mit Hand anlegte oder sich eines librarius bedienen konnte, wird in jedem einzelnen Fall anders gewesen sein und ist von untergeordneter Bedeutung210. Lösungen mit der nötigen Ausführlichkeit einzugehen, und ich kann hier nur auf die Kritik Dorandis (1. cit.) vom Standpunkt der papyrologischen Evidenz her verweisen. Das Problem erfordert eine eingehendere Prüfung, und ich muß mir vorbehalten, an anderer Stelle darauf zurückzukommen. 207 scribere uersus regelmäßig Horaz (vgl. epist. II 1, 111; II 2,54; ep. II 2; scribere = componere auch sonst häufig) und ebenso Cicero (vgl. e.g. fin. I 3, Tusc. II 17, div. II 122, Flacc. 65 und besonders Cluent. 140 [M. Antonium aiunt solitum esse dicere idcirco se nullam umquam orationem scripsisse] und Plane. 66). Man vgl. auch bereits PI. Theait. 143a (άλλ' έγραγάμην μέν τότ' εύθϋο οϊκαδ' έλθών υπομνήματα, ϋοτερον δέ κατά οχολήν άναμιμνηιοκόμενοο εγραφον, και όοάκις Άθήναζε άφικοΐμην. έπανηρώτων τόν Σωκράτη ö μή έμεμνήμην. και δεΰρο έλθών έπηνορθούμην, coctc μοι σχεδόν τι näc ό λόγοο γέγραττται). Auch Briefe wurden in der Regel eigenhändig geschrieben, nicht diktiert; das beweist e.g. Cie. Att. VII 13a, 3; VIII 12, 1 (richtig auch Norden 954, der im folgenden ansonsten Dorandis These vom Diktat als der gewöhnlichen Kompositionsform, freilich mit fast ausschließlich kaiserzeitlichen und frühmittelalterlichen Belegen, vorwegnimmt). 208 Das Material ist gesammelt in der schönen Arbeit von P. Bing, The Well-read Muse (Hypomnemata 90, Göttingen 1988). 209 Vgl. Hör. A.P. 385ff., S. II 3, lf.; dazu Skeat-Roberts, The Birth of the Codex (Oxford 1983) 20 und Dorandi 30f. 210 In seinem Bericht über die Arbeitsweise seines berühmten Onkels schildert Plinius' (epist. III 5) einen vielbeschäftigten und mit übermenschlicher Arbeitskraft begabten Mann des öffentlichen Lebens, der um maximale Ausnutzung seiner Freizeit bemüht nihil umquam legit quod non excerpserit; auch die Arbeitsweise Philodems als des Hauptes eines organisierten Philosophiebetriebs darf nicht unbedingt verallgemeinert werden. Schriftliches

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In jedem Falle erklärt diese Arbeitsweise gut, warum Vergil, wie wir oben angenommen haben (s. S. 66ff.), einzelne zunächst separat verfaßte Partien, fast immer zumindest notdürftig in einen größeren Zusammenhang integrierte. Nach der Übertragung der in seinem Notizheft ausgearbeiteten Einzelteile in die Rolle hielt es Vergil verständlicherweise für angebracht, schon bald auch dem Gesamtzusammenhang irgendwie zu skizzieren. Dabei wird er zunächst zuweilen durchaus noch nicht recht verbundene Blöcke - wohl unter Freilassung von Zwischenräumen211 - einfach nebeneinandergesetzt haben, wie wir dies am Anfang des achten Buches noch nachvollziehen können (s. oben S. 30ff.). Gerade auch die Stellen wie der Anfang des achten Buches mit dem fehlenden Iunogebet (s. S. 31 f.) oder der Redeaustausch Turnus-Allecto (VII 435ff.; s. S. 23f.) bezeugen Vergils Bemühen, selbst in nur ganz grob ausgearbeiteten Passagen, sogleich in irgendeiner Weise den Handlungsverlauf zu skizzieren. Verbindende Versatzstücke wie Redeeinleitungen und Schlüsse Exzerpieren würde ich übrigens für Diogenes Laertius vermuten; die bekannten Verwechslungen von Abkürzungen von Namen in der Überlieferung dürften m.E. doch am ehesten auf fehlerhafte Übertragung von Aufzeichnungen des Autors durch einen Librarius zurückzuführen sein (vgl. J. Mejer, Diogenes Laertius and his Hellenistic Background, Hermes-Einzelschriften [Wiesbaden 1978] 25ff.). VSD 22 beweist nicht, daß Vergil seine Werke diktierte; die abwegige Ausdeutung des Bärengleichnisses (s. oben Anm. 175) erweist den Text als Fiktion; die Erfindung zeigt allerdings in der Tat, daß das Diktat anscheinend als ein übliches Verfahren eines Dichters angesehen wurde. Aufschlußreich für die Verbreitung des Diktats scheint mir Quintilians Kritik dieser Arbeitsweise im zehnten Buch der Institutio (3,19ff.); Petersen (Oxford 1891, ad loc.) weist zu Recht darauf hin, daß seine Formulierung quid de Ulis dictandi deliciis sentiam (3, 19) nahelegt, daß Quintilian das Diktieren als Modeerscheinung betrachtet, die in der Kaiserzeit offenbar immer verbreiteter wurde: Petersen verweist auf Pers. 152, wo zum ersten Mal dictare statt scribere für 'dichten' verwendet wird (diese Stelle ist nicht erfaßt bei Norden 957f., der die späteren Belege behandelt; vgl. femer E.P. Arns, La technique du livre d'apris Saint Jirome (Paris 1953) 37ff„ ThlL s.v. dicto Β 2, wo nicht ganz zu Recht bereits Hör. epist. 110,49 und II 1,100 angeführt wird; dort liegt jedesmal eine besondere Färbung des Begriffs vor; zu ersterer Stelle gut J. Pr6aux [Paris 1968] ad loc.). In diesem Zusammenhang müssen auch die zahlreichen Zeugnisse für das Diktat bei kaiserzeitlichen und christlichen Autoren gesehen werden; vgl. Dorandi 22; vgl. auch bereits Norden 953ff.). Vor diesem Hintergrund versteht man Horazens ironische Beschreibung der Arbeitsweise des Lucilius (Sat. 14,9f.): der mondäne Lebemann Lucilius diktiert Vers um Vers zwischen Tür und Angel, der fleißige kleine Handwerker Horaz feilt monatelang an seinen schriftlichen Entwürfen (S. II 3, lf.). Sie spricht, recht betrachtet, eher dafür, daß das Diktat ein zu dieser Zeit - zumindest für einen Dichter - noch recht ungewöhnliches Verfahren war; zudem dürfte die Methode gewiß auch mit dem sozialen Status und den materiellen Verhältnissen des Autors zusammenhängen. Goethe, der sich einen eigenen Schreiber leisten konnte, hat häufig diktiert (zur Achilleis vgl oben S. 13 Anm. 7); anderen dichtenden Zeitgenossen war dies schon aus äußeren Gründen versagt. In der Antike dürfte dies kaum anders gewesen sein. 211

Vgl. die oben S. 69 Anm. 190 zitierte Quintilianpassage.

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wird er dann in der Rolle in ähnlicher Form am Rand oder bei längeren Stücken auch auf dem verso notiert haben, wie wir dies in den von Dorandi analysierten Revisionsexemplaren Philodems noch greifen können 2 1 2 . Selbstverständlich wurden diese Zusätze von Zeit zu Zeit in neuen Abschriften des Gesamttextes in den Text integriert, doch ist es höchst wahrscheinlich, daß das Varius zur Verfügung stehende Manuskript immer noch derartige noch nicht integrierte Randnotizen enthielt. Diese Vermutung drängt sich zumindest für die von Varius an eine andere Stelle versetzten Verse vom Anfang des achten Buches (79f., s. S. 32), ein nicht integriertes Stück wie VII 243ff. 213 oder Alternativfassungen wie das Gleichnis VII699-702 und 1530-534 (s. S. 35), II 63-66, 755-767, VI ?83-94 (s. S. 38), VII 128-129, VIII 42-49a auf 2 1 4 . Sie liegt auch gerade für die wörtlichen Wiederholungen in I 530ff. und VIII 42ff. nahe, in denen wir einen Verweis auf die Parallelstelle vermutet haben. Im zweiten Fall wird dies ja auch durch die Bewahrung der in der Neufassung zu streichenden Verse VIII 39f. bewiesen. Überhaupt scheint es mir außerordentlich wahrscheinlich, daß Halbverse bzw. in Halbverse auslaufende Passagen überhaupt in der Regel auf Randbemerkungen zurückgehen, und diese Vermutung wurde in der älteren Forschung insbesondere von Cartault und Walter für einzelne Halbverse ja auch immer wieder vertreten215. Die metrische Unvollständigkeit ist das deutlichste äußere Zeichen der mangelnden Integration dieser Verse oder Versreihen, die als Vergils erste Entwürfe zur Umgestaltung des Textes angesehen werden müssen. Solche Zusätze und Umgestaltungen in einer Abschrift fortlaufend in den Text aufzunehmen hatte jeweils erst Sinn, wenn eine gewisse Kohäsion des resultierenden Textstücks erreicht war. Auch an den Stellen, wo wir es nicht mit glatt ablösbaren Stücken zu tun haben, haben wir oben in den meisten Fällen zeigen können, daß sich letztlich in den mit Halbversen durchsetzten Partien doch sukzessive Stadien der Ausarbeitung fassen lassen (S. 52). Selbst in der geringen Zahl von Fällen, wo dies nicht mehr nachvollziehbar ist und wir tatsächlich einfach einem lückenhaften Text gegenüberzustehen scheinen (s. S. 49ff.), könnten die gesamten betreffenden Partien in der Varius zur Verfügung stehenden Rolle noch nicht ganz fortlaufend geschrieben gewesen sein, sondern in einzelnen Stücken direkt auf von Vergils Notizheft 212 S. Dorandi 15ff. und die oben S. 65 Anm. 179 genannten Werke, insbesondere das Vorwort von Dorandis Ausgabe (Neapel 1991) und Gaiser 32ff. (Verzeichnis der Zusätze 39ff.), dessen Ausgabe ein Faksimile der Umschrift enthält. 213 Vgl. dazu wieder den oben S. 69 Anm. 190 zitierten Passus aus Quintilian. 214 Vgl. auch IX 85ff. (oben S. 70 Anm. 195) 215 S. zuletzt auch Geymonat 287. Walter (39, 47, 61) hat auch bereits die Vermutung ausgesprochen, daß ab und an erst Varius versucht haben mag, eine nicht integrierte Randnotiz sinnvoll im Text unterzubringen.

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übertragene Marginalien oder auch auf nachträgliche Eintragungen in Freiräume im Text zurückgehen, nur daß uns der physische Zustand des Manuskripts kaum mehr rekonstruierbar ist. In einem Fall wie der TurnusAllecto-Szene könnte man allerdings vermuten, daß die beiden fragmentarisch skizzierten Reden nachträglich in den Text eingetragen wurden, und entsprechende Vorgänge könnte man sich auch bei den oben (S. 5 lf.) angeführten parallelen Fällen kurzer Redefragmente denken. Ich habe zu Anfang (S. 12f.) die unvollendeten Werke und Entwürfe Schillers, Hölderlins und Solomös' zum Vergleich herangezogen und auf das Fehlen von Textlücken zu Beginn oder im Innern des Verses bei Vergil hingewiesen. Davon ausgehend habe ich behauptet, die Mehrzahl der Halbverse könne nicht einfach einen lückenhaften Textentwurf markieren. Wenn die Untersuchung dann jedoch gezeigt hat, daß derartige lückenhafte Entwürfe teilweise doch vorliegen, so bleibt die Frage, warum wir nur Lücken am Versende im Vergiltext begegnen. Unwahrscheinlich ist gewiß die Annahme, Varius habe derartige Verse durchweg durch Interpolation gefüllt; daß Varius, wenn überhaupt, nur selten Zusätze im Text gemacht hat, haben wir bereits gesehen (S. 74). Ebenso ist es unglaubhaft, daß Varius eine große Zahl derartiger Verse kannte und dann darauf verzichtete, sie in seine Ausgabe aufzunehmen. Hätte Vergil das Werk in einem von einer großen Zahl von an beliebiger Stelle lückenhaften durchsetzten Zustand hinterlassen, so dürfte es kaum möglich gewesen sein, unter Auslassung all dieser Verse einen auch nur einigermaßen kohärenten Text herzustellen. Nein, Vergil hat die Aeneis in einem schon recht weit fortgeschrittenen Stadium der Ausarbeitung hinterlassen. Das Stadium, in dem Vergil bloß erste einzelne und unzusammenhängende Entwürfe, die durchaus auch metrisch lückenhaft gewesen sein mögen, in seinem Notizheft notierte, war für das gesamte Werk längst Vergangenheit. Beim Tode Vergils lag offenkundig bereits ein im wesentlichen zusammenhängender Text der gesamten Aeneis auf Rollen geschrieben vor. Dieser Text war zwar an einigen Stellen noch vorläufig bis skizzenhaft, doch grobe Lücken metrischer oder inhaltlicher Art enthielt er nicht mehr. Dieser Text unterlag dabei selbstverständlich immer noch der beständigen Revision, und Vergil notierte sich laufend Verbesserungen und Entwürfe für Zusätze am Rand oder auf der Rückseite. Die der Hypothesenfreudigkeit der kritischen Philologie des 19. Jhs. zum Teil so ablehnend gegenüberstehende moderne Forschung hat zuweilen den Hinweis auf die Unsicherheit und das Chaos der verschiedenen Bearbeitungstheorien der Vergilanalyse mit grundsätzlichen Zweifeln am Sinn und an der Möglichkeit dieses Zugangs zu den Problemen des Aeneistextes

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verbunden 216 , und es dabei nicht versäumt, die Parallelen zu der heute im allgemeinen totgesagten Homeranalyse zu ziehen 217 . Ich habe im vorigen im Sinne des zu Beginn zitierten richtigen methodischen Ansatzes von Berres (s. S. 11 Anm. 2) versucht, einige weiterreichende Probleme von den unbezweifelbaren und konkreten Spuren der Unfertigkeit im Text der Aeneis her aufzurollen und zuletzt den aus innerer Evidenz erschlossenen Textumgestaltungen Vergils vor dem Hintergrund der materiellen Evidenz für die Arbeitsweise antiker Autoren eine konkrete historische Basis zu geben 218 . In den unvollendeten Halbversen greifen wir die oberste Schicht der Überarbeitung, die noch physische Spuren im Text hinterlassen hat, und erste Aufgabe der Analyse muß es sein, diese Schicht abzutrennen. Dabei sollte sich die Interpretation des Textbefundes zunächst möglichst eng an den Bedürfnissen des materiellen Befundes orientieren, und so habe ich mich im vorigen bemüht, aufbauend auf den Lösungen der älteren Forschung zunächst stets die einfachste, sich unmittelbar aus der Lückenhaftigkeit des Textes ergebende Hypothese zu suchen und erst dann größere Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Ob es möglich sein wird, tiefer in die Entstehung des Werks einzudringen, muß sich noch zeigen. Aufgabe weiterer Forschung scheint es mir zu sein, die im vorigen empfohlenen Lösungsvorschläge auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen und zu versuchen, in der Typologisierung der Arbeitsvorgänge und Änderungsmotive, vor allem aber auch in der Erhellung von Vergils künstlerischen Absichten voranzukommen. Die so gewonnenen Ergebnisse könnten dann versuchsweise auf andere Stellen übertragen werden, wo die Beurteilung ganz auf inhaltliche Elemente angewiesen und aufgrund des höheren Grades der Vollendung unsicherer ist. Hilfreich könnten u.U. 216 Vgl. Schanz-Hosius, Geschichte der Römischen Literatur II (München 4 1935) 58; Pease S. 58; Büchner 405 = 1427f.; Lloyd 133f.; vgl. auch Monaco 1 Iff.; von der „Sackgasse" der bisherigen Aeneisanalyse spricht auch Berres VIII; ganz zu schweigen von der frontalen Kritik der modernen harmonisierenden Aeneisinterpretation, für die ich hier stellvertretend nur Buchheits Von der Entstehung der Aeneis (Nachr. d. Gießener Hochschulgesellschaft 33 [1964] 131-143) erwähne. Neuerdings hat auch Horsfall (471ff. und 3, 91-102) seine exemplarische Quellenforschung allenthalben energisch in den Dienst einer 'neoanalytischen' Erklärung der Unstimmigkeiten der Aeneis gestellt (vgl. auch unten S. 81f. Anm. 220). 217 S. Horsfall 3, 91 und Pease 1. cit. Auch die unitarische Homerforschung hat freilich zuweilen versucht, von der alten Analyse aufgezeigte Unstimmigkeiten auch unter der Voraussetzung einheitlicher Verfasserschaft genetisch zu verwerten; ich verweise hier nur auf Goold, ICS 2 (1977) 1-34, dessen Arbeit besonders enge Parallelen zur Aeneisanalyse aufweist; einen kurzen Überblick und eine Kritik dieses Ansatzes bietet Reichel 376 (Bibliographie 377 Anm. 20). 218 Daß jede derartige Rekonstruktion stark vergröbern und mit großen Unsicherheiten belastet bleiben muß, braucht wohl nicht ausdrücklich betont zu werden.

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auch tiefer eindringende sprachliche und metrische Analysen jüngerer und möglicherweise weniger vollendeter Partien sein219; jedenfalls können sich derartige Untersuchungen heute auf eine im großen und ganzen recht gute Kommentierung des Textes und weit bessere Erforschung von Vergils Sprache und Vers stützen als die Vergilanalyse der Vergangenheit. Das meiste wird aufgrund der mangelnden äußeren Evidenz gewiß immer beunruhigend unsicher bleiben, dennoch scheint mir übertriebene Skepsis nicht angebracht220, und auch das gängige Urteil über die traditionelle Vergilanalyse 219

Dabei könnte man einen Ausgang nehmen von den ganz offenkundig mangelhaft ausgearbeiteten Büchern III, V und X; einen ersten Einstieg vermitteln etwa die in Williams Indices unter dem Stichwort 'Unrevised Passages' aufgelisteten Stellen; s. ferner oben S. 15 Anm. 15, S. 19 Anm. 32 und S. 51 Anm. 136. Bedenkenswerte Einzelbeobachtungen finden sich auch verstreut in Mackails Kommentar. Es müßten freilich vernünftige Kriterien entwickelt werden, welche Phänomene wirklich auf mangelnde Ausarbeitung weisen, im Gegensatz zu Korruptel oder Unechtheit. Zur Metrik vgl. den S. 59 Anm. 160 zitierten Arbeiten von Duckworth und neuerdings auch M. Giesche, Die Differenzierung des Rhythmus als Gliederungsprinzip bei Vergil (Frankfurt 1980); interessante Beobachtungen, die weitere Verfolgung verdienen, auch in der Appendix Β (S. 191f.) in Gransdens Kommentar zum achten Buch. 220 Ausdrücklich möchte ich betonen, daß ich das oben (S. 80 Anm. 216) bereits erwähnte 'neoanalytische' Erklärungsmodell für inhaltliche Unstimmigkeiten in der kruden Form, in der es im allgemeinen angewandt wird, in der Aeneis noch weit weniger einleuchtend finde als bei Homer. Die Tatsache, daß zwei konkurrierende Versionen desselben Ereignisses in der Vergil vorausliegenden Tradition vorgeprägt sind, erklärt gewiß die beiden vergilschen Alternativentwürfe, sie gibt keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß Vergil jemals daran dachte, sie nebeneinander zu verwenden. Selbstverständlich weisen auch vollendete Werke der antiken wie modernen Literatur beabsichtigte und unbeabsichtigte Inkongruenzen auf, sie können jedoch nur im Rahmen einer Untersuchung der dichterischen Technik des Autors erklärt und gerechtfertigt werden, wie dies für Vergil vor allem eben Heinze geleistet hat (für exemplarische Untersuchungen zu anderen antiken Autoren und Genera verweise ich nur auf T. v. Wilamowitz - Moellendorffs Die dramatische Technik des Sophokles [Berlin 1917] und Süss, RhM 97 [1954] 115-159, 229-254, 289-316; vgl. auch die richtigen methodischen Bemerkungen in der neuen Arbeit von B. Court, Die dramatische Technik des Aischylos [Beiträge zur Altertumskunde 53, Stuttgart-Leipzig 1994] 9ff.). Die bloße Konstatierung der Existenz von Parallelversionen in der Tradition besagt ebensowenig wie das Wegdiskutieren der Widersprüche in der harmonisierenden Aeneisinterpretation. Pauschalerklärungen wie die folgende werden der Kunst eines „sorgsam planenden" Dichters m £ . nicht gerecht, selbst wenn sie aus dem Munde eines der bedeutendsten Vergilforscher unserer Tage kommen: „It would not be true to say that Virgil's narrative is wholly clear and coherent in all details; careful analysis of the subject-matter reveals, at times, I believe, that Virgil was not passionately interested in antiquarian or technical minutiae, and we have already seen that consistency mattered much less than effect. The disorder that survives is the diversity or disdain of great art, not the quibbling of antiquarians and pedants" (Horsfall 1,477). Ganz im Gegenteil, ich könnte es nicht besser als mit Cartaults (45) Worten ausdrücken: „Les nombreuses contradictions qu'on a signages dans 1 'Eniide porteraient ä croire qu'il n'en avait

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des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts ist viel zu negativ 221 . Vor allem aber kann ein so offenkundig unvollendetes Werk wie die Aeneis ohne Berücksichtigung ihres unfertigen Zustands nicht sinnvoll interpretiert werden222. Darüber hinaus ist unsere Evidenz für die Arbeitsweise antiker Autoren so gering, daß wir es uns schon aus diesem Grunde nicht erlauben können, das Material, das uns gerade die Aeneis in dieser Hinsicht bietet, unbenutzt zu lassen. Doch vor allem: wie können wir freiwillig auf die faszinierende Möglichkeit verzichten, Einblicke nicht einfach in die eure et qu'il plagait le m6rite d'un poüme ailleurs que dans la concordance exacte des parties. Ce serait lä une vue superficielle et erronde. II a 6t6 un assembleur plutöt qu'un cr6ateur; il opörait sur des matiriaux multiples et divers; son ambition a 6t6 de les riduire ä l'unit6 et de les fondre si exactement qu'on n'aper;ut qu'un tout. Et e'est un tour de force extraordinaire que d'avoir fait sortir ΙΈηέίάβ des 616ments disparates et incohörents qu'il avait ä sa disposition; e'est encore lä une manifere de creation, la crdation d'une unit6 qui n'existait que dans son esprit. II entendait que VEniide format un ensemble r6gulier, oü le lecteur n'aper9flt ni heurt ni lacune et fut frappi tout d'abord par l'aspect de grandes lignes harmonieuses. Les contradictions de VEniide ne sont pas l'effet de son insouciance; elles n'ont jamais choquö personne plus que lui. Elles sont la consdquence d'abord de l'h6tirog6n6it6 des matdriaux employes, ensuite de l'6tat d'inachfevement dans lequel nous est parvenu le poöme." 221 Das von Schanz-Hosius (1. cit.) beschworene Chaos ist weit weniger verwirrend, wenn man die Arbeiten und Hypothesen der älteren Forschung nicht nur aufzählt, sondern auch kritisch sichtet. Es läßt sich dann durchaus auch ein Konsens der gewichtigeren Stimmen in manchen Fragen feststellen. So haben sich etwa die von den maßgeblichen Vertretern der älteren Vergilforschung vertreten Ansichten zur chronologischen Priorität der Bücher II, IV, VI (s. S. 60ff.) und der relativ späten Datierung von V (s. S. 61) bestätigt; unter den Unstimmigkeiten, die weiterreichende Bearbeitungshypothesen provoziert haben, sind es die kardinalen und in den maßgeblichen Werken allgemein als unüberwindlich angesehenen Widersprüche zwischen Buch ΙΠ und dem Rest des Werkes, die Creusaszene (S. 35ff.), Sau- und Tischorakel (S. 26ff. und S. 20ff.), die - bei allem Dissens in der Lösung des Problems im einzelnen - ohne Zweifel Zeichen einer die Gesamtkonzeption betreffenden Umgestaltung sind. Kläglich scheitern müssen dagegen überzogene Hypothesen wie die von der Priorität der zweiten Aeneishälfte (S. 59 Anm. 159) oder der Umstellung des dritten (S. 55f. Anm. 147) und fünften Buches (S. 60 Anm. 163). Die Argumentation über das angebliche Chaos der älteren Vergilanalyse hat übrigens so ungefähr dieselbe Qualität wie die Behauptungen Baumerts (ENIOI ΑΘΕΤΟΥΙΙΝ: Untersuchungen zu Athetesen bei Euripides am Beispiel der Alkestis und Medea [Diss. Tübingen 1968]) oder Neitzels (Gnomon 59 [1987] 481), Tilgungen bzw. Konjekturen im Text der griechischen Tragiker hätten von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg, da offenbar die überwiegende Mehrzahl der in der Vergangenheit vorgeschlagenen Tilgungen und Konjekturen falsch ist; zu Baumert vgl. die Antwort Reeves, GRBS 12 (1972) 247ff., zu Neitzel M.L. West, Studies on Aeschylus, Beiträge zur Altertumswissenschaft 1 (Stuttgart 1990) 371ff. 222 Dies beginnt beim unmittelbaren Textverständnis; selbst Urteile über Textverderbnisse oder Echtheitsfragen müssen sich unweigerlich mit dem unfertigen Zustand auseinandersetzen, und Verteidiger der Überlieferung argumentieren immer wieder mehr oder weniger unreflektiert mit der mangelnden Vollendung des Werks.

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Arbeitsweise irgend eines antiken Autors, sondern gerade in das Werden eines der überragenden Werke abendländischer Dichtung und die Werkstatt eines der größten Dichter der Weltliteratur zu gewinnen? Es ist nicht nur unmöglich, die Aeneis ohne Rücksicht auf ihre Entstehung zu verstehen, nein, gerade die Unfertigkeit des Werks bietet uns bei aller Dürftigkeit des Materials eine Chance zu einem tieferen Verständnis von Vergils Kunst, als wir es ohne den so gewonnenen Zugang zum dichterischen Schaffensprozess je erreichen könnten223. Es ist die Verbindung souveräner, unprätenziöser Beherrschung der kritischen Methode, eines ausgeprägten Sinnes für Handwerklichkeit und eines feinen Gespürs für die eigentümlichen Gesetze dichterischen Schaffens, wie es gerade auch in zeitgebundenen und subjektiv beschränkten Urteilen zum Ausdruck kommt, die Heinzes Vergilmonographie nicht nur zu einem Pionierwerk und zu einer Großtat der klassischen Philologie unseres Jahrhunderts macht, sie macht sie - die ketzerische Äußerung möge man mir verzeihen - bis heute zu der maßgeblichen umfassenden Darstellung von Vergils Kunst 224 . Daß es der späteren Forschung bei allen bedeutenden Fortschritten im einzelnen nicht gelungen ist, Heinzes Buch etwas Vergleichbares zur Seite zu stellen, liegt nicht nur daran, daß es uns verständlicherweise schwer fallen muß, neben einem Giganten wie Heinze zu bestehen, es liegt auch daran, daß die von ihm in so mustergültiger Weise 223

„The Aeneid, as we possess it, is the product of an immense mass of material, all of it worked upon, but still in process of undergoing large revision; yet in the main so nearly approaching to its final shape that it has been ever since, for the world at large, a completed work of art. Careful study and minute analysis enable us to distinguish in it what may be called strata of composition, and to surmise, with greater or less probability, a good deal of Virgil's actual processes. We can assign the relative dates of certain parts; we can trace the insertion or expansion, the recasting or cancellation of certain episodes or passages. That inquiry is perilous to pursue too far, but is fascinatingly interesting. It can be pursued effectively only by highly trained investigators; and only by those among them whose scholarship is combined with delicate artistic sense and with some faculty of imaginative divination", Mackail xxxvii. 224 „Per una buona introduzione generale alle tecniche ed ai metodi di composizione dell' Eneide, il lettore b ancora costretto a risalire alio Heinze; la prima edizione di Virgils epische Technik δ del 1902! Tutto ciö che viene dopo έ troppo breve ο troppo dettagliata, ο troppo polemico", immerhin Horsfall 3, 10. Für eine moderne Würdigung von Heinzes Leistung vgl. jetzt auch Wlosok in der Einleitung (x-xiv) zu Virgil's Epic Technique trad, by Hazel and David Harvey and Fred Robertson (Bristol 1993) mit Bibliographie. Den größten einzelnen Fortschritt über Heinze hinaus in der Erforschung von Vergils dichterischer Technik und Kunst stellt gewiß das monumentale Werk Knauers dar („Heinze's book was epoch-making in its novelty and largeness of view. Knauer's is a worthy Ergänzung", Hardie in CR 17 [1967] 161).

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verkörperte Einheit von historisch-kritischer Philologie und Sensibilität für dichterisches Kunstwollen in der Generation nach ihm zerbrochen ist225.

Zum philologiegeschichtlichen Hintergrund vgl. den erhellenden Beitrag Vogts zur Rebellion der Generation der Wilamowitzschüler in: W.M. Calder III, H. Flashar, Th. Lindken (ed.), Wilamowitz nach SO Jahren (Darmstadt 1985) 613ff. Aufschlußreich für das veränderte Klima ist etwa ein Vergleich der zeitgenössischen Reaktionen (besonders Leos und Nordens) auf Heinzes Werk, die eben auf Heinzes wachen Verstand in der Interpretation des Künstlerischen abheben, mit der Klage Pöschls (Die Dichtkunst Virgils: Bild und Symbol in der Äneis [^Berlin-New York 1977] 5), Heinzes Buch sei zwar „ f ü r s e i n e Zeit eine hohe Leistung (Sperrung von mir)", verfahre jedoch „immer noch viel zu rationalistisch".

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Indices 1. Namen und Sachen Philodem 65 Anm. 179 Alexandrinische Homerphilologie 71f. Anm. 199 Antike Editionstechnik Streben nach Vollständigkeit 69ff. Textstücke zweifelhafter Lokalisierung 70 Anm. 196 Arbeitsweise antiker Autoren 65ff.; 74ff. Diktat 75f. Aristarch v. Samos 71f. Anm. 199 Aristoteles Ausgabe der esoterischen Schriften 69 Anm. 192 Autorenvarianten 72f. Anm. 201 Goethe, Johann Wolfgang von Achilleis 13 Anm. 7; 66 Anm. 181 Hölderlin, Friedrich Empedokles 12; 13 Anm. 7; 79 Homer Homervulgata 71 f . Anm. 199 Plusverse 71 Struktur der homerischen Epen S6f. Anm. 150 Interpolation Störung der Versordnung 18 Interpolationstypen 47

Schiller, Friedrich Dramenfragmente 12; 13 Anm. 7; 66 Anm. 181; 67 Anm. 184; 79 Solomös, Dionysios unvollendete Werke 12; 13 Anm. 7; 79 Statius 18 Anm. 25 Sueton Vergilvita 64ff.

Vergil Aeneis Aeneisanalyse 79ff. Arbeitsweise Vergils 63ff. sukzessive Entstehung 11 Anm. 1 Buch III 26ff.; 39 Anm. 83; 54ff. Buch V 29f.; 60ff. Buch IX 29f.; 60ff. Buch X 67 Anm. 184 Celaenoorakel 21f . Chronologie 32; 67 Anm. 184 Creusaszene 35ff. Datierung der Bücher 11 Anm. 1; 54ff. Dubletten 70 Formeltechnik 51f. Gleichnisse 17f. ohne Apodosis 18; 50

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Indices

Halbverse

Tiberszene 2 6 f f .

gewollt l l f . Anm. 3

'tibicines' 68

Ende eines Einschubs

Tischorakel 20ff.

U f f . ; 36; 40ff. vor Einschab 28f. Lücke 23ff.; 49ff.; 79 Helenaszene 48

unfertige Partien 51 Anm. 136 Komprimierung des Gedankens 15 Anm. 15;

Interpolation 1 6 f f .

19 Anm. 32;

Konkordanz interpolation 26 Anm. 43; 44 Anm. 109 Schlußinterpolation 47

51 Anm. 136 Zusätze Vergils Apostrophe 20; 43

Iteratverse 26f.; 35

am Ende der Rede 43f.

Kenntnis des Fahrtziels 36f.

lebhafte Ausgestaltung

posthume Ausgabe 69ff.

46

Ausscheidung obsoleter

Redeeinleitung und

Fassungen 35

-abschluß 51f.

Doppelfassungen 15f.

verbum dicendi am Ende

Eingriffe des Varius 73f. materielle Beschaffenheit des Manuskripts 75f. Nachträge am Abschnittsende 19; 70

45; 48 Vorstellung von Personen 29/.; 42f. Biographie 63ff. Georgica

Redaktion durch U m -

Überarbeitung des

stellung 34

vierten Buches 11 Anm.

'superflua demere' 69 Prosaplan 63; 65f. Reden 24 Redeabschluß 33f.; 45f.; 51f. Rezitation vor Augustus

1 Vergilviten (s. auch Sueton) 64ff. 'Buch der Freunde' 64 Anm. 175 Donatvita 64ff.

60ff. Sauprodigium 2 6 f f . Struktur 5 6 f f .

Zenodot v. Ephesus 71 199

Anm.

91

Indices

Stellen A.R. I 677-9: 41 Anm. 87 IV 1300ff.: 15 mil Anm. 14 IV 238ff.: 15 mit Anm. 12 At. Pax 749f.: 66 Anm. 182 Ran. 1004: 66 Anm. 182 Thesm. 49ff.: 66 Anm. 182 Cie. Alt. VII 13a, 3: 76 Anm. 207 VIII 12, 1: 76 Anm. 207 Cluent. 140: 76 Anm. 207 div. II 122: 76 Anm. 207 fin. I 3: 76 Anm. 207 Flacc. 65: 76 Anm. 207 Plane. 66: 76 Anm. 207 Tusc. II 17: 76 Anm. 207 Eur. Med. 725-9: 34 Anm. 68 1A 117f.: 34 Anm. 68 631-4:54 Anm. 68

140-52: 57 Anm. 150 385ff.: 76 Anm. 209 Sat. I 4, 9f.: 77 Anm. 210 II 3, If.: 76 Anm. 209\ 77 Anm. 210 epist. I 10,49: 77 Anm. 210 II 1, 100: 77 Anm. 210 II 1, 111: 76 Anm. 207 II 2, 54: 76 Anm. 207 Lucil. fr. 18: 52 Anm. 138 Luc. hist. scr. 48: 66 Anm. 180 Marcell. vita Thucyd. 47: 66 Anm. 180 Ov. Trist. II 447ff.: 70 Anm. 196 Pers. I 52: 77 Anm. 210 Phil. poet. V 13: 65 Anm. 178

Gellius XVII10, 2: 64 mil Anm. 175

Pi.

Horn. II.

fr. 194: 66 Anm. 182 Ο VI Iff.: 66 Anm. 182

I 22: 45 mil Anm. 114 II 459ff.: 15 mil Anm. 13 III 1 - 7: 75 Anm. 13

PI. Theait. 143a: 76 Anm. 207 Plin. epist. Ill 5: 76 Anm. 210

Hor. AP

Plut. Mor. 347e: 65 Anm. 178

92

Indices

Prop. II 34, 61ff.: 59 Anm. 159; 61 Quint, inst. X 3, 19ff.: 77 Anm. 210 X 17: 69 Anm. 191 X 20: 69 Anm. 191 X 31: 69 Anm. 191 X 33: 69 Anm. 190 Q. S. XII 250ff.: 42 Anm. 97 S. F 159: 66 Anm. 182 Stat. Silv. V 442f.: 18 Anm. 25 VI 61 If.: 18 Anm. 25 Tib. I 5, 71-6: 70 Anm. 196 I 6, 32: 70 Anm. 196 II 5, 56: 26 Anm. 43 Serv. ad V. Aen. I 34: 57 Anm. 150 I 560: 68 Anm. 188 IV 323: 60 Anm. 165 VI 186: 68 Anm. 188 SV 29-42: 69 V. Aen. I 40: 73 Anm. 201 I 229-53: 45 I 297-303: 46 Anm. 115 I 520ff.: 26 I 530ff.: 34f.; 40; 78 I 534: 26; 35; 74 Anm. 204 I 535: 35; 74 Anm. 204

I 539-41: 46 Anm. 115 I 559f.: 40; 45 mit Anm. 115 I 564: 46 Anm. 115 163Iff.: 40; 45f.; 52 I 636: 40 Anm. 84; 69 1 643ff.: 46 II 2: 56 Anm. 148 II 35-56: 47 II 58-62: 42; 70 II63-6:40; 42; 46; 78 II 65f.: 56 Anm. 148 II 66:14 Anm. 9; 42 II 199ff.: 40; 47 II 233:14 Anm. 9 II 320: 44 Anm. 106 II 340ff.: 40; 42f. II 346: 14 Anm. 9 II 384ff.: 42 II 402ff.: 42 II463-8: 40 II 468: 14 Anm. 9 II 47Iff.: 40 Anm. 85 II 506: 56 Anm. 148 II 564ff.: 48; 74 Anm. 204 II 589: 48; 74 Anm. 204 II 589ff.: 48 II 594f.: 48 II604-14: 41; 48 II614:14 Anm. 9; 47 II621-3: 41; 45; 48 II 623:14 Anm. 9; 40 Anm. 85; 47f. II 626ff.: 18 Anm. 27; 41 Anm. 85; 48 Anm. 124; 48 Anm. 129 II 640: 14 Anm. 9; 48 Anm. 129; 49; 51; 58 II 717-720: 41; 44 II 720:14 Anm. 9 II 735ff.: 26

93

Indices II 747: 44 Anm. 106

III 702ff.: 56 Anm. 148

II 752ff.: 35f.

IV 39-44:41

II 754: 36 Anm. 72

IV 4 4 : 1 2 Anm. 3; 14 Anm. 9

II 755-67: 36f.; 41; 78

IV 31 Iff.: 55 Anm. 145

II 757: 14 Anm. 9

IV 345ff.: 55 Anm. 145

II 760-8: 36 Anm. 72

IV 350: 44 Anm. 107

II 767: 26

IV 359ff.: 41; 44 mit Anm.

II 768ff.: 36; 70

107

II 784-7: 43 Anm. 103

IV 376ff.: 55 Anm. 145

II 787: 41ff.

IV 381: 44 Anm. 107

III 13ff.: 56 Anm. 148

IV 400: 49f.

III 75: 56 Anm. 148

IV 402: 18 Anm. 27

III 8 Iff.: 27

IV 402ff.: 41 Anm. 85; 50; 70

III 1 6 3 - 6 : 3 4 f .

IV 503: 14 Anm. 9; 41

III 210-3: 43 Anm. 104

IV 512-6: 41 Anm. 89

III 214-8: 41 ff.

IV 515f.: 14 Anm. 9; 41

III 219: 43 Anm. 104

V 286ff.: 29

III 255ff.: 21

V 293ff.: 28ff.

III 3 1 6 : 4 9 ; 51

V 294: 59 Anm. 156; 62

III 334: 56 Anm. 148

V 294ff.: 29f.; 41f.

III 3 4 0 : 1 2 Anm. 3; 38; 40

V 295f.: 43 Anm. 101

Anm. 84; 49ff.; 69; 74 III 341: 38; 39 Anm. 82 III 352f.: 56 Anm. 148

V 318f.: 30 Anm. 56 V 321ff.: 29f.; 30 Anm. 55 ; 49f.; 62

III 388ff.: 26ff.

V 334: 30

III 393: 26 Anm. 43; 27f.

V 385f.: 45

III 394f.: 21 Anm. 36

V 573f.: 41

III 458ff.: 38 Anm. 78 und 80

V 594f.: 41; 46

III 463-470: 52

V 653:14 Anm. 9; 41; 45

III 4 7 0 : 4 9 ; 52

V 657: 48 Anm. 127

III 500f.: 55

V 735ff.: 38 Anm. 78

III 506: 56 Anm. 148

V 777f.: 18 Anm. 24

III 5 2 7 : 4 9 ; 51

V 779ff.: 60 Anm. 163

III 55 Iff.: 56 Anm. 148

V 792: 41

III 640: 49; 51

V 814f.: 41; 44

III 660f.: 41; 46 mit Anm. 117;

VI 14ff.: 20 Anm. 33

49; 51

VI 83ff.: 38; 41; 78

III 684ff.: 56 Anm. 148

VI 86ff.: 37f.

III 698: 55 Anm. 147, 56 Anm.

VI 24lf.: 18 Anm. 24

148

VI 270ff.: 46 Anm. 118

94 VI 295ff.: 60 Anm. 163 VI 707ff.: 18 Anm. 27; 41 Anm. 85 VI 832-5: 42 mit Anm. 99; 43 VI 84 Iff.: 42 Anm. 99 VI 886-900: 38 Anm. 78 VI 890-2: 38 mit Anm. 77 VII 25ff.: 22 Anm. 37 VII 96ff.: 19 Anm. 32 VII 107ff.: 22 Anm. 37 VII 120ff.: 20ff. VII122-7: 70 VII 128f.: 21 f.; 41; 78 VII 137f.: 22 Anm. 37 VII 148ff.: 22 Anm. 37 VII 152-155: 19 mit Anm. 30 VII 166: 48 Anm. 127 VII 222-42:19 Anm. 29 VII 234f.: 19 VII 239ff.: 18f. VII242: 43 VII 243ff.: 41; 43; 70; 75; 78 VII 249ff.: 19 Anm. 32 VII 25Iff.: 19 mit Anm. 31, 32 VII 270-3: 19 Anm. 32 VII 435ff.: 23f.; 77 VII 439: 23; 24 Anm. 41; 49f.; 53 VII45Iff.: 23f. VII 455: 23; 24 Anm. 41; 49f.; 53 VII691:57 VII 698ff.: 15; 35 VII698-702:46 VII 699ff.: 18; 70 VII 699-702:15; 41; 78 VII 702: 40 Anm. 85 VII703-5:15; 70 VII 750ff.: 20 VII 759f.: 41ff.

Indices VIII 36ff.: 26ff. VIII 39: 31 f.; 32 Anm. 64 VIII 39f.: 78 VIII 40f.: 31f.; 70 VIII41:14 Anm. 9; 26; 28; 31; 33 Anm. 66; 55 Anm. 147 VIII 41 f.: 32 Anm. 64 VIII 42ff.: 28; 30ff.; 78 VIII46: 26 Anm. 43; 27 VIII 47ff.: 27f. VIII 57f.: 32 VIII 59: 32 mit Anm. 65 VIII 59-61: 31 Anm. 62; 33 VIII 60f.: 32; 33 Anm. 67 VIII 65: 31 Anm. 63 Vin 66ff.: 32 VIII78: 33f. VIII 79f.: 32ff.; 78 VIII 81ff.: 32ff. VIII468:58 VIII469:49; 51 VIII 520ff.: 51 Anm. 136 VIII 532ff.: 51 Anm. 136 VIII536:49; 51; 58 IX 85: 70 Anm. 195 IX 85ff.: 78 Anm. 214 IX 86f.: 70 Anm. 195 IX 166f.: 41; 46 IX 176ff.: 29f.; 62 1X216-8: 29 Anm. 53 IX 284-6: 29 Anm. 53 IX 295:14 Anm. 9; 49; 51 IX 466: 50 IX 467: 30 Anm. 57; 49f.; 62 IX 503ff.: 50f. IX 506f.: 51 IX 507: 50 IX 512ff.: 42; 49ff.;

95

Indices IX 717ff.: 51 Anm. 133; 52; 52f. Anm. 142 IX 721: 49; 52

IX 756ff.: 51 Anm. 133; 52; 53 Anm. 142

IX 761: 49; 52 X 17: 49; 51; 69 X 78f.: 18 Anm. 24 X 261: 48 Anm. 127 X 276ff.: 44 X 280: 44 Anm. 108 X 284: 42; 44; 49 X 490: 49; 51 X 580: 49; 51 X 689ff.: 16ff. X 702 - 6: 77 Anm. 23 X 704ff.: 16 Anm. 18 X 707ff.: 18 mit Anm 25; 41 Anm. 85; 70

X 707-716: 18 Anm. 25 X 712f.: 18 Anm. 25 X 714-6: 18 mil Anm. 25; 75 Anm. 204

X 719-22: 46f. X 723-8: 42, 46f. X 728f.: 40f. Anm. 85; 46f.; 49; 74

X 875f.: 51 XI 115ff.: 45 XI 364f.: 44 XI 37 Iff.: 44 XI 371-5: 42; 44f. XI 383f.: 45 XI 383-91: 42; 44f. XI442: 45 XI 539-84: 54 Anm. 143 XII631:49; 51 XI 636-54: 52 Anm. 141 XII841: 37 G.

Ill 12ff.: 66 Anm. 182 22: 64; 77 Anm. 210 23: 63 Anm. 171 23f.: 54 Anm. 143; 64 32: 60 VSD 34: 65 VSD 42: 58 Anm. 153 VSD 46: 64 VSD 86-91: 68 mit Anm. 189;

VSD VSD VSD VSD

69 mit Anm. 190

Analytische Einblicke in Vergils Dichtkunst

Lorenz Rumpf

Georg Nicolaus Knauer

Extremus labor

Die Aeneis und Homer

Vergils 10. Ekloge und die Poetik der Bucolica. (Hypomnemata 112). 1996. 309 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25167-X

Studien zur poetischen Technik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis. (Hypomnemata 7). 2. Auflage 1979. 550 Seiten und 7 Falttafeln, kartoniert ISBN 3-525-25102-5

Die 10. Ekloge bildet nicht nur äußerlich den Abschluß von Vergils Hirtendichtung. Diese Arbeit zeigt in einem forschungsgeschichtlichen Teil, wie das Werk vielfach zur literarhistorischen Quelle reduziert wurde, und unterzieht es dann einer umfangreichen neuen Analyse. Dabei ergibt sich, daß im Gedicht in poetischer Reflexion die notwendige Distanz zwischen Dichtung und Praxis und das mögliche Scheitern von Dichtung zum Gegenstand wird. Die 10. Ekloge bringt die implizite „Poetik der Rahmung", die konstitutiv für die Bucolica insgesamt ist, anhand der Figur des Dichters Gallus in letzter Deutlichkeit zum Ausdruck und läßt damit zugleich die bukolische Sphäre hinter sich. Inhalt 1. Teil: Zur Forschungsgeschichte 2. Teil: Schrittweise Analyse des Gedichttextes 3. Teil: Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

„This book is a very significant contribution to our appreciation of Vergil's poetic methods and purpose. It is too packed with material to be easy reading: the highly organized and systematic presentation of a vast quantity of information precludes it from being an invigorating or exciting book, but the erudition and accuracy on which it is so soundly based will make it indispensable for serious students of the Aeneid for a very long time to come." Classical Philology „This book too is a sober triumph. It provides a unique instrument for further work, and Knauer seems to me to have put the whole question on a new footing. Virgil not only knew Homer ,tutta quanta', but understood him as he had surely not been understood before, even by Aristotle or Aristarchus - or since." The Classical Review

V&R

Vandenhoeck Ruprecht