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German Pages 120 Year 1996
Bruno Bauer Über die Prinzipien des Schönen
Bruno Bauer
Über die Prinzipien des Schönen De pulchri principiis Eine Preisschrift Herausgegeben von Douglas Moggach und Winfried Schultze mit einem Vorwort von Volker Gerhardt
Akademie Verlag
Douglas Moggach hat die Handschrift entziffert, die Quellenangaben, die im Manuskript fehlen, zusammengestellt, eine Übersetzung der lateinischen Fassung ins Englische vorgenommen und die von Hilmar Lorenz gefertigte Übertragung des englischen Textes ins Deutsche revidiert. Winfried Schultze hat den geschichtlichen Kontext der Preisaufgaben erörtert und die drei Anlagen zum Text aufbereitet. Die philosophische Analyse der Preisschrift wurde von Douglas Moggach verfaßt.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Uber die Prinzipien des Schönen : eine Preisschrift = De pulchri principiis / Bruno Bauer. Hrsg. von Douglas Moggach und Winfried Schultze. Mit einem Vorw. von Volker Gerhardt. - Berlin : Akad. Verl., 1996 ISBN 3-05-002889-0 NE: Bauer, Bruno; Moggach, Douglas [Hrsg.]; De pulchri principiis
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1996 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Annae in memoriam. D.M.
Inhalt
Volker
Gerhardt
Vorwort
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Vorbemerkungen
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Bruno Bauer Dissertatio de pulchri principiis
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Douglas Moggach Die Prinzipien des Schönen: Bruno Bauers Kritik an Kants Ästhetik
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Winfried Schultze Bruno Bauer und die Aufgaben der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität für den Königlichen Preis
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Anlagen Anlage 1 Reglement wegen der Preis-Aufgaben und Verteilung der Preise auf der Königlichen Universität zu Berlin
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Anlage 2 Auflistung der von Bruno Bauer belegten Vorlesungen in den jeweiligen Semestern seines Studiums in Berlin
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Anlage 3 Beurteilung der für die Bewerbung um den Königlichen Preis 1829 eingereichten philosophischen Arbeiten durch Hegel
....
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Vorwort
Das Universitätsarchiv der alten Berliner Universität, die seit 1949 den Namen der Brüder Humboldt trägt, birgt manche Schätze, die nicht nur von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse sind. Aber wenn sich die Forschung der immer deutlicher werdenden Notwendigkeit stellt, die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts neu zu schreiben, dann wird dieses Archiv eine Rolle spielen. Denn die Geschichte der 1810 gegründeten Universität ist von exemplarischer Bedeutung nicht nur für den Reformprozeß der modernen Universität, sondern auch für die Entwicklung in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen. Für die Philosophie, um nur ein Beispiel zu nennen, läßt sich belegen, daß der Tod Hegels keineswegs den historischen Einschnitt bedeutet, von dem in den Lehrbüchern bis heute zu lesen ist. Zwar haben die akademischen Fachvertreter nach 1831 lange gebraucht, um zu einer lebendigen Eigenständigkeit zurückzufinden. Aber das philosophische Denken hat sich, insbesondere in Berlin, gleichwohl mit Macht entwickelt. Es waren die Physiologen und Physiker, die Philologen und die Historiker, die nunmehr nach den Bedingungen und Grenzen der Erkenntnis fragten. Sie waren es dann auch, die der Philosophie die neuen Impulse gaben und die bei Lotze, Lange und Nietzsche, bei Dilthey, Simmel und Cassirer fruchtbar wurden. Mit dem vorliegenden Text wollen wir zunächst nur ein Beispiel präsentieren. Die Preisschrift von Bruno Bauer ist bislang nicht veröffentlicht. Ernst Barnikol hat sie 1972 lediglich referiert und hat Hegels Gutachten in einer Fußnote mitgeteilt. In der vorliegenden Schrift werden nun beide Texte nach dem Original zum Abdruck gebracht. Hinzugefügt sind neben der Übersetzung der Preisschrift Kommentare, die den biographischen, akademischen und szientifischen Zusammenhang kenntlich machen. Die Hoffnung ist, daß mit dieser Edition ein Anfang gemacht ist, dem weitere Fundstücke aus dem Universitätsarchiv folgen. Berlin, den 13. Juni 1995
Volker Gerhardt
Vorbemerkungen
Bruno Bauers Manuskript Dissertatio de pulchri principiis wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Die Arbeit wurde auf Vorschlag Hegels im Jahre 1829 mit dem Königlichen Preis geehrt. Wir möchten dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam für die Zugänglichmachung einer Abschrift des Bauer-Manuskriptes danken, die in Ernst Bamikols Archiv enthalten ist. Wenngleich wir häufig von Bamikols Lesart abweichen, erwies sich dieses Dokument als wertvoller Leitfaden bei unserer eigenen Arbeit mit dem in den Akten enthaltenen Originaltext Bauers, insbesondere weil es plausible Vorschläge für schwierige oder umstrittene Stellen bot. Winfried Schultze verglich die von ihm erstellte Abschrift des Textes mit der Abschrift Barnikols, erörterte den geschichtlichen Kontext der Preisaufgaben und stellte die Anlagen zusammen. Douglas Moggach entzifferte die Handschrift, veranlaßte die Übersetzung aus dem Lateinischen zunächst ins Englische und danach ins Deutsche, fügte am Manuskript fehlende Quellenangaben bei und verfaßte die philosophische Analyse. Die School of Graduate Studies and Research und die Faculty of Social Science der Universität Ottawa versahen dieses Projekt großzügigerweise mit finanzieller Unterstützung. Peter Foley assistierte mit Geschick bei der Herstellung des lateinischen Textes. Alex Chiasson hat als gewandter Forschungsassistent tüchtig mitgeholfen. Hilmar Lorenz übersetzte mit kritischem philosophischem Blick das lateinische Manuskript sowie die von Douglas Moggach verfaßte Analyse ins Deutsche.
Dissertatio de pulchri principiis, quae Kantius in ea philosophiae suae parte, quam judicandi facultatis criticem voluit esse, exposuit. Symbolum:
„Der Ernst in der Kunst ist ihre
Heiterkeit."1
Dissertation über die Prinzipien des Schönen, die Kant in dem Teil seiner Philosophie, den er als Kritik der Urteilskraft vorsah, erörtert hat. Symbol:
„Der Ernst in der Kunst ist ihre
Heiterkeit."
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66 [b] Kantii philosophia post ingenii laborem bis mille annorum exstitit et revolutione ingenti neotericae philosophiae viam aperuit. Ut vim raomentumque hujus systematis philosophici perspiciamus, antecedentes rationes scientiae philosophicae breviter nobis signifícandae sunt, quodque enim systema ex prioribus tantum vere intelligi potest. Omnis philosophia exspectabat, ut cogitandi et essendi rationem perscrutaretur eorumque
67 [a] cognosceret communem radicem. Haec vero est idea aeterna, in deo enim esse et cogitare non diremta sunt. Ita philosophica cogitatio est divina cogitatio, cum illam unitatem, illam radicem, uti in deo est, perspicere conetur.2 Graecae vero philosophiae, cum profecta sit ab immediata unitate essendi et cogitandi, oppositio illa superanda et tollenda non erat. Jam enim Parmenides illam immediatam unitatem simplicissime edixit: xo etvai eaxi etTOeivai eaxt xo voeiv Doctrina ejus semper vera manebit, non vero jam usque ad discrimen et oppositionem penetravit neque his immediatam illam veritatem vere mediavit. Platonis quoque
67 [b] philosophia nititur illa ideae et rerum harmonia; est enim secundum ejus doctrinam notio tantum seu idea et idea est veritas rerum. Aristoteles denique ait: res passivus vod]
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102 [a] est simul absoluta negativitas et libertas sui essendi. Ita necessitas est libertas illa, liber amor, quocum idea in pulchro se manifestât, in notionem et objectivitatem se emittit et utrumque amoris sui vinculo conjungit et in unitatem concretam réconciliât. Kantius vero illam necessitatem pulchri subjectivam posuit. Assumit enim sensum communem quo omnes homines eodem modo a pulchro afficiantur, qua ex re necessitas deveniat, ut quisque alterius judicio consentiat. At debilitatem hujus necessitatis subjectivae bene sentiens
102 [b] coactus est, hanc necessitatem ut relativam ponere et contendere, quemque in pulchri dijudicatione postulare, ut reliqui judicio suo consentire debeant. Hoc „debere" Kantius propter subjectivum suum principium non transgreditur, cogitationis enim inertia in hoc manere manet et acquiescit. Haec pulchri determinatio illi simillima est, quam supra explicavimus, ideam in realitate se manifestare tantum debere, quia Kantius notionis et objectivitatis diremtionem pertinacissime retinuit atque ita jam sibi satisfactum esse credidit. Jam vero summam nostrae
103 [a] critices75 complectamur. In reflexiva judicandi facultate Kantius medium naturae et rationis notionis, objectivae vel empiricae varietatis et abstractionis intellectus invenit.76 Haec vero identitas essentialiter est ratio, cujus ideam Kantius in hac philosophiae suae parte magis minusve formaliter eloquitur. Quamquam Kantius notionem rationis cum ilia identitate naturae et libertatis notionis dederat, attamen nihil aliud est, quam idea transsensualis in nobis, quae cognitioni utique non patet.77 Uti rationis ideam cognosci non posse, quod infiniti notionem in se habeat, ita aestheticam quoque ideam cognitionem
103 [b] fieri non posse, quod ei vis imaginatoria subsit, atque huic nulla notio adacquata esse possit. Ita dirimit Kantius ideam in sensibile et finitum
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Dissertation über die Prinzipien des Schönen ständlichkeit zugleich den ganzen Begriff in sich empfängt und sein Zeuge ist. Aber diese innere Harmonie, dieser Friede mit sich selbst
ist zugleich absolute Negativität und Freiheit des eigenen Seins. So '02 la] ist die Notwendigkeit jene Freiheit, jene freie Liebe, mit der sich die Idee im Schönen offenbart. Sie verströmt sich in Begriff und Gegenstand, begattet beide durch das Band ihrer Liebe und versöhnt sie so in konkreter Einheit. Aber Kant führt jene Notwendigkeit des Schönen als subjektiv ein. Denn er nimmt den Gemeinsinn hinzu, durch den alle Menschen auf die gleiche Weise vom Schönen affiziert werden, woher die Notwendigkeit kommt, daß jeder dem Urteil des anderen zustimmt. Aber, da er die Kraftlosigkeit dieser subjektiven Notwendigkeit deutlich empfand, war er gezwungen, diese Notwendigkeit als relative einzuführen und '02 [b] zu behaupten, daß, wenn immer jemand die Beurteilung des Schönen in Anspruch nimmt, die anderen seinem Urteil zustimmen sollen. Dieses „Sollen" überschreitet Kant seines subjektiven Prinzips wegen nicht; denn die Gedankenträgheit bleibt und ruht sich aus in diesem Bleiben. Diese Bestimmung des Schönen ist jener äußerst ähnlich, die wir oben erläutert haben, nämlich daß sich die Idee in der Wirklichkeit nur offenbaren soll, weil Kant an der Trennung von Begriff und Gegenständlichkeit äußerst hartnäckig festgehalten und so sich schon Genüge geleistet zu haben geglaubt hat. Wir wollen nun den Gipfelpunkt unserer Kritik erreichen. In der reflexiven Urteilskraft fand Kant die Vermittlung zwischen Natur- und Vernunftbegriff, zwischen gegenständlicher oder empirischer Mannigfaltigkeit und Verstandesabstraktion. Diese Identität ist aber wesentlich Vernunft, deren Idee Kant in diesem Teil seiner Philosophie mehr oder weniger formal aussagt. Obgleich Kant den Vernunftbegriff zusammen mit jener Identität des Natur- und des Freiheitsbegriffs gegeben hatte, ist der erstere aber dennoch nichts anderes als die übersinnliche Idee in uns, die der Erkenntnis in keiner Weise offensteht. Wie die Vernunftidee nicht erkannt werden könne, weil sie den Begriff des Unendlichen in sich hat, so könne auch die ästhetische Idee keine Erkenntnis
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(al
werden, weil ihr die Einbildungskraft zugrundeliegt, und dieser kein '03 [b] Begriff gleichkommen kann. Darum trennt Kant die Idee in das sinn-
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et in transsensuale, quod omnem experientiam et cognitionem transscendat, quamquam idea in absoluta identitate objectivitatis et notionis vere cognosci potest. Cum igitur pulchrum ut identitas naturae et libertatis notionis exposita sit, transsensuale vero neque cognosci neque repraesentari possit, judicium aestheticum in abstractam subjectivitatem refertur et transsensuale principium dijudicationis pulchri fit. Si vero transsensuale principium pulchri fit, nihil
104 [a] de eo cognoscitur, cum neque ejus repraesentatio notione exponatur, neque notio ejus repraesentatione demonstratur. Ita pulchrum tantum in subjectivam affectionem et in voluptatem subjecti refertur, quae voluptas relatione pulchri in reflexionem nascitur, atque ita pulchrum plane subjectivum et fortuitum factum est. Quamquam Kantius in pulchro momentum intelligibile posuit, attamen in hac subjectiva et finita cognitione restitit eamque pro absoluta habet. Kantius ad ideae notionem progressus est, cum vero ejus vera notio cum systemate suo non conjugenda esset et si ideam ut verum
104 [b] principium et exitum philosophiae suae demonstrasset, suam ipsius doctrinam transgressus esset, necessario est, ut idea deprimatur, comminuatur et corrumpatur, atque subjectiva reflexio, finitaque cognitio pro vero habeatur. Ita Kantiana philosophia formalis cognitio manet, formali enim subjecti identitati varietas absoluta cum oppositione obstat. Quare si in hac oppositione abstracta illa identitas in varietatem transit eamque determinai, huic tamen aliena manet, neque minus varietas si in identitatem illam transit, eamque implet, huic aliena est, ita ut utriusque conjunctio formalis tantum sit.78 Medium hujus oppositions, quo haec absolute tollitur ratio nempe
105 [a] transscendentalis manet, credi tantum potest, non vero cognosci, atque ita desiderium ejus infinitum nascitur. Quare cum Kantius medium hujus absolute finiti et absolutae infinitatis in pulchro invenit, in quo utrumque conjugendum sit, illud „debere" non transgreditur, veram
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lieh Endliche und in das Übersinnliche auf, das jede Erfahrung und Erkenntnis übersteigt, obgleich die Idee wahrhaftig in der absoluten Identität von Gegenständlichkeit und Begriff erkannt werden kann. Weil daher das Schöne als die Identität von Natur- und Freiheitsbegriff erörtert ist, das Übersinnliche aber weder erkannt noch vorgestellt werden kann, wird das ästhetische Urteil auf die abstrakte Subjektivität bezogen und zu einem übersinnlichen Prinzip der Beurteilung des Schönen. Wenn aber das Übersinnliche Prinzip des Schönen wird, wird nichts darin erkannt, weil weder seine Vorstellung durch einen Begriff er- 104 [a] örtert, noch sein Begriff durch die Vorstellung veranschaulicht werden kann. Darum wird das Schöne nur auf die subjektive affektive Lust des Subjektes bezogen, welche Lust durch die Beziehung des Schönen auf die Reflexion geboren wird. Und damit ist das Schöne deutlich subjektiv und zufällig geworden. Obwohl Kant im Schönen ein intelligibles Prinzip einführte, blieb er aber dennoch bei dieser subjektiven endlichen Erkenntnis stehen und hielt sie für absolut. Kant schritt zum Begriff der Idee fort, da in der Tat ihr wahrer Begriff mit seinem System nicht zu vereinen war und, wenn er die Idee als das wahre Prinzip und Ende seiner Philosophie demonstriert hätte, er seine 104 [b] eigene Lehre überschritten hätte. Es ist dabei nötig, daß die Idee heruntergedrückt, vermindert, zerbrochen und die subjektive Reflexion und die endliche Erkenntnis für die Wahrheit gehalten wird. So bleibt die kantische Philosophie formale Erkenntnis; denn die absolute Mannigfaltigkeit steht der formalen Identität des Subjektes mit Opposition entgegen. Wenn daher in diesem abstrakten Gegensatz jene Identität in Mannigfaltigkeit übergeht, und zwar diese bestimmt, bleibt sie dieser dennoch fremd. Und die Mannigfaltigkeit ist, wenn sie in jene Identität übergeht und sie erfüllt, dieser nicht weniger fremd, so daß es nur eine formale Verbindung beider gibt. Die Vermittlung dieses Gegensatzes, durch die er absolut aufgehoben wird, bleibt freilich die transzendentale Vernunft und kann nur geglaubt, aber nicht erkannt 105 [a] werden. Und so wird die unendliche Sehnsucht nach ihr geboren. Weil daher Kant die Vermittlung des absolut Endlichen und der absoluten Unendlichkeit im Schönen findet, in dem beides zu verbinden ist, überschreitet er jenes „Sollen" nicht. Wir können die wahre
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identitatem rursus adipisci non possumus et idea vera subjectivum principium fit. Transeamus jam ad alteram partem critices judicandi facultatis, nempe ad dialecticen 79 ejus.80 Intellectum definivit Kantius esse connexionem varietatis per unitatem sui conscientiae. Haec vero connectens 105 [b] actio essentialiter nititur categoriis. Ratio vero comparata cum hoc intellectu eoque, quo hie repletus est atque cum specialitatibus, quae his categoriis inest, abstracta unitas est. Quae cum abstracta unitas ut notio infiniti in oppositione contra finitum retineatur, Kantiana philosophia decidit in contradictiones, quae in antinomiis demonstrantur. Oppositio vero ilia, quacum absolutum seu infinitum, ut Kantius dicit, finito obstat, necessario determinatio atque igitur negatio fit. Qua in negatione vero Kantium manere, defectus summus est, qui in systemate ejus dominatur, neoterica demum philosophia hanc negationem transgressa et ad positivum finem venit, oppositionibus sublatis et in unitate eorum veritate inventa.
106 [a] Oppositio enim atque contradictio et dialecticus motus notionis via essentialis ad veritatem est. Oppositiones vero diremtae sibi obstare non debent, ita ut quaeque prò se quid valeat, sed ita tantum vere tolli possunt, ut veritatem suam tantum in sublatione sua inveniant. Vera enim dialectica contemplatio earum eo consistit, ut ostendatur utramque partem contradictionis alteram in se ipsa continere, neutram sine altera possibilem esse, ita ut sublatae tantum verae existant. Diximus modo absolutam illam oppositionem necessario ad determinationem et negationem infiniti, ad negationem verae ideae ducere. Hoc in tribus illis antinomiarum modis, quas Kantius
106 [bi posuit videmus. Tres vero antinomiarum modos assumsit,81 quod tres cognoscendi facultates posuit, intellectum, judicandi et concupiscendi facultatem, quarum quaeque principium suum a priori habet.82 Rationem necessario quaerere, Kantius dicit, si de principiis illis et eorum usu judicat, ad quodque relativum et finitum absolutum,83 quod vero
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Identität wieder nicht erlangen, und die wahre Idee wird das subjektive Prinzip. Wir wollen nun zum zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft, nämlich zu ihrer Dialektik, übergehen. Kant hat den Verstand als Verknüpfung der Mannigfaltigkeit durch die Einheit des Selbstbewußtseins definiert. Diese verknüpfende Tätigkeit des Verstandes aber stützt sich wesentlich auf die Katego- '05 [b] den. Die Vernunft jedoch ist verglichen mit diesem Verstand und damit, womit dieser erfüllt ist, und mit den Besonderheiten, die in diesen Kategorien liegt, abstrakte Einheit. Da diese abstrakte Einheit als Begriff des Unendlichen im Gegensatz zum Endlichen zurückgehalten wird, verstrickt sich die kantische Philosophie in Widersprüche, die in den Antinomien demonstriert werden. Jener Gegensatz aber, mit dem das Absolute oder Unendliche, wie Kant gesagt hat, dem Endlichen entgegensteht, wird notwendig Abgrenzung und damit Negation. Daß Kant aber in dieser Negation bleibt, ist der größte Mangel, der sein System beherrscht. Die neue Philosophie hat endlich diese Negation überschritten und kommt zu einem positiven Ende, da die Gegensätze aufgehoben sind, und zwar in ihrer Einheit die Wahrheit gefunden worden ist. Gegensatz, Widerspruch und dialektische Bewegung des Begriffs 106 [a] bilden nämlich den wesentlichen Weg zur Wahrheit. Die aufgehobenen Gegensätze dürfen sich nicht so entgegenstehen, daß jede Seite nur für sich Geltung hat, sondern können nur so wahrhaft aufgehoben werden, daß sie ihre Wahrheit nur in ihrer Aufhebung finden. Denn ihre wahre dialektische Betrachtung besteht darin, daß gezeigt wird, daß beide Seiten des Widerspruchs den jeweils andere in sich selber enthalten, und keine von beiden ohne die andere möglich ist, so daß sie nur als Aufgehobene wahrhaft da sind. Wir haben nur gesagt, jener absolute Gegensatz führe notwendig zur Abgrenzung und Verneinung des Unendlichen, d.i. zur Negation der wahren Idee. Dies sehen wir in jenen drei Arten von Antinomien, die Kant aufgestellt hat. Er hat aber drei Arten von Antinomien angenommen, 106 [b] weil er drei Erkenntnisvermögen eingeführt hat, den Verstand, die Urteilskraft und das Begehrungsvermögen, von denen jedes sein Prinzip a priori hat. Die Vernunft sucht, sagt Kant, wenn sie über jene Prinzipien und deren Gebrauch urteilt, zu jedem Relativen und
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absolutum, seu ideam cognosci non posse, quod ut resultatum philosophiae suae totius Kantius exposuit. Ita hac absoluta oppositione Idea et ratio deleta est et reflexio subjectiva triumphat, se absolutum, quod omnia determinat, furtam esse. In dialectice judicandi facultatis Kantius exposuit igitur dialecticen judicii aesthetici quod ad
107 [a] principia ejus, quam dialecticen 84 possibilem esse. Kantius dicit, si antinomiam principiorum hujus facultatis inveniri possit, quae legitimitatem et auctoritatem eorum dubiam faciat. In hac antinomia vero exponenda levius agit Kantius, dum ea non ex notionis ipsius motu et decursu, quem in analytice demonstrare studuit, sequitur 85 sed Kantius duos locos communes spectat atque ex eorum contradictione dialectice judicandi facultatis sequitur. Prior locus communis contentus est dicto ilio, quemque suum proprium gustum habere, i.e. determinantem causam judicii aesthetici tantum subjectivam esse, neque objectivam necessitatemi postulare debere 86
107 [b] alter locus communis hie est: de gustu disputari non potest, 87 i.e. determinans causa judicii aesthetici objectiva quidem esse potest, non vero ad distinctam notionem reduci potest, unde fit, ut judicium demonstratione aliqua discerni non possit, quamquam certari quidem de ea potest. 88 Haec vero opinio, de judiciis aestheticis certari posse, plane contraria est illi priori loco communi. Ita haec antinomia quod ad principium judiciorum aestheticorum ponitur: Thesis: judicium aestheticum non nititur notionibus. Antithesis: judicium aestheticum nititur notionibus. 89 Kantius recte intelligit, ita tantum hanc contradictionem tolli posse, ut ostendatur, notionem, in quam objectum in judicio aesthetico referatur, duplici sensu, vel potius in utraque casu ab una tantum parte sumi atque veritatem tantum in adunatione
108 [a] oppositionis consistere. Atque hanc contradictionis solutionem Kantius in ratione invenit. Eo profecto ratio sola tollit omnes contradictiones, quas abstractus intellectus exponit sibique invicem opponit. Quid vero Kantius hie sub ratione intelligit? Nihil aliud, ut supra audivimus, quam indefinitam transsensualis ideam, quae objectis utpote apparitio-
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Endlichen notwendig nach einem Absoluten. Dieses aber könne als Absolutes oder Idee nicht erkannt werden, was Kant als Ergebnis seiner ganzen Philosophie hinstellt. Darum sind durch diesen absoluten Gegensatz Idee und Vernunft zerstört, und die subjektive Reflexion triumphiert darüber, daß ihm das Absolute, das alles bestimmt, eine Beute ist. In der Dialektik der Urteilskraft erörtert Kant daher die Dialektik des ästhetischen Urteils in ihrer Beziehung auf ihre Prinzipien. Diese Dialektik sei möglich, sagt Kant, wenn er die i° 7 tel Antinomie der Prinzipien dieses Vermögens finden könne, welche deren Legitimität und Urheberschaft zweifelhaft macht. In der zu erörternden Antinomie aber handelt Kant zu leichtfertig, zumal diese nicht aus dem bewegten Durchlaufen des Begriffs selber folgt, was er in der Analytik zu demonstrieren sich bemüht, sondern Kant zwei Gemeinplätze anschaut und aus deren Widerspruch die Dialektik der Urteilskraft folgert. Der erste Gemeinplatz ist in der Redensart enthalten, jeder habe seinen eigenen Geschmack, d.h. der Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils sei nur subjektiv, und könne keine objektive Notwendigkeit beanspruchen. Der zweite Gemeinplatz ist dieser: über den Geschmack läßt sich 107 [b] nicht disputieren, d.i. der Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils kann zwar ein objektiver sein, aber nicht auf einen bestimmten Begriff zurückgeführt werden. Daher kommt es, daß das Urteil durch keine Demonstration bestimmt werden kann, obwohl man freilich darüber streiten kann. Aber diese Meinung steht im deutlichen Gegensatz zum ersten Gemeinplatz. Deshalb wird die Antinomie in bezug auf das Prinzip der ästhetischen Urteile aufgestellt: These: Das ästhetische Urteil gründet sich nicht auf Begriffen. Antithese: Das ästhetische Urteil gründet sich auf Begriffen. Kant versteht richtig, dieser Gegensatz kann nur dadurch aufgehoben werden, daß gezeigt wird, daß der Begriff, auf den sich der Gegenstand im ästhetischen Urteil bezieht, im doppelten Sinne, oder besser: in beiden Bedeutungen von bloß einer Seite her, gebraucht wird, und zwar die Wahrheit nur in der Vereinigung des Gegensatzes besteht. Und zwar findet Kant diese Auflösung des '08 [a] Widerspruches in der Vernunft. Durch diesen Schritt hebt die Vernunft allein alle Widersprüche auf, die der abstrakte Verstand erörtert und sich wechselseitig entgegenstellt. Was aber versteht Kant hier unter Vernunft? Nichts anderes, wie wir oben gehört haben, als die
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nibus subsit. Haec vero notio talis est, ut repraesentatione neque demonstrari, neque per earn aliquid cognosci possit. Hac transsensualis notione hac rationis idea, quae cognosci non possit, totam antinomiam sublatam esse, judicium enim niti notione, qua vero nihil
108 [b] quod ad objectum cognosci posse. Hoc modo vel potius sophismate contradictio ilia sublata est. Cum enim Kantius dicat in thesi, judicium aestheticum non niti notionibus, hoc quidem secundum suam oppositionem verum est, cum infinita tantum notione nitatur, qua nihil cognosci potest; neque quod in antithesi dicitur, judicium aestheticum notionibus niti non thesi repugnat, cum notio haec indefinita neque distincta sit. Ita eo consistit tota antinomiae solutio, ut ilia duo placita juxta se consistere atque utraque vera esse possint, quamquam ut Kantius dicit, definitio seu declaratio, possibilitatis notionis eorum nostram cognoscendi facultatem transscendat. Ita Kantius, cum oppositiones illas in vera idea tollere debuisset, rursus ad subjectivum principium
109 [a] illud, nempe ad indeterminatam ideam transsensualem in nobis, quae intelligi et comprehendi non possit, rediit. Ita in fine critices judicandi facultatis aestheticae, ubi exspectandum erat, omnes oppositiones vere sublatum iri atque veram pulchri ideam prodituram esse, contradictio ilia, quae ex ilia subjectiva reflexione nata erat, retinetur. In fine enim rursus audimus, ideam pulchri cognosci non posse, quamquam Kantius ipse ejus definitionem dederat, nempe earn identitatem naturae et libertatis notionis esse. 90 Nihilominus summa hujus Kantianae philosophiae est, rationalem notionem, neque cognosci posse, quia notionem transsensualis in se
109 [b] contineat atque omnem cogitationem transscendat, neque repraesentationem ei congruam esse posse ac si rationalis idea non in pulchro, notio in repraesentatione demonstretur. Totus vero hie defectus ortus est ex falsa ideae cognitione, quam supra explicavimus. 91 Kantius enim in idea non unitatem notionis et objectivitatis cognoscit, sed
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unbestimmte übersinnliche Idee, die Gegenständen als Erscheinungen zugrundeliegt. Dieser Begriff ist jedoch derart, daß er weder durch eine Vorstellung veranschaulicht, noch durch ihn etwas erkannt werden kann. Durch diesen Begriff des Übersinnlichen, durch diese Vernunftidee, die nicht erkannt werden könne, sei die ganze Antinomie aufgehoben; denn das Urteil stütze sich auf den Begriff, durch den jedoch nichts bezüglich des Gegenstandes erkannt werden könne. Auf diese Weise 108 [b] - oder besser: durch diesen Trugschluß - wird jener Widerspruch aufgehoben. Weil nämlich Kant in der These sagt, das Urteil stütze sich auf keinen Begriff, ist dies freilich seinem Gegensatz entsprechend wahr, zumal es (sc. das Urteil) sich nur auf einen unendlichen Begriff stützen kann, durch den nichts erkannt wird. Und was in der Antithese gesagt wird, nämlich daß sich das ästhetische Urteil auf Begriffe stütze, widerspricht der These nicht, weil dieser Begriff unbestimmt und undeutlich ist. Daher besteht die ganze Auflösung der Antinomie darin, daß jene zwei Ansichten neben einander bestehen und beide wahr sein können, obwohl, wie Kant sagt, die Definition oder Erklärung der Möglichkeit ihres Begriffs unser Erkenntnisvermögen überschreitet. Darum ging Kant, zumal er jene Gegensätze in der wahren Idee aufheben mußte, wieder zu jenem subjektiven Prinzip, nämlich zu der unbestimmten übersinnlichen Idee in uns zurück, '09 [a] die weder verstanden noch begriffen werden kann. So wird am Ende der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, wo zu erwarten ist, daß alle Gegensätze wirklich aufgehoben und die wahre Idee des Schönen hervorgebracht sein werden, jener Widerspruch, der aus jener subjektiven Reflexion geboren war, beibehalten. Denn wir hören am Ende wieder, daß die Idee des Schönen nicht erkannt werden kann, obwohl Kant selber deren Definition gegeben hatte, nämlich daß sie die Identität von Natur- und Freiheitsbegriff sei. Nichtsdestoweniger ist dies der Gipfel der kantischen Philosophie: der Vemunftbegriff kann weder erkannt werden, da er den Begriff des Übersinnlichen enthält und so jeden Begriff überschreitet, noch kann die Vorstellung 109 [b] ihm gleichkommen, als ob die Vernunftidee nicht im Schönen, der Begriff nicht in der Vorstellung veranschaulicht würde. Dieser ganze Mangel kommt aus der falschen Erkenntnis der Idee, die wir oben erläutert haben. Kant erkennt nämlich in der Idee nicht die Einheit
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utrumque potius dirimit et sensibile et transsensuale, ut dicit, ut plane contraria sibi invicem opponit, ita ut transsensuale extra omnem cognitionem sit eamque transscendat. Quod igitur in pulchro ut in repraesentata idea oppositio notionis et objectivitas 92 negata est, Kantius putat, ita etiam notionem ipsam negatam atque quasi absorptam esse. Quo
110 [a] factum est, ut Kantius semper ad triste illud resultatum redeat transcendentale, ut dicit, seu ideam cognosci neque repraesentari posse. Cum vero idea cognosci non possit, etiam pulchrum cognitione assequi non possumus, neque objectivum principium gustus et pulchri est, i.e. philosophia artis esse non potest. Ars vero ipsa philosopho summum est, quod illa eum in sacrarium illud inducit, ubi id quod in natura et in ingenio diremtum est, objectivitas et notio, quae semper se invicem fugere videntur, ideae vinculo harmonice adunatae sunt. Quod igitur, uti in philosophia oppositio cognitionis in concretam identitatem tollitur, ita in arte oppositio notionis
i io [b] et objectivitatis immediate sublata est, ars quasi symbolum philosophiae est, neque quisquam artifice ipso non excepto, quod is in immediatitate93 remanet, altius artem perspicere potest, quam philosophus, nihilque absolute de arte sciri potest nisi philosophia, unde sequitur etiam artis philosophiam esse. Quod enim, quaeso, philosophia, quae in concreta idea sublationem omnium oppositionum invenit, ideam cognoscere non possit, ut in objectivitatem se emiserit. At philosophia quidem, quae ideam transmundanam esse et omnem cognitionem transcendere praetendit, ideam aeque minus cognoscere potest, ut immediate repraesentationi se offert et, cum ideam ut pulchri
111 [a] animam cognoscere debuisset, subjectivitatem vero illam abstractam ad solum pulchri principium efferat, pulchrum ipsum finitum, fortuitum atque vanum reddit. Ideam vero solam verum et animans agensque in pulchro esse, etiam historice ex artificiis singulorum populorum videmus. Ubi enim idea nondum in veritate sua cognita est, desiderium vero natum est, hanc ideam repraesentatione demonstrandi, etiam ut idea ipsa gustu et ingenio caret. At ubi idea in vera sua ingenuitate
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von Begriff und Gegenständlichkeit, sondern trennt vielmehr beide und setzt das Sinnliche und das Übersinnliche, wie er sagt/ als deutliche Gegensätze sich wechselseitig entgegen, so daß das Übersinnliche außerhalb jeder Erkenntnis ist und diese transzendiert. Weil also im Schönen als in der vorgestellten Idee der Gegensatz von Begriff und Gegenstand verneint ist, meint Kant, daß so auch der Begriff selber verneint und zwar gleichsam aufgefressen sei. Dadurch ist es geschehen, daß Kant immer zu jenem traurigen transzendenta- l '0 [a] len Ergebnis zurückkehrt, daß, wie er sagt, die Idee weder erkannt noch vorgestellt werden kann. Da aber die Idee nicht erkannt werden kann, können wir weder die Erkenntnis des Schönen erlangen, noch gibt es ein objektives Prinzip des Geschmacks und des Schönen, d.h. es kann keine Philosophie der Kunst geben. Die Kunst selber ist jedoch dem Philosophen das Höchste, weil sie ihn in jenes Heiligtum führt, wo das, was in Natur und in Geist getrennt ist, Gegenständlichkeit und Begriff, die sich gegenseitig immer zu entfliehen scheinen, durch das Band der Idee harmonisch vereint sind. Weil deshalb, wie in der Philosophie der Gegensatz der Erkenntnis in die konkrete Identität aufgehoben wird, in der Kunst der Gegensatz von Begriff und Gegenständlichkeit unmittelbar aufgehoben ist, ist die Kunst wie 110 [b] ein Symbol der Philosophie. Niemand, der Künstler selber nicht ausgenommen, weil er in der Unmittelbarkeit verbleibt, kann die Kunst tiefer durchschauen als der Philosoph, und von der Kunst kann es absolut nur Wissen durch die Philosophie geben, woraus folgt, daß es auch Philosophie der Kunst gibt. Warum könnte denn, frage ich, die Philosophie, die in der konkreten Idee die Auflösung aller Gegensätze findet, keine Idee erkennen, wie sie sich in Gegenständlichkeit verströmt? Hingegen kann freilich eine Philosophie, die behauptet, die Idee sei überweltlich und transzendiere alle Erkenntnis, die Idee weniger erkennen, wie sie sich der unmittelbaren Vorstellung darbietet. Ebenso bringt sie, obwohl sie die Idee als des Schönen Seele hätte erkennen sollen, jene abstrakte Subjektivität als einziges m M Prinzip des Schönen hervor und gibt damit das Schöne selber als endlich, zufällig und eitel aus. Daß die Idee in der Tat der einzige wahre lebendige Beweger im Schönen ist, sehen wir auch historisch an den Kunstwerken einzelner Völker. Wo nämlich die Idee noch nicht in ihrer Wahrheit erkannt ist, ist jedoch eine Sehnsucht geboren, diese Idee durch die Vorstellung zu veranschaulichen, und zwar wie
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Dissertatio de pulchri principiis et veritate orta est ibi pulchrum etiam oritur, ibi externum sive objectivitas ab idea tincta atque nihil aliud ac expressio ideae est.94 Hanc vero contem-
l l i [b] plationem Kantius ne suspicari quidem potuit, quum subjectivitatem unicum pulchri principium fecerit. Uti altera pars resultati erat, ideam cognosci non posse, ita Kantius ab altera parte dicit, ideam repraesentabilem non esse. Quid vero ars aliud est, quam demonstrata et repraesentata idea? 95 Si igitur idea repraesentari non potest, ars non possibilis est aut fortuiti aliquid fit, i.e. tale quid, quod tantum in voluptatis affectionem in subjectivitatem igitur illam tristem se refert.96 Quamquam igitur Kantius in pulchri notione identitatem naturae et libertatis notionis intellexit97 et ut pulchri substratum fundamentumque intelligibile accepit, atque hoc ut rationale cognoscit, cognitionem
112 [a] igitur pulchri non insensibili apparitione manere sed essentialiter ilio rationali substrato niti debere vidit, attamen hoc intelligibile, hoc rationale, imo ratio ipsa negatur et finita cognitio pro absoluta habetur.98 Quamquam Kantius in notionem intuitivi intellectus, ut medium suae philosophiae ductus est, in quo notio et repraesentatio conjunctae sunt, attamen haec notio in decursu hujus philosophiae partis non ad veritatem suam pervenit. Quamquam denique ideae notio in hac philosophiae Kantianae parte magis minusve distincte edicta est,
112 [b] et idea fundamentum et substratum pulchri cognita est, attamen a reflexione subjectiva in incognoscibilem, vacuam vastamque transmundanam regionem depellitur, pulchrum ab anima sua destitutum prorsus finitum fit et pro absoluta cognitione se tollit finita illa subjectiva reflexio, quae triumphat in tumulo ideae et rationis.
Dissertation über die Prinzipien des Schönen
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die Idee selber sogar Geschmack und Geist vermissen läßt. Aber wo die Idee in ihrer wahren Geistigkeit und Wahrheit aufgegangen ist, dort geht auch die Schönheit auf, dort ist das Äußere oder die Gegenständlichkeit von der Idee benetzt und nichts anderes als Ausdruck der Idee. Doch diese Betrachtungsweise konnte Kant freilich nicht erahnen, zumal er die Subjektivität Hl [b] zum einzigen Prinzip des Schönen machte. Wie es die eine Seite des Ergebnisses war, daß die Idee nicht erkannt werden konnte, so sagt Kant auf der anderen Seite, daß die Idee nicht vorstellbar sei. Was aber ist die Kunst anderes als die demonstrierte, und zwar vorgestellte, Idee? Wenn also die Idee nicht vorgestellt werden kann, ist Kunst unmöglich oder wird etwas Zufälliges, d.i. ein solches, das sich nur auf die Affektion der Lust, also auf jene traurige Subjektivität bezieht. Zwar verstand Kant unter dem Begriff des Schönen die Identität des Natur- und des Freiheitsbegriffs. Er nahm das Intelligible als Substrat und Gründung des Schönen an und erkannte es sogar als vernünftig an. Er sah, daß die Erkennung des Schönen nicht bei der Sinneserscheinung verweilt, sondern sich 112 [a] wesentlich auf jenes vernünftige Substrat stützen muß. Dennoch wird dieses Intelligible, Vernünftige, ja sogar Vernunft selbst geleugnet und endliches Erkennen für absolut gehalten. Obwohl Kant zu dem Begriff des anschauenden Verstandes als der Mitte seiner Philosophie hingeführt wurde, in dem Begriff und Vorstellung eins werden, kämpft sich dieser Begriff im Fortgang dieses Teils seiner Philosophie nicht zu seiner Wahrheit durch. Obgleich endlich der Begriff der Idee in diesem Teil der kantischen Philosophie mehr oder weniger deutlich ausgesagt und die Idee als Gründung und Substrat des Schönen erkannt ist, 112 [b] wird sie aber dennoch von der subjektiven Reflexion in eine unerkennbare, öde und leere überweltliche Gegend vertrieben. Das Schöne wird, seiner Seele beraubt, geradezu endlich, und für das absolute Erkennen hebt sich jene endliche subjektive Reflexion auf, die über dem Grabhügel von Idee und Vernunft triumphiert.
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Dissertatio
de pulchri
principiis
Anmerkungen des Herausgebers 1 Vgl. Friedrich Schiller, Prolog des Wallenstein [1798]: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." Die von Bruno Bauer verfaßte Schrift ist auf Bögen von 16,5 cm x 19,8 cm beidseitig handschriftlich beschrieben und eingebunden in die Akte Nr. 1503 des Bestandes der Philosophischen Fakultät. Die Zahlen links neben dem Text entsprechen der Blattzählung der Akte. Die Kennzeichnung mit dem Buchstaben „a" weist auf die linke Seite - also die Rückseite des vorangegangenen Blattes - die Kennzeichnung mit dem Buchstaben „b" auf die rechte Seite - also die Vorderseite des neuen Blattes hin. 2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1827], Gesammelte Werke, Bd. 19, Hamburg: Meiner Verlag 1989, § 1; ders., Glauben und Wissen [1802], Gesammelte Werke, Bd. 4, 1968, 323. 3 Sic, statt fidei. 4 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, [1835, Erster Band], Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe, Bd. XII, hg. v. H. Glockner, Stuttgart: Fromann-Holzboog 1964, 87. 5 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 37 - § 41 u. § 60; s.a. ders., Vorlesungen über die der Philosophie, III, Werke, Bd. 20, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971, 332-333.
Geschichte
6 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Kants gesammelte Schriften, Bd. 5, Königlich Preussische Akademie der Wissenschaften, Berlin: de Gruyter 1908, 175-176 u. 195. 7 Sic, statt quod. 8 Kant, Kritik der Urteilskraft,
177-178; vgl. Hegel, Glauben und Wissen, 339.
9 Kant, Kritik der Urteilskraft,
178.
10 Ebd., 179. 11 Ebd., 179-180. 12 Ebd., 180. 13 Ebd., 180 u. 187. 14 Ebd., 187. 15 Ebd., 189 u. 192. 16 Ebd., 190. 17 Hegel, Enzyklopädie, § 55; ders., Glauben und Wissen, 327 u. 341; ders., Vorlesungen die Ästhetik, I, 91; ders., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, III, 380. 18 Kant, Kritik der Urteilskraft,
197.
19 Sic, der griechische Akkusativ.
über
Anmerkungen
des
71
Herausgebers
20 Hegel, Enzyklopädie, § 41; vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hg. v. R. Schmidt, Hamburg: Meiner Verlag 1930, A70 = B95. 21 Sic. 22 Sic, statt
assumpsit.
23 Hegel, Enzyklopädie, 24 Sic, statt
§ 56.
intellegere.
25 Kant, Kritik der Urteilskraft, § 1 - § 5, 203-211; vgl. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 92-93. S. a. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, III, 372-382. 26 Kant, Kritik der Urteilskraft,
§ 3 - § 4, 205-209; u. ebd., 345-346.
27 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 93. 28 Ebd., 93. 29 Kant, Kritik der Urteilskraft,
210.
30 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 93. 31 Kant, Kritik der Urteilskraft, I, 93-94.
§ 6 - § 9, 211-219; vgl. Hegel, Vorlesungen über die
32 Kant, Kritik der Urteilskraft,
211.
33 Ebd., 211 u. 347. 34 Ebd., 212 u. 214. 35 Ebd., 217-218. 36 Ebd., 219. 37 Ebd., § 10 - § 17 u. 219-236; vgl. Hegel, Vorlesungen 38 Kant, Kritik der Urteilskraft, 39 Ebd., 220. 40 Ebd., 221. 41 Ebd., 228. 42 Ebd., 231. 43 Ebd., 231. 44 Ebd., 231. 45 Ebd., 232. 46 Ebd., 232. 47 Ebd., 235.
220.
über die Ästhetik, I, 94.
Ästhetik,
72
Dissertatio de pulchri
principiis
48 Sic, statt finale. 49 Kant, Kritik der Urteilskraft, § 18 - § 22, 236-240; vgl. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 94-95. 50 Sic, statt quisque. 51 Sic, statt ea. 52 Kant, Kritik der Urteilskraft,
240.
53 Sic, statt sumpsit. 54 Sic, statt
desumpsisset.
55 Sic, der griechische Nominativ (sc. techne). 56 Sic, der griechische Genitiv. 57 Hegel, Vorlesungen
über die Ästhetik, I, 59-60.
58 Ebd., 57-58. 59 Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1830], Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik, mit den mündlichen Zusätzen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1970, § 45 Z. 60 idea eingeschoben. 61 Sic, statt ipsa. 62 ratio ausgestrichen. 63 Sic, statt immo. 64 Hegel, Enzyklopädie,
§ 42 - § 45.
65 Ebd., § 94. 66 Sic, statt positam. 67 Hegel, Vorlesungen
über die Ästhetik, I, 69.
68 Ebd., 28-29. 69 Kant, Kritik der Urteilskraft,
232.
70 Siehe z.B. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 71 Hegel, Enzyklopädie,
§ 147 - § 149.
72 Ebd., § 60. 73 Sic, statt recipiat. 74 Sic, statt ipsa. 75 Sic, der griechische Genitiv.
III, 371 u. 384.
Anmerkungen
des
Herausgebers
76 Hegel, Glauben und Wissen, 339. 77 Ebd., 340. 78 Ebd., 343; Hegel, Enzylopädie,
§ 60.
79 Sic, der griechische Akkusativ. 80 Kant, Kritik der Urteilskraft, 81 Sic, statt
§ 55 - § 57, 337-346.
assumpsit.
82 Kant, Kritik der Urteilskraft,
S.344.
83 Ebd., 345. 84 Sic, der griechische Akkusativ. 85 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft,
281-285.
86 Ebd., 338. 87 Ebd., 338. 88 Ebd., 338. 89 Ebd., 338-339. 90 Hegel, Glauben und Wissen, 340. 91 Vielleicht explicuimus 92 Sic, statt
in der Handschrift.
objectivitatis.
93 Sic. 94 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 27. 95 Vgl. Hegel, Enzyklopädie,
§ 556 - § 560.
96 Hegel, Glauben und Wissen, 340. 97 Ebd., 343. 98 Ebd., 343.
Douglas
Moggach
Die Prinzipien des Schönen: Bruno Bauers Kritik an Kants Ästhetik
I. Kontext Am 3. August 1828 setzte die Universität Berlin eine Preisfrage aus. Die in lateinischer Sprache gestellte Frage könnte so übersetzt werden: „Sind die Prinzipien der Lehre des Schönen von Kant in dem Teil der Philosophie angemessen erklärt worden, den er als die Kritik der Urteilskraft ansah, und sind sie konsistent mit den Grundlagen, auf denen die ganze Philosophie dieses Autors ruht?"1 Den Preis erhielt ein noch keine zwanzig Jahre alter Theologiestudent an der Universität Berlin, Bruno Bauer.2 Sein 95 Seiten langes lateinisches Manuskript, Dissertatio de pulchri principiis, wurde nie veröffentlicht. Kürzlich wurde es in einem bedeutenden Werk über Bauer als verschollen erklärt.3 Im Sommer 1992 wurde Bauers verlorenes Manuskript im Archiv der HumboldtUniversität in Berlin wiederentdeckt. 4
1
Die von Hegel ausgeschriebene Frage wird im Archiv der Humboldt-Universität, Berlin, aufbewahrt. Sie ist veröffentlicht worden in G. W. F. Hegel, Sämtliche Werke, Bd. XI, hg. v. J. Hoffmeister, Hamburg: Meiner Verlag 1956, 670.
2
Bruno Bauer (06.09.1809-13.04.1882) war Student an der Berliner Universität vom Frühling 1828 bis zum Frühling 1832. Er belegte in seinem ersten Semester H. G. Hothos Vorlesungen über Hegels Enzyklopädie und nahm an Hegels Seminar über Ästhetik von Oktober 1828 bis April 1829 teil. Seine Urheberschaft des anonymen 1829er Preismanuskriptes ist durch seine schriftliche Anerkennung des Preisempfanges bestätigt. Die Empfangsbestätigung wird ebenfalls im Archiv der Humboldt-Universität aufbewahrt.
3
L. Stepelevitch, „Translator's Introduction", in B. Bauer, The Trumpet of the Last Judgement against Hegel the Atheist and Antichrist. An Ultimatum, ins Englische übersetzt von L. Stepelevich, Lewiston (N.Y.): E. Mellen Press 1989, 18.
4
Der Text war zuvor von Ernst Barnikol gelegentlich seiner langwierigen Forschungsarbeit Uber Bauer zwischen den zwanziger und sechziger Jahren entdeckt und abgeschrieben worden. Seine Abschrift hat jetzt in seinem groß angelegten Archiv am Internationalen Institut für Sozialge-
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Douglas
Moggach
Dem Fakultätskomitee, das Bauers Text vorschlug, gehörten Hegel sowie der klassische Philologe und Kunsthistoriker Ernst Heinrich Tölken (17851869) an. Kommentare des Historikers Friedrich von Raumer (1781-1873) zum Text sowie zu anderen, die- beim Wettbewerb vorlagen, sind ebenfalls vorhanden, wie etwa der Bericht der Fakultätssitzung vom 11. Juli 1829, in der der Preis verliehen wurde. 5 Wenn auch die Beurteilung durch manche Fakultätsmitglieder weniger gut als lobend war, so schien doch Hegel selber mit dem philosophischen Inhalt der Arbeit zufrieden zu sein. Seine Kritik betonte die offenkundig unzureichende Beherrschung des Lateinischen durch den unbekannten Autor. Die zugänglichen Kommentare anderer Preisrichter stimmen darin überein, daß die sprachliche Form als die Hauptschwäche des Textes angesehen wurde. Ein Leser merkte sogar an, Latein sei für die Gelehrtenkommunikation keine brauchbare Sprache mehr. 6 So ist, obwohl der Preis nach gründlicher Überlegung eher widerwillig diesem Philosophenlehrling verliehen worden zu sein scheint, die theoretische Bedeutung des Manuskriptes offenbar nicht bestritten worden. Von dem Text kann erwartet werden, daß er eine Erweiterung von Hegels Sicht der Ästhetik mit sich gebracht hat, und zwar durch dessen Einverständnis mit Bauers Interpretation Kants in seiner Beziehung zur „neueren Philosophie". Mit manchen Formulierungen bietet das Manuskript Material zu weiterem Nachdenken über diese Beziehung. Das Manuskript ist ein wertvolles Dokument der Ideengeschichte. Es beschäftigt sich mit dem Status von Kants transzendentalen Deduktionen, und zwar besonders hinsichtlich ihrer ästhetischen Dimension, und demonstriert dabei die Nützlichkeit von Hegels Logik für die Beseitigung der Widersprüche Kants. So ist es im Einklang mit einem Teil der führenden zeitgenössischen
schichte in Amsterdam seinen Platz. Sie wurde nie veröffentlicht. Die Entdeckung von Barnikols Entzifferung gab dem Verfasser dieses Beitrages den Anstoß, das andernfalls verloren geglaubte ursprüngliche Bauer-Manuskript zu orten und wieder abzuschreiben. Bamikols Lesart enthält jedoch zahlreiche Ungenauigkeiten. Viele sind morphologisch; doch manchmal gehen sie zu Lasten des Sinnes des Dokuments. So liest Barnikol z.B. auf S. 70b (oder S. 11 nach seiner Seitenzählung) officiat anstelle von efficiat, was die Bedeutung der Stelle von „die Einheit bewirken" zu „die Einheit verhindern" verkehrt. Auf S. 95b (Bamikol S. 61) liest er sine vita, „ohne Leben", statt sive vita, „oder Leben". 5
Hegels Bemerkungen wurden in Hegel, Sämtliche Werke, Bd. XI, 670-672 veröffentlicht. Tölkens und von Raumers Kommentare erscheinen in E. Barnikol, Bruno Bauer, Studien und Materialien, hg. v. P. Reimer und H. M. Sass, Assen: van Gorcum 1972, 19-20, Anm. 43. Diese posthume Auswahl aus dem Barnikol-Archiv gibt ebenfalls Hegels Bemerkungen wieder, 18-19, Anm. 42, aber nicht das Bauer-Manuskript selbst.
6
F. von Raumer zit. nach Barnikol, Bruno Bauer, 20, Anm. 43.
Die Prinzipien des Schönen
77
Hegelforschung, die Hegels Beziehung zu Kant überdenkt. 7 In Verbindung mit Hegels eigenen positiven Bemerkungen zum Text veranschaulicht das Manuskript dessen Kant-Rezeption gegen Ende der 1820er Jahre. Es leistet ferner einen Beitrag zu der weitergehenden Aufgabe, den hegelschen Kanon durch die Rekonstruktion der Sammlungen der Berliner Periode zu revidieren.8 Es belegt die Zuverlässigkeit von Teilen der Redaktionsarbeit Heinrich Gustav Hothos (1802-1873) bei der Herausgabe von Hegels Vorlesungen über Ästhetik und verhilft dazu, verschiedene Schichten in dieser Sammlung zu unterscheiden. Endlich wirft es neues Licht auf Bauers eigene gedankliche Entwicklung. Die Textstruktur wirft verschiedene Fragen von Interesse auf. Obwohl dem Manuskript ausdrückliche Quellenangaben fehlen, besteht der ausgiebig erläuternde Abschnitt (71b-87a)9 teilweise aus Zitaten aus oder Paraphrasen von Kants Kritik der Urteilskraft, die Bauer ins Lateinische übertragen hat. Auf diese ist jetzt in Anmerkungen zum Text hingewiesen worden. Zweitens gibt es im gleichen Abschnitt schlagende Parallelen zu den Formulierungen von Hegels posthum veröffentlichten Vorlesungsreihen über Ästhetik. Möglicherweise war sogar das Preismanuskript eine Quelle für deren Veröffentlichung, zumal Hotho Bauers Beitrag ausdrücklich nennt.10 Zumindest liefert es eine unabhängige Bestätigung der Genauigkeit der relevanten Teile von Hothos Version der 1828-Reihe. Aber es zeigt auch einige mögliche Divergenzen an, und zwar besonders im Hinblick auf die These vom Ende der Kunst. Drittens liefert Bauers Manuskript eine ausführlichere Kritik der Momente des reinen ästhetischen Urteils als die veröffentlichte Version der Ästhetik. Diese ausführlichere hegelsche Kant-Kritik zieht eine Anzahl von Quellen, bemerkens-
7 R. Pippin, Hegel''s Idealism, Cambridge: Cambridge University Press 1989; s.a. T. Wartenberg, „Hegel's Idealism: The Logic of Conceptuality", in F. C. Beiser (Hg.), The Cambridge Companion to Hegel, Cambridge: Cambridge University Press 1993, 102-129. 8 K.-H. Illing, „Die .Rechtsphilosophie' von 1820 und Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie", in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831, Bd. I, hg. v. K.-H. Ilting, Stuttgart: Fromann-Holzboog 1973, 25-126; s.a. ders., „Der exoterische und der esoterische Hegel (1824-1831)", in Bd. IV der gleichen Ausgabe (1974), 45-66. 9 Die Seitenzählung wurde später nachgetragen. Dabei wurden je zwei Seiten unter einer Zahl geführt und von uns durch a und b unterschieden. 10 H. G. Hotho, „Vorwort", in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik [1835, Erster Band], Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe, Bd. XII, hg. v. H. Glockner, Stuttgart: Fromann-Holzboog 1964, 7. Hegel las in Berlin über Ästhetik in den Jahren 1820/21, 1823, 1826 und 1828/29. Die veröffentlichte Version ist eine Zusammenstellung hauptsächlich aus den letzten drei Reihen.
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Douglas
Moggach
werterweise einschließlich der 1827er Version der Enzyklopädielogik, heran, wenngleich in einer etwas anderen Darstellung. Die Bearbeitung der Ästhetik im Bauer-Manuskript unterscheidet sich sowohl von der in der Enzyklopädielogik angelegten Perspektive, als auch von der veröffentlichten Version der hegelschen Ästhetik. In der 1827er Version der Enzyklopädielogik behandelt Hegel die kantische Philosophie als Variante des Empirismus. Damit bezieht er sie auf das, was er die zweite Stellung des Gedankens zur Objektivität nennt." Er gleicht die beiden Positionen einander nicht an, weist aber auf eine tiefe Affinität zwischen ihnen hin. In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, die hier in ähnlicher Weise wie die Enzyklopädie Stellung nimmt, betont Hegel Kants Nähe zu den Empiristen im Gegensatz zu den rationalistischen Metaphysikern des 18. Jahrhunderts. Nach Hegel sehen die Vertreter der rationalistischen Tradition, wie etwa Wolff, Denken als positive Identität oder Für-Sich-Sein an, während die Aufklärung inbegriffenes Sein zugunsten von Beziehung oder Für-einander-Sein verneine. Sein könne sich in zweifacher Weise auf Bewußtsein beziehen, und zwar entweder mit den Empiristen in der Gestalt von Nützlichkeit oder mit Kant als Sein für das Selbstbewußtsein. 12 Allerdings haben sich nach Bauers Darstellung Kant und die Empiristen auf ganz verschiedene philosophische Unternehmungen eingelassen. Bauers Ausführungen beginnen damit, daß die Griechen die unmittelbare Identität von Denken und Sein darstellen, gehen zunächst über zum Mittelalter als einer Zeit des unmittelbaren Gegensatzes und verstehen dann die Moderne als Streben nach der vermittelten Einheit von Gegenständlichkeit und Subjektivität, Anschauung und Begriff, unter dem Primat der verwirklichten Idee. In Übereinstimmung mit Hegel unterscheidet Bauers Text Rationalismus (die erste Stellung zur Gegenständlichkeit im Sinne der Enzyklopädie)13 und Empirismus als Aspekte der Moderne. Der Rationalismus sucht diese Einheit einseitig aus abstraktem Denken abzuleiten; der Empirismus verneint das Denken zugunsten des Gegenstandes. Bauer stellt dann Kant vereinfachend als Synthese dieser beiden modernen Richtungen dar. Beim Beschreiben der Unzulänglichkeit dieser Lösung spricht Bauer Hegels ständig wiederholte Kant-Kritik nach. Kants Synthese sei eine unvollkommene, weil sie den Begriff oder den Verstand nur als subjektiv ansieht
11 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1827], Gesammelte Werke, Bd. 19, Hamburg: Meiner Verlag 1989, § 37 - § 60; s.a. ders., Glauben und Wissen [1802], Gesammelte Werke, Bd. IV, 1968, 321. 12 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, III, Werke, Bd. 20, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971, 332-333. 13 Hegel, Enzyklopädie,
§ 21 - § 31.
Die Prinzipien des Schönen
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und den Gegenstand als dasjenige, was als unerkennbares Ding an sich die Erkenntniskraft übersteige. Selbstbewußtsein, wie hier die transzendentalen Einheit der Apperzeption genannt wird, ist ebenfalls immun gegen das Eindringen der Kategorien der Erkenntnis. Kant versucht, Sein und Denken zu vereinigen und öffnet damit den Weg zur neuen Philosophie; aber der Versuch bleibt in seinen Händen fruchtlos. Gleichzeitig unterscheidet sich die veröffentlichte Version von Hegels Ästhetik mit ihrer geschichtlichen Darstellung von der Sichtweise, die in Bauers Text als wahr angenommen wird. Der Erstere setzt Kant in ein enges Verhältnis zur modernen Reflexionskultur, einer Kultur der Gegensätze, die ihre Wurzel im abstrakten Verstand habe. Kants Denken ist symptomatisch für diese Kultur, weil seine Philosophie die Trennungen von Denken und Sein, Verstand und Vernunft, die für die Moderne charakteristisch sind, neu erschafft. Aber gleichzeitig ringt er darum, durch die Wahrnehmung einer höheren Einheit die Gegensätze zu überwinden. 14 Bauers Deutung folgt dieser Sicht soweit, wie die Gegensätze zwischen Rationalismus und Empirismus gerade diese Kultur der Trennungen konstituieren. In einer Formulierung, deren Latein Tölkens ausdrückliche Kritik auf sich zog, spielt Bauer auch auf den Widerspruch zwischen Denken und Sein an, der seinen Höhepunkt in dem Augenblick erreicht habe, in dem Kant ihn zu beseitigen versuchte (68b). Das Eigentümliche an Bauers Darstellung ist jedoch, daß er die Entwicklung dieses Widerspruches zumindest ebenso sehr in der mittelalterlichen Entgegensetzung von Glaube und Vernunft wie in den besonderen Charakterzügen der Moderne verwurzelt zu sehen scheint. Dieser Gegensatz ist von seiner modernen Gestalt in der Art verschieden. Er setzt einen Verstand voraus, der noch nicht frei ist, seinen eigenen Weg zu finden oder zu verlieren. Er ist nicht notwendigerweise zeitlich begrenzt; manche seiner Bestandteile mögen vielleicht in der Neuzeit fortbestehen. Diese Veränderung, die in Hegels Bemerkungen zum Manuskript nicht beanstandet wurde, wird Bauer später in seinem Text gestatten, Kunst und Philosophie als Momente des absoluten Geistes neu zu einander in Beziehung zu setzen. Der Text leistet einen Beitrag dazu, einige in der gegenwärtigen Forschung aufgekommene Streitfragen zu Hegels Ästhetik zu klären. Aus einer streng historischen Sichtweise heraus könnten diese Ergebnisse besonders schlagend sein. Die neuere Kritik neigt dazu, die Spannung in Hegels Ästhetik zwischen ihrem Systemcharakter, d.h. ihrer Gründung im System absoluter Erkenntnis, und ihrer Offenheit zur Phänomendimension, etwa zu Kunstwerken in ihrer
14 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 88 u. 90-91.
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Douglas Moggach
geschichtlichen Besonderheit zu sehen.15 Bauers Text bewegt sich lediglich im ontologischen Bereich: er bezeichnet Kunst als „demonstrierte und vorgestellte Idee" (111b). Und doch verweist er auf bestimmte Zweideutigkeiten in Hegels System selber, indem er zu verstehen gibt, das System könnte weniger abgeschlossen sein, als ältere und jüngere Kommentatoren unterstellt haben. Die Spannungen in Hegels späterem System werden am besten an der kontroversen These vom Ende der Kunst veranschaulicht, und De pulchri principiis belegt weitschweifig diese Schwierigkeiten. Bauers Manuskript selber liefert keinen Freibrief für die Unterstellung, Hegels 1828er Vorlesungsreihe habe das Ende der Kunst betont,16 wenngleich schlüssig bewiesen ist, daß Hegel damals tatsächlich diese Position verteidigt hat.17 Die veröffentlichte Ästhetik leitet die Unfähigkeit der modernen Kunst, die Wahrheit zum Leuchten zu bringen, von der Unvorstellbarkeit des Absoluten in der komplexen Gestalt her, die es im Christentum annimmt.18 Bauer geht Kunst in einem völlig anderen Geist an. Er ist weit davon entfernt, die Kunst als erschöpft anzusehen. Vielmehr betont Bauer wiederholt die Affinität von Kunst und Philosophie und die Produktivität ihrer wechselseitigen Beziehung. Er erklärt die Kunst zum größten Gegenstand philosophischer Betrachtung (110a). Als unmittelbare Einheit von Begriff und Gegenständlichkeit (110a,b) ist die Kunst ein Symbol für die Philosophie. Ihre grundlegende Anschauung
15 A. Gethmann-Siefert. „Ästhetik oder Philosophie der Kunst", Hegel-Studien, Bd. 26 (1991), 92-110, bes. 109; ders., „Die Rolle der Kunst im Staat," Hegel-Studien, Beiheft 27 (1986), 65102, bes. 73-74; ders., Die Funktion der Kunst in der Geschichte, Untersuchungen zu Hegels Ästhetik, Bonn: Bouvier 1984; ders. (Hg.), Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst, Bonn: Bouvier 1992; ders., „Einleitung: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik", in A. Gethmann-Siefert u. Otto Pöggeler (Hg.), Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik, Bonn: Bouvier 1986, V-XLVI; ders., „Die Idee des Schönen", in Otto Pöggeler u.a. (Hg.), Hegel in Berlin, Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik, Berlin: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 1981, 182-187. 16 Zur Diskussion der These vom Ende der Kunst s. neben den Werken von A. Gethmann-Siefert: Dieter Henrich, „Zur Aktualität von Hegels Ästhetik," Hegel-Studien, Beiheft 11 (1974), 295301; A. Hofstadter, „Die Kunst: Tod und Verklärung," Hegel-Studien, Beiheft 11 (1974), 271285; T. M. Knox, „The Puzzle of Hegel's Aesthetics," in W. E. Steinkraus u. K. I. Schmitz (Hg.), Art and Logic in Hegel's Philosophy, Sussex: Harvester Press 1980, 1-10; H. Kuhn, „Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik", Hegel-Studien, Beiheft 11 (1974), 251-269 und R. D. Winfield, „Rethinking the Particular Forms of Art: Prolegomena to a Rational Reconstruction of Hegel's Theory of the Artforms", Owl of Minerva, Bd. 24, Nr. 2 (1993), 131-144. 17 Z.B. Gethmann-Siefert, „Ästhetik oder Philosophie der Kunst", 103. 18 Hegel, Vorlesungen
über die Ästhetik, I, 30-31.
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ist so der wahre Anfang der Philosophie, die, obwohl sie eine komplexe Evolution durchlaufen muß, diese Einheit immer als ihr telos behält. Die Kunst löst den Widerspruch zwischen Freiheit und Notwendigkeit auf. Diese Lösung erscheint als Wahrheit und Idee (79a, 100a). Bauer wird diese Auffassung später in seiner Posaune von 1841 und'in anderen Niederschriften seiner kritischen Periode entwickeln. Damit wirft das Manuskript das Problem der Struktur des absoluten Geistes oder der wechselseitigen Beziehungen von Kunst, Religion und Philosophie in Hegels ausgereiftem System auf. Während offensichtlich Hegel seine Systemstellung zu diesem Thema nicht verändert hat, besteht zumindest die Möglichkeit, daß seine Vorlesungen von 1828 eine Polemik gegen einige zeitgenössische Fassungen der dienenden Rolle der Kunst gegenüber der Religion enthielten. In Bauers Niederschrift ist die Kunst über ihre gewöhnlich untergeordnete Stellung in der hegelschen Trias erhoben, und zwar zu Lasten der Religion, die hier im Gewand des Glaubens erscheint, welcher als Feind der freien Nachforschung, des Elementes der Vernunft, angesehen wird. Wenngleich Bauer selber mit der hegelschen Rechten der 1830er Jahre verbunden wird, so ist doch das Preismanuskript viel doppelsinniger. Es unterstreicht mit seiner Kritik der religiösen Auffassungen von der Einheit von Denken und Sein den Gegensatz von Glaube und Vernunft. Im Blick auf Hegels verschärfte Polemiken gegen die Partei der pietistischen Orthodoxie im Jahre 1827, wie sie im Vorwort zur zweiten Auflage der Enzyklopädie und in seiner Korrespondenz belegt ist,19 ist vielleicht nicht nur die mittelalterliche Epoche von diesen Gegensatz gekennzeichnet. Die neuzeitlichen Befürworter des Pietismus würden nicht frei von den Unzulänglichkeiten sein, die Bauer allgemein der fideistischen Haltung zuschreibt. Der geistige Kampf gegen diese Richtung bleibt ein wichtiger Faktor in der Entwicklung der hegelschen Schule. 20 Damit liefert Bauers Niederschrift, obwohl sie das Ende der Kunst verneint, eine indirekte Bestätigung für einige neuere Untersuchungen über Hegels Beitrag zu dieser These, namentlich zu ihrem kritischen und polemischen Charakter. Die kritische Haltung dieser These besteht in zwei Ansprüchen, die durch das Studium anderer unveröffentlichter Manuskripte von Hegels Ästhetikvorlesungen ins Licht treten. Erstens kann Kunst nicht
19 Hegel, „Vorrede zur zweiten Ausgabe", Enzyklopädie, 5-18; Hegel an seine Frau am 12.10.1827, Briefe von und an Hegel, Bd. III, hg. v. J. Hoffmeister, Hamburg: Meiner Verlag 1961, 202. 20 Über die Politik des preußischen Pietismus s. E. Jordan, Die Entstehung der konservativen Partei und die preußischen Agrarverhältnisse vor 1848, München: Duncker und Humboldt 1914, 144; s.a. Bruno Bauer, Herr Dr. Hengstenberg, Berlin: Dümmler 1839.
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mehr, was sie in der klassischen Antike konnte, nämlich das individuelle Bewußtsein zur Allgemeinheit erheben, weil die Moderne mit der Befreiung der Subjektivität unversöhnliche Interessen erzeugt, die durch den Substanzcharakter der griechischen polis unter Verschluß waren. Diesen entscheidenden Unterschied zu übersehen, bringt die Gefahr mit sich, die Kunst zum Vehikel partikularistischer Interessen zu machen, die nur scheinbar allgemein sind. Zweitens stellt Hegels These vom Ende der Kunst eine Zurückweisung des romantischen Versuches vor, die mittelalterliche Vergangenheit wiederzubeleben und die moderne Kunst auf der Grundlage einer partikulären religiösen Auffassung im Dienste des restaurativen Preußischen Staates neu zu konstituieren.21 Die neuere Forschung behauptet, daß einige Studenten Hegels, und zwar besonders Hotho, dieser Tendenz nachgegeben und in die Hegelschule Elemente eingebracht haben, die Hegel selber verworfen hatte.22 Bauers Niederschrift paßt zu dieser Lesart und macht so gegenüber einer zu bereiten Angleichung des späten Hegels an orthodoxe und anpaßlerische Positionen zu religiösen und politischen Themen vorsichtig. Aber dadurch, daß sie die weitergehende Produktivität der Kunst in ihrer Beziehung zur Philosophie betont, bekämpft sie das Sich-Verschließen des hegelschen Systems, worauf sich ebenfalls ein großer Teil der neueren Erforschung der Ästhetik gründet. Die Kunst wird weder durch die Einschließung in den Schrein der Vergangenheit noch dadurch gerettet, daß man sie zur Magd der Theologie macht, sondern dadurch, daß man durch sie die unerschöpfliche Kreativität der philosophischen Idee veranschaulicht.
21 Diese beiden Behauptungen wurden aufgestellt von Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 325; ders., „Die Rolle der Kunst im Staat", 69-72; ders., Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik, XI-XIII, XXVIII. Vgl. Bauers Diskussion der Barbarei im Mittelalter, 67b-68b. 22 A. Gethmann-Siefert, „H. G. Hotho: Kunst als Bildungserlebnis und Kunsttheorie in systematischer Absicht - oder die entpolitisierte Version der ästhetischen Erziehung des Menschen", in Otto Pöggeler u. A. Gethmann-Siefert (Hg.), Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels, Bonn: Bouvier 1983, 229-262. Die Verfasserin behauptet, Hothos Ausgabe von Hegels Vorlesungen über Ästhetik entstelle ihren systematischen Aufbau und stelle Einzelurteile über Kunstwerke falsch dar. Das Bauer-Manuskript liefert keinen Anhaltspunkt zur Einschätzung dieser Behauptungen, bestätigt aber die Zuverlässigkeit von Hothos Wiedergabe der Einführungen Hegels in die Philosophie der Kunst im allgemeinen und Kants im besonderen zumindest für 1828/29.
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II. Bauers Kritik Bauers Argumentation ist, daß die Kritik der Urteilskraft keine Beseitigung, sondern eine Reproduktion der Schwierigkeiten in Kants grundlegendem Schema bietet, wie sie in den beiden früheren Kritiken herausgearbeitet wurden. 23 Indem sich Bauer die Kritik Hegels in der Ästhetik aneignet, behauptet auch er, daß der besonders innovative Charakterzug der Kritik der Urteilskraft ihr Versuch ist, den Dualismus von Subjekt und Objekt, Freiheit und Natur zu überbrücken, den die kantische Philosophie in der reinen und der praktischen Vernunft herausbringt. Nach Bauer liefert sie sogar die Umrisse einer konkreten Überwindung der Gegensätze, aber ist nicht in der Lage, dieses philosophische Terrain zu besetzen, und zwar wegen ihres unausrottbaren Subjektivismus. Bauer sagt es so in seinem Text: „Kant verstand unter dem Begriff des Schönen die Einheit von Natur und der Freiheit des Begriffs. Er nahm das Intelligible als Substrat und Gründung des Schönen an und erkannte es sogar als vernünftig an. Er sah, daß die Erkennung des Schönen nicht bei der Sinneserscheinung verweilt, sondern wesentlich von jenem vernünftigen Substrat abhängen muß. Dennoch wird dieses Intelligible, Vernünftige, ja sogar Vernunft selbst geleugnet, und endliches Erkennen wird für absolut gehalten. Obwohl Kant zu dem Begriff des anschauenden Verstandes als der Mitte seiner Philosophie hingeführt wurde, in dem Begriff und Vorstellung eins werden, kämpft sich dieser Begriff im Laufe dieses Teils seiner Philosophie nicht zu seiner Wahrheit durch." (11 lb-112a) Die kritische Philosophie konstituiert also eine Einheit, aber eine unzureichende, die die Erkenntnis sowohl des Subjektiven als auch des Gegenständlichen hindert. Kants Philosophie ist der Gipfel der früheren philosophischen Entwicklung und bereitet den Weg für die neue Philosophie, die philosophia neoterica, die eine endgültige Überwindung der Spaltungen des Geistes bietet.24
23 Zur hegelschen Herkunft dieser Kritik s. B. Tuschling, Intuitiver Verstand, absolute Identität, Idee. Thesen zu Hegels früher Rezeption der „Kritik der Urteilskraft", Stuttgart: Klett-Cotta 1990, 180. 24 Geist in seiner vollen hegelschen Bedeutung ist üblicherweise im Manuskript durch ingenium wiedergegeben. Kant gebraucht in der Kritik der Urteilskraft, § 4 6 das Wort ingenium für angeborene mentale Fähigkeit als eine Charakterisierung des Genies. Descartes gebraucht das Wort ingenium, um das Gemüt zu bezeichnen, das für empirischer als das individuelle Be-
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Das Thema des Manuskriptes ist die Einheit von Denken und Sein, oder die Selbstverwirklichungskraft der Vernunft und der Idee. Dieses ewige Thema der Philosophie25 ist in jenen Gestalten dargestellt, in denen es von den Griechen, im Mittelalter und von Kant begriffen wird, der die Synthese von Lockes Empirismus mit kartesisch-leibnitzschem Idealismus leistet. Kants Synthese zieht weder den Primat des Seins noch den Primat des abstrakten Denkens nach sich, sondern ist der Versuch, sie zusammen zu denken. Das anfängliche Ergebnis ist bei Kant ein unangemessener Begriff ihrer Einheit. Bauer sucht zu zeigen, wie die Kategorien des Erkennens, die in der Kritik der reinen Vernunft bezeichnet sind, der Schlüssel zur Deutung der Lehre des Schönen in der späteren Kritik der Urteilskraft sind. Aber er zeigt auch, daß die Antinomien, die die Erste Kritik kennzeichnen, in der Dritten nicht vermieden werden, auch wenn Kant selber sie zu umgehen versucht, indem er eine weniger dualistische Einschätzung bietet. Bauer schlägt vor, diese Antinomien im Lichte von Hegels Logik zu überprüfen. Nach Bauers Darstellung sind die Vernunft oder die Idee in den ersten geschichtlichen Momenten unangemessen erfaßt: bei den Griechen wegen ihrer unmittelbaren Gegebenheit, sodaß die reiche innere Gliederung der Idee noch nicht ausgearbeitet wird; im Mittelalter, weil der Glaube den Zweifel oder das Moment subjektiven Sondierens und begründeter Zustimmung verdrängt. Der Glaube hält eine gegebene Struktur hoch, der sich die Vernunft wie einem äußeren Gegenstand fügen muß, einem Gegenstand, der nicht aus vernünftiger Bemühung hervorgebracht wird. In beiden Geschichtsepochen fehlt die Freiheit. Die Selbstverwirklichungskraft der Vernunft ist ebenfalls unvollkommen gezeichnet in dem dritten großen Geschichtsmoment, der Philosophie Kants. Während sein erneuerter Sinn für die teleologische Vernunft teilweise die klassische Konzeption der Verkörperung der Vernunft in der Gegenständlichkeit wiederherstellt, ist diese Verkörperung nicht mehr unmittelbar vorhanden, sondern muß durch die Gegensätze hindurch herausgearbeitet werden, die die freie Subjektivität erzeugt. Kant versteht weder, daß diese neue Stellung zur Objektivität den größeren Reichtum und die größere Konkretheit der Idee verbürgt, noch, daß sie eine echte Einheit bewirkt; vielmehr versteht er sie nur als subjektives Prinzip der Reflexion. Er weicht also vor seinem eigenen
wußtsein gehalten wird. Bauer neigt dazu, in der letzteren Bedeutung das Wort animus zu gebrauchen, wenngleich nicht ständig. 25 Hegel, Glauben
und Wissen, 323 ff.
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neuen Prinzip zurück, indem er weiter die Unvereinbarkeit von Denken und Sein betont, die das Thema der ersten beiden Kritiken war.26 Die Folgen dieser Unzulänglichkeiten sind zweifach: 1. Der bloß subjektive Charakter der kantischen Idee als regulativer und nicht konstitutiver (97b, über Kants Verneinung der Gegenständlichkeit der Idee). Er kann uns daher keinen Zugang zum Bereich der Gegenstände verschaffen. Vielmehr verneint er die Wirksamkeit der Vernunft, ihren konstitutiven Charakter, oder die Tatsache, daß Vernunft sich in der Welt selbst verwirklichen kann. Der Ohnmacht der Vernunft entspricht am Verstände dasjenige, was durch die Unterscheidung zwischen Phaenomenon und Noumenon in seiner eigenen Subjektivität eingefangen wird. Kant zeichnet die Bestimmungen des Verstandes als äußerlich und indifferent gegenüber dem Gegenstand an sich. Gegen diese Konzeption betont Bauer die Würde der Idee als weiterwirkend bis hin zur Gegenständlichkeit. Gegenständlichkeit und Begriff sind in der Idee vereinigt. Schönheit, Leben und Idee sind Momente in dem Prozeß, der Wirklichkeit konstituiert: „In der Tat sind Begriff und Gegenständlichkeit nicht verschieden, sondern wesentlich eine einzige Totalität, die Idee selbst [...] Das Schöne ist der Begriff, dem Gegenständlichkeit innewohnt, sodaß Gegenständlichkeit nur im Begriff erscheint und der ganze Begriff in der Gegenständlichkeit enthalten ist. Die Idee ist also durch sich selbst hindurch Leben; oder Leben in seiner Wahrheit, seiner Substanz ist gerade das Schöne." (94b-95b) Die Harmonie des Schönen ist also nicht einfach ein subjektiv eingeschätzter Einklang, sondern die unmittelbare Gestalt der Offenbarung der Vernunft in ihrer Gegenständlichkeit. Wir sind hier in der Welt von Piatos Symposium, wo Schönheit die Weise des Auftauchens oder Erscheinens der Vernunft ist. Aber die vernünftige Idee ist nicht mehr eine unmittelbar gegebene, gegenständliche Gestalt; sie ist jetzt, wie die Moderne es verlangt, durch subjektive Tätigkeit vermittelt. Das Transzendente ist transzendental geworden. 2. Erkennen ist durch seine Scheidung von Gegenständlichkeit nicht bloß subjektiv, sondern auch unangemessen subjektiv, und zwar dadurch, daß es keine Rechenschaft über das transzendentale Subjekt und das Selbstbewußtsein geben kann. Bauer bezieht sich auf Kants Unfähigkeit, das Übersinnliche zu erkennen oder auch nur vorzustellen, als die summa critices, als den Gipfel seiner Kritik (102b-103a).
26 G. Lebrun, Kant et la fin de la métaphysique,
Paris: A. Colin 1970, 469, Anm. 6, 471-473.
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Beide Schlußfolgerungen Bauers sind solche eines orthodoxen Hegelianers, der Hegels wiederholte Kant-Kritik spiegelt. 27 In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zum Beispiel argumentiert Hegel, daß der Standpunkt der kantischen Philosophie individuelles, subjektives Denken ist. In ihrer kognitiven Dimension versteht es sich selber rein als Gegenstandsbewußtsein, aber nicht als Bewußtsein ihrer eigenen Subjektivität, die ein unergründliches Jenseits bleibt. Sogar als objektive Erkenntnis ist sie jedoch wesentlich begrenzt, zumal Kants Unterscheidung zwischen Noumenon und Phaenomenon ihn daran hindert zu zeigen, wie Bewußtsein das vernünftige Wesen des Gegenstandes konstruiert, wenn es sich die Außenwelt aneignet. 28 Hegel fügt eine wichtige Randbemerkung hinzu, die jedoch in Bauers Text nicht gegenwärtig ist. Kant verallgemeinere dieses subjektive Denken nur zu einem formalen, abstrakten Allgemeinen und nicht in konkrete Intersubjektivität. Jedes Sein als Subjekt sei eine Nachbildung der Identitätsstruktur der Rationalität. Aber Kant theoretisiere nicht die Beziehungen zwischen den Subjekten selbst. Ebenso wie Kants Erkennen nicht in den Gegenstand eindringe, schreite Kants Moralität nicht zum Niveau des objektiven Geistes fort, sondern bleibe in Innerlichkeit versumpft. Bemerkenswerterweise wird Bauer sogar in seiner späteren kritischen Periode wenig vom Problem der Intersubjektivität in Anspruch genommen 29 und versäumt es, diesen Aspekt von Hegels Kritik im Manuskript anzusprechen.
27 Vgl. Hegel, Glauben und Wissen, 316: „Nach Kant ist Uebersinnliches unfähig, von der Vernunft erkannt zu werden, die höchste Idee hat nicht zugleich Realität." 28 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, III, 332, 350-351 u. 381 -382. S. Rosen, G.W.F. Hegel. An Introduction to the Science ofWisdom, New Häven: Yale University Press 1974, 57. 29 Bauer ist an einem grundlegenden Aspekt des Problems interessiert: wie normative Intersubjektivität auf das Urteil isolierter Einzelner gegründet werden kann. Luc Ferry, Homo Ästheticus. L'invention du goût à l'âge démocratique, Paris: B. Grasset 1990, sieht diese Frage ihre klassische Formulierung in Kants Antinomie des Geschmacks erreichen und betrachtet sie als für die Moderne paradigmatisch. Bauers spätere Theorie des Selbstbewußtseins, die unten erörtert wird, ist keine Theorie des objektiven Geistes oder der konkreten Strukturen von Gemeinschaft; sondern eine Theorie der Unvereinbarkeit von Geist und seinen Offenbarungen, der Ruf nach ständiger Umformung und nicht nach dauerhafter Verkörperung von Beziehungen.
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III. Analytik des ästhetischen Urteils Bauer sucht, seine Schlußfolgerungen durch die Erörterung und Kritik der vier Momente der Analytik des reinen ästhetischen Urteils zu stützen. Kant hatte diese Momente in der Kritik der reinen Vernunft eingeführt, 30 und wendet sie auf das ästhetische Urteil in der Kritik der Urteilskraft an. Bauer untersucht nun der Reihe nach die Momente der Qualität, Quantität, Relation und Modalität, die pulchri principii seines Titels. Trotz des etwas steifen und dogmatischen Tons mancher seiner Erklärungen enthält Bauers Kritik eine komplexe Argumentationsstruktur. Wenngleich nie eigens artikuliert, ist seine Leitidee, die innere Logik von Kants Ästhetik aus der Perspektive von Hegels Enzyklopädielogik zu überprüfen. Die Kritik operiert auf zwei Gegenstandsebenen. Zuerst zeigt sie Kants Unfähigkeit, den Dualismus von Subjektivität und Gegenständlichkeit zu überwinden, welche seine Einschätzung der Vernunft in ihrem kognitiven und praktischen Gebrauch gefangenhält. Zweitens zielt Bauer im Hintergrund dieser ausdrücklichen Kritik auf die unangemessene Formulierung der logischen Momente, wie sie Kant in der Kritik der Urteilskraft artikuliert. Kants bloß empirische Aufzählung der Kategorien wird in einigen einführenden Aperçus im Text angesprochen; aber die tiefere Formulierung dieses Problems begegnet in Bauers Kritik der vier Momente. Diese Kritik beginnt mit der kantischen Beziehung von Begriff und Anschauung im Moment der Qualität und nimmt dann die Beziehung von Begriff und Idee oder Verstand und Vernunft im Blick auf die Quantität auf. Drittens schlägt sie bei der Untersuchung von Kants Formulierung der Teleologie eine Synthese der vorangehenden Momente in der Beziehung von Gegenständlichkeit, Begriff und Idee vor; und schließlich greift sie im Blick auf Modalität das Problem der Notwendigkeit auf, indem sie ein Bindeglied zwischen ästhetischen und teleologischen Urteilen zustandebringt. Bauers Kritik stellt damit schematisch die Hauptstreitpunkte in der Kant-Hegel-Beziehung dar. Es ist jedoch so einzig und allein eine schematische Darstellung, wie auch die komplexen Fragen, die hier gestellt werden, in der knappen Fassung des Textes noch nicht vollständig ausgearbeitet werden. Auch ist es nicht wahrscheinlich, daß Bauer sie in vollem Umfange durchdacht hatte. Das Manuskript bietet jedoch einige wesentliche Anregungen in der Richtung der neueren Hegelforschung. 1. Erstes Moment (79b-81a): Bauers Rekonstruktion des Momentes der Qualität betont im Einklang mit Kant, daß die Interessenlosigkeit der reinen
30 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A76-83/B102-116.
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ästhetischen Urteile am besten an der Unterscheidung des Schönen vom Angenehmen und Guten wahrgenommen werden kann. In seiner Ausarbeitung dieser Unterscheidung bejaht Bauer, daß der ästhetische Gegenstand frei ist, weil er seinen eigenen Zweck in sich enthält. Das Vergnügen, das er hervorruft, ist gleichfalls frei, weil der Wille durch ihn nicht bestimmt ist. Die Zuschreibung eines inbegriffenen Zwecks zum ästhetischen Gegenstand ist mit Hegels Rekonstruktion von Kants Darstellung konsistent. 31 Bauers Kritik des ersten Momentes (89b-92b) steht in einem der wichtigsten Abschnitte des Textes. Aus seiner Sicht wirft das Element der Qualität im reinen ästhetischen Urteil eine grundlegende Streitfrage in Hegels Beziehung zu Kant auf, das Verhältnis von Anschauung und Begriff. Die Interessenlosigkeit des ästhetischen Urteils liegt an seiner Trennung vom Begehrungsvermögen, wie es die veröffentlichte Version von Hegels Ästhetik ausdrückt. 32 Kant deutet diese Trennung im Lichte seines gewohnten Dualismus. Er versteht die Freiheit des Gefühls vom Gegenstand, die die Qualität der ästhetischen Erfahrung konstituiert, als die Scheidung des Subjektes vom Gegenstand einbegreifend. Die Darstellung der ästhetischen Erfahrung ist daher auf einen Bericht über subjektive Zustände beschränkt, in denen sich Subjekte finden, wenn sie Gegenständen entgegentreten, die sie für schön halten. Obwohl diese subjektiven Gefühle darin frei sind, daß sie nicht durch empirische Begierde oder den moralischen Willen bestimmt sind, sind sie vermeintlich subjektiv notwendig, wie das vierte Moment zeigen wird. Wie Bauer es ausdrückt, haben die kantischen ästhetischen Subjekte keine Beziehung zum Gegenstand, noch dringen sie in ihn durch Denken ein, sondern bleiben in ihrer eigenen Subjektivität verschlossen. Daher versteht Kant Heiterkeit nur als eine Art von Vergnügen, das im Reagieren auf das Schöne hervorgelockt wird (79b). Er sieht nur die subjektive Seite der ästhetischen Erfahrung, aber nicht das Wesen der Schönheit selber. Für Bauer jedoch bezeichnet Heiterkeit nicht bloß eine Empfindung im Beobachter; vielmehr bezieht sie sich auf die Harmonie von Sein und Subjektivität. Sie schließt die Aufhebung der Entfremdung ein, indem sich das Denken neu im Element des Andersseins entdeckt. 33 Dies ist die wahre Leistung der Kunst. Die Heiterkeit, die Bauer aphoristisch auf der Titelseite seines Textes anruft, kann als Maxime des hegelschen Idealismus gelten.
31 Hegel, Vorlesungen
über die Ästhetik, I, 93.
32 Ebd., 92. 33 B. Lypp, „Idealismus und Philosophie der Kunst", in Fulda u. Horstmann, Hegel und die „Kritik der Urteilskraft", 110 u. 118. Über Heiterkeit s. H. Weinrich, „Kolleg über die Heiterkeit", Merkur, Nr. 485 (1989), 553-567.
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Bauer trägt eine andere Definition von Gefühl vor, von einem Gefühl, das nicht bloß subjektiv ist, sondern eine Synthese aus Subjekt und Objekt nach sich zieht. Das Gefühl unterscheidet sich vom Denken durch seine Abhängigkeit von einem endlichen Gegenstand; aber es weist auch über sich hinaus auf die unendliche Freiheit des Denkens, das die Form oder das allgemeine vernünftige Wesen des Gegenstandes rekonstruiert. Daher kommt es, daß wir „den Gegenstand in uns selber finden" (91b). Die Vorstellung ist bereits eine Synthese aus Subjekt und Objekt. Sie ist kein bloß subjektives Urteil, das dem Gegenstand an sich gegenüber fremd bleibt, noch setzt sie die Scheidung von Sinnlichkeit und begrifflichem Denken voraus. Wenngleich Bauers Erläuterung nicht ganz klar ist, so entwirft er doch eine Neuformulierung des Paares Anschauung-Begriff, deren Absicht es ist, die Lücke zwischen Einbildung und Verstand zu schließen und das Ding an sich zu verwerfen. Er skizziert auch ein Modell des Selbstbewußtseins, und zwar nicht als innerer Sinn oder Gegenstand der Reflexion, in der das Subjekt seinen starren Blick nach innen wendet, um sich selbst zu betrachten, als wäre es ein Gegenstand. 34 Vielmehr stellt er das Selbstbewußtsein als die Einheit von Subjekt und Gegenstand dar, die durch die Dialektik des Endlichen und des Unendlichen bewerkstelligt wird. 2. Zweites Moment (81a-83a): Kant hält die Allgemeinheit des ästhetischen Urteils für subjektiv, ungleich den logischen Urteilen, die durch den Begriff des Gegenstandes bestimmt werden. Diese Allgemeinheit ruht auf dem freien Spiel der Kräfte des Erkennens, die durch die Betrachtung des schönen Gegenstandes in Bewegung gesetzt werden. In seiner Kritik (92b-94a) versteht Bauer diese kantische Beschränkung der Allgemeinheit so, daß sie überhaupt die Leugnung der intelligiblen Dimension der Schönheit in sich schließt. Kant widerspricht hier seinem eigenen Anspruch, im Schönen die Synthese aus dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen zu entdecken, in der das Letztere das Erstere bestimmen würde. Kant legt die Möglichkeit einer konkreten Identität von Idee und Begriff, von Verstand und Vernunft aus, aber begrenzt dann Vernunft auf eine bloß unbestimmte Idee, durch die das Übersinnliche nicht erkannt werden kann. Bauer kommt auf seine Kritik später zurück (105 a-109b), und zwar in seiner Skizze von Kants Antinomie des ästhetischen Urteils. 3. Drittes Moment (83a-85b) und seine Kritik (94a-101a): Hier gibt Bauer eine eloquente hegelsche Darlegung der Beziehung zwischen Idee, Begriff und Gegenständlichkeit. „Ein Gegenstand ist schön, wenn wir den Begriff von seinem Zweck nicht in einer derartigen Weise besitzen, daß der Zweck von
34 Hegel, Vorlesungen Uber die Geschichte der Philosophie, III, 354-356.
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der Realität abweicht." (85a) Bauer scheint der kantischen Darstellung hier nicht ganz treu zu sein. Für Kant ist dieser Satz ein reflektierendes Urteil oder eine subjektive Zuschreibung. Er enthält einen Anspruch auf Harmonie. Von ihr wird behauptet, daß sie zwischen unseren kognitiven Vermögen durch die Erfahrung des Schönen hervorgerufen wird, als ob der Gegenstand für sie zweckmäßig arrangiert wäre; aber dieser Anspruch berührt nicht den Gegenstand selbst. In der subjektiven Erfahrung und nicht im Gegenstand hat Zweckmäßigkeit ohne Zweck ihren Ort.35 Teleologische Urteile bezüglich Organismen und nicht reine ästhetische Urteile bezüglich des Schönen gestatten die Anwendung der Idee der Zweckmäßigkeit auf die Phänomene selbst. In Bauers Kritik, die hier offenbar Hegels Erörterung des Momentes der Qualität folgt, scheinen die kantischen Kategorien des teleologischen und des reinen ästhetischen Urteils angeglichen worden zu sein. Jedenfalls wird die Idee einer inneren Endlichkeit, die Kant in der Kritik der Urteilskraft entwikkelt, als Annäherung an die hegelsche Idee behandelt, welche die Synthese aus Natur und Freiheit, aus Anschauung und Begriff und aus Gegenständlichkeit und Denken darstellt. Kant jedoch definiert die Unendlichkeit der Vernunft dadurch, daß er sie dem Bereich der Endlichkeit entgegensetzt. In ihrer Isoliertheit ist die der Vernunft angemessene Idee unvorstellbar, weil ihr kein Gegenstand entsprechen kann. Vernunft transzendiert also bei Kant Erkennen; sie ist für den Begriff oder den Verstand unergründlich. Gegenständlichkeit oder Sein ist für Vernunft gleichermaßen unzugänglich, da die beiden Bereiche gerade durch ihre Entgegensetzung bestimmt sind. Bauer faßt die hegelsche Kritik zusammen: „Das Unendliche oder Absolute wird also selber relativ, weil es sich nicht auf eine Gegenständlichkeit bezieht, die es selber gesetzt hat. Statt dessen bleibt [die Gegenständlichkeit] außerhalb seiner und steht ihm gleichgültig gegenüber. Die Idee jedoch ... ist absolut aus dem Grunde, weil sie sich nicht selber auf etwas bezieht, was ihr als ein ihr Fremdes gegenüberstehen würde; sondern aus ihrem wahren Selbst strahlt sie Gegenständlichkeit aus und erhält sich selber in diesem [Element]. Als diese Ganzheit von Gegenständlichkeit und Begriff ist sie wahrhaft vernünftig." (96b-97a) 4. Viertes Moment (85b-87a) und seine Kritik (101a-102b): Bauer bekämpft die subjektive Notwendigkeit des kantischen Sollens, das auf dem Gegensatz von Sein und Begriff beruht. Er hält Kants Umgang mit dem Gemeinsinn, der an das „Sollen" appelliert, um die Allgemeinheit des ästhetischen Urteils zu behaupten, für eine lächerliche Alternative zur Allgemeinheit und Objektivität
35 Lebrun, Kant et la fin de la métaphysique,
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bestimmter begrifflicher Urteile. Er übernimmt stattdessen Hegels Kennzeichnung der Notwendigkeit aus der Enzyklopädielogik. Wie die im dritten Moment inbegriffene Zweckmäßigkeit wird Notwendigkeit als die innere Einheit von Sein und Reflexion bestimmt. Hegel versteht dies als Prinzip der inneren Gliederung oder Harmonie der Teile in einem gegliederten Ganzen. Lebende Organismen sind solche Ganzheiten. Die Harmonie ihrer Teile ist eine Notwendigkeit, sofern sie die Einheit ihrer Gestalt aufrechterhält; aber sie ist auch die Bedingung für den Ausdruck ihres Lebens, ihrer Tätigkeiten oder auch ihrer Freiheit. Schöne Gegenstände haben Teil an dieser Notwendigkeit, die ihren Teilen ihre Ordnung verleiht. Dagegen ist ihre Freiheit der Erweis der Macht der Vernunft oder der Idee, sich selber in Gegenständlichkeit hinein vorwärtszutreiben und sich im Denken den vernünftigen Kern des Seins anzueignen und ihn zu reproduzieren. Hier gelangt Bauer zu dem, was er den Gipfel seiner Kritik nennt (102b105a), und zwar mit der Verwerfung von Kants Behauptung, daß das Übersinnliche in der Gestalt der Idee oder des Selbstbewußtseins dem Wissen unzugänglich sei.
IV. Selbstbewußtsein und intellektuelle Anschauung In seiner Darstellung des ersten Momentes des ästhetischen Urteils besteht Bauer darauf, daß Selbstbewußtsein kein innerer Sinn (noch ein Gegenstand der Reflexion) ist, sondern als die Einheit von Subjekt und Gegenstand angesehen werden muß. Die Unzulänglichkeiten der kantischen Darstellung der transzendentalen Einheit der Apperzeption konstituieren für Bauer den Gipfel seiner Kritik (102b-105a). Bauers Manuskript bietet einige flüchtige, aber interessante Einsichten in die Thematik des Selbstbewußtseins. Diese machen den Text für die zeitgenössische Forschung über Hegels Beziehung zu Kant besonders relevant. Bauers Text veranschaulicht, daß der Zugang zum Subjektiven weder im Erkennen des Selbst als eines besonderen Gegenstandes noch im abstrakt allgemeinen Selbst der kantischen praktischen Vernunft besteht. Selbstbewußtsein ist vielmehr ein tätiger syllogistischer Vorgang, die Schaffung von Einzelheit als der dialektischen Einheit des Besonderen und des Allgemeinen. 36 Hegel versucht, angemessener als Kant auf die transzen-
36 Siehe T. Geraets, „Les trois lectures philosophiques de l'Encyclopédie ou la réalisation du concept de la philosophie chez Hegel", Hegel-Studien, 10 (1975), 231-54; ders., „Hegel:
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dentale Frage einzugehen und das „Ich denke" aufzuhellen, das alle meine Vorstellungen begleiten können muß. Kant erkennt nur Kategorien der Gegenständlichkeit an und kann so die Natur des Subjektes nicht denken.37 Für ihn ist das Subjekt nur in der praktischen Vernunft zugänglich, aber nicht als Erkenntnisobjekt. Hegel stimmt nun Kant darin zu, daß das Selbstbewußtsein von einer kognitiven Subjekt-Objekt-Beziehung deutlich unterschieden ist. Das Subjekt macht nicht einfach seine inneren Gehalte zum Gegenstand und legt sie nicht einfach zur bewußten Einsichtnahme aus.38 Denn das Subjekt ist weder ein Seelending, noch sind die Kategorien der Gegenständlichkeit einfach in das Subjekt zu transponieren.39 Hegel zieht jedoch unterschiedliche Schlüsse aus dieser Auffassung der Dinge. Die Theorie des Selbstbewußtseins muß vielmehr für zwei Probleme in Betracht gezogen werden, die Kant nicht löst. Zuerst spricht sie die transzendentale Einheit der Apperzeption an und zeigt dabei, wie die Begriffe und Kategorien des Verstandes als Weisen der Tätigkeiten des Subjektes entfaltet werden, und wie sie in bestimmten dialektischen Beziehungen zu einander stehen. Zweitens beleuchten die Begriffe im Blick auf das Problem der Gegenständlichkeit die Stellungen, an die gegenüber Gegenständen appelliert werden kann, und die Probleme, die diese Stellungen nach sich ziehen. Thema ist hier nicht die Anwendung der Begriffe auf das Subjekt, als ob dieses ein gegebener Inhalt wäre, sondern die Ableitung der Begriffe selber und ihrer Gegenständlichkeit als einer Bestimmung, die sich auf den Gegenstand auswirkt. Für Hegel ist der Rückstand, der dieser vernünftigen Gestaltbestimmung entgeht, kein unbeschreibliches Ding an sich, sondern bloß eine „nichtige, schwache, flüchtige Erscheinung" (97b) ohne weiteres theoretisches Interesse. Auch Fichte hatte versucht, Kants mangelhafte Theorie der Apperzeption zu überwinden, aber im Gegensatz zu Hegel nimmt er die unmittelbare Subjektivität als Ausgangspunkt seiner Demonstration. Daher reproduziert er ständig den Dualismus von Subjekt und Objekt
l'Esprit absolu comme ouverture du système", Laval théologique et philosophique, 3-13.
42/1 (1986),
37 D. S. Stern, „A Hegelian Critique of Reflection", in W. Desmond (Hg.), Hegel and his Critics. • Philosophy in the Aftermath of Hegel, Albany: State University of New York Press 1989, 178190; Pippin, Hegel's Idealism, 45. 38 E. Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979, meint, daß Hegel an einem solch reflektiven Modell des Selbstbewußtseins festhält, was bedeutet, daß Tugendhat einfach das Subjekt als eine besondere Art von Gegenstand konstruiert und seine Kritik auf dieses Mißverständnis gründet. 39 Hegel, Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie,
III, 355.
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in dem neuen Raster von Tätigkeit und Ergebnis.40 Dagegen darf nach Hegel Selbstbewußtsein nicht als ein unmittelbares Datum gelten, sondern muß sich als Ergebnis eines hochgradig vermittelten Vorganges erweisen. Diesen Vorgang, die Einheit von Sein und Begriff in der Idee, versuchen Phänomenologie und Logik zu beschreiben, indem sie konvergierende Antworten auf die Frage nach den verschiedenen Stellungen bieten, die Subjekte zu einander und zu sich selber einnehmen, wenn sie äußere Natur denken und sich nach ihr richten. Über seine allgemeinen Bemerkungen hinaus bohrt Bauer dieses komplexe Problem nicht an, sondern führt eine Unterscheidung ein, von der seine spätere Theorie des allgemeinen Selbstbewußtseins abhängen wird. Er unterscheidet schematisch zwei Arten von Subjektivität: das bloß Subjektive als dasjenige, welches sich selber nicht in Wirklichkeit umsetzen kann und ein bloßes Sollen oder ein kraftloser Wunsch danach ist; und das Subjektive als ein Vehikel für die Verwirklichung von Vernunft als einem Moment in einem Syllogismus, in dem das Allgemeine mit dem Besonderen vermittelt wird (94b). Das Allgemeine wird durch die Angleichung an besondere Gehalte konkret, während das Besondere sich dadurch zur Allgemeinheit erhebt, daß es der selbstbewußte Träger von Vernunft wird. Statt dieser Verschmelzung durch Umformung sieht Kant nur Antinomien oder Entgegensetzungen des Besonderen und des Allgemeinen, des Subjektiven und des Objektiven. Seine Dialektik der Urteilskraft (105a-109b) bestätigt diesen Mangel. Bauer zeigt, wie Hegels Logik die Möglichkeit zum Umdenken dieser sterilen kantischen Formulierungen bietet. Einerseits analysiert sie die Figur des falschen Unendlichen41 (96b), ein Unendliches, das über dem Besonderen hängt, aber es nicht umformen kann und daher selbst zu dem Status eines bloß Besonderen neben anderem Besonderen verkommt. Andererseits entwickelt Hegels Logik die Dialektik von Einheit und Mannigfaltigkeit und des Allgemeinen und des Besonderen, in der sich die Bezeichnungen gegenseitig vermitteln, sodaß ihre abstrakte Entgegensetzung überwunden wird. (91b-92a, 104b-105a). Durch diesen dialektischen Vorgang wird das Selbstbewußtsein ein Organ der Vernunft und das Selbst ein Werk der Schönheit. Es gibt eine alternative Darstellung der Realisierung der Idee, die einen traditionelleren Verlauf dadurch nimmt, daß sie voraussetzt, was man den
40 D. Henrich „Fichtes ursprüngliche Einsicht", in D. Henrich u. H. Wagner (Hg.), und Metaphysik, Frankfurt a.M.: Klostermann 1966, 188-232. 41 Hegel, Enzyklopädie,
§ 92 - § 94 .
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Monismus des Absoluten Geistes genannt hat.42 Indem Bauers Manuskript Zugang auf Idee bezieht, scheint es neben der Theorie des Selbstbewußtseins den Standpunkt des „intuitiven Verstandes" gutzuheißen. Die Einheit von Denken und Sein in Gott wird als die ewige Aufgabe der Philosophie dargestellt.43 Das Manuskript könnte auf den ersten Blick so erscheinen, als schriebe es Hegel eine vorkritische Metaphysik zu, eine Position, die in vollem Widerstreit mit der Hauptströmung in den zeitgenössischen Hegel-Studien stünde. Indem der Text Hegels ausgesprochener Gepflogenheit in der Ästhetik'14 und der Enzyklopädielogik45 folgt, beschwört er den intuitiven Verstand als den Ort der Vereinigung von Begriff und Vorstellung. Dieser Ausdruck darf jedoch nicht in der traditionellen Bedeutung dogmatischer Metaphysik mißverstanden werden, die Identität oder unmittelbare Einheit als Wirkung eines überirdischen Bewußtseins46 voraussetzt. Im Gegensatz dazu betont Bauers Text, daß die Einheit von Denken und Sein als Widerspruch, Verneinung und Freiheit enthaltend begriffen werden muß (101b-102a). Sie ist nicht unmittelbar, sondern diejenige Einheit, auf welche ein Blick von der Lehre des Selbstbewußtseins aus fällt. Der anschauende Verstand spielt eine prominente Rolle im deutschen Idealismus. In Hegels Jugend hatte Hölderlin die Einheit von Subjekt und Objekt als die Anschauung eines göttlichen Lebens geschildert, das in der Kunst, und zwar besonders in der Poesie bezeugt wird.47 Diese Idee behielt ihre zentrale Bedeutung für Schelling, für den die Kunst in besonderer Weise das Vehikel des Absoluten ist. Sogar in seinen frühen Texten liest Hegel jedoch das Problem der intellektuellen Anschauung in einem kantischeren Geist. Schon in Glauben und Wissen, das 1802 veröffentlicht wurde, untersucht er Kants transzendentale Einbildung als Version des anschauenden Ver-
42 Wartenberg, „Hegel's Idealism", 118-120. 43 Das Manuskript ist hier ein Nachhall von Hegels Frühwerk, besonders Glauben und Wissen, 323 ff. 44 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I, 91. 45 Hegel, Enzyklopädie,
§ 55.
46 Pippin, Hegel's Idealism, 76-77 u. 264, Anm. 6. Vgl. K. Düsing „Ästhetische Einbildungskraft und Intuitiver Verstand. Kants Lehre und Hegels spekulativ-idealistische Umdeutung", HegelStudien, Bd. 21 (1986), 87-128 und M. Baum, „Kants Prinzip der Zweckmäßigkeit und Hegels Realisierung des Begriffs", in Fulda u. Horstmann, Hegel und die „Kritik der Urteilskraft", 170-173. 47 H. S. Harris, „Hegel's Intellectual Development to 1807", in Beiser (Hg.), The Companion to Hegel, 32.
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standes.48 Hegel argumentiert, daß Kant auf diese Weise das Problem der Einheit von Denken und Sein formuliert, aber unfähig ist, es bis zum Ende zu durchdenken. Hegel schlägt vor, das Absolute in gewisser Weise ähnlich dem Bauer-Manuskript als Leben darzustellen. Dieser frühe Text weicht von Hegels späterer Lehre ab, weil dieser seine eigene Theorie des Selbstbewußtseins noch nicht entwickelt hatte. Dies macht er in den Jahren 1803 bis 1805 aufgrund einer neuerlichen Beschäftigung mit Fichte.49 Die Entgegensetzung von Natur und Geist und die Überwindung dieser Spaltung verleihen der intellektuellen Anschauung durch Verneinung ihrer ursprünglichen Unmittelbarkeit eine neue Gestalt. Bauers anschaulicher Sprachgebrauch kann allein nicht als Beweis seiner Lesart von Glauben und Wissen angesehen werden, zumal Hegel sich in späteren Texten auf die intellektuelle Anschauung bezieht. Allerdings gibt Bauers Manuskript häufig andere Formulierungen dieser frühen Kant-Kritik, die eine Vertrautheit mit einigen von Hegels zuerst veröffentlichten Texten nahelegen. 50 In seiner ausgereiften Formulierung in der Enzyklopädielogik (§ 55) sieht Hegel das reflektierende Urteil als selber mit der Funktion des intuitiven Verstandes ausgestattet. Es begreift das Besondere als das Allgemeine in sich tragend; beide Seiten sind durch die gegenseitige innere Anpassung in einer konkreten Einheit synthetisiert. Die erreichte Einheit des Allgemeinen und des Besonderen stellt die Harmonie von Notwendigkeit und Freiheit, von Natur und Denken dar. Dies verleiht der Idee, die logisch die Einheit von Gegenständlichkeit und Begriff ist, ihre konkrete Formulierung. Die Hypothese eines überweltlichen Bewußtseins als wirkender Kraft dieser Einheit ist dazu nicht erforderlich.
V. Einheit und Dualismus im Kantischen System Bauer behandelt das Thema der Einheit des kantischen Systems als die Frage nach der Divergenz und Konvergenz der kantischen und der hegelschen Perspektive. Dies ist ebenfalls eine Hauptfrage der modernen Gelehrsamkeit. Die jüngste Forschung hat Kants Versuche betont, den Dualismus von Subjekt und
48 Hegel, Glauben und Wissen, 327 ff. u. 341; Pippin, Hegel's Idealism, 76-78. 49 Harris, „Hegel's Intellectual Development to 1807", A4A5. P. Guyer, „Hegel on Kant's Aesthetics", in Fulda und Horstmann, Hegel und die „Kritik der Urteilskraft", 81-99, bläht diese Stadien auf, indem er sie ohne angemessene Unterscheidung auf Glauben und Wissen und die späten Werke bezieht. 50 Vgl. Hegel, Glauben und Wissen, 343, mit Bauer, 104b.
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Objekt zu überwinden, der die Zielscheibe von Hegels ständigen Klagen ist und im Zentrum des Bauer-Manuskriptes steht. Ein Ansatz ist die Behauptung, Kant sei traditionell und besonders von Hegel mißverstanden worden. Daher deutet Allison Kants Dualismus neu durch eine Zwei-Aspekte-Theorie, die das traditionelle Verständnis der Unterscheidung von Phaenomenon und Noumenon herausfordert.51 Ein zweiter Ansatz ist es, sich auf die systematischen Behauptungen zu konzentrieren, zu denen Kant selber für seine Dritte Kritik fortschreitet.52 In Pluhars Rekonstruktion ist das Übersinnliche, das in der Kritik der Urteilskraft beschworen wird, gleichermaßen der Boden der reinen und der praktischen Vernunft. Als das Grundprinzip von Erkenntnis und Freiheit verbindet es diese Vermögen zu einer Einheit. Selbst wenn das Übersinnliche in der dritten Kritik kein Gegenstand des Erkennens ist, zeichnet seine Anwesenheit als Zweckursache das Übersinnliche( deutlicher als die beiden anderen Kritiken und gestattet, wenn nicht Wissen, so doch zumindest eine Art von theoretischem Zugang zu sich selbst.53 Ein dritter Ansatz betont die Entwicklung des kantischen Standpunktes bezüglich der theoretischen und der praktischen Vernunft. Hegel selber behauptet, es gäbe andere Stellen, in denen Kant sich der überlegenen „neuen Philosophie" annähert, ohne sie zu erreichen. Bauers Behandlung dieser Frage ist bemerkenswerterweise weniger nuanciert. Wenngleich für Hegel die Kritik der Urteilskraft deutlich Neuerungen einführt, sollte nach ihm auch die Erste Kritik nicht ausschließlich dualistisch gelesen werden; sie enthalte Spannungen ähnlich denen der Dritten. Hegel bekundet zum Beispiel, daß der transzendentale Schematismus der Kritik der reinen Vernunft Begriff und Anschauung in eine innere dynamische Harmonie ver-
51 H. Allison, „Transcendental Idealism: The ,Two-Aspect' View", in B. den Ouden u. M. Moen (Hg.), New Essays on Kant, Bern: P. Lang 1987, 155-178. 52 Guyer unterscheidet bei Kant eine beschränkte und eine erweiterte Darstellung des Schönen. Die letztere nähert sich mit ihrem Bestehen auf der Darstellung der Idee, hier der moralischen Idee, in der Kunst an Hegel an. Dagegen klammert Schaper die systematische Darstellung ein und meint, daß die Kritik der Urteilskraft in Ungereimtheiten verfällt, wo sie Moralität beschwört. Siehe P. Guyer, Kant and the Claims of Taste, Cambridge (Mass.): Harvard University Press 1979 und E. Schaper, „Taste, Sublimity, and Genius: The Aesthetics of Nature and Art", in P. Guyer (Hg.), The Cambridge Companion to Kant, Cambridge: Cambridge University Press 1992, 367-393. 53 W. S. Pluhar, „Translator's Introduction", in I. Kant, Critique of Judgement, Indianapolis: Hackett 1987, lxxxvi-cix; s.a. Lebrun, Kant et la fin de la métaphysique, 445-452 und A. Savile, Kantian Aesthetics Pursued, Edinburgh: Edinburgh University Press 1993, 61-62. Savile bietet eine viel engere Lesart von Kants systematischen Behauptungen.
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setzt, aber daß Kant es versäumt, den tieferen Sinn dieser Einsicht aufzuspüren.54 Die neuere Forschung stimmt in dieser Sicht mit der Ersten Kritik überein. Pippin entdeckt Verschiebungen in Kants Darstellung der reinen Vernunft, die zu einer neuen Ausarbeitung der Beziehung zwischen Vernunft und Verstand führen,55 und die Kants eigene Unterscheidung von Anschauung und Begriff untergraben. Letzteres taucht hauptsächlich in der neuen Version der Synthesis auf, die Kant in der 1787er oder B-Auflage der Kritik der reinen Vernunft vor Augen hat. Beim Eingehen auf das Problem der Objektivität der Kategorien möchte Kant zeigen, warum das gegebene Mannigfaltige sich den Kategorien unterwerfen muß. Seine neue Antwort56 ist, daß Anschauung schon eine Synthesis voraussetzt, oder daß die Fügsamkeit gegenüber den Bedingungen der Anschauung eine vorherige Fügsamkeit gegenüber den Kategorien einschließt.57 Von daher wird die Selbstbestimmung des Denkens in eben dem Augenblick denkbar, in dem Kant auf die Noumenon-Phaenomenon-Unterscheidung zurückweicht.58 Kant unternimmt ferner eine neue Ableitung der Kategorien als Weisen der transzendentalen Einheit der Apperzeption, wobei er eine konstruktivistischere Position bezieht, die Fichte und Hegel näher ist.59 Zumindest in einigen Lesarten von Kants Opus posthumum, wird diese Verschiebung noch deutlicher. In der Lehre der Selbstsetzung wird die Rolle der Anschauung weiter der Konstituierung des Gegenstandes durch den Verstand untergeordnet.60 Die jüngste Forschung verzeichnet ferner Veränderungen in Kants Verständnis der praktischen Synthesis als Versöhnung von Freiheit und Notwendigkeit. Guyer weist in Kants ethischem Denken eine neue Phase in den 1790er Jahren nach, die die Harmonie von Gefühl und Pflicht und nicht deren Entgegensetzung wie die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten betont. Da
54 Hegel, Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie,
III, 347-348 .
55 Pippin, Hegel's Idealism, 69 u. 275, Anm. 30. 56 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B160. 57 Ebd., 30. 58 Hegel, Enzyklopädie,
§ 42 - § 44.
59 H. J. de Vleeschauwer, „Immanuel Kant", in J. Beiaval (Hg.), La révolution kantienne, 2. Aufl., Paris: Gallimard 1978, 61-63. 60 Siehe B. Tuschling, „Apperception and Ether: On the Idea of a Transcendental Deduction of Matter in Kant's Opus Posthumum", in E. Förster (Hg.), Kant's Transcendental Deductions, Stanford: Stanford University Press 1989, 193-216; aber auch E. Förster, „Kant's Selbstsetzungslehre", ebd., 217-238.
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die Ästhetik im Gefühl und in der Nichtbegrifflichkeit und Autonomie des Sinnlichen wurzelt, kann sie die Moralität symbolisieren und uns leicht zugänglich machen,61 und zwar kraft ihrer Interessenlosigkeit. Sie kann deshalb die Kluft zwischen Gefühl und Vernunft verringern, die den ungeheuren Dualismus der kantischen Philosophie, wie Guyer sie liest, hervorbringt. 62 Pippin hat ebenfalls dem Einklang von Gefühl und Moralität in der Entwicklung von Kants praktischer Vernunft in der Tugendlehre Nachdruck verliehen.63 Die Allgemeingültigkeit von Bauers interpretatorischem Gerüst scheint also durch die neuere Forschung nicht bedroht zu sein.
VI. Die Kritik der Urteilskraft und Bauers geistige Entwicklung Der Text beleuchtet auch Bauers eigene Entwicklung. Obwohl er seine akademische Laufbahn als rechter Hegelianer beginnt und orthodoxe theologische Lehren noch 1838 verteidigt, wie es seine Bemerkungen über die Rezeption seiner eigenen Herausgabe von Hegels Philosophie der Religion64 bezeugen, kann man jetzt davon ausgehen, daß seine Position in den 1830er Jahren in seiner Konzeption der Einheit von Denken und Sein und in seiner Kritik am Subjektivismus des kantischen Sollens ihre Wurzel hatte (102b), und zwar in seiner Kritik an der abstrakten Entgegensetzung einer Idee und einer darauf unabgestimmten und dafür unempfänglichen Realität. Dies sind die Themen des 1829er Manuskriptes, das allerdings auch Motive enthält, die zu einer linkshegelianischen Lesart passen. Was dann eintritt, ist eine Rechtsverschie-
61 P. Guyer, Kant and the Experience of Freedom, Cambridge: Cambridge University Press 1993, 335. 62 Ferry, Homo Aestheticus, 113-114, sieht die Selbständigkeit des Sinnlichen gegenüber dem Vernünftigen als Bruch mit der Metaphysik, ein heilsamer Abgrund, aus dem die Möglichkeit eines neuen Humanismus erscheint. Daher akzentuiert er die Lücke, die Guyer aufgrund desselben Prinzips zu schließen sucht. Ferrys Lesart beruht auf einer problematischen Deutung der reinen Formen der Anschauung. Diese legen nicht gerade fest, daß Sinnlichkeit anders als Denken ist, wie Ferry behauptet, sondern vielmehr, daß sie dem Denken zugänglich ist (Pippin, Hegel's Idealism, 25). 63 R. Pippin, „Hegel, Ethical Reasons, Kantian Rejoinders", Philosophical Topics, Bd. 19, Nr. 2 (1991), 99-132; ders., „Idealism and Agency in Kant and Hegel", The Journal of Philosophy, 88/10 (1991), 537-539. 64 B. Bauer, Briefwechsel zwischen Bruno Bauer und Edgar Bauer während der Jahre aus Bonn und Berlin, Charlottenburg: Verlag von Egbert Bauer 1844, 51.
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bung nach 1830, als Bauer seine theoretische Position festigte. An diesem Gedanken ist nichts unplausibel, wie Bauers spätere dramatische Haltungsänderungen zeigen. Sein späterer Übergang zu einer linkshegelianischen Sicht im Jahre 1839 zog eine Neugestaltung der Einheit von Denken und Sein in der Lehre vom allgemeinen Selbstbewußtsein nach sich. Der Verlauf von Bauers Entwicklung ist demnach komplexer als früher vermutet wurde. Im Manuskript ist Bauers Darstellung der mittelalterlichen Entgegensetzung von Glaube und Wissen im Licht seiner intellektuellen und politischen Entwicklung besonders bemerkenswert. Bauer wird in den 1830er Jahren eine Art religiöser Vorstellung, die für eine spekulative Neuinterpretation offen und deshalb mit der Philosophie vereinbar ist, von einer dogmatischen Gestalt unterscheiden, die mit der Vernunft unverträglich ist.65 Sein späteres Denken zieht im Vormärz die Absorbierung oder Tilgung der ersteren durch die letztere im religiösen Bewußtsein nach sich, so daß nur der Gegensatz von allen Gestalten religiöser Vorstellung zu dem philosophischen Selbstbewußtsein übrigbleibt. Dies ist eine und nur eine von den vielen Formen, in welchen Bauer den Gegensatz von Heteronomie und Autonomie begreift. Viele Auswertungen haben nämlich die religiöse Dimension auf Kosten linkshegelianischer Politik überbetont. 66 Bauers Denken über die Kunst entwickelt sich in eins mit seinen politischen Auffassungen. In Die Posaune des jüngsten Gerichts (1841) 67 bezieht Bauer eine Position, die trotz all ihrer provokativen Radikalität in mancher Hinsicht der des 1829er Textes nicht unähnlich ist: er kehrt die theoretische Priorität der Religion vor der Kunst im System des absoluten Geistes um. Er ist jetzt allerdings viel deutlicher hinsichtlich der Bedeutung dieser Umkehrung. In der Religion wird das Selbstbewußtsein entfremdet und scheint pas-
65 Diese Frage ist das Thema von Herr Dr. Hengstenberg, 1838, ein Text, der den Anfang von Bauers Wechsel zu einer linkshegelianischen Position bezeichnet und seine Versetzung von Berlin nach Bonn veranlaßte. Bauers frühere rechts-hegelianische Kritik an linksgerichteten Lesarten Hegels kann in seinen Rezensionen der beiden ersten Auflagen von D. F. Straussens Leben Jesu (Tübingen 1835, 1836) und dessen sinnverwandten Schriften gefunden werden. Bauers Rezensionen sind erschienen in Berliner Jahrbücher (Dezember 1835), 879 f., 905-912; (Mai 1836), 681-688, s. 607-704; (März 1837), 321-328 u. 337-343 und (November 1837), 837 f. Zu seiner selbstkritischen Verwerfung dieser Texte s. Bruno Bauer [1. Aufl. anon ], Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft, Leipzig: O. Wigand 1840, 3. 66 Siehe D. Moggach, „Absolute Spirit and Universal Self-Consciousness: Bruno Bauer's Revolutionary Subjectivism", Dialogue, Canadian Philosophical Review, Bd. XXVII (1989), 235256; ders., „.Nation, Volk, Masse:' Left-Hegelian Perspectives on the Rise of Nationalism", History of European Ideas, Bd. 15, Nr. 1-3 (1992), 339-345. 67 B. Bauer [anon.], Die Posaune des Jüngsten Gerichts über Hegel, den Atheisten christen. Ein Ultimatum, Leipzig: O. Wigand 1841, 95-105.
und Anti-
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siv, obwohl es nie wirklich so ist. Vielmehr täuscht sich das Denken über seine eigenen Tätigkeiten, indem es sie einer anderen, nämlich transzendenten, Quelle zuschreibt. Daß dies eine dialektische Illusion und nicht einfach eine Projektion ist, unterscheidet Bauers Deutung von der gleichzeitigen Feuerbachs.68 Die Kunst dagegen enthüllt und bekräftigt die Tätigkeit des Geistes, wenngleich noch in einem materiellen Element. Sie ist daher der Philosophie näher verwandt. In einer Rezension in der Rheinischen Zeitung von 1842, „Das Kölner Quartett", schreibt Bauer der Kunst eine noch wichtigere Rolle zu.69 Er betont dort, daß Kunst und Philosophie denselben Gegenstand haben, die Erweckung der Geisteskräfte zu ihrem ungehinderten Gebrauch. Die Kunst, in diesem Falle die Musik, drücke die Anschauung und das Vorgefühl der Freiheit aus und mache so den Inhalt der Philosophie konkret und zugänglich; doch erinnere jetzt die Einheit von Denken und Sein, wie sie sich in der Kunst darstellt, unmittelbarer als die theoretische Spekulation an die praktische Vernunft. In seinen unveröffentlichten Jenaer Manuskripten hatte Hegel
68 L. Feuerbach, Das Wesen des Christenthums,
Leipzig 1841.
69 B. Bauer, „Das Kölner Quartett", Rheinische Zeitung, No. 60 (1. März 1842): „Was sind das aber für Kämpfe, Schmerzen und Widersprüche, für welche diese Quartette unsere Sympathie erweckt und deren Auflösung sie uns zugejubelt haben? Es sind die einzigen, aber auch alle Kämpfe, welche die Menschheit kennt, zu bestehen hat und deren Schmerzen und Auflösung jede Kunst in ihrer Weise darstellt. Es ist der Kampf der Menschheit mit sich selbst, der sich nur in verschiedenen Formen durchführt; es ist der Kampf, der sich in unserer eigenen Brust als der Widerstreit der Gefühle oder als der Kampf der sich untereinander anklagenden Gedanken äußert; es ist der Kampf der Personen, die der Idee nach zusammengehören, in der Welt der Täuschung getrennt sind, sich suchen, sich nahem, sich wieder verlieren oder auseinander gerissen werden, sich um so lebhafter suchen, weil die geistigen Mächte, die sich in ihrer Brust verschliessen, zusammengehören, und die sich dann endlich nach tausend Irrungen für immer finden; es ist endlich der Kampf mit den ewigen Mächten, die ihren Ursprung auch nur in der menschlichen Brust haben, die aber wiederum in der Welt der Täuschung als fremde, überirdische und gewalttätige Mächte erscheinen, den Menschen, der sich doch allein geboren hat, niederdrücken und gefangennehmen wollen, aber der Mensch der in der Kunst lebt und kämpft ist der wahre, der freie Mensch, der sich seiner Allmacht bewußt ist - will sich nicht gefangennehmen lassen, er kämpft gegen den scheinbar überirdischen Druck, nur scheinbar ist sein augenblickliches Unterliegen, er ruht nicht mit seinen Anstrengungen bis er die grollende und drohende Stimme des Tyrannen überjubelt und zuletzt bezwungen hat - denn es ist ja doch nur die Stimme seiner eigenen Brust - sein letztes Jubellied in ungetrübter Harmonie zu begleiten. Das Gefängnis ist erbrochen, die Festung erstürmt, und auf ihren Trümmern singt der Mensch das Lied seiner Freiheit. Die Kritik und die Philosophie haben lange zu räsonieren, ehe sie den Menschen von seiner Menschheit überzeugen; Beethoven reißt ihn jubelnd aus seinem Gefängnis, und in seinen Symphonien donnert es ihm mit einem Paukenschlag ein, daß er frei ist. Der Philosoph muß viele Umwege machen, Beethoven stürmt auf die Festung geraden Weges los, und schon beim Anmarsch läßt er die Gefangenen ahnen, daß die Stunde ihrer Befreiung gekommen ist."
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das Musikalisch-Ruhelose und das Plastisch-Ruhige einander gegenübergestellt.70 Auch für Bruno Bauer ist die Musik stürmerisch, erhaben. Sie ist das Symbol seiner neuen Theorie des Selbstbewußtseins. Die Einheit von Denken und Sein, das zentrale Thema des 1829er Manuskripts, bleibt ein bestimmender Zug von Bruno Bauers Denken vornehmlich über Politik in der Vormärz-Periode der 1840er Jahre. Nachdem er mit seiner rechtshegelianischen Untertanentreue im Jahre 1839 bricht, hält er die Idee der Einheit von Denken und Sein in der Dynamik und Offenheit des allgemeinen Selbstbewußtseins fest. Die ästhetischen Begriffe, durch welche diese Einheit gedacht werden kann, werden in der späteren Theorie reproduziert. Die Interesselosigkeit des Selbstbewußtseins ist in ihrem Gegensatz zur unmittelbaren Subjektivität und in ihrer Zurückweisung des privaten Interesses, der Quelle der Heteronomie, offenkundig. Die Zweckmäßigkeit des Selbstbewußtseins ist für Bauer jene der Selbstbestimmung, die der Unterordnung des Bereiches geistiger Schöpfung und der Natur unter die Herrschaft der Freiheit und zugleich die der Anerkennung, daß kein Erzeugnis den Reichtum der schöpferischen Subjektivität, seiner Quelle, überragen kann. Die Allgemeinheit und Notwendigkeit des Selbstbewußtseins zeigen sich für ihn in der Dialektik des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen, wodurch die Läuterung vom privaten Interesse durch das Selbst geschieht. 71 Im Vormärz verbindet Bauers Theorie des Selbstbewußtseins noch andere Gedanken kantischer Herkunft: 1. Sie zeigt eine große Nähe zu Kants Analytik des Erhabenen, die Bauer in seiner 1829er Ästhetikkritik nicht erwähnt und deutet ihrerseits das dynamisch Erhabene als Herrschaft des nach Kant moralischen Bewußtseins über die Natur. In seiner Darstellung des allgemeinen Selbstbewußtseins in der Posaune und anderswo preist Bauer die Erhebung der unendlichen Schöpferkraft des Bewußtseins über seine Schöpfungen, die unerschöpfliche Produktivität der Freiheit, aber auch die Abneigung des Bewußtseins gegenüber jeder abgeschlossenen, umschriebenen Ganzheit. Doch indem das Erhabene so begriffen wird, ruht es auf einer schönen Grundlage, nämlich der Einheit von Denken und Sein, im subjektiven Bewußtsein selber. Dieser Anspruch auf Allgemeinheit wird durch die eigenen Anstrengungen des Subjektes verursacht. Sie ist keine unmittelbare Grundlage, sondern ein durchgehend vermitteltes Ergebnis.. Hier werden die Einheit der Schönheit und die Disharmonie des Erhabenen in einer tätigen Synthese zusammengedacht.
70 Lypp, „Idealismus und Philosophie der Kunst", 105. 71 Bauer, Posaune, 140 u. 146-148; vgl. B. Bauer „Der christliche Staat und unsere Zeit" [1841], in Feldzüge der reinen Kritik, hg. v. H.-M. Sass, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1968, 26.
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2. Die andere Quelle ist ein von Kant kritisierter Gedanke. Bauer versteht Autonomie nicht in der Bedeutung einer Handlung, die reine, zeitlose Pflicht im kantischen Sinne ist, sondern als Perfektionismus, d.h. einer in der Geschichte gewachsenen Version dessen, was Kant Vollkommenheit nennt.72 Dies schließt ein kompromißloses Engagement zur Umformung von politischen Verhältnissen und Institutionen ein. Für den Bauer der 1840er Jahre ist die Erlangung solch radikaler Selbstbestimmung die einsame Tat eines isolierten Subjektes, des einsamen Vermittlers der Dialektik des Allgemeinen und Besonderen. Seine Kämpfe bringen eine neue Realität zuwege, die dem Begriff nahekommt, aber nie endgültig mit ihm übereinstimmt. Nach dieser Lehre sind individuelle Subjekte fähig, sich zur Allgemeinheit dadurch zu erheben, daß sie sich selber von der Bestimmtheit durch heteronome Triebe läutern und damit Freiheit erlangen. Bauer übernimmt einen wesentlich privaten Begriff vom Zugang zum Guten und versäumt so, Hegels Neuerungen in der Theorie der Intersubjektivität oder des objektiven Geistes aufzunehmen. Im Vormärz betrachtet Bauer diese Neuformulierung nicht als Rückfall in ein bloß abstraktes Sollen, gegen das er früher polemisiert hatte.73 Er sieht sie eher als Ausdruck der Selbstverwirklichungskraft der Vernunft, die aus ihrer Entfremdung und den unangemessenen Gestalten ihrer Realisierung zu sich zurückkehrt. Dieses Thema ist vorgebildet, und zwar weniger in dem geschichtlichen Schema des Werdens von Vernunft im 1829er Manuskript, als in der Unterscheidung von zwei Arten der Subjektivität. Bloße Subjektivität oder, wie er sich im Manuskript ausdrückt, nuda subjectivitas, ist ohnmächtig, ihren Gegenstand hervorzubringen und steht so im unversöhnlichen Gegensatz zur Gegenständlichkeit da. Sie kann die Einheit von Denken und Sein nicht zuwege bringen, die doch das wahre telos der Philosophie ist.74 Das allgemeine Selbstbewußtsein in Bauers Denken der 1840er Jahre wird im Gegensatz dazu als eine schöpferische Umformungskraft angesehen, die Ge-
72 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werke, Bd. IV, hg. v. A. Buchenau u. E. Cassirer, Hildesheim: Gerstenberg 1972, 302. 73 Selbst wenn Bauer wie in der Posaune, 82, die Wahrheit des Söltens bejaht, muß seine Position noch von der Kants unterschieden werden. Bauers Formulierung des Sollens stellt Wirklichkeit oder die dem Selbstbewußtsein innewohnende Wahrheit gegenüber der bloßen Positivität der bestehenden Ordnung dar. Diese Wahrheit ist eine höhere Wirklichkeit, die in der Geschichte wurzelt, ein konstitutives Prinzip und nicht ein moralischer Imperativ. Bauer kann daher weiterhin auf der Objektivität seines Prinzips bestehen. 74 Schon vor 1848 kritisierte Bauer noch als Verteidiger der Volkssouveränität die Ohnmacht und Unbestimmtheit mancher politischen Forderungen der liberalen und der sozialistischen Bewegungen; s. u. a. Bruno Bauer, „Was ist jetzt der Gegenstand der Kritik?", Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 8 (Juni 1844), 18-26.
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genständlichkeit nach dem Bilde des Denkens neu erschafft. Dieses Selbstbewußtsein ist Subjektivität in ihrem ureigenen Element, als ein Moment des Allgemeinen, das gleichfalls das Thema von Bauers 1829er Manuskript ist. Bekanntlich versagten die Umwälzungen von 1848, in denen Bauer ein aktiver Parteigänger der Sache der Volkssouveränität war, darin, die bestehende Ordnung zu erschüttern. Dies führte zu seiner Verwerfung der architektonischen Kraft der Vernunft. 75 Nach 1850 endlich optierte er für Zusammenhang, für Kohärenz, für die Macht der Gegenständlichkeit gegen die Forderungen nach politischer und sozialer Reform. Die letzteren stellten für ihn schließlich bloße, ohnmächtige Subjektivität, nuda subjectivitas, dar. Bauer entsagte dann dem Perfektionismus und dem Erhabenen im Interesse einer anderen Figur, einer schönen Einheit oder Kohärenz. Gemeint ist nicht die ästhetische Einheit des Selbst als Kunsterzeugnis, noch die Substantialität der polis, nach der der junge Hegel verlangte, sondern die Unbeweglichkeit der vormodernen Agrargesellschaft. Als Bauer den Gedanken der schöpferischen Subjektivität aufgibt, nimmt für ihn die Einheit von Denken und Sein die Gestalt der Versöhnung mit der Positivität der bestehenden Ordnung an. Indem sie das Vernunftwerden zugunsten bloßen Seins opfert, ist sie eine vollkommenere Versöhnung - oder Kapitulation als je in Hegels Philosophie erträumt wurde.
75 Zu Bauers Spätwerk s. E. Barnikol, Bruno Bauer, 310-424.
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Bruno Bauer und die Aufgaben der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität für den Königlichen Preis Am 11. Juli 1829, einem Samstag, trafen sich die ordentlichen Professoren der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität in der Wohnung des damaligen Dekans, des Professors für vergleichende Sprachwissenschaften und Sanskrit, Franz Bopp (1791-1867), zu einer besonderen Beratung. Sie hatten, wie in jedem der letzten vier Jahre, wieder darüber zu entscheiden, welche der eingereichten Preisschriften die von der Fakultät im Voijahr gestellten Aufgaben so behandelt haben, daß sie mit dem königlichen Preis gewürdigt werden könnten. Neben der Theologischen, der Juristischen und der Medizinischen Fakultät stellte auch die Philosophische Fakultät jährlich ihre Preisfragen. In der Philosophischen Fakultät waren es jeweils zwei Fragen, wobei jährlich wechselnd entweder eine allgemeine philosophische und eine historische oder aber eine philologische und eine mathematische bzw. physikalische Aufgabe zu stellen waren. Für das Jahr 1829 waren wieder eine philosophische und eine historische Frage zu stellen. Da diese Aufgaben nur von ordentlichen Professoren gestellt werden durften, mußten sich die Herren August Heinrich Ritter (1791-1869), Ernst Heinrich Toelken (1785-1869) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) auf einen Vorschlag einigen. Die neben ihnen an der Fakultät lehrenden Privatdozenten der Philosophie: Friedrich Eduard Beneke (1798-1854), Leopold von Henning (1791-1866), Karl Ludwig Michelet (1801-1893), Heinrich Theodor Roetscher (1803-1871) und Arthur Schopenhauer (1788-1860) waren davon ausgenommen. Ebenso wie bei den beiden bisherigen philosophischen Preisfragen: 1. für 1825: „Es sollen die verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks: .idealistische Philosophie' angegeben und philosophisch beurteilt werden." (Preisträger: Mußmann)
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Winfried Schultze
2. für 1827: „In Pantheismi naturam ita inquiratur, ut si qua vel inter ipsum et Spinozismum intercedat diversitas, indicetur, inprimis vero qua sua ipsius, non ex religione lemmatice desumta ratione, philosophia sibi a pantheismi periculo vel criminatione caveat, explicetur." (Preisträger: C. Libelt) war es erneut der Vorschlag Hegels, der angenommen wurde. Auf ihrer Beratung am 25. Juli 1828 stimmten die anderen Ordinarien der Philosophischen Fakultät zu, für die bis zum 3. Mai 1829 einzureichende philosophische Arbeit folgendes Thema zu stellen: „Ut doctrinae de pulchro principia a Kantio in ea philosophiae parte, quam Crisin facultatis animi judicatoriae esse voluit, prolata exponantur, et cum fundamentis, quibus universa auctoris huius philosophia nititur, comparata dijudicentur." Nunmehr, ein Jahr danach, am 11. Juli 1829, diskutierten die gleichen Ordinarien auf der Grundlage der von Toelken und Hegel vorgelegten Gutachten über die zu diesem Thema eingegangenen drei Arbeiten. Sie stimmten dem Vorschlag Hegels zu, die Arbeit mit dem Motto: „Der Ernst der Kunst ist ihre Heiterkeit" mit dem königlichen Preis zu ehren. Seit dem 3. August 1825, dem Geburtstag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., wurden jedes Jahr im Rahmen der Geburtstagsfeierlichkeiten der Berliner Universität - im Anschluß an die öffentliche Festrede - die Urteile aller Fakultäten über die eingegangenen Abhandlungen vorgetragen. Erst an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt wurde offenbart, wer die Autoren der Arbeiten waren, die von den einzelnen Fakultäten als preiswürdig bewertet worden waren. Während die Autoren der Arbeiten, die nicht mit dem Preis ausgezeichnet wurden, zwar das Urteil über ihre Arbeit vernahmen, aber anonym blieben, erfuhren die Autoren der mit dem Preis bedachten Abhandlungen die große Ehre, hier in dieser feierlichen Stunde mit ihrem Namen genannt zu werden. Zu denjenigen, die am 3. August 1829 so geehrt wurden, gehörte auch der erst ein Jahr zuvor immatrikulierte Student der Theologie Bruno Bauer. Er hatte die Abhandlung verfaßt, die mit dem Motto: „Der Ernst der Kunst ist ihre Heiterkeit" versehen war. Es zeugt vom Bemühen um eine objektive Bewertung der eingereichten Arbeiten, daß die Anonymität der Autoren bis zum Schluß gewahrt blieb. Den Festlegungen des „Reglements wegen der Preis-Aufgaben und Verteilung der
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Preise auf der Königlichen Universität zu Berlin" vom 16. September 18241 folgend, hatten alle Studenten der Königlichen Universität zu Berlin die Möglichkeit, die am 3. August verkündeten Aufgaben für das folgende Jahr zu bearbeiten und innerhalb einer Frist von neun Monaten, das heißt bis zum 3. Mai des Folgejahres, versiegelt beim Universitäts-Sekretär abzugeben. Es war festgelegt, daß jede Arbeit mit einem Motto zu kennzeichnen war, nicht mit dem Namen des Autors. In einem versiegelten Brief, auf dem außen das gleiche Motto zu stehen hatte wie auf der Arbeit, war ein Zettel mit dem Namen des Autors abzugeben. Dieser Brief wurde dann bei der Verlesung der Fakultätsgutachten am 3. August geöffnet, um den Namen des Autors mitteilen zu können. Dieses Verfahren wahrte einerseits die Anonymität des Autors, von dem kein Ordinarius wußte, wieviele Semester er bereits studiert hat und von welcher Fakultät er war. Andererseits führte wohl auch die gemeinsame Festlegung der Themen durch die Ordinarien sowie die Durchsicht der eingereichten Arbeiten durch alle Ordinarien der jeweiligen Fakultät zu einer Anwendung gleicher Wertmaßstäbe und somit zu einer objektivierten gerechten Bewertung der erbrachten Leistungen. Die Studenten sollten durch die Beschäftigung mit dem von der Fakultät gestellten Thema zu einem weitergehenden gründlichen Studium angeregt, an tieferes eigenes Forschen herangeführt und zum gründlichen Nachdenken gezwungen werden. Für die Beurteilung der schriftlichen Ausarbeitungen legten die Ordinarien als Bewertungskriterien sowohl die erschöpfende Beantwortung der Aufgabe als auch die gründliche wissenschaftliche Bildung und das Beurteilungsvermögen fest. Die Gutachten von Toelken und Hegel demonstrieren dieses Herangehen an die Bewertung studentischer Leistungen. Hegel schreibt bezogen auf die Arbeit Bruno Bauers: „Dem Vortrag fehlt es nicht an Wörtern wie immedietas, resultatum, receptivitas, ditio sapra = transsensualis; doch ist er lesbar, fließt deutlich und entwickelnd fort; die Exposition ist bestimmt; die Kritik folgt den Kantischen Momenten vom Schönen und geht dann zu der Vergleichnung des Prinzips dieses Begriffs mit den Prinzipien des Systems über, und die Inkonsequenz ist schlagend aufgezeigt.
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Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät, Nr. Blatt 3 ff. Eine Abschrift des Reglements ist als Anlage 1 beigefügt.
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Winfried Schultze
Nach meinem Bedünken könnte nur Nr. I mit derselben konkurrieren, aber Nr. III verdient wegen des lesbareren Vortrags, konsequenten Entwicklung des Gedankens und geschickten Opposition der Kant, [sehen] Prinzipien gegen sich selbst, den Vorzug." 2 Toelken urteilt in Kenntnis der von Hegel vorgenommenen Wertung wie folgt: „Die Abhandlung Nr. 3 mit dem Motto: Der Ernst der Kunst ist ihre Heiterkeit, welcher H. Koll.fege] Hegel den Vorzug gibt, verdient diesen insofern, als die Dialektik der neueren Schule darin mit Gewandheit gehandhabt und gegen Kant gerichtet wird. Von dem Satz ausgehend: philosophica cogitatio est divina cogitatio, wird es dem Verfasser ein leichtes darzutun, daß die Kant, [sehen] Bestimmungen mangelhaft in Beziehung auf den Gegenstand, und unzusammenhängend unter sich sind. [...] Die Fakultät hat schon öfter nach dem Grundsatz entschieden, daß die Prämien-Arbeiten der Studierenden speeimina ihres Lernens sein sollen, und hiernach liesse sich der Abhandlung Nr. 3 der Preis vor den beiden andern wohl nicht versagen." 3 Eine Woche nach der Bekanntgabe seines Namens als Verfasser der mit dem königlichen Preis für 1829 ausgezeichneten philosophischen Arbeit, am 11. August 1829, erhielt Bruno Bauer aus den Händen des Dekans der Philosophischen Fakultät, Franz Bopp, die Preismedaille. Auf den goldenen Preismedaillen im Werte von 25 Dukaten waren folgende Daten eingraviert: 4 Vorname und Name Geburtsland a facúltate Univers. Berolinens. praemio ornatus III. Aug. MDCCCXXIX. Als Bruno Bauer diese Erinnerungsmedaille in Empfang nahm, hatte er gerade sein drittes Semester absolviert. Trotzdem kann man - mit einem vergleichen-
2
Ebd., Bl. 58 R; siehe auch: Ernst Bamikol, Die Familie Bauer und Bauers Studium, Bruno Bauer, Studien und Materialien, hg. v. P. Reimer und H. M. Sass, Assen: van Gorcum 1972, 18, Anm. 42. Barnikol zitiert hier die vollständigen Gutachten Hegels und Toelkens über die eingegangenen drei Arbeiten. Deshalb kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden.
3
Ebd., Bl. 59; siehe auch Barnikol, 19, Anm. 43.
4
Ebd., Bl. 29.
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Fakultät
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den Blick auch auf die späteren Preisträger sowohl der philosophischen als auch der anderen Fakultäten - feststellen, daß diese Arbeit wohl sein entre billet in eine zukünftige akademische Laufbahn war. Bruno Bauer trug sich unter der Nummer 392 des 18. Rektorats, am 16. April 1828, handschriftlich in die Matrikel der Berliner Universität zum Studium der Theologie ein, etwa zu dem Zeitpunkt, als man an der Philosophischen Fakultät begann, sich Gedanken für die am 3. August zu stellende Preisfrage zu machen. Er nahm die angebotenen Vorlesungen der Theologischen und Philosophischen Fakultät intensiv wahr. Bis zu seiner Exmatrikulation am 16. April 1832 belegte er in den einzelnen Semestern folgende Wochenstundenzahl: Sommersemester 1828 : Wintersemester 1828/1829: Sommersemester 1829 : Wintersemester 1829/1830: Sommersemester 1830 : Wintersemester 1830/1831: Sommersemester 1831 : Wintersemester 1831/1832:
19 33 28 13 12 20 14 5
Die Abfassung der schließlich ausgezeichneten Abhandlung fällt also in die Zeit seines intensivsten Besuchs von Lehrveranstaltungen.5 Es steht zu vermuten, daß die von Hegel im Wintersemester 1828/29 gehaltene Vorlesung: Ästhetik oder die Philosophie der Kunst, die Bruno Bauer belegte, für ihn ausschlaggebend war, sich mit der von Hegel gestellten Preisaufgabe zu befassen. Auf die weitere Entwicklung Bruno Bauers soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Es sei jedoch noch darauf hingewiesen, daß Bruno Bauer vom 15.03.1834 bis Michaelis 1839 noch als Privatdozent für Religionsphilosophie und Altes Testament an der Berliner Universität wirkte.
5
Eine Auflistung der von Bruno Bauer in den einzelnen Semestern besuchten Vorlesungen ist als Anlage 2 beigefügt. Sie ist dem Konzept des Abgangszeugnisses vom 16. April 1832 entnommen, das auch in den Beständen des Universitatsarchivs aufbewahrt wird.
Anlagen
Anlage l 1
Reglement wegen der Preis-Aufgaben und Verteilung der Preise auf der Königlichen Universität zu Berlin Nachdem das unterzeichnete Ministerium beschlossen hat, auf der Königl. Universität zu Berlin alljährlich Preis-Aufgaben und Preise für die hiesigen Studierenden einzuführen, so werden darüber hiermit nachstehende Bestimmungen bekannt gemacht. § 1 Auf der Königl. Universität zu Berlin sollen von den vier Fakultäten derselben, den hiesigen Studierenden jährlich Preis-Aufgaben zur Beantwortung öffentlich vorgelegt werden. § 2 Diese Preisfragen müssen rein wissenschaftliche Gegenstände betreffen, und, wenngleich die Hauptgrundsätze für ihre Lösung aus den akademischen Vorträgen der einzelnen Lehrer bekannt sein sollten, dennoch von Seiten der Studierenden ein weiteres und gründlicheres Studium und tieferes eigenes Forschen und Nachdenken erfordern und so gewählt sein, daß ihre erschöpfende Beantwortung sowohl die gründliche wissenschaftliche Bildung, als das Beurteilungsvermögen beurkundet.
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Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät, Nr. Blatt 3-5 R.
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Anlage 1
§3 Die theologische, juristische und medizinische Fakultät haben jede jährlich eine die philosophische aber jährlich zwei Preisfragen aufzugeben, und zwar letztere von einem Jahr zum andern abwechselnd in dem einen eine allgemeine philosophische und eine historische und in dem anderen Jahre eine philologische und eine mathematische oder physikalische. §4 Jede Fakultät bestimmt ihre Aufgabe selbst und wählt dieselbe abwechselnd aus den verschiedenen Hauptzweigen ihrer Wissenschaft. Dasjenige Mitglied der Fakultät, aus dessen speziellem Lehrfache die Aufgabe gewählt wird, hat den Vorschlag der Preis-Aufgabe; dieser Vorschlag wird von diesem Mitgliede schriftlich gemacht, und in einer jährlich vor dem 20sten Julius zu haltenden eigenen Sitzung der betreffenden Fakultät gemeinschaftlich beraten und ist als gültig nur dann anzusehen, wenn er wenigstens von zwei Dritteilen der Stimmen angenommen ist. §5 Sämmtliche Preis-Aufgaben der verschiedenen Fakultäten werden jährlich am Geburtstage Sr. Majestät des Königs, mittels eines lateinischen Programms bekannt gemacht. §6 Nur Studierende auf hiesiger Universität sind berechtigt, an der Bewerbung des Preises zu konkurrieren. Die von ihnen über die Preis-Aufgaben zu liefernden Abhandlungen müssen in lateinischer Sprache abgefaßt sein, wenn sie auf den Preis oder das Accessit Anspruch machen wollen. §7 Zur Bearbeitung der Preis-Aufgaben wird eine Frist von neun Monaten bestimmt, nämlich vom 3ten August jeden Jahres bis zum 3ten Mai des darauf folgenden Jahres. § 8 Die um den Preis werbenden Abhandlungen werden von den Konkurrenten bei dem Universitäts-Sekretär versiegelt unter der Adresse der betreffenden Fakultät abgegeben; jeder Abhandlung ist ein versiegelter Zettel beizulegen, welcher inwendig den Namen des Verfassers und außerhalb dasjenige Motto enthält, welches unter den Titel der Abhandlung zu setzen ist. Der Universitäts-Sekretär hat die solchergestalt eingegangenen Abhandlungen sogleich uneröffnet an den Fakultäts-Dekan zu befördern. Sämmtliche Abhandlungen
Reglement wegen der Preis-Aufgaben
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müssen, bevor über die Zuteilung der Preise beschlossen wird, unter sämmtlichen Mitgliedern der betreffenden Fakultät zirkulieren; demnächst hat dasjenige Mitglied, welches den Vorschlag zu einer Preis-Aufgabe gemacht hat, über sämmtliche eingegangenen Arbeiten, einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu entwerfen und in derjenigen Sitzung der Fakultät vorzutragen, in welcher sie sich alljährlich spätestens bis zum 20. Julius versammeln wird, um über die Würdigkeit der eingegangenen Arbeiten zu beraten und zu entscheiden. Jeder ordentliche Professor ist gehalten, in dieser Sitzung zu erscheinen oder durch rechtsgültige Gründe sich zu entschuldigen; über den zuzuerkennenden Preis und Accessit entscheidet absolute Stimmenmehrheit. §9 Wenn bei einer Fakultät über die von ihr gegebene Preisfrage gar keine oder keine genügende Arbeit eingegangen ist, so verbleibt der Preis der betreffenden Fakultät, und hat dieselbe in diesem Falle für das nächste Jahr zwei Preisfragen aufzustellen; geht aber auch dann keine des Preises würdige Abhandlung ein, so behält das Ministerium die weitere Entscheidung sich vor. § 10 Der Preis für die von jeder Fakultät als des Preises würdige Beantwortung der aufgegebenen Frage, besteht aus einer goldenen Medaille vom Wert von fünfundzwanzig Dukaten, über deren Beschaffenheit ehestens weitere Bestimmung erfolgen soll. § 11 Die feierliche Proklamation der von sämmtlichen Fakultäten zuerkannten Preise erfolgt jährlich am 3ten August unmittelbar auf die an diesem Tage zur Geburtsfeier Sr. Majestät des Königs zu haltende Rede. Der öffentliche Redner der Universität hat hierbei das Urteil der Fakultäten über die eingegangenen Abhandlungen in Kürze bekannt zu machen, sodann die § 8 gedachten Zettel der gekrönten Preisschriften öffentlich zu entsiegeln und die Namen der Sieger auf eine, der Feierlichkeit des Tages angemessene Art bekannt zu machen, auch können die Namen derer, welchen der Preis oder das Accessit zuerkannt wurden, gleich in den öffentlichen, über die jedesmaligen Geburtsfeier Sr. Majestät des Königs mitzuteilenden Nachrichten angezeigt werden, nächstdem aber sind sie mit karger Würdigung der gekrönten Preis-Arbeiten in dem für den nächstfolgenden 3ten August vorzugebenden Programm bekannt zu machen.
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Anlage 1
§ 12 Die zu den nicht gekrönten Abhandlungen gehörigen versiegelten Zettel werden nicht geöffnet, sondern nebst den dazu gehörigen Abhandlungen den Vorzeigern der Sinnsprüche, mit welchen die einzelnen Abhandlungen bezeichnet sind, durch den Universitäts-Sekretär zurückgegeben. Ebenso sind die gekrönten Arbeiten, nachdem eine Abschrift zur Universitätsregistratur genommen, ihren Verfassern wieder einzuhändigen und haben letztere das Recht, ihre Arbeiten zu ihrem eigenen Vorteil drucken zu lassen.
Berlin 16. September 1824 Ministerium der Geistlichen-, Unterrichtsu. Medizinal-Angelegenheiten Unterrichts-Abteilung gez. v. Kamptz
Anlage 21
Auflistung der von Bruno Bauer belegten Vorlesungen in den jeweiligen Semestern seines Studiums in Berlin 1. 1. 2. 3.
Semester, Sommer 1828 Theologische Enzyklopädie Das Evangelium des Matthäus Geschichte der Französischen und Niederländischen Reformation 4. Die ars poetica des Horaz 5. Geschichte der dramatischen Literatur der Deutschen seit Lessing bis auf die neueste Zeit 6. Philosophische Enzyklopädie als metaphysischer Anfangsgrund der Philosophischen Disziplinen
Marheinecke Schleiermacher v. Raumer Toelken Hotho Hotho
2. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Semester, Winter 1828/1829 Die Grundsätze der Auslegungskunst und der Kritik Die christliche Sittenlehre Die Metrik der Griechen und Römer Pindars Olympische und Pythische Gesänge Ästhetik oder Philosophie der Kunst Theologische Moral Die Philosophie der Weltgeschichte
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Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Rektor und Senat, Abgangszeugnisse, 16.04.1832.
Schleiermacher Schleiermacher Boeckh Boeckh Hegel Marheinecke Hegel
118 3. Semester, Sommer 1829 1. Logik und Metaphysik nach seinem Lehrbuch (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften) 2. Über die Beweise vom Dasein Gottes 3. Einleitung in das Neue Testament 4. Kirchengeschichte 5. Der Brief Pauli an die Römer und an die Galater 6. Die wissenschaftliche Dogmatik
Anlage 2
Hegel Hegel Schleiermacher Neander Neander Marheinecke
4. Semester, Winter 1829/1830 1. Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes 2. Geschichte der Philosophie 3. Die Einleitung in die wissenschaftliche Theologie als Moral und Dogmatik
Hegel Hegel
5. 1. 2. 3.
Hegel Ritter
Semester, Sommer 1830 Philosophie der Natur oder rationale Physik Ethnographie und Geographie von Asien Über das Leben und die Taten, den theoretischen Charakter und die Schriften der ausgezeichneten Lehrer der alten Kirche
Marheinecke
Neander
6. Semester, Winter 1830/1831 1. Praktische Theologie 2. Die Symbolik nach der dritten Ausgabe seines Lehrbuches 3. Die christliche Dogmengeschichte 4. Pauli Briefe an die Korinther und einige kleinere Paulinische Briefe 5. Interpretation der Genesis
Neander Hengstenberg
7. 1. 2. 3.
Hegel Hengstenberg Hengstenberg
Semester, Sommer 1831 Religionsphilosophie Einleitung ins Alte Testament Jesaias
8. Semester, Winter 1831/1832 Allgemeine Geographie
Schleiermacher Marheinecke Neander
Ritter
Anlage 3
Beurteilung der für die Bewerbung um den Königlichen Preis 1829 eingereichten philosophischen Arbeiten durch Hegel1 „Gutachten über die drei Abhandlungen, welche über die philosophische Preisfrage der Fakultät eingegangen sind, mit I, II, III bezeichnet. N.I.
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Ein weitläufiger (fast die Hälfte der Abh. einnehmender) Auszug der Kantischen Kritik ist vorausgeschickt, und getrennt davon folgt die Beurteilung; diese Anordnung bringt für die letztere den Nachteil, daß der Inhalt nicht mit ihr verwebt ist, und sie sehr abstrakt und allgemein wird. Der Mangel, welcher dem Kant. Prinzip anklebt, ist bestimmt und gründlich aufgefaßt; es ist aber zu viel Gewicht auf das psychologische und empirische Verfahren Kants gelegt, dieses scharf gerügt, aber dem Resultat über den Begriff des Schönen, es möchte herkommen woher es wollte, widerfahrt dem Inhalte nach nicht genug Anerkennung. In der Vergleichung dieses Prinzips mit den Grundpinzipien der Kant. Philosophie ist mehr ihre gleiche Einseitigkeit als das Interessantere ihres Widerspruchs hervorgehoben. Der Vortrag zeigt geistreiche Lebendigkeit, verfährt aber wenig entwickelnd und ist formell und abrupt; außerdem tut es der Lesbarkeit der Abh. Eintrag, daß sie von Ausdrücken, wie transcendalitas, relativitas, indeterminatio, communicabilitas, etc. (pogreditur pass.) complicenteam esse oportere nulla re intercessam usf. wimmelt.
Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Philosophische Fakultät, Nr. 1503, Blatt 58, 58v.
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Anlage 3
N.II.
Der Vf. holt weit aus, fängt mit einem Auszuge aus der ganzen Geschichte der Philosophie an; dann folgt ein Auszug aus der ganzen Kantischen Philosophie. Des Vfs. Kritik über das Kant. Prinzip des Schönen verhält sich allenthalben negativ und formell; statt das empirische Verfahren Kants in den Kategorien des Schönen zuzugeben und den Inhalt dieser Resultate herauszugeben, heißt es nur allenthalben, dies sei nicht bewiesen, das sehe ich nicht ein usf. Vornehmlich ist es ihm um die Widerlegung des Formellen des und zwar in gemeinem Sinn genommenen Kant. Idealismus zu tun, und diese Widerlegung ist ziemlich trivial. Den Kant. Inhaltsbestimmungen über das Schöne tut der Vf. daher nicht die Gerechtigkeit an, die sie verdienen; mit Bedachtnahme auf dieselbe hätte er es sich sparen können, einen eigenen Begriff des Schönen geben zu wollen. Sein Räsonnement sinkt zu oft zur Trivialität herab; z. B. res pulcra longius intuita höre auf, schön für uns zu sein; wir heißen sie aber doch noch schön, weil wir sie vorher so geheißen usf. S. 43 wird unseren Kollegen Hirt Bestimmung es Schönen angeführt aus Thorner Zeitschr. 7. Hft. v. J. 1797; die Zahlen sind richtig, aber Thorner statt Hören stammt wohl aus Misshören in einer Vorlesung. Latinität: complacentia in nobis erectio, communicabilitas, flos pulcra, proloquitur (wird ausgesprochen) denique mentionem faciendum est etc. N.III. Dem Vortrag fehlt es nicht an Wörtern wie immedietas, resultatum, receptivitas, ditio sapra- transsensualis; doch ist er lesbar, fließt deutlich und entwickelnd fort; die Exposition ist bestimmt; die Kritik folgt den Kantischen Momenten vom Schönen, und geht dann zu der Vergleichung des Prinzips dieses Begriffs mit den Prinzipien des Systems über, und die Inkonsequenz ist schlagend aufgezeigt. Nach meinem Bedünken könnte nur N.I. mit derselben konkurrieren, aber N.III, verdient wegen des lesbaren Vortrags, konsequenter Entwicklung des Gedankens und geschickter Opposition der Kant. Prinzipien gegen sich selbst, den Vorzug. Hegel"