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German Pages 589 [592] Year 2013
Marion Schulte Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preußen
Europäisch-jüdische Studien Beiträge
Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Redaktion: Werner Treß
Band 11
Marion Schulte
Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preußen Ziele und Motive der Reformzeit (1787–1812)
ISBN 978-3-11-030562-3 e-ISBN 978-3-11-030603-3 ISSN 2192-9602 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt eine Ergänzung, in einigen Fällen auch eine Korrektur meiner Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 dar. Die Erweiterung der Fragestellung bis ins Jahr 1787 ist aber auch eine Form der Gegenprobe zu den Thesen und Ergebnissen der „kleinen“ Arbeit, die nur die preußischen Reformarbeiten von 1808–1812 berücksichtigte und jetzt in erweiterter Form vorliegt. In diesem Fall ist die Ergänzung auch den Deputierten der Preußischen Judenschaften gewidmet, die durchaus emanzipiert für die rechtliche Gleichstellung eingetreten sind. Gleichfalls blieb mein Arbeitsschwerpunkt auf die Auswirkungen und die Prozesse der Gesetzgebung ausgerichtet. Diese Gewichtung begründet sich zum einen aus dem Umstand, dass die jüdischen Einwohner Preußens in und mit den rechtlichen Strukturen Preußens leben mussten, und zum anderen aus ihrer Zielsetzung, zukünftig in gerechteren Verhältnissen leben zu wollen. Letzteres konnte nur mit erheblichem Engagement und mit Hilfe der preußischen Beamten erreicht werden. Die Vollendung der Reform war daher ein Erfolg für beide Parteien. Entstanden ist diese Arbeit als Dissertation im Fachbereich Neuere Geschichte der Fakultät I der TU Berlin. Für die Anregungen, die Kritik und die Diskussionen danke ich Professorin Stefi Jersch-Wenzel, die meine Arbeit betreute und meine Kenntnisse hinsichtlich der wissenschaftlichen und politischen „Szene“ dieser Stadt komplettierte. Eine gewisse „Parkettsicherheit“ verdanke ich ihr ebenso wie Erkenntnisse zur jüdisch-preußischen Geschichte. Zu dieser Zeit war sie schon schwer erkrankt und dennoch war ihr Tod im Januar dieses Jahres ein Schock, denn sie war über Jahre hinaus einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, und das nicht nur fachlich als Historikerin und Mentorin, sondern auch als Mensch. Professor Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung danke ich für seine Beratungen und den kritischen Hinweis – bei aller Freude am Detail – den „Blick aufs Wesentliche“ nicht zu verlieren. Nachträglich möchte ich mich aber auch bei Professor Laurenz Demps (HU/Berlin) bedanken, der meine Magisterarbeit (HU/2006) kenntnisreich, kollegial und gelassen betreute. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Europäisch-jüdische Studien“, herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, danke ich Professor Julius H. Schoeps und im Besonderen Dr. Irene A. Diekmann. Mein Dank gilt auch Dr. Julia Brauch (De Gruyter, München), die mir kompetent, geduldig und freundlich viele Fragen beantwortete, und konkrete Hilfen gab. Die Zusammenarbeit mit ihr war nicht nur lehrreich, sondern auch ein Vergnügen.
VI
Vorwort
An dieser Stelle will ich auch den Lektorinnen Christel Dobenecker (Berlin) und Sabine Schröder (Berlin) danken, die kritisch, unermüdlich und gründlich am Manuskript arbeiteten. Für die Reproduktion und die wesentlich verbesserte Qualität der abgebildeten Porträts danke ich Carsten Hermann (Termindruck-Berlin). Ebenso danke ich den Mitarbeitern der „Stabi-Ost“ (Staatsbibliothek Berlin/ Unter den Linden) und „Stabi-West“ (Berlin/Potsdamer Platz) für das Schleppen schwerer Folianten und für die Unterstützung bei der Recherche. Das gilt auch für die Kollegen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in BerlinDahlem. Folgend gilt mein Dank auch Herrn Harro Kieser (Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat), der mir die Möglichkeit gab, einige Thesen meiner Arbeit im Mitteldeutschen Jahrbuch für Kultur und Geschichte, Bd. 19 (MJB 2012), vorzustellen. Darüber hinaus dürfte ich auf Einladung der „Gesellschaft für ChristlichJüdische Zusammenarbeit Hochtaunus“ (Bad Homburg) und zum 201. Jahrestag des „preußischen Emanzipationsedikts“ (13. März 2013) einen abendfüllenden Vortrag halten, der zu einer angeregten Diskussion führte. Herrn Kieser und Frau Margret Nebo, der Vorsitzenden der Vereinigung, sei für die Einladung und den wunderbaren Tag ausdrücklich und herzlich gedankt. An dieser Stelle danke ich aber auch meinem Ehemann, Jürgen Schulte, und unserer Tochter Rita für ihre Solidarität und Sensibilität. Ohne ihre Unterstützung wäre diese Arbeit nicht entstanden. Berlin, im Februar 2013
Inhalt Abkürzungen
XI
1 Einleitung 1 Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen, aktueller Forschungsstand 1 2 Vorgeschichte 12 2.1 Kurzer Überblick über die Kolonisierungspolitik in BrandenburgPreußen nach dem Dreißigjährigen Krieg 12 2.2 Die (Wieder-)Einwanderungsbedingungen der Juden (1671) 25 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Aspekte zu den Voraussetzungen der Judenreform unter Friedrich Wilhelm II. 42 Friedrich Wilhelm II. – ein Philosemit und Förderer aller preußischen Minderheiten? 42 Die Berliner/Preußische Aufklärung 55 Der Philanthropismus und die Idee vom nützlichen jüdischen Staatsbürger 73 Die Jüdische Aufklärung (Haskala) nach der „Berlinischen“ oder der „Mendelssohnschen Schule“ 83 Die Religion als nützliche moralische Kategorie des preußischen Staates 99 Die Reformversuche (1787–1792) 113 Die Petition vom 6. Februar 1787 113 Die „Berliner“ Kommission 127 Das bürgerliche Bewusstsein der Funktionsträger 138 Das Pro Memoria vom 17. März 1787 – Argumentationen, Vorschläge, Verbesserungen 147 Die „Commission zur Reform des Judenwesens“ 160 Der 1. Reformentwurf (1789) 174 Der 2. Reformentwurf (1792) 191 Grundlegende Differenzen und kleinteilige rechtliche Verbesserungen 210
VIII
Inhalt
5 5.1
Initiativen und Gesetzgebungen bis 1808 227 Die Bittschrift der Berliner Ältesten (22. Mai 1795) und die Reaktion 227 Die Motive und Zielsetzungen zum „General-Juden-Reglement für Süd- und Neu-Ostpreußen“ (21. Mai 1797) 256 Beispiele zu ambivalenten administrativen Entscheidungen 318
5.2 5.3 6 6.1 6.2
Das Edikt vom 11. März 1812 – ein Emanzipationsedikt? 341 Beispiele zu den Positionen der historischen Forschung 341 Der Begriff „Emancipation“ im Gutachten von Staatsrat Johann Heinrich Schmedding (1809) 348
7
Motive zur Initiative von Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1808) 359 Die Verwaltungspraxis nach 1806 359 Das Transformationsmodell 368 Der politisierte Zeitgeist 381
7.1 7.2 7.3 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Das Ziel der Reform – Der nützliche jüdische Staatsbürger Die Zielgruppe der Reform 398 Der Untertan und Staatsbürger 407 Die künftigen Militärverbindlichkeiten 414 Die Grenze der Toleranz 435 Die Aufhebung der Sonderabgaben 449 Eine Methode der Amalgamation – Die jüdisch-christliche Mischehe 459
9 Zusammenfassung
477
398
Inhalt
IX
Anhang Dokumente 485 Dok. A: „Instruction für die Geh. Finanzräte“ (10. Dezember 1787) 485 Dok. B: 1. Reformentwurf (18. Dezember 1789) 487 Dok. C: Das Erklärungsschreiben des General-Direktoriums an den König von Preußen zu den Gründen für die Verzögerung der Reformarbeiten (14. Januar 1792) 492 Dok. D: Die Verordnung über die Aufhebung der Abgaben in solidarischer Haftung (5. Juni 1792) 493 Dok. E: Resolution an die Ältesten der Jüdischen Gemeinde in Berlin (wg.) „Aufhebung oder Milderung verschiedener Gesetze gegen die Juden“ (2. April 1798) 496 Dok. F: Zweite Einleitung zum Abdruck des Abschlussberichts der Judenreformkommission (10. Juli 1789) im Journal: Neue Feuerbrände 6 (1807) 497 Dok. G: Ein Kommentar des preußischen Regierungsrats (v.) Holsche zum jüdischen Leben in der Stadt Bialystok in Neuostpreußen (1800) 499 Biografien
500
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise Personenregister
570
569
528
Abkürzungen Abt. Abteilung ADB Allgemeine Deutsche Biographie AGAD Archivum Glowne Akt Dawnych/Archiv der Alten Akten, Warschau ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Bearb. Bearbeiter BPH Brandenburg-Preußisches Hausarchiv, GStA PK (Berlin-Dahlem) bpk Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte. Preußischer Kulturbesitz, Berlin BM Berlinische Monatsschrift CA Confessio Augustana (1530) C.C.M. Corpus Constitutionem Marchicarum oder Königl.-Preuß. und Churfürstl.Brandenburgische in der Chur- und Marck-Brandenburg auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta ect. CIC Codex Iuris Canonici. EZA Evangelisches Zentralarchiv der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz (Berlin) Fasz. Faszikel FBPG Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Fl. Florin (Gulden) FSGA Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Gen.-Dep. General-Departement Gen.-Dir. General-Direktorium Gen.-Jud.-Priv. General-Juden-Privileg GG Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft GS Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem HA Hauptabteilung HZ Historische Zeitschrift HRG Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte JGMOD Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands KDK Kriegs- und Domänenkammer KD-Rat Kriegs- und Domänenrat kgl. königlich KO Kabinetts-Order LBIYB Leo Baeck Institute Year Book MGWJ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Breslau/ Berlin. MRK Militär-Reorganisations-Kommission N. Verfasser ungenannt/unbekannt N.C.C. Novum Corpus Constitutionem Prussico-Brandenburgensis oder neue Sammlung Königlich Preußischer und Churfürstlich Brandenburgischer sonderlich in der Chur- und Mark-Brandenburg publizierten und ergangenen Verordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten etc.
XII ND NDB o. J. o. O. o. V. RE Rep. RGG Rtlr Thlr. Tit. TRE VSWG WA ZHF ZRelGG
Abkürzungen
Nachdruck/Neudruck Neue Deutsche Biographie ohne Jahr ohne Ort ohne Vorname Preußisches Religions-Edikt (9. Juli 1788) Repositur Religion in Geschichte und Gegenwart (Handwörterbuch) Reichst(h)aler Thaler Titel Theologische Realenzyklopädie Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte
1 Einleitung Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen, aktueller Forschungsstand Als die Vollendung des Edikt[s] betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate (11. März 1812)1 in einem Schreiben von Staatsminister Karl August v. Hardenberg an die Ältesten der Jüdischen Gemeinden in Berlin, Königsberg und Breslau angekündigt wurde, reagierten die Berliner Gemeindeältesten als erste Gemeindevertreter mit Freude und mit Dankbarkeit. Ihre Initiative im Namen der Judenschaften Preußens hatte durch die Petition vom März 1787 die Einsetzung einer behördlichen „Judenreformkommission“ bewirkt. Ihr anschließend erstelltes Pro Memoria vom Mai 1787 konkretisierte und bündelte die Folgen der Rechts- und Steuerpraxis, der Lebens- und Existenzbedingungen der Judenschaften in allen preußischen Provinzen. Als politische Denkschrift im zeitgemäßen Charakter einer Petition konzipiert, wurde erstmals ein umfangreicher und detailliert begründeter Abriß von dem politischen Zustande der sämmtlichen jüdischen Colonien mit Ausschluß von Schlesien, Westpreußen und Ostfriesland“2 vorgelegt, der für alle jüdischen Einwohner unabhängig vom Etablierungsstatus die Partizipation an den bürgerlichen Rechten mit der Aufhebung aller bisherigen exklusiven Lasten/Sonderbesteuerungen als politische und zeitgemäße Korrektur der friderizianischen Gesetzgebung anregte und vorbereitete. Betrachtet man also die Legislative zum Edikt (1808–1812) als Teil der gesamten preußischen Reformbewegung seit dem Tod von Friedrich II., so umfassten diese Bemühungen einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren. Aus dieser Perspektive gesehen, traten Differenzen über den tatsächlichen Inhalt des Edikts vorerst in den Hintergrund. Die Archivalien zu den Reformarbeiten transkribierte und dokumentierte Ismar Freund in seiner Quellensammlung zum Thema „Emanzipation der Juden in Preußen“.3 Seine Vorgeschichte zum Edikt gliederte er in drei unvollendete Reformversuche, die als Paragrafensammlungen während der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) formuliert und in den preußischen Gremien 1 GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX: Akten des Ministeriums des Innern: Juden.Sachen.Generalia, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 16–17. 2 GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207 b 2A, Fasz. 35a, Bl. 1–30. Gedr. auch bei Friedländer, David: Akten-Stücke die Reform der Jüdischen Kolonien in den Preußischen Staaten betreffend. Berlin 1793. 3 Freund, Ismar: Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in Preußen. Bd. 1: Darstellung, Bd. 2: Urkunden. Berlin 1912.
2
Einleitung
diskutiert wurden. Die Vollendung einer umfassenden Verordnung für alle jüdisch-preußischen Untertanen gelang mit den Vorbereitungen einer neuen Verfassungsinitiative durch den Staatsminister Friedrich Leopold Freiherr v. Schroetter im Jahre 1808 in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III. (1797–1840). Auch im Hinblick auf die konkreten Inhalte und die einschränkenden Paragrafen des preußischen Märzedikts beurteilte I. Freund das „Emanzipationsgesetz“ positiv, denn „das Wesentliche war doch erfüllt. Das Schutzjudentum und die Fremdheit war von den preußischen Juden genommen. Sie waren zu Einländern und preußischen Staatsbürgern erklärt [worden].“4 Die Wertung des preußischen Edikts als Gesetz zur Beförderung der jüdischen Emanzipation beinhaltete für die historische Forschung durchaus Vorteile. Einerseits konnte damit der Eindruck vermieden werden, dass es sich hierbei um ein weiteres „Judenedikt“ handele, das eher der Kategorisierung „restriktiv“ als „liberal“ entspreche. Ein weiterer Vorteil lag in der Vermeidung von stigmatisierenden und negativen Assoziationen. Dass die Bezeichnung „Jude“ über die Bestimmung von Abstammung, Kultur, Sprache und Religiosität hinaus nicht als wertfreier, sondern als ein mit Vorurteilen beladener Begriff verwendet wurde, diskutierten auch die Funktionsträger der Reform. In der Präambel zum Edikt wurden die Adressaten der Reform daher ausdrücklich als „jüdische Glaubensgenossen“5 und als zugehörig zu „Unserer Monarchie“6 bezeichnet. Zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde in der Reformdebatte, auch bei den Befürwortern der rechtlichen Gleichberechtigung, in Gegensätzen und Abgrenzungen gedacht, die nur durch die gedankliche Konstruktion einer eigenen staatlich gedachten religiös-kulturellen Kontinuität möglich wurden. Das betrifft in der groben Auseinanderdifferenzierung der Reformzeit das Begriffspaar Christen – Juden. Zur Zeit der Reform war für David Friedländer das Wort und die Anrede „Jude“ gleichbedeutend mit einem (Zu- oder Bei-)Namen, „der nicht die Religion, sondern die Abkunft [bezeichnet]. Der Jude soll in dem Verhältnis eines Fremden gegen einen Eingebornen erscheinen, eines Fremden, der weder Fug noch Recht hat, mehr zu fordern […].“7 Begrifflich war die Bandbreite der Bezeichnung „Jude“ weit gefasst. Nach dem Universallexikon von H. A. Pierer (1835) galt die Bezeichnung „Jude“ für a) die Genossen des Stammes Juda; b) die Einwohner von Judäa; c) die gesamten Israeliten, besonders die, die aus dem Babylonischen Exil zurückkamen; d) die Beken-
4 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 206. 5 Edikt vom 12. März 1812, GStA PK, I. HA Rep.77, Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 1. 6 Ebd. 7 Friedländer, Akten-Stücke, S. 30.
Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen
3
ner des mosaischen Glaubens und e) für die ersten Christen, die Juden-Christen.8 Für die moderne Geschichtsschreibung nach dem Holocaust offenbarte sich das Problem der wertfreien Bestimmung noch deutlicher: In Abgrenzung von einer nationalsozialistischen Terminologie sollte die Benennung des Edikts frei von diskriminierenden Bezeichnungen sein. Neben dem etwas sperrigen Gebrauch des historisch korrekten Titels bot sich hier die zukunftsweisende Deutung „Emanzipationsedikt“ an. Dieser Begriff stammte aus der Forschung des 19. Jahrhunderts. Er deutete eine Zäsur in der preußischen Politik an und verwies auf eine Epoche der reformbereiten Politik, in der das Ziel die individualrechtliche Integration sein sollte. Die Positionen der modernen Forschung werden im gleichgenanntem Kapitel im dritten Teil der Arbeit gegenübergestellt. Ismar Freund betonte den Aspekt der aktiven Einflussnahme der preußischen Judenschaften an der Legislative und kam zu dem Schluss, dass die rechtliche Gleichberechtigung den jüdischen Einwohnern nicht wie „eine reife Frucht in den Schoß gefallen war“9, sondern ambitioniert und mit Rückschritten erkämpft wurde. Shulamit Volkov (1992) betonte für die Zeit der Frühmoderne den Aspekt der jüdischen Solidarität zwischen den wohlhabenden Funktionsträgern der Gemeinden und den Armen. Im Zusammenhang mit der späteren sozialen Ausdifferenzierung innerhalb der jüdischen Gemeinden, gefördert durch die Industrialisierung und Emanzipation des 19. Jahrhunderts, bemerkt sie für die Zeit davor, dass eine „wichtige Grundlage jüdischer Solidarität die beinahe homogene soziale und berufliche Zusammensetzung der Gemeinden [war]“.10 Der außergewöhnliche Reichtum weniger führte vor allem aus zwei Gründen nicht zu einer Klassenfeindschaft: Die wohlhabenden Funktionsträger verstanden sich nach ihrem Status und Selbstverständnis als „Beschützer der Armen“11 und als „Vermittler bei den Behörden“.12 Bezogen auf die Legislative stellen sich dementsprechend die Fragen, inwieweit die Deputierten/Funktionsträger der preußischen Judenschaften die Reformarbeiten begleiteten, kommentierten und als Korrektiv beeinflussen konnten. Welche Formen der tradierten Partizipationsmöglichkeiten ihnen zugestanden wurden und wie sie genutzt wurden, welche Zielvorstellungen modifiziert werden mussten, in ungewollten Kompromissen endeten oder real tatsächlich zur partiellen Aufhebung der Sondergesetzgebung oder zum Einspruch und zur Ablehnung von Reformentwürfen führten, werden anhand der Argumen-
8 Winkler/Wachter: „Juden“. In: Pierer, H. A. (Hrsg.): Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, Bd. 10. Altenburg 1835, S. 519–525, S. 519. 9 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 209. 10 Volkov, Shulamit: Juden und Judentum im Zeitalter der Emanzipation. Einheit und Vielfalt. In: Beck, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in der europäischen Geschichte. München 1992, S. 86–108, S. 98. 11 Ebd. 12 Ebd.
4
Einleitung
tation/Reaktion der Beamtenschaft auf die Eingaben/Petitionen/Denkschriften behandelt werden. Auch innerhalb der preußischen Judenschaften existierten unterschiedliche Bewertungen über das Ziel und die Erfolgsaussichten der angestrebten Reform, die außer- und innerjüdisch formulierten Anpassungsbedingungen und die erwarteten Vorleistungen zur rechtlichen Gleichberechtigung. Diese Differenzen werden als Teil der Gesamtdebatte verstanden und anhand zeitgemäßer Texte von jüdischen Delegierten/Vertretern der Haskala und einflussreichen Gemeindevorstehern/-mitgliedern vorgestellt. Nach Peter Baumgart (2009) hatte die tatsächliche Fertigstellung des preußischen Märzedikts (11. März 1812) eine lange Vorgeschichte, die deutlich im Zusammenhang mit der Judenpolitik in spätfriderizianischer Zeit steht.13 Eine Zäsur und ein Wandel in den Reformbemühungen erfolgten mit dem militärisch-politischen Zusammenbruch Preußens (1806).14 Die Neuorganisation des Staates führte neben der Reformtätigkeit in anderen Bereichen auch zur Wiederaufnahme und erneuten intensiven Auseinandersetzung mit der Stellung der jüdischen Minorität.15 In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass sowohl die Reformpolitik für die jüdischen Einwohner als auch die Grenzen des „Emanzipationsgesetzes“ nach den Grundsätzen zur Neuordnung Preußens ausgerichtet wurden. Ob aber von einem völlig neuen Reformansatz gesprochen werden kann, wird die Untersuchung des Gesamtzeitraumes ergeben. Darüber hinaus wird hier die These vertreten, dass bereits während der Regierungszeit von Friedrich II. und deutlicher nach seinem Tod (1786) die ethnische Sondergesetzgebung, auch als Überbleibsel aus der Zeit der Privilegienerteilung für eingewanderte Migrantengruppen, durch die allgemeine Gesetzgebung überflüssig wurde. Legislative Prämissen, Geschäftsgänge und Rahmenbedingungen der preußischen Gesetzgebung müssen dementsprechend über den gesamten Verlauf der Reform berücksichtigt werden. Ein Beispiel illustriert diese Meinung: Ausdifferenzierungen in „nützliche“ und weniger nützliche Untertanen kategorisierten und bewerteten die Untertanenschaft nach ihren wirtschaftlichen und steuerlichen Finanzleistungen, ihrer Bedeutung für den Agrar- und Wirtschaftssektor und ihrer militärischen Dienstbereitschaft. Unter diesen Beurteilungsrahmen fielen im Besonderen die Generationen der ehemals zugereisten Kolonisten. Im Diskurs um die Rechte und Pflichten der Untertanen/Bürger/Staatsbürger galt dieser Rahmen auch unter den Nachfolgern von Friedrich II. als Maßstab für die prinzipielle Zuer13 Baumgart, Peter: Befürworter und Gegner der preußischen Judenemanzipation im Spiegel der Denkschriften und Gesetzgebung. In: Kroll, Frank-Lothar (Hrsg.): Brandenburg-Preußen unter dem Ancien régime. Berlin 2009, S. 511–529, S. 511. 14 Ebd. 15 Ebd.
Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen
5
kennung von Rechten. Die Frage, inwieweit diese Diskussion auch den Diskurs zu den Rechten und Pflichten der jüdischen Inländer beeinflusste oder Härten und Ausnahmeregelungen einschloss, lässt sich nur im Hinblick auf die Gesamtdiskussion beantworten. Abhandlungen zur Verfassungsgeschichte Preußens werden also zur Bearbeitung der Fragestellung herangezogen werden müssen (u. a. Scheidemantel, 1770; Schmalz, 1795–1804; Borowski, 1805; C. A. Buchholz, 1815; Rotteck/Welcker, 1836, 1837, 1839; Bornemann, 1842; Rönne/Simon, 1843; Simon, 1844; Meier, 1881; Mamroth, 1890; Rönne, 1906; Winter, 1931; Koselleck, 1967; Huber, 1975; Grimm, 1988; Stolleis, 1990; Erler/Kaufmann, 1990; Hattenhauer, 2000; Gosewinkel/Masing, 2006; u. a.). In welcher Form die beruflichen Ausbildungen, Entscheidungskompetenzen in den Kriegs- und Domänenkammern und die behördlichen Strukturen im General-Direktorium die Definitionsmacht zur Bestimmung von „nützlichen“ Untertanen förderten, sind Schlüsselfragen zum beruflichen und persönlichen Selbstverständnis der beteiligten Beamten. Damit wird sich möglicherweise die Frage beantworten lassen, warum sich Teile der Beamtenschaft – in der Erweiterung der These von Hans Hattenhauer (1996) – auch in der Funktion als „Erzieher der [jüdischen, Anm. d. Verf.] Nation“16 darstellten und tätig wurden. Unter diesem Gesichtspunkt soll die Vorgeschichte zur (Wieder-)Einwanderung vertriebener jüdischer Migranten und die „Peuplierungspolitik“ in Preußen zur Werbung von „nützlichen Untertanen“ verstanden und dargestellt werden. Nach den zeitbedingten Geschäftsgängen votierten und diskutierten insgesamt über fünfzig preußische Beamte in zum Teil umfangreichen Einzel- oder Departementsgutachten die Eingaben der jüdischen Deputierten und die Entwürfe zur provinzialen und zur provinzübergreifenden preußischen Gesetzgebung. Variierend nach persönlichen/beruflichen Einstellungen/Ambitionen umfassten ihre Voten eine Spannbreite von kurzen Einverständniserklärungen bis zu ausformulierten „Sondermodellen“. Ihre Gutachten zu den Zielen und zur konkreten Paragrafierung und ihre hierin geäußerten Auffassungen zum Status und zu den Rechten und Pflichten der Untertanen/Bürger/Staatsbürger bilden die primären Quellen zur Beurteilung des Reformverlaufs und des Ergebnisses. Annegret Brammer (1987) kam in ihrer Forschungsarbeit zu dem Ergebnis, dass in der Legislative zum „Emanzipationsedikt“ (1808–1812) die Gutachten der Ministerialbeamten W. v. Humboldt, J. H. Schmedding, J. W. Süvern und G. H. 16 Hans Hattenhauer spricht von dieser Funktion der Verfasser des Allgemeinen Preußischen Landrechts in seiner Einleitung zum ALR. Die Beifügung stammt von der Verfasserin dieser Arbeit, die hier die jüdischen Untertanen in die These einschließt. Vgl. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliografie von Günter Bernert. Frankfurt a. M. 1996, Einleitung.
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Einleitung
Nicolovius (1809) aus dem Departement „Cultus und öffentlicher Unterricht“ drei prinzipielle Ziele zur Reform formulierten. Neben dem Ziel der „Verbesserung“17 der bisherigen Verfassung und der „absoluten Anpassung“18 benannte sie als drittes Prinzip auch das Ziel einer „bürgerlichen Emanzipation“.19 Darüber hinaus ist Annegret Brammer der Meinung, dass jede Zielsetzung für sich den Anlass für eine Reform begründet hätte.20 Zur zeitgemäßen Terminologie über die Anpassungsleistung der jüdischen Inländer gehörten die prozessbeschreibenden Begriffe „Amalgamation – Assimilirung“.21 Der Begriff „Amalgamation“22 stammte aus dem technischen Arbeitsbereich zur Metallgewinnung. Im Erzabbau und vorzugsweise in der Gold- und Silbergewinnung wurden die Metalle unter Zufügung von Quecksilber aus dem Erz gelöst. Der Vorgang der Amalgamation oder des Amalgami(e)rens bezeichnete den chemischen und künstlichen Prozess der Trennung von Verunreinigungen und Beimengungen, der Gewinnung des „reinen Metalls“.23 Der Vorgang entsprach also der Absicht, ein Edelmetall zu gewinnen. Assimilation (lat.: assimilatio) war aus dem naturwissenschaftlichen Bereich als „Ähnlichmachung/Aneignung“24 zu verstehen. Der Assimilationsprozess oder die „Assimili(e)rungs-Kraft“25 wandelte fremde in körpereigene Stoffe um. Nahrungsmittel galten in diesem Sinne als assimili(e)rbar. Nach diesen Definitionen besaß der Prozess der Assimilation und Amalgamation durchaus den Charakter der Identitätsauflösung. Welche konkreten Anpassungsleistungen formuliert und erwartet wurden, und welcher Maßstab tradiert, modifiziert oder unkritisch über den Zeitlauf der Gesamtdebatte zur Anwendung kam, wird anhand der Gutachten, Kommentare und Erläuterungen zu den Entwürfen deutlich werden. Ob die diskutierten Leistungen in die Gesetzgebung einflossen oder als actus privatus als nicht justiziabel angesehen wurden, wird die Untersuchung 17 Brammer, Annegret: Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preußen 1812–1857. Berlin 1987, S. 49. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Siehe zum Begriff „Amalgamation“ die Gutachten zum Entwurf von Minister Schroetter (1808) in Kap. 8.6 dieser Arbeit. Der Begriff „Assimili[e]rung“ wurde in den Gutachten nicht verwendet. Er stammt aus einer zeitgemäßen Schrift des Pädagogen Carl F. A. Grashoff: Einige Ideen zur Beantwortung der Frage: Wie läßt sich die Bildung einer Nation am leichtesten und sichersten auf eine andere übertragen? Berlin 1796. 22 Vgl. dazu Pierer: „Amalgamation“, Universal-Lexikon, Bd. 1, S. 389f., und Ersch/Gruber: „Amalgamation“. In: Dies. (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. 3. Theil. Leipzig 1819, S. 302. 23 Ersch/Gruber, Amalgamation, Allgemeine Encyclopädie, S. 303. 24 Pierer, Amalgamation, Universallexikon, Bd. 2, S. 266. 25 Ebd.
Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen
7
ergeben. Inwieweit also etatistische und utilitaristische Zielsetzungen zur inneren und äußeren Anpassung modifiziert, beibehalten oder aufgegeben wurden, ergibt der Vergleich der Gutachten und der maßgeblichen Reformentwürfe. Den Rahmen zu dieser Arbeit bilden die schriftlich fixierten und zur Kommentierung vorgelegten Reformentwürfe, also der frühe Entwurf von 1789, die Deklaration von 1792, die Entwürfe der Minister Schroetter (1808) und Raumer (1811), der Entwurf von Assessor Pfeiffer (1812) und das „Emanzipationsedikt“ (1812). Die provinzialen Sondergesetzgebungen für Breslau (1790), Süd- und Neuostpreußen (1797), die Aufhebung der Haftung in solidum (1801) und die kleinteiligen Gesetzesänderungen werden behandelt und erörtert, weil sich vermuten lässt, dass sie in der Summe der Paragrafen einen Trend zur Aufhebung/zur Bestätigung der friderizianischen Gesetzgebung darstellen. Die Petitionen (1787/1795) und Denkschriften (1787/1790) der Deputierten der Judenschaften werden ausführlich vorgestellt, weil sie Aufschluss über das Selbstverständnis der jüdischen Einwohner geben und als Quelle bereits den Beginn der politischen Emanzipation in den Diskussionen/Auseinandersetzungen mit den Souveränen/Beamten darstellen und den Gang der Legislative beeinflussten. Die Auseinandersetzungen mit den preußischen Gremien waren geprägt von langwierigen legislativen Prozessen, innerbehördlichen Direktiven, Ordern, unterschiedlichen Rechtstraditionen und Verfassungen, Arbeitsüberlastungen und Kompetenzstreitigkeiten, behördlichen und persönlichen Ressentiments und Befürchtungen, von Ignoranz und von gesellschaftlich-politischen Ausnahmezuständen. Wo dennoch und mit welcher Konsequenz eine Zusammenarbeit, eine Akzeptanz und Übernahme von Positionen der jüdisch-preußischen Delegierten und der behördlichen Funktionsträger zustande kam und sich über den Verlauf der Reform manifestierte oder als unauflösbarer Widerspruch der Interessen stehenblieb, wird die chronologisch relativ engmaschig angelegte Untersuchung zeigen. Sie berücksichtigt europäische Reformgesetze, weil diese ausdrücklich für die Eingaben der jüdischen Deputierten und die Entwürfe der Legislative herangezogen wurden. Gegenüber den Nachteilen dieser chronologischen Vorgehensweise wiegen die Vorteile schwerer: 1. Die kleinteiligen Gesetzeskorrekturen können auf diese Weise herausgearbeitet und vorgestellt werden. 2. Die sich wandelnden Motive und Zielvorstellungen der Funktionsträger werden in diesem Fall die linear gedachte Entwicklungslinie von Gesetzgebungsprozessen infrage stellen und nach den Gründen für entgegenlaufende Prozesse fragen. 3. Als Teil der gesamten preußischen Legislative kann die Reform im Kontext der staatlichen Reformen und im Wandel des politischen „Zeitgeistes“26 betrachtet und beurteilt werden. Dazu schreibt David Sorkin in 26 Dieser Begriff entstammt durchaus der zeitgemäßen Terminologie. Im Verlauf der Legislative wurde in verschiedenen Präambeln mit dem Hinweis auf den „Zeitgeist“ die Modifizierung der fri-
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Einleitung
seinem Aufsatz Juden und Aufklärung (1992), dass die „administrative Zentralisierung des Staates eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für das nächste Entwicklungsstadium nach der Duldung, die Emanzipation, [war]“.27 Die Vorbedingung für diese waren ein verändertes Judenbild und eine grundlegende Umstrukturierung von Staat und Gesellschaft.28 Diese Analyse schließt die Aufklärung als politische Bewegung in den Diskurs zur rechtlichen Gleichberechtigung ein, weil diese auch das Selbstverständnis der jüdischen Funktionsträger veränderte. Bereits in der Forderung nach der Zuerkennung von bürgerlichen Rechten und in der Auseinandersetzung mit den preußischen Beamten, den fast archetypischen Vertretern des Bildungsbürgertums,29 drückte sich ein neues Selbstverständnis aus. Die These, dass naturrechtlich fundierte Grundsätze per se die rechtliche Gleichbehandlung der jüdischen Untertanen einschlossen, wird auch anhand der älteren Literatur (Christian Thomasius, Christian Wolff) und der zeitgemäßen Gesetzgebungen im revolutionären Frankreich zu prüfen sein. Als Schriften und Ergänzungen werden die Autoren zitiert, die ihre Monografien/Aufsätze ausdrücklich den Souveränen/Staatsbeamten und damit der Legislative widmeten (Johann Georg Krünitz, 1786; Friedrich Buchholz, 1803; Friedrich v. Coelln, 1806) und für die Legislative genutzt wurden (Christian Wilhelm (v.) Dohm, 1781). Zeitgemäße Nachrichten und Artikel zur Reform (Politisches Journal, Hamburg 1789; Berlinische Monatsschrift, 1787, und Berliner Intelligenzblatt, 1807), Beschreibungen zum gesellschaftlichen Leben (Friedrich Nicolai, Madame de Staël, Friedrich Schleiermacher, Henriette Herz, Vicomte de Mirabeau) und spezielle Beobachtungen und Reiseberichte (A. Freiherr v. Knigge, 1788) ergänzen diese Quellen. Ein Teil dieser Autoren gehörte nach Werner Bergmann (2010) zu den Schriftstellern, Beamten, Philosophen und Theologen (Johann Gottlieb Fichte, Christian Ludwig Paalzow, Friedrich Buchholz, Karl Friedrich Grattenauer oder Friedrich Schleiermacher), die an den emanzipatorischen Vorstößen von Joseph II. („Toleranzpatente“, 1781/82) und C. W. v. Dohm „judenfeindliche Kritik übten“30 und darüber hinaus „vor der Schädlichkeit der Juden für den christlichen Staat warnten […] [und sich] in großer Schärfe gegen eine Emanzipation der Juden zu Wort meldeten“.31 Da der „Frühantisemitismus, Proto- oder vormoderne derizianischen Judengesetzgebung begründet. Siehe dazu im Besonderen Kapitel 7.3 dieser Arbeit. 27 Sorkin, David: Juden und Aufklärung. Religiöse Quellen der Toleranz. In: Beck, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in der europäischen Geschichte. München 1992, S. 50–66, S. 55. 28 Ebd. 29 Kost, Jürgen: Wilhelm von Humboldt. Weimarer Klassik. Bürgerliches Bewußtsein. Würzburg 2004, S. 189. 30 Bergmann, Werner: „Frühantisemitismus“. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3: Begriffe, Theorien, Ideologien. Berlin. New York 2010, S. 96–99, S. 96. 31 Ebd.
Fragestellung, Quellenauswahl und quellenkritische Überlegungen
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Antisemitismus“ bewegungsorientiert mit der „Germanomanie“ (1808) und der „Restauration“ (1815) gleichgesetzt wird, werden die oben genannten Autoren nur bedingt zu ihren Protagonisten gezählt. Dennoch gilt, dass die politischen Umbruchphasen und Neudefinitionen von Herrschaft, Staat und Gesellschaft auch während der Jahrhundertwende zu einer Skepsis gegenüber der Inklusion der Juden in die Gesellschaft führten. In der Reaktion erfolgte nach W. Bergmann die Umkehrung, die ideologische Exklusion, die religiös, wirtschaftlich-politisch, nationalistisch und protorassistisch motiviert war und die zur Modernisierung der traditionellen Judenfeindschaft und zum modernen Antisemitismus führte.32 Diese Kritik ist in Bezug auf die preußische Beamtenschaft nicht ohne Brisanz, denn letztlich äußerte in den preußischen Gremien oft nicht weniger als die Hälfte der Beamtenschaft wegen des „schädlichen Nationalcharakters“33 der Juden Bedenken gegen eine „Reform zur bürgerlichen Verbesserung“. Eine Antwort auf die Frage, ob diese Beamten ihre Behauptungen religiös, wirtschaftlich-politisch, völkisch-national oder biologisch-anthropologisch begründeten und/oder mit der Argumentation aus judenfeindlichen Schriften zu legitimieren versuchten, wird aus den schriftlichen Gutachten hergeleitet werden müssen. Auch Tobias Schenk (2010) geht in seiner Forschungsarbeit über die Wegbereiter der Emanzipation von der These aus, dass das preußische Beamtentum entgegen der historiografischen Interpretation der älteren Geschichtsschreibung und aufgrund moderner Frühneuzeitforschungen nicht mehr als Sachverwalter eines idealisierten Preußentums betrachtet werden kann. In der Praxis agierte die Beamtenschaft weder vernünftiger noch humaner als die Souveräne und stellte sich kaum als „Anhänger des modernen Naturrechts und Befürworter eines aufgeklärten Wohlfahrtsstaates“34 dar. Die in der Forschung oftmals angeführten Gutachten aufgeklärter Beamter aus der friderizianischen Epoche seien daher als Beweise für eine praktizierte Haltung kaum stichhaltig. Tobias Schenk geht dementsprechend von der unausgesprochenen These einer entweder nicht vorhandenen oder nicht umgesetzten persönlichen Einstellung der preußischen „aufgeklärten“ Beamten aus, die sich im Idealfall in einer Kongruenz zwischen persönlicher Haltung und behördlicher Politik ausdrücken müsste. Konkret werden daher die Fragen gestellt, inwieweit in der Beamtenschaft ein System gemeinsamer moralischer Werte und Rechtsnormen existierte und ob persönliche Werturteile, 32 Bergmann, Frühantisemitismus, S. 97. 33 Siehe dazu u. a. die Gutachten des Militärdepartements zum ersten Reformversuch (1789) in Kapitel 4.5 dieser Arbeit und die Gutachten des Generaldirektoriums, der Gesetzkommission und des Justizdepartements zur Petition der Berliner Ältesten (1795) in Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 34 Schenk, Tobias: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763–1812). Berlin 2010, S. 41.
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Einleitung
Absichten, Simplifizierungen und Reduzierungen als personalisiertes Politikmuster zur Ausgrenzung und Verweigerung der rechtlichen Gleichberechtigung benutzt wurden und mit offiziellen, tradierten oder aktuellen Arbeitsanweisungen zum juristischen Verfahren korrespondierten. Auch in diesem Fall lässt sich zugespitzt die Frage formulieren, ob als Voraussetzung für die Erteilung von „gleichen Rechten für gleiche Pflichten“ eine „philosemitische“ Haltung bei den Monarchen/Beamten notwendig war. Nach der älteren Forschungsmeinung von Ismar Freund (1912)35, Ludwig Geiger (1871–1890)36 und der jüngeren Forschung von Wilhelm Bringmann (2001)37 galt dieses Prädikat für Friedrich Wilhelm II., obwohl in seiner Regierungszeit (1786–1797) keine grundsätzliche und umfassende Aufhebung des friderizianischen General-Juden-Privilegs von 1750 stattfand. Diese erfolgte erst durch die Initiative von Minister Schroetter, der in seiner Amtszeit in Ostpreußen nicht als judenfreundlich bekannt war und der dennoch die Grundlage zur Fertigstellung des lang erwarteten preußischen „Emanzipationsedikts“ lieferte. Es ist also die Frage, ob das Adjektiv „philosemitisch“ gerade durch die bei Hans-Joachim Schoeps (1952) genannte enorme Bandbreite38 und der nach Michael Brenner (1993) quantitativen und nicht qualitativen Bewertung39 politisch anwendungsfähig und in diesem Fall auch aussagekräftig ist. Über den Entwurf Schroetters (1808), die Entwürfe Raumers (1811) und den Entwurf Pfeiffers (1811) hinaus blieben maßgebliche Paragrafen bis zur Redaktion des Edikttextes erhalten. Da Minister Schroetter in seinem Amt als Feind der Juden galt, stellen sich zwangsläufig die Fragen, aus welchen Motiven der Staatsminister die Initiative ergriff, welche Ziele er verfolgte, wie er sie verfassungsmäßig umsetzte und auf welchen Zu- und Widerspruch er traf. Albert Bruer (1992) spricht im Fall von Minister Schroetter von einer Wandlung, die, bedingt durch aktuelle Sachzwänge der großen Politik, die partielle Emanzipation für ihn, den König und die Konservativen am Hof rechtfertigte.40 In dieser Arbeit wird der Blick auf die Motive und Ziele gelenkt, die der Minister selbst erwähnte und die sich aus dem Zusammenhang seiner Erläuterungen ergeben. Im Anschluss werden die 35 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 35. 36 Geiger, Ludwig: Geschichte der Juden in Berlin, Bd. 1. ND Leipzig 1988, S. 147. 37 Bringmann, Wilhelm: Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797). Frankfurt a. M. [u. a.] 2001, S. 226. 38 Schoeps, Hans-Joachim: Philosemitismus im Barock. Religions- und geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952, S. 1. 39 Brenner, Michael: „Gott schütze uns vor unseren Freunden“ – Zur Ambivalenz des Philosemitismus im Kaiserreich. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1993, S. 174–199, S. 174. 40 Bruer, Albert A.: Geschichte der Juden in Preußen (1750–1820). Frankfurt a. M./New York 1991, S. 274.
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Paragrafen vorgestellt, die verbunden mit § 1 die Zielgruppe, den neuen Status als Staatsbürger, die Aufhebung der Sondersteuern, die Aussetzung der Militärpflicht, den Ausschluss vom Berufsbeamtentum und das Scheitern des § 27 aus dem Entwurf Schroetters zur Rechtmäßigkeit der jüdisch-christlichen Ehe fixierten und begründeten. Diese Auswahl repräsentiert das Spektrum der Paragrafierung und verdeutlicht neben der Aufhebung der bisherigen Lasten auch die Grenzen der rechtlichen Gleichberechtigung. In älteren Forschungen wurde im Besonderen die Beamtenschaft unter Staatsminister Hardenberg als „liberal und fortschrittlich“ kategorisiert, ohne die zeitabhängige Ambivalenz der Adjektive zu berücksichtigen. Nach Heinrich Escher (1863) galt die letztere Kategorie in erster Linie für die Wertung von Gesetzen. Als „fortschrittlich“ galten jene Gesetze, die primär „zur Hebung der Kraft und der Wohlfahrt der Nation“41 führen sollten. Diese Einschätzung galt auch für die Aufhebung der Militärdienstbefreiungen und die folgende Einführung der Militärpflicht. Ob sich also ein Fraktionsdenken und Handeln nachweisen lässt, das auch institutionell durch staatsrechtliche Prämissen vorgegeben wurde, wird der Vergleich zwischen den Gutachten, den übergeordneten Kabinettsordern, den existierenden Rahmenbedingungen zur Gesetzgebung und den Richtlinien unter der Stein-Hardenberg’schen Neuorganisation ergeben. Generell gilt für diese Arbeit, dass eine pauschale Beamtenkritik vermieden wird. Im Umkehrschluss handelt es sich hier ebenso wenig um eine apologetische Schrift zur Ehrenrettung der preußischen Beamten. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Reformtätigkeit und damit die Motiv- und Zielsetzung aller beteiligten Funktionsträger. Darunter sind in diesem Fall die preußischen Beamten und die Deputierten der preußischen Judenschaften zu verstehen. Anders als bei vielen neueren Forschungen wird in dieser Arbeit aus den älteren Forschungsarbeiten des 19. und 20. Jahrhunderts zitiert, da diese Arbeiten z. T. nur noch schwer zugänglich sind, in der modernen Forschung zwar in den Fußnoten angeführt, aber inhaltlich selten rezipiert werden, ist diese Ergänzung durchaus interessant und hilfreich. Die Dokumente, die zum Verständnis der entsprechenden Kapitel notwendig sind, befinden sich im Anhang. Der BiografienTeil umfasst die Personen, die entweder direkt als Beamte und Funktionsträger der Jüdischen Gemeinden an der Reform beteiligt waren oder von den Beamten in den entsprechenden Gutachten zitiert oder erwähnt wurden. Darüber hinaus werden auch die Personen genannt, die sich nach ihren zeitgemäßen Schriften als „Politikberater“ verstanden wissen wollten.
41 Escher, Heinrich: Handbuch der practischen Politik, Bd. 1. Leipzig 1863, Teil 1, Abt. 1, S. 11.
2 Vorgeschichte 2.1 Kurzer Überblick über die Kolonisierungspolitik in Brandenburg-Preußen nach dem Dreißigjährigen Krieg In der modernen Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts wurde die Bevölkerungspolitik der preußischen Regenten seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zu Friedrich II. auch als eine Form der „aktiven“1 Bevölkerungs- und Besiedlungspolitik verstanden. In dieser Kategorisierung stand das Adjektiv für die Tätigkeit der Souveräne/Behörden, die Bevölkerungspolitik durch gesetzliche Vorgaben zu regeln. Versteht man also das Adjektiv „aktiv“ ausschließlich als Tätigkeitsbeschreibung der Behörden, so sagt diese Kategorisierung noch nichts über die Motive und Ziele der Tätigkeit und über die Bedingungen für die Neusiedler aus. Durch die positive Konnotation der Tätigkeit „aktiv“ gerät daher in den Hintergrund, dass die Richtlinien zur Etablierung auch restriktive Bedingungen/Härten/ Verbote enthalten konnten oder sogar ein generelles Verbot für bestimmte Gesellschaftsgruppen aussprachen. Eine aktive Bevölkerungspolitik musste also nicht per se mit dem Wohl der Flüchtlinge/Neusiedler korrespondieren. Gleichwohl wird unter dem Begriff „aktiv“ auch eine Politik der Besiedlungshilfen und Fürsorgeprogramme verstanden, die sowohl für die Siedler als auch für die Staatsökonomie von Vorteil waren2 und die in der Regel durch entsprechende Aufnahmeedikte 1 Vgl. dazu Jersch-Wenzel, Stefi: Ausländer und Ausländerpolitik. In: Treue, Wilhelm (Hrsg.): Preußens großer König. Leben und Werk Friedrichs des Großen. Würzburg 1986, S. 119–129. Das Adjektiv „aktiv“ bezog sich in diesem Fall eher allgemein auf Handlungsstrategien des Staates gegenüber den Zuwanderern, die im o. g. Zusammenhang mit einer genauen Prüfung der Zuwanderung verbunden waren. Als Ziel konnte dementsprechend auch eine Limitierung der Einwanderung, eine Beschränkung der wirtschaftlichen Partizipation und der Etablierung beabsichtigt sein. Für die Zuwanderer wurden damit auch negative Existenzbedingungen bewirkt, die aus der Sicht der Betroffenen eher „restriktiv“ empfunden wurden und auch die ambivalente Seite dieser Politik aufzeigten. Das Adjektiv „passiv“ stellt in diesem Zusammenhang nicht das positive Pendant zu „aktiv“ dar. Die Duldung von Flüchtlingen entsprach nicht dem Schutz eines Privilegs. Siehe dazu auch Härter, Karl: Recht und Migration in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft. Reglementierung-Diskriminierung-Verrechtlichung. In: Beier-de Haan, Rosmarie (Hrsg.): Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500–2005. Berlin 2005, S. 50ff. 2 Siehe dazu auch Jersch-Wenzel, Stefi: Selbstverständnis und Akzeptanz. Zuwanderer vom Westfälischen Frieden bis zum Ersten Weltkrieg. In: Beier-de Haan, Zuwanderungsland, S. 72– 89. Hierunter wurde und wird eine geplante Einwanderungspolitik verstanden. Dazu gehörte die Informationsvermittlung durch Anwerber in den Gemeinde der Ausreisewilligen und die Bereitstellung von Hilfsgeldern und Gütern. Vgl. zum Thema Migration als Ausdruck der Mobilität und der Selbstverständlichkeit auch Schunka, Alexander: Konfession und Migrationsregime in der Frühen Neuzeit. In: Frevert, Ute/Oltmer, Jochen (Hrsg.): GG, Jg. 35, H. 1 (2009), S. 28–63.
Kurzer Überblick über die Kolonisierungspolitik in Brandenburg-Preußen
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auch für alle aufgenommenen Migranten geregelt wurde. Als „passive“ Zuwanderungspolitik ließe sich möglicherweise das Verhalten der staatlichen Behörden bzw. des Souveräns gegenüber den nicht privilegierten und nicht tolerierten, sich vielleicht auch nur vorübergehend im Land aufhaltenden „Fremden“ bezeichnen, die trotz der ungeklärten Statuten zu ihrem Aufenthalt nicht des Landes verwiesen wurden. Gedacht ist hier an eine Gruppe von siebzig polnischen Juden, die zur Zeit der Regentschaft von Kurfürst Friedrich Wilhelm aus Polen flüchteten, in Brandenburg Schutz suchten und deren Status nach den Untersuchungen von Moritz Stern während der Einreise der Wiener Juden auch durch Schutzbriefe legalisiert wurde.3 Für die Suche nach den Hauptmotiven und den entsprechend verordneten Verwaltungsstrategien zur Einwanderungspolitik der preußischen Souveräne sind diese Kategorien nur beschränkt zu verwenden, da die Quellen in Form von Edikten, Ordern, Mandaten, Privilegien etc. immer eine methodische Vorgehensweise gegenüber den Zuwanderern, also eine bewusste und beabsichtigte Politik in der Zuwanderungspolitik darstellten. Betrachtet man also die Gesetzgebung für die Zugewanderten und zum Teil schon seit der „Peuplierungs-Politik“4 des Großen Kurfürsten etablierten Neu-Einwohner Preußens, so lässt sich feststellen, dass die Gunst der Brandenburg-Preußischen Herrscher eng an die Erwartungshaltung gegenüber den Neusiedlern geknüpft war. Nach diesem Motiv der Bevölkerungspolitik wurde die Ansiedlung von Migrationsgruppen5 bevorzugt, die eine ökonomisch nützliche Umsetzung herrschaftlicher und staatlicher Interessen gewährleisten konnte. Das schließt nicht aus, dass die Mehrzahl der Migranten dankbar für ihre Aufnahme war und die Einwanderungspolitik über die Betroffenen auch eine menschliche Note bekam, in der der Landesherr als Beschützer der Verfolgten gelten konnte. Die Prämisse der gesamten preußischen Peuplierungspolitik bestand in der Anwerbung nützlicher Untertanen. Das Ziel war die Neubesiedlung ganzer Landstriche, die durch den Dreißigjährigen Krieg, Pest und Hunger
3 Stern, Moritz: Die Niederlassung der Juden in Berlin im Jahre 1671. In: Ders. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, H. 2. Berlin 1930, S. 131 und 142. 4 Brandenburg-Preußen war bereits seit dem 11. Jahrhundert ein Einwanderungsziel für Siedler aus den westlichen Landschaften des Reiches. Die Neusiedler wurden in der Regel mit eingeschränkten Rechten der Freizügigkeit (Eigentumsrecht, Recht auf persönliche Freiheit und freien An- und Abzug) ausgestattet. Vgl. dazu Lette, W. A.: „Ein- und Auswanderung“. In: Rotteck, Carl v./Welcker, Karl Theodor (Hrsg.): Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 5. Leipzig 1861, S. 1–19. Vgl. auch Bade, Klaus J./Oltmer, Jochen: Migration und Integration in Deutschland seit der Frühen Neuzeit. In: Beyer-de Haan, Zuwanderungsland, S. 20–49. 5 Der moderne Begriff „Migration“ umfasst alle Formen von Wanderungen, die aus unterschiedlichen Motiven, erzwungen oder „freiwillig“, zu verschiedenen Zeiten und unter differenten Bedingungen in Einzel-, Familien-, Religions- oder Volksgruppen stattfanden, und erscheint mir daher am passendsten für die Kurzbeschreibung.
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Vorgeschichte
weitgehend entvölkert waren.6 Die Grundlage der Neuansiedlungen bildeten der Aufbau merkantilistischer Strukturen und die damit verbundene Hoffnung auf aktive Selbstversorgung, eine positive Handelsbilanz und höhere Steuereinnahmen.7 Nach den Untersuchungen von Karl-Heinrich Kaufhold war die Wirtschaftspolitik des Kurfürsten „zu einem großen Teil Finanzpolitik mit dem Hauptziel, die Staatseinnahmen zu steigern, ein Ziel, das er bis zum Ende seiner Regierungszeit auch tatsächlich erreichte“.8 Die Migrantengruppen, die aus unterschiedlichen Gründen keine dauerhaft sesshafte Besiedlung betrieben oder betreiben durften, wurden von den Besiedlungsprogrammen ausgenommen. Ausdrücklich nicht erwünscht waren Arme, Bettler, Vaganten, Wanderjuden, Zigeuner oder sonstige „untüchtige Unterthanen“.9 Am deutlichsten demonstrierte Kurfürst Friedrich 6 Vgl. dazu auch die Monografie von Clark, Christopher: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947. München 2007, S. 52ff. Siehe zur späteren Besiedlung von Ostpreußen auch Walz, Rainer: Die Ansiedlung der Salzburger Emigranten in Ostpreußen. In: Militzer, Klaus (Hrsg.): Probleme der Integration im Preussenland vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Marburg 2005, S. 105–140. Siehe zur Migration im Hzt. Preußen und speziell in den Städten Königsberg, Thorn und Kulm auch die weiteren bei Militzer veröffentlichten Aufsätze. Vgl. auch Bade, Klaus J./Oltmer, Jochen: „Deutschland“. In: Bade, Klaus J. (Hrsg.): Enzyklopädie. Migration in Europa. München 2007, S. 141–170, S. 141–145. 7 Siehe zur brandenburgischen Politik Menger, Christian-Friedrich: Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Heidelberg 1986, S. 61ff. 8 Kaufhold, Karl-Heinrich: Statistik und brandenburg-preußischer Staat. 1650–1850: Organisation und Entwicklung. In: Kloosterhuis/Neugebauer (Hrsg.): Krise, Reformen – und Finanzen. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2008, S. 65. Vgl. dazu auch Hüttl, Ludwig: Friedrich Wilhelm von Brandenburg: Der Große Kurfürst 1620–1688. Eine politische Biographie. München 1981, S. 51–65. 9 Karl Härter zitiert hier beispielhaft aus einem Protokoll des Mainzer Hofrats von 1776. Härter, Karl: Recht und Migration in der Frühneuzeitlichen Ständegesellschaft. Reglementierung-Diskriminierung-Verrechtlichung. In: Beier-de Haan, Zuwanderungsland, S. 50–71, S. 50. Auch in Brandenburg-Preußen wurden zum Aufbau des Landes vorzugsweise gelernte Arbeiter und vormals tätige Bauern gesucht. Wenn Beheim-Schwarzbach emphatisch schreibt, „dass die Thore Brandenburgs für eine neue zahlreiche Bevölkerung aller Gattungen offenstanden“, ist das nur die positive Betonung einer Teilwahrheit. Zit. n. Beheim-Schwarzbach, Max: Hohenzollernsche Colonisationen. Ein Beitrag zu der Geschichte des preußischen Staates und der Colonisation des östlichen Deutschlands. Leipzig 1874, S. 36. Die Abwertung des „Nichtstuns“ findet ihre stärkste Ausprägung in der Zeit der Reformation, in der die Aufwertung der Arbeit gleichfalls als Ausdruck eines gottgefälligen Lebens betrachtet und das Betteln als Recht des Armen und das Almosengeben als gottwohlgefällige Geste des Reichen verworfen wurde. Das Gewicht der Beurteilung von Arbeit verlagerte sich von einer zwar immer noch notwendigen Tätigkeit zum Erhalt des Lebens hin zu einer erziehenden und für den Menschen zwecks seiner moralischen Vervollkommnung notwendigen Tätigkeit. Insbesondere in den calvinistischen und lutherischen Ländern galt die Einrichtung von „Schaff- und Zuchthäusern“ als gelungene Kombination der wesentlichen Bestimmungsgründe des Menschen. Vgl. dazu Conze, Werner: „Arbeit“. In: Brun-
Kurzer Überblick über die Kolonisierungspolitik in Brandenburg-Preußen
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Wilhelm (1640–1688)10 seine Sympathie gegenüber den französischen Réfugiés. In seinem Potsdamer Aufnahmeedikt (1685),11 das er als Reaktion auf das französische Edikt von Fontainebleau12 drei Wochen später erließ, garantierte er den protestantischen Franzosen für den Fall ihrer Übersiedlung nach Brandenburg/ Preußen u. a. Transporthilfen, freie Niederlassung, Freiheit von Einquartierungen und vom Militärdienst, kostenlosen oder ermäßigten Erwerb von Grundstücken und staatliche Unterstützung bei der Errichtung von Manufakturen. Die insgesamt vierzehn Artikel umfassende Erklärung garantierte die Beneficia und Vorrechte für eine Dauer von sechs bis zehn Jahren. Die Zahl der aufzunehmenden Migranten wurde nicht festgelegt. In den Werbungsschriften an die französischen Protestanten gab es keine zahlenmäßige Beschränkung der Neusiedler. Nach den Untersuchungen von Stefi Jersch-Wenzel (2005) waren an der Gewinnung der kenntnisund fertigungsreichen Franzosen, die aus einem prosperierenden und kulturell überlegenen europäischen Land kamen, neben den deutschen Territorialstaaten fast alle europäischen Länder interessiert.13 In Brandenburg/Preußen siedelten ner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, S. 154–242, S. 163ff. Siehe unter anderem auch die erlassenen preußischen Edikte gegen Landstreicher und „herrenloses Gesindel“. In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., Nr. 1 (1565), Nr. 2 (1567), Nr. 4 (1573), Nr. 5 (1574), Nr. 6 (1584), Nr. 15 (1615), Nr. 20 (1670), Nr. 21(1672), Nr. 22 (1680), Nr. 23 (1682), Nr. 25 (1687), etc. 10 Vgl. dazu Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 29–94. 11 Churbrandenburgisches Edict, betreffend diejenigen Rechte, Privilegia und andere Wohlthaten, welche Se. Churf. Durchlaucht zu Brandenburg denen Evangelisch-Reformirten Frantzösischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden, wegen der Jurisdiction und sonst, daselbst zu verstatten gnädigst entschlossen seyen. Potsdam 29. October 1685. Das Edikt ist auch in französischer Sprache publiziert worden: Recueil Des Edits, Ordonnances, Règlements Et Rescrits Contenant Les Privilèges Et Les Droits Attribués Aux Françoises Réfugiés Dans Les Etat Du Roy De Prusse. In: Mylius, C.C.M., 6. Teil, Sp. 43ff. Siehe dazu auch Wilke, Jürgen: Rechtsstellung und Rechtsprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685–1809). In: Thadden, Rudolf v./Magdelaine, Michelle (Hrsg.): Die Hugenotten. München 1985. 12 Das französische Edikt von Fontainebleau (1685), erlassen von Louis XIV., beinhaltete ein Verbot der Praktizierung jeder protestantischen Religion, öffentlich wie privat. Damit wurde das knapp hundert Jahre zuvor gegebene Gesetz von Nantes, das den Religionsfrieden sichern sollte, aufgehoben. Das Edikt von Nantes (1598) manifestierte das Ende der sechzig Jahre andauernden Hugenottenkriege, in denen zehntausende Réfugiés Frankreich verlassen hatten. Unterzeichnet von Heinrich IV. garantierte es den französischen Protestanten religiöse Toleranz, aber keine uneingeschränkte öffentliche Religionsausübung (z. B. in den Städten mit und ohne Bischofssitz) und kein volles Bürgerrecht. Letztendlich bestätigte das Edikt den Katholizismus in seinem Status als alleinige Staatsreligion. 13 Vgl. dazu Jersch-Wenzel, Stefi: Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/ Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus. Berlin 1978, 29ff. In einem dänischen (3. Februar 1685) und einem englisches Edikt (5. März 1685) war bereits vor Fontainebleau mit Vergünstigungen und garantierten Rechten um französische Réfugiés geworben worden. Vgl. dazu Klingebiel,
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Vorgeschichte
sich 20.000 Hugenotten an, das entsprach etwas weniger als der Hälfte der insgesamt ca. 44.000 französischen Glaubensflüchtlinge, die sich in deutschen Ländern niederließen.14 Unter Kurfürst Friedrich III./König Friedrich I. (1688–1713)15 wurden alle preußisch-französischen Kolonieangehörigen naturalisiert und dem Status der geborenen „Teutschen Unterthanen“16 gleichgestellt. Ihre privilegierte Stellung als Réfugiés behielten die Hugenotten und waren damit aufgrund ihrer Vergünstigungen privilegierter als die gemeinen Untertanen. Proteste und Widerstände der einheimischen Bevölkerung, die in deutlichem Widerspruch zu der garantierten Aufnahmebereitschaft und Zusage der Landesherrschaft standen, formulierten sich daher sowohl gegen die Hugenotten als auch gegen alle anderen zugereisten „Fremden“. Die spätere Geschichtsschreibung bemühte sich, diese Widersprüche zu glätten, auch zu Gunsten der eigenen Legendenbildung.17 Die Erlaubnis zur Einwanderung wurde nicht nur dogmatisch nach der Religionszugehörigkeit der Herrscher ausgerichtet. Die Frage nach dem Bekenntnis stand stellvertretend für die Bestimmung von Herkunft, Abstammung, Sitte und Kultur, um letztlich die tatsächlich wichtige Frage nach der Arbeitsmoral zu beantworten. Alle reformierten, auch puritanisch geprägten Gruppen aus wohlhabenden Staaten oder Landstrichen, die ihren arbeitsamen, sittlichen und ökonomisch erfolgreichen Lebensstil religiös fundiert hatten, mussten in diesen Bewertungen zufriedenstellend abschneiden. Thomas: Die Hugenotten in der frühmodernen Migrationsgeschichte. In: Beneke, Sabine/Ottomeyer, Hans (Hrsg.): Zuwanderungsland Deutschland. Die Hugenotten. Berlin 2005, S. 11–16. Vgl. auch Dölemeyer, Barbara: Aufnahme und Integration der Hugenotten im europäischen Refuge. In: Beneke/Ottomeyer, Zuwanderungsland, S. 35–44. 14 Insgesamt verließen ca. 200.000 Glaubensflüchtlinge Frankreich. Vgl. dazu Klingebiel, Hugenotten, S. 14. 15 Siehe dazu Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 99–152. Auch unter Kurfürst Friedrich III./König Friedrich I. siedelten sich Waldenser, Pfälzer, Schweizer und Mennoniten in Preußen an. Siehe Jersch-Wenzel, Stefi: Selbstverständnis und Akzeptanz. Zuwanderer vom Westfälischen Frieden bis zum Ersten Weltkrieg. In: Beier-de Haan, Zuwanderungsland, S. 72–89, S. 72. 16 Zit. nach „Sr. Königl. Majestät in Preußen allergnädigstes Edict, Kraft dessen alle, in Dero Landen, sich befindende, und künftig ankommende, wegen der Protestantischen Religion, vertriebene frantzösische, und andere Refugirten, naturalisiret, und denen gebohrenen Teutschen Unterthanen, egalisiret werden“(13. Mai 1709). In: Mylius, C.C.M., 6. Teil, 2. Abt., Nr. 48, Sp. 97ff. Siehe dazu auch die Sammlung der Edikte zu Zuwanderern aus der Schweiz und die weiteren Edikte für die Réfugiés. Ebd. 17 Vgl. dazu Reinke, Andreas: „Man fügt ihnen unendlich Schmach zu.“ In: Beneke/Ottomeyer (Hrsg.): Zuwanderungsland Deutschland. Die Hugenotten. Berlin 2005, S. 65–72. Siehe dazu u. a. die Klagen der Réfugiés über „Beleidigungen in Wort und Tat“, die von Frauen, Kindern und Dienstboten der Hallenser Bürger ausgingen. Ebd., S. 67. Nach den Untersuchungen von Andreas Reinke gingen die Widerstände quer durch alle Bevölkerungsschichten, Berufsgruppen und politischen Institutionen. Ebd., S. 65.
Kurzer Überblick über die Kolonisierungspolitik in Brandenburg-Preußen
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Kamen sie nach langen und teuren Reisen auch mittellos in Brandenburg-Preußen an, lohnten sich Investitionen und Unterstützungen schon aufgrund der bisherigen europäischen Erfahrungen mit den erfolgsorientierten Neusiedlern, die auch mit dem nötigen „Know-how“ ausgestattet waren.18 In der Arbeitsmigration19 lief die berufliche Identifikation bis zum Ende der aktiven Kolonisierung unter Friedrich II. auch über die Abstammung/Nationalität: Sachsen wurden als Weber und Pfälzer als Tabakpflanzer für das Land angeworben und sollten ausschließlich in diesen Berufsfeldern tätig sein.20 Diese Festschreibung der Kategorisierungen über Generationen hinaus führte Mitte des 19. Jahrhunderts dazu, dass Friedrich II. die Verantwortung für den Ursprung der Proletarisierung der schlesischen Weberfamilien zugesprochen wurde.21 Gezielte Einwanderungen, die als Hauptziel das Gewerbe stärken und bewusst als Maßnahmen der Gewerbepolitik wirken sollten, betrieb Friedrich Wilhelm I. ebenso wie Kurfürst Friedrich Wilhelm. Nach der Geschichte zu den Hohenzollernschen Kolonisationen von BeheimSchwarzbach war Friedrich Wilhelm I. nur „leidlich tolerant“22 und ein Feind von rationalistischen und deistischen Anschauungen. Jedoch förderte er in seiner Regierungszeit die Arbeitsmigration, in der das Bekenntnis – im Gegensatz zur Politik seines Großvaters – kaum eine Rolle spielte, wenn ökonomische oder militärische Interessen wahrgenommen werden sollten. So warb er als Spezialisten für die Gewehrfabriken in Spandau und Potsdam katholische Facharbeiter aus Lüttich 18 Siehe dazu Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 29ff. Siehe zur Förderung und Privilegierung der Einwanderer auch Rachel, Hugo: Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik BrandenburgPreußens. In: Acta Borussica, Bd. 1 (1986/1987), S. 732ff. 19 Saisonale Wanderungen von Arbeitern und ganzen Arbeiterklassen galten als praktizierte und akzeptierte Form der Nationalökonomie. In der Landwirtschaft arbeiteten Landarbeiter, Knechte, Mägde und Kinder in periodisch wiederkehrenden Erntearbeiten. Spezialisten in der Fabrikation galten ebenfalls nur als vorübergehend Beschäftigte und bildeten z. T. auch einheimische Arbeitskräfte in ihrem Metier aus. Der moderne Ausdruck „Arbeitsmigration“ beschreibt in diesem Zusammenhang das Motiv und den Sinn der (Ein-)Wanderung nach Preußen, die jedoch nicht zur Sesshaftigkeit führen musste. 20 Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 287. 21 Beheim-Schwarzbach entlastet Friedrich II. von diesen Vorwürfen. Er schreibt diese Schuld den Nachfolgern Friedrichs II. zu, die den, seit zweiter und dritter Generation im Land lebenden, Weberfamilien weder Unterstützung noch Aufmerksamkeit schenkten und die Fürsorgepflicht an die Großkirchen delegierten. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, 2. Kap.: Friedrichs Colonisation in Schlesien, S. 308ff. 22 Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 158. Siehe allgemein zu Friedrich Wilhelm I. u. a. Beck, Friedrich/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Der Soldatenkönig. Potsdam 2003. Siehe zur Politik von Friedrich Wilhelm I. bezüglich Gewerbe, Handel und Landwirtschaft auch Kathe, Heinz: Der „Soldatenkönig“. Berlin/DDR 1976. Siehe auch die Bibliografie zu Friedrich Wilhelm I., zusammengestellt von Gabriele Jochums (2005), erschienen in Berlin im Selbstverlag des GStA PK.
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an, denen er einen eigenen religiösen Beistand und eine Kirche bewilligte.23 Diese Form der Arbeitsmigration hatte bereits knapp hundert Jahre früher auch Kurfürst Friedrich Wilhelm praktiziert. Sie galt u. a. für niederländische Spezialisten, die den Kanal- und Schleusenbau, den Festungsbau und die Stadterweiterungen vorantrieben und nach Vollendung ihrer Aufträge in die Niederlande zurückkehrten. Feste und dauerhafte Niederlassungen bildeten u. a. die bäuerlichen Familien aus Holland, die z. B. in Oranienburg, Tangermünde, Cremmen, Chorin oder Neuholland bei Liebenwalde das Land durch Damm- und Grabenbau entwässerten und die von Friedrich Wilhelm I. ausdrücklich gewünschte milchwirtschaftlich orientierte Viehzucht intensivierten und die Kunst der Käsezubereitung auch in Brandenburg zur Reife brachten.24 Eine zahlenmäßige Angabe zur Größe der anzuwerbenden Neusiedler findet sich z. B. in einem Patent von Friedrich Wilhelm I. vom 11. Februar 1724. Dort wurden „noch mehrere Handwerker von allerhand Profession“25 und vierhundert bäuerliche Familien gesucht, die im Ackerbau und der Viehzucht kundig sein sollten. Während die genauen Angaben für die Siedlerfamilien auf eine bestimmte Größe und damit auf ein bereits ausgesuchtes Siedlungsgebiet hinweisen, lassen die Angaben zu den Handwerkern keine Schlussfolgerung auf ihre neue Heimat zu. Generell gab das Patent Preußen als Siedlungsgebiet an, auch wenn die Adressaten speziell in Ostpreußen siedeln und arbeiten sollten. Friedrich II. (1740–
23 Siehe dazu Laumann, Horst W.: Königlich Preußische Gewehrfabrik Potsdam-Spandau. In: Deutsches Waffenjournal. Nr. 6, Schwäbisch Hall 1981, S. 840–847. Siehe dazu auch Herzberg, Erika: Preußische Manufakturpolitik unter Friedrich Wilhelm I. In: Beck/Schoeps, Soldatenkönig, S. 176ff. Siehe zu den Bemühungen von Friedrich Wilhelm I. (1723) spezielle Arbeitskräfte (z. B. Wollarbeiter, Tuch- und Strumpfmacher) aus bestimmten Regionen (Hessen, Schweiz, Hamburg und Frankfurt a. M.) ins Land zu ziehen auch Hinrichs, Carl: Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. In: Acta Borussica: Wollindustrie (1986/87), S. 142, S. 403. Siehe auch die Handschrift von Friedrich II. zu den Ausschweifungen der Arbeiter der Kgl. Gewehrfabrik in Spandow (Spandau) „teutscher und vallonischer Nation“ vom August 1765. Erwähnt bei Wallich, Paul: Urkunden und Aktenstücke. Manuskripte und Drucke. Zeitungen und Adressbücher zur Geschichte Brandenburg-Preußens insbesondere zur Wirtschafts- und Familiengeschichte Berlins. Als Manuskript gedr. in Potsdam 1938, Nr. 32, S. 23. 24 Vgl. dazu die detaillierte Schilderung in den Selbstzeugnissen der Siedler. In: Peters, Jan/ Harnisch, Hartmut/Enders, Lieselott (Hrsg.): Märkische Bauerntagebücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Selbstzeugnisse von Milchviehbauern aus Neuholland. Weimar 1989. Siehe zu den merkantilistischen Gründen bezüglich der Peuplierungspolitik auch Kathe, Soldatenkönig, gedr. in der Lizenzausgabe des Akademie-Verlages Berlin/DDR. 25 Wiederholtes Patent. Daß noch mehrere Handwercker von allerhand Professionen, wie auch 400 Familien arbeitsamer Leute/so des Acker-Baues und der Vieh-Zucht kundig/Nach Preußen verlanget werden/Und was sie für douceurs geniessen sollen. De dato Berlin/den 11. Februarii 1724. Gedr. bei Jersch-Wenzel, Selbstverständnis und Akzeptanz, S. 80.
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1786)26 hatte seine preußischen Staaten in den beiden Schlesischen Kriegen und dem Siebenjährigen Krieg von knapp 119.000 km² auf knapp 195.000 km² 27 vergrößert. Die Einwohnerzahl der alten und neuen Provinzen war durch die andauernden Kriege und Verheerungen um über 400.000 Menschen, mehr als ein Zehntel der Bevölkerung, verringert worden.28 Mit Hilfe der Kolonisation, der Eroberung und der Gebietszugewinne durch die 1. Teilung Polens (1772) stieg die Zahl der preußischen Einwohner auf knapp 5.500.000 an.29 In seiner Ansiedlungspolitik orientierte sich Friedrich II. an der Peuplierungspolitik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm und siedelte ca. 50.000 neue Kolonisten allein in der Kurmark sowie bis zu 400.000 in der Neumark, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen und Schlesien an.30 Bis in die 70er-Jahre des 18. Jahrhunderts warb er zwecks Bewirtschaftung entsiedelter Gebiete oder Kultivierung ackerbaulich bisher nicht genutzter Landstriche Angehörige bereits angesiedelter religiöser Gemeinschaften, spezielle Arbeitsmigranten, Bauernknechte/ Soldaten und bäuerliche Familien aus Polen, Sachsen und Österreich als Arbeiter für Manufakturen an.31 Nach Beheim-Schwarzbach wurde die Kolonisierung „zum Steckenpferd des Königs“,32 auch weil er als Physiokrat33 den Wohlstand 26 Siehe zur umfangreichen Kolonisation unter Friedrich II. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 265–427. 27 Die Zahlen sind aufgerundet und stammen von Brunschwig, Henry: Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Berlin 1975, S. 189. 28 Siehe zur schlesischen Wirtschaftslage den zeitnahen Bericht „Über das Landwirtschaftliche System in Schlesien“, der 1777 anonym in der David Siegertischen Buchhandlung (Liegnitz/ Leipzig) erschien. Der Autor schilderte in seinem Aufsatz die Situation vor, während und nach dem Krieg. In einem 8-Punkte-Programm beschrieb er die Gründe, Auswirkungen und die möglichen Lösungen für den landwirtschaftlichen Abstieg und den erhofften Aufstieg Schlesiens. Die bisherigen politischen Hilfsmittel kommentierte er kritisch und sachverständig am Beispiel des „eisernen Briefes“, gegeben von Friedrich II. zur Entlastung der verschuldeten Gutsbesitzer. 29 Vgl. dazu auch die sonstigen Zahlen bei Brunschwig, Gesellschaft, S. 189. So berichtet der Autor von gestiegenen Geburtenziffern trotz der Kriege, der Hungersnöte 1771/72 und des extrem kalten Winters 1783/1784. Ebd. 30 Vgl. dazu Jersch-Wenzel, Selbstverständnis, S. 81. 31 Ebd. 32 Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 265. 33 Physiokratismus (griech. Naturherrschaft) eine, im 18. Jahrhundert von François Quesnay entwickelte Wirtschaftstheorie, die den Naturrechtsgedanken (Harmonie des natürlichen Zusammenwirkens von Mensch und Natur) auf die wirtschaftliche Ordnung anwandte und ihr den höchsten Wert innerhalb der Ökonomie zusprach. Mit dem Inhalt der Lehre ist allerdings auch die Ablehnung jeder staatlichen Lenkung/Protegierung in der Landwirtschaftsökonomie verbunden. Da Friedrich II. jedoch aktiv in den landwirtschaftlichen Anbau eingriff, wäre er laut Definition nur bedingt als Physiokrat zu zählen. Vgl. dazu Beheim-Schwarzbach, der diesen Begriff in Zusammenhang mit Friedrichs II. Ambitionen benutzte, Beheim-Schwarzbach,
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des Landes am Reichtum des Bodens bemaß. Den Migranten sicherte er befristete steuerliche Befreiungen, Freiheit von der Musterungsrolle, konfessionelle Toleranz, begrenzte Selbstverwaltung und bauliche Hilfen zu. Über die Reaktionen der einheimischen Bevölkerung gibt Friedrich II. selbst Auskunft. Nach seinen Worten reagierte die einheimische Bevölkerung „boshaft“34 und unfreundlich auf die Neusiedler. Seinerseits reagierte Friedrich II. mit einer Fürsorgemaßnahme zu Gunsten der Kolonisten und ermahnte auch die staatlichen Ausführungsorgane, die die zugesagten Unterstützungen wiederholt verschleppt oder gar nicht geleistet hatten. In mindestens drei Edikten und über einen Zeitraum von fünf Jahren merkte Friedrich II. wiederholt an, dass es immer noch „gewissenlose Leute gäbe, die ihnen [den Fremden, Anm. d. Verf.] ihren Aufenthalt verhasst machen“.35 Er befahl daher seinen Untertanen, den Land- und Steuerräten, den Magistraten und Kreisen, „daß alle einzelnen Fremden wohl aufgenommen, von jedermann höflich und freundlich begegnet und ihnen zu ihrem Unterkommen alle Willfährigkeit bewiesen werden solle, ohne Ausnahme und sondern Unterschiede der Religion, sollten sie wohl aufgenommen und sorgfältig geschützt werden“,36 und drohte im Falle der Nichtbeachtung seines Befehls mit Festungshaft. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Zusagen und Garantien des Herrschers nicht die gesellschaftliche Realität der Beziehungen zwischen Einheimischen und Zugereisten widerspiegelten und sich die Akzeptanz der zukünftigen Nachbarschaft aus der Zusage des Souveräns nicht zwingend ableiten ließ. In der Provinz Schlesien, im Ersten und Zweiten Schlesischen Krieg (1740–1742, 1744–1745)37 durch Preußen fast vollständig erobert und stark verwüstet, variierte Hohenzollernsche Colonisationen, S. 266. Siehe auch Priddat, Birger P.: „Physiokratie“. In: Jaeger, F. (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 9. Stuttgart 2009, Sp. 1188–1194 und Gerteis, Klaus: Physiokratismus und aufgeklärte Reformpolitik. In: Aufklärung, Jg. 2, H. 1 (1987), S. 75–94. 34 GStA PK, I. HA Gen.-Dep.: Acta Generalis, Tit. XXXVII, Col. Sach. Nr.1. 35 Es handelt sich hier um die beiden Edikte vom 23. 11. und 14. 12. 1765 und das gleichlautende Edikt vom 5. 3. 1770. In: GStA PK, I. HA Gen.-Dep. Acta Generalis, Tit. XXXVII, Colon. Sach., Nr. 1. 36 Edikte vom 23. 11. und 14. 12. 1765 und das gleichlautende Edikt vom 5. 3. 1770. In: GStA PK, I. HA Gen.-Dep.: Acta Generalis, Tit. XXXVII, Colon. Sach., Nr. 1. 37 Die Schlesischen Kriege waren Erbfolgekriege, in denen Friedrich II. die Ansprüche der österreichischen Kaiserin Maria Theresia bestritt und seine Truppen in die schlesischen Fürstentümer Liegnitz, Brieg etc. einmarschieren ließ. Siehe dazu die bekannten umfangreichen Gesamtdarstellungen zur preußischen Geschichte. Vgl. dazu auch Droysen, Johann Gustav: Die preußischen Kriegsberichte der beiden schlesischen Kriege. Berlin 1876; Meyer, Hermann: Die Kriege Friedrichs des Großen. Teil 1. Berlin 1904. Siehe dazu auch aus Sicht der Militärausbildung Renner, Karl: Maria Theresia von Österreich und Friedrich der Große von Preußen. Geschrieben zur Vorbereitung auf das Studium der drei Schlesischen Kriege. Glogau 1830. Vgl. dazu auch Duffy, der dazu kritisch bemerkt, dass Friedrich II. trotz aller Unklarheiten zur Schuldfrage als „Haupturheber von Gewalt“ in die zeitgemäße Geschichte Mitteleuropas einging. Duffy, Christopher:
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der Aufgabenbereich der Neusiedler. Hier sollten die Neu-Kolonisten, vorwiegend angeworbene fleißige Ausländer, neben dem Anlegen von Dörfern und der Bebauung „wüster“ Stellen auch beim Bau von Schanzen und den „Aufeisungen“ von Festungen mitarbeiten.38 Aspekte einer Germanisierungspolitik, wie sie in der späteren Geschichtsschreibung zum Ende des 19. Jahrhunderts u. a. bei BeheimSchwarzbach unter diesem Stichwort beschrieben werden, sind hier allerdings nicht zu erkennen.39 Um den Staatshaushalt von den Kosten für die Neusiedler deutlich zu entlasten, installierte Friedrich II. ein Novum in der Einwanderungspolitik Brandenburg-Preußens und privatisierte die Kolonisation. Je nach Anlass und königlicher Order konnten die Träger und die Bedingungen der Kolonisierungsmaßnahmen erheblich differieren und basierten auf folgenden Modellen: a) Die Kolonisierung wurde auf Anordnung des Königs und mit dem Versprechen staatlicher Unterstützung an Privatleute delegiert oder b) als Privatinitiative vermögender Grundbesitzer mit persönlichem religiösem Hintergrund oder besonderer Sympathie für bestimmte Gemeinden von Glaubensflüchtlingen in Eigenleistung finanziert oder c) als Ersatzleistung für den Vollzug eines Strafurteils geleistet oder d) an Stifte und Klöster zur Unterstützung der Neusiedler delegiert.40 Die vormaligen Besitzer bzw. Verpächter hatten das vorgesehene Land entsprechend vorzubereiten, zu vermessen, zu parzellieren, Brunnen zu bohren und Bauholz und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen. Friedrich II. beendete seine aktive Einwanderungspolitik Ende der 70er-Jahre des 18. Jahrhunderts und gewährte in der Mehrzahl die Verlängerung von Patenten nur an Siedlergemeinschaften, die bereits im Land lebten und arbeiteten. Das „Gnadenprivileg“41 für die Mennoniten bestätigt Frederick The Great. A military Life, London 1985, S. 130. Seine Kriegführung und sein Umgang mit den Mannschaften waren durchsetzt von Formen des Fatalismus, der Lebensverachtung und des Überdrusses. Duffy, Frederick, S. 308ff. 38 § 9 der „Declaration, nach welcher in Schlesien an schicklichen Orten neue Dörfer erbaut werden sollen […]“ (18. August 1773). Gedr. bei Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 314–317, S. 316. „Aufeisungen“ steht hier für die Aus- oder Aufrüstung der Festungen mit Gewehren und Kanonen (aus Eisen). 39 Die Neusiedlergruppen waren durchaus gemischt. Es handelte sich hier um Polen ebenso wie um Böhmen oder Schwaben. Eine „rein“ deutsche Migration fand nicht statt. Das schließt wiederum nicht aus, dass junge, ungebundene Männer ab 24 Jahren bevorzugt für die Ansiedlung in den entvölkerten Dörfern als Bauern/Ersatzsoldaten ausdrücklich gesucht wurden. 40 Zusammengefasst nach Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 283ff. Siehe dazu auch die Literatur zu Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760), dem größten Förderer der Brüdergemeinen. Siehe dazu auch Dithmar, Christiane: Zinzendorfs nonkonformistische Haltung zum Judentum. Heidelberg 2000. 41 Die Beurkundung weitgehend freiheitlicher Rechte für zugereiste Siedlergemeinschaften findet sich als erteiltes Privileg in einem Freiheitsbrief des ungarischen Königs Andreas II. für die Siebenbürger Sachsen zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Es beinhaltete die Festlegung der Steuer,
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diese Annahme und stellt gleichzeitig durch seinen Charakter eine Besonderheit dar. Die Mennoniten hatten seit dem 16. Jahrhundert in den Landschaften von Westpreußen und dem Netzedistrikt gesiedelt und sich als vorbildliche Bauern erwiesen.42 Im Land um Marienburg und Elbing besaßen sie am Haff und vor allem südlich von Elbing große Gebietsanteile, die sie selbst nutzbar gemacht hatten. Nach der ersten Teilung Polens (1772)43 hatte Preußen das Gebiet okkupiert und für die zukünftige Kolonisierung vorgesehen, dass nur fleißige und gelernte Arbeiter, die sich „vernünftig und gesittet„44 benehmen konnten und die Umwandlung eines „Stückchens Anarchie“45 in einen besseren Stand vollbringen konnten, staatlich unterstützt werden sollten. Diesen Anspruch hatten die Mennoniten in der Vergangenheit sowohl unter polnischer wie preußischer Herrschaft erfüllt. In einem Edikt von Wladislaus IV. vom 22. Dezember 1642 bescheinigte ihnen der König von Polen quasi öffentlich, dass sie „wüste Oerter bezogen, mit vielen Kosten und Mühen bebauet, Gesträuche ausgerottet, Wassermühlen gebauet, Sümpfe ausgetrocknet […], Dämme angelegt, […] und ihren Nachkommen ein Beyspiel sonderbaren Fleisses hinterlassen hatten“46 und gewährte ihnen fiskalische und militärische Freiheit. Nach den zeitgenössischen Untersuchungen von Heinrich L. Benthem zur die freie Wahl von Pfarrern und Richtern und den obligatorischen Kriegsdienst. Vgl. dazu speziell den Artikel von Bak, Janos M.: „Privilegium Andreanum“. In: Angermann, Norbert (Hrsg.): Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 (1995), Sp. 228. Siehe dazu auch Heinig, Paul-Joachim: „Städtische Privilegien“. In: Angermann, Norbert (Hrsg.): Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 (1995), Sp. 226f. Vgl. dazu auch Schätzler, Johann-Georg: Handbuch des Gnadenrechts. München 1976, S. 71. Vgl. dazu Bronner, Otto: Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. In: Ders. (Hrsg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Bd. 3. Konstanz 1956, S. 285. 42 Vgl. zur Kolonisation durch die Mennoniten Ludwig, Karl-Heinz: Zur Besiedlung des Weichseldeltas durch die Mennoniten. Marburg 1961, S. 33ff. und als zeitgemäße Schrift Crichton, Wilhelm: Zur Geschichte der Mennoniten. Königsberg 1786, S. 12ff. 43 Das Gebiet umfasste 36.500 km² und ca. 580.000 Menschen. Vgl. dazu Fuhrmann, Rainer W.: Polen. Abriß der Geschichte. Hannover 1981, 71f. Siehe zu den Teilungen Polens Kapitel 5.3 dieser Arbeit. 44 Insgesamt siedelten im Zeitraum von 1772–1780 14 Familien aus außerdeutschen Ländern (Dänemark, Italien, Holland, Frankreich, Ungarn), 14 Familien aus den Ländern Mecklenburg, Bayern, Elsass, Pfalz und Sachsen; 249 Familien aus deutschen Städten und kleineren Ortschaften; 378 Familien aus Polen und 7 Familien aus unbestimmten Orten in Westpreußen/Netzedistrikt. Im Zeitraum von 1781–1786 erhöhten sich die Zahlen für die Familien aus deutschen Ländern (310) und deutschen Städten/Ortschaften (605). Die Zahl der polnischen Neusiedler blieb relativ konstant (360). Aus außerdeutschen Ländern erhöhte sich die Zahl um das Doppelte (25 Familien). Siehe dazu die Statistischen Angaben bei Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 616ff. 45 Friedrich II. in einem Brief an seinen Bruder Heinrich (o. J.). Zit. bei Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 414. 46 Zit. n. Crichton, Mennoniten, S. 38.
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Geschichte der Mennoniten hielt sich dieser gute Ruf im ehemaligen Heimatland Holland ebenso wie in England, der Schweiz oder Ungarn: „Man hält diese Leute wegen ihres großen Fleisses und [ihrer, Anm. d. Verf.] Sparsamkeit für Honigbienen der Republik, und fürchtet sich vor ihnen nicht, weil sie in Ansehen der Münsterschen Vorfahren ganz aus der Art geschlagen“47 sind. Im Rückblick auf die Besiedlungsgeschichte der Gebiete um Danzig und Elbing lässt sich jedoch festhalten, dass auch die Mennoniten bis zum ersten Drittel des 18. Jahrhunderts mit Anklagen der städtischen Bürger, Ausweisungen aus bestimmten Städten/Landschaften oder generellen Androhungen des Landesverweises konfrontiert wurden. Hierbei zeigt sich allerdings auch, dass ihr Status nicht nur durch die unfreundlichen Reaktionen der Bevölkerung, sondern auch durch die wechselnden Sympathien der Landesherrscher und die sich wiederholenden Anklagen der Städter in den Landtagen infrage gestellt wurde.48 Um den aktuell gewährten Status für zukünftige Generationen auch unter preußischer Krone abzusichern, sprachen die Vertreter der Mennonitengemeinden wiederholt beim preußischen König vor. Im Jahre 1780, acht Jahre nach ihrer ersten Anfrage, bestätigte der König ihre Rechte unter den bekannten und vormals bereits festgelegten Bedingungen. Demnach sollten sie ihre Abgaben prompt entrichten, jährlich 5.000 Thaler an die Kadettenschule in Culm zahlen und sich als getreue, gehorsame und fleißige Untertanen erweisen. Eine darüber hinaus interessante Formel garantierte ihnen ihre Rechte wie folgt: Wir Friedrich urkunden hiermit, Wir geruhen ihnen in Betracht der Toleranz und Enrollierungsfreiheit, so sie und ihre Glaubensgenossen bishero in diesem unserem Königreiche genossen und nachdem die jetzigen Mennonisten-Gemeinden aus 12.603 Seelen bestehend […]. Daß sie von der Enrollierung und dem naturellen Militärdienst immerwährend befreit und bei dem Genuß ihrer Glaubensfreiheit, Gewerbe und Nahrung gelassen und geschützt werden würden […]. Wir verheißen und versprechen demnach vor Uns und Unsern Nachkommen, daß sie [Aufzählung der Bedingungen, Anm. d. Verf.] von der Enrollierung auf ewig befreit bleiben.49 47 Benthem, Heinrich Ludolf: Holländischer Kirch- und Schulen-Staat, 2 Bde. Frankfurt a. M./ Leipzig 1698, Bd. 1, S. 813. Zit. n. Crichton, Mennoniten, S. 38. 48 Anklagen und Petitionen mit der Bitte um Ausweisung der „Wiedertäufer“ brachten die Elbinger und Danziger Bürgerschaften bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ein. Im östl. Preußen erging 1679 der Befehl an die Mennoniten, das Land binnen sechs Wochen zu räumen. Im Februar 1732 erging die Order, dass die Mennoniten Preußen ganz verlassen sollten. Sieben Monate später wurde ihnen der weitere Aufenthalt in Preußen gestattet. Siehe dazu die Aufzählung der Edikte bei Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, Statistik. 49 Gnadenprivileg vom 29. März 1780. Zit. n. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 420. Auf das Enrollement bzw. die Freiheit von der Musterungsrolle wird in dieser Arbeit ausführlich in Kapitel 8.3 eingegangen.
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Die Bestätigung dieser Rechte wies über die Regierungszeit Friedrichs II. hinaus und wurde zeitlos in die Zukunft projiziert. Mit der Formulierung „auf ewig“50 erinnerte der Text an eine letzte Willenserklärung im Sinne eines politischen Testaments.51 Diese Analogie machte die Zusage der Rechte für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen der Mennoniten zu einer Garantie, die allerdings nur durch das starke Selbstvertrauen des Verfassers in die Anerkennung seiner monarchischen Autorität auch über seinen Tod hinaus an Aussagekraft und Vertrauen gewann. Als politische Willenserklärung, sechs Jahre vor seinem Tode verfasst, legitimierte der preußische Herrscher die Besitzrechte der mennonitischen Siedler, die bereits unter polnischer Herrschaft dort gesiedelt und eine stabile Bewirtschaftung betrieben hatten. Für die Kontinuität der Bewirtschaftung und der Besiedlung schienen ihm die bisher ansässigen Mennoniten die verlässlichsten Garanten zu sein. Eine politische Entscheidung fiel damit zu Gunsten der erfolgreichen Ökonomie und über diesen Erfolg auch an die Siedler, die ihn hervorgebracht hatten. Über die Frage, warum den Mennoniten kein Naturalisationsedikt52 gewährt wurde, kann hier nur kurz spekuliert werden. Generell galt die Zuerkennung der Naturalisation als Gnadenakt der jeweiligen Landesherren. Welche Bedingungen oder Voraussetzungen hierzu erfüllt sein mussten, definierten die preußischen Herrscher „eigen“ und nicht öffentlich. Hatte Friedrich I. als erster König in Preußen die Naturalisation großzügig den Réfugiés gewährt, 50 Ebd. 51 Siehe zu den Inhalten der politischen Testamente der Hohenzollern, den Absichten ihrer Verfasser und den Testamenten als Quellen der Historiografie Dietrich, Richard: Die politischen Testamente der Hohenzollern. Köln/Wien 1986, Einleitung. Vgl. dazu auch Hartung, Fritz: Die politischen Testamente der Hohenzollern (1940). In: Büsch, Otto (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte. 1648–1947, Bd. 3, S. 1479–1516. 52 Die Naturalisation als Zuerkennung und Verleihung von Rechten standesgebundener Inländer konnte nur an Zugereiste und Fremde vergeben werden. Sie war in diesem Sinne immer ein gewährter Hoheitsakt, der sich jedoch an existenten Rechten und Pflichten der Stände orientierte und verwaltungstechnisch dokumentiert wurde. Durch die Anerkennung und Definition von den Rechten und Pflichten eines Bürgers in einem Staate und den Pflichten und Aufgaben des Staates als Verband der Bürger wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aus einem gewährten Hoheitsakt ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem der neue Staatsbürger allerdings auch selbstständiges, standesunabhängiges Rechtssubjekt wurde. In diesem Sinne wurde der Begriff in Deutschland eng mit der Existenz einer Verfassung verknüpft und verfassungsrechtlich mit der Wahrnehmung von Pflichten und Rechten des Staatsbürgers definiert. Siehe dazu ausführlich Baumhögger, Max: Die rechtliche Natur der Naturalisation nach Deutschem Reichsstaatsrecht. Diss. Bonn 1906, S. 8ff. Die Naturalisation in der Zeit von Friedrich I. bis Friedrich II. beinhaltete im Fall der Zuerkennung das Recht zum Erwerb von Grundstücken und zur freien Niederlassung. Die spezielle Gewährung von beruflichen oder ständischen Rechten wurde nur individuell gewährt. Politische Partizipation war an den Stand gebunden und zur Zeit von Friedrich I. nur noch regional existent.
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so verhielt sich Friedrich II. hier deutlich zurückhaltender und gewährte sie nur den Zugereisten, die Ansprüche auf die Zugehörigkeit zur Gemeinde der Réfugiés stellen konnten. Andere Migranten erhielten das Indigenat53 nur im Einzelfall und als Einzelpersonen. Ein Rechtsanspruch existierte nicht. Sucht man nach einer Gemeinsamkeit zwischen den zugereisten Neusiedlern, so lässt sich zwar einerseits festhalten, dass sie klassifiziert nach den Welt- und Buchreligionen als Christen galten, sich aber gleichzeitig durch erhebliche Differenzen in den Bekenntnissen, den Sakramenten und der Glaubenspraxis unterschieden. Die Anerkennung oder Tolerierung dieser Unterschiede fiel gerade den Großkirchen, personifiziert in den geistlich-weltlichen Prälaten, schwer, so dass die religiösen Eigenwilligkeiten der Sekten auch instrumentalisiert zur Verfolgung und Ausweisung führten. Einen Schutz vor Verfolgung oder Ausweisung bot die Eigenzuschreibung, gläubiger getaufter „Christ“ zu sein, auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht. Aus dieser Sicht betrachtet erschienen die christlichen Glaubensrichtungen nur über den Vergleich und die Abgrenzung zu anderen nichtchristlichen Weltreligionen als (Quasi-) Einheit.
2.2 Die (Wieder-)Einwanderungsbedingungen der Juden (1671) Es ist ein Topos der modernen Geschichtsschreibung, dass die Wiederaufnahme54 der jüdischen Siedler im Vergleich zu der Etablierung der o. g. Neusiedlergruppen unter Sonderbedingungen stattfand. Diese Beurteilungen beziehen sich im Wesentlichen auf drei Punkte: Die fehlende schriftliche Einladung zur Einreise nach Brandenburg, die Beschränkung auf fünfzig Migrantenfamilien und die vorerst begrenzte Aufenthaltsdauer von zwanzig Jahren.55 Nach Selma Stern bestand seit dem Frühjahr 1670 ein Kontakt zwischen dem Hof des Brandenburgischen Kurfürsten und der wohlhabenden jüdischen Gemeinde in Wien,
53 Indigenat heißt in strenger Übersetzung „Eingeboreneneigenschaft“ und als indigen galt, wer durch Geburt Inländer oder Einheimischer war. Rechtlich galt der Begriff in allen deutschen Kodifikationen als Voraussetzung des Staatsbürgerrechts. Vgl. dazu Bockshammer, Otto: Das Indigenat des Art. 3 der deutschen Reichsverfassung. Tübingen 1896, S. 8ff. Die vorher beschriebene Naturalisation war in diesem Sinne immer ein nachträglicher Rechtsakt, mit dem das Fehlen des „Eingeborensein“ auf Grund besonderer Leistungen des Delinquenten und/oder besonderer Wertschätzung des Herrschers ausgeglichen wurde. 54 Vgl. dazu knapp und wesentlich Scheiger, Brigitte: Juden in Berlin. In: Jersch-Wenzel, Stefi/ John, Barbara (Hrsg.): Von Zuwanderern zu Einheimischen. Berlin 1990, S. 153–488, S. 153ff. Siehe dazu auch Hertz, Deborah: Wie Juden Deutsche wurden. Frankfurt a. M. 2010, S. 39ff. 55 Ebd.
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der 1671 zur Aufnahme und nach David Sorkin zum „Niederlassungsrecht“56 der Zugereisten führte. In ähnlicher Weise hatten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts (1711) die Schweizer Mennoniten in eigener Initiative mit der Bitte um Aufnahme an den damaligen Regenten Friedrich I. gewandt und in Litauen das Siedlungsrecht und relative Rechtssicherheit erhalten.57 Über hundert Jahre später richteten sich protestantische Zillertaler Familien (zwischen 430 und 440 Personen) im Mai 1837 mit einer eigens verfassten Bittschrift an den damaligen preußischen Regenten Friedrich Wilhelm III. und baten um die Erlaubnis zur Niederlassung.58 In beiden Fällen hatten sich die Glaubensgemeinschaften in erfolgreicher Eigeninitiative an die preußischen Landesherrscher gewandt. Die von der Ausweisung bedrohten Glaubensflüchtlinge hatten aufgrund ihrer eher unspektakulären Verfolgung oft gar keine andere Möglichkeit, als sich selbst in Erinnerung zu bringen und auf wohlwollende Aufnahme zu hoffen. Dass die Zahl für die jüdischen Neueinwanderer aus Wien auf nur fünfzig Familien begrenzt wurde, deutet nach Sorkin auf einen Kompromiss zwischen den Land- und Provinzialständen und dem Kurfürsten hin. Er schreibt dazu, dass der Kurfürst entgegen der merkantilistischen Theorie handelte, welche „die Juden nicht als Aktivposten, sondern als Belastung betrachtete“.59 Diese Entscheidung hätte er „den Ständen zum Trotz und Schrecken“60 verkündet und seinen Entschluss mit der Erwartung begründet, „dass die Juden mit ihren Handlungen uns und dem Lande nicht schädlich,
56 Vgl. dazu den Briefwechsel des Wiener Residenten Andreas Neumann mit dem Kurfürstlichen Hof zur Frage der Aufnahme von Juden aus Österreich. Gedr. bei Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. I/2. Tübingen 1962, Nr. 7 und 8. Die österreichischen Juden Hirschel Lazarus, Benedict Veit und Abraham Rieß wandten sich in einer Bittschrift an den Kurfürsten. Sie beriefen sich auf das Versprechen des Fürsten, 50 Familien aufzunehmen. Die Aufnahme sollte schnell erfolgen, weil die Familien an der Grenze zwischen Österreich und Mähren ohne Status festsaßen. Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 9, S. 8ff. Siehe dazu auch Stern, Moritz: Die Niederlassung der Juden in Berlin im Jahre 1671. In: Ders. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Berlin 1930, H. 2, S. 131–149, S. 132. 57 Die Verfolgung der (Schweizer) Mennoniten in den Kantonen Zürich und Bern währte knapp dreißig Jahre. 1695 sollten die Mennoniten den Kanton Bern verlassen. Von ihrem Besitz sollten sie nur Dinge zu ihrem unmittelbaren Unterhalt mitnehmen. Bei Zuwiderhandlungen wurde ihnen u. a. die Todesstrafe angedroht. Vgl. dazu Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 148ff. 58 Vgl. dazu die Bittschrift der „Tyroler Evangelischen“ aus dem Zillertal, verfasst von ihrem Wortführer Johann Fleidl und adressiert an Friedrich Wilhelm III., der hier als „erhabene[r] Schutzherr des reinen Evangeliums“ angesprochen wurde. Gedr. bei Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 459f. 59 Sorkin, David: Juden und Aufklärung. Religiöse Quellen der Toleranz. In: Beck, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in der europäischen Geschichte. München 1992, S. 50–66, S. 53. 60 Ebd.
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sondern vielmehr nutzbar erscheinen“.61 Diese Zusage deutete einen Wandel in der Einstellung des Kurfürsten an. Bereits 1641 hatte Markgraf Ernst von Brandenburg, seit demselben Jahr neu benannter Statthalter der Mark, dem Kurfürsten vorgeschlagen, die 1571 ausgewiesenen Juden wieder ins Land zu holen, um die finanzielle staatliche Notlage in Brandenburg zu beheben. Diese Initiative beruhte auf der Kriegssituation im verheerten Land62 und auf der Erfahrung, dass Geld aus Preußen nicht zu erwarten war. In diesem Sinne betonte der Markgraf durchaus den rein merkantilistischen Aspekt der Absicht: Wir haben E. Ld. noch ferner berichten wollen, dass ein Vorschlag geschehen, ein Stück Geldes von etwa 20.000 Rth. in der Eil aufzubringen, dass die Jüden möchten ins Land gelassen werden. Nun ist es eine sehr bedenkliche Sache und kann man nicht wissen, was das Land dazu sagen möchte […] haben es dennoch E. Ld. zum Nachdenken freundlich überschreiben wollen. (1./11. Juli 1641)63
Die Antwort des Kurfürsten war trotz der für die preußische Situation enormen Höhe der in Aussicht gestellten Summe negativ ausgefallen: Anlangend der Reception der Jüden in Unser Churfürstenthum gegen Erlegung einer gewissen Summe Geldes, sehen wir nicht, wie sich dieselbige werde practiciren lassen können, in Betracht das Unsere Landstände sich darüber zu beschweren Ursach haben würden. So haben auch Unsere in Gott ruhende Herrn Vorfahren christmilden Angedenkens ihre gewisse und wichtige Ursachen, warum die Jüden aus Unsern Churfürstentum exterminiret worden, gehabt. Dabei Wirs auch billig beruhen und bewenden lassen.64
Kurfürst Friedrich Wilhelm verwies in dieser Resolution auf die Entscheidung seiner Vorfahren, beurteilte ihre Entscheidung als verständlich und akzeptabel, schloss sich dieser Entscheidung auch aktuell noch als „richtig“ an und nahm die 61 Kurfürst Friedrich Wilhelm (1672), zit. n. Sorkin, Juden und Aufklärung, S. 53. Sorkin verzichtet hier auf eine Quellenangabe. Das Zitat stammt aus einem Reskript an die Geh. Räte vom Dezember 1672, in dem der Kurfürst auf einen Beschwerdebrief der Landstände gegen die bereits erfolgte Etablierung von Wiener Juden reagierte. Vgl. dazu Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 24. 62 Nach einem Besuch in Cölln hatte Markgraf Ernst vom „erbärmlichen und armen Zustand“ des Landes und seiner Bevölkerung berichtet. Markgraf Ernst an den Kurfürsten v. 18. Mai 1641. Gedr. bei Erdmannsdörffer, Bernhard (Hrsg.): Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Politische Verhandlungen, Bd. 1. Berlin 1864, S. 451. 63 Markgraf Ernst an Friedrich Wilhelm vom 1./11. Juli 1641. Gedr. bei Erdmannsdörffer, Urkunden, S. 479. Diese Initiative stellte keinen Präzedenzfall dar. Bereits unter Joachim II. hatten die Juden für ihre Rückkehr in die Mark 42.000 Rtlr. gezahlt. 64 Antwortschreiben im Stil einer Resolution vom 30. Juli 1641. Gedr. bei Erdmannsdörffer, Urkunden, S. 479.
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zukünftige Erwartung von seiner Ansicht nach berechtigten Protesten der Landstände bereits als Realität und Entscheidungsgrundlage gegen die Etablierung von Juden vorweg. Der einundzwanzigjährige Kurfürst war erst seit einem Dreivierteljahr in Amt und Würden, unerfahren und angesichts der Regierung eines Landes, das sich im permanenten Kriegszustand und kurz vor dem Zusammenbruch befand, auf die Unterstützung aller Stände angewiesen. Die dreißig Jahre später getroffene Entscheidung zur Aufnahme der ausgewiesenen Wiener Juden erfolgte in einer politisch völlig veränderten Situation. Der Aufbau des Landes stand im Vordergrund der Staatsräson und der Einfluss der brandenburgischen, pommerschen und preußischen Landstände auf Steuer-, Heeres- und Kriegsentscheidungen wurde zu Gunsten des absoluten Machtanspruchs des Souveräns weiter zurückgedrängt. Rücksichtnahme gegenüber den Landständen, deren Zustimmung zu allen Fragen der Politik zur Zeit der Initiative Ernsts von Brandenburg noch unbedingt geboten war, konnte nun gut dosiert gewährt werden, musste und sollte die Entscheidungen des Landesherrn aber nicht mehr obligatorisch beeinflussen.65 Dass dennoch nur die wahrscheinlich kleinste, bisher in der Kolonisierungspolitik66 vorgegebene Größe von vierzig bis fünfzig Familien als Einwanderer aufgenommen werden sollte, deutet eine Rücksichtnahme gegenüber einer primär anderen, nur teilweise mit den Landständen identischen Klientel an. Der tatsächlichen Aufnahme war ein Gutachten der Geheimen Räte Otto v. Schwerin, Raban v. Canstein, Christoph Caspar v. Blumenthal, Lorenz Christoph v. Somnitz, Johann Köppen und Franz v. Meinders „wegen der aus Österreich vertriebenen Juden“67 vom 14. Mai 1671 vorausgegangen. Dort wurde betont, dass die Frage der Aufnahme „allein bei Eurer Kurf. Durchl. Gnädigsten Ermessen und Willen [läge]“.68 Die Bedenken, die in diesem Gutachten geäußert wurden, richteten sich nicht gegen eine Aufnahme der österreichischen Familien allgemein. Bedacht werden sollte die Frage der „Masse“ der Zureisenden. Zwar sollte einerseits die „Aufnehmung der Commercien“69 schnell betrieben werden. Andererseits jedoch sollte die befürchtete „Ruinirung und Vertreibung oder mehrere Behinderung der Eingesessenen“70 vermieden werden. In fünf Punkten wurden 65 Vgl. dazu Opgenoorth, Ernst: Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg, Bd. 1 u. 2. Göttingen 1978. 66 Dieser Eindruck ist bisher nur angesichts der allgemeinen Literatur zur Kolonisierung in Brandenburg/Preußen entstanden. In diesem Sinne handelt es sich eher um eine These oder Frage, weniger um eine überprüfte Tatsache. 67 Zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 10 u. Nr. 11. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Ebd.
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die Bedingungen und Wünsche der Vertreter der nach Brandenburg emigrierenden Juden mit den Räten des Souveräns verhandelt. Im Ergebnis unterschieden sich der spätere Edikttext (21. Mai 1671) und die Verhandlungspunkte des Protokolls (14. Mai 1671) in der Frage des wiederverkäuflichen Hausbesitzes, der Jurisdiktion und der zeitlichen, vorläufigen Begrenzung des Niederlassungsrechts auf zwanzig Jahre. Die Vorverhandlungen hatten die Frage der zeitlichen Festsetzung gar nicht berührt. Die Gesichtspunkte Akzise und Schutzgelder waren zwar nicht in der Höhe, aber im Grundsatz als Bedingungen für den Status „Schutzjude“ genannt worden. Das Edikt wegen auffgenommenen 50 Familien Schutz-Juden, jedoch daß sie keine Synagogen halten71 vom 21. Mai 1671 bestand aus zehn Artikeln. Die ersten beiden Artikel standen den Zugereisten zu, sich in den Städten und Orten niederzulassen, in „denen es ihnen am gelegensten [sei]“72 und erlaubten den Handel im ganzen Land. Das Spektrum der Handelsgüter war so gefasst, dass auch die Geschäfte und der Handel mit Waren, die nicht ausschließlich zum Gebrauch des Hofes bestimmt waren, möglich wurden. Ausdrücklich erlaubt wurde den Zugereisten neben dem Besitz von offenen Buden und dem Verkauf von Tüchern und Schnittwaren auch der Handel mit alten und neuen Kleidern,73 ein Handel, der auch die Möglichkeiten der ärmeren Landbevölkerung berücksichtigte und die Versorgung der Bevölkerung mit gebrauchter Kleidung sicherstellen konnte.74 Die Eingabe der Gewandschneider aus Frankfurt/Oder und die 1672 erfolgte Beschwerde der Landstände gegen die Juden deuteten an, dass Art. 2 in diesem Sinne eine Neuerung im zunft- und innungsversicherten Handwerk einführte. Das Hinwegsetzen des Fürsten über das Zunftgebot wurde dort ebenso kritisiert wie die zukünftig befürchtete Konkurrenz mit den jüdischen Händlern.75 In Art. 3 bis 7 des Edikts wurde u. a. der Handel mit gestohlenen Gütern verboten und ein Verbot des Wucherns ausgesprochen (Art. 3). Außerdem wurde die Zahlung 71 Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., Kap. 3, Sp. 121 und gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 12, S. 13–16. 72 Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 12, S. 13. 73 Ebd. 74 Die Akzeptanz gegenüber dem Hausier-Handel veränderte sich mit den Herrscherwechseln. In dem von Friedrich II. gegebenen „Publicandum, die Erneuerung und Verschärfung des Hausir-Edicts betreffend“ (18. Januar 1786) gab Friedrich II. als Grund für die Verschärfung des Edikts vom 17. November 1747 an, dass das Hausieren, besonders der Juden in den Städten und auf dem Land „sehr überhand“ genommen hätte, und ordnete an, dass Zuwiderhandlungen mit Festungshaft bis zu drei Monaten oder Ausweisung bestraft würden. In: N.C.C., Bd. 8, Sp. 15. Gezeichnet wurde das Publicandum u. a. von den preußischen Beamten, die nach dem Tod von Friedrich II. in der unter Friedrich Wilhelm II. eingerichteten Reformkommission zur Verbesserung des Judenwesens saßen. 75 Siehe dazu Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 16, 18, 23.
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von Zöllen, Akzisen, doppelter Metze76 gleich den anderen Untertanen und die Sonderzuwendungen in Form des Schutzgeldes von 8 Rtlr. pro Familie und Jahr festgelegt (Art. 4). In zivilrechtlicher Hinsicht standen die Familien unter der Jurisdiktion der Bürgermeister, in strafrechtlich relevanten Anklagen von Kriminalsachen unter der direkten Aufsicht des Kurfürsten (Art. 5). Die Gebete und Zeremonien sollten nur in Privathäusern abgehalten werden. Der Bau einer Synagoge wurde nicht gestattet. Ein Schulmeister für den Unterricht der Kinder wurde wiederum erlaubt, ebenso ein Angestellter für die nach den rituellen Reinheitsgeboten zu verrichtenden Schlachtungen (Art. 6). Im Übrigen erfolgten Ermahnungen, sich „ehrbar, fried- und gleitlich [zu] verhalten“,77 gute Münzen nicht für schlechte aus dem Land auszuführen und zum Kauf angebotenes Silber mit dem Namen des Anbieters zur Anzeige zu bringen (Art. 7).78 Hatten sich bis dahin alle Artikel an die Juden selbst gerichtet und auch ausschließlich dieselben zum Subjekt der Darstellung gemacht, richtete sich Art. 8 an die staatlichen Behörden, die neben der Einhaltung der Bestimmungen auch das Gelingen der Etablierung gewährleisten sollten. An die Magistrate der Provinzen erging der Befehl: […] diese vergleitende Judenschaft willig und gern aufzunehmen, ihnen allen Vorschub und guten Willen zu ihrer Accomodirung zu erweisen, und Ihnen namens Unser allen gebührenden Schutz, bis an Uns selber zu halten, sondern auch sonst sie in der Behandlung, welche sie ihres Verbleibens und der Landes onerum halben mit ihnen pflegen, sie billig zu tractiren, von niemand sie beschimpfen oder beschwären zu lassen und sie als andere ihre Bürger und Einwohner zu halten.79
Für diese spezielle Anordnung lassen sich in den Dokumenten zugereister Kolonisten auch Entsprechungen finden.80 Aber in dieser Formulierung gehörte dieser 76 Zollleistungen wurden teilweise in doppelter Höhe von den Juden erhoben. Höhere Sätze ebenso für Luxus- und Galanteriewaren bezahlt. Wie hoch ihr Anteil an den gewöhnlichen Steuern der Bevölkerung war, lässt sich kaum noch ermitteln. Da sie aber nicht in der Landwirtschaft tätig waren, entfielen Vieh-, Hufen-, Horn- oder Klauenschoss und alle Akzisen, die sich aus dem Besitz von Haus und Hof ergaben. Vgl. dazu Stern, S.: Der Preußische Staat, I/1. Tübingen 1962, S. 37–53. 77 Zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 12, 15. 78 Diese Ermahnungen des Edikttextes lassen sich nach Jersch-Wenzel seit dem Mittelalter in fast allen die Juden betreffenden Verordnungen finden. Siehe dazu Jersch-Wenzel, Selbstverständnis, S. 83. 79 Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 12. 80 Von tatsächlichen Ermahnungen an die Behörden, die Siedler zu unterstützen und nicht zu malträtieren, berichtet Beheim-Schwarzbach nur im Fall von Friedrich II. Dort heißt es in diesem Zusammenhang, dass sich am „allerschwierigsten“ die Behörden selbst benahmen. Als Erklärung fügt Beheim-Schwarzbach die zusätzliche Arbeitsbelastung durch Werbung, Transporte
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Maßnahmenkatalog zu den ersten öffentlichen und rechtlich verbürgten Fürsorgehandlungen zu Gunsten neuer Kolonisten nach dem Dreißigjährigen Krieg.81 Das Potsdamer Aufnahmeedikt der Französischen Réfugiés (1685), nicht ganz fünfzehn Jahre später verfasst, enthielt unter Artikel 14 vergleichbare Ermahnungen an die Statthalter, Regierungen und Befehlshaber in den Städten und auf dem Land, die im Tonfall jedoch freundlicher und wohlwollender klangen, u. a. auch deshalb, weil sie in der Sache nicht auf negative Beispiele bezogen wurden. Darüber hinaus ordnete der Kurfürst gegenüber den Hugenotten ein freundschaftliches Entgegenkommen an, das Wertschätzung und Rücksichtnahme voraussetzte. Die Statthalter sollten ihnen „vielmehr alle Hülfe, Freundschaft und Gutes [erweisen]“.82 Die Reaktionen der ansässigen Bevölkerung zeigten, dass freundschaftliche Gefühle nicht von oben verordnet werden konnten.83 Wenn jedoch der Landesherr seine Sympathie so ausdrücklich kundtat, hatten sowohl die Landesverwaltungen als auch die folgsamen Untertanen dem Willen und dem Wunsch des Fürsten zu folgen. Zuwiderhandlungen beinhalteten das Risiko, das fürstliche Wohlwollen zu verlieren. Die Juden durften nach ihrem Aufnahmeedikt nur auf Gerechtigkeit hoffen und nicht auf positive Wertschätzung und Freundschaft. Der Text in Art. 8 des Judenaufnahmeedikts war hingegen in der Anordnung unmissverständlich und versprach in erster Linie Schutz vor übelwollenden Einwohnern/Nachbarn und rechtliche Gleichbehandlung durch die Obrigkeit. Dass der Kurfürst sich veranlasst sah, diese Mahnungen im Edikttext aufzunehmen, kann auf verschiedenste Motive hinweisen. Einerseits belasteten noch existente Vorurteile/Projektionen als Hypothek den Neubeginn der jüdischen Ansiedlung. Andererseits wurden die Ursachen für die belasteten Beziehungen, wie in Art. 8 und 10 angedeutet, bereits in den äußeren Existenzbedingungen der Juden gesucht. In Art. 9 wurden zwanzig Geleitsjahre festgelegt.84 Eine Verlängerung der Frist wurde ebenso in Aussicht gestellt wie die Aufkündigung des Schutzes ohne Angabe von Gründen und vor Ablauf der Frist. Erklärungen für die unübliche Begrenzung auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren erfolgten nicht. Sie lassen sich nur bedingt und Geldauszahlungen wie Konflikte mit den Bewohnern und ständig neue Ideen und Anordnungen von Friedrich II. an. Ders., Hohenzollernsche Colonisationen, S. 266ff. 81 Allgemeine Aufforderungen zur Einwanderung nach Preußen waren bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg ausgesprochen worden. Gezielte Einwanderungsedikte mit der garantierten Freiheit von Steuern und Lasten und der Zusage von materiellen Unterstützungen wurden bereits 1661, 1667 und 1669 ausgesprochen. 82 Gedr. in. Mylius, C.C.M., 4. Teil. Zit. n. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 52. 83 Siehe dazu Reinke, „Man fügt ihnen unendlich Schmach zu“, S. 65ff. 84 Vgl. dazu Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 12.
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aus der persönlichen Auffassung des Kurfürsten über das vergangene Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden und aus den aktuellen Konditionen des Edikttextes entnehmen. Die zeitliche Begrenzung im Rahmen einer Generation, eine Art Probe- oder Bewährungszeit, deutete auf eine Zeit der Prüfung hin. Da jedoch auch ohne eine Angabe von Gründen der Schutz gelöst werden konnte, erhielt die Zusage der Niederlassung ein ebenso willkürliches Moment wie die Beurteilung und Messbarkeit des Wohlverhaltens. Darüber hinaus hing das reale Wohlverhalten der jüdischen Neusiedler auch von den bereits erwähnten äußeren Faktoren ab. Allerdings wurde gerade hinsichtlich der Ermahnungen an die staatlichen Organe in Art. 10 des Edikts versucht, die äußeren Bedingungen für diese Bewährungszeit nicht zu erschweren. In diesem Sinne garantierte Art. 10 den jüdischen Händlern Freiheit und Sicherheit für ihre Geschäfte auf offenen Jahrmärkten und in den Handelsorten. Magistrate und Gerichtsverwalter wurden bei Androhung einer Goldguldenstrafe gemahnt, ihnen „gleich andern Gastrecht widerfahren [zu] lassen“85 und ihnen ihre Geschäftstätigkeit zu ermöglichen. Diese nochmalige Mahnung an die Behörden bezog sich auf das schwierigste Terrain der erfolgreichen Etablierung, den Handel. Als Ort der Konkurrenz mit den christlichen Kaufleuten und der Auseinandersetzung mit Kunden jedweder Glaubensrichtung stand der Markt im öffentlichen Blickpunkt und Interesse. Er war Gradmesser für die Wahrnehmung des, kollektiv gemessenen, Wohlverhaltens der jüdischen Händler. Konflikte, Anzeigen und Verhandlungen führten zu polarisierenden Meinungen und beschädigten primär den Ruf der jüdischen Kaufleute. Als Konfliktfeld erkannt, sollte der Markt mit Hilfe der Behörden von strafrechtlich relevanten Vergehen möglichst frei gehalten werden. Eine Methode, dies zu erreichen oder zumindest zusätzliche Konflikte und Beschwerden zu vermeiden, stellte die den Regularien entsprechende Behandlung durch die Behörden dar. Es ging also einerseits um die möglichst erfolgreiche Etablierung jüdischer Familien unter Ausschluss der bisher beobachteten Diskriminierung durch das nachbarschaftliche und berufliche Umfeld. Andererseits sollten die fair eingehaltenen Bedingungen von Seiten der Magistrate die Beurteilung der Etablierung über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinaus erleichtern. Nach Untersuchungen von Moritz Stern ließen sich 1671 neun jüdische Familien in Brandenburg nieder, von denen sieben aus Österreich stammten.86 Dass die Anzahl der zugewanderten jüdischen Familien weit hinter der vorgegebenen Zahl 85 Ebd. 86 Erst ab dem Jahre 1688 lebten ca. 40 Familien in Brandenburg, die damit das festgelegte Kontingent im Generalprivileg fast erfüllten. In Berlin/Cölln lebten 1674 wahrscheinlich nur zwölf Familien. Vgl. dazu Stern, M., Beiträge zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde, S. 132, und Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Verzeichnis der Berliner Juden, S. 526. Deborah Hertz spricht von
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zurückblieb, wird auch aus einem Reskript vom September 1671 deutlich, das sich anlässlich einer Eingabe der zugereisten Benedict Veit und Abraham Rieß u. a. mit den Bedingungen zur Wiederausreise und den Schutzgeldzahlungen der zurückbleibenden Familien beschäftigte. Dort heißt es: Weil iezo sovort nicht alle 50 Familien auß verschidenen Verhinderungen sich einfinden könten oder da einige wegziehen möchten, daß dennoch von denen anwesenden weniger als 50 Familien die völlige Summe deß Schutzgeldes, so von allen 50 Familien außkommen mußte, nicht gefordert werden möchte, woruf S. C. Drl. die gnädigste Erklärung thun, weil auf iede Familie 8 Rht. Jährlich gesezzet, daß dan daruber, wegen der Ermangelnden nichts von denen Gegenwertigen mehr gefordert […].87
Brandenburg war für wohlhabende Kaufleute keine Alternative zu Wien oder Amsterdam. Die Bereitschaft, sich in der Kur- oder Neumark niederzulassen, hielt sich dementsprechend in Grenzen, auch aufgrund der Erinnerungen an die Hinrichtung des Kaufmannes und Hoffaktors Lippold 1572 in Berlin und die folgende Vertreibung von jüdischen Einwohnern.88 Nur die Messestadt Frankfurt/ Oder,89 die Residenz Cölln/Berlin und der Hof boten zu dieser Zeit Möglichkeiten des Großhandels. Seit 1663 lebte der jüdische Kaufmann und Hoffaktor Israel Aaron in der Residenzstadt, der bereits zehn Jahre zuvor den Hof mit Weinen, Viktualien und anderen Waren versorgt hatte und auch die Verpflegung der Armee sicherstellte.90 Seine Handelstätigkeit umfasste 1655 das geschäftliche Volumen zwei großen jüdischen Familien, die nach Preußen einreisten. Hertz, Juden, S. 39. Siehe dazu auch Stern, S., Der preußische Staat, I/1, S. 10ff. 87 Reskript vom Kurfürsten (6. September 1671). In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 203. Teilw. gedr. bei Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 135. 88 Vgl. dazu u. a. Ribbe, Wolfgang: Brandenburg auf dem Weg zum polykonfessionellen Staatswesen (1620–1688). In: Heinrich, Gerd (Hrsg.): Tausend Jahre Kirchengeschichte in Berlin-Brandenburg. Berlin 1999, S. 283ff. Siehe ebenfalls die anschauliche Schilderung bei Hertz, Juden, S. 39ff. Siehe zur wirtschaftlichen Bedeutung Lippolds auch Rachel, Hugo/Papritz, Johannes/ Wallich, Paul: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, Bd. 1: Bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Berlin 1934, S. 304–311. 89 Siehe dazu u. a. Herzfeld, Erika: Juden in Frankfurt an der Oder während des SchwedischBrandenburgischen Krieges im Jahre 1675. In: Dies. (Hrsg.): Juden in Brandenburg-Preußen. Beiträge zur ihrer Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001, S. 11–30. 90 Israel Aaron stand als „Factor bey unsrer Armee“ und Münzfaktor für die Königsberger Münze im Dienst des Kurfürsten und erhielt 1651 einen Schutzbrief zum Handel im Herzogtum Preußen. Da Aaron weiterhin der Willkür der Behörden ausgeliefert war, erhielt er auf seine Bitte einen Special-Schutz und einen Schutzbrief für die Residenzstadt. Abgedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2: Specialia, Nr. 1, S. 514. Siehe den Schutzbrief für Israel Aaron (26. Januar 1665). Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2: Specialia, S. 514. Siehe zu Aaron auch Rachel/ Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus.1648–1806. Berlin 1938, S. 27–30; Scheiger, Juden in Berlin, S. 175–177; Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge:
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von Lieferungen im Wert von über 40.000 Rtlr.91 Um die vom Hof/Staat geforderte Zahl von Pferden, Vieh und Fleisch, Getreide und Bekleidung sicherzustellen, waren weit verzweigte Handelsbeziehungen und ein Netz von Lieferanten notwendig. Für die Ausdehnung dieser Geschäfte, auch gemessen an den wachsenden Ansprüchen des Hofes, scheinen dem Kurfürsten zusätzliche und am Ort ansässige Kaufleute durchaus nützlich und notwendig gewesen zu sein, zumal einheimische christliche Kaufleute wegen der schleppenden Zahlungsmoral des Hofes diese Geschäfte nur ungern ausführten.92 Nach Moritz Stern scheint es allerdings unwahrscheinlich zu sein, dass Israel Aaron das Zustandekommen der Aufnahme der Wiener Juden veranlasst hatte. Seine Absicht war, die Einwanderung zu organisieren, ungeeignete Neusiedler fernzuhalten und gut beleumdete und vermögende Familien zur Niederlassung zu gewinnen.93 In einem Schreiben an den Kurfürsten (6. September 1671) hatte sich Israel Aaron zunächst für die Aufnahmebereitschaft gegenüber den Wiener Juden bedankt.94 Darüber hinaus äußerte er jedoch Bedenken gegen die Einwanderung von unerwünschten, heimlich sich einschleichenden Familien. Um diese Möglichkeiten einzuschränken,
H. 2, S. 138ff. Um den Aufbau eines Brandenburgischen Heeres voranzutreiben, gehörte zum Aufgabengebiet jüdischer Entrepreneurs auch die aufwendige Anwerbung von Soldaten. Ein Geschäft, das nach Johann B. König die Kritik an den jüdischen Händlern und ihre Unbeliebtheit erhöhte. Vgl. dazu König, Johann Balthasar: Annalen der Juden in den Preußischen Staaten, besonders in der Mark Brandenburg. Berlin 1790, S. 25. 91 Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 139. 92 Siehe dazu Rachel/Wallich: Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 102ff. Dazu heißt es: „Im übrigen hat der Kurfürst im starken Maß die Mittel und den Kredit seiner eigenen Funktionäre, Generale und Räte, zur Geldbeschaffung in Anspruch genommen.“ Ebd., S. 102. Warenschulden besaß der Kurfüst in Berliner Handelskreisen bei Christian Franz, Meinhard Neuhaus und Johann Westorff, die er nach Rachel/Wallich nach und nach abbezahlte. Ebd. Größere Geldsummen wurden z. B. in Hamburg, Breslau, Sachsen und Amsterdam geliehen, u. a. auch bei jüdischen Kaufleuten (dem kursächsischen Kaufmann Moyses Ventura Sachs oder dem Hamburger KaufmannTexeira). Ebd., S. 105. Einer der bekanntesten und umstrittensten Unternehmer dieser Zeit war der Holländer Benjamin Raule, der als Geldgeber, Geldvermittler, Kaperkapitän, Befehlshaber der kurfürstlichen Flotte, als „Général-Directeur de Marine“ und als Gründer der ersten großen Handelsgesellschaft, der Afrikanischen Kompagnie, dem Kurfürsten zu Diensten war. Nach dem Regentenwechsel fiel er in Ungnade und wurde wegen kleinerer Vergehen zu Festungshaft verurteilt. Sein Eigentum wurde konfisziert. Ebd., S. 114ff. 93 Für noch kommende Familien, die er persönlich kannte und als „wahrlich feine, ehrliche und großvermögene Leute“ beschrieb, bot er die Zahlung einer Kaution an. Vgl. dazu die Eingabe von Israel Aaron an Kurfürst Friedrich Wilhelm (6. September 1671). Gedr. bei Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 139f. Siehe den Schutzbrief für Israel Aaron (26. Januar 1665). Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2: Specialia, S. 514. 94 Ebd.
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regte er die Ausstellung von amtlichen Spezifikationen an.95 Einen Schutzbrief mit der Angabe des Namens und des Niederlassungsortes sollten nicht nur die Wiener Juden, sondern auch die neunzig aus Polen geflüchteten (1655) und in der Neumark aufgenommenen jüdischen Familien erhalten.96 Die amtliche Feststellung/Kennzeichnung von vergleiteten/unvergleiteten Juden stand damit nicht mehr allein im Interesse der Herrschaft, sondern aus Gründen der eigenen Existenzsicherung auch im Interesse der etablierten jüdischen Einwohner. Der Kurfürst hatte sein Aufnahmeedikt ausschließlich an wohlhabende Juden aus Wien adressiert. Die Frage, inwieweit die zugereisten Familien tatsächlich als wohlhabend anzusehen waren, konnte auch sein Hoffaktor nicht beantworten. Er merkte an, dass über diese Familien im Lande nichts bekannt sei und die Erteilung von Schutzbriefen daher nicht übereilt erfolgen solle.97 Der Einfluss Aarons auf die Etablierung jüdischer Familien sollte damit zukünftig wachsen. Um sicherzustellen, dass es sich bei den Zugereisten tatsächlich um wohlhabende Juden handelte, gestand der Kurfürst Israel Aaron den Status eines Gutachters zu, der nun autorisiert war, bei Niederlassungsgesuchen für Berlin, Cölln oder Friedrichswerder gehört zu werden.98 Nach den Untersuchungen von Moritz Stern sollte kein Jude in Berlin und Cölln aufgenommen werden, über dessen Vermögen und Leumund der Kurfürst nicht genauen Bericht hatte.99 In der ein Jahr später erfolgten Eingabe der Landstände an den Kurfürsten (1672) ging man von fünfzig aufgenommenen Familien aus und führte Beschwerde gegen eine „gänzliche Zerrüttung der Handlung und der Nahrung des Landes“.100 Diese Eingabe brachte keine konkreten Anklagen gegen die bereits Ansässigen vor. Allgemein ging man von der Ansicht aus, dass „die Erfahrung bezeuge wie die Juden dem Lande mehr schädlich als zuträglich [seien]“101 und konstatierte, dass sie nicht so sesshaft, dem Lande nicht so ver95 Ebd. 96 Die aus Polen geflüchteten Familien wurden im Herzogtum gegen die Zahlung eines Schutzgeldes toleriert. Moritz Stern berichtet von Beschwerden der örtlichen Fleischhauer und Kürschner in Landsberg und der Eingabe an den Kurfürsten „den dortigen Juden den Handel mit Vieh- und Fellwerk“ nicht zu gestatten. Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 142. 97 Insges. wurden nur zwei Schutzbriefe ausgestellt, einer gemeinsam für Abraham Rieß und Benedict Veit und der zweite für Israel Aaron und seine Kinder. Acht bereits angelegte Schutzbriefe für jüdische Familien, die sich ebenfalls in Berlin/Cölln niederlassen wollten, wurden wieder (ein-)„cassirt“. Vgl. dazu Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 145. Deborah Hertz spricht von zwei wohlhabenden Familien, die nach Berlin einreisten und die Passanten mit ihren Möbeln, Teppichen und Kronleuchtern beeindruckten. Hertz, Juden, S. 42ff. 98 Stern, M., Die Niederlassung, Beiträge: H. 2, S. 145. 99 Ebd. 100 Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 23. 101 Ebd.
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wandt und an keine Innungsartikel oder Verfassungen gebunden wären. Damit verbunden wurde die Nähe zu Verfehlungen (Betrug und Wucher), die im Rückgriff auf zurückliegende negative Beispiele/Projektionen zum aktuellen Argument gegen die befürchtete Konkurrenz wurde.102 Bezogen sich die Aufzählungen zunächst auf die innere wirtschaftliche Situation im Lande, wurde folgend auch die äußere Sicherheit des Landes zum Thema. Die vorher beschriebene fehlende Loyalität der Juden erhöhte nach Ansicht der Landstände im Kriegsfall die Gefahr der zusätzlichen Bedrohung durch Verrat.103 Die Eingabe der Landstände schloss zumindest mit einer unerwarteten Wendung. Forderte man einerseits den Kurfürsten dazu auf, die fünfzig Judenfamilien wieder zu „cassiren“,104 gab man gleichfalls eine Position des Kompromisses zu erkennen. Es muss den Ständevertretungen hierbei bewusst gewesen sein, dass die Zusagen des Edikts nicht aufgrund ihrer Beschwerden aufgegeben würden, denn die Kompromisslösung wurde im selben Satz genannt und enthielt den Vorschlag, die Modalitäten des Privilegs dahin gehend zu ändern, daß sich die Juden seßhaftig machen, nach den Innungsartikeln, Privilegien und Verfassungen der Einwohner in ihren Handlungen und Nahrungen reguliren, alle und jede Onera gleich den Einwohnern agnosticiren, auch ratione fori in prima instantio tam in civilibus quam criminalis jedes Orts ordentlichen Obrigkeit Botmäßigkeit unterworfen sein solten und müssen.105
Allerdings stellte der zweite Vorschlag das Gegenteil des ersten dar. Dass zwei extreme Positionen in so gegensätzlichen Vorschlägen formuliert wurden, hing mit den aufgezählten Klagen zusammen. Die Klagen bezogen sich auf die Leistungen, in denen sich die christlichen Petenten im Nachteil wähnten.106 Auch der Rückgriff auf die im Dreißigjährigen Krieg abgeforderte Leidensbereitschaft,
102 Ebd. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 23, 30. Die Geheimräte Somnitz, Jena und Köppen hatten diese Bitte der Stände unterstützt und dem Lande als „vorträglich“ beurteilt. Es ist allerdings nicht ganz klar, welche angesprochenen Vorschläge die Räte unterstützten. Ausweisung oder Gleichstellung stellten in der Sache genau entgegengesetzte Möglichkeiten dar. Ebenso konnte auch die Eingabe selbst als Bitte verstanden werden. In späteren Dokumenten werden sich die Räte Jena und Köppen allerdings als voreingenommene Kommentatoren gegen die Judenetablierung erweisen. Vgl. dazu Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 32. 106 Möglicherweise handelte es sich um Kontributionen für die Bereitstellung von Soldaten. Nach Jany waren die Geworbenen unzweifelhaft Männer aus dem Brandenburgischen, weil Werbungen im Ausland von den Fürsten ungern gestattet wurden. Jany, Kurt: Geschichte der preußischen Armee, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1740. ND Osnabrück 1966, S. 165.
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geleistet durch finanzielle Sonderzahlungen107 und den Verlust der Unversehrtheit im Zivil- und Soldatenstand, sollte den Monarchen an den bereits erfolgten Beweis ihrer Loyalität erinnern. In diesem tatsächlich unpassenden Vergleich, weil in Brandenburg seit dem Schauprozess und der Hinrichtung des Hofjuden Lippold (1573) nur noch vereinzelt Juden lebten, und in gewollter Konkurrenz zu dem von Vorurteilen bestimmten Bild gegenüber den jüdischen Einwanderer konnten sich die Petenten als die besseren, weil mehr erprobten Untertanen darstellen. Nach dem Edikt waren die jüdischen Einwohner nicht von den Einquartierungen befreit.108 Ob sie dieser Untertanenpflicht nachkommen mussten oder nach den Vorgaben für andere Neusiedler für eine gewisse Zeitdauer befreit wurden, ist hierbei unklar. Die Vorsorge für die Einquartierungen gehörte zum Aufgabengebiet des preußischen Generalkriegskommissariats, einer nach 1660 neu geschaffenen Zentralbehörde.109 Die Kavallerie sollte auf dem Land, die Infanterie in den Städten untergebracht werden. Die Wirtsleute hatten „Obdach, Betten, Feuer und Licht“110 mit den Stallungen für die Pferde zu gewährleisten. Die Ver107 Siehe zur Steigerung der Summen am Beispiel der Churmark ebenfalls Jany, Geschichte der preußischen Armee, S. 156. Für die Erklärung des Kurfürsten, die Niederlande im Fall eines Angriffs von Frankreich (1671) militärisch zu unterstützen, sollte gegen die Zahlung von Subsidien eine Armee von 20.000 Mann aufgestellt werden. Ebd. Vgl. dazu als Beispiel für den Protest der Kaufleute auch die Beseitigung alter städtischer Privilegien (z. B. die Aufhebung der städtischen Zollfreiheiten). In: Rachel, Hugo: Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens. In: Acta Borussica, Bd. 1 (1986/1987), S. 76ff. 108 Dok. gedr. in Stern, S., Der preußische Staat, I/2, S. 310. Die klevisch-märkische Judenschaft zahlte jährl. „Marinegelder“ (1690). Die Frage, ob die Befreiung von den Einquartierungen erkauft werden musste, lässt sich aus den Dokumenten nicht beantworten. Nach einem wesentlich später erstellten Gutachten des Finanzrates Manitius (1745) zum Entwurf Uhden anlässlich des friderizianischen Gen.-Jud.-Priv. v. 1750 wurden die jüdischen Familien bei den Einquartierungen übersehen, weil in ihren Häusern „zu wenig Raum und anständige Gelegenheit“ zur Einquartierung war. Votum Manitius (3. Dezember 1745). Teilw. gedr. bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 87f. 109 Siehe dazu Jany, Geschichte der preußischen Armee, S. 155: „Das Generalkriegskommissariat schaltete hier unter Beiseiteschiebung der Landstände und der geordneten Verwaltung frei mit den Mitteln des Landes. Mehrere ihm unterstellte Oberkriegskommissare und Kriegskommissare besorgten in den Kreisen und Ämtern die Einquartierung, Verpflegung und Musterung der Truppen.“ 110 Siehe dazu das „Erneuerte und Revidirte Interims-Ordonantz, auch Einquartierungs Reglement (1. Januar 1699)“. In: Mylius, C.C.M., 3. Teil, 3. Abt., Nr. LXXIII, Sp. 203ff., Art. 7. Das Interimsreglement über die Rekrutierung der Regimenter zu Pferde und zu Fuß (1693) bestimmte, dass die Offiziere nichts als Obdach, Holz, Licht und Betten und Stallungen für die Pferde zu fordern und zu erhalten hatten. Siehe dazu Corpus Iuris Militaris, Nr. CCLXXX, Sp. 892ff. Ein weiteres umfassendes Einquartierungsreglement ließ Friedrich Wilhelm I. am 18. Mai 1713 publizieren. Ebd., Nr. CCXCV, Sp. 912ff.
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sorgung mit Speisen oder eine Verköstigung mit warmen Mahlzeiten war nicht vorgesehen. Als Quartiergeber herangezogen wurden nach dem Reglement von 1699 außer den Befreiten (Eximierte, Neusiedler während ihrer Freijahre, Geistliche, Schulbediente und Witwen) „alle übrigen Einwohner ohne Unterscheid“.111 Dazu bemerkt Gustav Schmoller, dass die Infanterie 1684 und die Kavallerie 1718 in die Städte verlegt wurden, weil die Bauernschaft von den Versorgungspflichten entlastet werden sollte und die Truppenkörper in den Städten leichter unter Kontrolle zu halten waren.112 Die Auseinandersetzungen über die Finanzierung der Truppen durch eine Akzise in Form einer Verbrauchssteuer fielen in die Zeit zwischen 1667 und 1680.113 In der oben zitierten Eingabe konnte der noch frische Unmut über die finanziellen und häuslichen Belastungen relativ problemlos zum Ausdruck gebracht werden. Es spielte gar keine Rolle, ob der Vorwurf an die Obrigkeit, der auf die Juden als Subjekt des Edikts zurückfiel, gerechtfertigt war. Hier ging es primär um die Aufzählung der geleisteten und als ungerecht empfundenen Untertanenpflichten. In diesem Sinne handelte es sich eher um eine Auseinandersetzung mit der Politik des Kurfürsten, in der die Etablierung der Juden auch als Vorwand und als Vorlage zur Formulierung des Protestes benutzt wurde, um die Pflichten zurückzuweisen. Geheimes Subjekt und primäre Nutznießer der Vorschläge sollten daher die christlichen Händler und Untertanen sein. Dass auch die eingewanderten Juden ihre Gleichbehandlung wünschten und weder an zusätzlichen Steuern noch an Einquartierungen interessiert waren, wurde gerade 111 Ebd., Art. 14. Die Etablierung stehender Regimenter verlief in der Politik des Kurfürsten synchron mit neuen Akziseforderungen. Nach Frank Bauer wurde die Finanzierung „erst in harten Auseinandersetzungen mit den Ständen“ erstritten und erfolgte ab 1653. Diese geworbenen und nicht eingezogenen Heere stellten nach Bauer die Grundlage für das stehende Heer dar. Seit 1654 wurden Söldner in kurfürstlichen Dörfern angesiedelt, erhielten ein Deputat für Naturalien und ein Wartegeld. Sie verpflichteten sich damit, jederzeit den Kriegsdienst zu leisten. Die Auflage an die Provinzen, ein bestimmtes Kontingent an Rekruten zu erbringen, erfolgte im InterimsReglement, „wie es mit der Rekrutirung von Regimentern sowohl zu Pferde als zu Fuß“ 1693) zu halten sein sollte. Vgl. dazu Bauer, Frank: Die Entwicklung der Heeresaufbringung in Preußen unter König Friedrich I. In: Zeitschrift für Heereskunde. Jg. LXV, H. 1 (2001), S. 3–7. Siehe zur Heeresaufbringung zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch Jähns, Max: Die Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland. München/Leipzig 1890, S. 1070. Siehe dazu auch Büsch, Otto: Die Militarisierung von Staat und Gesellschaft im alten Preußen. In: Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preussen. Politik. Kultur. Gesellschaft, Bd. 1. Hamburg 1986, S. 67ff. 112 Schmoller, Gustav: Die Entstehung des preußischen Heeres (1870). In: Büsch, Otto/Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2. Berlin/New York 1981, S. 749– 766, S. 754. 113 Siehe dazu Büsch, Otto: „Proto-Militarisierung“. In: Ders., Militarisierung, S. 69ff. Vgl. dazu auch die Einführung der Akzise in den immediaten (1680) und mediaten Städten (1682) bei Neugebauer, Wolfgang: Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert. In: Büsch, Otto (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte, Bd. 2, S. 541–597.
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im Rückschluss auf den ersten Vorschlag der Landstände nicht berücksichtigt. Die Eingabe war geprägt von dem Motiv der Abgrenzung und nicht vom Motiv der Solidarität. Folgend blieb die o. g. Eingabe auf den Status der eingereisten jüdischen Familien ohne Einfluss. Die Begrenzung auf fünfzig wohlhabende jüdische Familien erfolgte einerseits aufgrund der beschränkten wirtschaftlichen Expansionsmöglichkeiten Brandenburgs und lag andererseits in dem Interesse begründet, den ansässigen etablierten Kauf- und Handelsleuten und Zünften keinen Anlass zur Klage über Einbußen und Einschränkungen ihrer Gerechtigkeiten114 durch die Neusiedler zu liefern. Nach Selma Stern instrumentalisierte der Kurfürst die eingewanderten Juden für seine gesuchte Auseinandersetzung mit den Landständen.115 Das trifft im Besonderen auf die Vertreter der Landstände zu, die als Mitglieder der Zünfte/Innungen ihre ebenfalls verbrieften Rechte nicht geschützt sahen. Dass die Anwesenheit und die Geschäfte der zugereisten jüdischen Siedler durchaus im Interesse bestimmter Landstände lagen und die jüdischen Händler dem platten Land und seiner Versorgung durchaus nützlich waren, beschrieb die Pyritzsche Ritterschaft in einem Schreiben an die Hinterpommersche Regierung vom Mai 1687.116 Dort hatten die immediaten Städte die Vertreibung der jüdischen Zwischenhändler initiiert, um den Handel zum Nachteil der Landbevölkerung in den eigenen Händen behalten zu können.117 Das untertänigste Supplikatum der Ritterschaft reagierte auf die angestrebte Vertreibung der jüdischen Händler und beschrieb die Nachteile, die der Landbevölkerung hierdurch entstehen würden. Zur Sprache kam die mangelhafte Verkaufsmoral der städtischen christlichen Händler, das Festsetzen der Preise „nach Belieben und Gefallen“118 sowohl bei den Händlern als auch bei den Handwerkern und die Nichtbeachtung der Polizei114 Vgl. dazu auch Hugo Rachel, Das Berliner Wirtschaftsleben, in: Acta Borussica, Bd. 1: Handels-, Zoll- und Akzisepolitik (1986/87), S. 745f. 115 Stern, S., Der preußische Staat, I/1, S. 50. Nach Stern nutzte der Kurfürst die Etablierung der Juden um den Handel zu liberalisieren. Ebd. 116 Vgl. den Bericht der Pyritzschen Ritterschaft wegen der Duldung der Juden (23. Mai 1687). In: Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 165, S. 144f. 117 Nach dem Stapel- und Niederlagsrecht mussten auch die durchreisenden Kaufleute ihre Waren zuerst auf dem örtlichen Markt zum Verkauf stellen. Das Marktrecht einer Stadt und der einheimischen Kaufleute durfte nicht umgangen werden, und insofern befanden sich die Marktstädte durchaus im Einklang mit dem Recht. Der Verkauf an Einheimische hatte Priorität. Vgl. dazu die Auseinandersetzungen um das Niederlagsrecht bei Rachel, Acta Borussica: Handels-, Zoll- und Akzisepolitik, Bd. 1, S. 144f., S. 149, S. 161, S. 285. 118 Ebd. Auf Anordnung des Kurfürsten wurde der Hinterpommerschen Regierung bereits knapp fünfundzwanzig Jahre zuvor befohlen, die Juden zu schützen und ihren Handel nicht zu stören. Reskript vom 1. November 1663. Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 142, S. 126ff.
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und der Viktual-Ordnung. Sollte also den Juden der Handel verboten werden, sei „der Ruin und Verderb des Landmannes“119 die Folge. Der Zwischenhandel wurde einer begrenzten Anzahl jüdischer Händler weiterhin gewährt. Allerdings wurde das Wohlverhalten der jüdischen Familien mit besonders kritischem Blick von den Geheimen Räten beobachtet. Als im Jahre 1675 schwedische Truppen in der Neumark einfielen und jüdische Familien gleich den christlichen Nachbarn mit ihrem transportablen Besitz flüchteten, forderten die Räte als Strafe den Verlust des Niederlassungsrechts. Diese Strafe wurde zwei Monate später im Ersatz für eine Geldstrafe in Höhe von 4.000 Rtlr. für alle neumärkischen Juden aufgehoben.120 Kurfürst Friedrich III. bestätigte den Status der niedergelassenen Juden (1688) in den Schutzbriefen, erneuerte die bereits ergangenen Bestimmungen seines Vorgängers und fügte Verordnungen an, die zukünftig auch die Grundüberlegungen zur speziellen Gesetzgebung und Besteuerung (1700)121 119 Ebd. Siehe dazu auch Herzfeld, Erika: Juden in Brandenburg-Preußen. Beiträge zu ihrer Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001, S. 37. 120 Siehe dazu den Bericht der Geh. Räte Anhalt, Jena, Köppen und Meinders (17. August 1675). In: Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 32, S. 41. Siehe dazu auch korrigierend Herzfeld, Juden, S. 28. Herzfeld kritisiert, dass die Sekundärliteratur teilweise abfällig über das Verhalten der neumärkischen Juden geurteilt hätte. Dem kann sie entgegenhalten, dass Juden und Christen in den Festungen Schutz gesucht hatten und dazu auch ein bestätigtes Recht besaßen. 121 Siehe dazu: Unvorgreifliches Formular eines Juden-Schutz-Briefes (1688). Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 207, S. 177ff. Vgl. zu den erlassenen Gesetzen auch: Verordnung wegen derer Juden in den Residenzien, bestehend in unterschiedenen Puncten (24. Januar 1700) und: Reglement vor die in hiesigen Residenzien sich aufhaltenden Juden (7. Dezember 1700). Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 246, S. 211ff. u. Nr. 250, S. 221ff. Die Verordnung vom Januar 1770 regelte ab § 2 die Schutzgeldzahlung, verfügte die Ausweisung von denjenigen, die „kein gutes Leben und (keinen guten) Wandel“ geführt hatten und begrenzte die Zahl der vergleiteten Familien auf fünfzig. § 3 verfügte die Zahlung eines Leibzolles, die Anhebung des jährlichen Schutzgeldes in solidum auf 3.000 Rtlr. in Gold. Darüber hinaus wurde hier eine Summe von 52.000 Rtlrn. als errechnete Jahressteuer als mögliche, aber nicht geforderte Summe genannt. Die Klasseneinteilung von 1 bis 3 hatten die Ältesten und der Rabbiner in den entsprechenden Proportionen des Vermögens/Einkommens vorzunehmen. § 4 verfügte die Kontrolle des Zuzugs und der Abreise von in der Hauptstadt vergleiteten und zureisenden Familien. Nach § 5 war nur vergleiteten Juden der Aufenthalt bzw. die Niederlassung gestattet. § 6 bestimmte einen Goldgulden für die Konzession zur Heirat. § 7 bestimmte den Leibzoll für durchreisende Händler. Nach § 8 wurde der Bau einer Synagoge gestattet. In § 9 wurde festgelegt, dass nur ein vermögender Jude als Ältester zugelassen werden sollte, der „Unser Interesse bey der Judenschaft gebührend beobachten solle“. § 10 bestätigte den Charakter der regionalen Gültigkeit für die Berliner Judenschaft. Die Verhältnisse der Gemeinden in Frankfurt a. d. Oder und der Kurmark sollten ebenfalls untersucht und angepasst werden. Das Verbot, „keine Immobilia und Häuser“ an sich zu bringen, erfolgte unter § 10 im Reglement vom Dezember des gleichen Jahres. Die Amtsgewalt/ Autorität der Ältesten wurde unter § 19 definiert/gestärkt: „wann einer oder der andere wider die Aeltesten, weiln ihm kein Attestarum ertheilet worden, oder er sich sonsten nicht submittiren
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schufen. Die Dauer des Schutzes wurde wiederum auf zwanzig Jahre angesetzt.122 Damit blieben der Charakter der Vorläufigkeit und die Beliebigkeit des Schutzes weiterhin bestehen und die Option der dauerhaft gestatteten Sesshaftigkeit vage Zukunftsvision. In den Gen.-Jud.-Privilegien von Friedrich Wilhelm I. (1730)123 und Friedrich II. (1750)124 wurden die preußischen Juden weiterhin nur im Schutzstatus geduldet. Allerdings entfiel die zeitliche Begrenzung des Schutzes auf zwanzig Jahre. Für die Etablierung bedeutete dies zukünftig eine nach Klassen abgestufte Limitierung der Rechte,125 die vereinzelt nur insofern durch die Privilegien der Naturalisation gemildert wurden, als die besitzenden Familien dem Staate und seinen Commercien nützlich waren.
wollte, etwas anbringen oder aufbürden würde, die Aeltesten jederzeit mit ihrer Verantwortung darüber vernehmen, ihnen behörige Justiz widerfahren lassen wollen“. Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 250, S. 221–229. 122 Ebd., S. 177. 123 Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., III. Kap., Nr. LIII, Sp. 193ff. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 15–22. Siehe dazu auch: Confirmatio Privilegii der hiesigen Judenschaft vom 20. Mai 1714. In: Ebd., Nr. XXXI, Sp. 157ff. Hier versicherte Friedrich Wilhelm I. in § 1, dass er die „alten Privilegien und Freyheiten, so von Unsers Groß-Vaters […] und Herrn Vaters […] Christseeligen Andenckens, ihnen allergnädigst ertheilet, und zum öftern confirmiret worden, jedesmahl gegen männiglich kräfftigst mainteniret, geschützet und gehandhabt werden sollen“. Im Unterschied zu dem fünfzehn Jahre später verfassten Reglement sind die Verfügungen zum Hauskauf und zur Ausübung eines Handwerks hier vorsichtige Kannbestimmungen, zu denen zwar die Confirmation eingeholt werden musste, die aber nicht grundsätzlich untersagt oder nur limitiert zugestanden wurden. Hingegen war sowohl der Status der Schutzjuden wie die Anzahl der Einwohner und der vergleiteteten Familienmitglieder nicht verhandelbar. Deutlich distanzierter schrieb Friedrich Wilhelm I. in seinem Königl. Schutz-Brief für die 47 Familien der Neumark, dass die dort unvergleiteten Juden weder von seinem Vater noch von seinem Großvater und „viel weniger aber von Uns mit Schutzbriefen versehen worden (sind)“ (30. Oktober 1717). In: Ebd., Nr. XXXV, Sp.171ff., Sp. 171. 124 Der Entwurf liegt auch als Handschrift von Friedrich II. mit dem Titel: General Juden Privilegium d. d. Berlin den 17ten April 1750, vor. In: GStA PK, II. HA (Pommern), Materien: Juden-Sachen. Nr. 2, Bl. 1–38. Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 22–55. 125 Siehe dazu Kapitel 8 dieser Arbeit. Dort werden die bisher gültigen Rechtsabstufungen dem Edikttext vom 11. März 1812 gegenübergestellt.
3 Aspekte zu den Voraussetzungen der Judenreform unter Friedrich Wilhelm II. 3.1 Friedrich Wilhelm II. – ein Philosemit und Förderer aller preußischen Minderheiten? Die Bezeichnung „Philosemit[ismus]“1 ist kein zeitgemäßer Begriff des 18. Jahrhunderts. Sie ist eine Wortkonstruktion, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung mit dem politischen Antisemitismus2 entstand. In diesem Zusammenhang erhielt der Begriff den polarisierenden „Pro- oder Contra-Charakter“ und wurde als Kampfbegriff dazu verwendet, die Gegner des Antisemitismus zu diskreditieren und lächerlich zu machen.3 Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts vollzog sich die Transformation zum seriösen Bewegungsbegriff, der per Definition zwar das Hauptziel der Bewegung festlegte, aber auch Gegensätze in den Zielen und in der persönlichen Religionspartei miteinander vereinbaren konnte: Als Philosemit galt, wer das Hauptanliegen, also die Emanzipation der Juden, befürwortete und ihre staatsbürgerlichen Rechte verteidigte. Darüber hinaus konnten Philosemiten Befürworter oder auch Gegner der völligen Assimilation mit der Aufgabe jüdischer Identität sein, Juden oder Nichtjuden sein, vereinsmäßig organisiert sein oder als Personen des öffentlichen Lebens oder als Privatleute lediglich ihre Meinung wiedergeben. In dem von Sigbert Feuchtwanger4 verfassten Artikel zum Philosemitismus, der 1930 im Jüdischen Lexikon von Herlitz/Kirschner veröffentlicht wurde, beschrieb Feuchtwanger die Methoden und Motive der projüdischen Geistesrichtung kritisch und ambivalent: Er [der Philosemit, Anm. d. Verf.] bekämpft meist mit den üblichen Methoden der Apologetik den Antisemitismus und verlangt administrative und gesellschaftliche Durchführung der 1 N.: „Philosemitismus“. In: Bin Gorion, Emanuel/Reissner, Hans G. (Hrsg.): Lexikon des Judentums. Gütersloh [u. a.] 1971, Sp. 623f. Vgl. auch Schoeps, Hans-Joachim: Philosemitismus im Barock. Religions- und geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952. 2 Vgl. dazu Nipperdey, Thomas/Rürup, Reinhard: „Antisemitismus“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 129–153, S. 129f. Siehe dazu auch Curio, Claudia: „Philosemitismus“. In: Benz, Wolfgang [u. a.] (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3 (2010), S. 266–268. 3 Vgl. dazu Heinrich von Treitschke: Zur inneren Lage am Jahresabschlusse (1880). Gedr. bei Boehlich, Walter: Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt a. M. 1965, S. 227–229, S. 227. 4 Sigbert Feuchtwanger arbeitete als promovierter Rechtsanwalt in München und publizierte u. a.: Staatliche Submissionspolitik in Bayern. Berlin/Stuttgart 1910; Die Judenfrage als politisches und wissenschaftliches Problem. Berlin 1916; Die freien Berufe, im besonderen die Anwaltschaft, Versuch einer Kulturwirtschaftslehre. München 1922.
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gesetzlich verbrieften Gleichberechtigung aus Gründen des politischen Rechts, der Vernunft, der Humanität, aber nicht aus innerer Anteilnahme oder warmer Zuneigung.5
Kritisch und zwiespältig wurde auch das Ziel der christlichen Philosemiten bewertet, wenn sie eine Assimilationstendenz vertraten, die als eine konsequent gezogene Linie gedacht wurde, in der am Ende ein Übertritt zum Christentum weniger als religiöser, sondern als bürgerlicher Akt zwangsläufig erwartet wurde. Der Verlust der jüdischen Tradition und des Judentums war in diesem Fall Folge und subtiles Ziel dieser Assimilation. Feuchtwanger bedauerte in seinem Resümee, dass der Philosemitismus nur dort Erfolg hatte, wo die Gegner mit logischen und rationalen Argumenten widerlegt werden konnten, also in wissenschaftlichen, politischen, juristischen und publizistischen Auseinandersetzungen. Im Kampf gegen einen instinktiven Judenhass, der immer neue Formen und Begründungen erzeugte „und dessen irrationales Wesen rationalen Argumenten nicht zugänglich [war]“,6 versagte er. Eine Erklärung für diesen Misserfolg war gleichzeitig ein Vorwurf an die Philosemiten, denen es nach Feuchtwanger an Zuneigung und „wirkliche[r] Sympathie“7 fehlte. In den 70er- und 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in den neu herausgegebenen Lexika zum Judentum8 die Definition zum Philosemitismus abstrakter und ohne die erläuternde Begriffsgeschichte gefasst. Gleichzeitig neutralisierten die Verfasser damit auch die Brisanz der Methoden und Ziele. Der „Philosemitismus“ betraf dort in erster Linie persönliche, zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, die einen Bekenntnis- bzw. politischen und öffentlichen Charakter voraussetzten, der die völlige Gleichstellung und Gleichberechtigung der Juden in ihren Wohnländern befürwortete und eine für den Staat und die Gesellschaft „nachteilige jüdische Sonderart“9 verneinte. Im Gegensatz zur Judenfeindschaft implizierte der Begriff eine „Liebe zu den Semiten“,10 die allgemein als Teil und Ausdrucksform 5 Feuchtwanger, Sigbert: „Philosemitismus“. In: Herlitz, G./Kirschner, B. (Hrsg.): Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Bd. IV, I. Berlin 1930, Sp. 910ff. 6 Ebd., S. 911. 7 Ebd. 8 Es handelt sich hier um die Lexika a) Schoeps, Julius: Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh/München 1998 und b) Bin Gorion [u. a.] (Hrsg.): Lexikon des Judentums. München 1971. In der Enzyclopaedia Judaica wurde kein Artikel zum Philosemitismus veröffentlicht. 9 Zit. n. N.: „Philosemitismus“. In: Lexikon des Judentums (1971), Sp. 624. 10 Der sprach- und sachlogische Zusammenhang mit dem Begriff „Semitismus“ geht aus dem theologisch-historischen Gebrauch des späten 18. Jahrhunderts hervor. Man orientierte sich an der Völkertafel in 1. Mose 10,1, wo semitische Stämme als Nachfolger des Sem (Ham, Japhet) benannt wurden. Seit Beginn der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff „Semit“ als modischer und halbwissenschaftlicher Ausdruck für „Jude“ benutzt. Der Brockhaus schrieb
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Aspekte zu den Voraussetzungen der Judenreform unter Friedrich Wilhelm II.
des Humanismus galt und nach wie vor gilt. Er steht neben der bei Hans-Joachim Schoeps (1952) nachgewiesenen Bandbreite des Begriffs11 bis heute synonym für die freundschaftliche Beziehung eines Nichtjuden zur kollektiv gedachten jüdischen Nation/Bevölkerung. Als einer der ersten und prägendsten Vertreter des Philosemitismus gilt Gotthold Ephraim Lessing.12 Damit wurde der Begriff auch auf Persönlichkeiten projiziert, die sich in der Vergangenheit durch Sympathie und Freundschaft mit jüdischen Zeitgenossen und durch mutiges literarischöffentliches Eintreten für die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung ausgezeichnet hatten. Dass auch die Haltung und Politik von Friedrich Wilhelm II.13 (1786–1797) philosemitische Tendenzen ausdrückte, ist in der Forschung durchaus bejaht worden.14 Am deutlichsten formulierte dies Wilhelm Bringmann, der Friedrich Wilhelm II. in der Reihe der Hohenzollernschen Fürsten einen „ganz ungewöhnlichen Philosemitismus“15 zusprach. Seine Begründungen basieren einerseits auf einem Vergleich mit den Judengesetzgebungen der Amtsvorgänger von Friedrich Wilhelm II. und andererseits auf der Initiative Friedrich Wilhelms II., eine rechtliche Verbesserung der preußischen Juden anzustreben. Allerdings kam die neue umfassende Gesetzgebung nicht mehr unter seiner Regentschaft zustande. Mit Hilfe eines Vergleichs zwischen den gegensätzlichen Charakteren von Friedrich II. und Friedrich Wilhelm II. wurde in der modernen Geschichtsbetrachtung versucht, die fehlende politische Durchsetzungskraft des neuen Monarchen zu deuten.16 Da seine innenpolitischen Handlungen in Abgrenzung zur 1895 zum Semitismus, dass er „die Gesamtheit des Judentums als Volksstamm [bezeichne], ohne Rücksicht auf die Religion“. Brockhaus, 14. Aufl., Bd. 14 (1895), zit. bei Nipperdey/Rürup, „Antisemitismus“, S. 135. Siehe dazu auch Berding, Helmut: Moderner Antisemitismus in Deutschland. Frankfurt a. M. 1988; Massing, Paul: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959; Volkov, Shulamit: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. München 1990. 11 Siehe dazu die Typisierungen bei H.-J. Schoeps, Philosemitismus im Barock, S. 1; Vgl. auch Brenner, Michael: „Gott schütze uns vor unseren Freunden“ – Zur Ambivalenz des Philosemitismus im Kaiserreich. In: Benz [u. a.] (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1992), S. 174–199. 12 Siehe zu Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) Anlage 2: Biografien. 13 Siehe zu Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) Anlage 2: Biografien. Vgl. auch Hartmann: „Friedrich Wilhelm II“. In: ADB, Bd. 7 (1877), S. 685–700. Siehe dazu auch Kapitel 5.2 dieser Arbeit. 14 Vgl. dazu Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 35 oder Bruer, Geschichte der Juden, S. 173. 15 Bringmann, Wilhelm: Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797). Frankfurt a. M. [u. a.] 2001, S. 226. 16 Nach H.-J. Schoeps konnte „eine größere (persönliche) Veränderung kaum gedacht werden als die, welche mit dem Regierungswechsel von 1786 eintrat: „An Stelle der kalten Skepsis hegte der Nachfolger religiöse Ideen mit einer starken Neigung zur mystischen Schwärmerei“. Zit. n. Schoeps, Hans-Joachim: Preußen. Geschichte eines Staates. Frankfurt a. M. Berlin 1981, S. 101. In ähnlicher Weise beschreibt Christopher Clark den Regierungswechsel nach dem Tod von
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Politik Friedrichs II. verstanden wurden, kam auch ihnen der Stellenwert einer bewussten Abwendung von diskriminierenden Gesetzen und Verordnungen zu. Diese Feststellung fand auch in der Beurteilung seiner Politik gegenüber den jüdischen Einwohnern Preußens ein Pendant. Sowohl die Aufnahme der Beratungen für eine neue Judenreform mit der Beteiligung der größten jüdischen Gemeindevertretungen wie auch die in diesem Rahmen durchgeführten, kleinteiligen gesetzlichen Verbesserungen führten zu einem positiven Urteil.17 Aber auch im Umgang mit anderen Minderheiten lässt sich die positive Wertschätzung des Monarchen gegenüber den jüdischen Untertanen erkennen. In einem Gesetzestext aus dem Jahre 1789 erhielten die jüdischen Untertanen in der Auseinandersetzung mit der widerspenstigen Bevölkerungsgruppe der Mennoniten eindeutig positiven Beispielcharakter. Im Edict, die künftige Einrichtung des MennonistenWesens in sämmtlichen Provinzen exclus. Schlesien betreffend (30. Juli 1789)18 beschrieb Friedrich Wilhelm II. in der Präambel der insgesamt fünfzehn Paragrafen umfassenden Verordnung gleichzeitig den Zweck des Gesetzes als Kritik an einem Dogma des Mennonitenwesens. Diese Kritik betraf eine der „wesentlichen Pflicht[en] eines Staats-Bürgers“,19 nämlich die Pflicht des Enrollements bzw. die Ersatzleistung für die Befreiung von der Militärpflicht. Die Mennoniten sollten sich den Verbindlichkeiten unterwerfen, welche einigen, wenn gleich geringen Ersatz für die Befreyung von jener wesentlichen Pflicht eines Staats-Bürgers zu leisten im Stande sind. Nach diesen Bedingungen werden unsere jüdischen Unterthanen behandelt, und die Mennonisten dürfen ähnliche Einrichtungen um so weniger als Gewissenszwang ansehen, da solche auf Religions-Meynungen und gottesdienstliche Handlungen keinen Bezug haben, sondern sie bloß als bürgerliche Mitglieder des Staats betreffen, zu dessen Vertheidigung und Cultur sie sogar weniger beyzutragen geneigt sind, als die jüdischen Unterthanen. Wir wollen, ordnen und befehlen dahero: […].20 Friedrich II. (1786) mit einer Aufzählung der charakterlichen Gegensätzlichkeit zwischen dem verstorbenen Friedrich II. und seinem Neffen Friedrich Wilhelm II.: Der Letztere ein „impulsiver, labiler Charakter, der leicht von seinen Ratgebern gelenkt werden konnte“ und außerstande war „dem preußischen Regierungssystem ein starkes Befehlszentrum zu verleihen“. Friedrich II. sei hingegen ein willensstarker Monarch mit strenger Haushaltsdisziplin gewesen, der mit seinem Führungsstil „fortwährend die Zentralregierung kontrolliert[e] und überwacht[e]“. Clark, Christopher: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947, S. 316. 17 Gedacht ist hier u. a. an Ludwig Geiger (1871) und Ismar Freund (1912); an die Aufhebung des Leibzolls (1777/78), die Aufhebung der Abnahmepflicht des Porzellans aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin (1788) und die Aufhebung der solidarischen Haftung (1801). Siehe dazu Kapitel 4.8 und 5.4 dieser Arbeit. 18 Gedr. in: N.C.C., Bd. 8, Nr. 46, Sp. 2541ff. 19 Ebd., Sp. 2541. 20 Zit. n. N.C.C., Bd. 8, Nr. 46, Sp. 2541.
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Die Befreiung von der Enrollementspflicht galt für die jüdischen und die mennonitischen Untertanen gleichermaßen. Hinzu kam eine erhebliche Anzahl von Befreiungen, die in der Verordnung vom 12. Februar 179221 nochmals fest geschrieben wurden und in der Summe auch die Exemtionen (Militärdienstbefreiungen) unter Friedrich II. neu bestätigten. Die jüdisch-preußischen Untertanen zahlten für ihre Exemtion jährlich 4.800 Rtlr.22 Die Mennoniten hatten nach dem Gnadenedikt von Friedrich II. 5.000 Rtlr. pro Jahr an die Kadettenanstalt in Culm zu zahlen.23 Die Höhe der Zahlungen war also fast identisch. Dass Friedrich Wilhelm II. den bis dato in der juristischen Sprache der preußischen Monarchen ungebräuchlichen Begriff des „Staats-Bürgers“24 an die Erfüllung einer Wehrpflicht band, kam einer Novität gleich. Zu diesem Zeitpunkt war weder der staatsrechtliche Begriff „Staatsbürger“ im preußischen Recht kodifiziert und damit definiert, noch existierte eine Pflicht zum Wehrdienst als Bedingung für die Zuerkennung einer „Staatsbürgerschaft“. Zwar hatte sich auch Carl Gottlieb Svarez (1746–1798)25 in seinen Kronprinzenvorträgen (1791/1792)26 in ähnlicher Form zur Ableistung des Militärdienstes als Erfüllung einer bürgerlichen Pflicht geäußert und offengelegt, dass eine rechtliche Gleichbehandlung nur gegen die Erfüllung aller bürgerlichen Pflichten gewährt werden sollte:
21 Siehe dazu: Reglement, nach welchem in den Königlichen Staaten, jedoch mit Ausschluß des souveränen Herzogthums Schlesien und der Grafschaft Glatz, bey Ergänzung der Regimenter mit Einländern, in Friedenszeiten verfahren werden soll (12. Februar 1792). Gedr. in: N.C.C., Bd. 9, Sp. 777–830. 22 Nach dem Gesetzeskommentar von C. F. Koch war die Summe von 4.800 Rtlrn. für die Befreiung vom Kantonwesen in einem Zirkular v. 24. April 1728 festgelegt worden. Vgl. dazu Koch, Carl F.: Die Juden im Preußischen Staate. Marienwerder 1833, S. 44 u. 46. 23 Diese Summme wurde im Gnadenprivileg (29. März 1780) festgelegt. 24 Siehe zum Begriffspaar „Unterthan-Staatsbürger“ Kapitel 8.2 dieser Arbeit. 25 Siehe zu Carl Gottlieb Svarez (1746–1798) Anlage 2: Biografien. Siehe dazu auch die Beurteilungen bei Hubatsch, Walter: Friedrich der Große und die preußische Verwaltung. Köln. Berlin 1982, S. 220f. und vgl. im Besonderen Hattenhauer, Einführung zum ALR, Kap. II: Die Reformer, S. 14f. 26 In den Kronprinzenvorträgen richtete sich C. G. Svarez persönlich an Friedrich Wilhelm III., dem er Vorlesungen auf dem Gebiet des Staatsrechts und der Rechtswissenschaften hielt. Dieser Unterricht, ergänzt durch Vorträge zur Finanzwissenschaft, war auf Wunsch des Regenten angeordnet worden. Neben der Prinzenerziehung sollte der Thronfolger auf seine zukünftigen Pflichten und die damit verbundene Verantwortung gegenüber dem Staat aufmerksam gemacht werden. Der Staat wurde hier unter Berücksichtigung der Naturrechtslehre als das Ganze einer zusammenhängenden Ordnung betrachtet, in der die Funktion des Ganzen an die Einhaltung und Erfüllung von Pflichten und die Garantie von Rechten des Einzelnen/der Korporationen gebunden wurde.
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Wenn eine Religionspartei Lehrsätze hegt, die zwar an sich nicht gegen die bürgerliche Ruhe und Ordnung sind, die aber doch ihre Bekenner hindern, die Bürgerpflichten nach ihrem ganzen Umfange zu erfüllen, so kann eine solche Religionspartei sich nicht beschweren, wenn ihr die Teilnahme an den Rechten der bürgerlichen Gesellschaft nicht in völlig gleichem, sondern nur in einem verhältnismäßig geringeren Maße verstattet wird.27
Aber der Begriff „Staats-Bürger“ wurde auch im Allgemeinen Preußischen Landrecht (ALR)28 keine rechtliche Bezugsgröße. Die Frage, ob sich der Monarch mit preußischen Verfassungsplänen beschäftigte oder den Begriff singulär und in Anlehnung an die Entsprechungen in England oder Frankreich benutzte, muss anhand fehlender Quellen offenbleiben.29 Das Edikt zur „Einrichtung des Mennonisten-Wesens“ beinhaltete einen weiteren bemerkenswerten Punkt: Die positive Würdigung der preußischen Juden als Ausdruck der Wertschätzung und Anerkennung, die im Kontext mit einer anderen Religionspartei zusätzliche und damit deutliche Vorbildfunktion erhielt. Damit wurde eine kulturelle Leistung der preußischen Juden konstatiert und anerkannt. Da die preußischen Juden im Gegensatz zu den Mennoniten nicht in der Landwirtschaft arbeiteten, bezog sich der hier gedachte Kulturbegriff nicht auf die Arbeit in der Agrikultur.30
27 Zit. n. Svarez, Carl G.: Rechte des Staates über die Religionsgesellschaften. In: Conrad, Hermann/Kleinheyer, Gerd (Hrsg.): Vorträge über Recht und Staat. Köln/Opladen 1960, S. 5–61, S. 56. 28 Siehe zum ALR Hans Hattenhauer, Einführung zum ALR: Kap. II: Redaktionsgeschichte, Kap. V: Das Gesetzbuch der Kompromisse, und Kap. VI: Das ALR nach seiner Verkündigung. Nach H.-U. Wehler bildete das ALR, das nach fast 50-jähriger Vorbereitungszeit, auf 2.500 Seiten rund 19.000 Paragrafen umfasste, bis ins 19. Jahrhundert „eine Grundlage der preußischen Sozialversicherung“. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1770–1815. München 1987, S. 40. Es war angelegt worden, um u. a. Mängel im Justizwesen abzubauen und den territorialen Gesetzen mit einer gesamtstaatlichen Kodifikation entgegenzuwirken. Es galt jedoch real nur ergänzend neben der Provinzialgesetzgebung. Siehe dazu ebenfalls Barzen, Carola. Zur Entstehung des Entwurfs zum Allgemeinen Landrecht. In: Gose,Walter/Würtenberger,Thomas (Hrsg.): Zur Ideen- und Rezeptionsgeschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts. Stuttgart 1999, S. 87–99; Albrecht, Matthias: Die Methode der preußischen Richter in der Anwendung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. Frankfurt a. M. 2005, S. 38ff.; Gärtner, Florian: Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR. Berlin 2007, S. 22f. 29 Nach Reinhart Koselleck existierten nur vage Pläne zu einer Staatsverfassung. Vgl. dazu Koselleck, Reinhart: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. Stuttgart 1967, S. 59. 30 Vgl. dazu Perpeet, Wilhelm: Zur Wortbedeutung von Kultur. In: Brackert, Helmut/Wefelmeyer, Fritz (Hrsg.): Naturplan und Verfallskritik. Zu Begriff und Geschichte der Kultur. Frankfurt a. M. 1984, S. 21–29.
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Nach Samuel (v.) Pufendorf (1632–1694)31 galten Kultur und kulturelle Leistung im Gegensatz zum eher barbarischen Naturzustand als Vernunft voraussetzende (kultivierende) Nutzung von menschlichen Gaben, die neben der ergologischen und moralischen auch eine soziative, die Gesellschaft betreffende Bedeutung hatten. Kultur stand für ein Wir-Gefühl, ausgedrückt in würdevollen und nachahmenswerten Werten, die, vorzugsweise mehr für einen Stand als für einen Staatsverband imaginiert, Verhaltensregeln definierten und verteidigten.32 Wer vereinzelt für sich selbst lebte und handelte, lebte barbarisch, fern von jeder Kultur.33 Da Friedrich Wilhelm II. im o. g. Sinne von einem bürgerlichen Beitrag zur Kultur sprach, deutete diese Einschätzung über einen innerjüdischen Kulturkreis hinaus auf den größeren Bezugsrahmen einer preußischen Gesellschaft, in diesem Fall auf einen Personenkreis, der dem preußischen Monarchen bekannt war. Trotz der aufgeklärten, aber noch wenig akzeptierten Ansicht von Moses Mendelssohn34, dass der Begriff „Cultur“ zwar im Volk nicht weit verbreitet sei, aber die fehlende begriffliche Vorstellung noch keine zutreffende Aussage über 31 Samuel (v.) Pufendorf (1632–1694), einer der radikalsten Frühaufklärer, stammte aus Chemnitz (Sachsen). Der Historiker und Jurist besaß Professuren in Heidelberg und Lund (Schweden) und arbeitete zeitweise als Staatssekretär im schwedischen Staatsdienst. Seit 1686 wirkte er als brandenburgischer Historiograf in Berlin. Siehe Pufendorfs Schriften: Ueber die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. ND Frankfurt a. M. 1994 u. ders.: Die Gemeinschaftspflichten des Naturrechts (1673). ND Frankfurt a. M. 1948. Vgl. auch Randelzhofer, Albrecht: Die Pflichtenlehre bei Samuel v. Pufendorf. Berlin 1983. Vgl. ebenfalls Hüning, Dieter: Naturrecht und Staatstheorie bei Samuel Pufendorf. Baden-Baden 2009. Siehe auch Müller, Sybille: Gibt es Menschenrechte bei Samuel von Pufendorf ? Frankfurt a. M. 2000. 32 Pufendorf, Samuel: Acht Bücher vom Natur- und Völkerrecht. Frankfurt a. M. 1711, 2. Buch, Kap. 4. 33 Ebd. Mit Johann G. Herder (1744–1803) wurde die Historie als Faktor für eine sich entwickelnde Kultur von Gesellschaften, Gemeinschaften, Völkern und Nationen anerkannt. Kultur wurde zukünftig nicht als einzig und statisch, sondern als wandelbar, wachsend und sinkend, epochal und fragmentarisch, als Kulturgeschichte oder Kulturkreis beschrieben. Diese Erkenntnis führte zu der Aufforderung, auch anderen Lebensarten außerhalb des eigenen Kulturkreises, Anerkennung und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Siehe dazu J. G. Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. In: Stephan, Horst (Hrsg.): Herders Philosophie, Bd. 8. Leipzig 1903, Kap. 3–5. 34 Siehe zu Moses Mendelssohn (1729–1786) Anlage 2: Biografien. In seinem Aufsatz zur Frage „Was ist Aufklärung“ schrieb er in der Berlinischen Monatsschrift (1784) u. a.: „Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unserer Sprache noch neue Ankömmlinge. Sie gehören vor der Hand bloß zur Büchersprache. Der gemeine Haufe versteht sie kaum. Sollte dieses ein Beweis sein, dass auch die Sache bei uns noch neu sei? Ich glaube nicht. Man sagt von einem gewissen Volke, dass es kein bestimmtes Wort für Tugend, keines für Aberglauben habe; ob man ihm gleich ein nicht geringes Maß von beiden mit Recht zuschreiben darf.“ Zit. n. Mendelssohn. In: Mendelssohn, Georg Benjamin (Hrsg.): Mendelssohn’s gesammelte Schriften, Bd. 3. Leipzig 1843, S. 399–402, S. 400.
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das wirkliche Vorhandensein von Kultur zuließe, wurde die Anwesenheit von Kultur als spezifisches Signum mit der Lebensweise der aufgeklärten und gebildeten Klasse gleichgesetzt.35 Wenn also von kulturellen Leistungen gesprochen wurde, konnte dies auf die schmale Schicht des Großbürgertums im Gewerbe des Handels zugeschnitten sein, die als Förderer der Fabrikation, der Wissenschaften und Künste bekannt war.36 Ebenso zutreffend konnte sich die Aussage auf den geselligen Austausch in den Jüdischen Salons37 oder die Gespräche, Briefwechsel und Publikationen unter Gelehrten und ihrem Publikum beziehen. Dass Friedrich Wilhelm II. auch privat als Kronprinz oder Monarch die Salons der jüdischen Salonièren Rahel Varnhagen38, Henriette Herz39 oder Sara v. Grotthuß40 besucht hat, lässt sich, zumindest nach den von Petra Wilhelmy zusammengestellten Gästelisten der Salons nicht bestätigen.41 Friedrich Wilhelm II. verkehrte im Salon der bürgerlich geborenen Wilhelmine Enck(e),42 die er 1796 – auf zwei Jahre rückdatiert – als Wilhelmine Gräfin von Lichtenau in den Adelsstand erhob und der er zeitlebens verbunden blieb. Sie unterhielt in Berlin in den Jahren von 1780 bis 1790 eine salonartige Geselligkeit. Als Gast vom preußischen Hof verkehrte Prinz Louis Ferdinand43 regelmäßig in den Salons der jüdischen Salonièren. Bezieht man den Begriff „Cultur“ auf fortschrittliche Leistungen zur Entwicklung der brandenburg-preußischen Wirtschaft ergibt sich ein vergleichbar 35 Vgl. dazu Perpeet, Kultur, S. 25f. 36 Siehe zur Familie und zu den Funktionsträgern der Familie Itzig Kapitel 4.2 u. 4.3 dieser Arbeit. 37 Die Berliner Salons der jüdischen Salonièren werden in Kapitel 8.6 dieser Arbeit näher betrachtet. 38 Siehe zu Rahel Levin-Varnhagen (1771–1833) Wilhelmy, Petra: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780–1914). Berlin/New York 1989, S. 73ff.; Sparre, Shulamit: Rachel Levin-Varnhagen. Salonière, Aufklärerin, Selbstdenkerin, romantische Individualistin, Jüdin. Frankfurt a. M. 2007. Siehe auch aktuell Lund, Hannah Lotte: Der Berliner „Jüdische Salon“ um 1800. Berlin 2012. 39 Henriette Herz (1764–1847) wird in dem Artikel von Ludwig Geiger als vielseitig gebildete Frau beschrieben, die mehrere Sprachen beherrschte, Übersetzungen anfertigte und einen klaren Verstand besaß. Sie führte in Berlin einen Salon, in dem neben den Brüdern Humboldt auch Schleiermacher und Schlegel verkehrten. Vgl. dazu speziell Wilhelmy, Berliner Salon, S. 63ff. 40 Siehe zu Sara v. Grotthuß ebenfalls Wilhelmy, Berliner Salon, S. 67ff. 41 Vgl. dazu das Register zu den Salongästen, in: Wilhelmy, Berliner Salon, S. 906–908. 42 Siehe zur Gräfin v. Lichtenau (1752/54–1820) auch Wilhelmy, Berliner Salon, S. 733ff. Vgl. zur Gräfin auch den Artikel von Bailleu in der ADB und die Monografien zu Friedrich Wilhelm II. von Gustav Sichelschmidt (1993) und Hans-Joachim Neumann (1997). Allgemein galt ihr Verhältnis mit dem preußischen König als schändlich für den Ruf des Königs. Ihr „geringer Einfluss“ auf seine politischen Entscheidungen wurde hingegen positiv vermerkt. Diese Beurteilung sagt allerdings mehr über den Beurteilungsrahmen der Verfasser der Artikel/Monografien als über die Gräfin selbst aus. 43 Siehe zu Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1772–1806) Anlage 2: Biografien.
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positiver Eindruck. Nach den Untersuchungen von Stefi Jersch-Wenzel war die Wirtschaftstätigkeit durch den Einsatz innovativer Technik in der Fabrikation geprägt.44 Finanzielle und materielle Mittel stammten in den Unternehmen weniger aus der Geldakkumulation von Neuaufsteigern, sondern aus einem kleinen Kreis von vermögenden preußischen Juden,45 die ihr Einkommen u. a. auch durch Heiraten,46 kooperative Geschäftsbeziehungen47 und innovative Betriebsorganisationen48 zu halten versuchten. Allerdings gilt nach Jersch-Wenzel zu beachten, dass hier nicht von typischen, nur jüdische Fabrikateure betreffende Handlungsweisen die Rede sein kann. Wenn in der Geschichtsschreibung von „Berliner Großkaufleuten und Kapitalisten“49 gesprochen wurde, so trafen die beschriebenen Merkmale in der Praxis gleichbedeutend auf die hugenottischen und christlichen Kaufleute zu. Diese Indizes können in diesem Sinne als signifikant für Formen von Unternehmenskulturen verstanden werden, die über die Abstammung und das religiöse Bekenntnis hinaus deutliche Parallelen aufwiesen. Gleichfalls wurden frühindustrielle Unternehmungen auch mit geringem Anfangskapital aus dem Gewinn handwerklicher Tätigkeiten gegründet.50 In
44 Siehe dazu Jersch-Wenzel, Stefi: Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/ Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus. Berlin 1978, S. 196ff. Im Unterschied zur Betriebsgröße der üblichen gewerblichen Fabrikation lag der Anteil der jüdischen Fabriken an den Großbetrieben prozentual höher als in den kleinen oder mittleren Betrieben (40 % bei den Unternehmen mit 51–100 Beschäftigten in Berlin u. Potsdam; knapp 30 % bei den Unternehmen mit über 100 Mitarbeitern). Nicht neu eingeführte Produkte sondern eine rationelle Arbeitsweise kennzeichneten die innovative Seite der Produktion. Vgl. dazu das Kapitel zum „Gewerblichen Engagement der Juden“ bei Jersch-Wenzel. 45 Vgl. dazu das Kap. „Kapitalbildung in der jüdischen Gemeinde“ bei Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 147ff. Vgl. dazu auch die Schrift des preußischen Ministers v. Schlabrendorff über die preußischen Hofjuden, die ihren in der Münzwirtschaft verdienten Reichtum in die Fabrikation investieren sollten. Vgl. dazu Schlabrendorff an das Generaldirektorium (1764). Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 279. 46 Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 149 und 153ff. Bei Jersch-Wenzel finden sich auch Beispiele von sog. Newcomern, die ohne Geldheiraten den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg schafften. Ebd., S. 155. 47 Gedacht ist hier an die Verbindungen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts: Friedländer/ Gardemin (Seidenfabrik); Halle, J. von/Marcus (Halbseidenfabrikanten); Bendix/Halle, W. S. von (Wechsel- und Transfergeschäfte); Hirsch/Riess (Samtfabrikation); Bernhard/Mendelssohn (Seidenfabrikation); Wulf/Simon & Co. (Kattunfabrik). Zusammengestellt nach den Angaben bei Jersch-Wenzel und bei Schnee, Hoffinanz, Bd. 1. 48 Darunter versteht Jersch-Wenzel eine Umorientierung in der Arbeitsorganisation, Verbesserungen im Vertrieb und der Rohstoffbeschaffung. Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 170. 49 Im Standardwerk von Rachel/Wallich werden in diesem Sinne alle preußischen Kaufleute, Bankiers, Unternehmer etc. behandelt. Vgl. dazu auch Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 171. 50 Ebd.
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der modernen Forschung ist konstatiert worden, dass Reichtum die Lebenssituation der kleinen Schicht der wohlhabenden Juden veränderte51 und dass dieser Anstieg des Lebensstandards sich in den tradierten Symbolen des Wohlstandes des reichen Bürgertums und des Adels ausdrückte: z. B. im Erwerb von wertvollem Mobiliar und Geschirr, in aufwendiger Dekoration, dem Ankauf von Gemälden und Büchern und dem Anlegen von Prunkgärten. Die Kritik am Luxus, gleichermaßen von Moralisten und Rabbinern geäußert, sprang bereits in der Formulierung der interpretierten Vorlieben und Freizeitvergnügungen deutlich ins Auge und wurde in der Kombination auch gern mit einer Kritik am Lebensstil junger und vermögender Jüdinnen und Juden verbunden.52 Da Friedrich Wilhelm II. in seiner Regierungszeit Prachtbauten schätzte und bauen ließ (u. a. das Brandenburger Tor und das Schloss „Monbijou“)53 galt auch das Berliner Stadtbild mit den prächtigen Häusern einiger jüdischer Entrepreneurs54 als Maßstab kultureller Leistungen, die unter anderem auch in den zeitgemäßen Berliner Stadtbeschreibungen55 und von
51 Siehe dazu Toury, Jacob: Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum. In: Liebeschütz, Hans/Paucker, Arnold (Hrsg.): Das Judentum in der deutschen Umwelt. Tübingen 1977, S. 139– 241. Siehe auch Lowenstein, Steven M.: Soziale Aspekte der Krise des Berliner Judentums 1780– 1830. In: Awerbuch, Marianne/Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Bild und Selbstbildnis der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Berlin 1992, S. 81–105. 52 Nach Schochat wurde insbesondere die Vorliebe für teures Essen, Tanz, Karten- und Würfelspiel und die Mode- und Theatersucht kritisiert. Schochat, Asriel: Der Ursprung der jüdischen Aufklärung in Deutschland. Frankfurt a. M./New York 2000, S. 63ff. 53 Vgl. zu den Bauten, die unter der Regentschaft von Friedrich Wilhelm II. entstanden, den Ausstellungs-Katalog der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg: Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus. Berlin 1997. Siehe dazu auch Kertbeny, Karoly M. v.: Berlin wie es ist. Berlin 1831. ND Leipzig 1981, S. 86ff. 54 Gedacht ist hier u. a. an die Häuser der Familien Itzig und Ephraim. Das dreistöckige Palais des Hofjuweliers und Münzmeisters Veitel Heine Ephraim war vom Meisterarchitekten F. W. Diterichs entworfen worden und nach Art des Rokoko mit Säulen, Pilastern und eleganten Balkonen mit vergoldeten Geländern erbaut worden. Es zählt heute zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt Berlin. Der Bankier Daniel Itzig hatte 1762 ein kleines Palais an der Burgstraße gekauft und zu einem eleganten Stadthaus mit zwei Flügeln ausbauen lassen. Seine Kunstsammlung umfasste u. a. Werke von Watteau, Terboch, Rubens und Antoine Pesne. Siehe dazu u. a. auch Eyssenhardt, Franz: Berlin im Jahre 1786. Leipzig 1886, S. 117ff. 55 Gedacht ist hier an die bekannten Stadtbeschreibungen von Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam nebst aller daselbst befinndlicher Merckwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. 2. Bde. Berlin 1786. Siehe dazu auch die Bauvorhaben, die unter Friedrich Wilhelm III. verwirklicht wurden, wie das Deutsche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Siehe auch die weniger spektakulären städtebaulichen Maßnahmen wie die Straßenpflasterung, die Straßenbeleuchtung, die Einführung von Straßennamen (sichtbar an jeder Ecke) und von Hausnummern. Kertbeny, Berlin, S. 91.
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den beeindruckten Berlinbesuchern lobend erwähnt wurden.56 Aber auch gegenüber den Mährischen Brüdern57 äußerte sich der neue Monarch anerkennend. In der erneuerten Konzession für die preußischen „Brüder-Gemeinen“ bezeugte Friedrich Wilhelm II. den Gemeinden, die seit der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm I. in Preußen ansässig waren, dass sie sich „sowohl einzeln als in ihren Gemeinen, als getreue, ruhige und nützliche Unterthanen und Bürger des Staates bewiesen und betragen [hatten]“.58 Diese aufgezählten und erwünschten Eigenschaften wurden auch zukünftig zur Grundlage der Erteilung eines Privilegs. Unter der Voraussetzung, dass „sie sich auch noch ferner als solche erweisen 56 Gedacht ist hier an die „Bemerkungen eines Reisenden durch die königlichen Preußischen Staaten“, die in Eyssenhardt, Franz: Berlin im Jahre 1786. Schilderung der Zeitgenossen. Leipzig 1886, veröffentlicht wurde. Dort heißt es: „Die Judenschaft in Berlin ist ansehnlich. Die Juden wohnen großenteils in dem eigentlichen Berlin, besonders in der Jüden-, Königs-, Spandauer und einigen anderen Straßen. Unter den Linden hat der Banquier Ephraim ein prächtiges Haus […]. Die Vornehmen oder überhaupt diejenigen, die nach guten Grundsätzen erzogen sind, gehen viel mit den Christen um, nehmen gemeinschaftlich mit ihnen an unschuldigen Zerstreuungen teil, und oft sieht man es ihnen kaum an, daß sie Juden sind. Sehr viele tragen jetzt ihre Haare so wie die Christen, und unterscheiden sich auch in der Kleidung nicht von uns.“ Siehe dazu auch Kertbeny, der zur Bevölkerung Berlins schreibt, dass die Verschiedenheit zu groß ist, um „ein Konzentriren aller der mannichfaltigen, geistigen Stoffe zu einer Tendenz, einem Hauptstreben vereinigen zu können“. Ebd., S. 264. Vgl. dazu auch das zeitgemäße Urteil vom Vicomte de Mirabeau: Von der preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen, Bd. 3. Siehe dazu auch die gesammelten Aufsätze in: D’Aprile, Iwan-Michelangelo (Hrsg.): Europäische Ansichten. Brandenburg-Preußen um 1800 in der Wahrnehmung europäischer Reisender und Zuwanderer. Berlin 2004. 57 Die Mährischen Brüder siedelten seit Anfang der 30er-Jahre des 18. Jahrhunderts in Preußen/Berlin. Unter Friedrich II. wurde ihnen gestattet, eigene Kirchen zu unterhalten, öffentliche Gottesdienste abzuhalten und eigene Geistliche zu berufen. Sie durften sich unter Friedrich II. in ganz Preußen ansiedeln, sollten allerdings nach den Vorschlägen des Königs hauptsächlich in Schlesien siedeln. Die Landesbehörden sollten die Gemeinden vor Beeinträchtigungen schützen. Vgl. dazu die Konzession vom 25. Dezember 1742. Gedr. bei Schwan/Moser mit erläuternden Anmerkungen von Friedrich Freiherr Carl von Moser: Friedrich Wilhelms II. Königs in Preußen Concession für die Evangelische Brüder-Gemeinen und Bestätigung der ehevorigen Königlichen Privilegien. Mannheim/Leipzig 1790, S. 2–6, S. 7–16. Am 6. Mai 1744 erhielten die Mährischen Brüder aufgrund ihrer Erfolge im landwirtschaftlichen Anbau und im Anlegen von Fabriken eine General-Konzession zu ihrem beständigen Aufenthalt in Schlesien (Neusalz, Buhrau, Roesnitz, Ober-Peilau und Groß-Krausche) bestätigt. Die Befreiung von der Militärpflicht sollte nur für die erste Siedlergeneration gelten. Eine weitere General-Konzession (18. Juni 1763) bestätigte die Rechte erneut. Ebd., S. 16–19. Vgl. ansonsten Rican, Rudolf: Die Böhmischen Brüder. Ursprung und Geschichte. Berlin 1961. Modrow, Irina: Dienstgemeine des Herrn. Hildesheim [u. a.] 1994. Am ausführlichsten dazu Graffigna, Eva-Maria: Böhmen in Berlin. In: Jersch-Wenzel, Stefi/John, Barbara (Hrsg.): Von Zuwanderern zu Einheimischen. Berlin 1990, S. 491–591. 58 Erneuerte Concession für die Brüder-Gemeinen (10. April 1789). Zit. n. Schwan/Moser, Concession (1790), S. 19–22, S. 20.
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und betragen w[ü]rden“59, bestätigte Friedrich Wilhelm II. ihre bisher genossenen Privilegien und Freiheiten. Die obersten Landesbehörden sollten die besondere „Verfassungs-Freyheit“60 schützen und die Brüdergemeinden, „als wahre Augspurgische Confeßions-Verwandte ungekränkt“ erhalten.61 Friedrich Carl Freiherr von Moser62, der Sohn des einflussreichen Verfassungsrechtlers Johann Jakob Moser hatte zuvor seine Empörung darüber geäußert, dass die Brüdergemeinen im Religionsedikt vom 9. Juli 1788 „mit Juden und Mennonisten vermengt [wurden]“.63 Darüber hinaus hielt er auch die Ermahnungen in den Konzessionen an die Mährischen Brüder für überflüssig und war der Ansicht, dass eher die „jüdische Kolonie oder eine aus [dem] Orient gekommene Karawane, die von deutschen Bürger- und Untertanenpflichten nichts wissen“64 an diese geforderten Leistungen erinnert werden sollten.
59 Ebd. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte zum Thema Assimilation erstaunt es vielleicht, dass die Mährischen Brüder bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ihren böhmischen Dialekt sprachen und in der deutschen Sprache auf die Verwendung von bestimmten und unbestimmten Artikeln verzichteten. Vgl. dazu u. a. Motel, Manfred: Zum Böhmischen Dorf in Berlin-Neukölln (Rixdorf). In: Korthaase, Werner (Hrsg.): Das Böhmische Dorf in Berlin-Neukölln. 1737–1987. Berlin 1987, S. 24. 60 Ebd. Diese Freiheit beinhaltete u. a. die Freiheit von der Enrollementspflicht. 61 Ebd. Die Confessio Augustana (CA), von Philipp Melanchthon und Johannes Brenz verfasst, wurde auf dem Reichstag vom 25. Juni 1530 verlesen. In der 28 Artikel umfassenden Apologie formulierten und begründeten die Reformatoren ihre Kritik an der römisch-katholischen Kirche, stellten die eigene Lehre als Korrektur/Reform vor und versuchten deren Übereinstimmung mit der Bibel und der christlichen Tradition zu beweisen. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Gestalt des Abendmahls formulierten die oberdeutschen Städte und die Zwinglianer eigene Bekenntnisse. Im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde die Rechtmäßigkeit dieser Glaubensgemeinschaften nicht anerkannt. 1540 modifizierte Melanchthon den Text in der sog. Confessio Augustana Variata. Diese Fassung unterschrieb ein Jahr später auch Calvin. Auf dem Naumburger Fürstentag (1561) beschloss man jedoch, die unveränderte Fassung, also das Original (CA) als verbindliches Bekenntnis der lutherischen Kirche beizubehalten. Die CA Variata wurde zukünftig Bekenntnisgrundlage der unierten Kirchen. Vgl. dazu die entsprechenden Artikel in den Lexika zum Kirchenrecht.Vgl. zu den anerkannten religiösen Glaubensgruppierungen im Sinne der Augsburger Konfession und den entsprechend vorausgesetzten Glaubensinhalten auch Cyprian, Ernst Salomon: Historia Der Augspurgischen Confesion, Auf Gnädigsten Befehl Des Durchläuchtigsten Fürsten Und Herrn Friederichs Des Andern, Herzogens Zu Sachsen-Gotha, Aus Denen Original-Acten Beschrieben. Gotha 1730. 62 Siehe zu Friedrich Carl von Moser (1723–1798) Anlage 2: Biografien. Vgl. auch Stirken, Angela: Der Herr und der Diener. Friedrich Carl v. Moser und das Beamtenwesen seiner Zeit. Bonn 1984, und Hattenhauer, Hans: Geschichte des deutschen Beamtentums. München 1993, S. 105f. 63 Moser, Concession, S. 24. 64 Ebd., S. 61.
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Eine Population, die deutlich aus dem geduldeten und mit Schutzbriefen versehenen Minderheitenschutz herausfiel, war die Gruppe der Zigeuner.65 Nach einer Verordnung vom 22. Januar 1793 Wider das Einschleichen und Herumstreichen der Zigeuner in West- und Ostpreußen66 wurde das Edikt vom 30. November 1739 in vier Artikeln teils bestätigt und teils verschärft. Innerhalb der bisher beschriebenen Klientel wurde den Zigeunern der weitaus gefährlichste Charakter zugeschrieben. Um sie aus den Grenzgebieten fortzuschaffen, wurden die Landräte und Kreise aufgefordert, die Hilfe des Militärs aus den nächstgelegenen Garnisonen in Anspruch zu nehmen. Sollten Zigeuner oder „eine Bande dieses Gesindels im Lande angetroffen und aufgegriffen [werden]“67, hatten die Gemeinden auch strafrechtlich für ihre Nachlässigkeit im Umgang mit dem neuen Edikt zu haften (Art. 1). Ohne Untersuchung dürften die Festungskommandanten die Männer zur „lebenswierigen Festungs- sowie die Weiber zur lebenswierigen Zuchthausarbeit verurteil[en]“68(Art. 2). Ihre Kinder sollten ihnen abgenommen und auf Kosten seiner Majestät von anderen Menschen „in einer bessern Lebensart“69 erzogen werden (Art. 3). Den großen Unterschied in der rechtlichen Behandlung machte die Ausübung eines „ordentlichen ehrlichen Gewerbe[s]“70. In diesem Fall sollten die arbeitenden Zigeuner „gleich andern Unterthanen geschützt und geduldet [werden]“.71 Eine deutliche Unterscheidung wurde auch zwischen sesshaften Schutzjuden und den ohne Schutz versehenen Bettel- und Wanderjuden getroffen. Friedrich Wilhelm II. erinnerte in einem Reskript an das Kammergericht (4. April 1791)72 an die strikte Einhaltung des friderizianischen Edikts vom 12. Dezember 178073. In der Einleitung zum aktuellen Reskript kritisierte Minister Carmer74, dass das Edikt 65 Siehe dazu die bereits genannte Ediktensammlung in: Mylius, C.C.M, 5. T., 5. Abt. 66 Gedr. in: N.C.C., Bd. 10, Nr. 8, Sp. 1429–1432. 67 Ebd., Sp. 1429. 68 Ebd., Sp. 1430. 69 Ebd. 70 Ebd., Sp. 1431. 71 Ebd., Sp. 1432. 72 Erneuertes und geschärftes Edict wegen der überhand nehmenden fremden Bettel-Juden. In: N.C.C., Bd. 9, Sp. 69–70. 73 N.C.C., Bd. 6, Sp. 3083–3092. Friedrich II. bezeichnete die Wanderjuden als Gesindel, sprach in Bezug auf die Tätigkeit der Zollstationen von einer Vernachlässigung der Pflicht und allgemein von einem Übel, dem er sich aus landesväterlicher Vorsorge selber widmen müsse, und erhob damit die Sache zu einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit. Vgl. dazu die Präambel im Edikttext vom 12. Dezember 1780. Jeder Reisende hatte sich an den Grenzorten neu zu „verzollen“, also seine Angaben zur Person und zum Reiseziel neu anzugeben. Die Durch- oder Einreise wurde gestattet, wenn die Person/en „gedachtermaßen zum einpaßiren qualifiziret befunden wurde/[n]“. (Art. 3). Ebd. 74 Siehe zu Johann Heinrich Casimir Graf v. Carmer (1721–1801) Anlage 2: Biografien im Anhang. Siehe auch Hattenhauer, Einführung zum ALR (1994), Kap. II: Die Reformer, S. 14ff.
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von 1780 von „den Obrigkeiten gänzlich vernachlässigt und außer Acht gelassen [werde]“.75 Auf Spezialbefehl des preußischen Königs richte man sich daher an die Dorfgerichte und Gemeinden und erwarte von ihnen genaueste Untersuchung über die fremden Juden. Protokolle mit Angaben zum Ort, zur Tageszeit und zum Grenzübertritt sollten an die zuständigen Kriegs- und Domänenkammern76 weitergeleitet werden. Um die Trennung zwischen den konzessionierten und nicht tolerierten Juden für die Behörden sichtbar zu machen, wurde im Zirkular vom 28. April 179177 bestimmt, dass Juden auf Reisen ein Geleit-Attest vorzuweisen hätten. Die Magistrate wurden angewiesen, diese Atteste nur für bekannte und bei ihnen wohnhafte inländische Schutzjuden auszustellen.78 Wie im friderizianischen Edikt von 178079 blieb der Gegenstand der Ermittlung, die Personenkontrolle von etablierten und nicht etablierten Juden in Preußen, unverändert.
3.2 Die Berliner/Preußische Aufklärung Dass die Residenz- und Großstadt Berlin80 zu einem Zentrum oder „Brennpunkt“81 in der Diskussion um die Inhalte und die Methodik der Aufklärung wurde, wird in der Forschung mit ihrem Status als Stadt des Hofes, der Politik und der Kameralistik,82 der Wissenschaft und der Künste, den neuen Formen der Sozia75 Reskript vom 4. April 1791.Gedr. in: N.C.C., Bd. 9, Sp. 69. 76 Die Kriegs- und Domänenkammern waren seit 1724 für die allgemeinen „Juden.Sachen“ zuständig. In den einzelnen Landesteilen unterstanden die Kammern dem Gen.-Dir. als Provinzialund Exekutivbehörde waren sie für die Finanz-, Polizei- und Militärverwaltung zuständig. 1740 gab es neun, 1772 zwölf Kammern. Die Behörde war kollegialisch organisiert. Beschlüsse mussten gemeinsam gefasst werden. An der Spitze stand ein meist adliger Kammerpräsident, dem ein bis zwei Direktoren assistierten. Abhängig von der Bedeutung und der Größe der Provinz arbeiteten bis zu zwanzig Kriegs- und Domänenräte vor Ort. Ihnen unterstanden die lokalen Exekutiv- und Kontrollbeamten, die mit allen städtischen Materien (Polizei, Handel, Gewerbe und indirekten Steuern) betraut waren und als Steuer- und Landräte fungierten. Zusammengefasst nach Straubel, Rolf: Biographisches Handbuch der Preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten. 1740–1806/15, 1 Bd. 2 Teile, München 1999, Einleitung, S. 18f. 77 Gedr. in: N.C.C., Bd. 9, Sp. 85–86. 78 Ebd. 79 Ebd. 80 Zwischen 1709 und 1800 wuchs die Bevölkerung Berlins von 55.000 auf 172.000 Einwohner an. Siehe dazu Schultz, Helga: Berlin 1650–1800. Sozialgeschichte einer Residenz. 2. Aufl. Berlin 1992, S. 321ff. 81 Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Berlin/Stettin. 1773. ND Berlin/DDR 1960, S. 6. 82 Vgl. dazu Meyer, Michael A.: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland. 1749–1824. München 1994, S. 133ff.
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bilität83 und der sozialen und kulturellen Verdichtungen,84 der Vergesellschaftung in den Salons, den Clubs und Lesegesellschaften85 und nicht zuletzt auch aufgrund der Publikationsmöglichkeiten, ihrer Verlegerschaft,86 den Zeitschriften und dem Interesse ihres Publikums zugeschrieben.87 Zählt man neben den 83 Zit. n. Graetz, Michael: Jüdische Aufklärung. In: Meyer, Michael A (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1: Tradition und Aufklärung 1600–1780. München 1996, S. 251–269, S. 258. 84 Zit. nach D’Aprile, Iwan-Michelangelo: Mirabeaus anderes Preußen. In: D’Aprile, Europäische Ansichten, S. 102. 85 Gemeint sind hier u. a. der „Montagsclub“ (1749 gegr.) und die „Mittwochsgesellschaft“ (wahrscheinlich 1783 gegr.) Die Mitglieder des Clubs waren vorwiegend Beamte, Wissenschaftler und Künstler. Zum Montagsclub gehörten in den Anfangsjahren u. a. Lessing, Nicolai, Ramler, die Musiker Agricola und Quantz, der spätere Staatsminister J. C. (v.) Woellner, der Oberkonsistorialrat und spätere Propst Teller, die Aufklärer Biester, Sulzer und Thomas Abbt. Vgl. dazu die Mitgliederliste in: Schmidt-Ott, Friedrich/Hagens, Walter v.: Der Montagsclub in Berlin. 1899 bis 1955. Berlin 1955. Danach gehörten u. a. folgende Beamte dem Club an: Joh. H. Wloemer, Albrecht H. von Arnim, Christian W. (v.) Dohm, Graf v. Carmer, Frhr. von Schleinitz, Friedrich E. v. Massenbach, Friedrich Pfeiffer (Oberjustizrat), Friedrich v. Schuckmann (Staatsminister), Johann W. Süvern (Oberregierungsrat), Friedrich A. v. Staegemann (Staatsrat), Heinrich Schmedding (Staatsrat). Vgl. ebenfalls Lichtenstein, Martin C: Der Montagsclub in Berlin 1749–1899. Eine Fest- und Gedenkschrift zu seinem 150. Geburtstag. Berlin 1898. Zu den Mitgliedern der Mittwochsgesellschaft gehörten u. a. die Staatsrechtler Svarez und Klein, die Konsistorialräte Teller, Zöllner, Gedike, der Staatsbeamte C. W. Dohm und als Ehrenmitglied M. Mendelssohn. Siehe zur Mittwochsgesellschaft auch Schneider, Ute: Friedrich Nicolais Allgemeine Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik. Wiesbaden 1995, S. 66ff. u. Birtsch, Günter: Die Berliner Mittwochsgesellschaft. In: Bödeker, Hans E. (Hrsg.): Über den Prozeß der Aufklärung in Deutschland im 18. Jahrhundert. Göttingen 1987, S. 94–112. 86 Gedacht ist hier an Erich Biester, Friedrich Gedike und Friedrich Nicolai, zu dessen herausragender Stellung Heinrich Heine schrieb: „Die stärksten Anregungen kamen von Berlin, wo Friedrich der Große und der Buchhändler Nicolai regierten.“ Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. In: Schweikert, Ulrich (Hrsg.): Heinrich Heine. Sämtliche Werke, Bd. III. München 1992, S. 463. Und weiter heißt es bei H. Heine: „Dieser Mann war das ganze Leben über unablässig für das Wohl des Vaterlandes tätig, er scheute weder Mühe noch Geld, wo er etwas Gutes zu befördern hoffte.“ Ebd., S. 464. Nach A. Bruer war Nicolai „einer der wichtigsten Verleger und Rezensenten der bedeutungsvollsten Zeitschrift für die deutsche Aufklärung“ (Gemeint ist die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ [Anm. d. Verf.]). Bruer, Geschichte der Juden, S. 61. Die Schriftsteller Mylius und Lessing waren ihrerseits mit den Verlegern Voss und Spener befreundet. 87 Gedacht ist hier an die Institutionen der Aufklärung wie die „Berlinische Monatsschrift“; „Die Allgemeine deutsche Bibliothek“; die „Critischen Nachrichten aus dem Reich der Gelehrsamkeit“; „Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen“; „Berlinische Jahrbücher“; „Berlinisches Journal für Aufklärung“; „Neues Berliner Intelligenzblatt“. Vgl. dazu die Sammlung im Berlin Archiv und u. a. Goldenbaum, Ursula: Der Berolinismus. Die preußische Hauptstadt als ein Zentrum der geistigen Kommunikation in Deutschland. In: Förster, Wolfgang (Hrsg.): Aufklärung in Berlin. Berlin 1989, S. 339–362. Vgl. als Überblicksdarstellung auch die
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Literaten und Verlegern auch ganze Gesellschaften und Berufsgruppen durch die Inhalte ihrer innerzirklichen Agenda zu „sozialen Trägern der Aufklärung“88, so zählten hierzu auch hohe preußische Beamte, die als Mitglieder in Freimaurerzirkeln einen vom Stand unabhängigen Verhaltenskodex befolgten. Gleiches gilt für Adlige und Bürgerliche, die als regelmäßige Besucher der Berliner Salons einen offenen Diskurs zur Moderne pflegten und organisierten und ebenso für einen Teil der protestantischen, der Aufklärung nahestehenden Pfarrerschaft, die in ihren Predigten alttestamentliche Schriften neu bewerteten und als symbolhafte Erzählungen und weniger als göttliche Offenbarungen deuteten. Das breite Berufs- und Herkunftsspektrum der publizistisch aufklärerisch wirkenden Autorenschaft zeigt sich nach den Untersuchungen von Horst Möller auch exemplarisch in den Mitarbeiterlisten der Berlinische[n] Monatsschrift, die allerdings aufgrund der Überschneidungen und möglichen doppelten Zuordnungen nur eingeschränkt zu interpretieren sind. Zu den Mitarbeitern dieser Zeitung zählten nach Möller neben zehn Juden und fünf meist adligen Frauen vorwiegend Professoren und Schulmänner, höhere Beamte des Staates und des Klerus, hohe Offiziere (Beamte), Buchhändler, Kaufleute, Bankiers und ein Handwerksmeister.89 Nach den Untersuchungen von Shmuel Feiner schrieben in den Jahren 1783 bis 1796 zwanzig Juden für die Monatsschrift und stellten damit einen Autorenanteil von ca. drei Prozent.90 Zu ihnen zählten Moses Mendelssohn, David Friedländer und Marcus Herz, Salomon Maimon, Lazarus Bendavid, Saul Ascher und Michael Friedländer, David Oppenheimer und Marcus Bloch. Nach Feiner stammten bis auf Mendelssohn selbst und Salomon Maimon fast alle aus bürgerlichen Familien, hatten in „einem Prozess der Akkulturation“91 die deutsche Sprache und Kultur durchlaufen und zählten zur deutsch-jüdischen Intelligenz, die meist auf Deutsch für ein allgemeines Lesepublikum schrieb. Die Leserschaft der Zeitung lag über den Raum Berlin hinaus mit einem deutlichen Schwergewicht in norddeutschen, westfränkischen und sächsischen Gebieten.92
entsprechenden Aufsätze bei Emundts, Dina: Immanuel Kant und die Berliner Aufklärung. Wiesbaden 2000. 88 Zit. n. Möller, Horst: Aufklärung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai. Berlin 1974, S. 246. 89 Möller, Aufklärung, S. 251. 90 Feiner, Shmuel: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim [u. a.] 2007, S. 271. 91 Feiner, Haskala, S. 272. 92 Siehe dazu Möller, Aufklärung, S. 251.
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Friedrich Nicolai (1733–1811),93 einer der einflussreichsten Berliner Aufklärer, ging von der Hoffnung aus, dass die für die Aufklärung entscheidenden Schichten die mittleren Klassen des Volkes wären.94 Diese Zuversicht basierte einerseits auf dem vorausgesetzten Erfolg einer theoretischen Vorbildung als Lesepublikum der aufgeklärten Schriften und andererseits auf der Vermutung, dass sich das Bürgertum als maßvoller Vertreter der natürlichen Rechte eher an den Mindestforderungen der Menschenrechte orientieren würde als an der Durchsetzung mittels eines gewalttätigen revolutionären Umsturzes.95 Als Vertreter eines bürgerlichen und gemäßigten Konsenses ging es Nicolai um freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit,96 um Reformen zur politischen Mitwirkung in den
93 Siehe dazu die Schriften von Friedrich Nicolai selbst in der von Bernhard Fabian und MarieLuise Spieckermann herausgebenen Gesamtausgabe: Gesammelte Werke. 20 Bde. Hildesheim [u. a.] 1988–1997, und zu Auskünften über seine Biografie speziell Bd. 1, 2: Ueber meine gelehrte Bildung, ueber meine Kenntniß der kritischen Philosophie (1799). Siehe dazu die Aufsätze in: Falk, Rainer/Kosenina, Alexander (Hrsg.): Friedrich Nicolai und die Berliner Aufklärung. Hannover 2008 und Schneider, Ute: Friedrich Nicolais verlegerisches Handeln auf einem Buchmarkt im Wandel. In: Falk/Kosenina (Hrsg.), Friedrich Nicolai, S. 121–138. 94 Möller, Auklärung, S. 253ff. Als bürgerlichen Stand bezeichnete Nicolai die städtischen Bürger, die a) in Handel und Gewerbe tätig waren und die b) christliche Gesetze und Normen als gemeinsamen Wertekanon verstanden. Grundbesitz zählte nach Nicolai nicht zu den Kriterien. Die Kaufmannschaft in Berlin untergliederte Nicolai in vier Klassen, die folgend noch genannt werden. Siehe dazu ebenfalls Dietzsch, Steffen: Kant Kritizismus und das aufgeklärte Berlin.1780–1800. In: Emundts, Dina (Hrsg.): Immanuel Kant und die Berliner Aufklärung. Wiesbaden 2000, S. 40–59. 95 Möller, Aufklärung, S. 254. 96 Das knapp fünf Monate nach dem Religionsedikt erlassene „Erneuerte Censur-Edict für die preußischen Staaten“ (19. Dezember 1788) betraf die gesamte preußische Literatur. Alle Schriften, auch reine Hochschulschriften, unterlagen der Zensur, sollten vor dem Druck intern von den Hochschulen und den Verlagen geprüft und zur Erlaubnis des Druckes den Zensoren vorgelegt werden. Verboten wurden die Schriften im Fall der Verbreitung „gemeinschädlicher praktischer Irrthümer über die wichtigsten Angelegenheiten der Menschen, [die] zu Verderbniß der Sitten durch schlüpfrige Bilder in lockende Darstellungen des Lasters [führen konnten], zum hämischen Spott und boshaften Tadel öffentlicher Anstalten und Verfügungen [anhielten]. […]“ Kurz: Alle Schriften, die „zu Kummer und Unzufriedenheit“ führen konnten, weil sie „Neid, Rachgier und Verleumdung“ förderten oder beinhalteten und „die Ruhe guter und nützlicher Staatsbürger stör[t]en“. Siehe dazu die Präambel des Gesetzes in: N.C.C., Bd. 8, Sp. 2333. Der Verlegerschaft und den Literaten wurden in Art. VIII fiskalische Strafen und Festungshaft angedroht. Folgend wurden Bücher verstärkt im Ausland, vorzugsweise in Holland gedruckt. Verboten wurde unter anderem auch die „Berlinische Monatsschrift“. In einer KO vom Dezember 1824 fand bereits eine Umdeutung des Gesetzes zu Gunsten des Schutzes der Privatsphäre statt. Dort wird von einem älteren Zensurgesetz berichtet, das nur den Schriften die Druckerlaubnis entzog, „welche zur Kränkung der persönlichen Ehre und des guten Namens anderer abzielte[n]“. Zit. n. KO (28. Dezember 1824): Über einige nähere die Zensur betreffende Bestimmungen.
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Staatsgeschäften, um eine Reform in der Ständeverfassung, um eine Erziehung und Schulbildung in staatlicher Verantwortung und gegen kirchliche Machtansprüche, um den Schutz der allgemeinen bürgerlichen Freiheiten [z. B. Schutz des Eigentums] und um Gesetze im Interesse der Untertanen ohne monarchische Willkür.97 Der Weg zu einer politischen Bewegung führte für Nicolai über die literarische, philosophische und gelehrte Bildung und den gesellschaftlichen Diskurs.98 Dass diese Vorstellungen bereits zu Lebzeiten Nicolais teilweise Realität wurden, zeigen die Untersuchungen von Horst Möller. Als Beispiel für den Erfolg dieses gesellschaftlichen und aufgeklärten Diskurses und seiner Umsetzung in die politisch-reale Staatsordnung kann nach seinen Untersuchungen die Mittwochsgesellschaft stehen, die die Entstehung des ALR und die Meinung ihrer Verfasser beeinflusste.99 Eine weitere den Diskurs pflegende Gesellschaft fand sich in den Berliner Salons. Nach Möller war die Zahl der Literaten und Künstler jedoch weitaus höher, das Publikum jünger und weniger politisch einflussreich und die unmittelbare „politische Einflussnahme“100 kaum gegeben. Nach den Einschätzungen der berühmten französischen Besucherin Mme. de Staël kam der intellektuellen Kultur Berlins eine besondere Bedeutung zu: „Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichts betrachten. Wissenschaften und Künste sind im Flor […]. In den letzten Jahren machte die Pressefreiheit, der Verein geistreicher Männer, die Kenntnis der deutschen Sprache und Literatur, die sich allgemein verbreitet hatte, Berlin zur wahren Hauptstadt des neuen, des aufgeklärten Deutschlands.“101 Zur Kritik der berühmten Besucherin, die im Vergleich zur Vergesellschaftung der französischen Aufklärung anmerkte, dass die Berliner Aufklärung eine rein männliche Angelegenheit sei, wurde bereits mehrmals bemerkt, dass in den Berliner Salons auch eine gemischte Gesellschaft zusammenkam und den gesellschaftlichen Verkehr förderte.102 Möglicherweise unterschätzte die Besuche97 Möller, Aufklärung, S. 553ff.: Nicolais Staatsauffassung. 98 Ebd. 99 Ebd., S. 230f. 100 Ebd., S. 230. 101 Germaine de Staël: De L’Allemagne. 1810. Zit. nach der Übersetzung von Balaye/Pange. Paris 1958, S. 108. Siehe dazu auch die neue Übersetzung: Staël, Anne Germaine de: Über Deutschland. Vollständige und neu durchgesehene Fassung der deutschen Erstausgabe von 1814. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Monika Bosse. Frankfurt a. M. 1985. Siehe zu Mme. de Staël auch die jüngste Veröffentlichung an Aufsätzen von Kaiser, Gerhard R./ Müller, Olaf (Hrsg.): Germaine de Staël und ihr erstes deutsches Publikum. Literaturpolitik und Kulturtransfer. Heidelberg 2008. Siehe zu den Beurteilungen der Breitenwirkung der Aufklärung in Berlin auch die gesammelten Darstellungen bei Glatzer, Berliner Leben, S. 219ff. 102 Germaine de Staël in einem Brief an Jacobi vom 11. März 1804. Gedr. in: Goetze, Alfred (Hrsg.): Ein fremder Gast. Frau von Staël in Deutschland. 1803/04. Jena 1928, S. 106.
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rin den organisatorischen Aufwand der Salonführung und betonte stärker den dekorativen Reiz der Salonbesucherinnen und Gastgeberinnen.103 Versteht man also das Streben nach Emanzipation aus den Strukturen überlieferter Autorität als eine Form der Aufklärung,104 so gehörten auch jüdische Frauen105 und reine Frauenzirkel als „Laien“ zum rezipierenden Teil des Publikums.106 Dass sich zum Ende des 18. Jahrhunderts das Interesse an erkenntnistheoretischen Schriften und Fragen verlor und sich die Frauen gleich den preußischen Männern stärker für die Politik und die Konsequenzen der französischen Politik interessierten oder in den Zirkeln der Romantik neue Anregungen im Gegensatz zur vernunftbetonten Aufklärung suchten, mag ein Grund für einen realen Kern in der Einschätzung von Germaine de Staël gewesen sein, die in einem Brief an Jacobi vom 11. März 1804 erwähnte: „Die Denker sind dem Irdischen entrückt, auf Erden findet man nur Grenadiere, doch – das unter uns.“107 103 Siehe zu den Salons Kapitel 8.6 dieser Arbeit. In der Kurzbiografie von Henriette Herz in der ADB vermerkt der Verfasser Ludwig Geiger ausdrücklich die freundschaftliche Beziehung von Henriette Herz zu Mme. de Staël. 104 Siehe dazu Gaier, Ulrich: Gegenaufklärung im Namen des Logos: Hamann und Herder. In: Schmidt, Jochen (Hrsg.): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Darmstadt 1989, S. 261–276, S. 265. 105 Als Beispiel sollte nach den Untersuchungen von Shulamit Sparre auch Rahel Levin-Varnhagen genannt werden, weil sie sich als aufgeklärte Frau von männlicher Dominanz und Unterdrückung im Denken und Handeln zu befreien suchte. Inwieweit sie nach Sparre auch als Aufklärerin zu verstehen ist, wird nicht wirklich deutlich, gerade weil Levin-Varnhagen, wie Sparre aus den Briefen belegt, als Frau am öffentlichen Diskurs nicht in demselben Maße teilnehmen konnte wie Männer. Ihre zitierten Briefwechsel hatten privaten und keinen öffentlichen Charakter, und ihr Einflussbereich in der Salongesellschaft bezog sich auf eine geschlossene Gesellschaft mit exklusivem Clubcharakter. 106 In den Einzelbeispielen der gemeinsam reisenden Sophie Becker (1754–1789) und Elisa von der Recke lässt sich durchaus nachweisen, dass beide Frauen auf ihren Reisen innerhalb deutscher Städte und Landschaften die Bekanntschaften mit der Bildungselite der Zeit suchten, in Briefwechseln pflegten, und sich, wie im Fall von Sophie Becker auch publizistisch in den „Halberstädtischen gemeinnützigen Blättern“ und in der „Deutschen Monatsschrift“ für die Beteiligung von Frauen an öffentlich aufklärerisch-patriotischen Aktivitäten einsetzten. Zur guten Verbindung von Herz-Gefühl-Verstand für die persönliche Religiosität befragte Sophie Becker brieflich auch Moses Mendelssohn, den sie auf einer Reise nach Berlin (1785) mit Frau von der Recke kennengelernt hatte. Seine Antwort enthielt ein persönliches Bekenntnis, in dem er aus eigener Ansicht zur Beibehaltung auch populärer und aus der Kindheit vertrauter Riten und Glaubensüberzeugungen riet, so lange, bis die Vernunft stark genug war, „den Abgang der angenehmen Empfindungen anderweitig zu ersetzen“. Conrad, Anne: Rationalismus und Schwärmerei. Studien zur Religiosität und Sinndeutung der Spätaufklärung. Hamburg 2008, S. 131. Siehe zur Kammerherrin von der Recke: Müller, Adelheid: „Die Frau Kammerherrin von Recke wird Berlin passieren und wünscht Sie zu kennen.“ In: D’Aprile, Europäische Ansichten, S. 113–140. 107 Germaine de Staël an Jacobi (11. März 1804), zit. n. Goetze, Stäel, S. 113.
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Nach den Untersuchungen von Thomas P. Saine hatte eine große Zahl von Schriften zu nützlichen Wahrheiten ein so hohes Ausmaß an Popularisierung erreicht, dass der Markt für die Erkenntnisschriften schnell gesättigt war. Gerade weil sich führende Vertreter der Berliner Aufklärung wie Friedrich Nicolai „zu lange auf der Bühne“108 hielten, waren seit den 1790er-Jahren kaum mehr neue Erkenntnisse oder deren politische Umsetzung zu erwarten. Die Aufklärung entwickelte sich schließlich zu „reine[m] Epigonentum“.109 Gemeinsam war den Popularphilosophen,110 dass sie in Briefen, Selbstgesprächen, moralischen Reflexionen, in Aufsätzen und moralischen Essays keinen streng wissenschaftlichen Stil pflegten oder konservierten, sondern eine Bewegung der Selbsterkenntnis für den nicht akademisch gebildeten Bürger förderten bzw. initiierten.111 Darüber hinaus existierte nach den Untersuchungen von Ursula Goldenbaum eine Rezeption der französischen Aufklärerschriften durch deutsche Literaten, wie z. B. durch Christlob Mylius und Gotthold E. Lessing, die sich in ihren Übersetzungen und Rezensionen mit den älteren französischen Aufklärern auseinandersetzten und deren Ideen für ihr Publikum erläuterten, empfahlen oder auch verwarfen.112 Dass auch der Graf de Mirabeau in seinen Besuchen in Preußen 1786/87 als Anhänger der preußischen Aufklärung angesehen wurde, geht aus einer Untersuchung von Peter Weber über Mirabeau und die preußischen Aufklärer in der Aufsatzsammlung Französische Kultur – Aufklärung in Preußen113 hervor. In einer Schrift über Moses Mendelssohn und über die Neuerscheinung von Christian Wilhelm Dohm gab er sich als Anhänger und Unterstützer der jüdischen Aufklärung und der rechtlichen Gleichstellung zu erkennen.114 Allgemein gesprochen war die europäische und die preußische Aufklärung des 18. 108 Saine, Thomas P.: Von der Kopernikanischen bis zur Französischen Revolution. Die Auseinandersetzung der deutschen Frühaufklärung mit der neuen Zeit. Berlin 1987, S. 252. 109 Ebd. 110 Vgl. dazu Kosenina, Alexander: Pariser Rückblicke. Heinrich Heines Sicht auf die Berliner Aufklärung. In: D’Aprile, Europäische Ansichten, S. 263–277, S. 266. Gemeint sind mit dieser Kategorisierung aufklärerische Schriftsteller, die neben und an Stelle gründlicher, tiefsinniger und in sich zusammenhängender Werke auch in einer Sprache schrieben, die nach „bürgerlichster Deutlichkeit“ strebte. Diese schriftstellerische Eigenschaft schätzte Heine. An Kant kritisierte Heine die steife und abstrakte, „im grauen Packpapier“ geschriebene „Kritik der reinen Vernunft“ und übte in diesem Fall „Kritik (an) einer reinen Vernunft“. Ebd. 111 Saine, Von der Kopernikanischen, S. 254. 112 Vgl. dazu Ursula Goldenbaum, in: Goldenbaum, Ursula/Kosenina, Alexander (Hrsg.): Im Schatten der Tafelrunde. Die Beziehungen der jungen Berliner Zeitungsschreiber Mylius und Lessing zu französischen Aufklärern. Hannover 1999, S. 85ff. 113 Mondot, Jean (Hrsg.): Französische Kultur – Aufklärung in Preußen. Berlin 2001. 114 Vgl. dazu Mirabeau, Gabriel Honoré Victor Riquetti Vicomte de: Sur Moses Mendelssohn, sur la Reforme des Juifs. Berlin 1787.
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Jahrhunderts mit den Worten von Schneiders „eine geistige und gesellschaftliche Reformbewegung, die sich von der Klarheit des Denkens nicht nur geistige Fortschritte, sondern auch [eine] Besserung aller Verhältnisse versprach“.115 Das Recht auf eine individuelle Form der persönlichen Aufklärung formulierten in der sogenannten Spätaufklärung u. a. Moses Mendelssohn, Immanuel Kant, Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder und Andreas Riem.116 Eine theoretische Erkenntnis mit moralisch-pädagogischen Bildungs- und Erziehungszielen formulierten u. a. Christan Wilhelm Dohm,117 Joachim Heinrich Campe (1746–1818)118 und Friedrich Schiller.119 Eine Entwicklungsgeschichte zur allgemeinen Menschenbildung schrieb der Dichter, Geschichtsphilosoph, Literaturkritiker und auf Vermittlung Goethes in Weimar angestellte Generalsuperintendent Johann Gottfried Herder (1744–1803).120 Die Aufklärung als Freiheit des Denkens ohne unnatürliche Grenzsetzung und als unendlichen Prozess beschrieb der spätere Weimaraner Dichter Christoph M. Wieland (1733–1813).121 Eine Beschreibung von dem, was Aufklärung nicht sein sollte, lieferte der Theologe und Pädagoge Chris-
115 Schneiders, Werner: Das Zeitalter der Aufklärung. München 2005, S. 11. Die deutsche Frühaufklärung ist nach Schneiders „ein Phänomen eigener Art und eigenen Ursprungs, für das die Philosophen Leibniz, Thomasius und Wolff als repräsentativ gelten können“, und die auch für Moses Mendelssohn und die Entwicklung seiner Vorstellung von einer Ästhetik, Moral- bzw. Ethikvorstellung maßgeblich waren. 116 Siehe zu Andreas Riem (1749–1807) Anlage 2: Biografien. 117 Siehe zu Christian Wilhelm (v.) Dohm (1751–1820) Anlage 2: Biografien. Gemeint ist seine Schrift: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. 2 Bde. Stettin/Berlin 1781/1783. Beide Bde. wurden von Nicolai verlegt. Siehe dazu auch Vierhaus, Rudolf: Christian Wilhelm Dohm. Ein politischer Schriftsteller der deutschen Aufklärung. In: Katz, Jacob/Rengstorf, Karl Heinz (Hrsg.): Begegnungen von Deutschen und Juden in der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts. Tübingen 1994, S. 107–123. 118 Campe, Joachim Heinrich: Über die Hauptsünden der sogenannten neuen Pädagogik. In: Braunschweigisches Journal 1, Braunschweig 1789, S. 194; Siehe auch Campe, J. H.: Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens. Hamburg 1785–1791; Campe, J. H.: Wörterbuch der deutschen Sprache. 5 Bde. Braunschweig 1807–1811. 119 Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795). In: Hoffmann, Kurt (Hrsg.): Deutsche Schriften, Bd. 287, Bielefeld/Leipzig 1934. 120 Herder, Johann Gottfried: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. 1774. ND Stuttgart 1990; Herder, J. G.: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 4 Bde. Riga 1784–1791; Herder, J. G.: Briefe zur Beförderung der Humanität. Riga 1793–1797. 121 Wieland, Christoph Martin: Über die Rechte und Pflichten der Schriftsteller. Leipzig 1785. In: Wieland, Christoph Martin: Gesammelte Werke. Akademie-Ausgabe (AA). Prosaische Schriften (hrsg. von Wilhelm Kurrelmeyer im Auftrag der Deutschen Kommission der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften). Berlin 1930. 1. Abt, Bd. 15, S. 66; Wieland, C. M.: Über den freyen Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen. Leipzig 1788. AA, Bd. 15, S. 115; Wieland,C. M.: Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlandes. Leipzig 1793. AA, Bd. 15, S. 581.
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tian Gotthilf Salzmann (1744–1811).122 Eine Bestimmung der „richtigen“ Begriffe und der „richtigen“ Erkenntnis von der wahren Aufklärung findet sich bei dem Lehrer und Journalisten Rudolf Zacharias Becker (1752–1822).123 Beide stehen in diesem Sinn am deutlichsten für eine pädagogisch orientierte Umsetzung der Aufklärung. Eine literarische Aufarbeitung der Traditionen und Religionen in Orient und Okzident, die in einer Beispielerzählung eine Gleichwertigkeit bewies und die gegenseitige Toleranz als Akzeptanz verstand, beschrieb G. E. Lessing in seinem Drama Nathan der Weise. Eine Pädagogik für eine humanistische Erziehung insbesondere für den Unterricht der unteren Stände, um mit Hilfe der Bildung auch die soziale und wirtschaftliche Situation zu verbessern, forderte und diskutierte u. a. auch Friedrich Nicolai.124 Dass alle Aufklärer innerhalb der bürgerlich-gelehrten Gesellschaft einen dynamischen Prozess anregten, der zu einem Motor für eine religiöse und politische Reformbewegung wurde, ist in der Forschung unbestritten. Dass die Wirksamkeit sich auch auf profane menschliche Bereiche auswirken konnte, beschrieb der französische Philosoph und Mathematiker Jean Le Rond D’Alembert 1758 für die französische Aufklärung: Von den Prinzipien der Wissenschaften an bis zu den Grundlagen der geoffenbarten Religion, von den Problemen der Metaphysik bis zu denen des Geschmacks, von der Musik bis zur Moral, von den theologischen Streitfragen bis zu den Fragen der Wirtschaft und des Handels, von der Politik bis zum Völkerrecht und zum Zivilrecht ist alles diskutiert, analysiert, aufgeführt worden. Neues Licht, das über viele Gegenstände verbreitet wurde; neue Dunkelheiten, die entstanden […].125
Dass auch das moderne Leben, speziell der Musik- und Modegeschmack, von der Aufklärung beeinflusst wurde, ist im Gegensatz zur puritanischen Einstellung einiger Gelehrter in Preußen nicht als Makel126 wahrgenommen worden. Nach 122 Salzmann, Christian Gotthilf: Über die Erlösung des Menschen vom Elende durch Jesum. Leipzig 1789. 123 Becker, Rudolf Zacharias: Als Volksbildung mit moralisch-pädagogisch bildenden Inhalten ist z. B. sein Noth- und Hilfsbüchlein für Bauersleute, 1788 in Gotha/Leipzig verlegt worden. Es wurde zu einem zeitgenössischen und volksaufklärerischen Klassiker. 124 Siehe dazu Nicolai, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 642. 125 Jean Le Rond D’Alembert: Der Geist des 18. Jahrhunderts. 1758. Zit. n. Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung. Tübingen 1932, S. 3. 126 Vgl. dazu die Kritik von Christian Gotthilf Salzmann an einer nur in Äußerlichkeiten aufgeklärten Gesellschaft, die meint, „ihrer Glückseligkeit wäre es hinlänglich, wenn sie einen gesunden Leib, ein gutes Gewissen, ein hinlängliches Auskommen und häusliche Freuden hätte, nun zu der Einsicht kommt, dass dazu Spiel, Tanz, Komödien, ausländische Fabrikwaren und dergl. noch erforderlich wären.“ Salzmann, Christian Gotthilf: Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend, Bd. 3. Karlsruhe 1787, S. 100. Hier zit. n. Stuke, Horst: „Aufklärung“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 256.
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D’Alembert machte das breite Spektrum die offensichtliche Kraft der Aufklärung aus und war ihr größtes und bedeutungsvollstes Verdienst. In diesem Sinne besaßen die französischen Philosophen keinen Aufklärungsbegriff und definierten auch kein Programm für eine breite Volksaufklärung.127 Auch in Berlin wurde die Frage, was Aufklärung eigentlich sein sollte, erst von Johann Friedrich Zöllner 1783 in der Berlinische[n] Monatsschrift zum Ende der Regentschaft von Friedrich II. öffentlich gestellt. Die Antworten, die unter anderem von Mendelssohn und Kant 1784 gegeben wurden, entsprachen dem Charakter der vorläufigen Überlegungen und der Offenheit für die kulturellen Bereiche des menschlichen Lebens. Auch sie bildeten keine einheitliche Definition und kein gemeinsames Ziel ab. Aber sie definierten für sich die Grenzen in den Folgen und den Auswirkungen dieser Aufklärung und berücksichtigten inhaltlich die gedachte Prämisse in der friderizianischen Betrachtungsweise der Aufklärung: „Räsonirt so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“128 Schneiders hat zur modernen und populären Antizipation von Postulaten aus aufklärerischer Zeit in leicht ironischer Formulierung bemerkt, dass die Aufforderungen, die „zur Befreiung vom Autoritätsglauben gegenüber den staatlichen und kirchlichen Ordnungen durch den Gebrauch und die Entdeckung der Möglichkeit des persönlichen Vernunftdenkens in Abkehr vom Aberglaube und Vorurteil aufriefen, in ihren Formulierungen eher vorsichtigen Empfehlungen als radikalen Forderungen [entsprachen]“.129 Kant reagierte auf die in der preußischen Staatsorganisation vorgegebenen Mechanismen der Einschränkungen, indem er sein Modell vom Gebrauch der eigenen Vernunft auf den Stand der Gelehrten und der Privatsphäre beschränkte.130 Auch Mendelssohn beschrieb die Gefahr, dass „Menschenaufklä127 Diese Kritik richtete sich gegen den Absolutismus. Auch wenn die bedeutenden Aufklärer zu Beginn der Revolution bereits verstorben waren, prägte ihre Kritik die französische Verfassung in Bezug auf die religiöse Toleranz und die politische Partizipation des dritten Standes. 128 Kant zitierte nicht Friedrich II., sondern interpretierte die Haltung Friedrichs II. zur Toleranz. In: Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? (1784). Gedr. in: Freimaurerische Forschungsgesellschaft e.V. Quattuor Coronati, Jahrbuch Nr. 33. Bayreuth 1996, S. 10–14, S. 11ff. 129 Nach Alexander Kosenina war die Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung?“ mehr als eine Loyalitätsadresse an den preußischen König. Kosenina hebt an dieser Stelle hervor, dass in Preußen eine überdurchschnittliche Liberalität in Form der Zensur- und Denkfreiheit herrschte, die sich u. a. auch in den gedr. Toleranzschriften von Christian Wilhelm Dohm (Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 1781) und Moses Mendelssohn (Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, 1783) widerspiegelte. Vgl. dazu Kosenina, Alexander: Pariser Rückblicke. Heinrich Heines Sicht auf die Berliner Aufklärung. In: D’Aprile, Europäische Ansichten, S. 266. 130 Die Beispiele, die er hierfür auswählte, beziehen sich auf das ganze preußische Ständesystem: „So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit diese Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als
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rung mit Bürgeraufklärung in Streit kommen [kann]“131 und regte als Überlegung einen Konsens an, in dem „Regeln aufgestellt werden, nach welchen die Ausnahmen geschehen und die Kollisionsfälle entschieden werden sollen“.132 In der Entscheidung um die praktische Anwendung dieser Wahrheiten und ihrer übergeordneten Prämissen hatte allerdings auch Mendelssohn eine persönliche Wahl getroffen: Wenn man gewisse Wahrheiten, nützliche und den Menschen zierende Wahrheiten nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnenden Grundsätze der Religion und Sittlichkeit niederzureißen; so wird der Tugend liebende Aufklärer mit Vorsicht und Behutsamkeit verfahren, und lieber das Vorurteil dulden als die mit ihm fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben. Freilich ist diese Maxime von jeher Schutzwehr der Heuchelei geworden und wir haben ihr manche Jahrhunderte von Barbarei und Aberglauben zu verdanken.133
Zwar wurden die Appelle zur individuellen Aufklärung anfangs nicht unter die Prämisse eines funktionierenden Staates gestellt. Da Mendelssohn die Geschichte der Menschheit und auch speziell die Geschichte des Judentums in der Diaspora mit in Betracht zog, zeigte sich im Gegensatz zu Kants Ausführungen bei ihm eine Zukunftsorientierung für die Ziele der Aufklärung, die sich an einem Vergangenheitsbewusstsein mit seinen negativen Erfahrungen orientierte. Diese negativen Beispiele wurden zu einem Argument gegen die Beibehaltung von Gelehrter, über die Fehler im Kriegsdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.“ Gedr. in: Quattuor Coronati, Nr. 33, S. 12. In den folgenden Beispielen unterscheidet Kant zwischen den Pflichten a) des Bürgers, b) des Berufsstandes und c) der Ausübung gelehrter Tätigkeit. Die Zusammenführung findet über die doppelte Funktion des Bürgers statt. Zum Gehorsam ist der Bürger seinem Stand/Beruf gemäß verpflichtet, in seiner Zweitprofession als Gelehrter nicht. Jeder Bürger hätte demnach in seiner Tätigkeit als Gelehrter wiederum die Freiheit und das Recht, sich seiner Vernunft zu bedienen. Ebd. 131 Meyer, Hermann M. Z.: Moses Mendelssohn. Bibliographie. Mit einigen Ergänzungen zur Geistesgeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Mit einer Einführung von Hans Hertzfeld. Berlin 1965. Siehe auch Engel, Eva [u. a.] (Hrsg.): Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Stuttgart/Bad Cannstatt 1971, oder die ältere Ausgabe der gesammelten Schriften von Mendelssohn, Georg B. (Hrsg.): Moses Mendelssohn’s gesammelte Schriften. Nach den Originaldrucken und Handschriften. 7 Bde. Leipzig 1843, Bd. 3: Was ist Aufklärung? S. 399–402. 1784 wurde der Aufsatz in der von Gedike und Biester herausgegebenen Berlinischen Monatsschrift veröffentlicht, die 1796 auf Veranlassung von Minister Woellner eingestellt wurde. Hier zit. n. Quattuor Coronati, Nr. 33 (1996), S. 15–19. 132 Mendelssohn, Moses: Was heißt aufklären? Gedr. in: Quattuor Coronati, Nr. 33, S. 15–19, S. 16. 133 In der Fortsetzung heißt es bei Mendelssohn: „Mißbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion, und Anarchie. Mißbrauch der Kultur erzeugt Üppigkeit, Gleißnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei.“ Ebd.
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dogmatischen religiösen Grundsätzen. Dennoch war die Moral des Bürgers auch bei Mendelssohn im Rückschluss auf die Funktion und Aufrechterhaltung des Staates maßgeblicher Garant der Ordnung. Und dieser Umstand sollte letztendlich als entscheidendes Kriterium zum Wohl des Ganzen berücksichtigt werden. Damit sprach sich auch Mendelssohn gegen politische und soziale Umstürze aus. Dass sich der Begriff „Aufklärung“ auch mit dem politischen System des Absolutismus kombinieren ließ, ergab sich aus einer philosophischen Betrachtungsweise, die sich fast immer als praxisorientierte Aufklärung verstand. Für die Aufklärer selbst ergaben sich daraus zwei politische Ansätze: Entweder durch die Verbreitung von Tugend und Verstand den Absolutismus zu humanisieren und Reformen anzustreben oder die Monarchie als Haupthindernis aller menschlichen Verbesserung direkt zu bekämpfen. Nach Rudolf Vierhaus war Friedrich II. selbst „Repräsentant einer neuen Generation, eines neuen Zeitalters, einer neuen Denkweise“,134 in der die Regierungsweise absolutistisch blieb, doch die Ziele des Regierungshandelns sich „zumindest prinzipiell am Konzept der Aufklärung orientierten“.135 Unabhängig davon, ob in diesem Fall eher von einer partiellen Toleranz gesprochen werden sollte, beinhaltete der Begriff theoretisch den Gedanken an eine religiöse Toleranz. Die Grundlagen für die pädagogisch orientierten Spätaufklärer hatten maßgeblich zwei preußische Frühaufklärer geschaffen. In Bezug auf ihre Erwartungshaltung gegenüber einer allgemeinen Aufklärung unterschieden sich die beiden Philosophen der frühen Aufklärung allerdings voneinander. Während Christian Thomasius (1655–1728)136 sich von der ausgehenden Bewegung der Historia eine Befreiung von Irrtümern und Vorurteilen erhoffte, ging es Christian W. Wolff (1679–1755)137 um die Entdeckung des Unbekannten, um Klarheit verworrener Gegebenheiten und um die Beschaffung von Grundlagen zu einem neuen Wissen.138 Christian Thomasius erhielt in der modernen Forschung den sozialen
134 Vierhaus, Rudolf: Staaten und Stände. Frankfurt a. M./Berlin 1990, S. 293. 135 Ebd. Zu den ersten Maßnahmen Friedrichs II. gehörten die Abschaffung der Folter, eine Reform des Strafrechts, eine tolerantere Religionspolitik und eine Lockerung der Zensur. Unverändert blieb der Vorrang der monarchischen Entscheidungsgewalt, der Vorrang der Armee und der hohe Steuerdruck. Vgl. zum Verhältnis von Friedrich II. zur Aufklärung und speziell zur französischen Aufklärung: Goldenbaum, Ursula/Kosenina, Alexander (Hrsg.): Im Schatten der Tafelrunde. Die Beziehungen der jungen Berliner Zeitungsschreiber Mylius und Lessing zu französischen Aufklärern. Hannover 1999. 136 Siehe zu Christian Thomasius (1655–1728) Anlage 2: Biografien. Nach Schneiders beginnt mit Thomasius „die Aufklärung als bewusster Kampf für Vernunft und Freiheit durch bewussten Kampf gegen Unvernunft und Unfreiheit“, Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, S. 208. 137 Siehe zu Christian W. Wolff (1679–1755) Anlage 2: Biografien. 138 Vgl. dazu Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, S. 167ff.
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Nimbus eines „öffentliche[n] Kritiker[s] von angemaßten Autoritäten und mitgeschleppten Vorurteilen“,139 der ihn ebenso aus der Liga der wissenschaftlich Gebildeten heraushob wie sein erfolgreiches Auftreten gegen die noch in der Neuzeit stattfindenden Hexenverfolgungen. Gleichzeitig war er als Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Halle/Saale ein „Erzieher des preußischen Beamtentums, dessen Geist der Pflichterfüllung zum entscheidenden Zug des Staates wurde“.140 Als Vorkämpfer „eines bürgerlichen Besitzindividualismus“141 oder als „Leugner des Widerstandsrechts“142 erhält er allerdings unter der Voraussetzung, dass eine Authentizität zwischen Werk und Mensch angenommen wird, auch einen multiplen und nicht linear radikal-reformerischen Zug. In der Lehre des Prof. Thomasius sollte die staatliche Gewalt „die Harmonie an Haupt und Gliedern gewährleisten“.143 Und zur Erfüllung dieses Staatszweckes (Bürgerliches Glück, Frieden, Ruhe) sollten der monarchischen Gewalt alle Regalien zugestanden werden. Diese Vorstellung von staatlich-religiöser Toleranz basierte auf einer strikten Unterscheidung zwischen Recht und Moral, Staat und Kirche. In seinen kirchen-, staats- und naturrechtlichen Lehren ebenso wie in seinen Streitschriften gestand Thomasius den kirchlichen Lehren und ihren Institutionen nur privatisierte und individualisierte Kompetenz zu. Da die private Moral der vorwiegend christlich geprägten Untertanen jedoch Grundlage der öffentlichen Moral war und ihren Stellenwert in der Verbindung mit der sozialen Praxis und dem geselligen Leben beibehalten sollte, hatte die Trennung von Kirche und Staat etwas Oberflächliches, Formales und Abstraktes. Zumal der Vernunftrechtler Samuel Pufendorf in seinem System drei Quellen für die Pflichten des Menschen und Bürgers benannt hatte: Die Vernunft als Basis für die Menschenpflichten, das Gesetz als Grundlage für die Untertanenpflichten und die christliche Offenbarung als Anleitung zu den Pflichten des Christenmenschen.144 Unter der Prämisse des öffentlichen Friedens wurde auch die Oberhoheit des Regenten in weltlichen und geistlichen Dingen verteidigt. Der Einschluss nicht christlicher Untertanen in den Gesellschaftverband erfolgte bei Thomasius über
139 Vgl. dazu Wolf, Erik: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. Tübingen 1963. 140 Zit. n. Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, S. 106. 141 Zit. n. Larenz, Karl: Sittlichkeit und Recht. In: Larenz, Karl (Hrsg.): Reich und Recht in der deutschen Philosophie, Bd. 1. Stuttgart 1943, S. 203–223. 142 Zit. n. Hoke, Rudolf: Die Staatslehre des jungen Thomasius. In: Frotz, Gerhard/Ogris, Werner (Hrsg.): Festschrift Heinrich Demelius zum 80. Geburtstag. Erlebtes Recht in Geschichte und Gegenwart. Wien 1973, S. 111–125, S. 111. 143 Zit. n. Thomasius, Christian: De iniusta oppositione. §§ 20, 22, 26. 144 Vgl. dazu Hattenhauer, Hans: Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts. Historisch-dogmatische Einführung. München 2000, S. 289.
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den Begriff „Decorum“,145 der ein höfliches und zivilisiertes Sozialverhalten unter dem Gesichtspunkt des individuellen und gesellschaftlichen Nutzens voraussetzte. Nicht nur das moralische, sondern auch das kluge Verhalten in einer nach wie vor ständisch gedachten, allerdings mehr nach Berufsständen untergliederten Gesellschaft war nach Thomasius bestimmend für die Bewahrung der eigenen und der fremden dignitas. Er empfahl daher den freundlich korrekten und distanzierten Umgang mit allen Gesellschaftsschichten. Das betraf nach den Untersuchungen von Martin Kühnel nicht nur die Mitglieder der drei christlichen Hauptkonfessionen, sondern auch die christlichen Sekten und die Juden. Da objektive Kriterien für einen allein seligmachenden und wahren Glauben unmöglich zu ermitteln waren, sollte das Recht auf religiöse Freiheit nach den Worten Kühnels auch „potentiell Irrenden“146 mit abweichenden Glaubensbekenntnissen zugestanden werden. Dass sich Thomasius schließlich veranlasst sah, öffentlich zu bekennen, dass „jedermann, der mich kennet, weiß, daß ich kein sonderlicher Gönner der Jüden bin und auch mit ihnen nichts zu thun habe“,147 deutet Kühnel als Beweis für die Aufrichtigkeit seines Toleranzkonzeptes.148 Wichtig scheint in diesen Zusammenhang ebenfalls zu sein, dass ein humanistisches Toleranzkonzept die Angehörigen der jüdischen Religion nicht per se mit einschloss und die Empfehlung zur Toleranz ihren vorerst abstrakten Charakter behielt. Dass sich ein mutiger Nonkonformist wie Thomasius dazu veranlasst sah oder veranlasst wurde, sich privat von Kontakten zu Juden zu distanzieren, um die Seriosität seiner Lehre zu verteidigen, zeigt darüber hinaus auch den gesellschaftlichen Druck und das Misstrauen gegen eine aktive Toleranz von Juden. Zwar schreibt u. a. Klaus Schreiner, dass es erst im Zeichen naturrechtlicher Überlegungen möglich wurde, eine „aktive, positiv besetzte Toleranz“ auch sprachlich auszudrücken.149 Und damit war nicht das „passive Ertragen, 145 Der Begriff „Decorum“ entstammte den Sitten- und Moralvorstellungen der Römischen Republik und stand für das Geziemende, das Schickliche und eine moralische Handlungsweise zum Guten. Vgl. dazu u. a. Lutterbeck, Klaus-Gert: Staat und Gesellschaft bei Christian Thomasius und Christian Wolff. Eine historische Untersuchung in systematischer Absicht. Stuttgart/Bad Cannstatt 2002, S. 44. Nach Lutterbeck formulierte Thomasius mit den höfischen und gleichfalls lebensklugen Verhaltensregeln den Kern der Sozialintegration in das Gemeinwesen, bedingt durch Stand und Herkunft. Fast selbstverständlich gehört dazu die Abwesenheit jeglicher Gewaltformen. Vgl. dazu neben Lutterbeck, Staat und Gesellschaft, S. 128ff. auch Kühnel, Martin: Das politische Denken von Christian Thomasius. Berlin 2001, S. 191ff. 146 Kühnel, Thomasius, S. 169. 147 Thomasius, JH I/XXI, zit. n. Kühnel, Thomasius, S. 170. Siehe auch Kühnel, Thomasius, S. 370. 148 Vgl. dazu Kühnel, Thomasius, S. 170. 149 Schreiner, Klaus: „Toleranz“: In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 445–605, S. 574.
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notgedrungene Hinnehmen oder zwangsläufige Billigung des Unvermeidbaren gemeint“150, sondern ein für alle Menschen gleichermaßen geltender status humanitatis, der nach verallgemeinerbaren Grundsätzen der ratio naturalis zwar immer noch zwischen Barbaren und Kulturmenschen unterschied, aber nicht mehr zwischen religiös verursachten Differenzen.151 Aber eine real messbare und praktisch erfolgte Umsetzung dieser Toleranzempfehlung erfolgte erst mehrere Generationen später, in einer Zeit, in der zumindest für Teile der Popularphilosophen der Kontakt, die Zusammenarbeit und die Freundschaft mit Juden bzw. Nichtchristen keinen Anlass mehr für eine defensive öffentliche Distanzierung darstellte und auch die Forderung nach einer rechtlichen Gleichstellung gesellschaftlich möglich schien. Diese Feststellung gilt nicht nur für G. E. Lessing und C. W. Dohm, sondern auch für Friedrich Nicolai. In seinem Roman Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker (1773),152 ein nach der Rezension zeitgemäßer Kritiker trotz aller berechtigten Kritik als „wichtiges Zeitdokument“153 beurteilter Roman, veranlasste er seine Hauptperson, den suspendierten Neologen154 S. Nothanker, zu
150 Ebd. 151 Ebd. Dass auch das in Preußen lebende und zeitgenössische Judentum literarisch in den Status der Barbarei gesetzt wurde, um den Unterschied zu „zivilisierteren“ Minderheiten deutlicher herauszustellen, ist bereits an der Kritik von Moser zur Kategorisierung der Mährischen Brüder neben den Juden und den Mennoniten im Religionsedikt deutlich geworden. 152 Der Roman selbst wurde zu Lebzeiten Nicolais viermal wieder aufgelegt. Ein Umstand, der wahrscheinlich auch auf seine Tätigkeit als Verleger zurückzuführen ist. Insgesamt sollen ca. 12.000 Exemplare verkauft worden sein. Zu damaligen Zeiten eine Zahl für einen Bestseller. 153 Vgl. dazu das Nachwort von Heinz Stolpe (1959) zum Roman. Gedr. in: Nicolai, Friedrich: Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Berlin/Stettin 1773. ND Berlin/ DDR 1960, S. 495–553, S. 498. Stolpe fasst in dieser Formulierung die Kritiken von Johann Georg Hamann und Johann Gottfried Herder zusammen. Zitiert wird Johann Gottlieb Fichte, der Nicolai in seiner Kritik bescheinigte, dass er in seinem Roman die Tendenzen „des Zeitalters seiner Erscheinung angemessen“ wiedergegeben habe. Vgl. dazu J. G. Fichte: Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meynungen. Berlin 1801. Zu den Kritikern, die eine bedrohliche anti-christliche Tendenz ausmachten, gehörte der Pietist Johann Heinrich Jung, gen. Jung-Stilling. 154 Die in der Kirchengeschichte so bezeichnete „Epoche der Neologie“ (1740–1780) sicherte der aufgeklärten Vernunft das Recht zu, in theologischen Fragen mitzusprechen, eine Dogmenkritik vorzunehmen und eine vernunftorientierte protestantische Theologie zu entwickeln. Das Ziel war, den christlichen Glauben von abergläubischen Inhalten zu „reinigen“ und die Vernunft selbst als ein Geschenk Gottes anzuerkennen, die auch genutzt werden sollte. Vernunft war darüber hinaus notwendig, um das Werk Gottes zu erkennen und den ethischen und moralischen Werten nachzustreben. Verstand und Herz repräsentierten in der Kombination Erkenntnis mit Frömmigkeit. Das Interesse am Original der alttestamentlichen Erzählungen verstärkte die Auseinandersetzung mit der hebräischen Sprache und mit den orientalischen Religionen. Vgl. dazu u. a. Bergkemper, Christa: Religiosität im Zeitalter der Aufklärung. Saarbrücken 2007, S. 26ff.
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dem Appell „unsere Toleranz nicht nur auf alle Christen, sondern auch auf alle Juden und alle andere[n] Nichtchristen auszudehnen“.155 Dass dieser Aufruf zur Toleranz nach einem Gespräch erfolgte, in dem ein Jude in Sachen Geldgeschäfte den befreundeten Amtskollegen von Nothanker besucht hatte und sich im dort stattfindenden theologischen Bekehrungsgespräch zwischen den drei Männern als „blinde[r] und verstockte[r] Jude“156 erwiesen hatte, betonte auf den ersten Blick wiederum den scheinbar hohen Grad an Toleranz, zu dem Nothanker bzw. Nicolai aufrief. Gleichfalls aber beschrieb der Autor mit ironisch distanziertem Blick die Ansichten und Absichten der beiden evangelischen Geistlichen in ihren grundsätzlichen Positionen zur Mission oder zur aktiven Toleranz. Betonte der lutherische Pastor die Existenz und Beibehaltung einer nach wie vor hierarchischen Ordnung in der Wertigkeit der Religionen, nach der ein gläubiger Jude nur als halber Kulturmensch angesehen werden sollte und Toleranz nicht einmal von „oben“ gewährt wurde, zeigte sich Nothanker als überzeugter Neologe. Obwohl er in Nicolais Roman Amt und Würden ebenso verliert wie in der Folge Existenz und Familie, damit zum Opfer seiner Anschauungen wird, bleibt er letztlich moralischer Sieger, weil er den neuen Humanismus auf Augenhöhe mit Andersgläubigen praktiziert und repräsentiert. Die Frage, wie ein Abbau von Vorurteilen zu erreichen sei, beantwortete Christian Wolff, indem er die Entstehung, Beibehaltung und Überwindung157 eng an die Suche nach Erkenntnis band. Führte der gedankliche Prozess zu einem Fehlurteil, so lagen die Gründe nach Wolff in den menschlichen äußeren Umständen, den Kosten und der fehlenden Zeit, aber auch in der Form eines inneren Selbstbetrugs begründet, weil dem Erkenntnissuchenden die richtige Antwort in seiner Lebenssituation als eine „ihm [nicht] nützliche“ erschien.158 Wolff betonte die Notwendigkeit zur Vermeidung von Vor- bzw. Fehlurteilen in seinem Kapitel Von den Pflichten gegen die Vernunft. Seine Vorschläge: Eine geübte Fertigkeit in der Scharf- und Tiefsinnigkeit, die genaue Kenntnis der Sprache und deren Wortbedeutungen, die Erfahrungen von einer Sache als Beispiel und die Überprüfung
155 Nicolai, Sebaldus Nothanker, S. 350. 156 Ebd., S. 349. In der Darstellung des Geld- und Handelsgeschäfte treibenden Juden blieb Nicolai dem gängigen Klischee verbunden. Der Jude lässt sich nicht missionieren, besteht auf den Unterschieden und verbindet die Ankunft des Messias mit einer Zukunft als vornehmer Mann. Seine religiöse Erwartung bleibt rein materialistisch, auf das eigene Wohlergehen bedacht. Möglicherweise sollte die Darstellung dazu dienen, dem Leser gegenüber die besondere Leistung der aktiven Toleranz zu verdeutlichen. Nicolai, Sebaldus Nothanker, S. 349f. 157 Wolff, Christian:Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseligkeit, den Liebhabern der Wahrheit mithgeteilet. Halle 1723. 158 Ebd., §§ 259ff., S. 167ff.
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der Vernunftschlüsse anhand der Erfahrungen und Beispiele.159 In Wolffs Schrift über das gesellschaftliche Leben der Menschen160 war der Sitten- und Verhaltenskodex kompatibel mit den christlichen Moral- und Sittengesetzen. Das betraf die Funktion und die Gesetzmäßigkeiten der ganzen „gemeinen Wohlfahrt“161 und die kleinste Einheit der Vergesellschaftung, die Ehe. Wolffs Gedanken waren ein Credo für die Besserung des Ganzen durch bürgerliche Gesetze auf der Grundlage der Maxime: „Thue was die gemeine Wohlfahrt befördert und die gemeine Sicherheit erhält. Hingegen unterlaß, was die gemeine Wohlfahrt hindert und der gemeinen Sicherheit zuwider ist.“162 Auch an der Ewigkeit, der Unbegrenztheit, der Allwissenheit, der allerhöchsten Vernunft eines göttlichen Wesens hielt Wolff in seinen Vernünfftige[n] Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet163 fest und das mag eine der Haupterklärungen dafür sein, warum mit den Worten von Bruer der Pietistische Missionsgedanke die Zeit der Frühaufklärung besser überstand „als nach dem ersten Zusammenprall zu erwarten war“.164 Zwar 159 Ebd. 160 Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen und Insonderheit dem Gemeinen Wesen. Frankfurt a. M./Leipzig 1732. 161 Das gemeine Ganze versteht sich nach Wolff als eine Gemeinschaft, in der die Menschen ihr Bestes (Vermögen, Arbeit, Hilfe) für die Wohlfahrt des Ganzen geben und selbst eine Beförderung der eigenen Wohlfahrt erwarten können. Das gemeinschaftliche Interesse wird als Naturgesetz vorausgesetzt, wobei eingestanden wird, dass der Mensch selbst zu wenig tugendhaft sei, um ohne einen verbindlichen Vertrag an Gesetzen und deren Verpflichtung zur Einhaltung, eine Fürsorgeverantwortung für das Ganze mit zu übernehmen. Das Leben in und für die Gesellschaft bleibt Ideal, das zurückgezogene Leben gilt als unnatürlich. Vgl. dazu Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben, 1. Kap.: Von den Gesellschaften der Menschen überhaupt, S. 1ff. 162 Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben, § 215, S. 163. 163 Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. Halle 1753, §§ 928ff., S. 574. Die These, dass mit der Erschaffung der Welt und dem Herstellen einer natürlichen Ordnung auch der göttliche Wille ausgeführt sei und aktuelle Eingriffsmöglichkeit in den Lauf der Dinge, der Natur und dem menschlichen Wirken nicht mehr vorgesehen und mit der göttlichen Autorität auch nicht mehr begründbar seien, machte Wolff zu einem deistischen Christen, aber zu keinem Gegner der christlichen Tradition. Es handelt sich hier um eine Zusammenfassung der Ansichten und um keine in sich geschlossene Begründung. Siehe dazu Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, §§ 955ff., S. 589. 164 Zit. n. Bruer, Geschichte der Juden, S. 51. Eine Auseinandersetzung mit dem Halleschen Pietismus führte zu Beginn der neuen Frömmigkeitsbewegung Christian Thomasius und nicht Christian Wolff. Dieser Streit scheint allerdings nach der Darstellung von Schneiders auch einen privaten Ursprung gehabt zu haben. In der Sache ging es um den Bau eines „Pädagogicums“ in Halle. Francke hatte in Halle ganze Stadtteile aufgekauft, um Schulen, Werkstätten und Waisenhäuser zu errichten. Das von Thomasius dazu angefertigte Gutachten stellte die Ziele und erhoff-
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war der Gedanke, dass niemand zu einem bestimmten Glauben genötigt werden sollte, in der englischen Aufklärung durchaus präsent. Er basierte nach John Locke (1632–1704)165 auf der Annahme, dass es keinem Menschen und keinem Staate anstand, eine derartige Autorität über einen anderen Menschen auszuüben. Das überzeugendste Argument ging auf die Interpretation der göttlichen Gebote selbst zurück, in denen nach Locke keine Übertragung dieser Autorität stattgefunden hatte oder angedeutet wurde.166 Aber John Locke wurde unter den preußischen Aufklärern zu den Radikalen gezählt und wenig rezipiert. Ließen sich auch grundsätzliche Glaubensinhalte, z. B. der Glaube an die Erbsünde, die Existenz eines leiblich wirkenden Teufels oder des drohenden Fegefeuers nicht in eine Vernunft betonte Religion übernehmen, so entsprach die aufklärerische Moral Gesetzen und Geboten, die der christlichen Soziallehre entlehnt waren. Die spätere Generation der Aufklärer, z. B. Carl Friedrich Bahrdt167, verstand in Abgrenzung zu einer falsch verstandenen Aufklärung darunter die Bestimmung zur vernünftigen Lebensweise und die Abkehr vom Luxus durch den Beweis seiner Schädlichkeit. Rudolf Zacharias Becker hatte bereits vier Jahre früher (1785) konstatiert, dass zur Erfüllung der Bürgerpflicht gehörte, „das Feld [zu] bebauen/die Profession immer geschickter [zu] betreiben, gegenüber allen Menschen redlich und wohltätig [zu] sein“.168 Diese Kompatibilität mag im Ergebnis
ten Ergebnisse seiner Bemühungen in Frage. Friedrich Wilhelm I. genehmigte und unterstützte dennoch die Ziele Franckes. Allerdings soll ab 1716 auch ein öffentlicher Friede zwischen Francke und Thomasius stattgefunden haben. Vgl. dazu Schneiders, Zeitalter der Aufklärung, S. 228. 165 Vgl. zur Naturrechts- und Erkenntnistheorie Schröder, Winfried: „Aufklärung“. In: Klaus, Georg (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, Bd. 1. Berlin 1972, S. 135–153, S. 136ff. Siehe zur universalen Bedeutung von John Locke für die Menschenrechte auch Berghahn, Cord-Friedrich: Moses Mendelssohns „Jerusalem“: Ein Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft in der deutschen Aufklärung. Tübingen 2001, S. 2. 166 Locke, John: Ein Brief über Toleranz (1689). ND (in englisch-deutscher Übersetzung) Hamburg 1975. 167 Bahrdt, Carl Friedrich: Bestimmung zur vernünftigen Lebensweise in Abkehr vom Luxus und der Schädlichkeit des Luxus. Berlin 1789. Bahrdt opponierte als Neologe konsequenter als Spalding oder Teller gegen das Edikt von 1788 und wurde für sein Lustspiel „Das Religionsedikt“ (1789) mit einer einjährigen Festungshaft bestraft. Bahrdt selbst war Gründer der Deutschen Union (1788), die sich unter seiner Führung zur Dachorganisation der deutschen Lesegesellschaften entwickelte. Bahrdt galt nach den Untersuchungen von Günther Mühlpfordt als radikaler und nationalistischer Reformer. Vgl. dazu Mühlpfordt, Günther: Radikale Aufklärung und nationale Leseorganisationen. Die Deutsche Union von Karl Friedrich Bahrdt. In: Dann, Otto (Hrsg.): Lesegesellschaften und bürgerliche Organisation. München 1981, S. 103–122. 168 Becker, Rudolf Zacharias: Versuch über die Aufklärung des Landmannes. Dessau/Leipzig 1785. Siehe dazu Stuke, Horst: „Aufklärung“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 257f. Zit. n. Stuke, ebd., S. 257.
Der Philantropismus und die Idee vom nützlichen jüdischen Bürger
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dazu geführt haben, dass die preußische wie die deutsche Aufklärung nicht atheistisch, sondern überwiegend aus christlicher Sicht argumentierte.
3.3 Der Philantropismus und die Idee vom nützlichen jüdischen Bürger Zu einem moralisch-ethischen Ziel wurde dieser Vorurteilsabbau jedoch erst in der Zeit der Aufklärungsprogramme, also in der Zeit der Spätaufklärung. Die Frage nach der Bestimmung des Menschen hatte zum Ende des 18. Jahrhunderts immer größere Resonanz gefunden. Das Ziel dieser pädagogischen Reformbewegung war die Vervollkommnung des menschlichen Daseinszwecks. Danach sollte sich die gesellschaftliche Glückseligkeit in der Summe des individuellen Glücks ausdrücken.169 Die Methode orientierte sich an der Ausbildung und Vervollkommnung des Einzelnen. Das pädagogische Ziel170 hieß „Erziehung“, um den Endzweck der Brauchbarkeit für die Gesellschaft zu erreichen: „Der Endzweck der Erziehung ist jeden Menschen nach seiner eigenthümlichen Beschaffenheit, und nach seinem Standpunkt für sich selbst so vollkommen und glücklich zu machen, und für andere so nützlich als möglich zu machen.“171 Dieser Erziehungsgedanke der Aufklärung beinhaltete auch die Schulbildung für die bisher vernachlässigten Kinder aus der Landbevölkerung. Friedrich Nicolai veröffentlichte als Verleger das erste Schulbuch dieser Art. Unter dem Titel Versuch eines Schulbuches, für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch an Dorfschulen172 (1772) 169 Vgl. zum Nützlichkeitsprinzip u. a. Sauter, Christina M.: Wilhelm von Humboldt und die deutsche Aufklärung. Berlin 1989, S. 18ff. und S. 257ff. 170 Der Begriff „Pädagogik“, der als Kunst oder Wissenschaft verstanden wurde, „welche lehrt, wie man Kinder erziehen soll“ ist seit 1788 gebräuchlich. Zit. n. Roessler, Wilhelm: „Pädagogik“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 623–647, S. 623. Für die gebildeten Stände wurde die Kunst der Erziehung zu einem Modethema der Aufklärung. Die ersten Konzeptionen zum „pädagogischen Feld“ verstanden Erziehung polyzentristisch als Erziehungsraum der Familie (Privaterziehung) und der Schule (öffentliche Erziehung). Didaktischmethodisch ging es sowohl um das Weiterbilden des Kindes im öffentlichen Unterricht, als auch um eine grundsätzliche Ausbildung von Verhalten, Sitte und Denkungsart, die bisher in der Familie nicht erlernt worden war. Die Konzeptionen umfassten das Spektrum von der Vermittlung von Spruch- und Lebensweisheiten bis zur Erziehung zum selbsttätigen und reflektierenden Menschen. Ebd. 171 Stuve, Johann: Allgemeinste Grundsätze der Erziehung, hergeleitet aus einer richtigen Kenntniß der Menschen. In: Campe, Joachim (Hrsg.): Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher. Erster Theil. Hamburg 1785, S. 233–382. 172 Friedrich Eberhard v. Rochow: Versuch eines Schulbuches, für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch an Dorfschulen. Berlin 1772. ND Köln/Wien 1988.
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hatte Friedrich Eberhard v. Rochow173 ein praktisches Lesebuch entworfen und den Lernstoff an die reale Umwelt und die Aufnahmefähigkeit der Kinder angepasst.174 Nach seinen Erfahrungen war die Landbevölkerung weitgehend unwissend. Unzufriedenheit mit Gott und der Obrigkeit hatten zum Fatalismus geführt, der mit schulischer Erziehung zu begrifflichen, moralischen und christlichen Grundsätzen175 umgebildet werden müsse. Kenntnisse, praktische Lebensvorbereitung und kritisches Denken sollten als Grundprinzipien entsprechend gefördert werden. Das Ziel war die Erziehung eines besseren Menschengeschlechts, eine in Zukunft bessere und auch nützlichere Gesellschaft. Das implizierte die Forderung nach vernünftigen Lehrern ebenso wie die Verbesserung ihrer wissenschaftlichen Ausbildung. Auch dies stand unter der Prämisse, „daß die Wissenschaften gelehret werden, und daß junge Leute fleißig seyen und studiren sollen, damit sie einmal dem Staate nützlich werden können“.176 Diese Idee der umfassenden Volkserziehung hatte keinen paramilitärischen Charakter. Bloßer Gehorsam, gedankenloses Reklamieren und militärischer Drill sollten im Gegenteil vermieden werden. Klassisches Bildungsstreben und lebenspraktische Kenntnisse bildeten den Kern des neuhumanistischen Bildungsideals. Die persönliche Antizipation dieses Ideals strebte auch der junge Humboldt177 an, der in einem Brief an Henriette Herz im Jahr 1787 schrieb: „Vielmehr ist es mein einziger Zweck nützlich zu werden, und ich bin bereit, diesem Zweck alles, wie schwer es auch werden möchte, aufzuopfern.“178 Nach den Forschungsergebnissen von Christina M. Sauter löste sich der ältere Humboldt von den „allgegenwärtigen Nützlichkeitsvorstellungen“.179 Was dem Staate und der Herrschaft nützlich schien, musste sich mit den idealistischen Konzepten der unterrichtlichen Erziehung nicht decken. Einigkeit herrschte 173 Siehe zu Friedrich Eberhard v. Rochow (1734–1805) Anlage 2: Biografien. 174 Durch Unterricht und Erziehung sollte auch der Landmann in die Lage versetzt werden, von seinen ausgebildeten Fähigkeiten einen verständigen und klugen Gebrauch zu machen. Das Ziel war u. a. auch eine Optimierung seiner Nützlichkeit für den Staat. Rochow, Schulbuch, Einleitung. 175 In der Praxis sollte auch der Religionsunterricht zu einer Übung in nützlichen Dingen werden. Die nützliche Belehrung nach dem Evangelium war nach Konsistorialrat Teller der eigentliche Zweck der Religion und sollte zur menschlichen Besserung, Veredlung der Gesinnungen und zur Vermehrung guter Einsichten, Neigungen und Fertigkeiten befähigen. Vgl. dazu Teller, Wilhelm, A.: Predigt bey der Introduction des Herrn Oberconsistorialrath Zöllner zum Probst von Berlin. Gehalten am 12. Oktober 1788. Gedr. bei August Mylius. Berlin 1788, S. 12ff. 176 Zit. n. Sauter, W. v. Humboldt, S. 19. 177 Siehe zu Wilhelm von Humboldt (1767–1835) Anlage 2: Biografien. 178 Zit. n. Assing, Ludmilla (Hrsg.): Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefe an Chamisso, Gneisenau u. a., Bd. 1. Leipzig 1867, S. 29. 179 Sauter, W. v. Humboldt, S. 20.
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in der Vorstellung, dass Erziehung nicht dem Zufall überlassen bleiben sollte, sondern als planmäßig betriebenes Geschäft nach Abläufen geregelt, allen Menschen zukommen sollte – wenn auch nicht in derselben Ausführlichkeit. Eine Ausbildung der menschlichen Kräfte und Fähigkeiten sollte je nach Platz und Aufgabe in der Gesellschaft gestaltet sein und dem Menschen über die gesellschaftliche Anerkennung seiner Tätigkeit wiederum zu einem glücklichen, weil nützlichen Leben verhelfen.180 Legten die Hohenzollern Wert auf zugereiste Siedler, die ohne staatliche Unterweisung und Ausbildung durch ihre bereits anderswo erlernte Tätigkeit für das Land nützlich wurden, betrachteten die Vertreter des Philanthropismus die Ausbildung des Menschen unter dem Aspekt der Erfüllung einer gesellschaftlichen Aufgabe als eine interne staatliche Angelegenheit. Damit wurde die Bildung des Menschen national gesellschaftlich gedacht und war, wenn sie diesen Zweck erfüllte, mit der Nützlichkeitsvorstellung der Herrschaft wieder kongruent. Unter dieser Prämisse konnte sich auch die Schrift von Christian Wilhelm Dohm Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781/1783) behaupten, die mit ihren erzieherischen Programmen für die bereits im Land lebenden jüdischen Preußen der allgemein anerkannten Notwendigkeit von der Erziehung zur Nützlichkeit entsprach. Dass diese Programmschrift die Juden in den Verband der preußischen Einwohner/Untertanen mit einschloss, war keineswegs selbstverständlich,181 auch nicht im vergleichsweise fortschrittlichen Frankreich nach der Französischen Revolution. Dort hatten zehn Jahre nach Erscheinen der Dohmschen Schrift Deputierte der französischen Judenschaft in der Nationalversammlung angefragt, ob denn mit ihrer Anerkennung als Menschen auch ein Anspruch auf die rechtliche Gleichbehandlung als französische Staatsbürger
180 Eine deutliche und zugespitzte Formulierung lieferte hierzu der Pädagoge Ernst Trapp in seiner Monografie: Versuch einer Pädagogik. Publiziert in Berlin 1784. Dort heißt es: „Können wir andere zu unserer Glückseligkeit nicht entbehren, so müssen wir zu machen wissen, daß sie uns wiederum zu der ihrigen auch nicht entbehren können. […] Um in der menschlichen Gesellschaft nicht entbehrlich zu seyn, müssen wir uns nützlich beliebt machen.“ Trapp, Pädagogik, S. 18. 181 Vgl. dazu auch die gedr. Briefe der Leserschaft im zweiten Band Dohms. Vgl. auch den Beitrag des Orientalisten Michaelis, gedr. in Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. Stettin/Berlin 1781/1783, Bd. 2, S. 69ff. Nach der Kritik von Michaelis war nicht die Integration der reichen oder wohlhabenden Juden problematisch, da sie nach seinen Worten zu den Vorschlägen Dohms, „leidlich toleriert“ wurden, sondern die Aufnahme der armen Juden, denen der Sitz im Land bisher verwehrt wurde. Michaelis, gedr. in Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 32. Vgl. zu Michaelis auch die Diss. von Löwenbrück, Anna-Ruth: Judenfeindschaft im Zeitalter der Aufklärung. Eine Studie zur Vorgeschichte des modernen Antisemitismus am Beispiel des Göttinger Theologen und Orientalisten Johann David Michaelis (1717–1791). Frankfurt a. M. [u. a.]1995.
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einhergehe.182 Diese Anfrage entsprach der realen Einschätzung der bisherigen rechtlichen und gesellschaftlichen Ungleichbehandlung und der Schwierigkeit, diese Rechtsungleichheit mit einem gleichfalls revolutionären legislativen Sprung unter Zustimmung der Delegierten zu überwinden. Die darauf erfolgten Beratungen, Schriften und Beschlüsse der Konvente bestätigten nur die Befürchtung, dass die Aufnahme in den Staatsverband keine Selbstverständlichkeit war.183 Nach Michael Graetz gehört es zu den Paradoxien der Aufklärung, dass „die Vernunft des gebildeten Bürgertums, das sich mit Voltaire die Parole ,écrasez l’infamé‘ zu eigen gemacht hatte [und] in Philosophie, Theologie, Staatswissenschaften, Literatur und Orientalistik manches dazu beitrug, dem rationalen Denken den Weg zu ebnen, im Abbau von Vorurteile[n] gegen die Juden versagte.“184 Christian Wilhelm Dohm, als Beamter in Preußen tätig, verfasste seine Schrift auf die Bitte Mendelssohns hin und veröffentlichte beide Bände mit der Unterstützung des Berliner Verlegers Friedrich Nicolai.185 Seine Schrift erfüllte 182 Michelet, Jules: Geschichte der Französischen Revolution, Bd. 1. Übers. von Richard Kühn. Bearb. u. herausgegeben von Friedrich M. Kircheisen, Bd. 1. Wien [u. a.] 1961, S. 266. Siehe dazu auch Bendavid, Lazarus (Hrsg.): Sammlung der Schriften an die Nationalversammlung, die Juden und ihre bürgerliche Verbesserung betreffend. Aus dem Französischen (übersetzt und herausgegeben von Lazarus Bendavid). Berlin 1789; Ders.: Bittschrift der Juden zu Lüneville und Sarguemines (an die Nationalversammlung); Ders.: Addreße der Juden zu Paris an die Nationalversammlung (26. August 1789). Gedr. auch in Lohmann/Behm/Lohmann (Hrsg.): Jüdische Bildungsgeschichte, Bd. 1 (2001), S. 292ff. und S. 296ff. 183 Isaak van der Walde (1933) schreibt in diesem Sinne: „Nach heißen Kämpfen wurde den Juden von der Constituante am 27. September 1791 das Bürgerrecht verliehen.“ Van der Walde, Isaak: Napoleon und die Juden. Hamburg 1933, S. 8. Vgl. dazu auch Wyrwa, Ullrich: Die Emanzipation der Juden in Europa. In: Kotowski, Elke-Vera/Schoeps, Julius H./Wallenborn, Hiltrud (Hrsg.): Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Bd. 2. Darmstadt 2001, S. 336–353. Vgl. dazu auch Friedrich Battenberg, der sich auf das Ergebnis und nicht auf den Prozess zur rechtlichen Gleichstellung der Juden in Frankreich bezieht: „Durch einen einmaligen legislatorischen Akt also wurden sämtliche Unterschiede beseitigt, sowohl Benachteiligungen als auch eventuelle Vorrechte.“ Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden. Darmstadt 1990, S. 87. Vgl. dazu auch Katz, Jakob: Vom Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1988, S. 85–89. 184 Graetz, Michael: Jüdische Aufklärung. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 272. Vgl. dazu auch Bruer, Geschichte der Juden, S. 54, der anmerkt, dass der katholische Aufklärer Voltaire zwar der Ansicht war, dass die Religion schlechthin für die Aufrechterhaltung einer moralischen Ordnung unentbehrlich sei und wenn es sie nicht schon gäbe, sie erfunden werden müsse. Diese Meinung bezog sich aber nach den Untersuchungen von Bruer nicht auf die jüdische Religion. Nach Bruer sah Voltaire sowohl im modernen wie im tradierten Judentum einen „durchgehenden Zug von Gemeinheit, Habsucht und Götzendienerei“. Ferner besaß Voltaire n. Bruer „einen geradezu fanatischen Haß gegen die Juden“. Ebd. 185 Jersch-Wenzel, Stefi: Rechtslage und Emanzipation. In: Meyer, Michael A (Hrsg.): DeutschJüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. München 1996, S. 15–49, S. 20.
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mehrere Funktionen. Der erste Band war einerseits Analyse der bestehenden Verhältnisse, in der das Ursache-Wirkungs-Prinzip von den wirtschaftlich-politischen Existenzbedingungen der Juden in direkter Beziehung zur Ausgrenzung und zur Vorurteilsbereitschaft der Nichtjuden gesetzt wurde.186 Anderseits besaß die Schrift den Charakter eines Programms, das in erster Linie an regierende Staatsmänner gerichtet war, eine Besserung der allgemeinen Verhältnisse mittels einer fast völligen rechtlichen Gleichberechtigung187 forderte und die Legislative als Grundbedingung für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg und die daraufhin erfolgende gesellschaftliche Akzeptanz voraussetzte.188 In einem Neun-Punkte-Programm entwarf Dohm die Gesetzesänderungen mit den ausführenden Kommentaren dazu. Die Basis dieser speziellen Überlegungen zur Besserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden bildete ein bürgerlicher Kanon an Rechten und Pflichten, der zukünftig auch für alle anderen Untertanen Preußens verpflichtend sein sollte. Britta Behm kam in ihren Untersuchungen u. a. zu dem Ergebnis, dass Dohm seinen Lesern „ein neues Modell staatsbürgerlichen Zusammenlebens“189 nahebringen wollte, das sich gegenseitig behindernde Interessen- und Glaubensunterschiede überbrücken sollte. Insbesondere die folgenden Generationen der preußischen Juden sollten mittels der weiterführenden Erziehung zu „nützlichen Gliedern der bürgerlichen Gesellschaft“190 erzogen werden. Dass sich Dohm zu diesem Zeitpunkt und mit dieser Zielvorstellung bereits auf die Anfänge einer neuen jüdisch-aufklärerischen Bildungspolitik191 186 Siehe dazu auch Behm, Britta L.: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Münster [u. a.] 2002, Kap. IV, S. 215. Siehe auch Jakob Katz, der betonte, dass Dohm die „notwendigen Bedingungen und die möglichen Folgen der Aufnahme von Juden erforschte, und zwar nicht nur für die Juden selbst, sondern auch für den Staat und die Gesellschaft, die sie aufnehmen sollte“. Katz, Ghetto, 5. Kap.: Zukunftsvorstellungen, S. 70ff., S. 71. 187 Die Einschränkung erfolgte wie im Fall der später erlassenen Legislative zum preußischen Edikt von 1812 über den vorläufigen Ausschluss der Juden von der Beamtenlaufbahn. Erst die folgende Generation schien Dohm für diesen Schritt geeignet. Vgl. dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd.1, S. 118. Dieser Ansicht schlossen sich auch die Kritiker seines Buches an, u. a. auch der Orientalist Michaelis. Vgl. dazu Michaelis in Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 60. 188 Inwieweit die spätere Legislative zum „Edikt über die bürgerliche Verbesserung der Juden in dem Preußischen Staate“ (1812) die Vorschläge berücksichtigte, wird in Kap. 8 dieser Arbeit behandelt werden. 189 Behm, Moses Mendelssohn, Kap. IV, S. 215. Auch Dohm favorisierte das etatistische Modell der rechtlichen Gleichbehandlung. Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 118f. 190 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, Vorerinnerung. 191 Vgl. dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 120–122 zum sechsten Punkt seines Programmes der Erziehung zur Nützlichkeit. Siehe dazu auch die Quellentexte zur Erziehungstheorie unter philantropistischen Einfluss, zur Traditionskritik und zur aufklärerischen Bildungspolitik bei Lohmann, Uta/Lohmann, Ingrid (Hrsg.): „Lerne Vernunft!“ Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haska-
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bezog, lässt sich seinem Text nicht entnehmen. Die Erziehung zur Nützlichkeit war in seinem Sinn eine Staatsaufgabe und ein allgemein gültiges Erziehungsziel. Dennoch formulierte er für die jüdischen Einwohner ein spezielles Erziehungsprogramm, zu dem die Mentalitätsumbildung durch den Berufswechsel ebenso gezählt werden muss wie die säkulare Bildung junger Menschen. Zugespitzt formuliert war sein Ziel „weniger Judentum und mehr Anpassung“. Zwar bemerkten Thomas Nipperdey und Reinhard Rürup zum Begriff „Jude“, dass die Verwendung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft definiert wurde. Als konstituierend für die Gemeinschaft galt primär die Religion und nicht „die Lebens- und Abstammungsgemeinschaft“.192 Aber die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts von Johann Georg Krünitz herausgegebene Oeconomische Encyclopädie benutzte beide Kategorien für ihre Definition. Die Bezeichnung „Jude“ galt für alle Glieder des ehemaligen israelitischen Volkes und die Bekenner der jüdischen Religion. Einen interessanten Hinweis auf die temporäre Veränderung des allgemeinen Sprachgebrauchs in Preußen gab Krünitz mit der Beobachtung, dass „auf eine bestimmte Art die Ältern Juden genannt [werden] zum Unterschiede von den heutigen, und neuern Juden, welche ein Ueberrest der erstern sind“.193 Der Gebrauch des Wortes wurde mit dem Lebensstil älterer Juden verbunden, die nach der Tradition lebten und diese in Kleidung, Sprache, Kultur und Religionsausübung öffentlich zum Ausdruck brachten, also als traditionelle Juden erkennbar waren. Jungen und modern gekleideten Juden sah man das Bekenntnis zum Judentum nicht an. Damit hatte die junge und wohlhabende städtische Generation der Juden, ob bewusst oder unbewusst, bereits ihre Bereitschaft zur äußerlichen Assimilation bewiesen und schien für die Erfüllung weiterer Pflichten mehr prädestiniert als die der la. 1760–1811. Münster [u. a.] 2005. Siehe dazu auch Behm, Britta/ Lohmann, Ingrid/Lohmann, Uta (Hrsg.): Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Münster 2002. Siehe ebenfalls Lohmann, Uta: „Interkulturalität“ in der Bildungskonzeption David Friedländers. In: Behm/Lohmann/Lohmann (Hrsg.), Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform, S. 291–306. Siehe dazu auch Graetz, Michael: Jüdische Aufklärung und Erziehung. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 333ff. Siehe auch Meyer, Michael A.: Die Umgestaltung der jüdischen Erziehung. In: Ders. (Hrsg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2, S. 118ff. 192 Nipperdey, Thomas/Rürup, Reinhard: „Antisemitismus“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 131. 193 Vgl. dazu Krünitz, Johann Georg: Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft in alphabetischer Ordnung. 31. Theil. Berlin 1784, S. 293–645, S. 293. Krünitz bezog sich auch auf die Bezeichnung „Jude“ im verächtlichen Sinn, die „einen unrechtmäßigen Wucherer besonders im Zusammenhang mit einem Geldjuden“ kennzeichnen sollte und die auch allgemein gebräuchlich auf alle Personen bezogen wurde, die „überhaupt einen gewinnsüchtigen und geldgierigen Menschen“ stigmatisieren sollten. Ebd., S. 294.
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Tradition verbundenen Alten. Auch nach Krünitz war die Duldung der Juden an die Antwort auf die Frage gebunden, „ob die Juden einem Staate nützlich oder schädlich [seyen]“.194 Dazu formulierte er den Vorschlag: „Man richte demnach das Juden-Toleranzwesen nur nach vernünftigen Grundsätzen ein und schreibe ihnen scharfe Gesetze vor, was für Arten der Nahrung und Gewerbe sie treiben, und wie sie sich anbey verhalten sollen. […] so wird sich zeigen, daß die Juden kein so schädliches Volk für den Staat seyen, als viele sich einbilden.“195 Krünitz selbst war voller Hochachtung für die Ausführungen Dohms. In seinem Artikel betrachtete er die jüdischen Preußen ebenfalls unter Nützlichkeitsprämissen, formulierte aber auch idealistisch und positiv, dass die Zeit für die Verleihung bürgerlicher Rechte und Freiheiten „nicht mehr fern sey“,196 und bemerkte vom Standpunkt des Pädagogen, dass es die Aufgabe des Staates sei, „die Juden zu brauchbaren und glücklicheren Gliedern der Gesellschaft zu bilden“.197 Auch Dohm hatte auf Vorwürfe der Unredlichkeit der handeltreibenden Juden reagiert. Stichworte, wie „Treue und Ehrlichkeit im Geschäft“198, die in seinen Vorschlägen fielen, waren teilweise der philosophischen Moralitätslehre des Christian Thomasius entlehnt, der allgemein menschliche Arbeit mit Verstand und Redlichkeit verband und den Erwerb durch puren Verstand, losgelöst von jeder praktischen Beschäftigung, als betrügerisch verurteilte.199 Die Unterscheidung zwischen „Arbeiten“ und „Handeln“ war zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch allgemein geläufig. Die Vereinigung beider Tätigkeiten unter der Prämisse der schaffenden produktiven Leistungskraft des Landes (Adam Smith) setzte sich erst zum Ende des 18. Jahrhunderts durch. Die Tätigkeit von jüdischen Kaufleuten/Handeltreibenden als ökonomisch bedeutungsvolle Leistung zu Gunsten des Staatshaushaltes und zu Gunsten der Bewohner fand dementsprechend auch in einigen Gutachten der Beamtenschaft erst in den Jahren 1808–1811 ihre Erwähnung. Neben die traditionelle Pflicht zur Arbeit trat fast zeitgleich (1773) auch die Forderung nach einer freien Berufswahl (Art und Ort der Ausübung), die nach Johann August Schlettwein wesentlich der Gerechtigkeit und der Freiheit geschuldet war, „daß ein jeder Mensch nach seinem eigenen Gefallen arbeiten darf, was und wie er will, und daß er seine Arbeiten freiwilligen Liebhabern überlassen
194 Ebd., S. 385. 195 Ebd., S. 387. 196 Ebd., S. 536. 197 Ebd., S. 538. Siehe dazu auch die Diskussion ebd. S. 559ff. 198 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 32. 199 Thomasius, Christian: Von der Klugheit in bürgerlicher Gesellschaft. In: Ders.: Kurtzer Entwurf der Politischen Klugheit. Frankfurt a. M./Leipzig 1725, S. 255.
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kann, in welchem Preis er will […],“200 und die als Gewerbefreiheit und Befreiung vom Zunftzwang auch von Dohm als Maßnahme gegen monopolistische Regulierung verstanden und befürwortet wurde. Dohm versuchte nicht, die bürgerlichen Werte vom religiösen Konfessionscharakter zu lösen. Für eine Behandlung nach vernünftigen und menschlichen Grundsätzen setzte er staatstragende bürgerliche Pflichterfüllung voraus, die als Beweis der Treue und Ergebenheit, z. B. durch Gesetzestreue,201 Arbeitsamkeit zum Wohl des Staates,202 Betriebsamkeit, Fleiß und Sparsamkeit203 und militärische Dienstleistung204 mit der Pflicht zur Verteidigung der Gesellschaft205 geleistet werden sollte. Diese Pflichten ließen sich nach Dohm auch mit der jüdischen Konfession vereinbaren und galten als Richtlinie für die Erziehungsziele der jungen Generation. Dem übergeordneten Erziehungsziel „Treue und Ergebenheit für den Staat“206 stand die jüdische Religionszugehörigkeit zwar nicht entgegen, aber die protestantische Religion wurde als ausdrücklicher Förderer des bürgerlichen preußischen Bewusstseins verstanden und war die Konfession der preußischen Mehrheit. So hatte der evangelische Propst Wilhelm Abraham Teller in der Beantwortung des Sendschreiben[s] von einigen Hausvätern jüdischer Religion bereits angemerkt, dass die christliche Religion im preußischen Staate nicht etwa Staat und Kirche vereinigte, sondern als „bürgerliche[s] Band“207 Staat und Untertan miteinander verknüpfte. Aus den Beiträgen und Kritiken zum ersten Band von Dohms Publikation ergab sich dann auch eine Skepsis gegenüber einer rechtlichen Gleichstellung der Andersgläubigen, weil in allen diesen Beiträgen das gesellige und gesellschaftliche Miteinander aller im Staat Lebenden als Voraussetzung zur rechtlichen Gleichstellung verstanden wurde.208 In diesem Wunschbild der Preußischen 200 Schlettwein, Johann August: Die wichtigsten Angelegenheiten für das ganze Publicum: oder die natürliche Ordnung in der Politik, Bd. 2. Karlsruhe 1773, S. 69. Vgl. dazu auch Katz, Jakob: Tradition und Krise. München 1993, Teil 3, Kap. 24: Die Zukunftsvision der Haskala, S. 259. Er schreibt, dass „von dem Augenblick an, an dem die Menschen die Gesellschaft als Gemeinschaft von Individuen verstanden, welche die Freiheit besaßen, von einer sozialen Stellung zur anderen zu wechseln, die Tatsache, dass Juden nur mit einer begrenzten Anzahl von Berufen in Verbindung gebracht wurden, gleichsam zur Anomalie“ wurde. Ebd. 201 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 86. 202 Ebd. 203 Ebd., S. 133. 204 Ebd., S. 135. 205 Ebd., S. 144. 206 Ebd., S. 45. 207 Vgl. dazu Teller, Wilhelm A.: Beantwortung des Sendschreibens einiger Hausväter jüdischer Religion an mich, den Probst Teller. Berlin 1799, S. 54. 208 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Kritik bei Löwenbrück, Anna-Ruth: Judenfeindschaft im Zeitalter der Aufklärung. Frankfurt a. M. [u. a.] 1995, S. 156–159.
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Nation sollten alle Mitglieder des Staates eine rein imaginierte Tischgemeinschaft miteinander halten können, ohne durch getrennte Speisegesetze daran gehindert zu sein. Gemeinsame Feier- und Ruhetage sollten die Homogenität des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wahren. Die Liebe zum Vaterland sollte sich gleichermaßen in der Wertschätzung des Ackerbaus209 wie in der Pflicht, das Vaterland zu verteidigen, zeigen, wo mit persönlicher Tapferkeit die eigenen moralischen und religiösen Verpflichtungen zurückgestellt werden sollten.210 Dieses Wunschbild blendete nicht nur die Realität der bäuerlichen, sondern auch die der bürgerlichen Stände aus, die dem Militärdienst weitaus kritischer gegenüberstanden als nach dieser Schilderung zu vermuten war.211 Die Vorwürfe der Immoralität schlossen die preußischen Juden von der rechtlichen Gleichberechtigung aus, weil ihnen die Fähigkeit und Bereitschaft zur Erfüllung dieser bürgerlichen Ideale abgesprochen wurde.212 Bezeichnenderweise sprach Michaelis in seiner Kritik nicht vom Gegensatz zwischen Christen und Juden, sondern vom Gegensatz zwischen deutschen Bürgern und jüdischen Ausländern.213 Damit befanden sich die Kritiker nicht mehr in der gesetzlichen Realität. Sie eilten der gesetzlichen Norm an Pflichterfüllung bereits voraus und setzten damit einen neuen Rahmen in der gesellschaftlichen Diskussion um die Erteilung von bürgerlichen Rechten gegen die Erfüllung von bürgerlichen Pflichten. In diesem Fall erhoben sie u. a. den Militärdienst zur Voraussetzung für die Anerkennung und Gewährung von bürgerlichen Rechten. Die Wortkonstruktion von der bürgerlichen Freiheit, wie sie unter anderem auch Krünitz gewählt hatte, wurde damit mehr und mehr auf den Bereich der ökonomischen Freiheit beschränkt. Gleichfalls konnte Dohm in seinem zweiten Band zustimmende Briefe veröffentlichen, die eine Toleranz in Verbindung mit einer rechtlichen Gleichberechtigung befürworteten.214 Toleranz215 wurde hier auf der gedanklichen Ebene mit den Begriffen Vernunft, Freiheit und Recht gedacht, zur menschlichen Handlungsanweisung
209 Vgl. dazu N.: Des Herrn Prediger Schwager Gedancken, bey Lesung dieser Schrift. In: Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 100. 210 Vgl. dazu Hrn. Ritter Michaelis Beurtheilung. Über die bürgerliche Verbesserung der Juden von Christian Wilhelm Dohm. In: Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 50ff. und S. 104ff. 211 Siehe dazu Kap. 8.3 dieser Arbeit. 212 Vgl. dazu ebenfalls Michaelis. Gedr. in Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 54ff. 213 Vgl. dazu Löwenbrück, Judenfeindschaft, S. 157. 214 Vgl. dazu den Brief von S. (Berlin, 26. Oktober 1781). Gedr. in Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 112–114. 215 Siehe zur Geschichte/Entwicklung des Begriffs Klaus Schreiner: „Toleranz“. In: Brunner/ Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 446–605, S. 484ff. Siehe dazu auch die Zusammenfassung bei Kougblenou, Komi K.: Studien zur Entwicklung der kulturellen Norm „Toleranz“. Frankfurt a. M. 2010, S. 23–42.
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und Tugend erklärt, aber umgangs- und rechtssprachlich auch mit dem Wort „Duldung“ gleichgesetzt. In der Literatur zur Aufklärung gingen die Konzeptionen zur Toleranz-Idee zwar auch über die „Duldung“ hinaus und formulierten nach Rainer Forst eine gleichberechtigte Koexistenz-Konzeption zwischen Juden und Christen als „Respekt und Wertschätzungskonzeption“216 gegenüber dem vormals verachteten Juden oder seiner Herkunft und Religion. Das favorisierte Modell blieb jedoch die „Erlaubnis-Konzeption“: Die Minderheit erhielt die Erlaubnis der Mehrheit, ihren Überzeugungen gemäß zu leben, solange sie die Vorherrschaft der Mehrheit nicht infrage stellte.217 Damit wurde die legislative Umsetzung auch zur rechtlich praktikablen Idee. Der jüdische Reformer David Friedländer verstand die Analysen und die Vorschläge Dohms auch als Chance für die jüdischen Einwohner in Preußen, die nun ihrerseits erfahren konnten, wie die Zeitgenossen über „die Juden“ dachten, und die damit andererseits die Möglichkeit nutzen sollten, diejenigen Fehler, „die wirklich in uns liegen, abzulegen, und die Schwierigkeiten die uns im Wege stehen, entweder weg zu räumen oder ihnen wenigstens geschickt auszubeugen“.218 Gleichfalls richtete er seine Kritik in der Einleitung zu den Akten-Stücke[n] die Reform der jüdischen Kolonien in den Preußischen Staaten betreffend (1793) auch gegen den Gebrauch der verallgemeinernden Sammelbezeichnung „die Juden“. Mit dieser groben Kategorisierung würden weder die Leistungen zur individuellen Bildungsbereitschaft und den bisher erreichten Fortschritten der Reforminitiativen zur Aufklärung/Schulbildung noch die Verdienste von Persönlichkeiten zum Wohl der gesamten Nation erfasst.219 Inhaltliche Kritik übten auch Moses Mendelssohn und der junge Maskilim Isaak Euchel. Nach Shmuel Feiner wehrte sich Euchel gegen die Darstellung der Juden „als mitleiderregende Geschöpfe“220 und Mendelssohn setzte die angestrebte religiöse Toleranz in der bürgerlichen Gesellschaft gegen den Zwang zur Aufgabe der Tradition.221
216 Forst, Rainer: Toleranz im Konflikt. Frankfurt a. M. 2003, S. 42. 217 Ebd., S. 42. 218 Friedländer, Akten-Stücke, S. 5. 219 Ebd. 220 Feiner, Shmuel: Isaak Euchel und die jüdische Kulturrevolution im 18. Jahrhundert. In: Aptroot, Marion/Kennecke, Andreas/Schulte, Christoph (Hrsg.): Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung. Großburgwedel 2010, S. 20. 221 Ebd.
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3.4 Die Jüdische Aufklärung (Haskala) nach der „Berlinischen“ oder „Mendelssohnschen Schule“ Nach Shmuel Feiner kann die Haskala222 durchaus als revolutionärer Durchbruch der neuen jüdischen Intelligenz gedeutet werden, ohne die, aus heutiger Perspektive, die gesamte öffentliche Kultur der Juden in der Moderne undenkbar wäre: „Ohne Haskala gäbe es keine Kultur des Buches, keine ideologischen Diskussionen, keine neuen geistigen und religiösen Strömungen, nicht die moderne Politik und nicht die Presse als Forum der kulturellen und politischen Diskussionen.“223 Gleichzeitig war sie im europäischen Kontext auch „eine jüdische Variante der europäischen Aufklärung“224, und in diesem Sinne spricht Christoph Schulte im Vergleich zur englischen, französischen und deutschen Entwicklung von „eine[r] nachgeholte[n], späte[n] Aufklärung“225 die „kurz, radikal und vielstimmig nur eine europäische Minorität, die Juden als Juden und als Menschen berührte“.226 Wissenschaftliche Literatur stellte nach Asriel Schochat wiederum den Inhalt für die „ersten Anzeichen der Haskala“227 dar, weil sich primär jüdische Gelehrte und Lehrer ausdrücklich Büchern über fremde Kulturen, Sitten und Gebräuche widmeten. Gerade weil die religiöse jüdische Literatur dazu nur wenig aussagen konnte. Die äußeren Wissenschaften wie Mathematik, Naturkunde oder Astrologie wurden als Ergänzung zum jüdischen Schrifttum gelesen und geschätzt, u. a. 222 Der Begriff „Haskala“ als Synonym für Vernunft und Einsicht war für die jüdischen Philosophen der Aufklärung kein spezifischer, nur die jüdische Aufklärung betreffender Begriff. Zum terminus technicus für eine jüdische Aufklärung wurde der Begriff nach den Untersuchungen von C. Schulte erst seit Anfang 1830. S. Feiner spricht in diesem Sinn von dem Projekt „Haskala“, das vorangetrieben von jüdischen Intellektuellen, Grundwerte der aufgeklärten europäischen Gesellschaft (Humanismus, religiöse Toleranz, Gedankenfreiheit, kritisches Denken, Rationalismus und Fortschrittsglaube) zur Reformierung der traditionellen jüdischen Gesellschaft nutzte, und damit auch die gesamte öffentliche Kultur in der Moderne maßgeblich steuerte. Feiner, Isaak Euchel, S. 18. Die Bezeichnung „Maskilim“ als programmatische Bezeichnung für die jüdischen Aufklärer ist hingegen älter und nach C. Schulte schon seit 1783 nachweisbar. Entstanden im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts benannten sich ihre Anhänger nach dem hebräischen Wort Maskil, das so viel wie „lebensklug“ und „verständig“ bedeutete. Vgl. dazu Schulte, Christoph: Die jüdische Aufklärung. München 2002, S. 17f. 223 Feiner, Isaak Euchel, S. 18. 224 Feiner, Shmuel: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim [u. a.] 2007, S. 15. Feiner führt hier als Insignien der Aufklärung auch die Enzyklopädie von Diderot und D’Alembert, die Schriften von Montesquieu, Voltaire und Rousseau, die Philosophie von Hume, Hogarths Bilder, Fieldings Romane und Mozarts Musik an. 225 Schulte, jüdische Aufklärung, S. 18. 226 Ebd. 227 Schochat, Asriel: Der Ursprung der jüdischen Aufklärung in Deutschland. Kap. 10: Die ersten Anzeichen der Haskalah. Frankfurt a. M./New York 2000, S. 349ff.
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weil man in der Auseinandersetzung mit den Christen nicht als unwissend gelten wollte.228 Die Zielrichtung der Haskala des späten 18. Jahrhunderts mündete dann nach den Untersuchungen von Jakob Allerhand grundsätzlicher in den Bemühungen, eine Form der säkularisierten jüdischen Weltanschauung zu entwickeln, die eine Synthese zwischen dem jüdischen Wesen und der Umwelt herstellen konnte und damit einen neuen Typus schaffen wollte, der sowohl in der jüdischen als auch in der Kultur des Gastlandes wurzeln konnte.229 Der Glaube an die Errichtung eines messianischen Israel im Heiligen Land wurde von der Idee und der Hoffnung auf einen Anschluss an den Fortschritt und ein freies Leben in der Diaspora abgelöst.230 Allerdings gilt diese Feststellung nicht grundsätzlich für alle Maskilim und nicht für den Hauptvertreter der Berlinischen Haskala, Moses Mendelssohn. In seinen für das Lesebuch David Friedländers verfassten 13 Grund-Artickeln des Judentums231 gehörte der Glaube und damit die Hoffnung auf die Rückkehr nach Palästina als „Freye Nation“232 mit zum Bekenntnis des gläubigen Juden. Das bedeutete nicht, dass Mendelssohn dem Leben in der Diaspora nur zweitrangige Aufmerksamkeit schenkte. Nach den Untersuchungen von Heiner Bielefeldt forderte Mendelssohn als einer der ersten preußischen Schutzjuden die „staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden, Berufs- und Gewerbefreiheit und vor allem die Religionsfreiheit“.233 Darüber hinaus formulierte er konkret und beispielhaft auf die rechtliche Situation in Preußen bezogen, dass der Staat nicht befugt sei, „mit gewissen bestimmten Lehrmeinungen Besoldung, 228 Ebd. Vgl. dazu ebenfalls Graupe, Heinz Mosche: Die Entstehung des modernen Judentums. Hamburg 1977, S. 80ff. 229 Allerhand, Jakob: Das Judentum in der Aufklärung. Stuttgart 1980, S. 46. Vgl. dazu auch die gesammelten Aufsätze zum Thema Sprachverständnis der Maskilim. In: Röll, Walter/Timm, Erika (Hrsg.): Jidische schtudies. Beiträge zur Geschichte der Sprache und Literatur der aschkenasischen Juden, Bd. 11. Hamburg 2004. Am Beispiel von Issak Euchels „Reb Hennoch – oder Woß tut me damit?“ (1793) beschreiben die Autoren das Verhältnis zwischen jiddischer-hebräischer-deutscher Sprache. Das Jiddische, als „undeutliche und nicht eindeutige Sprache“, hatte im Weltbild der Mehrzahl der Maskilim keinen Platz. Ihnen ging es um das Erlernen und Benutzen der reinen Sprachen. Vgl. dazu auch Toury, Jacob: Die Sprache als Problem der jüdischen Einordnung im deutschen Kulturraum. In: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte. Beih. 4 (1982), S. 75–95. Siehe speziell zu „Reb Henoch“ Aptroot, Marion: Euchels Kollegen. Reb Henoch und die aschkenasischen Komödien im späten 18. Jahrhundert. In: Aptroot, Marion/Kennecke, Andreas/Schulte, Christoph (Hrsg.): Isaac Euchel. Der Kulturrevolutinär der jüdischen Aufklärung. Aufklärung und Moderne. Großburgwedel 2010, S. 295–318. 230 Allerhand, Judentum, S. 47. 231 Siehe dazu Friedländer, David: Lesebuch für jüdische Kinder. Berlin 1779, S. 9–15. ND Frankfurt a. M. 1990. 232 Ebd., S. 15. 233 Bielefeldt, Heiner: Aufklärer und Aufklärungskritiker: Moses Mendelssohn. In: Ulbrich, G. Bernd (Hrsg.): Aufklärung – Judentum – Menschheit. Dessau 2006, S. 12.
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Ehrenamt und Vorzug zu verbinden“.234 Und damit gelang es im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, die innerjüdischen Reformversuche mit einem politischemanzipatorischen Charakter von innen nach außen zu erweitern.235 Mit der Einschätzung, dass diese Forderung jedoch eher ein Zukunftsprojekt vorstellen als eine reale Verwirklichung in der Gegenwart erfahren würde, unterschied sich Mendelssohn klar von der folgenden Generation der Maskilim: „Noch gehören vielleicht Jahrhunderte von Kultur und Vorbereitung dazu, bevor die Menschen begreifen werden, dass Vorrechte um der Religion willen weder rechtlich noch im Grunde nützlich seien, und dass es also eine wahre Wohltat sein würde, allen bürgerlichen Unterschied um der Religion willen schlechterdings aufzuheben.“236 Dass Berlin237 zu einem Zentrum der jüdischen Aufklärung wurde, steht im Zusammenhang mit den gleichen Faktoren, die bereits zur Berliner Aufklärung genannt wurden. Um Besonderheiten einer speziell jüdischen Aufklärung zu betonen, konzentrierte sich die moderne Geschichtsschreibung auf die zwischenmenschlichen sozialen Kontakte und Vernetzungen, also auf die hier lebendenden oder zeitweilig zugereisten Persönlichkeiten als Funktionsträger der Haskala,238 die freundschaftlichen und beruflichen Beziehungen zwischen Literaten und Verlegern,239 die Förderung und Unterstützung jüdischer Gelehrter und
234 Moses Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, gemeinsam mit der Vorrede zu Menasseh Ben Israels: Rettung der Juden, neu ediert von David Martyn. Bielefeld 2001, S. 69. 235 Sorkin bemerkt dazu, dass die Haskala kein Angriff auf die Tradition, sondern ein Reformversuch am barocken Judentum war. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelte sich durch die öffentliche Diskussion die Verflechtung mit der jüdischen Emanzipation. Sorkin, Juden und Aufklärung, S. 60. Siehe dazu auch Katz, Jakob: Tradition und Krise. Kap. 2.4: Die Zukunftsvision der Haskala, S. 258–270. 236 Ebd. 237 Obwohl auch in größeren deutschen und österreichischen Städten ebenso wie in Paris oder London mit den entsprechend großen jüdischen Gemeinden ein Dialog zwischen jüdischen Autoren und einem gemischten Publikum existierte, beteiligten sich die Autoren nicht ausdrücklich am Diskurs der Maskilim. Feiner, Haskala, S. 273. Siehe zur Frage der Periodisierung und der Kontroverse über den Zeitraum auch die Einleitung bei Behm, Moses Mendelssohn, S. 14. 238 Zu den bedeutenden Persönlichkeiten der jüdischen Aufklärung zählen für C. Schulte neben Moses Mendelssohn auch Markus Elieser Boch, Naftali Hartwig Wessely, Issac Euchel, Aaron Halle-Wolfssohn und Salomon Maimon. Siehe dazu Schulte, Christoph: Die jüdische Aufklärung in Berlin. Eine Bewegung aus Migranten und Autodidakten. In: D’Aprile, Iwan-Michelangelo (Hrsg.): Europäische Ansichten. Brandenburg-Preußen um 1800 in der Wahrnehmung europäischer Reisender und Zuwanderer. Berlin 2004, S. 191–207. 239 Ein Spezifikum der Berliner Aufklärung ist nach Bruer das befreundete und zusammenarbeitende Dreiergespann Mendelssohn, Lessing und Nicolai. Bruer, Geschichte der Juden, S. 61ff. Befreundet waren darüber hinaus auch Lessing und Aron Gumpertz.
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Philosophen durch jüdische Mäzene,240 ihre Vereinstätigkeit in der „Gesellschaft der Erforscher der hebräischen Sprache“ (1782), den Zusammenschluss mit der „Gesellschaft der hebräischen Literaturfreunde“ aus Königsberg zur „Gesellschaft zur Beförderung der Edlen und Guten“ (1787) und der „Gesellschaft der Freunde“ (1792). In der Sache standesspezifisch auf die wirtschaftlich erfolgreichen jüdischen Stadtbewohner bezogen, wurde auch der Grad der Akkulturation in der Großstadt Berlin als Indikator für den aufgeklärten Diskurs beschrieben.241 Diese spezifische Sicht erschloss den Blick auf andere Bevölkerungsgruppen nur über das pädagogische und literarische Engagement der Maskilim, also über die mehrsprachige Schulbildung mit naturwissenschaftlich und humanistisch orientiertem Lehrplan an der „Berliner Freyschule“ (1778),242 die Herausgabe eines Lesebuch[s] für jüdische Kinder243 (1779) in deutscher Sprache und die Gründung der sogenannten „Orientalischen Buchdruckerei“ noch unter der Herrschaft von Friedrich II. (1784).244 Auch die Herausgabe der bekanntesten und einflussreichs240 Vgl. auch die in der Literatur oft erwähnte Lebensgeschichte von Salomon Maimon: Von ihm selbst geschrieben. Berlin 1792/1793. ND Berlin 1988. 241 Dennoch sollte hier festgehalten werden, dass die Akkulturation vorwiegend von der jüdischen Oberschicht gelebt und gefördert wurde. Auch die jüdischen Salonièren bildeten innerhalb der Mehrheit der deutsch-jüdischen Frauen, die nach der Tradition lebten und eine relativ konservative Grundhaltung vertraten, die Ausnahme. Vgl. dazu u. a. Hyman, Paula E.: Gender and Assimilation in Modern Jewish History. The Roles and Representation of Women. Seattle/ London 1995. 242 Vgl. dazu Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation. Münster [u. a.] 1960. Siehe dazu auch die Dokumente zum Schriftverkehr zwischen den Ältesten Ephraim und Itzig und den preußischen Behörden. In: Lohmann, Ingrid (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778–1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung. Erschienen in der Reihe: Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland, Bd. 1/1. Münster [u. a.] 2001. 243 Das Lesebuch galt als neue Erscheinungsform des jüdischen Lehrbuches. Anstandsbücher und Katechismen wurden zwar auch von Kindern gelesen, aber sie waren nicht unbedingt dazu geschrieben, um Kindern bürgerliche Bildung zu vermitteln. In diesem Sinne war es also das erste nicht durchgängig religiöse Buch für Kinder, das in deutscher Sprache geschrieben wurde bzw. als Lehrbuch mit dem deutschen Alphabet konzipiert wurde. Vgl. dazu Shavit, Zohar: Friedländers Lesebuch. In: Friedländer, David: Lesebuch für jüdische Kinder. Neu herausgegeben und mit Einleitung und Anhang versehen von Zohar Shavit. Frankfurt a. M. 1990. 244 Die produktivste Zeit der Druckerei war die Zeit von 1788 bis 1790. In dieser Zeit entstanden pro Jahr knapp zwanzig Titel. Ebenso wurden persönliche Publikationen zur Bar-Mizwah und zu Hochzeiten gedruckt und mit ausdrücklicher Genehmigung der Preußischen Akademie der Wissenschaften auch Kalender. Der Umfang der HaMe’assef wurde um die Hälfte verdoppelt. Gedruckt wurden Schulbücher, Geschichtsbücher, sog. Weisheitsliteratur, Kommentare zu Maimonides, eine Monografie zu M. Mendelssohn, eine Übersetzung mit Kommentar zu den Büchern der Propheten und eine deutsche Übersetzung der Psalmen. Die Druckerei war bis 1825 in Betrieb.
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ten Zeitschrift der Berliner jüdischen Aufklärung, der HaMe’assef245, konnte über den Abonnentenkreis und den Leserbriefdiskurs über die Bewegung der Maskilim hinausweisen. Nach den Untersuchungen von Johannes Valentin Schwarz nutzten die Maskilim die Neuartigkeit des Mediums als „ideologisches Sprachrohr, das sich zum einen der Kontrolle der rabbinischen Autoritäten entzog und zum anderen geeignet schien, das gigantische Bildungsprogramm der Haskalah nach innen wie außen zu transportieren“.246 Die Entwicklung des jüdischen Pressewesens war auch hier ein städtisches Phänomen mit deutlicher Dominanz in den Zentren der Aufklärungsbewegung in Berlin, Königsberg, Breslau und Dessau.247 Die politische Repräsentation in den Reforminitiativen erfolgte jedoch nicht über die führenden Köpfe der vorwiegend armen Maskilim, sondern über die wohlhabenden Gemeindevertreter, die, mit emanzipatorischem Bewusstsein und wirtschaftlicher Prosperität ausgestattet, auch politischen Einfluss besaßen. Die Persönlichkeit, die in dieser Zeit sowohl durch Kenntnis, Schriftenreichtum, wissenschaftliche und europäische Reputation Anerkennung, Einfluss und Autorität gewann, war Moses Mendelssohn.248 Nach Heinz Mosche Graupe war Mendelssohn der erste moderne Jude, der nicht mehr als Zaungast an der Umweltkultur teilnahm, sondern „tätiger Mitträger und Mitgestalter dieser Kultur“249 war. Nach Jakob Allerhand250 wurde 245 Vgl. dazu Feiner, Haskala, S. 301–308, S. 338ff. Zwischen 1788–1790 veränderte sich der Inhalt der Zeitung. Der Anteil der Buchbesprechungen, der Nachrichten zu aktuellen Themen und Ereignissen nahm breiteren Raum ein. Der Anteil der gelehrten Abhandlungen und der Druck von Artikeln in hebräischer Sprache gingen zurück. Die Artikel wurden spezifizierter und boten Einblicke in die klassische Geschichte, die Welt der Naturkunde, in physikalische Begriffe, pädagogische Theorien und Grundbegriffe der Philosophie. Berichte über die Französische Revolution und die Beratungen in der Nationalversammlung gehörten, zwar mit Verspätung, mit zu den ausführlichsten und positiv kommentierten Nachrichten. Vgl. dazu auch Kennecke, Andreas: HaMe’assef. Die erste moderne Zeitschrift der Juden in Deutschland. In: Zelle, Carsten (Hrsg.): Das achtzehnte Jahrhundert. Bd. 23. H. 2 (1999), S. 176–199. 246 Schwarz, Johannes Valentin: Die Anfänge der jüdischen Presse in Deutschland im späten 18. Jahrhundert. Zur Genese einer neuen bürgerlich-jüdischen Öffentlichkeit. In: Menora 16 (2006): Moses Mendelssohn, die Aufklärung und die Anfänge des deutsch-jüdischen Bürgertums, S. 221–240, S. 223. 247 Ebd., S. 225. Siehe dazu auch Frodermann, Ina: Die jüdische Aufklärung in Preußen im Spiegel der Berlinischen Monatsschrift. 1783–1796. Saarbrücken 2008. 248 Siehe dazu Sorkin, David: Die zwei Gesichter des Moses Mendelssohn. In: Menora 4 (1993), S. 275–289; Sorkin, David: Moses Mendelssohn und die theologische Aufklärung. Wien 1996; Ders.: Juden und Katholiken. Deutsch-jüdische Kultur im Vergleich. 1750–1850. In: Volkov, Shulamit (Hrsg.): Deutsche Juden und die Moderne. München 1994, S. 9–30. 249 Graupe, Entstehung des modernen Judentums, S. 93. 250 Der geschilderte und interpretierte Lebenslauf Mendelssohns wird teilweise betont sentimental und anrührend dargestellt: Die entbehrungsreiche und nach heutigen Maßstäben nicht
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Mendelssohn zur bestimmenden Person der Haskala, zum Lehrer und Vordenker, zum Philosophen für den Eintritt des Judentums in die Aufklärung „richtunggebend“.251 Nach Meinung von Julius Guttmann nimmt Mendelssohn innerhalb der Geschichte den Rang eines ersten Philosophen ein, „der die Beseitigung kultureller Schranken zwischen Israel und den anderen Völkern vorgenommen hat“.252 Auch nach Heinrich Graetz war Moses Mendelssohn ein Erneuerer des jüdischen Volkes, weil er den Juden den Weg in eine Gesamtkultur ebnete.253 Nach Heinrich Heine war Mendelssohn „der Reformator der deutschen Israeliten, […] er stürzte das Ansehen des Talmudismus, er begründete den reinen Mosaismus.“254 Und für die jungen Maskilim war Mendelssohn nach den Untersuchungen von Feiner eine „ehrwürdige, wenn auch meist distanzierte Vaterfigur“,255 der bereits zu Lebzeiten der Titel „des Lehrers, Vaters und Gründers der Bewegung“256 verliehen wurde. Eng skizziert beinhalteten Mendelssohns philosophische Überlegungen zu einem erfüllten und glücklichen Leben nach jüdischer Tradition in der Diaspora: Universalismus, Synthese vom Geist der Zeit mit der jüdischen Tradition und ein jüdisches Selbstverständnis, das mit der Umwelt harmonieren konnte.257 Als Kenner und Anhänger der preußischen Frühaufklärung von Leibniz und Wolff kindgerechte Kindheit und Jugend in Dessau, die gewissenhaften und ehrgeizigen Studien, die anfängliche kümmerliche Existenz in Berlin und die unermüdlichen und nebenberuflich stattfindenden Studien, die schließlich zu einem, in der wissenschaftlichen christlichen und jüdischen Welt bisher nicht erreichten Bekanntheitsgrad mit entsprechender Autorität, führten. Vgl. dazu Allerhand, Jakob: Das Judentum in der Aufklärung. Stuttgart 1980, S. 75. 251 Ebd. 252 Guttmann, Julius: Die Philosophie des Judentums vom Altertum bis zu den letzten Generationen. München 1933, S. 262ff. 253 Graetz, Heinrich: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1853–1876, Teil 11, S. 3. 254 Heine, Heinrich: Die romantische Schule. Religion und Philosophie. Zit. n. Schochat, der Ursprung der jüdischen Aufklärung, S. 423. 255 Feiner, Haskala, S. 277. 256 Ebd., S. 278. Siehe dazu Friedänder, David: Moses Mendelssohn. Fragmente von ihm und über ihn. Berlin 1819, S. 12ff. 257 Die deutsche Sprache als Instrument zur Teilnahme und Mitgestaltung der Kultur des „Gastlandes“ stand für Mendelssohn nicht im Gegensatz zur Bewahrung traditioneller jüdischer Lebensart. Die innerjüdische Kritik streng orthodoxer Rabbiner an der Übersetzung des Pentateuch bezog sich auf die nicht autorisierte Übersetzung des Laien Mendelssohn und die Entweihung der biblisch-jüdischen Inhalte durch eine nicht religiöse Sprache. Obwohl bereits zur Mitte des 18. Jahrhunderts der Rabbiner Isaak Wetzlar beklagte, dass nur wenige die hebräische Sprache ohne Fehler sprechen und lesen konnten, sollte doch gerade die Tora als wichtigstes Lernmittel unbedingt zum Erlernen der hebräischen Sprache erhalten bleiben. Vgl. dazu Schochat, Ursprung der jüdischen Aufklärung, S. 414. Die Kritik der Rabbiner richtete sich demnach weder
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interpretierte auch Mendelssohn die Wirklichkeit als rationalistisch, durch Naturgesetze bedingt und primär über den Verstand erfassbar. Sein Plädoyer in Jerusalem (1783) begründete und befürwortete eine von Kirche und Staat ungestörte Gewissensfreiheit des Einzelnen, unabhängig vom Glaubensbekenntnis, und definierte das Judentum als Gemeinschaft der Israeliten, die im Gesetz geboren, nach dem Gesetz lebten und nach dem Gesetz starben. Für Mendelssohn selbst blieben göttliche Gesetzgebung, Lebensregeln, Unterweisung vom Willen Gottes, die zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit führten und von Moses offenbart worden waren, Glaubensinhalt und Richtschnur seiner Existenz. Der Beurteilungsrahmen für die Generation der Maskilim nach Mendelssohn wurde je nach politischer und religiöser Präferenz des Betrachtenden eng an die Begriffe Tradition und Reformation des Judentums gebunden und entsprechend positiv/negativ bewertet. Hier einige Beispiele: Josef Meisl versuchte die Maskilim nach ihren Motiven, Zielen und intellektuellen Hintergründen zu spezifizieren und spricht in seinem Artikel zur Haskala im Jüdische[n] Lexikon (1928) von einem großen Kreis an Aufklärern, der, in zwei Gruppen geteilt, entweder eine positive Haltung zur jüdischen Tradition und Bewahrung der jüdischen Identität einnahm oder der Bewahrung der Traditionen negativ gegenüberstand und eine Modifizierung nach dem Modell der Assimilation befürwortete. Aber die Absicht des Autors ist zu offensichtlich mit einer positiven und negativen Konnotierung verbunden und erweist sich als Schwarzweißmalerei,258 denn die Gruppen der deutsch-jüdischen Maskilim, die den Prozess der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Partizipation vorantreiben wollten, gehörten nicht per se zu den Zerstörern der jüdischen Identität. Die Kategorisierung in gemäßigte Maskilim pro Erneuerung jüdischer Kultur und den radikalen Vertreter mit dem Ziel der „völlige[n] Zerstörung“259 greifen hier zu kurz. Hierfür sind die Motive zu individuell und die Eingruppierungen zu formal. Über die Kategorie der Generationen, den Stand der Assimilation und die jeweilige publizierte Zielvorstellung erfasst auch Shmuel Feiner zwei Gruppen von Intellektuellen unter den Maskilim: Die Gruppe der etablierten, älteren und kulturell assimilierten bürgerlichen Aufklärer, die als Kaufleute oder Ärzte als wirtschaftlich erfolgreich und etabliert galten generell gegen den Gebrauch der deutschen Sprache noch gegen das Lesen und den Gebrauch von Büchern, die sich in fremden Sprachen mit nicht religiösen Themen beschäftigten. 258 Einerseits spricht Meisl von den Aufklärern, die „dem positiven Ideal eines neuen Judentums ehrlich zustrebten“, den so bezeichneten „Meassfim“. Auf der anderen Seite spricht er von denjenigen, die „unfähig zu einer geläuterten historischen Erkenntnis und Kritik“ und angesteckt von der allgemeinen Freigeisterei, die Religion „als Bürde empfanden, die man über Bord werfen müsse“. Meisl, Josef: Haskala. In: Jüdisches Lexikon, Bd. 2 (1928), Sp. 1442–1450, Sp. 1422ff. Meisl verortete diese Haltung speziell in der „Gesellschaft der Freunde“. 259 Ebd.
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und die als kulturell Konvertierte auch in der gemischten Gesellschaft als akzeptiert galten und mit ihrem deistischen Verständnis der jüdischen Religion auch den Dialog mit den Christen fördern konnten.260 Und als maßgebliche Vertreter werden hier David Friedländer und Marcus Herz genannt. Als zweite Gruppe nennt Feiner die preußischen Juden, die sich speziell an den jüdischen Kulturkreis richteten und ihre Erziehungs- und Kulturarbeit auf einen innerjüdischen Kreis beschränkten. Sie schrieben ihre Aufklärungsliteratur in der Sprache der Propheten, in Alt-Hebräisch, und publizierten zu weltlichen Themen. Ihr Ziel war nicht die Säkularisierung, sondern die moralische Verbesserung für das jüdische Kollektiv in der Gemeinschaft der Juden. Genannt werden hier u. a. Isaac Euchel261, Aaron Wolfssohn262 und Joel Brill263. Nach Feiner wurden diese in der Mehrheit jungen Maskilim nur von einem „ausgewählte[n] und begrenzte[n] Publikum“264 gelesen, und sie besaßen in der Regel keine anerkannte rabbinische Autorität.265 Im Gegenteil. Die Auseinandersetzungen mit den traditionsbewussten Rabbinern und deren Kritik an den aufklärerischen Schriften und das andererseits öffentlich formulierte Infragestellen der Autorität des Rabbinertums aufgrund einer in einigen Fällen auch nachgewiesenen mangel260 Feiner, Haskala, S. 13ff. 261 Siehe zu Isaac Euchel (1765–1804) Anlage 2: Biografien. Siehe auch die Sammlung an Aufsätzen. In: Aptroot/Kennecke/Schulte (Hrsg.): Isaac Euchel. Der Kulturrevolutinär der jüdischen Aufklärung. Aufklärung und Moderne. Großburgwedel 2010. 262 Aaron Halle-Wolfssohn (1756–1835), Maskilim und Verfasser des Lustspiels „Leichtsinn und Frömmelei“ (1796) übernahm Ende der 1790er-Jahre die Redaktion der HaMe’assef. Siehe zu seinem literarischen Werk auch Strauss, Jutta: Isaak Euchel und Aaron Halle-Wolfssohn – Strategien literarischer Mehrsprachigkeit. In: Aptroot [u. a.] (Hrsg.): Isaac Euchel, S. 341–365. 263 Siehe zu Joel Brill (1762–1802) Anlage 2: Biografien. Vgl. zu Brill und Euchels Verhältnis zu Moses Mendelssohn auch Kennecke, Andreas: Ein hebräischer Brief Isaac Abraham Euchels an Joel Brill über Moses Mendelssohn. In: Mendelssohn-Studien, Bd. 14 (2005), S. 65–76. 264 Feiner, Haskala, S. 13. 265 Die allgemeine Beurteilung von Shmuel Feiner geriet in diesem Sinne vielleicht etwas zu emphatisch, wenn er schreibt: „Ihre einzigen Waffen waren Wissen, Feder und Tintenfass und der ungeheure Drang, ihre Ideen schriftlich festzuhalten und gedruckt zu verbreiten. […] Hier fand die Revolution statt, hier begann der historische Prozess des Herrschaftswechsels in der jüdischen Gesellschaft. […] Der innerjüdische Diskurs trat hinaus aus der Welt der Lehrhäuser, Synagogen, Gemeinderatsveranstaltungen, der Responsenliteratur, Moralbücher und Predigten und schuf sich ein neues Zuhause in mehrsprachigen Zeitungen, mehr oder weniger privat organisierten Zirkeln und in der Republik der Briefschreiber.“ Zit. n. Feiner, Haskala, S. 14. Aus rezeptionsgeschichtlicher Distanz konnte David Sorkin, nüchterner und kritischer zugleich, dazu bemerken, dass die deutschsprachigen Juden Mitteleuropas „aus der Aufklärung einen regelrechten Kult mit zentraler Bedeutung für ihr Selbstverständnis machten“. Sorkin, David: Juden und Aufklärung. Religiöse Quellen der Toleranz. In: Beck, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in der europäischen Geschichte. München 1992, S. 50–66, S. 50.
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haften Gelehrtheit führte zu Brüchen und grundsätzlichen Divergenzen zwischen den jungen Reformern der jüdischen Kultur und den Bewahrern. Die jungen unverheirateten Maskilim arbeiteten in der Mehrzahl als Hauslehrer in Privathäusern. Als Schutzjuden der vierten Kategorie hatten sie über ihren Arbeitgeber und Hausvater einen begrenzten Schutz, der an ihr Arbeitsverhältnis gebunden war. Protektion und Unterstützung stellten also kein dauerhaftes, sondern ein an den Wohnort gekoppeltes System dar. Die hohe Mobilität der jungen Maskilim konnte jedoch auch ohne die Unterstützung eines bürgerlich wohlhabenden Elternhauses durch Empfehlungsschreiben eines Mäzens an verwandtschaftlich, geschäftlich oder beruflich verbundene Familien hergestellt werden. Nach den Untersuchungen von Allerhand konnten nur wenige junge Maskilim die Merkmale gehobener gesellschaftlicher Stellung, Geld und Herkunft vorweisen. Hier schließt sich Christoph Schulte mit seinen Untersuchungen ergänzend an. Auch nach Schulte handelte es sich um eine reflektierte, organisierte und „öffentlich artikulierte Aufklärungsbewegung“,266 die wiederum von zwei Gruppierungen getragen wurde. Die erste Gruppe setzte sich aus den Söhnen wohlhabender Kaufleute, die zweite Gruppe aus zugereisten „armen Migranten und Autodidakten“267 zusammen. Zur ersten Gruppe zählt Christoph Schulte neben Ephraim Veitel Ephraim268 und Isaac Daniel Itzig269 auch Lazarus Bendavid und Saul Ascher270. Der Wirkungsbereich dieser Männer war jedoch höchst unterschiedlich. Während 266 Schulte, jüdische Aufklärung, S. 191–207. 267 Ebd., S. 194. 268 Vgl. zur Familiengeschichte Ephraim u. a. Born, Rolf: Heimann Joseph Ephraim oder Tradition als Bindung. Berlin 1988. Siehe zu Ephraim Veitel Ephraim (1729–1803) Anlage 2: Biografien. Nach Olga Stieglitz blieben in seiner 1785 verfassten Denkschrift zur bürgerlichen Verbesserung der Juden „Reformtendenzen für eine allgemeine Verbesserung der Bevölkerung weitgehend unberücksichtigt“. Vgl. dazu Stieglitz, Olga: Die Ephraim. Ein Beitrag zur Geschichte und Genealogie der preußischen Münzpächter, Großunternehmer und Bankiers und ihre Verbindungen zu den Itzig und anderen Familien. Neustadt/Aisch 2001, S. 170. Anders dazu Schoeps, Julius H.: Ephraim Veitel Ephraim als Vorkämpfer der Judenemanzipation. In: Beiträge zur neuen deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Berlin/Potsdam 1975, S. 61. Vgl. auch das Original der Denkschrift an den preußischen König in: GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403. 269 Siehe zu Isaak Daniel Itzig Kapitel 3.5 dieser Arbeit und Anlage 2: Biografien. 270 Saul Ascher (1767–1822), zu dem kein Artikel im Jüdischen Lexikon (1928) erschien, galt als innerjüdischer Reformer, der mit Sorge den Zerfall der Religiosität, der Zeremonien und die Zahl der Konversionen betrachtete. Als Verfasser des „Leviathan“ (1792) beschreibt Ascher die „falsche“ Aufklärung in Form des Libertinismus, der Freigeisterei und des Atheismus. Siehe zu Ascher auch Grab, Walter: Ein jüdisch-deutscher Spätaufklärer zwischen Revolution und Spätaufklärung. In: Ders.: Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. Frankfurt a. M. 1984, S. 461–493; Berghahn, Klaus L.: Ein jüdischer Kontroversprediger: Saul Ascher. In: Ders.: Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung. Köln 2001, S. 228–231. Siehe auch Puschner, Marco: Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik: Konstruktion des „Deut-
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die beiden erstgenannten als wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmer neben ihrem Mäzenatentum für die Maskilim auch in der politischen Auseinandersetzung mit der preußischen Judenkommission zu den Inhalten der Reform des Judenwesens aktiv und maßgeblich mitarbeiteten, blieben die beiden letztgenannten im intellektuellen Hintergrund der Initiative zur neuen Judenreform. Möchte man also dem Prinzip der dualistischen Kategorisierung treu bleiben, so ließe sich auch diese erstgenannte Gruppe wiederum in zwei Gruppen unterteilen. Konnte die Maskilim-Bewegung in den Vereinen eine zentralisierte, organisierte und überregionale, nach Inhalten strukturierte Kulturpolitik mittels ihrer Publikationen betreiben, so scheint nach Ergebnissen der modernen Forschung dieser Einfluss mit dem Beginn der politischen Partizipation an der geplanten preußischen Judenreform unter Friedrich Wilhelm II. zurückgegangen zu sein. Nach Miriam Bodian und Shmuel Feiner zeigte sich bald, dass Veränderungen für die Gesamtheit der Juden nicht erreichbar waren. Deshalb war „diese Elite bereit, politische Forderungen für sich selbst zu stellen, mit der Begründung, sie sei ein nützlicher Faktor im Staat und identifiziere sich rückhaltlos mit ihm. Sobald die jüdischen Finanzmagnaten begannen, sich um ihre persönlichen Interessen zu kümmern […], konnte man das Ende des für die Verbreitung der Haskalah so lebenswichtigen Bundes zwischen Maskil und Mäzen vorhersehen.“271 Und dazu Miriam Bodian: „Ihre Absonderung von der jüdischen Gemeinschaft rechtfertigten sie mit dem politisch-moralischen Argument, daß sie als einzigen kollektiven Rahmen die Zugehörigkeit des Bürgers zum Staate anerkannten.“272 In dieser Prioritätensetzung unterschied sich demnach die Wirtschaftselite von den Zukunftsvisionen der Maskilim, die nicht auf den besonderen Rahmen gemeinsamen jüdischen Lebens verzichten wollten. Inwieweit diese Feststellung zur Egozentriertheit der Wirtschaftselite zu modifizieren ist, wird sich anhand der Analyse zu den schriftlichen Auseinandersetzungen mit den Kommissionen des preußischen General-Direktoriums zeigen. Gemeinsam war den jüngeren und den älteren Maskilim, unabhängig davon, ob und an welcher Form der Säkularisation sie interessiert waren, die Kritik und die Aufhebung der dogmatischen Glaubens- und Gesetzesauslegung der Rabbiner, vorzugsweise der aus Polen stammenden Rabbiner, die als personales Symbol für die Rückständigkeit des Mittelalters standen.
schen„ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher. Tübingen 2008; Vgl. auch Schulte, jüdische Aufklärung, S. 68ff., S. 105ff. 271 Zit. n. Feiner, Haskala, S. 328. 272 Zit. n. Bodian, Miriam: The Jewish Entrepreneurs in Berlin and the Civil improvement of the Jews in the 1780s and 1790s. In: Zion 49 (1984), S. 159–184.
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In der Einleitung zu den Akten-Stücke[n] die Reform der Jüdischen Kolonien in den Preußischen Staaten betreffend (1793) hatte auch Friedländer in der Absicht, die Formulierung „die Juden“ als falsche Verallgemeinerung zu entlarven und unter dem Aspekt der Differenzierung die moralischen und verfassungsmäßigen Unterschiede der europäischen Juden aufzuzeigen, einen indirekten Vergleich zwischen den hiesigen und den polnischen Juden vorgenommen. Indirekt in dem Sinne, weil Friedländer als Vertreter der hiesigen Judenschaft die polnischen Juden mit seinen Worten und Interpretationen beschrieb. Allerdings vermied er es, sie zu be- noch zu verurteilen. Er beschrieb ihr Leben als ein von der Tora und dem Talmud bestimmtes Leben, in dem es keine profanen weltlichen Bereiche gab. Dieses religiöse Fundament bestimmte auch ihr moralisches Verhalten, das Trunksucht ebenso verhinderte wie Völlerei, Ehebruch, Wucherei und Dieberei. In Abgrenzung zum polnischen Bauern war ihr moralisches und ethisches Verhalten daher tadellos. Was Friedländer als kritikwürdig empfand, war der Einfluss der Rabbiner, die Nationalstolz in Form von Eigenliebe, Religiosität in Form von Abgrenzung und Isolation und Wissen in weltlichen Dingen als unnütz lehrten. Und damit kritisierte er letztlich die Umstände, die durch Abgrenzungen ein moralisch und ethisch einwandfreies Verhalten gefördert hatten. Stilistisch unterschieden sich die Positionen der Maskilim durch ihre Radikalität. Inhaltlich weniger durch ihre Forderung nach allgemeiner Aufklärung und Reformierung des Judentums als durch das Ziel, die Aufnahme der jüdischen Bürger in den preußischen Staatenverband auch unter Aufgabe der jüdischen Identität voranzutreiben. Auch Lazarus Bendavid273, späterer Redakteur der Spenerschen Zeitung und ab 1806 Rektor der „Jüdischen Freischule“ in Berlin, stammte aus einer Berliner Unternehmer-Familie und wurde liberal im Sinne einer allgemeinen Bildung mit mehrsprachigem Unterricht erzogen. Nach den oben angeführten Kategorien gilt er primär als ein innerjüdischer Reformer. Dass dieser angestrebte innerjüdische Reformprozess auch in der Beziehung zur rechtlichen Gleichsetzung oder Verbesserung der preußischen Juden reflektiert wurde, zeigte seine Schrift Etwas zur Charakteristik der Juden (1793), in der er auf die Verhandlungen zur neuen Reform reagierte.274 Bendavid stellte die selbstkritische Frage, wie sich die Juden für die bürgerliche Reform tauglich machen könnten. Seine Antwort nahm bereits das große Ziel und Ergebnis der Aufklärung vorweg und beschrieb die Öffnung der jüdischen Gesellschaft für die sie umgebende Kultur. Das schloss die Sprache, die Literatur, die Sitten und Gebräuche ebenso mit ein, wie es andererseits den Stand der eigenen Kultur über diesen Vergleich erst erschloss und 273 Siehe zu Lazarus Bendavid (1762–1832) Anlage 2: Biografien. 274 Vgl. dazu auch Schulte, jüdische Aufklärung, S. 107ff. , S. 167f.
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gegebenenfalls auch bewertete.275 Diese Bewertung fiel bei Bendavid negativ aus. Den diagnostizierten Egozentrismus des Judentums und die Abneigung gegen die äußere Welt erklärte er mit dem fehlenden Selbstbewusstsein eines Sklavenvolks, das mangels Anerkennung keine Aufmerksamkeit auf die äußerlich sichtbaren Werte legte, sich vernachlässigte und zurückzog und daher im Widerstreit oder auch im Hass zum Unterdrücker und scheinbar Überlegenen leben musste. In seiner Empfehlung, primär eine jüdische Wesensänderung vorzunehmen, strebte Bendavid ein rationalistisches aufgeklärtes Judentum an. Als Methode schlug er u. a. eine reformierte Schulbildung vor. In einem Vortrag Über den Unterricht der Juden276, den Bendavid am 18. Januar 1800 vor der literarischen „Gesellschaft der Freunde der Humanität“ anlässlich ihres Stiftungstages hielt, ging es ihm um aufgeklärte Bildung und nicht um eine Kritik an der Beschäftigung mit den Inhalten des Talmuds. An der Methode der Schulung innerhalb des Unterrichts gab es nach Bendavid nichts auszusetzen. Wortschatz, Denkkraft und Disputationsfähigkeit wurden ausdrücklich gefördert und galten über den theologischen Rahmen hinaus auch als notwendige Grundlagen in der Juristerei und der Mathematik. Was Bendavid tatsächlich kritisierte, waren die Ableitungen, Begründungen oder besser exegetischen Erklärungen für die Bedeutung der Torastellen, die tradiert keine Anpassung an die moderne Welt erfahren hatten. An einer früheren Textstelle hatte Bendavid seine Bewunderung gegenüber den Werken Martin Luthers geäußert, dem Mendelssohn in seiner religiösen Aufklärung ähnlich gewesen sei. Und analog zur Polarisierung der Glaubensfraktionen zur Zeit Luthers verglich Bendavid die Anhänger der rabbinischen Orthodoxie mit papistisch gesinnten Gläubigen. Sein Vorschlag basierte daher, eher unterschwellig formuliert,277 auf einer nach 275 Nach Graupe, Entstehung des modernen Judentums, S. 80, lassen sich bereits seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts Tendenzen einer literarischen Auseinandersetzung und Reflexion mit der umgebenden Kultur feststellen, die aber weder zur Rechtfertigung der jüdischen Tradition noch zur Kritik führten. Eine Reflexionsfähigkeit setzte allerdings bereits die Abgrenzungen gegenüber der islamischen Theologie voraus, die sich z. B. im 10. Jahrhundert auch mit den Methoden der arabischen Philosophie beschäftigte. Vgl. zur Zeit des 18. Jahrhunderts auch die bei Schwarz genannten Periodika. Schwarz, die Anfänge der jüdischen Presse, S. 221ff. 276 Bendavid, Lazarus: Aufsätze verschiedenen Inhaltes. Berlin 1800, S. 117ff. 277 Bendavid, Aufsätze, S. 132. Im Text selbst heißt es: „[…] nur, wenn die Regierungen sich der Erziehung der Juden annehmen werden; nur wenn dem rechtschaffenen Juden Achtung als rechtschaffenen Menschen allgemein zuteil wird; nur wenn der aufgeklärte Jude gleichsam Märtyrer seiner Glaubensgenossen wird, und dadurch Aufklärung verbreitet, dass er im Schoße seiner Kirche bleibt, und auf die Vorteile Verzicht thut, die ihm aus dem öffentlichen Übergange zur Christus-Religion entspringen; nur wenn der Zuwachs an Aufklärung unter den Juden in dem Maße zunimmt […], dann [wird] der Tag kommen […].“ Die Aufzählung bildete die Voraussetzungen zum späteren Schlusswort des Vortrages.
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dem Muster des preußischen Unterrichts organisierten staatlichen Schulbildung für preußisch-jüdische Schüler. Seinen Vortrag schloss Bendavid mit der bereits bekannten Formel, „daß der Tag kommen wird, an dem die gewiß nicht vernachlässigten Geisteskräfte des Juden zu seiner Besserung, zum Nutzen des Staates und seiner Mitbürger gereichen, und Ein Gott und nur Ein Name der Gottheit wird angerufen werden. Bis dahin sey man tolerant […]“.278 David Friedländer279 gehörte als älterer, wohlhabender Kaufmann zur wirtschaftlichen Elite in Preußen. Als Mäzen und gleichzeitiger Protagonist der Bewegung fällt Friedländer etwas aus dem Rahmen. Gemeinsam mit den jungen Maskilim war er Kritiker der orthodoxen Hierarchie des Rabbinertums. „Als Pionier der Praxis und der Assimilation“280 war er nach Zohar Shavit „ein Vorläufer des Reformjudaismus“.281 Nach den Untersuchungen von Uta Lohmann war David Friedländer ein Aufklärer, der eigene Reform- und Emanzipationsinteressen auf dem Gebiet einer interkulturellen Bildung entwickelte. Nach dem Prinzip philanthropischer Anschauungen strebte er bürgerliche Erziehungsideale an, die letztlich den nützlichen, brauchbaren und darüber glücklichen Menschen zum Ziel hatten.282 Als praktischer Reformer konnte er als Mitbegründer der „Berliner Freyschule“283 und Verfasser des jüdischen Lesebuches auch in Verbindung zu 278 Bendavid, Aufsätze, S. 133. Die letzte Konsequenz, der Akt der Konversion war für Bendavid zwar verständlich, änderte aber am Grundproblem der mangelhaften Aufklärung nichts. Siehe zu Bendavid auch Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation. Münster [u. a.] 1960, S. 86ff. 279 Friedländer ist auch Absender eines Schreibens an die rabbinische Elite, das als offener Brief in einem Sonderheft der HaMe’assef erschien und gegen die Rabbiner Prags gerichtet war, die in ihren Predigten gegen die Übersetzungen von heiligen Schriften eintraten. Dazu Friedländer: „Möge der Ewige es geben, daß wir schon bald, noch in unseren Tagen, die Zügel der Rabbiner abschütteln können, auf daß wir Schulter an Schulter dem Ewigen in Liebe und Ehrfurcht dienen können.“ Zit. nach J. Jacobson: David Friedländer. In: Jüdisches Lexikon (1928), Sp. 401. 280 Shavit, Friedländers „Lesebuch“, S. 9. Siehe zu David Friedländer (1750–1834) Anlage 2: Biografien. Siehe zur Familie Friedländer in Königsberg auch Ajzensztejn, Andrea: Der Aufstieg der jüdischen Familie Friedländer in Königsberg. In: Brocke, Michael/Heitmann, Margret/Lordick, Harald (Hrsg.): Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen. Hildesheim 2000, S. 377–395. Vgl. ebenso Meyer, Michael A.: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland. 1749–1824. München 1994, S. 66–98; Schulte, jüdische Aufklärung, S. 92ff. 281 Shavit, Friedländers „Lesebuch“, S. 9. 282 Lohmann, Uta: „Interkulturalität“ in der Bildungskonzeption David Friedländers. In: Behm/Lohmannn/Lohmann (Hrsg.): Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Münster [u. a.] 2002, S. 291–306. 283 Vgl. dazu u. a. Eliav, Jüdische Erziehung, S. 77 und 91. Siehe speziell: Lohmann, Ingrid (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1878–1825) im Umfeld preu-
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Johann Bernhard Basedow und seinem Philanthropin in Dessau, seine reformpädagogischen Ideen entsprechend umsetzen.284 Als Vertreter der jüdischen Gemeinde in Berlin, Generaldeputierter in der Reforminitiative (1787–1792) und als Berater in den Auseinandersetzungen um die neue Judenreform und folgend als einziger jüdischer Vertreter an der Legislative beteiligt, verfügte Friedländer auch über einen politischen Einflussbereich. Als Verfasser des Sendschreibens an Propst Teller erhielt Friedländer in der späteren Geschichtsschreibung das Prädikat „radikal“285 zugesprochen und in der zeitgemäßen Kritik von Salomon Schönemann das eines Verräters: „Nicht bloß vom Zeremoniell der Juden wollen Sie abgehn, Sie begnügen sich nicht, das drückende Joch unserer Religion abzuschütteln; Sie tun mehr, weit mehr. Sie wollen sich von der Nazion trennen, gewaltsam Ihr Interesse von dem Interesse Ihres Volkes losreißen.“286
Abb. 1: David Friedländer (1750–1835), Generaldeputierter der preußischen Judenschaften in der Zeit der Reforminitiative und Mitunterzeichner der
Denkschriften von 1787 und 1790.
ßischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung, Bd. 1. Münster [u. a.] 2001. 284 Eliav, Jüdische Erziehung, S. 91. 285 Vgl. dazu Graetz, Michael: Jüdische Aufklärung. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): DeutschJüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 324. 286 Schönemann, Salomon: An die Hrn. Verfasser des Sendschreibens an Hrn. O. K. Rath Teller. Zit. nach Feiner, Haskala, S. 373.
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Diese Kritik hatte Friedländer eine völlige Abwendung vom Judentum zum Vorwurf gemacht, die jedoch nicht alle Maskilim teilten. In einem konstruierten Dialog, der 1799 anonym veröffentlicht wurde, ging es um den Inhalt und die Verfasser des Sendschreibens. In diesem Gespräch zwischen einem ungenannten christlichen Theologen und seinem engsten Freund, dem alten Juden Baruch287, wurde das Sendschreiben nicht als bedrohlich für den Fortbestand der jüdischen Tradition angesehen. Der Jude Baruch/Mendelssohn legte zwar einerseits in seinem Urteil Wert auf die persönliche Feststellung, dass die Religion ihm in vielen Situationen nützlich gewesen sei, er als alter Mann sie nicht verlassen wolle und die Reformer selbst jedoch darauf achten müssten, „von den wesentlichen Grundsätzen der Religion nichts ab[zu]legen“.288 Aber verstanden wurde die Schrift als „Glaubensbekenntnis eines aufgeklärten Juden“289, und interpretiert als Kritik an den orthodoxen Juden, die die Religion und die Gesetze nicht liebten, sondern nur benutzten. Einen positiven gesamtgesellschaftlichen Bewegungscharakter konnte Baruch allerdings nicht erkennen. Da der Eigennutz des Individuums, der Hagestolze, der Kinderlosen und der Reichen unter der gebildeten Klasse, „welche alles durch Geld ersetzen wollen“290, die Reform verhinderten. Und nach Ansicht beider Gesprächspartner nahmen die jüdischen Reformer nicht genug Anteil an dem „allgemeinen Elend, um es zu lindern“.291 Im Verlauf des Gesprächs bemerkten beide Gesprächspartner, auch in Abgrenzung zu einem öffentlich geäußerten Vorwurf des Eigennutzes der Verfasser des Sendschreibens und in Reaktion auf die Flugschrift des Berliner Predigers Friedrich Schleiermacher, 292 dass es den Absendern des Schreibens nicht verübelt werden könne, wenn sie nach der Anerkennung als Staatsbürger strebten. Damit schloss man sich im Tenor des Gesprächs der Skepsis gegenüber den Initiativen der Wirtschaftselite zur Judenreform an, die Salomon Schönemann bereits enttäuscht David Friedländer zum Vorwurf gemacht hatte. Das, was nach Friedländer nicht
287 Im Verlauf des Gesprächs wird Baruch als „Weltweiser“ tituliert und nimmt damit offensichtlich die Rolle des bereits verstorbenen Mendelssohn ein. Die folgenden Beschreibungen der persönlichen Verbundenheit mit dem tradierten Judentum lassen ebenfalls auf Mendelssohn schließen. Dazu zählen u. a. die Feststellungen, dass ihm die Religion in vielen Situationen nützlich gewesen sei und er sie als alter Mann nicht verlassen wolle. 288 N.: Gespräch über das Sendschreiben von einigen jüdischen Hausvätern an den Probst Teller, zwischen einem christlichen Theologen und einem alten Juden. Berlin 1799, S. 8. 289 Ebd., S. 14. 290 Ebd., S. 25. 291 Ebd. 292 Vgl. auch die Briefe des christlich protestantischen Theologen, in: Meckenstock, Günter (Hrsg.): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe. 1. Abt., Bd. 2. Schriften aus der Berliner Zeit. 1796–1799. Berlin/New York 1984, S. 332ff.
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mehr dem kollektiven Bewusstseinsstand entsprach, formulierte er am deutlichsten zwanzig Jahre später in einem Aufsatz aus dem Jahre 1814,293 in dem er schrieb, dass die jüdischen Zeremonien für fast alle Teilnehmenden anachronistischen Charakter besaßen; für die Sprachunkundigen, weil sie weder dem Inhalt noch dem Verlauf der Zeremonie folgen könnten, und für die schriftkundigen und aufgeklärten Juden, weil der Inhalt gegen ihre Überzeugungen stünde. Im Sendschreiben an Propst Wilhelm Abraham Teller (1734–1804), einem aufgeklärten protestantischen Theologen und Mitglied der „Berliner Mittwochsgesellschaft“ wurde zwar nicht formuliert, welche konkrete Lehre oder Symbiose aus christlichen und jüdischen Glaubensinhalten sich Friedländer vorstellte, die Teller als Religionslehrer überprüfen und auf ihre Verbindung hin beurteilen sollte. Aber der Gedanke an eine natürliche und vernunftbetonte Religion klang deutlich durch. Die Frage, welche Form das gemeinsame Bekenntnis haben sollte, das den Übertritt ohne eine völlige Aufgabe von jüdischen Glaubensinhalten erleichtern konnte, gab Friedländer völlig in die Hände des protestantischen Oberkonsistorialbeamten.294 Die Idee zu einer natürlichen Religion stammte bereits aus dem zweiten Buch Dohms (1783). Dort schrieb er über eine Anpassung des religiösen Systems an die bürgerlichen Verhältnisse295 und regte die Bildung einer neuen vernünftigen, natürlichen Religionspartei an.296 Für Dohm selbst war die Frage nicht wirklich wichtig, weil seiner Meinung nach der Staat kein Interesse an der Religion seiner Bewohner haben sollte. Aber eine Vereinigung unter dem Siegel einer natürlichen oder vernünftigen Religion konnte nach Dohm „Verachtung und Abneigung gegen Andere“297 ebenso aufheben wie „das Gefühl eigener hoher Vorzüge und ausgezeichneter Wohltaten der eigenen Gottheit“298 relativieren. In einem Artikel über den Deismus unter den Juden in Berlin,299 erschienen in einer Reihe zur Charakteristik der Sitten Berlins in der Bibliothek für Denker und 293 Friedländer, David: Über die durch die neue Organisation der Judenschaften in den Preußischen Staaten notwendig gewordene Umbildung. Berlin 1814. ND Berlin 1934, S. 8. 294 Vgl. dazu auch die Interpretation bei Lohmann, Interkulturalität, S. 298. Demnach ging es Friedländer in Abgrenzung zu den Emanzipationsgegnern um eine Verteidigung gegen den Vorwurf der Immoralität. Es handelte sich demnach um eine apologetische Schrift, die letztlich zwar eine Vernunftreligion, aber keine Aufgabe des Judentums anstrebte. 295 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 187. 296 Ebd. Dohm spricht selbst von drei, nennt aber vier mögliche Wege zur Anpassung: 1. Beibehaltung eines reformierten Judentums, 2. Übertritt zu einer reinen Religion der Vernunft, 3. Konversion zu einer „christlichen Parthey“ und 4. Gründung einer „neue[n] [Parthey]“. 297 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 190. 298 Ebd. 299 Die aus Frankreich stammende religionsphilosophische Lehre des Deismus verbreitete sich im 17. Jahrhundert nach Mitteleuropa. Der bedeutendste deutsche Vertreter war der Hambur-
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Männer von Geschmack (1784), sprach der nicht genannte Autor allgemein von den Erscheinungsformen der Aufklärung in diesem Jahrhundert, lobte die Ausbreitung freierer Kenntnisse der Religion und die Ausdehnung der Toleranz, die auch unter den Juden eine sehr große Revolution veranlaßt und die Aufklärung ganz ausserordentlich befördert hat; und fast getrauen wir uns, zu behaupten, daß die Erkentniß der Wahrheit und das helle Licht der Philosophie in weniger Zeit mehr Eingang gefunden und sich schneller unter ihnen verbreitet hat, als verhältnismäßig unter den Christen. Dies hat natürlicherweise sehr viel Veränderung in Absicht ihrer Zeremonien, Denkungsart und Sitten hervorgebracht.300
3.5 Die Religion als nützliche moralische Kategorie des preußischen Staates Offiziell war der preußische König als summus episcopus301 oberster Kirchenherr aller protestantischen Untertanen.302 Durch seine Funktion im landesherrlichen ger Theologe H. S. Reimarus (1694–1768). Siehe dazu die Interpretation, die allgemein als die deistische Grundlage der Anschauung verstanden wurde: „[Der] Deist glaubt zwar an Gott und die natürliche Religion der Vernunft, aber nicht an die außerordentliche Offenbarung Gottes in der Bibel.“ Zit. n. Lüdke, Friedrich Germanus: Über Toleranz und Gewissensfreiheit. Berlin 1774, S. 204. Dazu Lazarus Bendavid: „Ein Deist heißt derjenige, der nur eine transzendentale Theologie zugibt, und solcher Gestalt die Möglichkeit eines Urwesens durch bloße transzendentale Begriffe einräumt. Er erkennt das Urwesen als ein solches an, dass alle Realitäten besitzt, das die Weltursache ist; und sein Glauben ist daher ein Glauben an Gott.“ Zit. n. Bendavid, Lazarus: Vorlesungen über die Kritik der reinen Vernunft. Vorlesung 22. Berlin 1802, S. 286. 300 Winkopp, Peter Adolf: Fortsetzung der Charakteristik der Sitten Berlins. 3. Kap.: Deismus unter den Juden in Berlin. In: Ders. (Hrsg.): Bibliothek für Denker und Männer von Geschmack, Bd. 2. Gera 1784, S. 3–19, S. 3. 301 Das landesherrliche Kirchenregiment (Summepiscopat) wurde den protestantischen Landesherren nach dem Augsburger Frieden (1555) zugestanden und begründete den verfassungsrechtlich fixierten Grundsatz „cuius regio – eius religio“ und damit den „Anspruch des nicht durch päpstliche Theologen unterrichteten Landesherren auf Regierung der Kirche“. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 49. Die Grundlage und Rechtfertigung zu dieser Personalunion schuf u. a. auch Philipp Melanchthon mit seiner Schrift: „Über das Amt des Fürsten, Gottes Befehl auszuführen“ (1539). Vgl. dazu Tröger, Gerhard: „Bischof III“. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 6 (1980), S. 690. 302 Vgl. dazu speziell Manten, Georg: Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung. Berlin 2007, S. 270ff. Vgl. zum Anteil der Konfessionen im Landesdurchschnitt die Zahlen bei Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 201. Vgl. zu den Auswirkungen der verschiedenen Bekenntnisse auf die Herrschaft der Hohenzollern auch den Artikel v. Rudolf v. Thadden: „Preußen II“. In: TRE, Bd. 27 (1997), S. 364 und die Aufsätze im Band von Heinrich, Gerd (Hrsg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Berlin 1999.
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Kirchenregiment hatte er die Pflicht, „die Kenntnis Gottes unter den Menschen zu erhalten“.303 Damit repräsentierte er ein System, in dem Gottesglaube und evangelisches Christentum die politische und weltliche Ordnung zusammenhalten und stabilisieren sollten. Ihm unterstand als oberster Kirchenherr die Aufsicht über das kirchliche Vermögen, die Beaufsichtigung der kirchlichen Behörden und ihrer Beamtenschaft, die Aufsicht über die Lehre, die religiöse Praxis in der Liturgie und der Erziehung und die Aufsicht über die Klöster und Stiftungen. Nach Rudolf v. Thadden hatte Kurfürst Johann Sigismunds (reg. 1572–1619)304 Konfessionswechsels zum Calvinismus (1613) bei gleichzeitigem Verbleiben der Untertanen im Luthertum, eine Situation geschaffen, „die den Hohenzollernstaat langfristig auf den Weg zu einer konfessionellen Toleranzpolitik führten“.305 Die frühe kurfürstliche Kirchenpolitik protegierte allerdings den „Hofcalvinismus“.306 Pläne und Bemühungen zum Religionsfrieden zwischen Lutheranern und Reformierten im Zusammenschluss zu einer evangelischen unierten Landeskirche existierten in der Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm ebenso wie unter Friedrich I. Verwirklicht wurde dieser Zusammenschluss in einer „Union der Evangelischen Landeskirchen in Preußen“ über hundert Jahre später (1817) unter der Regent303 Zit. n. Philipp Melanchthon. In: Beyer, Michael (Hrsg.): Melanchthon deutsch. 2 Bde. Leipzig 1997, Bd. 2, S. 201. 304 Vgl. dazu Hirsch, Theodor: „Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg“ In: ADB, Bd. 14 (1881), S. 169ff. Seit dem Westfälischen Frieden (1648) galt der Calvinismus als eines der drei im Reich rezipierten protestantischen Bekenntnisse. Zur Zeit der Konversion von Johann Sigismund galt dies nicht. Der Calvinismus war im Augsburger Religionsfrieden nicht berücksichtigt worden. Johann Sigismund trat also einer bis dato geächteten Religionspartei bei. Das Motiv für die Konversion geht nach Clark auf den Einfluss der rheinischen Calvinisten zurück, die am Hof des Vaters verkehrten. Vgl. dazu Clark, Preußen, S. 144ff. Allgemeine Motive für die Konversion lassen sich nach Thadden in der stärkeren politischen Dynamik und Anziehungskraft des westeuropäisch geprägten Calvinismus und der Bewunderung für den holländischen Humanismus finden, ebenso wie in der größeren Polarisierung, der stärkeren Abgrenzung zum Katholizismus und der Idee von einer Vollendung, einem erreichten Ziel der Reformation. Thadden, Rudolf v.: Die Brandenburgisch-Preussischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 1959, S. 100ff. 305 Thadden, Hofprediger, S. 367. Die erwartete zweite große Konversionswelle erfolgte allerdings nicht. Die Untertanen verblieben in ihrer Religion. Vgl. zum Protest in der Stadt Cölln u. a. Clark, Preußen, S. 146. Vgl. dazu auch Faden, Eberhard: Der Berliner Tumult von 1615. In: Henning, Eckart [u. a.] (Hrsg.): Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 5 (1954), S. 27–45. Im Edikt vom 5. Februar 1615 musste der Kurfürst seinen Untertanen zugestehen, dass sie in keiner Weise gedrängt würden, ihre Konfession zu verlassen. 306 Diese zweite Reformationswelle beschränkte sich daher nur auf den Hof des Kurfürsten. Den lutherischen Konsistorien wurden calvinistische Räte zugeordnet, die teilweise auch die Leitung der Ämter übernahmen. Die Reformierten wurden zu Trägern des gesamtstaatlichen Denkens, verbanden ihr Schicksal mit dem des Herrscherhauses und besorgten eine landeseinheitliche Durchführung beim Auf- und Ausbau der Staatsmacht.
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schaft von Friedrich Wilhelm III. Während Friedrich Wilhelm I. den Pietismus307 protegierte, war die Politik von Friedrich II. auf die Neutralisierung der Glaubensgegensätze ausgerichtet, auch als direkte Folge seiner Großmachtpolitik in den eroberten Gebieten Schlesiens und den annektierten Gebieten Polens (1772), in denen über 20 Prozent der Bevölkerung katholisch war.308 Seine private Meinung zu Fragen der Religiosität, die als aufgeklärt und tolerant galt, konnte dementsprechend als kongruent mit seinen politischen Entscheidungen verstanden werden. Sein Thronnachfolger, Friedrich Wilhelm II., war nach der Beurteilung von Thomas Stamm-Kuhlmann „zwar sehr religiös, ihn störte es jedoch nur, wenn die Grenzen der Bekenntnisse aufgelöst wurden und damit die Ordnung in geistlichen Angelegenheiten in Unruhe geriet“.309 Im Fall der Erziehung seines sechzehnjährigen Sohnes, des Kronprinzens Friedrich Wilhelm III., wählte der Souverän den gebürtigen Sachsen Karl Adolf Reichsgraf von Brühl310 zum Lehrer und Berater des Thronfolgers aus. An der katholischen Religion des zukünftig einflussreichen 307 Als Hauptvertreter des Pietismus galt der sächsische Oberhofprediger zu Dresden und spätere Berliner Propst Philipp Jakob Spener (1635–1705), der die Frömmigkeit und den täglich praktizierten Glauben über die Rechtfertigung, allein durch die Taufe, stellte. Seine praktische Anwendung des gelebten Christentums führte zu einer erheblichen Anzahl an wohltätigen Einrichtungen. Vgl. dazu die entsprechenden Artikel im TRE und anderen Kirchenlexika. Friedrich Wilhelm I. unterstützte den politisch-sozialen Reformgeist des Halleschen Pietismus unter Francke. Nach Rudolf Vierhaus interessierte ihn weniger die theologische Begründung, sondern „in erster Linie das Nützlichkeitselement“. Franckes Schüler wurden von ihm als Feldprediger, Pfarrer, Lehrer, auch als Beamte und sogar als Offiziere bevorzugt. Vierhaus, Rudolf: Staaten und Stände. Frankfurt a. M./Berlin 1990, S. 288. 308 Eine andere mögliche Form der Kirchen- und Verwaltungspolitik formuliert dazu Rudolf v. Thadden: „Statt die Positionsgewinne der Römisch-Katholischen Kirche durch die Gegenreform wieder rückgängig zu machen und die seit dem Dreißigjährigen Krieg rekatholisierten Kirchen den Protestanten zurückzugeben, schlug er vielmehr den Weg einer Förderung von Neubauten evangelischer Kirchen ein […].“ Zit. n. Thadden: „Preußen II“. In: TRE, Bd. 27 (1997), S. 368. 309 Stamm-Kuhlmann, Thomas: König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron. Berlin 1987, S. 37. Vgl. dazu auch Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 204, der Friedrich Wilhelm II. als „inbrünstig gläubigen Menschen“ bezeichnete, der aus seiner Orthodoxie keinen Hehl machte und regelmäßig den Gottesdienst besuchte. Getauft wurde Friedrich Wilhelm II. am 11. Oktober 1744 vom Hofprediger Sack im Kronprinzenpalais. Seine Paten waren u. a.: der Römische Kaiser, die Kaiserin von Russland, der König von Frankreich, der Thronfolger von Schweden, der König von Preußen, der regierende Herzog von Braunschweig. Siehe dazu die Mitteilung in den Akten. In: GStA PK, BPH Rep. 48A, Nr. 5. Ebenfalls in den Akten des GStA PK einzusehen sind Aufsätze zu seinem Religionsunterricht. Inhaltlich geht es um den Nutzen der Religion für den Gläubigen und die Verheißung des Bekenntnisses auf Glückseligkeit. Die ersten Texte formulieren Glaubensinhalte in Abgrenzung zu den Heiden, Türken und Juden und setzten die Bedeutung der christlichen Religion ungleich höher an. Ebd. 310 Zu Karl Adolf Reichsgraf von Brühl gibt es in der ADB keinen Artikel.
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Beraters nahm er keinen Anstoß. So schrieb der König zur Berufung Brühls und zur persönlichen Beruhigung des Grafen im Oktober 1786: „Was Ihre Religion betrifft, so ist man hier zu aufgeklärt, als dass es Aufsehen erringen könnte.“311 Nach Stamm-Kuhlmann waren die Meinungen über Brühl am Berliner Hof geteilt. Man nahm allgemein an, dass auch Brühl zum Zirkel der Geisterseher312 gehörte. Aber unter der Anleitung Brühls nahm der Kronprinz in weit häufigerem Maße als zuvor am öffentlichen Leben teil. Er besuchte und gab Bälle, Diners und Konversationen. So dass dem neuen Prinzenerzieher das Verdienst zugesprochen wurde, die Scheu des Heranwachsenden vor der großen Welt gemildert zu haben. Eine rein kontemplative und auf innere Werte ausgerichtete Erziehung entsprach demnach gar nicht der Aufgabe Brühls. Der Zirkel der Geisterseher fällt in der älteren Forschung als Negativ-Beispiel der insgesamt eher positiv betrachteten Freimaurergesellschaft auf und steht zur Zeit von Friedrich Wilhelm II. synonym für einen dubiosen und zerstörerischen Einfluss auf den König.313 Die Kritik richtete sich gegen das Protegieren von Mitgliedern des Zirkels, wie Bischoffwerder314 und Woellner315, bis in die höchsten Ämter des Staates und 311 Friedrich Wilhelm II. in einem Brief an K. A. v. Brühl (27. Oktober 1786). Zit. n. Stamm-Kuhlmann, König, S. 37. 312 Ebd. 313 Vgl. dazu Hans-Joachim Schoeps: „Schon als Kronprinz war Friedrich Wilhelm II. der pseudomystischen Rosenkreuzergemeinschaft beigetreten, zu der seine Günstlinge Wöllner, ein ehemaliger Pfarrer und der Offizier Bischoffwerder gehörten. […] Christlich verbrämter Okkultismus und Geisterbeschwörungen beherrschten diese Zirkel“. Schoeps, Preußen, S. 110. Fedor v. Köppen schreibt in seiner Geschichte der Hohenzollern, dass die Zustimmung zum „berüchtigten Edikt“ [RE v. 1788, Anm. d. Verf.] vom „gutmütigen, wohlwollenden, […] aber leichtgläubigen König mit Hilfe der Rosenkreuzerischen Geheimkünste zu Stande kam“. Köppen, Fedor v.: Die Hohenzollern und das Reich. Teil 3. Glogau 1884–1887, S. 17ff. 314 Briefe von Friedrich Wilhelm II. an Bischoffwerder sind im GStA PK, BPH Rep. 48, F II., Nr. 10 einzusehen. Vgl. zu Bischoffwerder auch Neumann, Hans-Joachim: Friedrich Wilhelm II. Preußen unter den Rosenkreuzern. Berlin 1997, S. 108–124. Siehe dazu auch die bei Wolfgang Neugebauer angegebene Literatur. Ders. (Hrsg.): Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 1. Das 17. und das 18. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens. Berlin/New York 2009, S. 370. 315 Siehe zu Johann Christoph (v.) Woellner (1732–1800) Anlage 2: Biografien. Sein Aufstieg in die oberste Beamtenlaufbahn des preußischen Dienstes vollzog sich keineswegs so rasant und problemlos, wie oft aufgrund seiner engen Bekanntschaft mit Friedrich Wilhelm II. angenommen wird. In seinem Fall liegt auch keine „Ämterhäufung“ vor. Vgl. dazu die Handbücher über den Königlich Preussischen Hof und Staat. Gedr. in der Deckerschen Ober-Hofbuchdruckerei in Berlin. Vgl. zu einer ausgewogeneren Darstellung über Woellner u. a. Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 196ff. Zum Einfluss von Woellner in den Geheimbünden siehe Holländer, Kai-Uwe: „Und das kann doch schließlich nicht all und jeder“. Der Aufstieg Johann Christoph Woellners
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gegen das Religionsedikt von 1788. Friedrich Wilhelm II. gehörte wahrscheinlich bereits als Kronprinz dem Orden der sogenannten Rosenkreuzer an.316 In Berlin hatte sich der Kronprinz bereits als Mitglied der Berliner Freimaurerloge „Zu den drei Schlüsseln“ betätigt. Diesen Hang zu mystisch-fantastischen Übungen, geheimen Naturkräften, alchimistischen und astrologischen Künsten und Wahrheiten teilte sich der Kronprinz mit Persönlichkeiten aus den höchsten Gesellschaftskreisen.317 Die Mitgliedschaft in diesem Zirkel stand für den preußischen Monarchen nicht im Gegensatz zu seinem kirchlichen Amt. Nach Brigitte Meier waren die Geheimgesellschaften zwar „in jedem Fall eine unliebsame Konkurrenz, die sie [die Kirchen, Anm. d. Verf.] bekämpften“.318 Aber eine tatsächliche Auseinandersetzung spielte sich eher zwischen der katholischen Kurie und den Bünden ab.319 Die Urteile, die im Rahmen einer kirchlichen Rechtsprechung gegen die Mitgliedschaft in einem Freimaurerbund seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts ausgesprochen wurden, sind im Codex Iuris Canonici320 nachzum preußischen Staatsminister unter Friedrich Wilhelm II. In: Neugebauer, Wolfgang/Pröve, Ralf (Hrsg.): Agrarische Verfassung und politische Struktur zur Gesellschaftsgeschichte Preußens. 1700–1918. Berlin 1998. Siehe zur Ämterlaufbahn auch Straubel, Handbuch, S. 1123f. 316 Wahrscheinlich gehörte der Prinz seit 1778 dem Orden an. Briefe von Friedrich Wilhelm II. an die Brüder der Rosenkreuzer sind im GStA PK, BPH Rep. 48, F. II, Nr. 6 einzusehen. Siehe dazu auch die bei Neugebauer, Handbuch, S. 370 angegebene Literatur. 317 Dazu Freiherr v. Knigge: „Man wird heut zu Tage in allen Ständen wenig Menschen antreffen, die nicht, von Wißbegierde, Thätigkeitstrieb, Geselligkeit oder Vorwitz geleitet, wenigstens eine Zeit lang Mitglieder einer solchen geheimen Verbindung gewesen wären.“ (1788) Zitiert bei Gudladt, Katharina: Die drei Alt-Preußischen Großlogen – Aufgeklärte Gesellschaften oder Gesellschaften der Aufklärung? In: Fuhrich-Grubert, Ursula (Hrsg.): Schlaglichter Preußen – Europa. Festschrift für Ilja Mieck. Berlin 1997, S. 295–318, S. 295. Zu den Mitgliedern aus deutschen Ländern zählten u. a.: Friedrich II., Herder, Wieland, Fichte, Klopstock, Forster, Knigge, Hardenberg, Gneisenau, Scharnhorst, Steuben, W. v. Humboldt, Chamisso, Varnhagen, Schadow, nur kurze Zeit Lessing und Goethe. Siehe auch Hachtmann, Rüdiger: Friedrich II. von Preußen und die Freimaurerei. In: HZ 264 (1997), S. 21–54. 318 Zit. n. Meier, Brigitte: Friedrich Wilhelm II. König von Preußen (1744–1797). Ein Leben zwischen Rokoko und Revolution. Regensburg 2007, S. 203. Meier bezieht sich hier auf Christian Ernst Simonetti: Sendschreiben an die Ehrwürdige Loge der Freymäurer in Berlin. Berlin/Göttingen 1744. 319 Als Kritiker wird in diesem Zusammenhang nur die katholische Kirche erwähnt. Inwieweit die evangelische Kirche die Mitgliedschaft in den Bünden kritisierte oder verbot, lässt sich aus den entsprechenden Artikeln der Kirchenlexika nicht erschließen. Allgemein wird konstatiert, dass lediglich totalitäre Mächte mit ihrer Verneinung von Freiheit, Humanität und Brüderlichkeit die Freimaurerschaft verfolgten. Vgl. dazu die Artikel zur Freimaurerei/Rosenkreuzer in: RGG, Bd. 2, S. 113ff. und Bd. 3, Sp. 329ff. 320 Die Arbeiten an einem gesammelten Codex der kirchlichen Rechtsprechung entstanden erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts unter Papst Pius X. Der CIC gilt für die lateinische Kirche, teilweise allerdings auch für die evangelische Kirche. In fünf Bücher unterteilt, hob er formal das alte
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zulesen. Interessanterweise wurde die Rosenkreuzermitgliedschaft von Friedrich Wilhelm II. auch im direkten Kontakt mit der katholischen Kurie nicht zum Thema. Für seine Vermittlungen im Nuntiaturstreit zwischen Papst Pius IV. und den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier (1786) wurde dem preußischen Monarchen ausdrücklich gedankt, ohne seine Mitgliedschaft im Rosenkreuzerzirkel zu erwähnen. Nach den Ausführungen von W. M. Freiherr von Bissing verwendete die päpstliche Kurie die königliche Anrede zum ersten Mal seit Antritt der Hohenzollernschen Herrscher in Brandenburg-Preußen321 und erkannte damit den Anspruch auf die fürstliche Herrschaft und die Autorität als Monarch auch offiziell an. Die Rosenkreuzer322 gehörten zum Verband der Freimaurerorden, obwohl Geisterglaube und Geisterbeschwörung kein ursprüngliches Signum der Freimaurer waren. Strikte Observanz, strenge Hierarchien und geheime Treffen in Konventen und Zirkeln waren Teil der selbst inszenierten Mystifizierung. In den ca. 250 bis 300 deutschen Freimaurerlogen323 mit etwa 18.000 Mitgliedern (um 1800) waren Religion und Politik kein Thema. Größter Wert wurde auf passende und respektvolle Umgangsformen gelegt: Unpassende Worte, frivole oder vulgäre Redensarten wurden ebenso geächtet wie die Erörterung von Themen, die zu Unstimmigkeiten führen konnten. Zu diesen Themenkreisen gehörte neben der Politik des Herrscherhauses auch die Religion. Persönlicher Stand und Extravaganzen traten zu Gunsten der Gruppenbeziehung zurück und wurden durch das Ablegen jedes persönlichen Schmuckes auch symbolisch zum Ausdruck gebracht. Höflichkeit und Respekt sollte die Standesunterschiede überwinden und verhüllen. Die Mitgliederschaft setzte sich zum größten Teil aus dem Adel und dem vermögenden Bürgertum zusammen. Die Zirkel waren kein Organ einer aufstrebenden deutschen Mittelschicht.324 Und sie stellten auch keine Gefahr Kirchenrecht auf. Die Kirche selbst wird als societas perfecta betrachtet, das Laienrecht bzw. das Individuum spielen nur eine untergeordnete Rolle. 321 Vgl. Bissing, W. M. Freiherr v.: Friedrich Wilhelm II. König von Preußen. Berlin 1967, S. 58ff. Vgl. auch Immich, Max: Preußens Vermittlung im Nuntiaturstreit. In: Naudé, Albert (Hrsg.): FPBG 8 (1895), S. 142–152, S. 142ff. 322 Nach Neumann zählten sich die Rosenkreuzer zur Elite der Freimaurer, führten einen Kampf gegen die Aufklärung und hatten aufgrund ihres elitären Anspruchs eine Anhängerschaft unter hohen Staatsbeamten und Adligen. Vgl. dazu Neumann, Hans-Joachim. Friedrich Wilhelm II. Preußen unter den Rosenkreuzern. Berlin 1997, S. 100–108. Aspekte zum Inhalt der Rosenkreuzerideologie finden sich zum Ende des Kapitels. 323 Bis 1781 gab es allein in Berlin 83 Gründungen von Logen. Vgl. dazu Gudladt, Großlogen, S. 297. 324 Siehe dazu Dülmen, Richard van: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt a. M. 1986; Runkel, Ferdinand: Geschichte der Freimaurerei. Berlin 1932. ND Köln 2006; Schindler, Norbert: Freimaurerkultur
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für einen revolutionären Umsturz dar.325 Sie waren nach Bringmann im Grunde „Schulen der Toleranz“.326 Man beschäftigte sich inhaltlich mit Ordensangelegenheiten, sammelte Geld, hörte erbauliche Vorträge und experimentierte mit der Verwandlung von Metallen und Geheimmitteln gegen Krankheiten.327 Formal hatte die Bewegung einen exklusiven und privaten Clubcharakter. Das Verbot der Geheimgesellschaften, das der Nachfolger von Friedrich Wilhelm II., Friedrich Wilhelm III., mit dem Edikt vom 20. Oktober 1798328 aussprach, ging auf diesen etwas undurchsichtigen und nicht öffentlich zu kontrollierenden subversiven Charakter zurück. Der Staatsmann, der sich in allen bisher genannten Verbänden und Institutionen Preußens als Staats- und Justizminister, lutherischer Theologe, Konsistorialpräsident (1788–1798) und Mitglied der Rosenkreuzer bewegte, war Minister Johann Christoph (v.) Woellner. Die Historiker des 19./20. Jahrhunderts beurteilten ihn aufgrund seiner Rosenkreuzermitgliedschaft und der Absicht des Religionsedikts von 1788 ausschließlich negativ, auch um die Person des Königs von der Verantwortung für die Gesetzgebung entsprechend zu entlasten.329 Als bürgerlicher homo novus in der preußischen Politik war Woellner nach Preuß ein „gewalthaberischer Dunkelmann“,330 Geisterseher und Rosenkreuzer, Gegner der Aufklärung und strenger Visitor der kirchlichen Lehre. Das schloss jedoch nicht aus, dass Woellner in politisch-sozialen Zielen auch liberal und Pionier des aufkommenden Zeitgeistes sein konnte. Er trat für die Abschaffung aller Privilegien des Adels ein, die Aufhebung des Leibeigentums, den rechtmäßigen Erwerb von Grundbesitz
im 18. Jahrhundert. Zur sozialen Funktion des Geheimnisses in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft. In: Berdahl, Robert M. (Hrsg.): Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtsschreibung. Frankfurt a. M. 1982, S. 205–262. 325 Vgl. dazu auch Meier, Friedrich Wilhelm II., S. 203. In den Konventen der Französischen Revolutionsregierungen stellten die Mitglieder der Zirkel einen hohen Anteil. 326 Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 106. 327 Ebd., S. 107. 328 Im Mai 1824 fiel auch das Verbot für die von den Burschenschaften eingerichteten Verbindungen „in die Kategorie der Edikte vom 20. Oktober 1798 und vom 6. Januar 1816“. Zit. n. der KO vom 21. Mai 1824: „Bestrafung aller geheimen, besonders der burschenschaftlichen Verbindungen auf den Preußischen Universitäten“. Gedr. in: Archiv der Deckerschen Geheimen OberHofbuchdrucksachen. Sammlung von den in genannter Druckerei gedruckten Edicten, Gesetzen und sonstigen amtlichen Erlassen, Bd. XXV (1824–1825). Berlin 1824. 329 Preuß, Johann David: Zur Beurtheilung des Staatsministers Woellner. In: Foß, R. (Hrsg.): Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde, 2. Jg., Berlin 1865, S. 577–604, S. 577. Siehe dazu anders: Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 198ff. 330 Preuß, Woellner, S. 579.
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für die Bauern, die Befreiung von Fron- und Spanndienstleistungen331 und die Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden.
Abb. 2: Johann Christoph (v.) Woellner (1732–1800), Preußischer Justizminister und Gutachter der Eingabe der Berliner Ältesten der Jüdischen Gemeinde (1795) wg. Abschaffung der gegen die Juden erlassenen Gesetze (Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 10 und 24).
In der Religionspolitik von Friedrich Wilhelm II. herrschte nach Gerd Heinrich in der Endphase des Zeitalters des „aufgeklärten Absolutismus“ auf dem Gebiet der Kirchen und Religionsgesellschaften eine fortgeschrittene Toleranz.332 Und sie erstreckte sich auf die Hauptkirchen ebenso wie auf Sekten und Juden. Bezugnehmend auf das berüchtigte Religionsedikt von 1788, schreibt Gerd Heinrich, dass auch „die restriktive Phase unter Friedrich Wilhelm II.“333 daran nur wenig änderte. Nach Walter Grab vollzog Friedrich Wilhelm II. einen innenpolitischen Kurswechsel und kehrte die tolerante Religions- und Zensurpolitik unter Friedrich II. in ihr Gegenteil um.334 Nach Christopher Clark verfolgte Woellner, von Friedrich Wilhelm II. spricht er in diesem Zusammenhang nicht, einerseits eine 331 Woellner, Johann Christoph: Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg nach ihren großen Vortheilen oekonomisch betrachtet. Berlin 1766. 332 Heinrich, Gerd: Geschichte Preußens. Staat und Dynastie. Frankfurt a. M. [u. a.] 1981, S. 266. 333 Ebd. 334 Grab, Walter: Der deutsche Jakobiner Andreas Riem und seine „Apologie für die unterdrückte Judenschaft in Deutschland“. In: Heid, Ludger/Knoll, Joachim H. (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart/Bonn 1992, S. 63–83, S. 66.
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„autoritäre Kulturpolitik“,335 die jedoch gleichfalls im „Einklang mit Preußens Tradition des friedlichen Nebeneinanders mehrerer Konfessionen“336 stehen konnte. Das Hauptmotiv für das an alle Inspektoren der Kurmark geschickte Edict vom 9. Juli (1788) die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend wurde in der Präambel des Gesetzestextes mit der Feststellung begründet, die christliche Religion der Protestantischen Kirche „in ihrer ursprünglichen Reinigheit und Aechtheit [zu] erhalten“.337 Nach Bringmann waren sich Friedrich Wilhelm II. und Woellner durchaus darin einig, dass in der Vergangenheit „kein Konsistorium es mehr der Mühe [er]achtete, dafür zu sorgen, dass Prediger und Schullehrer die reine Lehre des Christentums dem Volk vortragen, sondern alles einer zügellosen Aufklärung überlassen wird“.338 Ihre Einschätzung des realen Zustands der Untertanen ging vom Unglauben, Aberglauben, der Verfälschung der Grundwahrheiten des Glaubens und der daraus entstehenden Zügellosigkeit der Sitten aus. Die Kritik richtete sich gegen die Vertreter der Lehre, die Anhänger der neologischen und rationalistischen Aufklärungstheologie. In seiner Abhandlung über die Religion339 (1785) hatte Woellner die politische Bedeutung der Lehre gerade in Bezug auf die Funktionsträger der Monarchie, auf Soldaten und Beamte, aber auch auf die Stände im Staat und speziell für die Bauernschaft nachgewiesen. So sollte die Grenze zur Toleranz dort gezogen werden, wo die Loyalität gegenüber dem Staat und der Monarchie gefährdet war. Diese staatstragende Funktion der Kirche und der Lehre konnte Woellner durchaus mit einer Toleranz gegenüber anderen Religionsparteiungen verbinden, wenn die Nichtevangelischen diese Untertanenqualität lebten. Mit dieser Ansicht befand sich Woellner in guter aufklärerischer Gesellschaft. Auch der preußische Frühaufklärer und Professor der Rechtswissenschaften in Halle, Christian Thomasius, zog die Grenzen zur fürstlichen Toleranzpflicht dort, wo sie die Garantiemacht bedrohten. Und nach den
335 Clark, Preußen, S. 319. 336 Ebd. 337 N.C.C., Bd. 8, Sp. 2177. 338 Bringmann zitiert hier Kemper, Dirk: Obskurantismus als Mittel der Politik. Johann Christoph von Woellners Politik der Gegenaufklärung am Vorabend der Französischen Revolution. In: Weiß, Christoph/Albrecht, Wolfgang (Hrsg.): Von „Obscuranten“ und „Eudämonisten“. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert. St. Ingbert 1979, S. 193. Auch in Württemberg, Bayreuth, Sachsen und Hannover wurden Gesetze zur Festigung des christlichen Glaubens erlassen. 339 Der Nachlass Woellners wurde vom Staatsarchiv Berlin-Dahlem erworben. Einzusehen ist die o. g. Schrift unter dem Aktenzeichen: Nachlass Woellner, 6. HA Rep. 92, Wöllner I, Nr. 6. Allerdings handelt es sich aufgrund der Randbemerkungen und der Lässigkeit im Schreibstil eher um einen Entwurf.
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Untersuchungen von Martin Kühnel zum politischen Denken von Thomasius sprach er „dem Fürsten gelegentlich durchaus die Sorge um die Beförderung der wahren Religion zu“.340 Kraft dieser Machtbefugnis sollte der Fürst die Theologen als potentielle Unruhestifter „sowohl als andere Unterthanen in gebührenden Gehorsam halte[n] und ihnen nicht gestatten auf andere Religions-Verwandten, die der Fürst in seinem Lande duldet, zu schmähen, auch diejenigen die hierinnen nicht genügend pariren wollen, zu strafen“.341 Im Edikttext wurde allen getreuen Untertanen versichert, dass in den folgenden Paragrafen weder die Glaubensfreiheit noch die Ruhe und Sicherheit, sich im Glauben der Väter zu bewegen, gefährdet sei. Diese Versicherung schloss die Gläubigen aller Großkirchen mit ein (§ 1 RE), ebenso die übrigen „Secten und Religionspartheien“,342 denen die von „jeher, dem Preußischen Staat eigenthümlich gewesene Toleranz“343 weiterhin garantiert wurde (§ 2 RE). Unterzeichnet von Carmer, Doerner und Woellner ging es in den vierzehn Paragrafen um eine Wiederherstellung der Glaubenssicherheit in Abgrenzung zur Aufklärung und um die aktuelle Kontrolle der Lehrinhalte über die Vermittler des christlichen Glaubens: Ein jeder Lehrer des Christentums in Unsern Landen, der sich zu einer von diesen drey Confessionen bekennet, muß und soll vielmehr dasjenige lehren, was der einmal bestimmte und festgesetzte Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religionsparthey mit sich bringet, denn hiezu verbindet ihn sein Amt, seine Pflicht, und die Bedingung, unter welcher er in seinem besondern Posten angestellt ist.344
Nach dem Edikttext hatten Geistliche, Prediger, Schul- und Hochschullehrer „in ganz zügelloser Freiheit“345 die längst widerlegten Irrtümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und anderer Sekten wieder aufgewärmt und sie unter dem
340 Kühnel, Thomasius, S. 168. 341 Zit. n. Thomasius, Christian: Erinnerungen Wegen zweyer Collegiorum über den Ersten Theil seiner Grundlehren/Nemlich über die Lehre von der Weißheit und der Rechtsgelahrheit überhaupt/von der Philosophischen Historie/und von dem Nutzen der Instrumental-Disciplinen in der Rechtsgelahrheit (1701). In: Schneiders, Werner (Hrsg.): Christian Thomasius. Ausgewählte Werke, Bd. 24: Auserlesene deutsche Schriften. 2. Teil. Hildesheim [u. a.] 1994, S. 253–284, S. 273. 342 Gedr. in: N.C.C., Bd. 8, Sp. 2179ff., Sp. 2179. 343 Ebd. Ausdrücklich wurden die bisher geduldeten Sekten aufgeführt. An erster Stelle wurde die jüdische Nation genannt, es folgten die Herrnhuter, die Mennoniten und die Böhmische Brüdergemeine. Die Bedingungen für diese Toleranz basierten auf der Erfüllung der Pflichten, dem Verbot der Proselytenmacherei und der öffentlichen Werbung oder Überredung. Diese Verbote galten für alle Religionen und Sekten. 344 N.C.C., Bd. 8, Sp. 2179. 345 N.C.C., Bd. 8, Sp. 2182.
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„äußerst gemißbrauchten Namen: Aufklärung“346 unter das Volk gebracht (§ 7 RE). Zukünftig hatte das geistliche Departement als Kontrollbehörde sowohl die Ausbildung und Besetzung der Stellen als auch die Überprüfung der Lehrtätigkeit über die Unterbehörde der Ober-Landes-Schulkollegien stärker zu beobachten (§ 10 RE). Als Entschädigung für die Zensurmaßnahmen wurde an das Edikt vom 14. Oktober 1737 erinnert, nach dem die Söhne von Predigern und Schullehrern vom Militärdienst ausgenommen waren. Friedrich Wilhelm II. stellte die neue Bestätigung des Edikts in Aussicht (§ 13 RE).347 Den Untertanen selbst wurde versichert, dass ihre Majestät einen Mann von Tugend und Religion jederzeit zu schätzen wisse, „weil ein gewissenloser und böser Mensch niemals ein guter Unterthan, und noch weniger ein getreuer Diener des Staates weder im Großen, noch im Kleinen seyn kann“348 (§ 11 RE). Die Abgrenzung vollzog sich nicht gegen andere Religionsparteien, sondern gegen eine Form von Vernunftreligion, die biblische Inhalte als mythologische Konstruktionen und nicht als ewig gültige Wahrheit anerkannte und damit eine offene Reduzierung der bisher vorgegebenen Grundwahrheiten vornahm.349 Damit standen die Gesetzgeber im offenen Widerspruch zu einer aufgeklärten Form der religiösen Toleranz, wie sie Christian Thomasius als Aufgabe der Fürsten formuliert hatte. Diese sollten darauf achten, dass sie auch denen dissentirenden in der Religion, wenn dieselbe nur sonst ruhig, fromm und stille als treue Unterthanen leben, Auffenthalt in der Republique verschaffe und über ihre Gewissen nicht zu herrschen suche […].350
346 Der Begriff selbst wird hier nicht als Bezeichnung einer Epoche oder als geschichtliches Strukturmerkmal gebraucht. Er wird vielmehr, in fast schon prophetischem Sinn, als ein geschichtsphilosophisches Postulat betrachtet, das weite, wenn nicht sogar alle Kreise der Gesellschaft über Unterricht und Bildung erfassen konnte. Die dahinterstehende Befürchtung, dass Gottesglaube und Gottesgnadentum zukünftig ohne alle Bedeutung sein könnten, war nicht eigentliches Postulat der aufgeklärten Lehrer. Der Glaube selbst und die Bewahrung der Tradition standen völlig außerhalb der Kritik. Eine christliche Vernunftreligion ging von der Existenz eines Gottes als Schöpfer einer Welt aus, erkannte sogar seine Menschwerdung in der Existenz eines göttlichen Sohnes an und ging von der Existenzberechtigung kirchlicher Organisationen zur Verbreitung der Lehre aus. Kritik weckten Kirchenlehre und Dogmen, wo sie überflüssig schienen, Legenden und Mythen am Leben hielten, mit menschlichem Vernunftdenken nicht erklärbar waren oder den Erkenntnissen der Naturwissenschaften schlicht widersprachen. Aber es war keine Bewegung der vollständigen Säkularisierung. 347 Dieses Versprechen löste er im umfassenden Reglement vom 12. Februar 1792 auch ein. 348 N.C.C., Bd. 8, Sp. 2186. 349 In der Preußischen/Berliner Aufklärung ging es nicht um eine Abgrenzung vom Gottesglauben und in diesem Sinne nicht um eine atheistische Weltanschauung. 350 Thomasius, Erinnerungen, S. 273.
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Darüber hinaus hatte der Fürst den öffentlichen Frieden zu sichern bzw. wiederherzustellen. Nach Christian Thomasius war das der eigentliche und naturrechtlich begründete Zweck des Staates und entsprach der Verantwortung des Fürsten gegenüber den Untertanen. Innerhalb der Beziehung Monarch – Minister war Minister Woellner das mitverantwortliche, vordenkende, formulierende und ausführende Organ des Edikts. Aber er entwarf kein vom Willen Friedrich Wilhelms II. unabhängiges Gesetz. In der Grundhaltung und in der Verantwortung als summus episcopus der landesherrlichen evangelischen Kirche kam Friedrich Wilhelm II. der Aufgabe nach, die seinem religiösen Amt und seiner persönlichen Frömmigkeit entsprach, die seinen Anspruch auf eine von Gott gegebene Herrschaft erst begründet hatte und letztlich auch in politisch unruhigen Zeiten stabilisierte. Nach Bringmann war die Gesetzgebung nicht zwingend erforderlich, weil einerseits keine Klagen oder Beschwerden von evangelischen Orthodoxen vorlagen und die Legislative als Voraussetzung einer „gesellschaftlichen Verwurzelung“351 entbehrte. Sollte in diesem Fall auch der konkrete und aktuelle Fall gefehlt haben, so reichte die Verwurzelung in den Interessen und Befürchtungen der Herrschaft als Anlass zur Gesetzgebung wahrscheinlich aus. Es handelte sich in diesem Sinne um eine Vorsorgemaßnahme, die gleichzeitig reaktionäre und aktionistische Tendenzen hatte. Präventive Maßnahmen hatten in den Politikstrategien der Hohenzollern durchaus ihren Platz. Auch Friedrich II. hatte in seiner Zensurgesetzgebung betont, dass die Zensur nicht darauf abziele, „eine anständige und ernsthafte Untersuchung der Wahrheit zu hindern“,352 sondern nur dem entgegen zu steuern, „was den allgemeinen Grundsätzen der Religion und sowohl Moralischer und Bürgerlicher Ordnung entgegen ist“.353 Aber er setzte sowohl der Untersuchung und der Verbreitung einer nach Vernunftprinzipien arbeitenden Forschung und Literatur enge Grenzen. Dennoch wurde der Monarch Friedrich II. auch bei Gegnern der Zensur nicht entsprechend kritisiert, sondern im verklärten Rückblick und auf Grund zukünftiger Befürchtungen idealisiert. In einer kritischen Schrift zum Religionsedikt von 1788 hatte der Verfasser Degenhardt Pott Friedrich II. als „Friedrich den Einzigen“354 und die von ihm 351 Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 208. 352 Friedrich II., zit. nach Plachta, Bodo: Damnatur –Toleratur – Admittitur. Studien und Dokumente zur literarischen Zensur im 18. Jahrhundert. Tübingen 1994, S. 101. Vgl. dazu auch das Edikt von 1749 und seine Erneuerung 1772. 353 Ebd. 354 Pott, Degenhardt: Commentar über das Königlich Preußische Religionsedikt vom 9. Julius 1788. Sr. Exzellenz dem Herrn Staatsminister Wöllner zugeeignet. Amsterdam 1788, Einleitung. Diese überschwänglichen Lobes- und Dankesbezeugungen bilden nicht die Ausnahme in der zeitgemäßen Literatur. Vergleichbare und ebenfalls idealisierte Herrscherbeinamen und Attribute für Friedrich II. lassen sich auch in den Lebensbeschreibungen von Friedrich Nicolai finden.
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geschaffene „Freystatt“355 für Denker ausdrücklich gelobt und als Beweis für die zukünftig befürchtete Politik der Intoleranz einen Text aus der Feder der Rosenkreuzer mit eingefügt, der das Sendungsbewusstsein des Rosenkreuzerbundes betonte und hervorhob. Dass Friedrich Wilhelm II. und Staatsminister Woellner die dort beschriebenen Missionsaufgaben356 tatsächlich zur Doktrin ihres politischen Handelns machten, ist allerdings nur bedingt wahrscheinlich. Die lang angelegten gesellschaftlichen Ziele waren mit politischen Mitteln kaum erreichbar. Die inneren Ziele bezüglich der Kontrolle über die Mitgliederaufnahme und die Überprüfung der Gesinnung der Brüder waren in der Verwirklichung leichter umzusetzen, da sie zumindest in der Situation der Aufnahme in einem kleinen und überschaubaren Kreis überprüfbar waren. Aber den Verdacht, dass die Umsetzung dieser ordensinternen Ziele gedanklich mit dem weitaus größeren Rahmen des Landes Preußen gleichgesetzt werden sollte, relativierte auch der Verfasser schmeichelhaft und ängstlich zugleich und warnte die Leser vor einem „lutherisch reformierten Papstthum“.357 Die öffentliche Kritik am Religionsedikt beschränkte sich nicht nur auf den Kreis der Theologen (Friedrich Samuel Sack, Wilhelm Abraham Teller u. a.),358 355 Pott, Commentar, S. 2. Auch Moses Mendelssohn wird als „Kopf der ersten Größe“ in die Reihe der Selbstdenker wie Euler, Garve, Sulzer und Kant aufgenommen. Ebd., S. 3. Um diese Errungenschaft unter Friedrich II. deutlicher zu illustrieren, bemerkte der Verfasser, dass selbst, „der Offizier, dessen Wissenschaft bisher nur fluchen und beten war, zu lesen [anfing] und fühlte, daß sein Geist noch zu etwas anderem bestimmt sei, als eine Commandir- und Exerziermaschine zu beleben“. Ebd., S. 3. 356 Die Missionsaufgabe bestand u. a. darin, die Sache Christi mit Macht und Eifer zu betreiben. Dem Unglaube „in unsern deutsche Vaterlande, […] dem Strom der Verführung einen Damm entgegen zu setzen“ und die Zahl der Mitstreiter zu vermehren. Zit. n. Pott, Degenhardt: Von obristbrüderlicher Wahl, Macht und Gewalt bestätigter Eingang zur ersten Klasse des preißwürdigsten Ordens vom goldnen Rosenkreuze nach der letzten Haupt- und Reformations-Convention errichtet, zum guten Gebrauch aller würdigen Brüder, so andere Meister vom Scheine des Lichts und dem verlorenen Worte an-, und aufzunehmen berechtigt sind (1777/1778), S. 12ff. 357 Ebd., S. 26. Pott stellt hier die berechtigte Frage, wer darüber entscheiden dürfe, was unverfälschtes Christentum sei: „Doch nicht jeweils die Meinung des Regenten, seiner Beichtväther und Räthe?“ Ebd., S. 36. 358 Zum Berliner Hofprediger wurde nur Friedrich Samuel Gottfried Sack (1738–1817) berufen, der als Mitglied des lutherischen Oberkonsistoriums mit aufklärerischen Theologen und Schulmännern Kontakt pflegte. Allerdings zog er nach den Untersuchungen von Thadden „einen scharfen Trennungsstrich zwischen sich und den Deisten und Spöttern, die von einem Geist des unbedachten Niederreißens erfüllt [waren]“. Thadden, Hofprediger, S. 228. Sack selbst strebte eine sich selbst tragende Religionsgesellschaft an, die aus Lutheranern und Reformierten gemeinsam gebildet, unter dem Schutz des Staates, aber nicht in der Abhängigkeit der Staatskirche im Absolutismus stehen sollte. Ebd. Konsistorialrat Teller wurde als Vertreter des liberalen Theologenflügels auch Adressat des Sendschreibens von David Friedländer. Friedländer vertraute dem
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Aspekte zu den Voraussetzungen der Judenreform unter Friedrich Wilhelm II.
die gleichzeitig Subjekt und ausführendes Organ der neuen Verordnung sein sollten.359 In den folgenden Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit des Edikts und die Überprüfung von angeblichen Missständen wurde in einem Rescript an das Cammer-Gericht, wie es mit den Untersuchungen und Abfassung der Cassations-Decrete gegen neologische Prediger und Uebertreter des Religions-Edicts gehalten werden soll (14. April 1794)360 eine Wiederholung und Erneuerung der Androhung der Amtsenthebung von Aufklärern ausgesprochen. Wenige Tage zuvor waren die als Neologen bekannten Konsistorialräte Teller, Zöllner und Gedike von der Entscheidungspflicht über die Absetzung unliebsamer Geistlicher ausgeschlossen worden. Diese Eingriffe in die Kirchenlehre standen dem König und seinen Behörden zu.361 Tendenzielle Überlegungen zu einer natürlichen Religion in Form von deistischen oder neologischen Spezifizierungen wurden damit in der Praxis verhindert. Die etablierte religiöse Landschaft sollte in Form der traditionellen Religionen und tolerierten Religionsparteien erhalten bleiben.
Konsistorialrat und gestand ihm die Eigenschaften zu, über alle Eigensucht erhaben zu sein, volle Gerechtigkeit zu üben und kein absprechendes Urteil schon aufgrund der Folgen voreilig auszusprechen. Teller wurde als Ratgeber angesprochen, der im Konflikt contra jüdische Zeremonialgesetze, aber auch contra jüdisch-christliche Konversion und pro Judentum vermitteln sollte. 359 Vgl. dazu auch die Eingaben von Oberkonsistorialrat Teller und den Immediatvortrag vor Friedrich Wilhelm II. als Misstrauensbekundung gegen Minister Woellner. Manten, Das Notbischofsrecht, S. 395ff. Nach den Untersuchungen von Bringmann entstanden ca. 120 Broschüren und 40 Zeitungsartikel in Reaktion auf das Edikt, die jedoch auch Lob für das Gesetz enthielten. Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 210. Unterstützung bekam Woellner von Minister Carmer, der das Gesetzesvorhaben während seiner Entstehungszeit ausdrücklich unterstützte. Manten, Das Notbischofsrecht, S. 342ff. 360 N.C.C., Bd. 9, Sp. 2143ff. 361 Vergleiche dazu ALR, 2. Teil, 11. Tit., §§ 1–1232. Vgl. Thomasius, Grundlehren, § 28, S. 115. Vgl. dazu auch Manten, der in der Beurteilung um die Rechtmäßigkeit des Edikts die Verknüpfung zwischen staatlicher und kirchenpolitischer Maßnahme aufzulösen versuchte, in dem er juristisch das Verhältnis zwischen Dienstherrn – Dienstvertrag – Diensttuendem als rechtmäßiges Vertragsverhältnis darstellte, das der Monarch als „Not“-Bischof „aus subjektiv lauteren und objektiv billigenswerten Motiven“ und nach der bisherigen Staatspraxis erlassen hatte. Manten, Das Notbischofsrecht, S. 377.
4 Die Reformversuche (1787–1792) 4.1 Die Petition vom 6. Februar 1787 Die Initiative zu einer Reform des Judenwesens ging 1787 von der Berliner Judenschaft und nicht von Friedrich Wilhelm II. aus. Ihr Ziel war die Aufhebung des Judenedikts von 1750 und die Partizipation an den bürgerlichen Rechten der preußischen Untertanen. Dass die Initiative zu diesem Zeitpunkt günstig schien, wurde in der zeitgemäßen und der neueren wissenschaftlichen Literatur vorwiegend mit zwei Beobachtungen begründet: Einerseits galt der neue König, Friedrich Wilhelm II., im Vergleich zu Friedrich II. als umgänglicher und toleranter Monarch mit liberaler Tendenz.1 Andererseits hatte sich nach den Worten von David Friedländer der allgemeine Zeitgeist derart verändert, dass eine Aussicht auf die Durchsetzung einer neuen und verbesserten Gesetzgebung nicht mehr am Widerstand der Gesinnungen scheitern musste.2 Die Verfasser der Petition3 beschrieben die gegenwärtige Situation der preußischen Juden im direkten Zusammenhang zwischen staatlicher Gesetzgebung und menschlicher Existenz. Diese Politik hatte in ihren Auswirkungen nicht zu ambivalenten, sondern eindeutig negativen Lebensumständen geführt: Schon lange seufzen wir unter der Last unaufbringlicher Abgaben und unter dem nicht weniger harten Druck der Verachtung. Beyde haben unsere Nation herabgewürdigt und uns gehindert, auf dem Wege der Geistesbildung, der größern Industrie und jeder Art von Glückseligkeit die Fortschritte zu machen, wodurch E. K. M. übrige Unterthanen alle benachbarte Staaten weit übertreffen. Ausgeschlossen von Allem Nahrungs-Erwerb, vom Handwerk, vom Ackerbau, von allen Bedienungen des Staats bleibt allein die Handlung und auch diese noch mit vielen Einschränkungen das einzige Erwerbungsmittel unsrer Colonie. So sind auf der einen Seite ihr fast alle Nahrungszweige abgeschnitten, und dennoch muß sie auf der
1 Siehe dazu Philippson, Martin: Neueste Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 1. Leipzig 1907, S. 47. Zitiert wird eine Bemerkung von Friedrich Wilhelm II. gegenüber dem Gen.-Dir. kurz nach seinem Regierungsantritt (28. 9. 1786), in der es bei Philippson heißt: „Diese so gedrückte Nation [die Juden, Anm. d. Verf.] ) soll so viel wie möglich soulagirt werden, und von dem General-Fiscal [d’Anières, Anm. d. Verf.] nicht so greulich gekuelt werden.“ 2 Dass die Zeit für eine Reform günstig schien, begründete David Friedländer u. a. mit der optimistischen Einschätzung, dass die Humanität bereits „zur schönen Sitte“ geworden sei und in politisch-rechtlichen Gesetzesangleichungen auch berücksichtigt werden sollte. N. (u. a. Friedländer, David): Sendschreiben an Herrn Oberconsistorialrath und Probst Teller zu Berlin von einigen Hausvätern jüdischer Religion. Gedr. bei Mylius in Berlin im August 1799, S. 13. 3 Petition vom 6. Februar 1787. Gedruckt und zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 159– 160. Siehe zur Verwendung von untertänigen Formulierungen in Bittschriften und behördlichen Schreiben auch Kapitel 4.8 dieser Arbeit.
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anderen Seite weit höhere Abgaben entrichten, als die Unterthanen christlicher Religion, denen alle Erwerbsmittel offen stehen: sie muß selbst für alle individua subsidiarisch hafften, so sehr solches auch der natürlichen Billigkeit [Gerechtigkeit, Anm. d. Verf.] widerstrebt.4
Folgend wurde anhand eines positiven Gegenbeispiels versucht, die Wechselbeziehung zwischen einer florierenden Gesamtwirtschaft des Staates und der Öffnung der Erwerbszweige für jüdische Einwohner zu verdeutlichen: Doch a. g. König und Landesvater, E. K. M. haben es hier nicht blos mit dem Elende unserer Brüder zu thun, sondern auch mit der eigenen Wohlfart Ihres Staates. Dieser muß gewinnen, wenn eine ansehnliche Colonie, die bis jetzt in Muthlosigkeit versunken ist, durch eine mildere Behandlung zu nützlicheren Unterthanen umgebildet wird, wenn es ihr vergönnt wird, statt ihrer bisherigen einseitigen Wirksamkeit an allen Gewerben und Geschäften, die den Flor des Staates begründen, Antheil zu nehmen, wenn sie, ohne von dem Staat Beihülfe zu nehmen, für ihn das wird, was fremde mit den größten Kosten angesetzte Colonisten ihm nur selten werden.5
Mit einer Replik auf die Einsicht und Fähigkeit des Landesherrn, die Notwendigkeit zur Änderung dieses Zustandes zu erkennen und dem Beispiel Frankreichs und Österreichs zu folgen, schloss der vierte Abschnitt: Dies alles spricht so sehr für sich selbst, liegt so offen am Tage, daß es bei einem so erhabenen Monarchen keiner weiteren Ausführung bedarf. Auch hat das weit weniger aufgeklärte Frankreich und Oesterreich solches schon längst erkandt und den Juden weit größere Freyheit verliehen.6
Zum Zeitpunkt der Eingabe existierten die „Toleranzpatente“ von Joseph II. (Oktober 1781–März 1782) bereits. Sie betrafen die Juden in Niederösterreich, Wien, Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn und verfügten: Abschaffung des Leibzolls, Öffnung des allgemeinen Schulunterrichts an Mittel- und Hochschulen 4 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 159. 5 Ebd., S. 160. 6 Ebd., S. 160. C. W. Dohm (1781) hatte sich auch auf die Gesetzgebung in Holland und England bezogen und bemerkte dazu: „Hier [in Holland, Anm. d. Verf.] und in England geniessen die Juden der vorzüglichsten Rechte des Menschen und Bürgers, und beweisen sich als sehr nützliche Glieder des Staates.“ Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 74. Für die jüdischen Einwohner im Elsass und in Lothringen wurde unter Ludwig XIV. die Einsetzung in die Menschen- und Bürgerrechte erwartet. Ebd., S. 79. Siehe dazu auch Hertzberg, Arthur: The French Enlightenment and the Jews. New York 1968; Katz, Ghetto, S. 186ff. Gleichfalls bezog sich Dohm zum Ende seiner Schrift auch auf kursierende Gerüchte, dass „die Juden in den kaiserlich-königlichen Staaten in die Rechte der übrigen Bürger eingesetzt werden“ würden. Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 152f.
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für jüdische Schüler, Öffnung der Handwerke, Pacht- aber keine Kauferlaubnis für Grundbesitz, Aufhebung der Kennzeichnung durch „Flecken“ und spezifische Kleidung. Nach Jacob Katz blieb die Lage in vielerlei Hinsicht unverändert, so z. B. generell in der provinzial divergierenden Umsetzung der Patente und speziell im Fall der Sonderbesteuerung, der Niederlassungsverbote und der Beschränkungen der Eheschließungen.7 Der Militärdienst wurde 1793 unter Franz II. obligatorisch. Unter Joseph II. dienten jüdische Untertanen als Hilfs- und Packknechte. Zum Abschluss des Schreibens baten die Petenten um die Einsetzung einer Kommission, die unter Zuziehung „einiger redlicher Männer unserer Colonie ihre gegenwärtige Verfassung untersuchen und mit ihnen gemeinschaftlich Mittel und Wege ausfindig mache, wie der Zustand unserer Colonie verbessert und selbige für den Staat nützlicher gemacht werden könne“.8 Gezeichnet wurde das Schreiben von den Funktionsträgern der jüdischen Gemeinde Berlin bzw. den Oberlandes- und den Gemeindeältesten der hiesigen Judenschaft „nahmens sämmtlicher Judenschafften“.9 Die Initiative zeigte mehrere Besonderheiten: Inhaltlich folgte die Petition in ihrem Aufbau dem Ursache-Wirkungs-Prinzip, das fünf Jahre zuvor auch für C. W. Dohm die Grundlage seiner Analyse war. Nach den Ergebnissen der älteren Fachliteratur hatte bereits im Vorfeld eine Absprache unter den jüdischen Gemeindefunktionären stattgefunden, die für diesen ersten Vorstoß die Oberlandesältesten und die Berliner Ältesten, nach Ismar Freund eine „Berliner Kommission“,10 als erste Funktionsträger autorisiert hatten. Und unabhängig davon, ob der Monarch ihrem Anliegen zustimmen sollte, war die mögliche Vorgehensweise, der methodische Vorschlag zur Arbeit an der Reform, bereits vorformuliert worden. Erste organisatorische Probleme zur Verfahrensweise wurden damit aus dem Weg geräumt und Bedenken gegen den baldigen Beginn der Reformarbeiten minimiert. Darüber hinaus erklärten die Deputierten ihren Willen zur Mitarbeit und damit auch zur Einflussnahme auf den Verlauf der Reform. Dass die Petition mit dem Einverständnis aller Landjudenschaften11 verfasst wurde, wird in der Literatur eindeutig bejaht. Nach Ismar Freund und Ludwig 7 Katz, Ghetto, S. 183. Siehe auch Baumgart, Peter. Die „Freiheitsrechte“ der jüdischen Minorität im Staat des aufgeklärten Absolutismus. Das friderizianische Preußen und das josephinische Österreich im Vergleich. In: Birtsch, Günther (Hrsg.): Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Göttingen 1981. 8 Ebd. 9 Ebd. Namentlich wurde das Schreiben nicht unterzeichnet. 10 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 37. 11 Unter dem Begriff „Landjudenschaft“ ist im 16. Jahrhundert eine Organisationsform der jüdischen Gemeinden zu verstehen, die im Sinne einer Körperschaft, einen organisierten Zusammenschluss von mehreren Gemeinden bildete. Die Gründung von territorialen Organisationen war nach Mordechai Breuer zur Aufhebung der Zersplitterung von kleinen Gemeinden, als Zu-
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Geiger sprachen die Oberlandesältesten und Ältesten der Berliner Judenschaften in ihrer Eingabe vom 6. Februar 1787 im Namen sämtlicher Judenschaften der Monarchie Preußen. Andererseits wird von Deputierten12 aus den Gemeinden Preußens und der Wahl von Generaldeputierten erst ab dem Zeitpunkt gesprochen, ab dem die Anhörung der Delegierten auch vom General-Direktorium ausdrücklich gestattet wurde und die Deputierten in Berlin ihre Vorstellungen und Wünsche formulierten. So dass es als ebenso wahrscheinlich gelten kann, dass die Berliner Kommission erst nachträglich, also nach der königlichen Erlaubnis, die tatsächliche Legitimation der übrigen jüdischen Gemeinden erhielt. Nach den Informationen von Ismar Freund versammelten sich die Deputierten in Berlin und informierten eine Kommission der „dortigen Judenschaft“13 über ihre örtlichen Verhältnisse und ihre Vorschläge zu Gesetzesänderungen. Unter der Anwesenheit sämtlicher Deputierten wurden dann, allerdings nur aus der Mitte der Berliner Kommission, zwei Generaldeputierte gewählt. Auch nach den Angaben von David Friedländer rekrutierten sich die Generaldeputierten ausschließlich aus der preußischen Hauptstadt und durch die Wahl der Provinzialdeputierten. Als Generaldeputierte wurden die Berliner Isaac Itzig und David Friedländer gewählt, die beide als Geschäftsmänner über ihre kaufmännische Tätigkeit hinaus soziales Engagement und entsprechend hohe Reputation besaßen. Gleichfalls wäre es denkbar, dass die Provinzialdeputierten über die Versammlungen zur Generalsteuerrepartition auch über die Absicht der Berliner sammenschluss gegen den politischen Druck, für das Streben nach Autonomie und zur Finanzierung von überkommunalen Ämtern und Aufgaben, notwendig. Als Vertreter fungierten Rabbiner und gewählte Älteste. In deutschen Ländern hauptsächlich Hofjuden, zu deren ersten Aufgaben die Sicherung der Gemeindeexistenz gehörte. Beschlüsse und Verordnungen unterstanden der behördlichen staatlichen Genehmigung. Gleichfalls gehörten der Landjudenschaft alle Schutzjuden eines bestimmten Herrschaftsgebietes an. Damit unterstanden sie den Entscheidungen der Korporation zur Rechtsprechung und im Besonderen zur Steuerumverteilung auf die einzelnen Regionen und Familien. Von der Herrschaft teilweise initiiert und zur Aufsicht und Kontrolle ausgenutzt, bildeten die Vereinigungen von geschlossenen und einheitlichen Gemeinden auch eine Form der Zwangsgemeinschaft. Nach Breuer führten die Vorsteher der Landjudenschaften die Verhandlungen mit den Behörden eigenständig. Kritik und Auseinandersetzungen erfolgten zu Fragen der Steuerumverteilung und der Jurisdiktion. Macht und Gewalt erhielten die Vorsteher in den Fragen zur Etablierung. Im Turnus von drei bis fünf Jahren fanden Generalversammlungen der Judenschaften statt, die in mehrtägigen Verhandlungen auch den Steueranteil der jeweiligen Judenschaft festlegten. In kürzeren Abständen versammelte sich der kleine Rat (Landesrabbiner, Obervorsteher, Älteste und Beisitzer). Zusammengefasst nach Mordechai Breuer: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne. Kap. VI: Die Landjudenschaften. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 187–194. 12 Deputierte wurden allgemein alle Kommissionsmitglieder der Gemeinden genannt. Vgl. dazu Meisl, Protokollbuch, S. 41. 13 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 37.
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Kommission informiert worden waren und sie unterstützt, gegebenenfalls vielleicht sogar veranlasst hatten. Erste Versammlungen der Landjudenschaften aus Brandenburg-Preußen, in denen die Deputierten Fragen und Unstimmigkeiten der Steuerrepartition erörterten und erste Schritte zur erfolgreichen Kooperation gegen zusätzliche Steuern unternahmen, fanden nach den Untersuchungen von Daniel J. Cohen zu Beginn des 18. Jahrhunderts nur aufgrund spezieller Anlässe und der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens statt.14 Dennoch lassen die Bittschriften der einzelnen Judenschaften, die zwar verschieden im Stil, aber in der Sache vergleichbar gegen zusätzliche Steuerzahlungen votierten, die Schlussfolgerung zu, dass Absprachen und ein gemeinsames Vorgehen ohne die Unterstützung einer festen Einrichtung möglich waren. In Vertretung und im Namen sämtlicher Judenschaften Preußens wurden auch Schreiben an Friedrich II. adressiert, die sich kritisch auf den § 24 des Judenreglements von 175015 (1769) bezogen oder um Bewilligungen zur Etablierung16 baten. Die erste Generalversammlung der Deputierten der Judenschaften aus allen Provinzen Preußens erfolgte nach der Quellensammlung von Selma Stern im Mai 1728, also fünfzig Jahre vor der Reforminitiative, gleichfalls in Berlin. In einem königlichen Erlass wurde der „jetzt hier anwesenden Judenschaft aus allen Provinzen“ befohlen, „sotane Schutzgelder […] [und] Rekrutengelder unter der Judenschaft der gesamten Provincen sofort zu vertheilen“17 und die Repartitionsliste dem General-Direktorium zu übergeben. Aber auch vor diesem Treffen wurden nach S. Stern Eingaben und Bittschriften in Vertretung der Judenschaften mit der Unterschrift „sämtliche[r] Deputierte[r] der Judenschaft aller königliche[n] Länder“18 oder mit der Unterschrift des Ältesten Marcus Magnus, der „namens sämtlicher Juden in den Königlichen Landen“19 sprach, autorisiert. Die Anlässe zu Versammlungen von Deputierten hatten mit der Gesamterhebung der Steuern von allen Judenschaften Preußens und ihrer anteilmäßigen Verteilung auf die 14 Vgl. dazu Cohen, Daniel J.: Die Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert – Ihre Beziehungen untereinander aufgrund neu erschlossener jüdischer Quellen. In: Baumgart, Peter (Hrsg.): Ständetum und Staatsbildung in BrandenburgPreußen. Berlin/New York 1983, S. 208–229, S. 219 und S. 224, ebenso S. 216. Cohen berichtet hier von einem langen und detaillierten Memorandum der Gemeinde in Frankfurt a. d. Oder (1784). Einerseits wurde die wirtschaftliche und soziale Lage beschrieben und andererseits die Benachteiligung durch die Handels- und Erwerbspraktiken der Gemeinde in Berlin. Siehe dazu Cohen, Daniel J.: Dokumente der Landjudenschaften in Deutschland als Organe jüdischer Selbstverwaltung. Jerusalem 1996, Bd. 1–3, und speziell zu Brandenburg-Preußen Bd. 3. 15 Schreiben vom 23. Dezember 1769. In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 20, Bl. 142–151. 16 Schreiben vom 9. Januar 1772. In: Ebd., Bl. 167–168. 17 Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 196, S. 259f. 18 Zit. n. ebd., Nr. 165 (Eingabe vom 5. Februar 1726). 19 Zit. n. ebd., Nr. 150 (Eingabe von Marcus Magnus vom 4. Oktober 1724).
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einzelnen Provinzen begonnen und blieben mit den Unstimmigkeiten und den Beschwerden über die innere Verteilung existenzieller Grund für die Zusammentreffen. Die zukünftig in einem Turnus von ungefähr fünf Jahren aufgerufenen „General-Steuerrepartitionen durch den Deputiertenkonvent“20 fanden abwechselnd in Berlin (1728, 1731, 1744, 1773, 1792–1793, 1804), in Brandenburg (1733, 1750) und in Spandau (1763, 1768, 1779, 1784) statt.21 Als Versammlungsorte wurden zwar auch Halberstadt und Minden vorgeschlagen, aber nach den Untersuchungen von Daniel J. Cohen konnte für diese Orte kein breiter Konsens gefunden werden.22 Dass Berlin zu einem Vorzugsort der Versammlungen wurde, scheint weder mit der Sympathie für die Berliner Delegierten noch mit ihrer Kollegialität oder Solidarität gegenüber den anderen Judenschaften verbunden gewesen zu sein. Beschwerden und Klagen über die Herrschsucht der Berliner Deputierten, ihrer Vorteilsnahme zu Lasten der übrigen Gemeinden und ihrer falschen Angaben zur Berechnung des Steueranteils finden sich z. B. in Briefen der Gemeinde Halberstadt aus den Jahren 1748/1749.23 Hingegen scheint die unmittelbare Nähe zum Hof und zu den Behörden den Ausschlag für den Standort Berlin gegeben zu haben. Dass die Initiative zur Reform aus den Versammlungen zur Steuerverteilung hervorging, erscheint hierbei durchaus plausibel, denn Fragen nach dem generellen Steueraufkommen und der Umverteilung auf die einzelnen Gemeinden berührten gleichzeitig auch die Frage nach den Existenzbedingungen und damit die Frage nach der Judengesetzgebung. Die Initiative zur Verbesserung der Judengesetzgebung konnte für ihre Beratungen den organisatorischen Rahmen der stattfindenden Deputierten-Versammlungen nutzen, über die Steuerlisten der Landjudenschaften einen Einblick in die Bevölkerungsstruktur und die jeweiligen Existenzbedingungen erhalten und die entsprechenden Sonderregelungen per Gesetzgebung vergleichen. Sie besaßen damit über ihr Erfahrungswissen hinaus ein fiskalisches und legislatives Spezialwissen, das sie zu
20 Zit. n. Täubler, Eugen: Zur Geschichte des Projekts einer Reform des Judenwesens unter Friedrich Wilhelm II. In: Täubler, Eugen (Hrsg.): Mitteilungen des Gesamtarchivs der deutschen Juden, Bd. 1. Leipzig 1909, S. 23–29, S. 26. 21 Cohen, Die Landjudenschaften, Anm. 68a–c. Eine Liste der Deputierten vom 28. September 1792 existiert z. B. bei Täubler, Geschichte, Anhang: Liebmann Meyer Wulff und David Hirsch (Berlin); Aaron Moses Ries und Abraham Alexander (Ostpreußen und Litauen); Israel Jakob (Halberstadt und Hohenstein); Gottschalk Helfft (Mark und Crefeldt); Michael Lewin und Salomon Jacob (Churmark); Nathan Liebmann (Potsdam); Levin Joseph Salomon (Brandenburg); Schey Joseph und Dr. Schlesinger (Frankf./O.); Hertz Zaady (Cleve); David Joseph (Tecklenburg); Schroeder (Minden, Lingen, Ravensberg); Deputierte aus Pommern und der Neumark fehlten. 22 Cohen, Die Landjudenschaften, S. 219. 23 Ebd.
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ebenbürtigen Sachverständigen in der Auseinandersetzung mit den preußischen Gremien/Beamten machte. Nach der Vorgabe des General-Direktoriums sollten ausschließlich aus den alten Provinzen des Staates Provinzialdelegierte bestimmt werden. Ausgenommen wurden damit die drei Provinzen, die als Landesteile Schlesien (1741), Ostfriesland (1744) und Westpreußen (1772) zu den Neuerwerbungen des Staates24 unter Friedrich II. gehörten. Das hatte im Wesentlichen auch verwaltungstechnische Gründe. Schlesien stand ebenso wie Ostfriesland aus reichsrechtlichen Gründen zu keiner Zeit unter der Verwaltung des General-Direktoriums.25 Die schlesische Provinzialverwaltung, ursprünglich eingerichtet vom GeneralDirektorium, unterstand Provinzialminister Karl Georg Heinrich von Hoym (1739–1807)26, der direkt nur dem König verantwortlich war. Neben einer Vielzahl an partikularen Eigenrechten war die Provinz auch im Fall der „Juden-Sachen“ autark geblieben.27 Das betraf ebenso Ostfriesland28 und Westpreußen.29 Das 24 Zum Staatsgebiet von Preußen gehörten 1787 auch kleinteilige Gebiete westl. der Elbe wie Lingen, Osnabrück, Kleve, Minden und die Grafschaft Mark, Dortmund und Ostfriesland. 25 Vgl. dazu Neugebauer, Wolfgang: Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert. In: Büsch, Otto (Hrsg.): Moderne preußische Geschichte 1648–1947, Bd. 2. Berlin 1981, S. 541–597. Siehe dazu die Dokumente in: GStA PK, II. HA Abt. 23, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 1. Vgl. zu den staatsrechtlichen Verhältnissen der Juden in Schlesien: Rönne, Ludwig v./ Simon, Heinrich (Hrsg.): Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämmtlichen Landestheilen des Preußischen Staates. Breslau 1843, S. 215ff. Vgl. auch Hubatsch, Walther: Verwaltungsentwicklung von 1703–1803. In: Jeserich, Kurt G. A./Pohl, Hans/v. Unruhe, GeorgChristoph (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1. Stuttgart 1983, S. 911ff.; Stern, S., Der preußische Staat, III/1, S. 31ff. 26 Siehe zu Karl Georg Heinrich v. Hoym (1739–1807) Anlage 2: Biografien. Hoym soll ein Verehrer Mendelssohns gewesen sein. Darüber hinaus war er mit den Schülern Mendelssohns bekannt und über die Verhältnisse der hiesigen Judenschaft gut orientiert. Vgl. dazu Lewin, Reinhold: Die Judengesetzgebung Friedrich Wilhelms II. In: Brann, Marcus (Hrsg.): MGWJ 57 (1913), H. 2. Breslau 1913, S. 229ff. 27 Die Ältesten der Breslauer Judenschaft strebten mit ihrer Petition vom Oktober 1786 Regelungen zum Handelsrecht, zum Bleiberecht und zur Einrichtung einer Gemeinde an. Die neue Verfassung von 1790 wurde für das Reglement für Süd- und Neuostpreußen mit herangezogen und wird aus diesem Grund in Kapitel 5.2 dieser Arbeit vorgestellt. Siehe zur Verwaltung unter Friedrich II. auch Hubatsch, Walter: Friedrich der Große und die preußische Verwaltung. 2. Aufl. Köln/Berlin 1982, S. 70–85. 28 Vgl. dazu Reyer, Herbert (Hrsg.): Frisia Iudaica. Aurich 1991. Siehe zu den Privilegien für die Juden in Ostfriesland auch Düselder, Heike/Klausch, Hans-Peter (Bearb.): Quellen zur Geschichte und Kultur des Judentums im westlichen Niedersachsen vom 16. Jahrhundert bis 1945. Teil 1: Ostfriesland. Göttingen 2002, Kap. 1.1.1.3, S. 6ff. Siehe zur Verwaltung unter Friedrich II. Hubatsch, Friedrich der Große, S. 85–99. 29 Siehe dazu auch Aschkewitz, Max: Zur Geschichte der Juden in Westpreussen. Marburg 1967. Siehe auch Murawski, Klaus-Eberhard: Grundzüge der staatlichen Entwicklung in Ost- und West-
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General-Juden-Privileg (1750) galt nicht für Schlesien und nur bedingt für Ostfriesland und die neu geschaffene Provinz Westpreußen. Zum aktuellen Zeitpunkt unterstand die jüdische Einwohnerschaft der jeweiligen provinzspezifischen Judengesetzgebung und eine Vereinheitlichung dieser Gesetzgebung war nicht geplant. Richtungweisend blieb die Praxis der Provinzialgesetzgebung.30 Andererseits verringerte die Begrenzung der geplanten Verfassung auf bestimmte Landesgebiete die Gesamtzahl der betroffenen bzw. zu berücksichtigenden jüdischen Einwohner Preußens. Nach Ernst Lowenthal lebten um 1815 ca. 124.000 Juden in den preußischen Staaten.31 Aufgegliedert nach den verschiedenen Provinzen lebten allein 42 % in der Provinz Posen (52.000) und nur 0,64 % in Brandenburg einschließlich Berlin. In Westpreußen lebten 10,2 % der preußischen Juden; in Schlesien 13 % und die restlichen Prozente verteilten sich auf die Provinzen Pommern, Ostpreußen, Sachsen, Ostfriesland, Westfalen und das Rheinland.32 Zum Zeitpunkt der Initiative gehörten weder Posen noch das Rheinland zum preußischen Staatsgebiet. Da die Bewohner der Landesteile Schlesien, Ostfriesland und Westpreußen laut Anordnung nicht berücksichtigt werden sollten, handelte es sich nach dem Forschungsergebnis von Reinhold Lewin um eine maximale Größenordnung von ca. 32.000 preußischen Juden.33 Zwar bezog sich die Autorität der Oberältesten nach der Bestätigung ihrer Wahl „auf die gesammten Judenschaften in allen Königlichen Landen und Provintzen“34(1775). Aber auf eine entsprechende Anfrage des Justizdepartements hatte das GeneralDirektorium seine Zuständigkeit für die schlesische Provinz mit der Begründung verneint, „weil die Schlesische Judenschaft nicht unter dem Generaldirectorio und mit den Judenschaften der übrigen Provintzen in keiner Connection stehet […]“35 (1776).
preußen. In: Brocke, Michael [u. a.] (Hrsg.): Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen. Hildesheim [u. a.] 2000, S. 13–37, speziell S. 27–29. Siehe zur Verwaltung von Westpreußen Hubatsch, Friedrich der Große, S. 180–189. 30 Hubatsch, Friedrich der Große, S. 85ff. 31 Lowenthal, Ernst G.: Juden in Preussen. Berlin 1981, S. 6. 32 Ebd. 33 Lewin, Reinhold: Die Judengesetzgebung Friedrich Wilhelms II. In: Brann, Marcus (Hrsg.): MGWJ 57 (1913), H. 1: S. 74–98; H. 2: S. 211–234; H. 3: S. 363–372; H. 4: S. 461–481; H. 5: S. 567–590. Hier zit. n. H. 4, S. 475. Zukünftig erfolgen die Angaben zum Gesamtband nur nach der Seitenzahl. Vgl. zur o. g. Einwohnerzahl auch Brammer, Judenpolitik und Judengesetzgebung, S. 29, und die Zahlen im Juli-Bericht der Judenreformkommission (1789), Kap. 4.6. 34 Schreiben vom 8. November 1775 an die Judenältesten. Zit. n. Stern, Moritz: Der Oberlandesälteste Jacob Moses. Mitteilungen aus den Akten. In: Stern, Moritz (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, H. 1. Berlin 1926, S. 3–29, S. 9. 35 Gen.-Dir. an Justiz-Dep. (23. Januar 1776). Zit. nach Stern, M., Jacob Moses, S. 10.
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Auch im Fall der Vertretung der westpreußischen Judenschaften scheint eine eindeutige Zuordnung der Zuständigkeit je nach Bedarf variiert zu haben. Jakob Moses hat als Sachverwalter Angelegenheiten der Judenschaft in Westpreußen vertreten, und nach den Untersuchungen von Selma Stern begann diese Sonderfunktion wahrscheinlich 1774, weil die Verwaltung der Provinz zu diesem Zeitpunkt noch dem Berliner General-Direktorium unterstand.36 Von einem eingeschränkten Zuständigkeitsbereich ging man anschließend auch bei der Erstellung des Memorandums im Mai 1787 aus.37 Die Verfasser richteten sich nach dieser Vorgabe und beschrieben die Verhältnisse sämtlicher jüdischer Kolonien Preußens mit Ausnahme der Judenschaften in den genannten Provinzen. Nach David Friedländer erfolgte die Autorisierung der Generaldeputierten, um „die Wohlfahrt der gesamten Kolonie“38 zu besorgen. Friedländer ging zumindest in seiner Zielvorstellung von einer gesamtpreußischen Regelung aus, die allerdings bereits im Vorfeld deutlich eingeschränkt wurde. Die Legitimation zur Interessenvertretung aller preußischen Judenschaften wurde von der staatlichen Behörde nicht anerkannt. Möglicherweise sollten die Verhandlungen auf den Kreis der bisherigen Deputierten zur Repartition und damit in der Sache nur auf eine Reduzierung/Umverteilung der Steueranteile beschränkt werden. Die anfangs beschriebene Hoffnung von Friedländer, dass sich die Gesinnungen allgemein zu Gunsten einer Reform gewandelt hatten, betraf in diesem speziellen Fall nur die Gesinnung des preußischen Königs. Die Öffentlichkeit nahm zu diesem Zeitpunkt kaum Notiz von der Initiative.39 Allerdings wurde der politisch interessierte Leser, zwar mit einer Verzögerung, aber dem Anliegen nach, über die Initiative 36 Ebd. Jakob Moses versuchte die Ausweisung von 197 Juden aus Dobrin zu verhindern. Im Fall des Publikandums zur Ausweisung aller Juden aus Marienwerder, die weniger als 1.000 Rtlr. besaßen, konnte er die Fristen verlängern, aber die Ausweisung nicht verhindern. Siehe zu Jakob Moses das folgende Kapitel. Nach Stern wurde die neue Provinz Westpreußen 1774, nach einer kurzen Übergangsfrist, dem 1. Departement des Gen.-Dir. zugeordnet. Der neu ernannte Präsident der Regierung in Marienwerder, Freiherr Friedrich L. v. Schroetter beklagte sich bei Großkanzler Johann Heinrich v. Carmer über die starken Ressentiments Friedrichs II. gegenüber den Bewohnern des Landes, im Besonderen gegenüber dem polnischen Adel. Stern, S., Der preußische Staat, III/1, S. 39ff. Siehe Baumgart, Peter: Tendenzen der spätfriderizianischen Verwaltung im Spiegel der Acta Borussica. In: Acta Borussica. Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, Bd. 16,2. Hamburg/Berlin 1982, S. 7–37, S. 29. 37 Siehe dazu GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen.Generalia, Fasz. 35a, Bl. 1ff. 38 Friedländer, Akten-Stücke, Einleitung. Da die Veröffentlichung der Akten-Stücke zur Reform (1793) nach der regionalen Begrenzung durch das Gen.-Dir. (1787) erfolgt war, muss Friedländer die Eingrenzung der ambitionierten Initiative bewusst gewesen sein. 39 Siehe dazu auch die Untersuchung von Ina Frodermann, die zumindest in der „Berlinischen Monatsschrift“ für den untersuchten Zeitraum (bis 1796) keinen Artikel zur Reforminitiative
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der jüdischen Preußen informiert. In der Ausgabe vom Februar 1789 notierte das Hamburger Politische Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen40 mit einiger Verspätung als Nachricht aus Berlin: Bereits seit einem halben Jahr haben einige Juden-Aeltesten mit einem Deputirten des Oberfinanz-Directoriums Zusammenkünfte gehalten, deren Object, wie man nun weiß, dahin geht, daß die Juden die Rechte eingeborner Landes Kinder erhalten sollen. Man zweifelt aber doch, ob wegen vieler Bedenklichkeiten dieser Entwurf ins Werk gestellt werden wird.41
Und in einer Fortsetzung der Nachrichten aus Berlin heißt es zwei Monate später detaillierter: Schon seit langer Zeit ist man bedacht gewesen, den Juden in den Preußischen Staaten die Rechte und Freyheiten christlicher Unterthanen zu gestatten. Indessen haben sich wegen der Soldatendienste, und anderer Umstände, fast unübersteigliche Hindernisse gefunden. Bey dieser Gelegenheit hat man gefunden, dass der Ertrag derjenigen Abgaben, welche die Juden, blos als Juden, geben müssen, sich in sämmtlichen Preußischen Staaten nicht höher als auf 62,000 Rthlr. beläuft. Man würde gewinnen, wenn man sie den übrigen christlichen Unterthanen gleich machen könnte.42
In der Berliner Zeitung Neues Berliner Intelligenz-Blatt zum Nutzen und Besten des Publici erschien keine Nachricht über die Initiative zur rechtlichen Gleichbehandlung.43 Die Berichterstattung über preußische Juden erschien in den entsprechenden Rubriken nach dem jeweiligen Sachzusammenhang der Anzeige fand. Frodermann, Ina: Die jüdische Aufklärung in Preußen im Spiegel der Berlinischen Monatsschrift 1783–1796. Saarbrücken 2008. 40 Das Journal erschien monatlich in Heften bis zu sieben Bögen und wurde über den Raum Hamburg hinaus in ganz Deutschland abonniert. In den entsprechenden Rubriken wurde ausführlich über politische Ereignisse in deutschen, österreichischen, nordischen und anderen europäischen sowie amerikanischen und vorderasiatischen Staaten berichtet. Die Berichterstattung über die Französische Politik und die revolutionären Ereignisse war ausführlich, differenziert und mit wörtlichen Veröffentlichungen der Beschlüsse und der Königlichen Aktion/ Reaktion versehen. Zum Zeitgeist dieser außergewöhnlichen Ereignisse wurde vermerkt: „Unser Zeitalter ist voller Wunder. Die religiösen haben aufgehört. Es geschehen lauter politische Wunder. Die frivolen Pariser erfechten die Freyheit von ganz Frankreich […].“ Zit. n. Schirach, Gottlob Benedikt (Hrsg.): Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Hamburg, 2. Bd., 8. Stck. (August 1789). 41 Politisches Journal. Hamburg, 1. Bd., 2. Stck. (Februar 1789). 42 Politisches Journal. Hamburg, 1. Bd., 4. Stck. (April 1789). 43 Zu den festen Rubriken des Handels- und Anzeigenblattes gehörten die „Ein- und auspaßirten Fremden“ mit ihrem Aufenthaltsort in der Stadt; die angekommenen Fuhrleute, Theater- und Bücheranzeigen; Avertissements als Bekanntmachungen, zu verkaufende „Mobilia“ und „Immobilia“ in Berlin und Umgebung, Sachen, die zu vermieten oder zu verpachten waren, und
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und in diesem Fall entweder unter dem Sammelbegriff des Kollektivs, als Berichterstattung über einzelne Persönlichkeiten oder z. B. als Aufruf zur Hilfe im Fall des Verkaufs von gestohlenen Gegenständen. In der Ausgabe vom 5. Januar 1787 wurde folgendes geschrieben: Es ist am 3. Januar des Vormittags ein silberner großer Suppenlöffel und ein kleiner Eßlöffel gestohlen worden, ersterer ist J. P. und letztere M. M. I oder S. gezeichnet; Sämtliche Herren Goldschmiede und Silberarbeiter wie auch die sämtlichen Judenschaften werden ersucht, sofern solche zum Verkauf kommen, solche anzuhalten und in der Paulischen Buchhandlung anzuzeigen, welche für Bemühung 4 Thlr. verspricht.44
Eine ähnlich formulierte Anzeige mit der direkten Ansprache der hiesigen oder auswärtigen Gold- und Silberarbeiter und „der Judenschaft“ findet sich in der Ausgabe vom 10. Januar 1787. In der gleichen Ausgabe findet sich auch eine Suchmeldung zu einem Schmuckstück, das in der Nacht zuvor vor dem Ammonschen Hause verloren ging. Die höfliche Anrede entsprach dem Anlass der Anzeige, dem Wert des verlorenen Gegenstandes und der dringlichen Bitte, beim Wiederauffinden hilfreich zu sein. In der Anzeige hieß es dementsprechend: „Die Herren Kaufleute und Jouveliere werden ersucht, wie auch die löbliche Judenschaft […].“45 Drei Tage später, am 8. Januar 1787, erschien auf der ersten Seite der Zeitung unter der Rubrik „Beförderungen“ eine Mitteilung, die in derselben höflichen Form die Verdienste des Breslauer Handelsjuden und Hoffaktors Abraham und damit die Verleihung eines Generalpatentes rechtfertigte.46 Dass sich in dieser Anzeige der nach Friedländer gewandelte Zeitgeist offenbarte, lässt sich nur unter Vorbehalt Anzeigen von Sachen, die gestohlen worden waren. Die Rubrik „Beförderungen“ scheint erst zur Amtszeit von Friedrich Wilhelm II. zur ständigen Rubrik geworden zu sein. 44 Neues Berliner Intelligenz-Blatt zum Nutzen und Besten des Publici. Gesamtausgabe von 1787. Berlin 1788. 1. Halbband, S. 40. 45 Ebd. , S. 71. Ähnlich heißt es in einer Anzeige vom 15. Februar 1787, in der die Judenschaft gleichfalls um Unterstützung bei der Suche nach gestohlenen Gegenständen gebeten wird. 46 „[…] daß er [Raphael Abraham zu Groß-Glogau] und seine Descendenten sowohl männlich als auch weiblichen Geschlechts, gleyche Freyheiten und Vorrechte, wie solche christliche[r] Banquiers und Kaufleute in sämmtlichen Königl. Staaten, in und außer Gerichte, desgleichen in Handel und Wandel […] genießen […] [dürfen], auch daß [es] demselben frey stehe, in Breslau und Schlesien und aller Orten in den Königl. Staaten, wo er es für dienlich erachtet, [sich] zu etabliren, zu handeln und durch Ankauf liegender Gründe [sich zu] possessioniren: auch dieserhalb die erforderliche Intimation an das Königl. General-Ober-Finanz-Krieges- und DomainenDirectorio und Groszkanzler ergehen [wird].“ Neues Berliner Intelligenz-Blatt zum Nutzen und Besten des Publici: Gesamtausgabe von 1787. 1. Halbband. Berlin 1788, S. 49f. Im Jahr 1787 erhielten sechs Familien ein Generalprivileg entsprechend den Rechten der christlichen Kaufleute: Bär Fließ aus Amsterdam (27. Februar); Salomon Nathan; Jonas und Joel Sal. Nauen (30. März); Liepmann Meyer Wulff (6. April); die Witwe und die Kinder von Moses Mendelssohn (25. Juni).
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bejahen. Über das Privileg, das im April des gleichen Jahres an B. I. Wulff erteilt wurde, erschien in der Berliner Tageszeitung keine Notiz. Allerdings musste diese gewährte Gnade des Landesherrn weder dauerhaft noch auf die gesamte jüdische Population bezogen sein. Im Jahre 1790 ließ Friedrich Wilhelm II. die Zahl der Breslauer Schutzjuden auf 160 begrenzen und wies die jüdischen Einwanderer aus der Stadt aus, die „unter allerlei Vorwand zum Schaden der christlichen Kaufleute verschiedene, ihnen nicht zustehende Gewerbe getrieben“.47 Nach Ludwig Geiger hatten sich 1778 auch die Familien Ephraim und Itzig um einen Schutz ihrer Privilegien beworben. Worauf ihnen der König eigenhändig zugestanden haben soll, „was wegen ihres Handels ist, behalten sie. Aber daß sie ganze Völkerschaften von Juden in Breslau anbringen und ein gantzes Jerusalem daraus machen wollen, das kann nicht seynd.“48 Auch die Königlich-privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen berichtete nicht über die Initiative der Berliner Gemeindeältesten und Deputierten, obwohl ihr Spektrum der Berichterstattung wesentlich breiter gefächert war.49 Allerdings wurde in der Ausgabe vom 10. September 1789 über die Petition der Pariser Juden an die Französische Nationalversammlung zur Anerkennung ihrer Würde als Menschen und ihrer Rechte als Bürger informiert. In der Ausgabe vom 25. Januar 1787 wurde über die Beförderung des Handelsjuden Salomon Isaac und seines Neffen Mendel Panoffka berichtet.50 Die Verleihung 47 Zit. nach Grab, Walter/Rürup, Reinhard: Juden in Preußen (Katalog zur Ausstellung). Berlin 1981, S. 89. 48 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 145. 49 Die Zeitung erschien dreimal in der Woche (dienstags, donnerstags, sonnabends) und enthielt innerpreußische Nachrichten zur Beförderung in Militär- und Staatsamt, Nachrichten aus dem Königshaus zu Reisen und Besuchen, Ankündigungen von öffentlichen Versammlungen in der Akademie der Wissenschaften, ausgewählte Publikationen des Preußischen Generaldirektoriums, Berichte über Besuche, Beziehungen und Wirtschaftsnachrichten zu den europäischen Staaten (Belgien, Frankreich, Holland, Italien, Österreich, Spanien, Polen, Ungarn, England, Schweden, Russland und dem Osmanischen Reich), Anzeigen des Nationaltheaters und der Vossischen Buchhandlung, Anzeigen zu öffentlichen Vergehen, Such- und Stellungsanzeigen, Nachrichten über Naturkatastrophen auch in Übersee, z. B. in Boston (Nordamerika), Nachrufe, allgemeine Nachrichten an das Publikum und Gerichtsnachrichten, Aufrufe zur Meldung, zum Nachlass und Nachrichten zu Los- und Lotteriegewinnen. 50 „Se. Königl. Majestät haben allergnädigst geruhet, den Handels Juden Salomon Isaac zu Plesse und seiner Schwester Sohn, Mendel Panoffka, in Betracht der von ihm zu Sr. Majestät geleisteten treuen Dienste, und seiner zu allen Zeiten bewiesenen untadelhaften Aufführung und Betriebsamkeit, das General-Schutz- und Handlungs-Privilegium auf Breslau und in Schlesien, als auch auf gesammte königl. Lande und Provinzen gratis und ertheilet, dergestalt daß sie und ihre Descendenten sowohl männ- als weiblichen Geschlechts, gleiche Freiheiten und Vorrechte, wie solche christl. Banquiers und Kaufleute in sämmtl. königl. Staaten […]“ Zit. n. Königlichprivilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen (25. Januar 1787).
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des Generalpatentes gehörte in den Nachrichten zu den faktisch beurkundeten Beförderungen, wurde in diesem Sinne als Gunst und herausragendes Verdienst beurteilt und nach dem Inhalt des Patentes wiedergegeben. Die antagonistische Darstellung der Preußischen Juden als Hehler oder reiche und ehrenhafte Kaufleute wurde durchbrochen durch den Anzeigenteil, in dem u. a. auch Berliner Juden persönliche und geschäftliche Neuigkeiten/Veränderungen bekanntgaben. Diese Anzeigen spiegelten die Normalität des Alltags wider, in denen sich die zur Anzeige gebrachten Anlässe nicht von denen der christlichen Berliner unterschieden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sowohl Stellengesuche von jüdischen Dienstboten wie Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde, Anzeigen mit der Ankündigung eingetroffener Waren, Geschäftsaufgaben und Übernahmen im Anzeigenteil veröffentlicht und richteten sich damit sowohl an die nichtjüdische als auch an die jüdische Leserschaft.51 Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts sind diese Bekanntmachungen noch spärlich und nur vereinzelt zu finden. So heißt es in einer Anzeige vom 27. April 1787: Der Gastwirth Herr Wulf Friedlender macht einem geehrten Publicum, und vorzüglich seiner Nation bekannt, daß er sein Logis in der Heil. Geiststraße verändert, und jetzt in der Jüden-Straße in des Schutzjuden Samuel Hennoch seinem Hause wohnt.52
Noch bevor das Pro Memoria vom Mai 1787 eingereicht wurde, ließ der preußische König ein neues Pfand- und Leih-Reglement (13. März 1787)53 veröffentlichen, das das Klischee der jüdischen Pfandleiher als Hehler bediente. Das Reglement umfasste 137 Paragrafen und galt als verbindlich für alle Privatpersonen, die in Leihgeschäften tätig waren. Ausdrücklich ausgenommen von den neuen Regelungen waren die öffentlichen Leihanstalten und die gelegentlichen Leih- und Pfandgeschäfte der Bankiers und Kaufleute. Allgemein hatten sich Privatperso51 Siehe dazu den Anzeigenteil „Personen, so ihre Dienste antragen“ im „Berliner Intelligenzblatt“ (15. 5. 1807): „Eine Person (jüdischer Colonie) von mittleren Jahren, welche aus Neu-Strelitz eben hier angekommen ist, sucht als Köchin sogleich Dienste. Sie versteht die Küche perfekt und hat vorher die Hauswirtschaft mit Zufriedenheit geführt.“ Ebenso finden sich in den Ausgaben der Jahre 1806/1807 Anzeigen zu den o. g. Veranstaltungen und Gelegenheiten. 52 Königlich-privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen. 1. Halbband (1787), S. 852. 53 N.C.C., Bd. 8, Sp. 781ff. Das Verbot der Pfandannahme galt für Pfandgegenstände, die von Militärpersonen, noch nicht Volljährigen, von Studenten und von verheirateten Frauen ohne Bewilligung des Ehemannes, angeboten wurden. Dass dieses Reglement so ausführlich gestaltet wurde, begründete nicht unbedingt die häufig vorkommende Tat, sondern allein die Möglichkeit. Siehe dazu auch die Gesindeordnungen und internen Mechanismen zur Überprüfung und ständigen Kontrolle der Hausdiener. Vgl. dazu Consentius, Ernst: Alt-Berlin Anno 1740. Berlin 1907, S. 69ff.
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nen, die dem Pfandgewerbe nachgingen, zu konzessionieren. Nach dem zweiten Teil der Verordnung hatten die Pfandleiher die angebotenen Pfänder bei Androhung einer Gefängnis- oder Zuchthausstrafe auf ihren rechtmäßigen Besitzer zu überprüfen. Juden hatten darüber hinaus mit dem Verlust ihres Schutzbriefes zu rechnen, wenn sie gestohlene Ware als Pfand annahmen: „Hat ein jüdischer Pfandverleiher, wissentlich, gestohlne Sachen zum Pfand angenommen so soll derselbe seines Schutzbriefes verlustig erklärt, und nebst den seinigen aus dem Lande geschafft werden“(§ 16). Aufgebaut auf der solidarischen Haftung54 hatte im Fall eines Regressanspruches die „Judenschaft des Ortes“ den Eigentümer zu entschädigen (§ 18). Eine Ausnahme sollte in dem Fall zugelassen werden, wenn die Ältesten nachweisen konnten, dass sie entsprechend sorgfältig alle Vorschriften der Judenreglements und der Landesgesetze beachtet hatten und „Diebeshehler und liederliches Gesindel“ (§ 19) entdeckt und zur Fortschaffung angezeigt hatten. Ihre Kontrollfunktion wurde von den staatlichen Behörden in § 97 noch zusätzlich erweitert: „Auch die Judenschaften müssen außerdem die Pfandbücher der Mitglieder ihrer Gemeine fleißig revidiren; und nachsehen, ob auch von selbigen die Vorschriften des gegenwärtigen Reglements gehörig beobachtet werden.“55 Dieses Prinzip der solidarischen Haftung, das neben dem Pfand- und Leihreglement auch für Konkursverfahren angewandt wurde, betraf zwar theoretisch alle Juden der Gemeinde in derselben Art. Aber der Beitrag der Reichen und Wohlhabenden fiel schon aufgrund ihres vorhandenen Kapitals ungleich höher aus als der Anteil der ärmeren Juden. Andererseits konnten nur die Wohlhabenden – privilegiert durch ihren Reichtum – Geschäfte tätigen, für die im Falle des Scheiterns dann wiederum alle, auch die Kleinhändler, die Kosten trugen. Da die Unternehmerschicht mit weit höheren Kosten zu Ersatzleistungen herangezogen werden konnte, musste die Bestrebung, die solidarische Haftung aufzuheben, in erster Linie von ihnen ausgehen.56 Und in diesem Fall war der erhoffte Nutzen für den Einzelnen identisch mit dem Nutzen der ganzen Gemeinde, unabhängig von der Größe des Einkommens der einzelnen Mitglieder. In den Petitionen und Eingaben bis zur Aufhebung der Haftung unter Friedrich Wilhelm II. ist daher die 54 Siehe dazu ausführlich die Initiative gegen die Haftung in solidum (1795) in Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 55 N.C.C., Bd. 8, Sp. 798. 56 Siehe dazu auch das Pro Memoria vom 21. Mai 1787, das als Reaktion auf das Pfand- und Leihreglement entstand. In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 35a, Bl. 31–32a. In diesem Schreiben verwiesen die Berliner Deputierten auf das bereits zugesandte Pro Memoria vom 17. Mai 1787 und die dortigen Ausführungen zur Haftung in solidum: Die existierenden Landesgesetze sollten auch für die jüdischen Einwohner gelten und Sonderregelungen zur Überprüfung und Bestrafung entfallen.
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Aufhebung der solidarischen Haftung ein Hauptziel auf dem Weg zur bürgerlichen Gleichstellung gewesen.57
4.2 Die „Berliner“ Kommission Zu dieser Berliner Kommission, die die Petition durch Amt und Ansehen autorisierte, gehörte als Oberlandesältester58 auch der bereits erwähnte Jakob Moses (1724–1802)59, der das Amt von 1775 bis 1792 ausfüllte. Jakob Moses stand nach den Untersuchungen von Ludwig Geiger und Moritz Stern auch wegen seiner Persönlichkeit und seiner Verdienste im Amt „bei Hof in großem Ansehen“.60 Als zweiter Oberlandesältester war Daniel Itzig (1722–1799)61 von 1775 bis 1799 ins Amt gewählt worden.
57 Siehe dazu u. a. die Eingabe „der sämtlichen Judenschaften allhier“ vom 26. August 1769 und vom 23. Dezember 1769. In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 20, und die folgende Erwiderung des Gen.-Dir. Siehe auch die Eingabe vom 25. Juni 1775, welche „die Aeltesten der hiesigen Judenschaft, nomine der gantzen Judenschaft in den sämtlichen Königlichen Landen“ verfasst und eingereicht hatten. In: GStA PK, I.HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 21, Bl. 261 und siehe dazu fast den kompletten folgenden Band für die Jahre bis 1777. 58 Der oder die Amtsinhaber besaßen den Vetretungsanspruch der preußischen Judenschaften gegenüber dem Staat. Nach den Untersuchungen von Brigitte Scheiger wurde der Oberlandesälteste ohne eine vorausgehende interne Wahl vom preußischen König berufen und im Amt bestätigt. Scheiger, Juden in Berlin, S. 258. Nach Moritz Stern sollten die Personen für das Amt der Oberältesten von den Ältesten schriftlich vorgeschlagen werden. Die Ältesten bestimmten/ wählten den Kandidatenkreis. Der König traf die Auswahl und bestimmte den oder die Amtsinhaber. Stern, M., Jacob Moses, S. 8ff. Die Kandidaten sollten generell wie alle zur Wahl stehenden Gemeindeältesten „verständige, friedfertige und ehrliche, auch so weit als möglich bemittelte Leute sein, welche der Judenschaft unparteiisch und mit Hintenansetzung aller Nebenabsichten vorstehen, sich selbst wohl aufführen und anderen mit gutem Beispiel vorangehen“. Instruktion von 1755, zit. n. Meisl, Josef: Protokollbuch Der Jüdischen Gemeinde Berlin (1723–1854). Jerusalem 1962, S. 25. 59 Siehe dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 145 und Stern, M., Jacob Moses, S. 3–29. Siehe zu Jacob Moses auch Anlage 2: Biografien. J. Moses war siebzehn Jahre lang Oberlandesältester. Auch nach seiner Demission 1792 sollte er auf Wunsch des Königs an der Judenreform bis zu ihrem Ende mitarbeiten. Dokumente zu seiner Ernennung, erhaltene Privilegien, sein Rücktrittsgesuch, sein Testament und sein Nachruf sind im GStA PK, I. HA Rep. 94, IV R, Nr. 905 einzusehen. 60 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. I, S. 103 und Stern, M., Jacob Moses, S. 11ff. 1792 erhielt er anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt als Oberlandesältester von hohen preußischen Beamten ein Dankschreiben für seine geleisteten Dienste. Siehe dazu GStA PK, II. HA Abt. 14, Tit. CCXXXII, Gen. Nr. 31. 61 Siehe zu Daniel Itzig Anlage 2: Biografien.
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Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde die Funktion dieses Amtes als wenig hilfreich für die Interessenvertretung der Judenschaft62 und als Belastung für die Amtsträger empfunden. Nach dem Willen der Berliner Ältesten sollte nach dem Tod des Vorgängers von Jacob Moses, Veitel Ephraim, kein neuer Vorschlag zur Bestimmung eines Oberlandesältesten erfolgen. Als Begründung hatten die Berliner Ältesten in einem Schreiben an das General-Direktorium (4. Juli 1775) angegeben, dass die Wahl eines Oberältesten unnötig sei, „weil davon kein Vortheil für die Judenschaft abzusehen [sey]“.63 Aber diese Kritik wurde nicht berücksichtigt. Die Funktion des Amtes als „Transmissionsriemen“64 zur Umsetzung staatlicher Anordnungen mit persönlicher Haftung für die Funktionsträger war für die praktische Durchsetzung der staatlichen Anordnungen zu effektiv, so dass die (Aus-)Wahl auf ausdrücklichen Wunsch und Befehl von Friedrich II. durchgeführt wurde.65 Über die Bestätigung der Oberältesten berichtete auch die Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ in ihrer Ausgabe vom 28. Dezember 1775: Se. Majestät der König haben die bisherigen Ältesten der hiesigen Judenschaft, Daniel Itzig und Jakob Moses, wegen ihres bekannten, vorzüglich guten Rufes und ihrer Einsicht in die Verfassung der Angelegenheiten der Judenschafft zu perpetuirlichen Ober-Ältesten der Judenschaften in sämtlichen Höchstdero Landen zu ernennen und in dieser Qualität zu confirmiren geruhet.66
Das Amt als Ältester (Vorsteher) gehörte zu den ersten Verwaltungsorganen der jüdischen Gemeinden. Im Rechtsverhältnis Staat – Gemeinde übernahmen sie im 17. Jahrhundert Aufsichts- und Verteilungskompetenzen, fungierten als Armen-, Synagogen- und Gemeindevorsteher. Die Gewährleistung der Schutzgeldzahlungen über die Einteilung der Judenschaften in drei Klassen – reiche, mittlere und arme Familien – wurde 1684 vom Staat vorgeschrieben und von den Ältesten umgesetzt. Die Wahl selbst entschied die Zwischeninstanz der Wahlmänner, die
62 Die Bezeichnung „Judenschaft“ wurde in den Schriften der Ältesten und in den Schriften der staatlichen Behörden als Synonym für alle vergleiteten, also mit Schutzbriefen, versehenen jüdischen Einwohner verwendet. 63 Zit. n. Stern, M., Jacob Moses, S. 8. 64 Scheiger, Juden in Berlin, S. 228. 65 Vgl. dazu GStA PK, II. HA Abt. 14 (Kurmark), Tit. CCXXXII, Gen. Nr. 14. Siehe dazu auch Art. XXIX im Gen.-Jud.-Priv. v. 1750: „Wegen Erwählung der Aeltesten und des Rabbi, wird es bei der bisherigen Verfassung und Einrichtung gelassen: […] Was im übrigen eigentlich das Amt dieser Juden-Ältesten sey, darüber wird ihnen eine besondere Instruction gereichet werden.“ 66 Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (28. Dezember 1775).
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die Stimmen für die Kandidaten abgaben. Für die gewählten Kandidaten dauerte eine Amtszeit in der Regel drei Jahre.67 Zu den Deputierten der Berliner Gemeinde, eine Funktionsbezeichnung, die alle Gewählten der preußisch-jüdischen Gemeinden trugen, gehörte neben Jakob Moses und Daniel Itzig auch Liepmann Meyer Wulff (1745–1812), der ab 1786 als Berliner Gemeindeältester fungierte.68 Er galt als einer der erfolgreichsten Berliner Geschäftsmänner des ausgehenden 18. Jahrhunderts und mehrfacher Millionär. Er gehörte zu den Vertretern der jüdischen Gemeinde, die mit dem Amtsantritt des neuen preußischen König große Hoffnungen verbanden69 und die als Verfasser des Memorandums (1787) und weiterer schriftlicher Vorschläge an den Initiativen zur Verbesserung der rechtlichen Judenbestimmungen mitwirkten, u. a. an der Eingabe zur Abschaffung der Haftung in solidum (1795).70 Im April 1787 erhielt er das General-Privileg mit den Rechten christlicher Kaufleute und nach den Untersuchungen von Gerd Heinemann wuchs mit seinem geschäftlichen Erfolg auch sein Ansehen innerhalb der jüdischen Gemeinde Berlins.71
67 Vgl. dazu Meisl, Protokollbuch, S. 16ff. Nach Ludwig Geiger sollten drei Männer aus der ersten Steuerklasse, zwei aus der zweiten und zwei aus der dritten Steuerklasse (sieben Männer) ausgelost werden, um die Ältestenwahl auszuführen. Geiger betont, dass die Namen aller männlichen Gemeindemitglieder in einen Topf geworfen wurden, um deren Teilnahme sicherzustellen. Siehe dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 119; Meisl, Protokollbuch, S. 18ff. und Stern, M., Jacob Moses, S. 4ff. 68 Siehe zu Liepmann Meyer Wulff auch Anlage 2: Biografien. Vgl. auch Heinemann, Gerd: Liepmann Meyer Wulff. Ein Geschäftsmann im Dienste dreier preußischer Könige. In: Kuhrau, Sven/Winkler, Kurt/Uebe, Alice (Hrsg.): Juden. Bürger. Berliner. Ein Gedächtnis der Familie BeerMeyerbeer-Richter. Berlin 2004, S. 33–48. Siehe dazu Lowenstein, Stephen M.: The Berlin Jewish Community. Enlightenment, Family and Crisis.1700–1830. New York/Oxford 1994. 69 Er gehörte zu den Überbringern eines Huldigungsgedichtes (3. Oktober 1786). Vgl. dazu König, Johann B.: Annalen der Juden in den Preußischen Staaten, besonders in der Mark Brandenburg. Berlin 1790, S. 320. 70 Meyer Wulff soll nach den Untersuchungen von Ismar Freund an den Vorschlägen zur Reform des Judenwesens vom Mai 1795, April 1798, Juni 1800 und September 1801 mit beteiligt gewesen sein. Vgl. dazu Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 106, S. 128, S. 136, 150. Siehe dazu Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 71 Minister Schulenburg galt als sein Gönner, und nach Rachel/Wallich machte man ihm den Vorwurf, „dass er den reichen Bankier Liepmann Meyer besonders dadurch begünstige, dass er ihn ungeheuer beim Postwesen und der Lotterie verdienen ließ“. Zit. n. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 397. Die Zusammenarbeit zwischen dem späteren Kabinettsrat Beyme, der als zweiter Ober-Lotterie-Richter (1795) die preußische Zahlen- und Klassenlotterie kontrollierte, und Wulff, der das „Haupt-Einnahme-Lotterie-Kontor“ leitete, führte aufgrund der gewinnbringenden und seriösen Geschäftsführung zu einem andauernden Vertrauensverhältnis zwischen beiden Männern. Vgl. dazu Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 401. Ein persönlicher Schuldner Wulffs war der Direktor der Militärakademie Franz Otto Friedrich v.
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Als weitere Persönlichkeiten, die sich als Älteste an den schriftlichen Vorschlägen zur Verbesserung der rechtlichen Stellung der preußischen Juden beteiligten, sind auch Liepmann Abraham (1767–1821), Salomon Veit (1751–1827) und Heimann Veitel Ephraim (1753–1821) zu zählen.72 Sie werden allerdings namentlich erst in späteren Schriften zur Gesetzesinitiative aufgeführt. Ephraim Veitel Ephraim (1729–1803)73, ältester Sohn von Nathan Veitel Heine Ephraim, gehörte 1795 ebenfalls zu den Unterzeichnern einer Eingabe an Friedrich Wilhelm II. und hatte bereits 1785, also noch zur Regierungszeit von Friedrich II. eine Denkschrift74 zur Frage der rechtlichen Zuerkennung der Bürgerrechte für preußische Juden verfasst und an den preußischen König übermittelt. Ob der preußische König dieses Schreiben zur Kenntnis nahm, lässt sich nicht sicher sagen. Allerdings findet sich in der entsprechenden Aktensammlung auch ein Kommentar von Moses Mendelssohn zu dieser Denkschrift. In wessen Auftrag Mendelssohn diesen Kommentar anfertigte, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Datiert auf den 26. April 178575 kommentierte Mendelssohn den Text und hielt dem Autor Ephraim zu Gute, dass der Aufsatz Wahrheiten enthalte, die mit Mäßigung und Gründlichkeit vorgebracht wurden. Darüber hinaus empfahl Mendelssohn eine nochmalige Überarbeitung durch einen „gelehrten Mann“.76 Diese Empfehlung bezog sich wahrscheinlich auf das Zahlenmaterial, das Ephraim in seiner Schrift verwendet hatte. So wichen die geschätzten Einwohnerzahlen jüdischer Preußen erheblich von den realen Zahlen ab.77 Ephraim hatte seine Vorstellung von den Rechten und Pflichten eines Bürgers in das duale Verhältnis zwischen Staat – Bürger eingebunden. Beide hatten zum gegenseitigen Wohlergehen beizutragen und als sinnbildliche Entsprechung wählte er den Organismus eines (Staats-)Körpers, der nur durch die Zusammenarbeit und Ergänzung verschiedener Organe mit unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen am Leben gehalten werden konnte. Inhaltlich ging es auch Ephraim um den Beweis der Nützlichkeit der jüdischen Preußen, gerade im Vergleich zu den Kolonisten, die erst für Kleist, der die Restschuld von geliehenen 5.000 Thalern (1803) erst 1818 zurückzahlen konnte/ wollte. Vgl. auch Heinemann, Liepmann Meyer Wulff, S. 35. 72 Siehe zu den Personen Anlage 2: Biografien. Siehe auch die Eingabe an den preußischen König vom 22. Mai 1795. In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 22, Bl. 5–56. 73 Siehe zu Ephraim Veitel auch Anlage 2: Biografien. 74 Siehe GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403 (keine Blattangabe). Auf der letzten Seite der Schrift sind der Name und die Anschrift von Ephraim vermerkt, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Funktion als Absender, sondern als Adressat: An […]. 75 GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403 (Eine Seite, die gez. mit Mendelssohn vor dem Aufsatz abgeheftet wurde.) 76 Ebd. 77 Siehe dazu GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403.
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„Geld ins Land gezogen“.78 Dass auch Ephraim sich dazu aufgefordert fühlte, eine Reihe von Aufrechnungen und Kosten-Nutzen-Erwartungen für spätere jüdische Rekruten anzustellen, weist auf die Brisanz und den Erklärungsdruck zur Frage der Exemtion hin. Ephraim betonte, dass sich preußische Juden auch als Fabrikateure und arbeitsplatzschaffende Unternehmer in Berlin und Potsdam als nützlich erwiesen hatten. Die Erwähnungen zur weit gefächerten Spendenbereitschaft rundeten den Beweis der Nützlichkeit ab. Die Funktionsträger des ersten Reformversuches stammten aus der Berliner Gemeinde. Zu ihren Aufgaben im Gemeindevorstand79 gehörten die Aufsicht über die Angestellten, das Erheben, Einsammeln und Abführen der Steuern, die Kontrolle über die Zugereisten, ihre Abschiebung im Falle einer nicht ausreichenden Erklärung für ihre Anwesenheit und die Auskunftspflicht gegenüber der Kriegs- und Domänenkammer und dem Berliner Magistrat. Ihr Aufgabenbereich umfasste gleichermaßen organisatorische, verwaltungstechnische, kontrollierende, religiöse und karitative Tätigkeiten, die als gemeinsames Ziel jüdisches Leben in Preußen existenziell gewährleisten sollten. Zum Kern der Gemeindevertretung gehörte nach den Untersuchungen von Josef Meisl der Personenkreis, der regelmäßig an den verschiedenen Sitzungen der Gemeinde teilnahm. Wobei dieser Kreis der „15 Männer“ verschiedentlich und je nach Anlass durch normale Gemeindemitglieder komplettiert wurde.80 Die Aufsicht und gegebenenfalls auch die Kritik am sittlichen Verhalten von Gemeindemitgliedern gehörten 78 Ephraim, Denkschrift (1785). In: GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403. 79 In den Verordnungen vom 24. Januar 1700 und vom 7. Dezember 1700 wurden die wichtigsten Funktionen der Ältesten festgelegt: die Aufbringung des Schutzgeldes in solidarischer Haftung; die Aufteilung der Abgabenhöhe nach den drei genannten Kategorien; die Erstellung von Gutachten für die Erteilung von Schutzbriefen; die Überwachung der Fremden; die Steuerveranlagung der Gemeindemitglieder und die Entscheidungsgewalt im Fall von Synagogenstreitigkeiten. Damit verbunden wurde die Aufsicht über die Einhaltung aller religiösen Vorschriften und die Gemeindevertretung gegenüber den Kriegs- und Domänenkammern und dem Generaldirektorium. 80 Meisl, Protokollbuch, S. 45. Zu diesem Kreis gehörten drei bis fünf Gemeindeälteste, ein bis zwei Beisitzer (Stellvertreter für die Ältesten), drei bis fünf Mitglieder in der Funktion der Kassierer, die ohne Rangunterschiede in den verschiedenen Ressorts (z. B. für Schutzgeld, den Servis und Nachschuss, die Schuldentilgung, das Scharrengeld) arbeiteten und jeweils vier bis fünf Armen- und Schulvorsteher, von denen zwei im Turnus die Funktion der Synagogenvorsteher wahrnahmen. Namentlich gehörten zu ihnen unter Vorbehalt wahrscheinlich: Salomon Veit, der Gründer des Berliner Bankhauses 1789 und ab dieser Zeit auch Gemeindeältester und erstes Mitglied der Stadtverordnetenversammlung (1809–1822); evtl. auch Ephraim Veitel Ephraim (1729– 1803), Hofbankier und Juwelier und Verfasser einer Denkschrift zum Thema der Judenreform (1785); evtl. auch Ruben Samuel Gumpertz (1769–1851), ab 1803 Berliner Börsenvorsteher und Ältester der jüdischen Gemeinde; evtl. David Hirsch (1744–1816), Kaufmann und Gemeindeältester der Judenschaft. Zusammengestellt nach Lowenthal, Ernst G.: Juden in Preußen. Berlin 1981.
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eher zum inoffiziellen Aufgabenbereich der Ältesten. Dass Klagen und Beschwerden über das unsittliche Verhalten von weiblichen Dienstboten auch schriftlich gegenüber den preußischen Behörden geäußert wurden, lässt sich eventuell im Hinblick auf die anscheinend erhöhte Bereitschaft zur jüdisch-christlichen Konversion81 erklären, die für die Gemeindeältesten mit der Sorge um den Bestand der Gemeinde verbunden war. Dass gleichermaßen von den Gemeindeältesten auch eine Interessenvertretung der Gemeindemitglieder gegen Staats- und Herrschaftsinteressen erwartet und unterstützt wurde, hing von der Einschätzung der real-politisch gegebenen Möglichkeiten ab. Im Fall der Initiative zu einer rechtlichen Verbesserung der preußischen Juden erhielten die Delegierten auch von einzelnen Rabbinern Zuspruch und Unterstützung. Dass die Kritik am modernen und traditionsfernen Lebensstil der wohlhabenden städtischen Juden auch für die Rabbiner ein Thema war, ist schon angedeutet worden. Gleichzeitig erhielten die Funktionsträger der jüdischen Initiative gerade aufgrund ihrer Tätigkeit für alle preußischen Juden auch ein Generalpardon für die Nicht-Befolgung der Fastengebote: Die Leute die der Regierung nahe stehen […] und von allen gebraucht werden […] und diejenigen, die auch noch wichtig sind, so dass sie wegen ihres Ansehens bei den anderen Oberen stehen, zwar nicht an diejenigen heranreichen, die bei der Regierung ständig erwähnt werden, aber dennoch angesehene Leute sind und in dankenswerter Weise durch ihre Bemühungen Gutes für unsere Brüder, die Söhne Israels, tun, und außer jenen alle aufrechten Leute, die wir überall in Stadt und Land antreffen und die sich mühen die Kinder des Exils auf den rechten Weg zu führen […] und gewissenhaft um die Bedürfnisse unsrer Brüder bemüht sind […] zum Wohl vieler und einzelner bei Richtern und Beamten; möge doch diesen Leuten eine Erschwerung durch zusätzliches Fasten und Sich-Kasteien erspart bleiben […] – und man braucht gar nicht erst zu sagen, wie nötig sie von allen gebraucht werden – sollen sich nicht in die Strenge des Gesetzes der Reue vertiefen müssen.82
Die Berliner waren für diese Aufgabe prädestiniert, weil sie über ihre Nähe zum Königshaus und zu den Behörden auch mit den höchsten preußischen Ministern bekannt waren. Darüber hinaus zeichneten sich die Deputierten durch persönliche Vorzüge wie geschäftliche Zuverlässigkeit auch bei risikoreichen Transaktionen aus. Isaac Daniel Itzig (1750–1806)83, der älteste Sohn Daniel Itzigs, arbeitete für Friedrich Wilhelm II. an Großprojekten und tätigte auch vertrauliche wie politisch umstrittene Geschäfte. Sein, nach den Untersuchungen von Karoline Cauer, 81 Vgl. dazu die Beschwerde der Ältesten über sich aus den Provinzen einschleichende schwangere jüdische Mädchen (Berlin 1790). In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 242 A, Bd. 5. 82 Rabbi Josef Statthagen. Zit. n. Schochat, der Ursprung der jüdischen Aufklärung, S. 75. 83 Siehe zu Isaac Daniel Itzig (1750–1806) auch Anlage 2: Biografien. Siehe dort auch einen Auszug aus dem Patent zur Ernennung zum Hof-Bau-Rath (1791). Die Gelder für den Ausbau der
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„riskante[s] Geschäft“84 der Fouragelieferungen an Frankreich, vereinbart von Friedrich Wilhelm II. in einem geheimen Artikel zum Friedensschluss von Basel (1795) soll durch ungedeckte Wechsel des französischen Konvents zur Insolvenz des Bankgeschäfts Itzig & Co85 und zur völligen Verarmung geführt haben. Nach den Untersuchungen von Cauer bezeugte die Öffentlichkeit durchaus ihr Mitgefühl. Auch das Hamburger Politische Journal (1796) beurteilte den Konkurs als Unglücksfall für die Firmeninhaber und ihre Familien.86
Abb. 3: Isaac Daniel Itzig (1750–1806), Generaldeputierter der preußischen Judenschaften in der Zeit der Reforminitiative und Mitunterzeichner der Denkschriften von 1787 und 1790. Chaussee von Berlin nach Potsdam musste I. D. Itzig selbst vorstrecken. Als Hofbankier finanzierte er u. a. Darlehen für Leibrenten an die Gräfin Lichtenau und Prinz Louis Ferdinand. 84 Cauer, Karoline: Oberhofbankier und Hofbaurat. Aus der Berliner Bankgeschichte des XVIII. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1973, S. 61. Die ausgebliebenen Zahlungen der französischen Regierung sollen 1806 bei den Verhandlungen um die Reparationszahlungen noch einmal, allerdings erfolglos, als Anrechnungssumme für die preußischen Reparationszahlungen zum Thema gemacht worden sein. 85 Ungefähr 300 Schuldner traten mit etwa 930.000 Thalern Schuldforderung gegen etwa 350.000 Thaler noch vorhandene Aktiva der Bank an. Eine außergerichtliche Liquidation kam aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Schuldner nicht zustande. Im Oktober 1797 wurde das Konkursverfahren eröffnet. Das Handlungs- und Privatvermögen z. T. auch aus dem Besitz von Daniel Itzig ging an die Gläubiger. Daniel Itzig soll persönlich 10.000 Thaler zur Befriedigung der kleinen Gläubiger zur Verfügung gestellt haben. Nach Rachel/Wallich entstand der Verlust durch die Abwertung des französischen Franc. Diese Ursache wurde auch vom Berliner Kammergericht im Konkursverfahren (28. 11. 1811) bestätigt. Ebd., Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 364ff. 86 Siehe dazu Schirach, Politisches Journal, 1. Halbjahresband (1786), S. 324, 372, 491.
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Dass sich der preußische König der Initiative von 1787 geneigt zeigte, hing daher auch mit den bisher erfolgreichen Transaktionen jüdischer Kaufleute zusammen, die aktuell und zukünftig dazu beitragen konnten, sein innenpolitisches Ziel mit zu verwirklichen. Zeitgleich hatte sich in Berlin eine Initiative von preußisch-christlichen Kaufleuten versammelt, die dieses Ziel „zur Beförderung des Handels und aller nützlichen Gewerbe“87 umsetzen sollten. Das Politische Journal berichtete in einem Artikel von der Absicht des preußischen Königs, „die Capitalisten zu veranlassen, ihre Gelder mehr für das Commerz, den Landbau und die Industrie zu nutzen […]“.88 Die jüdischen Kaufleute standen den christlichen Kaufleuten weder in Bezug auf ihr Engagement noch in Bezug auf ihren Reichtum nach. Nach Ismar Freund hatten es „nicht wenige von ihnen durch Fabrikanlagen, durch Spekulationen, durch großartige Unternehmungen, verbunden mit Sparsamkeit, zu Wohlstand gebracht“.89 Und sie stellten nach den Beobachtungen von Mirabeau die einzigen Kaufleute und Fabrikanten großen Stils dar.90 Dazu bemerkte Freund: „Es gab unter ihnen Millionäre in einflußreicher bevorzugter Stellung. Ihr Selbstbewußtsein war erstarkt, ihr Ehrgefühl empfindlicher geworden.“91
87 Zit. n. Schirach, Politisches Journal, 1. Halbjahresband (1787), S. 61. 88 Ebd., S. 62. Darüber hinaus wurde vermutet, dass der Vorschlag zur niedrigen Zinszahlung von 2 %, den die Königliche Bank aktuell zahlte, von den Deputierten der Kaufmannschaft aus Königsberg, Stettin, Magdeburg, Breslau und anderen Orten stammte, die in Berlin Vorträge hielten und Vorschläge zum Besten der Handlung einreichten. 89 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 34. Als ein Beispiel wird u. a. auch Samuel Salomon Levy genannt, der als Berliner Bankier mit internationalen Beziehungen und als zweiter Sohn von Salomon Moses Levy 1783 eine Tochter von D. Itzig, Zierle Itzig, heiratete. Am 27. Dezember 1795 erhielt er mit seinem Bruder M. S. Levy die Rechte christlicher Kaufleute. Nach dem Urteil der Seehandlung, der Banken und der Münze führten die Brüder ihr Unternehmen mit so viel „Ordnung, Accuratesse und Redlichkeit, wie es nur immer von guten christlichen Kaufleuten geschähe“. KO zit. n. N.C.C., Bd. 7, Sp. 39. Die Kaufleute betrieben Getreideexportgeschäfte in Posen (1793) und lieferten Feinsilber für die Scheidemünzenherstellung (1798). In die breitere Öffentlichkeit trat die Firma erst zur Zeit der französischen Besetzung. 90 Mirabeau, Gabriel Honoré Victor Riquetti, Vicomte de.: Sur la Monarchie Prussienne. London 1788, V, S. 43. 91 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 34. Vgl. dazu auch Schochat, der einen gesellschaftlichen Trend beschreibt, Menschen nach ihrem Reichtum oder Einkommen zu bewerten. Schochat bezieht sich hier hauptsächlich auf die Ausführungen in den Memoiren der Glückel von Hameln. Er zieht das Fazit, dass „durch die Entstehung dieser Schicht von starken Finanzmagnaten und Reichen, die den Regierungen nahestanden und fest im politischen Leben verwurzelt waren, der geistige Hintergrund für ein neues Leben geschaffen [wurde], das im völligen Gegensatz zum traditionellen Lebensweg vergangener Generationen stand“. Schochat, Der Ursprung der jüdischen Aufklärung, S. 55.
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Deutlich eindimensionaler formulierte Hugo Rachel (1931) einen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufstieg und den erfolgreichen Geschäften im Siebenjährigen Krieg. Nicht die Zeit der Aufklärung hätte diese „entscheidende Wende“92 bewirkt, sondern die Münzgeschäfte und Heereslieferungen der früheren Hof- und Münzjuden. Erst über die erfolgreiche Betreibung der gewerblichen Produktion wäre der „breitere Wohlstand“93 wie „das äußere Ansehen“94 gestiegen. Es konnte sich ein Selbstbewusstsein entwickeln, das individuell zu einer „bürgerlich-geschäftliche[n] Gleichberechtigung“95 führte. Nach Asriel Schochat hatte die Teilnahme von Juden an der industriellen Entwicklung zur Zeit Friedrichs II. zugenommen: „Trotz seines Judenhasses bediente er sich ihrer, nicht nur wegen der Möglichkeit, Geld aus ihnen mit allen Mitteln herauszupressen, sondern sie dienten ihm auch als Lieferanten und Exporteure der Erzeugnisse seiner Fabriken.“96 Nach den zeitgemäßen Auskünften von Friedrich Nicolai lebten 1791 in Berlin etwa 155.211 Einwohner, von denen ca. 30.481 zur Garnison gehörten.97 Von den Zivilisten zählten zur „Bürgerschaft deutscher Nation“ 10.274 Personen mit Bürgerrecht.98 4.830 Personen wurden zur Französischen Kolonie, 3.391 zur Judenschaft und 968 zur Böhmischen Gemeine gezählt.99 Die Berliner Kaufmannschaft untergliederte Nicolai in vier Hauptgruppen: die Kaufleute, die zu den beiden Kaufmannsgilden, der „Kaufmannschaft der Materialhandlung“100 und der 92 Vgl. dazu Rachel, Hugo: Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus. Berlin 1931, S. 50. 93 Ebd., S. 49. 94 Ebd., S. 50. 95 Ebd., S. 51. Seit 1761 bis zum Ende der Regierungszeit von Friedrich II. wurden die Rechte eines christlichen Bankiers mit dem Erwerb von Grundbesitz und dem Etablierungsrecht der Kinder ca. dreizehn jüdischen Kaufmannsfamilien verliehen. 96 Schochat, Der Ursprung der jüdischen Aufklärung, S. 47. 97 Vgl. dazu Nicolai, Friedrich: Wegweiser für Fremde und Einheimische durch die Königl. Residenzstädte Berlin und Potsdam und die umliegende Gegend, enthaltend eine kurze Nachricht von allen daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten. Berlin 1793. In: Friedrich Nicolai: Gesammelte Werke. Hrsg. von Bernhard Fabian/Marie-Luise Spieckermann, Bd. 6. Hildesheim [u. a.] 1987, S. 48. 98 Nicolai, Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 51. 99 Ebd., S. 52. 100 Die Kaufmannschaft regelte dieTätigkeit in Form einer Gildeordnung (1715), deren erstes Ziel die Vermeidung von innerer und äußerer Konkurrenz war. Aus diesem Grund enthielten die Statuten die Auflagen, nur ein Gewerbe auszuüben, nur eine Mitgliedschaft zu besitzen und den Tugendkatalog zu befolgen. Dennoch überschnitt sich das Angebot mit dem der Tuch- und Seidenhändler, z. B. im Leder- und Wollwarenhandel. Ein Interessenausgleich entstand durch das gemeinsame Verständnis von „Schutz- und Abwehrgenossenschaften“. Sombart, Werner: Die Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Berlin 1920, S. 21. Beide besaßen Befugnisse einer
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„Kaufmannschaft der Tuch- und Seidenhandlung“101 gehörten; die privilegierten und ebenfalls in Gilden organisierten Kaufleute, die als Buchhändler, Apotheker, Papier-, Mehl- und Butterhändler arbeiteten; die konzessionierten Kaufleute, die Bretter, Kurzwaren und Viktualien verkauften, und die Gruppe der konzessionierten Schutzjuden.102 Dass Nicolai die jüdischen Kaufleute in einer extra Rubrik erwähnte, ist seinem Bezugsrahmen, der Zunft- und Gildenzugehörigkeit, geschuldet. Die Juden waren aufgrund der Generalprivilegien von 1730103 und 1750104 und den eigens formulierten Zunft- und Gildenordnungen nicht als Zunftmitglieder zugelassen. Daraus ergab sich eine ganze Summe von Ausschlüssen aus dem rechtlichen, dem gesellschaftlichen und dem ökonomischen Verband, dem die Nicolaische Beschreibungsform damit in lakonischer Kürze Ausdruck verlieh. Dass diese Einschätzung der gesellschaftlichen Realität entsprach, wird am Beispiel von David Friedländer deutlich. In seinem Fall konnte der Grund für die Diskriminierung auf die jüdische Abstammung zurückgeführt werden, weil Friedländer in die Rechte der christlichen Kaufleute bereits eingesetzt war. AndeGewerbepolizei, arbeiteten eng mit den Magistraten zusammen und brachten Regelverletzungen zur Anzeige. Eine Kontrolle des Magistrats durch eine Observanz ihrer Gesinnungen und Versammlungen (1712) konnten sie verhindern. Vgl. dazu Sombart, Kaufmannschaft, S. 15ff. 101 Die früheren Seidenkrämer und Gewandschneider bildeten den Ursprung dieser vereinigten Kaufmannschaft. Ihre Privilegien gehen noch auf das Kurfürstliche Berlin (1690) zurück. Ihre Korporation regelte sich nach den gleichen Statuten der o. g. Körperschaft (1716). Ihr Handel bezog sich auf Waren aus dem Bereich der Stoff-, Leinwand-, Seiden-, Wolle-, Band- und Spitzenerzeugnisse. Die wichtigsten Voraussetzungen für die Aufnahme waren die eheliche Geburt des Kandidaten wie die Absolvierung der erforderlichen Lehrzeit in einem Gewerbebetrieb: sechs Jahre als Handelsjunge und zwei Jahre als Handlungsdiener. Hinzu kamen eine Aufnahmegebühr und ein fester Jahresbeitrag. Eine Überprüfung der erworbenen Kenntnisse erfolgte nicht. Kompaniegeschäfte waren streng verpönt, und wer mit Fremden eine Gesellschaft gründete, sollte mit dem Gildenverweis bestraft werden. Vgl. dazu Sombart, Kaufmannschaft, S. 13–29. 102 Vgl. dazu Nicolai, Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 82f. 103 Siehe dazu Art. 9 im preußischen General-Reglement vom 29. September 1730. Dort heißt es: „Soll kein Jude ein Bürgerlich Handwerck treiben, ausser das Petschierstechen, welches ihnen erlaubt wird.“ In: „General-Privilegium und Reglement, wie es wegen der Juden in Sr. Königl. Majestät Landen zu halten“ (29. September 1730). „Die Confirmatio Privilegii der hiesigen Judenschaft“, ausgestellt von Friedrich Wilhelm I. am 20. Mai 1714, sah keinen entsprechenden Ausschluss vor. Die Frage, warum Friedrich Wilhelm I. innerhalb von gut 15 Jahren eine derartige Verschärfung in den Etablierungs- und Existenzfragen vornahm, kann hier nicht beantwortet werden. 104 Siehe dazu Art. 11 des „Revidirte[n] General-Privilegium und Reglement, vor die Judenschaft im Königreiche Preussen, der Chur- und Marck Brandenburg, den Herzogthümern und Fürstenthümern, Magdeburg, Cleve, Hinter Pommern, Crossen, Halberstadt, Minden, Camin und Mörs; ingleichen den Graf- und Herrschaften Marck, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Lauenburg, und Bütau vom 17ten April 1750“: „Die Juden sollen keine bürgerlichen Handwercke treiben“. In: N.C.C., Bd. 2, Sp. 117ff.
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rerseits bezeugte die folgende Auseinandersetzung auch den Willen der Korporation, die eigenen Statuten gegen die Intervention der Behörden und des Monarchen, zu verteidigen. David Friedländer hatte nach seiner Naturalisation über das Patent als Deszendent der Familie Itzig (1791) die Aufnahme in die Gilde der Tuch- und Seidenhandlung beantragt. Die Aufnahme wurde ihm verwehrt, weil er keine vorgeschriebene Dienst- und Lehrzeit bei einem gildemäßig organisierten Kaufmann absolviert hatte. Damit blieb die gesetzliche Realität der Judengesetze zwar vollkommen unberücksichtigt, aber dem existierenden Statut wurde damit Genüge getan. Im weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzungen verfügte das GeneralDirektorium am 4. November 1795 für Friedländer eine Dispensation von den gildemäßigen Erfordernissen. Daraufhin wandte sich die Gilde mit einem Immediatgesuch an den König und bat, sie bei ihrem Privileg zu unterstützen, die Regelung der Streitfrage in einem Prozess entscheiden zu lassen. Das Justizdepartement, dem der König die Entscheidung darüber überlassen hatte, wies den Antrag am 11. April 1796 zurück. Nach ihrem Gutachten kam dem Landesherren bzw. der Staatsbehörde das Dispensationsrecht von den Zunftartikeln zu. Daher könne diese Admission nicht Gegenstand eines Prozesses sein.105 Auch für die Zeit nach der Einführung der Städteordnung (1808) und der Verleihung des aktiven und passiven Bürgerrechts an jüdische Stadtbewohner berichtet Jacob Jacobson von zwei Kaufleuten, denen trotz ihrer Konversion zum Christentum die Aufnahme in die Kaufmannsgilden erst nach der Überwindung vieler Schwierigkeiten gelang.106 Zum selben Zeitpunkt (1808) gehörten der Berliner Börsen-Corporation als Vorsteher die Kaufleute Ruben Samuel Gumperz (Burgstr. 25) und Jacob Herz Beer (Spandauer Str. 72) an. In der Börsenrepräsentanz saßen neben den Vorstehern, den Ältesten beider Gilden und der „Elbschiffergilde“ auch ausgewählte jüdische Kaufleute: Salomon Veit, Joel S. v. Halle, Isaac Nathan Liepmann, Samuel Nathan Bendix, Heymann Joseph Fränkel, Liebmann Marc Schlesinger, David Hirsch und Abraham Hirsch Bendix.107 Ob die aufgezählten Kaufleute auch Mitglieder der zwei bereits genannten Kaufmannschaften waren, aus denen sich die Börsenrepräsentanz zusammensetzte oder als ausschließlich eigene Fraktion vertreten waren, ist nicht klar zu entscheiden.108 Die Annahme,
105 Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 378, beziehen sich auf: GStA PK, II. HA Rep. 9, LL 7b. 106 Gemeint sind die Kaufleute Bernhard Siegmund Burchard und Ernst Gustav Wilhelm Cohen. Vgl. dazu Jacobson, Jacob: Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809–1851. Berlin 1962, S. 7. 107 Jacobson, Die Judenbürgerbücher, S. 7. 108 Die Bürgerrollen des Berliner Magistrats für die Jahre 1772–1847 sind einzusehen im Landesarchiv Berlin in den Akten der Bürgerrechtsabteilung unter der Signatur: A Rep. 002.
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dass sich die jüdischen Kaufleute am politischen Selbstbewusstsein der christlichen Kaufleute hätten orientieren können, muss nach den Untersuchungen von Harm Klüting verneint werden. Von einem beispielhaften Selbstbewusstsein der städtischen Kaufleute im Sinne einer angestrebten politischen Partizipationsmöglichkeit in der städtischen Verwaltung kann nach den Untersuchungen von Klüting nicht ausgegangen werden.109 Die städtische Verwaltung und die Bestimmung des Stadtwesens wurden seit Anfang des 18. Jahrhunderts stärker durch den fürstlichen Anspruch als durch kommunale bürgerliche Selbstbestimmung gesteuert. Dass die Städte in den fürstlichen Verwaltungsstaat eingeordnet und „keine sich selbst regierenden Städte“110 waren, ist nur die Zuspitzung dieser Ergebnisse.
4.3 Das bürgerliche Bewusstsein der Funktionsträger Wie nach dem Inhalt der Petition vom März 1787 deutlich wurde, bestand das Ziel der Reformer zu Beginn der Legislative in der Absicht, eine eher allgemeine Verbesserung des Zustands der „Colonie“111 zu bewirken und Möglichkeiten zu schaffen, die preußischen Juden „für den Staat nützlicher“112 zu machen. Eine Wortkomposition, die von einer „bürgerlichen Verbesserung der preußischen Juden“ über die Partizipation an bürgerlichen Rechten bei Übernahme bürgerlicher Pflichten ausging, fand sich erst im ersten Pro Memoria113 (1787). Die Ziele und Vorbilder der Reformbestrebung wurden dort deutlicher herauskristallisiert und dementsprechend konkret formuliert. Wie sich ein bürgerliches Bewusstsein zum Ende des 18. Jahrhunderts in den Schriften der Jüdischen Deputierten in Ein-
109 Klüting, Harm: Stadt und Bürgertum. Aspekte einer sozialen Typologisierung der deutschen Städte im 18. Jahrhundert. In: Klüting, Harm [u. a.] (Hrsg.): Stadt und Bürger im 18. Jahrhundert. Marburg 1993, S. 17–39. 110 Klüting, Stadt und Bürger, S. 19. Vgl. dazu auch die ältere Untersuchung von Glinski, Gerhard v.: Die Königsberger Kaufmannschaft des 17. und 18. Jahrhunderts. Marburg 1964. Zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand die Mitgliederschaft der Magistratsräte zu zwei Dritteln aus Beamten und Akademikern. Von einem dominierenden Einfluss der zünftigen Kaufleute konnte daher kaum die Rede sein. 111 Vgl. dazu den Text der Petition (6. Februar 1787), gedr. in: Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 159f. 112 Petition (1787) zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 159. 113 Siehe dazu das Pro Memoria vom 17. Mai 1787. In: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen.Generalia, Fasz. 35a, Bl. 1–30. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183. Dort wird im ersten Abschnitt von einer angestrebten „bürgerlichen Verbesserung“ gesprochen. Siehe dazu Kapitel 4.4 dieser Arbeit.
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zelfällen äußerte, wird im Hinblick auf wissenschaftlich-analytische Definitionsmerkmale zum Bürgertum deutlich werden. In der zeitgemäßen Terminologie tauchte der Begriff „Bürger“ im aufgeklärten Diskurs häufig und selbstverständlich als Umschreibung eines etablierten städtischen und gesellschaftlichen Standes auf, obwohl die staatsrechtlich verbindlichen Inhalte in Form von bürgerlichen Rechten und Pflichten zur Diskussion standen. Aber der in der späteren Forschung angekoppelte Begriff der „Emancipation“114 wurde in öffentlichen und privaten Diskursen nicht als Beschreibung für eine selbstbewusste Entwicklung verwendet.115 Zwar strebten die Maskilim über das vernunftbedingende Lernen eine Befreiung vom „Sklaventum“, eine Entwicklung zum selbst- und frei bestimmten Menschen, an. Aber sie nutzten Schlüsselbegriffe wie Bildung und Erziehung, die als prozess- wie zielorientierte Begriffspaare den Maskilim, den Philanthropen, den Humanisten, den Pädagogen, also allen Aufklärern gleich geläufig waren und die real keinen gesellschaftlichen Stand von ihren Bemühungen ausnahmen. Das Sendschreiben einiger Hausväter jüdischer Religion (1799) an Propst Teller116 gibt als Text Aufschluss über die Haltung der nicht namentlich genannten Hausväter, die im Sinne einer aufgeklärten Bildung, eine Kritik an Bevormundung und Dogma formulierten und auf eine Befreiung von der religiösen und weltlichen jüdischen Autorität hinarbeiteten. Dieses Sendschreiben kann, wenn man so will, als ein weiterer Schritt gedeutet werden, der neben der Initiative zur Befreiung von rechtlicher und wirtschaftlicher Bevormundung (1787 bis 1812) auch die Befreiung von dogmatischer religiöser Willkür beinhalten sollte. Zu dem Problem, die jüdischen Zeremonialgesetze mit den Anforderungen an das moderne Leben und dem eigenen Selbstverständnis als denkender und selbstbestimmter Mensch zu verbinden, schrieb der Verfasser des Sendschreibens David Friedländer wie folgt: Ihre ins Detail gehenden Vorschriften sind überall im Wege. Sie sind nicht auf gewisse Zeiten und Tage bestimmt, sondern sie umfassen seine ganze Lebenszeit. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, hat er entweder gewisse religiöse Handlungen zu beobachten, oder aufzumerken, ob er nicht gegen Vorschriften verstößt. Die positiven Gesetze sind peinlich, mit Kosten verknüpft und zeitraubend, die negativen setzen seiner Tätigkeit im bürgerlichen 114 Siehe dazu ausführlich Kapitel 7.1 und 7.2 dieser Arbeit. 115 Ebd. 116 Wilhelm Abraham Teller war ein rationaler Theologe, der Artikel für die „Monatsschrift“ schrieb und Adressat des Sendschreibens an Propst Teller war. Seine Haltung als Funktionsträger der lutherisch-evangelischen Kirche kann als ambivalent beschrieben werden. Er hielt an der Überlegenheit der christlichen Kirche fest und war gleichzeitig ein Unterstützer der Aufklärung. Vgl. dazu Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 86ff. Siehe auch die Nicolaische Gedächtnisschrift auf Dr. W. A. Teller in Bd. 14 der Gesammelten Werke Nicolais (1987–1997).
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Leben überall Schranken. Er muß sehr oft in die unbehagliche Lage kommen, sich selbst oder seinen Nebenmenschen auf die einfachsten Fragen unbefriedigend zu antworten. Es ist für ein denkendes Wesen nichts Demüthigenderes, als dieser ewige Zustand der Unmündigkeit, ewig statt vernünftige Gründe über sein Verfahren zu geben, sich auf Autoritäten des Gesetzes berufen zu müssen. Besonders wenn es Gegenstände der unbedeutendsten Gattung des Gesetzes betrifft, als z. B. den Genuß gewisser Speisen, den besondern Schnitt des Kleides, und anderer Dinge mehr, deren Zahl und Geringfügigkeit gleich groß ist.117
Im Rückblick auf die politischen Verfassungen Europas und die daraus resultierenden Folgen für die jüdischen Einwohner fasste Friedländer die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgrenzungen zusammen, beschrieb die Wechselwirkung zwischen der gesellschaftlichen Verachtung und dem hierdurch unterdrückten Mut und Willen der jüdischen Bevölkerung und nannte als Ursache für diese „fast allgemeine Behandlung“118 christlichen Religionshass und tief eingewurzelte christliche Vorurteile, die er ihrerseits auch auf die „zum Theil zurückstoßenden Gebräuche[n] und Sitten“119 der Juden zurückführte. Dieser Abschnitt ist geprägt von einem aufgeklärten Selbstverständnis, dem die althergebrachten Sitten und Zeremonien überflüssig und peinlich erschienen, auch weil sie unzeitgemäß aus der modernen Zivilisation herausfielen und ihren traditionell dazu aufgerufenen Gläubigen dadurch den Zutritt in die moderne Welt verwehrten. Der nachfolgende Schritt, die mosaische Verfassung in diesem Sinne zu reformieren, folgte für Friedländer fast zwangsläufig. Den Grund lieferte die politische und gesellschaftliche Umwelt der preußischen Juden. Real pragmatisch wurde der Grad der Humanität der Umwelt als noch nicht ausreichend für eine aktive Toleranz jüdischer Bräuche und jüdischen Lebens eingeschätzt. Im geschichtlichen Rückgriff auf die Historie Israels versuchte Friedländer, die Variationsbreite des Gottesbildes in Rücksicht auf den gesellschaftlichen Zustand des Volkes in den Mittelpunkt seiner Darstellung zu rücken. Wurde Gott120 in den Zeiten der Bedrohung als Schutzherr und Bundesfreund angerufen, so verehrte man ihn in 117 Zit. n. N. (David Friedländer u. a.): Sendschreiben an Herrn Oberconsistorialrath und Probst Teller zu Berlin von einigen Hausvätern jüdischer Religion. Gedr. bei Mylius in Berlin im August 1799, S. 9f. 118 Ebd., S. 18. 119 Ebd. 120 Friedländer spricht an verschiedenen Textstellen und im Zusammenhang mit der Geschichte der jüdischen Religion und des jüdischen Volkes von Gott, vom Volk Gottes, dem Gottesbild der Gelehrten und auch von der Forderung, den Gottesdienst als Bürgerpflicht zu empfinden. Im Vordergrund steht für Friedländer die Annäherung an die Religionsmeinung von der Existenz eines göttlichen Wesens.
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gewaltfreien Jahren eher als Schöpfer und Erhalter des Weltalls. Dass die Gesetzgebung Staat und Religion miteinander verband, war zwar zeitgemäß sinnvoll, da die Befolgung der Gesetze unter einem Nomadenvolk nur mit der Autorität eines ausschließlich eigenen Gottes annähernd garantiert werden konnte. Aber in der Diaspora war der Glaube an ein spezielles Bündnis zwischen Gott und dem jüdischen Volk als Definitionsmerkmal der jüdischen Gesamtidentität ebenso wie der Glaube an eine Rückkehr in das gelobte Jerusalem Grund für die Trennung von anderen Völkern. Und die Beibehaltung der Zeremonialgesetze stellte nach Friedländer nur einen Versuch dar, „die Trümmer“121 der Religion zu retten. Das Selbstverständnis, das sich in diesen Hoffnungen, Klagen und Gebeten über den realen Zustand Israels widerspiegelte, war mit dem Selbstverständnis und der Zukunftsplanung eines David Friedländer nicht mehr zu vereinbaren. Grundsätzlich divergierend dachte auch Friedländer polarisierend in Antagonismen. Auf der einen Seite positionierte er die traditionellen Gläubigen, die auch aktuell immer noch als Sklaven „nach Erlösung schmachten“.122 Auf der anderen Seite sah er die aktiven und aufgeklärten Bürger, die ihr Leben und ihre Zukunft auch ohne die Sicherheit eines eigenen jüdischen Staates und unter Aufgabe der personalen Beziehung zu Gott zum Zweck der Annäherung an eine halbwegs neutrale Gesellschaft anstrebten.123 Ausdruck dieses Selbstbewusstseins war auch die folgende Gegenüberstellung der christlichen und der jüdischen Religion, in der Friedländer an Zeiten erinnerte, in denen „das Christentum noch tiefer gesunken war als die Religion der Juden“.124 So dass die Juden in Bezug auf ihre Moralität weder hinter den Christen noch hinter einem anderen Volk zurückstehen müssten. Die Kategorie der Moralität wählte Friedländer, weil er befürchtete, dass unter diesem Begriffsverständnis der größte Widerspruch gegen die Reformpläne zu erwarten war. Gerade weil wissenschaftlich fundierte Männer, die „philosophische Catheder“125 bestiegen, diesen schneidenden Urteilsspruch auch ohne allen Beweis vertraten und in das Wort Jude so viel Verachtung hineinlegten, dass die Absicht zur Erniedrigung in ihrem ganzen Gewicht spürbar wurde.126 Die Ausführungen Friedländers, im Namen einiger jüdischer Hausväter verfasst, spiegelten 121 Ebd., S. 37. 122 Ebd., S. 42. 123 Ebd., S. 49. 124 Ebd., S. 45. 125 Ebd. 126 Ebd., S. 55. Siehe dazu auch die Textstelle, in der Friedländer darauf hinweist, mit wie viel Verachtung das Wort Jude ausgesprochen wird, in der Absicht, bereits im Zuruf zu erniedrigen und die Betroffenen „das ganze Gewicht der Verachtung […], die diese zwei Silben zusammen[pressen]“, spüren zu lassen. Friedländer, Sendschreiben, S. 30. Vgl. auch die Textstellen auf S. 89, 96 u. 104.
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sprachliches Ausdrucksvermögen mit Wortkompositionen aus aufgeklärter Literatur wider, beschrieben und kontextualisierten geschichtliche Zusammenhänge und begründeten aus diesen Zusammenhängen die eigene Position. In diesem Sinne waren sie Ausdruck einer Bildungsform, die im klassischen Sinn der Kantianer das Stadium der Unmündigkeit längst hinter sich gelassen hatte. Dass sich der Begriff Bildung mit dem Standesbewusstsein des Bürgers verbinden konnte, begründete Hans-Ulrich Wehler mit der bisherigen Neutralität des Begriffs, der damit eben auch „gegen den Vorrang der Geburtsaristokratie oder des Besitzreichtums“127 anwendbar wurde. Und genau das ist der Punkt. Gerade weil Bildung seit der Aufklärung allgemein mit Kultur, Geselligkeit, mit Sprach- und Literaturkenntnissen, mit Philosophie und Humanismus verbunden war, konnte damit ein neues, noch nicht genutztes Definitionsmerkmal auf ihre Hauptprotagonisten angewendet werden. Nach den Untersuchungen von Jürgen Kost ließ sich mit dem klassischen Bildungsbegriff, neben der Notwendigkeit, für den Staatsapparat speziell geschulte akademische Funktionseliten auszubilden, auch der Anspruch auf eine Form der bürgerlichen Antizipation begründen, die über das Prinzip der Beobachtung, der Kritik und der Meinungsbildung zu politischen Entscheidungen als sogenannte „Bürgerliche Öffentlichkeit“128 fungieren konnte. 127 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsches Bildungsbürgertum in vergleichender Perspektive. Elemente eines „Sonderwegs“? In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil 4: Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation. Stuttgart 1989, S. 215–237, S. 219. 128 Forum dieser Öffentlichkeit ist die Literatur und darüber hinaus die literarische Rezension und Kritik der Leser in den öffentlichen Zeitungen. Bürgerliche Öffentlichkeit ist also quasi identisch mit Literarischer Öffentlichkeit. Dass hier von einer Kontrollfunktion gesprochen wird, ergibt sich nur aus dem allgemeinen Sinn, dass jede Form von Öffentlichkeit über ihre Aktion/ Reaktion eine Anpassung des Herrschaftsverhaltens befördern kann, aber nicht zwangsläufig muss. Vgl. dazu Kost, Jürgen: Wilhelm von Humboldt. Weimarer Klassik. Bürgerliches Bewusstsein. Kulturelle Entwürfe in Deutschland um 1800. Würzburg 2004, S. 191ff. Nach den Untersuchungen von Uffa Jensen (2005) sollten Bildungsbestrebungen, bei Juden und Protestanten gleichermaßen, die in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts u. a. die Entfaltung individueller Fähigkeiten zum Ziel hatten und nicht eine nach Nützlichkeitsprämissen gestaffelte Bildung der aufgeklärten Pädagogik proklamierten, mit zur Entstehungsphase einer bürgerlichen Bildungskultur gezählt werden. Jensen, Uffa: Gebildete Doppelgänger. Bürgerliche Juden und Protestanten im 19. Jahrhundert. Göttingen 2005, S. 46–52. Das Bildungsideal mit der Prämisse von der Erziehung zur Nützlichkeit scheint mir jedoch im Entstehungsprozess von bürgerlicher Bildungskultur bereits enthalten und wurde auch von den preußischen Juden adaptiert, so dass die Nützlichkeit von Untertanen als Herrschaftsprämisse und Zuschreibung von oben eben auch in die bürgerlichjüdische und bürgerlich-protestantische Kultur als Eigenbestimmung übernommen wurde. Nach den Ergebnissen von George L. Mosse (1990) war Bildung die Voraussetzung für die Juden zum Eintritt ins (deutsche) Bürgertum. Mosse, George L.: Das deutsch-jüdische Bildungsbürgertum. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil 2: Bildungsgüter und
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Nach J. Kost129 und mit den Worten H.-U. Wehlers ist der „Aspekt des Wirtschaftsbürgertums, auch innerhalb des Bürgertums selbst, viel zu früh hoch veranschlagt, ihre Durchsetzungsfähigkeit vorzeitig überschätzt worden“.130 Die Schlussfolgerung, dass das Wirtschaftsbürgertum um 1800 eine „insgesamt sicherlich zu vernachlässigende Rolle“131 spielte, ist im Fall der Betrachtung der jüdisch-preußischen Reformbestrebungen allerdings nicht ganz zutreffend. Nach Jürgen Kocka war das Bürgertum zwar u. a. „immer nur eine in sich vielfältig gegliederte, nach außen unscharf abgetrennte und insofern prekäre Einheit“,132 die sich jedoch zum Ende des 18. Jahrhunderts zumindest über ihre rechtliche Stellung im Staat genauer bestimmen ließ. Das preußische Bürgertum des späten 18. Jahrhunderts definierte sich bis dato über die rechtliche Kodifikation des Bürgers, also über den gesellschaftlichen Stand als Nichtadeliger und Nichtbauer,133 den Wohnort Stadt,134 den Besitz des Bürgerrechts,135 die
Bildungswissen. Stuttgart 1990, S. 168–180. Nach Voigts (2006) war das jüdische Bildungsbürgertum ein Teil des deutschen Bildungsbürgertums, eben weil die Religionszugehörigkeit für die Bildung gleichgültig war und Bildung einen individualistischen und überkonfessionellen Charakter besaß. Voigts, Manfred: Die deutsch-jüdische Symbiose. Tübingen 2006, S. 119. Es handelte sich nach den Untersuchungen von Voigts allerdings seit dem 18. Jahrhundert um einen Bildungsbegriff, der überhöht und gerade durch seine individualisierten Züge und seinen apolitischen Charakter im besonderen Maße jüdische Bürger ansprechen konnte, die den Rückzug in die Privatsphäre gewohnt waren. Ders., Deutsch-jüdische Symbiose, S. 129. 129 Für Kost verbietet sich aus heutiger Perspektive der lange primär fokussierte Aspekt des Wirtschaftsbürgertums einer marxistisch inspirierten Sozialwissenschaft. Vgl. dazu Kost, W. v. Humboldt, S. 168. Leider verzichtet Kost auf eine fundierte Kritik als Beleg für seine Beurteilung. Mir sei dennoch der Hinweis gestattet, dass sich in der Wissenschaft keine Methode und kein Ansatz per se verbieten oder verbieten lassen. 130 Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich? In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Göttingen 1987, S. 243–280, S. 248. 131 Ebd. 132 Kocka, Jürgen: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklungen und deutsche Eigenarten. In: Ders. (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1. München 1988, S. 11–78, S. 29. 133 ALR, 2. Teil, 7. Tit., 8. Abschn., § 1. 134 Ebd., § 2. Das Stadtrecht sollte hauptsächlich dem bestimmt sein, der a) mit der Verarbeitung von Naturerzeugnissen, b) mit deren Verfeinerung oder c) mit dem Handel beschäftigt war. Welche Handwerker in der Stadt zugelassen wurden, regelte das Provinzialgesetz. Die Städte besaßen das Marktrecht, und in der Zeit der Messen und Jahrmärkte stand auch Fremden der öffentliche Verkauf/Handel offen. 135 Ebd. Gutsuntertanen, Soldaten, Cantonisten und Minderjährige durften von den Magistraten nicht in die Bürgerrolle eingeschrieben werden. Das Bürgerrecht selbst war ortsbezogen und musste im Fall des Um- oder Fortzuges neu erworben werden. Die Ausübung jeden bürgerlichen Gewerbes machte das Bürgerrecht zur Bedingung. Bürgerschaft bedingte den Bürgereid. Und nach § 60 bedingte das Gewerbe der Kaufmannschaft auch das Bürgerrecht. Das Bürgerrecht
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Zunft- oder Korporationszugehörigkeit,136 den hierzu notwendigen Besitz und die christliche Sitte und Konfession. Eine Stellung, die für die Delegierten und preußischen Schutzjuden erstrebenswert war, weil sie den Schutzverwandtenstatus auflöste, bürgerliche Rechte garantierte, Sicherheit für den Aufenthaltsstatus der Familienmitglieder und der eigenen ökonomischen Unternehmungen schuf und nicht zuletzt mit allen Implikationen den Fremden zumindest rechtlich zu einem Inländer machen konnte. Im Gesuch der jüdisch-preußischen Kaufmannsfamilie Itzig vom 20. Januar 1791137 zur Erteilung eines Naturalisationspatentes138 wird dies deutlich. Dieser Antrag kann als Beispiel für die ambivalente Rolle der Petenten stehen, die idealerweise tatsächlich die Rolle der „Bittenden“ und der überzeugend argumentierenden und damit selbstbewussten Antragsteller miteinander vereinbaren mussten, eine Form der Petentenrolle, die in ihrem vorsichtig unterwürfigen Ton von allen Skribenten, unabhängig von Stand und Würden, schon aufgrund des Anlasses kultiviert wurde. In dieser Bitte um die Ausstellung bzw. die Bewilligung eines Naturalisationspatentes argumentierte die Familie auf drei zeitlichen Ebenen: Mit Zeugnissen der Ostpreußischen Regierung sollte über einen Zeitraum von über fünfzig Jahren ein untadeliges Benehmen bescheinigt werden und unter dem Aspekt einer erfolgreichen Händler- und Kaufmannstätigkeit der Bogen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart gespannt werden. Es handelte sich um Beweise, selbst erteilte in der Regel der Magistrat. Der Verlust des Bürgerrechts drohte bei kriminellen Vergehen und im Fall des Hochverrats auch den Kindern des Delinquenten. 136 Nach ALR, 2. Teil, 8. Tit., 3. Abschn., § 183 musste jeder, der in der Stadt ein zunftmäßiges Gewerbe betreiben wollte, die Aufnahme beantragen. Neue Zünfte dürften nur vom Landesherren gegründet werden (§ 182). Zunft- und Innungsfreie Gewerbe sollten frei bleiben (§ 179). Das Recht, Freymeister einzustellen kam dem Staat, nicht der Stadt, zu (§ 184). Die Zünfte durften den Zunftzwang nicht selbst ausüben (§ 228). Bei Beschwerden oder Verstößen hatten sie die Magistrate anzurufen (§ 229). Fabrikanten waren nicht dem Zunftzwang unterworfen (§ 417), besaßen aber kaufmännische Rechte (§ 413). Die Erlaubniserteilung zur Gründung einer Fabrik kam dem Staat zu (§ 410). Die Erteilung der Erlaubnis war ein Privileg (§ 411). 137 Beylage B. An das Königliche General-Direktorium“ (20. Januar 1791). Gedr. in: Friedländer, Akten-Stücke, S. 48–51. In Friedländers Druck wird der Familienname nicht genannt. Gedr. auch bei Cauer, Hofbaurat, 96ff. 138 Siehe das ausgestellte Naturalisationspatent vom 2. Mai 1791 in: GStA PK, I. HA. Rep. 96, Nr. 226, Bl. 20–25. Diese verbrieften Rechte galten jedoch weder per se als unwiderrufbar, noch sicherten sie durch einen vorgegebenen formalen Inhalt allen naturalisierten Juden gleiche Rechte zu. Allgemein betrachtet, beinhaltete das Naturalisationspatent an der Spitze der hierarchischen jüdischen Privilegien zwar alle Rechte einer christlich bürgerlichen Familie, ohne Ausnahme und Einschränkungen, sowie die Niederschlagung der speziellen Judenverordnungen und der außerordentlichen Abgaben. Aber der Inhalt des Patentes musste nach David Friedländer von jedem jüdischen Hausvater beantragt und vom Königlichen Gen.-Dir. und vom König genehmigt werden. Die Abhängigkeit von der wohlwollenden Aufnahme blieb also auch für wohlhabende jüdische Familien bestehen. Siehe dazu Friedländer, Akten-Stücke, S. 72.
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die sowohl für die Vergangenheit wie auch für die Gegenwart bezeugten, dass die Tätigkeit der Familie mit großem Nutzen für den preußischen Staat verbunden war, da „wichtige und große Summen in die königlichen Kassen“139 geflossen waren. Es folgten genaue Auflistungen der Summen, die in Akzise, Zoll, Brief - und Geldporto ohne die franco eingegangenen Kisten gezahlt worden waren. Der Gewinn aus den Gold- und Silber-, Wolle- und Seidenmanufakturwaren wurde gesondert aufgelistet.140 Auf die Zukunft ausgerichtet wurde der eigentliche Anlass des Gesuches, die Sorge um die Zukunft der Kinder und Enkel, „die nicht alle Talent und Neigung zum Handel besaßen“.141 Die privaten Interessen konnten hier unter dem Aspekt der finanziellen Zukunft des Staates auf eine Stufe mit den staatlichen Interessen gestellt werden. Denn wenn ein Teil der Kinder nach den rechtlichen Bedingungen des Generalprivilegiums außer Landes etabliert werden musste, würden dem Staat nicht nur nützliche Untertanen, sondern auch ein Teil des Geldvermögens entzogen werden.142 In der Sache sollte das Naturalisationspatent für alle Deszendenten der Familie143 gelten und dieselben Rechte einer christlichen bürgerlichen Familie ohne Ausnahme und Einschränkungen enthalten. Alle gegen die Juden erlassenen Gesetze und Abgaben sollten damit aufgehoben werden, was zugleich die Entlassung aus der subsidiarischen Haftung in politischer und kirchlicher Verfassung voraussetzte. Versprochen wurde die Annahme und Erfüllung aller bürgerlichen Pflichten, wie sie christliche Bürger und Untertanen erfüllten, um darüber hinaus „die Wohlfahrt des Staats mit Gut und Blut zu allen Zeiten zu befördern“.144 Und mit diesem bemerkenswerten Versprechen verschob der Antragsteller Isaac Daniel Itzig die Norm des bisherigen preußischen Pflichterfüllungsrahmens und schritt im vorauseilenden Gehorsam bereits zum Einverständnis gegenüber der Militärpflicht. Diese private, aber nicht vereinzelte Zustimmung zur aktiven Militärdienstleistung als Soldat traf nicht zuletzt auf die Kritik der Gesamtdeputierten. Innerhalb der jüdischen Deputierten-Versammlung wurde die Plicht zum Militärdienst, wie sie im ersten Reformentwurf (18. Dezember 1789)145 und 139 Ebd., S. 49. 140 Ebd. 141 Ebd. Vgl. hierzu auch den Lebensweg eines Enkels von David Itzig, den des Literaten, Verlegers und Juristen Julius Eduard Hitzig, der nach seiner Konversion im Staatsdienst in Neuostpreußen arbeitete. Siehe dazu Dorsch, Nikolaus: Julius Eduard Hitzig. Literarisches Patriarchat und bürgerliche Karriere. Frankfurt a. M. 1994. 142 Friedländer, Akten-Stücke, S. 50. 143 Ebd. 144 Ebd., S. 51. 145 Vgl. dazu das Pro Memoria vom 28. Februar 1790 als Reaktion auf den Entwurf vom 18. Dezember 1789. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183, S. 132. Zu den Unterzeichnern gehörte auch Isaac D. Itzig.
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in der Deklaration von 1792 unter § 25146 aufgeführt wurde, nicht akzeptiert. Auch weil von dieser Pflicht ausschließlich die junge Generation betroffen sein würde, sollte um diesen Preis und über deren Kopf hinweg, die rechtliche Verbesserung nicht zu ihren Lasten stattfinden. Die Antragsteller definierten sich primär über die geleistete Steuerzahlung an den preußischen Staat und damit über den eigenen Besitz als Folge der erfolgreichen Kaufmannstätigkeit und damit letztlich über den Habitus der preußischen Wirtschaftsbürger. Im Schreiben vom März 1791,147 das namentlich von Daniel Itzig, seinem Sohn und Generaldeputierten Isaac Daniel Itzig, den Söhnen Elias Daniel Itzig, Benjamin Daniel Itzig, Jakob Daniel Itzig, dem ebenfalls Generaldeputierten David Friedländer, von Benjamin Isaac Wulff, Samuel Salomon Lewy, David Ephraim148 und Joseph Fliess149 unterzeichnet wurde, erklärten die Genannten ihr Einverständnis zur Einhaltung der Landesgesetze. Die Befolgung der religiösen Zeremonien sollte der Entscheidung durch das eigene Gewissen vorbehalten bleiben. Das Schreiben war keine Stellungnahme von Rechtsgelehrten, aber von jüdischen Bürgern, die den konstruierten Gegensatz zwischen Landes- und Religionsgesetzen bereits durch die Trennung in einen öffentlichrechtlichen und privat-familiären Lebensbereich vollzogen, und damit aufgehoben hatten. Für den Beginn der Emanzipationsbestrebungen spricht Simone Lässig in Anlehnung an Pierre Bourdieu von „vor-bürgerlichen“ Begriffskomposita, weil die Voraussetzung für die Ausbildung eines bürgerlichen Habitus über das
146 Dort heißt es in § 25 der „Declaration des General-Juden-Privilegii und Reglements vom 17. April [1750] und der nachherigen das Juden Wesen betreffenden Verordnungen“ (Februar 1792): „So sollen auch ihre Söhne alle übrigen persönlichen Pflichten der Christen gegen den Staat ohne Ausnahme, insonderheit auch allen körperlichen Diensten beim Militärwesen, wenn und sofern sie dazu verlangt werden, mit eben derselben Schuldigkeit und in gleichem Maaße wie christliche cantonpflichtige unterworfen sein, auch daher gleich christlichen Bürgern und Unterthanen Uns Treue und Gehorsam geloben.“ Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 354. 147 Vollständig gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 44–47. 148 Siehe zu David Ephraim (1762–1835) Anlage 2: Biografien. 149 Dr. med. Joseph Fliess (1738–1822) war mit einer Tochter Itzigs verheiratet und wird als Büchersammler bei Nicolai erwähnt. Mit seinem Bruder war er Kurator des Fideikommiss und Gegner seiner Schwestern im Streit um das Erbe des alten Moses Isaac (Fliess). Er ließ sich Jahre später taufen und wohnte seit 1815 als Königl. Kammerrat Carl Ferdinand Flies in Berlin in der Spandauer Str. 21.
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materielle,150 soziale,151 symbolische152 und kulturelle153 Kapital erst geschaffen und schließlich in einem gegenseitigen Prozess bestätigt und erneuert werden musste. Wichtig erscheint mir im Hinblick auf den Beginn der Reforminitiative, darauf hinzuweisen, dass sich jüdische Preußen durchaus nach ihrem Habitus als Bürger verstanden und dieses Bewusstsein auch in der Auseinandersetzung mit christlichen preußischen Beamten, also den nach Kost fast archetypischen Vertretern des frühen Bürgertums, behaupten konnten. Unabhängig vom devoten Tonfall der Petitionen und Denkschriften bewiesen die Deputierten die notwendige Hartnäckigkeit in der Auseinandersetzung mit den preußischen Gremien. Und sie reagierten auf die erwarteten und befürchteten Ressentiments und Zurückweisungen nicht mit Resignation, sondern mit überlegter Argumentation. Sie setzten das erworbene materielle Kapital als Beweis der Nützlichkeit, ihre politische Bildung als humanistisch fundierten Anspruch auf standesunabhängige rechtliche Gleichberechtigung, und den guten Leumund/Ruf von Persönlichkeiten als Beweise für den berechtigten Anspruch auf rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz, ein.154 Nur unter dieser Voraussetzung, „bürgerliche“ Werte zu akzeptieren und anzustreben, konnte die Initiative überhaupt partiellen Erfolg haben.
4.4 Das Pro Memoria von 1787 – Argumentationen, Vorschläge, Verbesserungen Am 21. Februar 1787 hatte das General-Departement ein Schreiben an die Oberlandesältesten mit der Aufforderung verschickt, etwaige Bitten und Wünsche baldigst einzureichen. Eine Woche später, am 28. Februar 1787, schrieben die Gemeindeältesten an das Departement, dass sie die Erlaubnis einholen möchten,
150 Gedacht ist hier an materielles Kapital, vorweisbar in Geldern, Aktien, dem Besitz von Häusern und Fabriken, aber auch an Schmuck, Kunst und Kleidung. Vgl. dazu Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zur Politik und Kultur. Hamburg 1992, S. 63ff. 151 Gedacht ist hier an Netzwerke, in die der Mensch durch Geburt und Erbe hineingeboren wird, denen er als Institution (Partei, Club, Verein) nahesteht, denen er sich durch kulturelle Praktiken und soziale Codes verbunden fühlt, die zu einer Vermehrung oder Intensivierung bereits bestehender Sozialbeziehungen beitragen und darüber auch sein materielles Kapital mehren können. 152 Gedacht ist hier an Formen von Ehre, Prestige, Reputation, gutem Leumund oder Ruf. 153 Gedacht ist hier an Bildung, Wissen, den Erwerb von Bildungstiteln und Kompetenz in der Stil- und der Sprechweise, in der Auswahl von Kleidung und Nahrung, in der Beurteilung von Kunst. 154 Siehe dazu das Kapitel 4.4 dieser Arbeit.
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sämtliche Provinzial-Judenschaften durch Deputierte oder instruierte Bevollmächtigte zu beteiligen. Am 5. März 1787 antwortete das Departement mit einem positiven Bescheid. Zwei Monate später legten die Delegierten das Pro Memoria mit den Ausführungen zu einem Abriß von dem politischen Zustande der sämmtlichen Jüdischen Kolonien in den Preußischen Staaten mit Ausschluß von Schlesien, Westpreußen und Ostfriesland155 vor. Dass die Schrift als Beschreibung eines politischen Zustandes konzipiert wurde, basierte auf dem Begriff politica156 im Sinne einer ars symbiotica157, in der das Zusammenleben aller Menschen in einer staatlichen Gemeinschaft als Notwendigkeit angesehen wurde. Die Form der Gemeinschaft musste durch Gesetze bestimmt werden. Daher sollte der eigentliche Hauptzweck die Schaffung von Gesetzen sein, die das soziale Leben erst ermöglichen und gewährleisten konnten. Die jüdische Kolonie in Preußen wurde gesetzlich als Teil der staatlichen Gemeinschaft behandelt und verstand sich auch als Teil des Untertanenverbandes. Das Konzept des Memorandums, die Gesamtheit der Lebens- und Existenzbedingungen in einer Denk- und Erinnerungsschrift zum Ausdruck zu bringen, entsprach der Absicht, die tatsächlich realen Auswirkungen der Gesetzgebung deutlich zu beschreiben. Diese Beschreibung war die Grundlage für die übergeordnete Intention, eine Einsicht in die Notwendigkeit zur Aufhebung der Belastungen und Einschränkungen zu begründen und zu bewir155 In: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen. Generalia, Fasz. 35a, Bl. 1–30, Bl. 1. Gedr. auch bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 53–116, S. 57. 156 Grundlegende Fragen des Gemeinwesens gehörten seit der Antike zur „Politik“. In den frühneuzeitlichen europäischen Universitäten behandelte man u. a. Aristoteles zu Fragen nach der richtigen politischen Ordnung, den Zielen des Gemeinwesens, der Legitimation von Herrschaft, nach ihrer Ausübung und Sicherung, nach der Begründung des Widerstandsrechts und den Ursachen für den Untergang von Staaten. Die verschiedenen Schulen und Ausdifferenzierungen sind u. a. bei Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1. München 1988, S. 80ff. nachzulesen. Aktuell und zeitgemäß war der Begriff nicht nur positiv konnotiert. In den deutschen Lexika wurde „politisch“ auch mit dem Synonym „verstellt, listig, klug, falsch, scheinheilig“ bei Sperander (Pseudonym für Friedrich Gladow): A la Mode-Sprach der Teutschen oder Compendieuses Handwörterbuch. Nürnberg 1727, S. 481, und mit „listig, verschlagen, schlau“ bei Adelung, Johann C.: Versuch eines vollständigen Grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart. Leipzig 1777, Bd. 3, S. 1115 gleichgesetzt. Es wäre demnach denkbar, dass nur die Überschrift der Denkschrift bereits Ressentiments gegen die Schrift auslöste. 157 Der Jurist Johannes Althusius (1557–1638) lehrte an der Universität Herborn und war Begründer der Lehre einer selbstständigen, allerdings nicht von Glauben und Kirche, autarken Wissenschaft der Politik. Seine Lehre gründet auf den theologischen Hauptinhalten des Calvinismus: Recht und Ordnung sind ebenso wie die gemeinschaftliche symbiotische Lebensweise der Menschen von Gott vorherbestimmt. Die ideale menschliche Lebensgemeinschaft richtet sich nach den Gesetzen des Dekalogs und wird dadurch zum Volk Gottes. Vgl. dazu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 106ff.
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ken. Obwohl in diesem Sinne „politisch“ konzipiert, war das Memorandum nicht als öffentliches Publicandum gedacht, sondern blieb direkt an den Souverän bzw. die Behörde gerichtet, die als verfassunggebende- und garantierende Macht auch der Adressat für Gesetzesänderungen war. Dass der Staat für das Wohlergehen und die moralische Vervollkommnung seiner Bürger/Untertanen verantwortlich zeichnete, war nach Samuel Pufendorf (1675) dem Grundsatz vom wahren Inhalt/Zweck des Gemeinwesens158 geschuldet. Der Souverän sollte das Wohl des Volkes159 und das Glück der Untertanen160 mit allen Mitteln fördern. Das Ziel, sich als Mitbürger zu begreifen und im Bürger-/Untertanenverband in Eintracht, Wohltätigkeit und Menschlichkeit161 zu leben, war zwar idealistisch formuliert, konnte sich jedoch als Wertekanon des Guten auch als nützliche und zweckmäßige Pflicht zur Erhaltung und Entlastung des Staatswesens erweisen. Auch für Christian Wolff (1722) blieb die Bestimmung des politischen an das gesellschaftliche Leben der Menschen gebunden und „der Zweck dieser Gemeinschaften lag in der Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts“.162 Politik verstand sich auch hier als eine vorwiegend auf moralischem Verhalten aufgebaute Disziplin. Diesem Verständnis entgegengesetzt entwickelte sich die Schule der Kameralistik.163 Nach Stolleis setzte sie den mächtigen Staat synonym zum Machtund Einflussbereich seines obersten Repräsentanten. Technische Planung und die Um- und Ausgestaltung eines variablen und somit organisatorisch wandelbaren Staatsgebildes stand über dem Wohlergehen der Gemeinschaft.164 Politik 158 Pufendorf, Samuel v.: De concordia verae politicae cum religione christiana. Lund 1675, S. 549. 159 Pufendorf, De concordia, S. 549. In der Staatszweckbestimmungslehre der naturrechtlich orientierten Philosophen machten Pufendorf und Wolff den von Cicero geprägten Satz „Salus publico suprima lex esto“ zur Leitformel und zur obersten Maxime. 160 Ebd. 161 Vgl. dazu Pufendorf, Samuel: De jure naturae et gentium. Amsterdam 1688, S. 533 und Sellin, Volker: „Politik“. In: Koselleck/Brunner/Conze (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 822ff. 162 Wolff, Christian: Vernünftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen: Zur Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes. Frankfurt a. M./Leipzig 1732, S. 16. 163 Siehe dazu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 107f. Vgl. zum Thema „Kameralistik“ als statistische Wissenschaft den Aufsatz von Friedrich Freiherr Christoph Jonathan v. Fischer: Lehrbegriff und Umfang der teutschen Staatswissenschaft oder von der Verbindung und dem Verhältnisse der Kameralwissenschaften zum teutschen Staatsrechte. Halle 1783. Siehe zu Friedrich Freiherr Christoph Jonathan v. Fischer Anlage 2: Biografien. 164 Das trifft offensichtlich nicht pauschal zu. Fischer spricht im Zusammenhang mit dem Ursprung der eigentlichen Staatswirtschaft von dem Zweck, eine „gemeinschaftliche Glückseligkeit“ zu bewirken. Fischer, Teutsche Staatswissenschaft, S. 18.
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wurde zunehmend als eine Möglichkeit verstanden, Machbares zu denken und umzusetzen. Da Größe, Macht und Selbstbehauptung jedoch als Garanten der wohl lebenden Gemeinschaft verstanden wurden, gelang auch hier eine Symbiose zwischen Fürsten-/Staatsinteresse und dem Untertanenverband. Gleichfalls konnte mit dem „salus-publica-Gedanken“ auch eine Reaktion des Souveräns als Maßnahme zur Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt deklariert werden. Allein die Anwendung dieses Grundsatzes garantierte nicht seine moralische Rechtfertigung oder ein Wohl für das Ganze oder den Einzelnen. Thomas Karst spricht in seinen Studien zur Rechtswissenschaft von einer „janusköpfigen Bedeutung“165 des „salus-publica-Gedankens“ und führt als Beispiel die Verhaftung von Johann Jakob Moser an, der 1759 unter der Anklage, „ein gefährliches Glied der bürgerlichen Gesellschaft“166 zu sein, zum Schutz der „allgemeinen Wohlfahrt“167 verhaftet wurde. In der Denkschrift war der Gedanke der allgemeinen Wohlfahrt mit dem Wohlergehen der eigenen jüdischen Kolonie eng verknüpft. Das Schlüsselwort, das beide Gesellschaften miteinander verband war der Begriff der Nützlichkeit. Die Beweisführung und die Anerkennung dieser Nützlichkeit war daher nicht nur Methode, sondern überhaupt das stärkste Argument für das Hauptanliegen des Memorandums, die rechtliche Gleichbehandlung mit den nichtjüdischen Preußen zu begründen und zu erlangen. Das war das Ziel, das nur unter Aufhebung der Sondergesetzgebung verwirklicht werden konnte. Der Widerspruch zwischen der eigenen Wahrnehmung, als verdienstvoller Teil des Staates zu wirken und dennoch ohne Anerkennung dieser Bemühungen und Erfolge einer diskriminierenden Gesetzgebung ausgesetzt zu sein, war nur auf diese Art auflösbar. Bereits in der Einleitung der Schrift wurde diese Diskrepanz in leicht ironischer Form angedeutet. Nach Worten der Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse, einem Dank an die Vorsehung und an Friedrich Wilhelm II. beschrieben die Verfasser das Ziel der Reformarbeiten aus der Sichtweise der nichtjüdischen Beamten, die die Aufgabe hatten, die jüdischen Preußen „zu nützlichen Menschen und brauchbaren Mitgliedern des Staates“168 zu machen. In den folgenden Textstellen wurde hingegen bewiesen, dass die jüdischen Einwohner diesen Nützlichkeitsanspruch bereits erfüllt hatten und weiterhin erfüllen wollten. Er bildete die Grundlage ihrer Argumentation für eine Gleichstel-
165 Karst, Thomas: Das Allgemeine Staatsrecht im Rahmen der Kronprinzenvorträge des Carl Gottlieb Svarez unter besonderer Berücksichtigung des Strebens nach Glückseligkeit. Hamburg 2000, S. 245. 166 Karst, Das Allgemeine Staatsrecht, S. 247. 167 Ebd. 168 Zit. n. GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 35a, Bl. 1–30, Bl. 1. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 54.
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lung mit den christlichen Preußen. Die Beweise wurden durch Beispiele belegt, in denen sie für den Staat durch Leistungen zum Allgemeinwohl seiner Bewohner und des Souveräns, also zum Wohl des Ganzen beigetragen hatten. Diese Beispiele bezogen sich a) auf die Abgabenleistungen für den Staat, b) auf die Gründungen von Handel, Fabriken und Manufakturen, die auch christliche Familien ernährten, und c) auf die Gelehrsamkeit und den Ruf eines Weltweisen, eines Naturforschers und vieler Ärzte, die durch ihren Ruf die Ehre des Vaterlandes mitbegründet hatten.169 Dass sie darüber hinaus nicht nützlicher hatten wirken können, war Folge der einschränkenden und bedrückenden Gesetzgebung. Da in der Schrift versucht wurde, den antagonistischen und zeitgemäß überholten Charakter der restriktiven Gesetzgebung zu benennen und zu entlarven, bildete die Auseinandersetzung mit dem friderizianischen Judenedikt von 1750170 und den später erlassenen Sondergesetzen den wesentlichen Hauptbezugspunkt des Textes. Die sogenannte erste Abteilung des Memorandums umfasste alle Sonderabgaben der preußischen Juden und beschrieb damit die fiskalische Sondervereinnahmung der jüdischen Gemeinden. Insgesamt wurden jährlich 46.700 Thlr. Abgaben bezahlt, die sich aus Schutzgeldern (25.000 Thlr.), aus Sonderabgaben an die Kirche und die Akademie der Wissenschaften (Mons Pietatisund Kalendergelder),171 aus Haftungen in solidum für die Verluste im An- und Verkauf von Silber für die preußische Münze, aus Abgaben für das preußische Heer (Rekrutengelder) und aus regionalen Sonderabgaben zusammensetzten. Hinzu kamen Approbationsgelder für die Anerkennung der Ältestenwahl, Löschoder Wassergelder, erhöhte Stempelgebühren, erhöhte Gelder für Trauscheine, Examina- und Promotionsgebühren. In der zweiten Abteilung wurden die zu zahlenden Sonderleistungen aufgelistet: Den Ankauf und Export von Manufakturwaren aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur und die Finanzierung unrentabler Fabriken in Templin (Brandenburg). Die damit verbundenen finanziellen 169 Siehe dazu Friedländer, Akten-Stücke, S. 111ff. 170 Revidirtes General-Privilegium und Reglement, vor die Judenschaften im Königreiche Preußen, Chur- und Marck […] (17. April 1750) . Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 22–55. 171 Diese Einrichtung wurde am 24. Dezember 1696 auf Veranlassung von Kurfürst Friedrich III. gegründet. Ihre Aufgabe bestand nach der Gründungsurkunde darin, die aus Frankreich und der Kurpfalz nach Brandenburg eingewanderten Glaubensflüchtlinge und den Kirchenbau finanziell zu unterstützen. Insgesamt wurde die Stiftung mit einem Gründungskapital von 100.000 Thlrn. ausgestattet. Weitere Gelder zum Unterhalt der Stiftung erfolgten aus Strafgeldern von Münzvergehen. Seit 1722 flossen in die Kassen auch Gelder von Hochzeits- und Kindergeldern der preußischen Juden. Bereits zur Zeit des Kurfürsten wurden aus den Stiftungsgeldern auch zum Christentum übergetretene Juden finanziell unterstützt. Die Stiftung arbeitete mit veränderter Leitung bis 1945. Siehe dazu auch Jersch-Wenzel, Stefi/Rürup, Reinhard (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Bd. 2: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Teil 1. Bearb. v. Meta Kohnke. München 1999, S. 661.
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Aufwendungen hatte sowohl der Einzelne172 für staatliche Genehmigungen und die gesamte Judenschaft im Falle einer defizitären Finanzlage zu erbringen. Die dritte und vierte Abteilung benannte die Zurücksetzungen und Ausschlüsse von Vergünstigungen, Erwerbsmitteln, Besitzungen und Berufen. Keinen Anteil hatte die Judenschaft an den öffentlichen Armen-, Kranken- und Lazarettanstalten. Sie war ausgeschlossen vom Ackerbau, vom Beamtentum, vom öffentlichen Lehramt, von der Ausübung der Chirurgie, vom Viktualienhandel, vom Bier- und Branntwein-Brauen und von allen zünftigen Handwerken. Spezielle regional erlassene Gesetze verboten den Verkauf bestimmter Handelsgüter173 und das Hausieren auf dem platten Land. Zurücksetzungen in Form von härteren Strafen erfolgten vor Gericht bei Zivil- und Kriminalverbrechen. Die spezifische Rechtsungleichheit der solidarischen Verbindung mit ihren Formen und Folgen für die preußische Judenschaft wurde gesondert in einer ausführlichen Darstellung behandelt.174 Das hatte nach dem Memorandum mehrere Gründe. Einerseits sei die solidarische Verbindung und Haftung in ihren Folgen viel umfangreicher und weitreichender als einzelne Sondergesetze. Sie bedrohe die Judenschaften existenziell, weil die finanziellen Belastungen der Gemeinden und des Einzelnen die Grenze des Machbaren bereits überschritten hätten. Sollte sich diese Belastung nicht verringern, sei zukünftiges Leben in Preußen nicht mehr möglich. Andererseits sei das Gesetz die Ursache für Misstrauen und Bespitzelungen innerhalb der Gemeinden und für überstrenge Gesetzgebungen von außen. Es verletze das persönliche Recht, die Sicherheit des Eigentums und fördere Vorurteil und Diskriminierung, weil „jede Vergehung des Einzelnen immer dem Ganzen angerechnet“175 werde. Auch als Argument gegen die Zuerkennung bürgerlicher Rechte und Freiheiten 172 Das Recht auf die Ansetzung von zwei Kindern war 1763 für 70.000 Thlr. erkauft worden. Hatte vormals nur ein Kind den Aufenthaltsstatus für Preußen erhalten, durfte nun ein zweites Kind etabliert werden. Diese Ansetzungserlaubnis war an den Kauf und Weiterverkauf von Porzellan aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur gebunden. Die gestaffelten Abnahmepreise für Anlässe verschiedenster Art (Ansetzung der Kinder, Gewährung eines General- oder Schutzprivilegiums, der Kauf oder Weiterverkauf eines Hauses) blieben aufgrund der mangelhaften Sonderposten immer mit einem erheblichen Verlust verbunden. Siehe dazu Friedländer, Akten-Stücke, 2. Abtheilung: Von den Lasten der Juden, S. 66ff. 173 In Königsberg durfte kein Handel mit „allem was Scheffel und Waage passiert“, und kein Geldwechsel und Maklergeschäft getätigt werden. In der Kur- und Neumark sowie in Pommern gab es keine Zulassung zum Weinhandel, Kleinhandel mit Tabak, Kaffee, Zucker, Tee, Gewürzen und Metallen. Siehe dazu Friedländer, Akten-Stücke, 4. Abtheilung: Die Judenschaft ist ferner ausgeschlossen von […], S. 73ff. und Zweyte Betrachtung: Ueber die Handlung, S. 101–116. Siehe zu den verschiedensten Auflagen und Verboten auch Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden. 174 Friedländer, Akten-Stücke, Erste Betrachtung: Ueber die solidarische Verbindung der Juden, S. 83–100. 175 Friedländer, Akten-Stücke, S. 89f.
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könne die kollektive Vereinnahmung eines „schlechten“ Beispiels zum Beweis für einen allgemein moralisch schlechteren Bevölkerungsteil hochstilisiert werden. Dazu heißt es im Text: So wird das Vorurteil, dass die Juden bürgerlich unnütz sind, durch die solidarische Verbindung noch in unverminderter Kraft aufrecht erhalten; und da die Erfahrung nicht das Gegenteil beweisen kann, da man den Juden keine Gelegenheit gestattet, Proben seiner Brauchbarkeit abzulegen, so sieht man wohl, daß, so lange diese Verbindung nicht aufgehoben ist, der Beweis sich nur theoretisch aus der Natur des Menschen führen läßt.176
Die Forderung nach der Abschaffung der solidarischen Haftung war daher eine der wichtigsten und folgenreichsten Änderungsvorschläge für die Reform. Allerdings hatte die bisherige preußische Gesetzgebung der Aufhebung entgegengearbeitet.177 Der zweite große Komplex der Ausführungen betraf den Handel, denn obwohl die Judenschaft nur in diesem Erwerbszweig tätig sein durfte, waren die Handels- und Erwerbszweige eng begrenzt. In einem knappen Hinweis auf die Geschichte der Wertigkeit des Handels konnten die Verfasser verdeutlichen, dass sich der wenig geachtete Handelsstand inzwischen als eine der „wesentlichsten Bedingungen“178 für die Glückseligkeit eines Staates entwickelt hatte Mit dieser Einsicht sei auch die Achtung für den Stand der Kaufleute gestiegen und die Anzahl und die Konkurrenz untereinander gestiegen. In diesen Zusammenhang gebracht, basierte der Ausschluss der Juden von den Handelsfreiheiten nicht 176 Ebd., S. 97. 177 Die Pflicht zur solidarischen Haftung bezog sich unter der Regentschaft des Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm I. deutlich auf die kollektiv zu erbringenden Leistungen der Schutzgeld- und Sonderzahlungen und nur vereinzelt auf die kollektiven Schadenshaftungen bei kriminellen Vergehen. Eine kollektive Haftpflicht existierte auch z. Zt. des Kurfürsten (1674). Vgl. dazu Scheiger, Juden in Berlin, S. 285ff. Die Festlegung der Schutzgeldzahlungen in einem modo collectandi wurde unter Friedrich II. in Abschn. VI des Gen.-Jud.-Priv. (1750) bestätigt. Friedrich Wilhelm I. hatte 1730 unter Art. 17 formulieren lassen: „Wegen richtiger Abtragung des Schutzund Recrutengeldes sollen die Juden in jeder Provintz einer vor alle und alle vor einen stehen.“ Vgl. dazu auch „Confirmatio Privilegii“ (1714) von Friedrich Wilhelm I. in Art. 18. Dort heißt es: „Und weil die bisherige Erfahrung bezeiget, was für Inconvenientien, Unruhe und Schaden, die Trennung der Judenschaften verursachet, so soll hinführo keine Separation bey selbiger weiter verstattet werden, sondern ein jeder schuldig und gehalten seyn, es mit der ganzen Gemeine zu halten, von derselben sich in keinem Wege zu trennen, und der Reicheste sowohl als der Ärmste, sich von derselben nicht ausschließen, auch denen Ältesten und dem Rabbi, welchem wir jedes ausdrücklichen Schutz halten wollen, unterwürfig seyn.“ Ebd. Unter Friedrich II. (1750) wurde die Haftpflicht stetig erweitert. Sie konnte sich auf die Ausweisung der Familie (Art. 24), auf die Haftung im Fall der Mitwisserschaft bei Pfandgeschäften mit gestohlenen Gegenständen (Art. 24), auf die finanzielle Haftung der gesamten Gemeinde bei Diebstahl oder Konkursen Einzelner und die kollektiv zu unterhaltenden Manufakturen beziehen. 178 Friedländer, Akten-Stücke: Ueber die Handlung, S. 101–116, S. 103.
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auf der Verfolgung durch Religionseifer, sondern war Teil eines systemischen Denkens, das freie Konkurrenz vermeiden und begrenzen wollte. Offensichtlich wurde diese Absicht in den Beschränkungen zur Herstellung, zum An- und Verkauf und im verwehrten Zugang zu den Handelsstädten und den Messen. Niederlassungen in den Handelsstädten Magdeburg, Stettin, Kolberg und Elbing waren allgemein verboten. Den hierzu als Grund angeführten Vorwurf gegen die Juden, sie wären geschäftstüchtiger als die christlichen Kaufleute, entlarvten die Verfasser als Scheinargument und Vorwand für besondere Schutzmaßnahmen gegen jüdische Kaufleute.179 Anhand von Erfahrungen und Beispielen zur Prosperität der christlichen und jüdischen Kaufleute in Königsberg versuchten die Verfasser, den Vorwurf der ruinösen Konkurrenz zu entkräften, und votierten für die volle Handelsfreiheit. Zwar wurde im Memorandum nicht ausdrücklich die Abschaffung des Zunftzwanges gefordert, aber in der Tendenz war diese Meinung nicht zu überhören: Aber es wäre ein großes, wichtiges, der weisen Regierung sehr würdiges Geschäft, hinzu zu treten, die Fesseln zu zerbrechen, um endlich einmal die Monopolien (denn das sind die Gilden doch im Grunde) aufzuheben. Die Zeiten und die Verhältnisse zwischen den commerzirenden Staaten und die Meynungen der Menschen über den Handelsstand haben sich geändert, und die alten ausschließenden Grundsätze werden, trotz ihrer inneren Unbilligkeit noch immer angewendet und wirken noch immer in unverminderter Stärke.180
Stichworte wie Wetteifer, anregende Konkurrenz, Öffnung der Quellen zur Industrie und Spekulation181 zeigten, wie stark die Hoffnungen und Erwartungen auf eine von Staat und Zünften unabhängige Wirtschaft ausgerichtet waren. Die Anregung, auch jüdische Handwerker als „Freymeister“ zuzulassen, Kolonisten auf „wüsten Stellen“182 zuzulassen und zu unterstützen, die Öffnung aller 179 Ebd. 180 Friedländer, Akten-Stücke, S. 106f. 181 Ebd. 182 In späteren Schriften wird Friedländer seine Kritik wiederholen. Allgemein war diese Kritik an der Vergabepraxis von wüsten Stellen verbreitet. Nach Hans Reissner: Mirabeau und seine „Monarchie Prussienne“, Diss., Berlin 1926, S. 66, findet sich diese Kritik auch bei Mauvillon, Jakob (Hrsg.): Von der Preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen. Unter der Leitung des Grafen von Miraubeau abgefaßt und in einer sehr verbesserten und vermehrten deutschen Uebersetzung. 8 Bücher in 4 Bänden. Leipzig 1793/94. ND Wiesbaden 1981, Bd. 1, S. 110. Dort heißt es: „Man gab die neu erbauten Häuser und Güter oft an Landstreicher und anderes Lumpengesindel, die keine Kenntnisse des Landbaues besaßen, den baaren Geldvorschuss, das Vieh und die Wirtschaftsgeräte verbrachten und davon liefen.“ Eine durchaus tätige Betriebsamkeit der Kolonisten (z. B. in Ostpreußen) beschreiben Mirabeau/Mauvillons in Mauvillons, Preußische Monarchie, Bd. 2 (1793), ND 1981, S. 9. Siehe ebenfalls die Kommentare zur Einwanderung der Réfugiés, in: Mauvillons, Preußische Monarchie, Bd. 1, S. 19ff.
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Berufszweige für jüdische Einwohner voranzutreiben, den Zunftzwang allgemein aufzulösen und Beschränkungen in der Etablierung aufzuheben, waren daher die Hauptvorschläge an die Reformkommission. Die Initiative beschränkte sich nicht nur auf eine Gesellschaftsgruppe innerhalb der gesamten Judenschaften. Wenn von einer Teilhabe an den bürgerlichen Rechten der christlichen Preußen die Rede war, sollte das für alle sesshaften Juden in Preußen gelten. Unabhängig vom jeweiligen Schutz- und Etablierungsstandard galten die Vorschläge für die gesamte und nicht nur für die bürgerliche Gesellschaftsgruppe. In der Konsequenz hätte damit auch die Auflösung der Klassenabstufungen im Schutzjudenprivileg gefordert werden müssen. Dass das nicht geschah, hatte nicht nur diplomatische Gründe. Preußen war eine Ständegesellschaft und die Rechtsprechung basierte auf dem Geburts- und dem Besitzrecht. Diese Rechts- und Gesellschaftsordnung in einer kleinen Kolonie des Staates aufzulösen, kam einem revolutionären Schritt nahe. Diese Konsequenz war von den Delegierten nicht beabsichtigt. Die Gleichstellung sollte den Rechtsstatus der jüdischen Einwohner an den der christlichen Bürger anpassen, nicht völlig neu definieren. Dem Vorwurf der Fremdheit als eines „der wichtigsten politischen Argumente“183 begegneten die Verfasser mit Beispielen von Zugezogenen, die nur aus wirtschaftlichen Interessen und in Associés mit Bürgern des Landes verbunden in Preußen lebten und dennoch Bürgerrechte in Anspruch nehmen konnten. Obwohl sich die Verfasser auf die einzige staatsrechtlich relevante Kategorie des Steuerzahlens als Zuerkennung für die Bürgerrechte beriefen, umfassten ihre Ausführungen auch Beweise ihres Patriotismus für den preußischen Staat. Diese Rechtfertigungen und die Suche nach Beispielen aus der Vergangenheit und der Gegenwart beruhten auf dem Fehlen einer staatsrechtlichen Kodifikation zu den Bedingungen der Zuerkennung einer Naturalisation. Es war letztlich eigentlich eine Suche nach den subtil geltenden Maßstäben zur Einbürgerung. Dass unterschiedliche Maßstäbe existierten, zeigte sich am Vergleich mit den Nachfahren der hugenottischen Zuwanderer. Sie galten nicht mehr als Fremde und waren dem Staat anerkanntermaßen von Nutzen.184 Bereits zur Zeit ihrer Einwanderung waren die Réfugiés im Gegensatz zu den jüdischen Zuwanderern von der preußischen Obrigkeit bevorzugt behandelt worden. Diese positive Grundstimmung oder auch Empathie gegenüber der französischen Kolonie, die sich als eine kulturell und ökonomisch überlegene Gesellschaftsgruppe präsentieren und etablieren konnte blieb im preußischen Hofstaat 183 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S.42. 184 Siehe dazu u. a. auch den Aufsatz von Etienne François: Vom preußischen Patrioten zum besten Deutschen. In: Thadden, Rudolf v./Magdelaine, Michelle (Hrsg.): Die Hugenotten. 1685– 1985. München 1985, S. 198–213.
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erhalten. Da auch die Nachfahren der Réfugiés185 naturalisiert waren, existierte kein umfassendes spezielles „Réfugiés-Reglement“ analog zum Judenreglement. Wenn überhaupt eine Verweigerung von Privilegien ausgesprochen wurde, betraf diese Entscheidung den Einzelnen, nicht die gesamte Gemeinde. Darüber hinaus prägte das Geschichtsbild von Jean P. Erman und Peter C. F. Reclam186 die Wahrnehmung der Réfugiés als eine Gemeinschaft Zugereister, die durch ihre Zuwanderung auch den Aufstieg Preußens entschieden vorangetrieben hatten. Im Vergleich zu den jüdischen Einwanderern hatten die Hugenotten ihren Aufstieg und ihre Anerkennung auch den besseren Ausgangsbedingungen zu verdanken. Daher lieferte ihr frei gesetztes Leistungsvermögen ohne reglementierende Einschränkungen auch den besten Beweis für die rechtliche Gleichsetzung von Zugezogenen mit Einheimischen zu Gunsten der Staatsökonomie. In der Frage der Auseinandersetzung mit äußeren Anfeindungen hatten die Nachfahren der Réfugiés das größere Selbstbewusstsein und stellten klar heraus, dass auch sie ihren Beitrag zur Kultivierung der Sitten und des „Nationalcharakter[s] der Deutschen“187 geleistet hatten, so dass man als gemeinsames Resümee zu dem Ergebnis kommen konnte: Und wenn die französischen Réfugiés einen gewissen Einfluß auf den Wandel gehabt haben, so haben sie auch ihrerseits den Einfluß derer verspürt, in deren Mitte sie sich niedergelassen haben. Alles in allem haben die einen wie die anderen dabei mehr gewonnen als verloren.188
Auch die preußischen Judenschaften hatten Beweise für ihre Nützlichkeit erbracht. Aber anders als die Nachkommen der Hugenotten beschrieben die Verfasser der Denkschrift kein allgemeines Wohl- oder Zufriedenheitsgefühl ihrer 185 Zur Frage, wie sich die Nachfahren der Réfugiés im preußischen Staatsverband wahrnahmen, zitierte R. v. Thadden (1985) u. a. aus dem Brief eines zugewanderten Schweizers französischer Herkunft (1788), der als Grund für seine Einwanderung nach Berlin eben die Existenz einer französischen Kolonie angab, in der er die Sprache und Bräuche vorfinden würde, die ihm seit seiner Kindheit vertraut waren. Ein anderes Bild ergibt sich aus den erhaltenen Predigten der Pastoren in der Französischen Gemeinde. Sie kritisierten die Entfernung vom Lebensstil und den Werten der Vorfahren und drängten zu patriotischen Gefühlen gegenüber den preußischen Herrschern als Ausdruck der Dankbarkeit für die Aufnahme. Thadden, Rudolf v.: Vom Glaubensflüchtling zum preußischen Patrioten. In: Thadden/Magdelaine (Hrsg.), Die Hugenotten, S. 186–197, S. 186. 186 Vgl. dazu v. Thadden, Glaubensflüchtling, S. 186–197. 187 Erman, Jean P./Reclam, Peter C. F.: Mémoires pour servir à l’histoire des Réfugiés françois dans les Etats du Roi, Bd. 6. Berlin 1787, S. 7, übersetzt und zit. n. v. Thadden, Glaubensflüchtling, S. 193. 188 Erman/Reclam, Réfugiés, Bd. 6, S. 7, zit. n. Thadden, Glaubensflüchtling, S. 193.
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Kolonie, sondern Krankheitsbilder, die sich nicht nur vereinzelt, sondern symptomatisch bei vielen jüdischen Preußen zeigten. Die bestenfalls tolerierende Haltung, aber selten freundschaftliche Umgangsweise zwischen jüdischen und nichtjüdischen Preußen hatte keine Verbundenheit ausbilden können. Mangelnde Beweise des Vertrauens und der permanenten Bedrohung äußerten sich in Existenzängsten, Selbsthass und Fremdheitsgefühlen.189 Mit dieser Diagnose auftretender psychischer Störungen beschrieben die Verfasser die Folgen der rechtlichen Zurücksetzung und bezeugten einen Zusammenhang zwischen der Unversehrtheit der eigenen Gesundheit und den jeweiligen Existenzbedingungen. Das Recht auf Unversehrtheit190 und die Wahrung der Menschenwürde sollten nicht nur Maxime der gesamten Menschheit werden, sondern auch als Kategorien zu Richtlinien der preußischen Gesetzgebung werden. Damit beriefen sich die Verfasser des Memorandums unausgesprochen, aber ideologisch naheliegend auf ein Verfassungsbeispiel, das fast zeitgleich, allerdings nicht in Europa, Realität wurde. Das Konzept der Verfassungsstaatlichkeit hatte sich zwei Jahre zuvor in den sechzehn Paragrafen der Virginia Bill of Rights (12. Juni 1776)191 durchgesetzt und sollte zukünftig die Konstitution der Vereinigten Staaten vom 17. September 1787192 wie auch die Französische Verfassung vom 3. September 1791193 in den Grundsätzen wesentlich beeinflussen. In diesen Grundsätzen änderte sich die Legitimation von Herrschaft, die sich nun folgend aus der Konstitution rechtlich begründen und kontrollieren lassen musste. Für die Bürger des Staates konnten die fest niedergelegten Regeln in einem öffentlichen Dokument, das formalisiert zu genauen Definitionen zwang, für mehr Transparenz, Rechtsbewusstsein und Rechtssicherheit sorgen. Die maßgebliche und durch das Naturrecht lange vorbereitete Neuerung stellte die Anerkennung des Grundsatzes auf Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger dar. Der konstitutionell anerkannte Grundsatz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (4. Juli 1776) erklärte, dass alle Menschen gleich geboren, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt sind, dass zu diesem Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehöre, dass um diese Rechte zu sichern, unter den Menschen Regierungen eingesetzt 189 Vgl. dazu Friedländer, Akten-Stücke, S. 99f. 190 In der Virginia Bill of Rights heißt es in § 3: „Die Regierung ist zu gemeiner Wohlfahrt, zum Schutz und zur Sicherheit des Volks, der Nation oder der Gemeinschaft eingerichtet oder muß es so sein; unter allen verschiedenen Weisen und Formen der Regierungen ist diejenige die beste, welche den höchsten Grad von Glückseligkeit und Sicherheit hervor zu bringen fähig und am wirksamsten gegen die Gefahren einer schlechten Verwaltung gesichert ist. […]“ Gedr. bei Gosewinkel, Dieter/Masing, Johannes (Hrsg.): Die Verfassungen in Europa 1789–1949. München 2006, S. 134. 191 Ebd., S. 134f. 192 Ebd., S. 146ff. 193 Ebd., S. 165ff.
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sind, deren gerechte Gewalten von der Zustimmung der Regierten herkommen, dass allemal, wenn irgendeine Regierungsform zerstörend in diese Endzwecke eingreift das Volk das Recht hat, jene zu ändern oder abzuschaffen, […].194
Über zehn Jahre später erklärte auch das revolutionäre Frankreich in Art. 1 zu den Menschen- und Bürgerrechten (1789): „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“195 Beide Erklärungen besaßen erhebliche revolutionäre Sprengkraft und setzten die anerkannte Forderung nach der Gleichheit aller Einwohner, ohne gesonderte Stände-, Zunft- und Privilegienrechte ebenso voraus wie ein anerkanntes Recht zum Protest gegen die Obrigkeit. Gosewinkel und Masing haben in ihrer Einführung zur Textedition der europäischen und amerikanischen Gesetzgebung betont, dass die Berufung auf die Freiheit und Gleichheit aller Bürger auf der „axiomatischen und idealistischen Grundannahme vorstaatlicher Rechte“196 beruhte und diese Grundsätze sich als Forderungen verstanden, die eben nicht auf eine Rechtstradition und Qualität verweisen konnten, sondern im revolutionären Bruch zur alten Ordnung standen. Die Anerkennung dieser Forderungen als Grund für die Konstitution geriet damit selbst zu einem revolutionären Akt. Eine Chance zur Sanktionierung über das Mehrheitsverhältnis war daher in den Lösungszeiten von der Bevormundung des Mutterlandes bzw. des Souveräns ungleich höher als in „normalen“ Zeiten. In der preußischen Monarchie war die Neigung zu revolutionären Veränderungen gering. Nach den Ausführungen einer älteren Forschungsarbeit von Otto Hintze (1896) über die Reformbereitschaft in Preußen vor 1806 soll im Königshaus und in der Beamtenschaft die politische Idee zu „Reformanfängen“197 vorhanden gewesen sein. Hintze spricht hier von dem „ersten Stadium des psychologischen Prozesses“,198 der einer Reform prinzipiell vorangeht. Darüber hinaus konnten die preußischen Beamten in den Verwaltungsreformen neue Handlungskompetenzen erwerben, die sie vor Stein und Hardenberg zu „Verfechtern von
194 § 1 der Bill of Rights (12. Juni 1776). Gedr. bei Gosewinkel/Masing, Verfassungen in Europa, S. 136. 195 Art. 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. Gedr. bei Gosewinkel/Masing, Verfassungen in Europa, S. 165. 196 Gosewinkel/Masing, Verfassungen in Europa, S. 14. 197 Hintze führt als Beispiel die Ideen zur Beseitigung der Kluft zwischen Militär und Zivil, also die Verschmelzung von Militär- und Bürgerstand in der seit 1795 arbeitenden Immediatkommission an. Siehe dazu Hintze, Otto: Preußische Reformbestrebungen vor 1806. In: HZ (1896), S. 76, S. 413–443, S. 414 und 424. 198 Ebd., S. 424.
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Reformstimmungen und Plänen“199 machten. Dazu zählt u. a. die Befreiung der Domänenbauern und der Privatbauern, die der Aufhebung der Erbuntertänigkeit vorausging200 (1798–1805). Da mit dem wachsenden Kapitalbedürfnis und der Verschuldung des Großgrundbesitzes auch der Ausschluss der Bürgerlichen vom Kauf von Rittergütern zurückgenommen wurde, entwickelte sich hier über den Abbau von Privilegien eine Annäherung zwischen Adel und Bürgertum.201 Auch die Heranziehung des Adels zur Steuerpflicht (1798) gilt Hintze als Beweis zum Abbau der Ständeprivilegien auf dem Weg zur Staatsbürgergesellschaft. Eine Aufhebung des Zunftzwanges erfolgte für die gewerbetreibende Bevölkerung, die als Militärpersonen zwar in „Reih und Glied standen“, aber nebenberuflich einen Betrieb führten. Ihnen sollte nach einem Präzedenzfall aus Potsdam (1802) die Tätigkeit bei Steuerpflicht gestattet bleiben.202 Hintze sah hier bereits erste Bestrebungen, den Zivilstand mit dem Militärstand zu verbinden und die verschiedenen Existenzen einander anzunähern oder zu „verschmelzen“.203 Folgt man dem Urteil Hintzes unter Berücksichtigung dieser Maßgaben, konnte eine angestrebte Judenreform zu diesem Zeitpunkt nur eine vorbereitende Reform von Teilbereichen sein. Grundsätzliche Reformen benötigten einen längeren Vorlauf und längere Ausarbeitungszeiten. Andererseits basierten die Bitten und vorsichtig formulierten Forderungen der jüdischen Deputierten auf denselben moralisch-rechtlichen Prämissen, die zur Bauernbefreiung, zur Aufhebung der Ständeprivilegien und zur Aufhebung des Zunftzwanges führen sollten. Sie entsprachen den Bestrebungen zur Annäherung an ein individualisiertes egalisierendes Recht.
199 Eine Untersuchung zur Entwicklung eines reformerisch orientierten Beamten regte Hintze unter anderem auch für Friedrich Leopold v. Schroetter an. Dem liegt natürlich die These zu Grunde, dass die Um- bzw. Durchsetzung einer Reform durchaus einen längeren Zeitraum der Reifung und einer besonderen Persönlichkeit bedarf. 200 Der eigentliche Urheber dieser Umsetzung ist der Geh. Rat Carl Friedrich v. Beyme, der seinen Plan im Juli 1798 Friedrich Wilhelm III. vorlegte. Die Auflösung der Erbuntertänigkeit scheiterte an der Frage der Entschädigung für die Großgrundbesitzer. Das ablehnende Votum des Gen.-Dir. hatten u. a. Schroetter und Hardenberg unterschrieben. Nach Hintze geschah das weniger wegen prinzipieller Vorbehalte, sondern wegen praktischer Umsetzungsprobleme. Hintze, Preußische Reformbestrebungen, S. 419. 201 1786 gab Friedrich Wilhelm II. seine Erlaubnis zum Verkauf eines adligen Gutes an einen Bürgerlichen, verfügte allerdings in einer KO vom 27. Juli 1787 eine Prüfung der zahlreichen Gesuche durch die Lehnskommission. 202 Es handelte sich hierbei um einen Gardegrenadier, der eine Metallknopffabrik mit einer Anzahl Beschäftigte führte. Nach einer Entscheidung des Königs sollte die bürgerliche Existenz gegen die Erstattung der Steuer erlaubt werden. Hintze, Preußische Reformbestrebungen, S. 426. 203 Hintze, Preußische Reformbestrebungen, S. 126.
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4.5 Die „Commission zur Reform des Judenwesens“ Nach Eingang der Petition von 1787 war die Schrift als Teil einer KO (11. Februar 1787) an das kombinierte General-Departement des General-Direktoriums und zu Händen ihres Leiters, Minister Ernst D. v. Werder, gesandt worden.204 Für die neue Verfassung legte der Minister zunächst eigene Schwerpunkte fest. Nach seinem Immediatbericht vom 28. Oktober 1787205 stand inhaltlich sowohl die Verminderung der Abgaben wie auch die „Bewilligung eines Antheils an denen Vorrechten der Bürger des Staates“206 zur Disposition. Der Minister komprimierte den Inhalt des inzwischen eingegangenen Memorandums der Deputierten der jüdischen Gemeinden (17. März 1787) auf die Punkte a) Erweiterung der Erwerbstätigkeit, b) Aufhebung der Judenjurisdiktion und c) den Wunsch nach einer Verfassung, die ein Auskommen als redliche Untertanen sicherte. Der von Werder gezeichnete Immediatbericht bestätigte die Ableitungen und Schlussfolgerungen der Denkschrift, die die eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten als Ursache der Dürftigkeit und der „National-Gebrechen und Ausschweifungen“207 anerkannten und nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit sowohl eine ausgedehntere Erwerbsfreiheit als auch neue Toleranzgesetze zur näheren Prüfung in Betracht zogen. Jedoch standen die folgenden zwei Schlussfolgerungen und Arbeitsanweisungen auch im Zusammenhang mit der Militärpflicht. Der Zwang der Religionsgesetze, personifiziert in der Autorität der Rabbiner, sollte gemäßigt werden, um die preußischen Juden „dadurch in den Stand zu setzen, sich im Notfall auch der, dem Bürger des Staats obliegenden Pflicht, das Vaterland zu vertheidigen, zu unterziehen“.208 Für die Prüfung dieser Fragen regte Werder eine „besondere Juden-ReformeCommission“ an, die nach den noch zu formulierenden Instruktionen des Königs von Preußen arbeiten sollte. Den Maßstab für den Beurteilungsrahmen gab Werder eher indirekt vor. Einerseits sollte die Kompatibilität zwischen den Gesetzesvorschlägen und den lokalen Verfassungen gewährleistet bleiben. Andererseits sollten im Hinblick auf das übergeordnete Ziel der Reformgesetzgebung die Vorschläge Priorität besitzen, die, „ohne dem Interesse des Staates zu nahe zu 204 Siehe zu Hans Ernst Dietrich v. Werder (1740–1800) Anlage 2: Biografien. Vgl. auch Straubel, Handbuch, S. 1087–1089. 205 Immediat-Bericht von Staatsminister v. Werder (28. Oktober 1787). In: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 4. In diesem Band befindet sich fast der komplette Schriftwechsel zwischen Minister Werder, Minister Wloemer und den entsprechenden Gremien. Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 63–65. 206 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 63. 207 Ebd. 208 Ebd.
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treten“,209 umgesetzt werden konnten. Damit versuchte man, in beiden Anordnungen und Zielvorgaben dem bisherigen Tenor der Gesetzgebung zu folgen und sich an der Gesetzgebung unter Friedrich II. zu orientieren. Für diese Aufgabe der Reformkommission gab Friedrich Wilhelm II. in seiner KO vom 31. Oktober 1787 an das General-Direktorium eher methodische als inhaltliche Instruktionen: […] erhält das General-Direktorium hierbei den Bericht des Staats-Ministers von Werder, über die von der einländischen Judenschaft nachgesuchte Erleichterung und Bewilligung eines verhältnismässigen Antheils an den bürgerlichen Vorrechten und Erwerbs-Mitteln, mit dem Befehl, zur gründlichen Untersuchung der von den Juden gemachten Forderungen eine Commission […] zu setzen und solche gehörig gut zu instruiren, demnächst aber, von der ganzen Sache gutachtlich zu berichten.210
Nach Erhalt des Berichtes heißt es in einem Schreiben vom 8. November 1787 dann folgend an Minister Werder: Da es nun, ehe in dieser Sache weiter etwas vorgenommen werden kan, nöthig ist, dasjenige, was eigentlich die Juden zu ihrer Verbeßerung gebeten und vorgeschlagen haben, imgleichen was von Eurer Excellentz auf der von des Königs Majestät erhaltenen ImmediatAuftrag verhandelt worden ist, näher einzugehen; so ersuchet das General-Direktorium Eure Excellentz ergebenst denselben, dieses alles gefälligst zu communiziren […]211
In dem Schreiben vom 19. November 1787, adressiert an das General-Direktorium und u. a. gezeichnet von Minister Woellner wurde dann inhaltlich das Subjekt der Untersuchung konkretisiert und deutlich eingeschränkt..212 Von den Arbeiten an einer Verfassungsänderung im Sinne einer rechtlichen Gleichstellung war dort nicht die Rede. Die Zielsetzung der Legislative wurde zurückhaltend in zwei Bereichen vorgegeben. Es wurde von einer „nachgesuchten Verminderung ihrer Abgaben“213 und von „einer Bewilligung eines Antheils an den Vorrechten der
209 Ebd. 210 KO vom 31. Oktober 1787. In: GStA PK, II. HA Abt. 24 A, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 1, Bl. 3. Siehe dazu auch einen Auszug aus dem Schreiben in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 1. 211 GStA PK, II. HA Abt. 24 A, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 1, Bl. 1. 212 Das Justizministerium bzw. Justizdepartement war auch für Religionsangelegenheiten zuständig und wurde von vier Ministern geführt. Der Chef der Justiz führte seit 1747 den Titel „Großkanzler“. Dem Justizdepartement unterstanden die Landesjustizkollegien, die Regierungen und die Hof- und Obergerichte. Nach der Reform des Justizwesens waren die Kompetenzkonflikte beseitigt worden und jede Region erhielt ein zuständiges Gericht, das auch Hoheits-, Grenz-, Kirchen- und Schulsachen verhandelte. Zu ihrer Beamtenschaft zählten die Kammergerichts-, Regierungs-, Hofgerichts- und Obergerichtsräte. Siehe dazu Straubel, Handbuch, Einleitung, S. 19. 213 GStA PK, II. HA Abt. 24A, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 1, Bl. 2.
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Bürger des Staat[e]s“214 ausgegangen. Die tatsächliche Einsetzung einer Kommission erfolgte erst am 10. Dezember 1787. Ihr gehörten die Geheimen Finanzräte Johann Heinrich Wloemer215, Johann Christian Philipp v. Klevenow216, Johann Friedrich Dietrich217 und der Generalfiskal Friedrich Benjamin d’Anières218 an. Ihre Instruktionen zur Prüfung der neuen Verfassung betrafen die Erweiterung der bisherigen Erwerbsmöglichkeiten, die Zulassung zu den Künsten, den Handwerken und dem Ackerbau; die Zulassung zum Militärdienst; die Aufhebung der bisherigen Abgaben; die Erweiterung ihrer bürgerlichen Rechte; die Zuzugsmöglichkeiten in die Städte, die bisher den Zuzug untersagten; Maßnahmen für die Übergangszeit und die Repartition der Steuer im Falle der Aufhebung der solidarischen Verbindung.219 Für Auskünfte sollten die Berliner Schutzjuden Liepmann Meyer Wulff, David Friedländer und Isaac Daniel Itzig konsultiert werden. Staatsminister Wloemer übernahm als ältestes Mitglied der Kommission die Entscheidungskompetenz in organisatorischen Fragen. In einem Schreiben des General-Direktoriums (15. Januar 1788) erfolgte seine Ernennung und die Zusage zur Mitarbeit von ausgebildeten Kameralisten.220
214 Ebd. 215 Siehe zu Johann Heinrich Wloemer (1726–1797) Anlage 2: Biografien. Siehe auch RuppelKuhfuß, Edith: Das Generaldirektorium unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. Würzburg 1937, S. 155. Siehe grundsätzlich zur Funktion und Bedeutung von Konduitenlisten über preußische Beamte Straubel, Rolf: Beamte und Personalpolitik im altpreußischen Staat. Soziale Rekrutierung, Karriereverläufe, Entscheidungsprozesse (1763/86–1806) Berlin/Potsdam 1998, 310ff. 216 Siehe zu Johann Christian Philipp (v.) Klevenow (1744–1818) Anlage 2: Biografien. 217 Siehe zu Johann Friedrich Dietrich (1776–1812) Anlage 2: Biografien. 218 Innerhalb dieser Kommission war Minister d’Anières vielleicht die interessanteste Persönlichkeit, obwohl er wegen langer Krankheit kaum an der Legislative beteiligt war. Siehe zu seiner Person ebenfalls Anlage 2: Biografien. Siehe auch Schenk, Tobias: Generalfiskal Friedrich Benjamin Loriol de la Grivilliere d’Anières (1736–1803). Anmerkungen zur Vita, Amtsführung und Buchbesitz als Beitrag zur Erforschung preußischer Judenpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden. 19. Jg. (2009), H. 1, S. 185ff. 219 Siehe zum besseren Überblick die Instruktion als Dok. A im Anhang. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 7–9. Gedr. auch bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 339–341. 220 „Da bei der angeordneten Königlichen Immediat-Commission zur Untersuchung der von den Juden verlangten Verbesserung ihres bürgerlichen und sittlichen Zustandes, ein Subject nötig ist, welches nach der Anweisung gedachter Commisssion und der General Juden Tabellen und sonst die […] Auszüge, Berechnungen und Balancen anfertige, und wir vermuten, dass sich ein dergleichen Subjectum erstens in den verschiedenen hiesigen Ressorts seiner Königl. Hochlöblichen combinirten General-Fabriquen und Comercial auch Accise und Zoll-Departement finden dürfte; einen Officianten dazu zu benennen und ihn anzuweisen, daß er sich bei Herrn Geh. Finanzrat Wlömer dem ältesten Mitglied [der] Commission melde und weitere Anweisung von ihm erwarte.“ In: GStA PK, II. HA Abt. 24 A, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 1, Bl. 4.
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Der Aufgabenbereich der Kommission umfasste nun auch die Verbesserung des „sittlichen Zustandes“ der jüdischen Untertanen. Zur Mitarbeit wurden außerdem die Departements für Fabriquen-, Commercial-, Akzise- und Zollsachen aufgefordert, um den befürchteten Verlust von staatlichen Einnahmen zu errechnen und die Höhe der Ablösezahlung festzulegen. Die Kommission legte ihren umfangreichen Bericht am 10. Juli 1789 vor.221 In den Vorbemerkungen des 28 Seiten starken Abschlussgutachtens wurden Maßnahmen zur „moralischen Verbesserung“ ebenso befürwortet wie zur Förderung der „Nützlichkeit“. Mitte Dezember 1789 erhielten die jüdischen Delegierten den nach den Vorarbeiten der Reformkommission entstandenen Reformplan.222 Die Deputierten zeigten sich von der Teilpartizipation enttäuscht und begründeten ihren Einspruch gegen den Reformplan mit einer neuen Denkschrift (28. Februar 1790).223 Offiziell wurden die Arbeiten zum 1. Reformversuch durch den Einspruch der Deputierten weder verlangsamt noch eingestellt. Nach den Untersuchungen von Freund lassen sich für das Jahr 1791 jedoch keine weiteren Gutachten, Berichte und Verfügungen nachweisen. Zu Beginn des Jahres 1792 formulierte Friedrich Wilhelm II. seine Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Stand der Reformarbeit schriftlich. Die Beamten reagierten ihrerseits mit einem Schreiben zu den Ursachen der Verzögerungen, betonten den Aspekt der Zusammenarbeit und der Absprachen mit den Deputierten und sprachen in diesem Zusammenhang von „Vorschlägen zu einem Arrangement mit der jüdischen Nation“224 und formulierten das Ziel ihrer Arbeit als „Plan zur Juden-Reform“.225 Die Auseinandersetzungen um die Inhalte der Reform sollten nach diesen Angaben in einem Austausch mit den Deputierten der Landjudenschaften stattfinden, um schließlich in einem Kompromiss bestätigt zu werden. Den ersten Entwurf eines Reformplanes (Dezember 1789) hatten die Beamten Joachim Christian v. Blumenthal, Friedrich Anton v. Heinitz, Hans Ernst Dietrich v. Werder, Friedrich Wilhelm v. Arnim, Otto Carl Friedrich v. Voss und Carl Maximilian v. Mauschwitz unterzeich-
221 Der umfangreiche Abschlussbericht der Kommission wurde am 10. Juli 1789, unterschrieben von Wloemer, Klevenow und Dietrich, vorgelegt. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 35–62. Siehe dazu auch Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 47. 222 Den Entwurf Wloemer erhielten Liepmann Meyer Wulff, David Friedländer und Daniel Itzig. Siehe das entsprechende Dok. in: GStA PK, II. HA Abt. 3,Tit. LVII, Nr. 13, Bl. 71–79. Siehe zu den Inhalten und der Kritik am Entwurf Kapitel 4.6 dieser Arbeit. 223 Einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. I, Bl. 80–109. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183. 224 Schreiben vom 24. Januar 1792. In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 226, Bl. 27–29, Bl. 27. Als Dok. C im Anhang einzusehen. 225 Ebd.
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net.226 Den zweiten Entwurf (Januar 1792) unterzeichneten mit Ausnahme von Minister Mauschwitz, alle o. g. Beamten und Minister Carl August (v.) Struensee227. Alle Minister besaßen als Etatminister eigene Departements228 und galten als ranghohe und einflussreiche Beamte des General-Departements. Neben den bereits erwähnten persönlichen Bekanntschaften und der beruflichen Zusammenarbeit mit etablierten jüdischen Kaufleuten hatten die Beamten durch ihre Zugehörigkeit zum General-Departement auch mit der Bearbeitung und Gegenzeichnung von Etablierungsgesuchen zu tun und damit Kenntnisse von den Gesuchen und Einfluss auf den Schutz- und Aufenthaltsstatus von jüdischen Einwohnern.229 Obwohl die obersten Behörden und die preußischen Könige auch jüdische Finanziers/Bankiers in die Rechte christlicher Bürger einsetzten, blieb der Akt der Privilegierung mit Hürden versehen, denn die Prämisse der Nützlichkeit bezog sich nicht nur auf den aktiven Militärdienst, sondern im selben Maß auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die persönliche Fähigkeit, diese Beurteilungen zu nutzen. Dazu ein Beispiel der Fürsprache von Minister Woellner, das in diesem Fall das problematische Verfahren zur Privilegierung verdeutlicht. In einem Schreiben vom Februar 1791 begründete der Minister sein Votum für die Privilegierung des Bankiers Nathan Liepmann mit den anerkannten Verdiensten des alten Mannes, die der „dem Staate so nützliche Mann“230 durch eine beträchtliche Anzahl an Revenuen erbracht hatte, so dass es nach Minister Woellner „schon lange“231 die Pflicht der Finanzminister gewesen wäre, seinen Antrag auf ein Generalprivileg zu unterstützen. Andererseits hatte Nathan Liepmann nach den Worten Woellners jedoch aus „Blödigkeit, theils aus Mangel […] noch nicht so weit kommen können, ein solches Generalprivilegium 226 Siehe zu allen Ministern Anlage 2: Biografien im Anhang. 227 Struensee, Carl August (v.) (1735–1804) kam 1791 ins Gen.-Dir., war Geh. Staats- und Kriegsminister mit eigenem Departement für Akzise-, Zoll-, Fabriken-, Manufaktur- und Commerzsachen. 228 Im Jahr 1798 schieden Arnim und Blumenthal aus dem Dienst aus. 1800 schied Werder aus dem Dienst aus, 1802 Heynitz und 1804 Struensee. Nur Schulenburg-Kehnert und Voss blieben bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts im Dienst. 229 Siehe dazu die Anträge in: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 226. Es handelt sich um Konzessionen für den Pferdehandel, den Handel mit Rinder- und Pferdehäuten, die Erlaubnis zum Hauserwerb, da die bisherige Wohnung aufgelöst wurde, Niederlassungsgesuche für Wohnorte auf dem Land, Etablierungsgesuche für die nicht vergleiteten Kinder, Gesuche für ein Schutz- und Generalprivileg, Niederlassungsgesuche für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Naturalisationspatente, etc. 230 Woellner an Friedrich Wilhelm II. (27. Februar 1791). Auf demselben Blatt befindet sich auch eine Weisung an das Gen.-Dir., den Umfang der Revenuen zu prüfen und ein Generalprivileg für alle männlichen Deszendenten auszuarbeiten. Vgl. dazu GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 226, Bl. 13. 231 Ebd.
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zu erhalthen, [daß] so vielen von seiner Nation aus Königlicher Gnade […] zu Theil geworden ist. Wollten also E. Majestät nicht die Gnade haben, die Sache untersuchen zu lassen […].“232 Dass diese Macht der hohen Beamten auch zu abschätzigen Urteilen gegenüber den Delinquenten führte, Überlegenheitsgefühle offenbarte, die Selbstdarstellung förderte und durch die dargestellte Personalisierung und Privatisierung des Problems nicht zu einer Kritik am System der Privilegienerteilung führen musste, wird ebenso deutlich. Die o. g. Anträge verschafften den Beamten einen Überblick und bei Interesse auch genaue Kenntnis über die rechtlichen Sonderbedingungen, denen die preußischen Juden unterworfen waren. Ob also der Aufwand der Bearbeitung und die sich wiederholenden Problemstellungen in den Gesuchen die Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform verstärkten oder begründeten, lässt sich kaum beurteilen. Ein Argument, das eher in die entgegengesetzte Richtung weist, begründet sich aus dem Zeitfaktor, also der Dauer der Arbeiten am Gesetzesentwurf. Nach den Untersuchungen von Edith Ruppel sind Verzögerungen in der Arbeitsweise des General-Direktoriums insbesondere bezüglich des Zeitaufwandes für Gesetzesneuerungen,233 der Ausführung und Planungen von Bauvorhaben234 und bei der Bearbeitung allgemeiner öffentlicher Petitionen235 vorgekommen und kritisiert worden. Der preußische Souverän kritisierte wie sein Amtsvorgänger Friedrich II. bei den dirigierenden Ministern „den Mangel an Energie“,236 „die oberflächliche Behandlung der Geschäfte“,237 „die Vernachlässigung der Untertanen“238 und regte als Ansporn zu verbesserter 232 Ebd. 233 Gedacht ist hier u. a. an ein Gesetz zur besseren Einrichtung der Policey, das allerdings im Vergleich zum Judenreglement bereits fünf Monate nach dem erlassenen Befehl (Oktober 1786) vorlag und im Februar 1787 angemahnt wurde. Die Fertigstellung (2. März 1787) erfolgte demnach in knapp einem Monat. Siehe dazu die Akten in: GStA PK, II. HA Abt. XLII. 7a, Bd. 5. Siehe zum Inhalt des Policey-Reglements für Berlin (28. Februar 1787) auch: N.C.C., Bd. 8, Sp. 621ff. 234 E. Ruppel-Kuhfuß erwähnt in diesem Zusammenhang den Bau einer massiven Kanalschleuse in Bromberg, der aufgrund falscher Berechnungen abgebrochen werden musste. Siehe ebenso die verzögerte Freigabe für die Baugelder zum Chausseebau von Berlin nach Potsdam. RuppelKuhfuß, Generaldirektorium, S. 96. 235 Siehe dazu die Sammlung an Bittschriften, die dem König anlässlich seiner Inspektionsreise (1794) übergeben wurde. Gedr. bei Stadelmann, Rudolph: Preußens Könige in ihrer Tätigkeit für die Landeskultur. III. Teil: Friedrich Wilhelm II. Leipzig 1895. 236 KO vom 30. September 1794. Gedr. bei Stadelmann, Preußens Könige, III., S. 65. 237 Ebd. 238 Ebd. Mit dieser Kritik unterschied sich Friedrich Wilhelm II. nicht von seinem berühmten Vorgänger. Auch für Friedrich II. lässt sich festhalten, dass er seine Hauptbehörde für faul und bequem hielt. Vgl. dazu Hausherr, Hans: Verwaltungseinheit und Ressorttrennung vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Berlin/DDR 1953, S. 122.
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Leistung die Einschränkung ihrer Urlaubsgesuche239 an. Ein Jahr später äußerte er sich anlässlich einer Untersuchung gegen Minister Heinitz über die Tugenden und Arbeitshaltungen, die die Minister bei der Ausübung ihrer Ämter befolgen sollten. Er erwartete von ihnen „Ehrlichkeit und Tätigkeit“240 und „eben die Folgsamkeit und den strengen Gehorsam, als ich von meinen Generals bei der Armee fordere“.241 Dass die Arbeiten an der Judenreform auch in Relation zu anderen Legislativen und unter Berücksichtigung der langsam arbeitenden Verwaltung wesentlich länger andauerten, als ursprünglich vorgesehen, deutet Edith Ruppel als „passiven Widerstand gegen die Befehle des Königs“.242 Eine Strategie, die nach Ruppel insoweit Erfolg hatte, weil durch die „Verschleppung über einen Zeitraum von fast sechs Jahren die Energie und das Interesse schließlich erlahmten und die Endergebnisse gegenüber den ursprünglichen Reformabsichten einige Abschwächungen erfahren hatte“.243 Verschleppungen fanden auch auf regionaler Ebene statt. Auf die Aufforderung der Reformkommission, Berichte zu den Konjunkturen und Verhältnissen der Judenschaften in den Provinzen zu erstellen und zurückzusenden, antworteten die Behörden der Kriegs- und Domänenkammern zum Teil erst fünf Jahre später.244 Dass sich die Arbeiten an der Reform lang andauernd und wenig progressiv voranschleppten, lag auch in der Organisation der Geschäftsordnung begründet. Die Anordnung „zu comuniciren“ bezog sich nicht nur auf die übergeordnete Ebene zwischen den Departementchefs und dem König, sondern auch auf die Ebene zwischen dem General-Departement und dem Department für Fabriquen- und Kommerziensachen (5. Dep.) und der Militärverwaltung (6. Dep.), in dem die beiden dirigierenden Minister eine Sonderstellung besaßen. Sie besetzten ihre Ratsstellen autark, waren für ihre Departements allein „responsable“ und standen in weit unmittelbarerem Verhältnis zum König als die Chefs der übrigen Fachdepartements. Dieser herausgehobene Charakter führte u. a. zu einer Verschleppung der Gutachten in der Frage der Enrollierung 239 Ebd. Im Jahr 1787 sorgte ein unaufgefordert eingereichter Zustandsbericht der Minister Blumenthal und Gaudi über die Arbeit im Gen.-Dir. für zusätzliche Verstimmung und Verwirrung. 240 KO v. 13. Dezember 1788. Gedr. bei Stadelmann, Preußens Könige, III, S. 194. 241 Ebd. 242 Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 98. 243 Ebd. Ruppel beschreibt die Reform deutlich als Anliegen von Minister Woellner, den Friedrich Wilhelm II. nach ihren Untersuchungen wiederholt mit seinem Interesse „an den lieben Hebräern geneckt“ haben soll. Als Erklärung für dieses Interesse werden finanzielle Abhängigkeiten von jüdischen Bankiers genannt. 244 Vgl. dazu die Schreiben aus Tecklenburg, Marienwerder, Cleve, Königsberg, Halberstadt. 1787 wurden die Ämter zum Bericht aufgefordert und 1792 antworteten sie. Einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 3.
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der preußischen Juden. Die Kommission für die Reform des Judenwesens hatte in ihrem Anschreiben (27. November 1788) ausdrücklich um „die erlauchte Meinung und Intention“245 zur Heranziehung der Juden zum Enrollement nachgefragt. Da die Militärs ein Jahr nach der Aufforderung durch die Reformkommission auch den gesamten Abschlussbericht vom General-Direktorium erhielten, diskutierten sie in ihren Gutachten nicht nur die Frage der Enrollierung, sondern auch allgemeine Fragen zur Etablierung. Zwei Jahre nach der ersten Anfrage gingen ihre Gutachten in der Reformkommission ein.246 Es handelt sich hierbei um die Gutachten der preußischen Beamten zur „Regulierung des Canton-Wesens“: Möllendorff247 und Voss (4. März 1790); dem „Oberkriegs-Kollegium“: Rohdich248 und Kannewurff 249(16. März 1790) und der „Mobilmachungs-Kommission“: Möllendorff und Schulenburg-Blumberg (18. Januar 1790).250 In ihrem Hauptgutachten votierten die Beamten eindeutig gegen die erweiterten Etablierungsmöglichkeiten der preußischen Juden. Ihre Begründungen basierten – wie bereits erwähnt – auf der Definition Preußens als militärischer und christlicher Staat, der die Juden quasi per definitionem als gleichberechtigte Bürger ausschloss. Aus Rücksicht gegenüber den christlichen Einwohnern sollte keine Teilpartizipation an den bürgerlichen Rechten und Gewerben gewährt werden. Protektion sollte vor unkontrollierbarer Konkurrenz, massenhafter Ausbreitung und fehlender Moralität schützen. Eine Zulassung zum Gewerbe der Kaufmannschaft, den Künsten und Zünften, den Professionen, dem Ackerbau und der Handarbeit in Stadt und Land würde für die christlichen Familien zu einem Verdrängungsprozess führen. Zur einprägsamen und drastischen Methode ihrer Darstellung wählten die Gutachter das Szenario von übermenschlichen Naturgewalten. Sollte die freie Etablierung gestattet werden, würde nach einem halben Jahrhundert „das Land mit Judenfamilien überschwemmet und durch sie mehrere christliche Familien von ihren bisherigen Besitzungen verdränget
245 Zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 69–71, S. 71. 246 Die Gutachten sind im Original und als Abschrift einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 110–116. 247 Möllendorff, Wichard Joachim Heinrich Graf v. (1724–1816) äußerte sich zweimal schriftlich zur Reform des Judenwesens und war preußischer Generalfeldmarschall und Vize-Ober-KriegsPräsident. Siehe auch Anlage 2: Biografien. 248 Siehe zu Friedrich Wilhelm v. Rohdich (1719–1796) Anlage 2: Biografien. 249 Siehe zu Heinrich Gottlob v. Kannewurff (1726–1799) Anlage 2: Biografien. 250 Der Unterzeichner des Gutachtens (Januar 1790) war wahrscheinlich Schulenburg-Blumberg, der sich im Mai 1790 das Leben nahm. Siehe zu Graf Alexander Friedrich Georg von der Schulenburg-Blumberg (1745–1790) Anlage 2: Biografien. Nach dem Tod von Schulenburg-Blumberg wurde Schulenburg-Kehnert (1742–1815) ins Gen.-Dir. zurückberufen. U. a. fungierte er ebenfalls als Chef der Mobilmachungs- und Verpflegungskommission. Siehe Anlage 2: Biografien.
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sein“.251 Ihre eigene Profession, die Enrollierung der Land- und Bauernsöhne sahen sie durch diese Negativ-Prophezeiung gefährdet. Zusammengefasst gefährdete nicht nur die visionär befürchtete Verdrängung der christlichen Bauernsöhne, sondern auch die mangelhafte körperliche Beschaffenheit der Juden und ihr „national Charakter“252 die Enrollierung. Für den Fall, dass die Juden dennoch für die Armee gemustert werden sollten, sahen die Gutachter auch den Zweck der Armee als „Vaterlands Vertheidiger“253 nicht mehr gewährleistet. Auf die Idee, das „lose Gesindel“254 unter den Juden zum Militärdienst zu pressen, schlug Moellendorff als Alternative den Aufenthalt in „Zucht- und Arbeitshäusern“255 vor. Diese Idee, die wahrscheinlich in einer vorangegangenen Aktennotiz geäußert wurde, verlangte Moellendorff ein Statement über die Wichtigkeit der Armee für den Staat ab. Die Heerespflicht stilisierte der dekorierte General zu einer Ehrenpflicht. Die Tatsache, dass sich die preußische Armee real noch aus bezahlten Söldnern zusammensetzte, die nicht aus Traditionsbewusstsein im Heer dienten, blieb daher unberücksichtigt.256 Der Subtext des Gutachtens war Ausdruck einer Zukunftsvision. Die Armee sollte zu einer ehrenvollen und gesellschaftlich akzeptierten Institution aufgewertet werden. Aktuell sah der General dieses Ziel durch die Aufnahme von jüdischen Rekruten gefährdet. Der Militärdienst für jüdische Männer war für Moellendorff erst nach vollzogener Assimilation vorstellbar. Sechs Jahre zuvor hatte Minister Woellner eine andere Meinung vertreten. In seiner Abhandlung Von der Bevölkerung der Preußischen Staaten, vornehmlich der Mark Brandenburg, die er dem preußischen Kronprinzen zusandte und für die sich jener mit lobenden und anerkennenden Worten bedankte (1784), ging Woellner unter § 99 auch auf die preußischen Juden ein. Er schreibt: Es ist wirklich Schade […], daß diese Nation im Staat nicht besser genutzet wird, als leider geschiehet. In den sämmtlichen Königlichen Ländern, Westpreußen ausgenommen, sind 1600 Judenfamilien, welche an Judensteuern und anderen Abgaben 50,000 Thaler bezahlen. Was will dieses aber sagen gegen den großen Vortheil, den sie dem Lande leisten könnten, wenn sie zu Kriegsdiensten gebraucht würden. Es ist kein stolzeres Geschöpf auf dem Erdboden, als ein Jude.
251 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 65–69, S. 68. 252 Ebd., S. 66. 253 Ebd. 254 Ebd. 255 Ebd. 256 1786 dienten in den preußischen Regimentern 110.000 Inländer und 80.000 Ausländer. Vgl. dazu Ostensacken und von Rhein, Ottomar v.: Preußens Heer von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1911, Bd. 1, S. 284.
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Der Soldatenstand würde die Nation aus der Verachtung reißen, darin sie jetzt lebt und dasjenige Land würden die Juden bis zum Enthusiasmus liebgewinnen, in welchem man sie hoch ehrete. In den alten Zeiten haben die Juden in den Asiatischen Kriegen der Römer als Hülfstruppen sehr oft an der Seite der Römischen Legionen gefochten, welche sich solches niemals zur Schande rechneten. Basnage sagt in seiner Histoire des Juifs, daß die Juden im Jahre 1648 Prag wider die Schweden vertheidigen halfen, und in der Belagerung von Ofen 1686 wider die Türken fochten. Vor zwei Jahren, in dem jetzt beendigten Kriege zwischen den Holländern und Engländern, dienete eine große Anzahl Amsterdamer Juden als Freiwillige auf der Holländischen Flotte, wozu sie der Ober-Rabbine förmlich einsegnete. In der Preußischen Armee könnte ihnen kein besserer Platz angewiesen werden, als wenn man sie zu Husaren machte. Hier würden sie vortreffliche Dinge thun. Ihr morgenländisches hitziges Temperament würde sie in Attaquen wüthend machen, ihre Schlauigkeit und ihr verschmitztes Wesen können sie dem Recognosciren vortrefflich anwenden; sie sind körperlich sehr agil, und haben durchgängig eine Passion für Pferde und zum Reiten. Um ihren Ehrtrieb völlig anzuflammen, müssten sie ein besonderes Corps ausmachen, und keine andere als jüdische Officiers und jüdische Chefs haben. Ein Oberster Ephraim und ein Major Itzig dürften an der Spitze ihrer Husaren-Eskadrons vielleicht Wunder der Tapferkeit thun. Denn 1,600 Judenfamilien, wenn ich aus zwei ganzen Familien nur einen Mann aushöbe, würden 800 Mann stellen; dies machte schon ein neues Husaren-Regiment, zu dessen Unterhaltung jene 50,000 Thlr. dienen könnten; oder es dürfte dafür ein christliches Husaren-Regiment abgedankt und zu Ackerleuten und Handwerkern angewendet werden.257
Auch Woellner betrachtete die jüdischen Insassen unter der preußischen Doktrin der Nützlichkeit. Dass sich Woellner darüber hinaus dazu aufgerufen fühlte, militärische Fragen zu erörtern, ist fast als beispielhaft für ambitionierte preußische Beamte anzusehen. Staat und Heer bildeten seit Friedrich Wilhelm I. eine Einheit, die sich u. a. in der Zusammenlegung der beiden Gremien des Generalfinanzdirektoriums mit dem Generalkriegskommissariat zum General-, Ober-, Finanz-, Kriegs- und Domänendirektorium institutionalisiert hatte (1722/1723).258 257 Woellner, Johann Christoph: Von der Bevölkerung der Preußischen Staaten, vornehmlich der Mark Brandenburg. Teilweise gedr. bei Preuß, Zur Beurteilung des Staatsministers Woellner, S. 597f. 258 Seit 1724 waren die Kriegs- und Domänenkammern für die allgemeinen Judensachen zuständig. Das Gen.-Dir., als General-, Ober-, Finanz-, Kriegs- und Domänendirektorium, wurde als Zentralbehörde 1723 von Friedrich Wilhelm I. gegründet. In den Zuständigkeitsbereich fielen auch die Etablierungsgesuche. Im November 1808 erfolgte eine erste Neuorganisation der Verwaltungsbehörden mit der Auflösung des Gen.-Dirs. Die zukünftige Entscheidungsinstanz für die Niederlassungsgesuche war nach dem Publicandum vom 16. Dezember 1808 das Ministerium
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Heer und Verwaltung, Offizierskorps und Beamtenschaft entstanden gleichzeitig und der Adel war nach Theodor Schieder „nirgends mit so eiserner Konsequenz in eine neue Form einer staatlich disziplinierten Militäraristokratie verwandelt worden wie unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II“.259 Die Sozialdisziplinierung mit der Order zu „pariren“ und die Mobilisierung aller materiellen und personellen Kräfte für die Erhaltung einer übergroßen Armee einzusetzen, gehörte daher zum effektiven Staatsapparat und seiner Beamtenschaft. Auch in der öffentlichen Berichterstattung in Berlin war das Bild von kriegsdienstleistenden österreichisch-jüdischen Soldaten offenbar keine Seltenheit. In der Vossischen Zeitung vom 17. August 1788 wurde über den Befehl des Kaisers berichtet, auch Juden zum Kriegsdienst auszuheben. Dieselbe Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 13. Juni 1789, also ein knappes Jahr später, über Juden, die sich durch sehr gutes Betragen ausgezeichnet hatten und vom Prinzen von Hohenlohe befördert bzw. protegiert wurden. Zehn Tage später wurde das Bild durch die Berichterstattung der Vossischen Zeitung wieder revidiert. In einem Artikel vom 23. Juni 1789 wurde vom Spießrutenlaufen eines desertierten österreichischen Juden berichtet.260 Woellner unterschied sich mit seiner geäußerten Meinung von den Gutachtern der Militärs. Die Canton- und die Mobilmachungskommission hatten gegen den Militärdienst von preußischen Juden votiert. Sie sahen – im Gegensatz zu Woellner – das „Judentum“ nicht als religiöse Parteiung, sondern als Synonym für eine Kategorie der Minderwertigkeit.261 Ob jedoch gerade die Gutachten der Militärkommissionen zu Beginn der Initiative einflussreich waren, muss infrage gestellt werden. Da der erste Versuch einer Inhaltsbestimmung des neuen Reglements (1789) auch ohne diese Gutachten zustande kam, erhielten sie ihre Bedeutung möglicherweise erst in den Jahren der Kriegskonjunktur gegen das revolutionäre Frankreich.262 Dagegen spricht allerdings, dass die Militärpflicht für alle Entwürfe des 18. und 19. Jahrhunderts wesentliches Kriterium der abzuleistenden Pflichten für die Gewährung von bürgerlichen Rechten blieb. Die Bedenken gegenüber der eingeforderten Loyalität von jüdisch-preußischen Soldaten führten in der konkreten Paragrafierung der Entwürfe nicht zu einem Verzicht auf des Innern, speziell die Sektion der allgemeinen Polizei und die Generalkonferenz. Vgl. hierzu N.C.C., Bd. 12, Sp. 527–546, Sp. 531 und Meier, Ernst: Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg. Leipzig 1881, S. 11–29. 259 Theodor Schieder zit. n. Vierhaus, Rudolf: Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis 1763. Frankfurt a. M./Berlin 1990, S. 122. 260 Die Notizen zu den entsprechenden Zeitungsartikeln sind erwähnt bei Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 186f. 261 Ebd. 262 Siehe dazu Kapitel 8.3 dieser Arbeit.
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die Heerespflicht. Ein Grund hierfür findet sich u. a. auch in der Rollenzuschreibung für die jüdischen Rekruten, die in allen Entwürfen nur im untergeordneten Dienst als Pack- und Hilfsknechte eingesetzt werden sollten.263 Nach Ruppel-Kuhfuß hatte Friedrich II. die Departements bewusst isoliert, indem der Schriftverkehr über die Berichte und Erlasse an die Kammern fast ausschließlich zwischen ihm und den Ministern geführt wurde.264 Nach den Untersuchungen von Hans Hausherr hielten die Minister der Departements dennoch und trotz des stillschweigenden Übereinkommens, sich ungestört zu lassen und die Vorschläge der Kollegen widerspruchslos anzunehmen, an einem kollegialen Prinzip fest. Gegenseitig verschickte und kommentierte Berichte, die die Minister auch während der Abwesenheit des Königs in Sachkenntnis setzten, und offene Parteinahmen für zurückgesetzte und in Ungnade gefallene Minister belegen diese Ansicht.265 Dennoch gilt auch, dass dem General-Direktorium die Eigeninitiative zur Durchführung von neuen Reformen und Ideen ausdrücklich untersagt wurde.266 An diese Form der Verwaltung gewöhnt, erwarteten die preußischen Beamten die Ausübung einer entscheidenden Autorität in der Regierungs- und Verwaltungsgewalt auch von Friedrich Wilhelm II. Hinzu trat nach einem Kommentar von Minister Schulenburg-Kehnert offenbar eine Dominanz besonders beredsamer Vortragender, die eine ausgewogene und kollegiale Entscheidungsfindung erschwerte. So dass man sich letztlich darauf verließ, dass der König die Entscheidung traf: Der Herr muß sehr aufmerksam und schon in der Regierungskunst eingeweihet sein, wenn er verhindern will, daß auf einseitige Vorträge bei aller Rechtlichkeit des Ministers der Monarch nicht genehmige, was dem Departement des Vortragenden sehr nützlich, einem anderen aber schädlich sein könnte.267
263 Im Gutachten der Mobilmachungskommission vom 18. Januar 1790 sprechen sich die Unterzeichner Moellendorff und Schulenburg auch gegen diese Dienstleistung aus, weil der Stand der Knechte aufgewertet und ehrenvoller als bisher wahrgenommen werden sollte. Siehe dazu das Gutachten. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Bd. 1, Bl. 116. Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 73–74, S. 73. 264 Siehe zur Abneigung von Friedrich II. gegenüber der kollegialen Arbeitsform Neugebauer, Wolfgang: Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert. In: Büsch, Otto (Hrsg.): Moderne Preußische Geschichte.1648–1947, Bd. 2. Berlin 1981, S. 541–597, S. 556. 265 Hausherr, Verwaltungseinheit, S. 123. 266 Vgl. dazu Minister Woellner in einem undatierten Pro Memoria. In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 208 C. 267 Naudé, Wilhelm: Denkwürdigkeiten des Ministers Graf von der Schulenburg. In: FBPG 15 (1902), S. 103.
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Alle Etatminister, die zu Beginn der Reform-Initiative noch amtierten, hatte Friedrich II. eingesetzt. Nach der Beurteilung von Minister v. Woellner schätzten sie ihre Departements-Souveränität und wollten ihre Selbstständigkeit auch unter Friedrich Wilhelm II. erhalten.268 Bezogen auf die praktische Effektivität der Arbeitsweise in den einzelnen Departements musste diese Organisationsform nicht von Nachteil sein. Nach den Untersuchungen von Walter Hubatsch organisierte das 5. Departement die Verwaltung der Magazin-Politik269 unter Friedrich II. „mit großem Geschick und einer Wendigkeit […], die ein Höchstmaß an Verwaltungstechnik eines kleinen, beweglichen, hoch leistungsfähigen und von selbstlosem Dienstinteresse durchdrungenen Beamtenapparates darstellte“.270 Die Umgestaltung des General-Direktoriums nach der Instruktion vom 28. September 1786 mit der Zielrichtung, die Departements-Souveränität zu brechen und kollegial, aber „in einer richtigen bestimmten Einförmigkeit und völligen Übereinstimmung“271 zu beraten, zu beurteilen und zu entscheiden, war in der Absicht der paritätischen Gleichbehandlung aller Departements eingeführt worden. Kein Geschäft sollte die Kasse der einen zum Nachteil der anderen stärken. Das in den kollegialen Sitzungen des General-Direktoriums bei differenten Meinungen zu einem Vortrag auch nach dieser Vorgabe entschieden wurde, ist zumindest eine vorstellbare Hypothese, zumal bei jeder strittigen Entscheidung das Votum des Regenten den Ausschlag gab. Da jedoch Friedrich Wilhelm II. ebenso wenig an den Sitzungen des General-Direktoriums teilnahm wie Friedrich II. und in den Jahren 1786–1798 Etatminister v. Blumenthal den Vorsitz als Präses führte, besaß dieser zumindest in den Vorträgen am Tisch das Entscheidungsrecht.272 In Bezug auf den Rang und die Vorrechte der Etatminister273 wurden keine neuen Bestimmungen getroffen. Das Direktorium blieb unmittelbar dem König unterstellt. Die Etatminister blieben ihm als Vizepräsidenten untergeordnet. Auch die Geheimen Finanzräte waren wie alle höheren Beamten zur Ver-
268 Zit. n. Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 19. 269 Unter dieser Magazin-Politik ist die Vorratshaltung von bereits verarbeiteten oder noch puren Rohstoffen zu verstehen, die, in Magazinen eingelagert, nicht nur an das Heer, sondern in Zeiten von Missernten und Teuerungen auch an die Bevölkerung abgegeben wurden. Friedrich II. setzte diese Politik der Vorratshaltung nach dem Vorbild von Friedrich Wilhelm I. weiter fort. Siehe dazu Hubatsch, Walter: Friedrich der Große und die preußische Verwaltung. Köln/Berlin 1973, S. 57ff. 270 Hubatsch, Friedrich der Große, S. 58. 271 In Auszügen gedr. bei Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 19. 272 Ebd., S. 24. 273 Hier eine Aufzählung der Etatminister der Jahre 1786: 1. Dep.: v. Blumenthal; 2. Dep.: v. Gaudi; 3. Dep.: v. Heinitz; 4. Dep.: v. Werder; 5. Dep.: v. Arnim; 6. Dep.: v. Mauschwitz; 7. Dep.: v. d. Schulenburg-Kehnert.
Die „Commission zur Reform des Judenwesens“
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schwiegenheit, Unbestechlichkeit und Loyalität verpflichtet und hatten bei der Bearbeitung aufgetragener Sachen, sich mit dem zu beschäftigen, was deshalb auch früher einmal in derselben Sache erlassen worden war.274 Diese allgemein gültige Anweisung führte in der Legislative zu einer Orientierung an den Verordnungen unter Friedrich II. und am General-Juden-Privileg von 1750. Das Ziel war dementsprechend nicht die Beseitigung des kompletten Gesetzes, sondern eine Reform von Teilbereichen.275 Diese Anordnung deckte sich darüber hinaus mit den Direktiven zu einer staats- und kommunalpolitisch verträglichen Angleichung an bestehende bürgerliche Rechte und Pflichten, ohne alle Sonderbehandlungen aufzugeben. Die Beamten sollten nach einer Maßgabe arbeiten, die von vornherein davon ausging, dass bei der Paragrafierung der Grundsätze nicht vermieden werden könne, auch Änderungen zum Nachteil der hiesigen Schutzjuden festzuschreiben. Möglicherweise gingen die Arbeiten auch wegen dieser Vorgaben nur langsam voran. Neu motiviert wurden die preußischen Beamten durch die Ermahnung des Königs zur schnellen Fertigstellung des Reformgesetzes. In einem Schreiben an die Gesetzkommission (23. Februar 1792) erging aufgrund eines allerhöchsten königlichen Befehls die Anordnung, die konkrete Form, Fassung und Vollständigkeit der Deklaration alsbald vorzulegen.276 Dort heißt es: […] da Wir übrigens Höchstselbst Unsre besondere Aufmercksamkeit auf diese Sache gerichtet haben, und ernstlich wollen, daß solche aufs baldigste zustande gebracht werde, so wird Euer Gutachten binnen […] Tagen unausbleiblich erwartet, und Ihr habt, wenn es zur Einhaltung dieser Frist nöthig sein sollte, nicht nur den gedachten Entwurf sofort vorzüglich vorzunehmen, sondern auch zur Beschließung Eures Gutachtens eine außerordentliche Zusammenkunft anzustellen.277
Dass gleichzeitig auch bereits geklärte Fragen aus dem vorangegangenen Schriftverkehr neu zur Untersuchung gestellt wurden, geht aus einer Anordnung von
274 Zusammengefasst nach Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, S. 24. 275 Siehe dazu das Gutachten der Gesetzkommission vom 18. März 1792. In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX , Nr. 7 (1792), Bl. 7–13. 276 Die Gesetzkommission wurde im Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat (1795) wie folgt beschrieben: „Die G. erstattet Gutachten über neue Gesetze und faßt Conclusa ab über die, bey den Landescollegien, vorkommenen streitigen Rechtsfragen. Sie besteht aus einer Finanz- und einer Justizdeputation, deren jede einen besonderen Direktor hat. Das Direktorium alternirt zwischen beyden Directoren, und die Mitglieder beyder Deputationen rangiren unter einander nach der Zeit ihrer Einführung.“ Ebd., S. 164. 277 Schreiben an die Gesetzkommission (23. Februar 1792), gegengezeichnet u. a. von Carmer, Werder, Voss, Struensee und Blumenthal. In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX (1792), Nr. 7, Bl. 2. Die Zahl ist korrigiert worden und nur schwer zu entziffern. Möglicherweise handelt es sich um einen vorgegebenen Zeitraum von 8–10 Tagen.
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Minister v. Carmer278 hervor, der am 5. März 1792 in einem Schreiben an die Gesetzkommission279 die Arbeit an der Gesetzgebung in verschiedenen Punkten nochmals konkretisierte. Es ging in dieser Arbeitsanweisung um die Berücksichtigung der Ritualsachen wie um die Fragen der Jurisdiktion und der Gewerbefreiheit für bereits etablierte Juden. Darüber hinaus sollte die Kommission die Fragen prüfen, welche jüdischen Gesetze „contra Christianum“280 standen und welche Ritualsachen „beyzubehalten“281 oder auch als veränderbar angesehen wurden.
4.6 Der 1. Reformentwurf (1789) Am 18. Dezember 1789 wurde der nach den Vorarbeiten der Reformkommission entstandene Reformplan den jüdischen Generaldeputierten zugesandt.282 Nach den einleitenden Worten zum Entwurf strebten die Verfasser ein Arrangement an: Die Aufhebung der Sonderjurisdiction283 und die partielle Zulassung zu bürgerlichen unzünftigen und bäuerlichen Berufen sollte an die Bereitschaft zur Erfüllung der aktiven Militärdienstleistung wie an äußerliche und sprachliche Anpassungsbestrebungen geknüpft werden.284 Das hieß konkret, dass der Handel nur von reichen Juden ausgeübt werden sollte, die das Handelsgewerbe vorschriftsmäßig erlernt hatten. Die Erlaubnis galt nur für die Städte, in denen noch nicht genügend christliche Kaufleute lebten. Ihren Handel sollten die jüdi-
278 Freiherr von Carmer, der seit 1768 im Justizministerium saß, war Großkanzler und Chef der Justiz. Er war Vorgesetzter aller Justizkollegien in den vom Justizministerium ressortierenden Provinzen. Er hatte die allgemeine Leitung des Justizwesens, der Gesetzgebung, den Vorschlag und die Bestellung der Justizbeamten, die Visitation der Justizkollegien, die Mitaufsicht über die Justizverwaltung und das Justizministerium für das Specialdepartement für Ost- und Westpreußen. Siehe auch Anlage 2: Biografien. 279 Die Gesetzkommission arbeitete als Gremium nicht nur für die Legislative zu einer Judenreform. Als ständige Kommission begutachtete und kommentierte die Kommission seit 1781, „als Stimme der Wahrheit und des gemeinen Besten“ (Svarez) gedacht, alle preußischen Gesetzesvorhaben. Als Zeichen für die Bestrebungen zu einem neuen und unabhängigen Rechtsbewusstsein wurde sie als korrigierende und dem Gemeinwohl verpflichtete Instanz verstanden. Siehe dazu Willoweit, Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte. München 2005, S. 250. 280 Schreiben vom 5. März 1792 auf des Königs allerhöchsten Spezialbefehl, gezeichnet von Carmer, adressiert an die Gesetzkommission. In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX (1792), Nr. 7, Bl. 4. 281 Ebd. 282 Siehe den Entwurf als Dok. B im Anhang. Dort zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 120–128. Gedr. auch bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 341–346. 283 Ebd. Gemeint ist damit die Aufhebung der solidarischen Haftung. 284 Ebd. Sie sollten nicht mehr Juden, sondern Mosaisten oder Deisten genannt werden. Das Erziehungswesen sollte durch regelmäßig gebildete, deutsche Schulmeister verbessert werden.
Der 1. Reformentwurf (1789)
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schen Kaufleute nach den gewöhnlichen Kaufmannsrechten betreiben. Nach Bedarf war ihnen die Gründung einer eigenen Zunft erlaubt. Der Ackerbau wurde auf neuen Stellen und in Ausnahmen auch mit der Erlaubnis zum Ankauf von alten Stellen gestattet. Unzünftiges Handwerk und Fabrikarbeit sollten erlaubt werden, und jüdische Lehrlinge sollten zu allen Handwerken zugelassen werden. Dafür sollten die Juden von der folgenden Generation an zum Militärdienst eingezogen werden. Die neuen Bestimmungen sollten alle diejenigen betreffen, die aktuell das zwanzigste Lebensjahr noch nicht überschritten hatten. Alle Unterschiede in der Kleidung sollten aufhören, beständige Familiennamen geführt und die deutsche Sprache in Wort und Schrift erlernt werden. Zukünftig sollte die Anrede „Schutzjude“ in amtlichen Formularen unterlassen werden.285 Fasst man den Inhalt des Reglements nach den Detailausführungen und im Hinblick auf die Folgen für die Betroffenen zusammen, ergibt sich ein eher ambivalentes Bild: Zwar sollte die solidarische Haftung langfristig aufgehoben werden. Um aber finanzielle Einbußen zu vermeiden, sollten die jetzigen Schutzjuden die früheren Abgaben weitertragen. Das gedachte Steuersystem sah eine Steuerrepartition auf individueller Ebene vor. Danach sollte die Höhe des Steueranteils aller Hausväter individuell geschätzt und auf Lebenszeit, unabhängig vom aktuellen Stand des Einkommens oder Vermögens, gezahlt werden. Eine finanzielle Entlastung sollte über die Gemeindekosten anfallen. Nach dem Reformplan war die Verringerung der Gemeindeangestellten auf die kleinste notwendige Zahl vorgesehen. Besondere Maßregeln und Kontingentierungen schränkten die Freiheit der Berufsausübung im Handwerk, im Handel und in der Landwirtschaft ein. Auch die Steuerund Abgabenlast sollte in der Höhe der bisher üblichen Schutzgeldzahlungen vorerst unverändert in der solidarischen Haftung bezahlt werden. Die Grenze für die Zuwanderungen von Personen unter 50.000 Thalern Privatvermögen wurde extrem hoch angelegt und die Prognose, eine erwartete rechtliche Angleichung erst in sechzig bis siebzig Jahren vollziehen zu können, lag deutlich über dem Maßstab von einer Generation.286 An die Zustimmung der Deputierten und der Gemeindevorsteher wurde die Bedingung für die Erarbeitung und Fassung des Reformgesetzes geknüpft. Formal war die Einsicht mit der Aufforderung zur Kommentierung eines Entwurfs kein absolutes Novum in der Zusammenarbeit zwi285 Diese Maßnahme wurde im Juli-Bericht der Judenreformkommission ausführlich erörtert. Es wurde darauf verwiesen, dass der Name selbst weder unter den Juden gebräuchlich noch zur Absicht der bürgerlichen Verbesserung der Juden von Nutzen sei. Als verächtlicher Nebenbegriff würde er eine Annäherung viel eher erschweren. Juli-Bericht (1789). In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 35–62. Gedr. auch in: Coelln, Friedrich v. (Hrsg.): Neue Feuerbrände, H. 6 (1807), S. 97–103, und H. 9 (1807), S. 59ff. 286 Friedrich II. sah erst die im Land geborene Generation für nützliche Bewohner des Landes an. Vgl. dazu Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 277.
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schen Landjudenschaft und Gesetzgeber. Unter der Regentschaft von Friedrich I. hatte die Berliner Judenschaft zum Judenreglement vom 17. April 1711287 ebenfalls ihre Stellungnahme abgegeben. Die Vertreter „sämmtlicher Schutzverwandten Juden hiesiger Königlicher Residentzien“288 verstanden sich in dieser Situation nicht nur als Betroffene, sondern auch als Kritiker der vorgeschlagenen Gesetzgebung.289 Gleichzeitig dankten sie in ihrem fünfzehnseitigen Schreiben auch für die Autorisierung bzw. Anerkennung der jüdischen Vertreter zu Gesprächspartnern der Behörden.290 Im Gegensatz zum Reglement unter Friedrich I. blieb der erste Versuch einer neuen Verordnung, nach der restriktiven Gesetzgebung unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II, weit hinter den Erwartungen der Deputierten zurück. Nach Freund hatten die Deputierten eine Reform erwartet, die sie zu „Eingeborenen“291 mit denselben Rechten und Pflichten machte. Nach dem Reformplan blieben sie „geduldete Fremdlinge, geschützte Juden […], immer ausgezeichnet und immer verachtet“.292 Die neue Verordnung entsprach weder ihren Wünschen noch den Hoffnungen, die mit dem Thronwechsel und der Thronbesteigung durch Friedrich Wilhelm II. verbunden wurden. Der oft zitierte und bild-
287 Friedrich I. verstand den Schutz der Juden als eine gottgewollte Aufgabe, die er delegiert durch sein Amt in seinen Ländern übernahm. Auf diese Fürsorge und den entsprechenden Schutz hatten nach Gottes Willen alle seine Untertanen „ohne Unterscheid der Religion und [des] Glaubens“ einen Anspruch. Vgl. dazu das „Project einer Juden. Ordnung in der Königl. Residentz Berlin, und Churmarck Brandenburg“ (8. April 1711). In: GStA PK, BPH Rep. 45 E (Politica), Nr. 13, Bl. 30. Ziel des Ediktes war eine Sicherung auch des zukünftigen Lebens der Juden in der Residenz Berlin und der Kurmark. Der Sinn dieses Reglements bestand nicht nur in der Verbriefung von Rechten, sondern auch in dem Wunsch, dass die „vergleiteten Juden ihr Brodt in Ruhe und Friede genißen“ sollten. Ebd. 288 Im Kommentar über das Judenreglement von Friedrich I. war ausdrücklich vom Status des „schutzverwandten Juden“ die Rede. Mit welchen Summen dieser Status erkauft werden musste, war u. a. auch Inhalt des Kommentars. Weitere Punkte betrafen die Vorsorge für die Kinder in Form der Etablierung über das eigene Patent hinaus und die Verlässlichkeit des Schutzes. Die Erlaubnis, „die jüdische Religion, cultui, citibus und ceremonies“ ausüben zu dürfen und das vorgeschlagene Haus in der Funktion einer Synagoge einzurichten, fand Zustimmung. In der Beschränkung des Zuzugs von einreisenden Juden erklärten sich die Verfasser mit der Verordnung im Reglement einverstanden. Dort heißt es in Paragraf 18: „Daß künfftig hi[e]r keine fremden Juden auff hiesige Residentzien vergleitet, oder ih[nen]) Concessiones ertheilt werden sollen“. Stellungnahme „sämmtlicher Schutzverwandten Juden hiesiger Königlicher Residentzien“ (17. April 1711). In: GStA PK, BPH Rep. 45 E (Politica), Nr. 13, Bl. 27. 289 Ebd. 290 Ebd. 291 Schreiben von I. D. Itzig u. D. Friedländer (General-Deputierte), D. Itzig (Oberlandesältester) u. I. B. Wolf(f) (Landesältester) an das Gen.-Dir. (28. Februar 1790). In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII: Juden.Sachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 80–109. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183. 292 Ebd.
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haft symbolische Satz von David Friedländer verdeutlichte diese Enttäuschung: „Wir bitten nicht, daß die Fesseln, die uns drücken weiter gehängt, sondern daß sie uns ganz abgenommen werden mögen.“293 Entsprechend der Aufforderung294 hatten die Generaldeputierten I. D. Itzig und D. Friedländer, der Oberlandesälteste D. Itzig und der Landesälteste I. B. Wolf(f) einen Kommentar zur geplanten Gesetzgebung verfasst.295 In diesem zweiten umfangreichen Schreiben (1790) erörterten die Verfasser den Entwurf im Hinblick auf die Berücksichtigung des vorangegangenen Memorandums (1787) und kommentierten die Paragrafen am Maßstab der tatsächlich zu erwartenden Verbesserungen. Gleichfalls wurde hier auch erstmals die eingeschränkte Funktion der Deputierten im Zusammenhang mit ihren Befugnissen zum Thema. Nach dem Inhalt der Schrift hatten sich die Deputierten in ihrer stellvertretenden Funktion für alle betroffenen Judenschaften auf eine genaue und eindringliche Beschreibung der Lebenszustände zu beschränken. Sie waren nicht autorisiert, Entscheidungen im Namen aller Judenschaften zu treffen. Das neue Schreiben sollte daher ihre „Privatmeynung“296 über die Ausführbarkeit des Reformplans wiedergeben. Ihre Kritik bezog sich auf die übergeordnete Prämisse der Gesetzgebung und den darauf basierenden Inhalt der Paragrafen. Zusammengefasst nach den Vorschlägen im Memorandum (1787), und konkretisiert in dieser zweiten Denkschrift, sollte die Reform folgende Gesetze/Instruktionen umfassen: Aufhebung der solidarischen Haftung in Verbindung mit den Abgaben; Aufhebung der
293 Ebd. 294 „Eingangs benannte General-Deputirte und Bevollmächtigte sämmtlicher Judenschaften haben alles dieses genau und reiflich in Überlegung zu nehmen, darüber erforderlichen Falls mit den Vorstehern der Judenschaft Rücksprache zu halten, und demnächst ihre bestimmte Erklärung abzugeben, ob sie und die gesammte einländische Judenschaft, gegen Erlangung der eröffneten Befreiungen, Rechte und Vergünstigungen, die als notwendige Bedingungen gleichfalls eröffneten und bestimmten Pflichten und Obliegenheiten zu übernehmen und zu erfüllen sich verbindlich machen können und wollen?“ Aufforderung aus dem Entwurf vom 18. Dezember 1789 „Auf Sr. Königl. Majestät Allergnädigsten Special-Befehl“. Unterzeichnet von den Ministern Blumenthal, Heinitz, Werder, Arnim, Mauschwitz, Schulenburg, Voss. Vgl. dazu Dok. B. im Anhang. 295 Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183. Möglicherweise handelt es sich um Isaac Benjamin Wu(o)lff (ca. 1731–1802), der 1755 nach Berlin kam, 1763 das Gen.-Priv. erhielt und eine Kattunfabrik errichtete. Siehe dazu Jacobson, Die Judenbürgerbücher, S. 52. Siehe zu I. B. Wulff auch Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 279f. 296 Friedländer, Akten-Stücke, S. 133. Friedrich Schleiermacher spricht in Reaktion auf das Sendschreiben und die rechtliche Verbesserung der Juden in einem Brief zum Thema wie folgt: „Besinnen Sie sich nur, wie übel es war, dass die Deputirten der Judenschaft bei dem letzten Reformplan am Ende bekennen mußten: sie hätten keine tüchtige Vollmacht […].“ Schleiermacher (17. April 1799). Gedr. in: Meckenstock, Günter (Hrsg.): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Schriften aus der Berliner Zeit. 1796–1799. Berlin/New York 1984, S. 334.
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besonderen Abgaben (jährlich zu erbringende und unbestimmte Abgaben wegen der Unterhaltung von Fabriken und des Zwangs-Exports von Fabrikwaren); Aufhebung der solidarischen Haftung bei den Haushaltskosten der Gemeinden; Einführung von angemessenen Grundsätzen für die Unterhaltung der Gemeindeeinrichtungen, langfristige Abbezahlung der Gemeindeschulden; Verbesserung des Schulwesens (Einführung der deutschen Sprache); Zulassung zum Erlernen und zum Ausüben des Handels, zur Gründung einer eigenen Gilde; Zulassung zu allen Professionen und Handwerken ohne Ausnahme und die Abschaffung von Zuzugsverboten für bestimmte Städte und Landesteile.297 Grundlegend kritisiert wurde die Tendenz des Gesetzes, bei Übernahme neuer schwerer Pflichten nur geringe neue Rechte zu erhalten. Die angebotene Aufhebung der solidarischen Haftung wurde als „eine halbe unglückbringende Maßregel“298 verstanden, weil die dadurch weiter zu leistenden außerordentlichen Abgaben zum Ruin der Gemeinden führen würden. Eine starke Schuldenlast wurde nicht nur für die Gemeinde in Berlin beklagt, sondern galt für alle Landesjudenschaften, wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen.299 Zu diesen zusätzlichen Kosten zählte auch die Armen- und Krankenversorgung. Ein Posten, der analog auch für die Ausgaben im preußischen Staatshaushalt als hoch galt. Die Zahl der Armen belief sich auf mindestens ein Sechstel der Stadtbevölkerung.300 Nach den zusammengestellten Quellen und Kommentaren bei Ruth Glatzer lebte in der Residenzstadt Berlin zum Ende der Regierungszeit von Friedrich II. etwa jeder zehnte Berliner von der öffentlichen Armenpflege. Nach Helga Schultz veranlasste das Berliner Stadtgericht zwischen 1786 und 1799 Geldzahlungen aus der Armenkasse an 168 Einwohner, die fast alle von ihren Hauswirten wegen Mietschulden verklagt worden waren. Überwiegend handelte es sich hierbei um Textilarbeiter und Tagelöhner. Neun Zehntel aller aus der Armenkasse unterstützten Personen waren Frauen, Witwen mit Kindern. In Notzeiten wuchs die Zahl der Bedürftigen zusätzlich an. Im Winter 1800 gehörten zu den Empfängern des verbilligten Kommissbrotes 5.000 bis 6.000 Stuhlarbeiter und 2.000 ärmere Handwerker. Im Jahre 1778 wurden von der Armenkasse 848 Bedürftige mit Geld und 980 Personen mit Brot unterstützt. Insgesamt belief sich die Summe auf 5.887 Rtlr. Knapp zehn Jahre später, 1787, erhielten 4.698 Personen
297 Denkschrift (28. Februar 1790). Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129ff., S. 172–174. 298 Denkschrift (28. Februar 1790). Zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 129ff. 299 Ebd. Siehe dazu auch Friedländer, Akten-Stücke, S. 137ff. 300 Vgl. dazu Schultz, Helga: Berlin 1650–1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Berlin 1987, S. 309 und Glatzer, Ruth (Hrsg.): Berliner Leben. 1648–1806. Berlin 1956, S. 206ff.
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Gelder zur Unterstützung und 3.347 Empfänger erhielten Brot. Die Kosten stiegen insgesamt auf jährliche 21.144 Rtlr. an.301 Die jüdischen Gemeinden mussten die Armen- und Krankenanstalten für zugereiste und einheimische Juden eigenständig finanzieren.302 Nach Brigitte Scheiger basierte dieses System der sozialen Fürsorge auf der religiösen Ethik zum sittlichen Handeln. Der wichtigste Leitwert „Zedaqa“303 stand für „soziale Gerechtigkeit“304, die für alle zu fördern und herzustellen war. Im Organisationsprinzip der Gemeinde gehörten dazu ständige feste Einrichtungen, die neben der sozialethischen Begründung auch durch die Isolation und den Druck der umgebenden Gesellschaft notwendig wurden. Sie bildeten mit der Einrichtung von Armenkassen und Speisungen, Fürsorgemaßnahmen und Einrichtungen für Witwen und Waisen, speziellen Begräbnisfonds und Spitälern die Vorläufer der Gemeindeinstitutionen des 19. Jahrhunderts. Allerdings scheint sich auch hier ein Bedeutungswandel vollzogen zu haben. Das mosaische Gesetz wurde deutlicher dem Bereich von „Wohltätigkeit“ unterstellt und trat als Gebot und Rechtsanspruch auf soziale Gerechtigkeit aus dem Bereich der Gesetzgebung zurück.
301 Schultz, Berlin, S. 309f. 302 Vgl. dazu Meisl, Protokollbuch, S. 56. Nach dem Edikt von 17. Oktober 1712 sollten zugewanderte Betteljuden von der jeweiligen Obrigkeit in Stadt oder Land einen Zehrpfennig erhalten. Ferner ließ Friedrich Wilhelm I. in diesem Edikt erklären, dass verarmte Juden-Familien zwar geduldet, aber von den Almosen der Gemeinde ihren Unterhalt beziehen sollten: Sie sollten „aus Barmherzigkeit ferner geduldet werden und die Almosen ihres Volcks genießen […].“ Zum Zwecke der Versorgung sollte eine Gemeinde der anderen beistehen. Gedr. in: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 1. Kap., Nr. 30, Sp. 151ff., Sp. 157. Im Gen.-Jud.-Priv. von 1730 wurde kein Ausschluss von Fürsorgemaßnahmen paragrafiert. Im Gen.-Jud.-Priv. von 1750 wurde in Art. XXII bestimmt, dass fremde Betteljuden im Armen-Juden-Haus am Prenzlauer Tor mit Almosen versorgt werden sollten, die Stadt nicht betreten durften und am nächsten Tag fortgeschafft werden sollten. Verwiesen wurde auf die Instruktion von 1733. 303 Nach den mosaischen Gesetzen gehörte „Zedaqa“, zeitgemäß zu übersetzen mit Gerechtigkeit, zur höchsten religiösen und sittlichen Pflicht. Es erkannte den Anspruch von Armen, Alten und Besitzlosen auf ausreichende Hilfe und Unterstützung zum Leben an und machte die Hilfsleistungen allen Gläubigen zur Pflicht. Mindestens ein Zehntel des Einkommens/Besitzes sollte für Zedaqa, in der praktischen Bedeutung mit wohltätigen Taten gleichzusetzen, verwendet werden. Die Fortsetzung der sittlichen Ethik als „Gemilut Chessed“ (Selbstlose Güte) gebot auch ein Einfühlen in das Schicksal von Notleidenden in der Aktion von Tröstung und Pflege. In der Diaspora entstanden dem Gebot und dem Bedarf zur Folge Unterkunftshäuser für Arme, Kranke und Zugereiste, die Heqdoshim. In Berlin entstand das erste Haus in dieser Funktion wahrscheinlich zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Vgl. dazu den Stiftungsnachweis der Stadt Berlin. Berlin 1910, 168ff. Siehe dazu auch die Erläuterungen von Jacoby, Jessica: Anfänge und Entwicklung der jüdischen Krankenpflege in Berlin. In: Hartung v. Doetinchem, Dagmar/Winau, Rolf (Hrsg.): Zerstörte Fortschritte. Das jüdische Krankenhaus in Berlin. Berlin 1989, S. 28–67, S. 28. 304 Siehe dazu auch Scheiger, Juden in Berlin, S. 270f.
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Die Reformversuche (1787–1792)
Damit war die Hilfeleistung jedoch weder in den Bereich der individuellen Beliebigkeit gestellt worden noch erlitt sie einen kollektiven Bedeutungsverlust, denn die Einrichtungen wurden durch organisatorische Umstrukturierungen und die Trennung von der Armen- und Krankenpflege professionalisiert und behandelten unterschiedslos alle Kranken. Der Krankenhausneubau in Berlin (1753–1755) erhielt als „Lazareth“ Betten für 350–400 Patienten, hatte eine ausnehmend geringe Sterberate und einen hervorragenden medizinischen und pflegerischen Ruf.305 Im Jahr wurden zu seiner Unterhaltung 4.000 Rtlr. an laufenden Kosten benötigt. Staatliche Zuschüsse und Darlehen wurden nicht gewährt. Zwar belief sich das Gesamtsteuerjahresaufkommen der Berliner Gemeinde 1790 auf ca. 30.000 Rtlr., von denen jedoch neben den laufenden Kosten noch Restschulden für den Ankauf des Rechts auf die Niederlassung des zweiten Kindes und Kontributionszahlungen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges zu zahlen blieben.306 Zur Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II. bekam die Gemeinde das Recht auf staatliche Zuschüsse zugesprochen, die nach Scheiger von den „ausführenden Behörden boykottiert“307 wurden. Der Anteil der zu unterstützenden Familien variierte nach der Größe der Gemeinden und den Besucherzahlen an hohen Festtagen.308 Neben den bereits genannten Sondersteuern hatten die jüdischen Einwohner noch individuelle Sondertarife für Leistungen der Behörden zu zahlen. Nach den Recherchen der Judenreformkommission ergab sich pro Geschäftsjahr jährlich
305 Vgl. dazu Lisco, Friedrich Gustav: Das wohlthätige Berlin. Geschichtlich-statistische Nachrichten über die Wohlthätigkeits-Übung Berlin’s. Berlin 1846, S. 391. Vgl. zur Finanzierung, Leitung und Krankenversorgung auch Kapitel 5.4 dieser Arbeit. 306 Nach Scheiger wuchsen die Schulden in den Jahren von 1763 bis 1786 von knapp 43.000 Rtlr. auf 140.000 Rtlr. an. Scheiger, Juden in Berlin, S. 263. Siehe auch die Angaben in der Denkschrift der jüdischen Delegierten (28. Februar 1790) in Friedländer, Akten-Stücke, S. 138f., S. 143. 307 Scheiger, Juden in Berlin, S. 270. 308 Nach den Untersuchungen von Lowenstein wurden die ansässigen Armen der Gemeinde deutlich unter dem Stand der Dienstboten wahrgenommen. Zu ihnen zählten die Witwen, die sich mit eigenem kleinem Hausierhandel, Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielten ebenso wie verarmte Haushaltsvorstände, die um eine Reduzierung bzw. einen Erlass des Schutzgeldes bitten mussten. Ohne Schutzprivileg waren die kleinen Gelegenheits- und reisenden Kleinhändler unterwegs. Sie handelten mit allem, was noch zu gebrauchen war, und lebten dennoch am Existenzminimum: „Nichts blieb den Armen übrig, als in den Dörfern und Städten hausieren zu gehen.“ Da der Schutzstatus erworben werden musste und die Städte Zoll und Einlassgeld erhoben, blieb den Nichtsesshaften und Nichthandelnden als Erwerb nur das Betteln vor den Toren der Städte, auf dem Land und in den Dörfern. Vgl. dazu auch die Beispiele bei Lowenstein, Steven M.: Anfänge der Integration. In: Kaplan, Marion (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. München 2003, S. 125–344, S. 175. Siehe dazu auch die Denkschrift vom 28. Februar 1790 in Friedländer, Akten-Stücke, S. 145.
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eine Summe von zusätzlichen 13.505 Rtlr. die in die preußischen Kassen flossen.309 Nach den Auflistungen im Kommissionsbericht vom 10. Juli 1789 gingen die Gelder an die Hauptstempelkasse (7.334 Rtlr.), die Chargenkasse (3.851 Rtlr.), an das Potsdamer Waisenhaus (782 Rtlr.) und an die Direktorialsportulkasse (1.438 Rtlr.).310 Eine der interessanteren Äußerungen in den Kommentaren der Kommission bezog sich auf die Festlegung der neuen Steuersätze. Man ging davon aus, dass die Besteuerung der Juden in der Vergangenheit nur deshalb in dieser Höhe stattfinden konnte, weil die Juden auch die entsprechend hohen Einkünfte besaßen. Würden die folgenden Generationen in anderen Berufen tätig sein, könnten sie dieser Besteuerung ohnehin nicht mehr ausgesetzt werden.311 Die Autoren verrechneten den Verlust der staatlichen Einnahmen durch den Wegfall der speziellen Judenabgaben mit der zu erwartenden höheren Population an jüdischen Einwohnern, der vermehrten Entstehung an Arbeit, einer erhöhten Industriekapazität und der stärkeren Konsumtion.312 Im Gegensatz zu den Gutachtern der Militärkommission wurde eine höhere jüdische Bevölkerungszahl nicht zu einem Bedrohungsszenario aufgebaut. Dass die Gewährung der Handelsfreiheit nur für die wohlhabendsten Händler gelten sollte, begründete die Kommission mit der Annahme, dass wohlhabende Kaufleute weder Neigung noch Not zum Hökerhandel313 besaßen. Das Mindestvermögen für eine Etablierung in einer Kleinstadt 309 Reformkommission, Juli-Bericht (10. Juli 1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 108. Das Spektrum der Berichterstattung war breit gefächert. Für den Zeitraum nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt entwarfen die Autoren eigene Reformpläne, die der Leserschaft vorgestellt und erläutert wurden. Die bisherige einschränkende Judengesetzgebung wurde von den Autoren als eine Maßnahme verteidigt, die zwar die Juden benachteiligte, aber zur „Erhaltung des Gleichgewichts“ innerhalb der Gesamtbevölkerung notwendig sei. Diese Meinung basierte auf der Annahme, dass die Juden „illoyal, wucherisch, betrügerisch und arglistig“ veranlagt seien. Die sittliche Verbesserung sei daher unbedingte Notwendigkeit der Reform. Siehe dazu Neue Feuerbrände 6, S. 99. Eigene Vorschläge verbanden die Redakteure mit einer Kritik an der Wirksamkeit der Bürokratie. Dazu heißt es: „Von allen diesen Vorschlägen ist aber, bei dem Schneckengang der Verfassung, bis jetzt noch wenig oder nichts realisiert w[o]rden, weil die Collision der verschiedenen in beständigem heimlichen Krieg miteinander liegenden Behörden, solches verhindert ha[b]en und es an Energie gebricht, selbst das, was man [als, Anm. d. Verf.]) richtig anerkannt hat, mit Ernst durch zu setzen.“ Neue Feuerbrände 6, S. 100. 310 Ebd. 311 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 111. 312 Ebd. 313 Die Kontrolle und Beschränkung des Klein- und Hökerhandels, die Kontrolle der Preise und Marktangebote war ständiges Thema in Verordnungen und Beschränkungen, da durch Aufkäufe vor den Stadttoren auch das Preisgefüge im städtischen Verkauf extremen Schwankungen ausgesetzt war. Im Markttreiben selber wurde dieser Handel als Störung für den ordentlichen Markt betrachtet. In Berlin war die Situation der Höker und Kleinhändler nach den gedruckten zeitgenössischen Quellen bei Consentius „armselig und kläglich“. Mit dieser Charakterisierung war
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sollte sich auf mindestens 1.500 Rtlr. und bis zu 15.000 Rtlr. für die Hauptstadt belaufen. Grundsätzlich sprachen sich auch die Mitglieder der Kommission für die Abschaffung der Gewerbebeschränkung aus. Da Hass und Vorurteil ähnlich wirksam waren wie die oft irrige Meinung, dass das, was der Jude durch Sparsamkeit und besondere Industrie gewänne, dem christlichen Kaufmann entzogen werde, sollte eine „nützliche Reform“314 die Gründe für den Wucher beseitigen und die Gewerbebeschränkungen aufheben. Staatliche Eingriffe im Fall von „zu viel[en]“315 jüdischen Händlern in einer Stadt sah die Kommission ebenfalls vor. Die Zulassung zum Ackerbau auf vorwiegend neu zu schaffenden Büdnerstellen sollte nach der neuen Verordnung gewährt werden. Die Verfasser der Denkschrift (1790) bemerkten dazu, dass die Zulassung zum Ackerbau wegen der damit verbundenen Militärdienstpflicht sehr beschränkende Bedingungen enthalte. Sie müsse den jüdischen Untertanen zumindest in derselben Weise wie den Mennoniten gewährt werden.316 Ferner sollten zwischen den jüdischen und christlichen Handwerkern keine Unterschiede bestehen. Solange erstere auf wenige Handwerke beschränkt würden und die christlichen Meister andersgläubige Lehrlinge ablehnen könnten, wäre allein die Erlaubnis zur Lehre in allen Handwerken nicht ausreichend. Ohne eine öffentliche Erklärung, dass die Lehre bei christlichen Meistern auch „gern gesehen werde“,317 bliebe es ohnehin nur dem guten Willen der Zünfte und Meister überlassen, jüdische Lehrlinge auszubilden. Mit anderen Worten: Die Erlaubnis zur Lehre in christlichen Meisterbetrieben implizierte für jüdische Lehrlinge318 weder einen Rechtsanspruch, noch sah sie eine Rechtssider gesamte Kleinhandel gemeint. Die „Höker-Weiber“ führten in der Stadt keine Läden, sondern saßen an den Straßenecken oder in kleinen Buden und erzielten als Zwischenhändlerinnen nur einen kleinen und zur Ernährung der Familien nicht ausreichenden Reingewinn. Consentius, Ernst: Alt-Berlin Anno 1740. Berlin 1907, S. 126. 314 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 120. Die Bezeichnungen Reichsthaler und Thaler werden in den Dokumenten für die gleiche Währung verwendet. 315 Ebd., S. 122. 316 Damit ist die Exemtion vom Militärdienst gemeint. Siehe dazu ausführlicher die Denkschrift vom 28. Februar 1790, zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 160ff. Vgl. dazu ebenfalls Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 317 Siehe dazu die Denkschrift vom 28. Februar 1790. Zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 163. 318 Nach ALR, 2. Teil, 8. Tit., 3. Abschn., §§ 110–124, sollte ein Lehrjunge ohne körperliche Gebrechen oder mangelhafte Verstandeskraft sein. Die eheliche Geburt war keine Voraussetzung für eine Lehre. Die Wahl des Meisters stand den Vormündern oder Eltern des zukünftigen Lehrjungen frei. Fand ein Lehrwilliger keinen Meisterbetrieb zum Lernen, mussten die Zunftältesten für die Unterbringung desselben sorgen. Konnte der Lehrling das Lehrgeld nicht aufbringen, sollte er dem Meister unentgeltlich dienen. Seine Lehrzeit konnte als Anerkennung für fleißiges Lernen auf ein Drittel der gesamten Lehrzeit verringert werden. Dazu war die Zustimmung der Zunftältesten notwendig. Gegenüber dem Lehrjungen war der Meister u. a. dazu verpflichtet,
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cherheit für die Anerkennung der Zertifikation nach Abschluss der Lehre vor. In den nachfolgenden regionalen Verordnungen, in denen sich eine ähnlich vage Formulierung durchgesetzt hatte, zeigten sich die vormals befürchteten Nachteile konkret. Und sie zeigten sich für die Betroffenen und durch die Beliebigkeit der Auslegung auch für die höchsten Beamten bzw. den Souverän. Ein Beispiel: Nach Geiger hatte das Reglement für Süd- und Neuostpreußen (1797)319 die Lehre bei christlichen Meistern320 erlaubt und damit eindringlich die Wichtigkeit der Maßnahme unterstrichen. In der Verordnung wurde die Regelung fixiert, dass ein jüdischer Meister sowohl jüdische als auch christliche Lehrjungen ausbilden durfte. Dort heißt es in Kap. 3, § 12: Ein jüdischer Meister soll die Befugniß haben, gleich einem christlichen, Lehrburschen und Gesellen zu halten, diese aber müssen keine andere als einländische Juden sein, und es soll ihm nicht anders als auf gegebene Erlaubnis von der Cammer, freystehen, Christen in die Lehre und als Gesellen in Arbeit zu nehmen. Auch sollen die jüdischen eben denselben Ordnungen, Einschränkungen und Pflichten wie die christlichen Meister, unterworfen seyn, und überdies neben ihrem Handwerk kein anderes Metier und Gewerbe treiben.321
Nach dem Allgemeinen Landrecht besaßen jedoch nur zünftige Meister das Recht, Lehrburschen anzunehmen und auszubilden.322 Ausnahmen fixierten die §§ 188, 189, die bei Landhandwerkern in kleinen Städten und Flecken zur näheren Bestimmung der Annahme von Lehrlingen und Gesellen die Provinzialverordnungen entscheiden ließen (§ 188). Zimmerleute, Maurer und Schmiede waren hingegen berechtigt, auch wenn sie nicht zur Zunft gehörten, „Gesellen und Jungen zu halten“(§ 189). In der Denkschrift von 1790 wünschten sich die Delegierten für die Zukunft eine Stellungnahme vom preußischen König, aus der hervorgehen sollte, dass es jedem einzelnen Zunftgliede frey stehe, Judenkinder zu unterrichten, ohne daß ein solcher Meister deshalb von der Gilde beeinträchtiget werden könnte, und daß die aus der ihm gründliche Kenntnisse zum Handwerk und Betrieb zu vermitteln, ihn zu guten Sitten und fleißigem Besuch des Gottesdienstes anzuhalten und ihm Lesen und Schreiben beizubringen. Andernfalls dürfte der Meister den Lehrling mäßig züchtigen und unschädliche Züchtigungsmittel gebrauchen. Misshandlungen sollten vermieden werden. 319 Siehe zum Reglement für Süd- und Neuostpreußen Kapitel 5.2 dieser Arbeit. 320 Nach dem ALR, 2. Teil, 8. Tit., 3. Abschn., §§ 247, 251, war als Meister derjenige zu nennen, der nach abgelegtem Meisterstück von der Zunft zu eigener Führung des Gewerbes oder des Handwerkes für tüchtig erklärt und in die Zunft aufgenommen wurde. Zum Meister wurde nur der ernannt, der die gehörigen Lehrjahre, die Zunftmitgliedschaft als Geselle, die Wanderschaft und die notwenige Redlichkeit gezeigt hatte. 321 Vgl. dazu N.C.C., Bd. 10 (1796–1800), Sp. 1061. 322 Siehe dazu ALR, 2. Teil, 8. Tit., 3. Abschn., § 268.
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Lehre gegangenen jüdischen Zöglinge, wenn sie Proben ihrer Fähigkeiten abgeleget, sich überall, ohne jede Einschränkung als Freymeister mit allen Prärogativen der zünftigen Meister ansetzen können.323
Ein staatliches Eingreifen hielten die Delegierten im Fall einer zu starken Besetzung in verschiedenen Handwerkszweigen und Zünften für angemessen. Dort heißt es weiter: „Allein wir überlassen es Eurer Königl. Majestät weisem Ermessen, ob es überhaupt für diejenigen Zünfte und Handwerke, die zu stark besetzt sind, nicht rathsam wäre, sie vor der Hand zu schließen, bis die zu häufige Concurrenz sich verloren hätte.“324 Neue Zünfte dürfte nach ALR 2. Teil, 8. Tit., 2. Abschn., § 182 nur der Landesherr errichten. Die Annahme, dass sich in diesen Paragrafen bereits eine Abkehr von der Zunftpflicht andeutete, trifft jedoch allgemein nicht zu. Die Aufhebung des Zunftzwanges stand nicht unmittelbar auf der Agenda des Preußischen Königs. In einem Güldebrief für das Perükenmacher-Gewerk zu Iserlohn325 (21. April 1789) garantierte er den Mitgliedern in dreißig Artikeln ihre tradierten Rechte. Nach Art. VII sollten nur Mitglieder der Innung Handel treiben dürfen, Kaufleute, Weibsleute und Juden sollten nicht mit solchen Waren Handel treiben, „sondern sobald solches kundt wird, soll es dem Magistrat gebührend angezeiget, und solchen Nahrungsstöhrern nicht allein durch die Raths- und Policeybedienten die Waaren genommen und confiscirt, sondern dieselben dazu noch bestrafet werden […].“326 In der neuen Provinzverordnung für Süd- und Neuostpreußen hatten nach Kap. 3, § 11 des Reglements bei der Beurteilung und der Anfertigung des Meisterstücks327 christliche Sachverständige ihr Urteil abzugeben. War in der Stadt kein Sachverständiger zu finden, musste der Steuerrat einen möglichen Sachverständigen in der nächstgelegenen Stadt bestimmen. Im Verlauf der Umsetzung dieser 323 Denkschrift vom 28. Februar 1790. Zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 129ff., S. 163. 324 Ebd., S. 165. 325 N.C.C., Bd. 8 (1789), Sp. 2463ff. 326 Ebd., Sp. 2465. 327 Nach ALR, 2. Teil, 8. Tit., 3. Abschn., §§ 251–259 musste der Geselle vor der Aufnahme als Meister ein Meisterstück anfertigen, das unter Aufsicht der Ältesten der Zunft, ohne fremde Hilfe, angefertigt werden sollte. Das Werkstück wurde den Zunftgenossen zur Prüfung vorgelegt und durch Mehrheitsbeschluss für tauglich oder untauglich erklärt. Im letzten Fall durfte der Geselle die Arbeit wiederholen. Wer zum dritten Mal ein untaugliches Stück ablieferte, wurde von weiteren Prüfungen ausgeschlossen. Der Abgewiesene konnte jedoch auf eine obrigkeitliche Untersuchung dringen. Wurde nach der Untersuchung einer erneuten Prüfung zugestimmt, wählte der Magistrat eine Zunft aus dem Nachbarort als Prüfungskommission aus. Zog der Landhandwerker in die Stadt und wollte dort sein Handwerk ausüben, konnten die dortigen Zünfte ein erneutes Meisterstück anfordern.
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Verordnungen führten jedoch die Beliebigkeit der Auslegung und der Widerstand gegen die Anordnung auch beim späteren Nachfolger von Friedrich Wilhelm II., Friedrich Wilhelm III., zu einem gewissen Überdruss. Vorausgegangen war, dass jüdische Lehrlinge im Ermland (Wartenburg) zwar bei christlichen Meistern gelernt und ihren Lehrbrief erworben hatten, aber dennoch nicht zur „Ansetzung als Meister“ zugelassen wurden. Im Zuge der Anfragen und Beschwerden zwischen den Petenten und den Ämtern erhielt das General-Direktorium die königliche Anweisung, die Sache nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Der König fügte die Bemerkung mit an: Übrigens haben Se. Majestät bei de[m] ungünstigen Erfolge aller dazu gemachten Versuche, die Juden durch Uebernahme aller Pflichten christlicher Bürger auch aller Rechte derselben empfänglich zu machen, die Idee einer bürgerlichen Verbesserung der Juden im Allgemeinen längst aufgegeben und wollen es daher überall bei der bestehenden gesetzlichen Verfassung bewenden lassen.328
Dass die Gewerksgesetze von den christlichen Gesellen und Meistern durchweg eingehalten wurden, lässt sich zumindest nicht aus den gesetzgeberischen Reaktionen von Friedrich II. herleiten. In einem amtlichen Zirkular von 11. Mai 1770 bestimmte er wie folgt: „Mit besonderem Missfallen haben wir seit geraumer Zeit wahrgenomen, wie viele einländische Gesellen entweder gar nicht zu wandern sich beykommen lassen, oder aber, wann sie ja die Wanderschaft antreten, dennoch nicht die festgesetzte und in denen GewercksPrivilegiis durchgängig bestimmte[n] Wanderjahre völlig aushalten und endigen, größeren Theils auch nach ausgestandenen Lehrjahren lediglich bey ihren Eltern, als Gesellen bleiben, und hiernächst zu Gewinnung des Meisterrechts unter mancherley scheinbaren Vorwänden, die Dispensation von denen ihnen so fehlenden, als nicht angetretenen Wanderjahren, zu erhalten bemühet seyn […]. So wird um diesem wesentlichen Uebel Unsrer Staaten in Zeiten Einhalt zu thun, hiermit ein vor allemahl festgesezzet […], dass niemand, er sey wer er wolle, weiter als Meister bei einem oder andern Gewercke an- und aufgenomen werden soll […], wenn er nicht die festgesetzten Wanderjahre zuvor gehörig innerhalb eines Landes verrichtet, ausgehalten und völlig beendigt hat […].329
Ludwig Geiger deutete die Auseinandersetzungen um die Handwerkslehre als eine Folge mangelhafter Verordnungen und eben solcher Gesinnungen, u. a. weil „in der christlichen und jüdischen Bevölkerung ein niedriger Bildungsgrad vor-
328 KO von Friedrich Wilhelm III. an das Gen.-Dep. (13. September 1803). Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 180. 329 Circular an sämmtliche Cammern, das Wandern der einländischen Gesellen betreffend (Berlin, 11. Mai 1770). In: N.C.C., Nr. 36, Sp. 6781.
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herrschte und bei den Christen die engherzige Auffassung gegen die Juden zu tief saß“.330 Inhaltlich basierte der erste Reformentwurf von 1789 auf den Teilergebnissen aus dem Bericht der Reformkommission vom 10. Juli 1789. Nach dem Juli-Bericht war die Beendigung der Schutzjudenstatuten über den „natürlichen Lebenskreislauf“331 vorgesehen, also über das Aussterben der vormals als „Schutzjuden“ etablierten Einwohner. Unterschiede zeigten sich in der Festlegung der Kantonpflicht für die folgenden Generationen. Im Juli-Bericht sollte die spätere Generation, im ersten Entwurf von 1789 die Generation der aktuell Zwanzigjährigen, zum Dienst herangezogen werden können. Am Dienst selbst änderte sich nichts. Angedacht war der Dienst als Pack- und Hilfsknecht. Unterschiedlich geregelt waren auch die Zuzugsbedingungen für Kaufleute. Nach dem Juli-Bericht sollte die Etablierungsfreiheit auch in bisher nach den Verordnungen untersagten Handelsstädten erlaubt werden.332 In der Formulierung übernahm die Kommission dasselbe Beispiel und damit dasselbe Erklärungsmodell, das im Memorandum (1787) als ein Grund für die Vorurteile und den Hass der konkurrierenden Kaufleute genannt wurde, nämlich dass das, was die kaufmännischen Juden durch ihre besondere Industrie und Sparsamkeit gewännen, dem christlichen Kaufmann entzogen werde.333 Im Entwurf von 1789 galt die Erlaubnis nur für Handelsstädte, in denen noch nicht genügend christliche Kaufleute lebten. Die Empfehlung, die Etablierungsfreiheit auch für bisher keine Juden duldende Städte wie Magdeburg, Elbing, Stettin oder Ruppin zu gestatten, wurde in Rücksicht auf befürchtete Konkurrenz oder den Unwillen der christlichen Kaufleute nicht übernommen.334 In ihren Maßstäben und Erwartungen an die jüdischen Einwohner orientierten sich die Mitglieder der Kommission auch am Beispiel der angesehensten preußischen Migrationsgruppe, den Nachkommen der Réfugiés. Allerdings in einer unerwarteten und neuen Form. Sie beschrieben die Sonderverfassung der Réfugiés in der kirchlichen- und der Armenverfassung ebenso wie in der Sondergerichtsbarkeit als Ursache dafür, dass sich die seit hundert Jahren Ansässigen immer noch in ihrem „Charakter, ihren Maximen und Sitten von den deutschen Einwohnern merklich unterscheiden“.335 Nach diesen Erfahrungen würde die Aufhebung der solidarischen Haftung unter dem Aspekt der Anpassung durchaus notwendig sein, wenn nicht, und hier kommt die Einschränkung, 330 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 179. 331 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 118. 332 Ebd., S. 120. 333 Ebd. 334 Ebd. 335 Ebd., S. 115.
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die gesellschaftliche Einrichtung der französischen Kolonie „dem Staat nur halb so gefährlich wie die Jüdische wäre und nicht dieselbe sogar die Verbesserung der alten Einwohner verursacht hätte“.336 In dieser Beurteilung gab die Bewunderung und Anerkennung gegenüber dem französischen Lebensstil in Sitten und Kultur den Ausschlag für einen in der Sache völlig identischen Sachverhalt. Die Anpassung und eine spätere „Amalgamation“ mit der Mehrheitsgesellschaft blieb zwar erwünscht, konnte aber im Hinblick auf die kulturelle Überlegenheit der zugereisten Bevölkerungsgruppe relativiert und deutlich großzügiger ausgelegt werden. Hier galt der Maßstab im umgekehrten Sinn. Die Mehrheitsgesellschaft sollte sich am Vorbild der Nachfahren der Réfugiés orientieren. Diese Wertschätzung galt nicht allen französischen Migranten. Der Berliner Theologe Friedrich Schleiermacher beklagte in einem Brief über das Sendschreiben an Propst Teller, dass das geringe Wissen der Absender über christliche Glaubenssätze vergleichbar wäre mit dem von zugereisten Franzosen nach dem Ausbruch der Französischen Revolution, „die nun schon zehn Jahre unter uns leben, und noch immer kein ordentliches Wort Deutsch lernen wollen“337 (1799). An späterer Stelle des Berichts, in der Zusammenfassung der zehn Grundsätze,338 kam dieser Punkt nochmals ins Gespräch.339 Beispielhaft und damit als nachahmenswert und förderungswürdig wurde die Anpassung der auf dem Land und vereinzelt lebenden Réfugiés an die christliche Gesellschaft beurteilt und damit als Argument für die Individualisierung und gegen die Haftung in solidum gedacht. Der wesentlichste Bezugspunkt der Reformkommission blieb jedoch die Gemeinde in Berlin. Das betraf die Einkommensverhältnisse und Ausgaben der Berliner Gemeinde, ihre Schuldenlast gegenüber dem Staat und die sich daraus ergebende finanziell prekäre und schwierige Situation. Die Abhängigkeit der Finanzierung von den Sonderzuwendungen und regulären Gemein336 Ebd. 337 Schleiermacher (24. April 1799). Gedr. in Meckenstock (Hrsg.), Kritische Gesamtausgabe: Schriften aus der Berliner Zeit, S. 339ff., S. 342. 338 Es handelt sich im Hinblick auf die geplante Gesetzgebung um folgende Vorschläge: 1. Vereinzelte und nicht in Mengen durchgeführte Ansetzungen; 2. Äußere Angleichung über ein Verbot der langen Bärte; 3. Tragen von beständigen Geschlechtsnamen; 4. Erlernen der deutschen Schrift und Sprache in den Schulen; 5. Stärkere Beobachtung von kriminellen Vergehen und verbotenen Gewerken, aber Aufhebung der solidarischen Haftung; 6. Geldverleih gegen Zinsen nur von qualifizierten Finanziers; 7. Schutz vor Verspottung und Beleidigungen auf dem Land durch die Obrigkeit; 8. Der Name „Jude“ wird durch andere Benennung ersetzt und unterbleibt bei der Anrede. 9. Öffentliches Arbeiten an Sonn- und Feiertagen soll unterbleiben. Arbeiten im Hause fallen nicht darunter. 10. Fremde Juden dürfen sich mit einem Privatvermögen von 50.000 Thlrn. im Land etablieren. Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S. 72. 339 Ebd., S. 65.
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desteuern der reichen und wohlhabenden Juden kam im Bericht ebenfalls zur Sprache. Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den wohlhabenden jüdischen Familien, die ihren Kindern eine moderne Bildung zukommen ließen, sprach der Bericht ebenfalls aus. Für die Reformkommission sollten diese Familien nicht nur als Vorbild für die jüdischen, sondern auch für die christlichen Familien gelten.340 Im Juli-Bericht der Reformkommission wurden die Beschwerden und die Folgen der Übersteuerung und Überschuldung kaum ernst genommen. Als mögliche Entlastung wurde vielmehr eine Minimierung der Kosten für die soziale Organisation der Gemeinde vorgeschlagen (Reduzierung der öffentlichen Angestellten und der Ausgaben für das Jüdische Lazarett). Das Lazarett sollte zukünftig nicht von „fremde[n] Betteljuden“341 frequentiert werden, und die Verwaltung und Aufsicht sollte eine christliche Direktion übernehmen. Die bisherigen Kosten sollte allerdings nach wie vor die jüdische Gemeinde aufbringen. Zu den über 140.000 Thalern an Gemeindeschulden in Berlin bemerkte die Kommission: Haben die hiesigen Judenältesten den 16 ten December erfordertermaßen den Vorschlag gethan, wie durch extraordinairen jährlichen Beitrag in 10 Jahren die ganze Schuldenmasse der berlinischen Gemeinde zu tilgen sei. Wider diesen Plan und die dabei erbetenen Bedingungen finden wir nichts zu erinnern. Nur würde eine christliche Commission mit Zuziehung einiger Juden zur Regulirung, Betreibung, Anwendung und Berechnung des Gemeindeschuldentilgungsfonds anzuordnen seyn, weil sonst dieser Gegenstand eine solidarische Gemeinschaft zwischen den Juden unterhalten würde, die doch durchaus ihrer Umschaffung im Wege ist.342
Als fiskalische Übergangslösung schlug die Judenreformkommission vor, die bisher nach dem nexus solidarius gezahlten jährlichen Steuern in Höhe von 46.700 Thlrn. gemeinsam mit den Einkünften der preußischen Kassen aus Sonderzuwendungen zusammenzulegen und den preußischen Juden zur Zahlung aufzuerlegen. Die tatsächliche Neuerung bestand im Individualisierungsmodell, nach dem „ein jeder nur noch für sich selbst haften konnte und durfte“.343 Die Schulden blieben von dieser Berechnung unberührt und sollten als weiterer Posten dazu addiert werden. Auch die Judenreformkommission votierte für eine langfris340 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S. 71. 341 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 114. 342 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 115. Die hohe Schuldensumme basierte u. a. auf dem mit 70.000 Thlrn. erkauften Privileg, das zweite Kind in der Familie über das Schutzpatent des Hausvaters etablieren zu dürfen (1763). Dieser Kauf wurde von der Berliner Gemeinde vorfinanziert und unter Protest der Gemeinden in der Uckermark und der Pri[e]gnitz repartiert. Vgl. dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 91ff. 343 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 6, S. 110.
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tig Kosten ausgleichende Lösung. Die zukünftige Entwicklung des Steueraufkommens stellte für die Kommission allerdings keinen Grund zur Besorgnis um die allgemeinen Finanzen dar und ebenso wenig sollte aufgrund dieser Befürchtungen die Reform ausgesetzt werden.344 In beiden Schriften standen die fiskalischen Interessen im Vordergrund. Zwar hatte sich der Juli-Bericht auch mit der Frage der moralischen und sittlichen Verbesserung befasst und darüber hinaus auch die Anregungen und Wünsche aus dem Pro Memoria von 1787 mit berücksichtigt. Aber wie im Juli-Bericht war auch im Entwurf (1789) das Modell einer etatistisch angelegten rechtlichen Gleichstellung favorisiert worden. Konkret hieß das nach dem Bericht, dass erst nach einem Zeitraum von sechzig bis siebzig Jahren davon ausgegangen wurde, dass „die Juden in allen, bis auf wenige, dem Staat ganz unschädliche und gleichgültige Religionsdifferenzen, den Christen durchaus gleich sein [würden]“.345 Erst dann sollte die rechtliche Gleichstellung erfolgen, die die Einschränkungen im Gewerbe und in den Rechten gänzlich aufheben würde.346 Als Größeneinheit ging die Kommission von der Zählung der „Seelentabelle“ vom 2. April 1789 aus, nach der exklusive der Provinzen Schlesien und Westpreußen 13.179 jüdische Untertanen in Preußen lebten. Nach dieser Aufgliederung lebten als schon angesetzte Schutzjuden und publique Bedienstete 2.398 Juden im Land. Da sie in ihrer jetzigen Verfassung bleiben sollten und das Recht zur Ansetzung des zweiten Kindes besaßen, nahm die Kommission an, dass sie „sich in der Folge stark vermehren [würden].“347 Als Bevölkerungsteile, die für die Ausarbeitung der neuen Verfassung keine Rolle spielten, galten die 4.890 Witwen und ihre Töchter ebenso wie die 1.939 Personen, die als Hausgesinde arbeiteten. Da von ihnen keine Veränderung ihres wirtschaftlichen Nahrungzweiges erwartet wurde, war ihre Anzahl für die Berechnungen unerheblich. Nach Aussage der Kommission konnten fehlerhafte oder falsche Berechnungen bei den Kammern nicht ausgeschlossen werden. Die folgende Kalkula344 Ebd. „Überhaupt halten wir in Rücksicht auf die Finanzen für ungezweifelt, dass der künftige Verlust der besonderen Judeneinkünfte, mit der zu erwartenden größeren Population dieses Volks, der vermehrten Masse von Arbeit, der erhöhten Industrie, der stärkeren Consumtion und daher sowohl als von ihren Gewerben erwachsenden mehreren Einnahmen in keinen Vergleich zu setzen sei, und also die besondern Abgaben der Juden einer Veränderung ihres jetzigen eingeschränkten Zustandes keinen Anstand geben dürfen.“ 345 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S. 72. 346 Ebd. 347 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S. 73. Die Gesamtzahl der jüdischen Einwohner wurde nach Reinhold Lewin für das Jahr 1787 mit ca. 32.000 Personen angegeben. Nach der zweiten Teilung Polens (1793) soll sich die Zahl um 53.000 Personen erhöht, also nach dieser Schätzung auf ca. knapp 85.000 Personen belaufen haben. Reinhold Lewin gibt dazu auch eine offizielle Schätzung des Geh. Oberfinanzrats Göckel an, der in einem Brief vom 11. Juni 1793 von nahe an 150.000 Juden spricht. Lewin, Die Judengesetzgebung, S. 475.
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tion erfolgte auf der Annahme, dass ein Drittel der 3.952 unvergleiteten Männer sich aus Armut vielleicht ebenfalls zum Gesinde verdingen würden und daher ca. 2.635 Männer zukünftig als Kaufleute, Landleute, Handwerker, Künstler oder Gelehrte ihren Unterhalt suchen „und den Christen mit jenen Gewerken keinen merklichen Schaden thun [würden]“.348 Nach dem Juli-Bericht der Kommission war die ungefähre Anzahl der männlichen und im berufs-, erwerbs- und dienstfähigen Alter stehenden Personen wichtig, weil diese potentielle Erwerbsgruppe zwar einerseits als Konkurrenz wahrgenommen wurde, regional jedoch nach Bedarf eingegrenzt tätig werden sollte, und in diesen Fällen als nützliche Ergänzung und Notwendigkeit zum Erhalt oder zur Steigerung der ökonomischen Produktivität und der Finanzkraft der Provinz beitragen konnte.349 In diesem Sinne von ganz unterschiedlich motivierten Schriften zu sprechen wäre nach Ansicht von Reinhold Lewin (1913) dennoch voreilig. Beide Schriften hatten Kameralisten350 entworfen, die die fiskalischen Interessen in den Vordergrund stellten und diese Priorität in der Anordnung der Artikel auch herausstrichen. Nach seinen Untersuchungen ist es „deshalb kaum angebracht, von einem Kampf zwischen Aufklärung und Vorurteil zu sprechen“.351 Urteilte die Kommission auch menschlich wohlwollender in ihrem Juli-Bericht,352 so blieb der Auftrag für die ausgebildeten Kameralisten nach dem Grundsatz der Vermeidung finanzieller Nachteile für die preußischen Kassen für beide Kommissionen verbindlich. Der feinere Unterschied bezog sich auf die Gewichtung der Mehr- und Minderheitenrechte. 348 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S.73f. 349 Nach den verwendeten „Special-Juden-Tabellen“ lebten in den Marken und in Pommern mehr Juden als in den übrigen Provinzen. Nach diesen Angaben lagen die Zahlen für Berlin, Frankfurt und Stargard, Halberstadt und Halle am höchsten. In Königsberg lebten ca. 791 Juden, in Litauen nicht mehr als 70 und in Ostpreußen (ohne Königsberg) nur 31 Juden. Nach diesen Zahlen lebten in Westpreußen mit dem Netzedistrikt die meisten Juden. Angedacht wurde auch für diese Gebiete eine Etablierung im Fabrikwesen, in den Handwerken und in der Landbesiedlung. 350 Nach der Beurteilung von Heinz Kathe, „Soldatenkönig“, S. 101, war das Spektrum der Ausbildung relativ weit gefasst und bezog sich nicht nur auf statistische und steuerliche Berechnungen: „Die Kameralwissenschaft war eine Form der Volkswirtschaftslehre, die sehr verschiedene Wissenszweige – Wirtschaft, Finanzen, Staatsverwaltung und Bildungswesen – einschloss. In Halle erhielt den Lehrstuhl der Kriegs- und Domänenrat Simon Peter Gasser, in Frankfurt der Historiker Justus Christoph Dithmar. Beide Professuren (1727) für Ökonomie, Polizei und Kammersachen stehen am Beginn der Tradition der Kameralwissenschaft an deutschen Universitäten.“ Das Interesse an der Erziehung scheint demnach durch den Zuschnitt des Studiums gelegt worden zu sein. Die Frage, inwieweit sich die Staatsbeamten durch ihre Ausbildung zur Erziehung der Nation berufen fühlten, muss eine gesonderte Untersuchung ergeben. 351 Lewin, Judengesetzgebung, S. 221. 352 Lewin spricht von zwei Grundvoraussetzungen: Vertrauen in die Vaterlandsliebe der Juden und Kompatibilität der jüdischen Religion mit den Pflichten des Bürgers. Lewin, Judengesetzgebung, S. 222.
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Die Judenreformkommission legte Wert auf die Feststellung, dass nach ihren Vorschlägen „keine merklich nachtheilige Sensation für Juden und Christen wenigstens im allgemeinen entstehen“353 sollte. Eine gesellschaftliche und ökonomische Verträglichkeit also für beide Interessengruppen möglich und dem entsprechend auch real denk- und planbar sei. Deutlich wurde jedoch, dass Christen und Juden in Preußen als Gegensatzpaar verstanden wurden, die nach Ansicht der Kommission in unterschiedlichen Gesellschaften lebten und von unterschiedlichen Interessen geleitet würden. Offiziell wurde nicht von einer Gleichwertigkeit der Interessen ausgegangen. Im ersten Reformentwurf von 1789 war auf eine einleitende und Grundsätze formulierende Präambel verzichtet worden. Es handelte sich lediglich um einen Entwurf und um kein fertig gestelltes Gesetz. Deutlich wurde jedoch, dass der Monarch in der Ansprache an die Betroffenen die vorgesehene Reform lediglich als eine Teilrefom betrachtete, die „Erleichterungen und bestimmte Vorrechte“354 enthalten sollte. Für die Berliner Deputierten blieb der Maßstab der Beurteilung die volle Gleichberechtigung. Eine Teilpartizipation oder ein etatistisch angelegtes Gesetz hob die Diskriminierung in den sozialen und ökonomischen Lebensbereichen nicht auf. In ihrer Argumentation gingen die Berliner Delegierten daher aufs Ganze und agierten nach dem Motto „Alles oder nichts“: „[…] so müssen wir mit tief gekränktem Herzen einen Wunsch äußern – einen schrecklichen Wunsch – in den aber doch alle Mitglieder der Kolonie einstimmen werden; n[ä]mlich den: daß […] Majestät geruhen möchten, uns in der alten Verfassung zu lassen […]“.355 Das Ziel der Reforminitiave blieb, „die Kolonie, mit Abnehmung aller Lasten, und Ertheilung aller Freyheiten gleich andern Unterthanen, auch allen den persönlichen Diensten und Pflichten derselben zu unterwerfen“.356
4.7 Der 2. Reformentwurf (1792) Zwei Jahre nach dem ersten Entwurf legte das General-Direktorium den zweiten Entwurf (24. Februar 1792)357 zu einer Verbesserung des – nach wie vor geltenden 353 Reformkommission, Juli-Bericht (1789). In: Neue Feuerbrände 9, S. 72. 354 Siehe dazu Dok. B. im Anhang. 355 Denkschrift vom 28. Februar 1790. Zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 182. 356 Friedländer, Akten-Stücke, S. 183. 357 Ein Entwurf zur „Declaration“ ist einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.),Tit. LVII: Juden.Sachen, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 39–52. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 75ff. Nach einer Aktennotiz von Wloemer wurden die Deputierten Isaac Daniel Itzig, Liepmann Meyer Wulff, David Friedländer, und die Oberlandesältesten Daniel Itzig und Jacob Moses zu einem Kommentar aufgefordert. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 172.
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– General-Juden-Privilegs von 1750 vor, zu dem die Gesetzkommission ihr Gutachten erstellte (2. April 1792).358 Der Beurteilungsrahmen war vom preußischen König bereits auf „Form, Fassung und zweckmäßige Vollständigkeit der entworfenen Declaration“359 zugespitzt worden. Diese Einschränkung, nur die legislativ notwendigen Schritte einleiten zu dürfen, wurde im Gutachten der Kommission etwas säuerlich zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es: Wäre es Eurer Majestät gefällig gewesen, unser Gutachten über die Reform selbst zu erfordern, so würden wir verschiedene Abänderungen in Vorschlag gebracht haben, wodurch unseres Erachtens die Reform der Juden zweckmäßiger und den Christen minder nachtheilig geworden wäre. Auch das daraus zu besorgende Mißvergnügen unter den letzteren hätte vermindert werden können.360
Inhaltlich schloss sich die Gesetzkommission der Ansicht des General-Direktoriums über die Beibehaltung des Zunftzwanges an. Immerhin wurde im Gutachten der Gesetzkommission mitgeteilt, dass sich dieses Votum nicht einstimmig ergeben hatte. Nicht die Mehrheit, aber ein großer Teil des Kollegiums wollte die Juden weiterhin von den Zünften ausschließen. Zu den Unterzeichnern des Gutachtens gehörte auch Friedrich Leopold (v.) Kircheisen, der als einziger Beamter die Initiative fast von Beginn an bis zum Inkrafttreten des Gesetzes (1812) begleitete und kommentierte.361 Einigkeit herrschte in beiden Gremien über die Zulassung zu Wissenschaften und Künsten, der Erlaubnis zur Siedlung in Stadt und Land auf vorgeschriebenen Grundstücken und zur Pachtung von Grundbesitz auf kantonfreien Stellen. Für eine langfristige Individualisierung der Steuerleistung nach Einkommen und Vermögen, ohne die Summe der Zahlungen zu verringern, votierten ebenfalls beide Kommissionen. Erst die kommende Generation sollte keine Sondersteuern mehr zahlen. Die Unterweisung der Kinder in der deutschen Sprache war ebenso unumstritten wie zukünftig beständig zu führende Familiennamen. Die solidari358 Siehe dazu das Gutachten der Gesetzkommission über den Entwurf der „Declaration“ in: GStA PK, II. HA. Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 33–38. Siehe dazu auch die Kritik des Justiz-Dep. vom 20. April 1792, gez. von den Ministern Carmer, Reck und Woellner. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 2, S. 28–32. 359 Vgl. dazu den Spezial-Befehl von Friedrich Wilhelm II. „an die Gesetz-Kommission betreffend die Declaration des General-Juden-Reglements“ (23. Februar 1792). In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX, Nr. 7 (1792), Bl. 2. 360 Die Gesetzkommission verstand ihren Bericht als Gutachten über den Entwurf zum „General-Juden-Reglement“. Siehe dazu GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX, Nr. 7 (1792), S. 25ff. 361 Siehe zu Friedrich Leopold (v.) Kircheisen (1749–1825) Anlage 2: Biografien. Seit 1787 war er Direktor des Kammergerichts und Mitglied der Gesetzkommission. Siehe zu seinem weiteren Werdegang bis zum Justizminister (1810) auch Straubel, Handbuch, S. 486 und Kap. 8.4 dieser Arbeit.
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sche Haftung wurde vom General-Direktorium als „gehässige Absonderung“362 und dem Fortschritt der Kultur als „entgegen gesetzt“363 verstanden. Die Ergänzungen der Gesetzkommission erfolgten in der Frage zur Aufhebung der solidarischen Haftung. Man gab zu bedenken, dass mit der Aufhebung der solidarischen Haftung auch die Aufhebung von Vertragsschlüssen der Gemeinde als Gesellschaft/Korporation verbunden war und damit keine verbindlich rechtskräftigen Verhandlungen und Geschäfte mehr stattfinden konnten. Andererseits sollte die gemeinsame Religion nicht der Anlass für die Haftung in solidum sein und daher für ganz unschuldige Mitglieder aufgehoben werden.364 Deutlich different zeigte sich das Gutachten der Gesetzkommission in der Frage der Zulassung zum Berufsbeamtentum und zum Erwerb von Grundbesitz. Der Zugang zu Amt und Besitz wurde hier nicht als Recht, sondern als Vorzug verstanden, den sich die christlichen Einwohner durch ihre Vorfahren und deren „Aufopferung ihres Vermögens und Lebens“365 verdient hatten.
Abb. 4: Friedrich Leopold (v.) Kircheisen (1749–1825), preußischer Staatsrat, Justizminister (ab 1810) und Gutachter der Reformentwürfe von 1792, 1808 und 1811.
362 Reformplan des Gen.-Dir. (24. Januar 1792) . In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 166ff. 363 Ebd. 364 Gutachten der Gesetzkommission (2. April 1792). Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 82–91. Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 83. 365 Ebd.
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Fand sich im Entwurf von 1789 kein Wort über die Ausführungen des Memorandums von 1787, so änderte sich dies in der Deklaration von 1792. In der Präambel der Deklaration folgte der Monarch der Argumentation, die im Memorandum von 1787 als Ursache für die elende Situation der preußischen Juden beschrieben worden war.366 Die friderizianische Gesetzgebung von 1750 wurde als Grund für die jetzigen Lebensumstände der Juden anerkannt. Auch die Schlussfolgerung, dass eine Beibehaltung dieser Gesetzgebung zum Verderben der Juden führen musste, erkannte Friedrich Wilhelm II. an. Dass die darüber hinaus verursachten Folgen auch für das Staatswesen von nachteiligem Einfluss wären, war ebenso unumstritten. In der Tendenz sollte die Deklaration als Korrektur der Gesetzgebung unter Friedrich II. verstanden werden, obwohl die finanzielle Sonderbesteuerung weiterhin Bestand haben sollte. Unter Berufung auf seine Autorität als Landesherr erklärte Friedrich Wilhelm II. es daher für seine Pflicht, unter dem Aspekt der Vorsorge, die Verfassung zu ändern und zu verbessern. Die Grenzen der Gesetzgebung wurden bereits in der Präambel deutlich. Friedrich Wilhelm II. erklärte, dass es seine Aufgabe sei, „alle Unsere getreuen Unterthanen ohne Unterschied, sowie es die Verhältnisse derselben gegen einander verstatten, und jeder besonders dazu fähig ist, in ihrem Zustande zu verbessern […]“.367 Vorbehalte gegen eine Gleichsetzung aller Untertanen konnten nach dieser Formulierung mit dem unterschiedlichen gesellschaftlich-rechtlichen Stand und dem Leistungsvermögen gerechtfertigt werden. In diesen einleitenden Worten wurde daher bereits signalisiert, dass die Deklaration von 1792 wie der Entwurf von 1789 Verbesserungen, aber keine Rechtsgleichheit vorsah. Gründe hierfür lassen sich auch aus der persönlichen Haltung des Königs ableiten. Traditionelle oder auch typische Grundformen sozialer Kategorisierungen und stereotyper Wahrnehmungen finden sich auch bei Friedrich Wilhelm II. Da der Souverän seinen jüdischen Untertanen jedoch zugestand, dass ihr Verhalten von externen, also äußeren Bedingungen bestimmt wurde und weniger von inneren Dispositionen, vermied er Verzerrungen in der Wahrnehmung und der Beurteilung seiner jüdischen Untertanen. Gleichzeitig bewertete er die Mitglieder der eigenen Bezugsgruppe in ihrem Nutzen für den Staat großzügiger und positiver als die Juden. In diesem Vergleich wurde das positive Selbstbild zum Maßstab für die
366 Declaration des General-Juden-Privilegii und Reglements vom 17. April [1750, Anm. d. Verf.] und der nachherigen das Juden Wesen betreffenden Verordnungen ( 24. Februar 1792). In : GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 39–52. Gedr. bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 347–357. 367 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 347.
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Bewertung der anderen, die in den meisten Fällen, und in diesem Verhältnis betrachtet, schlechter beurteilt wurden.368 Der Grundsatz der Toleranz implizierte keine rechtliche Gleichsetzung. Toleranz wurde als eine vorwiegend moralische Kategorie verstanden, die zwar Gesetzgebungen betiteln, aber nicht als bürgerliches Recht wirken konnte. Denn Recht wurde auch zur Zeit von Carl Gottlieb Svarez als objektiver d. h. vernunftdeterminierter Erkenntnisprozess verstanden, der sich nicht aus subjektiv-moralischer Überzeugung ableiten sollte.369 Diese Trennung sollte die grundsätzlich zu unterscheidenden Eigenschaften des Rechts als justiziable und der Moral als unverbindliche und beliebige Kategorie betonen. Für die gesamte Untertanenschaft galt es, die Staatszwecke „allgemeine Ruhe, Sicherheit und Glückseligkeit“370 zu gewährleisten. Wiederum definierte Svarez in seinen Vorträgen, dass es u. a. zur Pflicht des Gesetzgebers gehöre, „1. Alle seine Gesetze nach dem allgemeinen Besten abzumessen; […]; 3. Nie die Wohlfahrt der größeren Zahl seiner Unterthanen dem Vortheile einiger weniger auf zu opfern.“371 Diesem Zweck unterlag auch die neue Gesetzgebung. In den folgenden dreiunddreißig Artikeln der Deklaration konnte mit der Argumentation, zum allgemeinen Besten zu wirken, die Beibehaltung verschiedener finanzieller Belastungen und beruflicher Zurücksetzungen der jüdischen Preußen gerechtfertigt werden.372 Art. 1 sah den Erhalt der gesamten bisher zu zahlenden Steuerleistung vor. Der Gesetzgeber betonte, dass diese Regelung zwar keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung darstellte. Die Geldsumme sollte individua368 Siehe dazu Bergmann, Werner: „Vorurteile“ In: Benz, W. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3: Begriffe, Theorien, Ideologien. Berlin/New York 2010, S. 343–346, und Bergmann, Werner: Was sind Vorurteile? In: Informationen zur politischen Bildung. H. 271: Vorurteile-Stereotype-Feindbilder. Bonn 2001, S. 3–9, 5f. 369 Diese Trennung zwischen Recht und Moral hatte nach den Untersuchungen von Peter Krause bereits Pufendorf begründet. Vgl. dazu Krause, Peter: Naturrecht und Kodifikation. In: Ders. (Hrsg.): Vernunftrecht und Rechtsreform. Hamburg 1988, S. 7–29, S. 7. Der scheinbare Vorteil dieser Trennung liegt in der Reduktion der Kritik auf Fragen der Rechtmäßigkeit, die für den Einzelnen einen größeren Freiraum bedeuteten. 370 Zit. n. der Ausgabe von Peter Krause: Carl Gottlieb Svarez. Die Kronprinzenvorlesungen 1791/1792. Stuttgart/Bad Cannstatt 2000, S. 47. 371 Svarez, zit. nach Krause, Svarez, S. 540. 372 In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 39–52. Siehe dazu auch die Gutachten in: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX, Nr. 7 (1792): (23. Februar 1792) „Ad Rescriptum vom 23. Februar 1792 wegen Deklaration des Gen. Jud. Reglements“: 1. Gutachten (18. März 1792) bezieht sich auf Art. 3–5, 13, 17,18, 20–22, 28, 29, 30, 31; 2. Gutachten (Kircheisen) kommentiert Art. 2–5,7, 9, 12, 13, 17, 18, 21–24, 26, 27, 29–32; 3. Gutachten (Votum wegen der Judenreform vom 29. März 1792) kommentiert Art. 6–8, 11–14, 18, 22–25, 27–29, 32; das 4. Gutachten (2. April 1792) wurde von der Gesetzkommission erstellt. Eine Kopie ist bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 82ff. einzusehen.
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lisiert, nach dem jetzigen Vermögensstand taxiert und ein Leben lang jährlich gezahlt werden. Damit sollte die solidarische Haftung überflüssig werden. Die Abschaffung der „solidarische[n] Verhaftung“373 für Abgaben, Diebstähle und Hehlerei war zum Juni 1792 geplant. Sollte ein Mitglied der jüdischen Gemeinde aus dem Verbund ausscheiden, erlosch sein steuerlicher Anteil, der damit nicht mehr auf die Steuerleistung der sonstigen Mitglieder der Gemeinde umgelegt werden sollte. Regionale Sondersteuern für die Gemeinde blieben nach Art. 2 erhalten. Ein Erlöschen der noch offenstehenden Summen aus Abgaben und Sondersteuern wurde nicht vorgesehen. Binnen zehn Jahren sollten die Schulden gemeinschaftlich abgetragen und notfalls von den folgenden Generationen übernommen werden (Art. 5).374 Auch die Gemeindeschulden an Dritte sollten in der solidarischen Haftung beglichen werden (Art. 4). Art. 3 betraf die Etablierung und damit das Aufenthaltsrecht der Kinder. Die jetzige erwachsene Generation sollte noch unter die Bedingungen des Schutzjudentums fallen und nicht mehr als zwei Kinder auf den Schutzbrief ansetzen dürfen.375 Zwischen den Zeilen wurde der Charakter dieser Zwischenlösung deutlich. Damit war die Generation von der Interimslösung betroffen, die nach Ansicht der Gesetzgeber nicht mehr „eine andere Lebens- und Gewerbsart lernen und ergreifen“376 und damit in der kritisierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz verhaftet blieb. Die folgenden Artikel beschränkten die Zahl der publiquen Bediensteten und Rabbiner (Art. 6, 7, 8, 10) und beließen die Armenfürsorge in der Finanzierung und Versorgung durch die jüdische Gemeinde (Art. 9). Da die Ämter der Ältesten als Einrichtungen der Steuerrepartition verstanden wurden, sollte ihre Existenz mit der Übernahme der Steuerverteilung unter obrigkeitliche Aufsicht (Art. 11) beendet werden (Art. 12). Der Ritual- und Synagogen-Zwang durch die Rabbiner sollte nach Art. 13 aufgehoben und private Bethäuser nur mit Sondererlaubnissen gestattet werden. Art. 14 bezog sich auf die zukünftig erlaubten Professionen der jetzigen Kinder-Generation: 373 „Declaration“ vom April 1792. Zit. nach Geiger, Juden in Berlin, Bd. 2, S. 347–357, S. 347. 374 Siehe zu den Schuldenlasten der Berliner Gemeinde (1794) auch GStA PK, II. HA Abt. 14, Tit. CCXXXII, Nr. 41. Die Schuldenlasten der einzelnen Judenschaften differierten je nach Standort, Größe, Einkommen und Ausgaben zum Schutz der Gemeindemitglieder erheblich. Vgl. dazu auch die Ausgaben und Schulden der Gemeinde in Posen in Kapitel 5.3 dieser Arbeit. 375 Siehe zur Verteilung der von der Judenschaft aufzubringenden 70.000 Rtlr. für die Erlaubnis zur Ansetzung des zweiten Kindes auch: GStA PK, I. HA Rep. 104, IVB, Nr. 15. Ebenfalls in den Akten des Generalfiskalats einzusehen sind: Generaljudentabellen aus allen Provinzen nach folgenden Kategorien: Getraute, gestorbene und geborene Juden; naturalisierte, privilegierte oder tolerierte Schutzjuden; Hausbesitzer; Witwen und Waisen; Dienstboten und Synagogenbeschäftigte; Jungen, Mägde und Knechte der Schutzjuden in den Städten und auf dem Land. 376 „Declaration“ (1792). Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 348.
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Diese sollen nicht nur zum Handel mit allen Waren, welche von christlichen Kaufleuten geführt werden können, sondern auch zu allen Wissenschaften, Künsten, Professionen und anderen, sowohl städtischen wie ländlichen Gewerben, die den jetzigen Schutzjuden verboten sind, zugelassen werden, und obgleich dieselben keine Mitglieder in Landes- und Magistrats-Collegiis sein und werden können, so behalten Wir Uns doch vor, diejenigen, die sich durch ausgezeichnete Rechtschaffenheit und Talente empfehlen werden, zu solchen andern Bedingungen […] zu brauchen.377
Die Ausnahmen und Einschränkungen bezogen sich in vier Ausführungsvorschriften 1. auf Städte und Orte, in denen Juden kein Etablierungsrecht besaßen; 2. auf die Aufnahme in Zünften, Gesellschaften, Korporationen, die nach eigenem Recht die Aufnahme verweigern konnten; 3. auf den Erwerb von Grundbesitz/ Häusern in den Städten, in denen die erlaubte Anzahl im Judenbesitz bereits erfüllt war, so dass nur wüste Stellen ohne Bebauung angekauft und bebaut werden dürften; und 4. auf den Erwerb von Grundstücken christlicher Einwohner auf dem Land. Der Besitz und die Bebauung von „wüsten Stellen“ bezog sich hierbei auf brachliegende Grundstücke, die nicht bebaut, nicht eingezäunt und nicht als Gärten in Benutzung waren. In Berlin hatte in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm I. eine rege Bebauung dieser wüsten Stellen begonnen. Mit der Enteignung unbebauter Flächen, mit Steuervergünstigungen und kostenlosen Baumaterialien, mit Privilegienzugeständnissen für die Bereitschaft zum Bau von Häusern und mit der ausdrücklichen Aufforderung an Minister, Hofwürdenträger, Staatsdiener und wohlhabende Bewohner, ein möglichst stattliches Haus zu bauen, förderte Friedrich Wilhelm I. den Ausbau zur repräsentativen Residenzstadt.378 Die jüdischen Einwohner blieben von dieser Förderung ausgenommen. Obwohl die Bebauung der wüsten Stellen zu einer Prämisse im Ausbau der Residenzstadt wurde, blieb der Besitz an eigenen Wohnhäusern für die jüdischen Berliner auf die Anzahl von vierzig unter Friedrich Wilhelm I., von zusätzlichen zwanzig Häusern unter Friedrich II. und insgesamt siebzig Häuser zur Zeit Friedrich Wilhelms II. begrenzt.379 377 Ebd. 378 Vgl. dazu die Ausführungen bei Consentius, Alt-Berlin, S. 13ff. Siehe ebenso Schneider, Louis: Das Palais Sr. K. H. des Prinzen Albrecht von Preußen. In: Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin, H. 3 (1870), S. 3–10, S. 3f. Siehe dazu auch die Tätigkeit der eingesetzten Bau-Commission (1721) und das Ende der Baulust mit dem Gerücht, dass die Bauhilfsgelder als rückzahlbare Kredite verstanden werden sollten. 379 Nach Gen-Jud.-Priv. von 1730, Art. 8 sollte keinem Juden gestattet werden, „Häuser und Wohnungen vor sich eigenthümlich anzukaufen, woferne sie nicht darüber speciale Permission von Uns vorzuzeigen haben“. Gedr. in Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., Nr. 53, Sp. 193ff., 196. Siehe dazu auch Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 28. Ein Grund für die Beschränkung auf maximal vierzig Häuser, exklusive der im Gemeindebesitz befindlichen Häuser, wurde auch dort nicht genannt.
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Ein Grund für diese Zurücksetzung liegt in der Absicht begründet, den Juden den Zutritt zu den Voraussetzungen des Besitzrechtes nur in Ausnahmefällen und nicht grundsätzlich zu gewähren. Allerdings besaß nicht nur der Stadtbürger, der im Besitz des „Bürger-Briefs“ war und den Eid auf den König von Preußen geschworen hatte, einen Anspruch auf Besitz innerhalb der Stadt. Nach den Untersuchungen von Consentius soll es zwar in Berlin mit der althergebrachten Sitte zu Ende gewesen sein, „daß jeder Bürger in seinem Hause wohnte, daß ihm sein Haus genügte […]“.380 Aber diese Meinung gibt einen romantisierenden, die Vergangenheit verklärenden Standpunkt zum „vorväterlichen“ Leben in der Stadt Berlin wieder. Allerdings gilt, dass mit den staatlichen Förderungen unter Friedrich Wilhelm I. das Bauen zu einem Geschäft wurde.381 Nach den Untersuchungen von Helga Schultz entfiel in Berlin (um 1800) der größte Anteil an Hausbesitz auf Kaufleute und Manufakturbesitzer.382 Die größte Bevölkerungsgruppe, rund 10.000 Handwerkerfamilien, besaß nur knapp 2.000 eingeschossige Fachwerkhäuser, die mit zum Gewerbebetrieb genutzt wurden.383 Kleinhandwerker wie Schuster, Schneider, Posamentierer und Weber lebten zur Miete in Kammern, die gleichzeitig als Werk- und Verkaufsraum dienten. Als Mieter in der Innenstadt traten Intellektuelle, Beamte und als sogenannten Stadtwohnungsbesitzer auch Adlige auf. Abgestuft nach Einkommen, Repräsentations- und Bequemlichkeits-
Nach dem Reglement war eine Besiedlung wüster Stellen in Provinzstädten, in denen noch keine oder nur eine geringe Anzahl jüdischer Familien lebte, „nach vorgängiger Untersuchung und darüber erhaltener Verordnung von der Cammer erlaubet […]“. Zit. n. Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 28. Landgüter durften die Juden nicht erwerben. Ebd. In der Kurmark wurden in den Jahren 1789–1791 Bauhilfsgelder auch an jüdische Preußen bewilligt. Siehe dazu GStA PK, II. HA Abt. 14 (Kurmark), Tit. CIII, Nr. 5. Siehe dazu auch die Zirkularverfügung an sämtliche Regierungen und Oberlandesjustizkollegien wegen der beim Kauf und Verkauf erforderlichen Konzessionen (8. Oktober 1787) und eine Schrift des Justizdepartements wegen des Verkaufs der, den Juden in Berlin zugestandenen, siebzig Häuser (28. Juli 1794). In: GStA PK, I. HA Rep. 21 Kurm. Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen.Generalia, Fasz. 37. 380 Consentius, Alt-Berlin, S. 27. 381 Ebd. Die Gewinne ergaben sich aus den gefallenen Preisen beim Ankauf alter Häuser, den relativ niedrigen Baukosten bei Neubauten und dem schnellen An- und Verkaufsgeschäft von Häusern als Spekulationsobjekte. Mit dem eigenen Kapital kauften z. B. der Hofrat v. Dobroslaw und der Legationsrat v. Gerresheim Häuser von insolventen Besitzern auf und zogen damit „aus der Not geschickten Vorteil“. Zur Vermietung von großen Mietobjekten wurden Interessenten an berufsmäßige Vermittler verwiesen. Der Hofagent und Schutzjude Meyer Riess auf dem Neuen Mark fungierte als Vermittler. Interessenten gaben dort ihre persönlichen Daten und Absichten an und ließen sich die Wohnungen zeigen. Verhandlungen über den Mietpreis führten jedoch ausschließlich die Besitzer der Häuser/Wohnungen. Consentius, Alt-Berlin, S. 54. 382 Schultz, Berlin, S. 305. 383 Ebd.
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faktoren mieteten sie die Wohnungen nach Bedarf. Das eigene Stadthaus war für sie weder erstrebenswert noch erforderlich.384 Nach den Untersuchungen von Ernst Kaeber zu den Berliner Bürgerbüchern spricht einiges dafür, dass seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Hausbesitz als Voraussetzung zum Erwerb des Bürgerrechts gefordert wurde, wenn der Bürger als Kaufmann tätig sein wollte.385 Das implizierte Zollfreiheit und rechtlichen Schutz durch die Stadtmagistrate und die Gerichte. Mit der Zusammenfassung der vier Magistrate und fünf Bürgerschaften der selbstständigen Städte zur Residenzstadt Berlin (17. Januar 1709) existierte nur noch ein Bürgerrecht. Inhaltlich änderte sich das Bürgerrecht nicht, erhielt aber eine neue Beifügung, den Status des „Schutzverwandten“ (1715). Nach den Ausführungen von Reinhard F. Terlinden zu den Grundsätzen des Stadt- und Bürgerrechts in Preußen kam der Schutzverwandtenstatus nur für Personen in Frage, die, von unfreier Geburt, zu den Bürgerrechten nicht zugelassen werden sollten, aber dennoch unter den Schutz des Stadtrechts gestellt wurden, weil sie solche Geschäfte und Gewerbe betrieben, die die Bürgerschaft für „nicht anständig genug hielt“386 und nicht ausübte. In der Praxis wurden auch Personen, die nicht genügend Eigentum besaßen oder Zugereiste vorerst im Schutzverwandtenstatus aufgenommen, weil man davon Abstand nahm, den etablierten Stadtbewohnern Konkurrenzen zuzumuten und Fremden generell nicht das Bürgerrecht zuerkennen wollte. Die Schutzjuden bildeten eine besondere Klasse, die nach dem General-Juden-Privileg von 1750 von den städtischen Magistraten nicht als Schutzverwandte aufgenommen wurden: Die Juden können das eigentliche Bürgerrecht in der Regel nicht gewinnen, auch können sie von den städtischen Magistraten nicht als Schutzverwandte aufgenommen werden; vielmehr müssen sie in jedem individuellen Falle Concessionen und Schutz-Privilegen, in Städten wohnen zu dürfen, von der vorgesetzten Landes-Policey Behörde haben.387 384 Ebd. 385 Siehe dazu Kaeber, Ernst: Die Bürgerbücher und die Bürgerprotokollbücher Berlins von 1701–1750. Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins, Bd. 4. Berlin 1934, S. 44. 386 Terlinden, Reinhard F.: Grundsätze des Preußischen Stadt- und Bürgerrechts. Halle 1797, S. 7. 387 Terlinden, Grundsätze, S. 48. Terlindens Anmerkungen bringen in der Sache nichts Neues. Er zitiert u. a. einen Gesetzestext aus dem Jahr 1751, nach dem die Ansetzung von Juden ausschließlich den Kammern und dem Landesherrn unterstand. Siehe dazu den wiederholten Ausdruck von § 7 einer Verordnung, die an die Clevische Kammer in Sachen der Juden erging (7. Mai 1751): „Diejenigen Juden, welche von Gräfl. und Freyherrl. und adelicher Obrigkeit, und Magisträten allein angesetzet und sonst nicht legitimiret, sind nicht erlaubt, weil die Ansetzung der Juden ein Landesherrliches Regale sey, so sich der Adel und Unterobrigkeit nicht anzumaßen haben […].“ In: N.C.C., Bd. 1, Nr. 45, Sp. 91: Extract des an die Clevische Kammer der Juden halber ergangenen Rescripts (7. Mai 1751).
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Nach den Untersuchungen von Kaeber leisteten Schutzverwandte zwar denselben Bürgereid, lebten ebenfalls in der Stadt, hatten jedoch keine ordentliche Profession erlernt und gehörten keiner Innung an. Dass ein Übergang zum Bürgerstatus möglich war, deuteten die Übertragungen in den Bürgerbüchern an. Zu diesen zählten Stadtbewohner aus den Berufsgruppen der Schlosser, Fleischer, Schuster, Kürschner, Fuhrleute oder Viktualienhändler, aber auch Tagelöhner. Die wesentlichen Unterschiede definierte das ALR 2. Teil, 8. Tit., § 73 erst Jahrzehnte später über das Verbot, „bürgerliche Gewerbe“ zu betreiben, wenn man die Rechte wirklicher Bürger nicht besaß. Hausbesitz und Ausübung „bürgerlicher Gewerbe/bürgerlicher Nahrung“ blieben die Bedingungen für den Erwerb des Bürgerrechts. Was darunter zu verstehen war, beschrieb der preußische Regierungsbeamte Reinhard F. Terlinden (1797) wie folgt: Unter der bürgerlichen Nahrung versteht man gewisse Gewerbe, welche der Regel nach niemand als diejenigen, welche in einer Stadt das Bürgerrecht gewonnen haben, zu treiben befugt sind, und nicht bloß in der gewöhnlichen Benutzung der Grundstücke und Capitalien bestehen. Zu diesen Gewerben gehört: die Ausübung der Handwerke und Künste, die Unternehmung der Fabriken, die Brauerey oder Braunahrung, die Gastwirthschaft, die Anlegung und Verwaltung einer Apotheke, und die Handlung und Kaufmannschaft. Es gründet sich dieses Recht zur bürgerlichen Nahrung, welches die Gesetze den Bürgern beylegen, hauptsächlich darauf, weil die ursprüngliche Bestimmung der Städte auf die Ausübung der angeführten Gewerbe ging und außer diesen dem größten Haufen der städtischen Einwohner gewöhnlich keine andern Zweige der Erwerbes übrig bleiben. 388
Dass zur Zeit von Friedrich Wilhelm I. auch italienische, vorwiegend im Export tätige katholische Kaufleute das Bürgerrecht erwerben konnten, hing nach den Untersuchungen von Kaeber entweder mit der Heirat einer einheimischen Frau zusammen oder mit der Befürchtung, dass die Kaufleute ansonsten einen großen Teil ihres Vermögens außer Landes bringen könnten.389 Fabrikanten gehörten einer unzünftigen Berufsgruppierung an. Sie hatten sich 1778 nach dem Grundsatz des Berliner Magistrates zu richten, der besagte, „dass sämmtliche Fabrikanten bürgerlichen Standes, wenn sie nicht specialiter eximiret worden, das Bürgerrecht gewinnen müssen“.390 Im Fall von Regimentsangehörigen, denen das Bürgerrecht in Aussicht stand und die noch nicht vom Kantonverband entlassen waren, entschieden der Magis388 Terlinden, Grundsätze, S. 50. 389 Kaeber, Bürgerbücher, S. 85. Nach den Angaben bei Kaeber lebten kurz vor der Thronbesteigung von Friedrich II. ca. vierzig Italiener als Bürger in der Stadt Berlin. Davon galten sechs als gut bemittelt, sieben als mittelmäßig, sechs als wenig und zwanzig als unbemittelt oder arm. Kaeber, Bürgerbücher, S. 87. 390 Kaeber, Bürgerbücher, S. 89.
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trat und die Kommandantur sehr unterschiedlich. Kaeber führt mehrere Fälle an, in denen Schmiede und Bürstenmacher, die noch in der Armee dienten, Berliner Bürger wurden,391 damit nach dem Gesetz von der Militärpflicht befreit waren und dennoch mit ins Feld ziehen mussten. Eine ebenbürtige Ausnahmeentscheidung fand Kaeber auch bei einem aus Böhmen stammenden Schmied, der um „einen ordentlichen Bürger- und nicht um einen Kolonistenbrief“392 bat, dessen Kosten er selbst tragen wollte. Ebenso als Ausnahme- oder Sonderregelung konnte der zu leistende Eid bei einem nicht der Jurisdiktion des Magistrats unterworfenen Delinquenten auch durch einen Handschlag (1743) ersetzt werden. Unerlässlich war die Zahlung des Bürgergeldes. Kaum überprüfbar war zum Ende der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II., ob alle, die „bürgerliche Nahrung“ betrieben, auch das Bürgerrecht besaßen. Die Möglichkeit zum Erwerb von Grundbesitz in der Stadt und auf dem Land war für die preußischen Juden einer der wichtigsten Reformpunkte. Damit verbunden war die Anerkennung als Bürger des Staates, die Sicherheit für den Status und das Aufenthaltsrecht für die Familie, die Etablierung der eigenen Unternehmungen und die Zukunftssicherung der Kinder. Grundbesitz als Eigentum war Garant der bürgerlichen Partizipation und der Sesshaftigkeit. Dass sich darüber hinaus auch zur Zeit von Friedrich Wilhelm I. wohlhabende Bürgerliche bemühten, ihr Vermögen solide in Grundbesitz auf dem Land anzulegen, um ihre Familien zu etablieren und diese Existenz auch zu sichern, belegt ein bei Heinz Kathe gedrucktes Zitat von Leibniz. Dort heißt es: „Jene, die ein Vermögen im Handel und Gewerbe erworben haben, bemühen sich um den Erwerb von Landgütern in dem Wissen, dass dies das beste Mittel ist, ihre Familien zu etablieren.“393 Nach Art. 15 der Deklaration sollten alle gültigen Gesetze zu den Lehr- und Gesellenjahren und zu allen übrigen Gewerbeverordnungen gelten und befolgt werden. Die Art. 16, 17, 18 bezogen sich auf Reglements zum Erlernen und Ausüben handwerklicher Berufe, die Friedrich Wilhelm II. auch durch die Zünfte ausdrücklich fördern wollte. Durch erfolgreiche Lehr- und Gesellenjahre sollten sich Schutzjudensöhne bis zur unabhängigen Etablierung vom Schutzbrief des Vaters zum Meister hocharbeiten dürfen. Die folgenden Art. 19, 20, 21 ordneten finanzielle Zusatzgebühren von ein bis zwölf Thlrn. jährlich für die Zeit nach dem Wegfall der Sonderabgaben und der Besteuerung nach den Sätzen der christlichen Gewerbe an. Jüdischen Dienstboten wurde trotz fehlender Profession ein 391 Ebd., S. 92. 392 Ebd., S. 99. 393 Zit. n. Kathe, „Soldatenkönig“, S. 93, der leider generell auf Anmerkungen verzichtet hat. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde das staatliche Verbot für Bürgerliche, Rittergüter zu erwerben, gelockert.
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Bleiberecht zugestanden. Art. 22 wies auf die Verpflichtung zur Ausübung einer rechtmäßigen Tätigkeit hin. Müßiggänger und Landstreicher sollten des Landes verwiesen werden. Wer nach Art. 23 unerlaubten Handel trieb, sollte mit der Konfiszierung der Güter bestraft und bei mehrmaligem Wiederholungsfall mit der Familie aus dem Land ausgewiesen werden. Nach Art. 24 sollten die Gelder, die aus nicht ordnungsgemäß ausgefertigten Leih- und Schuldverschreibungen offen blieben, der Invalidenkasse zufallen. Art. 25 regelte die künftigen Militärverbindlichkeiten, nach denen die jüdischen Preußen den körperlichen Dienst beim Militär abzuleisten hatten, „wenn sie und sofern sie dazu verlangt werden“.394 Art. 26 lockerte das bisher verbindliche Rechtsverhältnis in der Gerichtsbarkeit zwischen Gemeindemitglied – Rabbiner, Ältesten und Beisitzer. Sowohl bei Ritual- und Zivilsachen sollte zukünftig das in der Landessprache agierende Gericht zuständig sein. Verträge und Handlungen hatten daher in derselben Sprache und Schrift abgefasst zu werden. Bei Verhandlungen zu religiösen Gesetzen sollten entsprechende Sachverständige hinzugezogen werden. Einer der Sachverständigen war in der Vergangenheit der Rabbiner (oder Vize-Rabbiner) der Gemeinde in Berlin gewesen, der gleichzeitig als Oberlandesältester fungierte. Nach den Recherchen von Moritz Stern hatte der „Rabbonusbrief“ für die Anstellung des zukünftigen Berliner Rabbiners Hirschel Löbel oder auch Zewi Hirsch folgende Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung (1772) vorgesehen: An Pflichten erwarteten den Rabbiner 1. die Thorabelehrung am Beth-Hamidrasch; 2. Vorträge in der Synagoge am Sabbath; 3. Entscheidungen in Rechtsfällen zusammen mit zwei Beisitzern; 4. Auskunft über alles, was nach den Religionsgesetzen verboten oder erlaubt war, und 5. die Segenerteilung und die Verrichtung des „Tal-, Geschem- und Neilagebetes“.395 Juristische Funktion über Geld- und Schuldsachen oder alltägliche Streitigkeiten mit dem Recht, eine Strafe zu verhängen, besaß der Rabbiner nach Art. 31 des General-Juden-Privilegs von 1750 nicht mehr.396 Andererseits behielt der Rabbiner in gerichtlichen Fragen zur Einsetzung von Vormündern, Testamenten, Inventarien seinen Einfluss und entschied mit seinen Beisitzern in „einer Art der rechtlichen Cognition“.397 Partiellen 394 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 355. 395 Zit. n. Stern, Moritz: Die Anfänge von Hirschel Löbels Berliner Rabbinat. In: Stern, Moritz (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Berlin. H. 3. Berlin 1931, S. 2f. 396 Sämtliche Glieder der Jüdischen Gemeinde sollten in Religions- und Kirchensachen weiterhin der Autorität der Rabbiner und Ältesten „unterworfen bleiben“. Streitigkeiten wegen der jüdischen Zeremonien und Kirchenbräuche sollten weiterhin vom Rabbiner und den Ältesten „erörtert und abgethan“ werden. Geldstrafen von über 5 Thalern verhängen oder einen Bann aussprechen durften Rabbiner ohne „Vorwissen des Magistrats“ nicht mehr. Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 31. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 52f. 397 Stern, M., Anfänge, S. 5.
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Einfluss behielt er ebenso in den Funktionen als Übersetzer und Gutachter vor bürgerlichen Gerichten, in denen er wegen der auszustellenden Atteste in Ritual-, Ehe- und Erbschaftssachen mit einem Schwur vereidigt wurde.398 Die Art. 27, 28 unterstellten die Aufsicht von „vernünftigen“ Lehrern dem Oberschulkollegium, schrieben für den Unterricht die deutsche Sprache und Schrift vor und regten fakultativ den Besuch von christlichen Schulen an. Art. 29 gebot für die Nachkommen, fortlaufende Geschlechtsnamen zu führen, und verbot die bisherige Anrede „Schutzjude“ in amtlichen Briefen oder Dokumenten. In Art. 30 wurde den Kindern nicht vergleiteter Juden weiterhin nur befristetes Wohnrecht zugesprochen und allen Juden, die sich nicht mit einem Schutzstatus im Land aufhielten, angedroht, sie außer Landes zu schaffen. Zur Bestätigung wurde nochmals die Gültigkeit der Verordnungen vom 12. April 1780 und vom 4. April 1791 betont.399 Art. 31, 32 bestätigten den Sonderstatus der privilegierten Juden und Ausnahmeregelungen für Fremde mit besonders nützlichen Kenntnissen, gutem Ruf und Charakter und ansehnlichem Vermögen. Im abschließenden Art. 33 ermahnte der Monarch die jüdischen und christlichen Untertanen gleichermaßen zu tolerantem Verhalten und fleißiger Arbeit. Die Juden sollten die verordneten Verbesserungen mit „eifrigstem Bestreben anwenden“,400 um „dem Staat und Unsern christlichen Untertanen so nützlich zu werden, wie es die Pflicht und von schädlichen Vorurtheilen gereinigte Vaterlandsliebe eines jeden guten treuen und rechtschaffenen Bürgers und Einwohners mit sich bringt […]“.401 Von den christlichen Untertanen wurde erwartet, dass sie ihrerseits mit der „Ablegung hinderlicher Vorurtheile zum wechselseitigen gemeinen Wohl“402 beitragen würden. Trotz verschiedenster Bitten aus der jüdischen Gemeinde wurde ein Entwurf der Deklaration mit dem geplanten kompletten Text nicht an die Dele-
398 Das Problem, diesen Eid zu sprechen, erörtert Moritz Stern wie viele nachfolgende Historiker verständlich und umfangreich. 1. Orthodoxen Juden war jede Eidesbezeugung verboten. 2. Nach der Eidesformel wurden den Schwörenden vielfältigste Charakterschwächen unterstellt. Und in diesem Fall wurde auch der Rabbiner als anerkannte Autorität der jüdischen Gemeinde und Vertreter der jüdischen Ethik, also das personifizierte Vorbild für Moralität und Frömmigkeit, unter Generalverdacht gestellt. Siehe zum Inhalt des Eides das Zirkular vom 29. Mai 1760. In: N.C.C., Bd. 1, Nr. 15, Sp. 425–436: Circulare an das Cammer-Gericht und übrige Justiz-Collegia; nebst Anlage, wegen der Juden-Eyde und der dabey nöthigen Ceremonien. 399 Die Verordnung von 1780 ist weder bei Mylius noch bei Selma Stern gedruckt/erwähnt worden. Bei der zweiten Verordnung handelt es sich um ein Reskript an das Kammergericht wegen der Überprüfung und Feststellung von Zollstationen, die fremde Betteljuden ins Land ließen (4. April 1791). In: N.C.C., Bd. 9, Nr. 22, Sp. 69f. 400 Art. 33 der Deklaration (1792). Hier zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 357. 401 Ebd. 402 Ebd.
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gierten gesandt.403 Die geladenen Deputierten404 hörten den Inhalt der geplanten Deklaration als mündlichen Vortrag. Die Anhörung (13. Februar 1792)405 fand noch vor der Gutachtenerstellung der Gesetzkommission (2. April 1792)406 statt. Der Inhalt hätte demnach noch variiert und ergänzt werden können. Nach der Anhörung und dem Gutachten der Gesetzkommission wurde die Deklaration nicht als Edikt autorisiert. Die Gründe lassen sich einem Schreiben des General-Direktoriums (16. Mai 1792) an den König von Preußen entnehmen. Dort heißt es: Nach E.K.M. […] bestimmten Grundsätzen haben wir das Reglement zur Reforme des Judenthums abfassen lassen. Dieses Reglement würde also nunmehr E.K.M. zu höchst dero Vollziehung vorgelegt, und hierauf, demselben gemäß, mit der würklichen Reforme verfahren werden können. Da aber theils noch allgemeines Vorurtheil der christlichen Unterthanen wider die Juden und selbst bey vielen von den Juden herrscht, theils aber hauptsächlich die jetzigen Conjuncturen und der bevorstehende Krieg es bedenklich machen, während desselben eine so wichtige Veränderung vorzunehmen und durchzuführen, so finden wir uns vor der Einreichung des erwähnten Reglements aus treuester Devotion verpflichtet, bey E.K.M. […] auch dahin anzutragen, daß das Reglement und mit demselben zugleich die würkliche Ausführung der Reforme bis zur Endigung des bevorstehenden Krieges ausgesetzet werde.407
Der preußische König kam dieser Empfehlung nach. In der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde darauf verwiesen, dass die genannten Gründe für die Aussetzung der Reform beim König „Verwunderung und Befremden“408 auslös403 Nach einer Aktennotiz (9. Februar 1792) sollten die Gen.-Deputierten und die Oberlandesältesten zu ihrer Ansicht über die geplante Deklaration befragt werden. Am 13. Februar 1792 sollten sie sich im Gen.-Dir. einfinden. Siehe dazu die Notiz von Minister Wloemer in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 172. Vgl. dazu auch Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, 168f. und Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 55f. 404 Das entsprechende Protokoll ist von allen Teilnehmern unterzeichnet worden. Jacob Moses wurde von A. Bendix vertreten. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 173–179. Siehe zu Abraham Bendix Anlage 2: Biografien. Anders dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 169, der Bendix nicht erwähnt. Siehe zu weiteren Schreiben der Judenschaften, ein schriftliches Exemplar der geplanten Deklaration zur Einsicht zu erhalten, auch GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 20ff. 405 In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 173–179. 406 In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX, Nr. 7, 25ff. Siehe auch Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 82ff. 407 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 170. 408 Zit. aus einem Antwortschreiben von Friedrich Wilhelm II. an das Gen.-Dir. (21. Mai 1792). Gedr. bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 170. Siehe dazu auch Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 56. In einem Skript vom 5. Juni 1792 ließ Friedrich Wilhelm II. die Judenschaft darüber informieren, dass die Reform wegen der „jetzigen Kriegsconjunkturen ausgesetzet werde“, aber
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ten. Aber die Vorbereitungen zum ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich waren politische Realität, auch wenn die Akzeptanz, das Ausmaß und die Erfolgsaussichten unterschiedlich eingeschätzt wurden. Die Ereignisse der Französischen Revolution hatte Friedrich Wilhelm II. als Gefährdung des dynastischen Prinzips für ganz Europa beurteilt. Mit der Pillnitzer Erklärung (27. August 1791) wurde deutlich, dass Preußen und Österreich im gegenseitigen Einvernehmen und mit den erforderlichen Kräften intervenieren und in der Zwischenzeit „ihren Truppen die geeigneten Befehle erteilen [würden], um sie in den Stand zu setzen, aktiv einzugreifen“.409 Mit der Kriegserklärung der Französischen Nationalversammlung an Österreich (20. April 1792) trat auch Preußen als Bündnispartner in den Krieg ein. Die Befürchtung, dass eine liberalisierte Gesetzgebung für die preußischen Juden den Unmut im preußischen Heer steigern könnte, deutet die nervöse Unsicherheit über die Reaktion der eigenen Untertanen an. Als ein Stellvertreter des Beamtentums soll hier der Kanzleisekretär Ernst Brandes zitiert werden, der in seinem Werk Über einige bisherige Folgen der Französischen Revolution in Rücksicht auf Deutschland (1793) einige Thesen zusammenstellte. Brandes betonte, dass sich Maßnahmen zur Kontrolle und Beobachtung der Bevölkerung „in einigen Staaten verdoppelt [hatten]“.410 Die deutschen Bürger relativierten ihre private Einstellung zu Staatsrevolutionen. Beeinflusst von den schriftlichen und mündlichen Nachrichten beurteilten sie die Revolution nicht mehr grundsätzlich als „so schrecklich“,411 sondern billigten sie im Allgemeinen. Als eine Erklärung bietet Brandes die vermehrten schriftlichen und mündlichen Nachrichten von Reisenden an, die „vollends das Wohlwollen gegen die Revolution“412 förderten. Darüber hinaus stellte er fest, dass die Forderung von der Gleichheit aller Stände teilweise übernommen und als Rechtsanspruch auch für das eigene Vaterland formuliert wurde: „Manche warmen Freunde der Menschheit lieben die neue Französische Constitution als das vollendete in der Zwischenzeit so verfahren werde, dass „die ganze Sache hiernächst ohne Aufenthalt zu Stande gebracht werde“. Zit. n. Friedländer, Akten-Stücke, S. 184–188, S. 185. 409 Zit. n. Markov, Walter: Revolution im Zeugenstand, Bd. 1, S. 184. Siehe zur Vorgeschichte auch Ranke, Leopold v.: Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792. Leipzig 1879, S. 68ff.; Sybel, Heinrich v.: Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795, Bd. 1. Düsseldorf 1853, S. 281ff. 410 Brandes, Ernst: Über einige bisherige Folgen der Französischen Revolution in Rücksicht auf Deutschland. Hannover 1793, S. 4f. 411 Ebd., S. 96. 412 Ebd., S. 101. Brandes kritisierte, dass die Schriftsteller nur das bunte, an Auf- und Umzügen reiche Paris besucht hatten. Das Land und die Meinung der Bauern blieben ihnen fremd. Darüber hinaus konstatierte er einen gewissen Hang zum Frohsinn und zu Übertreibungen im französischen Volk und prognostizierte für die nahe Zukunft das Einsetzen einer gewissen Ernüchterung.
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Werk einer vollkommenen Staats-Verfassung, aufgeführt zum Muster für andere Staaten.“413 Brandes teilte diese Ansichten nicht. Er betonte die Differenz der Stände in der Bildung, den Manieren, der Denkungsart, der politischen Wirksamkeit, dem Besitz und der Anständigkeit. Er konstruierte eine derart starke Gegensätzlichkeit zwischen der Aristokratie und „der wiehernden ungesitteten Menge“,414 dass die Forderung nach gleichen Rechten fast schon absurd erschien. Dass die Französische Konstitution auf keinen, die Unterschiedlichkeit betonenden „Grundsatz der Vernunft“415 Rücksicht nahm, sondern Gesetze nach einem „abstrakten Menschen(-bild)“416 schuf, kritisierte Brandes. Zwar betonte er, dass die Idee vom Vorzug der Geburt schon vor der Revolution nicht mehr zeitgemäß war und der Staatsverwaltung schadete, aber einer Verfassung mit gleichen staatsbürgerlichen Rechten für alle Stände konnte er wegen seiner Bedenken gegen die Masse und des Zweifels an ihrem politischen Verstand nicht zustimmen. Inwieweit die Aussagen von Brandes zur Verallgemeinerung oder zur Bestimmung einer tendenziellen Meinung über die Französische Revolution im Beamtentum taugen, lässt sich ohne vergleichbare Äußerungen weiterer Kollegen kaum bestimmen. Repräsentativ war seine Meinung möglicherweise in der Abneigung gegen Ausschreitungen des Volkes, der Empörung über die Erniedrigung und Hinrichtung des französischen Königs und der Ansicht von der Überflüssigkeit einer Revolution mit der Tendenz eines „Gleichheitssystems“417: „Das Gute was mitunter durch die National-Versammlung hervorgebracht wurde, wäre ohne Revolution zu Stande gekommen.“418 Nach Brandes’ Auffassung wurden die Ideen von Freiheit und bürgerlicher Gleichheit missverstanden. Er kritisierte einen Zeitgeist, der seiner Ansicht nach von übertriebenen Begriffen bezüglich einer „Perfectibilität“419 des Menschen413 Ebd., S. 109. 414 Ebd., S. 124. Diese Inszenierung erinnerte an die höfische französische Literatur, in der die bäuerliche Welt als „Gegenwelt“ geschildert wurde, deren „Abscheulichkeiten“ die eigenen Tugenden des Adels heller strahlen ließen. Eine vergleichbare Betrachtungsweise findet sich auch in der Darstellung der Protagonisten und Betroffenen der Französischen Revolution bei Girtanner/Buchholz. Die Jakobiner werden als „die unsinnigsten und schändlichsten aller Menschen“ beschrieben, die nur mit der Unterstützung des Pöbels herrschten, während die meisten Angesehenen, Adligen und Reichen bereits das Land verlassen hatten. Vgl. dazu Girtanner, Christoph/ Buchholz, Friedrich: Historische Nachrichten und politische Betrachtungen über die Französische Revolution. Berlin 1794, S. 6. 415 Brandes, Folgen, S. 124. 416 Ebd. 417 Ebd., Einleitung, S.VIII. 418 Ebd., Einleitung, S. X. 419 Ebd., S. 18.
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geschlechts und der bürgerlichen Verfassungen ausging. Was Brandes konkret unter einem „im Moralischen übertriebenen Geist der Duldung“420 verstand, verdeutlichtet er am Beispiel der Juden. Er konstatierte, dass aufgeklärte Schriftsteller „eine mildere Behandlungsart des unglücklichen Volkes“421 empfohlen und damit viel Gutes gestiftet hatten. Damit war für Brandes aber keine umfassende Reform oder Gleichbehandlung nach bürgerlichem Maßstab verbunden. Als Begründung für seine Meinung unterteilte er die deutschen Juden nach dem bekannten antagonistischen Muster. Eine rechtliche Gleichberechtigung sollte nur für wohlhabende und gebildete Juden, lokal begrenzt, erfolgen: In einigen Städten, wo ein Zusammenfluß günstiger Umstände die Juden aufgeklärter und reicher gemacht hat, wie z. B. in Berlin, mo[ch]te es sehr verdienstlich seyn, die Hindernisse, die ihrer weitern Vervollkommnung als Staats-Bürger im Wege stehen konnten, wegräumen zu wollen, hier mo[ch]te das ohne die geringste Gefahr geschehen.422
Brandes hielt eine Trennung von Moral, Recht und Administration für real möglich und notwendig. Als Traditionalist gestand er Bildung und Einsicht nur einem kleineren Teil der Gesellschaft zu.423 Den Einfluss auf die moralische Vervollkommnung des Charakters hielt er für gering. Als gemäßigter Humanist richtete er sich gegen die Klasse von ökonomischen statistischen Schriftstellern, die den Wert des Menschen nur danach berechneten, wieviel er verdienen kann, oder dem Staate an Abgaben bezahlt, die den Grundsatz aufstellen, daß wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll, die die edelsten Seelen-Kräfte, die besten Gefühle, die nur hieraus entstehende Würde der Menschheit, gar nicht in Rechnung bringen, weil deren Werth sich durchaus nicht in Zahlen angeben läßt, diese Meinungen, die so gut sich mit dem oekonomischen System, das wieder so nahe mit dem Despotismus zusammenhängt, vereinbaren, haben auf einem andern Wege äußerst wirksam dahin gearbeitet, das unmittelbare Nützliche fast ausschließend geltend zu machen.424
420 Ebd., S. 21. 421 Ebd., S. 23. Vgl. dazu auch die Kritik von Friedländer, Akten-Stücke, S. 33. 422 Brandes, Folgen, S. 24. 423 Brandes widerspricht sich an einigen Stellen des Textes grundsätzlich. Verneint er einerseits ein Recht auf Bildung für alle Stände, so stellt er andererseits im philosophischen Zusammenhang fest, dass es ein Fehler sei, „die Bildung des Menschen nur auf das einschränken zu wollen, was er unmittelbar brauchen kann, nur dem einen Werth beizulegen, was Geld bringt“. Brandes, Folgen, S. 69. 424 Ebd., S. 69. In der Komposition schafft der Autor noch weitere gedankliche Verbindungen mit dem Wort „Nützlichkeit“. Unter anderem kritisiert er den Hang der Jugend, das „Angenehme mit dem Nützlichen“ zu verbinden, und konstatiert einen gewissen Hang zum bequemen und egoistischen Lebensstil. Ebd., S. 92.
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Und damit kritisierte er auch seine Kollegen, weil sie mit dieser Sichtweise „die cameralistischen Finanz-Ideen der Fürsten dadurch oft angefacht, bestärkt [hatten]“.425 Als Fazit seiner Betrachtungen zog Brandes ein – für ihn – beruhigendes Resümee. Trotz politischer und lokaler Unruhen und trotz der Unzufriedenheit war ein revolutionärer Umsturz in den deutschen Staaten relativ unwahrscheinlich, weil die Fürsten ihre Lehren aus der Revolution gezogen hatten und mit verbesserten Konstitutionen die Unzufriedenheit abbauten und mit Verboten von aufrührerischen Schriften die Meinungen mäßigten. Gleichzeitig fehlte es in Deutschland an Gremien, die Operationen des Volkes dirigieren konnten oder Bewegungen zu leiten vermochten.426 Nach den Untersuchungen von Lewin existierte im Beamtentum eine Antipathie gegen die rechtliche Gleichberechtigung, die sich stärker durch traditionelle Gewohnheit und gefühlsmäßige Überlegung als durch bewusste Überlegung herausgebildet hatte. Sie führte dazu, dass sich das General-Direktorium auch zukünftig „jedes Mittel zu Nutze [machte]“,427 um die Gleichberechtigung zu verhindern. Lewin spricht in diesem Fall von einer Form des „passiven Widerstand[es]“428 der Beamtenschaft. Die Zeit der Kriegsvorbereitungen wurde vom preußischen König nicht als Grund für eine Aussetzung der Arbeiten angesehen. Der König verstand den bevorstehenden Krieg gegen das revolutionäre Frankreich nicht als Krisenzeit, in der die Verwaltungstätigkeit eingeschränkt arbeiten sollte. In seinem Antwortschreiben an das General-Direktorium sprach er die deutliche Empfehlung aus, die Zeit bis zur „geendigte[n] Campagne“429 zur Fertigstellung der Verordnung zu nutzen. Zwei Gründe nannte er für die Fortsetzung der Arbeiten: die bereits vollendeten Reformen „in andern Ländern“430 und seinen persönlichen Willen. Auch andere Gesetzesvorhaben wurden während der Kriegszeit von 1792–1795 fortgesetzt. Die Gesamtzahl der Publikationen unterschied sich nicht von der in kriegsfreien Jahren.431 Nach der Gesetzestextedition bei Mylius wurden im Jahr 1792 elf Zirkulare, Reskripte, gesetzliche Bestimmungen, Publikanden, Verord425 Ebd. 426 Ebd., S. 158. Siehe dazu auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 2. Teil, 2. Kap., S. 353: Revolutionskriege und Reformabsolutismus: Warum gab es keine deutsche Revolution? 427 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 574. 428 Ebd., S. 463. 429 Ebd. 430 Ebd. 431 Siehe dazu die folgend angegebenen Bände an Gesetzessammlungen bei Mylius: Im Jahr 1787 wurden 107 Verordnungen erlassen. 1788 folgten 97 und 1789 wurden 100 Erlasse, Edikte, etc. publiziert. Für 1790 weist Mylius 79 Erlasse aus. 1791 folgten 83 Verordnungen. In der Kriegsjahren 1792 erfolgten 88 und 1793 93 Publikationen. 1794 erfolgten 107 Erlasse und das Jahr 1795
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nungen und Edikte in Angelegenheiten des Militärs erlassen.432 Die Mehrzahl der Veröffentlichungen waren Gesetze und Anweisungen für und an die Provinzialverwaltungen, die Kammer- und Hofgerichte, in Steuer-, Stempel-, Gebühren- und Zollangelegenheiten, in Privilegienerteilungen für einzelne Korporationen/Gesellschaften, in Angelegenheiten der Schul- und Kirchenaufsicht, in Sachen der Straf- und Androhungsverordnungen, in Verordnungen zum Eherecht und den Lebenswandel betreffend, etc. Zu den Anordnungen, die eine nervöse Anspannung verrieten, können das Rescript an das Cammergericht, wegen Unterdrückung aufrührerischer Schriften (1. Februar 1792)433 und das Rescript an das Cammergericht wegen verbotener Correspondenz in öffentlichen und Amts-Angelegenheiten“ (5. März 1792)434 gezählt werden. Auch im Jahr 1793 änderte sich das Verhältnis zwischen der Zivilgesetzgebung und den Erlassen in Kriegsangelegenheiten nicht. Sie beliefen sich auf acht Gesetze435 von insgesamt 93 Verordnungen. Im Jahr 1794 mit über 100 Erlassen gestaltete sich das Verhältnis noch deutlicher zu Gunsten der normalen alltäglichen Gesetzgebung. Insgesamt wurden nur zwei Erlasse436 in Kriegsangelegenheiten publiziert. Gleiches gilt auch für das Jahr 1795, in dem ebenfalls nur zwei Gesetze437 in Militärangelegenheiten erlassen wurden. 1792/1793 waren demnach die Ausnahmejahre, in denen durchschnittlich mehr Gesetze zur Kriegskonjunktur erlassen wurden als in den darauf brachte es auf 83 Verordnungen. Insgesamt bewegte sich die Anzahl der veröffentlichten Gesetze zwischen mind. 79 bis max. 107 Verordnungen. 432 Canton-Reglements vom 12. Februar 1792; Reglement für die Königlich Preußische OfficierWittwencasse (3. März 1792); Reglement, wie es in Ansehung der Pflegegelder für Soldatenkinder gehalten werden soll (20. März 1792); Schreiben des Ober-Kriegs-Collegii an das Cammergericht, nebst Königl. Cabinetts-Ordre wegen der künftig nicht mehr anzuliefernden Parade-Pferde verstorbener Officiere (16. April 1792); Circular wegen der Cantonpflichtigkeit unehelicher Soldatensöhne in Cantonfreyen Städten (24. April 1792); Convention mit Oesterreich, wegen wechselseitiger Ausliefung der Deserteurs von beyderseitigen gegen Frankreich agitirenden Armeen (17. May 1792); Cicular, wegen der Enrollierungs-Freyheit der Schul-Rectoren-Söhne (12. Juli 1792); Verordnung, wie es in Rechtsangelegenheiten der ins Feld gerückten Militair-Personen während der Abwesenheit aus ihren Standquartieren gehalten werden soll (3. September 1792); Circular, die nähere Declaration wegen Canton-Freyheit der Rectoren-Söhne betreffend (30. Oktober 1792); Circular, das Verfahren der einzurangirenden Cantonisten betreffend (6. November 1792); Circular wegen der bedingt eximirten Cantonisten (11. Dezember 1792). Vgl. dazu N.C.C., Bd. 9, Sp.777ff. 433 Das Reskript hatte einen Erlass des österreichischen Kaisers zum Ursprung, in dem die Reichsstände aufgefordert wurden, gegenüber den Schriften die Französische Revolution betreffend „äußerst wachsam zu sein und deren Verbreitung so viel wie möglich zu verhindern“. Zit. n. N.C.C., Bd. 9, Sp.761. 434 Ebd., Sp. 869. 435 Siehe dazu N.C.C., Bd. 9, Nr. 1, 2, 26, 29, 33, 41, 62 und 89. 436 Ebd., Nr. 2 und 12. 437 Ebd., Nr. 6 und 51.
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folgenden Jahren. Daher lässt sich durchaus bestätigen, dass die legislative Tätigkeit der Behörden weder eingestellt noch reduziert wurde.
4.8 Grundlegende Differenzen und kleinteilige rechtliche Verbesserungen Die Differenzen zwischen den Funktonsträgern in den preußischen Behörden und den betroffenen Judenschaften sind bereits in den Auseinandersetzungen um den Inhalt des Reformgesetzes deutlich geworden. Beide Parteiungen unterschieden sich ebenso in ihrem Rechtsverständnis und in ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme. Die obersten preußischen Behörden verstanden sich als dominierende und gesetzgebende Gewalt, die als Beamtenschaft des Monarchen die vermeintlichen Rechte des Staates und der christlichen Majorität wahrnehmen wollten. War ihre politische Autorität auch noch unumstritten, so hatte zumindest ihre gesellschaftliche Anerkennung gelitten. Literarisch in der Gattung des Dramas und in der lebhaften Darstellung von „subalternen und elenden“ Ministern war ihr Ansehen sichtlich geschmälert worden. Nach den Zeitgeistbeschreibungen von Brandes verschwand eine „gewisse sonst zu weit getriebene schüchterne Ehrfurcht gegen hohe Personen und Würden“438 auch wegen der Publikation von juristischen Schriften gegen monarchische und aristokratische Despotie. Diese Kritik erreichte jedoch noch nicht das Ausmaß, das nach der militärischen und politischen Niederlage bei Jena und Auerstedt (1806) einsetzte. Dennoch galt die Macht der obersten preußischen Behörde als rechtsstaatliche und damit autorisierte Notwendigkeit. Auch der hochachtungsvolle Ton in den Deputiertenschreiben bestätigte die Anerkennung der Machtfunktion bei gleichzeitiger Abhängigkeit vom Wohlwollen der amtlichen Funktionsträger. Nach den Untersuchungen von Peter Becker war die Anredeform, wie sie in den Eingaben von Bürgern an die Verwaltung verwendet wurde, nicht nur Ausdruck eines allgemeinen Höflichkeitsgebarens, sondern durch das ausdifferenzierte System von Unterwürfigkeitsgesten von „Niederen gegenüber Höheren“ auch ein charakteristisches Element der Verwaltungskultur.439 Obwohl die Bestrebungen zur Reform der Verwaltungssprache mit der Spätphase der Aufklärung zusammenfielen und selbst Friedrich II. ein Jahr vor seinem Tod die deutliche und allgemein verständliche Abfassung von Immediatberichten und 438 Brandes, Folgen, S. 50. 439 Becker, Peter: „… wie wenig die Reform den alten Sauerteig ausgefegt hat“. Zur Reform der Verwaltungssprache im späten 18. Jahrhundert aus vergleichender Perspektive. In: Bödeker, Hans Erich/Gierl, Martin (Hrsg.): Jenseits der Diskurse. Göttingen 2007, S. 69–97, S. 91.
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eine abgekürzte Anredeform einführte, blieben die Kurialien440 als Ausdruck der Anerkennung von übergeordneter Autorität weiterhin Bestandteil des Schriftverkehrs.441 Das Ignorieren von hierarchischen und sozialen Gesellschaftspositionen, Ämtern und Titeln oder auch das Weglassen von Devotionsformeln führte auch in der Verwaltungssprache zwischen den preußischen Behörden/Kanzleien zur Missstimmung.442 Dass die Verwaltungssprache der preußischen Gremien bezüglich der juristischen und lateinischen Fachausdrücke, der Distanziertheit und Unpersönlichkeit grundsätzlich die Kommunikation mit den Bürgern behinderte und ein „labyrinthisches Räderwerk“443 in Gang setzte, mag zwar durchaus zutreffen. Aber deutlicher als der Sprachstil führte in der Auseinandersetzung um die Anerkennung der rechtlichen Gleichstellung die inhaltliche Argumentationskette zu einem Stillstand der Kommunikation, weil als Grund für die Nichtanerkennung der Forderung wiederholt und im Zirkelschluss auf die jüdische Religion/Abstammung und den noch nicht ausreichenden Grad der Amalgamation verwiesen wurde. Damit zeigte sich allerdings auch deutlich, dass die Behörden über die Definitionsmacht zur Bestimmung einer national gedachten Mentalität verfügten und damit auch für sich das Recht in Anspruch nahmen, eine Skala über die Wertigkeit und Nützlichkeit von Gesellschaftsgruppen zu entwerfen. Eine natürliche, verständliche, klare und präzise Gesetzessprache konnte zwar zu einer besseren Integration der Bürger in die normative und institutionelle Struktur des Staates führen, aber sie führte nicht zwangsläufig zur Angleichung an gemeinsame Normen und Wertvorstellungen oder zur Anerkennung differenter Meinungen. Beide Parteiungen unterschieden sich in ihrem Rechtsverständnis zu den Grundvoraussetzungen der Rechtsprechung elementar. Die preußischen Kommissionen orientierten sich an einem prinzipienfesten Recht, das auf langjährigen tradierten Werten und Urteilen basierte und als Rechtsgut bewahrt werden sollte. Die Deputierten der Judenschaften hingegen favorisierten ein
440 In diesem Sinne sind darunter übliche Förmlichkeiten im Briefverkehr – als spezielle Ausdrucksform des Kanzleistils – zu verstehen. 441 Becker, Reform, S. 93f. Becker zitiert an dieser Stelle auch C. W. Dohm, der die Kurialien offenbar nur als Teil der gesellschaftlichen Konventionen betrachtete und es nicht der Mühe wert fand, „daß ein denkender Kopf sich damit abgibt, sie zu reformiren“. Nach seiner Ansicht sollte „die Aufklärung nicht bei den Kurialien anfangen“. Dohm, Christian Wilhelm: Berichtigung einer Berichtigung einer Stelle in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen. In: Deutsches Museum. H. 1 (1779), S. 262–264, S. 263. Hier zit. n. Becker, Reform, S. 95. Vgl. zur Reform Willoweit, Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte. München 1990, S. 338ff. 442 Siehe hierzu das bei Becker angeführte Beispiel. Becker, Reform, S. 94. 443 Ebd., S. 74. Vgl. dazu auch Herzfeld, Michael: The Social Production of Indifference. Exploring the Symbolic Roots of Western Bureaucracy. Chicago 1992, S. 71ff.
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„evolutorisches Recht“444, das als Produkt des sozialen und politischen Umfeldes aus Fehlern lernen, sensibel auf seine Umwelt und die Veränderungen reagieren und an fortschrittliche Gesetzgebungen europäischer Nachbarstaaten angepasst werden sollte. Das Recht, entsprechende Vorlagen und Vorgaben zu Gesetzeswerken den Körperschaften zur Bearbeitung aufzugeben, besaß auch in der Zeit des „aufgeklärten Absolutismus“445 nur der Monarch. Zwar sollte die Legitimität von Recht und Moral zu Zeiten der Argumentation für einen Gesellschaftsvertrag nicht über Tradition und etablierte Institutionen begründet werden, sondern einzig durch den Konsens und die Zustimmung der Bürger.446 Aber für die Wahrnehmung dieser Aufgabe gab es in den preußischen Kodifikationen keine Entsprechung. Monarch und Beamtenschaft nahmen die Interessen der Untertanenschaft über den Einfluss der Landstände wahr. Nur sie repräsentierten den Willen und das Bewusstsein des Volkes. Eine „Volksbeteiligung“ zu einer rechtlichen Kodifikation über die aktive Teilnahme der Landstände initiierten erstmals und vielleicht sogar einmalig die Juristen und Verfasser des Allgemeinen Preußischen Landrechts.447 Aus dieser Sichtweise betrachtet, rangierten die Delegierten der preußischen Judenschaften zwar durchaus im Status von landständischen Vertretungen, weil sie mit ihren Eingaben „einen Stand“ im Volk repräsentierten, Beachtung fanden und eine Bearbeitung mit konkreten legislativen Ergebnissen erfuhren. Aber dass Teile der Beamtenschaft sich als ausdrückliche Fürsprecher der Initiative verstanden, weil sie sich als Vertreter des Naturrechts dazu berufen fühlten, die Gleichheit aller Menschen in einer konstitutiven Rechtsordnung mit einer Verankerung der Menschenrechte zu fixieren, ist aufgrund ihres vorsichti444 Vgl. zu diesem Begriff die Kommentare von Andreas Vosskuhle und Christine Windbichler in: Der Tagesspiegel (Berlin, 18. 10. 2009) zum Thema: „Evolution. Beilage zum Jahresthema der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften“. Beilage, S. 3 u. 5. 445 Dass in der Geschichtsschreibung unter diesem Begriff auch eine „bewußte Mäßigung“ des Fürsteninteresses verstanden wurde, ist mit der Praxis der finanziellen Besteuerung der preußischen Judenschaften kaum zu vereinbaren. Vgl. zum Begriff selbst Sellin, Volker: Friedrich der Große und der aufgeklärte Absolutismus. In: Engelhardt, Ullrich (Hrsg.): Soziale Bewegung und politische Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976, S. 83–112. Reinalter, Helmut: Der aufgeklärte Absolutismus. Geschichte und Perspektiven der Forschung. In: Ders./ Klüting, Harm (Hrsg.): Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich. Wien 2002, S. 11–19. Aretin, Karl O. v.: Der aufgeklärte Absolutismus. Gütersloh 1974. 446 Siehe dazu auch Müssig, Ulrike: Die europäische Verfassungsdiskussion des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2008, S. 25. Vgl. als zeitgemäße Literatur auch Pütters, Johann St.: Teutsche Reichsgesetze. Göttingen 1780 u. Scheidemantel, Heinrich Gotthelf: Staatsrecht nach der Vernunft und den vornehmsten Sitten der Völker. Jena 1770. 447 Siehe dazu die Einführung von H. Hattenhauer zum ALR (1996) in Kap. III: Die Redaktionsgeschichte, S. 19ff.
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gen Abwägens kaum vorstellbar. Dass hierzu im Gegensatz die Naturrechtslehre lediglich als politische Rhetorik ohne praktische Umsetzungspläne der rechtlichen Gleichberechtigung diente, ist im Hinblick auf die Einsicht und die Pläne zu einer Reform ebenso wenig wahrscheinlich. Die Konsequenz, eine politische Moral448 mit dem Recht auf Gleichheit und Freiheit, dem Recht auf Privat- und Gemeineigentum, der Aufhebung von Privilegien- und Standesgesetzen, dem Recht auf Nahrung und Unversehrtheit für alle Einwohner zu verbinden,449 scheiterte auch an der nach wie vor geltenden Rechtsübertragung in Form von Privilegien, also einem subjektiven Recht, das als Einzelakt und personenbezogen übertragen und gewährt wurde.450 Hierbei handelte es sich um eine Handlungsermächtigung zu einer Freiheit vom gültigen Recht, welche kraft der Übertragung und nicht aufgrund der Freiheit und Autonomie des Individuums wirkte. Verstanden wurde das Privileg im 18. Jahrhundert als lex specialis, das als „lex scripta contra ius commune“451 stehen konnte und bis ins 19. Jahrhundert die gebräuchliche Form der Rechtserteilung blieb. Zwar konnte auch die privilegiale Rechtserteilung eine Rechtevermehrung im Sinne einer auf Recht gegründeten Handlungsmacht in der Person des Privilegierten vollziehen. Aber diese Machterweiterung blieb im exklusiven Zuschnitt individuell, vielschichtig und schwankend. Forderungen nach einer generellen Regelung als Ablösung des Privilegs zeigten sich vor allem im praktischen Recht, so z. B. bei den „Buchhändler-Privilegien“, zu denen Friedrich Georg August Lobethan 1796 bemerkte: „Wie sehr 448 Siehe zum Begriff Müßig, Verfassungsdiskussion, S. 60. 449 Im 18. Jahrhundert galt die Ausübung eines Gewerbes als Ausdruck der natürlichen Freiheit des Menschen. Das Recht, Konzessionen zu erteilen, wurde dem Wohl der Allgemeinheit unterstellt und unterstand damit der staatlichen Kontrolle, weil der Staat die Gründung nützlicher Unternehmen nicht der Willkür eines jeden überlassen wollte. Dieser Grundsatz widersprach natürlich den Bestrebungen zur Gewerbefreiheit, charakterisiert aber die Etablierungspolitik auch zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus. 450 Siehe dazu Mohnhaupt, Heinz: Privileg, Gesetz, Vertrag, Konzession. Subjektives Recht und Formen der Rechtserteilung zwischen Gnade und Anspruch. In: Chiusi, Tiziana/Gergen, Thomas/Jung, Heike (Hrsg.): Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag. Berlin 2008, S. 627–643, S. 633. Siehe ebenfalls Mohnhaupt, Heinz: Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime. In: Ius Commune 4 (1972), S. 208– 212, und ders.: Untersuchungen zum Verhältnis von Privileg und Kodifikation im 18. und 19. Jahrhundert. In: Ius Commune 5 (1975), S. 71–121. Siehe auch Mohnhaupt, Heinz: Vom Privileg zum Verwaltungsakt. Beobachtungen zur dogmengeschichtlichen Entwicklung in Deutschland seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. In: Ius Commune 21 (1984), S. 41–58. Siehe auch Schnizer, Helmut: „Privilegien“. In: TRE 27 (1997), S. 454–465. 451 Georgius Acacius Enenckelius: De privilegiis iuris civilis libri tres, editio recusa. Ratisbonae 1720. Zit. n. Mohnhaupt, Privileg, S. 633. Nach den Untersuchungen von Heinz Mohnhaupt sind Inhalte einer subjektiven Einzelberechtigung auch zum Vorbild und zum „Teil der objektiven Rechtsordnung“ geworden.
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es zu wünschen wäre, dass über diese noch sehr im Trüben befangene Materie eine allgemeine Gesetzgebung vorhanden wäre.“452 Der weitaus größere Vorteil dieser Gesetzesform lag auf der Seite des gesetzgebenden Herrschers. Dazu Heinz Mohnhaupt: Andererseits repräsentierte das Privileg ein flexibles Recht mit großer Anpassungsfähigkeit an individuelle und kollektive Bedürfnisse, und Ordnungsausgaben, an Personengruppen, soziale und wirtschaftliche Situationen, private und staatliche Institutionen, Städte, Regionen, Territorien. Es erlaubte, auf jede persönliche sachliche oder politische Herausforderung speziell und gezielt zu reagieren und bildete insoweit ein höchst mobiles Rechtslenkungssystem.453
Und damit stand das Privileg im Gegensatz zum Kodifikationsideal eines allgemeinen Gesetzes (für alle Untertanen), das Rationalität, Verlässlichkeit und Stabilität als Rechtssicherheit für die Adressaten verkörpern sollte.454 Auch moderne Moralvorstellungen boten letztlich keine Garantie für ein Votum für eine rechtliche Gleichstellung der jüdischen Preußen. In den Gutachten der Beamten wurden persönliche Moralvorstellungen und Maßstäbe argumentativ sowohl für als auch gegen die Emanzipation verwendet. Selbst wenn dieselben moralischen Kategorien wie Gehorsam, Treue und Pflichterfüllung die Bewertungsstandards für die Voten lieferten, unterlag die Beurteilung über die Entsprechung und Erfüllung dieser Maßstäbe der Gewichtung der Argumente, den herangezogenen Beispielen und der oftmals persönlichen Einzelerfahrungen, die letztlich wiederum von der grundsätzlichen Haltung abhängig waren. Ein Beispiel: Nach den Untersuchungen von Peter Krause zu Johann Heinrich Wloemer lässt sich festhalten, „dass Wloemer das Beispiel eines Vertreters der Aufklärung in der preußischen Staatsbedienung [ist], die in langsamer Bildungsarbeit die endgültige Emanzipation des Volkes erreichen will, die nicht bereit ist, ihm die Mündigkeit vor der Zeit
452 Lobethan, Friedrich Georg August: Abhandlung über die Lehre von Privilegien überhaupt und Buchhändlerprivilegien insbesondere, Dispensationen und Immunitäten. Leipzig 1796, S. 66. Zit. n. Mohnhaupt, Privileg, S. 632. 453 Mohnhaupt, Privileg, S. 635. 454 Anders dazu Schnizer, Privilegien, S. 457. Neben den Sonder- oder Ausnahmerechten wurden im kirchlichen Sprachgebrauch (450 n. Chr.) kaiserliche Rechtserlassungen Privilegien genannt. Damit wurde aber noch keine Aussage über den normativen Inhalt der Gesetze getroffen. Inhaltlich konnten die Privilegien sowohl besondere Befugnisse und Konzessionen enthalten oder bestehendes Recht erneuern. In der Mehrzahl der Privilegienerteilungen ging es jedoch konkret um eine Vermehrung besitzrechtlicher oder geistlicher Ansprüche. Sonderrechte für bestimmte Gruppen erhielten im kirchlichen Recht typische Namen mit einem kennzeichnenden Stichwort, z. B. das Privilegium immunitatis.
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der Reife zuzusprechen“.455 Dieses Zeugnis beruht u. a. auf einem Vortrag, den Wloemer 1784, also fünf Jahre vor der Französischen Revolution, zur Regierungszeit von Friedrich II. und zur Hochzeit der preußischen Aufklärung in der Berliner Mittwochsgesellschaft hielt. Dort heißt es in deutlichen Parallelen zu den Ausführungen von Brandes: Die Freiheit, Gleichheit und Würde des Menschen sind Wahrheiten, so fruchtbare und so wohlthätige, das viele es daher für [ein, Anm. d. Verf] Verdienst [er]achten, sie mit Wärme allgemein bekannt zu machen. Eben diese Wahrheiten aber, bei nicht vorhandener klarer Einsicht der Unmöglichkeit eines glücklichen Zustandes i[m] gesellschaftliche[n] Leben ohne Befehl und Gehorsam, ohne Unterscheidung der Stände, Vermögen und Bestimmung, und der Nothwendigkeit gesellschaftlicher nicht anders als mit Unterordnung denkbarer Verbindungen, […] wohin würde sie den armen und immer größeren Theil einer Nazion nicht führen?456
Diese Einschätzung beruhte auf den Grundsätzen, die auch fünfzig Jahre später entscheidend für eine reformierende Gesetzgebung sein sollten. Wloemer konnte oder wollte sie allerdings nur im erstgenannten Punkt umsetzen. Nach dem Staats- und Gesellschaftslexikon von Hermann Wagner hieß es 1) daß, wenn ein Gesetz in irgend einer speziellen Materie gegeben, oder ein älteres Gesetz abgeändert wird, die größte Sorgfalt darauf verwendet werden muß, daß die neuen Bestimmungen nicht mit anderen gesetzlich noch feststehenden Rechtssätzen in Widerspruch geraten; 2) daß die Anwendung der Gesetze ungemein erschwert wird, wenn man neue Gesetze gibt und ältere über denselben Gegenstand daneben teilweise fortbestehen läßt. […] Weit besser tut man, wenn man die ganze Materie in ein neues Gesetz zusammenfasst und die früheren Verordnungen gänzlich aufhebt.457
Das Ende der Gemeinsamkeiten zwischen den preußischen Kommissionen und den Delegierten der Judenschaften war mit der Bereitschaft zu langfristig etatistisch angelegten Reformen und der Anerkennung älterer Rechte erreicht. Dass die Ergebnisse des Reformversuches weit hinter den Hoffnungen der Delegierten zurückblieben, konnte über eine konstruierte Übereinstimmung mit dem sittlichen Bewusstsein der Mehrheit des Volkes und mit einer negativen Einstellung von einzelnen Interessensvertretungen gegenüber der Reform begründet 455 Krause, Peter: Johann Heinrich Wloemer und das „General-Juden-Reglement für Süd- und Neu-Ostpreußen“. In: Aufklärung 3 (1988), S. 105–117, S. 110. 456 Wloemer am 7. April 1784 in einem Vortrag zum Thema: Vorsichtigkeitsregeln bei der Aufklärung des Volkes. Zit. nach Krause, Wloemer, S. 111. 457 Wagner, Hermann: Staats- und Gesellschaftslexikon, Bd. 8. Berlin 1861, S. 304–308, S. 306.
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werden. Das Anliegen der Judenschaften wurde nach diesem politischen Muster nicht als Ausdruck eines berechtigten und konsensfähigen Anliegens empfunden, sondern „nur“ als Sonderinteresse einer speziellen Untertanenschaft. Dass dieses Politikmuster auch auf Bitten und Forderungen der Landstände angewandt wurde, um ihre Interessen als Sonderinteressen abzulehnen, soll hier fürs Erste nur als Behauptung und nicht als geprüfte Tatsache konstatiert und angedeutet werden.458 Welche Verbindung Politik und Moral als „Staatsmoral“ eingehen sollten, beschrieb Joseph v. Held in einem Aufsatz über „Politik und Moral“ im Rotteck/ Welckerschen Staatslexikon über fünfzig Jahre nach Beginn der Reformarbeiten. Er ging von verschiedenen Politikformen aus, die hier verkürzt als Politik der Interessen oder der Prinzipien, der Kabinetts- und Volkspolitik, der Groß- und Kleinstaatspolitik, der Politik des Natur- und Menschenrechts, revolutionär oder legitimistisch, direkt und indirekt, praktisch oder idealistisch definiert werden konnten.459 Held musste eingestehen, dass nicht nur in der Antike, sondern auch „zur Stunde“ das Verhältnis zwischen Politik und Recht oder Politik und Moral „keineswegs definitiv geordnet ist und infolgedessen die entgegen gesetztesten Ansichten über das wahre Wesen der Politik beständen“.460 Nach Held war allen diesen Theorien und Entwürfen gemein, dass sie von einem Menschenbild „nach dem christlichen Humanitätsprinzip“461 ausgingen. Aber es andererseits verstanden, zwischen Kirche und Staat, Recht und Moral zu trennen, obwohl nach Meinung des Verfassers „eine höhere Einheit“462 existierte. Die Empfehlung, die Held daraufhin an die Staatsbeamten richtete, ging von „zwei der größten und gewöhnlichsten Irrtümer über das Wesen der Politik aus“,463 die a) durch persönliche Gründe, seien es Ansichten, Interessen, Sympathien oder Antipathien, bestimmt wurden, und die b) die Meinung vertraten, dass die Politik prinzipien458 Wie in der Arbeit bereits deutlich wurde, nahm der Große Kurfürst die Belange der Landstände sehr unterschiedlich wahr. Die Gewährung von Bitten und Eingaben erfolgte in Zeiten der Krisen und Abhängigkeiten deutlich zahlreicher als in Zeiten der etablierten und sicheren Macht. 459 Held, Joseph v.: „Politik und Moral“. In: Rotteck/Welcker. Staats-Lexikon, Bd. 11(1864), S. 566–589. 460 Siehe dazu die zusammengestellte Literatur bei Held, Politik und Moral, S. 567. 461 Held, Politik und Moral, S. 569. 462 Ebd. Siehe dazu auch Paalzow, Christian Ludwig: Porphyrius oder letzte Prüfung und Vertheidigung der christlichen Religion. 2 Bde. Frankfurt a. d. Oder/Leipzig 1793. Dort diskutierten u. a. Michaelis, Semmler, Leß, Frenet u. a. ihre Überlegungen und Vorstellungen zum Thema Religionen im Vergleich und ihre Bedeutung für das Staatswesen. Siehe zu Paalzow auch den Artikel von Werner Bergmann in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2: Personen. Berlin 2009, S. 611–613. 463 Held, Politik und Moral, S. 569.
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los handeln sollte. Im Anmerkungsapparat führte Held dazu aus: „Der wahrhaft gebildete Staatsmann wird daher durch das Ideal nie verleitet werden, gering schätzend und rücksichtslos die praktischen Bestrebungen zu beurteilen, einen gesunden Idealismus dagegen nur für eine Sentimentalität oder Schwärmerei zu halten.“464 Neben dieser Entscheidungsempfehlung, kein Prinzip zur ausschließlichen Richtlinie der Politik zu erheben, sprach sich Held auch für die Förderung und Umsetzung idealistischer Vorstellungen und Ziele aus. Das Ideal gehörte damit zur praktisch relevanten Seite der Staatswissenschaft und sollte, zumindest nach Held, Grundlage aller wirklichen Realpolitik sein, da ohne Ideal kein Zielpunkt erreicht werden könnte. Nach den Ausführungen von Freund existierten zwischen den Berliner Deputierten und einem Teil der Königsberger Gemeinde Differenzen zur grundlegenden Haltung gegenüber dem Reformplan. Während sich die Berliner Deputierten gegen die Deklaration von 1792 ausgesprochen hatten, stimmten ihr vierunddreißig Königberger Hausväter zu. Dazu Ismar Freund: Die Königberger 34, mit Wulf Friedländer an der Spitze, hatten sich mit ihrem Protest an das Generaldirektorium nicht begnügt, sondern sich mit einer weiteren eingehenden Vorstellung unmittelbar an den König gewandt. (17. Januar 1793) Wenn die übrigen Judenschaften dem Reformwerk widerstrebten – sie seien dazu bereit. Wolle man den Plan allgemein nicht zur Ausführung bringen, so möge man sie seines Segens teilhaftig werden lassen. In ihrer bisherigen Lage, insbesondere ihren beschränkten Erwerbsverhältnissen, könnten sie nicht weiter bleiben; denn diese hätten sich in der letzten Zeit noch erheblich verschlimmert.465
Dass sich die Königsberger Hausväter in ihrem Schreiben kontrovers zu den begründeten Meinungen der Berliner Delegierten äußerten, trifft allerdings nicht zu. Die Hausväter verstanden ihr Schreiben zwar auch als eine Form, eigene Anträge und Argumente gegen den Reformplan466 vorzulegen, aber sie wieder-
464 Ebd., S. 570. 465 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 64. 466 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 95. Das Schreiben liegt vollständig transkribiert bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 91–96 vor. Ebenfalls vollständig sind auch die Namen der Unterzeichner aufgeführt: „Seeligmann Joseph. Wullf Friedlaender. Mayer Gabriel. Abraham Alexander. Lipmann Ries. David Levin. Joachim Heymann Ephraim. Meyer Isaac Levin. Meyer Friedländer. Em. S. v. Halle. Elias Meyer. Salomon Meyer. Jacob Laser Neumarck. David Isaac. Heymann Mayer Friedländer. Laser Salomon Hirsch. Samuel Meyer Benjamin. David Isaac Mendel. Heymann Nathan. Simon Jm. Friedlaender. Meyer Moses. Ezechiel Isaac. Koppel Meyer. Bernhardt Bendix. Simon Bendix Hirsch. Samuel Wulff Friedlaender. Marcus Heymann. Levin Hirsch. Moses Levy. Behrend Levin. Seelig Lipschitz. Samuel Salomon Levin. Bernhardt Friedlaender. Wullf Oppenheimer. Allerunterthänigst überreicht durch Samuel Wullf Friedlaender. Gegenw[ä]rtig in Berlin.“ Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 96.
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holten und bekräftigten in diesem Sinne auch die Vorschläge, die in den Denkschriften bereits genannt worden waren. In der Endredaktion des Reformplans sollte die solidarische Haftung aufgehoben werden, eine Anpassung an die Rechte und Freiheiten der anderen Untertanen erfolgen und die herabwürdigende Anrede „Schutzjude“ oder „Jude“ entfallen. Eine ausdrückliche Zustimmung zum Reformplan (1792) formulierten die Königsberger in diesem Schreiben nicht.467 Die separatistischen Königsberger Hausväter galten als die reichsten Mitglieder einer einflussreichen Gemeinde und bestritten den höchsten Steueranteil an der Königsberger Repartitionsleistung.468 Innerhalb der Königsberger Gemeinde469 stellten sie mit ihrer offensiv vertretenen Meinung eine Minderheit dar. Auch innerhalb der Landjudenschaften blieb ihre Initiative ein Einzelfall. Ludwig v. Baczko charakterisierte die jüdischen Einwohner Königsbergs wie folgt: Zum Theil trifft von der Judenschaft Königsbergs das Urtheil ein, welches Hr. Nicolai von den Berlinschen fällte, und verschiedene reelle Handlungshäuser und gute Menschen aus diesem Volke beweisen, dass sie dem größten Theil desselben mit Recht gemachten
467 Freund bezieht sich hier wahrscheinlich auf ein Sonderschreiben der Königsberger Hausväter (3. Oktober 1792), in dem die Verfasser erklärten, dass sie den „geplanten Maßnahmen die Hand bieten würden“. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 62. Das Schreiben selbst ist bei Freund nicht abgedruckt. 468 Vgl. auch Krüger, Hans-Jürgen: Die Judenschaft von Königsberg in Preußen 1700–1812. Marburg 1966, S. 16ff. Nach Krüger unterstützte der preußische Staat die Juden in Königsberg nur in zwei Beziehungen: im Erteilen von Privilegien für bestimmte Manufakturprodukte (Wollweberei, Saffianlederherstellung und -verarbeitung) und im Exporthandel mit Polen und Russland (Edelmetall, Leinen, Baumwolle, Wolle). Die Anerkennung ihrer Verdienste erfolgte nach dem tradierten Muster über die Gewährung von General- oder Schutzprivilegien. Mit der Annektion von Danzig (1793) verlor Königsberg seine Förderung und Bedeutung für den preußischen Außenhandel. Die Krise, die durch das Einstellen handelspolitischer Unterstützung aus Preußen und die stärkere Konkurrenz zu den ehemals polnischen und aktuell russischen Häfen mit ausgelöst wurde, traf alle Kaufmannsbetriebe. Da die jüdischen Firmen nicht vom Stapelrecht profitieren durften, gingen ihre Einnahmen stärker zurück. Ihre Geleitsgelder fielen von 3.209 Rtlrn. in den Jahren 1762/1763 auf 705 Rtlr. in den Jahren 1799/1800. Siehe zur Frage der Zuwanderung und der Integrationsprobleme in Königsberg auch Heckmann, Dieter: Zuwanderung und Integrationsprobleme in Königsberg im Mittelalter und früher Neuzeit. In: Militzer, Klaus: Probleme der Migration und Integration im Preussenland vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. München 2005, S. 71–86. 469 Zur Regierungszeit von Friedrich Wilhelm I. und nach den Statuten des Gen.-Jud.-Priv. von 1730 lebten 14 Familien mit Schutzbriefen in Königsberg. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts sollen nach den Angaben bei Krüger „896 Köpfe“ in der Stadt gelebt haben. Krüger, Die Judenschaft, S. 17. Nach Baczko lebten 1802 133 jüdische Familien mit 854 Personen in Königsberg. Es existierten ansehnliche Handelshäuser, vier große Speicher, große Packkammern und einige Fabriken. Insgesamt besaßen die jüdischen Familien 16 Häuser. Baczko, Ludwig v.: Versuch einer Geschichte und Beschreibung Königsbergs. Königsberg 1804.
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Vorwürfen nicht allgemein sind, und nur im Mangel der Erziehung und des Erwerbs ihren Grund hatten.470
Im Unterschied zu den Berliner Delegierten sprachen sich die separatistischen Königsberger nicht gegen eine aktive Militärpflicht aus. Sie hofften auf eine überarbeitete Fassung der Deklaration von 1792 unter Berücksichtigung der o. g. Rechtsangleichung. Ihre deutliche und ausführlich begründete Ausrichtung auf die Zukunftsplanung und die Absicherung ihrer Kinder führte zwar zu einem Einverständnis gegenüber der vorübergehenden Aussetzung der Reformarbeiten bis zum wiederhergestellten Frieden. Aber die Zeitspanne bemaß sich an der Etablierung und Absicherung der folgenden Generation. Sollte die Reform über diesen Zeitpunkt hinaus verzögert werden, kündigten die Königsberger persönliche Konsequenzen an, die in diesem Fall auch zum Nachteil der Staatsfinanzen geraten würden. Das betraf die Auswanderung der Jugend ebenso wie den Abzug von Kapital und Investment. Mit dem Hinweis, dass dem preußischen Staat kein Nachteil durch die uneingeschränkte Aufnahme der folgenden Generation entstehen würde, weil diese Generation aus wohlhabenden Familien stammte, eine gute Schulbildung und patriotische Erziehung genossen hatte, harmonisierten die Königsberger ihren Antrag. Innerjüdische öffentliche Kritik wurde nach den Untersuchungen von Reinhold Lewin von einer Partei geübt, die zu einem „extremen Liberalismus“471 neigte. Verfasst wurde der Aufsatz Freymüthige Gedancken über die vorgeschlagene Verbesserung der Juden mit Zusätzen eines Christen von Sabattja Joseph Wolff (1756–1832).472 Inhaltlich ging es dem Autor um die Voraussetzungen zu einer erfolgreichen Verbesserung der Verhältnisse. Die Schwierigkeiten, die vorher behoben werden sollten, sah der Autor vor allem in der innerjüdischen Gesellschaft und nicht in ihrem Umfeld gegeben. Er empfahl eine innere Reform der Verhältnisse, die sowohl das Unterrichtswesen wie das religiöse Leben betreffen
470 Baczko, Beschreibung Königsbergs, S. 240. 471 Lewin, Judengesetzgebung, S. 463. 472 Der Arzt Sabattja Joseph Wolff gilt als Verfasser einer Schrift über Salomon Maimon mit dem Titel: Maimoniana. Oder Rhapsodien zur Charakteristik Salomon Maimon’s. Aus seinem Privatleben gesammelt. Berlin 1813. Sein o. g. Text mit dem Titel: Freymüthige Gedancken über die vorgeschlagene Verbesserung der Juden in den Preußischen Staaten. Von einem Juden, mit Zusätzen eines Christen (Halle 1792) liegt in Auszügen gedr. bei Lohmann/Behm/Lohmann (Hrsg.), Jüdische Bildungsgeschichte, Bd. 1, Teil 1, S. 316–325 vor. Nach Michael A. Meyer gehörte Wolff zu den akkulturierten Juden Berlins und befürwortete eine Reform jüdischer Erziehung und Religion. Meyer, Michael A.: Jüdische Gemeinden im Übergang. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): DeutschJüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2, S. 96–125, S. 109.
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sollte.473 Den Funktionsträgern der Reformanstöße warf er allzu großen Enthusiasmus vor, der dazu geführt hatte, dass sie Schwierigkeiten übersehen hatten und sich zu sehr von ihrem Standpunkt und gesellschaftlichen Standort hatten leiten lassen. Die jüdische Nation sei noch nicht in der Lage, dem Staat zu irgendeinem bürgerlichen Geschäft zu nutzen. Eine versöhnliche Meinung zu den Deputierten und ihren Zielen äußerte der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher, der mit Hochachtung von den Männern sprach, „welche im verflossenen Jahrzehend so eifrig an der bürgerlichen Verbeßerung ihrer Nation auf einem andern Wege arbeiteten“.474 In seinem ersten Brief zum Thema betonte Schleiermacher, dass die Vernunft gebiete, dass es auf vielerlei Art möglich sein sollte, gleichzeitig „Bürger und Nichtchrist zu sein“,475 ohne gegen die Glaubensüberzeugung konvertieren zu wollen, nur weil „der Stoß einer äußern Gewalt oder vielmehr die Furcht davor“476 dazu zwinge. Schleiermacher riet dazu, die Schwierigkeiten und Bedingungen, die gegen eine zufriedenstellende Reform gewirkt hatten, mit neuen Vorschlägen zu überwinden. Widersprüche sollten in ein neues Licht gestellt werden, um die Trägheit und
473 Dazu schrieb Wolff: „Der größere Haufe ist mit Aberglauben und Vorurtheilen aufgewachsen, ist unter dem geistigen Drucke derselben alt und grau geworden, klebt an elenden Ceremonien, die er als göttliche Gesetze verehrt und in bedauernswürdiger Verblendung als das Wesentliche der Religion betrachtet.“ Zit. n. Lohmann/Behm/Lohmann, jüdische Bildungsgeschichte, Bd. 1, Teil 1, S. 316–325, S. 317. Die Bemühungen zu einem säkularisierten und moralisch bildenden Unterricht für die Kinder aus der armen Klasse erkannte Wolff zwar an, hielt sie aber für nicht ausreichend. Die Erfüllung von bürgerlichen Pflichten hielt er ohne eine innerjüdische Reformation – einer geistigen, sittlichen und bürgerlichen Verbesserung durch Aufklärung – für nicht realistisch. 474 Schleiermacher, F. D.: Erster Brief (17. April 1799). Gedr. in: Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter geschrieben. Berlin 1799. Alle sechs Briefe wurden nach den Angaben des Herausgebers ohne das Wissen des Verfassers gedruckt und im Verlag Friedrich Franke herausgegeben. Sie sind vollständig abgedruckt in: Meckenstock, Günter (Hrsg.): Friedrich D. E. Schleiermacher. Schriften aus seiner Berliner Zeit. 1796–1799. Berlin/New York 1984, S. 332ff., S. 335. Auch Lewin zitiert Schleiermacher, allerdings unvollständig. Lewin, Judengesetzgebung, S. 473. 475 Schleiermacher (17. April 1799), gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 335. 476 Ebd. In einem weiteren Brief zum Thema äußerte Schleiermacher auch persönliche Bedenken gegen eine Konversion. Er befürchtete, die christliche Religion könnte durch die, von rationalen Gründen geleiteten Proselyten zu einer, verweltlichten Religion, werden. Schleiermacher gab an späterer Stelle zu, dass auch unter den „alten Christen“ die Mode zu beobachten sei, dass sie in Glaubensdingen ganz ungebildet blieben und nur der nötige Taufschein ihr Christentum ausdrückte. Für preußische Intellektuelle wie Wilhelm v. Humboldt drückte sich die Religion im Volk durch die Verbundenheit über Sitte, Brauch und Tradition aus. Schleiermacher (2. Mai 1799), gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 344ff., S. 344.
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Passivität, die „faule Vernunft“477 der Regierung zu überwinden: „Das Neu-Ostpreußische Reglement ausgenommen, sind alle wesentlichen Vorschläge von den Juden selbst ausgegangen oder sonst von Privatmännern, von theoretisirenden Köpfen oder praktischen Menschenfreunden.“478 Das Dogma von einer „inneren Verderbniß der Juden“479 und der Weigerung, sie aus diesem Grund nicht in den „bürgerlichen Verein“480 aufzunehmen, hatte Schleiermacher bei Männern von ihrem Stande „ziemlich überall gefunden“.481 Doch diese Ansichten und die dazu ausgebildeten Theorien blieben seiner Meinung nach in den Akten verborgen und gelangten kaum in die Öffentlichkeit. In Schleiermachers Positionen existierten durchaus Analogien zu den Positionen preußischer Beamter. Auch Schleiermacher äußerte die Ansicht, dass die preußischen Juden Vorleistungen für die Reform erbringen sollten, wie z. B. die Unterordnung der Zeremonialgesetze unter die Landesgesetze. Die Naturalisation hielt Schleiermacher für keinen allgemeinen, sondern nur vereinzelt zu beschreitenden Weg zur Verbürgerlichung, weil sie als „politische Qualifikation“482 für die Delinquenten zu hohe Voraussetzungen enthielt. Für Schleiermacher war bürgerliche Loyalität und patriotisches Bewusstsein nicht mit der Hoffnung auf eine Rückkehr nach Palästina zu verbinden. Er griff in seiner Suche nach einer Kompromisslösung auf das bekannte antagonistische Muster zurück und zog die Grenze zwischen den „beßern Juden“,483 die kulturell bereits eingebürgert waren 477 Schleiermacher, gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 336. 478 Ebd. 479 Ebd. 480 Ebd. Dass der Staat den Übertritt zur christlichen Kirche mit der Zuerkennung bürgerlicher Rechte verband, deutete Schleiermacher nur als „Galanterie“, nicht als überlegtes Kalkül. Schleiermacher, gedr. bei Meckenstock, S. 337. Den Befürwortern dieser Praxis hielt er entgegen, dass das Dogma von der Gleichsetzung des Judentums mit einer antibürgerlichen Gesinnung durch die Taufe kaum neutralisiert werden könne. Die Taufe sei viel deutlicher das Erziehungsmittel für die zweite Generation, die nach christlichen und patriotischen Grundsätzen aufwachsen würde. Ebd. Schleiermacher wollte die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde völlig von der rechtlichen Anerkennung zum Bürger trennen. Schleiermacher (2. Mai 1799). Gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 344ff., S. 348f. Allerdings zählte Schleiermacher zu den Bedingungen der Verbürgerlichung die Erfüllung aller Pflichten und verlangte eine Distanzierung vom Glauben an die Existenz und die Ankunft eines Messias. Schleiermacher (10. Mai 1799), gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 352f. 481 Schleiermacher, gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 337. 482 Schleiermacher (10. Mai 1799), gedr. bei Meckenstock, Schriften, S. 351ff., S. 352. Schleiermacher spricht von zu hohen Anforderungen und stellt die Frage: „Wie würde es stehen, wenn der preußische Staat überall so viel verlangen würde?“ Eine Erläuterung zu der Formulierung „politische Qualifikation“ erfolgt nicht. Schleiermacher verwendet den Begriff als Gegenpart zum Taufschein. 483 Denkschrift (2. Februar 1790), gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129–183, S. 175.
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und den für sich lebenden, orthodoxen preußischen oder ehemals polnischen Juden. Als Zielgruppe für eine Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse schien Schleiermacher die erste Gruppe wesentlich besser geeignet. Im Kontrast zu Schleiermacher ließen die Delegierten eine Auseinanderdividierung ihrer Gemeindemitglieder nach arm und reich, säkularisiert oder orthodox nicht zu. Es ging dem entsprechend nicht darum, den individuellen oder schichtbedingten Rechtskreis für wenige zu erweitern. In diesem Sinne verstanden sich die Initiativgeber durchaus auch als Beschützer der armen oder traditionell lebenden Juden. Ihre politische Vision war jedoch auch deutlicher auf die Zukunft als auf die Gegenwart ausgerichtet. Sie berücksichtigten bereits die Folgen einer rechtlichen Gleichberechtigung, die auch für die armen Juden über die wirtschaftliche Partizipation zur gesellschaftlichen Akzeptanz führen würde. Die Erteilung von „Rechten und Freyheiten“484 für die weitaus größere und ärmere Gesellschaftsgruppe stand deshalb nicht im Widerspruch zum allgemeinen Staatsinteresse. Die ärmeren Schichten sollten schon deshalb nicht von den Maßnahmen zur bürgerlichen Verbesserung ausgeschlossen werden, weil „sie dem Vaterlande, dem sie Bildung und Würde verdanken werden, durch Anstrengung ihrer besseren Kräfte nützlich und dankbar“485 sein werden. Der Blick der Delegierten war damit stärker auf den zukünftigen und nicht unbedingt auf den gegenwärtigen Nutzen für den Staat ausgerichtet. Da die Aufhebung diskriminierender Verordnungen486 auch den formulierten Bitten in den Denkschriften entsprach, werteten die Historiker Ludwig Geiger und Ismar Freund487 auch die kleinteiligen Gesetzesänderungen als Ergebnisse der Reformversuche.
484 Ebd. 485 Ebd. 486 Es handelt sich hierbei nicht um ein Gesetz, sondern um Kabinettsordern, Verordnungen und Deklarationen. Keine dieser Verfügungen wurde in der Gesetzessammlung von Mylius gedruckt. 487 Siehe dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 171f. und Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 49f. Abgesehen von den folgend genannten KOs und Deklarationen gab es nach Lewin in der Zeit von 1792–1795 nur kleinteilige Verordnungen, wie Regelungen zum Detailverkauf von Fabrikwaren, zum Tuchhandel, zu Vormundschaftsentscheidungen bei unehelich geborenen Kindern mit jüdischen Müttern/Vätern und Instruktionen zur Erkennung eines wirklich erfolgten Todes zwecks Vermeidung der Beerdigung noch lebender Menschen. Siehe dazu Lewin, Judengesetzgebung, S. 470. Eine Abweichung von der Norm stellte die Approbation eines Juden zum Apotheker dar, dessen Ausbildung gegen den Widerstand des Berliner Oberkollegiums stattgefunden hatte (5. Juni 1793).
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Die Porzellanabnahme488 gehörte als Anordnung von Friedrich II. zu den Relikten des preußischen Absolutismus, die der König in Personalunion als Monarch und Manufakturbesitzer der „Königliche[n] Porcellain-Manufactur“ (KPM)489 zum Aufschwung des Betriebes und zu Lasten für die im Schutzstatus lebenden preußischen Judenschaften getroffen hatte. Die Aufhebung dieser Abnahmepflicht von Porzellan aus der berlinischen KPM-Produktion für erteilte Privilegien und Benefizien erfolgte daher ebenfalls als schlichte KO. Keiner der folgenden Erlasse wurde im N.C.C. aufgenommen und publiziert. Nach den Untersuchungen von Peter Krause war Finanzrat Wloemer von 1775 bis zu seinem Tod im Jahr 1797 von Seiten des General-Direktoriums Zensor (Herausgeber) der amtlichen Gesetzessammlung: Dabei hatte er amtlich zu entscheiden, ob eine Anordnung sich als „allgemeines Gesetz“ zur Publikation in der Ediktensammlung eignete, mit der weiteren Folge, dass alle dort publizierten Regelungen eine – nur durch Aufhebung begrenzbare – Geltung für jeden Einzelfall beanspruchten, womit es zur Durchsetzung des Gesetzesvorranges kam.490
Dass Wloemer keine Aufhebung der unter Friedrich II. erlassenen Gesetze publizieren ließ, hing möglicherweise mit der Praxis der Publikation zusammen. Die 488 Siehe zur Verpflichtung für die Juden, Porzellan aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur bei Erteilung von Schutzbriefen oder Konzessionen zu erwerben die KO vom 21. März 1769. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1 u. 2. Siehe dazu auch das Pro Memoria (1787), gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 68ff. Die Verpflichtung zur Porzellanabnahme ging originär auf Friedrich II. zurück. Zwei Jahre nach der Gründung der Berliner Manufaktur durch den Kaufmann Gotzkowsky kaufte der König die wenig profitable Manufaktur auf (1763). Laut KO vom 21. März 1769 hatten die preußischen Juden „zur Beförderung des Vertriebs […] bei ihrer jedesmaligen Ansetzung, auch wenn sie die Erlaubnis erhalten ein Haus zu acquiriren, ein für allemal ein gewisses mäßiges Quantum Porcellain, und zwar ein Jude, der auf eine General-Privilegium angesetzet wird oder ein solches erlangen, für 500 Thlr., ein ordinairer Schutzjude für 300 Thlr. und bei Erlangung einer Concession zum Haus-Kauf oder einer sonstigen Beneficirung, gleichfalls für 300 Thlr. zu nehmen und ausser Landes zu debetiren“. Zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, II/2.1, S. 511. Nach Geiger konnte die Summe für das abgekaufte Porzellan jedoch nicht durch die Einnahmen des Verkaufs gedeckt werden. Einerseits waren die Transportkosten zu hoch und andererseits ließen sich die Waren nur schwer verkaufen, weil sie nach Auskunft von Geiger, „nicht immer zum Besten gerieten“. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 66. Auch die Generallotteriepachtsocietät hatte jährlich für 6.000 Thaler und seit 1783 für 9.600 Thaler Porzellan zu kaufen und zu exportieren. 489 Der originäre Name der Manufaktur als „Königliche Porcellain-Manufactur“ (KPM) wird in verschiedenen zeitgemäßen Quellen auch mit dem Einschub „Preußisch“ wiedergegeben, also z. B. als „Königlich Preußische Porcellain-Fabrique zu Berlin“. In diesem Fall stammte der Name aus einer Ansprache Friedrichs II. an die Arbeiter der Fabrik. Siehe dazu Holz, Leonie: „... Ehre, Hut, Stock und Porzellan“. KPM – Seit 225 Jahren eine Königliche Manufaktur. Berlin 1988, S. 38. 490 Krause, Wloemer, S. 110.
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Publikation eines Gesetzes sollte nach dem Staats- und Gesellschaftslexikon von Wagner das neue Gesetz zur allgemeinen Kunde bringen und der Härte vorbeugen, dass die Anwendung den Beteiligten unbekannt blieb. Diese Maßgabe wurde allerdings im europäischen Rahmen eher „als nützliche Zugabe“491 und nicht unbedingt als „wichtige Bedingung der Wirksamkeit“492 angesehen. Die Installierung und Aufhebung der Porzellanabgabe wurde demnach nur als interne administrative Anordnung betrachtet, die lediglich den Willen und die Absicht des Königs zum Ausdruck brachte, obwohl die Order eine Zwangsregelung für die Betroffenen enthielt. Der Staat forderte von den Landjudenschaften eine noch offengebliebene Schuldensumme von knapp 80.000 Rtlrn. die Friedrich Wilhelm II. 1787 zur Hälfte und als Zahlung von 35.000 Rtlrn. aktuell einforderte. Nach der vollständigen Begleichung dieser Summe erfolgte die Bestätigung für die Auflösung der Abnahmepflicht in einer königlichen Deklaration vom 12. Februar 1788.493 Nach den Untersuchungen von Tobias Schenk zu Quellenmaterial aus dem KPM-Archiv (Berlin-Charlottenburg) ging der Anstoß zu einer Aufhebung der Porzellanabgabe auf Minister Friedrich Anton v. Heinitz zurück, der in einem zweiten Immediatbericht vom 17. November 1787 die negativen wirtschaftlichen Folgen für den eigenen Export beschrieb und damit den wirtschaftlichen, aber auch den moralischen Schaden für die Praxis der zwanghaften Exportation anmerkte.494 Inhaltlich brachte der Bericht nur wenig neue Erkenntnis, aber er bestätigte die Sichtweise und die Erfahrungen der jüdischen Gemeinden. Im Pro Memoria vom 17. Mai 1787, also sechs Monate vor dem Bericht von Minister Heinitz, hatten die Verfasser bereits die Folgen und die Nachteile der Zwangsporzellanabnahme für alle Beteiligten beschrieben: Es ist leicht einzusehen wie lästig diese Abnahme und Ausfuhr des Porcellains der Nation ist. Gewöhnlich verliert der Abnehmer 50 und mehr Prozent. In den letzten Jahren ist es auch schon mit 60 Prozent Verlust verkauft worden. Dieses ist um so glaublicher, da es dem Abnehmer nicht frei steht, das P. zu nehmen, dass ihm gefällt, und wovon er Hoffnung hat, es mit kleinem Rabatt im Auslande abzusetzen, sondern da er gezwungen wird, ein drittel Feines, ein drittel Mittel und ein drittel ordinaires Gut zu nehmen. 491 Wagner, Hermann: Staats- und Gesellschaftslexikon, Bd. 8. Berlin 1861, S. 304–308, S. 304. 492 Ebd. 493 KPM-Archiv (MA) I.3, Bl. 14. Der vollständige Text liegt gedr. bei Schenk, Tobias: Das „Judenporzellan“ der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin. Münster 2003, S. 106.: „Außerdem wollen wir höchstgedachte S.K.M. die Schutz-Juden insgesamt von der Verbindlichkeit, für die ihnen zu ertheilenden Privilegia, Concessionen und andere Beneficia Porcellaine auszunehmen und im Lande zu debitiren oder außerhalb des Landes zu exportiren, fürs künftigste und zwar vom 20 ten Juli pr. an gerechnet, ohne Auflegung eines anderen Surrogati, hiermit gänzlich befreyet haben.“ 494 Siehe dazu Schenk, „Judenporzellan“, S. 104.
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Dabei wird ihm unmodisches und ungangbares in die Hände gesteckt, woran er, bei der Unkunde der Waare und des Herrschenden Geschmacks, um so vielmehr verlieren muß. Außerdem genießt er nicht das Beneficium, oder den gewöhnlichen Rabatt, der jedem Kaufmann von der Manufaktur gegeben wird, obschon er es sogleich baar bezahlt. Gewiß ist übrigens diese erzwungene Exportation dem Ruf und dem Wert des Berlinischen Porcellains im Auslande äußerst schädlich geworden, und es ist allgemein unter dem Namen Juden-Porcellain verschrieen.495
Dass die solidarische Haftung für die besonderen öffentlichen Abgaben und die Kosten der Gemeindebedürfnisse aufgehoben sei, verfügte ebenfalls eine schlichte Verordnung. Eine nochmalige Repartition im September 1792 sollte die Jahresschutzgelder letztmalig auf die Gemeinden umlegen und, um die Pauschalsumme von 13.305 Rtlrn. erhöht, gemeinschaftlich von allen getragen werden. Diese Summe war im Juli-Bericht 1789 für die jährlichen Sonderzahlungen an die preußischen Kassen genannt worden. Als Ersatzzahlung für den befürchteten Einnahmeausfall schlug das General-Departement diese Summe auf die Jahressteuer mit auf. Außerdem verfügte die Verordnung eine stufenweise Tilgung der Gemeindeschulden.496 Die Abgabe des Leibzolls für inländische und ein Jahr später auch für ausländische Reisende wurde im Dezember 1787 durch eine KO an die Akzise- und Zolldirektion aufgehoben.497 Es handelte sich nach dieser Anweisung um eine rein verwaltungstechnische Maßnahme. Mit dieser Anordnung war keine Anweisung zu einer höflichen und respektvollen Umgangsweise von Seiten der Zöllner verbunden. Eine vergleichbare Interpretation äußerte dazu auch David Friedländer, der die Maßregel zwar würdigte, aber dazu vom Standpunkt der menschenwürdigen Behandlung aus bemerkte: „Im Grunde ist nur der Geldbetrag gewonnen, die niedrige Behandlung der Zöllner ist aber geblieben, weil derjenige, der den Leibzoll nicht bezahlen will, beweisen muß, daß er ein preußischer Unterthan ist, oder als Einkäufer nach der Messe reist.“498 495 Pro Memoria von 1787. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 118. Siehe dazu auch Lewin, Judengesetzgebung, S. 471, und Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 101f.; S. 171f. 496 Siehe dazu die Verordnung im Anhang dieser Arbeit. Aus: Friedländer, Akten-Stücke, S. 184– 188. Siehe dazu Akten einzelner Departements und des Staatsministeriums, die u. a. Dokumente (Eingaben und Gutachten) „Wegen der Erarbeitung eines neuen Reglements über die solidarische Haftung der Judenschaft und die Ausweisung fremder Juden“ enthalten. In: GStA PK, I. HA Rep. 9 J 3a, Fasz. 23 und GStA PK, II. HA Abt. 14, Tit. CCXXXII (Generalia), Nr.13, Bd. 2 (1770–1801). 497 Übersichten über die von den Juden eingenommenen Zölle finden sich in GStA PK, II. HA Abt. 24 A, Tit. XIV, Sekt. 3, Nr. 2. Ebenso einzusehen ist dort die KO vom 12. Dezember 1787, nach der der Leibzoll für Juden in den Provinzen aufgehoben wurde, in denen er noch nicht abgeschafft war. Siehe auch das Gesuch Hamburger Kaufleute, die um Befreiung vom Leibzoll für die Frankfurter Messe baten. Siehe auch KO vom 4. Juli 1788 mit der Aufhebung des Leibzolls für die Besucher der Frankfurter Messe. 498 Friedländer, Akten-Stücke, S. 65.
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Die preußische Gesetzgebung war nach der Tendenz ihrer Einzelgesetzgebung nicht eindeutig anti-restriktiv orientiert. Wie bereits erwähnt, wurde unter Friedrich Wilhelm II. gegen fremde Juden mit der gleichen Konsequenz und Härte vorgegangen wie unter Friedrich II. Bei einzelnen Vergehen wie dem Hausieren und der Münzfälschung sollten die Juden über das Maß der allgemein gültigen Strafen hinaus das Schutzrecht verlieren und des Landes verwiesen werden. Die subsidiarische Haftung bei Diebstählen blieb ebenfalls bestehen.
5 Initiativen und Gesetzgebungen bis 1808 5.1 Die Bittschrift der Berliner Ältesten (22. Mai 1795) und die Reaktion Nach Peter Krause kam es gegen Ende der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II. zu einer Gesetzesinitiative, die ihren Ursprung im Justizdepartement hatte, obwohl das General-Departement die „Primärzuständigkeit“1 besaß. Den Anstoß zu dieser behördlichen Reaktion gab die Supplik der Oberlandesältesten und der Ältesten der Berliner Judenschaft vom 22. Mai 1795.2 Ihre Bittschrift war folgend der Anlass für einen Schriftwechsel zwischen dem General-Direktorium, dem Justizdepartement und der Gesetzkommission. Inhaltlich ist dieser Schriftwechsel vor allem im Hinblick auf die Haltung der Beamtenschaft zur Weiterführung der Reform interessant, weil neben den Kommentaren zu den in Vorschlag gebrachten Gesetzesänderungen auch der Unmut über den nicht akzeptierten Reformentwurf von 1792 geäußert wurde. Erstmals und in deutlichen Formulierungen erklärte die Mehrheit der verantwortlichen Beamten ihre Nichtbereitschaft zur Fortsetzung der Reform u. a. mit Vorurteilen und Ausgrenzungsstrategien gegenüber dem ihrer Meinung nach größeren Teil der Judenschaft.3 In ihrer Schrift hatten die Ältesten um die Abschaffung und Modifizierung der friderizianischen Gesetze zur subsidiarischen Haftung gebeten. Damit beriefen sich die Ältesten auf die Zusage von Friedrich Wilhelm II., die Gesetzgebung Friedrichs II. näher zu untersuchen und gegebenenfalls zu modifizieren.4 Das betraf die Haftung der Gemeinden in solidum im Fall von Diebstahl und Hehlerei einzelner Gemeindemitglieder (Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 24); der verdächtigen Bankrotte (Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10) und der privaten familiären Haftbarkeit der Eltern für die Schulden ihrer Kinder (Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10), die auch nach der Verordnung vom 30. April 17755 in Kraft geblieben war. Der 1 Krause, Wloemer, S. 14. 2 Siehe dazu die Eingabe der Oberlandesältesten/Ältesten der Berliner Judenschaft (22. Mai 1795). In: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 1–3. 3 Resolution für den Juden Ältesten Daniel Itzig und Consorten (2. April 1798). In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 69 (Copie). Ebenfalls einzusehen unter GStA PK, I. HA Rep. 21, 207B 2a, Fasz. 22, Bl. 53f. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, 126f. Siehe auch S. 215f. 4 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 99–106. 5 Reskript an das Kammergericht, über die Auslegung des § 10 des Juden-Reglements v. 1750 wegen verstorbener, verschuldeter und fallit gewordener Juden (13. April 1775). In: N.C.C., Bd. 5, Sp. 125ff. Einstimmig erklärten das Justiz-Departement und das Gen.-Dir. die Maßnahme in § 10 nur für den Fall eines verdächtigen Bankrotts für anwendbar. Die Schulden eines Verstorbenen mussten ansonsten nicht vor oder unmittelbar nach der Beerdigung beglichen werden. Verant-
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letzte Punkt betraf die Abschaffung der Verpflichtung der Ältesten, die geschäftlichen Aktivitäten der Mitglieder der Gemeinde zu überwachen und gegebenenfalls zur Anzeige bei den Behörden zu bringen (Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10). Unterzeichnet war die Supplik nicht von den General-Deputierten, sondern von den Oberlandesältesten Daniel Itzig und Jacob Moses, den Berliner Ältesten Liebmann Abraham, Liepmann Meyer Wulff, Salomon Veit und Heimann Ephraim Veitel.
Abb. 5: Daniel Itzig (1722–1799), Ältester der Jüdischen Gemeinde in Berlin und Initiator der Eingabe wg. Abschaffung der gegen die Juden gerichteten Gesetze (Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 und 24).
Auch diese Schrift war für die Judenschaften in den gesamten königlichen Landen verfasst worden und damit von überregionaler Bedeutung. Auch in diesem Fall sollte der staatliche, nicht der provinziale, Rahmen gelten. Wie im Pro Memoria (1787) und der Erklärung zum ersten Reformentwurf (1790) aufgeführt und begründet worden war, lag die Aufhebung der subsidiarischen Haftung im Interesse aller Judenschaften und betraf in den Härten alle Gemeindemitgliewortlich für die Begleichung der Summe waren nach dieser Verordnung nicht mehr die Erben allgemein, sondern die Eltern des Verstorbenen. Ferner konnte das Beneficium abstinendi, der Pflichtanteil der Kinder, nicht zur Begleichung der Summe herangezogen werden. Dazu wörtlich: „Die Meinung, so von einigen Gerichten angenommen werden wollen, daß das Gesetz den Juden-Kindern das Beneficium abstinendi nehme, ist irrig, vielmehr weil das Beneficium abstinendi der natürlichen Billigkeit gemäß den Kindern in den gemeinen Rechten gegeben ist, auch nach diesem die Juden wie die Christen geurtheilet werden müssen, wofern nicht gegen sie eine besondere Ausnahme durch die Gesetze gemacht worden.“
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der, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. In dieser Eingabe komprimierten die Ältesten den Inhalt der Gesetzestexte und beschrieben die Auswirkungen und Folgen für den vermeintlichen Täter, seine Familie und die Gemeinde. Die Ältesten argumentierten überwiegend juristisch, nannten Beispiele zu den Härten und Ungerechtigkeiten der Gesetze und bezogen sich auf die Widersprüche zu dem jüngst, nach seiner Suspension, in Kraft getretenen Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (1794). Eigene Vorschläge zur Modifizierung und zur angestrebten Individualisierung der Straf- und Verordnungspraxis werteten den Charakter der Bittschrift auf und machten sie zu einer auch von den preußischen Beamten ernst genommenen Eingabe. Die Anerkennung der Kritik führte jedoch nicht zu einem mehrheitlichen Votum für die Aufhebung der Gesetze. Art. 24 des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 fixierte mit der kollektiven Haftung der Gemeinde und der Familie gegenüber Regressansprüchen Dritter im Fall der wissentlichen Pfandannahme von gestohlenem Eigentum und des Diebstahls Kontrollmechanismen, die alle Gemeindemitglieder zu Aufsichtspersonen und Informanten gegenüber der staatlichen Exekutive machten. Mit der Haftung in solidum bestätigte und betonte die Legislative das Instrument der kollektiven Kontrolle als legale und erwünschte Rechtsform und richtete die Strafpraxis auf das Nichtfunktionieren der Kontrolle aus: Die Juden können Gelder auf richtige Pfänder ausleihen […], darnechst müssen die Juden überhaupt bei allen Versetzungen und Verkaufe wohl versichert sein, daß die Pfänder nicht gestohlen, oder von jungen Leuten ihren Eltern, oder von ungetreuem Gesinde ihrer Herrschaft, als deshalb sie sich bei denen Eltern oder der Herrschaft jedesmal erkundigen müssen, heimlich entwandt und versetzt worden; anderergestalt diejenigen Juden, derselben Frauen oder Gesinde, dergleichen angenommene Pfänder nicht nur dem Eigenthümer unentgeldlich herausgeben, sondern wofern sie Wissenschaft gehabt, und dessen rechtlich überführet worden, daß das Pfand gestohlen, oder heimlich entwandt, sollen dergleichen Pfänder-Inhaber gleich denenjenigen so wissentlich gestohlne Dinge gekauft, nach dem Edi[k]t v. 15ten Januarii 1747 angesehen und nicht nur vor sich, sondern auch vor seine Kinder wenn schon solche angesetzet sein, alles Schutzes verlustig gehen, die Schutzbriefe kassiret, er mit denen Seinigen aus dem Lande geschaffet, auch in solcher Familien Stelle keine andere wiederum angesetzet, über dem auch der Übertreter angehalten werden, den völligen Werth der gestohlenen oder verhehleten Sachen dem rechten Besitzer […] zu bezahlen; wann er aber solches nicht thun kann, […] die sämmtliche Judenschaft des Ortes ex Officio angehalten werden, den Werth der gestohlenen oder verhehlten Sachen in subsidium baar und ohne alle Widerrede dem bestohlenen Eigenthümer zu bezahlen. Wannenhero die Juden selbst sich untereinander genau zu beobachten, und wahrzunehmen, auch wenn sie einen oder andern der ihrigen auf unrichtigen Wege betreffen sollten, solchen sofort gehörigen Orts anzuzeigen haben; und ist demnach die Judenschaft, sonderlich die Aeltesten schuldig, um allen Verdruß und Schaden vorzubeugen, diejenigen Diebeshehler und anderes liederliches Gesindel unter ihnen, so dieselben entdecken, weg und
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aus dem Lande zu schaffen, worunter ihnen auf ihre Angabe alle hülfliche Hand geleistet werden soll.6
Die vorgeschlagene Modifizierung des Gesetzes setzte ein gerichtlich festgestelltes Verschulden des Verdächtigen voraus, individualisierte Tat, Schuld und Strafe und entließ die Familie und die Gemeindeältesten im Fall der nicht erwiesenen Mitwisserschaft aus der Verantwortung für die Tat des Delinquenten. Die Ältesten formulierten ihre Änderung wie folgt, nämlich daß die unschuldigen Mitglieder der Familie, welche bereits angesetzet sind, nach erprüfter Unschuld und beygebrachten, glaubhaften Atteste derer Ältesten des Orts, daß sie ehrliche und unbescholtene Leute sind, die Strafe ihrer Verwandten durch Vertreibung aus dem Lande zu büßen nicht schuldig, auch die Judenschaft zur subsidiarischen Erstattung des Werths des Gestohlenen oder Verhe[h]lten, nur in de[m] einzigen Fall verbunden, wenn sie das Vergehen des Mitgliedes gewußt, und dasselbe anzuzeigen unterlassen hat.7
Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 betraf über den vermutlichen Täter hinaus alle Familienmitglieder und Angestellten des Hauses, die über den Status des Delinquenten geschützt wurden. Darüber hinaus betraf die Strafe auch die Gemeinde, weil mit der Ausweisung der betroffenen Familien der Aufenthaltsstatus sowohl für die betroffenen Schutzjudenfamilien wie auch für die „Nachrücker“ auf den limitierten Schutzstatus erlosch. Der Text im Gen.-Jud.-Priv. legte fest, dass wenn einer unserer Schutzjuden einen im geringsten verdächtigen Bankeroutt machen, und ausser Standes sich befinden wird seine Kreditores zu bezahlen, sodann derselbe nebst allen denenjenigen, so unter seinem Schutzbriefe stehen, oder daher angesetzt worden, des Schutzes verlustig gehen, sein Schutzbrief gänzlich kassiret werden, und dergestalt erloschen sein solle, daß auch solcher nicht einmal mit einer anderen und neuen Judenfamilie besetzet werden dürfe.8
Die Modifikation der Ältesten ging unter Anerkennung und Akzeptanz einer individuell zu ahnenden Straftat dahin, „dass nur der Fallite, nicht aber seine Kinder und seine Familie öffentlich bestraft werden [sollte]“.9 Nach Gen.-Jud.- Priv. von 1750, Art. 10 galt, dass „[i]m Falle aber ein oder anderer dieser Schutzjuden gar 6 Gen-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 24. Zit. n. Rönne, Ludwig v./Simon, Heinrich (Hrsg.): Die Verhältnisse der Juden in den sämmtlichen Landestheilen des Preußischen Staates. Breslau 1843, S. 240ff., S. 257f. Ebenfalls gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 22–55, S. 44f. 7 Eingabe der Oberlandesältesten (22. Mai 1795). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 101. 8 Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 10. Zit. n. Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 252. Die Schreibweisen von „Bankrott“ werden in den Edikten unterschiedlich gehandhabt, sowohl „tt“, „t“, „o“ oder „ou“ kommen vor. 9 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 99ff.
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in einen vorsätzlichen und boßhaften Bankerout verfiele, solle mit demselben nach Disposition Unserer Edicte vom 14. Juni 1715, 4. Februar 1723, 29. Mai 1736 und besonders nach dem Edikt vom 25. Dezember 1747 verfahren werden […]“.10 Mit der Aufzählung dieser Verordnungen konnte der Eindruck vermittelt werden, dass die aktuelle Rechtsprechung nur die Fortsetzung einer erprobten und notwendigen Prävention aus der Vergangenheit sei. Der gedankliche Rückschluss, dass diese Rechtsvorschriften quasi per se „gegen Juden“ erlassen wurden, weil sie aus der Zeit der restriktiven Judengesetzgebung von Friedrich Wilhelm I. stammten11 führt in diesem Fall jedoch in die Irre, denn die o. g. Edikte waren keine Gesetze, die speziell gegen die jüdischen Kaufleute erlassen wurden. Edikte, die den Charakter von ethnischen Sondergesetzen erhielten oder existenzoder zukunftbedrohende Maßnahmen beinhalteten, wie z. B. die Declaration, daß in Berlin wie in allen Königlichen Provintzien, die Juden aussterben und keine neue[n] Schutzbriefe gegeben werden sollen12 (31. August 1728), existierten neben den ebenfalls spezialiter formulierten Verordnungen Wider derer, Juden Hausieren auf dem Lande (2. Dezember 1724), die ebenfalls ausschließlich „Schutzjuden, fremde Juden, Juden-Jungen“13 betrafen und Verbote zum Handel auf dem Land und in den Städten anordneten. Neben dieser Form der Gesetzgebung wurden auch neutrale, auf die Sache bezogene Gesetze erlassen, die unabhängig von der Religiosität einen bestimmten Broterwerb betrafen oder Verbote gegen ein bestimmtes Verhalten aussprachen.
10 Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 10. Zit. n. Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 252. 11 Siehe Gen.-Jud.-Privileg vom 29. September 1730. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 15–22. 12 Siehe dazu Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. LI, Sp. 191f. Im Edikt von 1730 relativierte Friedrich Wilhelm I. die Deklaration nur bezüglich der Anzahl der in den Provinzen lebenden Schutzjudenfamilien. Ihre Zahl sollte unverändert bleiben. Für die Residenzen legt er die Zahl der Familien auf 100 fest. Eine Ausnahmebestimmung erfolgte in Art. 16, die besagte, „dass sich jemand meldete und daß er mehr als zehn Tausend Thaler im Vermögen [hätte] […] er angenommen werden solle“. Im o. g. Sinne würde also auch das Edikt v. 13. November 1719 dazugezählt werden müssen. Als Grund für die Zurückweisung fremder Betteljuden wurde zwar die Sorge vor der Übertragung von Krankheiten aus „inficirten Orten“ angegeben. Da diese Vorsorge nur im Zusammenhang mit armen und staatenlosen Juden genannt wurde, scheint diese Sorge nicht der einzige Grund gewesen zu sein. Einreisende Juden hatten einen Beweis von der Obrigkeit zu erbringen, der bescheinigte, dass sie einen festen Wohnsitz vorweisen konnten und ein ehrliches Gewerbe ausübten. Siehe dazu Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. 40, Sp. 179ff. Siehe auch: Allgemeine[s] Edict, daß alle unvergleiteten Juden sofort auf einmahl aus dem Lande gejagt werden sollen (10. Januar 1724). In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. 44, Sp. 185ff. 13 Ebd., Nr. XVI, Sp. 523f. Siehe dazu auch: Edict, wider der Juden Hausiren auf dem Lande (12. Dezember 1727). In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. L, Sp. 189.
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Friedrich Wilhelm I. hatte als Reaktion auf die Klagen „der teutschen und französischen Kaufleute“14 verordnet, dass das Hausieren der Christen und der Juden in den Residenzen Preußens nachdrücklich verboten und die Königlichen Bediensteten und Bürger aufgefordert seien, „wann sie in ihren Häusern einige Hausirer, sie seyn Christen oder Juden, welche ohngeruffen dahin kommen, antreffen sollten, dieselbe[n] oder ihre Waaren anzuhalten und solches dem General Commissariats-Fiscal zu denunciiren“15 (8. März 1715). In der Präambel zum Edict wider die Banqueroutirer (14. Juni 1715) richtete sich Friedrich Wilhelm I. ebenfalls an alle seine Unterthanen, „damit auch niemand sich mit Unwissenheit entschuldige“.16 Dort heißt es: Thun kund und fügen hiermit Jedermanniglich zu wissen: Nachdem wir mit besonderem Mißfallen vernommen, daß eine Zeithero in Unserem Königreich und Landen, sonderlich auch in Unseren hiesigen Residentzien verschiedene Banqueroutes entstanden, die Falliten mehr als sie im Vermögen gehabt, an Geld und Waaren ausgeborgt, zum Theil auch wohl auf die Seite gebracht […] und dadurch ihre Nächsten unverschuldet in Schaden, ja sogar in Ruin, und die Commercia, so von Unseren Unterthanen getrieben werden, in üblen Ruf gesetzet, so haben wir nöthig befunden, solchem Unwesen und boßhaftigen Unternehmen […] mit gehörigem Nachdruck zu steuern.17 14 Anderweitiges Mandat, vom Verboth des Hausirens in denen Residentzien (8. März 1715). In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 7. Kap , Nr. VIII, Sp. 513f., Sp. 513. 15 Ebd. Siehe dazu Neu-Revidirte Hausier-Edict in der Chur- und Marck Brandenburg (25. April 1718). In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 7. Kap., Nr. XI, Sp. 517f. Auch hier bezieht sich das Edikt auf Christen und Juden. Auch das „Geschärffte Edict wider das Hausieren auf dem Lande […]“ (24. April 1720) bezog sich nicht ausschließlich auf Juden. In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 7. Kap., Nr. XII, Sp. 521ff. Dem entgegen steht das „Renovirte Edict, wegen Abhaltung der fremden Bettel-Juden“ (3. Januar 1737). In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 7. Kap., Nr. LVI, Sp. 20f. Dort heißt es: „[…] daß keinem ausländischen Betteljuden mit oder ohne Paß, es sey zu Wagen oder zu Fuß, so wenig als anderen fremden mit gehörigen Pässen und Attestatis nicht versehenen Juden der Eingang in Unsere Länder erlaubet sey […].“ 16 Edict wider die Banqueroutirer (14. Mai 1715). In: Mylius, C.C.M., 2. Teil, 2. Abt., Nr. 31, Sp. 51–56, 56. Die insges. sechzehn Artikel richteten sich speziell an die Falliten, ihre Ehefrauen (Art. 14), an die Schuldner (Art. 3) und Gläubiger (Art. 5) und versprachen Schutz vor „dergleichen Betrügern“ (Art. 2), „Dieben“ (Art. 1, 4, 5) und „Spitzbuben“ (Art. 2). 17 Ebd., Sp. 51. Während der Regierungszeit von Kurfürst Friedrich Wilhelm wurden im Fall des Schuldigbleibens von Warenlieferungen persönliche Moratorien erteilt, in denen der Schuldner seinen Vermögensstand attestierte, Kaution zahlte und sich verpflichtete, nichts zum Nachteil der Kreditoren zu veräußern oder zu beseitigen. In den Fällen, in denen ein betrügerischer Bankrott nachgewiesen wurde, erhielt der Fallit Festungshaft, in nicht betrügerischer Absicht Schuld- oder Hausarrest. In den häufigsten Fällen verlor die Familie Inventar-, Haus- und Grundbesitz. In wenigen Fällen wurde freies Geleit gewährt. Vgl. dazu auch den Fall Johann Christian Wacker (1689) und Joachim Philippe Bobbe (1697) bei Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2 (1934), S. 505. Ein betrügerischer Bankrott beinhaltet die Verheimlichung und Beiseiteschaffung von Vermögensstücken, vorgetäuschte Schulden, Vernichtung oder Fälschung von
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An keiner Stelle im Gesetzestext wurden Juden erwähnt oder im Besonderen angesprochen und ethnisch stigmatisiert. Auch in den folgenden Renovirte[n] und geschärffte[n] Edicten wider die Banqueroutirer (4. Februar 1723)18 und vom 20. Mai 173619 wurden keine expliziten Klauseln zu Lasten der Juden verankert.20 Als Erklärung für die ersten rechtlichen Kodifikationen zum Wirtschaftswesen kommen Rachel/Wallich (1938) ohne Zeitangabe zu folgender Erklärung: Der Eintritt so vieler fremder Elemente, namentlich der Juden und Refugierten in das Berliner Wirtschaftsleben, die Zunahme der auswärtigen Beziehungen und der Geldgeschäfte, andererseits die öfteren Vorfälle unsolider Geschäftsgebahrung gaben in jener Zeit den Anlaß zu gesetzlicher Regelung der Wirtschaftsverhältnisse, um die überkommenen einfachen Formen zu ergänzen und zu verbessern.21
Gleichfalls lässt sich unter den Stichworten „Bankrott, Konkurs, Konkursordnung oder Fallissement“ im Register zu Rachel/Wallichs zweitem Band Berliner Großkaufleute und Kapitalisten zur Zeit des Merkantilismus 1648–1806 eindrucksvoll ersehen, dass Bankrotte und Konkursverfahren im preußischen Manufaktur- und Fabrikwesen bei der Verarbeitung eigener und importierter Rohstoffe, im Geldund Wechselgeschäft und in Handel und Gewerbe unspezifiziert sowohl bei den Nachfahren der Réfugiés als auch bei den jüdischen und den christlichen Kaufleuten vorkamen und verhandelt wurden.22 Daher scheint es durchaus plausibel, dass die entsprechende Gesetzgebung alle Untertanen und damit auch alle KaufBuchführungs- oder Handelsbüchern oder eine vorsätzlich herbeigeführte Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Vgl. dazu Creifelds, Karl: „Konkursstrafen“ In: Ders. (Hrsg.): Rechtswörterbuch. München 1986, S. 650. 18 In: Mylius, C.C. M., 2. T., 2. Abt., Nr. 40, Sp. 209f. 19 In: Ebd., Nr. 55, Sp. 253ff. 20 Siehe dazu auch Schoeps, Julius H.: „Ein jeder soll vor alle und alle vor ein stehn“. Die Judenpolitik in Preußen in der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. In: Beck, Friedrich/Schoeps Julius H. (Hrsg.): Der Soldatenkönig. Friedrich Wilhelm I. in seiner Zeit. Potsdam 2003, S. 141– 160. Siehe ebenf. dazu Herzfeld, Erika: Preußische Manufakturpolitik unter Friedrich Wilhelm I. In: Ebd, S. 161–182. 21 Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 505. Ob Rachel/Wallich die erste Regelung zum Wechsel- und Zinsgeschäft (17. November 1695) auch mit der Datierung ihrer These verbinden, bleibt unklar. An früherer Stelle wurde unter dem Kapitel „Verleger und Fabrikanten“ angemerkt, dass die Zahl der gewerblichen Großbetriebe aus zwei Gründen anstieg: 1. durch die Staatstätigkeit und 2. durch die Einwanderung, „welche das hierzu erforderliche technisch geschulte, unternehmungslustige und freidenkende Menschenmaterial lieferte“. Ebd., Bd. 2, S. 251. 22 Siehe dazu die folgenden Seitenzahlen bei Rachel/Wallich allgem. zum Bankrott: S. 167, 460, 505; zum betrügerischen B.: S. 253, 441, 507, 520; zum böswilligen B.: S. 77, 469; zum BankrottierEdikt: S. 69, 72; zum Fallissement: S. 79, 200, 204, 449; zur Konkursordnung: S. 235, 514 und zum Konkurs: S. 29, 41, 56, 69, 73, 78, 101, 107, 171, 185, 197, 200, 208, 211, 235, 339, 342, 351, 353, 374, 377, 459, 464. Ebd., Bd. 2, Anhang.
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leute, unabhängig von der Herkunft oder dem Bekenntnis, per Gesetz informierte und mahnte. Das Risiko eines Bankrotts und die Furcht vor Wert- oder Kapitalverlusten betraf auch die Unternehmer, die es verstanden, sich das Wohlwollen der königlichen Regenten über lange Zeiten zu sichern, und die in der Doppelfunktion als Beamte und Faktoren der staatlichen Gewerbepolitik auch politischen Einfluss besaßen. Dass auch in diesen Fällen das Risiko des Verlustes minimiert werden sollte, zeigt sich am Beispiel des Berliner Bankiers und 1702 zum höheren Beamten und Geh. Kriegsrat im Generalkommissariat ernannten Johann Andreas (v.) Kraut23, der in einem Gesuch an Friedrich Wilhelm I. (20. August 1717) zwecks Beteiligung der „Kurmärkischen Landschaft“ an den Geschäften der unter dem Namen „Königliches Lagerhauses“ (1713) bekannten Berliner Tuchfabrik schrieb, dass es bekannt sei, dass alle Handlungen und Manufakturen „vielen casibus und Gefahren unterworfen seien, die man im voraus nicht assecuriren könne“24 und er nicht für den Anteil der Landschaft mithaften wolle. In einer Randbemerkung notierte Friedrich Wilhelm I. dazu, dass diese Gefahr nicht eintreten werde, es sei denn, dass „die Regimenter und ich banquerotte machen. Das wird nicht geschehen.“25 23 1703 nobilitiert, hatte Kraut zuvor verschiedene Finanzierungsgeschäfte u. a. für die brandenburgischen Hilfstruppen im Spanischen Erbfolgekrieg getätigt. Nach seinem Abzug von der Verwaltung der Generalkriegskasse verwaltete er mehrere Staatskassen und erwirtschaftete ein beträchtliches Privatvermögen. Die Gelder für die Errichtung einer Tuchmanufaktur mit zentralem Verlagsinstitut stammten aus seinem Kapital, die Idee hingegen von Friedrich Wilhelm I. Diese Idee – eine Montierungsfabrik für die preußische Armee zu errichten – scheint nach Hinrichs bereits bei der Gründung ein Motiv für die Einrichtung gewesen zu sein. Bereits 1715 wurde ein Liefervertrag mit der Armee zu festen Preisen abgeschlossen. Durch Preissteigerungen beim Wolleinkauf führte dieses Geschäft jedoch wider Erwarten zu einem Verlust. Hinrichs, Carl: Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. (1933) In: Acta Borussica: Die Wollindustrie, Bd. 1 (1986/87), S. 20ff. 24 Randbemerkung von Friedrich Wilhelm I. zum Gesuch von J. A. Kraut (20. August 1717), zit. n. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 169. Siehe zu Johann Andreas Kraut (1661–1723) ebd., S. 139. 25 Zit. n. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 169. Zum Geschäftsrisiko schrieb Carl Hinrichs: „Auf Kraut wirkte diese großartige Veranstaltung, deren Verwirklichung ihm der König auf die Schultern legte, wie ein großer Schrecken. Ganz abgesehen von der zu erwartenden riesigen Vermehrung der Arbeitslast bedeutete dieses schwierige und unsichere Geschäft ein außerordentliches Risiko, trotz der zinslosen Anleihe für deren Bestand Kraut als Lagerhausunternehmer schließlich doch aufkommen mußte.“ Hinrichs, Wollindustrie, S. 144. Siehe dazu auch Kap. IV: Die Wollindustrie als Heeresindustrie (seit 1714), S. 194–252. Acht Jahre später (1722) wurde die jährliche Montierung als Maßnahme zur Hebung des Absatzes auch in der Bürokratie diskutiert. Siehe dazu die angegebenen Briefwechsel bei Hinrichs, Carl: Das königliche Lagerhaus in Berlin. In: FBPG, Nr. 44 (1932), S. 58ff. Siehe auch Herzfeld, Manufakturpolitik, S. 165–173 und Reissig, Harald: Das Berliner Lagerhaus 1713–1816. Zum Einfluß von Regierung und
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Als Ursachen für die Konkurse nannten die betroffenen Falliten, Familienmitglieder, zeitgemäße Beobachter oder spätere Historiker sowohl familiäre Verluste und Veränderungen (Tod des Hauptunternehmers,26 Generationenwechsel in der Unternehmensführung, Erbschaftsstreitigkeiten), Kontrollverluste über die Geschäftsführung (Übersichtsverlust, mangelhafte Buchführung, zu hohe Verbindlichkeiten),27 gesteuerte wirtschaftspolitische Entscheidungen und Sympathieverluste der jeweiligen preußischen Herrscher (Wegfall der
Wirtschaft auf die Entwicklung einer altpreußischen Staatsmanufaktur. In: Berges, Wilhelm/ Herzfeld, Hans/Skrzypczak, Henryk (Hrsg.): Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 29 (1980), S. 73ff. Siehe zur Militarisierung des Sozial- und Wirtschaftslebens Büsch, Militarisierung, S. 67ff. und Kathe, „Soldatenkönig“, S. 84ff. 26 Gedacht ist hier an den Fall der Witwe Levin Veit – Jacques Corvisier. Nach dem Tod seines Geschäftspartners (1721) ging Corvisier wegen angeblich rückständiger Forderungen gegen die Witwe vor. In den folgenden Auseinandersetzungen warf er der Witwe betrügerischen Bankrott vor, also alles Wertvolle beiseite geschafft zu haben. Friedrich Wilhelm I. unterstützte Corvisier. Die Witwe erhielt Hausarrest, später eine militärische Wache und folgend Arrest in der Hausvogtei. Im späteren Konkursverfahren musste Corvisier eine teilweise bereits beglichene Schuldsumme zugeben. Die Witwe wurde 1723 aus dem Arrest entlassen. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen eine Witwe die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes profitabel und erfolgreich weiterführen konnte. Siehe z. B. Esther Schulhoff, gen. die Liebmännin, die ab 1702 die Geschäfte weiterführte oder die Fa. „A.G. Fickers Witwe & Co.“, die erfolgreich den Großhandel mit inund ausländischen Rohprodukten (vor 1784) weiterführte. Siehe auch die Fälle, in denen ein verschuldeter Unternehmer starb und seine Erben die Schuldforderungen einlösen mussten. Vgl. dazu den Fall des Wollmanufakturbesitzers und kurfürstlichen Kammergerichtsrates Elard Esich, der aus Bremen stammte und 1684 in Berlin starb. Vgl. dazu Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2. 27 Gedacht ist hier an den wiederholt in Schwierigkeiten geratenen Kaufmann Johann Ernst Gotzkowsky, der nur mit königlichen Hilfsgeldern, eingesetzten Kuratoren und dem erzwungenen Verzicht von Gläubigern, den Konkurs vermeiden konnte. Siehe dazu auch die von ihm selbst verfasste Monografie: Die Geschichte eines patriotischen Kaufmannes. Berlin 1769. Siehe ebenf. Hinze, Otto: Ein Berliner Kaufmann aus der Zeit Friedrichs des Großen. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins. H. 30 (1893), S. 1–18; Acta Borussica: Seidenindustrie, Bd. 3 (1892/ND 1986/87), Kap. 4, S. 103–135, und die Gedenkschrift von Bodo Gotzkowsky zum 200. Todestag von J. E. Gotzkowsky. In: Herold, Bd. 8, H. 4 (1975), S. 45ff.
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staatlichen bzw. königlichen Protegierung,28 aufgezwungene Risikogeschäfte,29 Privilegierung und Monopolisierung),30 innen- und außenpolitische Krisen und 28 Vgl. dazu auch die Begünstigung ganzer Gewerbezweige im Edikt vom 20. Oktober 1719. Gedacht ist hier auch an Geldsummen, die an den König bzw. an ein von ihm gefördertes Institut, für die Unterstützung in dem Verfahren Veith – Corvisier, gezahlt wurden. Siehe dazu auch die königlichen Geschenke an die Seidenfabrikanten (u. a. Immobilien). Mit diesen Geschenken war in der Regel auch eine Einflussnahme auf die Betriebsführung verbunden. (Vorgabe zur Anzahl der Webstühle/Arbeiter.) Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 79ff. u. S. 84. Siehe dazu auch die Einmischung in persönliche familiäre Angelegenheiten: Nach königl. Diktat sollte eine Tochter aus dem Haus des vorübergehend in Ungnade gefallenen Bankiers und Kaufmanns Baron v. Vernezobre (1730) einen Offizier aus der Garde heiraten. Friedrich Wilhelm I. wollte diese aufgezwungene Ehe als Ausdruck seiner „Aufmerksamkeit zu Gunsten der Etablierung Eurer Kinder“ verstanden wissen (Brief an Baron Vernezobre v. 1. November 1736). Siehe dazu den gedruckten Briefwechsel der Auseinandersetzung zwischen Vernezobre und Friedrich Wilhelm I. bei Schneider, Louis: Das Palais Sr. K. H. des Prinzen Albrecht von Preußen. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins. H. 3 (1870), S. 3–10, S. 7. Als Ersatzleistung für die verweigerte Eheschließung baute Vernezobre ein Palais in der Friedrichstadt, in dem nach dem Verkauf u. a. der türkische Gesandte Achmet Resmi Effendi residierte. (9. November 1763–3. Mai 1764) Darüber hinaus existieren Beispiele, in denen Kaufleute in der Doppelfunktion als Beamte und Kaufleute auch Rats- und Ministerposten einnahmen und in der Lage waren, eigene Bedingungen zu formulieren und durchzusetzen. (Siehe z. B. den Geh. Kriegsrat [v.] Kraut). Ferner existieren unter Friedrich II. Beispiele zu Fällen, in denen staatliche Kredite aus der Manufakturkasse gewährt und ohne Schuldbegleichung aus den Büchern gestrichen wurden. Das betrifft in diesem Fall die Fa. Girard & Michelet, die 1748 14.000 Rtlr. aus der Manufakturkasse erhalten hatte, die 1751 ohne Rückzahlung gelöscht wurden. In: Acta Borussica: Seidenindustrie, Bd. I, Nr. 256. Vgl. dazu auch Skalweit, der anmerkt, dass „der Berliner Unternehmer im 18. Jahrhundert neben aller Ausgedehnheit seiner Geschäfte daran gewöhnt war, dass der König für ihn plante, ihn über die Lage auf dem Weltmarkt unterrichtete, die diplomatischen Vertretungen im Ausland in den Dienst der Arbeitsbeschaffung stellte, kurz an seinem Tun ständigen Anteil nahm.“ Skalweit, Stephan: Die Berliner Wirtschaftskrise von 1763 und ihre Hintergründe. Stuttgart 1937, S. 13. 29 Gedacht ist hier z. B. an die Überbringung von Bargeldsendungen an preußische Truppen in Kriegszeiten. In diesem Fall hatte J. A. Salomon das Risiko zu tragen und wurde um über 20.000 Thlr. „vom Feind“ beraubt (1762). Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 220. 30 Siehe zu den staatlichen und verpachteten Monopolbetrieben auch Rachel, Hugo: Acta Borussica: Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. ND 1986/87, T. I, S. 426ff. Nur durch Gunstbezeugungen kam es in den seltensten Fällen zur Gewährung eines Monopols. Monopolisierungen wurden von den zukünftigen Fabrikanten erkauft oder zumindest mit Auflagen und finanziellen Sonderzuwendungen verdient, wie z. B. im Fall des Fabrikanten Schindler, der für sein Monopol auf die Gold- und Silbergespinstherstellung in seiner Berliner Fabrik (bis 1714) 1.200 Thlr. an die Rekrutenkasse zahlte. Die Herstellung von Seife und Zucker und die Verarbeitung von Tabak wurde zur Zeit von Friedrich Wilhelm I. allerdings mit wechselnden Erfolgen begünstigt. Siehe dazu Rachel, Acta Borussica, 420ff. Siehe dazu auch das Monopol für die Wolltuchlieferungen an die russische Armee. Unter den zehn Berliner Teilhabern der eigens gegründeten Russischen Handlungskompagnie befand sich kein jüdischer Kaufmann (1724). Das Handelsverbot für Wolle wurde 1727 erlassen. Das Monopol der Gesellschaft wurde allerdings nicht auf den gesamten
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Kriege (Teuerungswellen in Kriegs- und Friedenszeiten, Ex- und Importverbote in Krisenzeiten),31 geschäftliche Schwierigkeiten mit in- oder ausländischen Vertragspartnern über Rück- und Einzahlungen (Wechselstreitigkeiten mit Gläubigern in langjährigen Prozessen)32 oder durch ausländische Konkurse von Vertragspartnern,33 persönlich risikoreiche Verhaltensweisen (Spielschulden, überdimensionierter Lebenswandel) und fremde äußere Einwirkungen (Miss-
Wollwarenhandel mit Russland ausgedehnt. Hinrichs, Wollindustrie, S. 214ff. In dem bei Rachel genannten Fall aus dem Jahr 1699 führte das Privileg im Fall des Fabrikanten Joseph Orelly nicht zum Konkurs der Konkurrenz, sondern durch Mangel an Eigenkapital zur Überschuldung und zum eigenen Konkurs. Rachel, Acta Borussica, Bd. 1, S. 743. Siehe dazu ebenfalls den Bankrott des Kaufmanns François Preye (1746), der wegen betrügerischen Bankrotts steckbrieflich gesucht wurde und nach seiner Verhaftung in Hamburg in Preußen inhaftiert wurde. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 252. Siehe dazu auch den Fall von Johann Gottlieb Stein, der wegen Begleichung der Schuldsumme aus der Haft entlassen wurde, die Schuldsumme bezahlte und dennoch zu vier Jahren Festungshaft verurteilt wurde (1766). Im Fall des beamteten Kaufmanns und Armeelieferanten Kraut (1714) führte bereits die erwartete Monopolisierung zu einem Bankrott (Berlin). Ebd., S. 167. 31 Siehe zu den Wirtschaftskrisen unter Friedrich Wilhelm I. auch die Krisenerscheinungen in der Zeug- und Strumpffabrikation (1727), in deren Verlauf u. a. gegen die jüdischen Kaufleute das Verbot erlassen wurde, sich in irgendeiner Weise mit Wolle oder Wollverarbeitung zu befassen (Edikt v. 9. April 1727). Dass die Berliner Fabrikanten die stockenden Absatz und den Preissturz auf die Konkurrenz der Juden schoben, war nach Hinrichs ein „Gelegenheitsargument“, um die Regierung zum Vorgehen gegen die Juden zu veranlassen. Hinrichs, Acta Borussica: Wollindustrie, S. 324. Eine tatsächliche Konkurrenz in Bezug auf Arbeiter, Löhne und Verkaufspreis spielte sich eher zwischen dem Staatsbetrieb „Berliner Lagerhaus“ und der Berliner Unternehmerschaft ab. Ebd., S. 30ff. Möglicherweise basierte das Vorgehen gegen die jüdischen Händler auf der Absicht von Friedrich Wilhelm I., der Konkurrenz „gefällig“ zu sein und vorübergehend von den tatsächlichen Konkurrenzen abzulenken. Andererseits wurde die Judenschaft in der Manufakturpolitik mit Einschränkungen und existenzgefährdendem Druck bereits vor 1730 in die Sonderstellung gedrängt. U. a. musste die neumärkische Judenschaft für ihre Duldung seit 1722 Waren im Wert von 10.000 Rtlrn. jährl. dem Staatsbetrieb abnehmen und verkaufen. Diese Maßnahme ging nach Hinrichs auf Kraut zurück. Ebd., S. 335. Auch Friedrich Wilhelm I. stützte diese spezielle Form der absatzfördernden Zwangsgeschäfte mit Manufakturwaren. Ebd. Siehe zur Zeit von Friedrich II. u. a. Skalweit, Wirtschaftskrise; Beutin, Ludwig: Die Wirkungen des siebenjährigen Krieges auf die Volkswirtschaft in Preußen. In: VSWG 26 (1933), S. 209–243; Treue, Wilhelm: Die Wirtschaft im Siebenjährigen Krieg und im „Retablissement“. In: Büsch, Otto (Hrsg.): Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 2. Berlin/New York 1992, S. 483–494. 32 Siehe dazu Jersch-Wenzel, Stefi/Rürup, Reinhard (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Bd. 2. München 1999. 33 Gedacht ist hier an den Konkurs der Gebr. Neufville (Amsterdam), die mit zu hohen und nicht einlösbaren Wechselverbindlichkeiten den Konkurs von 95 Hamburger Häusern verursachten, weil sie ihre aktuellen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen konnten. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 451.
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ernten, Unglücksfälle, Raub oder Untreue).34 Die Bandbreite dieser Ursachen ist hierbei fast ebenso groß wie das Verständnis zur Schuldfrage.35 Mangelhafte Buchführung war nicht per se mit betrügerischen Absichten gleichzusetzen.36 Nach den Recherchen von Rachel/Wallich stellte die vollständige Führung der Handelsbücher ein weit verbreitetes Problem für viele christliche Kaufleute dar.37 Nach Skalweit gehörte die regelmäßige Buchführung nicht zum erlernten Allgemeingut des Kaufmanns. Die unzureichende Ausbildung zeigte sich bereits im Rechnen und in der Rechtschreibung. Feste Abschlussregeln und jährliche Bilanzierungen wurden als Betriebstechniken kaum praktiziert.38 Und da die Mehrzahl der Kaufleute keine Handlungsdiener oder andere Hilfskräfte beschäftigten, blieben Unregelmäßigkeiten in den Büchern keine Ausnahmen.39 Die Selbsteinschätzung der Kaufleute konnte in diesen Fällen erheblich von der Einschätzung der staatlichen Buch- und Akziseprüfer abweichen. So schrieb der Berliner Kaufmann Johann Ernst Gotzkowsky (1710–1775) in seinen Memoiren Geschichte eines patriotischen Kaufmannes (1769), dass er während seiner Lehrzeit in der Berliner Materialwarenhandlung Sprögel die Kenntnisse erwarb, die er während seiner Kindheit als Waise versäumt hatte: 34 Siehe dazu u. a. den Fall von Caspar Salomon (Berlin 1697) in Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 204. 35 Siehe dazu die Befürchtung des Hoffaktors, Kaufmannes und späteren Geh. Kriegsrats Johann Andreas (v.) Kraut, der zur Zeit des Großen Kurfürsten und nach dem Friedenskongress zu Ryswijk (1697) befürchtete, dass ihm über kurz oder lang „von Leuten, denen die wahren Umstände solcher Dinge (eine Zinsnahme von 8 % für ein Risikogeschäft) nicht bekannt [waren], einiger Vorwurf geschehen möchte“. Zit. n. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 146. 36 Siehe dazu auch einen Fall, der sich in der staatlichen Verwaltung zur Zeit Friedrich Wilhelms I. ereignete. Nach dem Bericht von Heinz Kathe wurde der Steuereinnehmer Hesse gehängt, weil in den Büchern der Verbleib von über 4.000 Thlr. nicht nachgewiesen werden konnte. Hesse war des Betruges und Diebstahls für schuldig befunden worden und erst eine spätere Revision ergab seine Unschuld. Kathe, „Soldatenkönig“, S. 80. 37 Rachel/Wallich zitieren an dieser Stelle Staatsrat Kunth, der noch für die Zeit nach 1815 bezeugte, dass die überwiegende Mehrzahl der Berliner Kaufleute und Fabrikanten nur sehr geringe Bildung besaß. Vgl. dazu Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 519. Siehe dazu auch Kunths „Denkschrift. Gedanken über die Mittel, die Stuhlarbeiter in der Hauptstadt zu vermindern oder wenigstens der Vermehrung derselben Grenzen zu setzen“. In: Hintze, Otto: Denkschrift über die Berliner Manufakturverhältnisse aus dem Jahre 1801. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Bd. 31 (1894), S. 101–114. 38 Auch eine Trennung zwischen den Ausgaben für die Haushalts- und Betriebsführung wurde kaum vollzogen. Skalweit, Wirtschaftskrise, S. 12. 39 Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 519f. Die Autoren berichten vom Kaufmann Karl Friedrich Rose, der wegen betrügerischen Bankrotts (1765) und aufgrund der unordentlichen Geschäftsführung (Eintragung der Geschäfte in eine Kladde) nach über drei Jahren Untersuchungshaft zu weiteren vier Jahren Festungshaft verurteilt wurde.
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Binnen dieser Zeit (1724–1730) übte ich mich im Rechnen und Schreiben auf das emsigste, und erwarb mir, durch Lesen guter und nützlicher Bücher, die Kenntnisse, die ich bei der empfangenen Erziehung nicht hatte erlernen können. Ich erwarb mir durch diese Bemühung die Gunst meines Herrn, und mein vorzügliches Bestreben ging lediglich dahin, mir, womöglich, alle Menschen zu Freunden zu machen.40
In den Buchprüfungen der beigestellten staatlichen Kuratoren zur Vermeidung eines Konkurses stellte sich hingegen heraus, dass die „Bücher mangelhaft, unordentlich und auf gar nicht kaufmännische Art geführt“41 worden waren. Auch das ALR schrieb fest, dass ein Kaufmann, „welcher entweder gar keine ordentlichen Bücher führt, oder die Balance seines Vermögens, wenigstens alljährlich einmal, zu ziehen unterläßt, und sich dadurch in Unwissenheit über die Lage seiner Umstände erhält, bey ausbrechendem Zahlungsunvermögen als ein fahrlässiger Bankerutirer bestraft [wird]“.42 40 Gotzkowsky, Johann Ernst: Geschichte eines patriotischen Kaufmanns. Berlin 1769, S. 8. Gotzkowsky stellt sich betont christlich, selbstlos und wohlwollend dar, auch gegenüber den „Münzjuden“. Diese erhielten wegen der erwarteten Plünderungen durch russische und österreichische Truppen im Siebenjährigen Krieg (Oktober 1760) die Erlaubnis, sich selbst und „ganze Frachten an Geld“ in seinem Haus in Sicherheit zu bringen. Ebd., S. 30. In den späteren Kontributionsverhandlungen soll G. den russ. Stadtkommandanten darauf hingewiesen haben, dass die jüdische Gemeinde zur Bürgerschaft Berlins zu zählen sei und in diesem Rahmen ihren Anteil an den Kontributionen und den Douceurgeldern zahlen müsste. Siehe dazu auch den Einfluss von G. auf das Verbot des Seidenhandels für preußische Juden oder die Beschuldigungen des systematischen Schmuggels mit fremden Seidenwaren. In: Hintze, Denkschrift, S. 6ff. Ignoriert man das selbstherrliche Zeugnis, bleibt doch der Eindruck, dass der direkte Einfluss der Berliner Kaufmannschaft in den Verhandlungen vor Ort erstaunlich groß war. Lässt man also die Selbstdarstellung weitgehend außer Acht, so erhält der Leser durchaus plausible Erkenntnisse aus dem Erfahrungswissen Gotzkowskys u. a. über die Widerstände gegen das Anlegen und Betreiben von Fabriken, die Herstellung von Qualitätswaren wie zur Wahrnehmung und Kritik in der Öffentlichkeit und zu den Konkurrenzen mit den Handwerksbetrieben. Ebenso interessant sind die zeitgemäßen Ereignisse in ihren wirtschaftlichen Folgen, so z. B. die Absatzprobleme auf der Leipziger Messe kurz nach Beginn des Siebenjährigen Krieges oder die Einführung des Friedrichsdors. 41 Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 462. Für die Geschäfte der Gebrüder Wegely (1790) erwähnen die Autoren Rachel/Wallich, dass „die Hauptbuchführung nach einfachen Partien (ohne Waren-, Gewinn-, Verlust- oder Handlungskosteneintragungen)“ vorgenommen wurde. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 263. Als die Brüder zahlungsunfähig wurden, verweigerte Friedrich Wilhelm II. seine Hilfe aus pädagogischen Gründen: „Da Ich den Kaufleuten nicht angewöhnen will, auf Mein Conto Banquerotte zu machen“. KO an Minister Werder (1. April 1790). Zit. n. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 264. An die ein Jahr später erfolgte finanzielle Hilfe wurden Bedingungen geknüpft: Kommissarische Aufsichten, monatliche Berichte und Revisionen und ein notdürftiges Fixum für den privaten monatlichen Geldbedarf. 42 ALR, 2. Teil, 20. Tit., 15. Abschn., § 1468.
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Eine Zuspitzung erfuhr die Strafpraxis in dem Fall, wo der Fallit Jude war. Der christliche Kaufmann verlor alle seine kaufmännischen Rechte und im Fall, dass er auch öffentlicher Amtsträger war, zusätzlich sein Amt. Als Jude verlor er die Erlaubnis für den Handel und sein Schutzprivileg, also das Aufenthaltsund Schutzrecht für sich und seine Familie.43 Dass auch ein überstandener oder nicht wissentlich verursachter Bankrott erhebliche Folgen für die gesellschaftliche Reputation mit sich brachte, dokumentierte eine Verordnung von 1728, die zwar als Reaktion auf ein immediat überreichtes Memorial der Berliner Ältesten44 gewertet werden kann. Aber Friedrich Wilhelm I. betonte in seinem Reskript, dass die Bitte der Ältesten seinen persönlichen Ansichten entsprach und die Verordnung ausschließlich aus diesem Grund installiert würde. In diesem Reskript vom 30. November 1728 ordnete Friedrich Wilhelm I. an, „dass Banqueroutirer und andere verdächtige Personen auf die Wahl [der Ältesten] nicht gebracht, sondern redliche und unpartheiische Männer dazu ernannt werden, widrigenfalls sie zu gewarten, daß auf eingekommenen Klagen solche Wahl wieder annuliret seyn soll“.45 Die Gesetzgebung zum Gen.-Jud.-Priv. von 1750 orientierte sich an der Gesetzgebung unter Friedrich Wilhelm I. und übernahm das sprachliche Vokabular zur moralisch-ethischen Bewertung eines Bankrotts als „boßhafftig“ aus dem Edikt von 1715. Darin hatte Friedrich Wilhelm I. unter Art. 8 auch die Meldepflicht für „diejenigen, so von einem obseyenden Fallimente wissen, solches in Zeiten in den Gerichten jedes Ortes gebührend an[zu]zeigen“,46 verfügt. Die Androhung drastischer und drakonischer Strafen installierte Friedrich Wilhelm I. für Bankrotteure mit „diebischen Gemüthern“ in seinem geschärften Edikt. Dort heißt es in Art. 6 des Edikts vom 4. Februar 1723: Wann auch ein offenbarer Banqueroutirer, ehe dessen Falliment kund wird, verstirbet, und sich sodann finden sollte, daß er auf vorgeschriebene, oder andere betrügliche Weise seine Creditores muthwillig ins Unglück gestürzet, und dadurch den Strang oder doch LeibesStrafe, wenn er bey Leben blieben, zu erwarten gehabt hätte; So soll dessen Cörper durch den Scharffrichter auf dem Schindanger begraben, keineswegs aber einer ehrlichen Bestattung gewürdigt werden.47 43 Ebd., § 1469. 44 Selma Stern verweist in ihrer Quellensammlung nur auf „das Rescript, dass die hiesige Judenschaft keinen banquerott gewordenen Juden oder die sonst verdächtig sind, zum Judenältesten erwählen sollen“. 45 Reskript vom 30. November 1728. Gedr. in Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. 52, Sp. 193. 46 Mylius, C.C.M., 2. Teil, 2. Abt., Nr. 31. 47 Siehe dazu Renovirtes und geschärfttes Banqueroutirer-Edict (4. Februar 1723). In: Mylius, C.C. M., 2. T., 2. Abt., Nr. 40, Sp. 210. Auch im ALR, 2. Teil, 20. Tit., 15. Abschn., § 1457 wurde in Sachen betrüglicher Bankrott angemerkt, dass „in allen Fällen eines betrüglichen Bankeruts
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Art. 5 und 6 aus dem Generalprivilegium und Reglement, wie es wegen der Juden in Sr. Königl. Majestät Landen zu halten48 (29. September 1730) wurden im Gen.Jud.-Priv. von 1750 nicht erwähnt. Dort war in Art. 5 im Fall des Verkaufs von Gestohlenem festgelegt worden, dass nicht nur der Täter mit Brandmarkung und Auspeitschung bestraft, sondern auch die Mitwisserschaft über das Wissen vom Verkauf von Gestohlenem mit dem Landesverweis geahndet werden sollte, „nicht minder diejenigen Juden, welchen etwas Gestohlenes angebothen wird, wenn sie solches verschweigen, und der Obrigkeit nicht sofort anzeigen, des Landes verwiesen werden sollen“.49 Friedrich II. ließ die unter Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 angeführten Maßnahmen in einem speziellen Judenreglement kodifizieren. Mit diesem Rückgriff auf die bisherige Rechtspraxis wurde der Eindruck suggeriert, dass die allgemeine Gesetzgebung im Hinblick auf die Geschäftspraxis der jüdischen Untertanen50 bereits in der Vergangenheit nicht ausreichend war und gegenwärtig ein härteres Strafmaß erforderlich sei. Dass die jüdischen Kaufleute finanzielle Risiken auch aus Gründen der politischen Opportunität51 mitzutragen die Festungs- oder Zuchthausstrafe, am Anfange und Ende der Strafzeit, durch Züchtigung, verschärft werden [soll]“. 48 Gedr. bei Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap.: Von den Juden-Sachen, Nr. 53, Sp. 193–200. 49 Ebd., Sp. 193. Da weder in Art. 5 noch in Art. 6 auf den ausdrücklichen Verlust des Schutzbriefes hingewiesen wurde, erscheint es zumindest möglich, dass die Familie des Verdächtigen oder Schuldigen unbehelligt blieb und nicht ausgewiesen wurde. Dafür spräche auch die Praxis der fortgesetzten Etablierung der Witwen im Todesfall ihres „Schutzpatrons“. Solange kein Sohn das Patent übernahm und die Witwe unverheiratet blieb, sollte sie gegen „Erlegung des halben Schutzgeldes geschützet werden“ (Art. 11). Eine Haftbarkeit der Gemeinde für Verfehlungen einzelner konnte nach dem Reglement nur durch die Klauseln in Art. 17 und 18 abgeleitet werden. Dort hieß es: „17. Wegen richtiger Abtragung des Schutz- und Recrutengeldes sollen die Juden in jeder Provintz einer vor alle und alle vor einen stehen. 18. Soll bey der Judenschaft keine Trennung ferner stattfinden, sondern ein jeder muß, es mit der gantzen Gemeine halten, auch dem Rabbi, welchen Wir nachdrücklich schützen werden, unterwürfig seyn“. 50 Siehe dazu Kapitel 8.2 dieser Arbeit. Nach den Beurteilungen von Skalweit hatte die friderizianische Wirtschaftspolitik den Juden „von Anfang an ablehnend gegenüber gestanden. Der König sah in ihnen nicht nur die Träger einer andersgearteten, den Vorstellungen kaufmännischer Ehrbarkeit widersprechenden Wirtschaftsgesinnung, […] sondern er bekämpfte in ihnen vor allem das auf Zwischenhandel eingestellte, unproduktive Händlertum als den natürlichen Feind der aufstrebenden Industrie. Daher ging er viel planmäßiger und bewußter gegen das Judentum vor als sein Vater, der sich auf gelegentliche Einzelmaßnahmen beschränkte.“ Skalweit, Wirtschaftskrise, S. 21. 51 Siehe dazu auch die Verfügung von Friedrich II., eine Abnahmepflicht von Seidenwaren aus der Herstellung der Berliner/Potsdamer Betriebe Michelet & Girard und Blume (Gotzkowsky) für die Erlaubnis zur Einfuhr fremder Seidenwaren zu installieren. Vorausgegangen war der Vorwurf Gotzkowskys an die jüdischen Kaufleute (in Berlin, Magdeburg u. Königsberg), importierte Waren zu bevorzugen und so die einheimische Produktion zu hemmen. Siehe dazu den Schriftwechsel in: Acta Borussica: Seidenindustrie, Bd. I (1892), Nr. 246, 247, 250, 273 (Verfügungen wg.
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hatten und prekäre finanzielle Verhältnisse für viele jüdische Kaufleute zur Realität gehörten, führte nicht zu einer Gleichbehandlung in der Frage der Strafpraxis für einen strafbaren Bankrott. Im Gegenteil. Mit den Folgen und Konsequenzen eines Geschäftsverlustes, der zur Auflösung des Schutzpatentes und zum Landesverweis führen konnte, operierte der preußische König auch, um die Anzahl der jüdischen Inländer im Kaufmannsgewerbe gering zu halten.52 Darüber hinaus zeigte sich in dieser gebündelten Kodifizierung das ganze Dilemma der Sondergesetzgebung gegen die jüdischen Preußen. Die bestehende Gesetzgebung erhielt unter dieser Fokussierung einen deutlich verschärften Charakter, weil die allgemein gültigen Gesetze in diesem speziellen Reglement nur auf eine Bevölkerungsgruppe angewandt wurden und nur diese unter potentielle Straftäterschaft stellten. Aber auch im ALR beinhaltete die Strafe für einen fahrlässigen Bankrott von jüdischen Falliten den Verlust des Aufenthalts- und Schutzprivilegs. Damit existierte auch über vierzig Jahre nach dem Gen.-Jud.-Priv. von 1750 keine Gleichbehandlung in der Frage des Strafmaßes.53 Nach Rachel/Wallich ist der Herstellungsbetrieb im Manufaktur- oder Fabrikgewerbe erst unter Friedrich II. entstanden und von ihm zielbewusst gefördert worden: „Der König hat unablässig die Kaufleute und Juden zu eigener Unternehmertätigkeit angespornt und dafür alle Mittel des Drucks wie andererseits der Begünstigung angewendet.“54 Danach sollte der Inlandsbedarf mit so wenigen des Seidenhandels insonderheit der Juden) und Nr. 277 (Seidenhandel der Juden in Berlin). Siehe dazu auch das Urteil von Friedrich II. über die Seidenherstellung der jüdischen Fabrikanten in der KO an Kriegsrat Voss (Potsdam) wg. des Gesuchs von Samuel Jakob, eine Seidenfabrik zu errichten (22. April 1752). Gedr. in Acta Borussica: Seidenindustrie Bd. 1, Nr. 271. In dem Fall, dass der Handel die Festlegungen überschritt, wurde der Verlust des Schutzbriefes angedroht. Eine ausdrückliche Erlaubnis, den Handel voranzutreiben, erhielten die Kaufleute Ephraim & Söhne, der Samtfabrikant Hirsch und der Fabrikant Bernhard Isaac. Siehe dazu auch: Schenk, Wegbereiter, der u. a. im Fall der Abnahmepflicht des Berliner KPM-Porzellans für die Gewährung von Privilegien und für die verordnete Übernahme der Templiner Seidenstrumpffabrik (1769) Konkursfälle benennt. 52 Siehe dazu auch N.C.C., Bd. 1 (1751–1760), Nr. 6, Sp. 7. Im Reskript an sämtliche Kriegs- und Domänenkammern wurde festgelegt, dass keine zusätzlichen Judenfamilien in Preußen etabliert werden sollten. Die Erteilung eines Privilegs wurde an eine Fabrikgründung geknüpft (13. Januar 1751). 53 Ob Strafverfahren gegen jüdische Falliten häufiger und willkürlicher stattfanden und mit dem Verlust des Schutzprivilegs geahndet wurden, muss eine Sichtung der entsprechenden Prozessakten ergeben. Siehe dazu u. a. die Angaben von Meta Kohnke in: Jersch-Wenzel/Rürup (Hrsg.), Quellen, Bd. 2, S. 11, S. 13. 54 Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute; Bd. 2, S. 256. Gedacht ist hier auch an das Münzgeschäft bzw. die Pachtung, Belieferung und die Prägung von Scheidemünzen in den sechs Münzstätten in Berlin/Magdeburg; Königsberg/Breslau und Aurich/Cleve während des Siebenjährigen Krieges. Das in den Anfangsjahren (ab 1755) von Hertz M. Gompertz, Daniel Itzig und Moses Isaac (Fliess) betriebene Pachtgeschäft wurde nach dem Tod von Gompertz (1758) und dem Ausstieg
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Importen wie möglich gedeckt werden.55 Diese Maxime war weder mit Kostendeckung, mit deutlicher und hoher Rendite noch mit der Herstellung und dem Export von europäisch konkurrenzfähigen Qualitätswaren verbunden. Die Bankiers und Kaufleute Ephraim & Söhne, Gompertz, Moses Isaac und Daniel Itzig wurden zu den maßgebenden Spitzen der Berliner Handelswelt gezählt. Als 1753 die Graumannschen Banco-Vorschläge56 an eine Auslese der Berliner Kaufmannschaft verschickt wurden, ging man bei der Zusammensetzung der Adressatenliste nach der königlichen Direktive vor, dass „von den zu Berlin befindlichen Banquiers und Kaufleuten, welche en gros handeln diese die ersten und vornehmsten sein sollen, wenn in Sachen die dortige Kaufmannschaft angehend oder aber in Angelegenheiten der zu etablirenden banque betreffend etwas zu tractiren oder zu proponiren vorfallen wird […]“.57 Das Hinzuziehen zu Entscheidungsprozessen, die den in- und ausländischen Handel steuern sollten, war in diesem Fall auch ein Ausdruck der Anerkennung für die fachliche Kompetenz und von Vertrauen. Mit dem Generalverdacht bzw. der Verlagerung des Geschäfts von Isaac Moses (Fliess) nur noch von Daniel Itzig und der Fa. Ephraim & Söhne geführt und finanziert. Über die Verträge sind kaum Einzelheiten bekannt. Vgl. zu den gegenseitigen Vorwürfen auch Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 291ff. Die Beurteilung der Autoren, dass die Motive zu diesem Geschäft auf rein egoistischen Ursprüngen basierten und von den christlichen Kaufleuten aus moralischen und nicht aus risikobehafteten Überlegungen abgelehnt wurden, schränken die Aussagekraft der Analysen erheblich ein. Ebd., S. 319. Vgl daher auch die entsprechenden Dokumente in Acta Borussica: Münzwesen, Bd. 3, S. 319ff. 55 Siehe dazu auch die Kritik des Grafen von Mirabeau. In: Mirabeau/Mauvillon, Preußische Monarchie. 5. Buch (1794). ND 1981, S. 4ff. Auch Mirabeau zeigt sich als Anhänger des Schotten Adam Smith: Über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen. Siehe dazu auch Kap. 8.2 dieser Arbeit. Als Hindernisse einer erfolgreichen Bilanz zwischen Inland- und Auslandshandel nannte M. die hohen Zölle und die Monopolwirtschaft. Tatsächlich verärgert zeigt sich der Autor über die hohe Besteuerung von Weinen und die Verwässerung der „Rhein- und Moselwein[e]“, der „Franzwein[e] und Spanische[n] Wein[e]“, weil er die „tröstende Herzstärkung“ des „nützlichsten Produkte[s] für die Menschheit“ und den, in diesem Fall erzwungenen Verzicht als eines der „größten Verbrechen der Regierungen“ empfand. Ebd., S. 61. 56 Siehe dazu das Kapitel: Die Berliner Kaufleute und der erste Bankplan bei Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 520ff. und Panwitz, Sebastian: Die Gesellschaft der Freunde 1792–1935: Berliner Juden zwischen Aufklärung und Hochfinanz. Hildesheim 2007. Vgl. dazu auch die anschauliche Schilderung bei Kertbeny, Berlin, 208ff. 57 KO v. 22. November 1753. In: GStA PK, Akten des Gen.-Dir., Rep. 96, B 50. Zit. n. Rachel/ Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 529. Andererseits wurden die Wechselbestimmungen im Codex Fridericianus (1748) „wegen des unerträglichen und höchst schädlichen Einluß der Juden“ strenger gefasst. Die folgenden Eingaben auf Gleichbehandlung in den Wechselsachen mit christlichen Kaufleuten hatten Erfolg, galten aber nur für einen Zeitraum von zwei Jahren (19. Januar 1753–22. Dezember 1755). Im Siebenjährigen Krieg gelang es wenigen Finanziers über ihre Tätigkeit als Entrepreneurs die Rechte christlicher Bank- und Kaufleute zu erhalten (Abraham Marcuse, Daniel Itzig u. Veitel Ephraim).
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von böswilligen Absichten korrespondierte diese Aufwertung nicht. Es scheint demnach so, dass Friedrich II. seine eigenen Ansichten zur Nützlichkeit von Menschen gelegentlich revidierte, anpassungsfähig und opportun den Interessen des Staates unterordnete, ohne seine Grundhaltung zur Masse zu revidieren und in seiner Gesetzgebung humanistischer bzw. menschenfreundlicher zu agieren, denn in seinem Politischen Testament von 1752 hatte er für seinen Nachfolger die Empfehlung ausgesprochen: Darüber hinaus muß man über die Juden wachen und verhüten, dass sie sich in den großen Handel mischen, verhindern, daß ihre Zahl steigt, und bei jeder Spitzbüberei ihnen ihr Aufenthaltsrecht nehmen, weil nichts für den Handel der Kaufleute schädlicher ist, als der unerlaubte Handel, den die Juden treiben.58
Ebenso existieren auch aus späteren Regierungsjahren gegen die Kaufmannschaft gerichtete Äußerungen des Misstrauens und der öffentlich-rechtlichen Zurücksetzung. In seinem späteren politischen Testament von 1768 konstatierte Friedrich II.: „Wir haben zu viele Juden in den Städten. An den Grenzen von Polen sind sie nötig, weil in diesem Land nur die Juden Handel treiben. Sobald eine Stadt von Polen entfernt ist, werden die Juden schädlich durch den Wucher, den sie treiben […].“59 Seine folgende Empfehlung leitete der Monarch mit einer Rechtfertigung und persönlichen Erklärung ein: „Ich habe niemals die Angehörigen dieser Sekte verfolgt noch sonst jemanden; ich glaube indessen, daß es klug ist, darüber zu wachen, daß ihre Zahl nicht zu sehr ansteigt.“60 In dem nach ihm benannten Werk zur Justizreform, dem Codex Iuris Fridericianum61 bestimmte Friedrich II., dass die Beweiskraft von Handelsbüchern 58 Friedrich II.: Regeln für Handel und Manufakturen. In: Ders.: Das politische Testament von Friedrich dem Großen (1752). Bearb. von R. Dietrich. Gedr. in: Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Bd. 20 ( 1986). Die politischen Testamente der Hohenzollern, S. 301. Siehe dazu auch die Randbemerkung auf eine Anfrage des Gen.-Dir. an Friedrich II., ob ein aus Frankreich stammender Chirurg in preußische Dienste übernommen werden sollte (17. Juli 1770). Dazu Friedrich II.: „Man muß den Menschen examinieren ob er was Nutze ist, oder ob er wie die meisten Frantzosen ein Windbeutel ist.“ Originalhandschrift mit Randbemerkung. Gedr. bei Wallich, Urkunden und Aktenstücke , Nr. 43, S. 29. 59 Friedrich II., Politisches Testament von 1768. Gedr. in: Veröffentlichungen aus den Archiven […], Bd. 20 (1986), S. 461–697, S. 507. 60 Ebd. 61 Die kleine Reformkommission unter Vorsitz von Großkanzler Samuel Frhr. v. Cocceji (1679– 1755) hatte nach der Vorgabe gearbeitet, Justizbehörden und Gerichte zu vereinheitlichen, unter staatliche Aufsicht zu stellen und das geltende Recht zu vereinheitlichen. Das hieß konkret: Verstaatlichung des Sportelwesens, Beschränkung der Gerichtsinstanzen und der Prozessdauer, Verbesserung der Ausbildung der Richter und Berufung durch Qualifikation nicht durch den adligen Stand. Im Ergebnis hob die Justizreform die Gerichtsbarkeit der Kriegs- und Domänen-
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jüdischer Kaufleute nur beschränkte Gültigkeit besitzen sollte. In der Prozessordnung wurde wie folgt verfügt: In Ansehung der Handelsbücher gebühret eine vorzügliche Beweiseskraft nur den Büchern der christlichen Banquierers, Entrepreneurs von Fabriken und Kaufleuten […]. In allen Fällen wo ein jüdisches Handlungsbuch in obgedachtermaaßen gegen Christen zum Beweise inducirt werden soll, muß solches in deutscher Sprache geführt seyn. Wenn einem Juden die Rechte christlicher Kaufleute verliehen werden, oder derselbe den christlichen Glauben annimmt, erhalten dessen Bücher nur in so weit sie nach diesem Zeitpunkt geführet worden, mit den Büchern christlicher Kaufleute Beweiseskraft.62
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts (1805) wurden die Mitwirkung und der dementsprechende Einfluss von zehn außerzünftigen jüdischen Komiteemitgliedern aus der Kaufmannschaft in der Börsenrepräsentanz ausdrücklich für notwendig befunden.63 Dass die allgemeine Gesetzgebung ausreichend war und von Friedrich II. im Einzel- und Ausnahmefall auch so angewendet wurde, zeigt das Beikammern jedoch nur bedingt auf. Obwohl Cocceji die Untertanen auch von „der Tyrannei der Departements- und Steuerräte“ befreien wollte, blieben dieselben für die Auseinandersetzungen zwischen den Domänenräten und den Städten, die Besteuerungen, die Innungsrechte, die Streitigkeiten zwischen Amt und Bürgern und die Vergehen gegen Polizei-, Militär- und Steuerverordnungen zuständig. Die zusätzlich in Arbeit genommene Strafrechtsreform wurde nach dem Tod Coccejis nicht mehr vollendet, sondern mit den bisherigen Ergebnissen als „Codex revisus“ zusammengestellt. Siehe zur Justizreform auch Hubatsch, Walter: Friedrich der Große und die preußische Verwaltung. 2. Aufl. Köln/Berlin 1982, S. 212–221, S. 215. 62 Codex Iuris Fridericianum, 4. Teil, 6. Titel, § 54. 63 Die ersten Börsenversammlungen fanden nach dem Börsenreglement unter Friedrich Wilhelm I. (1739) in der sog. Grotte im Berliner Lustgarten statt. Als Vereinigung aller tätigen Kaufleute und Bankiers verstand sich die Gesellschaft nicht, da die Trennung zwischen christlichen und jüdischen Kaufleuten beibehalten wurde und eine tägliche Zusammenkunft aufgrund der Geschäfts- und Wirtschaftslage nicht notwendig war. Den Anlass zu täglichen Informationen und Angleichungen in den Wechselgeschäften gab erst die Münzveränderung im Siebenjährigen Krieg. Am 5. März 1800 erfolgte die Genehmigung zum Bau eines Börsenhauses. In diesem Haus trafen sich die Vereinigung der Elbschiffergilde und die Kaufleute christlichen und „mosaischen Glaubens“. Das Konzept und Reglement war sowohl vom Manufaktur- und Kommerzcollegium, von der Kgl. Bank- und Seehandlung als auch vom Magistrat, der Gesetzkommission und den Ältesten der Berliner Judenschaft begutachtet und geprüft worden und trat am 15. Juli 1805 mit der ersten gesetzlichen Börsenversammlung in Kraft. Siehe dazu auch Kertbeny, Berlin, S. 210ff. Nach Rachel/Wallich war das Börsenreglement, das die veraltete Ordnung von 1739 überholte, in Zusammenarbeit mit der Vereinigung jüdischer Kaufleute unter dem Namen „Ressource“ (1794) entstanden, ein Verbund, der auf die „Gesellschaft der Freunde“ zurückging. Mitglieder der Börsenrepräsentanz waren: Liebermann Schlesinger, Samuel N. Bendix, Abraham H. Bendix, August H. Bendemann, Heymann J. Fränkel, David Ephraim, I. N. Liepmann, Joel S. Halle, Salomon Veit und als Börsenvorsteher Ruben S. Gompertz und Jacob H. Beer. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 2, S. 542ff.
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spiel zur Regelung der Erbansprüche jüdischer Kinder. Friedrich II. bestätigte und schützte in dem bereits genannten Reskript vom 13. April 1775 den Rechtsanspruch der Kinder auf das Erbe eines verstorbenen Falliten als „beneficium abstinendi“ vor dem Zugriff der Gläubiger und begründete seine Fallentscheidung mit den Worten, dass das „Beneficium abstinendi der natürlichen Billigkeit gemäß den Kindern in den gemeinen Rechten gegeben ist, auch nach diesem die Juden wie die Christen geurtheilet werden müssen, wofern nicht gegen sie eine besondere Ausnahme durch die Gesetze gemacht worden“.64 Anders verhielt es sich mit dem Edikt vom 15. Januar 1747. Das friderizianische Edikt mahnte alle Judenschaften „sich des Kaufs oder der Verheelung gestohlener Sachen […] nicht nur gäntzlich zu enthalten, sondern auch, wann bey einem oder anderm von ihnen etwas gestohlenes oder verdächtiges zum Verkauf gebracht wird, solches sofort anzuhalten, diesen Vorfall gehörigen Ortes zu melden“.65 Die Judenschaft des Ortes musste den Schaden/Wert ersetzen, wenn der Fallit dazu nicht in der Lage war. Um sich also vor diesen Regressansprüchen zu schützen, sollten die Gemeinden „sich unter einander genau observiren und wahrnehmen, und im Fall sie einen oder den andern auf unrichtigen Wegen betreffen sollten, solchen sofort gehörigen Ortes anzeigen müssen“.66 Nach der KO vom 25. Dezember 1747 sollte im Fall eines Bankrotts der Fallit den Schutzbrief und die Konzession für sich und seine Familie verlieren, wenn er die Schuldforderungen nicht erfüllen konnte. Von einer Haftung in solidum war in diesem Fall nicht die Rede.67 Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 bestimmte, dass die Eltern oder Erben eines verstorbenen Schutzjuden die Schulden um die Summe zu begleichen hatten, „was Uns oder anderen Christen der verstorbene Jude schuldig
64 Rescript an das Cammer-Gericht über die Auslegung des § 10 des Juden-Reglements de 1750 wegen verstorbener verschuldeter und Fallit gewordener Juden (13. April 1775). In: N.C.C., Bd. 5 (1775), Nr. 18, Sp. 125ff., Sp. 128. Insgesamt wurden vier Fragen zur o. g. Verfahrensweise behandelt. 65 Edict, wie es die Judenschaft in denen sämmtlichen Königlichen Landen, in Ansehung derer gestohlenen oder verdächtigen Sachen, die ihr zum Kauf gebracht werden, halten; Imgleichen, wie gegen diejenige Juden, so dergleichen kaufen, verfahren werden solle (15. Januar 1747). In: Mylius, C.C.M. (1745–1747), Continuatio III, Nr. 1, Sp. 137–140, Sp. 138. Unter Strafe standen nicht nur An- und Verkauf von gestohlenen Gegenständen, sondern auch der Kauf zu eigenen Verbrauchszwecken. Das Strafmaß umfasste den Verlust des Schutzes für die ganze Familie, den Landesverweis und das Verbot des Nachrückens von neuen Familien. 66 Ebd., Sp. 139. 67 Edict, daß künftig die Schutz-Juden, welche einen Banquerot machen, und nicht im Stande seyn werden, ihre Creditores befriedigen zu können, vor sich und die ihrigen des Schutzes verlustig gehen, und ihr Schutz-Brief dergestalt erlöschen solle, daß auch solcher nicht mit einer neuen Juden-Familie besetzt werden dürfe“ (25. Dezember 1747). In: Mylius, C.C.M. (1745–1747), Continuatio III, Nr. 45, Sp. 299–300.
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geblieben“.68 Seine Loyalität mit den christlichen Untertanen drückte Friedrich II. über die Identifikation mit christlichen Gläubigern aus. Mit dieser Formulierung orientierte sich Friedrich II. fast wörtlich am Reglement von 1730. Dort hieß es unter Art. 25 wie folgt: Da es auch bisher gebräuchlich gewesen, daß wenn ein Jude stirbt, derselbe nicht eher begraben werden darf, biß dessen Eltern oder Erben wegen desjenigen, was er der Gemeine schuldig geblieben, völlige Richtigkeit gemachet: So declarieren wir solches hiemit dahin, dass die Begrabung nicht eher geschehen soll, biß die Eltern und Erben auch dasjenige was er an Uns oder an Christen schuldig geblieben, abgeführt oder deshalb genugsame Caution gemachet haben werden.69
In den Begründungen zu einer Modifizierung des Paragrafen argumentierten die Ältesten, dass die Verantwortung und Kontrolle über die Handlungen und Geschäfte der Kinder mit dem Entlassen aus der väterlichen Gewalt und dem Auszug aus dem elterlichen Haus nicht mehr möglich sei. Darüber hinaus hätten sie weder ein Recht noch die Zwangsmittel, eine Einsicht in die Handlungen der Kinder zu verlangen. Das Modifizierungsmodell der Ältesten sah dementsprechend vor, „daß die Verbindlichkeiten derer jüdischen Eltern zur Bezahlung der Schulden ihrer verstorbenen Kinder nur soweit sich erstrecken [soll], als die Eltern sich des Nachlasses ihrer Kinder angemaßet, oder sich für derselben Erben geradezu erklärt haben“.70 Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. sah vor, dass die Judenältesten „hierauf genaue attention nehmen, und wenn sich einiger Verdacht, zu dergleichen vorsätzlichen Banquerout ereignet, es in Zeiten gehörigen Orts anzuzeigen haben“.71 Damit wiederholte Art. 10 inhaltlich auch den bereits zitierten Passus aus Art. 24 und Teile des vorangegangenen Art. 9: Zur Erreichung dieses Zwecks sollen die Judenältesten und Vorsteher jeder Provinz und jeden Orts auf den Zustand derer sämmtlichen Juden ein beständig wachsames Auge haben, 68 Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. v. 1750. Zit. n. Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 252. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 35. 69 Art. 25 des Gen.-Jud.-Priv. v. 29. März 1730. In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. 53, Sp. 197. In der Deklaration vom 24. Dezember 1730 verfügte und ergänzte Friedrich Wilhelm I., dass die Eltern und Erben die Schulden zu zahlen hätten, aber diese Bezahlung nicht vor der Beerdigung des Verstorbenen stattfinden müsse. Mylius, C.C.M., 4. Teil, Abt. 3, 3. Kap., Nr. 54 , Sp. 199ff. Siehe dazu auch: Confirmatio Privilegii (20. Mai 1714), § 27: „[…] überall im Röm. Reich [wird] die Schuldenbegleichung von den Eltern oder Erben des Verstorbenen verfügt“. In: Mylius, C.C.M., 5. Teil, 5. Abt., 3. Kap., Nr. 31, Sp. 157ff., Sp. 164. 70 Eingabe der Oberlandesältesten/Ältesten (22. Mai 1795). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 103. 71 Art. 10 des Gen.-Jud.-Priv. v. 1750. Zit. n. Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 252.
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und falls sie merken sollten, daß einer dergleichen dergestalt in Verfall seiner Nahrung geriethe, dass desselben Verarmung oder gar Banquerout zu besorgen, einfolglich derselbe zum gemeinen Beitrage der öffentlichen Lasten und Gebühren bald untüchtig werden müßte, anderweitige Veranstaltung bey denen Kollecten machen, dass die Ausfälle verhütet und kein Abgang noch Reste bei den jüdischen Abgaben, so weit dieses die königlichen Kassen betrifft, entstehen mögen.72
In diesem Fall schlugen die Ältesten keine Modifizierung, sondern die Abschaffung der Überprüfung der Kaufleute, Wechsler und Handlungsleute vor, weil es nach den aufgezählten Umständen unmöglich war, dieser Kontroll- und Aufsichtspflicht nachzukommen: „Eure Kgl. Majestät bitten [wir] allergehorsamst, uns mit dieser Auflage gänzlich zu verschonen, und fürs künftige davon zu befreyen.“73 Nach Lewin bezog sich die Petition der Oberlandesältesten vom 22. Mai 1795 nur noch auf spezielle Punkte: 1. Milderung der Bankrottbestimmungen, 2. Abschaffung der solidarischen Haftung in Diebstahlssachen und 3. Befreiung von der Aufsichtspflicht der Ältesten gegenüber den Gemeindemitgliedern. Auch Ismar Freund spricht von einer Initiative, die nur noch „einige Punkte“74 des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 abschaffen wollte. Die Eingabe mit den wenigen und konkreten Forderungen entsprach den bisherigen Erfahrungen mit den Ergebnissen der Reformarbeiten und spiegelte letztlich auch die reduzierten Erwartungen der Supplikanten wider. Die Hoffnung auf eine „Totalreform“75 hatte sich nicht erfüllt. In der aktuellen Eingabe wurde dieser Umstand berücksichtigt und eine Anpassung an real-politisch aussichtsreichere Gesetzeskorrekturen formuliert. Obwohl in der Eingabe der Ältesten die Fortsetzung der Reformarbeiten nicht angesprochen oder gefordert wurde, sprachen sich in den darauffolgenden Gutachten und Stellungnahmen alle politischen Gremien gegen die Weiterführung einer umfassenden Reform des Judenwesens aus.76 In einer ersten Stellungnahme zur Eingabe der Gemeindeältesten hatten die Beamten des Justizdepartements (8. 72 Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 9. Zit. n. Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 251. 73 Eingabe der Oberlandesältesten/Berliner Ältesten (22. Mai 1795). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 105. 74 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 66. Auch nach der KO an die Räte sollte das spezielle Augenmerk auf die direkte Prüfung der vorangegangenen Anfrage gerichtet werden: „Ob es rathsam sey, so lange die Juden in Rücksicht ihrer bürgerlichen Verhältnisse, Beziehung und Hierarchie […] in der bisherigen Verfassung bleiben, die einzelnen Gesetze […] aufzuheben oder abzuschaffen?“ In: GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX (1797), Nr. 9, Bl. 1. 75 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 66. 76 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 174. Der Briefwechsel zwischen den Gremien ist einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4. Einzelne Dokumente und Gutachten finden sich auch in: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 22.
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Juni 1795) selbst auf einen Zusammenhang mit den vorangegangenen Reformbemühungen hingewiesen: „Die Sache steht mit der in den Jahren 1791 und 1792 zur Verbesserung des Judenstatus in der genauesten Verbindung, und wir erinnern uns, dass in dem damals projektirten Reglement, so wie in den darüber erstatteten Gutachten der Gesetz-Commmission […].“77 In den Akten existierten jedoch keine Abschriften und der Plan war wegen der Kriegskonjunkturen zur Seite gelegt worden.78 Die Auseinandersetzung mit den bekannten Argumenten diente demnach auch der Rekapitulierung des eigentlichen Verhandlungsgegenstandes. Im General-Direktorium saßen zu diesem Zeitpunkt nach dem Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat auf das Jahr 1795 die Beamten Blumenthal und Schulenburg-Kehnert, Heinitz, Werder, Rohdich, Arnim, Voss und Struensee.79 Zwei Jahre später (1797) kamen die Beamten v. Schroetter für Ostpreußen, Neu-Ostpreußen und Westpreußen und v. Kannewurf für das MilitairDepartement als neu Berufene hinzu. Ausgeschieden waren zu diesem Zeitpunkt die Herren v. Werder und v. Rohdich. Im Reskript des General-Direktoriums (21. Juli 1795) heißt es wie folgt: Die Reform des Judenwesens selbst anlangend, so würden wir, uns solche auszuführen durch denjenigen Theil der Judenschaft, welcher derselben entgegen ist und sie allenfalls so verlangt, daß daraus vielmehr eine Verschlimmerung entstehen würde, wider den Wunsch des besser gesinnten und zu den nothwendigen Bedingungen bereithwilligen Theils nicht abhalten lassen, wenn hierbey bloß auf diese Nation zu sehen wäre. […] Die Vorurtheile gegen diese Nation ungerechnet, zu welchem sie in ihrem bisherigen Zustande wohl allerdings vielen schuldbaren Anlaß gegeben, zugleich aber auch durch eben diesen Zustand in schlechtem Betragen veranlaßt ist, so würde keine Verbesserung derselben ohne Erweiterung ihrer Nahrungszweige ausführbar seyn, die nicht unbegründete Furcht aus ihrer Concurrenz aber, und der aus einzelnen Fällen bisher erfahrene hartnäckige Widerwille der Christen gegen Zulassung der Juden zu solchen Gewerben, welche sie nach der jetzigen Verfassung nicht treiben dürfen, würde eine Unzufriedenheit der christlichen Unterthanen, die höchst bedenklich werden könnte, unausbleiblich verursachen, und solche selbst bey partieller Verbesserung zu besorgen seyn, welche überdies mit der Exemtion der zu verbessernden, von der solidarischen Haftung für die Abgaben nothwendig verbunden werden müßte, und dieses würde wieder seine große besondere Schwierigkeiten haben.80
77 Schreiben des Justiz-Dep. an das Gen.-Dir. (8. Juni 1795). In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 7. 78 Ebd. 79 Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat (1795). 80 Vgl. dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 174f. und Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 106f. Die Schrift war eine Reaktion auf die Anfrage des Justizdepartements v. 8. Juni 1795. Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 106.
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In diesem Gutachten wurde der Gedanke an eine weiterführende Arbeit an der Gesamtreform aufgrund „besonderer Schwierigkeiten“,81 der Rücksichtnahme gegenüber der christlichen Mehrheit, der christlichen Klientel der konkurrierenden Gewerbe und der fehlenden Alternative zur bisherigen Sonderbesteuerung für nicht durchführbar angesehen. Dass nur den „besser gesinnten“82 Juden die Qualifikation zum preußischen Bürger zuerkannt werden sollte, wurde hier erstmals behördlich ausgesprochen. Dennoch wurde die Eingabe der Ältesten als berechtigte Kritik an der solidarischen Haftung gewertet und Teile der bisherigen Gesetzgebung zur „Abstellung, doch wenigstens zur möglichen Milderung“83 empfohlen. Nach den Untersuchungen von Hans Hattenhauer verstanden sich die Redakteure des ALR als Reformer und „Angehörige einer Minorität mit dem elitären Selbstverständnis der Erzieher aus Passion“.84 Dieses Selbstverständnis besaßen auch die Beamten in der Reformfrage zur jüdischen Gesetzgebung. Das Gesetz sollte in diesem Sinne als Erziehungsinstrument wirken, allerdings weniger über das Lob, sondern durch die Sanktion, die Strafe und die Haftbarkeit. Nach Hans Hattenhauer sollte die Gesetzgebung im ALR allgemein „forder[n], straf[en] und ermahn[en] wie ein guter Hausvater“.85 Doch nach den Absichten der ALR-Redakteure sollte der vielfältige Katalog an Sanktionen strafen, ohne zu entehren.86 In den Kollektivstrafen konnte diese Form der Bestrafung nicht von ihrem Straftatbestand getrennt werden. Die Haftung in solidum stand gedanklich und sachlich immer im Zusammenhang mit einer Straftat und fiel durch die Haftpflicht auf die Gemeinde zurück. Auch wenn diese mit der einzelnen Tat nichts zu tun hatte und rechtmäßiges Handeln keine Schadensersatzpflichten begründete (ALR Einl. II, § 94 ). Anders lagen die Richtlinien für die Pflichten und Rechte, die durch unerlaubte Handlungen entstanden. ALR 1. T., 6. Tit., § 28 sah vor, dass die Verbindlichkeit zum Schadenersatz auch auf die Erben überging. Gleichfalls hatten die Redakteure des ALR den Passus der subsidiarischen Haftung bei Diebstählen und Hehlerei nicht mit aufgenommen, sondern verfügt, dass „ein solcher Jude“ den Schutz des Staates verliert und aus dem Land verwiesen wird (ALR 2. T., 20. Tit., § 1243). In diesem Sinne stand die friderizianische Gesetzgebung durchaus im Gegensatz zur modernen Kodifikation im ALR. Hans Hattenhauer beurteilte den 81 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 107. 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliografie von Günther Bernert. Frankfurt a. M./Berlin 1970, Einführung: S. 11–39, S. 32. 85 Ebd. 86 Ebd.
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Wertekanon, den das ALR nach dem Willen seiner Verfasser transportieren sollte, als Leitbild der Aufklärung, „der Erziehung des Individuums zur Freiheit und dadurch zum Glück“.87 Aber das angestrebte Ziel setzte kein Recht auf eine grundsätzliche Gleichstellung aller Untertanen voraus. Zusammengefasst bezogen sich die allgemeinen Grundsätze des Rechts auf die Prämissen: 1. Gemeinwohl geht vor Eigenwohl; 2. Schutz von Person und Eigentum; 3. Stand und Geburt bestimmen die Rechte des Menschen; 4. Im Kollisionsfall entscheiden die Gesetze und die richterliche Bestimmung.88 Auch in den folgenden Schriften zwischen dem Justizdepartement, dem General-Direktorium und der Gesetzkommission stand die Anfrage der Ältesten im Kontext des gescheiterten Reformentwurfs. Das Justizdepartement (5. Oktober 1795), vertreten durch die Minister Woellner und Goldbeck89, sprach sich für die Beibehaltung der subsidiarischen Haftung aus.90 Auch in diesem Votum gingen die Verfasser von einem moralischen Defizit beim „großen Haufen der Nation“91 aus und bemerkten als Vorwurf, dass die Besserung des moralischen Charakters durch die Änderung der politischen Verhältnisse im Entwurf von 1792 zwar angestrebt wurde. Aber da die Reform gescheitert sei, wäre der moralische Charakter unverändert geblieben. Ergo müsste die Gesetzgebung die Christen weiterhin vor den „nachtheiligen Folgen jener Verdorbenheit“92 schützen. In ihrer zweiten Stellungnahme votierten die Beamten des General-Direktoriums (20. Oktober 1795) für die Aufhebung der Haftung in solidum und argumentierten, dass der Verlust des Schutzbriefes eine stärkere präventive Wirkung besäße als die Haftbarkeit der Gemeinde.93 Auch die Aufsichtspflicht der Ältesten im 87 ALR, Einführung, S. 31. 88 Zusammengestellt nach der Einführung von Hans Hattenhauer zum ALR. 89 Siehe zu Justizminister und Großkanzler Goldbeck (1733–1818) Anlage 2: Biografien. Siehe zu weiteren Auskünften Straubel, Handbuch, S. 323f. 90 Vollständig transkribiert bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 107f. Im Handbuch über den Preussischen Hof und Staat (1795), S. 163, heißt es zum Justiz-Ministerium: „Das Justiz-Ministerium hat die Aufsicht über die Ober- und Unter-Justizcollegia in den sämmtlichen Königlichen Landen, ausgenommen Südpreußen, Neuchâtel, Ansbach und Bayreuth. Mit demselben ist verbunden das Lehen-Departement, das Geistliche Departement, das Französische ColonieDepartement und das Pfälzer-Colonie-Departement, welche unten einzeln aufgeführt werden.“ 1797 saßen Großkanzler, Reck, Woellner und Thulemeier, als Chef des Geistlichen Departements, im Justiz-Dep. Die Zusammensetzung blieb 1795/1797 unverändert. Vgl. zu Friedrich Willhelm, Freiherr (v.) Thulemeier (1735–1811) und Eberhard Friedrich Christoph Freiherr v. d. Reck (1744– 1816) Anlage 2: Biografien. 91 GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 16. 92 Ebd. 93 GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen. Generalia, Fasz. 22, Bl. 63–64. Siehe auch Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 109f.
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Fall der Überprüfung des Kredits und der Handlungsfähigkeit eines Kaufmanns hielten die Verfasser für keine sinnvolle präventive Maßnahme zur Verhinderung eines schuldhaften Bankrotts. Auf Bemerkungen und Urteile zum moralischen Zustand der Unterthanen verzichteten die Beamten im Gegensatz zu ihrem ersten Schreiben an das Justizdepartement (21. Juli 1795) völlig. Dass sich das GeneralDepartement in diesem Schreiben hauptsächlich auf die juristische Auseinandersetzung mit der Supplik der Ältesten konzentrierte, begründete sich aus der dezidierten Anfrage des Justizdepartements. Allgemeine Aussagen zur Einschätzung des moralischen Charakters der jüdischen Einwohner beantworteten nicht die konkreten juristischen Anfragen zur individuellen Schuldfrage und zur Festsetzung des Strafmaßes. Damit orientierten sich die Beamten in diesem Schreiben am existierenden Rahmen des ALR und stellten die weitere Anwendung der Kollektivhaftung in Frage. In diesem Votum sprachen sich die Beamten des GeneralDirektoriums in allen Anfragen gegen ein Weiterbestehen der Haftung in solidum für die Gemeinde, gegen den Verlust des Schutzes für die von einem Bankrott des Falliten betroffenen Familienmitglieder und Angestellten des Hauses und gegen die Beobachtungspflicht der Ältesten gegenüber den Korrespondenzen, Kreditoren und Debitoren der Kaufmannschaft aus. Das Gutachten der Gesetzkommission erfolgte eineinhalb Jahre nach der Anfrage, am 2. Juli 179794 und admittierte die Frage, „ob einige den Juden beschwerliche Gesetze aufzuheben, so lange sie in ihrer bisherigen Verfassung bleiben“,95 juristisch ratsam sei. Dass die Gesetzkommission zum Votum herangezogen wurde, hatte hauptsächlich einen Grund: Evidente Grundeinsichten, die für die aufgeklärte Gesellschaft als akzeptiert vorausgesetzt wurden, mussten, wenn sie an Glaubwürdigkeit nicht verlieren sollten, in logischen Schlussfolgerungen münden und allgemein verbindliche Rechtsnormen begründen.96 Ernst Ferdinand Klein, neben Svarez und Carmer einer der Hauptredakteure des ALR, ging davon aus, dass ein Gesetzbuch nie so beschaffen sein könnte, dass es auch nur ein Menschenalter hindurch unverändert bleiben werde.97 Die Einrichtung der Gesetzkommission (1780) sollte über die Arbeit am ALR hinaus dieser Aufgabe entsprechen und auftauchende Zweifel und Fragen mit gesetzlich bindender Kraft beantworten. Nach Hattenhauer erwiesen sich jedoch die „ihr übertragenden Aufgaben als zu groß und ihre theoretische 94 Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 111ff. In den Akten findet sich auch ein Schreiben an die Gesetzkommission (2. November 1795) mit der bereits genannten grundsätzlichen Frage: „Ob es rathsam sei, einzelne Gesetze aufzuheben, so lange die Juden in ihrer Verfassung verbleiben würden?“ In: GStA PK, II. HA Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 20. 95 Freund, Akten, S. 111. Siehe dazu den zehnseitigen Bericht der Gesetzkommission (Juli 1797). In: GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a Fasz. 22, Bl. 69–73. 96 Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 201. 97 Hattenhauer, ALR, Einführung, S. 36.
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Konzeption als unrealistisch“,98 so dass das Recht auf authentische Interpretation 1806 dem Justizminister übertragen wurde. Die Gesetzkommission (2. Juli 1797) votierte in ihrem Gutachten mit einem geteilten Meinungsbild ihrer Mitgliederschaft sowohl für wie gegen die Aufhebung der subsidiarischen Haftung.99 Zum angegebenen Zeitraum saßen in der Gesetzkommission Herr v. Carmer als Chefpräsident und die Herren Beyer und Könen als Direktoren. Zur Finanzdeputation gehörten die Finanzräte Burghoff, Bärensprung, Grothe, Schulze, Gerhard, Ransleben und Gerlach.100 In der Justizdeputation der Gesetzkommission saßen die Räte Heidenreich Lamprecht, Scholtz, Baumgarten, Svarez, Grolmann, Kircheisen, Goßler und Cavan. Insgesamt umfasste das Gremium achtzehn Mitglieder. 1797 blieb die Zusammensetzung der Kommission unverändet.101 Die Beamten, die sich in ihrer Argumentation für die Beibehaltung von Art. 24 des Gen.-Jud.Priv. (1750) und gegen die Aufhebung der subsidiarischen Haftung aussprachen, schlossen sich dem ersten Bericht des General-Direktoriums (21. Juli 1795) an. Auch hier wurde die Judenschaft in den „gemeinen, schlecht denkenden, seine Verbesserung verweigernden [und] der Neigung zum Wucher“102 zugetanen Teil der Judenschaft und den „aufgeklärten und gut denkenden Theil der Judenschaft“103 auseinanderdividiert. Die Beibehaltung der subsidiarischen Haftung sollte als Reaktion auf den ersteren Teil der Judenschaft verstanden werden. Die Fraktion, die für die Aufhebung von Art. 24 argumentierte, wies 1. auf die Unmöglichkeit der Kontrolle in einer großen Gemeinde wie z. B. in Berlin hin und führte 2. die statistische Erhebung der Arrestanten der Berliner Hausvogtei104 wegen Diebstahls an. Letztere bewies, dass die Juden keine Diebe und Diebesheh-
98 Ebd. 99 Freund spricht von einem Stimmenanteil von neun Pro- und neun Contra-Meinungen. Das genannte Gutachten der Gesetzkommission ist nur von neun Beamten unterschrieben: Cavan, Heidenreich, Beyer, Grothe, Ransleben, Svarez, v. Hermensdorff, Burghoff, Borgstede. In den entsprechenden Einzelgutachten an Minister Svarez sprach sich z. B. der Geh. Justizrat Heidenreich gegen die Rechtsgleichstellung aus, weil die jüdische Kolonie „zur Vertheidigung des Landes nicht beytrage“. Auch ein Gutachten von Minister Struensee ist dort einzusehen. Sein Votum ist negativ. Siehe dazu GStA PK, I. HA Rep. 21, 207b 2a, Fasz. 22, Bl. 63ff. und 69ff. 100 Siehe zu den Beamten der Gesetzkommission Anlage 2: Biografien. 101 Vgl. zur Gesetzkommission (1781–1789) auch GStA PK, I. HA Rep. 9, Abt. XI, Bd. 3, Bl. 405– 415 und GStA PK, I. HA Rep. 84, Abt. IX. 102 Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 111–117, S. 112f. 103 Ebd. Siehe dazu auch die Gutachten von L. F. (v.) Kircheisen. Er saß bereits 1792 in der Gesetzkommission und gab ein neunseitiges Gutachten ab. Siehe dazu GStA PK, I. HA Rep. 84, IX, Nr. 7 (1792) . Sein Gutachten von 1797 ist im Geh. Staatsarchiv Berlin-Dahlem unter I. HA Rep. 84, Abt. IX (1797), Nr. 9 einzusehen. 104 Im Zeitraum der letzten neun Jahre hatten von den 1.374 Insassen nur elf Juden eingesessen.
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ler und „die Christen um nichts besser [sind]“.105 Darüber hinaus wurde der präventive Charakter von Art. 24 in Frage gestellt. Die Tat werde durch den Paragrafen nicht verhindert, sondern schädige die Unschuldigen. In der Frage zur Aufhebung der polizeilichen Aufsicht der Judenältesten und zur Anzeigepflicht gegen mutmaßliche Bankrotteure106 votierten beide Fraktionen für die Beibehaltung des Paragrafen. Das sei keine besondere, nur den Juden auferlegte Härte, sondern nach ALR, 2. T., 20. Tit., 15. Abschn., § 1480 eine Pflicht für die Vorsteher und Ältesten der Kaufmannschaft in jedem Ort.107 Nach dem Votum der Gesetzkommission korrigierte das Justizdepartement (10. Juli 1797)108 die Fragestellung zugespitzt als enge, simplifizierte und die Härten außer Acht lassende Frage: „Ob überwiegende Gründe vorhanden [seien], das bestehende Gesetz aufzuheben?“109 Die Minister Reck, Woellner und Goldbeck sprachen sich nur im Fall der Ausdehnung des Verlustes des Schutzprivilegs auf die Kinder des Delinquenten für einen Schutz der Unschuldigen und eine Aufhebung der Klausel aus. Das General-Direktorium übernahm in seinem dritten Schreiben (21. November 1797)110 die zugespitzte Fragestellung der Justizkollegen nicht, sondern hielt ausdrücklich an der Formulierung der Gesetzkommission fest. Das spielte allerdings für die Beurteilung des Anliegens keine wesentliche Rolle mehr. Im Votum des General-Direktoriums wurde betont, dass sich die Juden freiwillig unter den Schutz des Staates gestellt hätten und das Gen.-Jud.-Priv. damit die Natur eines Vertrages erfülle. Damit hätten sie keine Ansprüche auf eine Korrektur oder eine Erweiterung ihrer Rechte zu stellen, weil sie „ein bloß geduldetes Volk“111 seien und sich um ihren Schutz „nicht verdient 105 GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 22, Bl. 70. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 114. 106 Nach ALR, 2. Teil, 20. Tit., 15. Abschn., § 1469 hieß es: „Ein solch fahrlässiger Bankerutirer (§§ 1466–1468) wird, wenn er in einem öffentlichen Amte steht, dieses Amtes, und wenn er ein Jude ist, seines Schutzprivilegii, sowie ein anderer Kaufmann aller kaufmännischen Rechte, verlustig. Also daß er ohne besondere Erlaubniß keinen Handel weiter treiben darf.“ Eine Zuspitzung der Gerichtsbarkeit für Juden zeigt sich auch in § 1462: „Ist er ein Kaufmann [der muthwillige Bankerutirer, Anm. d. Verf.], so verliert er noch außerdem, für immer, alle kaufmännische Rechte; so wie ein Jude für sich und seine Familie den Schutz des Staats.“ Damit blieb das Prinzip der „Schutzbriefe“ unangetastet. 107 Siehe dazu ALR, 2. Teil, 20. Tit., 15. Abschn., § 1480. 108 GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 43–44. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 17–119. 109 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 117. 110 GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 60 –62. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 119–123. 111 Ebd., zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 120. Eine ähnliche Formulierung findet sich in einem Skript des Stadtrats von Prag (1797), der Änderungsvorschläge zum Judenpatent (1792) mit
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gemacht“112 hätten. Im Gegensatz zum zweiten Schreiben vom 20. Oktober 1795, vertrat das General-Direktorium die Ansicht, dass die Einrichtung der Haftbarkeit für die Gemeinde und die Familienmitglieder auch aktuell eine sinnvolle Gesetzgebung sei, weil sie die „gute Aufführung“113 sicherte, ohne die eine Erteilung des Schutzprivilegs nicht denkbar sei. Damit legte das General-Direktorium den Schwerpunkt der Begründung auf eine präventive Funktion der kollektiven Haftung und formulierte den Anspruch, dass die Zuerkennung weiterführender Rechte auch weiterhin mit einer kollektiven Qualifikation verbunden werden sollte. Am 13. Dezember 1797 antwortete das Justizdepartement mit einer Einschränkung bezüglich der Begründung des General-Direktoriums und äußerte Bedenken gegenüber der Absicht des General-Direktoriums, das Gen.-Jud.-Priv. von 1750 als „Staats-Vertrag“ zu werten.114 Begründet wurde der Einwand mit der Feststellung, dass auch ein Staatsvertrag Härten enthalten könne und die Argumente der Berliner Ältesten gerade auf diese hinweisen, „in dem die Beschwerde der Juden gerade dawider gerichtet ist, dass auf diesem Staatsvertrage eine innere Ungerechtigkeit hafte, und die Bedingung ihrer Reception eine den ersten Principiis des Natur und Allgemeinen Staatsrechts ebenso sehr entgegenlaufende als unnöthige Härte involviere […].“115 Inhaltlich schlossen sich die Kollegen des Justizdepartements (Reck, Woellner, Goldbeck) jedoch den Maßstäben des GeneralDirektoriums an. Die Ablehnung des Gesuchs sollte mit moralischen Kategorien begründet werden, die sich auf Beispiele für eine nicht vorhandene Integrationsbereitschaft berufen sollten: Daß so lange ihre Nation fortführe, sich nicht bloß durch theoretische Religions-Meynungen, sondern durch praktische Grundsätze, Sitten und Verfassungen von den übrigen StaatsEinwohnern zu isolieren; so lange sie vermöge ihrer inneren Constitution und Hierarchie gleichsam einen besondern Staat im Staate bilde; solange die Erziehung bei den großen Haufen eine so verkehrte, den Zwecken des Staates entgegenlaufende Art eingerichtet sey; solange in diesen Stücken keine allgemeine und gründliche Verbesserung erfolge als wozu nur die Nation selbst die Hand bieten könne, so lange folglich die Gründe bestehen, welche die Gesetze, die den Gegenstand der Beschwerde ausmachen, als Sicherungsmittel für die übrigen Staats-Einwohner motiviert hätten, eine Aufhebung dieser Gesetze umso weniger stattfinden könne, […].116
der Begründung ablehnte, „die Juden seyen eine blos unter gewissen Beschränkungen geduldete Nazion“. Adler, „Das Judenpatent von 1797“. Zit. n. Katz, Ghetto, S. 184. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 63. Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 123–124. 115 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 123. 116 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 124.
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Die Antwort des General-Direktoriums an das Justizdepartement (27. Dezember 1797)117 klang versöhnlich ob der formulierten ablehnenden Haltung des Justizdepartements gegenüber dem Gesuch der Ältesten. Die Kritik an der Definition des Gen.-Jud.-Priv. von 1750 als Staatsvertrag wurde angenommen, als ohnehin nie vorgesehene Begründung zurückgenommen und zur Methode der Verdeutlichung herabgestuft. Die Begründung zur Ablehnung der Eingabe ergab sich aus dem Statement zum Status der Staatsbürgerschaft. Die Rechte eigentlicher Staatsbürger mussten verdient werden. Die Voraussetzung war, „den übrigen Staats-Einwohnern in Ausübung ihrer äußeren Pflichten gleich [zu] werden“118 und die Hindernisse „der fehlerhaften Erziehung“119 und der „hierarchischen Verfassung“120 wegzuräumen. Für den Schritt von der Duldung bis zur rechtlichen Anerkennung und eventuellen Gleichstellung waren Taten und Beweise zu erbringen. Von der Anerkennung grundsätzlicher und natürlich erworbener Rechte war dieses Prinzip weit entfernt. Damit war die Tendenz der Beschlusslage eindeutig zu erkennen. Nach Ludwig Geiger verhinderten die Differenzen innerhalb der Gremien die Aufhebung der alten Gesetzgebung, weil keine Einstimmigkeit erzielt werden konnte. Im abschlägigen Bescheid an die Berliner Ältesten (2. April 1798) verstand man es jedoch durchaus, die Ergebnisse der Voten unter dem Adjektiv „abschlägig“ zu bündeln. Diese Tendenz hatte sich nach dem Gutachten der Gesetzkommission (1797) eindeutig durchgesetzt. Die positive Haltung der geteilten Mitgliederschaft der Gesetzkommission fiel hier kaum ins Gewicht, weil sie a) kein zweites Mal zu einem Gutachten herangezogen; b) keine Mehrheit für die Abschaffung der Paragrafen zustande gebracht hatte und c) von den Gutachtern der anderen Gremien überstimmt wurden. Im Bescheid an die Ältesten orientierte man sich an den Gutachten von 1797, die als Voraussetzung zur rechtlichen Gleichstellung eine moralische Verbesserung verlangten.
5.2 Die Motive und Zielsetzungen zum „General-JudenReglement für Süd- und Neu-Ostpreußen“ (21. Mai 1797) Zeitgleich zur Initiative der Berliner Judenschaft beschäftigte sich eine Kommission aus dem General-Direktorium unter Vorsitz von Großkanzler Gold-
117 GStA PK, I. HA Rep. 21, Nr. 207b 2a, Fasz. 22, Bl. 86-87. Gedr. auch bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 124–126. 118 Ebd., S. 124. 119 Ebd. 120 Ebd.
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beck mit den Ministern Struensee121, Schroetter122, Hoym und drei Finanzräten mit der künftigen Verwaltung von Süd- und Neuostpreußen. Nach Krause und Lewin (1913) sprach sich die Kommission eindeutig dafür aus, „die Juden in diesen Gebieten zu behalten und ihre Rechtslage denen der Christen weitgehend anzugleichen“.123
Abb. 6: Carl August (v.) Struensee (1735–1804), preußischer Minister für Akzise-, Zoll-, Handels- und Fabrikwesen.
Nach den Untersuchungen von Jaworski, Lübke und Müller bildeten die Juden in Polen einen eigenen sozialen Stand und wurden nicht als eine sprachliche und religiös „fremde Gruppe“124 wahrgenommen, obwohl sie mit eigenen „Land121 Siehe zu Carl A. (v.) Struensee (1735–1804) Anlage 2: Biografien. Vgl. auch Straubel, Handbuch, S. 993f. Minister Struensee war wie Minister Wloemer u. Christian Wilhelm Dohm Mitglied der Berliner Mittwochs-Gesellschaft. Siehe dazu Keller, Ludwig: Die Berliner-Mittwochsgesellschaft. In: Ders., Monatshefte der Comenius-Gesellschaft. Bd. 5 (1896), H. 3, S. 5ff. 122 Siehe zu Friedrich Leopold v. Schroetter (1743–1815) Anlage 2: Biografien. Siehe auch Straubel, Handbuch, Bd. 2, S. 911f. 123 Krause, Wloemer, S. 115. 124 Jaworski, Rudolf/Lübke,Christian/Müller, Michael G.: Eine kleine Geschichte Polens. Frankfurt a. M. 2000, S. 206. An späterer Stelle wird dazu bemerkt, dass in den Städten und Städtchen des Südostens „beinahe geschlossene jüdische Kulturwelten entstanden“, in denen „Jiddisch“ gesprochen wurde. Andererseits galt Sprache auch als Faktor für die Anerkennung politischer Rechte. So bestanden die Danziger Räte zur Gewährung des Bürgerrechts auf „der deutschen
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und Reichstagen“ eine Art „Parallelstruktur“125 zum staatlichen Ordnungssystem bildeten und als einzige Siedlergemeinschaft einen derartigen Organisationsgrad erreichten. Darüber hinaus machte sie ihre Dominanz in bestimmten wirtschaftlichen Funktionen zu einem unersetzlichen Glied im sozialen Gefüge. Eine „Schlüsselrolle“126 besaßen sie im städtischen Leben in der Funktion von Handwerkern, Fuhrleuten und Händlern und auf dem Land in der Verwaltung adliger Güter. In der älteren Forschungsarbeit von Jacob Jacobson gelingt es dem Autor, den Begriff „Schlüsselrolle“ plausibel, beispielhaft und facettenreich zu beschreiben. Jacobson sieht die beschriebenen Handwerker und Händler als wichtige Faktoren in der „zentralisierten Geschäftsorganisation“127 Polens. Ihr Einfluss war spürbar im Aufkauf von rohen Produkten, im Hausierhandel, im Erwerb von Handelsmonopolen, im Pacht- und Maklergeschäft, im städtischen Handwerk und im Fuhrwesen.128 Als Pächter von Brennereien und Schenken129, Zunge“ und betonten damit neben ihrem regionalen Selbstbestimmungsrecht vor allem ihr Definitionsrecht über die Bedingungen zur Anerkennung als Stadtbürger. Ebd., 230ff. 125 Ebd. Siehe dazu auch Schorr, Moses: Rechtsstellung und innere Verfassung der Juden in Polen. Berlin/Wien 1917, S. 23ff. und Goldberg, Jakub: Der Vierländer-Rat der polnischen Juden und seine Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden und Juden in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. In: Grözinger, Karl Erich (Hrsg.): Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den jüdischen Gemeinden in Polen und Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Wiesbaden 1992, S. 39–51. 126 Ebd. Siehe dazu auch Bruer, der das Arrendesystem, die Bewirtschaftung und Verpfändung adliger Güter durch jüdische Verwalter auch als „Schlüssel zum Verständnis der jüdischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte“ versteht. Bruer, Geschichte der Juden, S. 143f. 127 Jacobson, Jacob: Die Stellung der Juden in den 1793 und 1795 von Preußen erworbenen polnischen Provinzen zur Zeit der Besitznahme. In: Monatszeitschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Jg. 64 (1920), H. 3: S. 209–226; H. 4: S. 282–304 u. Jg. 65 (1921), H. 3: S. 42–70; H. 4: S. 151–163; H. 5: S. 221–245. Zukünftig erfolgt die Angabe unter der Jahres- und Seitenzahl. Jacobson (1920), Juden, S. 223. 128 Jacobson (1920), Juden, S. 223. 129 Nach den Untersuchungen von Uwe Liszkowski zur „Politökonomie des Wodkas“ im polnischen Feudalismus spielte die jüdische Schenke in der Wirtschaft und der Gesellschaft Polens eine gesellschaftlich bedeutende, wirtschaftlich und politisch nützliche, aber moralisch fragwürdige Rolle. Einerseits als gemütlicher sonntäglicher Zeitvertreib in freundlich-geselliger Atmosphäre geschildert, galt personalisiert auch der Schankwirt als Verursacher der Auszehrung und Verarmung der Bauern. Gleichzeitig förderten und verursachten die makro-ökonomischen Schwierigkeiten der Gutswirtschaft, die Heraufsetzung der Frondienstleistungen, die Verschuldung und Verarmung der Bauern den rapiden Anstieg des Alkoholkonsums der Leibeigenen ebenso wie das System des geschlossenen Geldkreislaufs und der Kontrolle über die Konsumtion innerhalb der Gutsherrschaft. Die hohe wirtschaftliche Bedeutung der Alkoholherstellung und des Verkaufs sicherten dem Adel den Geldgewinn und der Masse der einfachen Schankwirte die Existenz. Gleichzeitig lässt sich nach Liszkowski auch eine soziale und ökonomische Ausdifferenzierung beobachten, die zu einer größer werdenden wohlhabenden Bourgeoisie führte.
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von Viehhöfen, von Vorwerken und Mühlen im adligen Besitz hatte ihre Tätigkeit ambivalente Züge. Einerseits zeichneten sie sich durch Sachkunde und Geschäftsgewandtheit aus. Andererseits verhielten sie sich durch die ständig erhöhten und im Voraus zu zahlenden Pachten skrupellos gegenüber der Landbevölkerung, insbesondere gegenüber den Bauern. Das Arrendesystem führte zu einer geschäftsbedingten Allianz zwischen Gutsherrschaft und Pächter, in der die Nutzungsrechte mit Vorzugsrechten für den Pächter verbunden wurden. Diese Stellvertreterrechte umfassten Maßnahmen der Rechts- und Strafpraxis, die der Grundherrschaft zukamen.130 Albert Bruer schreibt dazu, dass die Wirtschaft des Landes ohne Juden undenkbar war.131 Erst durch handel- und gewerbetreibende Juden kamen Städte und Städtchen über das Dorfmäßige hinaus. Und nach Jacobson standen das Aufblühen und der Niedergang eines Ortes im Zusammenhang mit dem Zuzug oder der Verweisung durch Juden.132 Polen war im europäischen Vergleich das Land, in dem die größte Anzahl an Juden lebte. Freiheiten im Gewerbe wurden ausdrücklich gestattet. Gleichfalls wurde in keinem anderen Land größere Beschwerde darüber geführt, „dass die Juden alle städtische Nahrung an sich zögen und die Christen neben ihnen nicht aufkommen könnten“.133 Als Grund führte Dohm den fehlenden Mittelstand an. Da weder Adel noch Leibeigene in Polen Handel führten, die einen, weil sie Handel und Gewerbe für entehrend hielten, die anderen, weil sie kein Vermögen besaßen, blieb das Gewerbe den Juden überlassen.134 Nach den zusammengestellten Untersuchungen bei Lowenstein arbeiteten in den östlichen Provinzen ca. 60 % der jüdischen Bevölkerung in handwerklichen
Siehe dazu Liszkowski, Uwe: „Politökonomie des Wodkas“. Die jüdische Schenke im polnischen Feudalismus. In: Engel-Braunschmidt, Annelore/Hübner, Eckhard (Hrsg.): Jüdische Welten in Osteuropa. Frankfurt a. M. 2005, S. 141–153. 130 Siehe zu dieser ambivalenten Rolle als Stellvertreter und Repräsentant der Gutsherrschaft und den Folgen auch Liszkowski, Politökonomie, S. 148f. Diese Beurteilung gilt nach Sophia Kemlein nicht für die soziale und wirtschaftliche Situation in der Posener Region. Hier gab es keine riesigen Magnatengüter wie im Osten. Der mittlere Adel beaufsichtigte die Güter selbst. Das Betätigungsfeld der Juden im Posener Land war dementsprechend enger und stärker an den städtischen Handel gebunden. Kemlein, Sophia: Die Posener Juden 1815–1848. Entwicklungsprozesse einer polnischen Judenheit unter preußischer Herrschaft. Hamburg 1997, S. 39. 131 Bruer, Geschichte der Juden, S. 145ff. Siehe dazu auch Selma Stern, die eine vergleichbare Funktion auch für die jüdischen Händler und Pächter in den oberschlesischen Dörfern beschreibt. Stern, S., Der preußische Staat, III/1, S. 29ff. 132 Jacobson (1920), Juden, S. 291. 133 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 84. 134 Ebd.
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Berufen.135 Nach Jacobson waren Juden in fast allen Berufen, als Kaufleute, Grossisten wie Detailhändler, Gastwirte, Handwerker und Hausierer und vereinzelt auch als Landwirte, Ackerbauern und Viehzüchter tätig. In ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrem geistigen Niveau überragten sie den „Durchschnitt der christlichen Bevölkerung“.136 Nach Jacobson war zwar jeder siebte Handwerker in Südpreußen Jude und diese Zahl fördert den Eindruck, dass ihnen alle Handwerke offen gestanden hätten. Aber Berufe, die von den Zünften geschützt und verteidigt wurden, wie z. B. die Zünfte der Schlosser, der Schuhmacher oder der Tuchmacher blieben ihnen verschlossen. Stark vertreten waren sie nach den Untersuchungen von Jacobson in Berufen wie der Buchbinderei, als Fleischer, Glaser, Goldschmiede, Knopfmacher, Kürschner, Mützenmacher, Schneider, Musikanten, Posamentierer, Pottaschebrenner, Wollkämmerer und Kantenklöpplerinnen.137 Bei Differenzen und Konkurrenzneid verhielten sich die polnischen Behörden offenbar auch loyal gegenüber den jüdischen Handwerkern. So berichten Heppner/Herzberg von einem Schreiben des polnischen Magistrats, dem eine Beschwerde der christlichen Posener gegen die Konkurrenz der jüdischen Handwerker vorausgegangen war. In diesem Antwortschreiben an die christlichen Professionisten antwortete der Magistrat unkonventionell und informiert mit der Bemerkung: „Wenn die christlichen Professionisten mit den jüdischen nicht gleichen Preis halten könnten, so läge es hauptsächlich daran, dass sie sich vormittags in den Likörschenken und nachmittags in den Bierhäusern herumtrieben.“138 135 Siehe dazu Lowenstein, Steven M.: Anfänge der Integration. 1780–1871. In: Kaplan, Marion (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945. München 2003, S. 125–225, S. 171. Auch Albert Bruer nennt denselben Anteil an Handwerkern. Bruer, Geschichte der Juden, S. 143. 136 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 476. Im Jahr 1797 waren von 1.599 Schneidern in Südpreußen 923 Juden. 137 Jacobson (1921), Juden, S. 46. 138 Heppner, Aaron/Herzberg, Isaak: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden in Posen. Koschmin/Bromberg 1914 zitieren Jaffé, Moritz: Die Stadt Posen unter preußischer Herrschaft. In: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 119, 2. Aufl. Leipzig 1909, S. 73, Anm. 77. Vergleichbare Einschätzungen formulierte Felix Halpern in seiner Untersuchung über die jüdische Gemeinde in Guttstadt (Ermland). Bischof Grabowski hatte sich mit einer eindeutigen Stellungnahme (1753) für die jüdischen Überlandhändler und gegen eine Aufhebung ihres Privilegs ausgesprochen. In seiner Begründung kritisierte er die Faulheit und Verschwendungssucht der christlichen Händler. Er betonte, dass die Juden keineswegs nur mit einem Bündel gekommen wären und sich durch Betrug bereichert hätten. Durch Sparsamkeit und Fleiß hatten sie es zu etwas gebracht: „Wohingegen viele unserer Händler gern lange schlafen, den ganzen Tag mit Tee- und Kaffeetrinken, auch Tabakrauchen zubringen, ihre liebste Frau nach der neuesten Mode kleiden […].“ Halpern, Felix: Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Guttstadt. Ein Beitrag zur Geschichte der
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Dass jüdische Handwerker im Beruf des Schneiders überrepräsentiert waren, lag nach den Überlegungen Jacobsons wahrscheinlich an der möglichen Kombination von Schneiderei und Flickschneiderei. Der Kleinhandel mit Rohprodukten ergänzte den geringen Lohn mit dem notwendigen zusätzlichen Brotverdienst. Hinzu kam die Praxis, dass Leistungen auf dem Land im Gegenwert mit Waren gehandelt und bezahlt wurden, denn Geld besaß der Landwirt „ohnehin selten“.139 Nach Albert Bruer lebte das Gros der städtischen jüdischen Bevölkerung in ziemlich dürftigen Verhältnissen, und zu den ärmsten und untersten Bevölkerungsschichten gehörten neben den Tagelöhnern, Wasserträgern, Kutschern auch die untersten Ränge der Gemeindeangestellten.140 Nach Peter Krause unterschieden sich die Lebensbedingungen in den neuen Provinzen wesentlich von denen in Altpreußen. Staatsrechtlich existierten die Rechte der königlichen und der grundherrschaftlichen Juden nebeneinander. Erstere besaßen den vollen Anspruch auf die garantierten Rechte des „Boleslaw-Kasimirschen Statuts“141 mit der Freigabe des Pfandleihgeschäfts, des Handels mit allen Artikeln ohne Einschränkung und der Ausübung von Handwerken. In Hinsicht der Steuern und der Zollabgaben waren sie den übrigen Bewohnern gleichgestellt. Auch nach Jacobson galt dieses Statut als Grundprinzip für Juden, die in grundherrschaftlichen Städten und Siedlungen lebten.142 Juden im Ermland. Guttstadt 1927, zit. n. Sommerfeld, Aloys: Juden im Ermland. In: Brocke, Michael (Hrsg.): Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen. Hildesheim 2000, S. 41–65, S. 47. 139 Ebd., S. 45. 140 Bruer, Geschichte der Juden, S. 147. 141 Siehe dazu auch Krause, Wloemer, S. 105–117. Das Privileg von Boleslaw dem Frommen (1264) war eine Kompilation aus ungarischen, österreichischen und böhmischen Judenprivilegien. Der Fürst hatte die Juden als Patron vor Unbill und Rechtsbeugung zu schützen, war in eigener Person ihr Gerichtsherr und garantierte ihre körperliche und wirtschaftliche Unantastbarkeit. Das erweiternde Privileg von Kasimir dem Großen (1333–1370) gestand den Juden eine beschränkte Autonomie in inneren, den Kultus betreffenden Angelegenheiten zu, schützte die Synagogen und Kultuseinrichtungen und zog den Rahmen für ihre wirtschaftliche Betätigung. Siehe dazu auch Jacobson (1921), Juden, S. 54. Nach Josef Meisl nahmen die Bestimmungen über Pfandoperationen und Hypothekengeschäfte beträchtlichen Raum in Anspruch. Meisl, Josef: Die Juden im Zartum Polen. Bonn 1916, S. 7. Meisl bemerkt dazu auch, dass der polnische Adel lieber bei den Juden Geld borgte als bei den deutschen Händlern, „gegen die er unverhohlene Antipathie empfand“. Meisl, Juden, S. 7. 1457 musste Kasimir auf dem Reichstag von Nieszcawa aus Gründen der politischen Räson gegenüber der katholischen Kurie die gewährten Privilegien widerrufen. Vgl. zum Einfluss der katholischen Orden auf Exzesse und Verfolgungen gegen Juden auch Meisl, Juden, S. 7–9. 142 Jacobson bemerkt dazu, dass das Statut in allen Städten und Siedlungen Rechtsgrundlage blieb. Abschwächungen erfuhr es durch Königl. Privilegien, Anordnungen von geistlichen Behörden und durch Beschlüsse von Reichstagen. Mit dem Überwiegen der Adelsherrschaft über
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Im Verlauf der Überlegungen zum grundsätzlichen und konkreten Inhalt des neuen Reglements wurde die Bedeutung des Schlüsselwortes „Dominanz“ allerdings gegensätzlich gewertet. Einerseits existierten Meinungen, die diese vermeintliche Dominanz negativ bewerteten und zu Gunsten der nichtjüdischen Einwohner aufheben wollten. Andererseits wurde diese Form von Dominanz auch im o. g. Sinne als eine positive Schlüsselfunktion gewertet, die die jüdischen Einwohner zu Gunsten einer stabilen Wirtschaft in den neuen preußischen Provinzen weiterhin ausüben sollten. Gestützt wurde diese Argumentation auch durch die Erfahrungen nach der ersten Annexion, die Preußen zu einem Anstieg der preußischen Staatseinkünfte nach 1772 verholfen hatte: „Als Polen geteilt wurde, traten die Annexionsstaaten, wie der Anstieg der preußischen Staatseinkünfte nach 1772 eindrucksvoll belegt, keineswegs nur ein Erbe der Armut und Rückständigkeit an.“143 Zwei Jahrzehnte nach der ersten Teilung Polens 1772, in der die Gebiete Ermland, Marienburg, Kulmer Land und Pomerellen ohne Danzig und Thorn zur neuen preußischen Provinz Westpreußen zusammengefasst wurden, erfolgte mit dem Petersburger Vertrag (1793) und dem Patent an die sämmtlichen Stände und Einwohner in Südpreussen und den Städten Danzig und Thorn (25. März 1793)144 die weitere Aufteilung Polens. Damit fielen insgesamt 58.400 km² mit 1,14 Mio. Einwohnern an Preußen. Nach den Untersuchungen von Franz Schwartz existierten drei Fassungen des Patents, in denen die Gründe der Annektierung in Form einer notwendigen Präventionspolitik dargestellt wurden. In der ersten Fassung wurde gegen den in Polen „überhand nehmenden französischen Empörungsgeist“145 die Königsmacht hatten Adel und Klerus gleichberechtigte Privilegien bewirkt. Für die Juden bedeutete dies, dass sie in den königlichen wie in den grundherrschaftlichen Städten und Gebieten Schützlinge und Eigentum beider Herrscher blieben. Jacobson (1921), Juden, S. 54. Die Juden auf den Gütern unterstanden der patrimonialen Gerichtsbarkeit und dem Schutz und der Willkür der Grundherren. 1549 erfolgte die Einführung der Kopfsteuer und 1580 der Beschluss des polnischen Reichstages, die Steuern in einer Gesamtsumme zu erheben, die von den einzelnen Gemeinden gezahlt und auf ihre Mitglieder anteilmäßig umgelegt werden sollte. 143 Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte, S. 208. 144 Gedr. bei Schwartz, Franz: Besitznahme und Huldigung. In: Prümers, Rodgero (Hrsg.): Das Jahr 1793. Posen 1895, S. 1–64, S. 42–45, und in: N.C.C., Bd. 9, Sp. 1471–1482. Die preußische Annektierung umfasste die bisherigen polnischen „Woywodschaften Posen, Gnesen, Kalisch, Sieradien, die Stadt und das Kloster Czenstochowa, das Land Wielun, die Woiwodschaft Lentschitz, die Landschaft Cujavien, das Land Dobrzyn, die Woywodschaften Rawa und Plotzk und die Städte Danzig und Thorn“. Zit. nach: N.C.C., Bd. 9, Sp. 1471. 145 Schwartz, Besitznahme und Huldigung, S. 8. In der endgültigen Fassung der Urkunde wurden die Gründe für die Okkupation mit der Sorge vor grenzüberschreitenden Ausschreitungen und mit Schutzmaßnahmen zu Gunsten der polnischen Bevölkerung vor dem „überhandnehmenden Empörungsgeist“ und zur Bewahrung vor der „inneren Zerrüttung und dem gänzlichen Untergang“ gerechtfertigt. Mit Hilfe dieser Formulierungen konnte sich Preußen als betroffener
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polemisiert, während in der zweiten und dritten Fassung die direkte Erwähnung Frankreichs völlig vermieden wurde. Hier stand das einverständliche Vorgehen zwischen Russland, Preußen und dem österreichischen Kaiser im Vordergrund. Dass Preußen wie Russland die Verabschiedung der Polnischen Verfassung (3. Mai 1791) mit der ersten konstitutionell verankerten parlamentarischen Ministerverantwortung und weitreichenden Reformen für Bürger und Bauern als feindseligen Akt ansahen, war der Urkunde nicht einmal zwischen den Zeilen zu entnehmen.146 Nach Wilhelm Bringmann endete die kurzlebige Zeit eines preußisch-polnischen Bündnisses mit der Proklamierung der polnischen Verfassung. Da das Grundgesetz ohne das Wissen des preußischen Regenten und erst nach Abschluss des preußisch-polnischen Bündnisses (29. Januar 1790) in Kraft trat, verstand sich Friedrich Wilhelm II. nach einer offiziellen Erklärung nicht als Garant der polnischen Verfassung.147 Im Gegenteil. Preußen wie Russland verstanden sich nach den Worten von Jörg K. Hoensch als „Garantiemächte der alten Staatsordnung“.148 Die politische Verantwortung für die zweite Teilung Polens wurde der russischen Politik zugeschrieben. Nach Bringmann gab die anhaltende Weigerung Russlands, die Reformverfassung anzuerkennen, den „entscheidende[n] Anstoß“149 zur zweiten Teilung Polens.150 Aber auch Preußen insistierte auf einer Teilung Polens. Im und besorgter Nachbarstaat darstellen, der sich selbst und Polen schützen wollte. Dazu heißt es in der Präambel wie folgt: „Es ist allgemein bekannt, dass die Polnische Nation nie aufgehört hat, den benachbarten Mächten und insbesondere dem Preussischen Staate, häufige Veranlassung zu gerechtem Mißvergnügen zu geben. Nicht zufrieden, gegen alle Regeln einer guten Nachbarschaft, dass Preußische Gebiet durch öftere Einfälle zu verletzen, die diesseitigen an der Gr[e]nze wohnenden Unterthanen zu beunruhigen und zu mißhandeln, ihnen fast immer Gerechtigkeit und billige Genugthuung zu versagen; hat diese Nation sich auch unablässig mit verderblichen Pl[ä]nen beschäftigt, welche die Aufmerksamkeit der benachbarten Mächte reitzen mußte.“ Zit. n. N.C.C., Bd. 9, Sp. 1472. 146 Die preußische Außenpolitik gegenüber Polen stellte kein Kontinuum dar. Wurden die Emanzipationsbestrebungen Polens in der Zeit der Verfassungsarbeiten auch vom preußischen König begrüßt und die Regierung ausdrücklich ermutigt, so lag der Grund für diese Handlung in dem Ziel, den eigenen Einfluss zu stärken und die russischen Interessen zurückzudrängen. Militärische Hilfen und Truppenstationierungen im Fall eines Angriffs russischer Truppen gehörten ebenso dazu wie kurzlebige Bündnisse. Diese Phase der preußisch-polnischen Annäherung endete mit neuen Bündnisperspektiven für die Preußen und der Konvention von Reichenbach (1790). 147 Siehe dazu Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 585. Siehe zu den Absichten von Friedrich Wilhelm I., Polen noch unter der Herrschaft von August II. zu teilen, auch Kathe, „Soldatenkönig“, S. 126f. 148 Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens. 3. Aufl. Stuttgart 1998, S. 167. 149 Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 588. 150 Aus der Wertung der russischen Kaiserin, die polnische Verfassung „als eine demonstrative Unabhängigkeitserklärung von Russland“ zu verstehen, wird der Einmarsch russischer Truppen machtpolitisch plausibel. Ebd., S. 587.
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Jahre 1792 hatte der preußische Regent gegenüber seinem Kabinett die Vermutung geäußert, dass Zarin Katharina II.151 „nicht mehr weit vom Gedanken einer neuen Teilung [Polens] entfernt sei“.152 Sollte Preußen in diesem Fall mit einem Gebietszuwachs des linken Weichselufers berücksichtigt werden, wäre dieser Umstand auch „günstig“153 für Preußen. Direkte militärische Auseinandersetzungen auf polnischem Staatsgebiet waren nicht nur von Russland, sondern auch von Preußen (1792) betrieben worden und wurden durch die Intervention gegen den proklamier151 Siehe zur Politik gegenüber den jüdischen Einwohnern Russlands auch Liszkowski, Uwe: Aufgeklärter Pragmatismus am Beispiel der Judenpolitik Katharinas II. In: Hübner, Eckhard (Hrsg.): Rußland zur Zeit Katharinas II. Absolutismus, Aufklärung, Pragmatismus. Beiträge zur Geschichte Osteuropas, Bd. 62 (1998), S. 315–336; Rest, Matthias: Die russische Judengesetzgebung von der ersten polnischen Teilung bis zum „Položenie dlja evreev“ (1804). Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München. Reihe Geschichte, Bd. 44 (1975), S. 162–188.; Elkan, Julius: Die jüdischen Kolonien in Rußland. Kulturhistorische Studie und Beitrag zur Geschichte der Juden in Rußland. Frankfurt a. M. 1886. ND 1970, S. 27–34; Weinryb, Berek D.: Neueste Wirtschaftsgeschichte der Juden in Russland und Polen. Von der 1. polnischen Teilung bis zum Tod Alexanders II. (1772–1881). Hildesheim 1972; Hildermeier, Manfred: Die jüdische Frage im Zarenreich. Zum Problem der unterbliebenen Emanzipation. In: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas 32 (1984), S. 321–357, und speziell zur Politik der Zarin gegenüber den jüdischen Einwohnern den Aufsatz von Kusber, Jan: Zwischen Duldung und Ausgrenzung. Die Politik gegenüber den Juden im ausgehenden Zarenreich. In: Engel-Braunschmidt, Annelore/Hübner, Eckhard (Hrsg.): Jüdische Welten in Osteuropa. Frankfurt a. M. 2005, S. 45–64, S. 51f. 152 Friedrich Wilhelm II. an seine Kabinettsmitglieder (12. März 1792). Zit. n. Bringmann, Friedrich Wilhelm II., S. 590. Bringmann verzichtet leider auf die Quellenangabe. Siehe dazu auch Heigel, Karl Th.: Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Auflösung des alten Reichs. 2 Bde., Stuttgart 1899 u. 1911, Bd. 1, S. 571. 153 Ebd. Bringmann spricht an späterer Stelle von untrüglichen Anzeichen der preußischen Politik, die Russland signalisierten, dass im Fall eines Einmarsches russischer Truppen auch mit der „Komplizenschaft“ Preußens zu rechnen sei. Zu diesen Anzeichen sollte auch die Freude über den erwarteten Gebietszuwachs gezählt werden. Dass die russische Politik gegenüber Preußen als „Beschwichtigung durch Kompensation“ bezeichnet werden kann, ist wiederum ein gelungener Ausdruck Bringmanns. Ebd., S. 590. Andererseits wird das eigene aktive Interesse Preußens an einer Okkupation zu gering bewertet. Minister Haugwitz hatte gegenüber einem österreichischen Abgesandten im Oktober 1792 in Luxemburg erklärt, dass der preußische König seine Entschädigung für die Unkosten im Krieg gegen Frankreich in Polen „suchen müßte und selbe von den zukünftigen événements nicht blindlings abhängen lassen könnte“. Vivenot, Alfred R. v.: Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik Oesterreichs, Bd. 2: Die Politik des oesterr. Vice-Staatskanzlers Grafen Philipp von Cobenzl unter Kaiser Franz II. Von der Französischen Kriegserklärung und dem Rücktritt des Fürsten Kaunitz bis zur zweiten Teilung Polens. April 1792–März 1793. Wien 1874, S. 275. Der König ließ in der Note Verbale (Merle, 25. Oktober 1792) ebenfalls über Haugwitz daran erinnern, dass er für die bereits angewandten Kriegskosten und Menschenverluste wie für die Fortsetzung des Krieges dasjenige Arrondissement in Polen in Besitz nehmen würde, das ihm die russischen und österreichischen Höfe „bereits eröffnet“ hätten. Vivenot, Quellen, S. 292f.
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ten Unabhängigkeitskrieg von Tadeusz Kosciuszko (1794)154 verstärkt. Die dritte Teilung Polens (1795) war nach Müller einerseits Folge und Fortsetzung der begonnenen Teilungspolitik.155 Aber der Zeitpunkt und Vorwand156 zur weiteren Aufteilung unterlag keiner näheren Bestimmung oder etwa konkreten Absprachen. Der Aufstand selbst bot wahrscheinlich nur einen Anlass für die letzte Aufteilung und die Auflösung des Königreichs Polen. Großmachtinteressen, die einerseits durch das Scheitern gegen das revolutionäre Frankreich nach einem Ausgleich verlangten und andererseits ein Sicherheits- und Machtinteresse, das politische Unabhängigkeitsbestrebungen des Nachbarlandes nicht dulden wollte, förderten die vorerst endgültige und vollständige Teilung des polnischen Staatsgebietes. Preußen erhielt das restliche Masowien mit Warschau, Teile Podlachiens und Litauens mit 43.000 km² und 1,04 Mio. Einwohnern. Aus dieser Sicht betrachtet, kann man die Geschichte Polens im 18. Jahrhundert zwar als eine Abfolge der politischen Steuerung durch die drei Nachbarstaaten Preußen, Sachsen und Russland oder folgend Preußen, Österreich und Russland betrachten.157 Aber Polen war nicht nur Objekt der Fremdbestimmung, auch wenn dem Souveränitätsverlust Krisen in der Außen- und Innenpolitik folgten. Nach dem Schock158 der ersten Teilung von 1772 154 Siehe zu den Reaktionen in Polen, den Aufständen in Krakau, Warschau und Wilna unter Tadeusz Kosciuszko (1746–1817) und den russischen und preußischen Militäreinsätzen auch Rhode, Gotthold: Kleine Geschichte Polens. Darmstadt 1965, 306ff. oder Arnold, Stanislaw/Zychowski, Marian: Abriss der Geschichte Polens. Warszawa 1967, S. 76ff. Siehe auch Maier, Robert (Hrsg.): Zwischen Abgrenzung und Assimilation – Deutsche, Polen und Juden. Hannover 1996 und Moritz, Erhard: Preußen und der Kosciuszko-Aufstand von 1794. Zur preußischen Polenpolitik in der Zeit der Französischen Revolution. Berlin 1968. Siehe auch die Beschreibungen und Eindrücke von Prinz Friedrich Wilhelm III. zu seinem preußischen Feldzug nach Polen (1794) bei Stamm-Kuhlmann, König, S. 91ff. Von 500 jüdischen Männern im Heer Kosciuszkos, die als patriotische Mitkämpfer mit privaten Beihilfen und 3.000 Gulden vom Nationalrat versehen waren, berichtet Josef Meisl in seiner Monografie: Die Juden im Zartum Polen. Bonn 1916, S. 47. 155 Vgl. dazu Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens. 1772. 1793. 1795. München 1984, Einleitung. 156 Dieser Ausdruck ist der Post zweier österreichischer Diplomaten entnommen. Dort heißt es: „[W]enn die Russen Fortschritte machen, und Unruhen in Polen entstehen, […] [sollte] ein Observations-Corps von 11. bis 12.000 Mann an die Grenze gehen und ohne sich weder für, noch gegen jemand zu erklären, sondern bloß den Vorwand der eigenen Sicherheit anzuwenden, sich auf polnische[m] Gebiet etabliren […].“ Folgend wurde überlegt, Österreich für die Unkosten im Revolutionskrieg gegen Frankreich mit Gebieten am Rhein zu entschädigen. Preußen sollte sich „ebenfalls in Polen arrondiren“. Brief von Reuss an Spielmann v. 22. Mai 1792. Gedr. bei Vivenot, Quellen, S. 55f. 157 Vgl. dazu insbesondere Schmidt-Röseler, Andrea: Polen. Regensburg 1996, S. 53ff. SchmidtRöseler spricht von einer zugewiesenen Rolle Polens als „territoriales Kompensationsobjekt“. Ebd., S. 54. 158 Der Begriff „Schock“, der in der historiografischen Betrachtung zwar nicht häufig, aber vereinzelt benutzt wird, betont den bis dato „singulären und vorbildlosen Akt der willkürlichen
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setzte Polen seine Reformtätigkeit fort. Der immerwährende Rat, ein gewähltes Regierungskollegium mit fünf Sachdepartements, veranlasste die Neuordnung der Militärverwaltung und der Finanzen, des Münz- und Kreditwesens und der Kranken- und Armenfürsorge. Das Kernstück des Reformwerks bildete das am 3. Mai 1791 verabschiedete Regierungsgesetz, die bereits erwähnte polnische Verfassung.159 Die Ansicht, dass eine Reform des Judenwesens ein erklärtes Ziel der polnischen Reformer war, vertreten verschiedene Autoren.160 Die Pläne, verfasst in der Zeit des vierjährigen Reichstages sahen neben deutlichen Verbesserungen zwar auch reglementierende und bei Nichtbefolgung angestrebter moderner aufgeklärter Verhaltensweisen deutlich restriktive Vorschläge vor. Aber sie strebten keine Vorleistungen an. An den Erhalt der bürgerlichen Rechte wurden keine Bedingungen geknüpft.161 Der Vertrag zwischen Bürger und Staat sah vor, dass die geforderten Leistungen erst im Fall der Erteilung, also nach der Anerkennung zum „Staatsbürger“ zu erfüllen waren. Nach Meisl enthielt der polnische Reformplan folgenden Inhalt: Die Juden welche von der Regierung bisher nur toleriert waren, erhalten Bürgerrechte. Man dürfe deshalb von ihnen verlangen, dass sie zum Nutzen des Staates aufgeklärt werden. Alle Unterschiede zwischen Juden und Christen außer der Religion werden beseitigt, Handel und Gewerbe stehen ihnen frei außer dem Schankgewerbe, von welchem sie auszuschalten sind. Als zivilisatorische Maßnahmen kommen in Betracht: Verbot der frühen Ehen, ein gänzliches Eheverbot für Leute ohne bestimmten Beruf, Beschränkungen in der Rechtsfähigkeit für solche, die keine Zeugnisse über die Absolvierung der Elementarschule vorweisen können, Zensur der hebräischen Literatur, Ablegen der jüdischen Tracht und
Zerteilung eines Staates in der Kabinettspolitik des 18. Jahrhunderts“. Vgl. dazu auch Müller, Teilungen, Einleitung. 159 Im europäischen Vergleich war dies die erste moderne Verfassung, die neben der konstitutionellen und erblichen Monarchie auch den nach dem Mehrheitsprinzip entscheidenden Reichstag und eine aus Kronrat und den Departements gewählte Regierung etablierte. Siehe dazu kurz und bündig Fuhrmann, Rainer W.: Abriss der polnischen Geschichte. Hannover 1981, S. 69ff. Positiv wird in den bisher genannten Abhandlungen zur Geschichte Polens auch vermerkt, dass das Liberum veto, ein im Jahr 1652 durchgesetzter Beschluss, nach dem ein einziger Adliger alle Beschlüsse des Reichstages durch seinen Einspruch verhindern konnte, abgeschafft wurde. Nach Ansicht einer Vielzahl von Historikern wurde mit der Einführung des Mehrheitsbeschlusses die Blockadepolitik unterbrochen und zukünftig verhindert. Vgl. zu den Inhalten der Verfassung die Zusammenfassung bei Hoensch, Geschichte, S. 166f. 160 Vgl. dazu Eisenbach, Arthur: The Four Year´s Sejm and the Jews. In: Polonsky, Anthony (Hrsg.): The Jews in old Poland 1000–1795. London 1993, S. 73–89. Siehe außerdem die Argumente und die Literatur zu diesem Themenkomplex bei Liszkowski, Politökonomie, S. 151ff. 161 Siehe dazu auch die publizierten zeitgemäßen Schriften bei Liszkowski, Politökonomie, S. 151f.
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Anlegen der Landestracht, ausschließlicher Gebrauch der polnischen Sprache in Eingaben an die Behörden, Gewährung von Privilegien bei der Bereitschaft zum Ackerbau.162
Anders argumentiert Sophia Kemlein, die diese Initiative am Erfolg, also am Maßstab einer real umgesetzten rechtlichen Gleichstellung im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung misst. Sie merkt an, dass sich trotz verschiedener Vorschläge und intensiv geführter Diskussionen an der rechtlichen Position der Juden nichts änderte. Weder „im Gesetz von den Städten“ (1791) noch in der Verfassung von 1791 wurden Juden erwähnt.163 Die Teilung Polens war innerhalb der preußischen Beamtenschaft nicht unumstritten. In einem Brief an Friedrich Wilhelm II. äußerte Graf Hertzberg164(1794) Bedenken gegenüber den außenpolitischen Folgen, der politisch-rechtlichen und sittlich-religiösen Moral. In seinem Brief heißt es: Überhaupt aber ist das Recht, durch welches die drey Mächte sich Pohlen theilen, so verhaßt und Abscheu erregend, daß es ein ewiger Schandfleck in dem Ruhm der drey Regenten seyn wird; es verdunkelt ihre Namen in der Geschichte, und ich begreife nicht, wie sich diese Handlung mit ihrem Gewissen und mit ihrer Religiosität verträgt.165
In seiner Antwort (20. Juli 1794) an den Grafen von Hertzberg zu Berlin forderte der König von seinem pensionierten Minister mehr Bescheidenheit, Genügsamkeit und Vertrauen in die Regierungstätigkeit der derzeitigen Minister. Seinen Unwillen drückte er mit den drastischen Abschlussworten aus: „Uebrigens bitte ich Gott, daß er Sie in seine heilige und würdige Obhut nehme.“166 Anders als 162 Meisl, Juden, S. 46. Siehe dazu auch Eisenbach, Arthur: The Emanzipation of the Jews in Poland (1780–1870). Oxford 1991. 163 Siehe dazu Kemlein, Posener Juden, S. 38. 164 Siehe zu Ewald Friedrich Graf Hertzberg (1725–1795) Anlage 2: Biografien. 165 1. Brief von Minister v. Hertzberg an Friedrich Wilhelm II. (Juli 1794). Zit. nach: Coelln, Neue Feuerbrände 5 (1807), S. 7ff. Insgesamt abgedruckt sind drei Briefwechsel. Hertzberg machte sich in diesem Brief nicht zum Fürsprecher einer unabhängigen polnischen Nation, sondern riet dem König, den Einfluss auf Polen durch einen schwachen, von Preußen abhängigen, Wahlkönig, zu verstärken. Außenpolitisch befürchtete Hertzberg, dass Frankreich ohne die Wiederherstellung Polens keinen Friedensvertrag mit Preußen schließen würde und Russland sich zum Nachteil Europas vergrößern wurde. In seinem zweiten Brief, ebenfalls im Juli 1794 geschrieben, riet er Friedrich Wilhelm II. aus Gründen der Friedenssicherung und zur Erhaltung des Status Quo, Frankreich als Republik anzuerkennen. Ebd., S. 18. Im 3. Brief (Juli 1794) bot sich Hertzberg u. a. als Vermittler für die Gespräche mit dem Französischen Konvent an. Ebd., S. 21–23. 166 Zit. nach der Antwort des Königs an den Grafen von Hertzberg vom 20. Juli 1794. Gedr. in: Coelln, Neue Feuerbrände 5 (1807), S. 23f. Siehe zum Verhältnis zwischen dem Monarchen und dem Minister auch Max Duncker: Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg. In: HZ 37, 1. H. (1877), S. 1–43. In dem folgend gedruckten Vortrag (23. März 1876) der öffentlichen Sitzung der Akade-
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Hertzberg hatte sich ein Jahr zuvor Minister Struensee geäußert. Der aktiv an der Neuorganisation der Provinz Südpreußen beteiligte Minister gratulierte seiner Majestät euphorisch zu der „so herrlichen Acquisition“167 und gründete diesen Glückwunsch nicht nur auf den „ansehnlichen Zuwachs an Macht, Größe und Wohlstand“168 für Preußen, sondern auch auf den Nutzen für „ein paar Millionen Menschen, die bisher in Anarchie gelebt haben, nebst ihrer ganzen Nachkommenschaft durch Höchstdero weise und gütige Regierung glücklich gemacht werden“.169 Mit dieser Ansicht stand der Minister nicht allein. Die zeitgenössischen Urteile über das Wesen der Republik Polen variierten, sprachen aber im Grundthema von anarchischen, unregierbaren Verhältnissen, von staatlicher Ohnmacht, chronischen Krisen, Korruptionen und einem politischen Kuriosum.170 Nach den Untersuchungen von Franz Schwartz hoffte die Mehrheit der Bevölkerung Südpreußens auf eine mildere Behandlung unter den Preußen. Die Hoffnung auf eine Aufhebung der lokalen Grundherrschaftsrechte und der Pflicht zur Fronleistung erfüllte sich jedoch nicht. In einem Bericht Möllendorffs an das preußische Kabinett (12. April 1793) heißt es zum Thema „Aufsässigkeit der Unterthanen gegen die Herrschaft“171: mie der Wissenschaften sprach Max Duncker u. a. über Hertzberg als Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Gegenüber seinen politischen Erfolgen blieb Duncker reserviert. Er beschrieb Hertzberg als einen Politiker, der für Preußen zu wenig erreicht hatte, weil er Holland nicht für Preußen gewonnen, den Wert eines Fürstenbundes unter preußischem Patronat nicht erkannt und den Ausgleich statt die Auseinandersetzung mit Österreich gesucht hatte. Positiv vermerkte Duncker, dass es Hertzberg gelungen war, Polen dem Einfluss Russlands zu entziehen, und dass er als Diplomat über eine außerordentliche Gewandtheit verfügte. Seine technische Virtuosität rechnete er ihm negativ an, weil diese „ihn auch irre führte“. Duncker, Friedrich Wilhelm II., S. 18. 167 Struensee in einem Immediatbericht an den preußischen König (17. Februar 1793). In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 242 A, Bd. I, Bl. 23f. und gedr. bei Warschauer, Adolf: Steuer- und Klassifikationswesen. In: Prümers, Rodgero (Hrsg.): Das Jahr 1793. Posen 1895, S. 233–312, S. 264. 168 Ebd. 169 Ebd. 170 Vgl. dazu Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte, S. 211ff. Siehe dazu auch Boockmann, Hartmut: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Ostpreußen und Westpreußen. Berlin 1992, S. 328. Vgl. dazu auch einen Brief des Grafen de Mirabeau (2. Juni 1786): Über die gegenwärtige Lage in Europa. In: Ders.: Geheime Geschichte des Berliner Hofes oder Briefwechsel eines reisenden Franzosen. 1. Theil. Cölln 1789, S. 6. Siehe dazu aber auch Caro, Jacob: „Polen“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 11 (1864), S. 497–566. 171 Moellendorff an das Cabinets-Ministerium über den bisherigen Gang der Grenzziehung, über die Frage wegen der geistlichen Güter, die Aufsässigkeit der Unterthanen gegen die Herrschaft, den Ort der Huldigung und die Versorgung der polnischen Offizianten (Petrikau, 12. April 1793). Gedr. bei Schwartz, Besitznahme und Huldigung, S. 48–53, S. 52.
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1. Dass die Unterthanen hin und wieder anfangen, ihren Grundherrschaften den bisher geleisteten Dienst zu versagen. Verschiedene Herrschaften haben daher bey mir angesucht, die Unterthanen durch militärische Execution zu ihrer Schuldigkeit zurück zu führen, oder ihnen zu erlauben, sich durch Aufsitzen selbst ihr Recht zu verschaffen. Beide Mittel scheinen mir bey derartiger Lage der Dinge nicht zulässig zu seyn, ersteres würde den gemeinen Mann wider uns aufbringen, und letzteres scheint mir mit Gefahr der Aufopferung der Ruhe verbunden zu seyn. Ich habe daher vernünftige Unteroffiziere nach diejenige Oerter hingeschickt, wo Unruhen obwalten, und habe die Unterthanen unter Androhung militärischer Execution ermahnen lassen, ihren Grundherrschaften weder den Dienst noch den Gehorsam zu versagen, sondern solchen so lange unweigerlich zu leisten, bis das neue Justizhöfe errichtet seyn würden, vor welchen sie sodann ihre Beschwerden anzubringen und nach Befinden der Umstände Hülfe zu gewärtigen hätten.172
Die Absicht, Ruhe und Ordnung ohne das Militär herzustellen, drückte eine KO an Minister Voss (14. Juni 1793) aus. Der preußische König gab den Befehl, die Einwohner von Südpreußen mit Schonung und Nachsicht zu behandeln. Dass diese Anweisung auch den Wünschen und Absichten des leitenden Ministers entsprach und bereits als Anweisung an die beiden Kammern ergangen war, dokumentiert die Antwort von Minister Voss: Es gereicht ebenso sehr zu meiner Rechtfertigung als vollkommensten Beruhigung, Allerhöchst Denenselben allerunterthänigst anzeigen zu können, dass ich bei der Kenntnis von Euer Königlichen Majestät gnädigen Gesinnung gegen Allerhöchst Dero Unterthanen und in der festen Überzeugung, dass eine schonende Behandlung derselben Eurer Königlichen Majestät landesväterlicher Absicht gewiss entsprechen werde, die Krieges- und Domänenkammern zu Posen und Petrikau, bei deren Installation schon darauf aufmerksam gemacht habe, dass sie sich eifrigst bemühen müßten, durch ein schonendes, wohlwollendes Betragen das Zutrauen der Nation zu gewinnen, die durch den bisherigen Druck gebeugte und muthlos gewordenen Unterthanen durch willfahrige Anhörung und bereitwillige Abstellung ihrer begründeten Klagen aufzurichten […].173
Nach der Beurteilung des Historikers Fedor v. Köppen, der die Akquisition und die preußische Verwaltung als „Segen“ für die polnische Bevölkerung bezeichnete und die Maßnahmen als Herstellung einer justiziablen Rechtssicherheit und als Gewinn für die polnischen Untertanen darstellte, „blieb es unmöglich, diese tau-
172 Ebd. 173 Zit. n. Prümers, Rodgero: Allgemeine Organisation – Einrichtung der Kammern und ihrer Unterbehörden. In: Ders. (Hrsg.): Das Jahr 1793. Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Organisation Südpreussens. Posen 1895, S. 105–194, S. 174–175, S. 174.
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sende feindseliger Schlachtizen, diese verdummten, den Kaplanen blind gehorchenden Bauern mit dem protestantischen deutschen Staat zu versöhnen“.174 Hoffnungsvoll hatte die Posener Gemeinde der neuen Herrschaft gehuldigt. Bei der entsprechenden Feier für Friedrich Wilhelm II. hatte sich die jüdische Gemeinde für den stellvertretenden General v. Möllendorff „in türkischer Kleidung“,175 d. h. in jüdisch-polnischer Festtagstracht gekleidet und ihn mit Musik durch die Judenstraße bis zur Synagoge geleitet. Dort wurden Gedichte in hebräischer und deutscher Sprache vorgetragen, Lieder gesungen, ein Gebet für den neuen Herrscher gesprochen und am Schluss „Es lebe der König“ skandiert.176 Nach den Beobachtungen von Regierungsdirektor August Carl (v.) Holsche aus Bialystok (1804)177 sprachen die polnischen Juden bis an die russische und türkische Grenze in deutscher Sprache und ließen ihre Kinder in Deutsch unterrichten. Er erklärte diesen „sonderbaren“ Umstand mit der ursprünglich deutschen Herkunft, die sich in ihrer Umgangssprache der jiddisch-deutschen Mundart auch weiterhin zeige.178 Im Ursprung Hebräisch, angelehnt an die Entwicklungen des Mittel- und Frühhochdeutschen, wurde „Jiddisch“ auch als eine Form 174 Köppen, Hohenzollern, S. 90. 175 Bloch, Philipp: Judenwesen. In: Prümers (Hrsg.), Das Jahr 1793, S. 591–628, S. 596 u. S. 615– 617. Dazu Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 87: „Wenn man von türkischer oder orientalischer oder asiatischer Kleidung der Posener Juden spricht, so ist man im Irrtum. Ebenso wenig wie die Sprache der Juden war deren Tracht asiatisch oder türkisch oder orientalisch. Der Kaftan der Juden war vielmehr zweifellos nichts Anderes, als der lange Rock des mittelalterlichen deutschen Städters.“ 176 Ebd. Siehe dazu auch Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 85ff. Beide berichten von einem Gefühl der „Beklommenheit“ innerhalb der Gemeinde angesichts der Erfahrungen mit der Vertreibung von Juden aus dem Netzedistrikt unter Friedrich II. In der Hoffnung auf eine deutlich liberalere Haltung seines Nachfolgers wären dann auch die Feierlichkeiten zur Huldigung geplant worden. Ebd. Zitiert wird folgend ein Bericht der „Berlinischen (Vossischen) Zeitung“ über die Huldigungsfeier in Posen. Ein Auszug: „Die Synagoge, der Vorhof und die daran stoßenden Straßen waren geschmackvoll, mitunter auf orientalische Weise verziert und herrlich erleuchtet. Ein errichteter Altar mit dem Bildnisse des Königs, Ehrenpforten, Musik, Chöre, schön gekleidete Knaben, welche Lieder sangen und das Ganze war um so viel überraschender, da man von einer polnischen Judengemeinde ein so schönes Schauspiel verbunden mit soviel Ordnung, vielleicht nicht erwartet hatte.“ 177 Siehe zu August C. (v.) Holsche Anlage 2: Biografien. 178 Holsche, August Carl von: Geographie und Statistik von West-, Süd- und Neu-Ostpreußen. Nebst einer kurzen Geschichte des Königreichs Polen bis zu dessen Zertheilung. 3 Bde. Berlin 1800–1807, Bd. 2 (1804), S. 267. Siehe dazu Haumann, Heiko: Geschichte der Ostjuden. 4. Aufl. München 1998, S. 19ff. Vgl. ebenso Haumann, Heiko: Polen und Litauen. Von der Zuwanderung nach Polen bis zur Katastrophe von 1648 und ders.: Die Herausbildung einer neuen Lebensform (1648–1815). In: Kotowski/Schoeps/Wallenborn (Hrsg.), Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Bd. 1, S. 228–245. Vgl. auch Meisl, Juden, S. 4ff.; Perles, Joseph: Geschichte der Juden in Posen. Breslau 1865, S. 15ff. und Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 7ff.
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der mittelhochdeutschen Mundart betrachtet, die aber nach Salomo Birnbaum eine „Sprache mit autonomer Ausgestaltung“179 blieb, die ab dem 18. Jahrhundert hauptsächlich im Osten Europas, also auch in Polen und Litauen mit jeweils eigenen regionalen Ausprägungen als „Nordjiddisch“ in Litauen und „Südjiddisch“ in Polen gesprochen wurde. Mündlich war Jiddisch die Sprache der Familie, des Verkehrs, der Erzählung und des Volksliedes, der Elementar- und Oberschulen und auch der Geschäftspartner bei Verhandlungen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen. Schriftlich, im hebräischen Alphabet verfasst, wurde Jiddisch hauptsächlich in der Erbauungsliteratur und den allgemeinen religiösen Unterweisungen verwendet. Nach dem Urteil von Josef Meisl wurde „Jiddisch“ damit nicht nur für die Neusiedler, sondern auch für ihre Nachkommen zu einem „unveräußerlichen Kulturgut“.180 Jaworski, Lübke und Müller sprechen von sprachlichen Mischzonen, in denen vorwiegend, aber nicht nur wegen der deutschsprachigen Bevölkerung auch Deutsch gesprochen wurde. Das betraf vor allem die Regionen Ermland, Litauen und den westlichen Teil Polens.181 Aber sprachliche Eigenheiten stellten nach der o. g. Untersuchung kein Minderheitenoder Dominanzproblem dar, sondern gehörten quasi per factum zum vielsprachlichen Alltag.182 In einem Immediatbericht der Minister Finkenstein, Alvensle179 „Jiddisch“ setzte sich aus hebräischen und deutschen, aber ebenso aus lateinischen, französischen, baltischen, slawischen und regionalen Wörtern und Elementen zusammen, so dass die Bezeichnung „Jüdisch-Deutsch“ nach Salomo Birnbaum zwar in der wissenschaftlichen Literatur des 19. Jahrhunderts verwendet wurde, aber bereits in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts als unpassend und veraltet galt. Vgl. dazu den entsprechenden Art. in: Ders., Jüdisches Lexikon, Bd. III (1929), Sp. 270ff. Siehe dazu auch Landmann, Salcia. Jiddisch. Das Abenteuer einer Sprache. Frankfurt a. M./Berlin 1986; Haumann, Geschichte, S. 59. Siehe auch den aktuelleren Aufsatz von Lässig, Simone: Sprachwandel und Verbürgerlichung. Zur Bedeutung der Sprache im innerjüdischen Modernisierungsprozeß des frühen 19. Jahrhunderts. In: HZ 270/3 (2000), S. 617–667. 180 Meisl, Juden, S. 4. Der Name „Jiddisch“ stammt vom englischen Wort „Jiddish“ ab, steht aber auch in der rabbinischen Literatur synonym für die aschkenasische Sprache. Siehe zu weiteren Informationen auch Birnbaum, S.: „Jiddisch“. In: Jüdisches Lexikon, Bd. III (1929), Sp. 269ff. Die Umgangssprache der polnischen Juden war ab dem 15. Jahrhundert „Jiddish“, das zwar auf deutschem Wortschatz und deutscher Syntax basierte, sich aber in Klang, Wortstellung und Bedeutung durch Entlehnungen aus dem Hebräischen von den deutschen Dialekten unterschied. 181 Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte, S. 230. Siehe dazu auch Schwartz, Militärwesen, S. 735. Schwartz berichtet von preußischen kantonpflichtigen Auswanderern, die vorwiegend von der märkischen, westpreußischen und schlesischen Grenze stammten und nach Großpolen auswanderten, um der Militärpflicht zu entkommen. 182 Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte, S. 230f. Auch für das 18. Jahrhundert wird angenommen, dass die deutsch, jiddisch, armenisch, ukrainisch, böhmisch, ungarisch, lettisch oder litauisch sprechenden Einwohner Polens neben den Schotten, Niederländern und Italienern wahrscheinlich gut die Hälfte der polnischen Bevölkerung stellten.
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ben, Goldbeck und Haugwitz (12. Oktober 1798) wird jedoch betont, dass in West-, Süd- und Neuostpreußen „die polnische Sprache teils die allgemeinste, teils die einzige ist […] und der preußische Beamte in jenen Provinzen gern die polnische und so viel wie möglich, jeder ehemalige Pole gern die deutsche Sprache des Preußen erlerne[n] [sollte, Anm. d. Verf.].“183 Die Untertanen in Süd- und Neuostpreußen sollten allmählich und ohne Widerwillen in die neue nationale Identität hineinwachsen. Ein abruptes Wechseln der Amtssprache war nicht vorgesehen. In Berlin wurde auf untergeordneter, aber zukunftsorientierter Ebene auf die Notwendigkeiten der neuen Amtssprache in der Verwaltung in den ehemals polnischen Landesteilen reagiert. Das Berlinisch-Köllnische Gymnasium führte 1797 den Sprachunterricht in polnischer Sprache mit der Absicht ein, die Schüler zu befähigen, „in den neuen Provinzen des preußischen Staates, wo die Kenntnisse dieser Sprache zur zweckmäßigen Betreibung der Geschäfte unentbehrlich ist, ihre lebenslängliche oder doch erste Versorgung erwarten [zu] können“.184 Der Anteil der jüdischen Bevölkerung war in Preußen nach der zweiten und dritten Teilung Polens auf 224.000 jüdische Einwohner gestiegen und rund 80 % von ihnen lebten in den okkupierten Gebieten in Neu-Ostpreußen und Südpreußen.185 Nach den Untersuchungen von Peter Krause stellten die Juden in Südpreußen rund 5 % des Bevölkerungsanteils der neuen preußischen Provinzen.186 Die Angaben zu den jüdischen Einwohnern differieren jedoch erheblich. Hier einige Beispiele: Nach den Untersuchungen von Jakub Goldberg (1997) lebten gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den Gebieten des ehemaligen gesamten Staatsgebiets in Polen ca. 1 Mio. Juden, die in der städtischen Bevölkerung einen Anteil von 43–50 % ausmachten.187 Josef Meisl (1916) spricht in seiner Geschichte über 183 Zit. n. Bussenius, Ingeburg/Hubatsch, Walter (Hrsg.): Urkunden und Akten zur Geschichte der preußischen Verwaltung in Südpreußen und Neuostpreußen. 1793–1806. Frankfurt a. M./ Bonn 1961, S. 23. 184 Zit. n. der gedr. Rede von D. Friedrich Gedike: Zum Andenken des verstorbenen Professors Johann Friedrich Heindorf (19. April 1797). Berlin 1797, S. 20. Gedicke war zu diesem Zeitpunkt Ober-Konsistorial-Rat und Oberschulrat. Auch Joh. W. Süvern gehörte zum Kollegium. Ebd., S. 27. 185 Siehe dazu Brammer, Judenpolitik, S. 29. Bruer nennt ebenfalls die Zahl von etwas über 224.000 jüdischen Einwohnern in Preußen einschließlich der Gebiete Magdeburg, Ansbach, Bayreuth, Kleve, Halberstadt, Hildesheim und Paderborn. Bruer, Geschichte der Juden, S. 148. 186 Krause beruft sich auf die Untersuchungen von Bloch, der sich wiederum auf die Zahlen bei Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 422ff., bezieht. Nach dessen Statistik hatte die Zählung im Jahr 1800 für das Departement Posen 36.579 und für das Departement Kalisch 16.230 jüdische Bewohner ergeben. Krause, Wloemer, S. 106. 187 Goldberg, Jakub: Jüdische Gemeinden und Kaufleute entlang des östlichen Teils der historischen Straße Brügge-Novgorod. In: Seibt, Ferdinand [u. a.] (Hrsg.): Transit Brügge-Novgorod. Eine Straße durch die europäische Geschichte. Bottrop/Essen 1997, S. 294.
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die Juden Polens von 400.000 jüdischen Einwohnern.188 Der polnische Literat Tadeusz Czacki nannte in seinem Referat anlässlich der geplanten Reform zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in Polen189 die Zahl von 900.000 männlichen und weiblichen Juden. Auch Albert Bruer (1991) spricht von fast einer Million polnischer Juden, von denen nach der Annexion ca. 180.000 unter die preußische Verwaltung fielen.190 Die preußischen Verwaltungskammern unter Minister Voss gingen von einem Anteil von 10 % an der Gesamtbevölkerung aus.191 Auf welchem Zahlenmaterial diese Einschätzung beruhte, ist nicht ganz klar ersichtlich. Die Berichte des Kammerkalkulators Zimmermann an den Grafen Hoym waren hauptsächlich von beschreibender Art.192 In seinen Spezialberichten (1793) wurden zwar auch die Einwohnerzahlen der jüdischen Bewohner angegeben, aber die Berichte verfolgten in erster Linie das Interesse, Kenntnisse über die Juden-Verfassungen in den von Zimmermann bereisten südpreußischen Städten zu erlangen. Sie wurden nicht systematisch ermittelt. In seinem Resümee kam Zimmermann zu dem Ergebnis, dass die jüdischen Einwohner Südpreußens eine andere Verfassung benötigten als die jüdischen Untertanen der anderen preußischen Provinzen: „Aus allem diesem erhellet, daß die Juden in dieser 188 Meisl, Juden, S. 44. 189 Czacki hielt das Referat wahrscheinlich vor der Finanzkommission. Meisl lag das Manuskript offenbar vor. Czacki vertrat nach Meisl „eine charakteristische Position“, die beinhaltete, dass die Juden minderwertiger als die Christen seien und auf einem tieferen Bildungsniveau stünden. Meisl, Juden, S. 44. Da auf dem vierjährigen Landtag (1788–1791) in erster Linie die Abgrenzungspolitik gegenüber den Nachbarmächten in den Vordergrund trat, war die Frage nach der Gleichberechtigung der Juden kein vorrangiges Thema. Nach Meisl blieben die Fragen und Bedingungen zur Gewährung einer vollen Gleichberechtigung jedoch bis zur letzten Teilung Polens auch ein Thema der Landtagskommissionen. Siehe dazu auch Haumann, Geschichte, S. 70. 190 Bruer, Geschichte der Juden, S. 141. Anteilmäßig hätte diese Zahl, umgerechnet auf den Zuwachs an zweieinhalb Millionen Untertanen aus den Provinzen Neuostpreußen und Südpreußen, einem Anteil von ca. 13 % jüdischer Einwohner inklus. Westpreußen und Warschau entsprochen. 191 Krause, Wloemer, S. 106. 192 Vgl. dazu die entsprechenden Berichte über die Verhältnisse der Juden in Polen in Hoyms Denkschrift an den König: Über den Zustand von Südpreussen im Vergleich mit Schlesien (1797). In: GStA PK, I. HA Rep. 7C, Nr. 1a, Nachrichten aus Südpreussen, Bd. III. Nach den dort genannten Zahlen lebten in Südpreußen ca. 70.000 Juden. Ein Teil dieser Juden war von Friedrich II. aus Westpreußen vertrieben worden. Ihre Zahl schätzte Bär auf ca. 7.000. Vgl. dazu Bär, Max: Westpreußen unter Friedrich dem Großen. 2 Bde. Leipzig 1909, Bd. 1, S. 439. In Neuostpreußen lebten nach einem Bericht Schroetters (22. 2. 1802) ca. 76.000 Juden, davon mehr als 54.000 im Bialystoker Departement und mehr als zwei Drittel auf dem Land. In: GStA PK, I. HA Rep. 89. 59B. In Posen lebten ungefähr genauso viele Juden wie in Berlin bei einer Gesamteinwohnerzahl von 12.538. Jacobson (1921), Juden, S. 220. In Warschau lebten ca. 8.600 Juden und stellten bei über 66.000 Einwohnern ein Achtel der Bevölkerung.
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Provinz, nicht so, wie in allen anderen preußischen Staaten, behandelt werden können.“193 Zimmermann schlug daher vor, ihnen „völlig freies Religions-Exercitium“194 und ihre eigene Jurisdiktion zu gestatten, den Handel, auch den Hausierhandel und das Handwerk, nicht einzuschränken, ländliche Siedlungen „in grossen Wüsteneyen in Siradien und Rawa“195 zum Zwecke des Ackerbaus mit den verarmten städtischen Juden zu gründen, das Heiratsalter auf zwanzig vollendete Lebensjahre festzulegen und „ordentliche Geburts-, Sterbe- und Heyratsbücher“196 einzuführen. Die Abgaben an die Grundherrschaft sollten neu bestimmt und die Schuldenlast der Gemeinden sollte getilgt werden. Die Zahlung einer extraordinären Kopfsteuer als Ersatzleistung für den Militärdienst sollte bis zum Eintritt ins Enrollement ebenfalls geleistet werden. Regierungsdirektor Holsche verarbeitete seine ermittelten Daten in Berichten und Statistiken. Seine persönlichen Eindrücke197 notierte er in Stadt-, Land- und Ortsbeschreibungen nach den entsprechenden Kategorien zur Einwohnerschaft und der Konfession,198 den Erwerbsquellen in Gewerbe, Landwirtschaft und Handel, der Arbeitsmoral und Organisation,199 den Formen von Bildung und 193 Generalbericht von Zimmermann an Graf Hoym (Breslau, 1. Mai 1793). Gedr. bei Bloch, Philipp: Judenwesen. In: Prümers (Hrsg.), Das Jahr 1793. S. 591–628, S. 605–609, S. 607. Vgl. auch GStA PK, I. HA, Rep. 7 C, Nr. 1a: Nachrichten aus Südpreussen, Bd. III, Bl. 30ff. 194 Ebd., S. 607. 195 Ebd. 196 Ebd. 197 Als neutraler Gewährsmann kann Holsche nicht gelten. Seine kommentierten Eindrücke beinhalten in zu vielen Fällen eine Schuldzuweisung an die jüdischen Händler/Bewohner, die er wiederholt für den Rückgang von Wohlstand und Handel verantwortlich macht. 198 Holsche zu den jüdischen Einwohnern Neu-Ostpreußens: „Die Judenschaft dagegen ist sehr zahlreich, und beträgt ungefähr den neunten Theil sämmtlicher Einwohner. Sie hat über 100 Synagogen.“ Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 176. Seinen Vergleichsrahmen bildete die Anzahl der Muslime: „Zur mohammedanischen Religion bekennen sich bloß die Tartaren; diese sind aber nicht zahlreich, haben auch keine ordentlichen Moscheen, sondern nur zwei Bethäuser.“ Ebd. 199 Holsche schreibt zur Stadt Lissa (in Südpolen, eine Meile von der schlesischen Grenze und sechs Meilen von Posen entfernt, mit insges. 9.008 Einwohnern, davon 3.677 jüdische Einwohner): „Daß sich die Juden seit dem vorletzten Brande so sehr vermehrt haben, ist ein großes Unglück für die Stadt: Sie kaufen die rohen Materialien auf, kreditiren sie den Fabrikanten, leisten ihnen Vorschüsse gegen Wucherzinsen, machen so die Christen tributbar, und hindern die Aufnahme der Manufakturen, des Handels und des bürgerlichen Gewerbes.“ Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 277. In Lissa arbeiteten mehr als 250 Tuchmacher, die „jährlich viele Tausend Stück fabriciert[en] und verkauft[en]“. Holsche bescheinigte den jüdischen Südpreußen im Gegensatz zu den Christen einen stillen Lebenswandel, Organisationstalent bei der Versorgung der Märkte und einen großen Handelsumfang. Gleichfalls beschreibt er dörfliche Ortschaften,
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organisiertem Unterricht,200 dem äußeren Zustand der Städte, Dörfer, Häuser, Straßen201 und dem Gang der Geschäfte und des Lebens allgemein. Seine Beobachtungen kommentierte er mit historischen und juristischen Kenntnissen und nicht näher begründeten persönlichen Vermutungen. Holsche bemerkte selbst nebulös und geheimnisvoll zur Absicht seines Buches: „Über die Tendenz des Buches darf ich nichts sagen, aufmerksame Leser werden sie bei jeder einzelnen Materie schon errathen, und ich wünsche nur, dass es den Erwartungen entsprechen möge.“202 Allerdings wird sein Interesse an der jüdischen Bevölkerung Polens im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Bedeutung für das Land und seine Bewohner durchaus deutlich. Das Hauptmotiv offenbart sich in den Bemühungen Holsches, die Akquisitionen der polnischen Landesteile zu rechtfertigen. Dieser Versuch zeigt sich u. a. in seinem Band über Westpreußen, in dem er aktuelle preußische Ansprüche mit der Herrschaftspraxis des Deutschen Ordens verband und als legitime, notwendige und geschichtlich lineare Entwicklung darstellte. In seinen in denen fast nur Ackerbau betrieben wurde und ein Fünftel bis zur Hälfte der Einwohnerschaft jüdisch war. (Gosczyn, Grodzis, Grojec, Ilow, etc.) Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 383. Ausdrücklich erwähnt werden bei Holsche 83 jüdische Handwerker in Strykow. Ebd., S. 389. 200 Eindeutig positiv fiel Holsches Bewertung in Fragen der Schulbildung aus. Er schreibt: „Die Juden beschämen in ihrem Unterricht die Christen: denn es ist keine Judengemeinde, welche nicht eine Schulanstalt hätte, und der ärmste Jude weiß von seiner Religion mehr, als die niedere Klasse der Christenheit in Polen vom Christentum. Der Fehler bei den jüdischen Schulen und Erziehungsanstalten liegt nur eben so wie bei dem christlichen Unterricht darin, daß die Kinder bloß mit Religion, und der Bibel, der Thora und dem Talmud, und nicht mit Moral und andern nützlichen Wissenschaften beschäftigt werden.“ Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 561. Zur Bereitschaft, eine allgemeine Schulbildung zu installieren, schreibt Holsche: „Die Juden sind so aufgeklärt, daß sie dies einsehen, und den lebhaften Wunsch haben, daß allgemeine Schulen errichtet werden möchten, wo keine Religion, sondern nur Moral und gemeinnützige Wissenschaften gelehrt würden, damit sie ihre Kinder an dem Unterricht theil nehmen lassen könnten; wobei sie zugleich den vernünftigen Gedanken äußern, daß ihnen die Religion ihrer Väter schon durch ihre eigenen Lehrer beigebracht werden sollte.“ Ebd. Für Neuostpreußen hatte Holsche beobachtet, dass die christlichen Jungen auf dem Land für alle möglichen Hütearbeiten herangezogen wurden, auch wenn die Anzahl der zu bewachenden Tiere sehr klein war. Die dörflichen Gemeinschaften beschäftigten keine Schäfer oder Hirten. Aufgrund dieser Arbeiten blieben die Jungen der Schule fern. Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 114. Holsche schreibt dazu: „Bei dieser Art von Hütung des Viehes herrscht viel Mißbrauch, in dem sich dabei viele Menschen geschäftslos herumtreiben. Bisweilen liegen hier 10 bis 12 Knaben am Feuer und hüten jeder sein Pferd; dort liegen eben so viele, welche Kühe und Ochsen hüten.“ 201 Siehe zu Holsches Beschreibungen zu Bialystok Dok. G. oder Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 451f. 202 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, Vorerinnerungen, letzte Seite. Da Holsche in Bialystok unter Minister Schroetter arbeitete, scheint es zumindest möglich, dass seine Messungen/ Beobachtungen/Kommentare im Auftrag des Regierungspräsidenten entstanden sind.
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Reflexionen über den Rückgang ehemals expandierender Wirtschaftszweige machte Holsche neben dem Krieg, der Pest, Feuerbrünsten und den Hungersnöten auch die Juden als Verursacher des Niedergangs und damit als Schuldige verantwortlich. Ein Beispiel: Auf der Suche nach einem Grund für den Rückgang in der Herstellung von gewebten Tüchern und dem Verkauf dieser Tücher für den Raum Meseritz kam Holsche auf die überhöhten Zinsen jüdischer Geldverleiher zurück. Den eigentlichen Grund für den Rückgang in der Tuchproduktion – das für die Hersteller ruinöse Verlagssystem und den Mangel am Rohstoff Wolle – kritisierte er nicht.203 Holsche richtete sich an das letzte Glied der Vertriebskette, an die jüdischen Händler. Er schreibt: „Nun fällt er [der Tuchweber, Anm. d. Verf.] den jüdischen Wucherern in die Hände, welche ihm die Wolle gegen sehr hohe Zinsen borgen, so daß der Tuchmacher, bei aller Betriebsamkeit, am Ende doch mit Mangel zu kämpfen hat.“204 Die möglichen administrativ zu bewirkenden Lösungsvorschläge, die Holsche als Empfehlung an die preußische Verwaltung richtete, erfolgten auf den folgenden Seiten in einem deutlich neutraleren Tonfall.205 Das Tuch gehörte nach Jacobson zu den wichtigsten industriellen Erzeugnissen Polens. Die Gewinnung und Herstellung lag „zum allergrößten Teil in den Händen der Juden bzw. in ihrer nächsten Einflusssphäre“.206 In Lissa, der größten Tuchfabrikationsstadt, beschäftigten sich ausschließlich jüdische Kaufleute mit dem Tuchhandel und exportierten ihre Waren bis nach Petersburg und in die Ukraine.207 Auf die gesetzliche Gleichstellung und die religiöse Toleranz gegen203 Die Tuchmacher bekamen nach dem hiesigen Verlagswesen ihre fertigen Tücher erst dann bezahlt, wenn die Kaufleute als Zwischenhändler die Ware an die russischen Händler weiterverkauft hatten. In der Zwischenzeit finanzierten und lebten sie von kleineren Abschlagszahlungen. Da diese jedoch nicht für den Einkauf neuer Tücher ausreichten, borgten sie die notwendigen Gelder auch von jüdischen Geldverleihern. Gesetzliche Beschränkungen im Wollhandel zugunsten der einheimischen Verarbeitung nennt auch Hugo Rachel: Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713 (1911). In: Acta Borussica: Handels-, Zoll- und Akzisepolitik, Bd. 1 (1986/87), S. 690ff. 204 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 301. 205 Nach Holsche sollte ein hiesiges Wollmagazin errichtet werden, aus dem die Tuchmacher Wolle auf Kredit bis zu ihrer Rückzahlungsfähigkeit entnehmen konnten. Der Wollaufkauf sollte als Grundlage für den Weiterverkauf an die Tuchmacher für jüdische Händler verboten werden. Damit berief sich Holsche auf eine Maßnahme von Friedrich II. in seinem Reglement für die Vorstädte von Danzig (1773), in dem der Handel und speziell der Weiterverkauf von Wolle für jüdische Händler verboten wurde. Ebd., S. 303ff. 206 Jacobson (1920), Juden, S. 283. 207 Siehe dazu auch Lewin, Louis: Geschichte der Juden in Lissa. Pinne 1904, S. 46. Danach lebten in Lissa zum Ende des 18. Jahrhunderts ca. 4.000 jüdische Einwohner und unter ihnen die reichsten Kaufleute Großpolens mit den ausgedehntesten Handelsbeziehungen. Nach Lewin
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über den polnischen Juden reagierte Holsche mit Erstaunen. Er konstatierte, dass Juden in Polen zum Bürgerstand zählten und in den meisten polnischen Städten bürgerliche Rechte besaßen: „Die dritte Klasse der Einwohner begreift den Bürgerstand, ohne Unterschied der Religion; denn auch die Juden und andere Religionsverwandte haben in den meisten Städten bürgerliche Rechte […].“208 Und an späterer Stelle schreibt er: „Um ihre religiösen Gebräuche bekümmert sich niemand; sie stehen daher nicht unter geistlichen Obern, hangen aber ihren Gebräuchen stärker an, als irgend eine andere Religionsparthey.“209 Dass die statistischen Erhebungen des Regierungsrats Holsche für die Arbeiten zum Edikt herangezogen wurden, ist nicht wahrscheinlich. Zwar lagen seine Ergebnisse teilweise bereits 1796 zum Druck vor und wurden vom Verleger nach eigenen Auskünften in den Jahren 1793 und 1796 angekündigt. Aber sein erster Band zur Geographie und Statistik von West-, Süd- und Neu-Ostpreußen nebst einer kurzen Geschichte des Königreichs Polen bis zu dessen Zertheilung erschien erst vier Jahre später (1800) und behandelte ausschließlich Neuostpreußen. Auch Holsches Angaben waren nicht vollständig, da z. B. Erhebungen aus Litauen völlig fehlten. Den Anteil der jüdischen Einwohner für die Provinz Neuostpreußen schätzte er auf ein Neuntel der Gesamtbevölkerung.210 In seinem zweiten Band zu Südpreußen legte er zur Einwohnerschaft Posens Statistiken mit Zahlenmaterial aus dem Jahr 1800 vor.211 Nach diesen Erhebungen lebten knapp waren jüdische Kaufleute im Handel mit Tuch und Leder, im Export von Honig und Holz, im Handel mit Fellen und Pferden, mit Salz oder Fisch und Hering stark vertreten. Ebd. Der größte Teil der Handelsgeschäfte wurde auf den Messen geschlossen, in Breslau, Frankfurt a. d. Oder, Leipzig oder Berlin. Jacobson (1920), Juden, S. 288. Zum Ende des 18. Jahrhunderts ließ der Handel mit Breslau trotz der Begünstigungen durch die preußische Regierung nach. Entgegen der Einschätzung von Friedländer existierten nach Lewin noch rege Handelsbeziehungen zu Frankfurt a. d. Oder und Leipzig. Diese Bemerkung Friedländers stammt aus seinem Kommentar zum Judenreglement für Süd- und Neuostpreußen (1797). Zit. n. Jersch-Wenzel, Stefi: Schänker und Landwirte – Juden in Süd- und Neuostpreußen um 1800. In: Kaplan, Marion A./Meyer, Beate (Hrsg.): Jüdische Welten. Göttingen 2005, S. 51–65, S. 54. 208 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 186. Aber er bemerkte gleich im Anschluss auch die politisch eingeschränkte Bedeutung dieser rechtlichen Gleichstellung: „In polnischen Zeiten bildeten die Bürger aus allen Städten keinen Stand, und nur einige Immediatstädte haben das Recht, die Reichstage durch Deputi[e]rte zu beschicken.“ 209 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 267. 210 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 176. 211 Holsche nutzte oder entwickelte folgende Statistiken: General-Bevölkerungstabellen von den Städten des Posenschen Kammerdepartements (1800); Special-Bevölkerungstabellen von jeder Stadt (1800); General-Bevölkerungstabellen des platten Landes nach den Namen der Kreise (1800); Specialbevölkerungs-Tabellen von den Städten und General-Bevölkerungstabellen vom platten Land des Kalischer Kammerdepartements (1800) und General- und Specialbevölkerungstabellen von den Städten und vom platten Land des Warschauer Kammerdepartements (1800).
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35.000 (34.811) Juden im Posener Departement, knapp 14.000 (13.865) im Kalischer Departement und über 31.000 (31.115) jüdische Einwohner im Warschauer Departement. Nach seinen statistischen Erhebungen lebten insgesamt ca. 83.924 Juden in Südpreußen.212 Holsches dritter Band (1807) behandelte Westpreußen. Aktuell existierten nach seinen Erhebungen in Westpreußen 96 Städte mit 24.015 Häusern oder Feuerstellen. Auch hier blieb Holsche dem Muster seiner bisherigen Darstellungen verbunden. Er beschrieb den blühenden Handel zur Zeit der Hanse und in der engen Anbindung an den „Deutschen Orden“213 und diagnostizierte, dass die „Oberherrschaft der Polen die erste Grundlage zum Verfall“214 der westpreußischen Städte gelegt hatte. Damit folgte Holsche einer historiografischen Betrachtungsweise, die bereits unter Friedrich II. die erste Teilung Polens und die spätere Annexion von Danzig und Thorn 1793 als Wiedervereinigung mit dem Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens gerechtfertig hatte.215 Nach Max Bär lehnte Friedrich II. diese Begründung zwar ab, weil sich das Recht des Kurhauses Brandenburg aus der Belehnung durch den polnischen König ableitete.216 Aber mit dem Abtretungsvertrag von 1773 wurden die noch existierenden Reste einer Lehensbindung an die polnische Krone beseitigt. Die Beschreibung von polnischen Missständen folgte diesem auf Distanz und Abgrenzung angelegten Geschichtsbild. In Holsches Beschreibungen der großen Handelsstädte spielte der Anteil der Juden, ihre Erwerbs- und Lebenssituation bis auf wenige Randbemerkungen keine Rolle. Nur in wenigen kleinen Städten wie z. B. in Alt-Schottland, nahe der Stadt Danzig, existierte eine jüdische Gemeinde.217 Die Stadt Danzig wie die Städte Kulm, Marienburg, Marienwerder, Elbing, Thorn beriefen sich auf ihr „ius de non tolerandis iudaeis“,218 ein Privileg, das die Stände in der Landesverfassung des Herzogtums Preußen 1567 erworben hatten 212 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 2, S. 266. Siehe zu der Situation in Südpreußen die Akten aus dem GStA PK, Gen.-Dir., Südpreußen, Universalia Nr. 120, Bl. 5. 213 Siehe zum Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens in Preußen Boockmann, Hartmut: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte. 3. Aufl. München 1989. Siehe auch Militzer, Klaus: Die Geschichte des Deutschen Ordens. Berlin 2005. 214 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 3, S. 92. Holsche verschweigt nicht, dass der Nordische Krieg, Missernten und die Pest der Jahre 1709, 1710 und 1711 das Land entvölkerten und verwüsteten. 215 Bär, Westpreußen, Bd. 1, Dok. Nr. 27. Siehe dazu auch aktuell Schenk, Wegbereiter, S. 346ff. 216 Bär, Westpreußen, Bd. 1, S. 209. 217 Dazu Holsche: „Alt-Schottland wird von vielen Lederfabrikanten und Juden bewohnt, [von denen] letztere hier auch eine Synagoge besitzen.“ Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 3, S. 104. 218 Das Herzogtum Preußen unterlag nicht den beschränkenden Religionsverordnungen der Reichsgesetze. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts siedelten Böhmische Brüdergemeinen, Mennoniten, Socinianer und Arianer in Preußen. Ständische Landesvertretungen und Reichsstädte er-
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und über die Aufhebung durch die preußische Verwaltung 1802 hinaus verteidigten.219 Nach Jacobson war die Erwerbung dieses Privilegs das einfachste Mittel, um die Juden von der Konkurrenz auszuschließen.220 Noch im Jahr 1825 beriefen sich in der Provinz Posen sechs Städte darauf, „judenfrei“ zu sein.221 Im besonderen Maße beanspruchten die geistlichen Städte dieses Privileg. Aber auch die immediaten Handelsstädte versuchten, dieses Recht zu erlangen. Im Posener Kammerdepartement besaßen 22 Städte kein Niederlassungsrecht für Juden, in ganz Südpreußen 42. Im Netzedistrikt duldeten 18 Städte keine Juden. Mehrere große Gemeinden existierten in den Städten Chodziesen mit 950 jüdischen Einwohnern, in Crone mit 606, in Czarnikow mit 503, Filehne mit 945, Flatow mit 756, Jastrow mit 421, Friedland mit 1.100 oder Schloppe mit 215, Schneidemühl mit 483, Inowraclaw mit 1.080, Labischin mit 605 oder Schönlanke mit 602 jüdischen Einwohnern.222 Insgesamt belief sich die Anzahl der jüdischen Einwohner in diesen Städten des Netze-Distrikts auf ca. 19.000 Menschen.223 Dass das preußische Statistikwesen und sein Stellenwert für die preußische Verwaltung insbesondere unter Friedrich II. zu großen Datensammlungen und einer Vielzahl an Tabellen224 geführt hatte, ist unbestritten. Messungen und Angaben zum Landesausmaß hatten in Polen jedoch auch in der Zeit nach 1789, wirkten in der Landesverfassung von 1567 das Recht, weder Juden noch Arianer oder Zigeuner dulden zu müssen. 219 Die auch von F. L. v. Schroetter unterzeichnete Verordnung für West-, Süd- und Neuostpreußen bestimmte, dass die in „einigen Städten und Gewercken von der ehemaligen pohlnischen Regierung ertheilten Privilegien, keine Juden unter sich zu dulden, aufgehoben werden“ (Berlin, 6. Februar 1802). Siehe dazu Declaration der General-Juden-Reglements vom 17. April 1750 und vom 17. April 1797 für West-, Süd- und Neu-Ostpreußen. In: N.C.C., Bd. 11, Nr. 13, Sp. 763. 220 Jacobson (1921), Juden, S. 152. 221 Ebd. Bei Jacobson gibt es keine Angaben über Jahr und Ort. 222 Der Anteil an der Gesamtbevölkerung variierte. In Inowraclaw betrug der Anteil der jüdischen Einwohner fast drei Viertel, in Barcin ein Fünftel an der Gesamtbevölkerung. Holsche unterteilt generell in christliche und jüdische Einwohner. Näher spezifiziert werden die christlichen Religionen nur im Zusammenhang mit dem Besitz von Klöstern, Kirchen u. Schulen. 223 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 3, S. 144. 224 Siehe zu den verschiedenen Arten von Statistiken auch Behre, Otto: Geschichte der Statistik in Bandenburg-Preußen bis zur Gründung des Königlichen Statistischen Bureaus. Berlin 1905, S. 133. Siehe auch Behre zur Arbeit der Statistischen Abteilung im Gen.-Dir. Ebd. Nach der Auflösung im Jahr 1806 erfolgte die Wiedereröffnung zwei Jahre später. Bereits 1763 wurden dem preuß. König jährlich 34, halbjährlich 2, vierteljährlich 10 und monatlich eine, insges. 47 Tabellenwerke vorgelegt. Siehe Behre, Statistik, S. 363. Siehe dazu auch Kaufhold, Karl-Heinrich: Statistik und brandenburg-preußischer Staat, 1650–1850: Organisation und Entwicklung. In: Kloosterhuis, Jürgen/Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Krise, Reformen – und Finanzen. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2008, S. 59– 90, S. 66. Öffentliches Interesse fand das Statistikwesen, nachdem Thomas Robert Malthus seine pessimistische Prognose über den
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also zur Zeit der Arbeiten an der neuen polnischen konstitutionellen Verfassung stattgefunden. Nach den Worten Holsches war dies die Zeit, in der alle damit beschäftigt waren, „die Kräfte des Reichs festzustellen und auszumessen“.225 Eigentliche Vermessungsarbeiten vor Ort fanden jedoch nicht statt. Der Flächeninhalt jeder Woiwodschaft wurde mit Hilfe von Sachverständigen und den besten Landkarten ermittelt. Auch Ermittlungen zur Bevölkerung und deren Existenzund Wirtschaftsbedingungen wurden zu Akzisezwecken in den „Rauchfangregistern“ der Provinzen angestellt. Kommissarien hatten in den Provinzen vor Ort ermittelt. Allerdings lagen die Ergebnisse nicht aus allen Regionen vor. Im Unterschied zu den polnischen Erhebungen stellten die preußischen Ermittler eine größere Anzahl an Feuerstellen und damit auch an Einwohnern fest. Die Angaben differierten im Departement Bialystok um über 30.000 Menschen.226 Minister Hoym bezog sich in einem Schreiben über die Judenreform (23. April 1795) auf die Bedeutung der jüdischen Einwohnerschaft für die wirtschaftliche Region Südpreußen: Ueberdem ist Südpreußen noch nicht in der Verfassung, daß es der arbeitenden jüdischen Hände entbehren kann, sondern es werden noch viele Jahre hingehen, ehe die christlichen Einwohner, an Arbeitsamkeit und Fleiß gewöhnt, sich den Geschäften widmen würden, indem bekanntermaßen die Juden nicht nur alldort den Handel a la grossa und a la minuta fast einzig und allein auf die alleruneingeschränkteste Art treiben, sondern auch an den mehresten Orten oft die einzigen Handwerker sind, Ackerbau und Viehzucht treiben, und sich als Tagelöhner, Handarbeiter und Fuhrleute gebrauchen lassen.227
Die Beibehaltung des Status quo war daher notwendige Maßnahme zum Erhalt der Produktivität und Wirtschaftlichkeit der Provinz Südpreußen. Der Autor dokumentierte mit seinem Bericht, dass die ehemals polnischen Juden bereits nützliche Bürger des Staates waren und nicht erst werden mussten: „Bei der Occupation ist die Aufrechterhaltung der Gerechtsame zugesichert worden, es würde selbst für die Provinz zum größten Nachteil gereichen, wenn die Juden einseitig und allein von dieser Gnade ausgeschlossen sein sollten […].“228 Diese Einschätzung teilte auf untergeordneter Ebene nicht der königlich preußische Akzise- und Zollrat J. F. Stru-
Fortgang der Bevölkerungsentwicklung veröffentlicht hatte. Siehe dazu seine Schrift: Ders.: An essay on the Principle of Population (1798). 225 Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 134. 226 Ebd. 227 Bericht von Hoym in Auszügen gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 591–628, S. 592. 228 Ders. Zit. n. Bloch, Judenwesen, S. 592.
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ensee.229 Er schrieb dazu in seiner 1802 veröffentlichten Monografie und unter dem Aspekt des finanziellen Steueraufkommens der Provinz: So weit entfernt ich auch bin, dafür zu stimmen, daß die hiesigen Juden in Rücksicht des Handels zum Vortheil der Christen im mindesten beschränkt werden sollen, so wenig kann ich doch leugnen, daß die Südpreußischen Juden, so wie sie jetzt sind, dem reellen Handel offenbaren Schaden zufügen, und das Emporkommen desselben verhindern. Wer es nicht selbst gesehen hat, wird es nicht glauben, wie dürftig selbst die reichsten unter ihnen leben, und wie gering ihre Bedürfnisse sind […]. Ein Staat welcher bloß von sogenannten Pohlnischen Juden bewohnt würde, möchte nur wenig indirekte Abgaben erheben können. Bei gleichen Geschäften, die ein christlicher und ein jüdischer Kaufmann betreiben, sind Haushaltungs- und Handlungskosten bei ersterem gewiß zehnfach höher als bei letzterem. Kein vernünftiger Mann, hoffe ich, wird verlangen, daß der christliche Kaufmann den jüdischen hierin nachahmen soll: der ganze Staat würde hierbei am meißten verlieren.230
Wirtschaftliche Prosperität musste sich vor allem im steuerlichen Finanzaufkommen ausdrücken. Die Haushaltungskosten sollten sich entsprechend am Verdienst und an den Einnahmen orientieren. Zwar bestritt J. F. Struensee nicht die Schlüsselrolle der jüdischen Händler. Aber er bezweifelte ihre repräsentative Vorbildfunktion im Steuersystem. Und damit stellte er auch den Nutzen gegenüber längerfristigen und unterstützenden politischen Maßnahmen durch die preußische Verwaltung infrage.231 Ein Zusammenhang mit dem ganz eigenen Wert- und Deutungsmus229 Siehe zu Johann Friedrich Struensee (1771–1814) Anlage 2: Biografien. 230 Struensee, J. F. K. P. Ober-Accise- und Zoll-Rath: Blikke auf Südpreußen vor und nach dem Jahr 1793. Sämtlichen Gutsbesizzern Südpreußens gewidmet. Posen 1802, S. 116. 231 Polen kannte keine Stadt-Akzise, sondern nur eine Trank- und Schlachtsteuer; das Rauchfanggeld, eingezogen von der Land- und der Stadtbevölkerung, das Ledergeld für die Haut jedes geschlachteten Tieres, die Stempelgelder und Gebühren für Privilegien. Im Gegensatz zu Preußen zahlten Stadt und Land eine Grundsteuer. Bisher war die Rauchfangsteuer auf dem Land aus der Anzahl der Rauchfänge festgesetzt und von den Grundherren nach Größe des Besitzes repartiert bzw. auf alle umgelegt worden. Willkürliche Festlegungen scheinen nach diesem System durchaus möglich gewesen zu sein. Zusätzliche Steuern konnten durch die Heeressteuern oder durch deklarierte Notzeiten eingezogen werden. Sie erhöhten das steuerliche Gesamtaufkommen zum Teil um 50 %. Eine Einkommensteuer vom Gesamtertrag zahlte seit 1789 auch der Adel. Sie betrug 10 % auf feste und sichere Einnahmen, konnte jedoch aus den Erträgen nicht zweifelsfrei berechnet werden, da die persönlichen Angaben der Zahlungspflichtigen nicht geprüft wurden. Minister Carl August v. Struensee plante für Stadt und Land eine Grundsteuer nach gleichen Grundlagen und Erhebungen und die Beseitigung von steuerlichen Exemtionen (Befreiungen). Die Ausweitung der Grundsteuer auf die Städte und die Konsumtionsakzise auf dem Land sollten das Steuerwesen egalisieren. Nach Straubel war es Struensee mit „dem Abbau ständischer Vorrechte ernst“. Straubel, Struensee, S. 311. Die Erhaltung und Sicherung des Privateigentums hatte für Minister Struensee höchste Priorität, weil nur sie den Konsum und die indirekten Steuern sichern und garantieren konnte. Ausnahmen von der Konsumtionssteuer sollten deshalb
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ter des preußischen Akziserats ergibt sich aus seinem Vergleichsrahmen, der auf starkem Vertrauen in die erzieherischen Fähigkeiten des Konsums mit dem fiskalischen Nutzen für die Erhebung indirekter Steuern beruhte: Seit der preußischen Besi[t]znahme dieses Landes hat die Nazion, in Rücksicht der freien Denkungsart merkliche Fortschritte gemacht, und sich von den Fesseln der Talmudisten loszuwinden bemühet, allein noch herrscht größtenteils dike Finsterniß unter ihnen, und nur der allgewaltige Luxus in Kleidung, und die Sucht alle Moden mitzumachen, wird alle Autoritäten ihrer Rabbinen und Ältesten unterdrüken, und so traurig auch die Folgen in Rüksicht der Moralität für diese zahlreiche Masse von Einwohnern hievon seyn können, so wird dennoch der unter ihnen überhand nehmende, und ehemals durch die Rabbinen unterdrükte Luxus das beste und vielleicht das einzige Mittel seyn, sie den übrigen Einwohnern des Landes ähnlicher zu machen. Die sich häufenden neuen Bedürfnisse werden diese Menschen nöthigen, entweder auszuwandern oder fleißiger und thätiger zu werden; und was kann für diese Provinz wünschenswerther seyn als dies? denn die größte Zahl unter ihnen besteht aus solchen, die völlig zufrieden sind, wenn sie jeden Tag nur so viel verdienen, daß sie ein Stük troken Brod essen können. Die zahlreichen Almosen der reichen Klasse unterstüzen diese Menschen in ihrer Faulheit, und bringen daher statt Nuzen, offenbaren Schaden.232
Nach den Untersuchungen von Kemlein und Marcus zeigte sich an der ökonomischen Situation der Juden in der Provinz Posen zum Ende des 18. Jahrhunderts auch das Symptom einer strukturellen Krise, die zur Armut führte und zur extremen Anspruchslosigkeit zwang.233 Diese Ergebnisse stützen die Beobachtungen vom südpreußischen Oberpräsidenten Heinrich v. Buchholtz (Posen), der die Auswirkungen dieser Krise für verschiedene betroffene Stände beschrieb und der in seinem Bericht zur Unzufriedenheit in Südpreußen (6. Februar 1797) anmerkte: Adel, Geistlichkeit, Bürger, Jude und Bauer, alles ist in ganz Südpreußen äußerst unzufrieden, und es kann dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, täglich die überzeugendsten Beweise dieser Unzufriedenheit zu erhalten. […] Dem Juden endlich fehlt es an Erwerb, und ihm sowie dem Bauern fallen die Abgaben zu schwer.234 ebenfalls aufgehoben werden. In Südpreußen standen zukünftig die Konsumtionsakzise und die Zölle im Mittelpunkt der finanzpolitischen Maßnahmen. Die Haupteinnahmen sollten durch die Zölle erfolgen, die u. a. auf Luxusgüter (z. B. auf Kaffee und Tabak) erhoben wurden. Die Konsumtionssteuer wurde nicht auf Brot, aber auf Bier, Branntwein und Fleisch wie auch auf Zucker und Sirup aufgeschlagen. Siehe zur Steuerpolitik in Süd- und Neuostpreußen auch Bussenius, Preußische Verwaltung, S. 167ff. 232 Struensee, J. F., Südpreußen, S. 118. 233 Kemlein, Posener Juden, S. 41, und Marcus, Alfred: Zur Wirtschaftsgeschichte der Juden in der Provinz Posen. In: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik. N. F. 3 (1932), S. 283–295, S. 399–408. 234 Buchholtz an Hoym (Warschau, 6. Februar 1797). In Auszügen gedr. bei Bussenius/Hubatsch, Süd- und Neuostpreußen, Nr. 111, S. 251–253. Ferner berichtete Buchholtz, dass Klagen
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Anders als Akziserat Struensee hatten sich zumindest Teile der provinzialen Beamtenschaft nach der Annexion Westpreußens geäußert. Höhere Verwaltungsbeamte der Provinz sprachen sich gegen die Absicht von Friedrich II. aus, zahlenmäßige und berufliche Beschränkungen für die jüdischen Einwohner zu verhängen.235 Die Befürchtung, dass eine „gänzliche Stockung“ in einigen Nahrungsbranchen und eine beträchtliche Einschränkung der Wohlfahrt für die meisten Einwohner die Folge dieser Maßnahmen wäre, begründete die Fürsprache. Um die Existenz der Händler mit einem gleichzeitigen Nutzen für die Staatsfinanzen zu verbinden, wurde empfohlen, sie so im Stande zu erhalten, dass sie ihre Abgaben bezahlen konnten.236 In diesem Fall deckte sich das merkantilistische Interesse der Fürsprecher mit dem der jüdischen und der christlichen Bewohner.237 Anders argumentierte Akziserat Struensee im Fall Südpreußens. Hier ging es nicht um die zu schaffenden Voraussetzungen zur Erfüllung der Pflicht des Steuerzahlens. Die Konsumtion als Mittel zum Staatserhalt wurde selbst zur Methode der Erziehung. Bedürfnislosigkeit mochte zwar eine jüdische (und christliche) Tugend sein. Aber aus der Sichtweise des Provinzialbeamten stellte sie eine zu überwindende steuerpolitische Unverantwortlichkeit dar, die exemplarisch am Beispiel der jüdischen Einwohner dargestellt werden konnte. Die personalisierte Kritik und die Betonung der Eigenverantwortung ließen sich in diesem Fall sowohl mit dem etatistischen Erziehungsziel wie mit dem eigenen Interesse des Finanzbeamten verknüpfen, der damit zu Lasten der jüdischen Bewohner, aber zu Gunsten der eigenen Ansicht zur Steuerpolitik argumentieren konnte. In diesem Fall wurde der negativ stigmatisierte Lebensstil als anschau-
„aller Stände“ zu hören waren: „Der Bürger klagt über die Stockung in Handel und Gewerbe, die sein Vermögen zerrüttet. Die Geistlichkeit klagt über den Verlust ihrer Güter. Der Adel klagt über Härten und Zurücksetzungen, zu hohe Abgaben, die kostspielige Justizverwaltung, die nachteiligen Verfügungen gegen die Pächter.“ Ebd. 235 Unter Friedrich II. wurden ca. 6.000 Juden zur Auswanderung gezwungen, in die Städte umgesiedelt und mit Berufsverboten im Handwerk belegt. Der Handel auf dem Land und die Pacht von Brauereien und Brennereien wurden ganz verboten. Die Übertragung des Gen.-Jud.Priv. v. 1750 hob alle Privilegien der jüdischen Gemeinden auf. Siehe dazu Toury, Eintritt, S. 344ff. 236 Kammerdeputation vom 25. April 1777. Gedr. bei Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 1268. 237 Kemlein berichtet von verschiedenen Petitionen unterschiedlichster Herkunft, die sich u. a. für den Verbleib der jüdischen Kaufleute aussprachen. Kemlein, Posener Juden, S. 47. Siehe dazu auch Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat. Vom Königlichen Preußen zu Westpreußen (1756–1806). München 1995. Berufsverbote, Zwangsumsiedlungen vom Land in die Städte (Kammerdepartement Marienwerder) und „Wegschaffungen“ von Bettel-Juden aus Stadt und Land (Netzedistrikt) wurden dennoch ausgeführt. Siehe dazu u. a. Bär, Westpreußen, Bd. 1, S. 439.
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liches Beispiel zur Verteidigung und zur Legitimierung der eigenen steuerpolitischen Ansicht benutzt. Bei der Ermittlung eines kulturellen Standards bei den südpreußischen Untertanen kamen die Beobachter auf ganz unterschiedliche Einschätzungen und Bewertungen. Von einer im Vergleich zu den christlichen Polen kulturell höher stehenden Stufe sprach Minister Voss.238 Eine vergleichbare Einschätzung hatte auch David Friedländer in seinen Akten-Stücken geäußert.239 In einem Schreiben der Berliner Ältesten an Minister Hoym (9. Mai 1793) orientierten sich die Verfasser bei ihrer Beurteilung am Beispiel der schlesischen Juden. Die Berliner baten den Minister um Nachsicht gegenüber den jüdischen Einwohnern Südpreußens, weil sie „noch nicht die Stufe der Cultur erreicht haben dürften, zu welche[r] die Schlesier bereits reif sind“.240 In der Schrift von 1790 hatten sich die Berliner Deputierten auch zu ihrem eigenen Maßstab geäußert und mit Überzeugung konstatiert: „Die Juden in den Preuß. Staaten im Ganzen genommen stehen auf einer ungleich höheren Stufe der Cultur, als anderswo.“241 Auch der Historiker Lewin schloss sich hundert Jahre später dieser Meinung an und bemerkte dazu, dass trotz der Überlegenheit der jüdischen Südpolen über ihre christlichen Nachbarn ihre kulturellen Verhältnisse „manches zu wünschen übrig ließen“.242 Neben den wirtschaftlichen Gründen basierte die Argumentation Hoyms auch auf den ihm bekannten Thesen von C. W. Dohm. Dazu Hoym 1795 in einem Bericht über die Reform in Südpreußen: Ich glaube, daß die von dem Geheimen Rath von Dohm zur Bürgerlichen Verfassung der Juden gethanen Vorschläge größtentheils und nur hie und da mit einigen Einschränkungen zu realisiren sind, und daß, um diese Leute zu glücklichen und besseren Gliedern der bürgerlichen Gesellschaft zu machen, sie vollkommen gleiche Rechte mit allen übrigen Untertanen erhalten müßten.243
238 Bericht Hoyms über die Reform in Südpreußen (Breslau, 23. März 1795). Gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 59. 239 Siehe dazu Kapitel 4.1 dieser Arbeit. 240 Schreiben der Berliner Ältesten (9. Mai 1793) an Minister Hoym. Teilw. gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 521–628, S. 521. Das Originaldokument befand sich zum Zeitpunkt der Recherche Blochs im Staatsarchiv Breslau, M. R. III 12, Vol. II, Bl. 280. 241 Siehe dazu das Schreiben vom 2. Februar 1790. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 129ff., S. 152. Die Verfasser unterschieden zwischen den kultivierteren Juden aus Frankreich und Preußen und den Juden aus Polen und Böhmen. Siehe dazu auch die Einleitung zu den Akten-Stücken, S. 27 u. 35. 242 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 588. 243 Bericht Hoyms über die Reform in Südpreußen (Breslau, 23. März 1795). In: Bloch, Judenwesen, S. 592.
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Gleichzeitig stellten die rechtmäßigen Existenzbedingungen der jüdischen Polen ein Dogma der bisherigen Sicht- und Beurteilungsweise der preußischen Beamten in Frage. Nach den Berichten aus den neuen Provinzen konnten Juden in bürgerlichen und handwerklichen Berufen erfolgreich zum Nutzen der Landesökonomie tätig sein. Sie hatten die von Dohm formulierten Thesen zu ihrer Nützlichkeit im Handel, in den Handwerken und im Ackerbau244 erfolgreich in der Praxis bewiesen. Auch Minister Voss orientierte sich in einem Schreiben vom 21. Januar 1794 an einem pädagogischen Motiv der Gesetzgebung. Voss forderte, den Plan für ein Judenreglement nach den folgenden neun Punkten zu entwerfen, und schrieb in der Einleitung: Im ganzen genommen [ist] der Jude in Südpreußen ein kultivirterer Mensch als der Bürger in kleinen Städten und der Bauer auf dem platten Lande. Schon diese Rücksichten machen eine ganz andere Einrichtung des Judenwesens dort als in den alten Provinzen nothwendig, und ich halte dafür, dass diese Nation der Verbesserung sehr wohl fähig sey, ihre Glieder auch zu nützlichen Staatsbürgern gemacht werden können, wenn man ihrer Industrie nur einen weiteren Spielraum als in den alten Provinzen anweiset, vom Handel aber so viel als möglich abzuziehen sucht.245
Zur Disposition stand die Etablierung eines Niederlassungs- und Besitzrechts in Städten, Dörfern und auf dem Land; eine bedingte Zulassung zum Landanbau auf wüsten und alten Feuerstellen; die Erlaubnis „zur Ausübung aller Arten von Gewerbe- und Handwerken, die sie bisher getrieben haben“;246 eine grundsätzliche Genehmigung zum Erlernen von Gewerbe und Handwerk bei christlichen Meistern; die Mittel zur Verbesserung des Schul- und Erziehungswesens; die Hauptgrundsätze, nach denen die Armen- und Krankenversorgung eingerichtet werden sollte; die Einschränkungen zum Hausiererhandel, der nicht verboten werden sollte, „weil eine Menge jüdischer Familien bloß davon leben“;247 die Höhe und Festlegung der Abgaben, die zusätzlich zu den Abgaben an die Grundherren gezahlt werden sollten, und die staatliche Festlegung der Befugnisse der Rabbiner und Ältesten. Nach den Untersuchungen von Lewin regierten die Minister Voss und Hoym auch vor dem Inkrafttreten des Reglements von 1797 mit einer „vernünftige[n] und gesetzmäßige[n] Toleranz“248 zu Gunsten der jüdischen Ein-
244 Vgl. dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 111ff. 245 Schreiben von Voss an Buggenhagen. Gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 591–628, S. 627–628. Siehe dazu auch Biester, Johann E.: Einige Briefe über Polen. In: Berlinische Monatsschrift, Bd. 19 (1792), S. 545–628, S. 627f. 246 Biester, Briefe, S. 627. 247 Ebd. 248 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 588.
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wohner. Diese Beurteilung schloss auch die Auseinandersetzungen zwischen den örtlichen und den Provinzbehörden um den positiven Bescheid zu Anfragen der hiesigen Judengemeinden mit ein. Zu einer anderen Beurteilung kam der bereits erwähnte Kriegs- und Domänenrat Buchholtz (Posen), der zur Lage der gesamten polnischen Nation schrieb, dass sie auch unter preußischer Herrschaft „wirklich manche Ursache zu Klagen hat“.249 Das General-Juden-Reglement für Süd- und Neu-Ostpreußen (21. Mai 1797) entstand unter Minister Hoyms Leitung. Von Minister Wloemer ausgearbeitet und von den Ministern Goldbeck und Schroetter gegengezeichnet, umfasste es fünf Kapitel und 71 Paragrafen. Das Reglement gehörte zu den verwaltungstechnischen Neuorganisationen, die als Grundvoraussetzung die neuen Provinzen unter Berücksichtigung bestimmter Privilegien administrativ250 an preußische Gesetze, Regelungen und Verhältnisse anbinden sollten und neben den agrar-,251
249 Ebd. Vgl. dazu auch Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen, S. 449. Sein Urteil über die Minister Voss und Hoym ist insgesamt wenig freundlich. Voss, „der sonst viel Tüchtiges geleistet hat“, besaß nicht genug Selbstbewusstsein und hörte zu stark auf den Rat anderer. Hoym war mehr „Diplomat als Landwirt, mehr Polizist und Intrigant als wirklicher Organisator“. Beide vernachlässigten die Kolonisierung. 250 Siehe: Reglement über die Vertheilung der Geschäfte zwischen den Süd-Preussischen Landes-Justiz-Collegiis (15. Dezember 1795). In: N.C.C., Bd. 9, Nr. 76, Sp. 2703–2737. Das Reglement sollte ausdrücklich als Orientierungshilfe für die neuen Untertanen verstanden werden. Eine Ressorttrennung erfolgte zwischen dem Zuständigkeitsbereich der Südpreußischen Regierung (alle Justizsachen, Besorgungen zum Hypothekenwesen und alle Vormundschaftssachen) und den Kriegs- und Domänenkammern (alle Landes-, Hoheits-, Grenz- und Huldigungssachen, die Abschoss- und Abzugssachen, die Standeserhöhungen, die Zensur der politischen Blätter und Schriften) und überhaupt „alle ad statum publicum et politicum“ gehörenden Angelegenheiten. Ebd. Vgl. zur Spezialisierung der Zuständigkeit die Paragrafen 58ff. und das Patent zur Neueinrichtung des Hypothekenwesens in Neuostpreußen (12. April 1797); das Patent wegen Einrichtung des Justizwesens in Neuostpreußen (23. April 1797); das Patent wegen der Rechte und Gesetze, welche in der Provinz Neuostpreußen gelten und beobachtet werden sollen (30. April 1797); die Declaration des Edicts vom 28. März 1794 wg. der in Südpreußen geltenden Gesetze und Rechte (30. April 1797); das Patent zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den neu acquirierten Provintzen (1. August 1796). Gedr. in: N.C.C., Bd. 9/10. Vgl. ebenfalls die Maßnahmen zur Rechtsprechung, zu den Justizeinrichtungen, zur Verwaltung und zu den Polizeisachen. 251 Gedacht ist hier an Maßnahmen zur Neukolonisation durch deutsche Ansiedler und Bewirtschaftung der Ländereien durch Domänenverpachtung. Siehe dazu die entsprechenden Reglements in Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, I. HA (Gen.-Dir).: Südpreußen, Nr. 992, 996, 1007. Siehe auch Akten des Gen.-Dir., Neuostpreußen, Tit. CCXXV, Nr. 6: Die Hereinziehung von Kolonisten auf dem platten Land; Gen.-Dir., Neuostpreußen Rep. 7, Nr. 13, Fasz. 2: Kolonistenanwerbung in Süddeutschland 1799–1806; Gen.-Dir., Rep. 7C (Südpreußen), Nr. 13, Fasz. 2: Die für Begünstigung der Einwanderung von Ausländern für Südpreußen getroffenen Anstalten (1793/94).
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verkehrs- und handeltechnischen,252 steuer- und provinzial-rechtlichen,253 schulund kirchenrechtlichen Maßnahmen254 beraten und umgesetzt wurden. Rolf Straubel hat im Zusammenhang mit den Beratungen in der Finanzkommission von 1798/1799 betont, dass ein einheitliches wirtschaftliches Gefüge in Preußen nicht existierte: Zu den Ursachen für die zahllosen Friktionen (im Steuerwesen) gehörte auch der Umstand, dass der preußische Staat noch um 1800 kein einheitliches territoriales Gebilde darstellte. Da er im Verlauf mehrerer Jahrhunderte gewachsen war, besaßen einzelne Provinzen Sonderrechte, andere wurden durch fremde Territorien von den Kernlanden getrennt. Dazu kamen divergierende Agrar- und Gewerbestrukturen, markante Unterschiede in der Bevölkerungsdichte und bei handwerklich-kommerziellen Traditionen, Mentalitätsunterschiede zwischen Ostpreußen und Westphalen.“255
Damit kommt Straubel zu dem Schluss: „Insofern war es realitätsfern, wenn Friedrich Wilhelm III. in der Instruktion für die Finanzkommission 1798 forderte, Minister und Provinzialbehörden sollten sich bei ihren Handlungen vom Nutzen für den ganzen Staat leiten lassen.“256 In grundsätzlichen Fragen zum Aufbau der Verwaltung und in Einzelfragen zur Organisation des Schulwesens257 orientierte man sich an den geschaffenen Strukturen in Schlesien. Nach Straubel wurden aus diesem Grund Beamte aus Schlesien in die neuen Provinzen umgesetzt.258
252 Die Maßnahmen betrafen die Erschließung der Verkehrswege, die Verstaatlichung des Postwesens, den Ausbau der Wasserwege, speziell die Schiffbarmachung der Warthe, die Regulierung der Flüsse und die Trockenlegung der Sumpfgebiete. Siehe dazu auch Bussenius/ Hubatsch, Urkunden und Akten, Abt. 1, Nr. 611, 614, 616. Für Neuostpreußen: Akten des Gen.Dir. Neuostpreußen Tit. CXVI, Nr. 1 u. Akten des Gen.-Dir. Oberbaudepartements Tit. CLXXX, Nr. 1: Wasserbauten an Weichsel und Warthe. Siehe dazu auch allgemein das Wege-Reglement für Westpreußen und die Netzedistricte (4. Mai 1796). 253 Siehe dazu die vielfältigsten regionalen Maßnahmen bei Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Abt. 1 (Südpreußen), Nr. 23, S. 129–130, S. 245, etc. und u. a. Gen.-Dir. Rep. 7C für Neuostpreußen: Die Abschaffung der Kreisjustizkommissionen für Süd- und Neuostpreußen; Die Etat- und Kassensachen für Neuostpreußen (1797–1806). 254 Siehe dazu Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Abt. 1 (Südpreußen), Nr. 487, 511, 1616,1617, 1619. Für Neuostpreußen unter der Signatur: Akten des Gen.-Dir. Tit. CXCV, Nr. 2 und Folgende. 255 Straubel, Struensee, S. 30. 256 Ebd. 257 Siehe dazu auch Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Abt. I (Südpreußen), Nr. 1619: Die neuen schlesischen Schulverordnungen und ihre Ausdehnung auf Südpreußen (1801–1804). 258 Straubel, Struensee, S. 41. Dazu bemerkt Straubel an späterer Stelle, dass die Provinzialminister zu Recht befürchteten, dass ihnen auch weniger geeignete Beamte untergeschoben werden sollten. Aus Sorge vor diesen Empfehlungen griffen Schroetter und Hoym meist auf Kandi-
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Diese Maßnahme ging auf den schlesischen Provinzialminister Hoym zurück, der von 1794 bis 1798 zum Minister für die Provinz Südpreußen bestellt wurde, bis Südpreußen 1798 der preußischen Zentralverwaltung, also dem General-Direktorium in Berlin, unterstellt wurde. Nach den Untersuchungen von Ingeburg Charlotte Bussenius zur preußischen Verwaltung in Süd- und Neuostpreußen sollte die Anpassung nach den Ideen der „Toleranz“259 vollzogen werden. Auch in der Beurteilung der herrschaftlichen Politik vor der preußischen Annexion diente der Begriff „Toleranz“ zur Beschreibung der Akzeptanz gegenüber der nicht christlichen Religionsgemeinschaft und ihrem Eigenleben. Aber der Respekt und der Schutz der religiösen Verfassung basierten nach Jacobson nicht auf dem Gedanken der Toleranz. Sie begründeten sich mit der wirtschaftlichen Ausnutzungsmöglichkeit.260 Da im Edikttext die religiöse Praxis gewährleistet, aber die Institutionen personell und finanziell abgebaut werden sollten, trifft der erste Teil dieser These auf die preußische Gesetzgebung kaum zu. Nach Kemlein war die preußische Regierung nicht gewillt, die ehemals polnischen Gebiete als „Staat im Staate“261 zu dulden. Umso weniger war sie bereit, die Autonomie der polnischen Judengemeinden mit ihrer eigenen Gerichtsbarkeit und der freien Wahl der Ältesten als gegeben zu akzeptieren. Die erklärte Absicht war vielmehr, „die politische Einheit dieses Volkes zu vernichten“262. Nach Bussenius war die Arbeit an der Legislative für die jüdischen Einwohner der neuen Provinzen aus zwei Gründen problematisch: 1. existierte keine Vorlage oder gesetzmäßige Entsprechung aus den alten Provinzen. 2. lag das Problem scheinbar bei den Juden selbst, die nach Bussenius auf einer untergeordneten Kulturstufe standen, einen hohen Bevölkerungsanteil stellten, sich weitgehend autark verwalteten und als Gewerbe hauptsächlich Handel trieben: daten aus den eigenen Ressorts zurück. Vgl. dazu GStA PK, II. HA, Südpreußen, Tit. XIII, Nr. 1–80 und Straubel, Struensee, S. 49. U. a. galt das Postressort als Versorgungsanstalt für die Militärs. 259 Beurteilt man also den Aufbau der neuen Verwaltung ausschließlich als positiv für die Bewohnerschaft und begründet ihn ideologisch mit humanistischen Idealen und weniger mit pragmatischen Zielen, kann die Beurteilung dieser Arbeit durchweg positiv ausfallen und in diesem Fall als „borussophile“ Sichtweise bewertet werden: „Für die Verwaltungsgeschichte der beiden neuen Provinzen sind vor allem zwei in der Aufklärung wurzelnde Gedankengänge wirksam geworden: die Idee der Toleranz und der Bildungsgedanke. In Glaubensfragen begegnete die Verwaltung den nichtprotestantischen Konfessionsgruppen mit sorgfältig gewahrter Duldsamkeit; der zum großen Teil auf einer sehr niedrigen Kulturstufe stehenden Bevölkerung gegenüber war man beseelt von dem optimistischen Bildungsstreben einer Epoche, die glaubte, der zur richtigen Einsicht gebrachte Mensch werde auch Gutes tun.“ Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Einleitung des Bearbeiters, S. 14. 260 Jacobson (1921), Juden, S. 58. 261 Siehe zu dieser Formulierung Kap. 6.2 dieser Arbeit. 262 Kemlein, Posener Juden, S. 49.
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Eine weitere, dem preußischen Beamtentum in diesem Ausmaße neue administrative Aufgabe stellte sich auch durch die große Anzahl der in Süd- und Neuostpreußen befindlichen Juden, die im polnischen Staatswesen eine sehr weitgehende Selbstverwaltung genossen hatten. Hier zeigte sich nicht nur ein religiöses, sondern auch ein soziales und wirtschaftliches Problem; es gab in Polen Juden, die auf dem platten Lande Handel und Gewerbe ausübten. Dafür gab es in den alten Provinzen kaum Parallelen.263
Möglicherweise thematisierte Bussenius mit ihrer Problembeschreibung eine Äußerung von Minister Hoym in einem Schreiben an Minister Schroetter (30. Juni 1796): Die Juden setzen [ihrer Duldung und Einfügung in die bürgerlichen Verbindlichkeiten, Anm. d. Verf.] allerdings mehrere Hindernisse als andere entgegen, aber sie sind Menschen und haben als solche nicht nur ein Recht auf Toleranz, sondern auch mannigfaltige Fähigkeit, bürgerlich nützlich werden zu können in einem Lande, welches an Menschen überhaupt Mangel hat und dessen gut angebaute Oberfläche wohl das doppelte der jetzigen Bevölkerung ernähren könnte.264
Nach Bussenius war diese Aussage beispielhaft für „die Verbindung allgemeinhumaner mit praktischen Gesichtspunkten, die für die preußische Verwaltung auch in dieser Frage kennzeichnend war“.265 Beurteilt man die Verfassung nach den vorangegangenen Gutachten und Berichten für und von den Ministern Voss und Hoym, so stellt sich die Frage, wo die konkrete Paragrafierung von ihnen beeinflusst wurde. Die Präambel des Gesetzes enthielt nur die einschränkenden Überlegungen aus den erwähnten Schriften und Einsichten der Minister. Dort hieß es wie folgt: Da wir unsere landesväterliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt unablässig dahin gerichtet seyn lassen, das Wohl unserer lieben und getreuen Unterthanen in Süd- und Neu-Ostpreußen auf alle mögliche Weise zu befördern, und was diesem wohltätigen Zweck entgegen stehet, wegzuräumen: So haben wir wahrgenommen, dass vornehmlich die bisherige Verfassung der Juden in diesen Provintzen einer andern, ihrem eigenen, und dem allgemeinen Besten anzumessenden Einrichtung desto nothwendiger bedarf, als ihr jetziges Bestreben und Thun größtentheils nur in gemeinschaftlichem wucherlichen Handeln und Verkehren besteht, und gleichwohl ihre sehr große Menge die Anzahl der Juden in Unsern andern Provintzen und in allen christlichen Staaten, gegen die christlichen Einwohner so außerordentlich übersteigt, daß solche ihre Lebensart, Unsern getreuen christlichen Unterthanen, wie es die Erfahrung beweiset, durchaus nachtheilig fallen muß, und sie dennoch dabey ohne Betrug und äußerste Verschlimmerung ihres sittlichen Charakters, sich in der Folge nicht erhalten können. Diesem Uebel abzuhelfen, und zugleich ihren eigenen Zustand zu 263 Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Einleitung des Bearbeiters, S. 17. 264 Ebd., S. 23. 265 Ebd.
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verbessern haben Wir demnach nöthig und gut befunden, durch gegenwärtiges Reglement festzusetzen und zu verordnen, wie mit ihnen verfahren werden soll, und wie sie sich zu verhalten haben.266
Die Präambel betonte die Zielsetzung des Gesetzes zur Förderung des Allgemeinwohls. Das Stichwort „Dominanz“ wurde über die Anzahl der jüdischen Bevölkerung definiert. Unter der bisherigen politischen Prämisse, die Zahl der jüdischen Bevölkerung zu begrenzen und diese Maßnahme zu rechtfertigen, konnte der hohe Bevölkerungsanteil als bedrohlich für die wirtschaftliche Existenz der christlichen Untertanen dargestellt werden. Nach dieser gedanklichen Voraussetzung konnte auch die Schlüsselrolle im Wirtschaftsgefüge eine negative Konnotation erhalten. Dass in diesem Fall die wirtschaftliche Existenz der jüdischen Händler als Folge und Ursprung krimineller Energie dargestellt wurde, die gegen die Christen gerichtet war, simplifizierte die negativen Auswirkungen des bisherigen Wirtschaftsgefüges und ließ die möglichen Ursachen in den Hintergrund treten. Darüber hinaus rechtfertigte die Kriminalisierung die Notwendigkeit des Reglements als sinnvolle preußische Regierungsmaßnahme, die als positiver Gegensatz zur bisherigen polnischen Politik dargestellt werden konnte. Das Wohl aller Untertanen sollte gefördert werden, indem das „Entgegenstehende“267 weggeräumt wurde. Was darunter zu verstehen war, legte der folgende Abschnitt offen. Die bisherige Judengesetzgebung wurde dafür verantwortlich gemacht, dass „ihr jetziges Bestreben und Thun [das der Juden, Anm. d. Verf.] großentheils nur in gemeinschaftlichen wucherlichen Handeln und Verkehren besteht“.268 Die Vorstellung und Legitimierung der neuen Verfassung sollte über den Korrekturgedanken zum allgemeinen Wohl beitragen. Dieser zwischengeschaltete abstrakte Satz richtete sich an die Vernunft der Adressaten, die über diesen Gesetzestelos269 zu freiwilligem, nicht unbedingt erzwungenem Gehorsam angehalten
266 N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1031. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Die teleologische Auslegung fragt nach dem Ziel des Gesetzes. In diesem Sinn bestimmt „telos“ (griech.) den Zweck eines Gesetzes, aus dem sich der Inhalt bestimmen lässt. Dieser Inhalt ist „herauslesbar“ und soll durch Vernunft den Sinn des Gesetzes begründen. In diesem Fall sollte das Gesetz als Beitrag zum allgemeinen Wohl verstanden werden. Die Maßnahmen richteten sich explizit an eine Gesellschaftsgruppe, die unter diesem Anspruch zur Akzeptanz und zur Einsicht in die Unterordnung aufgefordert wurde. Begründet wird die Unterordnung mit der Kriminalisierung der Adressaten. Sie verlieren damit den Anspruch auf Gleichbehandlung, weil sie nicht zum allgemeinen Wohl beitragen. Eine strenge Reglementierung wird damit als Schutzmaßnahme plausibel gemacht.
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werden sollten.270 In diesem nachteiligen Befund des gemeinschaftlichen negativen Tuns wurde neben der bereits genannten zahlenmäßigen Größe auch die kollektive Eigenschaft einer nicht näher beschriebenen, aber negativen Lebensart genannt: „ihre sehr große Menge, [die] die Anzahl der Juden in Unsern andern Provinzen und in allen christlichen Staaten, gegen die christlichen Einwohner so außerordentlich übersteiget“,271 und „ihre Lebensart, [die] Unsern getreuen christlichen Unterthanen, wie es die Erfahrung beweiset, durchaus nachteilig fallen muß“.272 Die einzige Erwähnung, die sich auf die Adressaten der Gesetzgebung berief und trotz negativer Beurteilungen mit positiven Absichten agierte, war die letzte Begründung zur neuen Verfassung, die den jetzigen „Zustand zu verbessern [suchte]“.273 Erst im Nachsatz, in der Anweisung an die Kammern, wurde anerkannt, was die Berichte der Kalkulatoren und der Minister Hoym und Voss angemerkt hatten. Dort heißt es, dass die Kammern die Befolgung des Reglements zu beobachten hätten, weil „die Ausbildung der Juden zu guten und nützlichen Untertanen befördert werden soll oder ihre schon hinlänglich dazu erreichte Cultur zur Verbesserung ihres Zustandes Uns Landesväterlich bewegen wird […]“.274 Mit diesen Urteilen unterschied sich die Präambel dieses Reglements wesentlich von der schlesischen Verfassung aus dem Jahr 1790.275 Obwohl auch in diesem Reglement mit Vorurteilen argumentiert wurde, schrieb man im Breslauer Edikt fest, dass eine rechtliche Gleichstellung als zukünftige Option angestrebt werde. Die Vorschrift, wie es künftig mit dem Judenwesen in Breslau zu halten sei276 270 Siehe dazu Grawert, Rolf: „Gesetz“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 863–922, S. 864. 271 N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1031. 272 Ebd. 273 Ebd. 274 Ebd., Sp. 1091. 275 In: GSTA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 147–152, Bl. 147. In der Präambel zum Breslauer Reglement hatte Friedrich Wilhelm II. betont, „Glück und Wohlfahrt eines jeden Untertanen“ zu befördern. Er sprach die Absicht aus, „diese [jüdische, Anm. d. Verf.] Nation den übrigen Staatsbürgern völlig gleich zu machen und sie an allen Rechten der Bürger teilnehmen zu lassen“. Er erklärte auch, dass er in ihren religiösen Gebräuchen, teils in ihrer ganzen Verfassung Hindernisse erblickte, welche die ganze Ausführung des Vorsatzes wenigstens vorderhand noch unmöglich machten. Gedr. bei Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 226–231, S. 226. 276 Die neue Verordnung unter Friedrich Wilhelm II. (1791) garantierte den Generalprivilegierten und den 160 „Stamm-Familien“ die Etablierung und Duldung nach den genannten Bedingungen. Die 27 Paragrafen regelten und bestimmten a) die Duldung überhaupt, b) die moralische und bürgerliche Verfassung, c) die öffentlichen Abgaben und d) die Gemeine-Verfassung: Die neun Paragrafen der ersten Abteilung fixierten mit Ausschluss der Generalprivilegierten die Zahl der Schutzjuden auf 160, regelten Übertragung, Vererbung und Neubesetzung der Stammnummern
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(21. Mai 1790) war vom Breslauer Beamten und Kammerkalkulator FriedrichAlbert Zimmermann277 konzipiert worden. Er war nach Peter Baumgart einer der „wichtigsten judenpolitischen Berater des mächtigen Provinzialministers“.278 In seinem Buch über die Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien (1791)279 bezeichnete Zimmermann die neue Verordnung als „einen wichtigen Schritt“,280 der ihm selbst „aber nur ein Anfang ihrer künftigen Verbesserung zu seyn“281 schien. Machte der Autor auch die Umsetzung der Pläne zu einer zukünftigen Verbesserung vom Willen der Betroffenen selbst abhängig, so vermerkte er nach seinen persönlichen Erfahrungen, dass die königl. Vorschrift bei „vielen den Wunsch erzeugte, die Verfassung und Geschichte der Juden genauer kennen zu lernen“.282 Trotz der Kritik wurde das Gesetz von den betroffenen Juden auch als Erfolg erachtet, für das dem Hauptverantwortlichen Minister Hoym, dem leitenden Minister der Provinz Schlesien, ausdrücklich gedankt wurde. Nach Reinhold Lewin hatte das vor allem zwei Gründe:
und wiesen die übrigen Juden, die bereits Ansässigen und ihre Witwen ausgenommen, aus. Das Gemeindepersonal, möglichst Inländer und geborene Breslauer, wurde reduziert. Die Anzahl der privaten Dienstboten wurde nicht vorgeschrieben. In den sieben Paragrafen des zweiten Teils wurden die Juden der Gerichtsbarkeit des Magistrats unterstellt und die Benutzung deutscher Namen und die Führung der Handlungs-, Gemeinde- und Almosenbücher in deutscher Schrift eingeführt. Nach § 14 sollte ein selbst zu finanzierendes „Haus oder Schule“ erbaut werden, um den Rahmen für einen Gemeinde-Gottesdienst zu schaffen. Separate Gottesdienste in kleinen Schulen wurden verboten. Die Söhne von Schutzjuden wurden zum Studium zugelassen, durften mechanische Künste treiben und mit allem handeln, was ihnen nicht generell verboten oder dem Privileg einer Innung vorbehalten war. Die christlichen Handwerker durften jüdische Lehrlinge ausbilden und in ihre Innungen aufnehmen. Der dritte Abschnitt stellte in drei Paragrafen die Abgabenleistungen (Paragrafengelder, 100 Dukaten für die eigene Fleischerei, Entreegelder der Besucher) und Steuern (zu repartierendes Pausch-Quanto) zusammen. Der vierte Abschnitt ordnete in acht Paragrafen die Zusammensetzung, Leitung und Verwaltung der Gemeinde (Fremdenverkehr, Armenkasse, Lazarett- und Begräbniswesen und Gemeindeetat), verordnete einen christlichen Kommissar als Beisitzer und einen Syndicus zum Führen der Bücher. 277 Siehe zu Friedrich-Albert Zimmermann (1745–1815) Anlage 2: Biografien. 278 Peter Baumgart im Vorwort zum Neudruck von Zimmermann, Friedrich-Albert: Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien. Breslau 1791. ND 2007. 279 Zimmermann, Friedrich-Albert: Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien. Breslau 1791. ND 2007. 280 Ebd., Einleitung. 281 Ebd. 282 Ebd. Zimmermann liefert einen kleinen Überblick über die Verfassungen der Gemeinden in Breslau, Zülz und den kleineren Landgemeinden. Die Aufenthaltsrechte wurden dreigeteilt: a) Generalprivilegierte, b) Privilegierte und c) tolerierte Juden. Die Zugereisten, die nicht dauerhaft in den Gemeinden lebten oder leben dürfen, bezeichnete er als sog. „Fixentristen“. Sie strebten eine Erlaubnis zur Verlängerung ihres Aufenthaltes an.
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Einerseits vermochte sich in den schlesischen Angelegenheiten die reaktionäre Gesinnung des Generaldirektoriums nicht störend geltend zu machen; Hoym und seiner Beamten Toleranz wirkte ungehemmt auf das gütige, nachgiebige Naturell des Königs ein, das freudig die Gelegenheit ergriff, sich zu betätigen. – So dann waren die Breslauer Ältesten – Simon Hirsch und Liepmann Meyer – vorsichtiger und bedächtiger zu Werke gegangen als ihre hauptstädtischen Kollegen. Sie hatten sich wofern dieser Ausdruck verstattet ist, mehr als Realpolitiker bewährt, hatten ihr Ziel nicht zu hoch gesteckt, um auf Unwahrscheinlichkeiten zu spekulieren und alles mit einem Schlage zu erzwingen. Sie hatten sich mit erreichbaren Präliminarien begnügt und so auf ihrem Wege einen tüchtigen Schritt vorwärts getan, der in den voran geschickten programmatischen Sätzen der Verordnung ausdrücklich als ein bloßer Schritt, nicht etwa als die Zurücklegung des ganzen Weges gekennzeichnet wurde.283
Und mit einer persönlich wohlwollenden Einschätzung zu Gunsten der Glaubwürdigkeit des königlichen Versprechens und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten für eine zukünftige politische Gleichstellung schrieb Lewin: „Man brauchte in der Zukunft sich nur auf jene Einleitung zu berufen, nur die Einlösung des Königswortes zu fordern, das darin verpfändet war: prinzipiell und theoretisch, ohne zu deuteln oder zu verdrehen, war hier die Zusicherung der völligen Emanzipation gefallen.“284 Unabhängig davon, für wie glaubhaft und wahrscheinlich dieses politische Versprechen von späteren Historikern beurteilt wurde, war es aktuell ein politisches Signal für eine zukünftig rechtlich garantierte Existenz. Von diesem Zukunftsversprechen war im Reglement für die neuen Provinzen nicht die Rede. Ob sich die Beamten bei der Ausarbeitung des Reglements zur Verbesserung der Verhältnisse der Juden in den neuen Provinzen tatsächlich am Breslauer Reglement oder an allgemein gültigen Prämissen orientierten, lässt sich kaum mit Bestimmtheit sagen. Beide Reglements gewährten die Gewerbe- und Handelsfreiheit, den Zugang zu den Handwerken und zum Studium. Feste Familiennamen sollten geführt werden und die Eintragungen in die Handlungs-, Gemeinde- und Almosenbücher sollten im Breslauer Reglement in deutscher, im Reglement für Süd- und Neuostpreußen in polnischer oder deutscher Sprache vorgenommen werden. Die Breslauer Händler durften ihren Wohnsitz nur in der Stadt nehmen. Für die Kaufleute in Süd- und Neuostpreußen war die Umsiedlung in die Städte bereits angekündigt und für Warschau kontingentiert worden. Die innerreligiösen Gemeindeangelegenheiten blieben unangetastet. Aber die Anzahl der Synagogenbediensteten wurde reduziert. Der Schul- oder Synagogenbau war erlaubt, musste aber aus Gemeindegeldern finanziert werden.
283 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 232. 284 Ebd.
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Auf die Frage, mit welchen Zielsetzungen, Inhalten und Methoden die Ausbildung in den neuen Provinzen verbessert werden sollte, gibt Adolf Warschauer in einem älteren Aufsatz (1889) Auskunft. In einem Schreiben an das Berliner General-Direktorium (23. März 1795) hatten die Land- und Steuerräte der Region Posen285 folgende Vorstellungen zum Erziehungswesen entwickelt: Unterrichtsund Industrieschulen sollten mit zweckmäßiger Einrichtung finanziert werden, in denen der Unterricht mit der Einsetzung „vernünftiger“ Lehrer erfolgen sollte. Die Einführung der deutschen Sprache sollte obligatorisch erfolgen, der Unterricht zukünftig in den „richtigen religiösen“ Begriffen stattfinden, die Lehrbücher didaktisch mit Pflichten, Lebensregeln sowie guten und zweckmäßigen Belehrungen als Erziehung zu nützlichen und brauchbaren Bürgern ausgearbeitet werden.286 Warschauer beurteilte diesen Lehrplan positiv, weil der preußische Staat zum „ersten Mal seine Verpflichtung öffentlich anerkannte, die Juden zu nützlichen Staatsbürgern zu erziehen“.287 Er spricht von einer Wende in der Politik gegenüber den jüdischen Einwohnern, die von der Prämisse des Niederhaltens und Vertreibens zur Zeit von Friedrich II. bis zur Duldung und Erziehung zum guten Staatsbürger unter Friedrich Wilhelm II. und III. fortschritt und gefördert wurde. Damit folgte er direkt dem etatistischen Ziel zur rechtlichen Gleichbehandlung, das eine Art des „Übergangs von der härteren zur künftig besseren Behandlung“288 mit einschloss. Das hierzu existierende Vorbild lieferten nach
285 Es handelt sich um schriftliche Eingaben der Landräte aus Meseritz, Dolzig, Gnesen u. Lissa sowie um den Rat der Stadt Posen. Vgl. dazu Warschauer, Adolf: Die Erziehung der Juden in der Provinz Posen durch das Elementarschulwesen. Nach archivalischen Quellen. Kap. 1: 1772–1793: Zeitraum der Nichteinmischung des Staates in das jüdische Unterrichtswesen. Erste Anzeichen einer Systemänderung. Kap. 2: 1793–1807: Erste Aufnahme über das jüdische Unterrichtswesen. Verbesserungsvorschläge. Das General-Juden-Reglement von 1797 und dessen praktische Folgen. In: Geiger, Ludwig (Hrsg.): Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 3 (1889), S. 29–43, S. 34. 286 Ebd., S. 37. 287 Ebd. 288 Warschauer, Erziehung, S. 31. Dass die Thesen vom preuß. Kriegsrat Dohm (1781) in diesem Fall zehn Jahre nach der ersten Publikation im Jahr 1791 von Kriegs- und Dömanenrat Broscovius (1745–1809) in einem Gutachten angeführt wurden, kam nach Warschauer einer Novität gleich. In diesem Gutachten hatte der damalige Kammerpräsident für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der jüdischen Westpreußen votiert und damit die Fragestellung des Berliner Ministeriums ignoriert. Denn die Maßnahme einer Ausweisung oder einer weiteren Limitierung der jüdischen Familien hielt er weder persönlich noch aus wirtschaftlichen Überlegungen für gerechtfertigt. Warschauer, Erziehung, S. 31. Siehe zum Domänenrat Broscovius auch Straubel, Handbuch, S. 140.
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Meinung des preußischen Gutachters George Benjamin Berndt (1791)289 die Berliner Juden: Ein Hauptmittel zur Veredelung dieser Kaste und daß sie nach und nach ihren finsteren Charakter ablegt, ist wohl dieses, dass sie angehalten werden, ihre Kinder im Lesen und Schreiben der Landessprache unterrichten zu lassen. Dadurch kommt allmählig ein gutes Buch nach dem anderen in jüdische Hände. Wie die Aufklärung wächst, fällt der Aberglaube an den Talmud und der Charakter der Nation wird milder. Ein Beispiel sieht man an den vielen Berliner Juden.290
Nach Jacobson existierten unter polnischer Herrschaft in allen Städten Schulen, die ohne Unterstützung und Fürsorge des Staates gegründet und von den Gemeinden unterhalten wurden.291 Die Schulaufsicht führten die Ältesten. Den Unterricht erteilten Lehrer und Talmudschüler, in einigen Fällen auch Schächter und Vorbeter. Unterrichtet wurde der Talmud, Hebräisch und Rechnen, Polnisch nur selten und in den Städten Lissa und Posen auch Deutsch. Kinder aus armen Familien erhielten den Unterricht unentgeltlich. Wohlhabende Eltern beschäftigten Privatlehrer. Im Vergleich zum Bildungsstand der übrigen Polen wurde diese Form der Bildung nur von dem Teil des Adels übertroffen, der sich auf seinen Reisen weiterbildete. Im Wertekodex der jüdischen Gemeinde stand Gelehrsamkeit über der Wohlhabenheit an der Spitze der menschlichen Tugenden. Darüber hinaus existierten genügend Beispiele von jüdisch-polnischen Gelehrten, die als Rechtsgelehrte, Verfasser von Schriften zum Talmud, zur rabbinisch-kasuistischen Literatur, in Tora-Kommentaren oder als Rabbiner überregionale und mitteleuropäische Bedeutung erlangt hatten.292 Da jedoch dieser Rahmen nicht
289 Gemeint ist hier wahrscheinlich George Benjamin Berndt (1747–1813), geb. und gest. in Posen, der aus einer einflussreichen Kaufmannsfamilie stammte und in Frankfurt/Oder Jura studiert hatte. Ab 1771 war er als Referendar am Berliner Kammergericht beschäftigt und erhielt 1773 eine feste Anstellung in Marienwerder. Nach vier Amtsjahren nahm er aus gesundheitlichen Gründen seinen Abschied und kehrte nach seiner Genesung 1783 in den Staatsdienst zurück. 1788 nach Bromberg versetzt, wechselte er 1793 in die „Klassifikationskommission“ für Südpreußen, blieb KD-Rat in Bromberg und schied 1798 aus dem Staatsdienst aus. Vgl. dazu Straubel, Handbuch, S. 68. 290 Zit. n. Warschauer, Erziehung, S. 31. 291 Siehe dazu Jacobson (1921), Juden, S. 61f. Nach der Zusammenfassung von Kemlein wurden „in der jüdischen Standardschule, Winkelschule oder Cheder die Kinder vom 5. Lebensjahr an von einem schlecht bezahlten Privatlehrer in dessen Stube im Lesen und Übersetzen der Thora vom Hebräischen ins Jiddische, im Studium des Talmuds und ein wenig im Rechnen unterrichtet“. Kemlein, Posener Juden, S. 42. Die Mädchen erhielten Unterricht im Lesen und Schreiben. Siehe dazu auch die Literatur bei Kemlein. 292 Siehe dazu Perles, Geschichte, S. 49.
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dem aufgeklärten Bildungsideal entsprach, konnte man kurzsichtig von „einer traurigen Verfassung des jüdischen Schulwesens sprechen“.293 Pläne zur Assimilierung der jüdisch-polnischen Untertanen an preußische Verhältnisse entwickelte 1796 auch der an der Reform völlig unbeteiligte Berliner Pädagoge Carl Friedrich August Grashoff. In seiner Monografie, die er in „beständiger Hinsicht auf die gegenwärthige Theilung von Polen“294 verstanden wissen wollte, ging er der Frage nach, „wie die Cultur einer Nation auf eine andere übertragen werden könnte“, und konkret, „wie sich die Sitten [des Landes] den teutschen Sitten assimilir[en]“295 könnten. Grashoff entwickelte Bildungspläne296 und Rahmenkonzepte, in denen er die Sicherung der Grundvoraussetzungen zur äußeren und inneren Wohlfahrt297 zum wichtigsten Punkt erhob. Zu den Hindernissen,298 die diesem Ideal der inneren Wohlfahrt entgegenstanden,
293 Jacobson (1921), Juden, S. 61. 294 Grashoff, Mathematiker und Physiker an der Königlichen Realschule zu Berlin, verstand seine Schrift als Verbesserung zur Beförderung des Wohls einer „bisher vernachlässigten Nation“. Siehe dazu Grashoff, Carl F. A.: Einige Ideen zur Beantwortung der Frage: Wie läßt sich die Bildung einer Nation am leichtesten und sichersten auf eine andere übertragen? Mit beständiger Hinsicht auf die gegenwärthige Theilung von Polen zur Prüfung und weitern Ausführung entworfen von C. F. A. Grashoff. Berlin 1796. 295 Grashoff, Ideen, S. 80. 296 Die methodische und didaktische Umsetzung des Schulunterrichts dachte sich Grashoff als alters- und standesspezifischen Unterricht für Erwachsene und Jugendliche. Seiner Meinung nach kam es vor allem auf die Beförderung zum „guten Bürger und guten Menschen“ an. Seine Vorschläge: 1. Geistige und sittliche Bildung durch positive Beispiele; 2. Lesetexte zu preußischen Verordnungen und Volksschriften; 3. Zweckmäßiger Unterricht für die Jugendlichen der höheren Stände und 4. Unterricht für die niederen Schichten, gemessen an ihren „Bedürfnissen“. Die „Hebung der politischen und moralischen Freiheit“ sollte den Hauptcharakter der niederen Klassen in Polen (roh, unwissend, furchtsam und demütig) entscheidend heben. Grashoff, Ideen, S. 11. 297 Auf den folgenden Seiten unterschied Grashoff zwischen dem inneren (Sitten, Gewohnheiten, Neigungen, Vergnügungen, Tracht u. Sprache) und dem äußeren Charakter (Bildung, Kenntnisse, Gesetze, Werkstätten, Schulen und Kirchen) einer Nation. Er zog die Schlussfolgerung, dass unterschiedliche äußere Charaktere die Annäherung zweier Staaten verhindern und wegen des Nationalstolzes nicht zur Überwindung und Annäherung führen können. Zu den Tugenden des polnischen Volkes zählte er die Gastfreundschaft, die eheliche Verträglichkeit (auch im trunkenen Zustand), Tapferkeit u. Vaterlandsliebe. Grashoff, Ideen, S. 117f. Zu den „übelhaften“ Eigenschaften zählte Grashoff die Trunksucht, die Undankbarkeit, die Unterwürfigkeit in allen Schichten, die ausufernde Frömmigkeit, die Spielsucht, die Titelsucht und die Grausamkeit gegen Untergebene. Ebd., S. 118. 298 Hierzu zählt Grashoff „die geringe Circulation des Geldes unter den niederen Schichten des Volkes“, „den für das Wohl des Landes höchst nachtheiligen Alleinhandel der Juden“ und die mangelnde Hygiene und Ordnung. Siehe dazu die Einleitung bei Grashoff, Ideen.
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zählte Grashoff auch die jüdischen Zwischenhändler, denen er ein unehrliches Geschäftsverhalten unterstellte: Der Bauer sowie der Bürger in kleinen Städten erhielt den Erwerb seiner Arbeiten, seines Ackerbaus allein aus den Händen der [h]ebräischen Wucherer. Diese machten überall den Unterhändler zwischen ihm und denen, die seine Produkte verarbeiten, oder im Großen damit handelten. Dass sie diese beim Aufkaufen nicht nach ihrem wahren Werthe bezahlten, läßt sich erwarten.299
Grashoff dachte sich die Lösung dieses Problems in einem Umfunktionieren des „spekulativen Kopf[es]“300 zum Vorteil und Nutzen der kultivierten Staaten. In der Funktion als Gelehrte, Professoren, Advokaten (ohne Eidesleistung),301 als Künstler und Handwerker oder auch als Zwischenhändler, als Einkäufer für den Staat und zu festen Taxen sollten die jüdischen Händler ihre Talente/Arbeit in den Dienst des Staates stellen. Entstand bei der Lektüre Grashoffs der Eindruck, dass der Zwischenhandel die jüdischen Händler unter Ausnutzung der Bauern zum Wohlstand geführt hatte, so wurde dieses Bild sowohl aktuell als auch in der späteren Geschichtswissenschaft korrigiert. Jacobson (1921) bezieht sich auf eine Bemerkung des südpreußischen Oberpräsidenten der Kriegs- und Domänenkammer zu Posen, Heinrich Jakob Ludwig (v.) Buchholtz302 (25. Juli 1795), der von einer „notorischen Armut der südpolnischen Judenschaften“303 sprach. Wohlhabende jüdische Kaufleute waren die Ausnahme, auch wenn in der Stadt Lissa (Südpreußen) oder in Neustadt (Neuostpreußen) um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Kaufleute mit einem Vermögen von 30.000 bis 50.000 Rtlrn. lebten. Nach Jacobson richtete sich der Hass der christlichen Kaufleute und der Bauern vorwiegend gegen das Maklertum, das Faktor- oder Propina-
299 Grashoff, Ideen, S. 66. Ferner schrieb Grashoff, dass der jüdische Händler dem Bauern durch das Feilbieten von Tändeleien für die Zierde und Eitelkeit seiner Frau und durch die Quacksalberei mit Pulvern und Kuren Waren und Gesundheit entzog. Ebd. Siehe zu den jüdischen Wundärzten auch Jacobson (1921), Juden, S. 50. Nach seinen Forschungen erkrankten und starben in den Städten, wo das ius de non tolerandis judaeis herrschte, weitaus mehr Menschen als in den anderen Regionen mit ansässigen jüdischen Ärzten. 300 Ausgehend von einem unwandelbaren Charakter des sog. ewigen Juden, der mit immanenten vererbbaren Charaktereigenschaften und Veranlagungen „immer Jude bleibt“, suchte Grashoff zwar nach positiv konnotierten Berufsbildern. Aber aufgrund seiner Skepsis und des Glaubens an unwandelbare vererbbare Eigenschaften blieb ihm als Lösung nur die staatliche Kontroll- und Aufsichtsfunktion. Grashoff, Ideen, S. 70. 301 Siehe dazu Kap. 8.4 dieser Arbeit. 302 Siehe zu Heinrich Jakob Ludwig (v.) Buchholtz (1749–1811) Anlage 2: Biografien. 303 Zit. bei Jacobson (1921), Juden, S. 244.
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tionspachtgeschäft jüdischer Händler und Pächter.304 Die Antworten auf die Frage, inwieweit das Reglement von 1797 eine Verbesserung bzw. Verschlechterung der bisherigen Existenzbedingungen darstellte, differieren kaum. Nach Bussenius war das Generaljudenreglement „im allgemeinen maßvoll, gab Handel, Gewerbe und Ackerbau mit gewissen Einschränkungen frei, stach aber doch gegen die bisherige Selbstverwaltung der Juden ab“.305 Bussenius orientierte sich bei ihrer Beurteilung an der friderizianischen Judenpolitik zur Zeit der ersten Teilung Polens: Die seinerzeit von Friedrich dem Großen in Westpreußen verfügte Auswanderung der Juden war aus prinzipiellen wie politischen Gründen nicht mehr möglich und stand auch nicht zur Diskussion; im Gegenteil bemühte man sich, Wege zu finden, um die Juden nach Möglichkeit den christlichen Bewohnern der neuen Provinzen in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung anzugleichen.306
Nach Lewin war das Edikt beeinflusst von „Wohlwollen und Humanität“,307 auch wenn es drückende Bestimmungen enthielt. Er berichtet vom Dank der Gemeinde und der Reise einer Delegation der Judenschaft nach Berlin.308 Nach Perles enthielt das General-Juden-Reglement für Süd- und Neuostpreußen neben mehreren nützlichen Verordnungen eine Anzahl drückender Bestimmungen.309 Lobend erwähnt er eine besondere Sorgfalt, die das Gesetz auf die Regelung des Schuldenwesens und der Kultus- und Schulangelegenheiten legte. Die Käuflichkeit bei der Besetzung der Gemeindeämter wurde beseitigt, den Rabbinern die Kenntnis der deutschen und der polnischen Sprache in Rede und Schrift zur Pflicht gemacht, ihnen die Ausübung der rabbinischen Jurisdiktion und die Ver304 Vgl. dazu Jacobson (1920), Juden, S. 300ff. Von diesen Kommissions- und Vermittlungsgeschäften lebte nach Jacobson ein großer Teil der polnischen Judenschaft, der entweder für ein jährliches Gehalt oder für eine Schuldschrift arbeitete. Siehe dazu auch Bruer, Geschichte der Juden, S. 143ff. 305 Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, Einleitung des Bearbeiters, S. 22. 306 Bussenius, I. Charlotte: Die preußische Verwaltung in Süd- und Neu-Ostpreußen. 1793– 1806. Heidelberg 1960, S. 244. Auch für Warschau war eine Ausweisung der unvermögenden jüdischen Einwohner vorgesehen. Diese KO an Minister Hoym (7. März 1798) verfügte, dass jeder die Stadt zu verlassen hatte, der nicht am Stichtag, dem 9. Januar 1796, dort wohnhaft war. Ausnahmeregelungen bestanden nur für konzessionierte Kaufleute, die ein Vermögen von mindestens 1.000 Thlrn. besaßen. Diese Verfügung steht auch in der Quellensammlung von Bussenius/ Hubatsch, Urkunden und Akten, Verschiedene Religionsgruppen, Nr. 328. Siehe auch Kemlein, Posener Juden, S. 46. 307 Lewin, R., Judengesetzgebung, S. 588. 308 Ebd. 309 Perles, Geschichte, S. 115. Perles bezog sich 1. auf die beschränkte Aufenthaltserlaubnis fremder Handelsjuden; 2. auf die Beschränkungen des Handels einheimischer Juden; 3. die erschwerenden Bedingungen zur Verheiratung und 4. auf die Rekruten- und Schutzgeldzahlungen.
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hängung des Bannes untersagt, dagegen die Besoldung „aus einer öffentlichen Kasse als Landesherrliche Officianten“ in Aussicht gestellt.310 Kap. 4 des Reglements von 1797 bezog sich auf die Religions- und Ritualverfassung in ihrem Verhältnis zum Staat und versprach Schutz und störungsfreie Religionsausübung (§ 1). Es verfügte eine Verminderung der Synagogen (§ 1), den Abbau von Angestellten der Synagoge (§§ 8, 9) und Gemeindeschulen zu Gunsten staatlicher Schulen (§ 13).311 Die Rabbiner verloren ihre Gerichtsbarkeit (§ 3) und erhielten die Auflage zweisprachig, deutsch und polnisch, zu sprechen (§ 2). Mit dem Wegfall der Repartition nach dem Muster der solidarischen Haftung sollte das Gremium der Ältesten entfallen (§ 12). Die Eingliederung in den Staatsverband über Stadtverordnete rundete die staatlich verordnete Loslösung vom traditionellen Ritus und seinen Funktionsträgern ab. Die Neuregelung des Schuldenwesens in § 7 betraf das Schuldenwesen der Posener Gemeinde.312 Unter der polnischen Regierung war in den Jahren 1774 und 1780 durch die Einsetzung einer „Kommission der guten Ordnung“ bereits ein erfolgreicher Versuch unternommen worden, die Legitimität der Ansprüche zu untersuchen. Die Ursachen der hohen Verschuldung lagen jedoch nicht in einem ausufernden Gemeindeetat zu unmittelbaren Gunsten der Mitglieder begründet. Als Strategie und Schutzmaßnahme, um sich gegen Formen von Anschuldigungen und Gewalt zu schützen, vergab die Gemeinde Geld und Geschenke an die Herrschaft und einflussreiche Beamte. Diese Kosten bildeten eine stehende Rubrik in den Gemeindebüchern. 1774 hatte die Posener Gemeinde an die Stadt, an den Kommandanten, 310 Ebd. 311 Siehe dazu auch die Ausführungen bei Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 109ff. 312 Posen stand nur vorübergehend unter preußischer Herrschaft. 1806 rückten die Franzosen in die Stadt ein. 1807 (Tilsiter Frieden) kam das Posener Gebiet mit zur Verwaltung des Herzogtums Warschau. Mit der Einführung des Code Napoléon (22. Juli 1807) wurden die Juden mit allen anderen Staatsbürgern gleichgestellt. Ein Jahr später verfügte Friedrich August v. Sachsen, der von Napoleon ernannte Großherzog von Warschau, dass die Gleichstellung der Juden für die nächsten zehn Jahre ausgesetzt werden solle, um den Juden Gelegenheit zu geben, die unterscheidenden Sitten und Gewohnheiten abzulegen (Dekret v. 17. 11. 1808). Ausnahmeregelungen bei Einzelnen wurden mit vorgesehen. (Ebd.). Nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses gehörte Posen 1815 als Großherzogtum Posen wieder zur preußischen Krone (15. Mai 1815). Das seit 1812 gültige „Emanzipationsedikt“ sollte für die Posener Juden keine Gültigkeit haben. Anträge zu einer bürgerlichen Verfassung sollten gesondert und nach den Vorschlägen einer Kongregation zu Kurnik vorgebracht werden. Die acht Delegierten waren: Jakob Flato u. Israel Weil (Posen), Jakob Lewin (Marienwerder), Isaac Caro (Lissa), Joel Sachs (Labiszyn), Abraham Lehr (Obornik), Wolf Aron (Zaniemysl) u. Joseph Kuczynsky (Kurnik). Inhaltlich verlangten sie die Staatsbürgerrechte der alten Provinzen, das Recht der freien Niederlassung, die Aufhebung von Handels- und Gewerbebeschränkungen, die Regelung der Schuldenfrage und die Erlaubnis zum Kauf von Grundstücken und Bauerngütern. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 110f.
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an „verschiedene Herren“,313 an den Posener Woiwoden und den Unterwoiwoden und den Vorsitzenden des Gerichts knapp 9.000 polnische Gulden gezahlt. Diese Summe beinhaltete die Zahlung für die Befreiung von Einquartierungen für 1.300 und die Geschenke an verschiedene Herren mit 500 polnischen Gulden.314 Die Schuldenlast gegenüber dem Jesuitenorden stammte u. a. auch aus Zahlungsleistungen, die als Schutzgelder gezahlt wurden. Um die jüdischen Einwohner vor den Verfolgungen und Belästigungen von Zöglingen aus der Posener Jesuitenschule (sog. „Schülergeläufe“), zu schützen, zahlte die Gemeinde 1774 über 150.000 poln. Gulden.315 Daneben existierten nach Jacobson auch Beispiele für Schuldenlasten, für die nie ein Gegenwert geleistet worden war.316 Wechselnde Kontributionszahlungen an preußische oder russische Truppen und ständige Kosten für die Infrastruktur des Judenviertels belasteten die Gemeinde zusätzlich und führten nach Perles zu einem „unübersehbare[n] Schuldenwesen“.317 Die Entstehung der ungeheuren Schuldenlast war nach Jacobson ein Zeichen für die „Scheinfreiheit“,318 die die polnischen Juden teuer erkaufen mussten. Adel und Kirche nutzten die Kreditfähigkeit der Gemeinden aus und die Gemeinden finanzierten den überspannten Geldbedarf von Adel und Kirche, um die eigene Existenz zu sichern. Entstanden aus nicht mehr nachprüfbaren Ansprüchen, deutete Jacobson die Kreditzahlungen und Geschenke als Ausdruck eines spürbaren Schutzbedürfnisses, aber auch als Ausdruck eines Selbstbehauptungswillens.319 Zur Finanzierung aller bestehenden und anfallenden Kosten hatte die Gemeinde ein eigenes kleines Steuersystem installiert. Die Kaufleute zahlten eine Salz-, Seifen-, Papier-, Kleider-, Glas- und Vermögensteuer. Alle Gemeindemit-
313 Perles, Geschichte, S. 69 u. 96. 314 Ebd., S. 96. 315 Vgl. zu den Unruhen und den Reaktionen Perles, Geschichte, S. 56, 58, 60, 62. Nach dem damaligen Wechseltarif wurden für 1 Florin (= 1 Gulden) dreißig polnische Groschen gezahlt. Nach preußischer Währung entsprach diese Summe 16 Pfennigen. Sechs polnische Gulden entsprachen einem Reichsthaler. 316 Jacobson (1921), Juden, S. 228ff. 317 Perles, Geschichte, S. 95. Nach den Untersuchungen von Perles stammte der größte Teil der Schuldansprüche aus Erpressungen und Vexationen von Staatsbeamten und Geistlichen. Die gesamte Summe an errechneten Schuldzahlungen umfasste nach dem Urteil der Kommission die Summe von 686.081 poln. Gulden. Die Forderungen sämtlicher Gläubiger hatten ursprünglich bei 947.546 poln. Gulden gelegen. Eine zweite eingesetzte Kommission (1780) regelte die Festlegung der Ratenzahlung bzw. der Schuldentilgung und prüfte erneut die Ansprüche. In einem speziellen Dekret vom 21. Dezember 1798 wurde unter der neuen Regentschaft von Friedrich Wilhelm III. eine neue eindeutige Bestimmung über die Ausführung des Paragrafen erklärt. 318 Jacobson (1921), Juden, S. 233. 319 Ebd.
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glieder zahlten diverse Abschosszahlungen für Heiraten, Verlobungen und Mitgiftbriefe. Gemeindeämter mussten käuflich erworben werden.320 Der Etat für die Gemeindekosten und Leistungen war jedoch im Vergleich zu den Kredit- und Schuldensummen relativ niedrig. Die Posener Gemeinde wies für das Jahr 1806 eine Summe von 1.440 Rtlrn. für die Besoldung von vierzehn Gemeindeangestellten aus.321 Gemessen an kleineren Gemeinden fielen sowohl die Besoldung wie die Anzahl der Angestellten oft wesentlich geringer aus. Dass also die Paragrafen zum Abbau von Gemeindeeinrichtungen und Angestellten als Hilfe zu einer entscheidenden Reduzierung des Schuldenwesens gedacht waren, scheint nicht plausibel. Deutlicher wird der Zusammenhang im Sinn von Maßnahmen, die den religiösen, den sozio-kulturellen und den juristischen Einfluss der Gemeinde bzw. der Ältesten zurückdrängen und zu Gunsten von Assimilierungsbestrebungen verringern sollten. Das Modell der staatlichen Schulen als Institution der Assimilierungsmaßnahmen scheiterte bereits an der Ausfinanzierung. Einerseits existierten in der Gemeinde in Posen Bedenken und Skepsis gegen das preußische Schulmodell, die Ausbildung der Lehrer und die Rolle des Religionsunterrichtes.322 Andererseits fehlten den Kammern die Mittel zur Finanzierung. Finanzielle Unterstützungen für den Neubau und die Unterhaltung eines Schulhauses in Posen sollte die jüdische Gemeinde nach einem schriftlichen Bescheid aus Berlin (25. April 1799) „entweder aus ihren eigenen Mitteln hergeben oder solche[s] bis auf günstigere Zeiten verschieben“.323 Als auf Bestreben der Posener Kammer 1803 die Organisation des gemeinschaftlichen Schulunterrichts stattfinden sollte, äußerte der Geh. Rat v. Timroth in seiner Stellungnahme verschiedene Hinderungsgründe. Er bemerkte für die Stadt Posen, dass der gemeinschaftliche Unterricht in der Elementarschule im Kleinen bereits stattfände. Das beträfe jedoch nur den Besuch der Kinder aus wohlhabenden und aufgeklärten Familien. Die Zukunftsperspektive der gemeinschaftlichen Schule beurteilte er skeptisch: „[…] die ärmeren aber werden ganz zurückbleiben, da einestheils ihnen an der Schule nichts gelegen [ist], anderntheils es ihnen an Mitteln fehlt, beträchtliches Privatschulgeld zu bezahlen, endlich auch die Unreinlichkeit der Juden der Sache selbst hinderlich und den Eltern christlicher Kinder anstößig sein wird.“324 Für die zukünftigen Schulbesuche erklärte die Kammer das Schulgeld und anständige Klei320 Jacobson (1921), Juden, S. 234ff. 321 Jacobson (1921), Juden, S. 231. 322 Vgl. dazu Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 112. 323 Zit. n. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 111. Leider ohne Quellenangabe. 324 Zit. n. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 112. Timroth sprach sich gegen die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen aus.
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dung zur obligatorischen Bedingung. Das Problem des fehlenden Schulgeldes für den Unterricht von Kindern aus armen Familien ließ die Behörde ungelöst. Die Posener Gemeindeältesten lösten das finanzielle Problem, indem sie jährlich 1.460 Thlr. für den Besuch der jüdischen Kinder in der gemeinsamen Elementarschule zahlten.325 Das 1803 gegründete Gymnasium sollte auf ausdrücklichen Wunsch des General-Direktoriums „nicht bloß der christlichen Jugend, sondern auch den Kindern der Juden offen stehen und in Absicht ihrer Zulassung [sollte] kein zurücksetzender Unterschied gemacht werden.“326 In Kap. 5 wurden die Abgabenleistungen zusammengestellt. In § 1 wurde betont, dass die Juden nach ihrem Stand, Gewerbe und Besitzungen den christlichen Untertanen gleichgestellt und aus zwei Gründen mit zusätzlichen Steuern belastet würden: „[…] als [sie] insofern die im Militairdienst bestehende wichtige Pflicht der christlichen Unterthanen nicht erfüllen können und außerdem die Regierung und Verwaltung des Judenwesens vom Staat besondere Arbeit und Kosten verursach[en].“327 Das bedeutete auch für die neuen preußisch-jüdischen Einwohner, dass sie nach einem konstruierten Kostenverursacherprinzip zur Zahlung des Verwaltungsaufwands verpflichtet wurden, obwohl sie ihre Sonderbehandlung weder wünschten noch initiiert hatten. Das Rekrutengeld und das Schutzgeld sollten in Höhe von einem Thlr. und 16 Groschen von jedem Mann vom 16. bis zum 60. Lebensjahr gezahlt werden (§ 2) und für die Dauer der Militärpflicht erlassen werden (§ 6). Wer sich den Zahlungen entzog, sollte mit doppelten und vierfachen Zahlungen bestraft und im Wiederholungsfall des Landes verwiesen werden (§ 5). Unter polnischer Herrschaft hatten die Juden die Rauchfangsteuer und die Trankund Schlachtsteuer bezahlt. Hinzu trat das Judenkopfgeld, das ohne Unterschied von Alter/Geschlecht jährlich mit zwei Florins gezahlt werden musste. Diese Sondersteuer wurde zwar in der Gesamtsumme von der Judenschaft der Provinz abgeliefert, aber es existierte keine Haftbarkeit der Gemeinde. Die Ältesten gaben die Namen der säumigen Gemeindemitglieder an, und belangt wurden sie vom Staat. Das Schutzgeld als Abgabe an die Grundherrschaft wurde beliebig und unterschiedlich hoch festgesetzt,328 und in solidarischer Haftung bezahlt. Hinzu kamen Verbindlichkeiten aus Zwangsgeschäften, Gratialofferten und höheren Taxen.329 Von den Einquartierungen hatten sich viele Gemeinden durch besondere Entschädigungsgelder befreit (u. a. Posen, Kempen, Kurnik, Lissa, Peysern, 325 Ebd. 326 Zit. n. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 113. 327 Siehe N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1088. 328 Jacobson (1921), Juden, S. 224. 329 Ebd., S. 226.
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Wreschen).330 Im Gegensatz zur Praxis in Preußen sollten die Abgaben nicht in solidum erstattet werden (§ 8): Für die vorstehenden Abgaben und Beyträge sollen die Juden in Süd- und Neu-Ostpreussen nicht, wie in andern Königl. Provintzen, in solidum haften, und die Vermögende nicht die Unvermögenden übertragen, sondern jeder nur für sich selbst und die ihm obliegende Prästation in der oben vorgeschriebenen Art verantwortlich seyn.331
Gemeinde- und Schulpersonalgelder sollten einzeln erhoben werden (§ 7). Trauscheingelder sollten nach Einkommen gestaffelt gezahlt werden (§ 9). Mit dieser gesetzlichen Regelung in Kap. 5, § 8 wurde in den neuen Provinzen das verwirklicht, was die Berliner Ältesten für die jüdischen Einwohner Preußens gewünscht und angestrebt hatten. Ihre Initiative hatte demnach aktuell zwar begrenzten, aber durchaus positiven Einfluss. Albert Bruer erkannte darin eine bemerkenswerte Ironie, weil die dem Ideal der Aufklärung gefolgten westlichen Juden in den Stammgebieten Preußens unter härteren Bedingungen leben mussten als die traditionellen Glaubensgenossen im Osten.332 Nach der Beurteilung von Heppner/Herzberg zeigte die neue Regierung ein großes Maß von Wohlwollen gegenüber ihren jüdischen Untertanen und war bemüht „ihre wirtschaftliche Lage zu heben“.333 Auch die Methode und die Einschränkungen wurden mit einer wohlwollenden Beurteilung entschuldigt. Dort heißt es: Dies mußte zuweilen mit einer gewissen Härte und Rücksichtslosigkeit geschehen. Da war es denn natürlich, daß die Juden, die unter der polnischen Herrschaft sich freier bewegen konnten, den Zwang, der vielfach durch die mannigfaltigsten Verordnungen auf sie ausgeübt wurde, als eine schwer drückende Last empfanden.334
Heppner/Herzberg berichten jedoch auch, dass sich die neuen Untertanen nicht daran gewöhnen konnten, dass die preußische Herrschaft ihre Bevormundung auch auf private Angelegenheiten wie die gesetzliche Regelung des Heiratsalters ausübte.335 Nach den Recherchen von Bloch hatten die Kollegen aus dem preußischen Oberkriegskollegium relativ zügig eine KO des Königs erwirkt, nach der das Potsdamer Große Militärwaisenhaus336 auch aus der neuen Provinz Südpreußen 330 Ebd., S. 229. 331 N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1089. 332 Bruer, Geschichte der Juden, S. 162. 333 Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 88. 334 Ebd. 335 Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 89. 336 An das Potsdamer Waisenhaus gingen von den preußischen Judenschaften aktuell drei verschiedene Einnahmeposten: a) Rekrutengelder aus den alten Provinzen in Höhe von 4.800
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die entsprechenden Revenuen erhalten sollte. Voss wurde daher angewiesen, „dieserhalb das Nöthigste zu besorgen“.337 Im folgenden Briefwechsel konnte sich Minister Voss zu Gunsten der Beibehaltung der Gleichbesteuerung mit den übrigen Untertanen durchsetzen. Die Trauscheingebühren fielen jedoch unter die zukünftige Organisation des Judenwesens und sollten in neu formulierten Bedingungen und als amtlich bewilligte Trauscheine ausgestellt werden. Damit war die verwaltungstechnisch notwendige Grundbedingung zur Überprüfung und Erfassung der Eheschließungen mit der Zahlung der Sondergebühren erfüllt. Zur Eheschließung gehörte zukünftig nach der Verordnung vom 4. Juli 1793 der Nachweis des Heimatrechts durch die Geburt des Vaters und des Großvaters in Südpreußen. Ferner sollte der Bräutigam das Mindestalter von 25 Jahren erreicht haben, 1.000 Thlr. oder einen bürgerlichen Erwerb besitzen, in der Stadt den Wohnsitz nehmen und die Trauscheingebühren nachträglich zahlen. In einem Erlass vom 19. Juni 1795 wurden die Trauungsbedingungen wieder zurückgenommen. Die Gebühren wurden allerdings beibehalten und abgestuft je nach Besitz/Einkommen auf fünf bzw. drei Thlr. festgelegt.338 Diese nachträgliche Besserung stellte im Vergleich zum polnischen Rechtsstatus jedoch keine Verbesserung dar. Der Kammerkalkulator Zimmermann hatte in einem Bericht an Minister Hoym (1793) mehrmals festgehalten, dass z. B. die einheimischen Juden in Lissa „ohne Einschränkung heyraten und sich ansetzen [können], wo sie wollen, nur muß jede Heirat dem Dominus gemeldet werden, wofür sie an die Gemeinde und an das Dominium eine Kleinigkeit als Geschenck entrichten“.339 Zur Ortschaft Rawitsch bemerkt er: „Heyraten können sie ohne Einschränckung, nur verlangt das Dominium immer etwas zum Geschenck.“340 Und in der Gemeinde in Bojanovo waren die Heiraten „gänzlich uneingeschränkt. Sie melden es nicht einmal dem Dominio, sondern jeder heyratet wenn, wen und wie er will.“341
Thlrn., b) Strafgelder von unvergleiteten Juden, die tägl. einen Dukaten Strafe für den nicht erlaubten Aufenthalt zu zahlen hatten, und c) Trauscheingebühren in Höhe von zehn Thlrn. pro Paar. 337 KO (2. Mai 1793). In: GStA PK, Akten des Gen.-Dir., Abt. Südpreußen, Universalia Nr. 120, Bl. 5. Gedr. auch bei Bloch, Judenwesen, S. 601. 338 GStA PK, Akten des Gen.-Dir., Abt. LVII: Juden.Sachen. Nr. 19, Bl.1. Gedr. bei Bloch, Judenwesen, ebd. 339 Zit. n. einem Spezial-Bericht über die vom Kammerkalkulator Zimmermann bereisten Städte Südpreußens (1. Mai 1793). Gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 609. Einzusehen im GStA PK, I. HA Rep. 7 C, Nr. 1a: Nachrichten von Südpreußen, Bd. III, Bl. 42ff. 340 Bloch, Judenwesen, S. 611. 341 Ebd., S. 612.
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Auch die Bekleidung bzw. die Tracht342 stand zur Disposition. Auf eine Anfrage preußischer Behörden, ob religiöse Bedenken gegen ein Ablegen der traditionellen Kleidertracht (27. Januar1795) existieren würden, hatten die Ältesten der Gemeinde in Posen allerdings gelassen und professionell reagiert. Sie erklärten, „dass eine Änderung der israelitischen Kleidertracht religionsgesetzlichen Vorschriften nicht entgegen stehe“.343 Nach den Recherchen von Warschauer (1889) hatte sich auch die Warschauer Kammer zu ihren Gründen zur Abschaffung der „morgenländischen“ Tracht schriftlich geäußert. Dort hieß es zu den Rahmenplänen des neu abzufassenden Lehrbuches im Reglement von 1797, dass durch gute und zweckmäßige Belehrungen, worunter vorzüglich über die Nützlichkeit und Notwendigkeit der morgenländischen Tracht und der Bärte […] gezeigt werden könne, daß zu den alten Zeiten und da die Juden im Morgenlande gewohnt, die morgenländische Tracht gut und nützlich gewesen, daß sie aber jetzt nicht notwendig, vielmehr es besser sei, solche ganz abzulegen und dagegen sich den übrigen Einwohnern gemäß zu kleiden; hierdurch wird die Trennung, welche seither zwischen den christlichen und jüdischen Einwohnern obgewaltet, immer mehr und mehr gehoben und die gewünschte Vereinigung weit früher bewirkt werden können.344
Kap. 4, § 13d des Reglements enthielt keine Anordnung zur Thematisierung der angesprochenen Kleiderordnung in einem Lehrbuch.345 Die Frage, ob diese Vorschläge in den geplanten Unterrichtsbüchern zur Anwendung gebracht wurden, muss eine gesonderte Untersuchung beantworten. Nach Peter Krause wurde im Generaljudenreglement von 1797 eine Form von Staatsbürgerschaftsrecht in Aussicht gestellt, das den Einwohnern mit festem Aufenthalt einen Schutzbrief gewährte, der in der Wirkung mit einem „Staatsbürgerschaftsausweis“ vergleichbar war.346 Nach der Interpretation von Reinhold Lewin wurde den Juden das 342 In Posen trugen die jüdischen Männer einen dunklen Kaftan, Pelzmützen, lange Bärte und Pejes (Schläfenlocken), die Frauen ein Tuch oder eine Perücke. 343 Zit. n. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 89. 344 Leider ohne Zeitangabe bei Warschauer, Erziehung, S. 39, zitiert. 345 Dort heißt es: „Da die Juden noch kein bey dem Unterricht der Jugend in ihrer Religion und den damit verbundenen Lehren zum Grunde zu legendes ordentliches Lehrbuch haben, so soll für die Abfassung desselben, und zwar in der Art, daß darin nicht nur die damit in unzertrennlicher Verbindung stehenden, und aus jeder Religion fließenden Pflichten und Lebensregeln, sowohl gegen die Glaubensgenossen, als gegen die Landesherrschaft, sich selbst und allen Menschen enthalten seyn müssen, gesorgt werden. Dieses Lehrbuch, welches zur mehreren Beförderung der deutschen Sprache in derselben zu verfassen ist, soll, nachdem es in Ansehung der Religionssätze verständigen Männern ihrer Religion vorgelegt und von ihnen gebilligt seyn wird, in allen öffentlichen jüdischen Schulen eingeführt, und darnach die Jugend unterrichtet werden.“ N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1083. 346 Krause, Wloemer, S.115.
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Heimatrecht entsprechend den Vorstellungen der Kommission zugesprochen. Diese Vorstellungen unterschieden sich kaum von der bisherigen preußischen Praxis der Etablierung. Duldung und Schutz sollten nach Kap. 1 über die Schutzbriefe gewährleistet werden (Kap. 1, § 3c). Schutzbriefberechtigt war jeder, der die Ansässigkeit in der Provinz bis zu seinen großelterlichen Vorfahren nachweisen konnte (§ 1). Eine alle drei Monate zu erbringende Meldepflicht mit der Auskunftspflicht gegenüber dem Landrat (Land) oder dem Steuerrat (Stadt) zum Familienstand, dem derzeitigen Wohnort, dem Beruf und dem Arbeitgeber rundeten die bürokratische Erfassung ab (§ 3b). Legitimationszettel, die vom Land- oder Steuerrat des Wohnortes ausgestellt wurden, sollten gut aufbewahrt die einheimischen Juden ausweisen und bei Handelsreisen und privaten Reisen mitgeführt werden.347 Fremde einreisende Juden hatten für Messe- oder Handelsreisen, Verwandtschafts- oder Arztbesuche, Erbschafts- oder Schuldangelegenheiten den Geleitschein, der mit einer Gültigkeit von vier bis sechs Wochen (§ 8) vom entsprechenden Zollamt ausgestellt werden sollte, zu beantragen. Vorzulegen war ein Attest von der Obrigkeit des heimatlichen Wohnortes (§ 5). Beide Legitimationsnachweise sowie die behördlich zu leistende Meldepflicht ermöglichten enge zeitliche Kontrollen über die Anzahl der einheimischen und der fremden Juden, ihren derzeitigen Aufenthalt und ihre Existenzbedingungen. In Kap. 1, § 11 wurde die Voraussetzung für die Ausstellung der Legitimationsnachweise fixiert. Dort heißt es: Damit diejenigen Juden, welche sich zum Schutz des Landes qualificiren, nicht übergangen werden, diejenigen aber, die sich im gegenseitigen Fall befinden, nicht unbemerkt im Lande verbleiben, so soll jeder schuldig seyn, sich von selbst und unaufgefordert vor dem I sten October d. J. bey der Obrigkeit seines Wohnortes zu melden, und zur Verzeichnung aller Juden im Lande aufschreiben zu lassen.348
Mit zur Erfassung und Ausstellung der Nachweise war nach Kap. 1, § 12 die Bedingung von fest zu führenden Geschlechtsnamen zu erfüllen, die gemeinsam mit dem Vornamen als Unterschrift geschrieben und fortgeführt werden sollten. Ein Trauschein als ausgestellte Erlaubnis bzw. als Konsens zum Einverständnis mit der Eheschließung rundete die behördliche Erfassung (Kap. 1, § 14) nach bestimmten Konditionen (Altersgrenze, Unterhaltsnachweis) ab. Die Kontrolle über „die gesetzmäßig festgelegte Anzahl“ der Juden diente der südpreußischen Regierung auch als Argument gegen die Klagen der christlichen Posener Kaufleute, die sich gegen eine Erweiterung des Posener Quartiers aussprachen und deren Gemüter
347 Vgl. N.C.C., Bd. 10, Sp. 1037. 348 N.C.C., Bd. 10, Sp. 1041.
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beruhigt werden sollten.349 Unter der preußischen Herrschaft differierten die Anordnungen und Interessen bezüglich der Etablierung von Posener Juden nicht in der Frage nach der Anzahl der Etablierten, sondern nach den Lebensumständen im Judenquartier Posens.350 Die Kriegs- und Domänenkammer (1795) unterstützte eine Erweiterung des Judenviertels in Gebieten außerhalb des bestimmten Judenbezirks und wies den Magistrat an, sich der Erweiterung der hiesigen Judenstadt nicht zu widersetzen. Der Magistrat berief sich auf das privilegierte Stadtrecht und betonte in einem Erlass des Stadt-Polizei-Direktoriums (26. September 1794), dass kein Jude in den Vorstädten oder anderswo als im Judenbezirk sich aufhalten dürfe und Wohnungen, Häuser, Gewölbe oder sonstige Grundstücke außerhalb des Judenbezirks weder an Juden verpachtet noch verkauft werden dürften.351 In der Argumentation verwies die Kriegs- und Domänenkammer auf die hygienischen Zustände und die Enge im Judenquartier, deren Abhilfe auch im Interesse der Bürgerschaft und somit auch im Interesse des Magistrats liegen sollte. Es folgte der Befehl, den Anordnungen des Kriegs- und Steuerrats Timroth Folge zu leisten und „der Erweiterung der Judenstadt in aller Art die Hand zu biethen“.352 Noch vier Jahre später (1799) schrieb die Kriegs- und Domänenkammer in einer Anweisung an den Magistrat: Euch endlich mehrerer Thätigkeit, Fleiss und Gründlichkeit zu befleissigen, die Sachen nicht ferner zu verschleppen oder durch unnütze Korrespondenzen, wie es wohl sonst geschehen, zu verzögern und nichts daraus zu Ende zu bringen, widrigen Falls Wir uns genöthigt sehen werden, auf Dienstentlassungen der unbrauchbaren Officianten sogleich bei Unsrem Hoflager anzufragen.353
Diese Anordnung unterstützte letztlich einen bereits begonnenen Prozess der Etablierung außerhalb der Judenstadt.354 Dazu berichten Heppner/Herzberg, dass die Ghettoisierung355 zu Beginn der preußischen Herrschaft schon vielfach 349 Schreiben vom 6. Juli 1795, berichtet bei Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 95. Siehe zur Judenstadt auch die Bemerkungen von Heppner/Herzberg zum Brand 1803 und dem Verhalten der preußischen Behörden (Minister v. Voss). Ebd., S. 99. 350 Perles, Geschichte, S. 112. 1793 lebten ca. 3.021, 1799 ca. 3.367 Juden im Quartier. 351 Ebd. 352 In Auszügen gedr. bei Perles, Geschichte, 113ff. Nicht in allen Fragen zeigte sich Timroth offensiv und entschlossen. Ohne amtlichen Entscheid blieb die Frage des Schulgeldes für Kinder aus armen Familien. 353 Reskript vom 30. Juni 1799, teilweise gedr. bei Perles, Geschichte, S. 115. 354 Siehe zu genauen Schilderungen des Judenviertels in Posen auch Jacobson (1921), Juden, S. 154ff. 355 Siehe auch Sophia Kemlein zu den Posener Juden, die schreibt, dass die Abgrenzung von der nichtjüdischen Umgebung gewollt war, weil sie einerseits die Unabhängigkeit von der städtischen Verwaltung und andererseits die selbstbestimmte Lebensweise zuließ. „Das jüdische Vier-
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durchbrochen war und schon zur Zeit der polnischen Herrschaft ca. zwanzig Familien außerhalb des Judenquartiers wohnten.356 Ansiedlungen an wichtigen Marktplätzen, die in die Judenstraße mündeten waren sichtbar und zeigten die Auflösungstendenzen des dichten, geschlossenen und überfüllten Wohnquartiers.357 Hingegen wurde in Kap. 2, § 1 bestimmt, dass kein Jude seinen Wohnort unabhängig und selbstbestimmt wählen konnte. Wohnortwechsel waren nur mit der Erlaubnis der Kammer möglich. Die Wahl des Wohnortes und des Gewerbes sowie der Kauf eines Grundstückes mussten durch die Verwaltungskammern genehmigt werden. Kaufleute sollten ihren Besitz zukünftig nur in der Stadt erwerben dürfen. Zuständig war nach dem Reglement über die Vertheilung der Geschäfte zwischen den Südpreußischen Landeskollegiis (17. Dezember 1795) die Kriegs- und Domänenkammer. Nach § 15 entschied die Behörde über Gesuche zur Ansetzung und Toleranz, zur Heirat und zu den Abgaben, zum Besitz von Häusern und Grundstücken, zu Handel und Gewerbe und über alle, den „statum politicum“ betreffende Angelegenheiten. Die Zuständigkeit der Neuostpreußischen Landeskollegien wurde am 3. März 1797 neu gefasst. Das Judenwesen fiel bis zum Übergang in die Zuständigkeit des General-Direktoriums nur vorläufig in den Bereich der Kriegs- und Domänenkammern: Die Ausübung des landesherrlichen Rechts der Oberaufsicht, wonach alle im Staat vorhandenen oder zu errichtenden öffentlichen Anstalten, Gesellschaften, Korporationen und Gemeinden; insonderheit aber die Städte und deren Kämmereien, imgleichen des Judenwesens im Lande der Aufsicht und Directoren der Kammern lediglich anvertraut sind.358
Haus- und Grundstücke dürften nach dem Reglement an die Kinder vererbt werden. Neubauten sollten mit Bauhilfsgeldern auf wüsten Stellen errichtet werden dürfen (§ 5) und setzten die neue Pflicht der Einquartierungsleistung mit voraus. Dass mit dieser neuen Pflicht der Einquartierung ein erhebliches Maß an Belästigungen und Störungen verbunden war, geht aus einer Anordnung des preußischen Königs hervor. Im Reglement für Süd- und Neu-Ostpreußen nach welchem bey Einquartierungen des Militairs in Friedenszeiten verfahren, und die Vergütung der Quartiere geleistet werden soll (Breslau, 4. Juni 1797) hieß es im 5. Abschnitt, § 45:
tel in Posen stellte kein Ghetto im eigentlichen Sinne dar, einige Juden lebten auch außerhalb des jüdischen Viertels. Überhaupt wird es abgeschlossene Ghettos wie in Frankfurt a. M. oder Prag in Großpolen kaum gegeben haben.“ Kemlein, Posener Juden, S. 29. 356 Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 93. 357 Ebd. Siehe dazu auch Jacobson (1921), Juden, S. 156. 358 Zit. n. Holsche, Geographie und Statistik, Bd. 1, S. 354.
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Es ist unser ausdrücklicher und ernstlicher Wille, daß der Soldat und Bürger friedlich miteinander leben sollen. Der Bürger muß den Offizier, und Soldaten, mit derjenigen Achtung begegnen, worauf jenen die ehrenvolle Bestimmung ihres Standes, die Beschützung des Staates Anspruch giebt. Der Offizier und Soldat aber, müssen nie vergessen, daß der Bürgerstand durch sein Gewerbe den allgemeinen Wohlstand und die wahre Stärke des Staats befördern. Wir setzen in unsere Offiziers das Vertrauen, dass sie, diesen Grundsätzen gemäß, sich nicht nur selbst jederzeit mit Anstand betragen, sondern auch die Soldaten zu einem bescheidenen und angemessenen Benehmen anhalten werden. Das Gegenteil werden Wir jederzeit auf das strengste ahnden.359
Heppner/Herzberg berichten, dass eine Erlaubnis für den Erwerb von Häusern nur dann erteilt wurde, wenn sich kein christlicher Käufer fand.360 Der o. g. Artikel wurde von der Kammer so ausgelegt, dass den jüdischen Einwohnern nur der Erwerb und Hausbau auf wüsten Plätzen freistand. Nach dem Brand und der Zerstörung des Judenviertels361 sollten zwar auch Neubauten in der Neustadt mit 50 % Hilfsgeldern finanziert werden. Aber bis 1806 lebte nachweislich nur eine Familie in der Neustadt.362 Trotz der Kredite waren die Bewohner in einigen Fällen finanziell nicht in der Lage, ihre Häuser wieder aufzubauen, und verkauften ihre Grundstücke an christliche Interessenten. Dass die Aufforderung zum Neubau außerhalb des Viertels begrenzt gedacht wurde, belegt eine KO von Friedrich Wilhelm III. an Minister Voss (28. März 1803): Mein lieber Staatsminister von Voss! Auf euern Bericht vom 20. d. M. das Etablissement des abgebrannten Theils der Stadt Posen betreffend, gebe Ich Euch hierdurch zu erkennen, daß aus den von Euch angeführten Gründen Ich es genehmigen will, daß die Juden nicht ferner in ein bestimmtes Viertel isoliert werden, überhaupt aber der eingeäscherte Theil der eigentlichen Stadt erweitert und auseinander gebaut, auch die Grabenvorstadt mit den im Feuer aufgegangenen Bürgerhäusern nicht wieder besetzt, sondern diejenige Anzahl derselben […] verlegt werden kann, jedoch müßt ihr nun auch, bey vorbestimmter Aufhebung 359 Zit. n. Preussische Verordnungen. 1793–1800, Nr. 20, ohne Seitenangabe. 360 Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 108. 361 Am 15. April 1803 brach in der Judenstadt ein Feuer aus und in 12 Stunden wurden ca. 276 Häuser zerstört. Der Schaden belief sich auf ca. 2 Mio. Thaler. Nur 23 Grundstücke blieben unversehrt, unter ihnen beide Hauptsynagogen. Hilfsgelder, die zum Aufbau an die jüdischen Einwohner gegeben werden sollten, wurden von den Stadtbehörden missbilligt und alte Ressentiments zur Begründung angegeben. Siehe dazu auch den Bericht von Minister Voss an den König (20. Mai 1803), in dem erwähnt wurde, dass Religionshass und Fanatismus die Grenzen des Judenviertels bestimmt hatten, die Aufhebung aber durch die Fortschritte der Toleranz und Aufklärung bei den einsichtsvolleren Posener Bürgern durchaus vorbereitet sei und auch aus hygienischen und brandbekämpfenden Maßnahmen genutzt werden sollte. Gedr. bei Heppner/ Herzberg, Vergangenheit, S. 100. 362 Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 108. Siehe dazu auch Lewin, Geschichte, S. 83, der von einer Zunahme der Ghetto-Bewohner in Posen und in Lissa berichtet.
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des Judenviertels, dahin sehen, daß das Judenwesen in Posen auf den Fuß, wie in den alten Landen, wenigstens in Ansehung der einzuschränkenden Anzahl der Juden, welche Häuser besitzen können, eingerichtet wird, weil sonst allerdings zu besorgen seyn dürfte, daß die christlichen Einwohner von ihnen in ihrem Nahrungs-Stande beeinträchtigt werden würden.363
Nach den Einschätzungen von Bruer war das Reglement von 1797 das „großzügigste Judenedikt Preußens vor der Emanzipation“.364 Nach Bruer wollten die Beamten das Ziel des Edikts, die Verbesserung der Verhältnisse der Juden, mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog verwirklichen, der eine Einschränkung des Handels, die Anleitung und Öffnung zu Handwerksberufen, die Hinwendung zur Landwirtschaft in verödeten Ländereien, die Umsiedlung in die Städte und die Entfernung aus der Propination vorsah.365 Die positiven Vorschläge zur Erwerbserweiterung, die Minister Voss in seinem Schreiben an Buggenhagen (1794)366 geäußert hatte, wurden nur teilweise erfüllt. In diesem Schreiben hatte sich Voss gegen ein Verbot des Hausierhandels ausgesprochen, weil ganze Familien ausschließlich von diesem Handel lebten. Der Provinzialminister argumentierte für den vorläufigen Erhalt des Hausierhandels bei gleichzeitiger Öffnung der Handwerksberufe und der Besiedlung von „wüsten Stellen“. In diesem speziellen Punkt offenbarte Voss einen Parameterwechsel, weil er die Situation der jüdischen Hausiererfamilien aus dem Blickwinkel der Betroffenen und nicht über ihre Bedeutung für die Staatsräson bzw. das Steuerwesen beurteilte. Dass er diese Beobachtung zum Maßstab seiner Beurteilung machte und nicht über, sondern für die Betroffenen entschied, deutet zwar nicht unbedingt einen politisch-rechtlichen Paradigmenwechsel an, aber ein empathisches Mitgefühl und einen Blick für die sozialen Realitäten. Im Edikttext wurde dieser Grund in einem anderen Zusammenhang zum Motiv der Gesetzgebung. Dazu Kap. 3, § 14: Durch Handel, Handwerk und Fabriken wird indessen neben den christlichen Kaufleuten, Handwerkern und Fabrikanten nur ein Theil der großen Menge der Juden, ihren Unterhalt erwerben können. Um nun den übrigen gleichfalls sichere Gelegenheit dazu zu verschaffen, soll ihnen nicht nur fernerhin verstattet seyn, Brau- und Branntweinbrennereyen, imglei-
363 Zit. n. Heppner/Herzberg, Vergangenheit, S. 105. 364 Bruer, Geschichte der Juden, S. 158. 365 Ebd. Nach Jacobson waren Juden als Pächter der Propinationspacht, d. h. der Pacht eines Betriebes und seiner Erzeugnisse mit der Konzession der Schankgerechtigkeit, dem Handel und Verkauf stark vertreten. Das Alkoholmonopol der Grundherrschaft, ausgeübt von jüdischen Pächtern, war seiner Meinung nach mit Schuld an der Trunksucht der Landbevölkerung. Jacobson (1920), Juden, S. 297. Siehe zur Ausdifferenzierung der Ursachen und Folgen auch Liszkowski, Politökonomie. 366 Gedr. bei Bloch, Judenwesen, S. 627.
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chen Kuhmelkereyen, und kleine, mit eigenem Gesinde zu bearbeitende Ackerwirtschaften von Gutsherren zu pachten, sondern auch Ackerbau, Viehzucht und Fuhrwerk auf eigenen bäuerlichen Ländereyen und Güthern zu treiben.367
Das Hausieren wurde in Kap. 3, § 7 unter Strafe gestellt und in § 8 mit einer Ausnahmeregelung versehen: Beauftragte die Gutsherrschaft einen handelnden Juden zu Einkäufen in der Stadt oder bei einem städtischen Handelsjuden, fiel diese Tätigkeit nicht unter das Verbot des Hausierhandels.368 Erlaubnisscheine auf der Grundlage von attestierten Auftragszetteln, die dem Konsumtionssteueroder Zollamt zur Bestätigung und Anerkennung vorzulegen waren, erbrachten den Beweis für die Beauftragung und galten als behördlich ausgestellter Passierzettel. Zwar wurde mit der Wortwahl auch eine leise Kritik „an der Bequemlichkeit der Gutsherrschaft“369 gerügt. Aber die bisherige Praxis blieb unangetastet und wurde zu Gunsten der Grundbesitzer staatlich toleriert. Hausieren und Müßiggang, Handel und Schacher führten nach der Strafmaßankündigung zum Verlust des Patentes und zum Landesverweis (Kap. 3, § 19). Generell sollte nur der konzessionierte Handel über den bewilligten Antrag der Stadt- oder der Steuerräte erlaubt sein. Ziel war die „ordentliche und ehrliche Subsistenz“ (Kap. 3, § 19) und damit die kontrollierbare Beschäftigung und der rechtmäßige Aufenthalt der angesetzten Schutzjuden. Nach diesem Muster wurde auch die Konzessionierung für die Hausierhandlung in Südpreußen vorgenommen. Nach Bruer erhielten durch die Initiative von Minister Hoym die betroffenen Männer über dem 50. Lebensjahr eine Konzession auf Lebenszeit, die Männer unter fünfzig Jahren auf fünf Jahre.370 Nach dem Edikttext sollte der Handel für die Juden (Kap. 3, § 2) 367 N.C.C., Bd.10, Nr. 29, Sp. 1061. Kap. 3 handelt „von den Gewerben der Juden“ und umfasst knapp zehn Spalten. 368 N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1057. 369 Ebd. 370 Bruer, Geschichte der Juden, S. 159. Siehe dazu auch das Dekret an die Deputierten der südund neuostpreußischen Judenschaften, die gegen verschiedene Punkte des neuen Reglements Beschwerde erhoben hatten. Die Antwort bestätigte den konzessionierten Hausierhandel mit Kurzwaren nur mit ausgestellten Passierscheinen. Das galt ebenso für den Aufkauf von rohen Produkten. Die Befürchtung, dass ohne staatliche Verordnung keine Lehrstellen bei christlichen Meistern von jüdischen Lehrlingen angetreten werden könnten, wurde zurückgewiesen (20. November 1797). Teilw. gedr. bei Bussenius/Hubatsch, Urkunden und Akten, S. 437. Siehe zu den einzelnen Kritikpunkten (Verbot des Hausierhandels, der Konzessionierung des kaufmännischen Gewerbes, zur Volljährigkeit mit dem 20. und nicht mit dem 13. Lebensjahr und zur eingeschränkten Gerichtsbarkeit der Rabbiner), auf der Delegiertenversammlung der jüdischen Deputierten in Kleczewo (1797) Lewin, Louis: Ein Judentag aus Süd- und Neuostpreußen. In: MGWJ, H. 4 (1915): S. 180–192, H. 5 (1915): S. 278–300. Nach L. Lewin reagierte auf „die Härten und Seltsamkeiten des Reglements“ die Versammlung der Notabeln in Kleczewo (im Gouverne-
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wie für die Christen (§ 4) nur in der Stadt gestattet sein. Der Überlandhandel der jüdischen Händler wurde mit Auflagen versehen: Nur mit Produkten des platten Landes und mit Gebrauchs-, nicht mit Luxuswaren (§ 2b) sollte der Handel erlaubt sein. Der Verkauf war nur in Land- und nicht in Seestädten gestattet (§ 2a). Bierund Branntweintausch gegen Waren wurden verboten (§ 2c) und das Hausieren und Herumstreifen in der Stadt und auf dem Land erstmals untersagt (§ 5e). Das preußische Reglement drohte mit bekannten Strafen wie der Geldstrafe bei Zuwiderhandlungen und dem Verlust des Schutzbriefes im Wiederholungsfall (§ 5e). Beschränkungen des jüdischen Handels auf bestimmte Ortschaften und festgelegte Zeiten371 existierten auch unter der polnischen Herrschaft. Der Detailhandel war reglementiert und Verstöße gegen das Zunftrecht wurden mit Strafen geahndet. Beschwerden waren nach Jacobson die Regel, gütliche Einigungen die Ausnahme.372 Die sich daraus ergebenden Spannungen setzten sich auch unter preußischer Herrschaft fort. Organisiert hatten sich die jüdischen Handwerker teils in eigenen berufsspezifischen Zünften wie z. B. in der Schneiderzunft in Gnesen oder in berufsverwandten übergeordneten Verbindungen wie z. B. im Zusammenschluss des Kürschnergewerbes mit der Fleischerzunft in Wreschen.373 Nach den Untersuchungen von Lewin wurde insbesondere auf den Hausierhandel und die umherziehenden Schneider mehrmals mit gesetzlichen Anordnungen reagiert. Erneuerte Erlasse mit einem wiederholten Verbot des Hausierens und eine statistische Zunahme des bedrohten Handwerks der Schneiderei lassen nach Lewin ment Kalisch), die aus Süd- und Neuostpreußen delegiert waren und die Bedrohung religiöser Interessen und Einbußen an wirtschaftlichen und politischen Rechten befürchteten. Der Kleczewoer Judentag (30. August 1797) setzte sich das Ziel, eine Petition an den preußischen König zu verfassen, in der die Bitte zum Erhalt der Grundlagen des religiösen Lebens und des bisherigen Nahrungserwerbs ausgesprochen werden sollten. Zu Sachverwaltern für die Verhandlungen mit den preußischen Behörden und als Vertreter für die Reise nach Berlin wurden die Delegierten Jakir Wolf und Pinkus Jakob (Posen), R. David Landau und Itzig ben Samuel (Lissa), Mose ben Baruch Katz (Dzialoszyn) und Issachar ben Samuel (Grätz) vorgeschlagen. Unterstützt vom Berliner Gemeindeältesten Liepmann Meyer Wulff, richtete sich die Kritik der Delegierten gegen die amtlich bestätigte Anerkennung, über eine wirtschaftlich gesicherte Existenz zwecks einer Heiratskonzession (Kap. 1, § 15b), gegen das Verbot des Hausierhandels auf dem Land und die Beschränkung der Waren und der Märkte (Kap. 3, § 2a, b, c) und gegen die Begrenzung der Anzahl jüdischer Händler und Kaufleute (Kap. 5, § 5). 371 Siehe dazu die Märkte in Brätz, Meseritz, wo nach dem Kürschner-, Tuchmacher- und Fleischerprivileg der jüdische Handel ausgeschlossen blieb. 372 Jacobson (1921), Juden, S. 159. 373 Jacobson (1921), Juden, S. 161. In Wreschen verband sich die jüdische Kürschnerzunft mit den Fleischergewerben. Jacobson berichtet folgend, dass die Regeln und Ordnungen genauso streng gehandhabt wurden wie in christl. Zünften. Dass jüdische Handwerker in christlichen Zünften aufgenommen wurden, ist nur insoweit richtig, dass sie Gebühren an die Zünfte zahlten, um ihr eigenes Handwerk ungehindert ausüben zu können.
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jedoch den gedanklichen Schluss zu, dass auf die Durchführung des Reglements nicht überall gesehen wurde und die jüdischen Schneider ihr Handwerk zukünftig auf den Jahrmärkten ausübten.374 Lewin spricht in diesem Zusammenhang von einer „geringen Durchschlagskraft und beschränkter Wirksamkeit“375 des Edikts und zitiert als Beispiel den Grafen Wollowicz, Grundherr von Witkowo, der über eine jüdische Gemeinde von 620 Juden entschied und noch über zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes bemerkte, dass ihm dieses Reglement „bisher unbekannt geblieben [sey]“.376 Das preußische Edikt zählte zu den erlaubten Berufen im Gewerbe und im Handel den konzessionierten Handel, die Künste und das Handwerk, den Ackerbau, die Viehzucht, den Viehhandel (§ 3) und das Anlegen und Führen von Fabriken (§ 13). Die Handlungsbücher sollten in Deutsch oder Polnisch geführt werden (§ 6). Für die Ausübung eines Handwerks wurde die Meisterprüfung verbindlich (§ 12). In den Handwerksbetrieben sollten nur jüdische Lehrlinge und Gesellen ausgebildet bzw. beschäftigt werden. Ausnahmen mussten durch die Kammer genehmigt werden.377 Nützliche Fabrikgründungen wurden nicht reglementiert und bestimmte Pachtungen (Brauereien, Branntweinbrennereien, Kuhmelkereien)378 wie die Ackerwirtschaft mit Anbau und Viehzucht gestattet (§ 14) und mit Freyjahren von Landesabgaben, Diensten und Pflichten entlastet (§ 17). In der Frage der Pachtwirtschaft hatte es bereits in Schlesien eine Sachentscheidung des General-Direktoriums gegeben. Nach den Untersuchungen von Straubel hatte sich die Behörde in der Frage zu unbefugten Erweiterungen der Brau- und Branntweinbrennereien in Schlesien ausdrücklich für die verbrieften Rechte des Adels und der königlichen Ämter zur Bier- und Branntweinherstellung eingesetzt: „Es wird also auf keine Weise rechtmäßig zu gestatten seyn, dass dergleichen gesetzmäßige Tituli der Rechte und Nutzungen auf irgend eine Weise, durch eigenmächtige Neuerungen und Beschränkungen angefochten und verletzt werden.“379 Nach Straubel ging es in dieser Frage auch um die Interessen der Minister, die fast ausnahmslos Landgüter in Schlesien besaßen und ihren Nutzen aus der 374 Lewin, L., Geschichte, S. 284. Nach den bei Lewin angegebenen Zahlen stieg die Anzahl in Grätz, Rawitsch, Koschmin und Kempten max. um fünf Handwerker über den Höchststand. 375 Lewin, L., Geschichte, S. 285. 376 Zit. n. Lewin, L.,Geschichte, S. 285. 377 N.C.C., Bd. 10, Nr. 29, Sp. 1061. 378 Das Krug- und Schankgewerbe war nach der Pachtleistung von jüdischen Faktoren ausgeübt worden, ebenso die Pachten der Brennereien und für Molkereierzeugnisse. Lediglich das Schankgewerbe sollte in den Städten nicht mehr ausgeübt werden. Propinationsrechte galten nur noch auf dem Land. 379 Straubel, Struensee, S. 45.
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Bier- und Branntweinherstellung zogen.380 In den neuen Provinzen blieben die Rechte des Adels an den Verpachtungen ihrer Besitzungen und Betriebe ebenfalls unangetastet,381 und aufgrund dieser Entscheidung für die bisherige Praxis blieb auch das Arrendesystem erhalten.382 Nach den Untersuchungen von Stefi JerschWenzel zu Kap. 3, §§ 14–17, wurden jüdische Kolonisten in Posen bereits vor dem Inkrafttreten des Reglements, allerdings nur für einige Jahre, für die Urbarmachung brachliegender Ländereien angeworben.383 Darüber hinaus lebten östlich der Elbe in vielen Gebieten bis zu 40 % der jüdischen Bevölkerung auf dem Land. Da das bäuerliche Leben unter dem Arrendesystem für die jüdische Landbevölkerung bereits Realität war, eröffnete die preußische Besiedlungspolitik kaum neue Existenzmöglichkeiten und weckte möglicherwese auch aus diesem Grund kaum Interesse.384 Zur neuen Initiative bezüglich der Siedlung auf enteigneten und verstaatlichten Domänengütern, die nach den Bedingungen der christlichen Siedler stattfinden sollte, äußerte sich auch David Friedländer, der in seiner nachgefragten Stellungnahme, adressiert an das südpreußische Kammerdepartement, die fiktiv gestellte Frage nach dem individuellen und staatlichen Nutzen der Neusiedlungen gleich mit beantwortete: Giebt es irgend einen Erwerbszweig, der für den Staat der vortheilhafteste und für die Juden in jeder Rücksicht der nützlichste ist; irgend eine Beschäftigung, die im eigentlichsten Sinne des Worts eine Schule der Bildung für die große Anzahl dieser Religions-Verwandten werden kann, so ist es der Ackerbau. Indem der Besitzthum des Bodens jede einzelne Familie näher zusammenhält u. sie das Land liebgewinnen lehrt, das mit eigenen Händen bebaut wird, entferne es sie zugleich von den Gemeindeverbindungen […]. (1. September 1801)385
380 Zit. n. Straubel, Struensee, S. 45. 381 Wie sich bereits in den skizzierten Lebensläufen einiger Beamter zeigte, wurden auch in den neuen Provinzen Güter und Landbesitz an preußische Beamte vergeben. Möglicherweise spielte diese Praxis eine ausschlaggebende Rolle in der Entscheidung für den Paragrafen. 382 Nach den Einschätzungen der Kriegs- und Domänenkammer in Warschau konnten die jüdischen Pächter größere Pachtbeträge zahlen, weil ihre Bedürfnisse geringer waren, sie der Landbevölkerung Geld und Waren borgten und gegen ihre Ausbrüche gefeit waren. (3. Juni 1802). Gedr. bei Jersch-Wenzel, Stefi: Schänker und Landwirte – Juden in Süd- und Neuostpreußen um 1800. In: Kaplan, Marion A./Meyer, Beate (Hrsg.): Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Göttingen 2005, S. 51–65, S. 62. 383 Jersch-Wenzel, Schänker, S. 51. 384 Die Pachtungen und Bewirtschaftungen nach dem traditionellen Arrendesystem sind wahrscheinlich ein weiterer Grund für das zurückhaltende Interesse an der preußischen Initiative. In Neuostpreußen betrieben bereits vor der Initiative mehrere Juden Ackerbau und arbeiteten auch als Knechte bei anderen Bauern. Ebd., S. 54. 385 Zit. n. Jersch-Wenzel, Schänker, S. 53.
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Mit dieser Einschätzung, die auch als Empfehlung und Zuspruch ausgelegt werden konnte, entsprach Friedländer auch den Überzeugungen von Minister Schroetter. Nach den Vorstellungen des Provinzialministers für Neuostpreußen, der mit Prämienerteilungen den Ackerbau auf bisher nicht kultivierten Böden fördern wollte, sollte diese Möglichkeit des Erwerbs und der Lebensform auch eine Möglichkeit schaffen, um die Juden mit „der Nation zu amalgamieren“.386 Mit dem Ausdruck „Nation“ waren im Sinne Schroetters die preußische Gesellschaft und der preußische Staat gemeint. Für Minister Schroetter wie für andere hohe Beamte hatte die Mentalität des bodenständigen Bauern und des fleißigen Handwerkers Vorbildfunktion, weil sie nützliche Tugenden wie Sesshaftigkeit und Loyalität zum Land förderten. Körperliche Arbeit und Betriebsamkeit sollten zumindest für einige der nach 1806 mit der Reform beauftragten Beamten als Pendant gegen die „Unfruchtbarkeit“ des Handels wirken.387 Dass sich die interessierten jüdischen Landwirte von großen Worten nicht beeindrucken ließen und sich Interessenten aus Lubraniec in Masowien (Neuostpreußen) nach den genauen Bedingungen, Hilfen, Abgaben und der Enrollierungspflicht erkundigten, zeigen die Untersuchungen von Jersch-Wenzel.388 Diese Programme zur Ansiedlung von jüdischen Bauern scheiterten letztlich an den Unwägbarkeiten der staatlichen Unterstützung, dem damit infrage gestellten Erfolg der bäuerlichen Existenz und der Auflage, „wüste Ländereien“ zu bearbeiten. Im Zirkular der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer wegen der den Besitzern der Colonistenetablissements verstatteten freien Disposition über ihre eigenthümlichen Stellen (6. Januar 1801) wurde auf Anfragen zur möglichen Verpfändung oder zum Verkauf der Kolonistenstellen reagiert. Die erfolgreiche Bewirtschaftung war demnach keinesfalls mit den staatlichen Hilfen sichergestellt.389 Die Anfragen zur Umsiedlungsbereitschaft von Pächtern mit auslaufenden Verträgen scheiterten weniger am Willen der Pächter als an ihrem finanziel-
386 Vertraulicher Bericht vom 31. Oktober 1801. Zit. n. Bruer, Geschichte der Juden, S. 159f. 387 Siehe dazu Kap. 7.2 dieser Arbeit. Siehe dazu auch Zerboni, Joseph: Einige Gedanken über das Bildungsgeschäft von Südpreussen. Jena 1800, der sich zu Quesnays Thesen zum Manufaktur- und Handelswesen äußerte. Diese Einsichten kommen den Stellungnahmen der Beamten Koehler u. a. nahe. 388 Dieser Fragenkatalog enthielt nicht nur Anfragen, sondern auch drei Forderungen: a) Verlängerung der Beschäftigungszeit christlicher Knechte und Mägde; b) Anstellung von Lehrern und Schächtern und c) Befreiung von der Kantonspflicht. Jersch-Wenzel, Schänker, S. 55. Siehe dazu auch das Zirkular der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer „wegen der den Besitzern der Colonistenetablissements verstatteten freien Disposition über ihre eigenthümlichen Stellen“ (6. Januar 1801). 389 Vgl. dazu N.C.C., Bd. 11, Sp. 13ff.
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len Einkommen.390 Nach Jersch-Wenzel nahm das Bestreben der Behörden, die Anzahl der Pächter zu verringern, mit dem Scheitern der Besiedlungsbestrebungen deutlich zu.391 Warum der armen städtischen Bevölkerung keine Angebote zu Siedlungshilfen eröffnet wurden, lässt sich aus den bereits genannten Pro blemen in der Bewirtschaftung erahnen. Im Schriftwechsel der Kammern wurde darüber hinaus auch die Befürchtung formuliert, dass dem christlichen „gemeinen Bauern aus dem Aufenthalt dieser Art Juden auf dem Lande“392 Nachteile entstehen könnten. Darüber hinaus existierte die im Edikt formulierte Absicht, die wirtschaftlichen Aktivitäten der jüdischen Einwohner vom platten Land in die Städte zu verlagern. Nach Jersch-Wenzel reagierte die Verwaltung in Einzelfällen mit Vorschlägen zu einer Verlängerung dieser Fristen.393 Die Kriegs- und Domänenkammmer in Bialystok sprach sich 1803 aus Gründen der Staatsräson auch für Vorsicht, Schonung und Menschlichkeit394 gegenüber den jüdischen Krügern, Schänkern, Brauern und Brennern aus und wahrte damit gleichzeitig auch die Interessen der Landbevökerung und der Grundherrschaft.395 Im Unterschied zum abschlägigen Bescheid des General-Direktoriums zur Aufhebung der Haftung in solidum (1797) zog man im Edikt für die neuen Provinzen andere Konsequenzen. Obwohl die Beamten ein vergleichbar negatives und fragwürdiges moralisches Urteil über die neuen jüdischen Einwohner zur Grundlage nahmen und in der Präambel öffentlich machten, taten sie doch realpolitisch das Richtige. Im Vergleich zu den noch geltenden restriktiven Reglements
390 Siehe dazu auch Liszkowski, Politökonomie, S. 147. Nach Schätzungen lebten ca. 80 % der jüdischen Familien auf dem Land in irgendeiner Weise von der Pacht und für „die Masse reichten die Gewinne gerade zur Sicherung des Lebensunterhaltes“. 391 Jersch-Wenzel, Schänker, S. 61. 392 AGAD (Archivum Glowne Akt Dawnych/Archiv der Alten Akten, Warschau), Gen.-Dir. Neuostpreußen VI 464, fol. 252. Zit. n. Jersch-Wenzel, Schänker, S. 62. 393 AGAD, Gen.-Dir. Neuostpreußen VI 464, fol. 267. Zit. n. Jersch-Wenzel, Schänker, S. 63. Nach den Untersuchungen von Jersch-Wenzel sollten die Fristen unter besonderen Umständen bis zum 1. Juni 1807 verlängert werden. 394 AGAD, Gen.-Dir. Neuostpreußen, VI 464, fol. 252. Zit. n. Jersch-Wenzel, Schänker, S. 62f. Siehe dazu auch die ausgeführte innerpolnische Diskussion über die Judenfrage und die Publikationen zur Berufs- und Niederlassungsfreiheit bei Liszkowski, Politökonomie, S. 151ff. 395 Alkoholproduktion und Vertrieb waren dem Adel verboten und galten als nicht standesgemäße Betätigung. Dass bevorzugt Juden als Pächter gesucht wurden, lag u. a. an ihren Schreib- und Rechenkenntnissen und ihrem enthaltsamen Umgang mit Alkohol. Darüber hinaus konnten jüdische Pächter den Güteraustausch zwischen Stadt und Land fördern, indem sie die Märkte direkt belieferten. Unter den negativen Auswirkungen und Widersprüchen des Feudalsystems hatten die jüdischen Pächter als Werkzeuge und Repräsentanten der grundherrlichen Unterdrückung in direkter Weise zu leiden, da sie als „Sündenböcke“ von Bauern und Stadtbürgern mit Verfolgungen und Ausschreitungen bedroht wurden. Siehe dazu Liszkowski, Politökonomie, S. 147ff.
Die Motive und Zielsetzungen zum „General-Juden-Reglement für …“
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für die jüdischen Einwohner im alten Preußen erteilten sie weitergehende Rechte und hoben die Haftung in solidum auf. Das moralische Urteil dominierte nicht die Verstandesargumente. Dass die preußischen Minister in diesem Reglement anders entschieden als im Bescheid an die Berliner Ältesten zwecks Aufhebung der Haftung in solidum (1798), lässt sich auch aus den Anordnungen zum Verwaltungsgang beantworten. Im Fall der Gesetzgebung für die neuen Provinzen wurde wie im Breslauer Reglement nach den provinzialen Notwendigkeiten entschieden. Diese Form der Gesetzgebung, die speziell auf die Gegebenheiten der Provinzen zugeschnitten wurde, hatte Friedrich II. auch in seiner Reform des Justizwesens nochmals betont und fortgesetzt. Friedrich II. hatte keine Vereinheitlichung der Gesetzgebung, sondern eine Rücksichtnahme gegenüber den divergierenden Strukturen angestrebt. In seiner KO vom 14. April 1780 zur Verbesserung des Justizwesens steht dazu als Begründung: Da nun aber fast jede Meiner Provintz ihre besondere Verfassung, Statuten und Gewohnheiten hat, welche sehr voneinander unterschieden sind, so muß für jede derselben ein eigenes Gesetzbuch gesammelt und darin alles eingetragen werden, wodurch sich die Rechte der einen Provintz von der anderen unterscheiden.396
Einerseits mussten die Geschäfte der Provinzial- und Spezialdepartements, die auf andere Provinzen und Departements keinen Einfluss oder Bezug hatten, im General-Direktorium nicht ins Plenum und nicht zum Vortrag gebracht werden.397 Andererseits existierte seit Dezember 1787 eine Verordnung, die besagte, dass alle Vorgänge, die im Interesse des Staates und der allgemeinen Wohlfahrt lagen im General-Direktorium vorgetragen, und nach der Mehrheit der Stimmen entschieden werden sollten.398 Aber letztlich hatte sich in der Grundeinstellung zur Erteilung von bürgerlichen Rechten auch wenig verändert. Die Argumente für die rechtlichen und wirtschaftlichen Beschränkungen konnten mit den gleichen moralisch-negativen Urteilen begründet werden wie die Aufhebung der restriktiven Gesetzgebung. Mit dem Ziel der Erziehung zum nützlichen Unterthanen ließen sich sowohl restriktive wie freiheitliche Gesetzgebungen rechtfertigen und umsetzen. Im o. g. Fall konnte das neue Reglement für die Betroffenen als mehrheitlich positiv gewertet werden, weil nach dem Rahmen der bisherigen 396 KO an den Großkanzler v. Carmer. Gedr. in: Corpus Iuris Fridericianum. Berlin 1781, S. X. 397 GStA PK, II. HA Gen.-Dir. Tit. III, Nr. 42, fol. 123 RS, zit. n. Straubel, Struensee, S. 33. Zu dieser Zeit saß von den Unterzeichnern und Verfassern des Reglements nur F. L. v. Schroetter im Gen.-Dir. Von den beteiligten und entscheidenden Ministern hatte Minister Goldbeck die allgemeine Leitung des Justizwesens und der Gesetzgebung sowie die besondere Direktion der Justiz in Südpreußen und Neu-Ostpreußen (1797). 398 GStA PK, II. HA. Gen.-Dir., Tit. III, Nr. 42, Bd. 123.
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preußischen Gesetzgebung neue wirtschaftliche Existenzmöglichkeiten eröffnet wurden, die mit den Maßnahmen zur Landesökonomie korrespondierten. Aber dieses Provinzialrecht musste für die Gesetzgebung anderer Provinzen weder als maßgeblich noch als vorbildhaft beurteilt werden.399
5.3 Beispiele zu ambivalenten administrativen Entscheidungen Bis zum Beginn der offiziellen Beauftragung von Friedrich Leopold v. Schroetter für den Entwurf einer Reform (1808) installierte die preußische Gesetzgebung in verschiedenen Gesetzen und Gerichtsurteilen den Anspruch auf eine rechtliche Gleichbehandlung in den staatlichen Richtlinien für Institutionen und im Rechtsanspruch als selbstständige juristische Person agieren zu dürfen,400 unabhängig von der bisher rechtlich bindenden Personenvereinigung. Nach der neuen Behördenorganisation (1808)401 sollte für die Gesetzgebung das Ministerium des Innern und speziell die Sektion der allgemeinen Gesetzgebung402 zuständig sein. 399 Dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 141: „Die allgemeinen Gesetze, die für die Juden in Breslau und für die in den polnischen neu erworbenen Provinzen (1790 und 1797) entworfen wurden, unterschieden sich auf das Vortheilhafteste von dem Generalreglement, das für die alten Länder galt. Die in der Zwischenzeit erlassenen erleichternden Gesetze hatten hier Aufnahme gefunden, der Ackerbau wurde den Juden in beschränktem Maße gestattet, selbst zünftige Handwerke ihnen erlaubt. Nun kamen aus jenen Gegenden junge Leute nach Berlin, die als Lehrlinge Aufnahme bei christlichen Meistern suchten und fanden, wenn sie auch die Hauptstadt verlassen mußten, sobald sie Gesellen geworden waren; erlernte doch einer das Apothekergewerbe, das 30 Jahre später den Juden ausdrücklich verboten wurde.“ 400 Das Gesetz kennt neben der natürlichen Person auch die juristische Person. Diese kann eine Personenvereinigung (z. B. Staat, Gemeinde, Verein) oder eine Stiftung sein, wobei der juristischen Person vom Gesetz eine rechtlich von ihren Mitgliedern losgelöste Selbstständigkeit als Rechtssubjekt eingeräumt wird. Wesentliches Merkmal einer Person ist die Rechtsfähigkeit als Voraussetzung zur Handlungsfähigkeit. Vgl. dazu Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 840. Zum o. g. Zeitpunkt unterlag die Antwort auf die Frage, inwieweit es juristische Personen geben sollte oder ob Menschen und Menschengruppen die Personalität versagt werden könne, ausschließlich den Beurteilung des Gesetzgebers. Vgl. dazu Hattenhauer, Hans: Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts. Historisch-dogmatische Einführung. München 2000, S. 31–33. 401 Siehe dazu das Publikandum vom 16. Dezember 1808 über die Verfassung der obersten Staatsbehörden. Gedr. in: N.C.C., Bd. 12 (1806–1810), Nr. 59, Sp. 527ff. Vgl. Meier, Ernst: Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg. Leipzig 1881; Raumer, Kurt v./ Botzenhart, Manfred: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Wiesbaden 1980. 402 N.C.C., Bd. 12, Nr. 59, Sp. 535. Dort heißt es zur Gesetzkommission: „Sie wird gleichfalls neu organisiert und mit einem besonderen Geschäftsreglement versehen. Sie erhält die Prüfung aller
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Ab 1810 bis zum Abschluss der Reformarbeiten wurde dort keine Sondergesetzgebung mehr installiert. Auch in der allgemeinen Gesetzgebung wurden keine gesonderten Passagen und Artikel gegen die jüdischen Einwohner gerichtet. Diese Beobachtung lässt die Annahme zu, dass die Form der „normalisierten“ – oder besser – allgemeinen Gesetzgebung durchaus mit der Ernennung von Karl August v. Hardenberg zum Staatskanzler (6. Juli 1810)403 in Verbindung gebracht werden kann.404 Es ist ein Topos in der Betrachtung der preußischen Geschichte von 1795–1806, dass mit der Niederlage bei Jena und Auerstedt das gesamte Staatswesen Friedrichs des II. und seiner Nachfolger eine außenpolitische405,
neuen Gesetzesvorschläge, in welches Departement sie auch einschlagen mögen, und sobald sie organisiert ist, soll kein Gesetz emaniert werden, worüber sie ihr Gutachten nicht abgegeben hat. Für ihr Gutachten erhält sie die mögliche Freiheit und Unabhängigkeit, und sie ist nur allein Uns unmittelbar dafür verantwortlich. Die Mitglieder werden von Uns unmittelbar ernannt. Die Gesetzkommission hat den ersten Vorschlag der Kandidaten, und der Minister des Innern schlägt sie Uns nach eingeholtem Gutachten des Sektions-Chefs vor.“ 403 Siehe zu Karl August Fürst v. Hardenberg (1750–1822) Anlage 2: Biografien. Siehe zu den anerkannt positiven Urteilen über Hardenbergs Politik in der Frage der Judenreform Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 165–175; Baron, Salo W.: Die Judenfrage auf dem Wiener Kongress. Wien/Berlin 1920, S. 79ff. Bruer, Geschichte der Juden, S. 291ff; Lindner, Erik: Patriotismus deutscher Juden von der napoleonischen Ära bis zum Kaiserreich. Frankfurt a. M. 1997, S. 49f. 404 Dazu Christopher Clark: „Das Emanzipationsprojekt hätte durchaus bis nach den Napoleonischen Kriegen in den Schubladen landen können, wenn Hardenberg die Angelegenheit nicht gleich nach seiner Ernennung zum Kanzler am 6. Juli 1810 in Angriff genommen hätte.“ Clark, Preußen, S. 391. Siehe dazu Kap. 7.1 dieser Arbeit. 405 Nach der Beurteilung von Gerd Heinrich führte auf der außenpolitischen Entscheidungsebene die „Unsicherheit und Friedensliebe des Königs“ zur verfehlten Neutralitäts- und lavierenden Bündnispolitik und verursachte neben den überflüssigen Machtdemonstrationen gegen Hannover (1801/1802) und dem Rüstungs- und Heeresstärkendefizit die Niederlage. Heinrich, Gerd: Geschichte Preußens. Staat und Dynastie. Frankfurt a. M. [u. a.] 1981, S. 278f. Nach Wehler öffnete „erst das niederschmetternde Debakel von Jena/Auerstedt im Oktober 1806 als Quittung für die tölpelhafte Diplomatie der letzten Monate, der demütigende Kollaps der Kampfmoral, der totale Zusammenbruch der friderizianischen Erfolgsfassade, hinter der sich seit 1786, auch in dem vergangenen Friedensjahrzehnt, preußische Anachronismen weiter verborgen hatten […] das Tor zu einschneidenden Reformgesetzen.“ Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 398.
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militärische406, gesellschaftliche407 und staatsadministrative408 Niederlage erlitt und damit die politische Bedeutung Preußens durch die Halbierung des preußischen Herrschaftsgebietes und der Einwohnerzahl409 als Folge des Tilsiter Friedens410 erheblich dezimiert wurde. Allerdings gerät nach dieser Sichtweise aus dem Blick, dass auch bereits begonnene Entwicklungen und Tendenzen kontinuierlich fortgesetzt wurden. So spricht Ludwig Geiger in seiner Beurteilung über die bisherigen Reformarbeiten zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden von einer „ruhigen Entwicklung“,411 die sich Schritt für Schritt vorwärts bewegte und zu vorteilhafteren und besseren Provinzialgesetzen führte, die allerdings durch die Zerstörung des bisherigen preußischen Staatswesens
406 Vgl. dazu Ibbeken, Rudolf: Preußen 1807–1813. Berlin 1970, S. 50f. Christopher Duffy stellt die militärische Ausbildungspraxis von Friedrich II. infrage und meint dazu, dass die Schlesischen Kriege die Generale gewonnen hatten, die unter Friedrich Wilhelm I. ausgebildet worden waren. Während in Jena/Auerstedt die Generäle versagten, die unter Friedrich II. gelernt hatten. Duffy, Frederick, S. 469. Die Gründe für die Niederlage sind nach Duffy u. a. in der tyrannischen und willkürlichen Behandlung und Erziehung der Offiziere, der fehlenden Würde und Anerkennung ihrer Dienste und der daraufhin einsetzenden Resignation zu suchen. 407 In historiografisch modernen Stichwörtern führt Ibbeken die Gründe für die Niederlage auf eine gesellschaftlich inhärente „politisch-moralische Entwurzelung“ und „Verfremdung und Demoralisierung“ zurück. Ibbeken, Preußen, S. 50. 408 Peter Ruf fasst in seinem Kap.: Ereignisse und Entwicklungen: 1740–1815 in: Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preußische Geschichte. Eine Bilanz in Daten und Deutungen (1991), S. 163–176, S. 168 zusammen: „An der Französischen Revolution und ihren Folgen sowie an der eigenen Strukturschwäche zerbricht das friderizianische Preußen in der militärischen und politischen Katastrophe von 1806.“ Nach Heinrich, Geschichte Preußens, S. 278, fehlte Zeitgenossen wie Minister Stein „die große moralische und intellektuelle Kraft“ der Staatsleitung. Auch in den zeitgemäßen Schriften wurden die preußischen Staatsminister aus der Kritik am Zusammenbruch Preußens nicht ausgenommen. Sie waren nach Ansicht des Autors im Artikel: Die Feinde im Preußischen Staat, gedruckt in Coelln, Friedrich v. (Hrsg.): Neue Feuerbrände 4 (1807), S. 43–55, Schuld an der Zerstörung des „großen schönen Werk[s]“, weil sie mit „Blindheit, Vorurtheilen, Eifersucht, Haß, Leidenschaft und Mißtrauen“ die falschen Koalitionen (gegen Frankreich) empfohlen hatten. Ebd., S. 45. 409 Nach Art. 2 des Tilsiter Frieden (9. Juli 1807) wurde das Staatsgebiet Preußens neu festgelegt. Preußen verlor alle westelbischen und polnischen Besitzungen, also ca. die Hälfte des bisherigen Staatsgebietes. Das sog. „Rest- oder Rumpfpreußen“ wurde von ca. 315.000 auf 158.000 km² halbiert. Die Einwohnerzahl sank von knapp 10 Mio. auf 4,6 Mio. (1808). Vgl. dazu Hagemann, Mannlicher Muth, S. 7. 410 Vgl. dazu Sammlung der für die Königl. Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen vom 1806 bis zum 27ten October 1810. Nr. 10, S. 153–164 (9. Juli 1807) und Nr. 11, S. 164–167 (12. Juli 1807). Siehe dazu auch die gesammelten Aufsätze in: Kloosterhuis, Jürgen/ Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Krise, Reformen – und Finanzen. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806. Berlin 2008. 411 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 141.
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unterbrochen wurde. Wohin die Gesetzgebung der Jahre nach der „Katastrophe bei Jena/Auerstedt“ tendieren konnte, zeigt die Zielrichtung für die neue Verfassung der Französischen Kolonie an. In der KO vom 30. Oktober 1809 betonte der preußische König, dass in der neuen künftigen Verfassung für die Französische Kolonie die „isolierte Verfassung“412 wie das „besondere Bürgerrecht“413 aufhören müssten: „Gleiche Rechte und Freiheiten mit den Eingeborenen gewährte das Edikt von 1685 den französischen Einwanderern; in einem Staate, der diese mit solchen Gesinnungen aufnahm und behandelte, können und werden auch ihre Nachkommen nichts anderes als preußische Unterthanen seyn wollen.“414 Erwartet wurden Dankbarkeit und Loyalität gegenüber der Krone als Gegenleistung für die erfolgte Aufnahme. Gefordert wurde die Unter- bzw. Einordnung der Nachfahren der Réfugiés in das preußische Staats- und Gemeinwesen. Mit Hilfe der suggestiven Argumentation konnte die Zielsetzung des Gesetzgebers über die Assoziation „Anpassung und Loyalität als Ausdruck der Dankbarkeit“ mit dem Willen der französischen Nachfahren gleichgesetzt werden. Bedenken, Einwände oder Widersprüche erhielten damit von vornherein den Hintergrundcharakter der Undankbarkeit. Die erste maßgebliche Gesetzgebung des neuen Jahrhunderts für die jüdischen Untertanen, das Reglement wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen415 (18. Juli 1801), spiegelte den ambivalenten Charakter einer gemäßigten Judengesetzgebung wider. Dieses Gesetz hob die subsidiarische Haftung auf (§ 1). Nur der jüdische Hausvater sollte nach dem Gesetz für seine Hausgenossen und Dienstboten in derselben Weise haftbar sein wie der christliche (§ 2). Dazu hieß es in der Präambel des Edikts:
412 Gedr. in: N.C.C., Bd. 12, Nr. 92, Sp. 879–884, S. 880. Aktuell ist der Ausdruck „Kolonie“ für „die Niederlassung einer Gruppe von Menschen in fremdem Gebiet, die sich staatsrechtlich vom Heimatland lösen und zumeißt die fremde Staatsangehörigkeit annehmen, aber ihr Volkstum mehr oder weniger bewahren“ gebräuchlich. (U. a. wird die Formulierung für die „deutsche Kolonie“ in den USA verwendet.) Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 639. 413 N.C.C., Bd. 12, Nr. 92, Sp. 880. 414 Ebd. Gleichfalls kündigte der preußische König eine Zurücksetzung der staatlichen Unterstützung für die Institute und milden Stiftungen der Kolonie an. 415 N.C.C., Bd. 11, Nr. 43, Sp. 393–408 und in: GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 207b 2a Fasz. 47. Siehe den Entwurf in: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 103–110. Unterzeichnet von Hoym, Schulenburg, Voss, Goldbeck, Alvensleben, Hardenberg, Struensee,Thulemeier, Haugwitz und Massow. Fünf der Unterzeichner waren auch mit dem Verfassen und Umsetzen des Reglements für die neuen Provinzen (1797) beschäftigt. Siehe auch die Deklararation zur Aufhebung des Privilegs von Städten in West-, Süd- und Neuostpreußen, keine Juden dulden zu müssen (6. Februar 1802), gezeichnet von Schroetter und Voss. In: N.C.C, Bd. 11, Nr. 13, Sp. 763–766.
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Unser allergnädigster Herr, haben auf den Antrag der Ober-Landes-Aeltesten und Aeltesten der hiesigen Judenschaft resolvirt, die bisherige subsidiarische Verpflichtung der JudenGemeinden zur Ersetzung des von deren Mitgliedern durch Diebstahl oder Diebeshehlerey verursachten Schadens aufzuheben, und dagegen wirksame Maaßregeln anzuordnen, wodurch dem Einschleichen fremder verdächtiger Juden vorgebeugt, und die schnelle Fortschaffung derjenigen einländischen Juden bewirkt werden kann, welche der allgemeinen Sicherheit gefährlich sind.416
Nach dem Text war die Aufhebung der Haftung in solidum wegen Diebstahls und Hehlerei eine Reaktion auf das Engagement der Berliner Ältesten. Gewährt wurde die Gesetzesänderung von Friedrich Wilhelm III.417 (reg. 1797–1840), dessen persönliche Einstellung gemessen an seinen Äußerungen und Gesetzen weder als philosemitisch noch als judenfeindlich galt.418 In vierzig Paragrafen wurde allerdings auch in diesem Reglement nach dem Muster einer Judengesetzgebung verfahren, in der eine wegfallende Gesetzgebung durch die Installierung neuer Aufsichten und Kontrollen ersetzt wurde. Auch wenn die Pläne für diese neue Zensur nicht in die Tat umgesetzt wurden – nach den Recherchen von Ludwig Geiger „ist von der Wirksamkeit dieser Kommission nichts näheres bekannt“419 und nach Ismar Freund ist diese Kommission „niemals ins Leben getreten“420 – belegen die
416 N.C.C., Bd. 11, Nr. 43, Sp. 393. 417 Siehe zu Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) Anlage 2: Biografien. 418 Nach Geigers Beurteilung war das Reglement eine Ausnahmemaßregel: „[…] aber es war doch ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zu früheren Zuständen. So ging es Schritt für Schritt vorwärts, langsam aber unaufhaltsam. Mochten selbst einsichtsvolle und klardenkende Staatsmänner wie Hippel über Juden die beschränktesten Ansichten hegen, der ihre Aufnahme zu Staatsbürgern als unmöglich verwarf, die Reichen beim Handel erhalten und die Armen in einer wüsten Gegend unter christlichen Aufsehern zu Landbauern erziehen lassen wollte, – die Ideen der Freiheit, wie sie in dem Nachbarlande Frankreich im blutigen Kampfe erstritten und als ein allgemeines Erbtheil über den ganzen Erdkreis verbreitet wurden, erhöhten das unnennbare Sehnen der Juden und machten den Regierenden ein Festhalten an den ausschließenden Tendenzen der früheren Zeit unmöglich.“ Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 140f. 419 Geiger fand während seiner Recherche die vereinzelte Notiz, dass am 30. August 1802 in Berlin Stadtrat Rück, Justizrat Kunitz und S. A. Friedänder, S. J. Nauen, A. M. Hennoch und Simon Hirsch als Mitglieder der Kommission fungieren sollten. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 177. Siehe dazu auch das Schreiben aus dem Justizdepartement (18. Juli 1801), indem betont wurde, dass die Einrichtung einer Zensurkommission das Einschleichen fremder Juden verhindern könnte. In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 100–102. Dort heißt es: „Um zu verhüten, dass sich fremde Juden heimlich einschleichen und die einländischen verdächtigen Juden sich nicht ohne Aufsicht im Land herumtreiben, werden Censur Commisssionen anzuordnen seyen, welche unter der Direction eines erfahrenen Polizei Officianten und mit Zuordnung […].“ Ebd, Bl. 101. Auf die Einsetzung der Gesetzkommission wurde verzichtet. 420 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 88.
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angedachten Instruktionen eine anvisierte und umfassende Kontrolle, die letztlich, trotz der Teilbeteiligung jüdischer Beisitzer, eine staatliche Kontrolle blieb. Das Gesetz sah die Installierung einer „Censur-Commission“ vor, die einerseits Mechanismen zur Begrenzung und Kontrolle des Zuzugs und der wirtschaftlichen Existenz fremder zugereister Juden umsetzen sollte (§ 3).421 Andererseits galt die Zensur auch den bereits etablierten oder eingeborenen jüdischen Untertanen, die zu Auskünften gegenüber der Kommission verpflichtet wurden. Damit setzte sich die kollektive Vereinnahmung fort, die intern auch das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und des Misstrauens gegenüber den Gemeindemitgliedern und Fremden in Kauf nahm. Die kollektive Haftung blieb Bestandteil des neuen teilstaatlichen Kontrollsystems, das in seinen Ausführungsvorschriften eng an die Vorgaben des staatlichen Provinzial-Finanz-Departements gebunden wurde.422 Die Kommission sollte sich aus einem gewählten Magistratsmitglied, einem staatlichen „Policeyofficianten“ und einer Anzahl jüdischer Assessoren zusammensetzen, die sich als „im Dienst stehende Offizianten“ zu verstehen hatten (§ 4). Eine Besoldung war nicht geplant (§ 5). Nach dem Gesetz sollte die Kommission mit ausgedehnten Befugnissen ausgestattet werden. Sie besaß das Recht, Personen vorzuladen und zu ihrer wirtschaftlichen Existenz zu befragen.423 Darüber hinaus verfügte sie über die Autorität und Macht einer Passbehörde (für inländische und zugereiste Juden),424 die auskunftspflichtig gegenüber Anfragen der staatlichen Criminal-Gerichte (auch betreffs bereits etablierter und naturalisierter Familien) war.425 Außerdem sollte sie mit Hilfe der Attestierungen die Führung von festen Familiennamen überprüfen.426 Die Kommission sollte ein beschränktes Exekutivrecht erhalten und körperliche Strafen, und Bußgelder zu
421 N.C.C., Bd. 11 (1801–1805), Nr. 43, Sp. 404. 422 Die Kommission war der übergeordneten Hauptzensurkommission (§ 6) und dem Provinzial-Finanz-Dep. unter Aufsicht eines Deputierten der Kriegs- und Domänenkammer verantwortlich. In nochmaligen dreizehn Paragrafen zu den Anweisungen und Ausführungsvorschriften wurde die Anbindung an die staatliche Kontrolle durchaus deutlich. Siehe dazu N.C.C., Bd. 11, Nr. 43, Sp. 405ff. 423 Die Kommission sollte zukünftig die Aufsicht über das Verhalten der Provinzjudenschaft führen, um zu erkennen, „wer seinen Unterhalt auf nicht erlaubte Art“ erwarb (§ 6). Verdächtige Personen waren auf Verdacht hin zu überwachen, auch wenn keine vorherige Strafe die Maßnahme begründete (§ 24). Allerdings sollte der Verdächtige im Fall der erwiesenen Unschuld aus dem schriftlichen Verzeichnis gestrichen werden (§ 26). 424 Fremden Einreisenden waren Aufenthaltsscheine auszustellen (§ 6). Erlaubnisscheine für Handlungsdiener und Gesinde sollten bei Verlängerung der maximal vierwöchigen Frist überprüft werden (§ 6). 425 N.C.C., Bd. 11, Nr. 43, § 27. 426 Ebd. §§ 32f.
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Gunsten des Potsdamschen Waisenhauses verhängen dürfen.427 In den Provinzen ohne Kommissionen sollten die Gastwirte und Schänker Meldezettel für die reisenden Juden ausfüllen, der Polizei Mitteilung machen und im Falle eines Vergehens unbedingte Auskunft erteilen (§ 36). Zur Kategorie der Förderung der Individualisierung und der rechtlichen Angleichung sind die folgenden Anweisungen an die Kammern und an bestehende nichtstaatliche Institutionen/Körperschaften zu zählen, die die rechtliche Benachteiligung für wenige, in der Mehrzahl privilegierte jüdische Einwohner aufhoben, ohne die Sondergesetzgebung für Juden allgemein zu verändern. In diesen Fällen wurde die rechtliche Gleichstellung von jüdischen Personen und Körperschaften nicht den Stadt-, Zunft- oder Körperschaftsrechten überlassen, sondern eng an die staatlichen Entscheidungsorgane gebunden. Gedacht ist hier an Art. 17 der Declaration des Privilegiums der Kaufmannschaft von der Materialhandlung zu Berlin (20. September 1803), in der es wie folgt heißt: Von der Bestimmung der höheren Finanzbehörde wird es künftig abhängen, ob die mit den Rechten christlicher Kaufleute angesetzten Schutzjuden in die Gilde aufgenommen werden sollen oder nicht, auch kann die Gilde den zur christlichen Religion übergegangenen Juden nach erhaltener Befreyung von den zünftigen Lehr- und Dienerjahren die Aufnahme nicht verweigern.428
In einem Zirkular an die Landesjustiz- und Pupillen-Collegia (23. November 1803) wurde in ähnlicher Form, aber in ausschließlicher Ansprache an die Untertanen jüdischer Religion bestimmt, dass es „ihnen frey stehe über ihren Nachlaß, von Todes wegen, sowohl in Absicht der Form als dem Inhalte nach, ebenso und nach den Gesetzen zu verfügen, welche den übrigen Unterthanen zur Richtschnur vorgeschrieben sind […].“429 Vergleichbar verfuhr man in einem Reskript an das Berliner Kammergericht (3. März 1804), veranlasst durch die Anfrage des Vorstehers des hiesigen jüdischen Lazaretts,430 in dem im Sinne einer rechtlichen Gleichbe427 Ebd. §§ 6 u. 31. 428 N.C.C., Bd. 11, Nr. 50, Sp. 1889. 429 N.C.C., Bd. 11, Nr. 65, Sp. 1937. 430 Siehe zur Geschichte des Jüdischen Krankenhauses auch Murken, Axel H.: Vom Armenhospital zum Großklinikum. Die Geschichte des Krankenhauses vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Köln 1988; Philipsborn, Alexander: Zur geschichtlichen Entwicklung des jüdischen Krankenhauswesens. In: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik 6 (1936), S. 81–87; Rürup, Reinhard: Jüdische Geschichte in Berlin, Bd. 1. Berlin 1995. Brandt, Siegfried: Die Wohlfahrtseinrichtungen der Jüdischen Gemeinde Berlin. Diss. Köln 1923. Landau, Richard: Geschichte der jüdischen Ärzte. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin. Berlin 1895. Hartung-v. Doetinchem, Dagmar/Winau, Rolf (Hrsg.): Zerstörte Fortschritte. Das jüdische Krankenhaus in Berlin. 1756– 1861–1914–1989. Berlin 1989. Siehe auch S. 142f.
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handlung entschieden wurde. Im Umgang mit dem Nachlass Verstorbener sollte das jüdische Krankenhaus nach denselben Maßgaben verfahren, nach denen sich auch die Berliner Charité zu richten hatte. Das Reskript bestimmte wie folgt: In Absicht des Verkaufs der, von den in dem hiesigen Juden-Lazareth verstorbenen Kranken, nachgelassenen Effecten wollen wir Euch zur Resolution nicht verhalten: dass bei dieser Anstalt das vornehmlich Anwendung findet, was der Charité deshalb durch die Verfügung vom 11. July 1801 zugestanden worden.431
Für die Finanzierung der Lazarette war dies eine überlebensnotwendige Frage. Die Charité finanzierte sich in einer Form der Mischfinanzierung aus Zinsgeldern, Bargeldern, Vermächtnissen, Sachspenden, Geldern aus der Armenkasse, staatlichen Deputaten an Holz und kostenlosen Baumaterialen, Medikamenten aus der Hofapotheke, Geldstrafen von Steuersündern und direkten Revenuen aus erweiterten Gebührenordnungen, z. B. für Geburts- und Lehrbriefe ebenso wie durch Einnahmen aus Grundbesitz in Schlesien.432 Nach Ludwig Geiger erhielt die Charité auch jährliche Einnahmen von 10.000 Thalern (1798) aus der Lotteriekasse und wurde nach öffentlicher Kritik an der Ausstattung u. a. mit neuer Wäsche versorgt.433 Nach den Angaben bei Lisco hatten alle aufgenommenen Kranken die angefallenen Kosten selbst zu zahlen. Die einzigen Kosten, die von der Charité selbst getragen wurden, beglichen den Unterhalt und die pflegerische bzw. ärztliche Versorgung der aufgenommenen Armen.434 Das 1756 gegründete 431 N.C.C., Bd. 12, Nr. 5 (1804), Sp. 2129. Zur Charité: Ein Jahr bevor die Pest in Ostpreußen erlosch, wurde das als „Pesthaus“ (isolierte Unterbringung der Erkrankten) geplante Haus fertiggestellt (1710). In Ostpreußen starben nach Schätzungen ca. 200.000 Menschen (etwa 30 % der Bevölkerung). Berlin und Brandenburg blieben von der Pest verschont. Die leer stehenden Räume wurden zur Unterbringung von Hospitaliten, also alten und gebrechlichen Menschen, Obdachlosen und Bettlern sowie als Ausweich-Lazarett der Berliner Garnison genutzt. Voraussetzung zur Aufnahme war ein Armutszeugnis, ausgestellt vom Gemeindeprediger, das die eigene und familiäre Armut attestierte. 1726 wurde neben dem Hospital auch ein ständiges Lazarett für Bürger und Soldaten eingerichtet. Ein Jahr später erfolgte die Namensgebung „Charité“ durch Friedrich Wilhelm I. Siehe zu weiteren Untersuchungen auch David, Heinz: … Es soll das Haus Charité heißen. 2 Bde. Hamburg 2004. Fischer, Ernst-Peter: Die Charité. München 2009; Frevert, Ute: Krankheit als politisches Problem 1770–1880: Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung. Göttingen 1984. 432 Siehe zur frühen Geschichte der Charité: Marz, Ilona: Das Charité-Lazareth (1710–1790). In: Bleker, Johanna/Hess, Volker (Hrsg.): Die Charité. Berlin 2010, S. 18–43. Schenkungen erhielt die Charité u. a. von den Familien v. Arnim, v. Wartensleben und Negelin. Siehe dazu Lisco, Berlin, S. 195. 433 Geiger, Ludwig: Berlin. 1688–1840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt, Bd. 2. Berlin 1895, S. 114. 434 Lisco, Berlin, S. 195.
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Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde wurde nach Johann Georg Krünitz (1784) mit Gemeindegeldern und – zum größten Teil – von einer Gesellschaft von Mitgliedern finanziert, die „für die Pflege der Kranken aus der Gemeine überhaupt Sorge [trug]“.435 Wie Jessica Jacoby über Anfänge und Entwicklung der jüdischen Krankenpflege in Berlin schreibt, versuchte man die Finanzierung durch Gemeindezuschüsse, die Spenden reicher Gemeindemitglieder,436 die Spendenaufrufe der „Chewra Bikur Cholim“437 und die Abgabenleistung fremder Kaufleute, die den Markt besuchten, zu erweitern und zu sichern.438 Ein 1803 gestarteter Spendenaufruf anlässlich der Säkularisierungsfeier erbrachte 16.000 Thaler und wurde zum Grundstock des Jubelfonds der Krankenpflegegenossenschaft. Vier Jahre später besaß das Krankenhaus aufgrund des Fonds erstmals eine finanzielle Basis. Im ALR439 war in der Frage der Nachlassansprüche von Armen- und anderen Versorgungsanstalten (Hospitälern, Waisen- und Findelhäusern) kodifiziert worden, dass die verpflegende Anstalt ein Sukzessionsrecht440 in Bezug auf den Nachlass der verpflegten und verstorbenen Person besitzen sollte. Dieses 435 Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, 31. Theil (1784), S. 373f. Krünitz lobte die Pflege und die ärztliche Versorgung. 436 Siehe dazu auch die bereits erwähnte J. Jacoby, Anfänge, S. 28–67, S. 37ff. Wohlhabende Mitglieder wie Veitel Ephraim, Hirsch David und Itzig Riess spendeten große Summen für den Neubau des Lazaretts. Zu den späteren Spendern gehörte der Rentier Liepmann Meyer Wulff (1818), der 300 Thlr. jährl. für das Krankenhaus zur Verfügung stellte. Lisco, Berlin, S. 402. Medizinischer Leiter war ab 1760 Benjamin de Lemos (1711–1789). Sein Nachfolger wurde 1779 sein Schwiegersohn Marcus Herz (1747–1803). Zu den bekanntesten Ärzten zählte auch Marcus Elieser Bloch (1723–1799) und zu den Unterstützern und ersten Finanzverwaltern gehörte u. a. David Friedländer. Staatliche Zuständigkeit besaß als Berliner Behörde das Polizeipräsidium. 437 In den Gemeinden gab es verschiedene Gesellschaften, die sich zu einem speziellen Zweck in kollektiver Form verbanden und Aufgaben der Wohltätigkeit organisierten und ausführten. Den Armen, Kranken und Toten Wohltaten oder Ehre zu erweisen, galt als religiöse Pflicht und gute Tat. Der „Gesellschaft der Krankenbesucher“ (1703) gehörten Männer wie Frauen an, die Krankenbesuche und die Versorgung mit Nahrung übernahmen, Spenden sammelten und die Finanzierung zum Teil aus eigenen Mitteln leisteten. In der ersten Einrichtung des Lazaretts, dem Heqdesh in der Oranienburger Straße, war dies nach Jacoby nicht mehr der Fall, und die Pflege und Versorgung wurde in getrennt geschlechtlichen Vereinen organisiert und ausgeführt. Nach Brigitte Scheiger übernahm die Gesellschaft folgende Aufgaben: Einweisung der Kranken, Kontrolle der Pflege, Bezahlung der Ärzte, der Pfleger/-innen und der Medikamente. Um 1786 zählte die Gesellschaft etwa 100 Mitglieder und die Mitgliedschaft besaß hohen Prestigecharakter. Siehe dazu Scheiger, Juden in Berlin, S. 273. 438 Jacoby, Anfänge, S. 28–67, S. 40. 439 Siehe dazu ALR, 2. Teil, 19. Tit., §§ 50ff. 440 Es handelt sich hierbei um eine Rechtsübertragung, die durch eine Form des abgeleiteten Rechts eine Rechtsnachfolge (Sukzession) in Einzelsachen, so z. B. bei der Vermögensübertragung, zur Folge haben konnte. In diesem Fall konnte damit ein Rechts- bzw. Anspruchsverlust der Erben begründet werden. Siehe dazu Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 905.
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Erbrecht konnte sich auf den gesamten Nachlass erstrecken, wenn die Person keine ehelichen Nachkommen oder eine Ehefrau hinterließ, denen in diesem Fall ein Pflichtanteil zustand. Für die Pflege und Versorgung konnte die Institution auch nachträglich die verwendeten Kosten aus dem Vermögen oder dem Nachlass des Verstorbenen zur Begleichung der Schuld beanspruchen. Für das Vermögen der Anstalten (auch für Werk- und Arbeitshäuser) galten dieselben Rechte wie für die Kirchengüter (ALR, 2. Teil, 11. Titel, 4. Abschnitt), d. h. das Vermögen stand unter der Oberaufsicht und Direktion des Staates. Geschenke und Vermächtnisse in einem Wert von über 500 Thalern durften ohne Einwilligung des Staates nicht angenommen werden.441 Als eine Gesetzgebung, die ein individualisiertes Entscheidungsrecht für jüdische Inländer installierte, kann das folgende Gesetz verstanden werden, auch wenn sich dahinter ein deutliches politisches Interesse an der Loslösung des Individuums von den jüdischen Ritualgesetzen offenbarte. Das Reskript an das Kammergericht zur Anfrage, ob ein Schutzjude selbst entscheiden dürfe, ob er entweder nach dem Ritualgesetz oder nach dem preußischen Landrecht behandelt werden wolle, hatte Justizminister Goldbeck bereits positiv im Sinne eines Anspruchs auf eine Entscheidungsfreiheit beantwortet.442 Diese Entscheidung ging auf eine KO vom 17. Juli 1804 zurück, nach der ebenfalls dafür gesorgt werden sollte, dass „zur Bekanntmachung dieser Unserer allerhöchsten Willensmeynung an die hiesige Judenschaft das Nöthigste zu verfügen [sey]“.443 Ein Gesetz, das für die jüdische Bevölkerung in den annektierten ehemals polnischen Landesteilen Bedeutung hatte und mit den preußischen Bestrebungen korrespondierte, den Zuzug vom Land in die Städte zu forcieren, sah die Abschaffung des Privilegs der „judenfreien“ Städte vor. Knapp fünf Jahre nach der Einführung des Reglements (1797) hatte die preußische Regierung das „ius den non tolerandis iudaeis“ für Städte und Gewerke der Provinzen Süd-, West- und Neuostpreußen aufgehoben (6. Februar 1802). Art. 1 bestimmte: 441 In diesem Sinne ist wahrscheinlich auch § 200 zu interpretieren, der wiederum festlegte, dass Geschenke und Vermächtnisse der toten Hand nur für Summen bis zu 500 Thlrn. vom Staat genehmigt würden: „Dergleichen Geschencke oder Vermächtnisse zur todten Hand können nur in so fern auf die Genehmigung des Staates Anspruch machen, als sie die Summe von fünfhundert Thalern nicht übersteigen.“ ALR, 2. Teil, 19. Tit., §§ 50f. 442 Siehe zur Auslegung der KO auch das Schreiben von Minister Goldbeck an das Obergericht zu Stendal. Gemeint sind in diesem Fall alle Verbindlichkeiten, die aus den Zeremonien, Gebräuchen, Religions- und Kirchensachen abzuleiten waren. Konkret betraf das alle Handlungen unter Juden, Eheverträge und Festlegungen der Erbfolge, die ausschließlich nach dem jüdischen Gesetz geregelt werden sollten. Goldbeck berief sich auf das Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 30 und 31. In: N.C.C., Bd. 12 (1806–1810), Sp. 67. 443 N.C.C., Bd. 11.2 (1803–1806), Nr. 39, Sp. 2635f.
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Auf Privilegien der ehemals Pohlnischen Regierung, wodurch einigen Städten und Zünften in Süd- und Neuostpreußen das Recht beygelegt war, Juden nicht aufzunehmen, oder an ihrem Gewercke nicht Theil nehmen zu lassen, soll durchaus keine Rücksicht genommen werden. Wir entziehen denenselben hierdurch alle rechtliche Kraft, heben sie auf, und verbiethen unsern Dicasterien und Gerichten, daraus Klagen zu verstatten oder Rechte zu gewähren.444
Der folgende Artikel legte die Entscheidung über die Zulassung zu Gewerken und zur Ansiedlung in Städten ausschließlich in die Befugnis der Landes- und Polizeiobrigkeit. Die Ausführung dieser Anordnung wurde jedoch durch die Kontrollinstanzen relativiert. In Art. 2 der Verordnung hieß es, dass die Bestimmung, in welchen Städten und zu welchen Gewerben, Künsten und Handwerken Juden zugelassen werden sollten, „im Ermessen der Landes- und Polizeiobrigkeit“ stehen sollte.445 Es handelte sich nach dieser Absicht deutlich um eine Verlagerung der Entscheidung zum Zuzug und Erwerb der jüdischen Untertanen hin zu den preußischen Kammern und weg von den ehemals erworbenen Stadt- und Gewerksrechten der mediaten wie immediaten Städte. Adressaten der Gesetzgebungen waren die Städte und Zünfte und in ihrer Vertretung die Finanz- und Justizbehörden, die Magistrate und Gerichte. Damit erfolgte keine Gesetzgebung, die den freien Zuzug und die freie Wahl des Gewerbes und der Ansiedlung etablierte. Der Maßstab blieb das Reglement von 1797. An dieser Stelle muss auch das neue Städterecht, entstanden durch die Initiative von Minister Stein446 genannt werden, das zwar erst nach Schroetters erstem Reformentwurf publik wurde, aber Teilen der jüdischen Stadtbevölkerung bereits vor dem Edikt von 1812 das Bürgerrecht zuerkannte. Regional beschränkt hatten erste neue Formen der politischen Beteiligung des Bürgertums an der Arbeit des Magistrats bereits im städtischen Comité administratif (7. November 1806)447 während der Franzosenzeit im besetzten Berlin stattgefunden. Diese Arbeit war nicht mit dem Abzug der französischen Truppen (3. Dezember 1808) 444 N.C.C., Bd. 11.1 (1801–1803), Sp. 763. 445 Ebd. 446 Siehe zu Heinrich Friedrich Carl, Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831) Anlage 2: Biografien. Siehe auch Straubel, Handbuch, Bd. 2, S. 975, und Pertz, Georg Heinrich: Aus Steins Leben, 2 Bde.: Bd. 1 (1757–1814) und Bd. 2 (1814–1831). Berlin 1856. Siehe ebenfalls Bd. 1 der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe. Bearb. v. Erich Botzenhart und neu herausgegeben von Walther Hubatsch. Stuttgart 1959. 447 Siehe dazu Clauswitz, Paul: Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin. Berlin 1908, S. 36–53, und Jersch-Wenzel, Stefi: Jüdische Bürger und kommunale Selbstverwaltung in preußischen Städten.1808–1848. Berlin 1967. Auf Anordnung Napoleons (1806) hatten die 2.000 wohlhabendsten Bürger Berlins sechzig Personen zur Mitarbeit in die Verwaltungsbehörden zu wählen. Diese sechzig wählten sieben Mitglieder in den engeren Verwaltungsrat der Stadt, in dem
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beendet worden, sondern erst ein halbes Jahr nach dem Erlass der Städteordnung mit der feierlichen Vereidigung (8. Juli 1809) der gewählten Magistratsmitglieder, zu denen auch David Friedländer und Ferdinand Delmar gehörten.448 Die Mitarbeit im Comité hatte in erster Linie der Organisation der Einquartierungen, der Verpflegung der französischen Armee und der Aufbringung der Kontributionsleistungen gegolten.449 Dazu bemerkte Clauswitz, dass bereits unter der Verwaltung des Comités administratif „der Unterschied zwischen Bürgern und Eximirten verschwunden war und alle Einwohner gleichmäßig nach ihren Kräften die Lasten trugen und sich den Anordnungen der Stadtbehörde fügen mußten“.450 Bis zu diesem Zeitpunkt (1806) existierte weder eine Beteiligung an den Geschäften des Magistrats noch ein Beschlussrecht der knapp 13.000 Berliner Bürger, die weniger als ein Zehntel der insgesamt über 155.000 städtischen Einwohner ausmachten, über die Art der Verwaltung durch den Berliner Magistrat.451 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte die Berliner Bürgerschaft nach den Beurteilungen von Friedrich v. Raumer (1828) wegen der „Allmacht“452 der Magistrate, die sich als einseitige und eigennützige Gegner verhielten oder wahrgenommen wurden, kaum politische Ambitionen entwickelt. So dass sich
folgend ein Buchhändler, zwei Maurermeister und drei Kaufleute vertreten waren. Siehe dazu auch Clauswitz, Städteordnung, S. 45, und Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 26ff. 448 Clauswitz, Städteordnung, S. 105ff. Nach den Bestimmungen zum neuen Städterecht hatte zuvor die Wahl von 102 Stadtverordneten stattgefunden. Die erweiterte Repräsentantenschaft der Berliner Bürgerschaft arbeitete nach der Direktive des königlichen Kommissars Gruner und bestand aus fünfzehn unbesoldeten und zehn besoldeten Magistratsmitgliedern. Ein Großteil der neuen Magistratsmitglieder hatte bereits im Comité mitgearbeitet. 449 Zu den neu eingerichteten Verwaltungsbüros der städtischen Behörden gehörten 1. Das Generalbureau unter Leitung des Geh. Oberfinanzrates Sack; 2. Das Einquartierungsbureau; 3. Das Verpflegungsbureau; 4. Das Requisitionsbureau; 5. Das Kassen- und Rechnungsbureau; 6. Das Schul- und Armenbureau und 7. Das Petitionsbureau. Das Polizei- und Sicherheitsbureau arbeitete unabhängig vom Comité. Nach Clauswitz beliefen sich die Kosten für die Lieferungen der in Berlin einquartierten Truppen allein auf knapp 4,5 Mio. Thlr. Mit den geforderten Kriegskontributionen brachte die Stadtverwaltung mit ihren Bürgern knapp 7 Mio. Thlr. bis zum Ende des Jahres 1808 auf. Clauswitz, Städteordnung, S. 47. Siehe dazu auch Bassewitz, Magnus Friedrich v.: Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen während der Zeit vom 22. Oktober 1806 bis zum Ende des Jahres 1808, Bd. 1. Leipzig 1851, S. 97ff., und speziell zum Aufgabenbereich des Comitées und den geforderten Leistungen, S. 278ff. Vgl. dazu aber auch die Erlasse und Verordnungen der kommunalen Gesetzgebung, die u. a. in der Spenerschen Zeitung veröffentlicht wurden und aktuell auch im Berlin-Archiv einzusehen sind. 450 Clauswitz, Städteordnung, S. 54. 451 Damit war die Bürgerschaft eine zahlenmäßig „unbedeutende Minderheit“, die für die Stadtgemeinde nicht repräsentativ war. Clauswitz, Städteordnung, S. 10. 452 Raumer, Friedrich v.: Über die preußische Städteordnung. Leipzig 1828, S. 16.
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nach Pertz (1902) auch kein Bewusstsein für das „Wohl der Kommune“453 herausbilden konnte.454 Maßgeblich für die Entwürfe und Denkschriften zur neuen Städteordnung455 waren jedoch nicht die neuen Berliner Verhältnisse oder die Kritik an der Königsberger Verwaltung,456 sondern Bestrebungen zur Beförderung eines politischen Bewusstseins, um Patriotismus und Uneigennützigkeit zu fördern. Die Erlangung des Bürgerrechts sollte über die Befugnisse zum Besitz-, Gewerbe- und Stimmrecht erstrebenswert werden und zur „Erweckung und Veredlung des Bürgersinns“457 führen. Neben diesen ideologischen Zielen sollte mit 453 Pertz, Steins Leben, Bd. 2, S. 149. 454 Unter Friedrich II. (1747) wechselte die Mitgliederschaft im Magistrat jährlich und wurde nicht durch eigenes Vorschlagsrecht, sondern durch die Anordnung des Königs und unter Umgehung der städtischen Handwerker- und der grundbesitzenden Bürgerschaft zusammengesetzt. Bis zur Regentschaft der Nachfolger von Friedrich II. bestand der Magistrat fast ausschließlich aus Juristen. Der vom König ernannte Polizeidirektor wurde zum Stadtpräsidenten. Der Magistrat, der in „Polizeysachen nichts [zu] veranlassen“ hatte, wurde ihm unterstellt. Ab 1795 hörte mit der Einsetzung eines Polizeidirektoriums jede Beteiligung auf. Auch bei Gewerkstreitigkeiten sollte der Magistrat nicht mehr allein, sondern mit dem Polizeidirektorium entscheiden. Die übergeordnete Behörde war das Gen.-Dir. Unmittelbare Weisungsbefugnis besaß der König. Ab 1770 verlor der Magistrat auch seinen Einfluss auf das Stadtgericht und die alleinige Verantwortung für die Ernennung der Stadtrichter. Das betraf im Fall der betroffenen Delinquenten nur die tatsächlichen Bürger Berlins. Die übrigen Einwohner unterstanden dem Kammergericht, dem Hausvogteigericht, dem Justizamt Berlin, dem französischen Coloniegericht und den Militärgerichten. Siehe dazu Clauswitz, Städteordnung, S. 24ff., S. 25. Siehe zum Einfluss auf die Unterstützung der städtischen Armen auch Gädicke, Johann Christian: Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend: Enthaltend alles Merkwürdige und Wissenswerthe von dieser Königsstadt und deren Gegend. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde. Berlin 1806. 455 Siehe dazu die zitierten Gutachten bei Clauswitz, Städteordnung, S. 60ff. Als erweiterte Vorlage diente u. a. die französische Municipalverfassung (1789), die in der Denkschrift des Königsberger Beamten Frey an zwei Punkten wörtlich zitiert wurde. Siehe dazu Lehmann, Stein, Bd. 2, S. 452. 456 Siehe dazu auch die Denkschrift des Königsberger Beamten Frey, die Stein 1808 vorlag und in der Missstände in der Verwaltung detailliert aufgeführt wurden. Zur Abhilfe empfahl Frey eine repräsentative Vertretung der Bürgerschaft in der öffentlichen Verwaltung mit im Wesentlichen beratender und kontrollierender Funktion und die Wahl eines Magistrats aus der und durch die Bürgerschaft. Das Bürgerrecht sollte nicht allen Stadtbewohnern zugestanden werden. Juden, Erbuntertänige und Kantonisten sollten nur im geprüften Einzelfall das Bürgerrecht erhalten. Die Gutachter, die die Denkschrift Freys kommentierten, waren: Klewitz, Altenstein, Stägemann und Schön. Den maßgeblichen Entwurf lieferte der spätere Staatsrat und Mitarbeiter Schroetters, Kriegs- und Domänenrat Wilcken. Siehe dazu auch die Denkschrift: Über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der preußischen Monarchie, besser bekannt als „Nassauer Denkschrift“ Steins (Juni 1807). Gedr. in: Freiherr-vomStein-Gedächtnisausgabe: Briefe und amtliche Schreiben. Bearbeitet von Erich Botzenhart, neu herausgegeben von Walter Hubatsch, Bd. 2.1 (1804–1807), Stuttgart 1959, S. 380–403, S. 389f. 457 Frey an Minister Schroetter (28. August 1808). Zit. n. Clauswitz, Städteordnung, S. 79.
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der Beteiligung von bürgerlichen Nichtbeamten als ständische Repräsentanten in der städtischen Verwaltung auch das eher pragmatische Ziel der Senkung der Verwaltungskosten erreicht werden.458 Dass als Nebenziel auch eine Form der „Volksrepräsentation“459 in den provinzialen, staatlichen und städtischen Behörden angestrebt wurde, um damit der Stagnation in der Beamtenschaft entgegenzuwirken, fand in den angefertigten Gutachten und Stellungnahmen der zuarbeitenden Beamtenschaft und den Voten der Kollegien keine Zustimmung.460 Nach der Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion, behuf der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsmäßigen Versammlungen“ (19. November 1808)461 sollte unter Tit. III, § 16 in jeder Stadt nur noch ein Bürgerrecht existieren: „Der Unterschied zwischen Groß- und Kleinbürgern und jede ähnliche Abteilung der Bürger in mehrere Ordnungen wird daher völlig aufgehoben.“462 Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse sollten zur Gewinnung des Bürgerrechts keinen Unterschied begründen (§ 19). Einschränkungen galten für Kantonisten, Soldaten, Minderjährige und Juden, denen das Bürgerrecht nur unter den vorschriftsmäßigen Bedingungen zugestanden wurde. Im Fall der etablierten naturalisierten jüdischen Hausväter und selbstständigen Kaufleute war die Erlangung des Bürgerbriefes kein administratives Problem.463 458 Vgl. dazu Stein in der Naussauer Denkschrift über die Wichtigkeit, in der Provinzial- und Municipalverfassung Verrichtungen an „Eigentümer aller Klassen“ zu übergeben, die ansonsten besoldete Beamte ausführen müssten. Zit. n. FSGA, Nassauer Denkschrift, S. 391. In Bezug auf die städtischen Wahl-Magistrate spricht Stein von einem „Nachteil der besoldeten Kollegien“, an deren Stelle man einen Magistrat aus der „mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft“ ohne Gehalt setzen könnte. Ebd. Auch in Steins „Plan zu einer neuen Organisation der Geschäftspflege im preußischen Staate“ (November/Dezember 1807) war der Grundsatz, Nichtbeamte in die Verwaltung einzuführen, formuliert worden. In: FSGA, Nassauer Denkschrift, S. 391. Aus der Denkschrift Freys geht hervor, dass rechtskundige, gelehrte und wohlhabende Bürger für die Ämter vorgesehen wurden. Clauswitz, Städteordnung, S. 73. 459 Die Formulierung stammt aus der Beauftragung von Minister Stein für Minister Schroetter (27. Juni 1808) zur Anfertigung der Entwürfe für die Kammern, Kreisbehörden, Magistrate und das Schulzenwesen. Gedr. bei Pertz, Steins Leben, Bd. 2, S. 670ff. 460 Nach den Recherchen von Clauswitz lässt sich anhand verschiedener Gutachten und Denkschriften deutlich feststellen, dass das Zutrauen in die Arbeit von fachfremden Magistratsmitgliedern fehlte. Im Fall der Berliner Bedingungen äußerte sich die Skepsis auch in der Frage der Bezahlung für die Arbeit im öffentl. Dienst. Clauswitz, Städteordnung, S. 108. 461 N.C.C., Bd. 12 (1806–1810), Nr. 57 (1808), Sp. 471ff. 462 N.C.C., Bd. 12, Nr. 57, Sp. 475. 463 Insgesamt ergibt sich aus den Aufzeichnungen von Jacobson für das Jahr 1809 die Zahl von ca. 283 eingebürgerten jüdischen Einwohnern der Stadt Berlin, unter denen sich auch mindestens drei Frauen befanden. In den Jahren bis 1812 sollen nach den Angaben bei Jacobson insgesamt 330 Juden das Bürgerrecht erhalten haben. Der weitaus größte Teil hätte demnach im
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Nach einer kurzen Notiz bei Clauswitz erfuhr der Magistrat allerdings erst in einer späteren Konferenz mit Kommissar Gruner (28. März 1809), „dass die ansässigen Juden verpflichtet seien, Bürger zu werden, und es den übrigen Schutzjuden freistehen sollte“.464 Ein Verweis auf eine aktuelle Reform des Judenwesens erfolgte im Text zur neuen Städteordnung nicht. Nach der Auffassung des preußischen Königs sollte die Städteordnung jedoch „den Anfang zur Regelung des Verhältnisses der jüdischen Nation [bilden]“.465 In den bisher genannten Beispielen wurde die Tendenz zur Angleichung, Individualisierung und zur ausschließlich staatlich autorisierten Entscheidung in der Frage der Etablierung und der Zulassung zu den Zünften deutlich. Gleichfalls sollten in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III. auch Rechtsentscheidungen aus der Ära von Friedrich Wilhelm I./Friedrich II. weiterhin für rechtlich verbindlich erklärt werden, aber – mit dem Hinweis auf eine aktuell noch andauernde Reformarbeit – als nicht mehr zeitgemäße und zukünftig zu reformierende Gesetzgebung gekennzeichnet werden.466 Die Verordnung vom 8. Juli 1805467 betraf als ausschließlich kollektives Gesetz wiederum alle Mitglieder der jüdischen Einwohnerschaft. Nach diesem Reglement, einer Revision eines Urteils des Berliner Kammergerichts,468 hatten Schutzjuden kein Recht auf die Zulassung zum Armenrecht, also auf einen Erlass der Prozesskosten im Fall eines gerichtlichen Verfahrens: Dieser Meynung [des Kammergerichts, Anm. d. Verf.] können wir jedoch nicht beypflichten, da die in der Resolution an die Ältesten vom 17. Juli 1797 enthaltenen Gründe, weshalb es für Jahr 1809 den Bürgereid geleistet. Siehe dazu auch die Liste der Hausväter, die in den Jahren von 1792 bis 1809 naturalisiert wurden (18), und die Liste der durch die Städteordnung erklärten Bürger in den Jahren von 1809 bis 1846 (1.393). Jacobson, Judenbürgerbücher, S. 31. Die nach den Befreiungskriegen zugewanderten Neubürger besaßen das Bürgerrecht teilweise aus ihren alten Heimatstädten und kamen über bestimmte Zwischenstationen nach Berlin. Jacobson, Judenbürgerbücher, S. 34f. Siehe zum obligatorisch geforderten Ableisten des Bürgereides auch den folgenden Teil dieser Arbeit. 464 Clauswitz, Städteordnung, S. 103. 465 KO an Minister v. Dohna (18. August 1809). Zit. n. Jacobson, Judenbürgerbücher, S. 9. Einzusehen in: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Nr. 39. 466 Gedacht ist hier an die Ausdehnung der Haftung in solidum im Fall des Diebstahls durch Haus- und Hofangestellte, die von der Kurmärkischen Kammer (25. März 1800) und dem Kammergericht (31. März 1800) zu den tolerierten und damit auch zu den Falliten gezählt wurden. Mit der vormals beschriebenen Aufhebung der Haftung bei Diebstahl und Hehlerei entfiel auch diese Form der kollektiven Haftung. 467 N.C.C., Bd. 11.2 (1804–1806), Nr. 41 (1805), Sp. 2963f. 468 Das Berliner Kammergericht hatte entschieden, dass auch ein „durch unverschuldete Unglücksfälle verarmter Schutzjude, wenn er sich nach der Prozessordnung Teil 1‚ vom gerichtlichen Verfahren im ordentlichen und gemeinen Prozesse, Tit. 23, § 31 gehörig qualifiziere“ zu diesem beneficio zugelassen sein sollte. Ebd.
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bedenklich gehalten worden, die bisherige Observanz in Absicht des den Partheyen der jüdischen Nation versagten Armenrechts aufzuheben, noch gegenwärtig subsistiren, und muß es dabei um so mehr sein Bewenden behalten […].469
Das bedeutete im konkreten Fall die Eigenfinanzierung der Gebühren des Gerichts und der Assistenzräte, der auswärtigen Kammern, der baren Auslagen, der Reise- und Zehrungskosten der Zeugen, der Kosten für die Korrespondenz und der Reise- und Zehrungskosten der Prozesspartei selbst.470 In der preußischen Prozessordnng 1. T., 23. Tit., §§ 23ff. hieß es, dass nur derjenige Anspruch auf das Armenrecht erheben konnte, der weder ruhende noch fahrende Habe besaß, keine Schuldaußenstände hatte, von seiner Profession nur den notdürftigsten Unterhalt verdiente, Atteste über seine Vermögensumstände beibringen konnte (ausgestellt von der Gerichtsobrigkeit, glaubwürdigen Personen oder vom Prediger des Ortes), Angaben über seinen persönlichen und familiären Status machte und dieses Protokoll ordentlich zum Vortrag brachte. In diesem Fall sollten ihm keine Prozesskosten abgefordert werden. Eine Restitution der bereits geleisteten Kosten war nicht möglich, ein Erlass von zukünftig noch zu zahlenden möglich. Die erlassenen Kosten durften nicht der Gegenpartei aufgeschlagen werden.471 Das Armenrecht beinhaltete keinen Rechtstitel auf staatliche Unterstützung im Sinne einer Fürsorgepflicht oder einer Armenpflege. In der Frage der Einklagbar469 N.C.C., Bd. 11.2 (1804–1806), Nr. 41 (1805), Sp. 2963f. 470 Siehe zur Geschichte bzw. zu den Ursprüngen und den Entwicklungen des Armenrechts aus der frühen Römischen Rechtsgeschichte auch Schott, Richard: Zur Geschichte des Armenrechts. Breslau 1899. Die Entwicklung beginnt von der unentgeltlichen Rechtsprechung, zu der der Staat bei den Armen verpflichtet war und die die Advokaten als Ehrendienst leisteten, bis zum Sportelwesen, zur Bezahlung durch den Vermögenden und den Prozessgewinner, zur Stundung der Gebühren für die Armen, zum Armeneid mit den entsprechenden Zertifikationen bis zur Bestrafung von scheinbar mutwillig verursachten Prozessen von Armen. 471 Die neue Prozessordnung (1781) basierte auf dem Grundgedanken, dass die Rechtsprechung Aufgabe des Staates sei und die dafür bestellten Bediensteten eine entsprechende Ausbildung, Bezahlung und Dienstmoral zu besitzen hätten. Die Gesetze sollten in verständlicher Sprache geschrieben werden, ohne „Dunkelheit und Zweideutigkeit“ und in vollständigen Sammlungen erscheinen. Bei Zweifeln und Mängeln an den Gesetzen sollte die Gesetzkommission „in Rücksicht auf den Sinn und die Absicht der übrigen Gesetze“ und unter dem Vorsitz von Minister Carmer eine Veränderung oder einen Zusatz prüfen und dem König Bericht darüber erstatten. Siehe dazu die KO, „die Verbesserung des Justizwesens betreffend“(14. April 1780) an Minister Carmer. Gedr. in: Corpus Iuris Fridericianum. Berlin 1781, S. 3f. Nach T. 1, 23. Tit, § 26 der preußischen Prozessordnung hieß es: „Auf das Armenrecht kann nur derjenige Anspruch machen, welcher weder an liegenden Gründen, noch fahrender Habe, noch ausstehenden Schulden so viel besitzt; noch auch in seinem Amte, Profession oder Gewerbe so viel verdienen kann, daß ihm, nach Abzug des nothdürftigen Unterhalts für sich und die seinigen, annoch etwas zur Bestreitung der Prozeßkosten, nach einem ohngefähren Überschlage derselben, frey bleibt.“
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keit einer Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Einwohnern, unabhängig vom religiösen Bekenntnis und der Herkunft, war die Antwort für alle betroffenen Bewohner des Landes relativ eindeutig.472 Nach den Grundprinzipien zur preußischen Armengesetzgebung, wie sie fünfzig Jahre später noch in den Plenar-Beschlüssen des königlichen Obertribunals (1853) formuliert wurden, sollte kein Rechtsanspruch auf eine Form der Fürsorge des Staates gegenüber seinen Bewohnern bestehen.473 Die Gewährung einer Unterstützung blieb den Substituten überlassen. Der Gedanke, dass das Armenrecht als Akt der Wohltätigkeit und Liebespflicht verstanden werden sollte, das nicht vor einem säkularisierten Gericht verhandelt und erstritten werden konnte, blieb nach Theodor v. Flottwell auch für die moderne Gesetzgebung verbindlich. § 33 des Armengesetzes (31. Dezember 1842) lautete dementsprechend wörtlich: Einen Anspruch auf Verpflegung kann der Arme gegen einen Armenverband niemals im Rechtswege, sondern nur bei der Verwaltungsbehörde geltend machen, in deren Pflicht es liegt, keine Ansprüche zuzulassen, welche über das Notwendige hinausgehen.474
Anders hatten sich dazu Rotteck/Welcker in ihrem Artikel zum Armenwesen in der Enzyklopädie der Staatswissenschaften geäußert. Sie erklärten die Fürsorge
472 Unterstützt wurden 1788 insges. ca. 14.000 Berliner Arme im Maison de Charité, im Koppenschen Armenhaus, im Dorotheenhospital, im Irrenhaus und im Friedrichshospital. Dazu ein Berlin-Besucher (1770), zit. n. Glatzer, Berliner Leben, S. 208: „Überhaupt hat Berlin für einen Fremden, der vom Hamburger, Schlesischen und Kottbussser Tor hereinkommt, ein klägliches Ansehen, denn man findet elende, gestützte Häuser, wüste unbebaute Flächen, große Misthaufen vor den Türen, und die Bewohner tragen das Zeichen der äußersten Dürftigkeit auf ihrer Stirne. Dies gilt auch von der Köpenicker Vorstadt und der Linienstraße, wo man traurige Gruppen des menschlichen Elends antrifft.“ Siehe dazu auch die Schilderungen über die Manufakturarbeiter (1775), die Schilderungen zur Stralauer Vorstadt, und die Menge der Armen oder die Armut der Handwerker (1801) bei Glatzer, Berliner Leben, S. 142ff., 183ff., 206ff., 344ff. 473 In Deutschland wurde die Armenpflege ursprüngl. als religiöse Übung/Pflicht zur Förderung des eigenen Seelenheils oder als Akt der uneigennützigen Nächstenliebe verstanden, bis die Städte zur kontrollierten Aufsicht und temporären Pflege der Armen und Bettler die Schaffung einer „Armenordnung“ auch als kommunale Aufgabe (und Last) ansahen: „Zur Unterstützung war diejenige Gemeinde verpflichtet, in welcher der Arme das Heimatrecht besaß, das durch Abstammung, Aufnahme in den Gemeindeverband oder durch den Aufenthalt einer Reihe von Jahren erworben wurde. Die alte Heimatgemeinde konnte zur Aufnahme des Hilfsbedürftigen solange angehalten werden, als dieser kein neues Heimatrecht an einem anderen Ort erworben hatten.“ Geldern (Ministerialrat in Berlin): „Fürsorge“. In: Drews, Bill/Hoffmann, Franz (Hrsg.): Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung, Bd. 1. Leipzig 1928, S. 587–593, S. 587. 474 Flottwell, Theodor v.: Armenrecht und Armenpolizei. Leipzig 1866, S. 2.
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als Form der organisierten Armenpflege zur Pflicht des Staates.475 Da zur Erreichung des Wohlstands das gleichzeitige Bemühen zur Verhinderung und Aufhebung der Armut notwendig war, musste die Armenpflege damit letztlich zum Staatszweck oder zumindest zum Mittel desselben werden und aus der Verantwortung und ausschließlichen Zuständigkeit der Großkirchen entlassen werden. Hilfen gegen den Hunger und die Armut von Massen sollten in diesem Sinne auch als Prävention vor dem Auflehnen gegen die bestehende Ordnung, gegen soziale Revolten und revolutionäre Bewegungen und die Zerrüttung und Zerstörung des bestehenden Gemeinwesens wirken. Aber ein persönlicher Rechtsanspruch des Armen und Hilfsbedürftigen war nach Rotteck/Welcker aus diesem Staatszweck nicht abzuleiten. Ohne Ironie und mit Sensibilität für soziales Elend konnten auch Rotteck/Welcker den Armen nach dem bestehenden Recht nur das positive Recht zugestehen, sich an die Mildtätigkeit der Mitmenschen zu wenden und auf diese Weise für den notwendigen Lebensunterhalt zu sorgen, weil ein Rechtstitel oder eine staatliche Toleranz gegenüber Bettelnden und um Almosen Bittenden nicht existierte.476 Carl v. Rotteck verwies auf die Verantwortung der Municipalautoritäten und damit auf die Regelungen im ALR.477 Ergänzend zu Preußen schrieb dazu Friedrich Diefenbach: „Der wesentliche Unterschied der Gesetzgebung bestand dabei darin, dass Preußen bei der Unterstützungspflicht von dem Aufenthaltsprinzip ausging, während die Städte und ebenso die süddeutschen Länder und Sachsen das sog. Heimatprinzip zu Grunde legten.“478 Das bedeutete, dass nicht die Heimatgemeinde, sondern der letzte längere Aufenthaltsort, an dem auch Gemeindeabgaben gezahlt worden waren, für die Fürsorge zuständig sein sollte. Für diejenigen Armen, die weder zu einer Gemeinde gehörten, noch Gemeindesteuern zahlten oder für die auch privatrechtlich zum Unterhalt Verpflichtete (Verwandte, Innungen, Gutsherrschaften) nicht existierten, hatte nach dem preußischen ALR der Staat zu sorgen, der diese 475 Rotteck, C. v.: „Armenwesen“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 1. Leipzig 1835, S. 6–21, S. 6ff. Siehe dazu auch Diefenbach, F.: „Armengesetzgebung und Armenpolizei“. In: Elster, Ludwig/Weber, Adolf/Wieser, Friedrich (Hrsg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 1, Leipzig 1923, S. 968ff. 476 Rotteck, Armenwesen, S. 11f. Unter dem Begriff der selbsteigenen Fürsorge beschreibt der Autor folgend das Versicherungswesen, die Mitgliedskassen und die Sparkassen. Staatliche Hilfen sollten durch Versorgungshäuser, Arbeitshäuser und die Abgabe an Naturalien und Kleidung geleistet werden. Ein Hauptteil der Kosten sollte von privaten Stiftungen und kirchlichen Kollekten getragen werden. Das Für und Wider von Armensteuern und Taxen, gezahlt aus der gemeinen Steuerkasse macht auch Rotteck zum Thema. Ebd., 16ff. Siehe dazu auch die bei Rotteck genannten Gründe, die gegen eine Toleranz gegenüber dem Betteln angeführt werden. 477 Siehe dazu auch die bei Rotteck, Armenwesen angegebene aktuelle deutsche, französische und englische Literatur aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. 478 Diefenbach, Armengesetzgebung und Armenpolizei, S. 968.
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Aufgabe später an die provinziellen Landarmenverbände übertrug. Nach den Bestimmungen des ALR, 2. T., 19. Tit., §§ 1–15 sollten sowohl der Staat als auch die privilegierten Korporationen, die Stadt- und die Dorfgemeinden bzw. die Gutsherrschaft für die Armen sorgen. Einen expliziten Ausschluss gab es per Kodifikation nicht. Auch fremde Bettler sollten mit Ausnahmen479 in den Landarmenhäusern aufgenommen werden. Eine Bestätigung dieses Anspruchs findet sich in einem regional begrenzten Edikt für eine Landschaft in der Kurmark. Im Land-, Armen- und Invaliden-Reglement für die U[c]kermarck (19. December 1803)480 fielen die jüdischen Untertanen auch unter das allgemeine Reglement für die 479 Auch fremde Bettler sollten in Landarmenhäusern untergebracht werden, wenn es nicht ratsam schien, sie über die Grenze „zurückzuschaffen“ oder der Zweck, „das Land von ihnen zu befreyen damit nicht erreicht werden“ konnte. ALR, 2. Teil, 19. Tit., § 17. Die Errichtung einer der ersten Armenanstalten in Berlin (1687) mit der knapp zehn Jahre später installierten Armenkasse stand ebenfalls im direkten Zusammenhang mit Erlassen gegen die Bettelei. Siehe auch Akten des Berliner Landesarchivs zum Thema Armenanstalten und Arme ein: Organisation des Armenwesens, Aufgaben der Armendirektion: A Rep. OO3–01. Unter derselben Signatur befinden sich auch Akten zur Armenpflege der hiesigen jüdischen Gemeinde und der christlich konvertierten jüdischen Einwohner: A Rep. 003–01, Nr. 195 u. 201. Im Jahr 1806 waren die Armenanstalten mit knapp 50.000 Thalern verschuldet. Der König erließ die Schuldsumme in einer KO vom 27. 5. 1806. Siehe zum Etat der Armenkasse (1798–1800) Signatur: A Rep. 003–01, Nr. 243, 244. Siehe zur Einrichtung des Armenwesens in Verbindung mit dem Verbot der Bettelei als Armen- und Bettlerordnung: A Rep. 003–01, Nr. 357, 358, und für die Jahre 1665–1698 und 1699–1715; 1716–1757 die Nr. 354–356. Fremde Arme und hiesige mutwillige Querulanten sollten der Armenkasse nicht zur Last fallen. Die Verfügungen ab 1798 sind unter folgender Signatur einzusehen: A Rep 003–01, Nr. 635. Siehe zu den Bittgesuche von armen Familien um Unterstützung durch reiche Familien: A Rep. 003–01, Nr. 77 (ab 1803). Siehe zu den Erlassen zum Armenwesen im Zeitraum von 1561–1806: A Rep 003–01, Nr. 57. Siehe zur Frage der Versorgung von Witwen und Familien von verstorbenen Kommunalbeamten: A Rep. 003–01, Nr. 369. Siehe zur Anstellung der Angestellten der Armendirektion auch die Signaturen: A Rep. 003–01, Nr. 370–376. Zur besseren Organisierung der Armenwächter und zur Abstellung der Straßenbettelei (1785–1798): A Rep. 003–01, Nr. 377. Siehe auch die Verfügung: Bestrafung der Personen und Soldaten, welche die Armenwächter bei der Arretierung der Bettler stören und die Bettler wieder befreien: A Rep. 003–01, Nr. 389. Siehe zum Armenrecht in Prozessangelegenheiten und zu den, bei der Armendirektion zu sonstigem Gebrauch erbetenen, Armuts-Attesten (1794–1817): A Rep. 003–01, Nr. 605. Siehe zur Einrichtung der Armenbegräbnisse, deren Verbesserung und zu den Armenkirchhöfen (1807–1876): A Rep. 003–01, Nr. 618. Siehe zum Verbot Beerdigungsgebühren von Armen zu fordern: A Rep. 003–01, Nr. 617. Siehe zu den Anordnungen für das Arbeitshaus, u. a. die Anweisung: Deportation incorrigibler Bösewichte nach Sibirien (1801): A Rep. 003-01, Nr. 673. Siehe zu den Armenbeschäftigungsanstalten: Gedruckte Grundsätze, nach welchen die hiesigen Erwerbsschulen eingerichtet werden sollen (1798): A Rep. 003–01, Nr. 824. Siehe den Nachweis über alle Kapitalien der Armenkasse und der Armenanstalten (1790–1808): A Rep. 003–01, Nr. 253. 480 N.C.C., Bd. 11.2 (1804–1806), Nachtrag zu den Verordnungen von 1803, Nr. 2 (1803), Sp. 3101ff.
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Aufnahme und Versorgung von „Vagabonden, Invaliden und Armen“ in den Landarmenanstalten in Prenzlau und Strasburg. In der rigiden Verordnung zum Aufgreifen von professionellen Bettlern „ohne Unterschied des Standes, Gewerbes, Religion und Alters“ (§ 4), von bettelnden Handwerksburschen und Jägern wurde unter Androhung von Strafe die Ablieferung im Armenhaus festgelegt (§ 9). Die Unterbringung im Haus und die Anweisung zur Arbeit im Arbeitssaal sollten nur erfolgen, wenn zuvor die Angaben zu persönlichen und familiären Personalien, des gelernten Gewerbes und der Ursache der Armut (§ 14) erfolgt waren. Ein Arbeitsplatz in der Baumwollspinnerei (§ 25) oder in der Ökonomie (§ 28) kam nach § 17 einer „Qualifikation“ gleich, die der Syndicus der Anstalt in Form eines „Reception-Scheines“ amtlich attestieren konnte, ohne dass darauf ein Anspruch erhoben werden konnte.481 Das Reglement ordnete strikt zu befolgende Hausgesetze an (reinliche Kleidung, häufiges Baden, kein Tabakrauchen im Schlaf- und Speisesaal, Trennung der Geschlechter auch beim Essen) und schrieb den Arbeitstag und den Arbeitseinsatz vor. Die Mindestzeit des Aufenthalts wurde auf zwei Jahren nach der ersten Aufnahme begrenzt (§ 76). Der Arbeitstag begann morgens um 5.00 Uhr. Mit den jeweils einstündigen Pausen für das Frühstück (7.00–8.00 Uhr) und das Mittagessen (12.00–13.00 Uhr) arbeiteten die Hausbewohner bis zum Abend um 19.00 Uhr täglich zwölf Stunden. Nach § 69 sollten auch „die im District des Armenhauses bettelnden Juden gleich andern Bettlern aufgegriffen, in das Armenhaus gebracht und hier zur Arbeit angehalten [werden]“.482 Die Paragrafen, die eine Ausnahme für das sonst übliche Verhaltensreglement festschrieben, betrafen den christlichen Gottesdienst (§ 60), zu dem sich jeder Arme, mit Ausnahme der Juden, zur bestimmten sonntäglichen Stunde einzufinden hatte, und § 72, der die jüdischen Hausbewohner dazu anhielt, dass sie die Arbeiten, die sie am „Sabbath und den übrigen jüdischen Feyertagen versäum[t]en“,483 am Sonntag nacharbeiteten. Der Synagogenbesuch am Sabbat wurde durch die Auflage in § 71 in die Verantwortung und Haftpflicht der Gemeinde überstellt: Die Judenschaft zu Prenzlau muß einen sichern und rechtschaffenen Mann aus ihrer Gemeine ernennen, welcher die im Armenhause befindlichen Juden am Sabbath zu ihrem Gottesdienst abholt, und nach Endigung desselben wieder zurück bringt, und ist die Judenschaft, wenn jene unterdessen entweichen, dafür verantwortlich.484
481 N.C.C., Bd. 11.2, Nachtrag, Nr. 2, Sp. 3110. 482 N.C.C., Bd. 11.2, Nachtrag, Nr. 2, Sp. 3121. 483 Ebd. 484 Ebd. Ein Paragraf zur Festlegung eines finanziellen Beitrags der jüdischen Gemeinde ist im Edikt nicht vorhanden.
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Nicht berücksichtigt wurden die Speisegebote. Zu den Mahlzeiten gab es kein koscheres Essen. Die Fragen, ob diese Entscheidung auf ignorante, erzieherische oder vereinfachende Gründe zurückzuführen war und wie groß die tatsächliche Anzahl der jüdischen Hausbewohner war, muss eine gesonderte Untersuchung beantworten. Das Publicandum gegen das Einwechseln des Courants für Scheidemünze (Königsberg, 16. Mai 1808)485 richtete sich an jüdische Händler/Hausierer und „andere Personen auf dem platten Land und in den Städten“,486 die Courant oder Gold in Münzen tauschten. Das Wechselgeschäft selbst war nicht strafbar. Der Export von Münzen sollte vermieden werden. Im Fall der Festnahme reichte die Strafandrohung von der Konfiszierung der Barschaft bis zum Verlust des Schutzbriefes für inländische und zur Ausweisung von ausländischen Juden. Um die Wechselgeschäfte zur Anzeige zu bringen, wurde die Bevölkerung mit einem „Denunciantenantheil“487 geködert. Dieser sollte die Hälfte der Barschaft des Delinquenten betragen. Eine Unterscheidung zwischen der Kaufmannschaft und der Judenschaft wurde im Reglement, das Kriegsschulden-Wesen der Provinz Ostpreußen und Litthauen u. der Stadt Königsberg insbesondere betreffend (23. Februar 1808)488 getroffen. Hier ging es nach dem Frieden von Tisit (9. Juli 1807)489 um das Aufbringen der Kriegskontribution an das napoleonische Frankreich. Nach der einleitenden Erklärung zum Reglement sollte die Summe von 12 Mio. Franken für die o. g. Region (Ostpreußen, Litauen, Stadt Königsberg) nach folgendem Plan aufgeteilt werden: Die Stadt Königsberg sollte nach Rück- und Absprachen mit dem General-Landtag und dem Städtischen Comitée Vorauszahlungen (knapp 2 Mio. Thaler)490 von den geforderten 8 Mio. Franken Bargeld leisten und den Posten mit 4 Mio. Franken in Sach- und Warenwerten ganz und ausschließlich übernehmen.491 Zur Finanzierung dieser Summen sollte rückwirkend die Einkom-
485 N.C.C., Bd. 12, Nr. 37, Sp. 347f. Unterzeichnet war das auf allerhöchsten Befehl des Königs angeordnete Publicandum von Minister Friedrich L. v. Schroetter. 486 Ebd. Als Courant wurde Münzgeld im Gegensatz zu Papiergeld oder Handelsmünzen bezeichnet. 487 Ebd. 488 N.C.C., Bd. 12, Nr. 27 (1808), Sp. 285ff. Vgl. dazu auch das Reglement über die Kontributionszahlungen der Kaufmannschaft der Stadt Stettin in Höhe von 10 Mio. Francs, die niedergesetzte Kontributions- und Schätzungskommission, das Prinzip der solidarischen Haftung für die gesamte Kaufmannschaft und die Methode der geheimen Schätzungen. Gedr. in: N.C.C., Bd. 12, Nr. 31, Sp. 331–340. 489 Siehe dazu den Vertrag. Gedr. in: N.C.C., Bd. 12, Nr. 10, Sp. 225. 490 Siehe dazu Abschn. 2, § 18 des Reglements. In: N.C.C., Bd. 12, Nr. 27, Sp. 295. 491 Ebd.
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mensteuer für die Jahre 1807/1808 „vielmal bezahlt“492 werden. Ab Januar 1809 sollten alle steuer- und damit zahlungspflichtigen Einwohner der Stadt ihr Einkommen und Vermögen steuerlich taxieren lassen (1. Abschn., § 15). Ohne Unterschied der Person oder des Vermögens, der Exemtionen oder Privilegien sollte die Einkommensteuer viermal im Jahr entrichtet werden, bis die entsprechende Summe zusammengebracht und die Kriegsschulden getilgt waren.493 Ausgenommen wurden lediglich die Sold- und Wartegelder von Personen des Militärstandes (1. Abschn., § 12). In Abschn. 1, § 16 wurde die Klientel der Einkommensteuer in zwei weitere Gesellschaftsgruppen unterschieden: Kaufmannschaft und Judenschaft. Für beide Gesellschaftsgruppen galt die Androhung von Zwangsmitteln wegen säumiger Zahlungen, nötigenfalls auch „militairische Exekution“.494 Die getrennte Nennung der Zahlungspflichtigen machte die unterschiedliche Verzugszinsenregelung juristisch notwendig. Als Zinssatz galt für die Ersteren die Acht-von-Hundert- und für die Letzteren die Sechs-von-Hundert-Prozent-Regelung: Wer die Einkommensteuer nicht prompt entrichtet, wird in sofern sich der Rückstand nicht offenbar zur Niederschlagung qualifizirt, durch die strengste, nöthigenfalls auch die militairische Exekution, sogleich dazu angehalten, und er muß für die Zwischenzeit, wenn er zur Kaufmannschaft oder Judenschaft gehört, Acht, sonst Sechs von Hundert an Verzugszinsen entrichten, insofern er nicht nach Vorschrift des ALR T. 1, Tit. 11, § 834 zum Ersatz des höheren Schadens angehalten wird. (1. Abschn., § 16)495
Im Gesetz über die Zinsen (15. Februar 1809)496 wurde in demselben Sinn zwischen Christen und Juden unterschieden. Paragraf 1 der neuen Regelung hob allerdings im Gegensatz zum o. g. Gesetz alle Unterschiede in der Zinsnahme auf. Es sollte „jedermann, ohne Unterschied zwischen Christen und Juden frei stehen, auf die Zeit bis zum letzten Dezember 1810, beliebige Zinsen mit recht492 Siehe dazu Abschn. 1, § 1. In: N.C.C., Bd. 12, Nr. 27, Sp. 285. 493 Siehe zu den Bemühungen der preußischen Regierung „Geld zu schaffen“ auch Kap. 8.5 dieser Arbeit. 494 Siehe dazu Abschn. 1, § 16. In: N.C.C., Bd. 12, Nr. 27, Sp. 289. 495 In den der Verordnung beigefügten Tabellen mit den entsprechenden Berechnungen der Einkommensteuer für alle Erwerbsklassen, also auch für Leibrentenbezieher, Grundstücksbesitzer und Kaufleute fand keine explizite Nennung und Sonderregelung für jüdische Professionisten statt. Ebd., Sp. 315ff. Siehe dazu auch die erlassene Deklaration vom 22. März 1810, in der Friedrich Wilhelm III. auf die Klagen der steuerpflichtigen Einwohner reagierte. Auch in diesem Edikt gab es keine explizite und gesonderte Bezeichnung für Juden. Gezeichnet war die Verordnung von den Ministern Altenstein und Dohna. Gedr. in N.C.C., Bd. 12, Nr. 11 . Siehe dazu auch die neue Messeordnung für Frankfurt/Oder (15. Mai 1810), in der ebenfalls keine gesonderte Ausdifferenzierung nach Ethnizität oder Religionsbekenntnis stattfand. N.C.C., Bd. 12, Nr. 117, Sp. 1013ff. 496 N.C.C., Bd. 12, Nr. 68, Sp. 783ff.
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licher Wirkung auszubedingen“.497 Rückwirkend galt die Regelung auch für alle abgeschlossenen Geschäfte seit dem 1. November 1806. Verzugszinsen sollten von Sechs zu Hundert berechnet werden und galten im gleichen Maß für Konkursberechnungen. Darlehensgeschäfte sollten mit Pfandbriefen und sonstigen Wertpapieren gestattet sein und nach dem Nominalwert zurückerstattet werden. Im Ganzen betrachtet, vollzog sich hier die Freigabe des Geldgeschäftswesens mit der Festlegung der Obergrenze im Zins- und Darlehenwesen.498 Mit der leichten Tendenz zur schrittweisen und unspektakulären Abschaffung von Ungleichbehandlungen zwischen christlichen und jüdischen Einwohnern war die Grundfrage zur rechtlichen Gleichstellung jedoch nicht geklärt worden. In einem maßgeblichen Edikt wurde darauf verwiesen, dass die religiöse Zugehörigkeit nach wie vor die Zuerkennung von bürgerlichen Rechten bedingte. In den Geschäftsinstruktionen für die Regierungen in sämmtlichen Provinzen (1808), gezeichnet von den Ministern Altenstein, Dohna und Schroetter, gingen die Beamten auf dieses Argument ein. In der Behördenreform hieß es unter § 2i, dass das Mennonisten- und Judenwesen unter die Oberaufsicht und Verwaltung der Polizeibehörden gestellt werde. Dies betreffe insbesondere die Angelegenheiten „solcher Eingesessenen, in ihrer bürgerlichen Beziehung, die wegen Verschiedenheit der Religionsmeinung nicht alle bürgerlichen Rechte haben“.499
497 Ebd. 498 Nach Rachel/Wallich trieb der Geld- und Kapitalmangel während der französischen Besatzungszeit den Zinsfuß in die Höhe. Dadurch ergaben sich erhebliche Differenzen. Unter gleichartigen und einigermaßen gesicherten Verhältnissen war eine Zinsnahme von 8 bis 21 % möglich. In der Regel wurden zwischen 12 und 18 % Zinsen genommen. Ab dem 1. Januar 1811 wurde der gesetzliche Zinsfuß wieder eingesetzt. Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 3, S. 9–19, S. 15. 499 N.C.C., Bd. 12, Nr. 64, Sp. 707.
6 Das Edikt vom 11. März 1812 – ein Emanzipationsedikt?1 6.1 Beispiele zu den Positionen der historischen Forschung In der modernen Forschung wird diese Frage unterschiedlich beantwortet. In erster Linie basieren die Differenzen auf den unterschiedlich gewählten Schwerpunkten und Maßstäben: Einerseits wird in der Forschung ergebnisorientiert gearbeitet und die konkrete Paragrafierung des Edikts von 1812 am Maßstab der bürgerlichen Rechte und Pflichten christlicher Preußen gemessen oder mit den Verordnungen deutscher und europäischer Staaten verglichen und beurteilt. Andererseits wird anhand der Gutachten zur Legislative versucht, die Grundpositionen der beteiligten preußischen Beamten zu Fragen der rechtlichen Gleichberechtigung zu ermitteln. Diese Methode konzentrierte sich deutlicher auf den Verlauf der Legislative und nicht auf das Endergebnis. Hierbei werden die Voten „Gleiche Rechte und gleiche Pflichten“ mit der Zielsetzung gleichgesetzt, die jüdische Emanzipation durch die Gesetzgebung ausdrücklich fördern zu wollen. Diese Interpretation stellte jedoch eine nachträgliche Konstruktion dar, die zur Zeit des Gesetzgebungsverfahrens nur in einem Gutachten explizit geäußert wurde, und im folgenden Unterpunkt vorgestellt und erläutert wird. Wie die Historiker Karl Martin Grass und Reinhart Koselleck in ihrem Artikel zur Emanzipation und hier speziell unter der Überschrift „Judenemanzipation“2 schrieben, wurde weder im preußischen Edikt noch in der eine Generation zuvor veröffentlichten staatstheoretischen und pragmatischen Schrift von Christian Wilhelm Dohm der Terminus „Emanzipation“3 verwendet. Die Begriffe, die hier benutzt wurden, plädierten unter den Stichwörtern „Veredelung und Bildung“4
1 Dieser Teil liegt unter der o. g. Fragestellung als Magisterarbeit (HU-Berlin, 2006) vor. Hier wird er entsprechend ergänzt und aktualisiert. 2 Grass, Karl Martin/Koselleck, Reinhart: „Judenemanzipation“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 178–185. 3 Innerhalb der Legislative verwendete der Staatsrat J. H. Schmedding den Begriff „Emancipation“. Siehe dazu Kapitel 6.2 dieser Arbeit. 4 Vgl. dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 120ff.
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Das Edikt vom 11. März 1812 – ein Emanzipationsedikt?
für das Ziel einer „Amalgamation“5 oder „Verschmelzung“6 mit den christlichen Untertanen in Preußen. Eine Kongruenz zwischen liberalisierter Judengesetzgebung und Emanzipation wurde erst vorausgesetzt, als das preußische Edikt als weiterer legislativer Schritt beurteilt wurde, der in doppelter Funktion einen innerjüdischen Prozess im Sinne eines kollektiven und individuellen „Emancipirens“ aus der bisherigen gesellschaftlichen und ökonomischen Sonderbehandlung und Separation bewirkt hatte. Das Hauptgewicht lag hierbei auf der Aufhebung rechtlicher Beschränkungen, die eine Emanzipation partiell möglich machte. Das Problem, das Edikt von 1812 als „Emanzipationsedikt“ zu bezeichnen, deutete bereits 1837 Karl Steinacker in seinem Artikel „Emancipation der Juden“ im Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften wie folgt an: So wie das Wort Emancipation überhaupt eine solche gesetzliche Handlung bezeichnet, durch welche jemand aus dem bisherigen Zustande der Rechtsbeschränkung in den, des vollen, überhaupt nach allgemeinen Grundsätzen zulässigen Rechtsgenusses versetzt wird, so versteht man unter der Emancipation der Juden die Gleichstellung derselben mit den übrigen Staatsbürgern in den politischen und bürgerlichen Rechten.7
Mit dem reflexiven und dynamischen Bewegungs- und Zielbegriff „Emancipation“ eine eher statische Kodifikation zu beschreiben, erschien auch Steinacker als Problem, zumal der Begriff einerseits den punktuellen Rechtsakt der Gleichstellung und andererseits auch den Vorgang einer rechtlichen Verbesserung umfassen konnte. Diese Bedeutung, die über den Bewegungsbegriff auch die politische Erfüllung für die Zielgruppe vorsah, war auch im deutschen Sprachraum seit den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts geläufig. Als Schlagwort und Leitbegriff für die allgemeine Befreiung aus der Abhängigkeit bezog sich der Begriff entweder auf das Ziel der Aufhebung persönlicher Abhängigkeitsverhält5 Ebd. Grass/Koselleck, Judenemanzipation, S. 182. Siehe dazu auch das Gutachten Süvern (1809). In: GStA PK,, I. HA Rep. 77, Tit. XXX: Akten des Ministeriums des Innern: Juden.Sachen. Generalia, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 139–140, Bl. 139. Alle Gutachten zum Entwurf Schroetter sind im o. g. Bestand des Geh. Staatsarchivs in Berlin-Dahlem einzusehen und im Quellenband von Ismar Freund (1912), Akten, vollständig transkribiert worden. Folgend werden alle zitierten Gutachten nur noch unter dem Hinweis auf den Namen des Verfassers, das Erstellungsdatum des Gutachtens und die Seitenangaben im Original und im Quellenband Freunds angegeben. Die vollständigen Angaben finden sich im Quellenverzeichnis. 6 Siehe z. B. die Gutachten Humboldt (1809), Bl. 124–137, Bl. 125, gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 269–282, S. 270; Gutachten Nicolovius (1809), Bl. 137–138, gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 282–283, S. 282.; Gutachten Süvern (1809), Bl. 139–140, Bl. 140, gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 283–285, S. 285. 7 Steinacker, Carl: „Emancipation der Juden“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 5, S. 22–52, S. 27.
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nisse ganzer Volksklassen, wie der Bauern, Bürger, Weiber und Juden oder auf die Aufhebung sachlicher Abhängigkeitsverhältnisse im privat-rechtlichen oder wirtschaftlichen Bereich.8 Darüber hinaus galt eine Emanzipation, unabhängig von der Zielgruppe, nicht als abgeschlossener Akt oder als einzige Handlung, mit der die Freilassung oder Gleichstellung abgemacht war. Der Begriff umfasste nach Karl Hermann Scheidler (1840) „eine Reihenfolge zusammenhängender Bestrebungen, oder mit einem Worte, einen politischen Lebensprozeß, der [sich] erst nach und nach entwickelt.“9 Emanzipation war nach Scheidler weder ein rein legislativer noch revolutionärer, sondern eher ein evolutionärer, temporärer und moralisch-individueller Akt.10 Die Schwierigkeit der gedanklichen Zusammenführung einer punktuellen rechtlichen Gleichberechtigung mit einer angestrebten individuellen Selbstemanzipation benötigte demnach einen konkreten Maßstab. Sowohl nach Steinacker als auch in der späteren Forschung galt als Maßstab die Prämisse der vollen rechtlichen Gleichstellung, die ergebnisorientiert die neuen Optionen der Gesetzgebung für die Zielgruppe nach diesem Rahmen beurteilte. Das preußische Edikt verankerte unter § 7 den Anspruch auf eine rechtliche Gleichbehandlung, schränkte jedoch in einem Nebensatz die Erwartungen bezüglich einer vollen rechtlichen Gleichberechtigung ein: „Die für Einländer zu achtenden Juden hingegen sollen, in sofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.“11 Nach Kurt Nowak (1998) klang dies auf den ersten Blick „wie ein Sieg der Emanzipation“,12 der jedoch durch die Einschränkungen bezüglich der Zulassung zum Staatsdienst und die Nichtgewährung ständischer Rechte „den Sieg in eine halbe Niederlage“13 verwandelte. Für Hans-Ulrich Wehler gewährte das „Emanzipationsedikt vom 11. März 1812“14 keine „vorbehaltlose Emanzipation“,15 wie sie zuerst das Königreich Westfalen im Januar 1808 verkündet hatte. Nach
8 Vgl. dazu Grass/Koselleck, Judenemanzipation, S. 170. 9 Scheidler, Karl Hermann: „Emanzipation“. In: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. 1. Sect., Bd. 34, S. 2–12, S. 2. 10 Ebd. 11 Edikt vom 11. März 1812 betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate. In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX: Akten des Ministeriums des Innern: Juden. Sachen.Generalia, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 15–17, Bl. 15. 12 Nowak, Kurt: Judenpolitik in Preußen. Eine Verfügung Friedrich Wilhelms III. aus dem Jahr 1822. Stuttgart/Leipzig 1998, S. 9. 13 Ebd. 14 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 407. 15 Ebd.
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Wehler wurde der „Grundsatz der Rechtsgleichheit“16 an wesentlichen Stellen eingeschränkt: Gewerbefreiheit und freier Handel wurden den Juden ausdrücklich zugesichert, kulturelle Eigenarten garantiert, ständische Rechte und die Zulassung zum Staatsdienst jedoch vorenthalten. Für Reinhart Koselleck stand die Emanzipation vor allem in unmittelbarer Verbindung mit den ökonomischen Optionen, die in Folge der rechtlich fixierten Gewerbefreiheit und der Zulassung zum freien Handel praktisch nutzbar wurden. Von einem „Emanzipationsedikt für die Juden“17 sprach er im Zusammenhang mit der Zuerkennung der preußischen Staatsbürgerschaft nach § 1 des Edikts: „Die, in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit General-Privilegien, Naturalisations-Patenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten.“18 Diesen Status erhielten die preußischen Juden „expressiv verbis“19 als einzige Zielgruppe der preußischen Reformära. Eine staatsbürgerliche Gleichheit wurde nach Koselleck jedoch nur auf einem, dem wirtschaftlichen, Sektor umgesetzt. Preußisch-jüdischer Staatsbürger war man damit als „homo oeconomicus“20 und nicht als politischer Aktiv-Bürger. Was hier jedoch mit anklang, war die rechtliche Aufwertung des Status der jüdischen Einwohner Preußens, die vom „privilegierten Schutzjuden“ zum ausdrücklichen Einländer und Staatsbürger aufstiegen. Der Begriff „Emanzipation“ wurde hier über die erwartete Umsetzung der wirtschaftlichen Freiheiten hinaus auch ideell und eher abstrakt mit einem neuen politischen und gesellschaftlichen Selbstbewusstsein verbunden. Jakob Katz (1988) sprach von dieser Bedeutung des Edikts für die jüdischen Preußen zur Zeit der Legislative. Er betonte, dass das Edikt zwar nicht die volle Einbürgerung einschloss, aber den preußischen Juden einen höheren Status verlieh, sie als „Teil der Bevölkerung anerkannte […] und nicht als Fremde, die man mutwillig vertreiben dürfte“.21 Von einem Emanzipationsedikt sprach er jedoch weder in diesem noch in anderen Zusammenhängen.
16 Ebd. 17 Koselleck, Reinhart: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. Stuttgart 1967, S. 59. Auch für Brigitte Scheiger (1990) hatte das preußische Emanzipationsedikt nur die bürgerliche Gleichstellung bezüglich der wirtschaftlichen Freiheit bewirkt. Scheiger, Juden in Berlin, S. 292. 18 Edikt vom 11. März 1812 betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate. In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 15. 19 Koselleck, Preußen, S. 59. Siehe auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 408. 20 Koselleck, Preußen, S. 60. 21 Katz, Ghetto, S. 189.
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Jakob Toury (1977) bezeichnete die preußische Judengesetzgebung von 1812 als „sogenanntes Emanzipationsedikt“,22 Seine Kritik basierte auf einem Vergleich zwischen den fixierten Rechten in den „Naturalisationspatenten“23 preußischer Juden aus der Regierungszeit Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. mit den Rechten der neuen Gesetzgebung. Nach Toury fixierten die Naturalisationspatente bereits vor Inkrafttreten des Edikts weiter gefasste Rechte, als sie den neuen Staatsbürgern im Edikt zugestanden wurden.24 Sein Maßstab orientierte sich dementsprechend konsequent an allen bürgerlichen Rechten der christlichen Bürger Preußens, die in der bisherigen Praxis nur einem kleinen und wirtschaftlich potenten Teil der jüdischen Einwohner zugesprochen worden waren. Aus der Generation der jüngeren Forscher votierte Erik Lindner (1997) für die Bezeichnung „Emanzipationsgesetz“25 und bezog sich inhaltlich ebenso wie Jakob Katz auf die Reaktionen der jüdischen Zeitgenossen. Die Abschaffung sämtlicher Sondersteuern und die Ausdehnung der bürgerlichen Pflichten auf die „nunmehr als preußische Staatsbürger geltenden Juden“26 zählte Lindner zu den Indizien, die in der Reaktion der Zielgruppe als deutliche Absicht einer gesetzlichen Emanzipationsidee interpretiert wurden, weil „die umfassenden staatlichen Reformen auch sie in einem ganz besonderen, bisher nicht gekannten Maße emanzipierten und ihre weitere Integration in Aussicht stellten“.27 Dieses Ergebnis erweiterte er im Rückschluss auf die Initiatoren des Edikts, im Besonderen auf den Einfluss von Staatskanzler Hardenberg, „der für das Reformgesetz mit Nachdruck gestritten [hatte]“,28 und sprach folgend allerdings eher allgemein formuliert von einem „emanzipationsbereiten Staat“.29 Diese Zäsur findet sich auch bei Albert A. Bruer. Von einem ausdrücklichen „Emanzipationsprojekt“30 sprach Bruer (1991) ab dem Zeitpunkt der Verantwortlichkeit von Staatskanzler Hardenberg (1810), der wie „kein [anderer] preußischer Politiker die Emanzipation der preußischen Juden so nachdrücklich [förderte]“.31 22 Toury, Jakob: Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum. In: Liebeschütz, Hans/Paucker, Arnold (Hrsg.): Das Judentum in der deutschen Umwelt. Tübingen 1977, S. 139–242, S. 157. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Lindner, Patriotismus, S. 48. 26 Ebd. 27 Lindner, Patriotismus, S. 50. 28 Ebd., S. 49. 29 Ebd., S. 50. 30 Bruer, Geschichte der Juden, S. 296. 31 Ebd., S. 291. Vgl. dazu auch Bruer, Albert A.: Juden in Preußen 1750–1918. Emanzipation, Assimilation und Antisemitismus. In: Menora, Bd. 16 (2006), S. 15–52, S. 15ff. Nach Bruer lässt sich die Emanzipation durchaus als Ergebnis der Stein-Hardenbergschen Reformen bezeichnen und verorten. Aber von einem ausdrücklichen Emanzipationsgesetz spricht er nicht. Ebd., S. 21.
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Hans-Werner Hahn (2001) nutzte die Bezeichnung „Emanzipationsprozeß“32 im doppelten Sinne: Einerseits bezog er sie auf den innerjüdischen und kollektiven Weg aus der jahrhundertealten rechtlichen und sozialen Diskriminierung, die mittels der Aufhebung restriktiver Gesetze in den modernen Gesetzgebungen Europas und der preußischen Nachbarländer zum Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts möglich wurde.33 Andererseits kennzeichnete er mit dieser Bezeichnung auch die gesamte Legislative zum preußischen Edikt, die damit auch das Ziel einer angestrebten Emanzipation der preußischen Juden erhielt.34 Annegret A. Brammer (1987) stellte zwischen dem Ergebnis der Legislative und der jüdischen Emanzipation keine in der Begriffsbestimmung zusammengeführte Verbindung her. Hinsichtlich der Legislative, insbesondere der Gutachten zum Entwurf Schroetters, unterschied sie jedoch zwischen drei prinzipiellen Zielen der Gutachter. Nach Brammer hätte jedes Ziel „für sich genommen“35 eine eigene Neuregelung der jüdischen Verhältnisse begründen können. Neben dem Prinzip der „Verbesserung“36 und der „absolute[n] Anpassung“37 benannte sie als drittes Prinzip auch die Zielrichtung einer „bürgerliche[n] Emanzipation“.38 Wesentliches Merkmal dieser bürgerlichen Emanzipation, zu deren Befürwortern sie neben Wilhelm v. Humboldt auch die Mitarbeiter Humboldts und mit Einzelgutachten vertretenen Referenten G. H. Nicolovius, J. W. Süvern und J. H. Schmedding zählte, war die Aufhebung der Bevormundung durch den Staat und die damit eng verbundene Aufhebung einer Beschränkung der „Freiheit der Individuen“,39 die ohne Einschränkung und mit dem übergeordneten Ziel der Eingliederung rechtlich verwirklicht werden sollte. Einen innerjüdischen Aspekt zum Thema Emanzipation betonte Ismar Freund. Unter der Überschrift „Die Bemühungen der Juden um ihre Emanzipation“40 beschrieb er die Verwirklichung des Reformprojekts zwar einerseits als Produkt der allgemeinen Zeitgeschichte und als historische Notwendigkeit, die allerdings den Gedanken nahelegte, sie sei „den Juden mühelos in den Schoß gefallen als
32 Hahn, Hans-Werner: Judenemanzipation in der Reformzeit. In: Stamm-Kuhlmann, Thomas (Hrsg.): „Freier Gebrauch der Kräfte“. Eine Bestandsaufnahme der Hardenbergforschung. München 2001, S. 141–161, S. 141. 33 Hahn, Judenemanzipation, S. 141f. 34 Ebd., S. 151. 35 Brammer, Judenpolitik, S. 49. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 50. 40 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 209.
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eine reife Frucht am Baume der Zeit“.41 Andererseits stellte er in seinem Quellenband Schriftstücke der jüdischen Gemeinden aus Berlin, Königsberg, Breslau und Potsdam zusammen,42 die auf die Arbeit an der „jüdischen Staatsverfassung“43 reagiert hatten. Nach dem Resümee Freunds hatten die preußischen Juden, vertreten durch die Ältesten der jüdischen Hauptgemeinden Preußens, „sich selbst für ihre Sache eingesetzt und mannhaft für ihre Erlösung gekämpft“.44 Shulamit Volkov (1994) betonte, im Gegensatz zu Ismar Freund, den hierarchischen Charakter der Gesetzgebung und reagierte eher verhalten auf die Verbindung zwischen Judenemanzipation und preußischem Edikt. Wenn in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Emanzipationsedikt gesprochen werden sollte, so doch eher im Sinn der römischen Rechtsgeschichte,45 mit der ein „pater familias“ sein Kind „e manu capere“ aus der väterlichen Gewalt entlassen konnte.46 Im Äquivalent zum Edikt hieße dies, dass die Gewährung von Rechten aufgrund einer „potestas“ als Akt „von oben“ gewährt wurde. Nach Peter Baumgart (2009) führten die einzelnen Stadien des langwierigen Gesetzgebungsprozesses zum Märzedikt von 1812. Den Begriff „Emanzipationsedikt“47 erwähnt Baumgart nur im Zusammenhang mit den Ergebnissen der jüdischen Geschichtsforschung, die diesen Prozess „mit minutiöser Genauigkeit dargestellt“ hat.48 Diese Methode förderte demnach die enge Verknüpfung der Begriffe „Emanzipation“ und „Edikt“, denn mit den Worten von
41 Ebd. 42 Siehe dazu Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 401ff. Die Schreiben der Berliner Gemeindeältesten an Friedrich Wilhelm III. (6. Februar 1810) und Staatskanzler Hardenberg (25. Juli 1810) wiederholten und bündelten Argumente zwecks Entkräftung der Bedenken und enthielten die Bitte, die Arbeit an der zukünftigen jüdischen Verfassung voranzutreiben. Die Ältesten erklärten die Bereitschaft der Judenschaften, bei Gewährung aller Rechte auch alle Pflichten zu erfüllen. Sie verwiesen darauf, dass es in den Ritual- oder Zeremonialgesetzen keine Hindernisse gebe, „eine noch so schwere Pflicht, welche Vaterland oder Staatsgesetze fordern, unerfüllt zu lassen“. 43 Diese Formulierung stammte aus einem Brief des damaligen preußischen Innenministers Alexander v. Dohna an die Gemeindeältesten in Königsberg (12. November 1809) als Antwort auf ihre Anfrage bezüglich der Fertigstellung des Edikts. (10. November 1809). Gedr. in Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 412f. Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 412. 44 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 209. 45 Volkov, Shulamit: Deutsche Juden und die Moderne. München 1994, S. VIII. 46 Vgl. dazu Grass/Koselleck, Emanzipation, S. 154–157. 47 Baumgart, Peter: Absoluter Staat und Judenemanzipation in Brandenburg-Preußen. In: Kroll, Frank-Lothar (Hrsg.): Brandenburg-Preußen unter dem Ancien régime. Berlin 2009, S. 461–529, S. 463. 48 Ebd.
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Peter Baumgart fand die Emanzipationsbewegung „mit diesem Edikt ihren ersten Höhepunkt und vorläufigen Abschluß“.49 Es ist deutlich geworden, dass die Beurteilungen den Rahmen von der rechtlichen Ursprungsgeschichte über den innerjüdischen Bewegungsbegriff bis zum rechtlichen Erfüllungsbegriff ausschöpften. Dennoch gilt, dass die Interpretation als „Emanzipationsedikt“ keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen kann, wenn als Maßstab die volle rechtliche bürgerliche Gleichstellung gilt. Dass dieses Ziel in den Gutachten des Departements für „Cultus- und Öffentlichen Unterricht“ vertreten und begründet wurde, hat Annegret H. Brammer (1987) dargestellt. Hierbei ist allerdings unbestritten, dass in dieser frühen Phase der Legislative Einzeläußerungen der Gutachter nicht mit den Vorgaben zum Edikt identisch sein mussten. Ebenso gilt, dass die Meinung von Staatsrat Johann Heinrich Schmedding nicht in der endgültigen Redaktion des Edikts berücksichtigt werden musste. Von Interesse ist diese Äußerung jedoch dennoch. Einerseits bedachte Staatsrat Schmedding durchaus die Optionen für die zukünftigen jüdischen Preußen und argumentierte im Sinne einer sozialgeschichtlichen Notwendigkeit für die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Andererseits stellte er den Begriff „Emancipation“ in einen Zusammenhang, der die Folgen einer rechtlichen und vorwiegend ökonomischen Gleichstellung in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtete.
6.2 Der Begriff „Emancipation“ im Gutachten von Staatsrat Johann Heinrich Schmedding (1809) Staatsrat J. H. Schmedding50, katholischer Theologe und Jurist und seit 1809 als Mitarbeiter in der Sektion „Cultus- und Öffentlicher Unterricht“ tätig, reagierte in seinem Einzelgutachten auf die vorangegangenen Stellungnahmen51 zum Entwurf von Friedrich Leopold Freiherr v. Schroetter. Nach einer Direktive von Friedrich Wilhelm III. sollte der Entwurf zur „Begutachtung und um die Sache in 49 Ebd. 50 Siehe zu Johann Heinrich Schmedding (1774–1846) Anlage 2: Biografien. Siehe zu Schmedding auch den Art. von Ernst Friedänder in: ADB 31, S. 631f. Vgl. auch Straubel, Handbuch, Bd. 1, S. 884. 51 Neben dem Entwurf Schroetters lagen Staatsrat Schmedding auch die vorangegangenen Gutachten von Staatsminister Koehler vom Ministerium des Innern (13. Mai 1809), das Gutachten der Allgemeinen Polizei-Sektion (16. Mai 1809), der Sektion für die Gewerbepolizei (3. Juni 1809) und die Gutachten seines Vorgesetzten, Wilhelm v. Humboldt, (17. Juli 1809) und seiner Kollegen Nicolovius (6. September 1809) und Süvern (10. September 1809) aus dem Departement Cultusund Öffentlicher Unterricht vor.
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den Staatsrat gelangen zu lassen“52 an die zuständigen Departements53 weitergeleitet werden. Bei der Neuorganisation der obersten Staatsbehörden im Dezember 1808 war auch die Errichtung eines Staatsrates mit vorgesehen worden, dem neben den Prinzen des Königshauses auch frei ernannte Notabeln und vor allem die Minister und Sektionschefs gleichberechtigt angehören sollten. Der Staatsrat sollte durch Mehrheitsvotum über alle Grundsatzfragen der Politik und der Kabinettsvorlagen entscheiden und damit zum obersten Organ der Staatsverwaltung werden. Tatsächlich trat der Staatsrat in den folgenden acht Jahren nicht zusammen und hatte dementsprechend keinen Einfluss auf die Gesetzesvorlagen.54 Der neue Geschäftsgang,55 der u. a. im Gutachten von Staatsrat Koehler56 benannt wurde, ließ den Departements in dieser frühen Phase der Legislative breiten Gestaltungsspielraum für die Erstellung der Gutachten. So umfasste das Spektrum der Gutachten zum Entwurf Schroetters sowohl Gutachten, die speziell nur einzelne Paragrafen erörterten, die den eigenen Zuständigkeitsbereich betrafen oder ein Votum pro/contra Entwurf Schroetter in der Verantwortlichkeit der gesamten Sektion aussprachen.57 Gleichfalls wurden umfangreiche Einzelgutachten erstellt, die sowohl persönliches Alltags- und Erfahrungswissen oder 52 Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 141. 53 Staatsrat Koehler legte in seinem Gutachten, dem ersten zum Entwurf Schroetters, auch den Gang der Legislative fest. Sein Einzelgutachten sollte zusammen mit dem Entwurf Schroetters an die Sektion der Gewerbepolizei, die Sektion Cultus- und Öffentlicher Unterricht, die Sektion Steuern im Finanzministerium und an das Justizministerium weitergeleitet werden. Aufgrund aller Gutachten sollte mit der Beratschlagung in der General-Konferenz das neue Gesetz ausgearbeitet und abschließend der Gesetzkommission zugestellt werden. Siehe dazu Gutachten Koehler (1809), Bl. 111–115 und bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 251–259. 54 Vgl. dazu Meier, Reform, S. 141ff.; Raumer, Kurt v./Botzenhart, Manfred: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Wiesbaden 1980, S. 412 u. S. 459; Stamm-Kuhlmann, Thomas (Hrsg.): Karl August von Hardenberg 1750–1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen. München 2000, S. 835. Siehe zur Regierung in Königsberg auch Belke, Hans-Jürgen: Die Preußische Regierung zu Königsberg. Köln/Berlin 1976, S. 13–30. 55 Im gesamten Verlauf der Legislative wurden nur zum ersten Entwurf Schroetters die genannten Departements gehört. Je spezieller die Fragen und Unstimmigkeiten zu den insgesamt vier Entwürfen wurden, umso stärker wurde die Zuständigkeit an die Beamten des Justizministeriums abgegeben. 56 Siehe zu Christian Philipp Koehler (1778–1842) Anlage 2: Biografien. 57 Vgl. hierzu die Gutachten des Militär-Ökonomie-Departements (1809), Bl. 80, 89. Ebenfalls gedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 291–293. Beide Gutachten beschäftigten sich speziell mit der Frage der finanziellen Ausgleichszahlungen beim Wegfall der Revenuen an Judenrekrutengeldern. Siehe dazu auch Kapitel 8.5 dieser Arbeit. Die Allgem. Polizeisektion (1809) verfasste ein knappes zweiseitiges Gutachten für die gesamte Sektion. Vgl. dazu das Gutachten der Allgem. Polizeisektion. Gedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 259–260.
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geschichtsphilosophische oder biblisch-exegetische Betrachtungen mit anführten, um einerseits den eigenen Standpunkt zu dem Ziel einer Gleichstellung zu begründen und andererseits die Folgen einer rechtlichen Gleichstellung unter Berücksichtigung der Interessen der christlichen Mehrheitsgesellschaft zu erörtern. Ohne dass die Berufung der Minister und Geh. Räte unter Stein/Hardenberg bereits konstitutionell verankert war, nahmen die vereidigten Räte und Minister zumindest in Teilen ihrer Amtsführung die Aufgaben wahr, die dem Aufgabengebiet der Ratskollegien mit dem Namen Geheimrat oder Staatsrat beigelegt wurden. Dazu bemerkte Joseph v. Held in einem Aufsatz zu den Aufgaben der Räte und Minister: Die Hauptfunktion derselben besteht in der Abgabe von Gutachten (vota consultativa) über die wichtigsten allgemeinen Angelegenheiten, namentlich über eigene Gesetzesvorschläge […]. Die organisatorische Grundidee eines solchen Collegiums aber ist die der höchsten sachkundigen objektiven Prüfung des fraglichen Gegenstandes im Interesse der Dauer und Einheit des Staates. Die Individualität der Räthe sowie deren ganze Stellung soll eine Garantie bieten, gegen jede parteiliche oder particularistisch einseitige und nur die momentanen politischen Strömungen berücksichtigende oder rein doctrinäre Politik.58
Clauswitz stellte im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zu den Gutachten der Staatsbehörden bezüglich der geplanten Städtereform fast verwundert und aus guter Distanz fest: Die Gutachten verkannten allerdings zum Teil die Mängel der damaligen und die Vorteile der neuen Verfassung und bewegten sich in Übertreibungen, aber sie waren als Interna des Kollegiums anzusehen. Die Verfasser d[u]rften sich rückhaltlos äußern, wie sie es für die Öffentlichkeit wohl nicht getan hätten.59
Die vier Referenten des Departements für „Cultus- und Öffentlichen Unterricht“ verfassten im Gegensatz zu den vorangegangenen Departements umfangreiche Einzelgutachten. Allerdings bezogen sie sich in ihrem Resümee ausdrücklich auf die vorangegangenen Erläuterungen von Staatsrat Wilhelm v. Humboldt.60 Individuelle Ansichten und Begründungen fielen zu Gunsten der Zustimmung gegenüber den Grundpositionen Humboldts bei den Gutachtern Süvern und Nicolovius eher spärlich aus. Trotz gegenteiliger Ansichten über den Erfolg der angestrebten Amalgamierung stimmten alle drei Gutachter dem Votum des Sektionschefs in
58 Zit. n. Held, Joseph v.: „Minister“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 10 (1864), S. 56– 70, S. 60. 59 Clauswitz, Städteordnung, S. 99. 60 Siehe zu Wilhelm v. Humboldt Anlage 2: Biografien.
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der Hauptsache völlig bei61 und erklärten sich mit den Worten Süverns „mit den in [den] vorstehenden Gutachten entwickelten Ansichten und Kritiken auf’s vollkommenste einverstanden“.62 Diese Übereinstimmungen bezogen sich primär auf die Gewährung aller bürgerlichen Rechte bei Erfüllung aller bürgerlichen Pflichten.
Abb. 7: Wilhelm v. Humboldt (1767–1835), Chef des Departements für Cultus- und Öffentlichen Unterricht und Gutachter des Reformentwurfs von Friedrich Leopold v. Schroetter.
Dieses Ziel konnte nach Wilhelm v. Humboldt nur mit dem Modell einer „plötzliche[n] Gleichstellung aller Rechte gerecht, politisch und consequent“63 verwirklicht werden. Die Begründung für diese Konsequenz formulierte Staatsrat Humboldt wie folgt: […] denn eine allmähliche Aufhebung bestätigt die Absonderung, die sie vernichten will, in allen nicht mit aufgehobenen Punkten, verdoppelt gerade durch die neue größere Freiheit, die Aufmerksamkeit auf die doch noch bestehende Beschränkung, und arbeitet dadurch sich selbst entgegen.64
61 Vgl. dazu Gutachten Nicolovius (1809), Bl. 137–138, Bl. 137 und Gutachten Schmedding (1809), Bl. 141–148, Bl. 143. 62 Gutachten Süvern (1809), Bl. 139, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 383. 63 Gutachten Humboldt (1809), Bl. 126, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 270. 64 Gutachten Humboldt (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 271.
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Staatsrat Schmedding wich sowohl im Umfang wie auch im Inhalt von den Erläuterungen und Voten seiner Amtskollegen Nicolovius65 und Süvern66 ab. In seinem Gutachten verzichtete er auf eine Beschreibung des „eigentümlichen Charakters der Juden“67 als Begründung für eine Skepsis gegenüber der Hoffnung auf eine Verschmelzung und votierte in seinem umfangreichen Gutachten für eine sofortige und volle Gleichstellung in den bürgerlichen Rechten und Pflichten, die er im Sinne „des obersten Grundsatzes der Gesetzgebung“68 als ausschließliche Maxime der Legislative ansah: Nach meiner Ansicht muß entweder der bürgerliche Zustand der Juden im wesentlichen bleiben wie er ist, oder sie müssen in Beziehung auf Recht und Pflicht den übrigen Untertanen ganz gleichgesetzt werden. Jeder Mittelweg verstößt gegen die oberste Maxime der Gesetzgebung, gleichmäßige Verteilung des Rechts, und leistet der Konsequenz Verzicht.69
Staatsrat Schmedding erhob den Begriff „Emancipation“ nicht zu einem ausdrücklichen Ziel der Legislative. Er verwendete ihn zukunftsorientiert als Folge einer vollen rechtlichen Gleichstellung, die jedoch eher ein Nebenziel der Gesetzgebung beschrieb. Eine erwartete Emanzipation stand damit nicht im Gegensatz zu bereits formulierten „Nützlichkeitserwägungen“70 im Entwurf Schroetters, sondern war Ergebnis einer Gleichstellung, die den Interessen des Staates und den kollektiven Interessen der betroffenen Zielgruppe entsprechen konnte. Darüber hinaus benutzte er den Begriff jedoch als Sammelbegriff in einem Zusammenhang, der zwar einerseits die Notwendigkeit der Reform betonte, andererseits jedoch auf Befürchtungen reagierte, die mit der Emanzipation negative Auswirkungen für die christlichen Bürger Preußens prognostizierten. Damit reagierte der Staatsrat auf erwartete Folgeerscheinungen, die er allerdings nicht generell, sondern als partielle Gefährdung von Einzelinteressen ansah und die er, zeitlich eingegrenzt, auf den Anfang der Wirkungsgeschichte des Edikts verlegte: Spricht man aber von anderen Nachteilen, die mit der Emancipation der Juden zumal für den Anfang verbunden sein können: So sind diese doch wohl, wenn wir uns anders nicht 65 Siehe zu Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (1767–1839) Anlage 2: Biografien. Siehe auch den Art. von Ernst Friedländer in: ADB, Bd. 23, S. 635–640. 66 Siehe zu Johann Wilhelm Süvern (1775–1829) Anlage 2: Biografien. Vgl. dazu den Artikel von Wilhelm Dilthey in der ADB, Bd. 37, S. 206-245. 67 Identische Wortwahl im Gutachten Süvern (10. September 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 283 und Nicolovius (6. September 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 282. 68 Gutachten Schmedding (1809), zit. n Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 286. 69 Ebd. 70 Auch der Entwurf Schroetters war nicht durchgängig auf rein staatliche Interessen ausgerichtet. Vgl. dazu die §§ 1 und 16.
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täuschen wollen, gewiß von keinem größeren Umfange als die vielfältigen leiblichen und moralischen Übel, die aus der jetzigen beschränkten Lage der Juden hervorgehen. […] Bei der Gleichstellung der Juden ist weniger Nachteil zu besorgen, als bei der jetzigen Ordnung der Dinge.71
Auch Staatsrat Schmedding betonte den Dualismus von bürgerlichen Rechten und Pflichten und band die Gewährung von gleichen Rechten an die Erfüllung der bürgerlichen Pflichten.72 Nur zwei Bedenken konnten dies nach Ansicht des Staatsrats verhindern: Entweder sei „der Jude nicht fähig alle Bürgerpflichten zu leisten“73 und dazu zählte der Staatsrat den Reihendienst und die Steuerpflicht oder „er [der Jude, Anm. d. Verf.] werde den Staat durch Missbrauch der Rechte, die man ihm einräumt, gefährden.“74 Andere Nachteile, die mit der Emanzipation der Juden, also der Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte, verbunden sein konnten, liefen nach Schmedding auf eine Gefährdung von Einzelinteressen hinaus, die durch gute Kriminal- und Gerichtsanstalten vermindert werden sollten. Ferner gab er zu bedenken, dass keine Gesetzgebung einen Missbrauch verhindern könne, und reagierte darüber hinaus auf Ansichten, die mit der Gleichberechtigung der Juden einen revolutionären Umsturz befürchteten: So kann von eigentlicher Gefahr für die Erhaltung und Ruhe des Staats wohl gar nicht die Rede sein; denn die Christen sind der Zahl nach so sehr die Stärkeren und in dem Besitz eines solchen Vorgewichts physischer und geistiger Kräfte, dass daran gar nicht zu denken ist; die Juden könnten ja die Verfassung an sich reißen und dann zur politischen Unterdrückung ihrer christlichen Mitbürger voranschreiten.75
Diese Prognose wurde in keinem vorangegangenen oder späteren Gutachten geäußert. Staatsrat Schmedding reagierte hier wahrscheinlich auf Befürchtungen, die bereits 1792 als Begründung für die Aussetzung der Reformarbeiten angegeben wurden: 1. Die drohende Kriegsgefahr und 2. „die jetzigen auswärtigen Schwärmereien und die gegenwärtig außerhalb seiner Majestät Staat noch subsistierenden Umstände“.76 Im preußischen Staatsgebiet lebten 1811 ca. 33.000 naturalisierte, privilegierte und konzessionierte Juden und ca. 3.000 geduldete fremde Juden. Gemessen an der preußischen Gesamtbevölkerung bildeten die jüdischen Einwohner
71 Gutachten Schmedding (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 286f. 72 Ebd. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Gutachten Schmedding (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 286. 76 Siehe auch Kapitel 4.7 dieser Arbeit.
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einen Anteil von unter einem Prozent.77 Wenn also in diesem Zusammenhang von einem zu befürchtenden Umsturz gesprochen wurde, so basierten diese Befürchtungen nicht auf einer quantitativen Überlegenheit. Die Sorge, dass die Bewunderung und Zustimmung für die volle bürgerliche Gleichstellung der Juden in Frankreich, Holland und Westfalen bei „franzosenfreundlich eingestellten Kreisen“78 im Besonderen in der Haupt- und Residenzstadt Berlin eine Nähe zu revolutionären Gedanken fördern konnte, scheint hier realistischer zu sein. Aktuelle Befürchtungen dieser Art79 hatten 1807 sowohl der Geh. Oberfinanzrat Karl Freiherr von Stein zum Altenstein als auch der spätere Staatskanzler Hardenberg geäußert, die sich allerdings auf die konkrete Versammlung des Großen Sanhedrin in Paris (1807)80 beriefen. Beide betonten die Notwendigkeit einer liberalisierten Judengesetzgebung für Preußen, weil Napoleon auch die preußischen Juden zu beeinflussen versuchte. Dazu Staatsminister Hardenberg: Die größte Aufmerksamkeit verdient die Bemerkung, dass Napoleon durch Berufung des großen Sanhedrins sich der Juden zu bemächtigen sucht. In ihrer Zerstreuung über die
77 Die östlichen Provinzen mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil waren abgetreten worden, so dass sich der Anteil der jüdischen Einwohner an der Gesamtbevölkerung von 2,35 (1803) auf unter ein Prozent (1811) verringerte. Vgl. dazu Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerungsund Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich. Berlin 1930, S. 5. 78 Schnee, Heinrich: Die Hoffinanz und der moderne Staat, Bd. 1. Berlin 1953, S. 222. 79 Auch der damalige Geh. Oberfinanzrat Karl v. Stein zum Altenstein sprach in seiner Rigaer Denkschrift vom 11. September 1807 unter dem Punkt des Aufgabenbereichs für eine „Erziehungs- oder Unterrichtspolizei“ von einer Reform des Judenwesens. Das Ziel, die Erziehung zum nützlichen Staatsbürger, sollte mit Hilfe von Unterrichtsanstalten verwirklicht werden. Das langfristige Ziel war der freie Gebrauch der Kräfte und die Übernahme aller bürgerlichen Rechte. Dass der jetzige Zeitpunkt dafür günstig schien, beschrieb er wie folgt: „Bei der Veränderung der ganzen Verfassung ist dieses möglich, und in dem jetzigen Augenblick ist die größte Aufmerksamkeit auf die Juden doppelt wichtig, da Frankreich sich ihrer zu bemächtigen sucht.“ Stein zum Altenstein, Karl v. (1807). Über die Leitung des Preußischen Staats an S. des Herrn Staatsministers Freiherren von Hardenberg Exzellenz. In: Winter, Georg (Hrsg.): Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, Bd. 1. Leipzig 1931, S. 458. 80 In Nachahmung des alten Jerusalemer Hohen Rats wurde eine Ratsversammlung jüdischer Rabbiner einberufen, die über genügend religiöse Autorität verfügte, um auch über Frankreich hinaus die Verhältnisse der Juden endgültig zu regeln. Diese neue Regierung Israels sollte eine getreue Wiederholung der ehemaligen Zentralgewalt sein und die gleiche Anzahl von 71 Mitgliedern erhalten. Mit den Worten der kaiserlichen Kommissare geschah dies, um „durch alle Länder Licht unter dem Volke, das ihm ehemals gehorchte, zu verbreiten“. Einladungen wurden über die Grenzen des Kaiserreichs verschickt und ab dem 9. Februar 1807 tagte die Versammlung in der Kapelle Saint-Jean in Paris etwa einen Monat lang. Vgl. dazu Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. 2 Teilbände, Bd. 2: Von 1650 Bis 1945. Darmstadt 1990, S. 102f.
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ganze Welt und in ihrem ausgebreiteten Einfluß liegt die Möglichkeit, den seinigen noch auf vielfältige Weise geltend zu machen.81
In diesen Zusammenhang gestellt, erhielt die preußische Judengesetzgebung auch einen Stellenwert in der Auseinandersetzung mit dem französischen Kaiser. Für Staatsminister Hardenberg war die Begrenzung des napoleonischen Einflusses auf die preußischen Juden ein Motiv für die geplante Reform. Vom französischen Imperator befürchtete er Manipulationen, in denen der Einfluss der jüdischen Familien gegen preußische Interessen gerichtet werden könnte. Nach der Recherche von Klaus L. Berghahn nahmen allerdings keine preußischen Juden am Sanhedrin in Paris teil. Der Grund für diese Zurückhaltung lag nach Berghahn in der patriotischen Grundeinstellung der preußischen Rabbiner begründet, die sich „wohl schon zu sehr als Untertanen Preußens verstanden“.82 In den Verhandlungen selbst wurde zwischen politisch und religiös motivierten Gesetzen unterschieden. Ein Ergebnis, das in Preußen eventuell für besorgniserregend gehalten werden konnte, war die Empfehlung, „dass jeder Israelit, der von den Gesetzen der Staaten als Bürger behandelt wird, nach seinem Glauben verbunden ist, sie als sein Vaterland zu betrachten, ihnen zu dienen, sie zu verteidigen und ihren Gesetzen gehorsam zu sein.“83 Die moralische Verpflichtung zur Verteidigung und zum Gehorsam setzte die Anerkennung und Behandlung als Bürger voraus. In der Umkehrung gedacht, hieße dies, dass ohne Bürgerrecht keine Bürgerpflicht erwartet werden konnte bzw. geleistet werden musste. Bemüht man an dieser Stelle nochmals den Begriff „Emancipation“ und wendet ihn auf den Beweggrund der Legislative nach Staatsminister Hardenberg an, bedeutet dies, dass eine liberalisierte Gesetzgebung auch in der Spannung stand, die preußischen Juden rechtlich so zu „emancipiren“, dass sie im Sinne der Staatsräson national zuverlässig handelten und die
81 Die komplette Textpassage lautet: „Er [Altenstein, Anm. d. Verf] hat bei diesem Gegenstand die Juden erwähnt, weil es allerdings in Absicht auf die ihretwegen zu beobachtenden polizeilichen Grundsätze vornehmlich darauf ankommt, sie zu veredeln, und die einzigen wirksamen Mittel, eine Reform derselben zustande zu bringen, der zweckmäßige Unterricht ihrer Kinder und ihre Teilnahme an der Gewerbefreiheit und den bürgerlichen Lasten ist.“ Hardenberg, K. A.: Über die Reorganisation des Preußischen Staates, verfaßt auf höchstem Befehl Sr. Majestät des Königs. Riga, 12. September 1807. In: Winter, Reorganisation, Bd. 1, S. 302–363, S. 336f. Vgl. dazu auch Wolbe, Eugen: Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg. Berlin 1937, S. 207. 82 Berghahn, Klaus L.: Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung. Köln [u. a.] 2000, S. 267. 83 Buchholz, Carl August: Actenstükke die Verbesserung des Bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend. Stuttgart/Tübingen 1815, S. 28. Siehe dazu auch Battenberg, Zeitalter, Bd. 2, S. 121f.
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Das Edikt vom 11. März 1812 – ein Emanzipationsedikt?
Interessen des Staates im Ziel auf weitgehende Souveränität gegenüber den napoleonischen Okkupationsinteressen mit unterstützten. Gleichzeitig musste die angestrebte neue Verordnung auch Gründe enthalten, die in Form einer Existenz sichernden und fördernden Paragrafierung die erwartete Loyalität rechtfertigten. Die Berücksichtigung von existentiellen Grundbedürfnissen als Voraussetzung für vaterländische Loyalität war auch in der vorangegangenen Reformbewegung ein Hauptthema der Delegierten und Betroffenen. Wie bereits erwähnt, hatten einflussreiche Hausväter der jüdischen Gemeinde in Königsberg bereits in ihrer Eingabe vom 17. Januar 179384 an den damaligen preußischen König Friedrich Wilhelm II. ihre Erwartung hierzu vorsichtig angemerkt. Sie schrieben, dass sie aus Dankbarkeit für ihre Duldung unter der preußischen Landesregierung die nachfolgende Generation so erzogen hatten, dass neben einer Selbstschätzung der eigenen Person und dem Gefühl für bürgerliche Ehrvorstellungen auch die Liebe zum Vaterland geweckt worden sei. Dies sei nun zwar die Grundlage für den Eifer, „durch Tätigkeit und Fleiß dem preußischen Staate nützlich zu werden“.85 Es setzte jedoch eine Öffnung der bis dato versperrten Wege im städtischen und ländlichen Gewerbe voraus. Blieben diese Möglichkeiten weiterhin versperrt, stand der jungen Generation neben der Konversion und dem Weg in den „niedrigen Wucherhandel“86 nur die Alternative offen, Preußen zu verlassen und „ein anderes Land zu suchen, das der freien Entwicklung ihrer Kräfte weniger ungünstig [gesonnen] ist“.87 Die Tendenz des Schreibens machte jedoch deutlich, dass die Königsberger Hausväter88 durchaus ihre Zugehörigkeit zum Staat betonten, und gleichfalls um die Aufhebung der besonders drückenden Lasten baten. Auch in den Jahren während der konkreten Arbeit an der Reform formulierten die jüdischen Gemeindeältesten Preußens mehrmals ihre Bereitschaft zur Übernahme aller bürgerlichen Pflichten bei Gewährung aller bürgerlichen Rechte.89 Dennoch äußerte sich auch der pro rechtliche Gleichberechtigung votierende90 Staatsrat 84 Eingabe der 34 Königsberger Hausväter an Friedrich Wilhelm II. vom 17. Januar 1797. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 91–96. Inhalt der Eingabe war die Bitte um eine Aufhebung der solidarischen Haftung, nach einer vorübergehenden Einsetzung in alle Rechte und Freiheiten der übrigen Untertanen. Vgl. dazu Kapitel 4.8 dieser Arbeit. 85 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 94. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 In der Eingabe wird an keiner Stelle die restriktive Familienpolitik zwecks Ansetzung eines zweiten Kindes beklagt. Für alle Schutzjuden galt, dass unvergleitete Kinder kein Aufenthaltsrecht besaßen. Im Falle der Verheiratung und Selbstständigkeit mussten sie das Land verlassen. Für naturalisierte Juden galt diese Regelung nicht. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 62f. 89 Siehe dazu Freund, Emanzipation, Bd. 2, Kap. 14. 90 Es ist hier generell die Frage, inwieweit diese Adjektive eine politische Haltung beschreiben können. In der Literatur gelten die preußischen Reformer quasi durch ihre Beteiligung an den
Der Begriff „Emancipation“ im Gutachten von Staatsrat … Schmedding
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Schmedding zu einschränkenden Maßnahmen, die im Falle einer Verweigerung gegenüber den bürgerlichen Pflichten den preußischen Staat zu einer restriktiven Gesetzgebung bzw. zur Beibehaltung der bisherigen Sonderregelung zwingen könnten: Fährt der Jude fort einen Staat im Staate zu machen, hilft er diesen nicht verteidigen, trägt er nicht die gemeinen Steuern, so ist Ungleichheit der Rechte keine Ungerechtigkeit; so fordert es die gesunde Politik, dass der Staat der Vermehrung dieser Klasse von Einwohnern Schranken setze, […].91
Die Aufzählung der zu erbringenden Leistungen findet sich in ähnlich formulierter Weise auch im Gutachten der Gewerbepolizei.92 Der Rahmen der genannten Pflichten wurde bei Staatsrat Schmedding jedoch um die Forderung nach unbedingter Loyalität gegenüber dem Staat erweitert. Die Frage, ob die hier verwendete Metapher vom „Staat im Staate“ bei Johann Gottlieb Fichte93 entlehnt war oder aus dem umgangssprachlichen Gebrauch übernommen wurde, ist hier weniger von Interesse. Auch Staatsminister Schroetter verwandte in seinem Immediatantrag vom Dezember 1808, mit dem er Friedrich Wilhelm III. seinen Entwurf zu „dieser an sich sehr wichtigen Constitution“94 als letzte seiner Amtshandlungen übersandte, diese Formulierung und unterstrich mit diesem Bild die Notwendigkeit einer Reform. Nach Minister Schroetter sollte der „kleine Staat im Staat“95 aufgelöst werden, teils aus „höchstdero eigenem Interesse, dem Interesse
Reformen selbst als liberale oder progressive Reformerpartei. Siehe dazu Berghahn, Klaus L.: Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung. Köln [u. a.] 2000, S. 267. Nach Barbara Vogel sollte zu diesem Zeitpunkt weder von einer Typologie noch von einem spezifischen Beamtenliberalismus gesprochen werden. Diese Etikettierung setzt eine Einheitlichkeit voraus, die weder durch ein bestimmtes Programm noch aufgrund persönlicher Bekenntnisse gegeben war. Siehe dazu Vogel, Barbara: Beamtenliberalismus in der Napoleonischen Ära. In: Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Liberalismus im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988, S. 45–63. 91 Gutachten Schmedding (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 287. 92 Gutachten der Gewerbepolizei, gez. Hoffmann und Minuth (1809), Bl. 116–122, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261: „Das Gesetz, die Abgaben, die Verpflichtungen zum persönlichen Kriegs- und Kommunaldienste treffen jedermann ohne Unterschied der Religion, folglich auch die Juden.“ 93 Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. 6. Rede. Berlin 1808. ND Tübingen 1869, S. 71. 94 Immediatantrag von Staatsminister Friedrich Freiherr v. Schroetter (22. Dez. 1808) an Friedrich Wilhelm III. In: GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. XXX: Akten des Ministeriums des Innern: Juden. Sachen.Generalia. Nr. 5, Bl. 42–44, Bl. 42. Ebenfalls abgedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 227f. Hier zit. n. ebd., S. 227. 95 Ebd.
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Das Edikt vom 11. März 1812 – ein Emanzipationsedikt?
der Nation und dem Interesse der Menschheit“,96 teils aufgrund von speziellen Erfahrungen, die gezeigt hatten, dass die gesetzten gesetzlichen Schranken historisch überholt waren. Darüber hinaus war diese Metapher kein Terminus, der nur auf die Lebenspraxis und den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft bezogen wurde. Auch in Bezug auf das preußische Militär, einer staatlichen Organisation, die nach eigenen Regeln, Gesetzen, Wert- und Ehrvorstellungen handelte und urteilte, wurde dieses Bild benutzt. Es stand jedoch auch hier im Zusammenhang mit der Kritik an einer sich nach Sondergesetzen verhaltenden Korporation oder Gemeinschaft.97 Dies galt ebenso für Kirche und Adel, die nach Fichte durch ihren Eigensinn die Entwicklung einer revolutionären Freiheit und Gleichheit in einem humaneren Staat behinderten.98 Andererseits wurde die Metapher im geografisch-politischen Sinne durchaus als Synonym einer Fremdbestimmung benutzt. Nach einer Äußerung des Provinzialministers von Südpreußen, Otto K. F. v. Voss (1793) bildeten die beiden Provinzen Süd- und Neuostpreußen innerhalb Preußens „einen Staat im Staate“,99 weil ihre Bewohner sich stets als eine andere Nation, „als einen Teil der polnischen betrachtet [hatten]“.100 Staatsrat Schmedding ging es bei der Verwendung dieses Begriffs nicht um eine Ausgrenzung und Stigmatisierung der jüdischen Einwohner Preußens. Es ging vielmehr um eine Reform der rechtlichen Verhältnisse. Kein Gutachter negierte diese Absicht. Strittig waren die Methoden und Modalitäten.
96 Ebd. 97 Vgl. dazu Rönne, Ludwig v.: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. 2. 5. Aufl. Leipzig 1906, S. 95. 98 Fichte, Johann Gottlieb: Beiträge zur Berichtigung der Urteile über die Französische Revolution (1793). ND Stuttgart 1964, S. 292ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Rainer Wohlfeil zur Organisation des friderizianischen Heeres als „Staat im Staate“. Wohlfeil, Rainer: Vom stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht. In: Forstmeier, Friedrich/Groote, Wolfgang v. (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Militärgeschichte. 1648–1939. München 1979. Abschn. 2, S. 9–184, S. 83f. 99 Hier zit. n. Bruer, Geschichte der Juden, S. 156. 100 Ebd.
7 Motive zur Initiative von Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1808) 7.1 Die Verwaltungspraxis nach 1806 Der erste Impuls für die Beauftragung zu einem weiteren Reformentwurf ging nicht vom preußischen König aus. Der Staatsminister Friedrich Leopold Freiherr v. Schroetter hatte sich in einem Immediatantrag vom 20. November 18081 für die Ausarbeitung eines Entwurfs empfohlen. Mit der Arbeit zu dieser neuen Konstitution wollte der Staatsminister allerdings erst beginnen, wenn Friedrich Wilhelm III. seine Position zur Konskriptionsfähigkeit der preußischen Juden näher bestimmte.
Abb. 8: Friedrich Leopold Freiherr v. Schroetter (1743–1815), preußischer Staats- und Ressortminister und Verfasser des Reformentwurfs von 1808.
Der Staatsminister selbst argumentierte für die Aufhebung der Exemtion und versuchte u. a. mit dem Hinweis auf das zu aktivierende und bisher ruhende Potential von zusätzlichen militärischen Hilfskräften, die aktuelle Notwendigkeit des Reformwerkes zu begründen.2 Friedrich Wilhelm III. blieb diesem Beweggrund 1 Immediatantrag Schroetters an Friedrich Wilhelm III. (20. November 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 211. 2 Staatsminister Schroetter: „Allein ehe ich es wagen darf, an eine solche Konstitution die Hand zu legen, so muß ich erst devotest um die huldreiche Bestimmung der Frage bitten: Ob
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Motive zur Initiative von Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1808)
gegenüber jedoch reserviert und wollte den noch andauernden Reformarbeiten zur Neuorganisation des preußischen Heeres nicht vorgreifen.3 Aber er beauftragte Staatsminister Schroetter in einem Bescheid vom 23. November 18084 mit dem Entwurf zu der beabsichtigten Konstitution. Dass die neue Verfassung für das preußische Judenwesen auch für den preußischen König mit neuen milderen Verfahrensweisen verbunden war, zeigt eine KO vom 3. Dezember 1808 (Königsberg). Knapp zwei Wochen nach der offiziellen Beauftragung wurde sie an Staatsminister Schroetter gesandt, der in doppelter Funktion, als Beauftragter für den Entwurf der neuen Verfassung und als Chef des Ostpreußischen Provinzialdepartements, an die Befolgung dieses Zieles gemahnt wurde: Überhaupt ist es nicht passend, in einem Zeitpunkt, wo durch eine Constitution für das Judenwesen mildernde Grundsätze aufzustellen beabsichtigt wird, mit Exportationen von Juden zu verfahren namentlich von solchen, die sich vom Handel zu Handwerken wenden und letztere zu lernen sogar aufgemuntert sind.5
Der Staat bemühte sich, Juden in Handwerksberufen auszubilden. Im Februar und März 1802 gaben Minister Schroetter und die Neuostpreußische Kammer in Bialystok einen Erlass heraus, nach welchem das Handwerk unter den Juden gefördert werden sollte. Darin wurde den ersten drei christlichen Meistern der Provinz, die in den nächsten fünf Jahren jüdische Lehrlinge aufnehmen würden, eine Prämie von 150, 100 und 50 Rtlr. versprochen.6 Nach den Untersuchungen Eure Königliche Majestät die Juden der Konskriptionsfähigkeit Wert halten und diese Bestimmung in der neuen Konstitution wollen aufnehmen lassen. Denn ohne diese Bestimmung kann den Juden keine Erweiterung in ihren Rechten und Privilegien zugestanden [werden].“ Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 211. 3 Die Militär-Reorganisations-Kommission wurde unmittelbar nach dem Frieden von Tilsit im Juli 1807 gegründet. Vgl. zu den Aufgaben u. a. Raumer, Kurt v./Botzenhart, Manfred: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Wiesbaden 1980, S. 463ff. und S. 467ff. Im Juni 1809 folgte die Einsetzung einer Konskriptions-Kommission, die mit G. v. Scharnhorst, Graf Lottum, H. v. Boyen und Th. v. Schön besetzt wurde. Gegenstand der Beratungen: Die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht unter Aufhebung aller Exemtionen. 4 Schreiben von Friedrich Wilhelm III. an Staatsminister Freiherr v. Schroetter: „Ich kann zwar darüber, ob die Juden künftig der Militär-Conskription zu unterwerfen sein werden, noch nicht bestimmen; Überlasse Euch aber auf den unterm 20ten d. M. erstatteten Bericht, für sie nach ihrer Überzeugung die beabsichtigte Constitution zu entwerfen.“ Königsberg, 23. November 1808. In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX: Akten des Ministeriums des Innern: Juden.Sachen. Generalia, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 61. Ebenfalls gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 211. 5 KO von Friedrich Wilhelm III. an Staatsminister Schroetter vom 3. Dezember 1808. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 220f. 6 Vgl. dazu Ajzensztejn, Andrea: Die jüdische Gemeinschaft in Königsberg. Von der Niederlassung bis zur rechtlichen Gleichstellung. Hamburg 2003, S. 60.
Die Verwaltungspraxis nach 1806
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von Andrea Ajzensztejn nahm niemand daran Anstoß, dass mit dieser Aufforderung das Gen.-Jud.-Priv. von 1750 (Art. 11), das den Juden jedes zünftige Handwerk verbot, außer Kraft gesetzt wurde. Aber 1808 waren unter den ungefähr 1.500 Königsberger Lehrlingen nur sechs Juden.7 Generell galt, dass der Wechsel vom Handel zum Handwerk gesetzlich erst durch die Aufhebung des Zunftzwanges möglich wurde, auch wenn vor dem Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe (7. September 1811), also mit dem Wegfall des Zunftzwanges und der bereits im Oktoberedikt von 1807 verkündeten Freiheit der Berufswahl für alle Stände, die Öffnung der handwerklichen Gewerbe im Reformversuch von 1789 empfohlen wurde.8 Im Reformplan des General-Direktoriums (1792) war unter Art. 5 vorgesehen, dass die nachfolgende Generation der jetzigen konzessionierten Schutzjuden auch Handwerke erlernen und betreiben sollte.9 Das betraf die Ausübung von bürgerlichen und zunftfreien Gewerben. Die Annahme, dass „noch herrschenden Vorurteile“10 diesen Anfang erschweren würden, wurde hier und auch in der späteren Deklaration (1792)11 geäußert. Nach den Einleitungsworten der Verfasser zum Reformplan ging es um die Erziehung und die Eingliederung der jüngeren Generation. Die ältere Generation der Schutzjuden war nach Ansicht des General-Direktoriums durch Zwang, Erziehung und Gewohnheit auf den Handel eingeschränkt. Aufgrund dieser Festlegung hatte sich nach Ansicht der Minister „ein niedriger Hang zur betrügerischen Schacherei und bösem Wucher“12 entwickelt und erhalten. Dieser als konstant und statisch beschriebene Charakter konnte jedoch nach ihrer Ansicht nicht zu anderen Sitten und
7 Ebd. Vgl. zur problematischen Anerkennung der Lehrzeit und zum Ablegen der Meisterprüfung für jüdische Gesellen Kapitel 4.6 dieser Arbeit. 8 Siehe dazu Dok. B. im Anhang. Die Öffnung des Handwerks für jüdische Lehrlinge wurde „dem guten Willen der Gewerke“ überlassen. Freigestellt blieb, ob Juden als Lehrlinge und folgend als Gesellen und Meister angenommen werden sollten. Ferner sollten die Handwerke, die für den Ortsgebrauch arbeiteten, wie Zimmerleute, Maurer, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser, Sattler, Tischler und Stellmacher, ausgenommen bleiben. 9 Reformplan des Gen.-Dir. vom 24. Januar 1792, gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 75–82. 10 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 76. 11 In der Deklaration (1792) wurde unter Art. 15 bestimmt, dass die Lehr- und Gesellenjahre, das Meisterstück und alle übrigen Erfordernisse nach der gleichen Art, den gleichen Regeln und Einschränkungen zu leisten wären, die auch für die Christen galten. Art. 16 bestätigte den Gilden, Zünften und Innungen die Freiheit, jüdische Kinder in die Lehre aufzunehmen. Dazu heißt es: „Es wird Uns [Friedrich Wilhelm II., Anm. d. Verf.] auch zum höchsten Wohlgefallen gereichen, wenn sie sich hiervon nicht durch ungegründete Vorurtheile aus dem Unterschied der Religionen abhalten lassen.“ Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 351f. 12 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 75.
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Gewerben „umgeschaffen werden“.13 Hingegen werde die nachfolgende Generation mit „anderer Erziehung und Applikation“14 auch für die Ausübung anderer Gewerbe geeignet sein. Dieser Gedankengang blieb auch während der Arbeiten zum Edikt von 1812 unter dem Aspekt der Amalgamation ein Motiv der Entwurfverfasser und Gutachter. Da jedoch der Handwerkerstand in den Nützlichkeitserwägungen der Reformer keine wesentliche Rolle zur Transformation spielte, liegt der Gedanke nahe, dass auch der preußische König mit dem Wechsel vom negativ stigmatisierten Handel zum bodenständigen Handwerk eher einen erzieherischen Auftrag verband. Der Grund für die Weisung an Staatsminister Schroetter war die Eingabe des jüdischen Konditors Hirsch Pollack aus Königsberg an den preußischen König.15 Der Konditor Pollack hatte sich auf Veranlassung und mit Fürsprache des Geh. Oberfinanzrates Wilhelm v. Klewitz an den König gewandt, um seine Ausweisung aus der Stadt Königsberg zu verhindern. In seinem Schreiben betonte der seit 1802 in Marienwerder etablierte Konditor, dass er Marienwerder aufgrund persönlicher Unglücksfälle verlassen musste, die auch durch die Einquartierung französischer Soldaten verursacht worden waren.16 Erst auf Antrag und mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Königsberger Magistrats im August 1807 hatte er Marienwerder verlassen und war im Oktober nach Königsberg übergesiedelt. Die gewährte Erlaubnis wurde ihm jedoch zwei Monate später entzogen und unter Androhung der zwangsweisen Transportation sollte er die Stadt wieder verlassen. Der Petent wies darauf hin, dass er selbst nichts verschuldet habe, was diese harte Maßregel gegen ihn rechtfertigte. Sie beruhe „vielmehr lediglich in den allgemeinen Bestimmungen wegen der hier befindlichen fremden Juden“.17 Der Widerruf der gewährten Erlaubnis stammte von Staatsminister Schroetter. Acht Tage nach der protokollarischen Eingabe des Konditors, welche dem Staatsminister nicht vom Königsberger Magistrat, sondern im Auftrag des Königs zugestellt wurde, sandte er seinen Immediatbericht zum Fall Pollack18 an den preußischen König. Hier legte er detailliert dar, dass die Erlaubnis zur Etablierung des Konditors während 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Protokollarische Eingabe von Hirsch Pollack an Friedrich Wilhelm III. vom 18. November 1808. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 217–218. 16 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 217. Vgl. zur Quartierslast auch Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. IV. Berlin 1990, Sp. 119–123. 17 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 217. 18 Immediatbericht von Staatsminister Schroetter an Friedrich Wilhelm III. (26. November 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 218 –220.
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seiner Abwesenheit erteilt worden war und dem Grundsatz entgegenstand, der in den Kabinettordres vom 13. Juli 1783, vom 26. Oktober 1783 und vom 19. November 1803 ausdrücklich für Königsberg angeordnet war, nämlich dass „die Zahl der jüdischen Etablissements hier gar nicht vermehrt werden solle“.19 Ferner verwies er auf das Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. XVII, nach dem die Bereitung und der Verkauf von trockenen und flüssigen, zum Genuss der Menschen geeigneter Gegenstände „überhaupt gar nicht, sondern bloß in der Ausnahme [und] der Einkauf zum eigenen Gebrauch und das Ablassen unter sich erlaubt sei“.20 Auch mit der Arbeit des Königsberger Magistrats zeigte sich der Staatsminister unzufrieden. Dieser hatte „sich überhaupt, besonders aber in Ansehung des Judenwesens bisher nicht zum besten genommen“.21 Der Staatsminister beklagte, dass „die Mißbräuche fast bei allen Behörden in Ansehung des Judenwesens jetzt so weit gehen, dass Befehle und Verordnungen beinahe gar nicht mehr wirken“.22 Bereits im Oktober des gleichen Jahres hatte der Staatsminister wiederum anlässlich des Falles Pollack die ostpreußische Kammer gerügt, weil sie angeforderte Akten „ungebührlich verspätet“23 schickte und der „Juden Schutz und ihre Aufnahme, mit Inbegriff der Translation des Schutzes von einem Ort zum andern“24 nicht mehr als übergeordnetes Hoheitsrecht betrachtete, sondern dem eigenen Zuständigkeitsbereich zuordnete. Schroetter betonte, dass auch das General-Direktorium nur in außerordentlichen Fällen und „eigentlich nie“25 die Translokation des Schutzes gestattet hatte. Er mahnte Kammer und Magistrat unter Androhung einer Untersuchung an, dahin zu verfahren, dass alle nicht hierher gehörigen Juden auf ihre Kosten über die Grenzen oder nach ihrer Heimat zu transportieren seien. Im Fall Pollack deutete er eine Ausnahmeerteilung an, weil der Name nicht in der eingereichten Liste zur Visitation aufgeführt war.26 19 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 219. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 220. 23 Reskript von Staatsminister Schroetter an die Ostpreußische Kammer vom 22. Oktober 1808. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 215–217, S. 217. 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Ebd., S. 216. Da der Name in der jährlich erstellten General-Visitations-Liste nicht auftauchte, wurde von Schroetter der Verdacht der Bestechung geäußert. Vgl. dazu das Reskript an die Ostpreußische Kammer (22. Oktober 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 215–217, S. 216. Zur genauen Kenntnis der Einwohnerzahl wurden außer den Haupt- und Generallisten jährlich von allen Städten und Magistraten Bürgertabellen über alle ab- und zugezogenen Bürger sowie Judentabellen und Kolonistentabellen nach Familien, Vaterland (Herkunftsort) und Gewerbe an die Königlichen Kammern eingereicht. In den hieraus erstellten „Historischen General-Tabellen“ wurden aus den Angaben der Städte und Kreise nach festen Schemata neben den Einländern
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Motive zur Initiative von Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1808)
Die hier angedeutete Erlaubnis wurde nicht erteilt. Auch die bereits erwähnte KO vom 3. Dezember 1808, die den Fall Pollack abschließend entschied, ordnete an, dass Hirsch Pollack die Stadt Königsberg zu verlassen hatte. Da der Konditor jedoch für die fehlerhafte Entscheidung der öffentlichen Behörden nicht büßen sollte, wurde ihm für die Rückkehr nach Marienwerder bis zu sechs Monate Zeit gelassen, „damit er sich hier losmachen und dort wieder einrichten könne“.27 Nach der von Staatsminister Schroetter entworfenen Verordnung wegen Aufhebung des Zunftzwanges und des Verkaufs-Monopols der Bäcker-, Schlächter- und Höker-Gewerke in den Städten der Provinzen Ost-, Westpreußen und Litauen vom 24. Oktober 1808 (§§ 3, 4)28 hätte der Konditor sein Gewerbe ausüben dürfen, wenn er im Besitz des Bürgerrechts gewesen wäre und die Erlaubnis der polizeilichen Behörden besessen hätte.29 Die Entscheidung der regionalen Behörden war damit aufgehoben worden. Ob der Kompetenzstreit zwischen den Unterbehörden und dem Staatsminister als übergeordnetem Vertreter der Provinz in staatlicher Verwaltungsfunktion auf grundsätzliche Probleme in den Fragen der Verwaltung schließen lässt, ist schwer zu beantworten. Nach der Städteordnung von 1808, an der auch Staatsminister v. Schroetter mitgearbeitet hatte, sollten die Kommunen ihre Angelegenheiten autonom regeln, und nur in wenigen Bereichen, wie dem Erlass neuer Statuten und der Bestätigung der Magistratswahlen, war eine Mitwirkung der staatlichen Verwaltungsbehörden vorgesehen. Dies bestätigte das Vorwort zur Städteordnung, nach der den Städten u. a. „eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen [sei]“.30 Der Magistrat als oberstes gewähltes Gremium der Stadtbürger verwaltete in Eigenverantwortung die Angelegenheiten der Stadt: Die preußischen Städte erhielten die Selbstverwaltung im Haushalt und in Steuersachen, im Armee- und Schulwesen und sie führten im Rahmen des Staates auch die Geschäfte der Polizei.31 Das beinhaltete jedoch nicht die Entscheidungsauch Franzosen, Wallonen, Böhmen, Salzburger und Juden erfasst. Vgl. dazu Borowski, Georg Heinrich: Abriß des praktischen Cameral- und Finanz-Wesens nach den Grundsätzen, Landesverfassungen und Landesgesetzen in den Königl. Preuß. Staaten oder Preußische Cameral- und Finanz-Praxis. 3. Aufl. Berlin 1805, S. 372ff. 27 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 221. 28 Siehe dazu N.C.C., Bd. 12 (1806–Okt. 1810), Sp. 458–462. 29 Hierzu § 3 der Verordnung: „Jeder städtische Einwohner […], der das Bürgerrecht gewonnen hat […], erhält sogleich die Befugnis zum Verkauf zu schlachten, zu backen und Lebensmittel aller Art feil zu halten.“ Zit. n. N.C.C., Bd. 12, Sp. 459. 30 Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion, Behufs der Geschäftsführung der Stadt-Verordneten bei ihren ordnungsmäßigen Versammlungen. (19. November 1808). In: N.C.C., Bd. 12, Sp. 457–462, Sp. 457. 31 Ebd. Vgl. dazu auch Stern, Alfred: Abhandlungen und Aktenstücke zur Geschichte der preußischen Reformzeit 1807–1815. Leipzig 1885, S. 228. Ebenso die ältere Abhandlung von Goetz,
Die Verwaltungspraxis nach 1806
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gewalt über den Zuzug oder die Etablierung von preußischen Schutzjuden. Die Städteordnung gewährte das Bürgerrecht nach § 17 allen, die solches zu erlangen wünschten, im Stadtgebiet über Grundbesitz verfügten und von unbescholtenem Lebenswandel waren.32 Im Fall der jüdischen Einwohner hieß dies nach einer KO vom 27. Dezember 1809, dass jüdische Städter nur insoweit an den Rechten und Befugnissen der Bürger teilhaben sollten, als „solches die Einschränkungen ihres staatsbürgerlichen Verhältnisses gestatte“.33 Dem entsprach auch der Text des Berliner Bürger-Briefes, der erklärte, dass wir den hiesigen Einwohner Samuel Hirsch auf sein geziemendes Ansuchen und nach befundener Qualifikation, zum Bürger angenommen, Ihn auch dadurch derer, einen hiesigen Bürger zustehenden Rechte und Wohltaten, jedoch mit Beibehaltung seiner sonstigen staatsbürgerlichen Verhältnisse, fähig und teilhaftig machen wollen. [Es folgte der nachgesetzte Eid, Anm. d. Verf.]34
Mit anderen Worten: Das Bürgerrecht hatte weder den Vorgang der Erteilung noch die Wirksamkeit der Privilegien aufgehoben. Im Sinne dieser Regelung unterstanden die städtischen preußischen Schutzjuden ebenso wie die naturalisierten Juden den staatlichen und nicht den städtischen Behörden. Dass die Auseinandersetzung über diese Zuständigkeit anlässlich des Falles Pollack bis in die höchste Entscheidungsebene getragen wurde, zeugte wahrscheinlich von dem Interesse, die Fragen zum Judenwesen zukünftig ausschließlich in den kommunalen Behörden beurteilen und entscheiden zu dürfen. In der Vergangenheit hatten bis zur Neuorganisation der Verwaltung unter Minister Stein (1808) die Kriegs- und Domänenkammern die allgemeinen Judensachen bereits etablierter Juden bearbeitet und das General-Direktorium35 bei Anfragen und Problemen bezüglich der Fragen zur Neuetablierung bzw. Translokation der Schutzpatente entschieden. Darüber hinaus wurden in strittigen Fällen weitere Stellungnahmen der Provinzialbehörden angefordert und zur abschließenden Walter: Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 7. Berlin 1929, S. 179ff. Am ausführlichsten hierzu Meier, Reform, S. 275–322. 32 N.C.C., Bd. 12, Sp. 457. 33 KO von Friedrich Wilhelm III. an die ostpreußische Kammer (17. Dezember 1809). Zit. n. Stern, Abhandlungen, S. 119. Vgl. dazu auch die kommunale Anordnung für Berlin in Kapitel 5.3 dieser Arbeit. 34 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 182f. 35 Im November 1808 erfolgte eine erste Neuorganisation der Verwaltungsbehörden mit der Auflösung des Generaldirektoriums. Die zukünftige Entscheidungsinstanz für die Niederlassungsgesuche war nach dem Publicandum vom 16. Dez. 1808 das Ministerium des Innern, speziell die Sektion der allgemeinen Polizei und die Generalkonferenz. Vgl. hierzu N.C.C., Bd. 12, Sp. 527–546, Sp. 531 und Meier, Reform, S. 11–29.
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Motive zur Initiative von Staatsminister Friedrich Leopold von Schroetter (1808)
Entscheidung dem General-Direktorium und dem König vorgelegt. Die Naturalisationspatente und Generalprivilegia wurden generell nur durch die Bewilligung des Königs vergeben.36 In der Geschäftsinstruktion für die Regierungen sämtlicher Provinzen vom 26. Dezember 1808 legte Minister Schroetter im § 56 nochmals fest, dass […] in betreff der Judensachen die Regierungen höhere Genehmigungen nachsuchen [müssen], bei Erteilung von Konzessionen: a) zu Erwerbung von Grundstücken, b) zur Ansetzung auf das Recht des zweiten Kindes, desgleichen zur Erteilung c) von Schutzprivilegien und Erweiterungen der schon gegebenen.37
Die bestehenden Vorschriften sollten gegenüber fremden und unbekannten Juden auf das Genaueste beobachtet und bei strenger Verantwortlichkeit auch den Unterbehörden zur Pflicht gemacht werden.38 Heimann Jolowicz berichtet von Eigenmächtigkeiten der Königsberger Räte, Juden bei wirtschaftlichem und finanziellem Bedarf den Aufenthalt zu genehmigen.39 Erst mit der Regentschaft von Kurfürst Friedrich III./Friedrich I. (1657–1713) wurde durch das Edikt von 1688 eine gewisse rechtliche Konsolidierung verwirklicht, die es den Juden erlaubte, sich gegen eine finanzielle Abgabe in der Stadt niederzulassen. Dass in der Verfahrensweise zur Etablierung von Juden auch bereits fixierte Regelungen neu zur Sprache und Verhandlung kamen, lag u. a. auch in der Frage begründet, welche Maßnahmen aktuell politisch ratsam waren. Im Fall der Täubchen Hirsch aus Königsberg (1803), deren Vater Philip Hirsch um die Erlaubnis nachsuchte, seine Tochter mit einem Königsberger Schutzjuden namens Samuel Mendel verheiraten zu können und sie auf sein Privileg in Königsberg anzusetzen, unterstützte die ostpreußische Kammer das Gesuch.40 Staatsminister Schroetter wies das Gesuch ab und wurde zum Bericht aufgefordert.41 In der letzten Instanz entschied der König äußerst ambivalent:
36 Am ausführlichsten hierzu Koch, Carl F.: Die Juden im Preußischen Staate. Eine geschichtliche Darstellung der politischen, bürgerlichen und privatrechtlichen Verhältnisse der Juden in Preußen, nach den verschiedenen Landestheilen. Marienwerder 1833, S. 32ff. 37 N.C.C., Bd. 12, Sp. 703–762, Sp. 729. 38 Ebd. 39 Vgl. dazu Jolowicz, Heimann: Geschichte der Juden in Königsberg. Posen 1867, S. 6ff. Jolowicz bezieht sich auf die Regentschaft des Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg (1595–1640). 40 Vgl. dazu Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 110–111. 41 Schroetter verwies auf die KOs vom 12. Januar 1761, 13. Juli 1783, 26. Oktober 1784, 16. Februar und 20. Mai 1787.
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Mein lieber Staatsminister Freiherr von Schrötter. Ich befehle Euch demnach, die zuerst in die Cabinetsordre vom 16. Februar 1787 gegebene Bestimmung, daß die Stadt Königsberg von den, den Juden erteilten Generalprivilegiis ausgenommen sein soll, zu dem Ende, daß hinführo keinen Generalprivilegierten, der vorhin dort nicht etabliert gewesen, verstattet sein solle, sich eher dorten zu etablieren, als bis von den jetzigen dort angesessenen ordinairen Schutzjuden eine Stelle vacant geworden, bei deren Wiederbesetzung, ihm das Vorrecht einzuräumen ist, gehörig bekannt zu machen und hiernächst darauf gebührend halten zu lassen.42
Die Entscheidung im Fall der Tochter von Philip Hirsch war von diesem Beschluss jedoch unabhängig. Unter Berufung auf einen Präzedenzfall sollte ihre Etablierung nach dem Faktor der Wirtschaftlichkeit ihres Etablissements entschieden werden. Im gleichen Schreiben hieß es daher weiter: Es wird also darauf ankommen, ob das vorhabende Etablissement der Tochter des Hirsch Philip zu Königsberg in Preußen zur Beförderung des Debits der Fabrikwaren notwendig oder nützlich sei oder nicht. Ersteren Falles soll dieses Etablissement verstattet und Supplikant bei dem General-Privilegio geschützt, letzteren Falls aber abschlägig beschieden werden.43
Am Fall der Ziemke Wolf aus Wrietzen (Kurmark)44 wurde 1808 erneut die Frage gestellt, ob den als zweite Kinder angesetzten Schutzjuden erlaubt werden
42 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 111. Die KO von Friedrich Wilhelm III. (19. November 1803) verwendete Schroetter auch als Argumentationshilfe im Fall Pollack. Schroetters Name wurde gelegentlich auch mit Umlaut geschrieben. 43 Zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 111. 44 Die Kurmärkische Kammer beantragte beim vorgesetzten Departement für die Tochter von Saul Joachim Wolf zu Wrietzen die Erlaubnis, die genannte Tochter als erstes Kind auf das Schutzprivileg ihres (verstorbenen) Vaters anzusetzen. Dies beinhaltete das Recht auf Verheiratung und Bleibe am bisherigen Wohnort oder am Wohnort des Bräutigams. Während der Generalfiskal die Ansetzung für unbedenklich hielt, argumentierte Finanzrat Jaeschke gegen das Ansuchen, weil bereits der Vater als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Vaters angesetzt worden war. Der Geh. Finanzrat Jaeschke und Staatsminister Schroetter votierten in ihren Gutachten für eine Begrenzung der jüdischen Population. Der Kriegs- und Domänenrat Troschel stellte die aktuelle Zweckmäßigkeit der Verordnung infrage. In seinem Gutachten fasste er die Positionen in zwei Fragen zusammen, deren Beantwortung maßgeblich für die zukünftige Politik sein sollten: „Man prüfe daher, dies wäre mein unvorgreiflicher Vorschlag, alles was für und wider geäussert worden, und man lasse hiernächst die landesherrliche Weisheit entscheiden, ob die Juden wirklich dem gemeinen Wesen gefährlich und gar keine Hoffnung vorhanden sei, dass sie sich aus ihrer jetzigen moralischen Verderbtheit zu dem Culturstande und zu der Unschädlichkeit der übrigen Staatsbürger erheben werden, oder ob Menschlichkeit, Vernunft und Politik dringend gebieten, den Juden die Rechte der übrigen Staatsbewohner einzuräumen.“ Gutachten Troschel vom 17.
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könne, ihrerseits wiederum zwei Kinder auf ihr Privileg anzusetzen, also im Land verheiraten und etablieren zu dürfen. Das Gutachten des Kriegs- und Domänenrats Friedrich Heinrich Gustav Troschel erörterte die Frage im Rückblick auf die Judengesetzgebung seit dem Jahre 1730 und stellte im Blick auf die Rechts- und Verwaltungspraxis fest, dass […] gerade dieser Teil unsrer einheimischen Gesetzgebung und Landesadministration dem Vorwurf einer höchst auffallenden Inkonsequenz und Planlosigkeit nicht entgehen kann. Die verschiedenen sogenannten General.Juden.Reglements und Privilegia nebst den späteren Juden.Sachen ergangenen Verordnungen und Operationen geben darüber sehr deutliche Belege in die Hand […]. Mit der Provinzial Administration steht es noch weit schlimmer, die Execution und Controlle mancher Vorschriften ist gewissermaßen ein Spott der Juden.45
Auch aus dem Bericht Schroetters waren Beschwerden über die Arbeitsweise der örtlichen Behörden hervorgegangen. Die unterschiedliche Bearbeitung der Gesuche nach Zeit und Rechtskompetenz sorgten sowohl innerhalb der preußischen Beamtenschaft als auch zwischen den Verwaltungsebenen für Kontroversen und Unmut. Eine neue Konstitution, die Kenntnisse über die Judengesetzgebung und ihre speziellen Reglements aus friderizianischer Zeit nicht zwingend voraussetzte und die ihre Gültigkeit für das gesamte Staatsgebiet ohne Sonderregelungen der Provinzen einheitlich regelte, konnte sowohl den Verwaltungsapparat von internen Unstimmigkeiten und aufwändigen Bearbeitungszeiten befreien wie den Souverän von sich wiederholenden Entscheidungen.
7.2 Das Transformationsmodell Da Staatsminister Schroetter die strikte Einhaltung der Zuwanderungs- und Niederlassungsbeschränkungen besonders aufmerksam verfolgte und Anfragen im Gegensatz zu den untergeordneten örtlichen Behörden in der Mehrzahl abschlägig beschied, hatte er sich nach Ismar Freund in seinem Departement in Neuostpreußen den Ruf eines „Haman[n]“46 der Juden erworben.
März 1808. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 178–194. Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 193. Die drei Gutachten sind abgedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 165–194. 45 Gutachten Troschel (17. März 1808). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 179. 46 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 115. Freund zitiert hier eine Bemerkung aus dem Text des Königsberger Kriminalrats Brandt. Vgl. dazu auch Jolowicz, Geschichte, S. 118. Zu der bibl. Figur Haman (AT) als Judenverfolger vgl. Koch [u. a.] (Hrsg.): Bibellexikon. Stuttgart 1987, S. 195 und Gutbrod, Karl/Kücklich, Reinhold/Schlatter, Theodor (Hrsg.): Calwer Bibellexikon. Stuttgart 1967, Sp. 471.
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Auch nach der Beurteilung moderner Historiker, wie Albert A. Bruer, trat Schroetter „hartnäckiger als jeder andere preußische Politiker für die zahlenmäßige Einhegung des Judentums ein“.47 Nach Kurt v. Raumer, der die Gesamtleistung von Staatsminister Schroetter in den Mittelpunkt seiner Beurteilung stellte, war Schroetter das „Haupt des Reformerkreises“48 der älteren ostpreußischen Beamtenschule, der mit „der Kenntnis des Dienstes auch Fortschrittsgeist verband“.49 Nach Ernst Meier besaß Schroetter „eine ganz außerordentliche Geschäftskenntnis und das feinste Verständnis für die Durchführbarkeit neuer Ideen“.50 Sein Dienstvorgesetzter, Minister Stein, nannte Schroetter „einen gescheiten, sachkundigen, unterrichteten Mann“.51 Nach Straubel kam Schroetter ebenso wie Minister Struensee als „Seiteneinsteiger“ über den Militärdienst und ohne Studium in den Kameraldienst.52 Er vervollständigte seine Bildung in seiner dienstfreien Zeit u. a. mit dem Erlernen der lateinischen, französischen, englischen und italienischen Sprache, mit Physik und Chemiekenntnissen. Bereits als Offizier unterhielt er enge Beziehungen53 47 Bruer, Geschichte der Juden, S. 272. 48 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 373. Nach Rolf Straubel wurde Schroetter unter dem Einfluss von Adam Smith zu einem Verfechter wirtschaftsliberaler Auffassungen, die später direkt in die preußischen Reformen einmündeten. Schroetter ergriff Maßnahmen zur Belebung von Handel und Gewerbe und initiierte erste Reformschritte im Bereich der Verwaltung (Aufhebung der Steuerratsbezirke, Trennung von Verwaltung und Justiz in Neuostpreußen) und zur Ablösung der Dienste der Domänenbauern. Straubel, Struensee, S. 431–434. Siehe dazu auch Knapp, Georg Friedrich: Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens, Bd. 2. München/Leipzig 1927, S. 102 und 108. 49 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 373. Vgl. dazu auch Mamroth, Karl: Die Geschichte der preußischen Staatsbesteuerung 1806–1816. Leipzig 1890, S. 81–91. Siehe auch Krause, Gottlieb: Der preußische Provinzialminister Freiherr v. Schroetter und sein Anteil an der Steinschen Reformgesetzgebung. Teil 1. Königsberg 1898. 50 Meier, Reform, S. 154. Vgl. auch Unruh, Georg Christoph v.: Friedrich Leopold Freiherr von Schroetter (1743–1815). In: Jeserich, Kurt/Neuhaus, Helmut (Hrsg.): Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648–1945. Stuttgart [u. a.] 1991. 51 Zit. n. Meier, Reform, S. 154. Vgl. ebenso den Immediatbericht von Minister Stein an den preuß. König (1. Dezember 1808). Aus Anlass der vorgesehenen Auflösung des neuostpreußischen Provinzialdepartements und zwecks Würdigung seiner Verdienste wurde Schroetter zur Auszeichnung mit dem Schwarzen Adlerorden vorgeschlagen: „Der Minister von Schroetter besitzt viel Betriebsamkeit, Geschäftserfahrung und Empfänglichkeit für liberale und größere Verwaltungsgrundsätze. […] Und in seinem Departement sind bedeutende Arbeiten geschehen, z. B. die Städte-Gemeinde-Ordnung, Aufhebung des Zunftzwanges der Bäcker, Brauer und Schlächter, Aufhebung des Mühlenzwanges, Verleihung des Grundeigentums an die Immediat-Einsassen usw.“ In: Freiherr-v.-Stein-Gedächtnisausgabe, hrsg. von Walter Hubatsch, Bd. 2.2: Das Reformministerium (1807–1808). Stuttgart 1960, S. 997f. 52 Straubel, Struensee, S. 432. 53 Privat verkehrte Schroetter in ähnlichen Kreisen wie Minister Struensee. Er galt als Förderer von Kunst und Wissenschaften und war von 1782–1784 Mitglied der Rosenkreuzer. Die Zeit seiner Mitgliedschaft er-
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zu den Universitätslehrern Kant und Kraus in Königsberg. Nach Straubel verhalfen ihm diese Kontakte „zu der geistigen Aufgeschlossenheit und zu dem weiten Horizont für die er später gerühmt wurde“.54 Die persönliche Einstellung des Staatsministers zu den Fragen der Judenreform basierte nach seinen Aussagen auf dem Erfahrungswissen seiner Amtsjahre in Neuostpreußen.55 Diese Erfahrungen hatten Schroetter einerseits zum Fachmann in den juristischen Fragen zu den bisherigen Judenverordnungen herangebildet. Andererseits hatten die Auseinandersetzungen um die Etablierungspraxis auch sein Judenbild beeinflusst. Staatsminister Schroetter orientierte sich in den Fragen zur äußeren Anpassung am traditionell gekleideten bärtigen Landjuden. In seinem Entwurf knüpfte der Minister die Gewährung der Staatsbürgerschaft an die Bedingung, „deutsche Kleidung zu tragen und den Bart sich scheren zu lassen“ (§ 2b).56 Eine Bedingung, die, wie bereits erwähnt, für wohlhabende jüdische Stadtbürger und die jüngeren städtischen Juden längst persönlicher Ausdruck ihrer Reputation und ihres Modegeschmacks geworden war. Diese Maßnahme war daher kaum an die etablierten städtischen jüdischen Bürger, sondern an arme oder orthodox lebende Juden gerichtet. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme begründete der Minister mit seinem Erfahrungs- und Alltagswissen. Von der äußeren Anpassung versprach sich der Staatsminister eine vorteilhafte Wirkung auf die Vorurteile des christlichen gemeinen Mannes, weil diese „größtenteils vom abweichenden Äußeren der Juden herrührten“.57 Nach der Oeconomische[n] Encyclopädie von mittelte Gerlach, Karlheinz: Die Gold- und Rosenkreuzer in Berlin und Potsdam (1779–1789). In: Freimaurerische Forschungsgesellschaft e.V. Quattuor Coronati, Jahrbuch Nr. 32. Bayreuth 1995, S. 87–147. 54 Straubel, Struensee, S. 432. Nach den Untersuchungen von Straubel hatte Schroetter als Physiokrat ein weitaus höheres Interesse an der Agrikultur als am städtischen Gewerbe. Dass Schroetter für den freien Handel am Beispiel des ungehinderten Getreideexports in Ost- und Westpreußen eintrat, lag an der günstigen geografischen Lage für den Handel nach Osten. Schroetter handelte nach pragmatischen ressortbedingten Gesichtspunkten und nicht nach theoretisch ideologischen Positionen. Seine Förderungsmaßnahmen für die Provinz konnten dementsprechend auch konträr zur Steuerpolitik Preußens stehen. Seine Reformbereitschaft hatte jedoch nach den Recherchen von Straubel „unübersehbare Grenzen“. Ebd., S. 433. 55 Die Auswirkungen der Judenpolitik im Herzogtum Warschau und in Russland betrafen auch Preußen. In Russland mussten die Juden höhere Abgaben leisten, im Herzogtum war die Erteilung bürgerlicher Rechte mit der Wehrpflicht verbunden. Die Folge waren Einwanderungen fremder Juden, die sich nach Schroetter mangels Einkommen zu Räuberbanden zusammenfanden oder durch Korruption den Status eines Schutzjuden erlangen wollten. Vgl. dazu Bruer, Geschichte der Juden, S. 272, und die Immediatvorlage Schroetters (20. November 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 208. Vgl. auch Raumer, Kurt v.: Friedrich Leopold v. Schroetter und der Aufbau Neuostpreußens. In: HZ 163 (1941), S. 282–304. 56 § 2b im Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 228. 57 Erläuterungen Schroetters zum Entwurf: „Der § 2 macht die Juden vom Aeußeren nach den Christen völlig gleich. Welchen mächtigen Einfluß das Aeußere auf den inneren Menschen hat,
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Johann Georg Krünitz (1784) galt der Kleidungsstil auch als äußeres Merkmal der religiösen Gesinnung. Galten die polnischen Juden als rechtgläubig und traditionell im Glauben, wurden ihnen im gesellschaftlichen Umgang eher rohe, ungebildete und devote Sitten nachgesagt. Hingegen galt der sich im „deutschen“ Rock kleidende Jude als denkender und aufgeklärter Mensch, der in seiner Lebensart zwangloser und von Vorurteilen freier war.58 Zu dieser Form der äußeren Anpassung äußerten sich die Gutachter insgesamt ambivalent. Das Anlegen des deutschen Rockes wurde als Ablegen der jüdischen Eigentümlichkeit von der Sektion der Gewerbepolizei befürwortet.59 Die Frage, was die deutsche Tracht ausmachte, wurde jedoch nicht gestellt. Ein Konsens bestand darin, was nicht „Deutsch“ aussah, nämlich der orientalisch wirkende Kaftan. Im Gutachten des Kriegsdepartements gab man zu bedenken, dass die Bedingung des Bartscherens in die religiösen Gebräuche eingreife und man daher den älteren und mit dieser Gewohnheit vertrauten Juden weiterhin gestatten sollte, den Bart beizubehalten.60 Die Maßnahmen zur äußeren Anpassung wurden entweder als „actus privatus“ und damit als nicht justiziabel oder als kaum ausreichende Maßnahme zur Änderung des Nationalcharakters bewertet. Dazu bemerkte Staatsrat Nicolovius, dass man alle Erziehungsabsichten bei der Gesetzgebung aufgeben und sich auf das reine Rechtsverhältnis konzentrieren solle. Dem ging jedoch der Skeptizismus voraus, dass „der Jude Jude bleiben werde“,61 weil er „schon einer Reihe von Jahrhunderten dem Leben in fremden Ländern widersteht“.62 Die Berichte und die Erörterungen von Staatsminister Schroetter enthielten ebenso wie die Gutachten mehrerer Amtskollegen63 Aussagen über einen darf wohl nicht ausgeführt werden. Vorzüglich vorteilhaft wird dieses auf den christlichen gemeinen Mann wirken, dessen Vorurteile gegen die Juden größtenteils vom abweichenden Aeußeren derselben herrühren.“ Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 245. Vgl. dazu auch Katz, Tradition, S. 25. Dort benennt J. Katz als Zeichen der sozialen Absonderung neben den segregierten Wohnorten auch die jiddische Sprache, die Kleidung und die Bärte der jüdischen Männer. 58 Krünitz, Encyclopädie, 31. Theil (1784), S. 482. 59 Gutachten der Gewerbepolizei (1809), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261f. 60 Vgl. dazu das Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Akten des Ministeriums des Innern: Juden.Sachen.Generalia. Nr. 5, Bd. 1, Bl. 84–87. Gedr. bei Freund, Akten, S. 293–297, S. 294. 61 Gutachten Nicolovius, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 282. 62 Ebd. 63 Das in seinen Formulierungen und Forderungen extremste Gutachten schrieb der damalige Geh. Finanzrat Heinrich von Beguelin für die Abgaben-Sektion des Finanzministeriums. Der Finanzrat ging von unveränderlichen Nationaleigentümlichkeiten aus, die allgemein „einem Lande äußerst schädlich sein müssen“ und die individuell erkennbar bleiben, „weil der Jude als Kaufmann, unter welcher Gestalt er auch erscheint, stets Jude bleiben wird“. Gutachten Beguelin
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vermeintlichen und vorwiegend negativen Nationalcharakter der Juden. Auf die Gefahren dieser Beurteilungen als Grundlage für Gesetzesentwürfe hatte der damalige Staatsrat Wilhelm v. Humboldt in seinem Gutachten (1809) zum Entwurf von Staatsminister Schroetter (1808) hingewiesen. Selbst wenn dem Beobachter nach den Worten von Humboldt „Erfahrung, schnelle und feine Beobachtungsgabe und philosophischer Sinn“64 gegeben waren, so nahm seiner Meinung nach die Sicherheit der Überzeugung mit der Größe dieser Fähigkeiten ab. Ein gewissenhafter Mann sollte daher an dem Resultat dieser Ergebnisse „nie [die] Erteilung oder Verweigerung von Rechten knüpfen“.65 Staatsminister Schroetter konstatierte im Gegensatz zu den unten angeführten Gutachtern negative Eigenschaften, wie die Neigung „zum Eigennutz, zur Übervorteilung, zur Verschlagenheit und zum Wucher“.66 Er bezog sich hierbei auf den Aspekt, der für ihn in diesem Zusammenhang am wichtigsten war: Die Mentalität und Erfahrung des erfolgreichen Händlers. Das Motiv „Geld zu schaffen“,67 eine Formulierung, die Hermann v. Boyen anlässlich der Beschreibung von Staatskanzler Hardenbergs größter Aufgabe verwendete, war auch in der Immediatvorlage an den preußischen König ein Motiv der Initiative. Die Erziehung zum nützlichen Staatsbürger beinhaltete in diesem Fall nichts anderes als die Transformation vom negativ stigmatisierten Wucherer zum national verantwortlichen Besitzbürger. Der Staatsminister stützte sich hier auf den nach Jacob Katz berechtigten Ruf von jüdischen Finanziers, Gelder auch in Erwartung von eher langfristigen Gewinnen vorstrecken zu können.68 Das Stichwort der Reformära hieß Utilitarismus: Der Staat mobilisiert ungenutzte Kräfte zum Wiederaufbau des durch den Krieg und den Tilsiter Frieden zerrütteten Landes. Nach Ernst Rudolf Huber konnte dieser Aufbau „nach der Überzeugung Schöns, Schroetters und Altensteins nur durch den Übergang zum wirtschaftlichen Liberalismus in Angriff genommen werden“.69 Nach Huber und Botzenhart waren die Lehren von Adam Smith durch Christian Jakob Kraus, Professor in Königsberg, auch in Preußen verbreitet (24. Januar 1810), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 298–305. Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 304. 64 Gutachten Humboldt (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 272. 65 Ebd. Auf Stigmatisierungen verzichteten nur die Gutachter Dohna, Friese, Humboldt, Schmedding, Lottum und die Gutachter des Allgemeinen Kriegsdepartements. 66 Immediatvorlage Schroetters an Friedrich Wilhelm III. (20. November 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 208. 67 Schmidt, Dorothea (Hrsg.): Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann v. Boyen. Berlin 1990, S. 347. 68 Katz, Tradition, S. 57ff. Vgl. dazu Bruer, Geschichte der Juden, S. 243ff. und S. 253ff., und Bruer, Aufstieg, S. 21ff. 69 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 187.
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worden, und sie beherrschten vor allem das Denken der ostpreußischen Reformer, die wie Theodor v. Schön durch die Kraus’sche Schule gegangen waren.70 Staatsminister Schroetter war ein Förderer des späteren Ministers Theodor v. Schön und von Christian J. Kraus in Königsberg. Im Auftrag von Minister Schroetter entwarf Kraus einen Plan für ein modernes Studium der Kameralwissenschaften, der in Königsberg auch verwirklicht wurde. Profesor Kraus avancierte damit ab 1800 zur entscheidenden Instanz in der Zulassung von Königsberger Kandidaten zum ostpreußischen Staatsdienst.71 Nach Wilhelm Treue beeinflusste Kraus die Gesetzgebung zur Veräußerung der Domänen (1808), zur Aufhebung des Mühlenzwangs (1808) und vor allem das Edikt zum „erleichterten und freien Gebrauch des Grundeigentums sowie der Aufhebung der Gutsuntertänigkeit“ (1807).72 Inhaltlich standen die staatswissenschaftlichen und damit politischen Ideen des schottischen Volkswirtschaftlers Adam Smith (1723–1790)73 für eine individualistische und liberale Wirtschaftslehre: Nicht der Geldvorrat und der Außenhandel (Merkantilisten) oder der Produktionsfaktor Boden (Physiokraten), sondern die Arbeit aller schafft nach Smith den Wohlstand der Nationen.74 Das Ziel war in diesem Sinne eine freie, durch wenige Staatsmaßnahmen gehemmte Organisation der Gesellschaft und der Arbeit. Die Erziehung zum nützlichen Staatsbürger war daher kein Anspruch, der explizit an die jüdischen Preußen gestellt wurde. Er galt nach der Devise der Zeit für alle Einwohner, unabhängig von der Konfession und Abstammung, und er wurde darüber hinaus auch zum überregionalen Maßstab gesellschaftlicher Verbände.75 In der gedanklichen 70 Ebd. Siehe dazu auch Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 183, und Treue, Wilhelm: Adam Smith in Deutschland. In: Conze, Werner (Hrsg.): Deutschland und Europa. Düsseldorf 1951, S. 101–133. Nach den Ergebnissen von Treue kamen über die Universität in Göttingen die späteren Reformer Hardenberg, Stein, Bülow, Sack mit den neuen Lehren von A. Smith in Berührung. In Königsberg wurden die Reformer Schön, Schroetter und A. v. Dohna durch den nach Königsberg berufenen Christian Jakob Kraus, der in Göttingen studiert hatte, mit den Lehren von Smith bekannt. 71 Treue, Adam Smith, S. 118. 72 Ebd. 73 Siehe zu Adam Smith (1723–1790) Anlage 2: Biografien. Die Begeisterung der preußischen Beamten für die wirtschaftliberalen Ideen Smiths basierte nach H.-U. Wehler auf dem Umstand, dass sie u. a. darauf hofften, mit „Adam Smith Napoleon zu schlagen“. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1 (1987), S. 412. 74 Vgl. dazu Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Dublin 1776. (Reichtum der Nationen. ND Paderborn 2004, Kap. 1.) 75 Der Anspruch, dem Staate und damit im übertragenen Sinne dem Allgemeinwohl in einem gesellschaftlich-sozialen Verband nützlich zu sein, galt auch dem Forscher Alexander v. Humboldt als Kriterium bei der Beurteilung seiner ethnografischen Beobachtungen in Südamerika. In der Kritik am Missionswesen in den Bergen von Neu-Andalusien beschrieb er den Erfolg der
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Konzeption ging z. B. der Wissenschaftler Alexander v. Humboldt davon aus, dass für die Nützlichkeit des Individuums die gedankliche Freiheit – und damit die Freiheit von Abhängigkeit und Bevormundung – unbedingt notwendig sei. Die Freiheit zur Entfaltung eigener Kräfte sei jedoch nur mit der Zulassung und Wertschätzung von Bildung möglich.76 Dieser humanistische Anspruch musste weder generell noch bezüglich der zukünftigen Judengesetzgebung mit utilitaristischen Zielen verbunden werden. In einem Beispiel aus der älteren Literatur zum Edikt verwies Carl F. Koch, Königlich Preußischer Oberlandesgerichtsassessor und Direktor des Landes- und Stadtgerichts Culm, 1833 auf eine Intention des Edikts, die er ausdrücklich weder als Tat der Barmherzigkeit noch der Menschlichkeit oder Gerechtigkeit definierte: „Sondern es ist eine Maßregel, welche von der Staatsklugheit geboten wird, um sich einer großen Anzahl lästiger Fremden zu entledigen und dafür eine gleich große Anzahl nützlicher Staatsbürger zu gewinnen.“77 Nach Schroetter hatte sich bei den Juden, bedingt durch die Festlegung auf den Handel, „ein ganz eigene[r] schnelle[r] Blick, eine Gewandtheit und Schlauigkeit“ 78 herausgebildet, die „kein Christ in der Regel zu erlangen fähig [war]“. 79 Da der Staatsminister vorhandene Geldmittel in „einem nicht zu berechnendem Maße“ 80 voraussetzte, sollte die neue Konstitution auch dahin wirken, „dass das Geld der Juden auch in die Hände der Christen wieder zurückkommen [konnte].“ 81 In dieser rhetorisch versierten Beschreibung symbolisierten die Hände des Einzelnen auch die Kassen des Ganzen. Dieses Motiv tauchte sowohl in der Hoffnung auf den Zuzug fremder und reicher Juden auf, die durch den Ankauf königlicher Vorwerke „ansehnliche Summen baaren Geldes ins Land bringen sollten“, 82 wie auch in der zukünftig geplanten Erlaubnis der gemischten Eheschließung, in
Missionsstationen als überwiegend schädlich für die Indianer und das Gemeinwesen der Eingeborenen. Denn unter der Zielsetzung der Domestizierung der Leidenschaften und dem Fernhalten vermeintlich negativer Einflüsse wurde nach der Ansicht Humboldts eher die Lethargie und der Unmut gefördert und nicht die geistige Entwicklung und die Erweiterung des Gesichtskreises. Vgl. dazu Humboldt, Alexander v.: Die Reise nach Südamerika. ND Göttingen 1993, S. 82. 76 Ebd. 77 Koch, Juden, S. 166. 78 Siehe die Immediatvorlage Schroetters vom 20. November 1808, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 208. 79 Ebd., S. 209. 80 Ebd. 81 Ebd. Vgl. dazu auch Katz, Tradition, S. 48ff. zum Thema der unterschiedlichen rechtlichen Normen im Handel zwischen Juden und Christen. 82 Immediatvorlage Schroetters (20. November 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 209.
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der „Heiraten reicher Jüdinnen mit Christen gewiss zu erwarten [seien]“. 83 Die erste Absicht entsprach den Plänen, die Minister Altenstein für den Neuaufbau entworfen hatte. Zu den Fundamentalregeln dieses Hauptplans für den Staatsaufbau nach dem Frieden vom 2. Juli 1807 zählte Minister Altenstein a) den Verkauf aller Domänen, b) die Reduzierung aller Forsten und c) die Aufhebung allen Gewerbezwanges. 84 Nach Altenstein hatte der Staat ein großes Kapital in diesen Domänen stecken. Für den Verkauf und gegen die Verpachtung votierte er da, wo der Verkauf wegen der Nähe zu größeren Städten, vorzüglich zu Berlin, für die Kasse vorteilhafter war. 85 Nach Hardenbergs Plänen (1807) sollten die Domänen ebenfalls verkauft werden: Eine zweckmäßig eingeleitete Veräußerung von Domänen halte ich für eins der besten und unschädlichsten Mittel um den jetzigen ausserordentlichen Bedürfnissen des Staates zu genügen. Es wird dabei auf die Art der Veräußerung und den Zeitpunkt ankommen, damit man sie nicht verschleudere.86
Nach Horst Fischer wünschte sich Staatskanzler Hardenberg 1811 für Preußen, dass die Juden als Käufer von Staatsdomänen zugelassen werden sollten, um für die Güter einen möglichst hohen Preis zu erzielen.87 Nach diesem Motiv definierte sich der Aspekt der Nützlichkeit über den Transfer von Geldmitteln, die nach der Beschreibung von Staatsminister Schroetter auf unehrenhaften und nicht rechtmäßigen Wegen in die Hände der Juden gelangt waren. Sowohl in seiner Immediatvorlage an den König (20. November 1808)88 als auch knapp eine Woche
83 Diese Äußerung von Staatsminister Schroetter stammte aus seinen Erläuterungen zum Entwurf (22. Dezember 1808). Er hatte in seinem Entwurf unter § 27 auch die jüdisch-christliche Mischehe ohne Religionsübertritt für rechtlich legitim erklärt. Neben dem oben zitierten Argument ging es Schroetter um „die glückliche Folge einer näheren Vereinigung der Christen mit den Juden, wozu vorzüglich Familienverhältnisse führen“ und um den Transfer von jüdischem Vermögen in christliche Hände. Zit. n. Schroetter, F. L. v.: Erläuterungen von Staatsminister Schroetter zum Entwurf (22. Dezember 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 244–248, S. 246. Siehe dazu auch Kapitel 8.6 dieser Arbeit. 84 Zit. n. Winter, Reorganisation, S. 210. 85 Ebd. 86 Ebd., S. 344. 87 Vgl. dazu Fischer, Judentum, S. 23. 88 Immediatvorlage Schroetters an Friedrich Wilhelm III. zur Beauftragung für eine Konstitution für das Judenwesen (20. Nov. 1808): „Ein Hauptbewegungsgrund meines devoten Antrags aber, bleibt immer mit der, diese Menschenmasse, die jetzt den übrigen Staatsbürgern, ihres Wuchers wegen, schädlich ist, durch einen neue Konstitution von selbigem abzuziehen und zu nützlichen Staatsbürgern zu machen.“ Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 210.
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später anlässlich des Falles Pollack nannte und bekräftigte der Staatsminister dieses Motiv als gleichzeitiges Ziel der Gesetzgebung: Es wird daher dringend nötig, sie auf der einen Seite einzuschränken, auf der anderen aber ihnen eine Konstitution zu geben, die sie vom Wucher abzieht und zu nützlichen Staatsbürgern macht.89
In ähnlicher Form äußerte sich Staatsrat Koehler in seinem Gutachten vom Mai 1809 zum bereits vollendeten und eingereichten Entwurf von Staatsminister Schroetter. Auch er konstatierte für die Juden „in Masse betrachtet“90 das, „was man im gemeinen Leben Wuchergeist [nannte]“,91 und beantwortete die Frage nach der Verantwortlichkeit u. a. mit einem Verweis auf die Geschichte. Durch Zwangsgesetze aller Art, die Beschränkung auf den Handel und die Absonderung vom allgemeinen Verkehr war die Verachtung künstlich erzeugt worden.92 Nach Sombart basierte die Kritik an den jüdischen Kaufleuten auf den unterschiedlichen kaufmännischen Moralvorstellungen. Jüdischen Kaufleuten wurde Skrupellosigkeit beim Abwerben von Käufern, beim Kundenfang über öffentliche Anpreisungen z. B. in Tageszeitungen und beim Kauf von Konkursmasse und Waren aus zweiter Hand vorgeworfen. Ebenso wurden eine sparsame Lebensweise und das offene Bekenntnis zum Gewinnerzielen kritisiert. Das idealistische Selbstbildnis der christlichen Kaufleute implizierte ein geordnetes, langfristig kalkulierbares Nebeneinander, in dem jeder Kaufmann seinen eigenen Kundenstamm pflegte, aber nicht aktiv umwarb und erweiterte.93 Obwohl Staatsrat Koehler den Ansichten des Staatsministers nahekam, zog er andere Schlussfolgerungen. Er entwarf in seinen Ausführungen ein Erziehungsmodell, mit dem er die Öffnung aller ländlichen Gewerbe- und Niederlassungsmöglichkeiten anregte, mit dem Ziel, den Charakter der Juden langfristig durch die Tätigkeit als Bauer oder Landmann umzubilden. Nach Koehler besaß der Bauer einen „entgegen gesetzten Zug von Liberalität und Uneigennützigkeit, der eine Folge seines Gewerbes [war]“.94 Da der Staatsrat in seinem Modell Berufstätigkeit und Mentalität gleichsetzte, stellte ihn diese schlussfolgernde Verallgemeinerung vor ein Problem. Entsprach die jüdische Mentalität am ehesten dem Kaufmannsgeist und kam dem Gewerbe des Handels nach den Worten Koehlers 89 Immediatbericht v. Schroetter an Friedrich Wilhelm III. zum Fall Pollack (26. Nov. 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 220. 90 Gutachten Koehler (13. Mai 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 252. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Sombart, Juden, S. 144. Siehe hierzu auch die Kritik von Katz, Tradition, S. 67f. 94 Gutachten Koehler, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 253.
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eher die Eigenschaft der Eigennützigkeit und der „beständige[n] Rücksicht auf das eigene Interesse“95 zu, so war diese Auswirkung offenbar unabhängig von der Abstammung, Herkunft, Tradition oder dem religiösen Bekenntnis des Betreibers. In diesem Sinne äußerte sich auch Carl Steinacker zum oft wiederholten Vorwurf gegen die „eigentümliche“96 Beschäftigung der Juden: „Wie viel Charakterstärke aber gerade der Handel erfordert um die Redlichkeit nicht zu gefährden, das würden wir auch wissen, wenn es keine Juden gäbe.“97 Eine Gleichsetzung zwischen einer nicht redlichen Kaufmannsmentalität und einer sogenannten „jüdischen Volksmentalität“ vollzog in populärer schriftstellerischer Hinsicht auch Adolf v. Knigge98 in seinem 1788 erstmals erschienenen Werk Über den Umgang mit Menschen99. Auch Knigge übte, wie die Reformer, historische und moralische Kritik an den Umständen und Gründen, die zur Verachtung gegenüber den Juden geführt hatten. Seine Kritik erhielt gerade durch die beobachteten Umstände in anderen Staaten erhebliche Plausibilität. In Amerika und Holland stellten die Juden einen akzeptierten Teil der Bevölkerung dar, der zum Erstaunen Knigges „in allen Sitten mit den Christen übereinstimmte“100 und sich durch wechselseitige Heirat sogar mit ihnen verband. Für die Beurteilung der hiesigen ansässigen Juden blieb diese Beobachtung jedoch ohne Belang. Knigge urteilte hier nicht nach den von ihm so bezeichneten „Ausnahmen in einigen Städten Deutschlands, besonders in Berlin, [sondern] nach der größeren Anzahl [und] dem großen Haufen derselben“.101 Dementsprechend schilderte er
95 Ebd. 96 Steinacker, Carl: „Emancipation der Juden“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 5 (1837), S. 22–52, S. 47. 97 Ebd. Ähnlich formuliert auch bei Krünitz, Encyclopädie, Bd. 31 (1784), S. 410: „[…] denn der Handel ist schon an sich selbst eine sehr gefährliche Klippe, woran die Redlichkeit leicht Schiffbruch erleiden kann.“ 98 Vgl. dazu Kelsch, Wolfgang: Adolf Freiherr von Knigge. Freimaurer, Illuminat. Ein verkannter Publizist der Deutschen Aufklärung. In: Quattuor Coronati, Nr. 33 (1996), S. 227–230. Nach Kelsch war Adolf von Knigge „ein aufsässiger und unbequemer Mann, ein scharfer Kritiker der feudalen Gesellschaftsordnung, des Adels, der erstarrten Staatsbürokratie, zugleich ein Bewunderer der Französischen Revolution, der als gefährlicher Jakobiner den deutschen Polizeibehörden höchst verdächtig war, der aber auch ein aktiver Freimaurer war, weil er in der jungen Freimaurerei und ihren Logen die Ideale von Freiheit und Gleichheit aller Menschen verwirklicht sah.“ Kelsch, Knigge, S. 227. 99 Knigge, Adolph v.: Über den Umgang mit Menschen. Hannover 1788. ND Frankfurt a. M. 1977. In Kap. 6 „Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben“ empfahl Knigge Verhaltensweisen gegenüber jüdischen Geldgebern und Händlern. Ebd., S. 375. 100 Knigge bezog sich hier auf Beobachtungen seiner Reisen nach Amerika und Holland. Ebd., S. 376. 101 Ebd.
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in seinen Fallbeispielen ausschließlich Szenen aus dem Handelsverkehr mit jüdischen Geldleihern und Hausierern. Unter dem Aspekt der Vorsicht im Verkehr mit jüdischen Händlern erweckten diese Beispiele den Eindruck, als sei der Betrug das wesentlichste und häufigste Merkmal jüdischer Händlertätigkeit.102 Das Spektrum der Berufe für jüdische Preußen hatte sich bereits im Verlauf von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts erweitert. Die folgende Aufzählung gibt einerseits einen Überblick über die Art der Berufe. Andererseits zeigt sie den sich innerhalb der folgenden zwei Generationen vollzogenen Wandel der vorwiegend bürgerlich-städtischen Berufe. Das Spektrum erweiterte sich hier um neue Berufsfelder, die jedoch in der Mehrzahl auf den Händlerberuf ausgerichtet blieben. Um 1750 finden sich in der städtischen jüdischen Gesellschaft der Kurmark einschließlich Berlin u. a. folgende Berufe: Fell- und Wollhändler, Hanffabrikateure, Gold- und Silberschneider in der Münze, Bleistiftfabrikanten, Armenwächter, Tapetenfabrikanten, Kaffee- und Tabakhändler, Strumpffabrikanten, Krätzwäscher, Armeelieferanten, Spitzen- und Weißwarenhändler, Lederhändler, Drucker (in der hebr. Druckerei in Frankfurt/Oder), Schächter der jüd. Gemeinde, Stempelschneider, Schneider, Pfandleiher etc. Um 1800 umfasste das Spektrum u.a. die Berufe: Seiden- und Tuchhändler, Kaufleute für Wachs, Hanf und Flachs sowie Schweineborsten, Galanterie- und Juwelenhändler, Apothekergehilfen, Totengräber, Bankiers, Händler für Weißwaren, Pferde- und Viehhändler, Steinschneider, Kattunhändler, Rechenmeister, Privatlehrer, Farbwarenhändler, Tabaksmakler, Buchhalter, Pfandleiher, Kleiderhändler, Garnhändler, Wappenstecher, Krankenwärter, Baumwollhändler, Gärtner, Lotterie-Collecteurs, Bücherantiquare, Heereslieferanten, Saffian- und Lederfabrikanten, Schnallenund Hakenfabrikanten, Fabrikanten von englischen Schuhblättern und Stulpen, Doktoren der Medizin, Goldarbeiter, Kupferstecher und Zeichner, einen Bauinspektor (Salomon Sachs, geb. 1772), Schriftsetzer, Rauch- und Schnupftabakhändler, Glasermeister, Polizeiinspektoren, Kammergerichts-Translateure, Farbenhändler, Steinmetze, Wein-, Bayerisch Bier- und Zigarettenhändler.103 Innerhalb der Gutachterschaft erregte die Methode von Staatsrat Koehler einigen Widerspruch. Die Sektion für die Gewerbepolizei betrachtete die Gewöhnung zur Landwirtschaft zwar ebenfalls als das sicherste Mittel gegen den „Schachergeist“104. Die Gewerbepolizei gab jedoch zu bedenken, dass „selbst
102 Vgl. hierzu auch J. Katz, Tradition, S. 48ff. 103 Zusammengestellt nach Jacobson, Jacob: Jüdische Trauungen in Berlin 1759–1813. Berlin 1968. 104 Gutachten der Gewerbepolizei (3. Juni 1809), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 260– 269, hier zit. n. S. 263.
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christliche Kaufleute, welche den Handel niederlegten und Güter kauften, […] höchst selten, vielleicht niemals tüchtige Landwirte [würden].“105 Die Staatsräte Hoffmann106 und Minuth107 favorisierten daher die Fabrikation als „natürlichen Übergang zwischen Landwirtschaft und Handel“108 und bedachten in diesem Zusammenhang auch das Interesse des Staates: „Der Staat kann kein Interesse haben, aus Menschen, die gute Fabrikarbeiter sein können, schlechte Landarbeiter zu machen.“109 Neben der Methode zur angestrebten Vermischung transportierten die jeweiligen Vorschläge auch die Zukunftsvorstellungen der beteiligten preußischen Beamten. Sahen die Vertreter der Gewerbepolizei die zukünftige wirtschaftliche Leistungskraft Preußens im Bereich der Fabrikation, so richtete Staatsrat Koehler sein Augenmerk eher auf die Agrarwirtschaft Preußens. In diesen unterschiedlich zukunftsträchtigen Prognosen wurde entweder stärker der Nützlichkeitsfaktor oder der pädagogische Umerziehungsprozess betont. Staatsminister Schroetter favorisierte keine bestimmte Berufstätigkeit zur moralischen Verbesserung oder Umerziehung. In seinen Erläuterungen zum Entwurf ging er wie die zitierten und nachfolgenden Gutachter von einer „allmähligen Verschmelzung mit den Christen“110 aus. Ähnlich langfristig dachte sich der Staatsminister auch die Verwirklichung der Haupttendenz der Reform, nämlich die preußischen Schutzjuden „mit der Zeit [zu] nützlichen Staatsbürgern zu machen“.111 Enthielt auch diese Äußerung ein langfristig angelegtes Ziel, so war die Methode hierzu kurzfristig und unmittelbar: Die gesetzliche Zuerkennung bürgerlicher Rechte und Pflichten für die bereits im Land lebenden Schutzjuden. Der Entwurf Schroetters, der nach der Beratung in der Generalkonferenz als Grundlage für den Text des Ediktes dienen sollte, ging jedoch nicht von dem Maßstab „Gleiche Rechte und Gleiche Pflichten“112 mit den christlichen Bürgern aus. Die Formulierung, dass 105 Ebd. 106 Eventuell handelt es sich hier um Johann Gottfried Hoffmann (1765–1847). Siehe zu Hoffmann Anlage 2: Biografien. 107 Zu Staatsrat Minuth gibt es weder in der ADB, NDB noch in der Altpreußische[n] Biographie einen Eintrag. 108 Zit. n. dem Gutachten der Gewerbepolizei. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 263. 109 Ebd. 110 Schroetter, Erläuterungen zum Entwurf (1808), hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 244. Die Einräumung aller bürgerlichen Rechte erschien Schroetter als „zu schneller und unnatürlicher Übergang zur Freiheit“. Dieselbe Formulierung hatte Minister Altenstein bezüglich der Aufhebung der Untertänigkeit benutzt. 111 Ebd. 112 Dieser Maßstab gilt u. a. für Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte. 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1998, S. 249, und für Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1 (1987), S. 408.
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„die Untertanen des Staates vor dem Gesetz gleich sein sollen“,113 findet sich erst gut zwei Jahre später in der Präambel zum ersten und zweiten Entwurf von Staatsminister Friedrich v. Raumer114. Die Tendenz im Entwurf Schroetters entsprach dem langfristig angesetzten Ziel und war dementsprechend etatistisch115 angelegt. So war im Entwurf unter § 8 zwar fixiert worden: „Alle einländischen Juden genießen gleiche bürgerliche Rechte mit den Christen […].“116 Aber durch die Beifügung, „in so fern diese [Ver]ordnung keine abweichenden Bestimmungen enthält“,117 wurde bereits deutlich, dass Einschränkungen und Modifikationen im neuen Entwurf mit vorgesehen waren. Die Erteilung von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten machte Staatsminister Schroetter nicht von seinen Beobachtungen und Einschätzungen abhängig. Seine persönlichen Ressentiments änderten an der Haupttendenz der neuen Gesetzgebung nichts. Aber sie beeinflussten sein Motiv und die Fassung der einzelnen Paragrafen. So grenzte der Staatsminister im Entwurf118 u. a. das Recht der freien Berufswahl bei der Tätig-
113 Siehe den 1. Entwurf Raumer (1811), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 336–339, hier zit. n. Freund, Akten, S. 336 und den 2. Entwurf Raumer, kurz nach der Umarbeitung. 2. Entwurf Raumer (1811), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 363–368, zit. n. Freund, S. 363. 114 Siehe zu Friedrich v. Raumer (1781–1873) Anlage 2: Biografien. Raumer entwarf zwei Entwürfe, die in ihrer Art deutlich puristischer und kürzer als der Schroettersche Entwurf waren. Er verzichtete u. a. auf Gesetzesregelungen zu den jüdischen Religions- und Ritualsachen und folgte im Wesentlichen der westfälischen Verordnung vom 27. Januar 1808. Die Verankerung der gesetzlich erlaubten Mischehe musste Raumer aufgrund der Einwände aus dem Justizministerium zurücknehmen. Im September 1811 verließ Raumer den politischen Dienst und nahm eine Professur für Staatswissenschaften an der Universität Breslau an. 115 „Die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte wird an gewisse Bedingungen geknüpft, welche man als Garantien des zweckmäßigen Gebrauchs betrachtet, und […] wo diese Garantien fehlen, die Notwendigkeit einer Bevormundung statuiert und das staatsbürgerliche Recht einzelner Individuen oder Klassen gewissermaßen als schlafend sich denkt […]. So könnte man denn sagen – und es wird allerdings vielfach gesagt – dass die religiöse, moralische und bürgerliche Eigentümlichkeit der Juden nicht die Garantie dafür gebe, dass sie die ihnen gebührenden staatsbürgerlichen Rechte zum Nachteile des Ganzen ausüben würden.“ Steinacker, „Emancipation“, S. 34. 116 Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 229. 117 Ebd. 118 Einen Monat nach dem Immediatantrag vom 22. Dezember 1808 legte der Staatsminister den neuen Entwurf vor. Der Entwurf war insgesamt in vier Abschnitte untergliedert und enthielt 122 Paragrafen. In der Zeit von Dezember 1808 bis 1811 entstanden zwei neue Entwürfe von Staatsminister v. Raumer mit 8 bzw. 9 Paragrafen. Der letzte angefertigte Entwurf (1812) von Justizassessor Pfeiffer enthielt 58 Paragrafen, das Edikt nach der Endredaktion 39 Paragrafen.
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keit ein, für die er einen besonders verantwortungsvollen und uneigennützigen Umgang voraussetzte.119
7.3 Der politisierte Zeitgeist Diese Formulierung stammte nicht von Staatsminister Schroetter. Die relativ modern anmutende Bezeichnung „Zeitgeist“120 ist den Formulierungen des preußischen Königs zur Präambel des Entwurfs Schroetter entnommen. Dieser moderne Begriff ging in der sogenannten „Sattelzeit“121, der Übergangszeit in der geschichtlichen Entwicklung vom Untertan zum Staatsbürger, in die politischrechtliche Sprache ein. Als Sammelbegriff stand er synonym für den Wandel der politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die durch historische Schlüsselereignisse und wirtschaftliche Krisensituationen ausgelöst wurden122 und auf die mittels der Gesetzgebung reagiert wurde. In den Präambeln zweier preußischer Gesetzestexte der Jahre 1808/1810 sowie im Ediktentwurf zur Judenreform wird dies im Besonderen deutlich. Im Publikandum zur Neuordnung der Verwaltung vom 18. Dezember 1808 wurden interne Veränderungen wie die Ressorttrennung mit Beibehaltung der kollegialen Beratung, die Gesetzmäßigkeit der Verfahrensweisen mit persönlicher Verantwortung der Beamten für Rat und Durchführung der Gesetze mit dem Ziel veranlasst, „der Geschäftsverwaltung größtmögliche Einheit, Kraft und Regsamkeit zu geben“.123 Das Ziel war die Schaffung einer zentralisierten Verwaltung für das gesamte Staatswesen gemäß dem fortschrittlichen Zeitgeist: 119 Siehe dazu Kapitel 8.4 dieser Arbeit. 120 Das Wort „Zeitgeist“ wurde bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts ambivalent wahrgenommen. Der Schriftsteller Johann Heinrich Voss (1804) verhöhnte den Begriff als „Modewort“. Ernst Moritz Arndt (1807) beschrieb in „Der Geist der Zeit“ eine kulturpessimistische Grundstimmung in Deutschland. Gut zehn Jahre zuvor hatte Johann Caspar Lavater (1791) mit vergleichbaren Beschreibungen den frivolen Welt- und Zeitgeist verurteilt. Vgl. dazu Götze, Alfred (Hrsg.): Trübners Deutsches Wörterbuch, Bd. 8. Berlin 1957, S. 360; Heinsius, Theodor (Hrsg.): Vollständiges Wörterbuch der Deutschen Sprache mit Bezeichnungen und Aussprache und Betonung für die Geschäfts- und Lesewelt, Bd. 4. Wien 1840, S. 824; Hartfiel, Günter/Hillmann, Karl-Heinz (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1982, S. 826; Pfeiffer, Wolfgang: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Bd. 3. Berlin 1989, S. 2013. 121 Koselleck, Reinhart: Einleitung zu den Geschichtlichen Grundbegriffen, in: Brunner/ Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 13ff. 122 Vgl. dazu Wuertenberger, Thomas: Zeitgeist und Recht. Tübingen 1987, S. 18ff. 123 Publikandum betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung (Königsberg, 16. Dezember 1808). In: N.C.C., Bd. 12, Sp. 527–546, S. 527.
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Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen, etc. haben beschlossen, den obersten Verwaltungsbehörden für das Innere und die Finanzen eine verbesserte, den Fortschritten des Zeitgeistes, der durch äußere Verhältnisse veränderten Lage des Staates und den jetzigen Bedürfnissen desselben angemessene Geschäftseinrichtungen zu geben.124
Den Zusammenhang zwischen der Vereinheitlichung der Verwaltungsbehörden und der geplanten Judenreform bildete u. a. dieser fortschrittliche Zeitgeist, personifiziert in den preußischen Beamten. Die Vereinheitlichung der Verwaltung gewährte eine Ministerialregierung, in der reformfreudige, von Kant und Kraus geschulte Beamte arbeiteten, denen es darum ging, mittels der Reformgesetzgebung alle Bewohner des Staates in eine größtmögliche Selbstständigkeit zu überführen und sie damit in die ökonomische Situation zu versetzen, die hohe Verschuldung des Staates durch Kriegs- und Besatzungskosten mit zu tragen: „Die Eigentümer aller Art müssen zusammentreten und gemeinschaftlich ein Gebäude stützen, das sonst unfehlbar zusammenstürzt.“125 Diese Absicht wurde auch im Edikt vom 30. Oktober 1810 formuliert und umgesetzt. In der Präambel des Edikt[s] über die Einziehung sämmtlicher geistlicher Güter in der Monarchie126 bezog sich der Souverän jedoch nicht ausschließlich auf den nationalen, sondern auch auf den internationalen Zeitgeist. Einerseits ging es ganz konkret um das Abtragen der preußischen Staats- bzw. Kontributionsschulden, die sich nach den Pariser Verhandlungen auf ca. 140 Mio. Francs beliefen und damit die Einziehung der kirchenfürstlichen Güter aus Gründen der Staatsräson erklärten. Gleichzeitig wurden auch Aspekte wie Rücksichtnahme und Gerechtigkeit gegenüber den bereits mit der Entrichtung neuer und erhöhter Abgaben belasteten Untertanen (Edikt von 27. Oktober 1810) angeführt, die den Bezug zur finanziellen Krise und deren Bewältigung unter der Beteiligung aller preußischen Inländer und Institutionen voraussetzten: Wir haben hierin nicht nur das Beispiel fast aller Staaten und den allgemeinen Zeitgeist vor Uns, sondern auch die Überzeugung, daß wir weit mehr der Gerechtigkeit gemäß handeln, wenn Wir jene Güter unter den oben erwähnten Bedingungen zur Rettung des Staates verwenden, als wenn Wir zu diesem Grunde das Vermögen Unser getreuen Untertanen stärker anziehen wollten.127
Als zusätzliche Rechtfertigung wurde auf den allgemeinen Zeitgeist verwiesen, der in seiner Kontur eher dem französisch-napoleonischen Geist der Gesetzge124 Ebd. Vgl. dazu auch Winter, Reorganisation, S. 4ff. und Koselleck, Preußen, S. 165ff. 125 Staatsminister Hardenberg. Zit. n. Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 138. 126 Edikt über die Einziehung sämmtlicher geistlicher Güter in der Monarchie (30. Oktober 1810). In: GS (1810), S. 32. 127 Ebd., S. 32.
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bung entsprach und in den unmittelbar wie mittelbar unterworfenen europäischen Ländern die Säkularisierung bewirkt und vorangetrieben hatte.128 Mit diesem Hinweis wurde die Maßnahme quasi durch die europäische Vorherrschaftsstellung Napoleons autorisiert und eine offene Kritik, ohne eine damit verbundene Kritik am französischen Herrscher zu üben, wesentlich erschwert. Das französische Prinzip „Verlustentschädigung aus säkularisiertem Besitz“129 (1797) wurde in dieser Situation auch als preußisches Prinzip übernommen. Auch im Entwurf Schroetters hatte Friedrich Wilhelm III. den Begriff „Zeitgeist“ gewählt. Mit diesem Wort unterstrich der preußische König die aktuelle Notwendigkeit der Reform und ihr übergeordnetes Ziel, die Aufhebung aller bisher gültigen Gesetze und Vorschriften: Wir haben daher beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, dem Zeitgeist und dem allgemeinen Besten angemessene Verfassung zu erteilen, erklären hiermit alle bisher erlassenen Gesetze und Vorschriften für die Juden, namentlich das General Juden Privilegium vom 17 ten April 1750 für erloschen, und verordnen wie folget […].130
Im ersten Teil der Präambel war der preußische König rückblickend auf die Folgen des General-Juden-Privilegs eingegangen. Der Souverän nahm hier zwei unterschiedliche Positionen ein. Aus der Sichtweise der jüdischen Betroffenen beschrieb er die Folgen des Generalprivilegs als nachteilig für die preußischen Juden. Aus der Position des verantwortlichen Staatsökonomen betrachtete er die Folgen dieser Nachteile im Hinblick auf ihre gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen: So hatte der Ausschluss von der Teilnahme an den wichtigsten bürgerlichen Rechten und die Beschränkung auf eine geringe Anzahl von Gewerben bewirkt, dass „die jüdischen Glaubensgenossen nicht mit voller Geisteskraft und Tätigkeit zum Wohle des Ganzen“131 beitrugen. Diese bereits interpretierte Beschreibung kennzeichnete jedoch mehr die aktuelle Zielsetzung der neuen angestrebten Verordnung als die Intention des Judenedikts von 1750. Auch Friedrich II. hatte vor allem die wirtschaftliche Potenz der ehemaligen preußischen Münzjuden, der Fabrikanten, Fabrikunternehmer und der Händler gefördert und fiskalisch genutzt. Aber diese gewährten Optionen wurden in Sonderprivilegien
128 Vgl. dazu Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 7 und S. 114. 129 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 113f. Vgl. dazu ebenfalls den Reichsdeputations-Hauptschluss (25. November 1803), der durch die Entschädigung der weltlichen Fürsten für ihre Verluste auf dem linken Rheinufer zum Einsturz der Reichskirche und zur Beseitigung der geistlichen Fürstentümer führte. Botzenhart/Raumer, Geschichte, S. 133ff. 130 Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 228. 131 Ebd.
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zugestanden, per Verordnung auch vom König gegen den Willen der Betroffenen angeordnet oder auf persönliche Eingabe der Petenten hin entschieden. Nicht die breite und unbeschränkte Öffnung oder Förderung bisher verschlossener „bürgerlicher Handwercke“132 war Gegenstand der Verordnung von 1750, sondern ihr Verbot. Dennoch hatte auch Friedrich II. seine Verordnung zur „Regulirung des Juden.Wesens“133 ausdrücklich als Maßnahme bezeichnet, die „der Wohlfahrt der sämmtlichen vom Handel und Wandel lebenden Landeseinwohner“134 dienlich sein sollte. In beiden Gesetzen wurde mit diesem Argument die Plausibilität und Notwendigkeit der Verordnung begründet. Dennoch unterschieden sich beide Verordnungen durch ihren Gesamtcharakter und die Zeitumstände. Im Vergleich zum Entwurftext war der Charakter des Generalprivilegs von 1750 restriktiv. Die Zahl der im Land lebenden Schutzjuden wurde ebenso begrenzt, wie ihre berufliche und private Existenzmöglichkeit. Das beinhaltete, dass die Interessen der Schutzjuden innerhalb dieses vertikalen hierarchischen Modells den ökonomischen Interessen der nichtjüdischen Untertanen untergeordnet wurden. Der Begriff Regulierung bedeutete Beschränkung und Eingrenzung. Allerdings wurde auch im Entwurf Schroetter und dem späteren Edikttext die Zahl der jüdischen Insassen durch die Festlegung von Inländern und Fremden kontrolliert und reguliert. Die Zeitumstände unterschieden sich in Bezug auf die Judengesetzgebung durch die revolutionäre Zäsur von 1789.135 Trotz der Kontroversen wurden im November 1791 die 50.000 französischen Juden – ohne einen vorgeschalteten Erziehungs- und Anpassungsprozess – zu französischen Vollbürgern erklärt.136 Holland hatte 1796 im Dekret über die Gleichstellung der Juden mit allen anderen batavischen Bürgern alle inländischen Juden ebenfalls zu Vollbürgern erklärt.137 Die folgende napoleonische Machtexpansion bildete die Voraussetzung für Legislativen im neuen Königreich Westfalen (1808), im Großherzogtum Berg (1808),
132 Siehe Art. 11 im Gen.-Jud.-Priv. v. 1750 und vgl. dazu auch Dukas, Rosa: Die Motive der preußischen Judenemanzipation von 1812 mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den Ideen der Judengesetzgebung der französischen Revolution. Freiburg i. Br. 1916, S. 9f. 133 Präambel des Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 117. 134 Ebd. 135 Vgl. dazu Kapitel 3.3 dieser Arbeit. Vgl. auch Baron, Judenfrage, S. 13; Battenberg, Zeitalter, S. 86f.; Elbogen, Ismar/Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt a. M. 1966, S. 172ff. 136 Ebd. 137 Buchholz, Carl A.: Actenstükke die Verbesserung des Bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend. Stuttgart/Tübingen 1815, S. 154–157, S. 154.
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in Waldeck-Pyrmont und in Anhalt-Köthen (1810).138 Im Großherzogtum Baden wurde 1809 das Edict die bürgerlichen Verhältnisse der Juden betreffend139 erlassen. In Österreich waren bereits vor der Französischen Revolution in der Zeit von 1781 bis 1789 die sog. „Toleranzpatente“ von Joseph II. für die Erblande und für Niederösterreich, Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn erlassen worden.140 Ein Gesetz zugunsten der ansässigen Juden wurde in Russland141 und im Herzogtum Warschau142 erlassen. Zeitgleich mit Preußen wurde in MecklenburgSchwerin eine neue Konstitution (1812)143 verabschiedet, welche die ansässigen Juden in § 1 zu Einländern erklärte. Das neu geschaffene Königreich Bayern verabschiedete sein Edict über die Verhältnisse der Jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Bayern144 ein Jahr nach Preußen. Auch in Dänemark entstand 1814 eine neue Verordnung.145 Im ersten Toleranzpatent von Joseph II. (13. Mai 1781) wurde die Neuregelung des Reglements unter dem Aspekt der Nützlichkeit betrieben: „Um die in meinen Erblanden so zahlreichen Glieder der jüdischen Nation dem Staate nützlicher zu machen […].“146 Diese Hauptintention war allerdings auch mit eindeutigen Verbesserungen für die Betroffenen selbst verbunden. Alle Zwangsgesetze gegen die Juden sollten damit aufgehoben werden und das Studium an allen Universitäten und Schulen gestattet sein. Als Maßnahmen, die ihren restriktiven Charakter beibehielten, sind jedoch unter anderem die begrenzte Zulassung zu den Handwerken und die Erlaubnis, den Ackerbau nur im Pacht- und nicht im Eigentumverhältnis zu leisten, zu zählen. Das ein Jahr später erfolgte, 25 Artikel umfassende Gesetz (2. Januar 1782), richtete sich nicht mehr explizit an die Juden, sondern, wie in der Präambel 138 Vgl. dazu Baron, Judenfrage, S. 15f. 139 Vgl. dazu Buchholz, Actenstükke, S. 104ff. 140 Vgl. Battenberg, Zeitalter, S. 94f.; Katz, Ghetto, S. 84. 141 Russischer Ukas vom 9. Februar 1805. Siehe dazu Reuss, Franz: Christian Wilhelm Dohms Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ und deren Einwirkung auf die gebildeten Stände Deutschlands. Kaiserslautern 1891, S. 95. 142 Auch im Großherzogtum Warschau erhielten die ansässigen Juden ihre rechtliche Gleichberechtigung im Zuge der Eroberungen Napoléons. Siehe dazu auch Dezius, Hugo: Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden im Großherzogtum Posen und im Kulmer Lande. Marienwerder 1830, 17ff. 143 Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 94–103, und in Sulamith 1 (1812), S. 271ff. 144 Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 130–142. 145 Königlich Dänisches Edict die bürgerlichen Verhältnisse der Juden betreffend. Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 143–153. Das Edikt wurde u. a. von einem Mitglied der Familie v. Bülow unterzeichnet. 146 Zit. n. Krünitz, Encyclopädie, 31.Theil (1784): „Juden“, S. 293–645, S. 587ff.
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formuliert, an alle aufgenommenen und geduldeten Untertanen, ohne Unterschied der Religion und der Nation. Dennoch wurde im ersten Artikel bereits deutlich, dass es inhaltlich um die jüdischen Familien ging. Ein Verbot wurde für die öffentliche Ausübung (Bau von Synagogen) und die Verbreitung des Glaubens (Verbot, eine eigene Druckerei zu unterhalten) ausgesprochen (Art. 1). Die Zahl der geduldeten Juden blieb limitiert (Art. 2). Nach Art. 11 blieben sie vom Bürger- und Meisterrecht ausgeschlossen. Alle nicht bürgerlichen Nahrungs- und Handlungszweige standen ihnen zur Bewerbung offen (Art. 12). Tolerierte Juden durften eigene Wohnungen, „nicht nur in Judenhäusern […] mieten“ (Art. 18). Das Hausierverbot galt für Stadt und Land (Art. 21). 147 Das Schwedische „Duldungs-Edikt“ (27. Mai 1782) richtete sich an wohlhabende Neusiedler und gestattete die Niederlassung für Juden mit Pass und Zeugnis in den drei Handelsstädten Stockholm, Göteborg und Norrköping. Nach sechs Wochen sollten die Zugereisten das Anrecht auf ein Gesuch zur Prüfung des Schutzbriefes besitzen, der für 2.000 Thaler zu erwerben war. Wirtschaftlich war ihr Engagement im Anlegen von Fabriken und im Schiffsbau erwünscht. Im Handel mit Wechseln und Aktien erhielten sie die gleichen Privilegien wie die einheimischen Großhändler. Handwerk und Kleinhandel blieben ausdrücklich verboten, öffentliche Sonn- und Feiertage mussten in Anpassung an die christliche Bevölkerung arbeitsfrei verbracht werden.148 Staatsminister Schroetter hatte in seiner Eingabe vom 20. November 1808 auf die Gesetzesinitiativen anderer Staaten hingewiesen und diese ebenfalls als Argument für eine neue preußische Reform angeführt: „Man gibt ihnen an allen Orten bürgerliche Rechte, man legt ihnen aber auch bürgerliche Pflichten auf und unterwirft sie vorzüglich der Konskription.“149 Allerdings griff Schroetter in seinem Antrag eher allgemein auf die Initiativen zu den neuen Konstitutionen zurück, ohne sich bezüglich der Inhalte an konkreten Vorbildern zu orientieren. Vielmehr vermied er die ausdrückliche Erwähnung des politisch unpopulären französischen Besatzers und Vorreiters der rechtlichen Gleichstellung. Nur in einem Punkt orientierte sich der Staatsminister an der französischen Gesetzgebung: im Punkte der Wehrpflicht. Hier bezog er sich ausführlich und anerkennend auf vorhandene Erfahrungen mit jüdischen Soldaten, die sich in den französischen Revolutionskriegen bewährt und ausgezeichnet hatten. Gesammelte Informationen zu diesem Thema und der darüberhinausreichenden rechtlichen
147 Zit. n. ebd. S. 595ff., S. 597. 148 Vgl. dazu ebd., S. 358ff. 149 Immediatvorlage Schroetters (20. November 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 209.
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Gleichstellung bezog der Staatsminister von Bankier Caspar aus Königsberg,150 der in eigener Recherche Erkundigungen in Berlin und Paris eingezogen hatte. Er sandte Schroetter eine Ausgabe der Zeitschrift Sulamith151 und ein politisches Journal mit einem Aufsatz über die westfälische Verfassung zu.152 Dass sich der Staatsminister an der westfälischen Verfassung orientiert hätte, kann so nicht bestätigt werden. Rein äußerlich unterschieden sich die westfälische Verfassung und der Entwurf Schroetters bereits im Umfang. Westfalen hatte für sein Reglement sechs Artikel benötigt. Der Staatsminister sah für die preußische Verfassung inklusive der Regelung über die Kultus- und Ritualangelegenheiten 122 Paragrafen vor. Dieser wesentliche Unterschied hatte in diesem Zusammenhang weniger formalen als inhaltlichen Charakter. In der Verordnung Westfalens153 wurde die rechtliche Gleichstellung mit den übrigen Untertanen fixiert. Bis auf die Regelung in Art. 5 wurde keine Ausnahme und Sonderregelung von der rechtlichen Gleichbehandlung festgeschrieben. Daher enthielt die Verordnung nur wenige Artikel. Die Ausnahme in Art. 5 bezog sich auf die Zulassung zum Handel und zum Handwerk. Den Korporationen stand es weiterhin frei, ihre Vorschriften zur Aufnahme von jüdischen Mitgliedern nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Diese Vorschriften blieben für die jüdischen Untertanen weiterhin bindend und rechtsgültig. Ein Recht auf die Aufnahme in die Korporationen wurde nicht gewährt.154 Betrachtet man den Entwurf und die Verfassung aus Westfalen unter dem Aspekt des Vorbildcharakters, so gilt, dass sich Minister Raumer deutlicher am Umfang und am Inhalt des westfälischen Edikts orientierte als Minister Schroetter. Begann die Umsetzung der politisch-rechtlichen Aufklärung und Anerkennung in Europa erst mit der Französischen Revolution, so existierte die Aufklä150 Siehe dazu Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft, S. 159. Die Verfasserin ist der Ansicht, dass die von Caspar zur Verfügung gestellten Materialien Schroetter von der militärischen Qualifikation der Juden und ihrer Nützlichkeit als Staatsbürger überzeugten. 151 Die Zeitschrift „Sulamith“ wurde in Dessau erstmalig 1806 von David Fränkel und Joseph Wolf herausgegeben. Nach dem Untertitel und dem Selbstverständnis der Herausgeber war sie eine „Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation“ (seit 1810 erschien sie unter dem Untertitel: „Zeitschrift zur Beförderung der Kultur unter den Israeliten“). Die Zeitung war das repräsentativste Organ der assimilierten Juden Deutschlands. Zu den Abonnenten gehörten Gemeinden in Amsterdam, Kopenhagen und Stockholm; ebenso wie Mitglieder der Familien Mendelssohn, Veith, Rothschild und mehrere preußische Minister, u. a. Hardenberg. Vgl. dazu Stein, Siegfried: Die Zeitschrift Sulamith. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland VII (1937), S. 193–326. 152 Vgl. dazu das Schreiben von Caspar an Schroetter (31. Oktober 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 207. 153 Königliches Dekret vom 27. Januar 1808 für das Königreich Westfalen betreffend die Abschaffung der auf die Juden gelegten Taxen. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 335f. 154 Ebd.
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rung als philosophische Geistesströmung155 mit ersten Änsätzen zur rechtlichen Gleichstellung der Juden bereits zur Zeit Friedrichs II. Zum Zeitpunkt der Beratung über das General-Juden-Privileg von 1750 stand die restriktive Tendenz bereits im Widerspruch zu den Ideen der Toleranz. Dies galt nicht nur abstrakt für die Zeit der philosophisch aufgeklärten humanistischen Ideale im Kreis der Gelehrten, sondern auch für die persönlichen Standpunkte von preußischen Beamten in der Regierungszeit Friedrichs II. In der Kommission, die in den 40er-Jahren des 18. Jahrhunderts zur Beratung des Gesetzes eingesetzt wurde, berieten die Beamten neben den Einzelfragen auch über allgemeine Fragen der Judengesetzgebung. Der Finanzrat Adolph Gebhard Manitius (1682–1754) erörterte u. a. die Frage, wodurch die früheren beschränkenden Einzelbestimmungen gegen die Juden entstanden wären, und nannte als hauptsächliche Quelle das „ex papatu originirende odium religiosum“,156 welches der Ursprung allen Unglücks und des Verfolgungsgeistes in der Welt war. Aber dieser Hass gehörte, seiner Meinung nach, einer vergangenen Zeit an. Vielmehr setzte er voraus, dass differente Meinungen in Religionsbegriffen eben durch die Verbreitung aufklärerischer Einsichten nicht mehr dazu führen sollten, „einer gantzen nation deshalb die toleranz, den Schutz und officia humanitatis zu versagen“.157 Ein ähnliches Beispiel lässt sich gut zwanzig Jahre später in der Position eines der höchsten preußischen Beamten, des Generalfiskals d’Anières158 anführen. Als 1765 beabsichtigt wurde, eine Erhöhung der Judenschutzgelder vorzunehmen, erörterte der Generalfiskal die Steuererhebung einerseits im Sinne der Anfrage unter dem Aspekt der zu erwartenden Einnahmen und des Bedarfs dieser zusätzlichen Einnahmen. Andererseits erörterte er auch den zu erwartenden Vorteil einer gleich festgesetzten Steuerzahlung von Christen und Juden für 155 Vgl. hierzu Schoeps, Julius H.: Der Zeitgeist der Aufklärung. Paderborn 1972; Berghahn, Cord-Friedrich: Moses Mendelssohns „Jerusalem“. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft in der deutschen Aufklärung. Tübingen 2002, S. 103–125; Bruer, Geschichte der Juden, S. 118ff.; Meyer, Michael A: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland 1749–1824. München 1994; Brenner, Michael/ Jersch-Wenzel, Stefi/Meyer, Michael (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2; Vierhaus, Rudolf: Was war Aufklärung? Göttingen 1995. Siehe dazu auch Kapitel 3.1–3.4 dieser Arbeit. 156 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 59. 157 Manitius zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 59: „Bei jetziger täglich mehr und mehr sich aufklährenden Einsicht in allen facultaeten wird nicht leicht jemand noch so einfältig seyn, daß er propter dissensum in conceptibus und der differenten Gedanken und Meynungen in Religionsbegriffen das inveteratum odium religionis annoch billigen und einer gantzen nation deshalb die toleranz, den Schutz und officia humanitatis zu versagen […].“ 158 Vgl. dazu das Gutachten d’Anières (23. März 1765). In: GStA PK, II. HA Abt. 3, Tit. LVII, Nr. 3, Bd. 4. Zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 312, S. 411–417, S. 412.
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die Wirtschaftlichkeit seines Landes.159 In seinem Gutachten ging er in aktuellem Bezug auf die Frage ein, ob die Sonderlasten der Juden noch mit einem auf „der Vernunft gegründeten Principium“160 zu rechtfertigen seien. Die Judenschutzgelder entstammten nach d’Anières einer Vergangenheit, die einerseits durch Verfolgung und Hass geprägt war und andererseits die Juden nur als Mittel zum Füllen der fürstlichen Kassen betrachtet hatte und weniger nach der Frage, ob sie nützliche oder schädliche Mitglieder des Staates waren. Den Anbruch einer neuen Zeit markierte d´Anières mit dem Hinweis, dass man es jetzt „nicht nur für nützlich, sondern auch für pflichtmäßig [hielt], den Verfolgten einen Platz im Lande einzuräumen“.161 Dass der preußische Kriegsrat und spätere Diplomat Christian Wilhelm (v.) Dohm „die deutsche Debatte über die Emanzipation der Juden angestoßen [hatte]“,162 sollte in diesem Zusammenhang relativiert werden. Dass seine 1781 erschienene Schrift und im Besonderen sein 9-Punkte-Programm wesentlichen Einfluss auf die eine Generation später folgende preußische Legislative hatte, ist unbestritten. Nach Cord-Friedrich Berghahn waren „diese Vorschläge so konkret, pragmatisch und weitsichtig, dass sie schon das Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preußen antizipierten“.163 Formal betrachtet, lagen die wenigen Unterschiede in Sprache und Ausdruck begründet. Dohms Schrift betonte den historischen Hintergrund der jahrhundertealten Festlegung auf den Handel und die Abhängigkeit vom Gewinn in flexiblem und transferierbarem Kapital. Inhaltlich ging er wie Schroetter und Koehler von einer negativen Prägung des Charakters durch die Festlegung auf den Beruf des Händlers und Kaufmanns aus.164 Dohm votierte allgemein für gleiche Rechte bei Erfüllung der gleichen Pflichten (1); für die Öffnung der Handwerke als erzieherischen Gegenpol zum Handel (2); die Förderung der Tätigkeit als selbst arbeitende Bauern (3); die Beschränkung der konzessionierten Händler und die Verpflichtung, Handelsbücher in der Landessprache zu führen (4); die Öffnung von wissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeit, ohne die aktuelle Zulassung zu öffentlichen Ämtern bzw. dem Beamtentum (5); die staatliche Schulbildung in gemischten Schulen (6); den Abbau von Vorurteilen bei den Christen durch christliche Prediger (7); die völlig freie jüdische Religionsausübung (8); und die volle Gewährung der 159 Ebd. 160 Gutachten d’Anières (23. März 1765), zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 312, S. 413. Siehe dazu auch Kapitel 4.4 dieser Arbeit. 161 Gutachten d’Anières (23. März 1765), zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 312, S. 414. 162 Hahn, Judenemanzipation, S. 141. 163 Berghahn, Grenzen, S. 137. Vgl. dazu auch Katz, Ghetto, S. 71ff. 164 Vgl. dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 109ff.
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Ausübung aller Ritual- und Zeremonialgesetze (9).165 Dohm argumentierte pragmatisch, indem er an den Eigennutz, Utilitarismus und Merkantilismus der Herrscher appellierte.166 Diese Reformvorschläge basierten auf der Hauptidee Dohms, dass alle Mittel, welche Menschen zur Erreichung ihres physischen, intellektuellen und moralischen Wohls anwenden, besser ohne als mit Zumischung des Staates gedeihen würden und der Staat nur das Wohl des Bürgers als Mensch schützen müsse.167 Der junge Wilhelm v. Humboldt, der mit seinem ehemaligen Lehrer C. W. Dohm auf einer Reise ins revolutionäre Paris (1789) zufällig zusammentraf und in einem Gasthaus über Materien des Staatsrechts und der Rechte des Individuums sprach, fand diese Vorstellungen „ganz neu und vortrefflich – wenigstens höchst interessant“.168 Dass im Entwurf Schroetters der utilitaristische Grundgedanke der Vorschläge mit humanistischem Reformethos ebenso verbunden werden konnte wie mit nüchterner Staatsräson und pädagogischer Menschenveredelung, stellte das Besondere des Entwurfs und des späteren Edikttextes dar. Dass dieser Reformplan in die Zeit der preußischen Reformära fiel, lag in den Motiven des Ministers Schroetter begründet, den preußischen Staat auch mit der Hilfe der jüdischen Einwohner zu restaurieren und finanziell zu sanieren. Dass diese Bemühungen sowohl vom König als auch von den beteiligten Beamten mit getragen und nicht durch antijüdische Ressentiments verhindert wurden, sprach auch für die Professionalität der Beamten und die Ernsthaftigkeit der Reformarbeiten. Auf die Pri vatmeinung bekannter Judengegner griff zwecks Bestätigung und vorweggenommener Verteidigung der eigenen Meinung ausschließlich der damalige Finanzrat Heinrich v. Beguelin169 zurück. Er bezog sich in seinem Gutachten auf Paul Ferdinand Friedrich Buchholz (1768–1843), der seine 1803 erschienene Schrift in erster
165 Ebd. Im Entwurf Schroetters wurden bis auf die Punkte 7 und 9 alle Reformideen einschließlich der Einschränkungen in Punkt 5 in ähnlicher Weise formuliert. 166 Siehe dazu Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, Einleitung. Vgl. auch Berghahn, Grenzen, S. 129. 167 Siehe Berghahn, Grenzen, S. 129f. 168 Nach einer Tagebucheintragung vom 24. Juli1789 befand sich der 22-jährige Wilhelm v. Humboldt mit seinem einstigen Erzieher Johann Friedrich Campe auf dem Weg in das revolutionäre Paris und traf in einem Gasthof an der Straße von Aachen nach Verviers mit C. W. Dohm zusammen. Siehe dazu Kaehler, Siegfried A.: Wilhelm von Humboldt und der Staat. Göttingen 1963, S. 12. 169 Siehe zu Heinrich v. Beguelin (1765–1818) Anlage 2: Biografien. Über seine politische Karriere hinaus wurden er und seine Frau Amalie über die Veröffentlichung ihrer Tagebuchblätter bekannt, in denen sie u. a. Staatskanzler Hardenbergs „stark hervortretende Huld“ gegen die Juden tadelten. Vgl. dazu Beguelin, H. und A.: Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie v. Beguelin 1807–1813. Berlin 1892, S. 290f.
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Linie „für denkende Staatsmänner“ geschrieben hatte.170 Beguelin führte ihn an der Stelle seines Gutachtens an, an der er sich zum wiederholten Male mit der Arbeitsethik der Juden beschäftigte und konstatierte: „Da der Jude weder produziert noch fabriciert, nicht (wie Fr. Buchholz sagt) an der Arbeit Theil nehmen will, sondern dieselbe in ihren Resultaten verbrauchen, nur so kann er durch Umsatz reich werden.“171 Buchholz hatte sich in seinem Buch ähnlich geäußert und den genannten Vorwurf als historisiertes und daher fundiertes Argument angeführt, das seit Jahrhunderten und überregional gegen die Aufnahme von Juden angeführt wurde, und daraus seine Gültigkeit abgeleitet. Die bemerkenswerte Ausnahme, die Buchholz innerhalb seiner kollektiven Anklage gelten ließ, bezog sich auf jüdische Frauen. Diese besaßen nach Buchholz „eine gute Natur“,172 die sich darin offenbarte, „dass sie, wenn die Wahl von ihnen abhängt weit lieber einen Christen als einen Juden ehelichen“.173 Gemeinsamkeiten zu den Ansichten des Finanzrates äußerten sich in den Meinungen über die höhere Entwicklungsstufe des Christentums, die Aufgabe des Judentums als Voraussetzung der eingeschränkten Integration und eine nur teilweise zu verwirklichende rechtliche Gleichsetzung aufgrund des „anti-sozialen Interesses“174 der Juden. Für sich genommen und so formuliert ließen sich diese Ansichten auch bei anderen Gutachtern finden. Zu judenfeindlichen Äußerungen gerieten die drastischen Aussagen von Buchholz durch Gleichsetzungen, die einen abwertenden und vorrassistischen Hintergrund hatten, die Juden als „Schmarozzerpflanzen“175 bezeichneten und aufgrund ihrer Abstammung und Religiosität mit unverwechselbaren negativen Eigenschaften charakterisierten, die als vererbt bzw. angeboren angesehen wurden und von schädlichem Einfluss auf den Staat, die Gesellschaft und die Kultur wären. Dass diese negativen Bewertungen bei Buchholz im Zusammenhang mit Betrachtungen über eine zukünftig zu definierende Staatsgesellschaft geäußert wurden, entsprach einem Zeitgeist, der über die patriotische Gesinnung und Religiosität die eigene Nation und ihre Mitglieder zu definieren suchte und die Juden, weil sie den
170 Buchholz, Paul Ferdinand Friedrich: Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältniß der Juden und Christen. Eine historisch-politische Abhandlung von Friedrich Buchholz . Berlin 1803, Vorrede. Vgl. zu Paul Ferdinand Friedrich Buchholz auch den Art. von Werner Bergmann. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2.1: Personen (2009), S. 110–112. 171 Gutachten Beguelin (24. Januar 1810), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 301. 172 Buchholz, Moses und Jesus, S. 249. 173 Ebd. 174 Ebd., S. 118. 175 Ebd., S. 163.
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Christen „wesentlich entgegengesetzt sind“,176 ausschloss. In den Gutachten war die Frage nach der patriotischen Zuverlässigkeit preußischer Juden zwar durchaus Thema der Gutachter. Aber das Ziel der Legislative blieb aktuell die rechtliche Eingliederung und nicht der Ausschluss aus dem preußischen Untertanen- bzw. zukünftigen Staatsbürgerverband. Auch ein bereits über zwanzig Jahre zurückliegendes Gutachten aus der Zeit des ersten Reformversuches erhielt neue und öffentliche Aktualität. In einem literarisch-politischen Beitrag des Intelligenzblattes Neue Feuerbrände (Heft 6 und 9, 1807) wurde das Gutachten der damaligen Judenreformkommission (10. Juli 1789) vollständig und in zwei Folgen abgedruckt. Mit zwei ausführlichen Einleitungen versehen, sollte der Bericht nach dem Muster der Dohm’schen und Buchholz’schen Publikationen speziell den gelehrten Staatsministern gewidmet sein.177 Herausgeber der Zeitung war Friedrich v. Coelln, der seit 1790 im Staatsdienst tätig war, 1808 Festungshaft erhielt und 1811 zum Mitarbeiter Hardenbergs avancierte. Auf den ersten Blick schien der Beitrag als seriöse Berichterstattung konzipiert worden zu sein.178 Eingebettet in eine Erörterung zum übergeordneten 176 Ebd. Vgl. dazu Kap. 6 seines Buches: Gegenwärtiges Verhältnis der Juden und Christen in intellektueller und moralischer Hinsicht, S. 159ff. Buchholz spricht hier von der Schädlichkeit des Einflusses auf „die Moralität der übrigen Staatsbürger“. Ebd., S. 173. Die Achtung vor den monarchischen Staaten und dem Geburtsadel als „schönste Zierde“ sah er „akut“ durch das „Anschlußsuchen“ der Juden bedroht. Ebd., S. 178ff. Buchholz machte die Juden zum Symbol egozentrierter, staatsgefährdender „moderner“ Ideen. 177 Die Frage, inwieweit diese Schrift die gelehrten Staatsminister tatsächlich erreichte und beeinflusste, lässt sich ohne ausdrückliche Erwähnung derselben kaum beantworten. Selbst wenn sich im Nachlass der beteiligten Beamten die genannte Zeitschrift auffinden ließe, würden sich daraus kaum Rückschlüsse auf Kenntnis, Zustimmung und Beeinflussung ableiten lassen. Ein Beispiel: Im Nachlass des Theologen Friedrich Schleiermacher befinden sich alle Bände des frz. Theologen und Historikers Jacques Bossuet. Daraus zu folgern, dass auch Schleiermacher das Judentum für eine überwundene und dem Christentum unterlegene Religion hielt, wäre ohne persönliche Zeugnisse Schleiermachers nur eine unbewiesene Annahme und eine Unterstellung. Hingegen lässt sich nach eigenen Aussagen annehmen, dass der preußische Justizkommissarius Carl F. W. Grattenauer zumindest partiell ein Leser der Neuen Feuerbrände war, weil er den Aufsatz von Kammerassessor Johann Wilhelm Andreas Kossmann: „Wider die Juden“, erschienen in H. 1 und H. 2 (ohne Jahrgangsangabe, aber vor 1803 erschienen), ausdrücklich lobte. Siehe zu Johann Wilhelm Andreas Kossmann (1761–1804) Anlage 2: Biografien. 178 Vgl. zu Friedrich von Coelln auch Tschirch, Otto: Friedrich Buchholz, Friedrich von Coelln und Julius von Voß, drei preußische Publizisten in der Zeit der Fremdherrschaft 1806–1812. In: Schultze, Johannes (Hrsg.): FBPG 48 (1936), S. 163–181, S. 173–177, und Anlage 2: Biografien. Siehe auch: Neue Feuerbrände 5 (1807), S. 134–141. Dort wurde eine Glosse zu einem Sittengemälde Berlins publiziert, die eine Tischgesellschaft vorstellte, zu der junge Mädchen auf Bestellung der geladenen Männer zur Teilnahme animiert wurden. Zu den Besuchern heißt es wörtlich: „Am folgenden Abend, da nämlich das bewusste Souper stattfinden sollte, begaben sich PolizeyBeamte in das Haus der Fischer, und fanden dort eine Gesellschaft von nicht geringen Personen
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Thema, welche Veränderungen in der preußischen Staatsverfassung und Verwaltung notwendig wären, ging es im Folgenden um die Regulierung der Verhältnisse der Staatsbürger, die Organisation der Staatsverwaltungsbehörde, um die Bildung, Wahl und Besoldung der Staatsofficianten, um das Finanzwesen, das Landeskulturwesen und das Volkskulturwesen. Unterbrochen durch zwei kurze Volksschwänke zur Belustigung des Publikums, folgten zwei Einleitungen zum Artikel Über die bürgerliche Verbesserung der Juden besonders in den preußischen Staaten, von denen der erste mit „die Redaktion der Feuerbrände“ gezeichnet war.179 In dieser Einleitung hieß es wie folgt: So viel auch schon über die Verbesserung der Juden geschrieben worden ist, so bleibt dies Völkchen unverbesserlich, und alle bisherigen Mittel, sie zu bessern, bewirken nichts weiter als Irreligiosität unter ihnen, und äußere Bildung. In dieser wollen sie excelliren und sich zu Kunstkennern emporschwingen, sie wollen ganz in der Mode seyn, und in Berlin sind sie es vorzüglich, die die Sekte der ästhetischen Narren ausmachen. Ihre Weiber machen Anspruch auf die höchste Bildung, studiren Fichtens, Galls, Schlegels, Tieks und jetzt besonders Werners Werke. Da man ihnen gesagt hat, im Katholizismus sei der höchste Kunstsinn aufbewahrt, und seitdem Fesler durch seine neu[e]sten Werke einen modernen Katholizism[us] allgemeiner machen will, seitdem wollen sie alle kat[h]olisch werden, um in der Mode zu seyn. Demungeachtet bleibt der Judaismus ihnen doch eigen und sei der Jude noch so elegant, so erscheint bei ihm doch irgendwo der Geldbeutel, gleich wie bei dem Teufel dem Pferdefuß. Sprechen sie nicht von der Kunst, so sprechen sie doch von Prozenten. Darum mögen die folgenden Beiträge zur Charakteristik des Volkes Gottes hier ihren Platz finden.180
Die Redakteure konzentrierten ihre Kritik auf Verhaltensweisen, die der zeitgemäßen Amalgamations- oder Anpassungsbestrebung zugeordnet werden konnten, wie sie z. B. in den Gutachten der Beamten ausdrücklich gefordert worden waren. Die Redaktion der Neue[n] Feuerbrände hingegen kritisierte diese Anpassung an die Moderne und den anscheinend nur der Mode gewidmeten Lebensstil. Die beyderley Geschlechts; unter anderem befanden sich auch drei Judenjungen oder junge Juden anwesend, Bengel, die sich überall eindrängen wo Liederlichkeit heimathlich ist. Wäre es auch nur um prahlen zu können: Wir kommen in gute Gesellschaft und leben im Ton!“ Ebd., S. 137. Unmoral und Verdorbenheit wurden in diesem Artikel zu einem Signum des jungen städtischen Judentums und des etablierten hohen Beamtentums. 179 Die Frage, ob mit der Unterbrechung der ernsten politischen Berichterstattung durch humoristische Beiträge bereits ein „Stimmung machen“ gegen die Reform beabsichtigt wurde, lässt sich kaum beurteilen. Da jedoch der Bericht öffentlich, vollständig gedruckt und ausführlich kommentiert wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Diskussion unter der Leserschaft angeregt werden sollte. 180 Neue Feuerbrände 6, S. 97–103, S. 97.
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Kritik und Abgrenzung von der modernen Zeiterscheinung wirkte erst über die Zuspitzung auf das moderne Judentum ironisch amüsant und mit den bekannten Beispielen der Salonièren auch authentisch. In diesem Fall wurde die Judenfeindlichkeit zum Stilmittel für die Kritik an der Moderne, die, illustriert mit lebenden und bekannten Beispielen scheinbar seriös und berechtigt war.181 Auch das radikalste Mittel zur Anpassung – die Mission – wurde als Mittel zur Wesensänderung verworfen, weil die Verfasser davon ausgingen, dass die Neigung zum Wucher wesens- und zeitimmanent war. Auf gut zwanzig Zeilen wurden alle Mittel und Bestrebungen zur Amalgamation – ob mit den reaktionären Zielen zur Auflösung des Judentums oder mit idealistischen zur Tolerierung und Akzeptanz – der Lächerlichkeit preisgegeben und als reine Oberflächlichkeit für nutzlos erklärt. Interessanterweise hatte sich das Intelligenzblatt in den Ausführungen „zum Volkskulturwesen“ gegen jede staatliche Einmischung in Kultus- und Religionsangelegenheiten ausgesprochen, aber für eine ausreichende staatliche Besoldung der Religionslehrer eingesetzt. Insgesamt waren die Ausführungen zu diesem Thema geprägt von den Forderungen nach finanzieller staatlicher Unterstützung für Schulen, Lehrer, Bibliotheken und den Anstalten für Wissenschaft und Künste, um Bildung und Moral zu fördern. Aber jede staatliche Beeinflussung sollte unterbleiben. Bezüglich der moralischen Bildung orientierte man sich an den Werken von Friedrich II., in denen sich der preußische König gegen den Sitten verderbenden Einfluss von Reichtum, Habsucht und Eigensucht ausgesprochen hatte und für die Tugenden eintrat, nach denen der Einzelne durch Talent und Fleiß zum Verdienst gelangen sollte.182 Die zweite Schrift leitete zum Bericht der Reformkommission vom Juli 1789 über.183 Die scheinbar seriöse Darstellung zu den bisherigen Ergebnissen, Diskussionen und Argumenten zur rechtlichen Gleichstellung spickte der Verfasser mit lakonisch kurzen, spöttischen und übertriebenen Kommentaren, mit angedeuteten und ausgesprochenen Unterstellungen, mit polarisierenden Bewertungen und mit deutlich nationalisierendem Pathos. Die genannten Reformpunkte zur bürgerlichen Verbesserung und rechtlichen Gleichstellung der Juden ent181 Vgl. dazu auch einen Brief von Georg Forster an den Verleger Friedrich Heinrich Jacobi (1775), in dem Forster die Berliner Zustände als negative Steigerung vormals positiver Lebensart empfand: „Gastfreiheit und geschmackvoller Genuß des Lebens [sind] ausgeartet in Üppigkeit, Prasserei, ich möchte sagen Gefräßigkeit, frei aufgeklärte Denkungsart in freche[r] Ausgelassenheit und zügellose Freigeisterei […]. Die Frauen allgemein verderbt.“ Zit. n. Köppen, Hohenzollern, S. 17. 182 Friedrich II. Gesammelte Werke, Bd. 2, H. 6, S. 72 und 79. Reichtum, Eigennutz und Habsucht galten als Sitten verderbend, und standen gegen die Tugend, allein durch Talent und Fleiß zum Verdienst zu kommen. 183 Siehe dazu Dok. F im Anhang dieser Arbeit.
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sprachen jedoch den Vorschlägen und Bedingungen der Beamten, die „gleiche Rechte für gleiche Pflichten“ gefordert hatten. Allerdings sprach sich der Autor der Einleitung für den Militärdienst und die Zulassung zum Beamtentum aus, trotz der skizzierten charakterlichen Mängel der Juden. Darüber hinaus empfahl er den verantwortlichen Staatsmännern für die anstehende Reform die Berücksichtigung einiger Thesen des judenfeindlich argumentierenden preußischen Justizkommissar Grattenauer184: Doch diese Nation ist unerschöpflich, und sowenig man auch mit dem Tone zufrieden seyn kann, mit dem einst der Justizkomissarius Grattenauer wider die Juden schrieb, so muß doch der Unparteiische ihm darin Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er viel Wahres und für den Staatsmann der Beherzigung Werthes zur Sprache gebracht hat.185
Dass die rechtliche Gleichstellung zu einem polarisierenden Modethema wurde, lag u. a. an der noch variablen Bandbreite der zu fixierenden bürgerlichen Rechte und Pflichten für die angestrebte Verfassung. Jede „Meynung“ zur bürgerlichen Verbesserung der Juden implizierte auch eine persönliche Stellungnahme zu den Rechten und Pflichten des Bürgers allgemein und zur Neuordnung des Staates. Darüber hinaus konnten in den Nebensätzen persönliche Meinungen zur Vereinheitlichung und Nationalisierung des Staates, zur Militarisierung des Bürgertums, zur Liberalisierung des Marktes oder zum Postulat der natürlichen Menschenrechte, der Gleichheit aller Menschen oder der Rolle der Kirchen untergebracht werden, die, mehr als nur private Meinung, auch zu einem argumentativ dichten politischen Credo über die Zukunft oder die Definition des Staatswesens und seiner Bürger werden konnten. Die angestrebte Neubildung des Staates wurde in den Überlegungen des o. g. Intelligenzblattes im Tenor eines geschichtsphilosophischen Exkurses dargestellt, in dem ernsthaft und zeitgemäß Staatsmodelle von der Antike bis zur Französischen Revolution diskutiert wurden. Zum Favoriten wurde hier das französische Modell erklärt. Es gewährte und garantierte gleiche Rechten für alle Staatsbürger und duldete keinen Stand, der für sich eigene Privilegien forderte. Nach der Meinung des Autors war die europäische Überlegenheit Frankreichs durch die Einbindung aller individuellen Kräfte möglich geworden. Dementsprechend proklamierte der Verfasser keinen Ausschluss bestimmter Bürger aus dem Staatsverband. Aber auch in diesem Staatsmodell konnte über die Zuschreibung der jüdischen Kolonie als „Staat im Staate“ der Vorwurf der Illoyalität erhoben werden, der die Schlussfolgerung zum Ausschluss der jüdischen Untertanen zum 184 Siehe zu Carl Friedrich Wilhelm Grattenauer (1773–1838) Anlage 2: Biografien. 185 Neue Feuerbrände 6, S. 97–103, S. 103.
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Wohl der Nation nahelegte, so wie es Johann G. Fichte, als Verfasser der Schrift über die Staatsmodelle, auch zeitgleich in einer anderen Publikation getan hatte.186 Im Fall der Empfehlung, die Schriften Grattenauers zu berücksichtigen, blieb der Autor der o. g. Einleitung hinter der offiziellen Reaktion auf die Schrift Wider die Juden zurück. Nicht nur der Justizkommissar hatte ein Dienstverbot erhalten (1803/1804), sondern auch gegen den Verlag Unger war wegen der Werbung für die Schriften Wider die Juden und Für die Schinderknechte ein Untersuchungsverfahren eingeleitet worden.187 Dass in der Zeit vor und während der Arbeiten an der Reform antijudaistische Schriften gegen die rechtliche Gleichberechtigung der Juden zahlreicher erschienen als zuvor, ergaben die Untersuchungen von Freund188 und Geiger189. Dass Proteste gegen die Reformpolitik Hardenbergs, speziell gegen die Gleichmachung der Stände und die Mobilisierung des Grundeigentums durch die befürchtete Umwandlung Brandenburg-Preußens „in einen vom Geist des Finanzkapitals beherrschten neumodischen Judenstaat“190 bereits bestehende Existenzängste noch zusätzlich schüren sollten, war eine Intention des ostelbischen Junkers Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Dass die Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III. von einem Zeitgeist geprägt war, der Schriften zur Judenfrage förderte, schrieb die Altpreußische Biografie unter dem Eintrag zum Kriegs- und Domänenrat der westpreußischen Kammer in Marienwerder, Christian Ludwig Paalzow, der bis 1822 verschiedene Publikationen zu diesem Thema veröffentlichte.191 Die Frage, inwieweit diese Urteile tatsächlich einen Zeitgeist repräsentierten, der die öffentliche Meinung zur Zeit der Legislative dominierte, kann hier nicht beantwortet werden. Dass Nachrichten über die bürgerliche Verbesserung der Israeliten zur Tagesordnung gehörten und „beinahe keine Woche verging, wo nicht aus diesen oder jenen Landen Nachrichten, diesen Punkt betreffend“192 in 186 Vgl. dazu die Zusammenfassung von Johann G. Fichte zu den Grundformen des Staates. In: Neue Feuerbrände 4, S. 109. 187 Vgl. dazu GStA PK, I. HA Rep. 104 (Gen.-Fisc. II): Spezialia S 1 und G 3 zum Dienstverbot Grattenauers. Vgl. ebenso zum Untersuchungsverfahren gegen den Verlag Unger: GStA PK, I. HA Rep. 104 (Gen.-Fisc. II), U 1. Vgl. dazu auch Bruer, Aufstieg, S. 114ff. 188 Siehe dazu Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 89ff. 189 Vgl. dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 301–319. 190 Zit. n. Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 550f. Siehe auch Meusel, Friedrich: Ein märkischer Edelmann aus dem Zeitalter der Befreiungskriege, Bd. 1. Berlin 1908; Siehe auch Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 220f. und Koselleck, Preußen, S. 50. Vgl. ebenfalls Diercks, Margarete: Die Preußischen Altkonservativen und die Judenfrage. Rostock 1939, und Ramlow, Gerhard: Ludwig von der Marwitz und die Anfänge konservativer Politik und Weltanschauung in Preußen. Berlin 1930. 191 Siehe zu Christian Ludwig Paalzow (1753–1824) Anlage 2: Biografien. 192 Sulamith 1 (1808), S. 155.
Der politisierte Zeitgeist
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der Redaktion der Zeitung Sulamith eingingen, berichteten die Herausgeber der Zeitung fast entschuldigend in der Einleitung für den darauf folgenden Beitrag über die Gesetzgebung in Frankreich, Holland und Westfalen in Heft 3 des Jahres 1808.
8 Das Ziel der Reform – Der nützliche jüdischpreußische Staatsbürger 8.1 Die Zielgruppe der Reform Die Reform des Judenwesens war Teil der Stein-Hardenbergschen Reformen. Sie wurde von denselben preußischen Beamten entworfen und begutachtet, die auch das Oktoberedikt, die Städtereform, die Steuerreformen, die Heeresreform und die Bildungsreform erarbeitet hatten. Sie gehörte mit zu den Reformen, die über das Stadium der Planung hinaus als tatsächliche Verordnung in Kraft traten, und sie wurde überregional zum Maßstab für die geplante Judengesetzgebung in der Bundesakte auf dem Wiener Kongress.1 Das Edikt stand darüber hinaus für die Zeit der Ablösung von den Sonderregelungen und den privilegierten Rechten, die mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung erlöschen sollten. Gleichzeitig war sie jedoch auch immer eine Reform für eine preußische Minderheit, deren Status stark nach den Privilegien differierte. Innerhalb der preußischen Judenschaft betraf sie seit Beginn der Legislative ausdrücklich nur die konzessionierten und mit Schutzbriefen versehenen Juden. Allerdings bildeten diese innerhalb Preußens wiederum die Mehrheit aller inländischen Juden. Im Verlauf der Legislative wurde diese Zielgruppe des Edikts jedoch deutlicher spezifiziert. Hierbei blieb der Text aus § 1 (Entwurf Schroetters) maßgebend:23 Entwurf Schroetters, § 1 (1808)
1. Entwurf Raumers, § 1 (1811)
Alle gegenwärtig in Unsern Staaten wohnhaften, mit Schutzbriefen und Concessionen versehenen Juden und deren Familien sind für einländische Juden und preußische Staatsbürger zu betrachten.2
Alle gegenwärtig in Unseren Staaten wohnhafte mit Schutzbriefen und Concessionen versehene Juden und deren Familien erhalten hierdurch alle Rechte und übernehmen alle Verpflichtungen christlicher Untertanen.3
Eine Einschränkung bezüglich der vollen rechtlichen Gleichstellung erfolgte im 2. Entwurf Raumers, § 1 (1811): Es finden hiervon keine anderen Ausnahmen statt als diejenigen, welche gegenwärtiges Edikt selbst ausdrücklich anordnet.4 1 Vgl. dazu die umfangreiche Darstellung von Baron, Judenfrage, S. 46–178. 2 Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Bd. 2, S. 228. 3 1. Entwurf Raumer (1811). In: GStA PK, I. HA Rep. 74 (Akten der Staatskanzlei), J. IX, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 272–275 . Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 336–339, S. 336. 4 2. Entwurf Raumer (1811). In: GStA PK, I. HA Rep. 74 (Akten der Staatskanzlei), J. IX, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 55–69. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 363–368, S. 364.
Die Zielgruppe der Reform
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Dieser Zusatz stand im Entwurf Schroetters in § 8, der bestimmte, dass alle inländischen Juden gleiche bürgerliche Rechte mit den Christen genießen sollten, sofern die Verordnung keine abweichenden Bestimmungen enthielt.5 Der Entwurf Pfeiffers (§ 7) und der Edikttext (§ 7) ergänzten den ersten Satz durch den Zusatz „gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten“6 und behielten die Klausel bezüglich der Einschränkung wörtlich im Text. Bis auf den Text im 1. Entwurf Raumers (1811) sahen alle Entwürfe Einschränkungen der rechtlichen Gleichstellung mit vor und bauten diese Klausel mit ein. Der Entwurf Pfeiffers, der sich stärker am Text Schroetters als am Text Raumers orientierte, übernahm § 1 des ersten Entwurfs komplett. Erst im Edikttext wurde die Zielgruppe um zwei weitere Gruppierungen erweitert:78 Entwurf Pfeiffers, § 1 (1812)
Edikttext, § 1 (1812)
Die in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit Schutzbriefen und Concessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten.7
Die in unsern Staaten jetzt wohnhaften mit General-Privilegien, Naturalisationspatenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten.8
Im Edikttext wurden die Adressaten der Reform deutlicher nach der Art ihrer Privilegien unterschieden und um die Gruppe der naturalisierten und generalprivilegierten Juden erweitert, die bereits weiter gefasste bürgerliche Rechte besaßen als die privilegierten oder konzessionierten Schutzjuden. Dass diese beiden Gruppen im Gesetzestext mit aufgezählt wurden, betonte den Charakter der Verordnung: die Ablösung von den Sonderregelungen und den privilegierten Rechten Einzelner. Alle bisher erlassenen Privilegien sollten ebenso wie das General-Juden-Privileg mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung erlöschen. Das bedeutete, dass zukünftig auch die naturalisierten Juden keine weiter gefassten Rechte besitzen konnten als die im Edikt garantierten. Die Anglei5 Siehe § 8 im Entwurf Schroetters (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 229. 6 Beide Texte sind zwar nicht im Wortlaut, aber inhaltlich identisch. Der komplette Wortlaut im Entwurf Pfeiffers lautete: „Die für Einländer zu achtende Juden hingegen sollen in der Regel in sofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.“ Auf die Bestimmung „in der Regel“ wurde aufgrund der Einwände Hardenbergs verzichtet. Vgl. dazu den Entwurf Pfeiffers (1812). In: GStA PK, I. HA. Rep. 74, J. IX, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 153–161 und gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 376–394. Hier zit. n. ebd., S. 378. Vgl. dazu auch den Edikttext (1812), zit. n. ebd., S. 456 und die Bemerkungen Hardenbergs zu dem von Bülow umgeänderten Entwurf Pfeiffers. Zit. n. ebd., S. 397. 7 Entwurf Pfeiffer (1812), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 376. 8 Edikttext (1812), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 455.
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chung und Vereinheitlichung vollzog sich in Richtung eines Mittelmaßes, das zukünftig alle inländischen Schutzjuden auf eine rechtliche Stufe setzte und damit die naturalisierten Juden auch den gesetzlichen Bestimmungen zur Verleihung einer preußischen Staatsbürgerschaft unterwarf. Eine spezielle Erklärung zu dieser Regelung erfolgte nicht. Die Bearbeitung des Entwurfs Pfeiffers übernahm das Büro des Staatskanzlers Hardenberg und im Speziellen der damalige Oberlandesgerichtspräsident Friedrich v. Bülow.9 Er arbeitete u. a. § 1 zu der Fassung um, die auch im Edikttext übernommen wurde. Aus welchem Grund die Zielgruppe hier erweitert wurde, kann aus den Quellen nicht erschlossen werden. Nach den Ergebnissen von Ismar Freund sollte Bülow den gesamten Text aufgrund der Einwände von Justizminister Kircheisen überarbeiten.10 Ob die Fassung in § 1 demnach speziell auf Veranlassung des Justizministers vorgenommen wurde, geht daraus nicht hervor. Im Gutachten zum 1. Entwurf Raumers hatte sich Kircheisen zwar ablehnend gegenüber § 1 geäußert.11 Seine Kritik bezog sich jedoch auf die ohne Einschränkung vorgesehene Verleihung gleicher Rechte und Pflichten mit den christlichen Untertanen und nicht auf die Adressaten.12 Die Frage, ob sich ein weiterer möglicher Grund für die Spezifizierung der Zielgruppe aus dem Zusammenhang mit dem nachfolgenden § 2 des Edikts ergibt, kann hier nur erörtert werden. Dieser bereits bei Schroetter fixierte Paragraf (§ 2c) sah vor, alle jüdischen Staatsbürger zu verpflichten, die Führung ihrer Handelsbücher und die Abfassung von Verträgen und rechtlichen Willenserklärungen in der deutschen oder einer anderen lebenden Sprache abzufassen und Unterschriften in deutschen oder lateinischen Schriftzügen zu zeichnen.13 Bereits im ersten Reformplan (1789) zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. war von der Judenreformkommission die Maßregel formuliert worden, dass preußische Juden die deutsche Schrift erlernen und zukünftig alle Geschäftsstücke darin abgefasst werden sollten.14 Maßnahmen dieser Art hatten bereits verschiedene deutsche und europäische Länder in eigens dafür entworfenen Verordnungen verkündet oder innerhalb der umfangreicheren modernen Reformen verankert. Bereits 1739 war an die Juden im Fürstentum Hessen-Kassel die Order ergangen, sich der deut9 Siehe zu Friedrich v. Bülow (1762–1827) Anlage 2: Biografien. Vgl. ansonsten ADB (1967), Bd. 3, 525ff. 10 Vgl. dazu Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 203. 11 Gutachten Kircheisen (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 340f. 12 Ebd. 13 Vgl. dazu § 2c Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 228. 14 Vgl. dazu Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 49. Siehe dazu auch Gen.-Jud.-Priv. v. 1750, Art. 26. Pfandleiher hatten ein Pfandbuch in deutscher Sprache und Schrift zu führen. Der neue Entwurf bestätigte, erneuerte und erweiterte die Vorschrift auf alle Geschäftsbereiche.
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schen Sprache zu bedienen und Geschäfte nicht auf Jiddisch oder Hebräisch zu tätigen.15 In Breslau war 1790 eine Verordnung erlassen worden, die bestimmte, „dass Handlungsbücher, Kaufmännische Rechnungen, die Gemein- und Almosenbücher in deutscher Schrift zu verfertigen seien“.16 Im Toleranzpatent von 1791 setzte Joseph II. für die böhmischen Territorien Österreichs fest, dass Juden innerhalb von zwei Jahren die deutsche Sprache beherrschen und benutzen sollten.17 Das Badische Edikt von 1809 setzte für die Kontrakte und Testamente die gleichen Verpflichtungen fest, die auch die christlichen Untertanen zu erfüllen hatten. In der Begründung legte man ausdrücklich dar, dass es nicht darum ging, „etwa wucherlichen Unternehmungen freien Spielraum zu schaffen, sondern vielmehr durch die ihnen bewiesene Staatsachtung […] diesen desto gewisser zu entsagen“.18 Im Februar 1812 bestimmte die Landesherrliche Constitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der Jüdischen Glaubensgenossen in den Herzogl. Mecklenburg-Schwerinschen Landen19 unter Art. 5: Die einländischen Juden sind verpflichtet, sich bey Führung ihrer Handelsbücher und bey Abfassung ihrer Verträge oder Testamente, bey Strafe der Nichtigkeit und Ungültigkeit, jederzeit der Deutschen oder einer andern lebenden Sprache, nie aber des sogenannten Jüdischdeutschen zu bedienen: auch ihre Namen nicht anders als mit deutschen oder lateinischen Schriftzügen zu schreiben.20
Das Dänische Edikt (1814) bezog sich in § 3 deutlicher auf Zwistigkeiten unter Geschäfts- und Vertragspartnern als auf die behördliche Handhabbarkeit der Handelsbücher: Alle Schuldverschreibungen, Testamente, Ehepacten, so wie alle anderen Documente, welche von Bekennern der mosaischen Religion errichtet werden, sollen, zum Erfordernisse ihrer Gültigkeit, in deutscher oder dänischer Sprache mit Gothischen oder Lateinischen Buchstaben geschrieben werden, und die Aussteller sich der in Unserem Reiche und Unseren Landen allgemein geltenden Zeitrechnung bedienen.21
Dass die genannten Bedingungen in § 2 des preußischen Edikts als Beleg für das „in weiten Teilen der Bürokratie noch immer favorisierte Erziehungskonzept“22 15 Volkov, Jüdisches Leben, S. 117. 16 Reinke, Andreas: Zwischen Tradition, Aufklärung und Assimilation. In: ZRelGG 3 (1991), S. 193–214, S. 201. 17 Volkov, Jüdisches Leben, S. 117. 18 Art. XXV des Badischen Edikts. Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 104–129, S. 120. 19 Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 94–103. 20 Ebd., S. 96f. 21 Gedr. bei Buchholz, Actenstükke, S. 143–153, zit. n. ebd., S. 145. 22 Hahn, Judenemanzipation, S. 152.
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zu interpretieren sind, schreibt Hans-Werner Hahn. Diese Beurteilung erscheint durchaus zutreffend, wenn das Erlernen und die Nutzung der deutschen oder lateinischen Schriftsprache unter dem Aspekt Verbesserung/Veredelung über Bildung subsumiert werden. Staatsminister Schroetter äußerte sich in seinen Erläuterungen nicht speziell zum § 2c. Er erläuterte den gesamten Komplex der Bedingungen in § 2 im Hinblick auf eine Entwicklung, die über eine äußere Anpassung zum Abbau von Vorurteilen führen sollte.23 Diese Begründung bezog sich deutlicher auf die Tendenz zur äußeren Anpassung („deutsche“ Kleidung, Verzicht auf den traditionellen Bart) in § 2b. Im weitesten Sinne könnte die Verpflichtung zur Nutzung der üblichen Schriftsprache als erzieherische Methode zu dieser Anpassung interpretiert werden. Zwei weitere Aspekte betonte Christian Wilhelm Dohm in seinem Konzept zur Verbesserung der Juden. Er zählte die Verpflichtung, die Handelsbücher in der Landessprache zu führen, zu einer nützlichen Einrichtung, weil sie sowohl die Kommunikation mit den christlichen Kaufleuten erleichterte, als auch Entscheidungen von ordentlichen Richtern im Zweifelsfall weniger schwierig machte.24 Die Transparenz von Geschäfts- und Verfügungsdokumenten war auch Thema in einem preußischen Entwurf zu einem Edikt über die Unanwendbarkeit der jüdischen Ritualgesetze auf die rechtliche Angelegenheit der Juden (1810).25 Unter § 4 erklärte die Gesetzkommission, dass bezüglich der Handelsbücher die Regelung im Allgemeinen Preußischen Landrecht weiterbestehen sollte: „In allen Fällen aber können Handelsbücher, welche in jüdischer Sprache geführt sind, als Beweismittel nicht gebraucht werden.“26 Verträge und Willenserklärungen sollten zukünftig nicht durch Begriffe aus „bisherigen jüdischen Formularen zweideutig und zweifelhaft“27 erscheinen, sondern künftig in einer bekannten lebenden Sprache ausgeführt werden. Nach A. F. Thiele besaß das Jiddische bis in das 19. Jahrhundert hinein den „Ruf einer geschäftlichen Geheimsprache oder eines Räuberjargon[s]“,28 so dass die Sprache von offiziellen Stellen mit Argwohn betrachtet wurde. Wenn also 23 Erläuterungen Schroetters (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 245. 24 Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 2, S. 117. 25 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 308–314. Der Entwurf zu diesem Edikt ging in die Redaktionsarbeit zur Judenreform mit ein. 26 ALR, 2. Teil, 8. Tit., § 590. Generell galt jedoch für die Bücher jüdischer Kaufleute, die mit den Rechten christlicher Kaufleute versehen waren, dass ihre Bücher dieselbe Beweiskraft besaßen wie die Bücher ihrer christlichen Kollegen. Siehe dazu ALR, 2. Teil, 8. Tit., §§ 585–589. 27 Entwurf betreffs der „Unanwendbarkeit der jüdischen Ritualgesetze auf die rechtlichen Angelegenheiten der Juden“. Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 309. 28 Siehe dazu Thiele, A. F.: Die jüdischen Gauner in Deutschland, ihre Taktik, ihre Eigentümlichkeiten, ihre Sprache. 2 Bde. Berlin 1840, erwähnt bei Volkov, Jüdisches Leben, S. 117.
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die Auflagen in § 2 für alle Kaufleute unabhängig vom Status gelten sollten, war die Nennung aller Klassen in Bezug auf die persönliche Verantwortlichkeit im Fall der Haftbarmachung juristisch notwendig. Mit anderen Worten: Um diese Bedingung für alle verpflichtend zu machen, mussten auch die naturalisierten und generalprivilegierten preußischen Juden, die in der Mehrheit im Handel tätig waren, in der Verordnung aufgeführt und damit als justiziabel benannt werden. Neben einer Sprachauflage als fördernder Faktor der Verbürgerlichung war auch die Transparenz und Kontrolle der Rechnungsbücher Anlass für den § 2.29 Die Wahrnehmung über die Sprach- und Schriftkompetenz konnte durchaus unterschiedlich sein. David Friedländer hatte 1793 in seinen Akten-Stücken auf den teilweise anachronistischen Hintergrund dieser Forderungen verwiesen.30 Und dies betraf gerade das strittigste und gerichtlich am häufigsten behandelte persönliche Dokument, das Testament. Nach Friedländer verfassten bereits die meisten vermögenden jüdischen Hausväter ihr Testament in deutscher Sprache und entsprechend den Landesgesetzen. Sie ernannten das „Pupillen-Collegium“31 zum Vormund. Diese Regelung galt jedoch nur für naturalisierte jüdische Inländer. Darüber hinaus galt für bürgerliche Berufe, insbesondere im Handelssektor, die deutsche Sprache als unabdingbar, weil sie als soziales Kapital hinsichtlich der Bewertung der Persönlichkeit auch die ökonomischen Chancen förderte.32 Diese Einschätzung teilte auch David Friedländer. In seiner Stellungnahme zu den Entwürfen Raumers (1811), die unter § 5b dieselben Bedingungen aufgeführt hatten wie Schroetter in § 2c, fügte er ergänzend „und Verträge“33 hinzu. Ein Zusatz, der später sowohl in den Entwurf Pfeiffers als auch in den Edikttext 29 Vgl. dazu Lässig, Simone: Sprachwandel und Verbürgerlichung. Zur Bedeutung der Sprache im innerjüdischen Modernisierungsprozeß des frühen 19. Jahrhunderts. In: HZ 270/3 (2000), S. 617–667, S. 652. 30 Friedländer, Akten-Stücke, S. 18. 31 Ebd. Hierzu vermerkte das Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat (1794), S. 157 wie folgt: „Das Kurmärkische Pupillen-Kollegium führt die Ober-Vormundschaft über diejenigen Unmündigen, exklusive der Judenschaft, welche unmittelbar unter der Gerichtsbarkeit des Kammergerichts stehen, imgleichen über die Kinder der Adlichen Militär-Personen, oder derjenigen, welche Offiziersrang gehabt, wenn der Vater sein Standquartier im Gerichtsbezirk des Kammergerichts gehabt hat. Es hat auch die Aufsicht über die unter dem Kammergericht stehenden Untergerichte in Ansehung bei denselben anhängigen Vormundschaften.“ 32 Vgl. dazu Lässig, Sprachwandel, S. 653. 33 § 5b im 1. u. 2. Entwurf Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 337 und S. 365: „Sie sind verbunden […] bei Führung ihrer Handelsbücher, bei ihren Unterschriften u. bei anderen zum öffentlichen Gebrauch bestimmten Schriften (und Verträge, eine Ergänzung im 2. Entwurf Raumer) sich der deutschen oder einer anderen lebenden Sprache und deutscher oder römischer Schriftzeichen zu bedienen.“ Friedländers Zusatz wurde allgemein in Verträge umgeformt.
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Eingang fand. Er dehnte damit die Verpflichtung zur Benutzung der deutschen Sprache und Schrift auf alle zum öffentlichen Gebrauch genutzten Schriftstücke aus. Damit kam Friedländer einerseits den Interessen der Redaktoren entgegen und betonte andererseits auch den guten Willen der Betroffenen bezüglich der Transparenz der Schriftstücke. Dass für die Generation, die in die Emanzipationszeit hineingeboren wurde, Jiddisch das wichtigste innerjüdische Kommunikationsmittel war, schreibt Simone Lässig.34 Ein dauerhafter Sprachwandel fand nach ihren Untersuchungen erst in den 20er- und 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts statt.35 Die deutsche Sprache galt dann auch innerjüdisch als kultureller Code des städtischen Bürgertums.36 Was die Aufhebung der bisherigen Privilegienerteilung jedoch konkret für die Betroffenen bedeutete, lässt sich aus den bisher eingeschränkten Rechten am eindrucksvollsten ersehen: Im General-JudenPrivileg von 1750 wurde zwischen ordentlichen und außerordentlichen Schutzjuden ebenso unterschieden (Art. 5) wie zwischen „publiquen“ Bediensteten, tolerierten37 oder generalprivilegierten Juden. Die Gruppe der generalprivilegierten Juden besaß das Recht, ihr Etablierungs-Privileg im Todesfall auf ein, zwei oder alle Kinder vererben zu dürfen. In den bereits erwähnten Beispielen konnte das Privileg die Erlaubnis enthalten, den Wohn- und Handelsort frei wählen zu dürfen. Auch andere gewährte Anrechte/Optionen mussten schriftlich fixiert werden. Es gab in diesem Sinne kein formalisiertes Standardprivileg. Dass der Genannte in gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften formal die Rechte christlicher Kaufleute besaß, war keine Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnahme, die im Einzelfall als Privileg bestätigt wurde. Alle Etablierungs-, Aufenthalts- und Handelsprivilegien wurden vom König erteilt. Im Fall der eingeschlossenen Kinder wurde die Konzession im Fall der Verheiratung und Etablierung auch als Approbationsreskript/Konzession vom General-Direktorium ausgestellt. Daneben existierten auch Geleit- oder Schutzbriefe, die nur zum Aufenthalt am genannten Ort berechtigten. Auch in diesen Fällen wurde der Schutzbrief nur vom Landesherrn vergeben, der Schutz des Kindes im Fall der Etablierung vom General-Direktorium bestätigt. Ebenso existierten auch Konzessionen, die den Schutz nur für eine Person aussprachen und von vornherein die Etablierung der Familienangehörigen ausschlossen. Es existierten also durchaus abgestufte Rechte. Aber es gab kein standardisiertes Recht/Anrecht, das in einem einheitlichen Formular transparent hätte bestätigt werden können oder das die Sicher34 Lässig, Sprachwandel, S. 629. 35 Ebd., S. 632. 36 Ebd., S. 657. 37 Die Toleranz konnte sich jedoch im Hinblick auf die Rechte der Witwen auch auf die gesamte Lebenszeit beziehen.
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heit eines „Klassen- oder Standesrechts“ gewährte. In diesem Sinne waren auch die Generalprivilegierten nur privilegierte Schutzjuden. Den prekärsten Schutz bzw. Nicht-Schutz besaßen die unvergleiteten Kinder der Schutzjuden, die keinen selbstständigen Schutz erhielten, sondern vom Privileg des Familienoberhauptes abhingen. Das betraf auch die Privatbediensteten, deren Schutz an ein Arbeitsverhältnis gebunden war und die sich nicht verheiraten und etablieren durften. Im Fall einer Eheschließung hatten sie das preußische Staatsgebiet innerhalb von vierzehn Tagen zu verlassen.38 Außerhalb dieser Kategorisierungen standen die wenigen Familien, die zum Ende des 18. Jahrhunderts naturalisiert waren. Diese zahlenmäßig kleine und nicht repräsentative Gruppe besaß alle Rechte einer christlichen bürgerlichen Familie, formal ohne Ausnahme und Einschränkungen, die mit der Niederschlagung aller gegen die Juden gerichteten Gesetze, Verordnungen und außerordentlichen Abgaben verbunden war. Dies schloss das Recht ein, alle Kinder im Staatsgebiet etablieren zu dürfen und keiner Ehekonzession zu bedürfen. Definierte die neue Verordnung, wer Staatsbürger war und werden durfte, so erweiterte sie damit nicht unbedingt den Kreis der zukünftigen potentiellen Staatsangehörigen. Die Aufnahmebedingungen galten nach der Verordnung für bereits etablierte Inländer. Auf die Betonung dieses Sachverhaltes legten alle neuen deutschen Verfassungen Wert. Die Definition, wer als Inländer mit einem Aufenthaltsrecht für die Familie und die zukünftig im Land geborene Generation anerkannt wurde, beinhaltete auch eine Definition für die Juden, die hiernach als Fremde anzusehen waren. Nach Schroetter sollten außerhalb der formulierten Bedingungen nur Juden eingebürgert werden, die sich nach § 37a mit besonderen Verdiensten um den Staat ausgezeichnet hatten, nach § 37b von ausgezeichneter Gelehrsamkeit waren und sich nach § 37c als Gründer neuer Unternehmungen auszeichneten und damit für die Aufnahme in den Staatsbürgerverband empfahlen.39 Diese Klausel ging auf die staatsrechtlichen Ideen von Justus Möser und Johann A. Eberhard (1791) zurück, nach denen sich die Wertigkeit des Staatsbürgers nicht allein durch Besitz- und Steuerleistung, sondern auch über die „persönliche Aktie, wie Talent, Erfahrung und Verdienst,“40 definierte. Auch im Memorandum (1787) der preußischen Judenschaften waren die genannten Kategorien als Beweise zur Nützlichkeit der jüdischen Einwohner genannt
38 Zusammengestellt nach dem Gen.-Jud.-Priv. v. 1750 und der staatsrechtlichen Bedeutung der verschiedenen Begriffe und Arten des Schutzes in: Koch, Juden, S. 32ff. Vgl. dazu auch Grab, Judenemanzipation, S. 11f., und Schenk, Wegbereiter, S. 82ff. 39 Entwurf Schroetter (1808), GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 96–105 u. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 233. 40 Eberhard, Johann August: Über die Rechte der Menschheit in der bürgerlichen Gesellschaft. Philosophisches Magazin 3 (1791), S. 386.
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worden. Im Entwurf Raumers wurde diese Regelung unter § 12 im 1. Entwurf und unter § 11 im 2. Entwurf aufgenommen.41 Die Redakteure des Edikttextes übernahmen diese Regelung nicht. Auch die im Entwurf Raumers (1811) erstmals fixierten Ausnahmebedingungen für Kandidaten mit einem Vermögen im Wert von mindestens 3.000 Thalern wurden im Edikttext nicht aufgenommen.42 Diese Nützlichkeitserwägungen sollten für die Gewährung der preußischen Staatsbürgerschaft keine Rolle spielen, so dass an dieser Stelle auch die absolute Gültigkeit dieser Beurteilungen relativiert werden muss. Der Geschäftsweg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft sollte nach den Plänen von Staatsminister Schroetter über die Genehmigung des Ministeriums des Innern und auf Antrag der Regierungen der Provinzen, in welchen die Niederlassung stattfinden sollte, erfolgen. Der Edikttext schloss sich dieser Regelung in § 3243 an. Den Zusammenhang zwischen der Bewilligung der Niederlassung und der Zuerkennung der Staatsbürgerschaft regelte § 31 des Edikttextes, nach dem sich kein fremder Jude in Preußen niederlassen durfte, der nicht das Preußische Staatsbürgerrecht erworben hatte.44 Schroetter hatte dies unter § 103 in Bezug auf die §§ 36 und 37 ebenfalls inhaltlich vorformuliert.45 Auch über den privaten Weg der Heirat mit einer Inländerin sollte für ausländische Juden, zu denen auch Juden aus anderen deutschen Staaten zählten, keine Niederlassung in Preußen möglich sein. Dieses im Entwurf Schroetters unter § 25 formulierte Verbot wurde zwar nicht wörtlich, aber inhaltlich in den Edikttext (§ 19) übernommen.46 41 § 12 des 1. Entwurfs Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 339: „[…] wenn sie sich besondere Verdienste um den Staats erworben haben, oder durch Wissenschaft und Kunst bedeutend auszeichnen“. § 11 im 2. Entwurf Raumer in der Bedeutung ähnlich, in der Wortwahl different. 42 Vgl. dazu beide Entwürfe Raumers, gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 339 und S. 386. 43 § 32 des Edikts „Über die bürgerliche Verbesserung […]“ (1812), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 458: „Zur Erwerbung dieses Bürgerrechts können sie nur auf den Antrag der Regierung der Provinz, in welcher die Niederlassung erfolgen soll, mit Genehmigung Unsers Ministerii des Innern, gelangen.“ § 36 des Entwurfs Schroetter, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 232: „Das preußische Staatsbürgerrecht kann von fremden Juden nur mit Genehmigung Unseres Ministeriums des Innern und auf den Antrag der Regierung der Provinz, in welcher die Niederlassung erfolgen soll, gewonnen werden.“ 44 § 31 des Edikts „Über die bürgerliche Verbesserung […]“ (1812), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 458: „Fremden Juden ist es nicht erlaubt, in den hiesigen Staaten sich niederzulassen, so lange sie nicht das Preußische Staatsbürgerrecht erworben haben.“ 45 § 103 des Entwurfs Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 241: „Allen fremden Juden ist jede Niederlassung in Unsern Staaten vor Erlangung des Bürgerrechts (§§ 36 u. 37) verboten.“ 46 § 25 des Entwurfs Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 231: „Durch eine Heirat mit einer Einländerin kann kein fremder Jude eine Niederlassung in Unsern Staaten begründen.“ § 19 des Edikts „Über die bürgerl. Verbesserung […]“ (1812), zit. n. Freund, Emanzipa-
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8.2 Der Untertan und Staatsbürger Innerhalb der Gutachterschaft zum Entwurf Schroetters war § 1 kaum umstritten. Die angestrebten Erziehungsziele und konstatierten Charaktermängel führten weder zu einer Fristenlösung, noch stellten sie die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft generell in Frage. Sowohl die Gutachter Koehler, Dohna, Friese (Sektion der Allgemeinen Polizei) wie die Gutachter Hoffmannn, Minuth (Sektion der Gewerbepolizei), die Gutachter Humboldt, Nicolovius, Süvern und Schmedding (Departement für Kultus und Unterricht) und die Gutachter Scharnhorst, Boyen, Dunker, Hake und Rauch (Allgemeines Kriegsdepartement) stimmten dem § 1 ohne Vorbehalte und Einschränkungen zu.47 Der Gutachter Beguelin wollte die Verleihung der Staatsbürgerschaft an zwei Bedingungen knüpfen: Verzicht auf Handelstätigkeit und die jüdischen Ritualgesetze.48 In den Entwürfen von Staatsrat Raumer war allerdings von der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr die Rede. Obwohl beide Raumerschen Entwürfe die Tendenz der fast völligen Gleichstellung im Vergleich mit den Entwürfen Schroetter und Pfeiffer am deutlichsten verfolgten, sprach Friedrich v. Raumer in seinen Entwürfen (1811) lediglich von der Zuerkennung von allgemeinen Rechten und Pflichten „unserer übrigen Untertanen“.49 In dieser Konstellation lag der Vergleichspunkt stärker auf den Rechten und Pflichten der Mehrheitsgesellschaft, die auch nach der Ansicht der Gutachter als Untertanen zu bezeichnen waren. Auf den Zusatz von David Friedländer, der für den § 1 der Raumerschen Entwürfe die Beifügung „Untertanen und Staatsbürger“50 anregte, reagierten die Geh. Staatsräte Schuckmann51 und Sack52 mit dem Kommentar, dass „Untertanen der allgemeine Ausdruck [sei] und im Landrecht von christlichen Staatsbürgern nicht die Rede ist“.53 tion, Bd. 2, S. 457: „Durch die Heirat mit einer einländischen Jüdin erlangt aber kein fremder Jude das Recht, in hiesigen Staaten sich niederzulassen.“ 47 Der Gutachter Graf v. Lottum (Militär-Ökonomie-Departement) äußerte sich nicht zu dieser Frage. Er bezog sich sachgebunden nur auf Fragen zu seinem Ressort. 48 Vgl. dazu Kapitel 8.5 dieser Arbeit. 49 § 1 im 1. u. 2. Entwurf Raumer (1811). In: GStA PK, I. HA Rep. 74 J IX, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 272–275, Bl. 272, u. Bl. 55–69, Bl. 55. Beide Entwürfe liegen gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 364ff. vor. 50 Bemerkungen von D. Friedländer zum 2. Entwurf Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 368. 51 Siehe zu Kaspar Friedrich v. Schuckmann (ADB 1755–1834) Anlage 2: Biografien. Schuckmann publizierte einen Aufsatz zur schrittweisen Eingliederung der Juden „Ueber Judenkolonien“ in der Berlinischen Monatsschrift (1785). Gedr. und kommentiert bei Frodermann, Ina: Die jüdische Aufklärung in Preußen im Spiegel der Berlinischen Monatsschrift 1783–1796. Saarbrücken 2008. 52 Siehe zu Johann August Sack (ADB 1764–1831) Anlage 2: Biografien. 53 Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 368.
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Abb. 9: Kaspar Friedrich von Schuckmann (1755–1834), preußischer Staatsrat (1811) und Gutachter des Reformentwurfs von Friedrich v. Raumer (1811).
Der Einwand der Gutachter war berechtigt. Das Allgemeine Preußische Landrecht sprach weder von speziell „christlichen“ noch allgemein von preußischen Staatsbürgern. Die Verfasser sprachen von „Mitglied[ern] des Staats“,54 „Mitbürger[n]“,55 „Bürger[n] des Staates“56 und „freien Bürgern des Staats“.57 Nach Reinhart Koselleck und Michael Stolleis hatten die Gesetzgeber des ALR zwar eine Staatsbürgergesellschaft angestrebt.58 Aber der angestrebte Status blieb hypothetisch und kein gesetzlicher Bezugspunkt.59 Eine Bedeutung erhielt er nur als einheitsstiftende Kraft, die als sogenanntes „antiständisches Ferment“60 zwischen den Paragrafen und ohne Konkretisierung der Rechte und Pflichten sichtbar wurde. Darüber hinaus wurde weder definiert, wer Einwohner, Mitglied, Untertan oder Bürger des preußischen Staates war, noch welches
54 ALR, Einleitung, §§ 1 ,12 , 22, 73, 74, 76, 79, 84. 55 ALR, Einleitung, §§ 7, 12. 56 ALR, 2. Teil, 7. Tit., § 147. 57 Ebd. 58 Vgl. dazu Koselleck, Preußen, S. 56. Ebenso Stolleis, Michael: Untertan – Bürger – Staatsbürger. In: Ders. (Hrsg.): Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1990, S. 299–399, S. 320. Beide beziehen sich auf ALR, Einleitung, § 22: „Die Gesetze des Staates verbinden alle Mitglieder desselben ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts.“ 59 Ebd. 60 Ebd.
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Staatsgebiet der preußische Staat umfasste. Explizit von Untertanen sprach das ALR nur dort, wo die Rechtsstellung der „unterthänigen Landbewohner“61 mit einem Gegengewicht ausgestattet werden musste. Bauern waren zwar Untertanen gegenüber dem Gutsherrn, aber daneben „freie Bürger des Staates“.62 In den Gesetzestexten der Reformzeit tauchte der Titel eines Staatsbürgers nur vereinzelt auf, so in der Verordnung wegen Tragens der Preußischen Nationalkokarde vom 22. Februar 1813,63 die als äußeres Kennzeichen treuer Vaterlandsliebe das Tragen der Kokarde „für alle Staatsbürger“64 verordnete, der Landsturmordnung vom 21. April 1813, die jeden Staatsbürger zum Kampf mit den Waffen gegen den eindringenden Feind verpflichtete65, in der Kabinettsorder von 14. August 1813, in der eine auf zwei Monate befristete Suspension auf Kapital- und Zinsforderungen festgelegt wurde, die Gutsbesitzer und Grundeigentümer von den Forderungen ihrer Gläubiger entlasten sollte,66 und in der Verordnung vom 20. April 1813, die bestimmte, „dass kein Staatsbürger jüdischer Nation, höhere als den Kaufleuten erlaubte Zinsen rechtsgültigerweise, sich versprechen oder zahlen lassen dürfe“.67 Auch im bekannten Verfassungsversprechen vom 22. Mai 1815, im Patent wegen der Besitzergreifung des mit der Preußischen Monarchie vereinigten Anteils von Sachsen,68 wurde nicht von Staatsbürgern, sondern von Untertanen, Nachbarn und deutschen Landsleuten gesprochen. Eine systematische Anwendung des Begriffs lässt sich hier kaum nachweisen. Nur andeutungsweise tauchte eine Verbindung des Begriffs im Zusammenhang mit den finanzkräftigen (Staats-)Bürgern und den patriotisch unterstützenden Pflichten des Staatsbürgers auf. In einem Fall wurde der Begriff mit den militärischen Pflichten eines Activ-Bürgers69 verbunden, der auch in den 61 ALR, 2. Teil, 2. Tit., § 147. 62 Ebd. 63 GS (1813), S. 21. 64 Ebd. 65 Ebd., S. 79. 66 Ebd., S. 133. 67 Ebd., S. 77. 68 Dort heißt es: „Die ständische Verfassung werden wir erhalten, und sie der allgemeinen Verfassung anschließen, welche wir Unsern gesamten Staaten gewähren werden.“ GS (1815), S. 77–80, S. 79. 69 Die Trennung zwischen „citoyen actif et passif“ basierte auf der Französischen Konstitution von 1791. Activ-Bürger war jeder, der volljährig, ansässig, beeidigt und Kontributionen im Wert von drei Arbeitstagen zahlte. Vgl. dazu die Beseitigung der Differenz von Aktiv- und Passivbürgern in Art. 1, Abs. 4 der „Constitution de la République Française“ (1793). Vgl. ebenfalls dazu Riedel, Manfred: „Bürger, Staatsbürger, Bürgertum“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 672–725, S. 690, und Stolleis, Untertan, S. 302ff. In einem ähnlichen Sachzusammenhang setzte auch Staatskanzler Hardenberg den Begriff „Staatsbürger“ mit der Militärpflicht.
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Schriften des Militärreformers Gerhard v. Scharnhorst häufiger benutzt wurde. Der preußische Militärreformer erörterte in einem Immediatbericht der Konskriptionskommission vom 5. Februar 1810 den Gedanken, dass zum Erhalt des Staates „alle Staatsbürger gleich verpflichtet“70 sein sollten, und gebrauchte den Begriff im Sinne einer aktiv zu leistenden Bürgerpflicht als Soldat. Im Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements wurde der Begriff Staatsbürger im selben gedanklichen Sinne verwendet wie in den Raumerschen Entwürfen. Dort wurde angemerkt, dass „die Juden denselben Verbindlichkeiten und Leistungen unterworfen werden sollen, welche nur immer von den christlichen Staatsbürgern gefordert werden“.71 Die modifizierte Prämisse „gleiche Rechte und gleiche Pflichten“ bildete sowohl im Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements wie in den Entwürfen Raumers eine Grundlage der neuen Verordnung. Aber im Gegensatz zu Minister Raumer verwandte das Departement unter der Leitung von G. v. Scharnhorst den Begriff Staatsbürger als allgemein gültige Bezeichnung für alle Einwohner Preußens. Unabhängig davon, inwieweit der Inhalt des Begriffs auch mit den politischen Rechten eines „citoyen“72 gefüllt wurde oder die Richtung zukünftiger Verfassungspläne73 bereits andeutete, betonte diese Wortwahl stärker den Aspekt des freien Bürgers als Mitglied eines rechtlichen Verbandes. Da jedoch dieses Ziel auch nach den Raumerschen Entwürfen für die preußischen Juden verwirklicht werden sollte, stellt sich die Frage, ob die Begriffe Untertan – Staatsbürger hier unbedingt als Gegensatzpaar verstanden werden mussten. Die juristische und somit inhaltliche Entwicklung vom Untertan (subiectus) zum Staatsbürger (citoyen) hatte sich über die deutsche Entsprechung des römischen Begriffs „civis“ vollzogen. Das Paradoxon, gleichzeitig Bürger und Untertan in einem Staat zu sein, hatte der sprachpolitisch einflussreiche Jurist Heinrich Gottfried Scheidemantel (1770) versucht aufzulösen: Alle wirklichen Mitglieder des Staates werden Bürger im allgemeinen Verstande genennet, und weil das Subjekt, welches die Majestät hat, das vornehmste Glied der Gesellschaft ist, so 70 Immediatbericht der Konskriptionskommission (5. Februar 1810). Gedr. bei Lehmann, Max: Preußen und die allgemeine Wehrpflicht im Jahre 1810. In: HZ 69 (1892), S. 432–437, S. 432. 71 Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 293. 72 Siehe dazu Riedel, Bürger, S. 684. 73 Siehe dazu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 290ff. Die Idee einer Repräsentativverfassung und Nationalrepräsentation datiert Huber auf die Jahre 1807/1808. Nach Stein sollten freie Eigentümer die Repräsentanten der Nationalversammlung wählen und nach Vorschlag des späteren Staatsrats Rehdiger nach englischem Vorbild in einem Kammernsystem organisiert werden. Die Verfassungsfrage selbst beschäftigte in der Zeit von 1808 bis 1815 sowohl Minister Altenstein wie Staatskanzler Hardenberg und in eigenen Vorstellungen und Plänen auch Wilhelm v. Humboldt.
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kann es sich auch zugleich den Namen des Bürgers beilegen; Untertan aber ist ein jeder, welcher den höchsten Befehlen des Regenten gehorchen muß.74
In dieser Funktion bildeten die Begriffe Bürger – Untertan allerdings kein Gegensatzpaar. Innerhalb der hierarchischen Struktur des Staates blieb der Bürger dem Souverän als höchstem Bürger und Organ des Staates Gehorsam schuldig. Diese Gleichzeitigkeit der Rollen und Funktionen wurde auch auf das scheinbare Gegensatzpaar Staatsbürger – Untertan übertragen: „Staatsangehöriger und Untertan sind identische Begriffe; die Untertanenschaft ist der Inhalt der Staatsangehörigkeit; sie ist demnach auch qualitativ immer gleich; das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz.“75 Daraus leiteten sich nach Ludwig v. Rönne die Grundpflichten ab, wie z. B. „die Verpflichtung der Treue und des Gehorsams gegen den König, in dessen Person sich die gesamte Staatsgewalt konzentriert und des Gehorsams gegen die Gesetze, sowie gegen die Verfügungen der Staatsregierung und der eingesetzten Behörden.“76 Der Staat war nach Immanuel Kant eine „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“77 und der Zweck galt „dem vernünftigen Streben nach der größten Übereinstimmung in Rechtsprinzipien“.78 Als Grundsätze und Voraussetzungen sollten erstens die Anerkennung der Freiheit jedes Gliedes der Sozietät als Mensch, zweitens die Gleichheit mit jedem anderen als Untertan und drittens die Selbstständigkeit jedes Gliedes als Bürger gelten.79 In der Summe entsprach dies den Grundsätzen des Menschenrechts und charakterisierte den Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft. Vom Untertan unterschied sich der Staatsbürger durch die Fähigkeit zur Wahlberechtigung.80 Nach Theodor 74 Scheidemantel, Heinrich Gottfried: Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet. Jena 1770, S. 41. Vgl. dazu auch Riedel, Bürger, S. 683ff. 75 Rönne, Ludwig v.: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. 2. Leipzig 1906, S. 79–94, S. 80. 76 Ebd., S. 81. Siehe dazu auch ALR, 2. Teil, 13. Tit., § 1: „Alle Rechte und Pflichten des Staates gegen seine Bürger und Schutzverwandten vereinigen sich in dem Oberhaupte desselben.“ 77 Kant, Immanuel: Reflexionen zur Rechtsphilosophie. Königsberg 1790/1791. In: Kant’s gesammelte Werke. Akademie-(Text-)Ausgabe (AA) der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Bd. 19 (ND Berlin und Leipzig 1934), S. 442–613, S. 568. Vgl. zur Positon Kants zum Natur- und Vernunftrecht auch Loos, Fritz/Schreiber, Hans-Ludwig: „Recht, Gerechtigkeit“. In: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, S. 284–287. 78 Kant, Reflexionen, S. 568. 79 Kant, Immanuel: Reflexionen zur Anthropologie. Königsberg 1792/1794. In: Kant’s gesammelte Werke: Akademie-(Text-)Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 15/2 (ND Berlin 1913), S. 544. 80 Ebd. Im selben Sinn und ohne die Konkretisierung der Stimmrechte sprach J. H. Campe vom Staatsbürger, „als Bürger eines Staates, Mitglied der Gesellschaft, welche man Staat nennt; be-
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v. Schmalz war der Staatsbürger nur „für den Zweck des Staats allein dem Souverän unterworfen“.81 Und soweit er unterworfen war, war er Untertan. Gehorchte er als solcher nicht, zerriss er „die Bande mit dem Staat, hört[e] auf Staatsbürger zu sein und war ein Feind desselben“.82 Innerhalb der Erörterungen zu den Fragen der Rechtsbeziehung zwischen Bürger/Staatsbürger und dem Souverän wurde auch die Frage nach dem Nutzen für den Einzelnen gestellt. Ein Monitum zum ersten Entwurf des ALR, von Herrn v. Schlettmann (Gießen) verfasst, betrachtete die Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Staat auch vom Nutzen für den einzelnen Bürger. Er befürchtete, dass sich ansonsten unter der Prämisse „für das Wohl des Ganzen“ auch „der Deckmantel für Dummheit, Arglist und allen Despotismus“83 verbergen könnte. In diesem Einwand sollte das „anerkannte gemeine Beste“84 als Synonym für das Wohl des Ganzen die „Sicherheit der Menschenrechte eines jeden einzelnen Bürgers“85 durch die öffentliche Gewalt des Staates garantieren. Damit sollte auch der Souverän in seinen Entscheidungen an die Gesetzgebung gebunden werden: Jeder einzelne Staatsbürger und alle zusammen sind berechtigt, von dem Oberherrn zu fordern, dass er seine bürgerlichen Pflichten erfülle, und, im Falle er dieselben verletze, ihr Recht gegen ihn auf die verfassungsgemäße Weise geltend zu machen.86
sonders ein solches, welches das Stimmrecht in der Gesetzgebung für den Staat hat.“ Campe, Joachim Heinrich: Der Staatsbürger. In: Ders.: Wörterbuch der Deutschen Sprache. 4. Teil: S und T. Braunschweig 1810, S. 567. Daneben galten die Bedingungen, dass „er kein Kind, kein Weib […], dass er sein eigener Herr sei, mithin irgendein Eigentum habe […] welches ihn ernährt“. Ebd. Vgl. dazu auch Stolleis, Untertan, S. 300. Nach E. F. Klein sollte dem Staatsbürger „die Mitwirkung bei der Regierung des Staats, besonders bei der Gesetzgebung zugestanden werden“. Klein, Ernst: Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben. Halle 1797, §§ 498ff. 81 Schmalz, Theodor v.: Das natürliche Staatsrecht. In: Ders.: Das Recht der Natur. Königsberg 1795–1804. ND Aalen 1966, § 74. 82 Ebd. § 146. 83 Schlettmann, Monitum (1783). Zit. bei Stolleis, Untertan, S. 322. Vgl. zum Einfluss der Monitae auf die Gesetzgebung auch die Aufsätze von Willoweit, Dietmar: Die Revisio Monitorum des Carl Gottlieb Svarez. In: Birtsch, Günther/Willoweit, Dietmar (Hrsg.): Reformabsolutimus und ständische Gesellschaft. Berlin 1998, S. 91–111, und Schwennicke, Andreas: Der Einfluß der Landstände auf die Regelung des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794. In: Birtsch/ Willoweit, Reformabsolutismus, S. 113–129. 84 Schlettmann, Monitum, zit. n. Stolleis, Untertan, S. 322. 85 Ebd. 86 Schaumann, Johann Christian: Wissenschaftliches Naturrecht. Halle 1792, § 604.
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In den politischen Ideen und Erörterungen zum Ende des 18. Jahrhunderts war der Begriff Staatsbürger eine Vokabel nach-revolutionärer Verfassungsbefürworter und repräsentierte ein „neues System“87 in Antinomie zum Begriff Untertan. Nach Wieland fing das Wort Untertan „unvermerkt an, unter die übelklingenden und unanständigen [Worte] gerechnet zu werden“.88 Dennoch hielt sich der Begriff in der Sprache der Verfassungen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein.89 Im juristischen Denken der Reformzeit existierte die geläufige Vorstellung von der rechtlichen Parallelität vom Untertanen- und Staatsbürgerstatus: „[…] der Charakter des Bürgers ist, nach innen selbständig und frei zu sein, mit eben dieser Freiheit sich aber nach Außen einem höheren Ganzen zu unterwerfen.“90 Die Begriffe Untertan und Staatsbürger mussten daher nicht in einem juristisch messbaren Gegensatz verwendet werden. Die Parallelität oder Gleichzeitigkeit der Begriffe wurde speziell im Verhältnis zum Staatsoberhaupt deutlich, in dem jeder Staatsbürger gleichzeitig auch Untertan blieb. Darüber hinaus konnten in den Entwürfen zur Judenreform inhaltlich unter beiden Oberbegriffen dieselben Rechtsbeziehungen definiert werden. Dies erklärt, warum eine bis dato weitgehend nur geduldete und variierend nach der ökonomischen Leistungsfähigkeit privilegierte und bestenfalls tolerierte Minderheit zu preußischen Staatsbürgern erklärt werden konnte. Sie erhielt damit einen Status, der scheinbar über dem Status der übrigen Untertanen lag. Gerade die Unbestimmtheit des Begriffs „Staatsbürger“ und die Tatsache, dass der Begriff zu diesem Zeitpunkt von den preußischen Reformbeamten weder ideell aufgeladen noch abstrakt überhöht wurde, ermöglichte die Bezeichnung „Staatsbürger“ auch als Ausdruck eines neuen staatsrechtlichen Bewusstseins. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass sich die Entwürfe Raumers (1811) am aktuellen Status der preußischen Einwohner orientierten, während die Entwürfe Schroetters (1808), Pfeiffers (1812) und der Edikttext (1812) den zukünftig angedachten Status für die Einwohner Preußens fixierten.
87 Rehberg, August Wilhelm: Untersuchungen über die französische Revolution, Bd. 1. Hannover 1793, S. 177. 88 Wieland, Christoph Martin: Gesammelte Schriften, Bd. 15 (1930), S. 633. Zit. n. Riedel, Bürger, S. 672. 89 Siehe z. B. die Verfassung von Kurhessen 1831. 90 Wagner, Johann Jacob: Über die Trennung der legislativen und executiven Staatsgewalt. München 1804, S. 19.
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8.3 Die künftigen Militärverbindlichkeiten Für Staatsminister Schroetter standen die Aufhebung der Exemtion und die aktive Militärpflicht für preußische Juden als Motiv und Ziel der Reform im Mittelpunkt seiner Vorschläge.91 Sein Gesuch an den preußischen König, mit dem er um die Beauftragung für den Reformentwurf bat, hatte in diesem Sinne etwas Konspiratives. Gerade die hohe geschätzte Zahl der preußischen Juden,92 die sich nach Minister Schroetter als mögliche Anwärter für den Militärdienst rekrutieren ließen, sollte den preußischen König von der Nützlichkeit einer Reform überzeugen. Und dies, obwohl nach den sechs geheimen Artikeln der Pariser Konvention vom September 1808 die preußische Armee für die nächsten zehn Jahre auf 42.000 Mann beschränkt und damit auf ein Sechstel ihrer Stärke von 180693 dezimiert werden sollte. Der Bedarf entsprach also weder der aktuellen Notwendigkeit noch der außenpolitisch geforderten Staatsräson. In diesem Sinne schloss der Pariser Vertrag nicht nur die Konskription der Juden, sondern auch die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht schlechthin aus.94 Nach Manfred Botzenhart war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht „das Kernstück der preußischen Militärreform, die wegen der Preußen auferlegten Rüstungsbeschränkungen erst zu Beginn der Freiheitskriege vorläufig und im Wehrgesetz vom September 1814 verkündet werden konnte“.95 Aus Rücksicht auf 91 Vgl. dazu die Immediatvorlage Schroetters an Friedrich Wilhelm III. (20. November 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 208. Die Gesamtzahl der jüdischen Einwohner betrug 1811 6.136 Familien mit 29.538 Personen, die über einen Schutzbrief vergleitet waren. Daneben lebten 3.079 geduldete fremde Juden. Hoffmann, Johann Gottfried: Sammlung kleiner Schriften staatswirtschaftlichen Inhalts. Berlin 1843, S. 342. 92 Schroetter gab die Zahl mit 50.000 Seelen an. Diese Zahl erscheint im Zusammenhang mit Bemerkungen über die Konskriptionsfähigkeit der Juden in anderen Ländern. Vgl. dazu die Immediatvorlage Schroetters (20. November 1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 208. 93 Nach der Pariser Konvention sollte die preußische Armee für zehn Jahre nicht stärker als 42.000 Mann sein (22.000 in der Infanterie, 8.000 in der Kavallerie, 6.000 in der Artillerie und 6.000 Mann als Gardetruppen). 1808 standen 247.000 Mann unter Waffen. Vgl. dazu auch Hagemann, Mannlicher Muth, S. 7ff. 94 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (1975), Kap.: Die Allgemeine Wehrpflicht, S. 224–247, S. 243. Vgl. dazu auch Wohlfeil, Rainer: Vom stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht. In: Forstmeier, Friedrich/Grote, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Militärgeschichte. 1648–1839. München 1779, S. 9–184, S. 80f. Siehe dazu auch die Denkschrift von Minister Altenstein (12. Februar 1810), in der er außenpolitische Bedenken wegen der Einführung einer allgemeinen Konskriptionspflicht äußerte: „Müßte es politisch höchst nachteilig wirken, wenn sich der Staat, während die Reduktion seiner Armee von ihm gefordert wird, sich so als der erste militärische Staat ankündigen wollte.“ Gedr. in Lehmann, Max: Preußen und die allgemeine Wehrpflicht im Jahre 1810. In: HZ 69 (1892), S. 431–461, S. 439. 95 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 67.
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den im Bürgertum besonders weit verbreiteten Widerwillen gegen den Militärdienst dachten die Reformer zunächst daran, den bisher eximierten Kreisen die Möglichkeit zum Dienst in eigenen einer Miliz ähnlichen Verbänden zu eröffnen, die als selbstständige Formationen neben die Linienarmee treten sollten. Darauf wurde jedoch verzichtet, um im Heerwesen keine neuen ständischen Schranken aufzurichten.96 In den folgenden Entwürfen zur Reform des Judenwesens wurde die aktive Militärpflicht für jüdische Preußen mit vorgesehen. In der Endredaktion und nach dem Willen des preußischen Königs wurde der Paragraf zwar neu formuliert, aber die Konskriptionspflicht für preußische Juden blieb Bestandteil des Paragrafen:979899100 Entwurf Schroetters (1808), § 18:
1. Entwurf Raumers (1811), § 5c:
Der Militär-Conskription oder der Cantonpflich- Sie sind zum Militärdienst verpflichtet und tigkeit und den besonderen Vorschriften werden in den Canton-Rollen eingetragen.98 hierunter sind die Juden ebenfalls und zwar im s t r e n g s t e n Sinn unterworfen.97
2. Entwurf Raumers (1811), § 5c:
Entwurf Pfeiffers (1812), § 16:
Sie sind von nun an zum Kriegs-Dienste wie andere Unterthanen des Staates gleichen Wohnorts, Standes, Vermögens und Gewerbs verpflichtet.99
Der Militair Conscription oder Cantonpflichtigkeit und den da mit in Verbindung stehenden besonderen gesetzlichen Vorschriften sind die einländischen Juden ebenfalls unterworfen.100
Edikttext (1812), § 16: Der Militair-Konskription oder Kantonpflichtigkeit, und damit in Verbindung stehenden besondern gesetzlichen Vorschriften sind die einländischen Juden gleichfalls unterworfen.
96 Ebd. 97 Entwurf Schroetter, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 230. 98 1. Entwurf Raumer, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 337. 99 2. Entwurf Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 365. Die Änderung wurde auf Anregung von Staatsrat Schuckmann vorgenommen, der in seinem Gutachten (20. April 1811) darauf verwies, dass der Militärdienst nicht Christen- sondern Staatsbürgerpflicht sei und auch Mohammedaner betraf, als der Staat in Neuostpreußen noch muslimische Einwohner hatte. Im Gutachten Schuckmann heißt es: „Sie sind fortan zum Kriegsdienste, wie andere Unterthanen des States gleichen Wohnorts, Alters, Standes, Gewerbes und Vermögens verpflichtet.“ Gutachten Schuckmann, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 353–363, S. 356. 100 Entwurf Pfeiffer (1812), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 382.
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Die Art und Weise der Anwendung dieser Verpflichtung auf sie, wird durch die Verordnung wegen der Militair-Konskription näher bestimmt werden.101
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Vorschlägen wurde eine Entscheidung über die Form der künftigen Dienstverpflichtung vorerst ausgesetzt. Diese Entscheidung stand im Zusammenhang mit der Neuordnung des preußischen Heeres, in der die Frage nach der Aufhebung der bisher geltenden Exemtionen Thema und Inhalt der Militärreform war. Es handelte sich hier also weniger um eine exklusive, ausschließlich auf die preußischen Juden bezogene Frage der bürgerlichen Pflichterfüllung, als um eine prinzipielle Frage nach der Aufhebung der Ausnahmen von der Kantonpflicht. Eine neue Aktualität erhielten die Reformbestrebungen durch die vorangegangene militärische Niederlage gegen das napoleonische Frankreich. Das Königreich Preußen hatte im Bündnis mit Russland, Sachsen, Sachsen-Weimar, Braunschweig und Hannover Frankreich am 9. Oktober 1806 den Krieg erklärt und fünf Tage später in den Schlachten bei Jena und Auerstedt eine vollständige Niederlage erlitten. Die Ursachen für die Niederlage waren vielschichtig. Nach dem Urteil von Militärhistorikern waren die französische mobile Kampftaktik unter Aufgabe der Linienführung und die überlegene Truppenstärke und Truppenführung des französischen Heeres für den Sieg Frankreichs und die Niederlage Preußens verantwortlich.102 Darüber hinaus lag nach den Analysen und dem Urteil von Gerhard v. Scharnhorst ein weiterer Grund für den Sieg Napoléons im patriotischen Kampfeswillen der Bürgerarmee begründet.103 Das französische Bürgerheer hatte „das zusammen gewürfelte und wenig motivierte Söldnerheer“104 Preußens geschlagen. Das auf Friedrich Wilhelm I. zurückgehende Konskriptionssystem, das Exemtionen, Loskäufe und Stellvertretungen zuließ, kam keiner allgemeinen Konskriptionspflicht gleich und war dementsprechend auch nicht kongruent mit der Vorstellung von einer allgemeinen Wehrpflicht.105 Nach Max Lehmann regelten die Kabinettsorders vom September 1733 ausschließlich den Distriktbereich der Regimenter für das Enrollement, trafen Ausführungsbestimmungen und behoben Unstimmigkeiten
101 § 16 des Edikttextesvon 1812. In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 15–17, Bl. 16. 102 Wohlfeil, Heer, S. 81ff. 103 Ebd. Siehe dazu auch Kunisch, Johannes (Hrsg.): Gerhard von Scharnhorst. Private und dienstliche Schriften Bd. 4: Generalstabsoffizier zwischen Krise und Reform u, Bd. 5: Leiter der Militärorganisation. Köln [u. a.] 2007/2009. 104 Hagemann, Mannlicher Muth, S. 7. 105 Vgl. zur preußischen Konskription auch Wohlfeil, Heer, S. 46–49.
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bezüglich der Praxis des Enrollements.106 Das Verfahren des „Enrollierens“, das über den aktuellen Bestand der Mannschaften auch Eintragungen derjenigen Männer vornehmen sollte, die erst in Zukunft einem „Regiment obligat“ waren, wurde nach Lehmann wahrscheinlich bereits vor 1733 eingerichtet. Die preußischen Mannschaften bestanden zu einem Teil aus geworbenen ausländischen Söldnern und aus inländisch ausgehobenen Einwohnern, von denen jeder Dienstpflichtige mit 14 Jahren in den Regimentslisten erfasst und ab dem 16. Lebensjahr zur Dienstpflicht herangezogen werden konnte. Im Jahr 1806 bestand das preußische Heer knapp zur Hälfte aus geworbenen Söldnern. Den Unterschied zwischen einem Bürgerheer und einer geworbenen Söldnerschaft beschrieb der Staatsrechtler Ernst R. Huber wie folgt: Die Ausländerwerbung, in der sich der alte Charakter des stehenden Heeres als einer Söldnerarmee noch deutlich ausprägte [die Söldnerwerbung wurde 1807 in Preußen eingestellt, Anm. d. Verf.] war eine auch unter militärischen Blickpunkt fragwürdige Einrichtung in einer Zeit, in der das nationale Bewusstsein die Völker in allen Schichten zunehmend durchdrang; der volle militärische Einsatz konnte von geworbenen Söldnern unter denen es im Ernstfall seit eh und je zu vielen Desertionen kam, jetzt noch weniger als vordem erwartet werden.107
Ähnlich hatte sich gut hundert Jahre früher der Staatsrechtler Carl v. Rotteck in seinem Artikel zur „Conscription“ geäußert. Kriegsknechte oder Mietlinge, die den Krieg als ein besonderes Gewerbe trieben, galten ihm als „persönlich unbeteiligter“108 als Nationalstreiter im Bürger- oder Nationalheer: „Das Nationalheer nämlich ist unvergleichbar stärker, zuverlässiger, Recht und Freiheit schirmender und dabei wohlfeiler, als das aus Kriegsknechten bestehende.“109 Neben dem Argument, dass ein Nationalstreiter in Friedenszeiten nur wenig kostete, ließen sich nach Rotteck auch die Lücken der Schlachtreihen leichter wieder mit gleich tüchtigen Kämpfern füllen, weil eine frische Schar an Streitern heranwuchs und damit eine unerschöpfliche Quelle von Streitkräften zur Verfügung stand.110 Eine Einschränkung in der Kampfkraft des Nationalheeres machte Rotteck in der Art des Angriffs- und Eroberungskrieges oder der des Verteidigungskrieges. Nach seiner Meinung taugte das Nationalheer für den Angriffskrieg weniger, weil „die Liebe zur Heimat und die Familienbande davon abhalten“.111
106 Vgl. dazu Lehmann, Max: Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelm’s I. In: HZ 67 (1891), S. 254–288, S. 259ff. Vgl. dazu auch Rönne, Staatsrecht, S. 94ff. 107 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (1975): „Allgemeine Wehrpflicht“, S. 243. 108 Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 3 (1836): „Conscription“, S. 732–756, S. 736. 109 Ebd. 110 Ebd. 111 Ebd., S. 738.
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Nach Gerhard v. Scharnhorst112 waren zur Zeit von Friedrich Wilhelm I. die Ausnahmen von der Konskription in der Totalität fast gar nicht zu rechnen: Nur der Adel, die Söhne der Oberoffiziere und ein Vermögen von 10.000 Talern begründeten eine Kantonfreiheit.113 Unter Friedrich II. wurde zwischen dem Ersten Schlesischen und dem Siebenjährigen Krieg festgesetzt, dass die wirklich angesehenen Bauern und Bürger die Kantonfreiheit haben sollten. Nach dem Ersten Schlesischen Krieg hatte König Friedrich II. den Städten Berlin, Potsdam und Brandenburg sowie „den Söhnen der königlichen Beamten und den Kapitalisten, die 6.000 Taler in Vermögen hatten, die Kantonfreiheit gegeben“.114 Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden die Eigentümer von Bauernhöfen und auch die einzigen Söhne alter Väter, welche aus ansässigen Bürgerhäusern oder Bauernhöfen stammten, entlassen. Nach Scharnhorst wurde das ganze Kantonwesen im Jahre 1764 regelmäßiger eingerichtet115 und blieb bis zum Jahre 1792 im Wesentlichen unverändert. Das neue Kantonreglement unter Friedrich Wilhelm II. veränderte die bestehende Kantoneinrichtung nicht grundsätzlich.116 Allerdings wurde eine so große Anzahl von Exemtionen zugelassen, dass mit den Worten von Scharnhorst „das nunmehr erste Institut fast gänzlich verändert war“.117 So bemerkte er: „Man sehe nur in den Listen die Anzahl der Eximirten, und man wird sie sehr groß finden, wenn man die Städte Berlin, Potsdam und Brandenburg und die befreiten Distrikte in Schlesien rechnet.“(1810)118 Die 117 Paragrafen umfassende Verordnung vom 12. Februar 1792119 benannte ab § 9 die Berufs- und Bevölkerungsgruppen, die keiner Konskription unterworfen wurden: Grundsätzlich war der Adel aufgrund seiner persönlichen Freiheit eximiert (§ 9); die Besitzer adeliger oder, anderer, mit adeligen Rechten versehene Güter (§ 10a); die im Dienst des Staates stehenden, vereideten Zivilbedienten 112 Siehe zu Gerhard (v.) Scharnhorst (1755–1813) Anlage 2: Biografien. 113 Scharnhorst, Gerhard v.: Übersicht der Geschichte der Cantoneinrichtungen im preußischen Staate – Beilage zum Immediatbericht an Staatskanzler Hardenberg (November 1810). Gedr. bei Lehmann, Max: Preußen und die allgemeine Wehrpflicht im Jahre 1810. In: HZ 69 (1892), S. 457–461, S. 458. 114 Ebd. 115 In der „Instruction welchergestalt bey der Revision der Cantons verfahren werden soll“ (Potsdam, 24. October1764) werden keine Änderungen betreffs der Exemtionen genannt. Vgl. dazu N.C.C., Bd. 3 (1761–1765), Sp. 495–502. 116 Ebd. Nach § 2 sollten die Eximierten nicht in die Kantonrolle eingeschrieben werden. 117 Scharnhorst, Geschichte, S. 459. 118 Ebd. 119 Reglement, nach welchem in den Königlichen Staaten, jedoch mit Ausschluß des souveränen Herzogthums Schlesien und der Grafschaft Glatz, bey Ergänzung der Regimenter mit Einländern, in Friedenszeiten verfahren werden soll (Berlin, 12. Februar 1792). In: N.C.C., Bd. 9 (1791–1795), Sp. 777–830. Im Anhang, Sp. 831–836, befindet sich das Schema einer Canton-Rolle.
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(§ 10b); die Söhne der Räte aus den Landeskollegien (§ 11c); Städte und Distrikte, Gewerbe und einzelne Individuen (§ 11d); alle Ausländer, die sich in Preußen aufhielten oder sich darin häuslich niederlassen, nebst ihren mitgebrachten Söhnen (§ 11e); die Söhne von Steuereinnehmern und Inspektoren, Ärzten, BataillonsChirurgen, Justiz-Beamten, Münz-Direktoren, Münz-Meistern, Postmeistern etc. (§ 12); die Söhne von Konsistorialräten, Professoren, Predigern, mit Einschränkungen von Lehrern der obersten Klassen (§ 13); die Söhne der Forst-Bedienten (§ 15) und von Bergwerks- und Hüttenleuten (§ 16). Befreit waren Kaufleute, Fabrikanten, Verleger und deren Söhne mit einem jährlichen Umsatz von 5.000 Taler und mehr (§ 20); kleinere Fabrikanten und jeweils ein Sohn (§ 21); Schiffer und Seefahrende (§§ 22, 23); eine bestimmte Anzahl von Knechten auf den Landgestüten (§ 25); Postillion- und Postknechte (§ 27) und unter § 28: Die Mennonisten, Mährischen Brüder, Juden und deren Söhne bleiben nach wie vor von dem Militärdienste und von der Einzeichnung in den Canton-Rollen befreyet. Letztere, die Mährischen Brüder und Juden nemlich, müssen aber keine Cantonpflichtige Stelle erwerben oder bewohnen, und in den Fällen, wo ihnen solches nachgelassen werden sollte, die Cantonsverpflichtung mit übernehmen.120
Zusammenfassend galten die Ausnahmen von der Kantonpflicht für Orte wie Berlin (1740), Potsdam und Brandenburg (1741), Magdeburg, Danzig, Thorn (1794), Posen (1795) und Warschau (1798), für Bevölkerungsgruppen (Adel, höhere Beamte, akademische Berufe, Kaufleute mit Besitz), bestimmte gewerbliche Berufe (in der Tuch- und Seidenindustrie, im Bergbau und in der Schifffahrt) und für Kolonisten und Einwanderer und deren Nachkommen.121 Nach Manfred Botzenhart traf die Kantonpflicht nur noch die Söhne von Bauern und einfachen Handwerkern.122 Nach Hagemann ergab eine Zählung im Jahr 1799, dass bei einer Gesamtbevölkerung von 8.700.000 Einwohnern insgesamt 1.700.000 Männer auf Grund der weitreichenden Exemtionen des Kantonreglements vom 12. Februar 120 Ebd. 121 Im Gen.-Jud.-Priv. v. 29. September 1730 wurde unter Art. 17 lediglich festgehalten, dass „wegen der richtige[n] Abtragung des Schutz- und Recrutengeldes die Juden jeder Provinz einer vor alle und alle vor einen stehen“. Nach Koch geht die Bestimmung über die Ersatzleistung wahrscheinlich auf ein Zirkular vom 24. April 1728 zurück. Dem ist jedoch nicht so. In diesem Zirkular wurde nur die Summe (4.800 Thaler) und die Frist bestimmt. Die Zahlung selbst wird weder eingeführt noch begründet. Vgl. dazu Koch, Juden, S. 44. In einer Zirkularverordnung vom 13. November 1700 wurde seiner Kurfürstlichen Durchlaucht empfohlen, zum Schutz von Land und Untertanen und um die Miliz zu verstärken, die Juden „einen erklecklichen Beitrag hierzu leisten“ zu lassen, um die Mittel zur Werbung und Montierung eines Regiments (1.200 Köpfe) zu finanzieren. Vgl. dazu Stern, S., Der preußische Staat, I/2, Nr. 248, S. 218. 122 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 467.
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1792 von der Kantonpflicht befreit waren.123 Das entsprach wiederum nach Manfred Botzenhart „wahrscheinlich d[er] Hälfte der erwachsenen Männer“.124 Das Kantonreglement von 1792 blieb bis zum Beginn der Freiheitskriege bestehen. Am 9. Februar 1813 hob der König die bisherigen Exemtionen für die Dauer des Krieges auf.125 Insgesamt wurden vier Bestimmungen erlassen, die Ausnahmen von der Militärpflicht zuließen.126 Die Staatsrechtler Rotteck und Welcker beschrieben Konskriptionsgesetze nüchtern als „[…] überhaupt nichts Anderes, als die Festsetzung der Ordnung, in welcher der Kriegsherr (Staat oder Fürst) von seinem gegen Alle samt und sonders gehende[n] Recht Gebrauch machen und in welchem Maße er solches ausüben will.“127 Im Gegensatz zum vernunftrechtlich orientierten Staatsrecht beruhte diese Verordnung ausschließlich auf der Leibherrlichkeit des Fürsten oder des Staates, denen nach Belieben erlaubt war, die Freilassung von der Konskription als Geschenk zu erteilen oder an eine Bedingung (die Einstellung einer Ersatzperson oder finanzielle Ersatzleistung) zu knüpfen. Das schloss „vernünftige“ Konskriptionsbefreiungen auf Grund eines öffentlichen Interesses (Gewerbsleute) oder auf Grund des Anerkennens der Billigkeit (Befreiung von einzigen Söhnen) 123 Hagemann, Mannlicher Muth, S. 33 und Wohlfeil, Heer, S. 86f. 124 Raumer/Botzenhart, Geschichte, S. 467. 125 Wohlfeil, Heer, S. 126. 126 1. Bekanntmachung in Betreff der zu errichtenden Jägerdetachements (3. Februar 1813): Diese galt für bisher vom Dienst befreite Männer, die wohlhabend genug waren, Ausrüstung und Pferd zu finanzieren. Ferner erfolgte die Einrichtung um „dadurch vorzüglich solchen jungen Männern Gelegenheit zur Auszeichnung zu geben, die durch ihre Bildung und ihren Verstand sogleich ohne vorherige Dressur gute Dienste leisten und demnächst geschickte Offiziere und Unteroffiziere abgeben können.“ GS (1813), S. 15–17, S. 15; 2. Verordnung über die Aufhebung der bisherigen Exemtion von der Kantonpflichtigkeit für die Dauer des Krieges (9. Februar1813): Nach dieser Regelung blieben gebrechliche junge Männer, alleinige Versorger von Hof- und Bauernstellen, einzige Söhne von Witwen, im Dienst stehende Offizianten und junge Männer in geistlichen Ämtern vom Militärdienst befreit. GS (1813), S. 13–14, S. 14; 3. Publikandum über „Fernerweite Bestimmungen über die Verhältnisse der Jägerdetachements“ (19. Februar 1813), in denen die Civil- und Militärbehörden angewiesen wurden, den Eintritt zu erleichtern und Offiziere zu bestimmen, „welche sich zu der Bildung der jungen Männer aus welchen diese Detachements bestehen schicken […]. Es ist die Absicht seiner Majestät, daß die Jägerdetachements so viel wie möglich die Schule der Offiziere und Unteroffiziere werden und daher auf ihre Bildung und Übung ein großer Fleiß verwendet werde“. GS (1813), S. 19–20, S. 19; 4. Verordnung über das Ausweichen des Kriegsdienstes (22. Februar 1813), in der u. a. der Verlust des Bürgerrechts und des Gewerbescheines im Fall des Entziehens vom Kriegsdienst angekündigt wurde. Ebenso sollte mit den Eltern oder Vormündern verfahren werden, wenn sie verabredete Übertragungen des Besitzes oder von Grundstücken vornahmen oder den Eintritt der jungen Männer in den Militärdienst erschwerten. GS (1813), S. 21. 127 Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 3 (1836): „Conscription“, S. 744.
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nicht aus. Die Kritik an dieser Praxis entwickelte sich ab der Zeit, als eine Gleichheit oder Gleichbehandlung in der vernunftrechtlich orientierten Rechtspraxis vorausgesetzt wurde.128 Die bisherige Praxis widersprach dem Hauptgesetz bezüglich der Gleichheit im Tragen der Hauptlasten aller Staatsangehörigen, die idealiter und konsequent auf alle Pflichten und alle Bürger gleichermaßen angewandt werden sollte: „So wie eine Verteilung der Steuer nach dem Lose nicht nur abgeschmackt, sondern ungerecht wäre, so ist es auch jene der Kriegspflicht.“129 Gleichwohl stellten die Staatsrechtler jedoch auch fest, dass „nicht jeder zur Waffenführung geeignet [sei]; auch bei den ausgedehntesten Wehrsysteme können deshalb immer nur Einzelne zum Eintritt in das Heer aufgerufen werden.“130 Diese Feststellung begleitete auch die Diskussion um die allgemeine Konskriptionspflicht ohne Zulassung von Stellvertretungen. Sollte das Wesentliche der Militärs durch „eine große Masse körperlicher Kraft im einzelnen und im Ganzen“131 gekennzeichnet sein, so zog Minister Altenstein (1810) hieraus das Resümee, dass der Teil der Nation am geeignetsten schien, „wo sich diese Kraft vorzüglich findet“.132 Dazu griff der Minister auf die unter Friedrich Wilhelm I. bereits praktizierte Lösung zurück und bemerkte dazu: „Durch die Zulassung von Stellvertretern aus der unteren Klasse oder aus der körperlich kräftigen Klasse, wenn das Erstere anstößig klingt, wird für das Beste des Militärs gesorgt und der Druck einer allgemeinen Konskription gemildert.“133 Die Forderung nach einer allgemeinen Wehrpflicht war kein allgemeiner Konsens innerhalb der preußischen Beamtenschaft.134 Innerhalb der Konskripti128 Ebd. 129 Ebd., S. 746. 130 Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 10 (1840): „Militärverwaltung“, S. 563–571, S. 563. 131 Denkschrift von Minister Altenstein (12. Febuar 1810). Gedr. bei Lehmann (1892). In: HZ 69 (1892), S. 437–440, S. 438. 132 Ebd. 133 Ebd. Vgl. dazu auch die Gegenposition von Scharnhorst. In: Scharnhorst, Gerhard v.: Denkschrift über die Unzulässigkeit der Stellvertreter. Gedr. in: HZ 58 (1887), S. 102–105. 134 Vgl. dazu auch die Denkschrift von Minister Dohna (14. Februar 1810), in der sich Dohna gegen eine allgemeine Konskription aussprach. In: HZ 69 (1892), S. 440. Vgl. auch die Bemerkungen der Mitglieder der Konskriptionskomission, Graf Lottum und Oberst v. Boguslawski vom November 1809, die sich ebenfalls gegen eine allgemeine Konskription aussprachen, weil Menschen zum Militärdienst unterschiedliche Eignung aufwiesen. Lehmann, Max: Preußen und die allgemeine Wehrpflicht im Jahre 1809. In: HZ 61 (1889), S. 106ff. Großkanzler Beyme votierte für eine allgemeine Militärpflicht. Unter der Prämisse, dass die Fortdauer des preußischen Staates ohne Armee undenkbar sei, sollten die daraus entstehenden Unbequemlichkeiten und Nachteile dem Zweck der Erhaltung des Staates untergeordnet werden. Vgl dazu die Denkschrift Beyme (8. März 1810). In: HZ 69 (1892), S. 440f. Fiedler zitiert in diesem Zusammenhang u. a. den Herzog von Braunschweig, der einen, durch die allgemeine Wehrpflicht erzeugten patriotischen
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onskommission gaben die Mitglieder Lottum und Boguslawski ein dissentierendes Votum ab. Sie setzten sich für ein Konskriptionssystem ein, das den Einsatz von stellvertretenden Mannspersonen mit einschloss und wiesen zur Begründung nicht nur auf die unterschiedliche Eignung der Menschen zum Militärdienst hin, sondern vertraten auch die Ansicht, dass die ersatzlose Aufhebung der Exemtionen bei den bislang begünstigten, jetzt aber durch neue Gesetze und Steuern schon belasteten Klassen von Bürgertum und Adel eventuell zu Unruhen führen könnte. Die Diskussion um eine Aufhebung der Exemtionen war bereits älteren Datums. Die vor 1800 erschienenen Militärschriften strebten bereits eine Einschränkung der Exemtion an: Verbesserung der Offiziersauslese; Zulassung Bürgerlicher zu Offiziersstellen; Ausbau der Wehrpflicht unter Einschränkung der Exemtion und der Ausländerwerbung, Bildung einer Landmiliz; Milderung der, der Manneszucht dienenden Strafen; Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Soldaten; Übergang zu modernen Formen der Taktik und Strategie; Reorganisation des militärischen Oberbefehls.135
Zeitgleich mit diesen Forderungen war die Aufhebung der Exemtion auch im ersten Versuch einer preußischen Judenreform ein Thema. In ihrem Ergebnis waren die Gutachten identisch, in ihrer Argumentation durchaus unterschiedlich. Die Kommission für die Reform des Judenwesens war im November 1788 zu dem Ergebnis gekommen, dass erst die Generation der preußischen Inländer für den Militärdienst geeignet sei, die bereits die sittliche und moralische Verbesserung durch die geplante Gleichsetzung in der bürgerlichen Verfassung mit den christlichen Untertanen durchlaufen habe.136 Im Gutachten der Kantonkommission vom Dezember 1788 war die Frage für die aktuelle Militärpflicht ebenfalls abschlägig beschieden worden.137 Die Nichteignung der jüdischen Einwohner als Vaterlandsverteidiger wurde mit der körperlichen Beschaffenheit bzw. der körperlichen Schwäche, mangelnder Moralität aufgrund des nationalen Charakters und fruchtloser Versuche in anderen Staaten begründet. Das Oberkriegskollegium138 verwies ohne eigene Stellungnahme auf das beigefügte Gutachten der Mobilma-
Volksgeist in Preußen für unmöglich hielt. Fiedler, Siegfried: Grundriß der Militär- und Kriegsgeschichte, Bd. 3: Napoleon gegen Preußen. München 1978, S. 47. 135 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (1975), Allgemeine Wehrpflicht, S. 220. 136 Vgl. dazu das Schreiben der Reformkommission an die Kantonkommission (27. November 1788), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 69–71. 137 Siehe dazu das Gutachten der Kantonkommission (7. Dezember 1788), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 71f. 138 Nach Wohlfeil war das Oberkriegskollegium die Vorform des späteren Kriegsministeriums. Wohlfeil, Heer, S. 110.
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chungskommission.139 In diesem Gutachten, das im Januar 1790 vorlag, war man zu dem Ergebnis gekommen, dass die jüdische Nation weder zum Militärdienst noch zum Dienst der Stück- und Packknechte brauchbar sei.140 Nach Ansicht der Kommission konnte der Militärdienst nur in der Folge der beabsichtigten Reform zukünftig mit in Betracht gezogen werden. Er konnte aber keinesfalls Inhalt oder Anfang der Reform sein. In den erwähnten Gutachten zum ersten Reformversuch stand die Moralität als Signum der Eignung im Mittelpunkt der Beweisführung gegen die Aufhebung der Exemtion. Warum auch hier eine moralische Kategorie eine so dominante Rolle innerhalb der Beurteilungen spielte, hatte verschiedene Gründe. Die Rolle des Vaterlandsverteidigers wurde eng mit einer patriotischen Grundhaltung verbunden. Dieser dynamische und aus Frankreich importierte Begriff beinhaltete die Liebe zum Vaterland als Land der Herkunft und Abstammung oder auch einer gefundenen neuen Heimat ebenso wie die Wertschätzung und Verehrung gemeinschaftlicher Lebensformen und Kultur.141 Unter dem Einfluss der deutschen Aufklärung (Möser, Klopstock und Fichte) wurde daraus eine auf das Gemeinwesen bezogene idealistische und politische Einstellung, die nach der Gestaltung eines Vaterlandes als „gesetzlich gesicherte Stätte menschenwürdiger Existenz“142 strebte. Darüber hinaus basierte nach Meinung der Militärs das Nationalbewusstsein auf einer als Gemeinsamkeit empfundenen Kultur und Sprache, die wiederum patriotische Empfindungen förderte. Nach Albert Bruer war am Ende des 18. Jahrhunderts der Prozess, der das preußische Judentum in wachsender Intensität zu deutscher Kultur und Assimilation führte, längst eingeleitet: „Die Wurzeln für die einzigartige Intensität, mit der Preußens Juden den Hohenzollern-Staat und seine Kultur schließlich als ihr Vaterland, als ihre Kultur verstanden, sind in der Epoche der Aufklärung zu suchen.“143 Vaterländische Empfindungen, die über traditionelle Treuebekundungen gegenüber dem Landesherren hinausgingen, zeigten sich in den Dankund Freudenfesten und den Huldigungs- und Lobgedichten anlässlich preußischer Siege im Siebenjährigen Krieg.144 Das Besondere der poetischen Elaborate 139 Vgl. dazu das Gutachten des Oberkriegskollegiums (16. März 1790), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 72f. 140 Vgl. dazu das Gutachten der Mobilmachungskommission an das Oberkriegskollegium (18. Januar 1790), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 73f. 141 Vgl. dazu Lindner, Patriotismus, S. 12f. 142 Birtsch, Günther: Erscheinungsformen des Patriotismus. In: Aufklärung. Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. H. 2 (1989), S. 4–36. 143 Bruer, Geschichte der Juden, S. 137. 144 Lindner, Patriotismus, S. 27.
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lag u. a. darin begründet, dass sie in deutscher Sprache verfasst, durch Einzeldrucke verbreitet und Mitgliedern des Königlichen Hauses überreicht wurden. Auch in öffentlichen Zeitungen, z. B. der Spenerschen Zeitung vom 9. Oktober 1756, wurden sie in deutscher Sprache abgedruckt.145 Dass diese Huldigungen auch allgemein humanistische Untertöne enthalten konnten, lässt sich an einer Friedenspredigt nachweisen, die Moses Mendelssohn anlässlich des Hubertusburger Friedens (15. Februar 1763) hielt.146 Der Schwerpunkt der Predigt lag allerdings neben der Huldigung von Friedrich II. auf dem gottgewollten und eingetretenen Frieden.147 Öffentliche Feiern und Gebete fanden nicht nur in der Haupt- und Residenzstadt statt, sondern nach den Untersuchungen von Erik Lindner auch auf dem platten Land bzw. in kleinstädtischen Gemeinden.148 Ein weiterer im 1. Reformversuch genannter Kritikpunkt betraf die körperliche Beschaffenheit und Gesundheit der männlichen jüdischen Jugend.149 Der körperliche und seelische Gesundheitszustand zu rekrutierender Soldaten war jedoch auch allgemein Thema einer Verordnung aus dem Jahre 1796. Die Instruction, die Untersuchung der Diensttauglichkeit der Recruten betreffend zählte einen umfangreichen Katalog an körperlichen und geistigen Gebrechen und Krankheiten auf.150 Einerseits wurde hier festlegt, welche Gesundheitsfehler den Rekruten für den Militärdienst untauglich machten. Andererseits wurde die Beurteilung professionalisiert, indem zukünftig ein Chirurg die Untersuchung zur Tauglichkeit vornehmen sollte. Man ging davon aus, dass „er mit Bestimmtheit die Gesundheit ausmitteln und bezeugen“151 konnte. Gleichzeitig beschrieb die Verordnung auch eine Reihe von Krankheiten und Gebrechen, die tatsächlich in der Praxis existierten und auf die im Zusammenhang mit der Aushebung reagiert wurde. 145 Geiger, Geschichte der Juden, Erg. II, S. 34ff. 146 Der Friedensvertrag von Hubertusburg (Sachsen) wurde am 15. Februar 1763 von Preußen, Österreich und Sachsen unterzeichnet. Schweden (22. Mai 1762) und Russland (5. Mai 1762) hatten ein Jahr zuvor separate Friedensverträge mit Preußen geschlossen. Der Petersburger Vertrag sollte darüber hinaus als Friedens- und Freundschaftspakt verstanden werden. Zar Peter III. erklärte sich zum Rückzug seiner Truppen aus preußischem Gebiet bereit und erwartete, im Gegenzug die preußische Unterstützung für seine Ansprüche auf das Gebiet Schleswig. Militärische Aktionen von preußischer Seite gegen Sachsen sollten von russischer Seite toleriert werden. Duffy, Frederick, S. 351. 147 Lindner, Patriotismus, S. 29. 148 Ebd., S. 30f. 149 Gutachten der Kantonkommission gez. von Möllendorf/Voss (3. März 1790), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 66. Im Gutachten wurde auch die „körperliche Beschaffenheit“ als Argument gegen die Konskription genannt. 150 Instruction, die Untersuchung der Diensttauglichkeit der Recruten betreffend (6. Mai 1796). In: N.C.C., Bd. 10, Sp. 341–354. 151 Ebd. Art. 24.
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Unzulängliche körperliche Beschaffenheit und mangelnde Gesundheit schienen demnach ein weit verbreitetes Problem der preußischen Rekruten gewesen zu sein und kein spezielles Problem der jüdischen Jugend, die ohnehin nicht enrolliert und deren Gesundheitszustand dementsprechend auch nicht erfasst wurde. Zur Zeit der Legislative zum Edikt von 1812 wurden Bedenken dieser Art nicht geäußert. Staatsminister Schroetter stellte jedoch die Bereitschaft und den Mut der zukünftigen jüdischen Rekruten in Frage und forderte erstens unter § 20 eine Haftung der kirchlichen Gemeinde im Falle einer Desertion152 und zweitens unter den §§ 18 und 19 eine Konskription im strengsten Sinne.153 An der körperlichen Eignung der jüdischen Jugend zweifelte Minister Schroetter nicht. Er betrachtete die männliche jüdische Population eher wohlwollend als verborgene Verstärkung für die militärischen Mannschaften Preußens. In der Begründung, die Schroetter in seinen, allen Gutachtern zur Einsicht zugestellten Erläuterungen gab, verzichtete er im Gegensatz zu seinem Schreiben an Friedrich Wilhelm III. auf den Hinweis einer aktuellen Notwendigkeit der Konskriptionspflicht. In seinen Erläuterungen konzentrierte sich Schroetter ganz auf die disziplinarische Ausführung des § 18: „Die Bestimmungen des § 18 wegen der Conscription oder des Enrollements sind notwendig, um möglichst jedem Versuch vorzubeugen, sich dieser Pflicht zu entziehen.“154 Diese Rückschlüsse waren insofern erstaunlich, weil in der preußischen Armee keine Erfahrungen mit dem Enrollement jüdischer Rekruten vorlagen. Minister Schroetter hatte in seinem Schreiben an den preußischen König vielmehr auf die Erfahrungen ausländischer Armeen mit jüdischen Rekruten ver-
152 § 20 des Entwurfs Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 231: „Desertirt ein im Militär angestellter Jude, so müssen die Mitglieder der kirchlichen Gemeinde, zu welcher er gehörte, zwei ihrer Glaubensgenossen aus ihrer Mitte statt seiner gestellen.“ Vgl. zur hohen Desertionsrate christlicher Soldaten auch Lehmann, Max: Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelm’s I. In: HZ 67 (1891), S. 262f. Die Desertionsrate war sowohl im Siebenjährigen wie im Bayerischen Erbfolgekrieg hoch. In den drei Schlesischen Kriegen überlebte nur einer von fünfzehn Soldaten den Krieg von Anfang bis Ende. Insgesamt starben ca. 180.000 Soldaten. Duffy, Frederick, S. 329. Siehe dazu auch die Anmerkungen über die Pressung von sächsischen Kriegsgefangenen in das „Preußische Kostüm“, also in das preußische Heer. Ebd. 153 §§ 18 u. 19 des Entwurfs Schroetter, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 230. § 18: „Der Militärconscription oder der Cantonpflichtigkeit und den besonderen Vorschriften hierunter sind die Juden ebenfalls und zwar im strengsten Sinn unterworfen.“ – § 19: „Sie werden daher nach Verlauf von 6 Monaten und sobald ihre Familiennamen bestimmt sind, den Vorschriften des Canton-Reglements gemäß, in die Canton-Bücher und Stamm-Rollen eingetragen und bei Aushebung der Rekruten ihrer Qualifikation gemäß eingezogen.“ 154 Erläuterungen Schroetters zum Entwurf (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 245.
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wiesen und ihre Eignung und ihren Eifer hervorgehoben.155 Die disziplinarischen Maßnahmen entsprachen daher eher einer Befürchtung, die einerseits auf einer relativ hohen Desertionsrate in der preußischen Armee allgemein basierte156 und andererseits Bedenken und Unwillen der jüdischen bürgerlichen Elternschaft gegenüber der Aushebung ihrer Söhne voraussetzte.157
Abb. 10: Gerhard (v.) Scharnhorst (1755– 1813), preußischer Generalleutnant, Militärreformer und Gutachter des Entwurfs von Friedrich L. v. Schroetter.
Scharnhorst (1810) hatte allgemein auf Ressentiments gegenüber dem Militär verwiesen, die er auf einen Teil der städtischen Bevölkerung bezog.158 Im Besonderen hatte sich nach seiner Ansicht die bürgerlich gebildete Klasse der Städter vom Soldatenstande abgesondert.159 Er erklärte dies mit den zwiespältigen Gefühlen, die dem Heer entgegengebracht wurden: Einerseits beneidete man die Mitglieder des Heeres um den Glanz und ihre Vorrechte, andererseits verachtete man die Ungebildetheit eines großen Teils der Offiziere.160 Dies führte seiner Meinung nach dazu, dass man am Glück oder Unglück der Armee keinen Anteil nahm und sie lächerlich und schändlich machte.161 Scharnhorst versuchte diese Opposition 155 Immediatvorlage Schroetters an Friedrich Wilhelm III. (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 208. 156 Vgl. dazu Lehmann, Werbung, S. 262ff. 157 Der Rückschluss ist allgemeiner Art. Die Verfasserin geht davon aus, dass jüdische Eltern ihre Söhne im selben Maße vor dem Kriegsdienst bewahren wollten wie christliche Eltern. Vgl. dazu Verordnung über das Ausweichen des Kriegsdienstes (22. Februar 1813). 158 Vgl. dazu Scharnhorst, Geschichte, S. 460. 159 Ebd. 160 Ebd. 161 Ebd.
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aufzulösen. Alle Bewohner des Staates sollten in der Armee vereinigt werden. Durch die Aufhebung der Exemtionen und durch die Öffnung der Offiziersstellen für Bürgerliche sollte die sogenannte Verbürgerlichung des Heeres erreicht werden. Die Hauptintention bestand darin, „der Nation den Soldatenstand angenehm [zu] machen und das Verhaßte von ihm zu entfernen“.162 In der Verordnung über die Militairstrafen (3. August 1808) wurde bereits damit gerechnet, dass die allgemeine Militärkonskription in der Folge junge Leute von guter Erziehung und feinem Ehrgefühl als gemeine Soldaten unter die Fahnen stellen wird: So ist mit Zuversicht zu erwarten, dass diese nicht nur selbst ihren Vorgesetzten willig folgen und durch gute Applikation den Militairdienst leicht erlernen, sondern eben hierdurch auch ihren Kameraden aus den weniger gebildeten Ständen ein Beispiel vernünftigen Gehorsams und wirksamer Anwendung ihrer Kräfte und Fähigkeiten geben und zu ihrer Ausbildung mitwirken werden.163
Für die zukünftigen Rekruten wurden die Strafkataloge entschärft und mit einem Minimalkonsens an Ehrvorstellungen und menschlich-humanen Umgangsweisen verbunden. Nach Bernd v. Münchow-Pohl ebbte die erste Welle patriotischer Begeisterung, in „der manche optimistischen Beobachter den ersten Ausdruck einer staatsbürgerlich-vaterländischen Gesinnung sehen wollten“,164 nach den verlorenen Schlachten von Jena und Auerstedt schnell ab. Die herkömmlichen Lasten wie Vorspanndienste, Fourageservices und Einquartierungen sorgten dafür, dass die alte Kluft zwischen Militär und Zivil wieder aufriss.165 Verstärkt wurden die wiederkehrenden Ressentiments durch das nach wie vor hochtrabende Verhalten der Militärs.166 Zunehmend gespannter wurde das Verhältnis nicht nur in den Städten, wo die Abneigung gegen den verachteten Soldatenstand 162 Ebd. Auch die „Kriegsartikel für die Unteroffiziere und gemeinen Soldaten“ (3. August 1808), gedr. in: N.C.C., Bd. 12, Nr. 42, Sp. 371ff. hatten das Publikum auf eine allgemeine Dienstpflicht eingestimmt. Dort hieß es in Art. 1: „Da künftig jeder Unterthan des States ohne Unterschied der Geburt, unter dennoch näher zu bestimmenden Zeit – und sonstigen Verhältnissen, zum Kriegsdienst verpflichtet werden soll, und hiernach die Armee fast gänzlich aus Einländern bestehen wird.“ 163 N.C.C., Bd. 12, Nr. 43, Sp. 389. 164 Münchow-Pohl, Bernd: Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Bewußtseinslage in Preußen 1809–1812. Göttingen 1987, S. 100. 165 Ebd. 166 Schreiben von Staatsrat Sack an Minister Stein vom 11. September 1810. Zit. bei MünchowPohl, Reform, S. 102. Siehe dazu auch: Neue Feuerbrände 15 (1808), S. 78–80. Dort wird konstatiert, dass das Militär seine Vorrechte verliert und nicht mehr der erste Stand ist, „in welchem auch der charakterlose Dummkopf Glanz um sich werfen und eine Rolle spielen konnte; […] welcher den scheuen Bürger zwang, sich es zur Ehre [anzu-]rechnen, wenn er in der Gesellschaft von Militärpersonen mit Übermuth behandelt wurde.“
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ohnehin tief saß, sondern auch auf dem platten Land, wo militärische Kommandos als einzig verfügbare Ordnungsmacht zur Zwangseintreibung von Steuern dienstpflichtiger Bauern eingesetzt wurden. Nach Rudolf Ibbeken war das Verhältnis zwischen Bürger und Soldat sowie zwischen Stadt und Militär gespannt. Den Bürgern war das Quartierswesen lästig, den Magistraten die Einmischung der Garnisonschefs in die Kommunal- und Polizeiverwaltung.167 Die Gutachterschaft zum Entwurf Schroetters erklärte sich in der Mehrheit mit der Konskriptionspflicht einverstanden, äußerte aber teilweise Bedenken gegenüber einer ungleichen Verschärfung der Formalia. Staatsrat Koehler stimmte den §§ 18–20 im Entwurf zu und hielt sie für „sehr gut und wesentlich“.168 Die Desertion sollte nach dem Vorschlag von Staatsrat Koehler außer der sonstigen Strafe auch den Verlust des Staatsbürgerrechts nach sich ziehen.169 Die Allgemeine Polizeisektion äußerte sich nicht zu den §§ 18–20. Im Gutachten der Gewerbepolizei behandelte man die Frage nach der Konskriptionspflicht unter der Prämisse der Aufhebung der gesetzlichen „Absonderung und Isolierung“170 und stellte dazu fest: „Das Gesetz, die Abgaben, die Verpflichtungen zum persönlichen Kriegs- und Kommunaldienste treffen Jedermann ohne Unterschied der Religion, folglich auch die Juden.“171 Wilhelm v. Humboldt bezog sich ausschließlich auf die Strafandrohung im Falle der Desertion und gab zu bedenken, dass man in dem Falle, in dem man die Desertion eines Juden härter bestrafe als die eines Christen, den Unterschied, den man eigentlich aufheben wolle, nämlich kirchliche Angelegenheiten mit politischen Anordnungen zu mischen, wieder bestätige.172 Die Gutachter Nicolovius und Süvern äußerten sich weder zur konkreten Paragrafierung noch speziell zur Konskriptionspflicht. Sie stimmten lediglich allgemein für die Prämisse „Gleiche Rechte, Gleiche Pflichten.“173 Staatsrat Schmedding votierte für den Reihendienst: Was die Militärpflicht angeht, so zeigt die Erfahrung unserer Tage und die ältere Geschichte bewährt, dass der Jude zum Kriegsdienst nicht ungeschickt und durch seine Religion nicht verhindert ist, in fremden Heeren Dienst zu nehmen. Dem Heere Alexanders des Großen folgten viele Juden (Josephus Ant. XI 8).174 167 Ibbeken, Preußen, S. 280. 168 Gutachten Koehler (13. Mai 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 256. 169 Ebd. 170 Gutachten der Gewerbepolizei (3. Juni 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261. 171 Ebd. 172 Gutachten Humboldt (17. Juli 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 278. 173 Gutachten Nicolovius (6. September 1809) und Gutachten Süvern (10. September 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 278. Hier nach dem gemeinsamen Resümee zusammengefasst. 174 Gutachten Schmedding (22. September 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 286.
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Und an späterer Stelle heißt es: Soll der Jude bei uns eingebürgert werden, so fordert das unnachlässig: a) Teilnahme an der Landesverteidigung, b) Heranziehung zu den gemeinen Steuern und Abgaben, auf denen die Unterhaltung des Ganzen ruht, und zwar nach eben dem Maßstab wie bey andern Bürgern. Verlangt man dieses, so kann man ihm a) den allgemeinen Anspruch auf Beförderung im Staate und in der Armee, b) die gemeine Freiheit zu allen erlaubten Hantierungen und Gewerben ohne die größte Ungerechtigkeit nicht versagen, denn diese Rechte sind correlata jener Pflichten.175
Minister Lottum (Militär-Ökonomie-Departement)176 bezog sich ganz auf den finanziellen Aspekt und erwähnte die zukünftig wegfallenden Revenuen an Judenrekrutengeldern und Judentrauscheingeldern zum Nutzen der Potsdamschen Militärwaisenhauskasse.177 Die eigentlichen Sachverständigen, die Mitglieder des Allgemeinen Kriegsdepartements, votierten weniger eindeutig für die Aufhebung der Exemtion, als aufgrund ihres Eintretens für die allgemeine Wehrpflicht für alle Staatsbürger zu erwarten war. Im Gutachten äußerten die Unterzeichner zwar die Meinung, dass die Konskription- oder Kantonverfassung „ganz gleichmäßig für alle Staatsbürger jeder Klasse berechnet sein muss“.178 Die Erfüllung dieser allgemein am „meisten lästig erscheinenden Konskriptions- und Kantonpflicht“179 relativierten sie jedoch inhaltlich mit dem § 12 des Entwurfs Schroetters, nach dem die preußischen Juden in der Regel in den Städten ihren Wohnsitz nehmen sollten.180 Die Gutachter befürchteten, dass die Mehrzahl der konskribierten Christen des platten Landes „[…] nur ungern mit denselben [den städtischen Juden, Anm. d. Verf.] in Reih und Glied treten, und als dann gegenseitiges Mißtrauen die Kräfte eines Körpers lähmen, der nur durch innige Verbrüderung und vom gleichen Triebe beseelt, gehörig wirken kann.“181 Durch die Beteiligung der Juden erwarteten die Gutachter keine Stärkung der Truppen. Sie erwarteten das Gegenteil. Sie befürchteten eine Schwächung der Kräfte durch die Auswirkungen bestehender Vorurteile. Diese Einschätzung 175 Ebd., S. 288. 176 Siehe zu Karl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und Lottum (1767–1841) Anlage 2: Biografien. 177 Vgl. dazu die Gutachten Lottum (14. Oktober 1809 und 17. Januar 1810), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 291–293. Siehe dazu auch Kapitel 8.4 dieser Arbeit. 178 Gutachten des Allgem. Kriegsdepartements (27. November 1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 295. 179 Ebd. 180 § 12 des Entwurfs Schroetter (1808): „In Ansehung ihres Wohnsitzes sind sie in der Regel auf die Städte beschränkt.“ 181 Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 295.
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wurde mit dem konstruierten Gegensatz zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung erklärt und nicht über den, in den Gutachten häufiger benannten, Gegensatz der Religionen und des Kultus. Auf den möglicherweise bereits erwarteten Erklärungsbedarf dieser Meinung reagierten die Gutachter im folgenden Abschnitt mit dem Vergleich zum Verhältnis zwischen den städtischen und ländlichen konskribierten Christen. Hier seien die Verhältnisse deswegen anders, weil die eigene Wahl oder Notwendigkeit den Wohnsitz bestimmte und ein wechselseitiges Bedürfnis und ebensolcher Verkehr dafür Sorge getragen hatten, dass „sich solche schon in früheren Zeiten einander näher[ten]“.182 Auch in den Fragen der Wehrtauglichkeit, der Körperkraft und des Mutes enthielten sich die Gutachter einer Aussage. Die Frage der aktuellen Notwendigkeit einer Aufhebung der Exemtion schien damit bereits beantwortet. Weniger euphorisch als Staatsminister Schroetter, sahen die Gutachter keine Notwendigkeit einer Konskriptionspflicht für preußische Juden. So äußerten sie sich insgesamt eher zurückhaltend und allgemein „über einige Punkte“183 des Gesetzentwurfs. Auf formaljuristischer Ebene erörterten sie die konsequente Anwendung des Gleichheitsprinzips: Wenn der § 18, der die Juden der Konskription und der Kantonpflicht unterwirft, den Zusatz enthält, und zwar im strengsten Sinne, so scheint uns dieser Zusatz mehr nachteilig als nützlich zu sein, weil er den Nebenbegriff herbeiführt, als ob ihnen dabei mehr aufgelegt werden sollte, wie den christlichen Staatsbürgern, was doch gewiß die Meinung nicht ist.184
Gerhard v. Scharnhorst hatte sich in seiner Argumentation bezüglich einer erfolgreichen Militärreform u. a. an der Organisation der französischen Grande Armée orientiert.185 Der Leiter der Militär-Reorganisations-Kommission zitierte in seinem Immediatbericht an den König (1809) das erste französische Konskriptionsgesetz, um an diesem Beispiel zu belegen, dass in dieser erfolgreichen Armee jeder zur Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet war, wenn das Vaterland in Gefahr stand: Tout Français est soldat et se doit à la défense de la patrie. Lorsque la patrie est déclarée en danger, tous les Français sont appelés à sa défense. Hors le cas du danger de la patrie, l’armée se forme par enrôlement volontaire et par la voie de la conscription militaire.186 182 Ebd. 183 Ebd., S. 293. 184 Ebd., S. 296. 185 Siehe dazu die Denkschrift Scharnhorsts: „Über die Unzulässigkeit der Stellvertreter“ (1810). Gedr. bei Lehmann, Max: Vier Denkschriften Scharnhorst’s aus dem Jahre 1810. In: HZ 58 (1887), S. 55–105, Abdruck der Denkschrift: S. 102–105. 186 Immediatbericht der Konskriptionskommission an Friedrich Wilhelm III. (1809). Gedr. in HZ 61 (1889), S. 97–112, S. 99.
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Im Äquivalent zu Preußen gedacht, nahm Scharnhorst (1810) die preußischen Juden von dieser Pflicht jedoch aus. In der Frage der Militärpflicht für jüdische Preußen führte er keine vergleichbaren französischen187 oder europäischen Regelungen an. In Österreich waren Juden unter Joseph II. ins Transportwesen des Militärs eingezogen worden und seit 1793, unter der Herrschaft von Kaiser Franz, leisteten Juden Militärdienste, wenn sie nicht wie die Christen ihre Befreiung erkaufen konnten.188 Militärdienste für Juden waren obligatorisch, denn „jeder Staatsbürger, ohne Unterschied der Religion, des Standes, der Geburt, war dem Staat wehrpflichtig.“189 Dieses Privileg, in der neuen österreichischen Armee dienen zu dürfen, wurde von den neuen Untertanen seiner Majestät jedoch mit den Worten von Jacob Katz „nicht immer sehr gewürdigt“.190 Nach einer Aussage aus dem Jahre 1809 war für Scharnhorst nicht die quantitative Stärkung der Armee das Ziel der Reform,191 sondern die moralische Aufwertung des Militärstandes, in dem der Bürger mit Überzeugung und Patriotismus seine Pflicht erfüllte und den Heeresdienst als persönlich zu erbringende Pflichtleistung für Volk und Vaterland ansah. Diese Position, die Scharnhorst ein Jahr vor der Fassung des Gutachtens im bereits zitierten Immediatbericht der Konskriptionskommission (1809) an den König vertreten hatte, ging davon aus, dass diese erste Pflicht gegen König und Vaterland beinhaltete, dass „weder die größte Summe Geldes noch Ansehen jemanden (wie dies jetzt der Fall ist) berechtigen kann, ein müßiger Zuschauer zu sein“.192 Ein Jahr später äußerte sich Scharnhorst auch über die Unzulässigkeit der Stellvertreter (1810) und fand deklassierende Worte für die Bevölkerungsschichten innerhalb der Nation, die, den Kriegszustand vorausgesetzt, eine Milderung des Dienstes verlangten:
187 Vgl. zur Anzahl und zum Einsatz französischer Juden in Heer Napoleons u. a. Lindner, Patriotismus, S. 54. 188 Vgl. dazu Katz, Ghetto, S. 180ff. Die Zeitung „Sulamith“ veröffentlichte 1808 Zahlen, nach denen in den französischen Revolutionskriegen über 15.000 Israeliten, teils als Soldaten, teils als Fuhrknechte unter österreichischen Fahnen gedient hatten. Sulamith 1 (1808), S. 41. 189 Zit. n. Katz , Ghetto, S. 183. 190 Zit. n. ebd. Siehe dazu auch Kestenberg-Gladstein, Ruth: Neuere Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern. Tübingen 1969, S. 70ff. 191 Nach Scharnhorst war „die Zahl der dadurch zutretenen Personen nicht so bedeutend, dass davon eine besondere Armee gebildet werden konnte“. Zit. n. HZ 61 (1889), S. 99. Scharnhorst schätzte die Zahl auf ca. 250.000 Personen. Ebd., S. 102. 192 Immediatbericht der Konskriptionskommission (1. Juli 1809). So gedr. bei Lehmann, Max: Preußen und die allgemeine Wehrpflicht im Jahre 1809. In: HZ 61 (1889), S. 98–104, S. 99.
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Der Stand, die Klasse der Nation, die sie unter den Umständen verlangte, wäre die verachtungswürdigste, die es je gegeben, wäre des Vaterlandes nicht wert und keine Zwangsmittel wären hart genug, sie zum warnenden Beispiel der Übrigen bestrafend heranzuziehen.193
Die jüdischen Gemeindeältesten verweigerten nicht die Bereitschaft zum Militärdienst.194 In diesem Sinne waren sie keine Adressaten der patriotischen Ansprache Scharnhorsts. Interessant ist in diesem Fall der Beurteilungsrahmen der Gutachter selbst. Im speziellen Fall der jüdischen Einwohner Preußens wurde der Titel „Staatsbürger“ nicht mit der Pflicht zur Leistung des persönlichen Militärdienstes verbunden. Insofern hatte die Art der Leistung auch keine Folgen für die rechtliche Zuerkennung der Staatsbürgerschaft. Diese Ansicht basierte nicht auf der eine Generation zuvor geäußerten Meinung, dass die Voraussetzung zur bürgerlich-rechtlichen Anerkennung der Juden der aktive Kriegsdienst sei: Der Hauptvorwurf gegen unsere Aufnahme zu Bürgern ist folgender: Die Unfähigkeit der Juden zum Kriegsdienst, sagt man, öffnet eine solche Kluft zwischen Ihnen und dem Staate, daß ihre Naturalisation, wo nicht unmöglich, doch lange noch ein schwer aufzulösendes Problem bleiben wird.195
Der mit schriftlichen Stellungnahmen an den Beratungen beteiligte David Friedländer hatte sich nicht speziell zur Konskriptionspflicht des 1. Raumerschen Entwurfs (§ 5c) und den Bemerkungen des Justizassessors Pfeiffer geäußert. Er bemerkte eher allgemein, dass die Bekenner der jüdischen oder mosaischen Religion zu allen Diensten, Pflichten und Vorschriften der Landesobrigkeit, ohne alle Ausnahme oder Einschränkung, diese mögen in ihren eigenen Religionsbegriffen oder in früheren Privilegien oder Dispensationen bestehen,
193 Scharnhorst, Unzulässigkeit der Stellvertreter, S. 102. 194 Nach den Ergebnissen von Erik Lindner kämpften Juden in den Befreiungskriegen freiwillig und getragen vom Patriotismus gegen das napoleonische Frankreich: „Jüdische Männer in Militär und Wohltätigkeit, als Autoren patriotischer Aufrufe zur Verteidigung und Befreiung ihres Vaterlandes, Rabbiner als Segnende der ausziehenden jüdischen Freiwilligen, sowie Frauen in der Verwundetenversorgung zeigten wie intensiv die jüdische Bevölkerung an der Sache Preußens Anteil nahm.“ Lindner, Patriotismus, S. 55. Ähnlich äußerte sich Eugen Wolbe: „Hunderte jüdische Jünglinge eilten gleich ihren christlichen Altersgenossen zu den Sammelplätzen. Der König sah ihre Beteiligung nicht gern. Er stellte es in das Belieben eines jeden Regimentskommandeurs jüdische Freiwillige anzunehmen.“ Wolbe, Geschichte der Juden, S. 237. 195 Friedländer, Akten-Stücke, S. 94. Vgl. dazu auch C. W. Dohm, der den Militärdienst aufgrund historischer Erfahrungen und naturrechtlicher Erwägungen für möglich, aus politischen Gründen für dringend notwendig und bis zur Erlangung erneuter militärischer Fähigkeiten durch Abgaben für ersetzbar hielt. Dohm, Bürgerliche Verbesserung, Bd. 1, S. 147f.
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sie mögen Gesetze oder Formen der Gesetze betreffen, gleich jedem anderen Untertanen verbunden und verpflichtet [sind].196
In den Akten-Stücken (1793) über den ersten Reformversuch hatte Friedländer darauf hingewiesen, dass die jüdische Kolonie keineswegs die einzige Bevölkerungsgruppe war, die vom Enrollement befreit war. Wo die jüdischen Hausväter in den Städten Berlin, Brandenburg, Potsdam etc. lebten, waren sie wie die Christen von der Kantonpflicht befreit. Auch die französische Kolonie musste das Vaterland nicht verteidigen und Friedländer hob an dieser Stelle die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe hervor: „Wenn diese auch ohne Kriegsdienst immer noch brauchbare und nützliche Untertanen bleiben und alle Vorrechte ohne Ausnahme genießen: Warum dann nicht auch jene [die jüdische Kolonie, Anm. d. Verf.].197 Auch in der Endredaktion des Edikttextes setzte sich die Ansicht des Allgemeinen Militärdepartements durch. Der aktive Militärdienst sollte keine zu erfüllende Pflichtleistung für die jüdischen Staatsbürger sein. Die Fragen, wie die Konskriptionspflicht zu erfüllen sei und welche Leistungen anstelle des persönlichen Dienstes erbracht werden sollten, blieben im Edikttext jedoch offen. Die Fassung des § 16 ging aus den Einwänden bzw. den Vorschlägen des preußischen Königs hervor. Die Hinzufügung, Art und Weise der Anwendung dieser Verpflichtung betreffend, sollte durch die Verordnung wegen der Militärkonskription näher bestimmt werden. Mit dieser Entscheidung verhielt sich der preußische Souverän entsprechend seiner Antwort im Schreiben an Schroetter zwecks Beauftragung zu einem Entwurf für die Reform.198 Nach Horst Fischer hatte der § 16 vorerst keinerlei praktische Auswirkungen für die betroffenen Juden.199 Das weitere Verfahren bezüglich der Kantonpflichtigkeit ergab sich aus der Notwendigkeit des Kriegsgeschehens und der Bereitschaft des überwiegenden Teils der preußischen Juden – teils als Freiwillige, teils als Ausgehobene – in den Militärdienst zu treten. Eine Verfügung des Innenministeriums vom 27. Februar 1813 hatte angeordnet, dass jüdische Freiwillige nicht zurückgewiesen werden sollten.200 Diese Anordnung reagierte auf Anfragen der Militärbehörden, die sich über die Frage der Einzie-
196 Vgl. dazu Bemerkungen Friedländers zum Entwurf Raumer; zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 334. 197 Friedländer, Akten-Stücke, S. 94. 198 Vgl. dazu Schreiben von Friedrich Wilhelm II. an Staatsminister Schroetter (23. November 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 211. 199 Fischer, Judentum, S. 34. 200 Vgl. dazu Schreiben von Friedrich Wilhelm II. an Staatsminister Schroetter (23. November 1808). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 211.
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hung jüdischer Mannschaften nicht im Klaren waren.201 Die Form der Dienste gestaltete sich entsprechend den bisher praktizierten Möglichkeiten variabel. Neben dem aktiven Kriegsdienst als Freiwilliger oder Konskribierter202 waren sowohl der Loskauf203 wie auch die Ausrüstung und Aufbietung von Stellvertretern204 möglich. Der preußische König billigte die Ausnahmeregelungen und stellte dazu fest, dass er „dergleichen Anerbietung dem persönlichen Dienste der Juden vorziehe“.205 Die Erfüllung der bürgerlichen Pflicht, die Staatsrat Schmedding primär als Kriegsdienst und Steuerpflicht definiert hatte, galt damit nicht als Bedingung für die Gewährung bürgerlicher Rechte. Oder anders formuliert: Aus der Nichtleistung des, vorerst ausgesetzten und nicht obligatorischen, Kriegsdienstes wurde keine Verweigerung der bürgerlichen Rechte abgeleitet. Gleichfalls blieb die aktive Teilnahme am Kriegsdienst Kriterium der Bewertung einer moralisch-patriotischen Gesinnung. Wurde ein Teil der Nation von dieser Pflicht ausgenommen, so fiel dieses Privileg negativ auf die gesamte Population zurück. Diese Konsequenz hatten die Gutachter der Gewerbepolizei als Widerspruch zur Hauptintention der Reform verstanden. Nach ihrem Verständnis war es das Ziel der Reform, die Absonderung und Isolierung aufzuheben und nicht neu zu gründen oder zu bestätigen.206 Im Unterschied zu den Gutachtern der Gewerbepolizei fiel die Position der Gutachter des Allgemeinen Militärdepartements207 mit der Schlussfolgerung der Kantonkommission zu Beginn der ersten Reformversuche (1790) zusammen: Die Militärpflicht sollte nicht am Anfang, sondern erst in der Folge der Reform eingeführt werden, wenn die rechtliche und gesellschaftliche Angleichung bereits vollzogen war. Das Militär sollte weder Ort der Erprobung sein, noch durch befürchtete Händel die bevorstehenden Kriegshandlungen und den erhofften Sieg gegen Napoléon gefährden. In der Sache orientierten sich beide Gremien, trotz der unterschiedlichen Argumentation, an dem Hauptgegenstand ihres Aufgabengebietes: Dem Aufbau einer effizienten preußischen Armee unter Ausschluss möglicher Risiken bezüglich der Kampfkraft.
201 Ebd. 202 Nach den Ergebnissen von Horst Fischer kämpften im ersten Kriegsjahr Freiwillige in den Jägerdetachements, ab 1814 auch Ausgehobene in der Linienarmee. Insgesamt wird die Zahl auf mehrere Hundert bzw. 600 jüdische Soldaten geschätzt. Vgl. dazu Fischer, Judentum, S. 34, und Lindner, Patriotismus, S. 55f. 203 Fischer, Judentum, S. 34f. 204 Vgl. dazu Wolbe, Geschichte der Juden, S. 237f. 205 Zit. n. Pflugk-Harttung, Julius v.: Das Befreiungsjahr 1813. Berlin 1913, S. 170f. 206 Vgl. dazu das Gutachten der Gewerbepolizei (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261ff. 207 Das Gutachten ist unterzeichnet von: Scharnhorst, Hake, Rauch, Duncker und Boyen.
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8.4 Die Grenze der Toleranz Wenn man die vorgebliche öffentliche Meinung näher untersucht, so löst sie sich am Ende dahin auf, dass jeder mit der Emancipation [der Juden] gern zufrieden sein würde, wenn er nur die Gewißheit hätte, dass sein Fach, sein Gewerbe, seine Beschäftigungsweise den Juden nach wie vor verschlossen bleiben würde.208
Nach § 10 des Entwurfs sollte für die Verwaltung öffentlicher Staatsämter die jetzige Generation der preußischen Juden nicht zugelassen werden. Ausnahmen waren nur bei „vorzüglichen Fähigkeiten“209 Einzelner vorgesehen. Als Grund für diese Maßnahme gab der Staatsminister die „noch schwankende Moralität der Mehrzahl der Juden“210 an. Die Zulassung zu Lehrämtern und Gemeindeämtern hatte der Staatsminister zuvor in § 9 befürwortet.211 Diese Argumentation, die nach der Schlussfolgerung in § 10 Moralität und Pflichtgefühl für das Staatsamt, jedoch nicht für das Lehramt voraussetzte, erregte den größten Widerspruch in der hierfür zuständigen Sektion „Cultus- und Öffentlicher Unterricht“. Sollte es bei dieser „nicht recht geschickten“212 Fassung bleiben, so befürchtete Staatsrat Humboldt, dass diese Auslegung durch den Zusammenhang beider Paragrafen das „Lehramt herabwürdigen“213 würde, nicht durch die unterrichtenden Personen, sondern durch die nicht vorausgesetzten Tugenden. Er befürwortete daher die Streichung beider Paragrafen.214 Die Skepsis gegenüber der fachlichen Eignung hoher preußischer Beamter war zu diesem Zeitpunkt Thema in verschiedenen Schriften von Minister Stein.215 Ging es einerseits um Fragen der Verantwortlichkeit im Rückblick auf die Niederlage bei Jena und Auerstedt, so wurde andererseits auch die Überlebensfrage des preußischen Staates an den Aufbau einer effizienten Verwaltung im Ersatz für eine Staatsverfassung gekoppelt.216 208 Steinacker, Emancipation, S. 49. 209 § 10 des Entwurfs Schroetter (1808). Hier zitiert n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 229f. 210 Schroetter, Erläuterungen zum Entwurf (1808). Hier zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 245. 211 Ebd. 212 Gutachten Humboldt (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 227. 213 Ebd. 214 Das Edikt v. 1812 bestätigte unter § 8 das Recht, „akademische Lehr-, Schul- und Gemeindeämter“ zu verwalten. § 9 ließ die Zulassung zu Staatsämtern und anderen „öffentlichen Bedienungen“ offen und verwies auf gesetzliche Bestimmungen in der „Folge der Zeit“. In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 15–17, Bl. 16. 215 Vgl. dazu Karl Freiherr vom Stein: Politisches Testament. Ausgewählte Denkschriften. ND Hagen 1901. 216 Siehe dazu die Denkschriften von Karl Freiherr vom Stein: Über die zweckmäßige Bildung der obersten Behörden und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der Preußischen
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So bezog sich die Kritik z. B auf die fachliche Eignung und das Privatleben der ehemaligen Kabinettsräte217 und das nicht ausreichende Beamtenethos in den Landeskollegien.218 Sowohl Minister Stein als auch Minister Hardenberg achteten zukünftig sehr genau auf die personelle Zusammensetzung ihrer Ministerien und Departements.219 Ging es Minister Stein in erster Linie um die Begründung für die Neuorganisation einer sachorientierten einheitlichen Staatsverwaltung, so benannte er als Argument für die Neuorganisation auch das gesunkene Ansehen der Beamten, die in der öffentlichen Meinung „zum Teil mit Verachtung gebrandmarkt“220 wurden. Die moralischen Grundsätze, nach denen Stein hier richtete, waren keine neuen Verhaltenskodizes. Dass der Staatsdienst auch eine zutiefst moralische Angelegenheit war und keineswegs eine bloße Quelle des Gelderwerbs darstellen sollte, hatte bereits die Lehrschrift Anweisungen für angehende Justizbeamte und Unterrichter221 aus den Jahren 1772–1774 festgehalten. Neben den praktischen Lehren wurde ein Tugendkatalog entworfen, der Ernst und Liebe zu den Gesetzen voraussetzte und die Unparteilichkeit, die Distanz zu den Untertanen, die Vermeidung von Geldgeschäften mit Klienten und die Züge-
Monarchie vom Juni 1807. In: Stein, Testament, S. 29ff. Siehe dazu auch den Kommentar von Theodor von Schön. In: Theodor von Schön: Persönliche Schriften. Bd. 1: Die autobiographischen Fragmente. Bearbeitet von Albrecht Hoppe und mit einer Einleitung von Bernd Sösemann versehen. Erschienen in: Kloosterhuis, Jürgen/Heckmann, Dieter (Hrsg.): Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Bd. 53, 1. Köln [u. a.] 2006, S. 633–638. Siehe auch Koselleck, Preußen, S. 163–216. 217 Siehe dazu Stein, Karl Freiherr vom: Die Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz v. April 1806. In: Stein, Testament, S. 7ff. 218 Siehe dazu Stein, Karl Freiherr vom: Über die zweckmäßige Bildung der obersten Behörden und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der Preußischen Monarchie vom Juni 1807. In: Stein, Testament, S. 29f. 219 Siehe zu den Beamten um Freiherrn vom Stein, Meier, Reform, S. 144ff. Siehe zu den Beamten um Hardenberg auch seinen Immediatbericht vom 10. Juli 1807 (Memel) an Friedrich Wilhelm III: „Interimistisch können E. K. M. für die Leitung der oben erwähnten Partien nicht besser sorgen als durch die Belassung in den Händen der Männer, welche sie bisher mit so vieler Sachkenntnis, Treue und anspruchslosem Eifer unter mir bearbeitet haben. Ich habe diese Männer sorgfältig ausgewählt und kann für sie einstehen.“ Zit. n. Meier, Reform, S. 168. Vgl. ebenso Winter, Reorganisation, Bd. 1, S. 216f. 220 Stein, Karl Freiherr vom: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz vom April 1806. In: Stein, Testament, S. 7ff. Siehe zum Thema „Öffentliche Meinung in Preußen 1809–1812“ auch Münchow-Pohl, Reform, S. 31–77. 221 Fredersdorf, Leopold Friedrich: Anweisungen für angehende Justizbeamte und Unterrichter. Lemgo 1772–1774. Hier zit. n. Hattenhauer, Hans: Die Geschichte des deutschen Beamtentums. Köln [u. a.] 1993, S. 171.
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lung des Temperaments empfahl. Dieses in sich geschlossene System von privaten und beruflichen Tugenden basierte auf dem moralischen Grundsatz, dass ein Staat, vor dessen Dienern kein Mensch Respekt habe, selbst der Respektlosigkeit verfiel.222 Den Beamten kam die Aufgabe zu, Ehrfurcht und Vertrauen zur Staatstätigkeit bei den Untertanen zu wecken. Und nach einer Kabinettsorder vom 26. Juli 1800 sollte die alljährliche Vorlage von Konduitenlisten223 als Instrument zur Pflege der Sitten wieder eingeführt und von den Behördenchefs alljährlich vorgelegt werden, da „der fast ganz erstorbene Geist der Treue, Uneigennützigkeit, des Fleißes und der Ordnung, wodurch der preußische Civildienst sich ehemals ausgezeichnet“,224 der Neubelebung bedürfe. Die enge Verknüpfung der persönlichen Integrität der Beamten mit der Verantwortlichkeit für die Wahrnehmung des Gesamtstaates war demnach das bekannte und akzeptierte Berufsbild des Beamten. Dass Staatsminister Schroetter § 10 auch aus Rücksicht auf eine negative öffentliche Meinung225 gegenüber jüdischen Amtsinhabern fixierte, erscheint zumindest nach der Stellungnahme der Gewerbepolizei nicht ganz ausgeschlossen. Die Räte Hoffmann und Minuth merkten an, dass wenigstens eine Generation vergehen wird, ehe die Achtung der Juden in der öffentlichen Meinung wiederhergestellt sein kann. Solange aber dies der Fall nicht ist, kann auch der Staat ihnen keine Stellung geben, worin öffentliche Achtung v o r z u g s w e i s e vorausgesetzt wird.226
Der Staat würde vielmehr einen Akt von Despotismus begehen, wenn die, welche er wählt, „nicht das öffentliche Vertrauen“227 besitzen würden. Staatsrat Schmedding setzte in seiner Stellungnahme die Gemeindeämter der Städte mit den Beamtenstellen gleich und äußerte in seinem Gutachten Unverständnis darüber, dass einerseits „Mißtrauen in die Moralität und den Patriotismus“228 den Ausschluss 222 Zit. n. Hattenhauer, Geschichte, S. 172. 223 Ebd. Seit 1726 in der Infanterie geführte und geheime Listen, die zehn Jahre später auch in der Civilverwaltung eingeführt wurden. Siehe dazu auch Straubel, Beamte, S. 317. 224 Zit. n. Hattenhauer, Geschichte, S. 172. Minister von der Eck kommentierte die Order für die Justizbeamten in dem Sinne, dass der König an einem Urteil über die Brauchbarkeit seiner Beamten interessiert sein müsse und nicht an ihren persönlichen Verhältnissen. 225 Vgl. das Gutachten der Gewerbepolizei (1809), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 260–269. Im Gutachten bezieht sich die Gewerbepolizei auf weit verbreitete Vorurteile „unter den niedrigsten Klassen der Christen“ und vermerkt folgend unter dem Aspekt, dass sich Achtung nicht gebieten läßt: „Der Jude wird öffentliche Achtung genießen, wenigstens unter den gebildeten Klassen so bald er sie verdient.“ Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 262. 226 Gutachten der Gewerbepolizei (1809). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 262. 227 Ebd. 228 Gutachten Schmeddig (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 288.
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vom Staatsamt besorgten, andererseits aber die Städte-Ordnung mit dem aktiven und passiven Wahlrecht für jüdische Stadtbürger verteidigt werden konnte.229 Im April und Mai 1809 hatten in allen preußischen Städten die Wahlen zu den Stadtparlamenten und Magistraten stattgefunden. Einen Monat zuvor hatte Friedrich Wilhelm III. erklärt, dass es „ganz unbedenklich [ist], dass jüdische Bürger Stadtverordnete und selbst Magistratsmitglieder werden können“.230 Dieser Erklärung folgte allerdings auch eine Einschränkung. Da von der Unvollkommenheit des jetzigen Bildungsstandes ausgegangen wurde, sollten jüdische Bürger weder in den städtischen Verwaltungsbehörden noch in den Stadtverordnetenversammlungen „die Mehrheit ausmachen“.231 In der Haupt- und Residenzstadt Berlin waren bei der Wahl zu den Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern im April und Mai 1809 auch die Bürger Salomon Veit, David Friedländer und Ferdinand Delmar232 zu Stadträten gewählt worden. Ferdinand Delmar, der als konvertierter und „franzosen-freundlich“233 gesinnter Bankier und Kaufmann mehreren judenfeindlichen Klischees234 entsprach, wurde trotz seiner Herkunft und Religiosität in die Berliner Stadtverwaltung gewählt. In seinem Fall scheint die Wahl zwar auch auf den persönlichen und geschäftlichen Erfolg und Einfluss zurückzugehen. Aber innerhalb der stimmfähigen Bürgerschaft Berlins existierte durchaus das Zutrauen, dass die jüdischen Stadträte ihre Ämter mit Gemeinsinn und ohne persönliche Vorteile zu erwirken ausüben würden. Nach dem Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) sollte die Zulassung von jüdischen Kandidaten zum Staatsdienst nach einer Reihe von Jahren möglich sein, da „doch eine besondere Erziehung und wissenschaftliche Vorbereitung vorangehen müsse“.235 In diesem Zusammenhang 229 Siehe zur Frage einer beabsichtigten oder eher ungewollten Zuerkennung der aktiven Stadtbürger-Würde für städtische Juden, Bruer, Geschichte der Juden, S. 266f. 230 Friedrich Wilhelm III. (14. März 1809). Zit. n. Bruer, Geschichte der Juden, S. 267. Vgl. auch Rönne/Simon, Verhältnisse der Juden, S. 383. 231 Bruer, ebd. 232 Siehe zu Ferdinand Delmar, geb. Levi, Anlage 2: Biografien. 233 Schnee, Hoffinanz, Bd. 1., S. 221–229, und Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 41. Sowohl Schnee als auch Jersch-Wenzel beschreiben seine Geschäftsverbindungen mit der französischen Administration, den Verkehr mit dem franzosen-freundlichen Kreis des Fürsten Hatzfeld und die Vorliebe für den Umgang mit großen und feinen Leuten. Aber im Gegensatz zu Schnee beschreibt Jersch-Wenzel die Persönlichkeit ohne moralische Wertung und ohne Verallgemeinerung. Schnee fördert das Klischee durch seine Konzentration auf den aufstiegsorientierten Geschäftsmann. Siehe auch Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 3 (1939), S. 26–53. 234 Vgl. dazu Hortzitz, Nicole: „Früh-Antisemitismus“ in Deutschland (1789–1871/72).Tübingen 1988, S. 2ff. 235 Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (27. November 1809). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 294.
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regten sie die Entwicklung eines Kanons von „erforderlichen Eigenschaften“236 an, an dem sich die Anwärter orientieren sollten. Darüber hinaus sollte durch eine Klassifizierung der Ämter dafür Sorge getragen werden, dass „nicht leicht einer der jetzt lebenden Juden dahin zu reichen vermochte“.237 Die Einarbeitung von künstlichen Schwellen und Hemmnissen zwecks Vermeidung einer Zulassung von jüdischen Kandidaten hielt jedoch die Mehrheit der Beamten für überflüssig und die Maßnahme wurde in den Gutachten zum Entwurf Schroetters auch nicht ernsthaft diskutiert. Da der Eintritt in die höhere Beamtenlaufbahn durch Prüfungen und Empfehlungen mit gesteuert und vorentschieden wurde, war die Einflussnahme der Ministerien auf die Auswahl der Kandidaten ohnehin gegeben und durch den Ruf ins Amt gesichert.238 Eine eindeutige Paragrafierung und eine Abgrenzung gegen die Bewerbung von jüdischen Kandidaten wurden nur von einem Gutachter als erforderlich angesehen. Justizminister Kircheisen bezog innerhalb der gesamten Gutachterschaft die eindeutigste und ablehnendste Position. Gut zwei Jahre nach dem Entwurf Schroetters hatte Minister Friedrich v. Raumer in der Fortsetzung der Reformarbeiten seinen ersten Entwurf (1811) vorgelegt. Minister Raumer hatte darin keine spezielle Regelung für die Zulassung zum Staatsdienst getroffen, sondern subsumierte die Aufhebung der beruflichen Einschränkungen unter § 2, der alle Ausnahmen und Einschränkungen, welche der rechtlichen Gleichstellung entgegenstanden, beseitigen sollte: Alle Ausnahmen und Einschränkungen, welche dieser Gleichstellung entgegenstehen, sie mögen in ihren eigenen Religionsbegriffen oder in früheren Privilegien und Dispensationen beruhen, sie mögen Gesetze oder Formen der Gesetze betreffen, hören auf.239
Justizminister Kircheisen mahnte jedoch eine ausdrückliche Fallentscheidung an. Einerseits sollten die jüdischen Hausväter bereits jetzt wissen, ob sie ihre Söhne in der Hoffnung auf ein Staatsamt erziehen könnten und andererseits sollten auch die Departementchefs bereits jetzt darüber informiert werden, wie sie im Falle der jüdischen Kandidaten zu entscheiden hätten.240 Der Justizminister befürchtete, 236 Ebd. 237 Ebd. 238 Hattenhauer, Geschichte, S. 156ff. 239 1. Entwurf Raumer (Februar 1811). In: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. XXX, Akten des Ministeriums des Innern. Juden.Sachen.Generalia. Nr. 5, Bd. 1, Bl. 272–275. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 336–339. 240 Gutachten Kircheisen zum Entwurf Raumer (4. Februar 1811). In: GStA PK, I. HA Rep. 74, Akten der Staatskanzlei, J. IX, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 26–29. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 339–342. Hier zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 342.
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dass die Ministerien zukünftig mit Kandidaten „überhäuft“241 werden könnten. Für sein eigenes Ministerium lehnte der Minister die Zulassung von jüdischen Kandidaten ab.242 Er berief sich in seiner Begründung auf eine Stellungnahme des verstorbenen Regenten Friedrich Wilhelm II.243 und des jetzigen Souveräns vom November 1797.244 Inhaltlich ging es in beiden Ordern um eine Entscheidung im Fall der Bewerbung des jungen examinierten Schutzjuden Lazarus Bendavid für den Justizdienst. Beide Souveräne lehnten die Aufnahme im Speziellen und die Zulassung von jüdischen Anwärtern in den Justizdienst generell ab. Friedrich Wilhelm II. schloss zwar als Alternative die Zulassung in andere Ministerien nicht aus, blieb aber in der Frage des Justizdienstes wie Friedrich Wilhelm III. kompromisslos. Die Begründungen waren in beiden Fällen eher undurchsichtig. Friedrich Wilhelm II. war aus nicht näher spezifizierten „guten Gründen“245 gegen die Zulassung. Friedrich Wilhelm III. begründete seine Entscheidung mit der Feststellung, dass die Verfassung eine Anstellung von jüdischen Anwärtern in Justizstellen nicht vorsehen würde.246 Justizminister Kircheisen konnte mit dieser Argumentation seine Einstellung zwar nicht unterlegen. Aber die Autorität der Regenten und die Kontinuität der Entscheidungen sprachen zugunsten seiner Position. Die Anerkennung als Staatsbürger beinhaltete weder für Justizminister Kircheisen noch für Staatsminister Schroetter eine Zulassung zum Staatsdienst. Nach Kircheisen stellte das Amt selbst eine besondere Würde dar, auf die man auch als Staatsbürger weder ein Recht noch einen Anspruch hatte. Damit bewegte sich der Justizminister durchaus im vorgegebenen Rahmen der zeitgemäßen theoretischen Diskussion zum Rechtsverhältnis zwischen Staat und Amt. Dass der Einzelne vom Staat gerufen werden müsse und keinen Anspruch auf eine Einstellung habe, hatte Johann Michael Seuffert, Professor der Rechte und Regierungsrat in Lüneburg, in seinem nach Hattenhauer „bedeutungsvollen Werk für
241 Ebd. 242 Gutachten Kircheisen (1811). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 342: „Wenigstens muß ich für jetzt auf das feierlichste wider ihre Zulassung zu den Justizbedienten protestieren. So läßt sich die seit Jahrhunderten begründete, nicht im Vorurteil allein gegründete Opinion des christlichen Untertan, den jüdischen Richter vorurteilsfrei anzuerkennen, nicht weg verordnen.“ 243 KO von Friedrich Wilhelm II. an Großkanzler Goldbeck (Potsdam, 1. Dezember 1796). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 344f. 244 KO von Friedrich Wilhelm III. an Großkanzler von Goldbeck (Berlin, 28. November 1797). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 345. 245 Ebd. 246 Ebd. Friedrich Wilhelm III. bezog sich möglicherweise auf das Gen.-Jud.-Priv. v. 17. April 1750, in dem zwar kein Verbot, allerdings auch keine ausdrückliche Erlaubnis ausgesprochen wurde.
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die Praxis“247 begründet. Nach Seuffert stellte der Staatsdienst der Beamten eine höhere Form des Dienstes dar, zu dem zwar jeder Bürger verpflichtet war und der notfalls auch in dem Maße, das eigene Wohl dem Wohle des Ganzen aufzuopfern, gipfeln konnte.248 Aber im Unterschied zum Bürger gehörte die patriotische Pflichterfüllung zum eigentlichen Beweggrund des Dienstes: „Er diene nicht aus Gold- sondern aus Vaterlandsliebe. Sein Endzweck ist nicht Reichtum, sondern das Beste des Staates. Die Triebfeder seiner Handlung ist nicht Durst nach Schätzen, sondern reines Pflichtgefühl.“249 Dieser Katalog an Tugenden ließe sich nach den Schriften von Johannes Althusius (1557–1638), der nach Hans Hattenhauer die deutsche Vernunftrechtstradition begründete, noch weiter ausführen: Sittlich gegründete Weisheit, Erfahrung und Übung unter unterschiedlichen, günstigen und ungünstigen Bedingungen, Präzision, Schnelligkeit und ein guter Ruf, Treue, Tapferkeit, Freimut, Beständigkeit, Festigkeit in einer guten Sache, keine Neigung zum Verbergen der Wahrheit, keine Neigung zur Verfälschung eines guten Beschlusses nach den Wünschen anderer, Bescheidenheit bei der Erteilung von Rat, Mäßigung, Menschlichkeit, lautloser Fleiß, Verschwiegenheit, Umgänglichkeit, keine Neigung zur Widergesetzlichkeit, Streitsucht, Hartnäckigkeit und Sturheit, Abwesenheit aller persönlichen Interessen, die dem Amt entgegenstehen, keine Vertrauensseligkeiten, Abwesenheit von Geldgier, Zorn und Übereilung.250 Nach Kircheisen müssten die jüdischen Einwohner „erst durch treue Erfüllung ihrer Bürgerpflichten“251 den Beweis erbringen, dass sie zur Übernahme eines Staatsamtes befähigt waren. In diesem Zusammenhang sprach Kircheisen im doppelten Sinne von der Würde der Person als Grundvoraussetzung zur Zulassung zum Amt und von der Würde des Amtes selbst, unabhängig von der Person. Dass die Würde der Staatsbürgerschaft selbst Bedingung zur Berufung sein musste, setzte Professor Seuffert zwar im Regelfall voraus. Gleichfalls konnte jedoch das Staatsamt auch zeitgleich mit dem Bürgerrecht erworben werden.252 Eine vormalige Bewährung als Bürger zur Qualifikation zum Beamten schied nach diesem Muster aus. Im Unterschied zu den Gutachtern des Kriegsministeriums ging es Kircheisen in seiner Kritik nicht um fehlendes Fachwissen oder mangelnde Kenntnisse. Der Maßstab für die Zulas-
247 Seuffert, Johann Michael: Von dem Verhältnisse des Staats und der Diener des Staats (1792), zit. n. Hattenhauer, Geschichte, S. 191. 248 Ebd. 249 Ebd. 250 Althusius, Johannes: Politica methodice digesta. Herborn 1603. Kap. XXVII. 251 Gutachten Kircheisen (1811), zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 342. 252 Vgl. dazu Seuffert, zit. nach Hattenhauer, Geschichte, S. 191.
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sung zum Staatsdienst blieb auf die Erfüllung der Bürgerpflicht und die Verbesserung der „Nationalfehler“253 gerichtet und damit kaum messbar und abstrakt. Dass Minister Schroetter wie die Gutachter des Kriegsdepartements eine Homogenisierung des höheren Beamtentums nach Bildung und patriotischem Bewusstsein anstrebte und aus diesem Grund die jüdischen Anwärter als noch nicht geeignet ansah, kann auf der Grundlage der Quellen nicht eindeutig beantwortet werden. Die angegebenen Gründe für die befristete Aussetzung des § 10 bezogen sich primär auf den aktuell unzureichenden Bildungsstand der jüdischen Bürger.254 Kein Gutachter ging in seiner Begründung so weit, eine Gefährdung des Korpsgeistes innerhalb der Beamtenschaft als Grund für den § 10 anzugeben. Weder das christliche Glaubensbekenntnis noch die Anerkennung und Befolgung christlicher Wertvorstellungen und Traditionen wurden zur Bedingung erhoben. Die Zugehörigkeit zur christlichen Religion, speziell zum reformierten oder lutherischen Protestantismus, schien für die aufgeklärten preußischen Beamten keine Rolle zu spielen. Auch der damalige Finanzrat Heinrich von Beguelin, der in seinem Gutachten (1810) zum Entwurf Schroetters auch alttestamentliche Texte zitierte, vertrat am Ende seiner umfangreichen Stellungnahme die Ansicht, dass bei der Erfüllung aller Bedingungen der Staatsbürgerschaft jedes Amt, außer dem des geistlichen Volkslehrers, offenstehen solle und die Frage der Religionszugehörigkeit hierbei unerheblich sei: „Um seinen Glauben bekümmere der Staat sich nicht, da er nichts davon in das bürgerliche Leben überträgt.“255 Diese Schlussfolgerung stand im Gegensatz zu der zuvor beschriebenen Auffassung von der Unveränderlichkeit negativer Nationaleigentümlichkeiten und ihrer Auswirkung auf das öffentliche und private Leben.256 Aber um die praktische Umsetzung der Reform nicht völlig zu ignorieren, formulierte der Finanzrat die zusätzliche und im Vergleich zu seinen sonstigen Äußerungen moderat klingende Bedingung, dass die Zielgruppe der Reform die Befolgung der Ritual-
253 Gutachten Kircheisen (1811), zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 341. 254 Auch die preußischen Reformer nannten Moses Mendelssohn als Beispiel jüdischer Gelehrsamkeit und zitierten ihn an verschiedenen Stellen ihrer Gutachten. Anerkennung und Wertschätzung differieren allerdings erheblich. Nicht als Gegensatz, aber als Beispiel für die differente Bildung wird bei Simone Lässig der westfälische Präsident des jüdischen Konsistoriums und einflussreiche Kaufmann Jacobsohn genannt. Er soll nach Lässig bis an sein Lebensende kein fehlerfreies Deutsch gesprochen haben. Vgl. dazu Lässig, Sprachwandel (HZ 270/2000), S. 629. 255 Gutachten Beguelin (24. Januar 1810), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 304. 256 Ebd. In seinem Gutachten für die Abgabensektion hatte der Finanzrat versucht, das in den vorangegangenen Stellungnahmen beschriebene Ursache-Wirkungs-Prinzip für die bisherige Ausgrenzung und Verachtung auf die Befolgung der tradierten jüdischen Gesetze zurückzuführen. Diese hätten den eigentümlichen Nationalcharakter geprägt, ständen im Widerspruch zur Vervollkommnung und strebten dem Zeitgeist entgegen.
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gesetze aufgeben solle, weil sie „dem jetzigen Zeitgeiste und jeder liberalen Verfassung geradezu entgegen[liefe].“257 Eine rechtliche Prüfung, inwieweit jüdische Ritualgesetze mit preußischen Landesgesetzen vereinbar waren und im Besonderen bei weltlichen Geschäften, Verträgen und Verfügungen jeder Art, z. B. bei Eheschließung und -auflösung sowie dem Erbrecht bindenden Charakter besitzen konnten, war ebenso wie die Gerichtsbarkeit von Rabbinern und Ältesten Thema und Resultat eines speziellen Entwurfs der Gesetzkommission.258 Allerdings wurde das Gesetz bis zur Publizierung des Edikts im März 1812 nicht fertiggestellt. Teile des Entwurfs gingen in den Text des Edikts mit ein und betrafen unter den §§ 20, 24–27 privatrechtliche Handlungen, unter § 30 die rechtlich nicht bindende Gerichtsbarkeit der Rabbiner und Ältesten und abschließend unter § 39 die noch ausgesetzten Bestimmungen über den kirchlichen Zustand und den Unterricht der jüdischen Preußen. Da die breitere Öffnung von hohen Beamtenstellen für den bürgerlichen Stand erst mit der Ära der Minister Stein und Hardenberg begonnen hatte und sich das Prinzip von „Bildung und Geschicklichkeit“259 gegenüber der Legitimation über Geburt und Abstammung erst langsam durchsetzte, existierte keine standesbedingte Einheitlichkeit innerhalb der Beamtenschaft. Daher erschien auch die Zulassung für jüdisch-bürgerliche Kandidaten durchaus möglich. Allerdings wurde auch während der Reformzeit nicht auf nachträgliche Initiationsriten verzichtet. Um die Anerkennung und Würdigung von langjährigen Diensten oder besonderen Leistungen vorzunehmen, wurde auch bei den bürgerlichen preußischen Reformbeamten eine Nobilitierung260 vorgenommen, die damit die formale Vereinheitlichung wiederherstellte. Dieser Akt hätte im Fall der jüdischen Beamten die jüdisch-christliche Konversion vorausgesetzt. Eine Handlung, die zwar einerseits durchaus im Interesse einzelner Beamter lag und langfristig auch als Ziel der Vermischung angesehen wurde,261 die jedoch andererseits wiederum zu Zweifeln bezüglich der Moralität und Aufrichtigkeit der Konvertierten führte. Und damit im Zirkelschluss wiederum im Gegensatz zu den genannten und geforderten Tugenden stand. Nach dem Ruf ins Amt folgte die Vereidigung des Beamten. Der Amtseid, der im Eid der Ministerialen seinen Ursprung hatte, war gleichfalls privatrechtlicher Dienstvertrag 257 Gutachten Beguelin (24. Januar 1810), zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 303. 258 Siehe dazu den Entwurf der Gesetzkommisssion zum Edikt: Über die Unanwendbarkeit der jüdischen Ritualgesetze auf die rechtlichen Angelegenheiten der Juden (23. Mai 1810), unterzeichnet von Beyme. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 308–313. 259 Hattenhauer, Geschichte, S. 221. 260 Gedacht ist hier u. a. an Friedrich Leopold (v.) Kircheisen, 1789 nobilitiert, oder Karl Friedrich (v.) Beyme, 1815 nobilitiert. Vgl. dazu auch die Angaben in Anlage 2: Biografien. 261 In diesem Sinne äußerte sich Wilhelm v. Humboldt in seinem Gutachten. Vgl. dazu das Gutachten Humboldt (1809), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 276.
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und eidlich übernommene Treueverpflichtung gegenüber dem Souverän und der Dienstleistung.262 Staatsbeamter war in diesem Sinne, wer durch staatliche Berufung in ein Dienstverhältnis trat, das ihn zur Ausübung staatlicher Funktionen berechtigte und zu besonderer Unterwerfung verpflichtete.263 Nach ALR, 2. Teil, 10. Tit., § 3 galt: „Ein jeder ist, nach Beschaffenheit seines Amtes und nach dem Inhalt seiner Instruktion, dem Staat zu besonderen Diensten durch Eid und Pflicht zugetan.“ Die Verordnung wegen zweckmäßiger Einrichtung der Eidesleistung264 vom 26. Oktober 1799, die in insgesamt 15 Paragrafen und zwei im November und Dezember265 folgenden Ergänzungen „mancherley Klagen über obwaltende Mißbräuche“266 beseitigen sollte und sowohl Diensteide wie gerichtliche Eide behandelte, ordnete einerseits eher formale und technische Vereinfachungen an. So sollten die Formulare einheitlich, kurz und prägnant gefasst werden. Andererseits ging es jedoch im Wesentlichen um die Verinnerlichung der Aufgaben und Pflichten, die durch den Eid auch im Gewissen des Schwörenden verankert werden sollten. Die Verfasser gingen davon aus, dass dem Schwörenden, dem die Eidesformel vorgelegt werden sollte, damit er sie selbst langsam und vernehmlich ablesen konnte, auch die Konsequenz seines Handelns über den Zeitpunkt der Vereidigung hinaus bewusst blieb: Wer seiner eidlichen Zusage eingedenk bleibt […] wird jeder Gelegenheit zur Versuchung widerstehen und sich durch Menschenfurcht, Parteilichkeit, Gewinnsucht […] nicht abhalten lassen mit unerschütterlicher Rechtschaffenheit zu handeln.267
Bei jeder Eidesleistung erfolgte auch der Anruf Gottes, der in der Funktion einer übermenschlichen Autorität und durch die Eigenschaften von göttlicher Allwissenheit und Gerechtigkeit auch „die kleinste Abweichung“268 verhindern sollte. Das setzte zwar den persönlichen Glauben des Schwörenden an die beschriebenen göttlichen Eigenschaften voraus. Aber zumindest formal wurde das christ-
262 Siehe dazu Everling, Friedrich: Der Preußische Beamteneid. Berlin 1915, S. 11. 263 Ebd., S. 15. Vgl. ebenfalls Rönne, Staatsrecht, Bd. 1, S. 420ff. 264 Verordnung wegen zweckmäßiger Einrichtung der Eidesleistung (26. Oktober 1799). In: N.C.C., Bd. 10, Sp. 2663–2671. 265 Es handelt sich hier um die Ergänzung für den „Eid der Justizoffizianten“ (13. November 1799). In: N.C.C., Bd. 10, Sp. 2671f. und um die „Diensteide von sämtlichen Finanz- und PolizeiOffizianten“ (17. Dezember 1799). In: N.C.C., Bd. 10, Sp. 2675ff. 266 Ebd., Sp. 2633. 267 Ebd., Sp. 2667. 268 Ebd.
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liche Glaubensbekenntnis nicht vorausgesetzt. Nach § 10 der Verordnung (26. Oktober 1799) hieß es: Die nach Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses des Schwörenden gesetzlich eingeführten Beteuerungsformeln und sonst zu beobachtende Ceremonien dürfen nicht abgekürzt oder verhindert werden.269
Knapp zehn Jahre später wandelte sich das Gottesbild innerhalb der Eidesformel. Die Eidesformulare des revidierten Ostpreußischen Landesreglements vom 24. Dezember 1808,270 die für jedes aufgeführte Amt die gleiche Eidesformel vorsahen, sich allerdings variierend nach den Ämtern durch die unterschiedlichen Pflichten und erwarteten Leistungen unterschieden,271 vereinfachten den Eid auch bezüglich des vorausgesetzten Gottesbildes: Ich (N.) gelobe und schwöre zu Gott, dem Allmächtigen, einen leiblichen Eid, nach dem ich […] erwählt worden bin […]. So wahr mir Gott helfe.272
Die unter Beweis zu stellende Loyalität galt jedoch primär ausdrücklich dem Landesherren und betonte die Priorität des persönlichen Dienstvertrages zwischen Souverän und Untertan. Sowohl die Verpflichtung gegenüber dem Amt und dem Staat, die nach ALR, 2. Teil, 10. Tit., § 3 im Eid beschworen wurde, fehlte hier ganz. Der Fürstendiener stand hier über dem Staatsdiener. Damit erinnerte der Eid an absolutistische Lehens- und Abhängigkeitsverhältnisse aus der Zeit des Feudalismus, indem er bestimmte, „dass ich zuvörderst in diesem meinem Posten Sr. Königl. Majestät meinen allergnädigsten Könige und Landesherren und dem Königl. Hause treu, hold und gewärtig seyn soll […].“273 Die Begründung von Staatsminister Schroetter, der fehlende Moralität für die Aussetzung des § 10 anführte, griff demnach weiter, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Dieser Vorwurf kam einer Disqualifizierung gleich, weil alle bisher genannten und ausdrücklich geforderten Eigenschaften wie Treue, Patriotismus, der Glaube an eine allmächtige Gottesmacht, die Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit in Amtsgeschäften unter diesem Begriff subsumiert werden konnten und die Leistung eines Eides damit von vornherein ausschied. Dass 269 Ebd., Sp. 2663. 270 Revidirtes Ostpreußisches Landschafts-Reglement (24. Dezember 1808). In: N.C.C., Bd. 12, Sp. 551–676, S. 667ff. 271 Ebd., Sp. 673ff. Eine Voraussetzung war in allen Fällen „treuer Fleiß“. In der Eidesformel für die General-Landschafts-Kontrolleure und Kassierer wurde auch „unverbrüchliches Stillschweigen“ erwartet. 272 Ebd., Sp. 667. 273 Ebd.
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jedoch eine Eidesformel auch variabel an das Gelöbnis eines jüdischen Bürgers angepasst werden konnte, durchaus Moralität und Gläubigkeit beinhaltete und bereits in der Praxis existierte und anerkannt wurde, lässt sich am Beispiel des Stadtbürgerbriefes aufzeigen, der, angefertigt für den Berliner Bürger Samuel Hirsch, hier zitiert wird: Ich, (N.,) gelobe und schwöre S. K. M. v. Pr., meinem allergnädigsten Könige und Herren, […] jederzeit treu und gehorsam zu sein, Dero Nutzen und Bestes nach meinem Vermögen zu befördern und dagegen Schaden und Nachteil abzuwenden; so oft ich auch von S. K. M. u. e. hochedlen Magisters gefordert werde, will ich gehorsam erscheinen und alles dasjenige, was mir aufgetragen wird, mit getreuem Fleiß ausführen. So wahr mir (hebr. J H W) der wahrhafte Gott helfe.274
Ein, in den Gutachten nicht genannter, aber dennoch möglicher Grund für den § 10 basierte eventuell auf der Konkurrenz um die Beamtenstellen. Neben der Konkurrenz zwischen den prädestinierten Söhnen des Amts- und Landadels zu den bürgerlichen Anwärtern275 entstand auch durch die unversorgten preußischen Beamten aus den ehemaligen Provinzen westlich der Elbe ein Überangebot an Beamten. Im Publikandum vom 29. August 1807276 hatte der König erklärt, dass die Beamten an der Übernahme neuer Dienstpflichten zur Fortsetzung ihrer Ämter nicht gehindert werden sollten. Und damit wurde zwischen den Zeilen deutlich, dass das um ein Drittel verkleinerte Preußen weder den Bedarf noch die Zahlungsmittel für rückkehrende Beamte oder Pensionäre besaß. Ein weiterer, in den Gutachten ebenfalls nicht genannter Grund mag in einer eher latent wirksamen Judenfeindlichkeit zu suchen sein. Da in den Gutachten der preußischen Beamten in der Mehrheit ein „eigentümlicher“ Nationalcharakter der Juden beschrieben wurde, hätte die Zusammenarbeit nach dem Prinzip der Kollegialität zu Problemen führen können. Der Adel hatte innerhalb der Behörden bereits bürgerliche Vorgesetzte zu akzeptieren und reagierte z. B. in den Militärbehörden mit Dünkel und Intrige. Auch die Öffnung der Beamtenstellen in den Zivilbehörden hätte einen doppelten Tabubruch bedeuten können, der einen bis dato weder kollegialen noch gesellschaftlich eingeübten Umgang miteinander erforderlich machte. Dass Begegnungen auf privater Ebene für einen 274 Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 181. 275 Vgl. dazu auch Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Frankfurt a. M. 1991, S. 255f. Siehe dazu auch Kapitel 8.6 dieser Arbeit. 276 Publikandum, die Pflichtentlassungen der Königlich Preußischen Diener in den abgetretenen Provinzen betreffend (29. August 1807). In: N.C.C., Bd. 12, Sp. 249: „[…] alle Unsere für diese abgetretenen Länder und Gebiete bestellten Behörden und Diener, die sich in solchen Territorien befinden, hierdurch und Kraft diese, der Uns geleisteten Dienste zu entlassen, um sie Unser Seits an der Übernahme neuer Dienstpflichten zu Fortsetzung ihrer Ämter, auf keine Art zu hindern.“
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Abbau oder eine Relativierung der beschriebenen Ressentiments und Vorbehalte sorgten, scheint nur in wenigen Fällen zuzutreffen. Die hohen preußischen Beamten waren bis auf Graf Alexander von Dohna-Schlobitten277 und Wilhelm v. Humboldt keine Besucher der jüdischen Berliner Salons.278 Die Mehrzahl der an der Judenreform beteiligten Beamten besuchte den Salon Staegemann, der in Berlin ab 1810 bis in die späten 1820er-Jahre am Freitag und zeitweise auch am Mittwoch geführt wurde. Dieser Zirkel hatte bereits 1807 als literarische und musische Geselligkeit in Königsberg stattgefunden. Allerdings existierten keine eindeutigen persönlichen Stellungnahmen der Gutachter gegen die Öffnung der Beamtenstellen für jüdische Kandidaten. In den Gutachten äußerte niemand Bedenken gegen die kollegiale Zusammenarbeit mit jüdischen Kollegen. Für die Aufhebung der Beschränkung votierten im Entwurf Schroetters jedoch nur die Staatsräte Humboldt und Schmedding. In den letzten redigierten Entwürfen des Justizassessors Pfeiffer (1812) war die Frist bis zur uneingeschränkten Zulassung auf fünfzehn Jahre festgesetzt worden.279 Nach der Stellungnahme von Kanzler Hardenberg sollte die Zulassung auch innerhalb dieser Frist mit ausdrücklicher Genehmigung möglich sein. Damit vertrat der Staatskanzler innerhalb der Gutachterschaft zum Entwurf Pfeiffers280 die liberalste bzw. freizügigste Position,281 die sich durch die Festsetzung eines zeitlichen Rahmens inhaltlich von der Paragrafierung Schroetters unterschied:
277 Siehe zu Alexander von Dohna-Schlobitten (1771–1831) Anlage 2: Biografien. 278 Verglichen mit der Gästeliste von Petra Wilhelmy besuchten nur Wilhelm v. Humboldt und Alexander v. Dohna die Gesellschaften der jüdischen Salons. Vgl. dazu Wihelmy, Berliner Salon. Andererseits gilt, dass der Besuch der jüdischen Salons kein Indiz für eine unbelastete Beziehung sein musste. Mehrere Mitglieder der Berliner „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“ von 1811 verkehrten ständig in den jüdischen Salons von Henriette Herz und Rachel Levin und waren gleichzeitig Mitglieder einer Gesellschaft, die ausdrücklich Juden und Konvertierte ausschloss. Vgl. dazu Grab, Judenemanzipation, S. 17. 279 Blatt ohne Datum und Unterschrift, stammte nach der Handschrift von Kanzler Hardenberg und enthielt skizzierte Bemerkungen zu 18 von Bülow abgeänderten Paragrafen des Entwurfs Pfeiffer. Die Bemerkungen zu § 9 waren am umfangreichsten. Siehe dazu Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 397f. 280 Siehe zu Friedrich Pfeiffer (1754–1816) Anlage 2: Biografien. 281 Im Gegensatz zu den Entwürfen Schroetter und Raumer wurden zu dem letzten Entwurf Pfeiffer keine Gutachten angefertigt. Der Entwurf Pfeiffer (1812) wurde vor der Endredaktion nur noch von Bülow umgearbeitet. Beim ersten Entwurf Raumer (1811) wurde der Geschäftsgang vereinfacht und die Kommentare der zu Rat gezogenen Sachverständigen am Rand des Entwurfes vermerkt und weitergeschickt. Zum zweiten Entwurf Raumer erfolgten die Gutachten wahrscheinlich bereits von den Mitgliedern der Justizkommission.
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Entwurf Schroetters (1808), § 10:
Vorschlag Hardenbergs zum Entwurf Pfeiffers (1812), § 9:
Zur Verwaltung öffentlicher Staatsämter kann die jetzige Generation allgemein nicht zugelassen werden! Wir behalten Uns jedoch vor, bei vorzüglichen Fähigkeiten einzelner Subjekte, Ausnahmen von dieser Regel zu gestatten.282
Zu andern öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern können sie in den ersten fünfzehn Jahren nach der Publikation dieses Edikts nur zugelassen werden, wenn Wir solches ausdrücklich genehmigen. Nach dem Verlauf jenes Zeitraumes behalten Wir uns vor, anderweit zu prüfen, ob und in wie fern diese Einschränkungen fortdauern müssen oder nicht.283
Der zeitliche Rahmen bestimmte in diesem Fall die Zeitdauer der Beschränkung, die im Sinn der bereits beschriebenen Bedenken von Justizminister Kircheisen die persönliche und behördliche Planungssicherheit erleichtern sollte. Jedoch wurde durch die Beliebigkeit in der Frage der gesetzlichen Aufhebung der Beschränkung, die Gewährleistung der indizierten „Versprechung“ wieder zurückgenommen. Denn mit dem Ende der Frist sollten die Beschränkungen nicht generell aufgehoben werden. Nach Staatskanzler Hardenberg sollte über eine Aufhebung der Einschränkung erst nach Fristablauf neu entschieden werden. Damit blieb auch die Fortsetzung der Beschränkung in der Diskussion.282283 In der Endredaktion, in der Staatskanzler Hardenberg und Justizminister Kircheisen den vorgeschlagenen Gesetzestext dem preußischen König vorlegten, entschied sich Friedrich Wilhelm III. für eine temporäre Aussetzung des Paragrafen ohne Ausnahmeregelungen in Einzelfällen.284 Eine Entscheidung darüber, inwieweit die Juden zu Staatsämtern zugelassen werden sollten, wollte der preußische Souverän erst zukünftig treffen. Damit blieb die endgültige Fassung im 282 § 10 des Entwurfs Schroetter, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 229f. 283 Zit. nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 397. 284 Dass sich hinter dieser Entscheidung eine judenfeindliche Haltung des Monarchen offenbarte, die ihre Ursache in der christlich motivierten Missionsabsicht des Königs hatte, wird u. a. auch von Fischer, Judentum, S. 89f. und Brammer, Judenpolitik, S. 130, erklärt. Als Beweis für die „oft gezeigte Abneigung“ (Brammer, S. 130) in der Frage der Gewährung des Staatsdienstes wird Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 466, angegeben, also das Votum Kircheisen (1815) und das Votum Schuckmann (1815) zur Frage, ob Kriegsteilnehmer für den Staatsdienst geeignet seien. Kircheisen berief sich darauf, in dieser Frage die „bestimmteste Abneigung Sr. Majestät“ wahrgenommen zu haben und dieser entsprechen zu wollen. Da jedoch auf besonderen Befehl auch Ausnahmen, wie im Fall des Philipp Benedict, gemacht wurden, trifft die These nicht ganz zu und widerspricht auch der Haltung des Monarchen zu Beginn der Arbeiten an der Judenreform. Die entgegengesetzte These vertritt Stamm-Kuhlmann. Er schreibt, dass eine grundsätzliche Abneigung schon „früh manifest“ geworden ist, und betont, dass der christliche Monarch die Anzahl der privilegierten Juden als zu hoch empfand. Stamm-Kuhlmann, König, S. 550f.
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Gesetzestext des Edikts (§ 9) durch die Weglassung der Ausnahmeregelung hinter dem Entwurf von Minister Schroetter zurück: „In wie fern die Juden zu andern öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten Wir uns vor, in der Folge der Zeit, gesetzlich zu bestimmen.“285
Abb. 11: Karl August v. Hardenberg (1750–1822), preußischer Staatskanzler, Reformunterstützer und Endredakteur des „Emanzipationsgesetzes“ von 1812.
8.5 Die Aufhebung der Sonderabgaben Im Entwurf von Minister Schroetter wie auch im späteren Edikttext wurde die Aufhebung der bisher veranlagten Abgaben in einem eigenständigen Paragrafen rechtlich fixiert. Obwohl beide Texte, sowohl der Schroettersche Entwurf (§ 16)286 als auch der Edikttext (§ 15)287, von den gleichen Pflichten in Form von gleichen finanziellen Lasten (mit Ausnahme der Stolgebühren) ausgingen, wurde der Wegfall aller Sonderbelastungen separat in einen speziellen Paragrafen gefasst und damit ausdrücklich betont: 285 § 9 im Edikt v. 12. März 1812, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 456. Dieser Paragraf ist identisch mit § 19 der Mecklenburg-Schwerinschen Konstitution vom 22. Februar 1812. 286 Vgl. dazu § 16 des Schroetterschen Entwurfs (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 230. 287 Vgl. dazu § 15 des Edikts v. 11. März 1812, GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 16.
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Das Ziel der Reform – Der nützliche jüdisch-preußische Staatsbürger
Entwurf Schroetters (1808), § 11:
Edikttext (1812), § 14:
Die einländischen Juden sind keinen besonderen Abgaben unterworfen.288
Mit besonderen Abgaben dürfen die einländischen Juden, als solche, nicht beschweret werden.289
Unmissverständlich hatte Minister Schroetter in seinen Erläuterungen darauf hingewiesen, dass der Erlass der Sonderabgaben der „Billigkeit“290 geschuldet sei, und führte damit im zeitgemäßen Sinn der inhaltlichen Bedeutung aus, dass die Aufhebung der Sonderlasten dem Prinzip der Gerechtigkeit geschuldet sei, „da nach dem § 16 den Juden alle Pflichten der Christen obliegen [würden]“.291 Die Mehrheit der Gutachter hatte in ihren Stellungnahmen hierzu keine grundsätzlichen Einwände. Allerdings wurden verschiedene Ergänzungen und „Sondermodelle“ vorgeschlagen. Staatsrat Koehler bemerkte in seinem Gutachten, dass er nichts dagegen hätte, wenn man die neuen Handelskonzessionen, die für die Juden angefertigt werden müssten, „einer beträchtlichen Besteuerung (durch Stempel- oder Chargenabgaben) unterwürfe“.292 Der Gutachter der AbgabenSektion des Finanzministeriums, v. Beguelin, nutzte die Frage der Abgabenregelung, um generell die Redlichkeit des Erwerbs der Juden in Frage zu stellen, und bemerkte zu den bisherigen Abgaben, dass z. B. die Rekrutengelder eher als Begünstigung denn als Belastung zu verstehen seien: Die Rekruten Gelder betragen z. B. in Pommern 263 rth. 6g, in der Neumark 285 rth. 22g und dieses haben sie betragen zu einer Zeit wo mancher christliche Bürger viermal mehr geboten, um nur einen Sohn von dem Soldatenstande zu befreyen.293
Graf Lottum vom Departement der Militärökonomie gab lediglich zu bedenken, dass für den zukünftig geplanten Wegfall an Revenuen für die Militärwai-
288 Entwurf Schroetter (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 230. 289 Edikt vom 11. März 1812, GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. XXX, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 16. 290 Erläuterungen Schroetters (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 245. 291 Ebd. 292 Gutachten Koehler (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 255. 293 Gutachten Beguelin (1810), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 303.
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senhauskasse in Potsdam,294 die sich aus den Judenrekrutengeldern,295 den Judentrauscheingeldern296 und extra bemessenen 500 Thlr. der neumärkischen Judenschaft zusammensetzte, ein Ersatz geschaffen werden sollte, „sei es durch die Judenschaft selbst oder aus einem andern Landesherrlichen Fonds“.297 Die Frage nach einer Ablösesumme wurde auch im Gutachten des Justizministeriums aufgeworfen. Dort schrieb Gutachter Beyme (1810),298 dass man bei der Überarbeitung des Entwurfs von Minister Schroetter auch die Frage aufwerfen könne, „ob nicht von allen jüdischen Landeseinwohnern eine billige Vergütung für die Aufopferung der im § 11 des von Schrötterschen Entwurfs erwähnten besonderen Abgaben, wenn solche für immer erlassen werden, zu verlangen sey?“299 Ein aktuelles Beispiel für die Praxis von Ablösezahlungen fand im Großherzogtum Frankfurt im Jahr 1811 statt. Nach dem Grundsatz „erst Ablöse, dann Gleichheit“300 wurden als Ausgleich für die finanziellen Einbußen bei Verzicht auf die Erhebung von Sonderabgaben Ablösezahlungen angeregt, die in Gesprächen mit der Frankfurter Judenschaft vorgegeben, verhandelt und festgelegt wurden. Nach der Vorkasse von 150.000 Florins301 kam es im Dezember 1811 zu einem feierlichen Vertrag zwischen Großherzog Karl Theodor v. Dahlberg und der Frankfurter Judenschaft, in dem der Wegfall sämtlicher Restriktionen und die Aufnahme mit allen bürgerlichen und politischen Rechten in den Gemeindever294 Nach dem zeitgenössischen preußischen Verwaltungsspezialisten Georg Heinrich Borowski wurden dort Waisen ohne Unterschied der Religionen betreut: „Waisen aus dem Militärstande werden in dem großen Potsdamischen Waisenhause ohne Unterschied der Religion und des Geschlechts erzogen. Selbige werden von den Regimentern angezeigt, müssen ganz gesund sein und keine Leibesgebrechen haben, als welches der Arzt des Ortes oder ein Chirurgus bescheinigen muß. Das receptionsfähige Alter fängt mit dem 6ten Jahre an; Kinder über 12 Jahre werden nicht mehr angenommen.“ Borowski, Georg Heinrich: Abriß des praktischen Cameral- und Finanzwesens nach den Grundsätzen, Landesverfassungen und Landesgesetzen in den Königlich-Preußischen Staaten oder Preußische Cameral- und Finanz-Praxis. 3. Aufl. Berlin 1805, S. 364–366, S. 364. 295 Vgl. dazu Koch, Juden, S. 44. 296 Nach Koch betrug die Abgabe für den Trauschein ursprünglich einen Thaler. Ab 1723 mussten zehn Thaler für einen Trauschein an die Rekrutenkasse gezahlt werden. Vgl. dazu Stern, S., Der preußische Staat, II/2, S. 175. Seit 1739 mussten für einen „Heiratsconsens“ 30 Thlr. an das Waisenhaus bezahlt werden. 297 Gutachten des Militär-Ökonomie-Departements (1810). Zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 291. 298 Siehe zu Karl Friedrich (v.) Beyme (1765–1838) Anlage 2: Biografien. 299 Gutachten Beyme (1810), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 305. 300 Rob, Regierungsakten Frankfurt, S.127. 301 Nach Baron wurde eine Zahlung des 40-fachen Betrages der bisherigen Abgaben vereinbart, die 1813 durch weitere 50.000 Florins (Gulden) und eine Ratenzahlung von 24 Jahresraten zu 10.000 Florins jährlich abzutragen sein sollte. Baron, Judenfrage, S. 29.
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band Frankfurts bestätigt wurden. In Preußen mahnte Friedrich v. Raumer in § 7 seines 1. Entwurfes (1811) noch weitere Nutznießer von speziellen Judenabgaben an und stellte die Aufhebung dieser Praxis in Aussicht: Alle Auflagen und Abgaben, welche allein den Juden zum Gegenstande hatten, bei welcher Gelegenheit sie eingeführt und unter welcher Benennung sie vorkommen mögen, werden hiermit von jetzt an gänzlich aufgehoben. Es wird demnach allen Edelleuten, Lehnsherren und andern Gutsbesitzern, Communen, Stiftungen u.s.w. die unserer Hoheit unterworfen sind, verboten, diese Abgaben mehr zu erheben oder erheben zu lassen, widrigenfalls sie alle Schäden und Kosten ersetzen, auch als solche, die sich der Erpressungen schuldig gemacht haben, gerichtlich verfolgt werden sollen.302
Dieser Text stimmt inhaltlich und fast wörtlich mit dem 1808 erlassenen Bulletin von Jérôme Napoléon, dem Regenten des Königreichs Westphalen, überein, in dem es nach Art. 3 hieß: Diesem zufolge sind alle Auflagen und Abgaben, welche allein die Juden zum Gegenstande hatten, bey welcher Gelegenheit sie eingeführet seyn, und unter welcher Benennung sie vorkommen mögen, hiermit gänzlich aufgehoben. Es wird demnach allen Edelleuten, Lehnsherren und andern Gutsbesitzern, die Unserer Hoheit unterworfen sind, verboten, diese Abgaben mehr zu erheben, oder erheben zu lassen, widrigenfalls sie alle Schäden und Kosten ersetzen, auch als solche, die sich der Erpressungen schuldig gemacht haben, gerichtlich verfolgt werden sollen.303
Eine weitere Entscheidungsgrundlage für die spätere Abgabenfreiheit war jedoch bereits ein Jahr vor dem Entwurf Raumers unter § 30 im Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer (28. Oktober 1810) vorformuliert worden: Alle bisherigen Abgaben von den Gewerben, insofern sie die Berechtigung derselben betreffen, als Konzessionsgeld, Nahrungsgeld von katastrierten Stellen, oder unter welcher Benennung sie sonst vorkommen, sie mögen alljährlich oder ein für allemal an die Königl. Kassen, Kämmereien oder an Grundherren entrichtet werden, hören mit Einführung der Gewerbesteuer auf. Eben dieses ist der Fall mit den Paragraphengeldern.304
Allerdings wurden die preußischen Juden unter § 22 des Edikts noch von der zum allgemeinen Grundsatz erhobenen Gewerbefreiheit ausgeschlossen. Die endgül302 Entwurf Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 337. 303 Decret von Jérôme Napoléon, par la Grace de Dieu et les Constitutions, Roi de Westphalie, Prince Français, etc. vom 27. Januar 1808. Gedr. in Rob, Klaus: Regierungsakten des Königreichs Westphalen. 1807–1813. München 1992, S. 78–80, S. 79. Ebenfalls gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 335f. 304 GS (1810), S. 79–94. Siehe dazu auch Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 496.
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tige Entscheidung blieb noch offen. Die neue Verfassung für die Untertanen jüdischer Religion wurde jedoch bereits angekündigt: Bis dahin, dass in Absicht Unserer Untertanen jüdischer Religion eine neue Verfassung, womit man sich unverzüglich beschäftigen wird, bestimmt ist, können ihnen Gewerbescheine nur zu solchen Gewerben und in dem Umfange gegeben werden, wie es die bisherige Verfassung zuläßt.305
Die Gutachter in der Abgabensektion im Finanzministerium vermerkten zum Entwurf Raumers, dass die Juden den Grundherren in Westpreußen bedeutende Abgaben zahlten und erwarteten, dass jene „mit Recht Entschädigung fordern [würden]“.306 Der Jurist und Geheime Staatsrat Schuckmann kritisierte am Raumerschen Text nur, dass die Formulierung „welche allein die Juden zum Gegenstande hatten“,307 nicht ganz angemessen sei, weil der Gegenstand in diesem Falle auch ein besteuertes Gewerbe sein könne, welches kein Christ am selben Ort betrieb. Er schloss sich jedoch im Wesentlichen den Formulierungen Raumers an. Die bei Raumer genannte Abgabenpraxis lehnte sich an Hörigkeits- und Schutzverhältnisse aus der Vergangenheit des Deutschen Reiches zur Mitte des 14. Jahrhunderts an. Dort war das Rechtsverhältnis Schutzjude – Fürst und Landesherr weiterhin persönlicher Natur und die fiskalische Nutzung blieb gleichzeitig Bedingung und Klausel des Schutzverhältnisses. Zeitlich lässt sich die Übertragung des kaiserlichen Vorrechts auf die Reichsstände und die damit verbundene Übertragung der finanziellen Vorrechte auf die Zeit von Kaiser Karl IV. festlegen: „Das Recht der Aufnahme der Juden, womit das Recht der Erhebung der Schutzsteuer verbunden war, blieb lange Zeit ein Kaiserliches Reservatrecht, dass der Kaiser aber schon vermöge der Goldenen Bulle (1355/1356), mit den Kurfürsten teilen mußte.“308 Der Handel und das Zinsleihen wurden von den Reichsfürsten mit Steuern, Zöllen und Münzwesen einträglich genutzt. Gleichzeitig bildeten sich mit dem 305 Ebd. Mit der Gewerbefreiheit für die preußischen Juden tat sich Staatsminister Schroetter in seinem Entwurf schwer. Nicht weniger als 29 Paragrafen (Abschn. III, §§ 74–101) reglementierten die Niederlassung und den Zugang zum Gewerbe. In seinen Erläuterungen schrieb Schroetter dazu, dass nur eine erlaubte Anzahl jüdischer Kaufleute zugelassen werden sollte, weil „ansonsten dieser wichtige Nahrungszweig bald ganz in ihren Händen sein würde“. Schroetters Erläuterungen (1808), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 247. 306 Bemerkung Ladenbergs im Gutachten der Abgabensektion im Finanzministerium (11. April 1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 351. 307 Gutachten Schuckmann (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 356. 308 Bopp, Franz: „Judenschutz und Judenabgaben“. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 8 (1839), S. 677–797, S. 682. Vgl. ebenso Steinacker, Emanzipation, in: Rotteck/Welcker, StaatsLexikon, Bd. 5 (1837), S. 24.
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Übergang auf die Reichsstände vielfältigste Steuern und Zölle heraus, die nach Franz Bopp zu einem „Chaos von Gestaltungen“309 führten oder zu Aufkündigungen des Schutzes und zu Vertreibungen. Bis das Schutzverhältnis staatsrechtlich legalisiert und rechtlich verbürgt von einer landesherrlichen Gewalt verfügt wurde, ergaben sich gleichzeitig auch doppelte Abgaben und Steuern. Auch nach dem Inkrafttreten gesetzlicher und staatlicher Verordnungen konnten die ehemaligen Gelder „umgewidmet“ und unter anderem Namen an die Gutsherrschaft weiter gezahlt werden. Dies wird an einem Beispiel aus Bayern nach Inkrafttreten des Edikts (1813) deutlich: „Die Schutzgelder, welche die Juden früher allenthalben erlegen mußten, werden noch in einigen standesherrlichen Gebieten entrichtet und in manchen Gegenden auch von den Gutsherren unter dem Namen Herbergsgelder erhoben.“310 Im Kurfürstentum Brandenburg-Preußen hatte der Große Kurfürst teilweise auch zu Gunsten der Judenschaften und zu Gunsten der eigenen Schatulle auf Übertretungen der Magistrate reagiert. In einem Reskript aus dem Jahre 1687 an das Kammergericht wird dazu auf folgende Praxis reagiert: Wir sind in Erfahrung kommen, daß unterschiedene Magistratus in Städten und Dörfern sich untersteien, Juden zu halten und Schutzgeld von ihnen zu nehmen. Wann dann solches wider Unsere Landesfürstliche Hoheit läuft, und niemandem als Uns solches zustehet, als befehlen Wir euch hiemit gnädigst, desfalls Erkundigung einzuziehen und wann sich’s also befindet, per Fiscalem wider sie gebührend verfahren zu lassen.311
Staatliche und städtische Einnahmequellen von Judengeldern gegen eine Gebühr an Dritte zu verpachten, war auch in Preußen mögliche rechtliche Praxis. Im Jahre 1711 schrieb die Regierung für die ostpreußische Stadt Königsberg die Verpachtung des Judengeleits zu einem fixen Betrag aus.312 Der christliche Kaufmann Adam Fuller und der Schutzjude Bendix Jeremias erstanden als Meistbietende die Rechte für zwei Jahre gemeinschaftlich. Nach Ablauf der zweijährigen Vertragszeit übernahm Bendix Jeremias für 3.700 Rtlr. jährliche Zahlung das Recht zur Eintreibung der Geleitgelder allein.313 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatten die preußischen Juden verschiedenste Abgaben gezahlt. Als beständige Abgaben zählten die jährlichen Schutz309 Bopp, Judenschutz, S. 683. 310 Ebd., S. 688. 311 Reskript an das Kammergericht (15. Juli 1687). Gedr. in Stern, S., Der preußische Staat, I/2, S. 58. Vgl. dazu auch das Reskript (14. Januar 1656) an Hauptmann Schlieben, der bei Strafandrohung aufgefordert wurde, den Juden die abgenommenen Pelze von Füchsen und Zobeln wieder zurückzusenden. Gedr. in Stern, S., Der preußische Staat, I/2, S. 152. 312 Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft, S. 24. 313 Ebd.
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gelder, die Rekrutengelder, die Hochzeits- und Kindergelder, die Kalendergelder und die Silberlieferungen an die Hauptmünze zu Berlin. Individuelle und teilweise erhöhte Abgaben waren für die Chargen-, Jura- und Stempelgebühren sowie für Konzessionen und Ansetzungen auf ein Schutzprivileg zu leisten. Handeltreibende zahlten für das Erwerben und Anlegen eines Gewerbebuches und für das „Judengeleit“. Als Jahrmarktreisende hatten sie den Waren- und Pferdezoll zu bezahlen. Eine Steuer musste für das Erbe, das einem Ausländer vermacht wurde, gezahlt werden. Ein Mitgiftabzug war für die Verheiratung mit Ausländern zu zahlen. Abzugsgeld musste bei Auswanderungen von Bürgern mit wenigstens 500 Rtlrn. Vermögen gezahlt werden. Hinzu kamen differierende Sonderzahlungen in den preußischen Provinzen. In Schlesien wurde eine Nahrungssteuer und das Fleischerei- und Aufenthaltsgeld für Geschäfte in Breslau gezahlt. In Ostpreußen und Litauen zahlten Handeltreibende Weingelder, den speziellen Juden-Groschen und den Juden-Nachschuss. In der Chur- und Neumark zahlten die jüdischen Bewohner die Silberakzise, Indemnisationsgelder, Korrespondenzgelder, Feuergelder und Gelder für die Bestätigung der Ältestenwahl. Die Empfänger der Zahlungen waren Königliche Institute wie das Waisenhaus zu Potsdam oder das Lagerhaus zu Berlin. Propsteigelder wurden an die christliche Geistlichkeit wie z. B. den Bischof zu Breslau gezahlt. Ferner wurden Gelder an die Grundherrschaft und an kommunale Kassen und Lazarette abgeführt.314 Die für die Reformbestrebungen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts mit bestimmende Frage, ob inländische Juden nur durch Sonder- bzw. zusätzliche Zahlungen zu nützlichen Untertanen würden, erörterte der bereits erwähnte preußische Generalfiskal d’Anières in seinem Gutachten anlässlich der geplanten Einführung von höheren Judenschutzgeldern (1765) wie folgt: Was die Frage betrifft, ob die Juden nützlich oder schädlich sind, so ist es wohl allgemein bekannt, daß ein wirklich schädlicher Untertan gar nicht im Lande zu dulden ist, und dass ein Untertan, der nur per accidens schädlich ist, durch gute Einrichtungen zu Beförderung des allgemeinen Nutzens anzuhalten ist; wie kann aber in einem und dem andern Fall dem Schaden, den er dem Staat zufügt, durch eine Summe Geldes abgeholfen werden, die er dem Landes Herrn zahlet?315
Sollte jedoch auf der Erhöhung der Schutzgelder insistiert werden, so gab es nach Ansicht des Generalfiskals verschiedene Gründe, die bewiesen, dass eine Erhö314 Zusammengestellt n. Donnersmarck, Leo Felix Victor v.: Darstellung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate. Leipzig 1814, S. 50–70. Vgl. dazu auch Friedländer, Akten-Stücke, S. 50ff. 315 Gutachten d’Anières (23. März 1765), zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 312, S. 414.
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hung nicht nützlich, sondern vielmehr schädlich sei: Eine Erhöhung der Sonderbesteuerung würde die Industrie der Juden ersticken, ihren Enterprisen schädlich sein und verschiedene wohlhabende Etablissements in die Fremde treiben und die Ansiedlungen fremder Juden verhindern.316 Damit betonte der Generalfiskal die wirtschaftliche Bedeutung der jüdischen Fabrikation und des Handels für die preußische Wirtschaftskraft.317 Die pädagogische Frage hinsichtlich der Methode zur Hinführung zum nützlichen Untertanen beantwortete d’Anières wie folgt: [Man] gebe ihnen mehr Gelegenheit, sich ehrlich zu nähren, man trage mehr Sorge für ihre Erziehung und gehe mit ihnen nicht so verächtlich um, so werden sie gar bald den hohen Grad der Tugend und der Rechtschaffenheit erlangen, wodurch sich unsere christlichen Kaufleute so sehr distinguiren.318
Obwohl Friedrich II. nach Ansicht seines Generalfiskals „einige Tausend Thaler so höchst nötig nicht [bedürfte]“319, hielt ihn das nicht von der Erhöhung der Schutzgelder ab. Man war zunächst von der Vermutung ausgegangen, dass die Anzahl der jüdischen Inländer sich seit 1728 vergrößert hatte und daher die Schutzgeldfestsetzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr angemessen war.320 Die darauf folgende Untersuchung zeigte, dass in den Jahren 1728 1.175 Familien insgesamt 15.000 Thaler pro Jahr gezahlt hatten und im Jahr 1765 1.476 Familien dieselbe Summe zahlten.321 Nach dieser Statistik lebten damit mehr jüdische Familien in Preußen. Da ihre Schutzgeldzahlung in den letzten 35 Jahren gleich geblieben war, konnte die Erhöhung (1768) über den Zuwachs an Hausvätern und deren Familien legitimiert werden.322 316 Ebd. 317 Nach Geiger hatte Friedrich II. trotz seiner Abneigung gegen Juden in finanziellen Krisenzeiten (Siebenjähriger Krieg) ihre Kapitalkraft genutzt. Darüber hinaus handelte er nach dem ökonomischen Grundsatz, „die vermögenden Juden […] mit allen Mitteln zu veranlassen, statt des Kleinhandels die große gewerbliche Tätigkeit […] zu ergreifen“. Das galt im Besonderen für die Münzen-Entrepreneurs. Vgl. dazu Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 1, S. 65. Vgl. dazu auch die Anweisungen von Friedrich II. In: Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, S. 387ff. Vgl. zur Wirtschaftskraft u. a. Toury, Jacob: Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum. In: Liebeschütz, Hans/Paucker, Arnold (Hrsg.): Das Judentum in der Deutschen Umwelt. Tübingen 1977, S. 155ff. 318 Gutachten d’Anières (23. März 1765), zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 312, S. 415. 319 Ders. zit. n. Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, S. 414. 320 Vgl. dazu den Immediatbericht des Gen.-Dir. (13. Februar 1765). Skizziert bei Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 310, S. 410. 321 Vgl. dazu den Bericht von Pittelkow (20. April 1765). In: Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 316, S. 418–421. Die Zahl von 1.476 Familien ergibt sich aus der Zählung im Bericht Pittelkow (20. April 1765), ebd., S. 420f. 322 Siehe zur Verteilung der Gelder auf die verschiedenen Judenschaften in Preußen die Liste der Abgabenverteilung (Spandau, 28. Mai 1768), überreicht von den Deputierten der Provin-
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Zur Zeit der Arbeiten am preußischen Reformedikt stellte sich die Finanzsituation in Preußen drastischer dar. Die Finanzeinnahmen erreichten nach Karen Hagemann zwischen 1807 und 1812 nicht einmal die Hälfte des Standes von 1805.323 Die Wirtschaft, vor allem die Exportbranche, litt unter der Kontinentalsperre (1806), die den Handel mit England und den Vereinigten Staaten behinderte und Händler in die Illegalität trieb. Nach Art. 27 des Friedens von Tilsit sollten die gesamten Lande des Königs von Preußen bis zum Frieden zwischen Frankreich und England für die Schifffahrt und den Handel mit England geschlossen werden. Betroffen waren vor allem die Getreideexporte und die Textilproduktion. Die Berliner und Potsdamer Woll- und Seidenindustrie stürzte in Konkurse und Bankrotte.324 Entwertung von Haus- und Grundeigentum sowie von Staats- und Wertpapieren, Absatzkrisen, Aussetzungen von Heereslieferungen und der Verfall der Bodenpreise führten auch zu privaten Verschuldungen.325 Nach Karl Mamroth war die wirtschaftlich-finanzielle Situation Preußens durch den gefallenen Wert für Erzeugnisse, den Mangel an barem Geld und den Mangel an Absatz der Erzeugnisse geprägt.326 Zusätzliche Verluste entstanden durch Verpflegungskosten für Besetzungstruppen327 und den Verlust der polnischen Kapitalien.328 Die Vorschläge zu Einsparungen im Staatsetat bezogen sich neben der Herabsetzung des Militäretats und der Zusammenziehung von vereinzelt stehenden Behörden auch auf die Empfehlung der preußischen Steuerkommission (Juli 1810), „alle Staatslasten mit gleichen Schultern“329 zu tragen. Finanzminister Altenstein gelang es trotz der o. g. Schwierigkeiten bis zum April 1809, die Raten für die Kontributionszahlungen an Frankreich aufzubringen. Er finanzierte zialjudenschaften. Die Summe der Schutzgelder belief sich auf 25.000 Rtlr. In: Stern, S., Der preußische Staat, III/2.1, Nr. 371, S. 494f. 323 Hagemann, Mannlicher Muth, S. 8. Vgl. auch Wehler, Deutsche Gesellschaftgeschichte, Bd. 1, S. 486–505. 324 Vgl. auch Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 18, und Bruer, Geschichte der Juden, S. 233. 325 Nach Bruer gab es 1805 ca. 12.000 Rittergüter, von denen im selben Jahr 561 verkauft werden mussten, wie z. B. Besitzungen der Familien Arnim, Eichendorff, Gneisenau und Vincke. Vgl. dazu Bruer, Geschichte der Juden, S. 234f. und Münchow-Pohl, Reform, S. 95f. 326 Vgl. dazu Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 21f. 327 Zwischen 1806 bis 1812 kam es zu finanziellen Belastungen durch die Einquartierungen von französischen Soldaten und die Truppendurchzüge verbündeter und gegnerischer Truppen. Der zweijährige Aufenthalt der napoleonischen Truppen in Berlin kostete die Stadt ca. 15 Mio. Thlr. an Kontributions- und Einquartierungsgeldern. Vgl. dazu Münchow-Pohl, Reform, S. 96, und Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 35. 328 Münchow-Pohl, Reform, S. 96. 329 Bericht der Steuerkommission vom 9. Juli 1810. Die Kommission sollte nach einer KO vom 11. Februar 1808 Vorschläge zu Einsparungen entwickeln und setzte sich aus den Mitgliedern Borsche, Beuth, Ladenberg und Raumer zusammen. Zit. n. Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 192ff.
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die Zahlungen hauptsächlich aus Prämienanleihen und der Gold- und Silbersteuer.330 Als Hardenberg Anfang Juni die Finanzverwaltung übernahm, waren noch ca. 85 Mio. Francs zu zahlen. Im April des Jahres 1811 war die Hälfte der Kontributionszahlungen an Frankreich abgetragen.331 Staatsminister Schroetter hatte sich von der frei werdenden Kapitalkraft der jüdischen Händler und Finanziers auch Einnahmen für die Staatskasse versprochen. Allerdings hatte er in seinem Entwurf die Gewerbeordnung für preußische Juden in 29 Paragrafen gefasst332 und damit eher die Grenzen als die Möglichkeiten des Handels festgeschrieben. Hingegen wurde die Gewerbefreiheit (auch im Bereich des Handels) im Edikttext (§ 12) als Recht des Staatsbürgers ausdrücklich benannt.333 Für den Innen- und Außenhandel sollte eine größtmögliche Freiheit gewährt werden, und seit dem Entwurf Raumers (1811) galt diese Prämisse auch für die preußischen Juden.334 Insgesamt sollte der Handel von drückenden Abgaben, Beschränkungen und Formalitäten befreit werden.335 Ein einheitliches Steuersystem sollte nach westfälischem Muster auch für alle Teile des Königreichs Preußen gelten.336 Der Unterschied zwischen den Provinzen und den verschiedenen Klassen der Untertanen sollte nach der Prämisse „gleiche Rechte, gleiche Verpflichtungen“337 aufgehoben werden. Damit verbunden war die Aufhebung bisher geltender Befreiungen von der Steuerpflicht. Und in diesem Sinne legte das Edikt über die neuen Konsumtions- und Luxussteuern (28. Oktober 1810) fest: „Alle Befreiungen der Rittergüter, Domänenbeamten, Klöster, Geistlichen u.s.w. von den Konsumtionsabgaben, so wie alle Zollbefreiungen sind hiermit aufgehoben.“338 330 Verordnung wegen Ankauf des Gold- und Silbergeräths durch die Münzämter und wegen Besteuerung desselben und der Juwelen (12. Februar 1809). In: N.C.C., Bd. 12, Sp. 769–776 incl. der Anweisung zur Ausführung der Verordnung in Sp. 777–784: Verkauf an die Münzämter oder Entrichtung der Steuer im Wert von einem Drittel des geschätzten Wertes. Nur mit Stempel sollte der Verkauf erlaubt werden. Ausnahmen betrafen Kirchengeräte, Ehren- und Ordenszeichen und Geräte mit zu geringen Gold- oder Silberanteilen. Vgl. dazu Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 34ff. 331 Ebd., S. 36. 332 Vgl. dazu den Entwurf Schroetter (§§ 74–101). Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 37–41. 333 Siehe dazu Edikt v. 11. März 1812; § 12: Zu der aus dem Staatsbürgerrechte fließenden Gewerbefreiheit gehört auch der Handel. 334 Vgl. hierzu 1. Entwurf Raumer, § 4 u. § 9 und die Einschränkung im 2. Entwurf Raumer, § 8. Gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 337f. u. S. 364ff. 335 Vgl. dazu die gesammelten Aussagen preußischer Reformer zur Weckung der persönlichen und wirtschaftlichen Kräfte der Nation bei Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 12ff. 336 Ebd. 337 Vgl. dazu Promemoria über den neuen Finanzplan (11. Juli 1810). Teilw. gedr. bei Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 201ff. 338 GS (1810), S. 33–76.
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Allerdings überstiegen die Einnahmen der Luxussteuer nur im Zeitraum 1810–1816 die 100.000-Thaler-Grenze. Auch die Gewerbesteuer fiel weit hinter die Einkünfte aus der Konsumtionssteuer zurück. In der Zeit von Anfang Juni 1811 bis Ende Mai 1812 nahm der Staat 681.014 Thaler durch die Gewerbesteuer und 1.354.499 Thaler durch die Konsumtionssteuer ein.339 Die Abtragung der Kontributionen wurde daher nicht durch die alten bzw. neuen Steuern finanziert, sondern erfolgte durch die vertragsmäßig geleisteten Lieferungen beim Durchzug der französischen Truppen nach Russland (1812).340 Die Vereinheitlichung des Steuersystems sah den Abbau von Privilegien und Sondersteuern für alle Provinzen vor. Die sogenannten Judengelder widersprachen diesem Prinzip und vertrugen sich weder mit dem Status eines Bürgers noch mit liberalen und ungezügelten Wirtschaftsideen. Das frei einsetzbare Kapital versprach über den erhofften Aufschwung des Handels und den staatlichen Zugewinn über Steuererhebungen einen größeren Ertrag. In diesem Sinne entsprach diese Entscheidung auch den Richtlinien von Staatskanzler Hardenberg, der in einem Schreiben an den Geheimen Staatsrat Schuckmann (November 1810), dem zukünftigen Chef des Departements für Handel und Gewerbe, diese Richtung nochmals vorgegeben hatte: Je schwerer es ist, den Handel und die Gewerbe unter dem Druck äußerer Umstände und bei den erschöpften Kräften des Staates aufrecht zu erhalten, desto angestrengter muß eure Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein, die Hindernisse, so weit es in unserer Gewalt ist, wegzuräumen, welche sich der freien Anwendung der Kräfte und der Industrie entgegen stellen.341
8.6 Eine Methode der Amalgamation – Die jüdisch-christliche Mischehe In den Entwürfen der Minister Schroetter und Raumer wurde die Eheschließung zwischen christlichen und jüdischen Ehepartnern ohne die Bedingung der Konversion/Taufe gesetzlich erlaubt.
339 Vgl. dazu die Statistik: „Neue Abgaben“ bei Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 54. 340 Mamroth, Staatsbesteuerung, S. 37. 341 Zit. nach Lüttwitz, Hans Ernst Freiherr v.: Biographie des königl. preuß. Staatsministers Freiherrn v. Schuckmann. Leipzig 1835, S. 32.
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Entwurf Schroetters (1808), § 27:
1. Entwurf Raumers (1811), § 8:
Heiraten zwischen Christen und Juden sind ohne Religionsübertritt gesetzlich erlaubt.13
Heiraten zwischen Juden und Christen sind nach der Unterwerfung unter die Ehegesetze ohne Religionsübertritt erlaubt, nur werden über die dabei zu beobachtenden Solennitäten nähere Bestimmungen ergehen. Kinder aus solchen Ehen folgen dem Glauben des Vaters, bis sie sich selbst gesetzlich etabliren können.14
342343
Die Gutachter zum Entwurf Schroetters beschäftigten sich kaum mit § 27. Für Staatsrat Wilhelm v. Humboldt sollte die jüdisch-christliche Mischehe als „actus civiles“344 der Entscheidung der Beteiligten überlassen bleiben und eine kirchliche Einsegnung nicht mehr verbindlich vorgeschrieben werden. Die Gutachter Minuth und Hoffmann (Gewerbepolizei) gingen davon aus, dass der Staat Ehen zwischen verschiedenen Religionsparteien, folglich auch zwischen Juden und Christen, nicht verbot.345 Ihnen entging aufgrund dieser falschen Schlussfolgerung die angeregte Neuerung im Entwurf Schroetters. Die Kritik zum § 8 im Entwurf Raumers fiel umfangreicher und ausführlicher aus. Die Gutachter konzentrierten sich hier auf die noch ungeklärten Solennitäten bezüglich der Eheschließung. Die offenen Fragen betrafen die rechtlich verbindliche Einsegnung einer Mischehe, den Ort der Handlung und die mit der Ausführung zu beauftragenden Amtsträger. In Preußen konnte eine Ehe zu diesem Zeitpunkt nicht vor einer bürgerlichen Behörde geschlossen werden. Nur in Übereinstimmung mit den christlich definierten Ehegesetzen und unter dem Patronat der Großkirchen erhielt die Ehe den rechtmäßig gültigen Status. Um hier eine akzeptable Lösung für beide Glaubensgemeinschaften anzubieten, formulierte Staatsrat Schuckmann folgenden Lösungsvorschlag: Ehen zwischen Christen und Juden, müssen vor den Gerichten des Bräutigams und der Braut an deren Wohnorten drei volle Wochen vorher öffentlich bekannt gemacht, und wenn kein rechtlicher Einspruch geschieht, dann allemal durch einen gerichtlichen Contract, vor dem Gerichte des ersteren vollzogen und auf dessen Grund in das Kirchenbuch eingetragen
342 Entwurf Schroetter, zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 231. 343 1. Entwurf Raumer (1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261. 344 Gutachten Humboldt (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 279. 345 Gutachten der Sektion der Gewerbepolizei (1809), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 261.
Eine Methode der Amalgamation – Die jüdisch-christliche Mischehe
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werden. Sie haben alsdann alle bürgerliche Wirkungen einer vollgültigen Ehe und bleibt die religiöse Consekration dem Gewissen der Contrahenten überlassen.346
Dieser Vorschlag lehnte sich bereits an die Praxis nach französischem und holländischem Muster an, nach der eine Ehe mit Partnern unterschiedlicher Konfession in Form eines Vertrages vor einer städtischen Behörde (Bürgermeisteramt) durch einen städtischen Amtsträger geschlossen werden konnte.347 Dieser Vorschlag setzte sich jedoch nicht durch. David Friedländer brachte zwar in Anregung, das Departement für „Cultus und öffentlichen Unterricht“ mit einer Ausarbeitung betreffs der Form der Eheschließung zu beauftragen. Über eine entsprechende Beauftragung ist in den Akten jedoch nichts vermerkt. Der Referent unter Justizminister Kircheisen, Justizrat Pfeiffer, argumentierte gegen den Schuckmannschen Vorschlag und griff in seiner Argumentation auf die bestehende Regelung im Allgemeinen Preußischen Landrecht zurück. Er wollte die Regelung in ALR, 2. Teil, 11. Tit., §§ 36 und 715 bestehen lassen oder zumindest nicht das Gegenteil in dem neuen Edikt festlegen.348 Nach ALR, 2. Teil, 11.Tit., § 36 hieß es: „Ein Christ kann mit solchen Personen keine Heirat schließen, welche nach den Grundsätzen ihrer Religion sich den christlichen Ehegesetzen zu unterwerfen gehindert sind.“349 Ein juristischer Kommentar aus dem Jahre 1855, der sich auf einen konkreten Rechtsfall des Jahres 1854 bezog und in seinen Ausführungen auch auf die Absichten der Redakteure des ALR einging, bemerkte hierzu, dass die Ehe eines Christen mit einer Person verschiedenen Glaubens nicht von den individuellen religiösen Ansichten der letzteren, sondern davon abhängig gemacht, ob die Grundsätze der Religion dieses anderen Teils, ihrem objektiven Inhalte zufolge, denselben verhindern, sich den christlichen Ehegesetzen zu unterwerfen.350
Es handelte sich nach Ansicht der Kommentatoren also nicht um eine persönlich zu treffende Entscheidung, christliche Ehegesetze zu akzeptieren, sondern 346 Gutachten Schuckmann (20. April 1811), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 358. 347 Allgemein galt in Holland, dass eine vollgültige Eheschließung durch eine öffentliche Erklärung beider Parteien vor Zeugen im Rathaus und mit der folgenden Eintragung der Namen im Stadtbuch rechtlich vollzogen war. Vgl. dazu Friedberg, Emil: Das Recht der Eheschließung. Leipzig 1865, S. 695. 348 Vgl. dazu Gutachten Pfeiffer (29. Januar 1811), gedr. bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 327– 332, S. 327f. 349 ALR, 2. Teil, 11. Tit., § 36. 350 Zit. nach Heinsius, Theodor [u. a.] (Hrsg.): Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals. Herausgegeben im amtlichen Auftrage von den Geheimen Ober-Tribunals-Räthen Bettwach, Becker, Heinsius. Bd. 29, No. 45. Berlin 1855, S. 364.
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um eine prinzipielle Entscheidung, die kollektiv für alle Angehörigen einer nicht christlichen Religionsgemeinschaft getroffen wurde. Diese Interpretation des § 36 stand jedoch im Widerspruch zu den Absichten der Gesetzkommission. Gegenüber einer früheren Fassung dieser Bestimmung wurde hier kein ausdrückliches Verbot der Ehen „zwischen Christen mit Heiden, Muhammedanern und Juden“351 ausgesprochen, denn die Gesetzkommission entschied, „dass es dem aufgeklärten Zeitgeist nicht gemäß sei, die Ehen wegen Religionsverschiedenheiten zu verbieten“.352 In der Diskussion um den mehrmals umformulierten Paragrafen wurde vielmehr deutlich, dass die individuelle Entscheidung maßgeblich sein sollte: Einerseits sollte der Paragraf entfallen, „weil die Religion bei der Ehe gar nicht in Anschlag kommen dürfe“353 und argumentiert wurde mit dem aufgeklärten Zeitgeist, nach dem eine Ehe als private Angelegenheit betrachtet werden sollte: „Dünkt sich der Christ mit einer Türkin oder Jüdin glücklich, so sehe ich nicht ab, was gerade der Staat darunter leide.“354 Andererseits wurde ebenfalls aus Gründen von toleranten Grundsätzen auf einem ausdrücklich beizubehaltenden Reglement der endgültigen Fassung in § 36 bestanden. Denn solange die Frage nicht gesetzlich geregelt war, sah zumindest Svarez keine Möglichkeit, wie solche Ehen geschlossen werden konnten. Er begründete seine Ansicht durchaus positiv und unter Betonung der Individualrechte: Warum will man die Ehen zwischen Juden und Christen so schlechterdings verbieten? In den christlichen Ehegesetzen ist nichts, dem sich eine Jüdin nicht unterwerfen könne. Findet sie also in der Trauungsliturgie keinen Anstoß, so mag sie ein Christ immer heiraten.355
Mit einer Kurzreplik auf christlich religiös motivierte Gegner der Mischehe stellte er einen Vergleich zwischen zwei historischen Situationen her, in denen sich die Mehrheitsverhältnisse allerdings deutlich gewandelt hatten. Im 1. Jahrhundert nach Beginn unserer Zeitrechnung setzte sich die Gemeinde der Gläubigen in Jerusalem um den als Christus anerkannten Jesus von Nazareth aus Juden und vorwiegend getauften Juden zusammen. Eheliche Verbindungen zwischen einem getauften und (noch) ungetauften Partner waren ausdrückliches Missi351 In der urspr. Fassung lautete der Paragraf: „Der Unterschied der Religionen verhindert die Ehen der Christen mit Heiden, Muhammedanern und Juden“. Zit. n. Friedberg, Emil: Das Recht der Eheschließung. Leipzig 1865, S. 703. 352 Falkson, Ferdinand: Gemischte Ehen zwischen Juden und Christen, Bd. 1. Hamburg 1847, S. 15. 353 Friedberg, Recht, S. 704. 354 Lamprecht, zit. n. ebd. 355 Svarez, zit. n. ebd.
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onsziel. Daher war die Aussage der folgenden Bemerkung von Svarez im historischen Kontext besehen, nicht wirklich überraschend: „Erlaubte doch Paulus, dass Christen sich mit Heiden verheiraten durften.“356 Im Zusammenhang mit der Argumentation von Svarez ging es jedoch um die in christlichen Kreisen anerkannte und unbestrittene Autorität des Paulus als Missionar und Apostel. Wenn sogar ein Apostel die Mischehe befürwortet hatte, dann sollten die Einwände nachfolgender und weniger verdienstvoller Christen für die Gesetzgebung ohne vergleichbaren Belang sein. Tatsächlich wurde jedoch mit der Definition der Ehe als christliche Institution die Möglichkeit der gemischten jüdisch-christlichen Eheschließung verhindert. Denn mit der Ergänzung in § 136, nach der eine „vollgültige Ehe durch die priesterliche Trauung vollzogen“357 werden musste, lag die anerkannte Rechtmäßigkeit der Eheschließung ausschließlich in den Händen der Großkirchen. Formal oblag die Entscheidung zwar dem Pfarrer/Priester, dem war jedoch nach kirchlichen Grundsätzen eine Trauung von Christen und Nichtchristen untersagt.358 Hierbei blieb unberücksichtigt, dass die Ehe nach Luther kein Sakrament, sondern „ein weltlich geschefft ist, [dem nach] gebürt uns geistlichen odder kirchendienern nichts darynn zu ordnen oder zu regiern“.359 Lediglich eine von den Eheparteien gewünschte Segnung in einer Zeremonie zur Eheschließung fiel in den Zuständigkeitsbereich der Kirche und ihrer Vertreter. Ferner besagte § 137: „Zwischen Personen fremder im Staate geduldeter Religionen wird die Vollziehung einer vollgültigen Ehe lediglich nach den Gebräuchen ihrer Religion beurteilt.“ 360 Demnach galt eine Jüdin oder ein Jude auch nach dem ALR nur dann als rechtmäßig verheiratet, wenn die Ehe nach den jüdischen Zeremonialgesetzen von einem Rabbiner in der Synagoge geschlossen wurde. Daraus folgte aber, dass auch Rabbiner der geduldeten jüdischen Religionsgesellschaft als Ehestifter befugt waren und nach jüdischem Ritus vollzogene Ehen als rechtmäßig betrachtet wurden. Diese Bestimmung schloss jedoch real die rechtmäßige Trauung einer ungetauften Jüdin oder eines ungetauften Juden in einer Kirche aus. In der Dis356 Svarez, zit. n. ebd. 357 Friedberg, Emil: Lehrbuch des Katholischen und des Evangelischen Kirchenrechts. Leipzig 1884, S. 370. 358 Ebd. 359 Vgl. dazu Luther, Martin: Ein Traubüchlein für die einfältigen Pfarrherr (1529). In: Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 30.3. Weimar 1910, S. 43–80, S. 74f. Bereits vor Beginn der Naturrechtslehre des 17./18. Jahrhunderts begann in Europa eine Emanzipation von der kirchlichen Oberhoheit zum Eherecht, die z. B. bereits 1580 in den Provinzen Holland und Westfriesland, also schon vor 1792, eine fakultative Eheschließung für reformierte Gläubige vor einem staatlichen Beamten oder einem Pfarrer möglich machten. 360 Friedberg, Recht, S. 692.
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kussion um den 1784 erstmals publizierten Entwurf des ALR, der den preußischen Behörden ebenso wie den Ständen zur Begutachtung zugeschickt wurde, hatte insbesondere der Passus „eine vollgültige Ehe wird durch priesterliche Trauung vollzogen“361 eine nicht unbedeutende Reaktion hervorgerufen. Emil Friedberg hat das Material gesichtet, und aus seiner Zusammenstellung ergibt sich ein differenziertes und gleichzeitig auch „fortschrittliches“ Meinungsbild, das er jedoch persönlich als „meist von einem flach rationalistischen Geiste dictiert“362 beurteilte: „Eine ganze Zahl von ihnen [Aktenstücke betreffs Beurteilungen und Verbesserungsvorschläge, Anm. d. Verf.] befürwortete die Einführung der Civilehe; viele durch das Muster des holländischen Rechts bewogen.“363 Er zitierte folgend aus einem Schreiben des Gerichtsrates Globig aus Dresden, in dem es heißt: Mehrere protestantische Rechtslehrer halten die priesterliche Trauung nicht für ein wesentliches Erfordernis. Sie dient dazu dem ehelichen Vertrage ein feierliches Ansehen zu geben. Eigentlich sollte es aber der weltlichen Obrigkeit zukommen, bey der Vollziehung dieses Vertrages durch Zusammengebung beyder Theile mittelst Fertigung einer gerichtlichen Registratur hauptsächlich zu concurriren.364
Andere, unter ihnen namentlich die Landstände des Herzogtums Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld, wollten wenigstens die Dissidenten, denen die kirchliche Trauung widerstrebe, davon befreit wissen, oder doch Personen „fremder im Staate berechtigter oder geduldeter Religionspartheien gestatten, lediglich ihren Kirchengebräuchen zu folgen“.365 Dennoch behielten die Redaktoren die kirchliche Eingehungsform der Ehe bei. Nach Friedberg nicht aus „besonders religiösen Motiven“,366 sondern weil sie „in der Sitte des Volkes feste Wurzeln geschlagen hatte“367 und das Gesetzbuch nur für preußische christliche Untertanen bestimmt sei, „und unter diesen gibt es keine Religionspartei, welche die Trauung nicht annähme.“368 Eine Generation später bezog sich Assessor Pfeiffer in seinem Gutachten zum 1. Entwurf Raumers (1811) auf das Ergebnis der Diskussion zu ALR, 2. Teil, 11. Tit., § 36 und nicht auf einzelne Argumente der vorangegangenen Diskussion. Dass die Regelung bereits zu ihrer Entstehungszeit umstritten war, ist seinem Gutach361 ALR, 2. Teil, 11. Tit., § 136. 362 Friedberg, Recht, S. 692. 363 Ebd. 364 Ebd. 365 Friedberg, Recht, S. 695. 366 Ebd. 367 Ebd. 368 Ebd.
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ten nicht zu entnehmen. Zwei Jahre zuvor war Staatsrat Nicolovius in seinem Gutachten (1809) zum Entwurf Schroetters bereits auf die Praxis und die Realität der gemischten Eheschließung zwischen konvertierten jüdischen und christlichen Partnern eingegangen: Die Hoffnung der Verschmelzung, worauf in den Erläuterungen zu dem Entwurf der Verordnung und in einigen der anliegenden Vota viel gebaut wird, scheint mir - so gut das in der Erläuterung ad § 27 gehoffte Mittel dazu schon im Gange ist - nur schwach […].369
Dass die angestrebte volle Eingliederung der Juden in eine neu entstehende bürgerliche Gesellschaft faktisch auch die Gefahr einer Auflösung des traditionellen Judentums beinhalten konnte, haben sowohl jüdische und christliche Emanzipationsbefürworter wie auch ihre Gegner gesehen, befürwortet oder befürchtet.370 Aber vor dem Hintergrund, dass Juden mehrheitlich noch am Rande der christlichen Ständegesellschaft lebten und ihr Verhältnis zur Umwelt eher vom Gegensatz zum christlichen Umfeld geprägt war,371 musste die Symbiose jüdischer und christlicher Identität in einer Ehe, insbesondere bei der älteren Generation, auf Kritik stoßen. Was also einerseits als Konfliktstoff zwischen orthodoxen Juden und Anhängern eines reformierten Judentums gedeutet werden könnte, war andererseits auch Ausdruck eines Generationenkonflikts zwischen jungen und alten, eher traditionell lebenden Juden. Unterschiedliche Auffassungen über die Konversion zum Christentum zeigten sich auch bei den jüdischen Aufklärern. Vertrat die erste Generation der jüdischen Aufklärung, insbesondere Moses Mendelssohn, noch die Position, dass eine rechtliche und gesellschaftliche Verbesserung der Juden in einer bürgerlichen Gesellschaft nicht die Aufgabe jüdischer Religion und Tradition, sondern eine auf Gegenseitigkeit gegründete Akzeptanz von Christen und Juden in einem auf Vernunft gegründeten und universalen Deismus beinhalten sollte, so zeigte sich in der zweiten Generation, vertreten durch David Friedländer oder Wolf Davidson, die Auffassung, dass es zwar keinen wirklich moralischen Grund für einen aufgeklärten Juden gab, ein 369 Gutachten Nicolovius (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 282. 370 Gedacht ist hier an die Generation von David Friedländer und Wolf Davidson, die zeitweise eine vollständige Vereinigung zwischen Juden und Christen anstrebten. Vgl. dazu Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 86ff. Im Gegensatz dazu stehen die Positionen der streng religiösen Juden, die ein reformiertes Judentum ebenso ablehnten wie den Übertritt zum Christentum. Siehe dazu Lowenstein, Steven M.: Soziale Aspekte der Krise des Berliner Judentums 1780–1830. In: Awerbuch, Marianne/Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Bild und Selbstbildnis der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Berlin 1992, S. 81–105, S. 98f. und Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 86ff. 371 Vgl. dazu Meiring, Kerstin: Die christlich-jüdische Mischehe in Deutschland 1840–1933. Hamburg 1998, S. 16f.
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aufgeklärter Christ zu werden. Aber es gab ein praktisches Motiv: die politische und wirtschaftliche Benachteiligung der Juden.372 Die Konversion als Motiv für eine Mischehe sollte sich nach Davidson längerfristig erübrigen. Waren die Juden Preußens dank der Aufklärung auch weit vorangekommen und hatten ihre überlebte Tradition hinter sich gelassen, so sollte das Ziel dieses Fortschritts sein, eine vollständige Vereinigung von Christen und Juden mittels der gesetzlichen Förderung einer uneingeschränkten Heirat ohne Konversion umzusetzen.373 In diesem Sinne erläuterte auch Staatsrat Schmedding (1809) in seinem Gutachten zum Entwurf Schroetters seine Vorstellung über eine gesetzliche Erlaubnis der Mischehe. Die jüdisch-christliche Mischehe stand für ihn allerdings am Ende eines Amalgamationsprozesses zwischen christlichen und jüdischen Preußen. Sie war gleichzeitig Belohnung und Anerkennung für gelungene Assimilationsbemühungen, nicht aber Methode der Amalgamation: Übernimmt der Jude alle Pflichten anderer Bürger: so ist auch kein Grund 1. Die Beschränkung der Ehen überhaupt, 2. Das Eheverbot mit Christen ferner bestehen zu lassen. Denn ad 1, seine Vermehrung ist nun nicht mehr schädlich […]. ad 2. Es ist nicht mehr bedenklich, ihn in Familienbande mit den übrigen Untertanen treten zu lassen; vielmehr muß dies jetzt erwünscht sein.374
Bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts hatte sich ein Wandel in der Beurteilung der jüdisch-christlichen Mischehe vollzogen. Und er zeigt sich vielleicht am deutlichsten in den Werken von Gotthold Ephraim Lessing.375 In seinem Lustspiel Die Juden (1749) demonstrierte er, dass auch bei einem Volk, welches die Christen so lange als Feinde Jesu verleumdet hatten, ein „ehrlicher Mann“ gefunden werden könnte. Das Stück handelt von einem namenlosen Reisenden. Er rettet einem Baron bei einem Überfall durch Straßenräuber, die jener irrtümlich für Juden hält, das Leben. Und im Laufe der Handlung tritt der vornehme und edelmütige Charakter des namenlosen Reisenden immer mehr zutage. Am Ende, als der Baron nahe daran ist, dem Reisenden seine Tochter zur Frau zu geben, offenbart der Reisende, dass er Jude ist. „Natürlich kann die Heirat jetzt nicht mehr stattfinden, aber die Dankbarkeit des Barons bleibt ebenso grenzenlos.“376 Deutet Lessing in diesem Stück einen stillen unausgesprochenen, allenfalls vielleicht 372 Vgl. dazu Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 84. 373 Ebd. 374 Gutachten Schmedding (1809), zit. n. Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 289. 375 Seine Dramen werden als beispielhafte Verwirklichung seiner Theorien zur bürgerlichen Entwicklung im 18. Jahrhundert beurteilt. Nach Meyer glaubte Lessing an die Fähigkeit tätiger Humanität, die alle religiös-konfessionellen Gegensätze überwinden könnte. Vgl. dazu u. a. Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 19ff. 376 Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 20.
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bedauerten gesellschaftlichen Konsens zwischen Christen und Juden an, der eine eheliche Verbindung völlig ausschloss, so verarbeitete er in seinem Drama Nathan der Weise, 1783 in Berlin uraufgeführt, eine, insbesondere für die jüngere Generation, modernere Position zur Mischehe: Lessing hat eine Parabel entworfen, die aufzeigen soll, wie religiöse, nationale und ständische Intoleranz durch menschliches Handeln besiegt werden kann. Spielt das Drama auch während des Dritten Kreuzzuges von 1189 bis 1192, der Zeit des feudalen Hochmittelalters, so geht es doch ausschließlich um die moderne humanistische Idee, in der die Figur des weisen Nathan Vorbildcharakter erhält. Auch hier findet sich das Motiv der Liebenden, personalisiert in Recha, der Tochter Nathans, und ihrem Retter vor dem Feuertod, dem christlichen Ritter und Tempelherren Curd von Stauffen. Aber anders als im o. g. Stück wird die Klippe der von beiden Liebenden gewünschten Heirat geschickt umschifft. Denn der wahre Grund für Nathans zögerliche Haltung gegenüber dem Werben des christlichen Tempelherren ist die enge verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Liebenden, die beiden erst offenbart werden muss. Natürlich kann, nachdem sich herausstellt, dass beide trotz verschiedener Ziehväter Bruder und Schwester sind, auch diese Ehe nicht stattfinden. Aber der Gedanke einer ehelichen Verbindung erscheint nicht mehr als Tabu, sondern wird ausgesprochen und gefordert. Zehn Jahre später reagierten zwei bekannte jüdische Aufklärer auf die „Vorstufe“ einer bereits gewandelten Einstellung jüdischer Frauen gegenüber vorehelichen Verhältnissen mit christlichen Männern. Isaac Euchel und Aron Wolfsohn thematisierten in ihren Theaterstücken Reb Henoch (um 1793) und Leichtsinn und Frömmelei (um 1796) die Gefahr, dass sich oberflächlich aufgeklärte junge jüdische Frauen durch Leichtsinn in Liebesbeziehungen zu christlichen und vornehmlich adligen Männern einließen.377 Beide Autoren ließen die Frauen auf tragische Weise scheitern und empfahlen dem Publikum in der Moral ihrer Stücke, adlige und christliche Verehrer ebenso abzuweisen wie orthodoxe Juden. Gleichfalls existierten durchaus Reaktionen bzw. Strategien zur Verhinderung oder Begrenzung der letzten Konsequenz, der Taufe zwecks Eheschließung: einerseits auf persönlicher, familiärer Ebene, die andererseits auch einen rechtlichen und damit öffentlich-politischen Charakter erhielt. Das folgende Beispiel bezieht sich auf eine vorbeugende Maßnahme, den Religionswechsel der erwachsenen Kinder zu verhindern bzw. zu erschweren. 377 Siehe dazu Strauss, Jutta: Issak Euchel und Aaron Halle-Wolfsohn – Strategien literarischer Mehrsprachigkeit. In: Aptroot, Marion/Kennecke, Andreas/Schulte, Christoph (Hrsg.): Isaak Euchel. Der Kulturrevolutinär der jüdischen Aufklärung. Großburgwedel 2010, S. 341–365. Siehe auch alle weiteren Aufsätze zu Isaak Euchel und im Besonderen Och, Gunnar: Die Komödie der Berliner Haskala – soziokulturelle Bedingungen und theatrale Muster. In: Ebd., S. 277–294.
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Exemplarisch kann der Fall der Familie Fliess jedoch nur für Maßnahmen der wenigen wohlhabenden jüdischen Familien378 stehen: Der Isaac-Fliess-Fall begann in den 1780er-Jahren, als zwei der Töchter von Moses Isaac, auch Moses Fliess379 genannt, ihre Familien verließen, um ihre nichtjüdischen Geliebten, Kriegsrat von Bose bzw. Leutnant von Runkel, zu heiraten. Spektakulär wurden diese Verbindungen im Zusammenhang mit dem Erbe des Vaters, denn nach einer Klausel im Testament sollten die Kinder vom Familienerbe ausgeschlossen werden, welche ihre Religion wechselten. Die Schwestern fochten das Testament an und bestanden auf ihrem Anteil am Familienerbe. Moses Isaac Fliess hatte jedem seiner Kinder einen Anteil von 96.000 Thalern als Erbe zugeteilt und darüber hinaus einen Fideikommiss380 von einer viertel Million Thalern eingerichtet und bestimmt, dass dasjenige seiner Kinder, „welches nicht bei der jüdischen Religion bleiben würde“,381 weder Anspruch auf die Zinsen noch auf das Kapital erheben könne. Nach seinem Tod (Mai 1776) traten die o. g. Schwestern zum Christentum über und verlangten vor Gericht die Berücksichtigung ihrer Männer an dem Familienvermögen. Das Berliner Kammergericht gab ihnen Recht, das Obertribunal wies die Klage ab. König Friedrich Wilhelm II. teilte seine Zufriedenheit über das letztere Urteil mit: […] weil ich niemals gestatten werde, daß die strengste Gerechtigkeit auf irgendeine Weise gehindert und das Recht gebeugt werde; sondern ein jeder Untertan, er sei Jude oder Christ, soll sich des Schutzes der Gesetze zu erfreuen haben. (1786) 382
378 In den Jahren zwischen 1780 und 1800 lebten in Berlin um die 3.300 Juden, davon ca. 800 mit originären Aufenthaltsrechten oder abgeleiteten Privilegien. Vgl. dazu die Kategorien bei Bruer, Geschichte der Juden, S. 71ff. oder auch die komprimierte Darstellung bei Schenk, Wegbereiter, S. 71ff. Ca. 10 % galten als wohlhabend, 25 % waren mittelmäßig begütert und über 60 % lebten am Existenzminimum. Die Familie Isaac Fliess gehörte, wie die Familien Itzig und Ephraim, zur Oberschicht des Berliner Judentums. Bruer, ebd. 379 Moses Isaac Fliess hatte sein Vermögen als Entrepreneur während des Siebenjährigen Krieges erworben und gehörte zu den ersten vermögenden Berliner Juden, die ihren Lebensstil der Oberschicht anpassten. Die älteren Mitglieder der Familien blieben dem traditionellen Judentum verpflichtet. Ihre Kinder erhielten dennoch eine an den Idealen der Aufklärung orientierte Bildung. Das betraf sowohl die Töchter wie auch die Söhne. Vgl. dazu Lowenstein, Aspekte, S. 84ff. 380 Fideikommiss (lat.: „Fidei commissum“ – zu treuen Händen belassen) versteht sich als Rechtsklausel, nach der ein Familienvermögen, in den meisten Fällen bestehend aus Grundbesitz, in die Hand eines Nachkommen vererbt wurde, und war seit dem 17. Jahrhundert insbesondere im niederen Adel gebräuchlich. Wie folgend deutlich werden wird, war die Einrichtung eines Fideikommiss auch in der Berliner jüdischen Oberschicht gebräuchlich. 381 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 206. 382 Ebd.
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Im Verlauf dieser Erbstreitigkeiten wurden verschiedene Gutachten erstellt, die den Passus „nicht bei der jüdischen Religion bleiben“ interpretieren sollten. Im Sinne der Schwestern verfasste der Orientalist und Exeget Prof. Oluf Gerhard Tychsen ein Gutachten, in dem er darlegte, dass mit der Klausel ein „Uebergehen zu den Gottesleugnern, dem Epikuräismus und anderen freigeisterischen Secten“,383 nicht aber eine Annahme des Christentums gemeint sei, denn sonst wäre dies ausdrücklich genannt und das Testament nicht bei einem christlichen Gericht deponiert worden. Die Geschwister wandten sich an den Propst und Oberkonsistorialrat Wilhelm Abraham Teller, der wiederum mit einem Gegengutachten versuchte nachzuweisen, dass nach „dem Gemeinsinn, dem Sprachgebrauch und nach dem Geiste des Judentums“384 die genannte Klausel nichts anderes bedeuten könne, als zum Christentum überzutreten. Die von den Gelehrten disputierte Frage wurde von den Gerichten nicht entschieden. 1787 endete die Erbstreitigkeit mit einem Vergleich, einer Bestätigung des preußischen Königs und dem Verbot, einschränkende Klauseln in Testamenten zu verankern.385 Der Prozess wurde zwar erst zur Zeit Friedrich Wilhelms II. entschieden, jedoch noch zur Zeit Friedrichs II. angestrebt. Nach Geiger hegten auch andere wohlhabende Berliner Juden die Befürchtung, dass auch ihre letztwilligen Verfügungen durch die Kinder, welche noch zu ihren Lebzeiten oder nach ihrem Tode zum Christentum übergingen, missachtet würden. Als Beispiel führt Geiger Daniel Itzigs Schreiben vom März 1785386 an, der mit diesem Gesuch an den König seiner Befürchtung Ausdruck gab, dass seine Kinder, auch wenn sie „sich jetzt gut aufführten“,387 nach seinem Tod die von ihm „zum Besten des Landes errichteten Etablissements vernachlässigen“388 oder dem Beispiel der Moses Isaac’schen Kinder nacheifern könnten, „wovon ein Sohn meine Tochter geheiratet hat“.389 Getragen wurde das 383 Ebd. 384 Ebd. 385 Nach der KO vom 4. November 1786 wurde festgesetzt, „dass von nun an, in allen von Erblassern jüdischer Nation künftig zu errichtenden, sowie in den noch nicht publizierten Testamenten und anderen letztwilligen Dispositionen, die mit Zuwendungen einer Erbschaft, eines Vermächtnisses oder anderen Vorteils verbundene Bedingungen, wenn der Erbe oder Legatarius bey der jüdischen Religion verharren, oder wenn er zur christlichen Religion nicht übergehen würde, für nicht geschehen und unverbindlich geachtet, mithin der gleichen Erbschaft oder Legat denjenigen, welchen sie zugedacht worden, ohne daß derselbe an diese Bedingungen gebunden sey, verabfolgt und gelassen werden solle.“ Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 206. 386 Vgl. dazu Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 209. 387 Ebd. 388 Ebd. 389 Ebd. Gemeint ist Sara Itzig, die mit Dr. Joseph Fliess verheiratet war und deren Ehe kinderlos blieb. Fliess konvertierte nach dem Tod seiner Frau und heiratete seine langjährige Geliebte, mit der er mehrere Kinder hatte. Siehe dazu Lowenstein, Aspekte, S. 90.
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Schreiben von der Bitte, das nach seinem Tode auffindbare Testament ebenso wie das des Schwagers Moses Isaac „in allen Punkten und Klauseln aufrecht zu erhalten und dagegen keine Processe abseiten derer Nachkommen zur Vernichtung derer gemachten Verfügungen zu gestatten [seien]“.390 In einer Antwort, die Daniel Itzig über den Großkanzler zugeleitet wurde, bezog sich der preußische König ausschließlich auf die Familie Itzig, den Erhalt der Lederfabrik in Potsdam und den finanziellen Aspekt der Bitte: So sollte auf „die Fabriken und andere Etablissements“391 Rücksicht genommen und keine „nur Geld versplitternde Processe“392 gestattet werden. Ferner sollte Daniel Itzig sein Testament zwecks völliger Absicherung den Gerichten zur Einsicht und Prüfung vorlegen. Das Testament des verstorbenen Veitel Heine Ephraim,393 1774 verfasst, enthielt eine genauere Klausel bezüglich der Erbberechtigung konvertierter Familienmitglieder. Den Testamentsverwaltern wurde ausdrücklich freigestanden, jetzige und zukünftige Erben vom Fideikommiss gänzlich auszuschließen, „[…] wenn derselbe die mosaischen Gesetze oder gar die Religion seiner Väter verlassen sollte, auf eine Zeitlang; und sich derselbe binnen zwei Jahre nicht gebessert habe“.394 Da die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Einschränkung der Erbberechtigung im Ephraimschen Testament erst 1804 aktuell wurde und zu dieser Zeit bereits das ALR galt, wurde auf die Frage, ob speziell ein Nutznießer oder Anwärter des Ephraimschen Fideikommisses, wenn er jetzt zur christlichen Religion übergehe, deshalb von demselben ausgeschlossen werden könne, auch nach dem ALR entschieden. Zur Anwendung kam in diesem Fall ALR, 2. Teil, 11. Tit., § 2, der besagte, dass „jedem Einwohner eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit gestattet werden müsse“. Bezüglich der auferlegten Bedingungen, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes verfasst worden waren, wurde nach ALR, 1. Teil, 12. Tit., § 63 entschieden. Die einschränkenden Testamentsklauseln waren als ungültig zu bewerten, auch „wenn es in letztwilligen Verordnungen einem Erben oder Legatario gleichwohl auferlegt worden“.395 Es soll an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass sich das patriarchalische Interesse der wohlhabenden Hausväter nicht allein auf die eigene Familie bezog. Als Älteste der Berliner Gemeinde setzten sie sich für eine Verordnung ein, 390 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 209. 391 Ebd. 392 Ebd. 393 Veitel Heine Ephraim galt als erfahrenster Münzunternehmer seiner Zeit und stieg während des Siebenjährigen Krieges zu den reichsten Familien Preußens auf. Siehe u. a. Bruer, Geschichte der Juden, S. 86ff. 394 Art. 9 des Testaments. Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 210. 395 ALR, 1. Teil, 12. Tit., § 63.
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die besagte, dass u. a. Dienstboten nur mit der von den Ältesten beglaubigten Bewilligung der jeweiligen Brotherrschaft getauft werden konnten und daß in den Fällen, da wieder jüdische Kinder oder Dienstboten zur christlichen Religion übergehen wollen, die ihrer vorherigen Aufführung und Lebenswandels halber von ihren Eltern oder Brotherrschaften ausgestellten Atteste, wenn diese von denen Aeltesten jeden Ortes nach vorgängiger Erkundigung mitunterschrieben sind, als glaubhafte erachtet werden sollen. (23. August 1778)396
Das preußische Konsistorium erhob zwar Widerspruch, weil die Taufe von Dienstboten und Kindern damit fast unmöglich gemacht würde, u. a. deshalb, weil „man weiß, mit welcher bittern Verabscheuung die Juden die Glaubensänderungen der Ihrigen ansehen und zu verhindern suchen“397(November 1778). Da jedoch als letzte Instanz die Gerichte die ausgestellten Zeugnisse auf „üble Nachrede“398 überprüfen sollten, und damit letztlich auch die Angaben der Ältesten kontrolliert würden, wurde dieser Einwand abgewiesen (Dezember 1778). In wissenschaftlichen Publikationen wurde u. a. auch von einer „Taufwelle“399 im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gesprochen. In der sogenannten „Judenkartei“400 des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bewegt sich die Zahl der dokumentierten weiblichen und männlichen Taufen im Zeitraum von 1770 bis 1780 (in Berlin) zwischen fünf Getauften in den Jahren 1770/71 bis zu maximal zwölf Getauften in den Jahren 1774/1778. Ein Deka-
396 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 230. Diese Aufsichtspflicht gehörte u. a. zu den originären Aufgaben der Ältesten, die öfter anmerkten, dass „sich nicht allein viele fremde Juden in Berlin aufhalten, sondern sich täglich immer mehr einschleichen, da einige hiesige Juden, wenn sie aus fremden Ländern ihre Verwandten, Freunde, auch Dienstmägde und Knechte hierher kommen lassen, dieselben obwohl sie nicht privilegiert seien, aneinander verheiraten, unter dem Vorwand, sie gehören zu ihrer Familie.“ Vgl. auch Bruer, Geschichte der Juden, 97ff. und Kapitel 4.2 dieser Arbeit. 397 Zit. n. Geiger, Geschichte der Juden, Erg. I, S. 230. 398 Ebd., S. 231. 399 Lowenstein, Aspekte, S. 95; Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Frankfurt a. M. 1991, S. 21. 400 Es handelt sich hierbei um zwei Karteien: 1. Für den Zeitraum 1645–1800 erfasst die Kartei unter der handschriftlich zugefügten Bezeichnung „Fremdstämmig“ neben den Taufkarten jüdischer Täuflinge auch die von „Mohren und Zigeunern“. 2. Bei den Taufkarten ab 1800 handelt es sich um eine spezifizierte Kartei, die ausschließlich die Taufen von Juden vermerkte. Die Abstammung/Religion wurde gut sichtbar am oberen Rand der Karte vermerkt. Für den Zeitraum bis 1800 lassen sich jedoch weder ganze „Familientaufen“ noch „Massentaufen“ belegen. Siehe zur Entstehung der Kirchenbuchstelle Gailus, Manfred: Beihilfe zur Ausgrenzung. Die „Kirchenbuchstelle Alt-Berlin“ in den Jahren 1936 bis 1945. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1992), S. 255–280.
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densprung zeigt sich im Jahr 1784, in dem erstmals fünfundzwanzig Taufen dokumentiert wurden. Ab 1795 steigt die Zahl zwar an (36), fällt aber in den Jahren 1798/99 ab (30). Bei kleinteiliger Betrachtung handelte es sich eher um eine Aufund Abbewegung, auch wenn die Rate bis 1840 anstieg. Hierbei sollte beachtet werden, dass es sich bei der Konversion der Frauen (Berlin) in absoluten Zahlen um maximal neun Frauen im Jahr 1784 und um fünfzehn Frauen im Jahr 1792 handelte. In den übrigen Jahren konvertierten drei bis sechs weibliche Personen pro Jahr. Im Zeitraum zwischen 1780 bis 1805 wurden 64 Frauen getauft. Allerdings war die Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen hierbei überrepräsentiert.401 Sucht man also nach einem Ort, an dem gebildete und erwachsene jüdische Frauen in einem privaten und nicht öffentlichen Raum gesellschaftlichen Kontakt mit nichtjüdischen Männern pflegen konnten, fällt der Blick unweigerlich auf die Berliner Salons, die von jüdischen Frauen initiiert und in vielen Fällen mit Unterstützung ihrer Ehemänner geführt wurden. Erstmals wurde dort der gesellschaftliche Umgang mit Nichtjuden aus der Aristokratie, dem Militär, der Kunst und der Wissenschaft gepflegt.402 Allerdings spielten jüdische Männer hier keine besondere Rolle. Vielmehr stellten jüdische Frauen rund ein Viertel der weiblichen Besucher. Nach Hanna Rheinz suchten die Frauen nach einem gemeinsamen Weg, um dem „äußeren und inneren Ghetto zu entkommen“.403 Diese Einschätzung basiert auf Dokumenten von Henriette Herz und Rahel Levin, in denen eine Entfremdung von den eigenen jüdischen Wurzeln beschrieben wurde. Die Klage innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, eine „marginale Existenz“ 404 geführt zu haben, wird nach Rheinz ebenso deutlich wie der Versuch, durch Taufe, Namensänderung und Heirat eine christlich-deutsche Identität anzunehmen. Dennoch soll hier angemerkt werden, dass diese Kette der Transformation keinen zwang401 Vgl. dazu die entsprechenden Mikrofiches in der Datei. Vorhanden ist auch eine kleine Datei über die jüdisch-christlichen Mischehen, die sich auf den letzten Fiches zu den Taufkarten befindet und nicht extra katalogisiert wurde. 402 Das Salonleben spielte sich im Wesentlichen in neun Häusern bzw. Wohnungen von Frauen ab und insgesamt zählten zwischen 1780 und 1806 etwa 90 Personen zu den Besuchern der Berliner Salongesellschaften. Sechs Salonièren waren jüdischer Herkunft, und der Anteil der jüdischen Teilnehmer lag bei 20 bis 25 %. Einem Anteil, der gemessen an der Gesamtbevölkerung Berlins nur 2 % ausmachte und damit auf überdurchschnittliche Repräsentation hinweist. Vgl. dazu Bruer, Geschichte der Juden, S. 214ff. Vgl. zum „Prototyp“ des Berliner Salons den Salon Herz, in: Wilhelmy-Dollinger, Petra: Emanzipation durch Geselligkeit. Die Salons jüdischer Frauen in Berlin zwischen 1780 und 1830. In: Awerbuch, Marianne/Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Bild und Selbstbildnis der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Berlin 1992, S. 121–138, S. 127ff. Vgl. zu den Gründen der weiblichen Dominanz Bruer, Geschichte der Juden, S. 215 403 Rheinz, Hanna: Die jüdische Frau. Auf der Suche nach einer modernen Identität. Gütersloh 1998, S. 57. 404 Ebd., S. 54.
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haften Charakter hatte, denn nicht alle Salonièren vollzogen die Taufe zwecks Heirat.405 Auch wenn die erste Ehe mit einem jüdischen Partner noch von den Eltern angebahnt worden war, so strebten die jüdischen Salonièren und Salonbesucherinnen als Witwen oder Geschiedene eine Ehe mit einem Aristokraten an, ein nach Rheinz, „typische[r] Karrieresprung deutsch-jüdischer Frauen im 18. und 19. Jahrhundert“.406 Dass jedoch eine direkte Verbindung zwischen Salonteilnahme und Mischehe existierte, stützen die Quellen nicht. Zwar lernten sich Dorothea Veit, geb. Mendelssohn, und Friedrich Schlegel im Salon von Henriette Herz kennen. Und eine weitere nachhaltige Begegnung scheint auch in der Verbindung Rachel Levin – Karl August Varnhagen in Philippine Cohens Salon stattgefunden zu haben. Aber in anderen Fällen, wie z. B. für die Verbindung Marianne Meyer Eybenberg– Heinrich v. Reuß, gibt es keinen Beleg für eine erste und folgenhafte Begegnung in einem der Salons. Die Salons dienten primär dem intellektuellen Dialog, aber damit waren nach Deborah Hertz „Begegnungen anderer Art natürlich nicht ausgeschlossen“.407 Denn immerhin die Hälfte von zwanzig jüdischen Salondamen ließen sich von ihren jüdischen Männern scheiden. Sieben heirateten nach ihrem Übertritt zum Christentum, fünf in die Aristokratie. Ein Motiv sieht Hanna Rheinz „im Austausch von Status, Wohlstand“408 als männlichem Habitus, dem der weibliche Habitus von „Schönheit unter dem Vorzeichen orientalisch-exotischer Attraktivität und Intelligenz“409 gegenüberstand. Dass darüber hinaus Ressentiments adliger Familien gegenüber den Kontakten mit jüdischen Salondamen existierten, deutet ebenfalls Henriette Herz an. Alexander v. Humboldt schrieb Henriette Herz in hebräischen Schriftzügen, die er von ihr erlernt hatte: In Briefen, deren Inhalt jedem zugänglich gewesen wäre, kundzugeben: man unterhalte sich besser in Gesellschaft jüdischer Frauenzimmer als auf dem Schlosse der Väter, war damals für einen jungen Edelmann nicht ganz unbedenklich.410
405 Vgl. dazu auch Meyer, Deutsch-Jüdische Geschichte, Bd. II: Emanzipation und Akkulturation, S. 190. Religiöse Gleichgültigkeit schließt er aufgrund vorliegender persönlicher Zeugnisse zumindest für Henriette Herz, Rahel Varnhagen, geb. Levin, und Dorothea Schlegel, geb. Mendelssohn, aus. 406 Rheinz, Identität, S. 58. 407 Hertz, Salons, S. 245. 408 Rheinz, Identität, S. 58f. 409 Ebd. 410 Herz, Henriette: Berliner Salon: Erinnerungen und Portraits. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen v. Ulrich Janetzki. Frankfurt a. M. [u. a.] 1984, S. 52f.
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Dennoch zählten junge Adlige zu den regelmäßigsten Besuchern der Berliner Salons. Die Gründe sieht Deborah Hertz in auffälligen Parallelen in der Lebensführung des Adels und wohlhabender städtischer jüdischer Familien: Das eigene Haus für Freunde und Bekannte zu öffnen, war einerseits ein traditionelles Privileg des Adels, das jedoch andererseits durch den Reichtum der Berliner jüdischen Oberschicht auch dieser, in der ständischen Hierarchie jedoch untergeordneten Gruppe, möglich wurde.411 Ferner umgaben sich jüdische Frauen mit einer „aristokratischen Aura“,412 die bisher adligen Frauen vorbehalten war, die jedoch aus der Sicht junger Adliger die Salondamen in den Rang potentieller Ehefrauen erhob. Ein gleichfalls gewichtiger Grund, der auch die Eheschließung erleichtern konnte, wenn nicht gar förderte, war die finanzielle Verflechtung und Abhängigkeit der Adligen vom Reichtum jüdischer Kaufleute. Die ökonomische Vorsorge preußischer Junker konnte die Wahl einer jüdischen, aber reichen Braut positiv beeinflussen.413 Die Wahl blieb zwar „Stein des Anstoßes“,414 da der soziale Status der Braut auch die gesellschaftliche Position der Verwandten des Partners beeinflusste. Aber eine Kompensation dieser Bedenken erfolgte auf materieller Ebene, ob nun in Form einer Erbschaft oder durch finanzielle Unterstützung durch die Familie der Braut, wie im Fall der Verbindung Marianne Devidel415 – Johann G. Schadow. Töchter aus reichem Haus brachten gewöhnlich Wohlstand, die Männer das gesellschaftliche Ansehen in die Ehe ein. Dieses Arrangement ging jedoch nur auf, wenn die Töchter mit dem Einverständnis und Wohlwollen der Eltern rechnen konnten und nicht enterbt wurden. Für die Frühromantiker im Berlin der Jahrhundertwende waren die Salons auch Foren des Austausches über die Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe. Die Frauenrolle, die junge Romantiker entwarfen, unterschied sich nach Meyer „radikal von jenen der Aufklärung und des traditionellen Judentums“.416 Nach romantischen Wertvorstellungen sollte die Frau seelisch und geistig unabhängig sein, sollte ihren Mann fordern, anspornen und seine geistige Entwicklung 411 Hertz, Salons, S. 255f. 412 Ebd. 413 Der folgende Text bezieht sich auf die Zeit vor 1808: Der Grundbesitz wurde in Preußen nicht an den Erstgeborenen, sondern parzelliert an alle männlichen Erben vererbt und infolge eines Geburtenzuwachses stieg die Anzahl der Erbberechtigten, und die Existenzsicherung in den ländlichen Provinzen wurde zunehmend schwieriger. Immer mehr junge Adlige zogen in die Stadt und konkurrierten dort um Stellungen in der Verwaltung und Armee. Aber adlige Offiziere verdienten selten genug, um ein standesgemäßes Leben zu führen und einen entsprechenden Hausstand zu gründen. 414 Hertz, Salons, S. 251. 415 Genannt bei Bruer, Geschichte der Juden, S. 217. 416 Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 106.
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steigern und zur Vollendung bringen. Zum Ideal wurden damit nicht die jungen unfertigen Mädchen, sondern reife, begabte und gebildete Frauen. Eine Einstellung, die gerade den reiferen, allerdings bereits verheirateten und somit älteren Salonièren entgegenkommen musste. Insbesondere scheint dies für Dorothea Veit, eine Tochter Moses Mendelssohns, gegolten zu haben, die, verheiratet mit dem jüdischen Kaufmann Veit, den jungen Friedrich Schlegel im Salon von Henriette Herz kennenlernte. Die Anziehungskraft des jungen Schlegel, der vom „völligen Aufgehen in die erotisch-intellektuelle Beziehung zu einer Frau“417 schwärmte, führte zu einer Liaison mit der sieben Jahre älteren Dorothea, die für die unglücklich Verheiratete zur Auflösung ihrer Ehe führte. Diese Ehe, vom Vater gestiftet, konnte nach den Moralvorstellungen der jungen Romantiker als eine „nicht auf Liebe gegründete Ehe“418 für ungültig angesehen werden. Geht es abschließend um die Frage, ob in den Salons eine „Symbiose zwischen Preußenund Judentum“419 stattfand, die sich längerfristig und aus der Retroperspektive betrachtet als „eine Juden- und Frauenemanzipation“420 erwies, so sind die Urteile der modernen Forschung fast einheitlich. Albert Bruer widerspricht der These ebenso wie Hanna Rheinz oder Hannah Arendt. Zwar belegen Zitate von Henriette Herz und Friedrich Schleiermacher, dass soziale Unterschiede in den Salons nur gering zählten, denn nach Henriette Herz war „der Geist [in den Salons] ein gewaltiger Gleichmacher“421 und nach Schleiermacher konnten, wenn die Beteiligten dazu bereit waren, „alle Beschränkungen der häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse auf eine Zeitlang“422 verbannt werden, so dass die Salons durchaus als Orte Gleichgesinnter wahrgenommen wurden. Die moderne Geschichtschreibung kam unter den Punkten Nachhaltigkeit und Egalität zu anderen Urteilen. 417 Rheinz, Identität, S. 64. 418 Meyer, Von Moses Mendelssohn, S. 108. Bei den Bemühungen, die Ehe aufzulösen, unterstützte sie neben ihrer Freundin Henriette Herz auch Friedrich Schleiermacher. Der Theologe und Prediger der Berliner Charité, auch Bewunderer, regelmäßiger Besucher des Herz-Salons und protestantischer Mentor von Henriette Herz, betrachtete das Christentum als höchste und lebendigste Stufe der Religionen. Das Judentum hingegen sah er als überholt an und legitimierte seine Ansicht mit der Beobachtung, dass „diejenigen, die jetzt noch seine Farben tragen, eigentlich klagend bei der unverweslichen Mumie [sitzen], und weinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlassenschaft“. Zit. n. Rheinz, Identität, S. 60. Sein Einfluss auf die spätere Konversion Dorotheas scheint jedoch, trotz der Freundschaft, begrenzt gewesen zu sein. Denn nach der Scheidung 1799 lebte Dorothea mit Schlegel in Berlin, Jena und Paris zusammen und wurde finanziell von ihrem geschiedenen Ehemann unterstützt. Erst 1804 konvertierte sie in Paris zum Protestantismus und heiratete am selben Tag Friedrich Schlegel. 419 Bruer, Geschichte der Juden, S. 211. 420 Ebd. 421 Herz, Berliner Salon, S. 52. 422 Schleiermacher zit. n. Bruer, Geschichte der Juden, S. 212.
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Nach Bruer waren die Salons nicht mehr als das „auffallendste Zwischenspiel in der Geschichte der deutsch-jüdischen Begegnungen“.423 Nach Arendt war der jüdische Salon das Produkt der „zufälligen Konstellation in einer gesellschaftlichen Übergangsepoche“.424 Und nach Rheinz entpuppte sich diese Phase bei genauerer Analyse als ein Prozess, „der – bei aller literarisch dokumentierten Bewunderung, die auch christliche Deutsche für die kulturellen Traditionen der deutschen Juden aufbrachten – am Ende doch einseitig auf Entjudaisierung des jüdischen Teils dieser symbiotischen Beziehung gerichtet war“.425 Damit entspricht diese Analyse teilweise und ungewollt auch den Absichten des ersten Entwurfverfassers. Die Mischehe im Entwurf Schroetters wurde als Methode zur Amalgamation installiert. Als ausdrückliches Motiv nannte der Minister die Möglichkeit, dass arrangierte Ehen mit Töchtern aus der schmalen vermögenden Oberschicht jüdischer Preußen zur Sanierung finanziell angeschlagener christlicher Familien führen könnten. Die Frage, ob der Staatsminister damit eine völlige Aufgabe der jüdischen Identität verband, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Da jedoch in allen Gutachten ausschließlich von der Verbindung „christlicher Mann – jüdische Frau“ ausgegangen wurde, scheint damit die Ehe nur unter der Dominanz des christlichen Ehemannes vorstellbar oder akzeptabel gewesen zu sein. Damit verlor die Ehefrau in der Mischehe ihre kulturelle und religiöse Bedeutung als Bewahrerin und Vererbende jüdischer Religiosität und Identität. Die Auflösung jüdischer Identität war in dieser Konstellation eine Folge der Verbindungen. Gleichfalls war die angedachte Verschmelzung für Minister Schroetter und die Befürworter des Paragrafen körperlich und familiär vorstellbar und damit letztlich auch gesellschaftlich akzeptabel. Der persönlichen Entscheidung vorbehalten, sollte die Ehe als bürgerlicher Vertrag geschlossen und gelöst werden können. Dass sich diese Vorstellung trotz bereits existierender Muster in anderen europäischen Staaten nicht durchsetzen konnte, lag einerseits in den ungelösten Fragen bezüglich der anfangs erwähnten Solennitäten begründet. Die Frage, inwieweit der Einfluss der Großkirchen und die „im Volk verankerte“ Form der kirchlichen Eheschließung die Entscheidung gegen die Mischehe beeinflussten, müssen speziellere Forschungen beantworten.
423 Bruer, Geschichte der Juden, S. 211. 424 Arendt, Hanna: Rahel Varnhagen. München 1959, S. 224. 425 Rheinz, Identität, S. 53.
9 Zusammenfassung Wie in der kurzen Vorgeschichte zum Aspekt der Einwanderung deutlich wurde, war Brandenburg-Preußen nach dem Dreißigjährigen Krieg ein Zuwanderungsland, in dem die Ansiedlung nützlicher Untertanen mit verschiedenen Maßnahmen gefördert wurde. Auch im entsprechenden Aufnahmeedikt (1671) für die jüdischen Einwanderer wurde versucht, Benachteiligungen und Ressentiments durch vorbeugende Anweisungen an die provinzialen und städtischen Behörden zu vermeiden. Eindeutige rechtliche Benachteiligungen zeigten sich im Verlauf der preußischen Herrschaftsgeschichte in der Zuspitzung und Verschärfung der Gesetzgebung, die speziell an und gegen die Judenschaften gerichtet war. Eine Maßnahme, die für sich, und über die solidarische Haftung, Vorurteile und Ressentiments förderte und im Zirkelschluss die Judenschaften rechtlich und gesellschaftlich benachteiligte. Dass die Aufklärung per se zur Anerkennung gleicher Rechte für die jüdischen Einwohner führte, konnte nicht bestätigt werden. Die ausführende Legislative setzte sich aus pragmatischen preußischen Beamten zusammen, die das Wohl des Gesamtstaates unter Vermeidung von Konkurrenzen und Unruhen als oberstes staatliches Prinzip dem Anliegen der jüdischen Funktionsträger als partielles Sonderinteresse gegenüberstellten. Die ebenfalls pragmatisch orientierte und konkrete Handlungsempfehlung des Staatsrates Christian Wilhelm Dohm erreichte die Beamtenschaft wesentlich nachhaltiger. Die rechtliche Gleichstellung musste demzufolge nicht nur von den Fürsprechern, sondern auch von den direkt betroffenen jüdischen Einwohnern ausgehen. Diese Initiative der wohlhabenden und einflussreichen Berliner Deputierten formulierte und begründete die Zuerkennung aller bürgerlichen Rechte für alle, nach unterschiedlichen Statuten, geduldeten/privilegierten jüdischen Einwohner. Die Deputierten und Ältesten der Gemeinde verstanden ihr Anliegen ausdrücklich als politisches und dem Allgemeinwohl verpflichtetes Interesse. Sie folgten in ihren Denkschriften der vorgegebenen Doktrin vom nützlichen Untertanen/Staatsbürger und verfassten ihre Schriften als Beweismittel für ihre Tätigkeit zum Wohl des Staates und der Allgemeinheit. Gleichfalls votierten sie für ein sensibles Rechtsverständnis, das stärker auf den zukünftigen Nutzen nach der Einsetzung in „gleiche Rechte für gleiche Pflichten“ ausgerichtet war. Diesem Verständnis folgte die Beamtenschaft vor der Schroetterschen Initiative nur zögerlich, partiell und mit wesentlichen Einschränkungen. Die Aspekte, unter denen die Reformversuche (1787–1812) als Edikte, Entwürfe und Gutachten, Kabinettsordern und Dienstanweisungen der beteiligten preußischen Könige und Beamten im gesamten Zeitraum behandelt wurden, lassen unter vier Gesichtspunkten deutliche Unterschiede erkennen. Das betrifft die veränderte politische Situation durch die Neuorganisation des Staates unter
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der Prämisse, alle ökonomischen Ressourcen zu nutzen, den innerbehördlichen Verlauf der Legislativen, den modifizierten Beurteilungsrahmen für die Rahmengesetzgebung und die damit formulierten und zu erbringenden Vorleistungen/ Amalgamationsleistungen für die jüdischen Einwohner und damit die konkreten Paragrafierungen. Die ideologische Umdeutung vom „schädlichen zum eigenthümlichen Nationalcharakter“ der jüdischen Inländer bildete eine Voraussetzung zur Inklusion in den zukünftigen Staatsverband der preußischen Bürger/ Untertanen. Damit wurde die wiederholt angeführte Meinung aus den Gutachten zu den ersten Reformversuchen als stärkstes Argument für die rechtliche Sonderjurisdiktion entschärft. Wie aber deutlich wurde, kann bereits für den Beginn des 18. Jahrhunderts eine Tendenz innerhalb der Gesetzgebung festgestellt werden, die im Ergebnis zur Angleichung an eine individual-rechtliche Gleichbehandlung führte. Mit der Neuorganisation der preußischen Verwaltung wurde zwar die Entscheidungsinstanz über die Etablierung der jüdischen Einwohner in das Ministerium des Inneren und in die Hände der Sektion der Allgemeinen Polizei delegiert. Damit war jedoch noch keine verwaltungstechnische Richtlinie festgelegt. Eine vereinheitlichte Grundlage der zukünftigen Verwaltung fehlte. Die Neuorganisation der Verwaltung korrespondierte in diesem Fall mit dem Aufbau der Wirtschaft unter Nutzung aller Ressourcen. Die Umsetzung wirtschaftsliberaler Thesen für eine bisher ökonomisch eingeschränkte und nur im Schutzstatus geduldete religiös-kulturelle Minderheit hing mit der Hoffnung zusammen, den zusätzlichen Geldbedarf auch mit Hilfe der Finanzkraft der jüdischen Inländer zu decken. Aber das implizierte nicht die Abschaffung von Sonderbesteuerungen ohne eine finanzielle Ablösung. Nach den Erläuterungen von Minister Friedrich Leopold v. Schroetter war die Aufhebung der Sonderzahlungen (Entwurf Schroetter, § 11) dem Prinzip der Gerechtigkeit geschuldet. Und im Vergleich orientierte sich Schroetter an den finanziellen Leistungen des städtischen Bürgertums. In der Interpretation lässt sich diese Begründung als weiteres Indiz für eine zwar eingeschränkte, aber in der Tendenz beabsichtigte Gleichstellung mit den übrigen Untertanen/Bürgern verstehen. Die These einer rein utilitaristischen Reform ist in diesem Fall nicht mit § 11 (Entwurf Schroetter) zu begründen. Staatskanzler Karl August v. Hardenberg steht das uneingeschränkte Verdienst zu, die Gleichstellung im Bereich Gewerbe und Handel verwirklicht zu haben. Die Paragrafierung im Entwurf Schroetters muss hier viel deutlicher unter den Begriff der Eingrenzung wirtschaftlicher Optionen zusammengefasst werden. Wie aber ebenfalls deutlich wurde, vertrat der Staatskanzler in der Diskussion um die Zulassung zur Beamtenlaufbahn einen Standpunkt, der ebenfalls eine zeitlich festgesetzte Fristenlösung und eine Ausnahmeregelung nur bei besonderer Eignung vorsah. Vorbehalte gegen eine völlige rechtliche Gleichberechtigung existierten auch bei
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Staatskanzler Hardenberg. Die volle rechtliche und wirtschaftliche Emanzipation der preußischen Juden war auch zu Beginn der Legislative (1808) kein ausdrücklich erwünschtes Ziel der neuen Verfassung. Die wirtschaftliche Emanzipation war vielmehr ein ängstlich befürchtetes und in Kauf genommenes Nebenprodukt der Reform. In diesem Sinne erscheint auch das Ziel von Schroetters Entwurf widersprüchlich, wenn einerseits das ökonomische „Know-how“ der jüdischen Kaufleute ausdrücklich für die preußische Wirtschaft genutzt und gefördert werden sollte, andererseits jedoch eine Konkurrenzsituation zu christlichen Kaufleuten weitgehend verhindert und eingegrenzt bleiben sollte. Juristisch auflösbar wurde dieser Widerspruch nur durch die Tatsache, dass eine bürgerlich-rechtliche Gleichstellung seit Beginn der Legislative mit Einschränkungen vorgesehen war. Nach Schroetter sollte die ökonomische Entwicklung der jüdisch-preußischen Staatsbürger unter staatlicher Kontrolle gehalten werden, um Nachteile für die christlichen Kaufleute zu vermeiden. Dieser Widerspruch wurde im Edikttext aufgelöst, in dem der freie Zugang zum Gewerbe als ausdrückliches Recht des Staatsbürgers genannt wurde. Gleichzeitig wurde die ökonomische Partizipation nur durch ein Zurücknehmen der Bedeutung des religiös-kulturellen Unterschieds zur Mehrheitsgesellschaft möglich. Die „andere“ religiös-kulturelle Praxis spielte für die Erteilung des Staatsbürgerschaftsrechts keine dominierende Rolle mehr. Der Edikttext erklärte die jüdischen Inländer unter der Erfüllung der Pflichten in §§ 2 und 3 und ohne die Ableistung der aktiven Militärpflicht zu preußischen Staatsbürgern. Die Grundlage der Zuerkennung wurde nicht, wie noch bei Staatsrat Johann Heinrich Schmedding (1809) formuliert, an die Pflicht zur Steuer- und Militärdienstleistung, sondern in diesem Fall nur an die Steuerleistung gebunden. Konkretisiert man das Urteil über das Edikt als Verfassung aus „Nützlichkeitserwägungen“, so gilt, dass sowohl die staatliche Verwaltung als auch die Zielgruppe der jüdisch-preußischen Einwohner von der Neufassung, Vereinheitlichung und objektiven Verbesserung der Verfassung profitierten. Wie deutlich wurde, war es keinesfalls das Nebenprodukt dieser Erwägungen, das die Reform den Rechtsstatus der preußischen Juden vereinheitlichte. Die Richtlinien der preußischen Beamten orientierten sich an der Zielsetzung der Reform, die auf eine Vereinheitlichung durch Vermischung bzw. Amalgamation ausgerichtet war. Die Kriterien basierten zwar einerseits auf der moralisch-rechtlichen Kategorie der Gleichbehandlung. Die völlige rechtliche Gleichbehandlung sollte jedoch erst als Folge einer sichtbaren Assimilation gewährt werden. Der Charakter der Verordnung konnte nach diesem Zirkelschluss nur etatistisch angelegt werden. Unter dem Aspekt der konkreten Gesetzgebung unterscheidet sich das Edikt von 1812 von den Entwürfen der Jahre 1789 und 1792 in der Aufhebung aller Sonderbesteuerungen, der Aufhebung der Berufsverbote, der Nichteinführung der Pflichtleistung des aktiven Militärdienstes, der Aufhebung der widerrufbaren
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Schutzprivilegien mit dem wesentlichsten Punkt: der Aufhebung der ethnischen Sonderjurisdiktion. Das beinhaltete konkret keine Neuformulierung des Fremdenstatuts und in der Folge die Grundlage für eine individualisierte und nicht herkunftsbedingte Rechtsprechung. Der Entwurf von Minister Schroetter bildete die Basis für die Endredaktion des Edikttextes. Innerhalb der Reformarbeiten zur Verordnung über die bürgerlichen Verhältnisse der preußischen Juden (1808– 1812) blieben maßgebliche Paragrafen aus dem Entwurf erhalten. Einerseits gilt dies für die Paragrafen im Edikttext, die in der modernen Forschung positiv bewertet werden, wie die Paragrafen zur Zuerkennung der preußischen Staatsbürgerschaft (§ 1) und die Aufhebung aller Sonderabgaben (§ 14). Andererseits stammen aus dem Entwurf Schroetters ebenso die kritisch beurteilten Paragrafen über die im Einzelfall zu prüfende Zulassung zur Beamtenlaufbahn (§ 9) und die Einschränkung der völligen bürgerlichen Gleichstellung (§ 7). Im Unterschied zu den Reformversuchen von 1789 und 1792 wurden die Arbeiten zum Edikt von 1812 weder verzögert noch ausgesetzt, dominierten private Ressentiments und Vorurteile nicht die Gesetzgebung, wurde das vormals formulierte Ziel der Judenschaften als Ziel der Legislative „gleiche Rechte für gleiche Pflichten“ fast komplett übernommen. Damit erkannten die innerbehördlichen Gegner der Emanzipation die Forderung nach rechtlicher Gleichberechtigung an und engagierten sich in Form von umfassenden Gesetzesentwürfen oder stellten die Reform nicht mehr grundsätzlich infrage. Teilreformen wurden nicht mehr als ausreichend beurteilt. Für die Beamtenschaft der frühen Reformversuche existierten Anweisungen, die friderizianische Gesetzgebung als Grundlage der Reformplanung beizubehalten. Nach dieser Vorgabe konnten auch in der nachfriderizianischen Gesetzgebung nur Teilreformen verwirklicht werden. Dass das General-Juden-Privileg (1750) bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Maßstab der Judengesetzgebung blieb, erklärt sich aus dem umfassenden Charakter der alles regelnden Verfassung und der nach wie vor gültigen und praktizierten Rechtsform der Privilegienerteilung. Die berufliche Erfahrung der Beamten, dass Teilreformen, die ausschließlich nur die Juden zum Adressaten hatten und für die umgebende Gesellschaft lediglich Empfehlungen aussprachen, in Form von Eingaben/Beschwerden zu einem erneuten Aufwand an Verwaltungsarbeit und zu keiner grundsätzlichen Entlastung führten, hat zumindest im Fall von Minister Schroetter zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Gesamtreform geführt. Vergleicht man die Reformarbeiten unter dem Aspekt der Vorleistung für die jüdischen Inländer, so zeigen sich von 1789 bis 1812 folgende Unterschiede: Die Assimilation wurde nicht als Voraussetzung zur rechtlichen Gleichbehandlung betrachtet. Die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft wurde weder an besondere Verdienste noch an die Herkunft oder Leistung der Vorfahren gekoppelt. Das Urteil über einen „schädlichen Nationalcharakter der jüdischen Nation“ wurde
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ideologisch entschärft und als „eigenthümlicher Nationalcharakter“ bewertet und nur in Ausnahmefällen als Argument für die Verweigerung der Gleichberechtigung benutzt. Die Gesamtpopulation der jüdischen Einwohnerschaft wurde nicht nach besseren und schlechteren Inländern auseinanderdividiert. Die Religion wurde zunehmend als „actus privatus“ individual-rechtlich behandelt. Über die Anerkennung der Nützlichkeit erfolgte die rechtliche Inklusion der jüdischen Einwohner in den Gesamtverband der Einwohnerschaft. Emanzipationsfeindliche Schriften blieben ohne Einfluss auf die Anerkennung der Staatsbürgerschaft. Modifiziert, aber erhalten blieb der Beurteilungsrahmen für einen im Kollektiv wahrgenommenen „eigenthümlichen Nationalcharakter“. Die Assimilationsbereitschaft wurde vorausgesetzt und als gesellschaftlicher Prozess nach und neben der rechtlichen Gleichberechtigung erwartet. Die kollektive Verhaftung blieb in Form des Verbots der Mischehe erhalten. Das Urteil über einen kollektiv gedachten, nicht ausreichenden Bildungsgrad der jüdischen Einwohner blieb als Argument für die Verweigerung des freien Zugangs zur Beamtenlaufbahn existent. Im Vergleich zu den Voten der ersten Reformentwürfe blieb also die Ausgrenzung und Stigmatisierung jüdischer Bevölkerungsgruppen als Politikmuster, in diesem Fall als Wahrung des eigenen Interesses zwecks Vermeidung der Konkurrenz beim Zugang zur Beamtenlaufbahn erhalten. Im national gedachten Rahmen blieb die Befürchtung akut, dass die ökonomische Gleichberechtigung/ Emanzipation mit negativen Folgen für die christliche Bevölkerung verbunden sei. In den Gutachten der Militärbehörden (1791/1809) blieben Bedenken gegen eine Aufnahme jüdischer Rekruten bestehen. Eine Modifikation der Begründungen erfolgte über die Verortung dieser Bedenken. Die Gutachter aus dem Militär-Departement unter Gerhard v. Scharnhorst (1809) führten noch bestehende Vorurteile im Heer und eine Gefährdung des Sieges über das napoleonisch-französische Heer als Begründung für die Ausgrenzung an. Im Gegensatz zu General Graf v. Moellendorff (1791) verzichteten die Gutachter auf eine persönliche Meinungsäußerung. Philosemitische Einstellungen bildeten keine Grundvoraussetzung zu einer tatsächlichen Vollreform, weil das längerfristige Ziel die Vermischung/Verschmelzung mit der christlichen Bevölkerung blieb. Der damalige Staatsrat Wilhelm v. Humboldt ging in seiner Zukunftsvorstellung von einer völligen Verschmelzung aus, in der sich das Judentum als religiöse Kategorie im Christentum auflösen würde. Grundsätzliche Differenzen zwischen den Beamten und jüdischen Deputierten zur Aufhebung der anachronistischen Praxis der noch geltenden „Schutzbrieferteilung“, zum angestrebten verfassungsmäßig garantierten Rechtsstatus unabhängig von der Herkunft oder des religiösen Bekenntnisses mit der Anerkennung der Forderung nach rechtlicher Gleichberechtigung mit den bürgerlichchristlichen Einwohnern traten im Verlauf der Schroetterschen Gesetzesinitiave
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nicht nur in den Hintergrund. Der Inhalt der Denkschrift von 1787 wurde mit den oben erwähnten Einschränkungen zum Inhalt der neuen Gesetzgebung. Im Urteil über den Zeitpunkt, die Erwartungshaltung und die Effizienz der Delegierten der preußischen Judenschaften soll hier festgehalten werden, dass die Initiative von 1787 zum richtigen Zeitpunkt kam, wenn die lange Anlauf- und Bearbeitungszeit für Reformen berücksichtigt wird. Die Hoffnung auf eine schnelle Umsetzung der rechtlichen Gleichberechtigung basierte auf einer Fehleinschätzung, wenn damit der revolutionäre Akt der Gleichstellung nach dem Muster der französischen Verfassung verbunden war. Das Selbstverständnis der Beamten, gefördert durch den Anspruch, gleichzeitig als Definitionsmacht über die Nützlichkeit der Untertanen entscheiden zu dürfen und in der Funktion als Richter und Erzieher „der Nation“ wirken zu müssen oder zu dürfen, erwies sich im Gesamtprozess als hinderlich für die Umsetzung der jüdischen Initiative, vervielfachte die Reaktionen/Gutachten in den Gremien und damit den Fortgang der Reform. Andererseits beförderte diese von den Zeitumständen abhängige Kategorisierung den Abschluss der Reform. Die Nützlichkeit der jüdischen Einwohner wurde als zukünftige Folge der Gesetzgebung zum Edikt von 1812 zeitnah erwartet. Die Gesetzgeber orientierten sich in ihrer Bewertung dementsprechend opportun an politischen Notwendigkeiten, ökonomischen Realitäten und vereinzelt auch am rechtlich-moralischen Prinzip der Gerechtigkeit.
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Dokumente Dok. A: Instruction für die Geh. Finanzräte Wloemer, Klevenow und Dietrich, ingleichen den General Fiscal d’Asnières, die Untersuchung der von den Juden verlangten Verbeßerung ihres bürgerlichen und sittlichen Zustandes betr. Einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 7–9. Gedr. auch bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 339–341. Hier zit. n. dem Original.
Bey dem den Juden wiederhergestellten Rechte zur Ansetzung des 2. Kindes und den von Zeit zu Zeit vielen Familien ertheilten General-Privilegien, haben sie, wo nur noch einiges Fortkommen für sie möglich ist, sich schon überaus stark vermehret, und müßen in der Folge so sehr überhandnehmen, daß ihre eingeschränkte Erwerbungsarten nicht weiter für sie zureichen können. Die Noth zwinget sie also zu allen unerlaubten Mitteln, und wenn sie endlich auswärts Unterhalt suchen, so geschiehet es nicht eher, als bis sie es zu ihrem und der Christlichen Bürger Schaden aufs äußerste gebracht haben. Diesem Übel ist 1) nicht abzuhelfen, wenn es bei ihren Vermehrungsrechten und zugleich bey ihren außerordentlichen Lasten beschwerten Nahrungs-Einschränkungen belaßen werden sollte. Würden ihnen aber die Erwerbs Mittel erweitert und sie verblieben bey ihrer bisherigen kirchlichen auf die Absonderung von anderen Menschen eingerichteten Gesetze, so würde das Übel für den Staat noch größer werden. 2) Die Verbeßerung ihres Zustandes muß also mit ihrer Nuzbarkeit für den Staat in genauem Verhältniß stehn, und für den Staat ist es kein Vortheil, sondern durchaus Schaden, wenn die Juden blos bey der Handlung bleiben. Dazu sind künftig die wenigsten und auch diese unter solchen Bestimmungen, daß sie dem Commerce überhaupt und den christlichen Kaufleuten nicht schädlich werden können, zu admittiren. 3) Der größte Theil oder das Gros der Nation hingegen muß künftig zu Künsten und Professionen, Ackerbau, Handarbeiten und zum Soldatenstande, mit Entäußerung von aller Schacherey, sich widmen. 4) Hinwieder machen ihnen ihre bisherige Religions- und Ritual-Gesetze Hinderungen und diese werden sie nicht heben können, so lange sie in solidarischer Verbindung und Rabbinischem Zwange stehen. Insoferne sie nun hierin sich dergestalt bequemen, und modificiren wollen, daß ihre Religion den erwähnten Lebensarten nicht weiter im Wege stehet, und sie sich dazu würklich wenden, werden ihre besondere Abgaben cessiren und ihre bürgerlichen Rechte erweitert werden können.
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5) Eine andere Bedenklichkeit verursachen die mit Innungs Privilegien versehene Professionen und es wird auf die Modalitaeten ankommen, unter welchen die Juden zur Erlernung und Ausübung solcher Professionen zuläßig gemacht werden können. 6) Auch wird in Erwägung zu nehmen seyn, wie es in Ansehung dererjenigen Städte und Provintzien zu halten ist, die solche besondere Berechtigung haben oder behaupten, daß Juden daselbst entweder gar nicht angesezt werden, oder gewiße mercantilische Gewerbe nicht treiben dürfen. 7) Vorausgesetzt aber, daß alle Schwierigkeiten sich überwinden laßen werden, so kann doch die Wirkung der Reforme mit den Juden nur nach und nach langsam gehen, bis der beabsichtigte Zweck völlig erreicht seyn wird, und es ist daher auch auf interimistische Grundsätze und Anordnungen in Ansehung der jetzigen Juden, bis ihre Kinder und Nachkommen für sich selbst und für den Staat sich gänzlich oder zum größten Theil verbeßert haben werden, Bedacht zu nehmen. 8) Wenn mit den rabbinischen Religions- und Ritual-Zwange, wie es zur intendirten Reforme notwendig zu seyn scheinet, die solidarische Verbindung der Juden, sowohl wegen ihrer besonderen Abgaben als wegen der Lasten, welche sie aus jenem Zwange sich selbst aufgelegt haben, oder auflegen lassen, aufhören sollte, so würden, weil bisher die [Lasten der, Anm. d. Verf.] Armen von den Vermögenden [ge]tragen worden, die besonderen Abgaben in Gefahr kommen und von denen, die sich den ad 3 bemerkten Gewerben widmen, würden solche, so wie auch die Chargen-Stempel-Canzley und andere Cassen-Einnahmen gänzlich ausfallen, mithin ist auf diese erhebliche Gegenstände gleichfals Rücksicht zu nehmen. 9) Wenn bey diesem Geschäfte Praeliminar Punkte, von welchen das weitere Verfahren abhänget, vorkommen sollten, haben Commissarii beym General Directorio um vorläufige Bescheidung anzufragen. 10) Insofern übrigens von der Judenschaft selbst Erläuterungen und Erklärungen eingeholet werden müßen, haben Commissarii solche von den Schutz-Juden Liepmann Meyer Wulff, Isaac Daniel Itzig und David Friedländer, welche aus dem Mittel der Judenschaft dazu erwählet sind, zu erfordern und zur Rücksprache zuzuziehn. Berlin 10. Dec. 1787.
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Dok. B: 1. Reformentwurf (18. Dezember 1789): An die General-Deputirten sämmtlicher Judenschaften, die Reform des Judenwesens betreffend. General-Departement (Eingegangen am 4. Januar 1790). Einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 71–79. Gedr. bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 120–128. Hier zit. n. Friedländer. Im Unterschied zum Abdruck bei Geiger, Geschichte der Juden in Berlin, Bd. 2, S. 341–346, vermeidet Friedländer die Nennung der Schuldensumme (140.000 Thlr. bei Geiger, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 342).
Seine Königl. Majestät von Preußen, Unser allergnädigster Herr, lassen den General-Deputirten und Bevollmächtigten sämmtlicher einländischen Judenschaften N.N., nach nunmehro eingegangenem gutachtlichen Bericht der zur Reform des Judenwesens verordneten Commission, diejenigen Vorrechte und Erleichterungen des bisherigen Zustandes der Juden, welche ihnen, gegen Uebernehmung der dabey bemerkten Pflichten und bürgerlichen Obliegenheiten, unter Vorbehalt Höchstdero landesherrlicher Genehmigung, bewilliget werden sollen, hierdurch vorläufig bekannt machen. I) Soll die solidarische oder gemeinverhafte Verbindung der Juden in Absicht ihres politischen und kirchlichen Verhältnisses, und besonders in Absicht ihrer Prästationen, aufgehoben werden, unter folgenden Conditionen: a) daß in Absicht der öffentlichen und Landesabgaben sämmtliche schon angesetzte, und jetzt zur Ansetzung qualifizierte Juden, verhaftet bleiben; b) daß in Absicht der besondern Abgaben für gewisse Verhältnisse, z. B. für Concessionen, Handel, Processe, u. s. w. die bisherige Beytrags-Art so lange beyzubehalten, bis die Folgen der Reform des Judenwesens den dabey entstehenden Abgang ersetzen. Dieses zu bewirken, ist, anstatt der bisherigen Jüdischen Schätzungs-Art, der nachstehende Beytrags-Fuß anzunehmen, daß nehmlich 1) die extraordinairen Schutzjuden, weil sie das Recht, Kinder anzusetzen, gleich den ordinariis erhalten werden, diesen in den Beyträgen gleich zu setzen; 2) daß die Gemeinde-Abgaben von den öffentlichen ganz abzusondern, durch Civil-Anordnung zu erheben und möglichst zu vermindern. 3) Wenn die Folgen der Juden-Reform den alsdann aufhörenden solidarischen Beytrag nicht hinlänglich ersetzen sollten: so wird, dieses zu erreichen, den sich auf den Fuß der Reform ansetzenden Juden eine besondere Abgabe verhältnismäßig von 1 Thlr. bis 10 Thlr. jährlich aufzuerlegen seyn. c) Daß in Absicht der Gemeinde-Abgaben, sonderlich bey der Berlinischen Judenschaft, welche 1) eine Menge publiker Bedienten,
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2) ein eigenes Lazareth, und 3) über […] Gemeinde-Schulden hat, erforderlich ist: Ad 1) die publiken Bedienten nach und nach zu vermindern und aussterben zu lassen, inzwischen aber selbige durch Beyträge der Jüdischen Hausväter zu unterhalten. Jedoch sind die publiken Bedienten auf bestimmte, aus den Händen der Obrigkeit zu empfangene Besoldungen zu setzen, oder ihnen zu Accidenzien für ihre Amtsverrichtungen zum Unterhalt anzuweisen. Demnächst sind die nicht gesetzlich nothwendigen publiken Bedienten abzuschaffen, und nur ein Rabbiner und ein Vorsänger beizubehalten, den Synagoge-Bedienten alle Cognition und Disciplin in Kirchensachen zu benehmen, und solche der Obrigkeit, mit Zuziehung Jüdischer Sachverständigen, zu übertragen. Ad 2) Ist das Lazareth entweder mit den Christlichen Anstalten zu vereinigen, oder Christlicher Direktion bey Jüdischen Bedienten zu übergeben, die Unterhaltungskosten auf den bisherigen Fuß, jedoch ohne solidarische Verpflichtung, einzufordern, jedoch strenger auf Zurückhaltung fremder Betteljuden zu sehen. Ad 3) Ist der Vorschlag der hiesigen Juden-Aeltesten sämmtliche GemeindeSchulden, binnen zehn Jahren, durch jährlichen Beytrag abzuführen, unter Direktion einer Christlichen Commission näher zu bestimmen und zur Ausführung zu bringen. II. Muß das Schul- und Erziehungswesen der Juden verbessert werden. Dahin gehört: 1) Unterricht in der Landessprache; 2) müssen zu Schulmeistern nicht mehr fremde und Pohlnische Juden, sondern geschickte Einländer angenommen, auch ein Schullehrer-Seminarium errichtet werden. 3) Die unnützen Gemeinde-Häuser können eingehen. 4) Die Miethen davon, und die Zinsen von den bey hiesiger Judenschaft zu Jüdischen Stiftungen vorhandenen Fonds von resp. 3900 Thlr. und 2000 Thlr. können zu den verbessernden Schulanstalten angewendet, auch 5) milde Stiftungen mit dazu gezogen werden. 6) Ist auf ähnliche Art in andern großen Städten zu verfahren. 7) In kleinen Städten aber können die Judenkinder allenfalls mit in Christliche Schulen geschickt werden. III. Sollen den Juden mehrere Erwerbungs- und Nahrungsarten, als bisher gesetzlich statt haben, gewähret werden; jedoch unter folgenden Bestimmungen: a) daß von Zeit der Reform an bis auf die Enkel des jetzigen Juden, inclusive, sich kein Juden zum Handel ansetzen darf, der nicht in einer großen Stadt 15000 Thlr., in einer mittlern Stadt 5000 Thlr. in einer kleinen Stadt 1500 Thlr. eignes Vermögen nachweiset;
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b) daß dergleichen Juden die Handlung ordentlich erlernet haben müssen; c) daß sie sich niemals in einer Stadt oder Provinz, wo ihr vorheriger Christlicher Lehrherr handelt, ansetzen müssen; d) daß, wenn einländische Christliche Kaufleute die Juden nicht in die Lehre nehmen wollen, sie die Handlung auswärts, z. B. in Holland, erlernen müssen; und daß e) künftig die Juden bey solchergestalt qualifizirten Jüdischen Kauherren in die Lehre treten können; f) daß die Jüdischen Kaufleute sich den Kaufmanns- und Handlungsgesetzen jedes Ortes bey zwiefacher Strafe unterwerfen müssen; g) daß in denen Städten, wo die Christliche Kaufmannschaft hinlänglich besetzt ist, den Juden keine fernere Ansetzung als Kaufleute zu gestatten; h) daß die in Gemäßheit der Reform sich ansetzenden Jüdischen Kaufleute mit einer gewissen besondern jährlichen Abgabe auf etwa 30 bis 50 Jahre zu belegen. Die den Juden beyzulegenden neuen Nahrungsarten werden seyn: A) vornehmlich Ackerbau, Hand- und Taglöhnerarbeiten, B) Professionen, Künste und Wissenschaften. Bey beiden ist die Grundregel anzunehmen, daß kein zu solchen Nahrungsarten sich angesetzt habender Jude, bei Strafe der Landesverweisung, sich ferner mit Handel und Schacherey abgeben darf. Ad A: Beim Ackerbau ist festzusetzen: a) daß kein Jude eine alte Christliche Stelle übernehmen, sondern sich bloß neu anbauen und aufbauen muß. b) In außerordentlichen Fällen ist nach vorgängiger Erörterung der Umstände vorerst höchstens nachzugeben, daß die Juden einige wenige alte Stellen, wozu sich keine Christen finden, annehmen dürfen, wogegen sie bey jeder solchen Stelle einen Büdner ansetzen müssen. Bei der Tagelöhner-Arbeit ist keine Einschränkung nöthig. Ad B. In Absicht der zünftigen Professionen und Handwerke ist es: a) dem guten Willen der Gewerke zu überlassen, ob sie Juden in die Lehre, auch demnächst als Gesellen und Meister annehmen wollen. b) Bey deren Weigerung sind dazu Freymeister oder Jüdische Handwerker aus andern Länder anzusetzen und zu gestatten. c) Sind die Juden von allen Handwerken auszuschließen, die allein und vorzüglich bloß auf Bestellung, zum Gebrauch der Einwohner des Ortes arbeiten, wohin gehören: Zimmerleute, Maurer, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser, Tischler, Sattler, Stellmacher und dergleichen, auch alle Handwerker in den Landstädten.
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d) Mithin sind den Juden nur zu gestatten: solche Handwerke, die beyläufig zwar mit auf Bestellung, hauptsächlich aber zum Verkauf und zum Commercio arbeiten, als Fabriken, Manufakturen, wo sie zulässig und keine Privilegien obstiren, alle Stuhlarbeiten, Clinquaillerien, Stahlarbeiten u.s.w. e) Allenfalls werden auch die als Professionairs anzusetzenden Juden, wenn deren unbeschränkte Ansetzung nicht rathsam gefunden wird, in Absicht der Gesellen und Lehrjungen einzuschränken seyn. f) Außerdem werden den Juden zu gestatten seyn, alle unzünftige Künste und Wissenschaften, als Pitschierstechen, Glasschleifen, Chirurgie, exclusive zünftiger Barbierstuben, ferner öffentliche Lehrämter in Künsten und Wissenschaften, der Medicin, Philosophie und sonst. IV. Dagegen müssen die auf vorbemerkte Grundsätze der Reform des Judenwesens sich ansetzenden Juden folgende nothwendige Bedingungen übernehmen und erfüllen: daß sie bey Erlangung g l e i c h e r R e c h t e mit den Christen auch alle persönliche Dienste und Pflichten der Christen, besonders in Absicht des Soldatenstandes, übernehmen und prästiren müssen. Hierbey ist jedoch allenfalls nachzugeben: a) daß alle jetzt lebende Juden, welche sich nach den Grundsätzen der Reform ansetzen, vom Enrollement frey zu lassen; b) daß die sich nicht solchergestalt ansetzenden Söhne der jetzigen Juden entweder enrolliert werden, oder dafür ein Aequivalent an Gelde entrichten; c) daß erst die Söhne der sub a. bemeldeten angesetzten Juden dem eigentlichen Enrollement für unterworfen zu halten, oder dieses allenfalls bis auf die Enkel der sub a bemerkten Juden auszusetzen; d) daß diejenigen Juden, welche sich nicht nach den Vorschriften der Reform zur Arbeit oder dem Soldatenstande bequemen wollen, fortgeschafft werden, e) daß die Juden allenfalls als Pack- und Artillerieknechte zu gebrauchen. V. Wird folgende Grenzlinie, von welcher die Reform des Judenwesens ihren Anfang nehmen soll, bestimmt: 1) müssen die jetzt schon angesetzten Juden in ihrer bisherigen Verfassung gelassen werden; 2) imgleichen diejenigen, die jetzt schon 20 oder 25 Jahr alt, und zur Ansetzung reglementmäßig qualificiret sind. 3) Die 20 bis 25 Jahre alten, aber zur Ansetzung nicht qualificirten Juden, müssen ein anderes schickliches Gewerbe, nicht aber den Handel, wählen. 4) Die Juden unter 20 Jahren, welche sonst zur Ansetzung berechtigt wären, müssen, wenn sie nicht das sub Nro. III bestimmte Vermögen besitzen, nicht zum Handel, sondern auf andere erlaubte Gewerbe angesetzt werden.
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5) Wer von den jetzt zum Handel angesetzten Juden den Handel aufgeben und Ackerbau oder anderes Gewerbe treiben will, derselbe ist gleich jetzt aller Reformrechte fähig, und nach obiger Bestimmung von Jüdischen Abgaben frei. Ferner sind folgende Maßregeln zu beobachten: 1) daß die anzusetzenden Juden so viel als möglich zu vereinzeln; 2) den äußern Unterschied durch Tragung der Bärte einzustellen; 3) beständige Geschlechts-Namen anzunehmen. 4) Muß die Deutsche Sprache und Schrift von den Juden gehörig erlernet, auch alle Geschäftsschriften Deutsch verfasset werden; 5) Werden die Obrigkeiten auf Beobachtung der Reform-Vorschriften besonders zu sehen und zu halten haben; 6) Ist den als Handwerker und Ackerleute angesetzten Juden alles Geldgewerbe gänzlich zu untersagen, wenn es nicht, gegen gewöhnliche Zinsen, schriftlich, und durch die Hand der Obrigkeit geschlossen wird. Der Beweis der Contravention oder des Betruges muß durch den Eid des betrogenen Christen geführet werden können. 7) Dagegen sind die in Gemäßheit der Reform angesetzten Juden gegen alle Verspottung zu schützen, auch 8) nicht mehr J u d e n, sondern M o s a i s t e n, D e i s t e n, und so weiter zu benennen. 9) Müssen die Juden an Christlichen Sonn- und Festtagen öffentlich kein Gewerbe treiben; 10) Ist kein f r e m d e r Jude aufzunehmen, der nicht erweislich 50000 Thlr. in das Land bringt. Eingangsbenannte General-Deputirte und Bevollmächtigte sämmtlicher Judenschaften haben alles dieses genau und reiflich in Ueberlegung zu nehmen, darüber erforderlichen Falls mit den Vorstehern der Judenschaft Rücksprache zu halten, und demnächst ihre bestimmte Erklärung abzugeben; Ob sie und die gesammte einländische Judenschaft, gegen Erlangung der eröffneten Befreyungen, Rechte und Vergünstigungen, die als notwendige Bedingungen gleichfalls eröffneten und bestimmten Pflichten und Obliegenheiten zu übernehmen und zu erfüllen sich verbindlich machen können und wollen? Damit sodann der ganze Plan der intendirten Jüdischen Reform entworfen, und Sr. Königlichen Majestät Höchstem Gutfinden und Entscheidung, so wie Allerhöchstdieselben solches der allgemeinen Wohlfahrt und dem Interesse Dero Staats gemäß erachtet werden, vorgelegt werden kann. Signatum Berlin, den 18. Dezember 1789. Auf Sr. Königl. Majestät Allergnädigsten Special-Befehl Blumenthal. Heinitz. Werder. Arnim. v. Mauschwitz. Schulenburg. v. Voß
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Dok. C: Das Erklärungsschreiben des General-Direktoriums an den König von Preußen zu den Gründen für die Verzögerung der Reformarbeiten (14. Januar 1792) Einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 194ff.
Seine Königliche Majestät haben uns unterm 17. Hujus Höchstselbst dero Unzufriedenheit darüber zu erkennen gegeben, daß wir die uns anbefohlenen Vorschläge zu einem Arrangement mit der jüdischen Nation, in so langer Zeit noch nicht allerunthertänigst eingereicht haben. Die Natur und Wichtigkeit der Sache und dazwischen gekommene unvermeidliche Hindernisse haben den bisherigen Aufenthalt verursacht. Es war nothwendig, aus jeder Provintz von dem inneren Zustande der Juden, sich genau zu unterrichten, die erforderte Nachrichten der verschiedenen Landes-Stellen, Cassen, Magistrate und Juden-Gemeinden waren nicht befriedigend und sie mußten zu nähren Erläuterungen angewiesen werden. Von den Commissarien gerieth der General-Fiscal durch Krankheit außer Aktivität, die Geheim-Räthe Klevenow und Dietrich aber mußten anno 1788 nach Preußen wegen des dortigen Handelsystems geschickt werden; Nach Endigung dieses Auftrages wurde Klevenow an statt von Domhardt beim Commissariat der Ostpreußischen Armee angestellt, und dieses alles zog eine Unterbrechung von länger als wie einem Jahr nach sich. Als die Commission sich wieder in Aktivität setzen konnte, ist sie zur Beschleunigung angehalten, und nach dem alles von ihr vorbereitet war, den Plan zur Judenreform entworfen. Diesen fanden wir, wegen der Verbindungen der übrigen Provintzen mit Schlesien, nöthig, dem Etats-Minister von Hoym zu communiciren, und aus seiner im abgegangenen Jahr erhaltenen ausführliche Antwort glaubten wir, der Erheblichkeit des Gegenstandes wegen, seine Anherokunft abwarten zu müssen, und mit ihm, wie es jetzt geschehen, noch alles in reifliche Überlegung zu nehmen. Außer diesen Ursachen des langsamen Fortgangs, haben auch die unmittelst vorgefallenen Veränderungen einiger Mitglieder des General Directorii zum Verzuge beygetragen. Eine reelle Umänderung des Juden-Wesens könnte von sehr bedencklichen Folgen, sowohl auf Eure königliche Majestät Staats-Einkünfte und des Militärs, als in Ansehung der Collision mit den Christlichen Unterthanen und ihrem Wohlstande seyn, wenn dabey nicht mit der äußersten Circumspection verfahren würde, um den üblen Folgen, welche das, von Eurer königlichen Majestät Landesväterlich beabsichtigte, gute Werck begleiten würden, vorzubringen, und wo kleine Nachtheile noch nicht sogleich gäntzlich zu heben möglich seyn mögten, doch dem Guten der Sache schon jetzt das Übergewicht zu verschaffen, zugleich aber zum voraus die Einrichtung zu treffen, daß auch die gegenwärti-
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gen kleinen Nachtheile in der Zukunft aufhören, wozu wir die in andern Ländern publicirten Veränderungen mit den Juden, die selbst dort nicht zweckmäßig combinirt seyn dürften, für Eure Königliche Majestät Staaten nicht tauglich und anwendbar gehalten haben. Dafür hat jeder im Fortgang dieser Sache dazu gekommene Minister sich schuldig erachtet, von dem gantzen Umfange derselben eigene genaue Kentniß zu erlangen, welches gleichfalls einige Zeit weggenommen hat. […] Wir überreichen nunmehr auf Höchstdero Befehl die Grundsätze und den Plan, wonach wir glauben, daß das Juden-Wesen mit Bestande verbessert werden können, und stellen allerunterthänigst anheim, in wie fern Höchstdieselben unsere darauf gebauten Vorschläge zu genehmigen und deren Ausführung zu verfügen allergnädigst geruhen wollen. Blumenthal, N., Werder, Arnim, Voss, Struensee
Dok. D: Die Verordnung über die Aufhebung der Abgaben in solidarischer Haftung (5. Juni 1792) Als Gesetzentwurf Wloemer (5. Juni 1792) einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 96–97. Bis auf die ersten zwei Zeilen ist der Entwurf identisch mit dem Gesetzestext. Gedr. auch bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 184–188. Folgend zit. n. Friedländer.
Friedrich Wilhelm, König Nachdem wir Höchstselbst mittelst Allerhöchster Cabinetts-Ordre von 10. May d. J. zu genehmigen geruhet, daß die völlige Ausführung der veranlaßten Reform des Juden-Wesens nach den von Uns allergnädigst bereits bestätigten Grundsätzen, bey den jetzigen Krieges-Conjuncturen ausgesetzt werde, dabey aber zugleich befohlen haben, diese Zwischenzeit dergestalt anzuwenden, daß die ganze Sache hiernächst ohne Aufenthalt zu Stande gebracht werde; so ist es nöthig, alle innere die Juden unter sich selbst angehende Veränderungen und Arrangements zum Behuf solcher Verbesserungen nach den dieserhalb von Unsrer höchsten Person approbirten Grundsätzen, dergestalt vorzubereiten, daß bey aufhörenden Krieges-Conjuncturen sofort zur Execution geschritten werden könnte. Was dahin gehört, besteht in Folgendem: 1) Soll die bisherige solidarische Verhaftung der Schutzjuden für ihre besonderen öffentlichen Abgaben an Schutzgeld, Silber-Lieferung sc. sowohl, als für die Kosten zu den Gemeinde-Bedürfnissen, aufgehoben werden, und ein jeder der jetzt existirenden Schutzjuden dasjenige Quantum der öffentlichen Abgaben,
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welches ihn trifft, künftig allein prästiren, ohne die Ausfälle von andern Schutzjuden übertragen zu dürfen und ohne daß das auf ihn repartirte Quantum, so lange er lebt, erhöhet werde. Zu dem Total-Quanto der öffentlichen, erwähntermaßen zu repartirenden Abgaben, wird noch eine, durch die auszuführende Reform verschiedenen Kassen jährlich abgehende Einnahme von 13,505 Thlrn. geschlagen, welche Summe nach gleichen Principiis, wie das Quantum der bisherigen öffentlichen Abgaben, jedoch besonders, auf die subsistirenden Schutzjuden zu legen und zu repartiren, auch separatim einzuheben und zu berechnen seyn wird. So wie nun die Schutzjuden bisher die öffentlichen Abgaben nach eines jeden Vermögen über sich repartirt und, weil solches, so wie die Familien selbst, Veränderungen unterworfen gewesen, die Anlagen unter sich alle fünf Jahre durch eine Zusammenkunft ihrer Deputirten in Spandow gemacht haben; so soll auch die Repartition zur Ausführung der Reform nach eben denselben Principiis, nemlich nach den Vermögens- und Nahrungs-Grundsätzen, jedoch a) ein für allemal und für beständig, b) hier in Berlin, c) unter Direktion einer dazu anzuordnenden landesherrlichen Commission, d) sowohl wegen der bisherigen öffentlichen Abgaben, als wegen vorgedachter 13,505 Thlr., e) der Provinzen unter sich und gegen einander, indem hiernächst die Provincial-Departements des sc. General-Direktorii die Repartitiones der Totalsummen jeder Provinz unter die darin befindlichen Gemeinden und unter die Individuen jeder Gemeinde verfügen werden, geschehen. Zu diesem Geschäft wird hierdurch der 2te September a.c. und die folgenden Tage bestimmt, und Ihr habt den Judengemeinden Eures Ressorts solches mit dem Auftrage bekannt zu machen, daß sie dazu, mit den Nachrichten von jeder Gemeinde und mit ihren Instruktionen versehene Deputirte oder Bevollmächtigte zu Anfange des besagten Monats September anhero senden, ihnen auch zugleich zu deuten, daß wider die Ausbleibenden dasjenige, was mit den Anwesenden wegen der Provinzial-Repartition regulirt werden wird, unveränderlich festgesetzt und ihnen dagegen kein Gehör weiter verstattet werden soll. 2) In so fern jüdische Gemeinden Schulden unter solidarischer Verbindung haben, kann zwar durch deren Aufhebung ihren Gläubigern nicht präjudicirt werden; nach dem Plane der Juden-Verbesserung aber kann und soll solcher Nexus nicht beständig fortdauern. Dergleichen verschuldete Gemeinden also sind aufzufordern, die Qualität und Quantität solcher Schulden, und die Art und Mittel, wie sie die Tilgung derselben in einer gewissen Reihe von Jahren zu bewerkstelligen vermeynen, Euch anzuzeigen, und es muß dieserhalb eine dergestaltige Einrichtung getroffen werden, daß die Kinder der jetzigen Schutzjuden, welche auf dem Fuß der Reform angesetzt
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zu werden fähig sind, und künftig sich ansetzten werden, für ihre Personen, und in so fern ihr von den Eltern zu ererbendes Vermögen den Gläubigern nicht rechtlich verhaftet bleibt, aus der solidarischen Verbindlichkeit wegen der Gemeindeschulden befreyet werden. 3) Sollen zwar die Juden, nach wie vor, bey der ungestörten Ausübung ihrer Religion gelassen und beschützt werden. Alle Kirchen- oder Synagogen- und RitualCoaction und Disciplin aber wird aufhören müssen, und dagegen jedem Hausvater überlassen bleiben, wie er seinen Gottesdienst und seine Handlungen, so weit sie die Ritualgesetze betreffen, einrichten will, zumalen die Juden bey ihren zu vermehrenden Nahrungs- und Erwerbsarten sich so vereinzeln möchten, daß viele außer der Lage eines gemeinschaftlichen Gottesdienstes kommen werden. Da aber die jetzigen Schutzjuden, besonders in den Städten, wo starke Gemeinden sind, viele, großenteils unnöthige, publique Bediente haben, wegen deren Besoldung und Unterhalt sie solidarisch verbunden sind; so müssen, damit auch in diesem Stücke das solidarische Band einmal aufhöre, wenn die jetzt vorhandenen publiquen Bedienten abgehen, keine an ihrer Stelle vorgeschlagen werden, sondern, dieselben aussterben; und so weit eine oder andere Art dieser Bedienten zur Beobachtung der Jüdischen Religionsvorschriften durchaus unentbehrlich sind, werden, wo es nöthig, solche Leute dazu sich anzusetzen concediret werden, die dergleichen Geschäfte als ein Gewerbe treiben, und von denjenigen, die sich ihrer bedienen, nach einem Uebereinkommen oder zu bestimmenden Taxe dafür gelohnt werden, indem künftig nur in solchen Städten, wo vorzüglich große Gemeinden sind, Ein oder höchstens zwey Gesetzeskundige als öffentliche Bediente werden zugelassen werden. Dieses habt ihr den Juden-Gemeinden Eures Ressorts bekannt zu machen, und wie dem gegenwärtigen Rescript genüget worden, binnen vier Wochen anzuzeigen. Berlin, den 5 ten Junius 1792
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Dok. E: Resolution an die Ältesten der Jüdischen Gemeinde in Berlin (wg.) „Aufhebung oder Milderung verschiedener Gesetze gegen die Juden“ (2. April 1798): Einzusehen in: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), 207b 2a: Judensachen.Generalia, Fasz. 22, Bl. 91f. Eine Copie des Schreibens ist einzusehen in: GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 69. Gedr. auch bei Freund, Akten, S. 126f. Folgend zit. n. Freund, Akten, S. 126f.
Den Juden. Ältesten. Daniel Itzig und Consorten wird auf ihre unterm 22ten May 1795 allerunterthänigst eingereichte Vorstellung hierdurch zur Resolution ertheilt: daß ihr Gesuch um Aufhebung oder Milderung verschiedener Gesetze gegen die Juden reiflich erwogen und das Gutachten der Gesetz-Commission darüber erfordert worden. Es kann allerdings nicht verkannt werden, daß in den Gesetzen, deren Abstellung die Supplicanten suchen, eine gewisse Härte und eine nachtheilige Auszeichnung der Jüdischen Staats-Unterthanen gegen die übrigen liege; und es ist eben so sehr zur Ehre der Menschheit, als zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft zu wünschen, daß diese Gesetze möchten abgeschafft werden können. Allein dieselben machen nur einen Theil der allgemeinen das Judenwesen betreffenden Legislatur aus, deren Zweck ist, die übrigen Unterthanen des Staats gegen die Inconvenienzien zu sichern, welche die Aufnahme der Jüdischen Nation unter sie, vermöge des eigenthümlichen Charakters dieser Nation bei sich führt. Solange daher dieselbe fortfährt, sich nicht bloß durch speculative ReligionsMeynung, sondern durch practische Grundsätze, Sitten, Gebräuche und Verfassungen von den übrigen Staats-Einwohnern abzusondern, u. einen gewissen National-Haß gegen letztere zu nähren; so lange sie vermöge ihrer inneren Constitution u. Hierarchie gleichsam einen besonderen Staat im Staat bildet, so lange die Erziehung bey dem großen Haufen auf eine so verkehrte, den Zwecken des Staates entgegen laufende Art eingerichtet ist; so lange in allen diesen Stücken keine gründliche und allgemeine Verbesserung erfolgt, als wozu nur allein die Nation selbst thätig wirken kann; so lange also die Gründe bestehen, welche die Gesetze, die den Gegenstand der jetzigen Beschwerde ausmachen, als Sicherungs Mittel für die übrigen Staatsbürger motivirt haben; so lange kann eine Aufhebung dieser Gesetze um so weniger stattfinden, als eines Theils die Erfahrung eben nicht gelehrt hat, daß solche nachtheilige(n) Folgen für die unschuldige(n) Mitglieder der Nation, als Supplicanten in ihrer Vorstellung darzulegen sich bemüht haben, daraus wirklich entstanden sind; anderntheils aber das fernere Bestehen dieser Gesetze noch ein Bewegungsgrund mehr ist, auf eine solche obbeschriebene solide Reform hinzuarbeiten, und sich dadurch zur vollständigen Gleichsetzung mit den übrigen Staatsbürgern zu qualificieren.
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Dok. F: Zweite Einleitung zum Abdruck des Abschlussberichts der Judenreformkommission (10. Juli 1789) im Journal Neue Feuerbrände 6 (1807)[Auszüge]. Einzusehen in: Coelln, Friedrich v. (Hrsg.): Neue Feuerbrände. Heft 6 (1807), S. 97–103. Hier zit. n. S. 98–99 u. S. 101–103.
Als von Dohm zu Gunsten der jüdischen Nation schrieb und es ihm, außer einem ansehnlichen Geschenk von dem sparsamsten Volke, auch einen Namen in der literarischen Welt einbrachte, wurde es in der gelehrten Welt Mode, für und wider die Juden zu schreiben, und die bürgerliche Verbesserung der Länder Israels war das allbeliebte Steckenpferd, auf dem sich unsre schön-geisterischen Aufklärlinge weidlich herumtummelten. Mit jeder Messe vermehrten sich die Apologeten dieser unterdrückten Nation, und da es so edel, so human klang, sich des Bedrängten anzunehmen, so wurden die Gegner, bald als intolerant und inhuman, ver- und zugleich überschrien und überall drang man auf eine Reformation des Volkes Gottes. Den Juden selbst kam diese Stimmung sehr erwünscht, und als kluge Spekulanten waren sie auch nicht träge, sie zu ihrem Vortheil zu benutzen, und auf den Grund dieser Stimmung überall so viel zu erschleichen, als nur immer möglich war, aber sie hüteten sich sorgfältig, durch irgend eine Nachgiebigkeit, die eine Aenderung in ihrer innern Verfassung hätte bewirken können, den Absichten ihrer Beschützer zu entsprechen, und auch ihrer Seits durch Aufopferungen der gewünschten und so laut gepredigten Reformation entgegen zu kommen. Alle ihrer Fortschritte waren nur Fechterstreiche, bis auf das Schreiben einiger jüdischer „Hausväter“ an den verstorbenen Oberkonsistorialrat und Propst Teller; aber sie gewannen dabei doch immer sehr viel in den Augen des nicht prüfenden Publikums, das sich so leicht vom Scheine täuschen läßt, und ohne daß sie einem ihrer wesentlichen Vorrechte entsagen durften, erschlichen sie manche erhebliche Vortheile in den bürgerlichen Gesellschaften, die ihnen, zur Erhaltung des Gleichgewichts mit den übrigen nicht jüdischen Staatsbürgern, geschmälert worden waren. Dies Geschrei der Schriftstellerwelt hatte denn auch endlich die Ohren der Regierungen berührt, und da diese denn doch, so sehr sie auch praktisch dem Geist der wahren Aufklärung und Freiheit entgegen arbeiteten, gern den Schein haben wollten, als seyen sie bereit, nach Möglichkeit für das Wohl der Unterthanen zu wirken, so kam denn auch bei ihnen das Modethema, die bürgerliche Verbesserung der Juden, zur Sprache. […] Will man die jüdische Nation auf eine höhere Stufe der Bildung bringen, will man sie für den Staat nützlicher machen, so muß man nicht allein, wie bisher geschehen ist, ihnen nach und nach mehrere Vorrechte einräumen, sondern sie auch
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anhalten, mehrere Pflichten als Staatsbürger, gemeinschaftlich mit den übrigen nicht jüdischen Staatsbürgern, zu tragen, damit dadurch ihr besonderes Interesse sich mehr mit dem allgemeinen Interesse amalgamire, und sie nicht, wie jetzt, beständig einen Status in statu bilden, der immer, nach Maaßgabe seiner Größe, seines Einflusses und seiner Intelligenz, dem allgemeinen Besten mehr oder minder schädlich wird. Vielleicht wäre die Zuziehung der Juden zum Soldatendienst hierzu mit ein wirksames Mittel, aber noch immer besteht die gesetzliche Bestimmung, daß keine Juden im Militär dienen sollen; obgleich das Oberkriegskollegium schon vor vielen Jahren auf die glückliche Idee kam, auch diese Unterthanen dem Enrollement zu unterwerfen. In der französischen Armee befinden sich viele jüdische Glaubensgenossen und sie haben auf die siegreichen Fortschritte dieser Armee keine nachtheilige Wirkung gehabt. So lange die Subsistenz der Juden blos auf den Handel beschränkt ist, wird der herrschende Geist des Wuchers unter ihnen nicht verringert werden, und da beinahe mit jedem Jahre die Summe des baaren Reichthums mehr und mehr in ihre Hände kommt, bei dem herrschendem stets zunehmenden Luxus aber das Geld immer mehr Gewicht auch da erhält, wo edlere Motive wirken sollten, so leidet es keinen Zweifel, daß ihr heimlicher Einfluß auf die wichtigsten Branchen der Staatsadministration immer ausgedehnter und drückender werden muß. Fast alle königlichen Officianten, wenige Ausnahmen ausgenommen, sind in lästige Geldverbindungen mit dem Volke Gottes verwickelt und seufzen unter dem Druck ihres Wuchers; und es ist keine Uebertreibung, wenn man annimmt, daß die Hälfte der Gehälter der Civilofficianten jährlich, gleich nach der Zahlung [an die, Anm. d. Verf.] Empfänger, an die Juden gezahlt wird. Eine genaue Recherche bei den sämmtlichen Kassen, aus welchen diese Gehaelter fließen, würde diese Behauptung bis zur Evidenz darthun. Unter solchen Umständen ist daher dem Gläubiger durch seine Schuldner nichts verschwiegen, was in den verschiedenen Zweigen der Staatsadministration vorgeht, er erfährt jede Staatsoperation weit früher, als das übrige Publikum, kann darnach seine Maßregeln nehmen, und seinen Vortheil ziehen. Sollen Lieferungen veranstaltet werden, so ist er der erste, der sich dazu meldet, und nur in seinen Händen sind die wichtigsten Entreprisen, z. B. die Klassenlotterie, die Fouragelieferungen u. dergl. und in wichtigen Processen erfährt er gewiß die Entscheidungen des Gerichtshofes früher, als noch die Sentenz publicirt ist. Doch diese Nation ist unerschöpflich, und so wenig man auch mit dem Tone zufrieden seyn kann, mit dem einst der Justizkomissarius Grattenauer wider die Juden schrieb, so muß doch der Unparteiische ihm darin Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er viel Wahres und für den Staatsmann der Beherzigung Werthes zur Sprache gebracht hat.
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Dok. G: Ein Kommentar des preußischen Regierungsrates (v.) Holsche zum jüdischen Leben in der Stadt Białystok in Neuostpreußen (1800) [Auszüge] Zit. aus: Holsche, August Karl (v.): Geographie und Statistik von West-, Süd- und Neu-Ostpreußen. Nebst einer kurzen Geschichte des Königreichs Polen bis zu dessen Zertheilung. 3 Bde. Berlin 1800–1807; Bd. 1, S. 451f.
Die Zahl der Häuser, von welchen die meisten den Juden gehören, welche den größten Teil der Einwohner ausmachen, beläuft sich auf 459, und die der Einwohner auf 3370; wüste Baustellen findet man hier gar nicht, vielmehr sind einige ganz neue Häuser hinzugekommen, und die verfallenen ausgebauet worden. Die Häuser stehen in einem sehr hohen Werthe, seitdem hier zwei Landeskollegien etablirt worden, und ein Füsilier-Bataillon seine Garnision hat. […] Die Stadt ist ziemlich lang, wenn man die Vorstädte dazurechnet, welche unmittelbar damit verbunden sind. Der ganze Umfang der Stadt beträgt über eine Stunde. Die Hauptstraßen sind gepflastert und es wird damit fortgefahren, so daß Aussicht vorhanden ist, daß in wenig Jahren, die ganze Stadt gepflastert sein wird. […] Die Bürgerhäuser sind beinahe alle in einerlei Geschmack gebauet und Giebelhäuser von einem Geschosse, von Holz mit einem massiven Giebel und Hofraum an der Seite und auch hinten, so wie größtentheils mit einem Garten versehen. […] Der Markt ist beinahe ein Oval, und vom großen Umfange; mitten darauf liegt ein sehr großes Gebäude von einem Geschosse, mit einem Thurme versehen, und massiv gebauet, welches sehr uneigentlich das Rathaus genannt wird; denn der Magistrat hat hier nicht einmal ein Dienstgelaß. Es besteht aus einigen 40 Kaufmannsgewölben, worin die Juden alle Arten von Waaren feil haben und gereicht der Stadt zur Zierde. Die Gewölbe sind von ansehnlichen Werthe, indem sie für einige hundert Ducaten verkauft werden. An Waaren ist kein Mangel, und manche Gattungen derselben sind hier besser und wohlfeiler, als in vielen großen Städten; auch kann man hier Waaren kaufen, die in anderen großen Städten beinahe nicht für Geld zu haben sind. Die Handelsjuden bereisen die Messen zu Frankfurt und Leipzig und treiben einen beträchtlichen Handel mit Tüchern, Seidenen-, Baumwollenen-, Wollenen-, Leinenen-Waaren und mit Pelzwerk aus Rußland. Die Zufuhr ist hier außerordentlich stark, denn des Sonntags und Donnerstags, als den Wochen- Markttagen kommen bisweilen 1000 Wagen zu Markte, welche alle möglichen Bedürfnisse zuführen. Diese sind von guter Qualität, und verhältnißmäßig ziemlich wohlfeil, besonders Getreide, Fleisch und Gartengewächse.
Biografien Die Angaben zu den folgend genannten Personen stammen aus: Biografisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten (Rolf Straubel, 2009), den Artikeln in ADB, NDB und der Altpreußische[n] Biographie, der Deutschen Biographischen Enzyklopädie (DBE), den Mitteilungen aus dem Kalender für den Preußischen Hof und Staat, dem Handbuch für den preußischen Staat und Hof, der Charakteristik guter Leute/Plan zur Abschaffung der Regie (J. C. Woellner, 1786, teilw. gedr. bei Ruppel-Kuhfuss, General-Direktorium, S. 151–157), dem Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2/1, 2/2 (hrsg. v. W. Benz 2009/2010) und verschiedenen Biografien und Monografien zu den erwähnten Personen. Zum Umfang der Reformtätigkeit kann jedoch nur der Gesamttext Auskunft geben. Abraham, Liepmann (Carl August Limann) (1767–1821), 1809 getauft auf den Namen Carl August Limann, gehörte wahrscheinlich zu den Nachkommen der Familie Abraham, die über mehrere Generationen in der Petschierstecherei und der Medaillengravur tätig war. Abraham Liepmann war Berliner Bankier, erhielt 1809 aufgrund der Städteordnung von 1808 das Bürgerrecht, konvertierte im gleichen Jahr zum Protestantismus (15. 7. 1809) und war Mitglied der Materialhandlungsgilde und der Korporation der Kaufmannschaft.1 Er war Mitunterzeichner der Eingabe (1795) zur Aufhebung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Altenstein, Carl Sigismund Franz Freiherr vom Stein zum (1770–1840) studierte in Erlangen, Jena und Göttingen Rechtswissenschaften und beschäftigte sich mit Naturwissenschaften und Philosophie. 1793 kam er als Referendar an die KDK Ansbach und wurde nach R. Straubel von Hardenberg protegiert. 1799 zog Altenstein nach Berlin. 1803 wurde er zum Finanzrat und Mitglied des General-Direktoriums ernannt. 1806 reiste er mit dem Hof nach Königsberg. 1808 zum Finanzminister ernannt, führte er nach der Entlassung Steins gemeinsam mit Alexander v. Dohna-Schlobitten das interimistische General-Departement. In seiner Rigaer Denkschrift vom 11. September 1807 sprach sich Altenstein für eine Reform des Judenwesens aus. Das Ziel, die Erziehung zum nützlichen Staatsbürger, sollte mit Hilfe von Unterrichtsanstalten verwirklicht werden. Das langfristige Ziel war der freie Gebrauch der Kräfte und die Übernahme aller bürgerlichen Rechte. Dass der jetzige Zeitpunkt dafür günstig schien, beschrieb er wie folgt: „Bei der Veränderung der ganzen Verfassung ist dieses möglich, und in dem jetzigen Augenblick ist die größte Aufmerksamkeit auf die Juden doppelt wichtig, da Frankreich sich ihrer zu bemächtigen sucht.“2 An den Gutachten zur Reform war er namentlich nicht beteiligt. Alvensleben, Philipp Carl Graf v. (1745–1802) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften, war Mitglied der Freimaurer (1766–1771) und trat 1770 als Referendar am Berliner Kammer-
1 Vgl. Rachel, Hugo: Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus. Berlin 1931, S. 45. Vgl. dazu Jacobson, Jacob: Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin. 1809–1851. Berlin 1962, S. 62. 2 Altenstein, Karl: Über die Leitung des Preußischen Staates an S. des Herrn Staatsministers Freiherr von Hardenberg Exzellenz (11. September 1807). In: Winter, Georg (Hrsg.): Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. 1. Teil. Leipzig 1931, S. 364 –566, S. 458.
Biografien
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gericht in preußische Dienste ein. Über den Hofdienst avancierte er zum Gesandten im Diplomatischen Dienst (Dresden, Paris, Den Haag, England). Seit 1791 war er Kabinettsminister. Alvensleben war Unterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinden, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Arnim, Friedrich Wilhelm Graf v. (1739–1801), studierte in Frankfurt/O. und Göttingen Rechtswissenschaften. Arnim war 1768 Geheimer Justizrat in Prenzlau und seit 1776 Vizedirektor der Kurmärkischen Landschaft. 1786 in den Grafenstand erhoben, gehörte er dem General-Direktorium u. a. als Forstminister und Oberjägermeister an (seit 1786). Er war Mitunterzeichner des ersten Reformentwurfs v. 1789. Anières, Johann Friedrich Benjamin d’ (1736–1803) war als Geh. Oberregierungsrat und einer der beiden Generalfiskale mit dem Zuständigkeitsbereich für alle königlichen Provinzen mit Ausnahme von Schlesien, Neuchâtel, Ansbach und Bayreuth für die königlichen Regalien und die Beobachtung der Landesgesetze verantwortlich. Darüber hinaus war er einer der drei Revisionsräte im Französischen Kolonie-Departement. Als Mitglied in der Philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften war der Minister auch in der aufgeklärten Ideengeschichte bewandert. D’Anières selbst war ein Kritiker der Sonderbesteuerung. In einem Gutachten anlässlich einer Neuberechnung der Sondersteuern (1769) hatte er sich als aufgeklärter Humanist für eine rechtliche und menschliche Gleichberechtigung eingesetzt. Nach Tobias Schenk hat sich der Gen.-Fiskal zu einem der größten Vollstrecker und hartnäckigsten Eintreiber der Sondersteuern entwickelt. Sein menschenfreundliches und dem Naturrecht verpflichtetes Gutachten (1769) als Votum gegen eine neue Sonderbesteuerung der Juden sollte dementsprechend nicht als Beispiel für eine nachhaltige liberalisierte Beamtenpolitik gelten.3 D’Anières war Mitglied der 1. Judenreformkommission. Bärensprung, Johann Georg Wilhelm (v.) (1741–1803) studierte in Göttingen und Frankfurt/O. Rechts- u. Kameralwissenschaften. Als KD-Rat in Minden und folgend in Geldern-Moers und Hamm, stieg er 1778 als Finanzrat in das General-Direktorium auf und arbeitete im Forst-, Salz- und Bergwerks Departement. Woellner beurteilte ihn als klug und tätig. Sein Wesen hielt er für misstrauisch und verschlossen. Seit 1789 regulierte Bärensprung das Rekrutenwesen in Westfalen und schloss 1791 den Vertrag über die Abtretung von Ansbach-Bayreuth an die preußische Krone. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Baumgarten, Otto Nathanael (1745–1802) studierte Kameralistik in Halle/S. Seit 1767 als Referendar im Kammergericht angestellt, bestand er sein großes Examen weitaus besser als der gleichfalls examinierte Otto Albrecht v. Arnim (1751–1803). Seit 1769 war Baumgarten als Kammergerichtsrat tätig. Von 1772 bis 1790 war er Mitglied des Montagsclubs. Baumgarten bearbeitete Justizsachen, wurde 1789 zum Geheimen Oberjustizrat befördert und galt als versiert, geschickt und erfahren. Seit 1789 war er Mitglied der Gesetz- und Immediat-Examinationskommission. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Beguelin, Heinrich v. (1765–1818) studierte in Königsberg Rechtswissenschaften und war seit 1803 Assessor im General-Direktorium. Ab 1803 arbeitete er als Geh. Finanzrat im Akzise-
3 Schenk, Tobias: Generalfiskal Friedrich Benjamin Loriol de la Grivillière d’Anieres. In: Horch, Hans O./Jütte, Robert/Wenninger, Markus (Hrsg.): Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden1 (2009), S. 185–223, S. 185f.
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und Zolldepartement. Seit 1805 war er Leiter des Statistischen Büros und anschließend Sekretär Hardenbergs. Er schied aus privaten Gründen aus dem Staatsdienst aus. 1810 berief ihn Hardenberg erneut in die Finanzkommission. In Paris führte Beguelin die Verhandlungen über die Umwandlung der Kontributionszahlungen in Sachlieferungen. Bekannt wurden er und seine Frau Amalie durch die Veröffentlichung ihrer Tagebuchblätter, in denen sie u. a. Staatskanzler Hardenbergs stark hervortretende Huld gegen die Juden tadelten.4 Beguelin fertigte das Gutachten der Abgaben-Sektion (1810) an. Bendavid, Lazarus (1762–1832) war Pädagoge, Philosoph und Mathematiker und veröffentlichte als Mitglied der jüdischen Gemeinde und Schüler Immanuel Kants die Schriften: Vorlesungen ueber die Critik an der reinen Vernunft (1796); Vorlesungen über die Critik der praktischen Vernunft (1796); Ueber die Critik der Urteilskraft (1795–1797); Beyträge zu einer Critik des Geschmacks (1797). Sein Roman Ferdinand und Madame Weber (o. J.) soll insbesondere in Wien, wo er neben Berlin zeitweise lebte und Vorlesungen hielt, große Aufmerksamkeit erregt haben. Mit seinem Aufsatz Ueber den Ursprung unserer Erkenntnis (1799) wurde Bendavid Preisträger der Königlichen Preußischen Akademie. Ab 1806 war er Direkter der jüdischen Freyschule in Berlin. Bendavid erhielt als einziger Jude, Maimon und Herz waren bereits verstorben, einen Platz in Moses Samuel Lowes Porträtband Bildnisse jetzt lebender Berliner Gelehrten (1806). Heinrich Heine beschrieb Bendavid als „Weisen nach antikem Zuschnitt, umflossen vom Sonnenlicht griechischer Heiterkeit, ein Standbild der wahrsten Tugend und pflichtgehärtet wie der Marmor des kategorischen Imperativs seines Meisters Kant“.5 An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Bendix, Abraham Hirsch (August Heinrich Bendemann) (1769–1857), führte nach Jacobson den Namen August Heinrich Bendemann seit 1809 mit ministerieller Erlaubnis. Er war Mitglied der „Gesellschaft der Freunde“ und Teilhaber des Bankgeschäfts der Gebrüder Bendemann. 1821 wurde er zum Direktor der Zuckersiederei-Societät und zum Geh. Kommerzienrat ernannt. Möglicherweise nahm A. H. Bendix als Stellvertreter für Jakob Moses und Delegierter der Berliner Judenschaft am Gespräch über den 2. Reformentwurf (1792) im General-Direktorium teil. Beyer, Georg Friedrich Eberhard (v.) (1739–1818). Es sind keine Angaben zu seinen Ausbildungen und Studiengängen bekannt. Beyer arbeitete in der Manufaktur der Gebrüder Schwartz in Halberstadt und wurde 1767 zum Rat der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer (KD-Rat) befördert. Dort war er für Fabriken- und Commerzienangelegenheiten zuständig. Seit 1776 war er Logenmitglied und folgend Mitglied der Rosenkreuzer. Minister Woellner beurteilte seine Persönlichkeit und seine Leistungen positiv (ehrlich, rechtschaffen, diensteifrig, fester Charakter). 1786 von Friedrich Wilhelm II. nobilitiert, war Beyer auch mit Sitz im General-Direktorium vertreten und blieb dort bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1810 tätig. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Beyme, Karl Friedrich (v.) (1765–1838) war bürgerlicher Herkunft und wuchs zeitweise im Waisenhaus in Halle auf. Er studierte Rechtswissenschaften in Halle/S., arbeitete ab
4 Vgl. dazu Beguelin, Heinrich und Amalie: Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie v. Beguelin 1807–1813, hrsg. von Adof Ernst, Berlin 1892, S. 290f. 5 Heinrich Heine zit. nach Geiger, Ludwig: „Bendavid, Lazarus“. In: ADB 2 (1875), ND Berlin 1968, S. 318–320, S. 318. Siehe auch M. S. Lowe: Bildnisse jetzt lebender Berliner Gelehrten mit ihren Selbstbiographien. Berlin 1806.
Biografien
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1784 als Rechtsreferendar in Berlin und seit 1788 als Assessor am Kammergericht. Als 23-Jähriger war er einer der jüngsten Mitarbeiter am Allgemeinen Preußischen Landrecht. 1791 wurde er zum Kammergerichtssrat ernannt und 1798 zum Kabinettsrat. 1808 wurde er Präsident des Kammergerichts und 1808 zum Staatsminister und Großkanzler ernannt. 1810 ging er für 15 Monate als Civilgouverneur nach Pommern, 1814 wurde er nobilitiert und seit 1816 war er mit der Organisation der Justiz in den Rheinprovinzen beauftragt. Beyme fertigte das Gutachten des Justizministeriums (23. Mai 1810) an. Beuth, Peter Christan Wilhelm (1781–1853) studierte in Halle/S. und kam 1801 als Referendar an die Kriegs- und Domänenkammer der Kurmark. 1805 wechselte er nach Franken und war seit 1806 Assessor an der KDK Bayreuth. Seit 1810 arbeitete er als Geh. Obersteuerrat im preußischen Finanzministerium. Über verschiedene Stationen als Technischer Direktor für die Gewerbe avancierte er 1830 zum Leiter der Abteilung Handel, Gewerbe und Bauwesen. Er schrieb mit Johann Andreas Philipp Ladenberg das Gutachten der AbgabenSektion (Finanzministerium) zum ersten Entwurf Raumers (11. April 1811). Blumenthal, Joachim Christian Graf v. (1720–1800) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. Er arbeitete als KD-Rat in Gumbinnen (1743), Königsberg (1746) und als Präsident der KDK in Magdeburg (1755). Blumenthal saß seit 1763 im General-Direktorium und war als Geh. Staats- und Kriegsminister mit eigenem Departement für die Neumark und Pommern vertreten. Zusätzlich führte er die Oberaufsicht über den Königlichen Tresor. Er war Mitunterzeichner des 1. Reformentwurfs. Boyen, Hermann Ludwig Leopold (1771–1848) trat 1787 in die preußische Armee ein, kam 1788 auf die Militärschule und hörte in Königsberg Vorlesungen von Immanuel Kant über Anthropologie. 1794/1795 nahm er am Feldzug gegen Polen teil, 1803 nahm ihn Scharnhorst in die „Militärische Gesellschaft“ auf. Boyen referierte dort zu Fragen der Heeresverfassung, der Staatsverfassung und Gesellschaftordnung sowie zu Themen der Taktik und Strategie. 1808 erfolgte seine Berufung in die Militärreorganisationskommission. 1810 wurde er zum Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements ernannt. Seine Idee von der „Armee als Schule der Nation“ soll auf die von ihm gehörten Vorlesungen von Immanuel Kant (Königsberg 1788) zurückzuführen sein. 1812 trat er in russische Dienste und überbrachte das Bündnisangebot des Zaren an den preußischen König. Er nahm als Generalstabsoffizier an den Befreiungskriegen teil, avancierte zum Generalmajor und wurde 1814 zum Kriegsminister berufen. Boyen war Mitunterzeichner des Gutachtens des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) zum Entwurf Schroetters. Brill, Joel (1762–1802) war ein Jugendfreund von Isaac Euchel und wurde als Professor Joel Löwe bekannt. Er war Rektor der Wilhelmschule (Breslau) und zuvor als Hauslehrer im Haus des Berliner Bankiers Aaron Meyer und im Haus von David Friedländer (von 1782 bis 1791) beschäftigt. Brill arbeitete wie Euchel an der Kommentierung der Toraübersetzung von Mendelssohn und gilt als Gründungsmitglied der „Gesellschaft der hebräischen Literaturfreunde“. An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Buchholtz, Heinrich Jakob Ludwig (v.) (1749–1811) stand als Kriegsrat im Dienst des Departements des Grafen Schulenburg. Er wurde 1784 von Friedrich II. geadelt, residierte als preuß. Legationsrat am polnischen Hof und wurde nach seiner Rückkehr wegen unzureichender Kenntnisse nicht in das General-Direktorium aufgenommen. Dennoch zum Finanzrat befördert, kam er 1792 erneut als Gesandter nach Warschau. 1794 wurde er in der Regierung Hoyms zum südpreußischen Oberpräsidenten ernannt. Buchholtz schloss
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im Oktober 1795 die Verträge über die dritte Teilung Polens ab.6 An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Buchholz, Friedrich Paul Ferdinand (1768–1843) studierte Theologie in Halle/S. und arbeitete ohne Abschluss als Lehrer an der Ritterakademie in Brandenburg/Havel. Seit 1800 lebte er als Literat ohne Festanstellung in Berlin und verfasste mit aufgeklärten und radikalen Ideen staatsphilosophische Schriften, u. a. Der neue Leviathan (1805). Politisch trat er für die Aufhebung der Stände und die Einheit aller Staatsbürger ein. In der „Judenschaft“ machte er neben dem Adel die Feinde der Nation aus. In seiner Schrift Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältnis der Juden und Christen. (1803) favorisierte Buchholz das Modell der völligen Amalgamation. Als Methode schlug er die Mischehe unter der Dominanz des christlichen Ehemannes als körperliches und familiäres Mittel zur Verschmelzung vor. Antizipiert wurden seine Ideen von Heinrich v. Beguelin, der Buchholz in seinem Gutachten für die Abgaben-Sektion im Finanzministerium (1810) positiv würdigte. Als bekanntere und zynisch-boshafte Schrift von Buchholz sei hier noch auf die Galerie preußischer Charaktere (1808) verwiesen. Dort griff Buchholz u. a. Generäle, Minister und den jüdischen Geheimrat Veitel Ephraim an. 1810/1811 arbeitete Buchholz im Staatsdienst als Berichterstatter über ausländische Literatur. Nach dem Wiener Kongress schrieb er erneut gegen die Judenemanzipation an: Aufschlüsse und Vorschläge zur Besänftigung des Streits über die Emanzipation der Juden (1832); Was verhindert die Juden an der Erwerbung politischer Rechte (1833). Bülow, Friedrich August v. (1762–1827) studierte in Göttingen Rechtswissenschaften, arbeitete als Hof- und Kanzleirat in Celle und trat 1805 in den preußischen Staatsdienst ein. 1807 rückte er interimistisch in das Justizdepartement ein, 1809 wurde er Direktor des Oberlandesgerichts von Litauen zu Insterburg. Zu Beginn des Jahres 1812 kehrte er nach Berlin zurück und arbeitete als Geheimer Staatsrat im Oberfinanzkollegium. Die Umarbeitung (1812) des Entwurfs Pfeiffer auf der Basis des Entwurfs Schroetter erfolgte wahrscheinlich von ihm und nicht von seinem Stiefbruder Ludwig Friedrich Victor Hans Graf von Bülow (1774–1825). Nur Friedrich v. Bülow arbeitete zu diesem Zeitpunkt im preußischen Dienst. Burghoff, Johann Friedrich August (v.) (1743–1802) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. und war seit 1761 Mitglied der Freimaurer. 1767 zum KD-Rat in Magdeburg berufen und seit 1778 Finanzrat im 1. Departement des General-Direktoriums, blieb er bis zu seiner Pensionierung Mitglied der Gesetzkommission. Nach dem Woellnerschen Dossier war Burghoff ein erfahrener, routinierter und fleißiger Mann. Dass Burghoff privat als „untreuer Lüstling“ bekannt war, stand ebenfalls im Dossier.7 Burghoff wechselte ins Oberkriegskollegium, wurde 1798 nobilitiert und von seiner Arbeit im Kriegskollegium abgezogen. Er arbeitete folgend im General-Kassen-Departement. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Carmer, Johann Heinrich Casimir Graf v. (1721–1801) studierte Rechtswissenschaften in Jena und Halle, und kam 1749 als Referendar ans Berliner Kammergericht. Über seine Tätigkeiten als Oberamtsdirektor in Breslau und Chef der Breslauer Oberamtsregierung wurde er zum Justizminister befördert. Seit 1768 Justizminister und Chef aller schlesischen Regierungen, machte er Vorschläge zur Behebung des Geldmangels, zur
6 Vgl. dazu auch Straubel, Rolf: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten. 1740–1806/15. München 2009, S. 144. 7 Zit. n. Straubel, Handbuch, S. 157.
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Erhöhung des Kredits für den schlesischen Adel, zur Einrichtung und Gründung von allgemeinen Sozietäten und zur Verbesserung des Ackerbaus und des Fabrikwesens. Seit 1780 Großkanzler und Chef der Justiz für ganz Preußen, setzte er die unter Samuel v. Cocceji begonnene Justizreform fort. Für seine juristische Tätigkeit bereiste er Ost- und Westpreußen, um mit den entsprechenden Erfahrungen Verbesserung im Justizwesen umzusetzen. Er war Vorgesetzter aller Justizkollegien in den vom Justizministerium ressortierenden Provinzen. Ihm unterlag die allgemeine Leitung des Justizwesens, der Gesetzgebung, der Vorschlag und die Bestellung der Justizbeamten, die Visitation der Justizkollegien, die Mitaufsicht über die Justizverwaltung und das Justizministerium für das Spezialdepartement für Ost- und Westpreußen. Sein Hauptwerk wurde das ALR, das unter Friedrich II. begonnen, 1791 fertiggestellt und nach seiner vorläufigen Dispensation, drei Jahre später, 1794, in Kraft gesetzt wurde. 1797 war Carmer Chefpräsident der Gesetzkommission. Cavan, Georg Wilhelm Christian (1739–1840) studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt/O. und wurde Auditeur eines Infanterieregiments. Er erhielt 1773 das Prädikat eines Kriegsrats. 1787 erfolgte die Beförderung zum General-Auditeur (Militärgerichtsbeamter) mit der Aufsicht über das Zuchthaus Spandau. Im Oberkriegskollegium war er für Justizsachen zuständig. Wann Cavan in die Gesetzkommission kam, ist nicht belegt. 1799 wurden ihm Unterschlagungen und Betrügereien vorgeworfen. Das Urteil sprach ein förmliches Kriegsgericht, das ihn zu einer vierjährigen bzw. – bei Nichtrückzahlung der geschuldeten Summe – zu lebenslanger Festungshaft verurteilte. Damit verlor Cavan alle Ämter. 1803 wurde er aus der Haft entlassen. Cavan verfasste das zweibändige Kriegsoder Militärrecht, wie solches jetzt bei der Königlich Preußischen Armee besteht. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Coelln, George Friedrich Wilhelm (1766–1820) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften und arbeitete zunächst als Auskultator in der Kriegs- und Domänenkammer in Minden. Er absolvierte 1792 das große kameralistische Examen und wechselte nach Südpreußen. 1793 wurde er zum KD-Rat in Posen befördert. 1799 wurde er auf eigenen Wunsch als Steuerrat nach Glogau versetzt und arbeitete dort bis 1808. Seit 1803 trat er als Verfasser politischer Schriften auf, übte Kritik am friderizianischen Preußen, wurde inhaftiert und unter Anklage gestellt. Er war Mitglied des „Tugendbundes“ und befürwortete den Aufstand gegen das napoleonische Frankreich. Coelln publizierte den Juli-Bericht (1789) der ersten Judenreformkommission in seinem Journal Neue Feuerbrände (1808) mit zwei äußerst ambivalenten Einleitungen. Siehe Kapitel 7.3 dieser Arbeit und Dokument F. Dietrich, Johann Friedrich (1776–1812) arbeitete als KD-Rat in der Kammer zu Magdeburg und wurde nach dem Dossier von Woellner für den besten Rat der Kammer gehalten, der zu den wichtigsten Kommissionen gebraucht wurde und der von den Oekonomie- und Salzsachen am meisten verstand. Nach Woellner sagte die „ganze Provinz von ihm lauter Gutes und rühmte seine Rechtschaffenheit“8. Dietrich war Mitglied der 1. Judenreformkommission. Dohm, Christian Wilhelm (v.) (1751–1820) studierte in Leipzig Theologie und wechselte zu den Staats- und Rechtswissenschaften. Nach dem Studium und Aufenthalten in Dessau und Berlin übernahm Dohm eine Professur für Staatswissenschaften am Carolinum in
8 Woellner zit. n. Ruppel-Kuhfuß, Edith: Das Generaldirektorium unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. mit Berücksichtigung der interimistischen Instruktion von 1798. Würzburg/Aumühle 1937, S. 157.
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Kassel (1776–1779). Anschließend arbeitete er in preußischen Diensten, seit 1783 in einer Festanstellung im Auswärtigen Ministerium. 1786 nobilitiert, vertrat er zehn Jahre lang die Interessen des preußischen Hofes am Kurkölnischen Hof. Vermittelnd im bewaffneten Streit zwischen den Bischöfen und den Ständen schrieb er für Aachen eine eigene Verfassung. Im neu geschaffenen Königtum Westphalen trat Dohm in den Dienst König Jérômes und übernahm bis 1810 eine Aufgabe als Gesandter am Dresdner Hof. Dohm lieferte mit seinem 9-Punkte-Programm den Rahmen für die Entwürfe zum „Emanzipationsedikt“. Den Begriff „Emancipation“ verwendete er nicht. Dohna-Schlobitten, Alexander Graf v. (1771–1831) studierte in Frankfurt/O. und Göttingen, wechselte nach Hamburg und besuchte dort eine Handlungsschule. 1790 trat er als Assessor in die Kriegs- und Domänenkammer in Berlin ein. Er war seit 1801 Direktor und folgend Präsident der Kammer in Marienwerder und von 1808–1810 Nachfolger Steins als preußischer Innenminister. Dohna trat aus Protest gegen die despotische Amtsführung Hardenbergs zurück und wirkte ab 1813 als Zivilgouverneur östlich der Weichsel ohne Rückkehr ins preußische Ministerium. Alexander v. Dohna-Schlobitten war u. a. mit Aleander v. Humboldt, Friedrich Schleiermacher und Henriette Herz befreundet. Nach der Beurteilung Meiers zu den Reformbeamten der Ära Stein/Hardenberg war Dohna „nicht geeignet, in den damaligen höchst schwierigen Verhältnissen zu leiten und zu herrschen“9. In Dohnas Amtszeit entstand der Entwurf Schroetters. Er unterzeichnete das Gutachten der Allgem. Polizei-Sektion (gemeinsam mit Koehler und Friese) zum Entwurf Schroetters und legte nach der Vorlage Koehlers den Geschäftsgang (16. Mai 1809) fest. Dunker (ohne Angaben) war Mitunterzeichner des Gutachtens des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) zum Entwurf Schroetters. Ephraim, Ephraim Veitel (1729–1803) war der älteste Sohn des Berliner Münz- und Fabrikbesitzers Nathan Veitel Heine Ephraim und war ebenfalls als Kaufmann und Fabrikateur tätig. Nach den Untersuchungen von Julius H. Schoeps ist über ihn nur wenig bekannt. Auch Heinrich Schnee erwähnt ihn nur beiläufig. Bekannt ist hingegen die von ihm gestiftetet „Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt“ und seine Berufung zum „Hof-, Kriegs- und Cammeragenten“ im Jahr 1782. 1785 verfasste Ephraim eine Denkschrift zur bürgerlichen Verbesserung der Juden. Einzusehen in: GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403. 1795 gehörte Ephraim zu den Unterzeichnern der Petition (1795) zur Abschaffung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Ephraim, Heimann V. (1753–1821), der älteste Sohn von Ephraim Veitel Ephraim und Enkel von Nathan Ephraim, gründete und leitete gemeinsam mit Salomon Ephraim, Ruben Hirsch und später mit Jakob Borchard eine Manufaktur für die Herstellung von Nesseltuch. Er besaß seit 1809 das Berliner Bürgerrecht, arbeitete als Landschaftsagent der westpreußischen Landschaft und war ab 1812 Mitglied der Börsenkorporation. Die Gold- und Silbermanufaktur der Familie Ephraim ging kurz vor seinem Tod ausschließlich in seinen Besitz über. Er gehörte zu den Mitunterzeichnern der Petition (1795) gegen die Haftung in solidum nach Art. 10 und 24, Gen.-Jud.-Priv. von 1750. Ephraim, David (1762–1835) war der zweite Sohn von Ephraim Veitel Ephraim, der mit einer Tochter von Daniel Itzig verheiratet war. Er wurde in einer Gewerbestatistik zum Ende des
9 Zit. n. Meier, Ernst: Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg. München 1912, S. 163.
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18. Jahrhunderts als Indigohändler, Baumwoll- und Leinenzeugfabrikant geführt.10 Einen eher negativen Ruf erhielt Ephraim durch die Anleihe mit Schuldverschreibungen an österreichische, ungarische und böhmische Fürsten- und Grafensöhne, die die Scheine ohne Sicherheiten gezeichnet hatten und die für Ephraim erst nach dem Tode der Väter einlösbar wurden. Nicht zurückgezahlte Kredite und Zinsen und der Vorwurf der Bestechung führten 1805 zur Eröffnung eines Konkursverfahrens. Der Zusammenbruch des Hauses veranlasste den Freiherrn zum Stein zu der Äußerung, dass „eine unfähige Bankbürokratie die Juden bevorzuge“.11 An den Reformarbeiten war David Ephraim namentlich nicht beteiligt. Euchel, Isaac (1765–1804) stammte aus einer Kaufmannsfamilie, lebte als Jugendlicher in Berlin und besuchte zum weiteren Studium die Jeschiwa in Frankfurt/M. Er arbeitete bereits in sehr jungen Jahren als Hauslehrer in Westfalen. 1781 studierte er in Königsberg Orientalische Sprachen, Pädagogik und Philosophie und lebte im Haus der Familie Friedländer. Euchel gründete die „Gesellschaft der Freunde der hebräischen Sprache“ und die „Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Edlen“, entwickelte Arbeitskonzepte und versuchte den Einfluss der Aufklärungsbewegung auszudehnen. An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Fischer, Friedrich Freiherr Christoph v. (1750–1797) war Professor für Staats- und Lehnsrecht in Halle/S. Er kritisierte, dass junge Anwärter in sämtlichen Teilen der Landwirtschaft, Technologie, Haushaltungskunst, Polizei und Handlungswissenschaften nur wenige Kenntnisse erringen konnten. Er schlug daher vor, sich stärker auf das Provinzialrecht als auf das ganze Staatsrecht zu konzentrieren. Seine Lehre umfasste dennoch das gesamte Staatsrecht, also Reichshistorie, Staatsgeografie, Statistik, Staatsklugheitslehre, Staatskunst und Staatsrecht. Fischer untergliederte die Staatslehre in eine innere und eine äußere Staatskunst und zählte zur äußeren die Kriegswissenschaft und die Friedensund Gesandtschaftspolitik. Zur inneren Staatskunst zählte er die Angelegenheiten der Reichs-, Kreis- und Landschaftspolizey, der Stadtwirtschaft und Handlungswissenschaft, der Landwirtschaft etc. Unter die Rubrik des Staatsrechts fiel altes, mittleres und neues Staatsrecht ebenso wie äußeres, inneres und das Reichsvölkerrecht. Ebenfalls erwähnenswert ist seine nach Themengebieten zusammengestellte Literaturliste, die er für seine Studenten anfertigte.12 An den Reformarbeiten war er nicht beteiligt. Friedländer, David (1750–1834) stammte aus einer wohlhabenden Königsberger Kaufmannsfamilie und kam 1771 nach Berlin. Er heiratete eine Tochter von Daniel Itzig und erwarb über die Zugehörigkeit zur Familie Itzig das Naturalisationspatent (1792). Friedländer war erfolgreicher Besitzer einer Berliner Seidenfabrik und galt als einflussreicher Ältester der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Er selbst war Mitbegründer der Berliner Freyschule (1778), Herausgeber eines Lesebuchs für jüdische Kinder (1779) in deutscher Sprache und zeitweise für die Zeitschrift HaMe’assef. Darüber hinaus dokumentierte er Aktenstücke zu den preußischen Reformen (1793) und war Berliner Stadtrat in den Jahren 1809–1814.
10 Vgl. dazu Rachel, Hugo/Wallich, Paul: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Bd. 2. Berlin 1938. ND Berlin 1967, S. 336ff. 11 Stein zit. n. Pertz, Georg Heinrich: Aus Steins Leben. Bd. 1 (1757–1814), Berlin 1856, S. 320. 12 Vgl. zum Thema „Kameralistik“ als statistische Wissenschaft den Aufsatz von Fischer, Friedrich: Lehrbegriff und Umfang der teutschen Staatswissenschaft oder von der Verbindung und dem Verhältnisse der Kameralwissenschaften zum teutschen Staatsrechte (1783).
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Er verfasste Texte zur Neugestaltung des jüdischen Gottesdienstes und galt als aktiver Befürworter einer kulturellen und religiösen Angleichung an die preußisch-bürgerliche Mehrheitsgesellschaft. Mit beratender Stimme und in der Funktion eines Gemeindeältesten war er über die gesamte Reformzeit an den verschiedenen Legislativen zur Reform über das Judenwesen beteiligt und kommentierte 1811 den Entwurf von Friedrich v. Raumer. Friedrich Wilhelm II. von Preußen (1744–1797) wird nach Hartmann (ADB 7) als sinnenfroher, wenig charaktervoller Monarch geschildert, dem Spannkraft und Konsequenz fehlten. Den Maßstab zu dieser Beurteilung lieferte die relativ unkritische und positive Beurteilung von Friedrich II., der Preußen in seiner über vierzigjährigen Regentschaft zu einer europäischen Macht „emporgehoben“ hatte und der aus diesem Grund und zu dieser Zeit als beispielhafter, uneigennütziger und genialer Monarch und Feldherr idealisiert wurde. Friedrich Wilhelm II. konnte im Rückblick auf seine gut zehnjährige Regentschaft nur mit wenigen politischen Entscheidungen und erfolgreichen Schlachten identifiziert werden. Innenpolitisch organisierte er die Armeeverwaltung und regelte die Exemtion und die Enrollierung neu. Außenpolitisch suchte er den Ausgleich mit Österreich und führte im Bündnis mit Österreich (1792) Krieg gegen das revolutionäre Frankreich. Seine Unterstützung und Teilnahme an der Politik der Teilung Polens (1793/1795) führte für Preußen zur flächenmäßig größten Ausdehnung. Er förderte die Reform Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden, brachte sie aber nicht zu einem erfolgreichen Abschluss. Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770–1840) wurde entsprechend der Tradition früh zum militärischen Dienst erzogen. 1784 zum Leutnant und 1790 zum Oberst ernannt, war er im Feldzug gegen Polen (1794) bereits Befehlshaber einer Heeresabteilung. 1793 heiratete er Louise von Mecklenburg-Strelitz. Zu seinen wichtigsten innenpolitischen Maßnahmen zum Regierungsantritt (1797) zählen die Entlassung der Minister Woellner und Bischoffswerder, die Amnestie für die Verurteilten der Kabinettsjustiz und das Verbot der Geheimen Verbindungen (1798). Außenpolitisch strebte er neben wechselnden Bündnissen gegen oder mit Frankreich eine Politik der Neutralität an. 1806 folgte Friedrich Wilhelm III. aufgrund verschiedener Übergriffe des französischen Kaisers der „Kriegspartei“, die gegen die Expansion Frankreichs mobilisierte. Gebietsverluste und Einwohnermangel, hohe Reparationszahlungen und französische Besetzungen förderten nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt (1806) die politische Umsetzung für Reformen „von oben“. Interesse zeigte Friedrich Wilhelm u. a. an den Agrarreformen, die von ihm initiiert wurden. Die Fortsetzung der Reform Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden wurde von ihm bewilligt, aber kaum inhaltlich begleitet oder wesentlich vorangebracht. Dass die Reform dennoch während seiner Regierungszeit zu Stande kam war dem Engagement der Beamtenschaft (Schroetter, Hardenberg, Raumer) zu verdanken. Friese, Carl Ferdinand (1770–1837) studierte Rechtswissenschaften in Königsberg und Halle/S. Er arbeitete als Auskultator in der Provinzialregierung Westpreußens. Vorteilhafte Zeugnisse bescheinigten ihm seine Eignung für das Amt eines Rates. 1796 erfolgte seine Bestallung zum 2. Kammerjustitiar in Marienwerder. Ab 1805 saß er im Amt eines Justizrats im General-Direktorium. Ab Dezember 1808 arbeitete er im Rang eines Staatsrats im Ministerium des Innern. Er unterschrieb das Gutachten der Allgemeinen Polizei-Sektion zum Entwurf Schroetters (16. Mai 1809).
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Gerhard, Carl Abraham (1738–1821) studierte Medizin und promovierte in Frankfurt/O. Seit 1763 praktizierte er in Berlin und wurde aufgrund seiner mineralogischen und physikalischen Studien zum Bergrat im General-Direktorium ernannt. Seit 1770 war er Mitglied des Bergwerksdepartements und arbeitete seit 1782 unter der Leitung von Minister Heinitz. Gerhard war von 1774 bis 1794 Mitglied im „Montagsclub“ und der „Gesellschaft der Naturforscher“ (1783). 1779 rückte er als Finanzrat in die Gesetzkommission ein. Ab 1798 war er Mitglied in der Immediat-Finanz-Kommission. Gerhard gehörte der Direktion des Großen Potsdamer Waisenhauses und der Akademie der Wissenschaften an (1768), hielt öffentliche Kollegien und publizierte verschiedene Schriften, z. B. Grundriß der Mineralogie (1786). 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Gerlach, Carl Friedrich Leopold v. (1757–1813) studierte in Göttingen und Halle/S. Rechtswissenschaften. Zu seinen Kommilitonen gehörten Haugwitz, Voss und Hardenberg. Gerlach wurde 1775 Referendar im Berliner Kammergericht. Seit 1779 war er Assessor in der Kurmärkischen Kammer. Von 1781–1786 war er Mitglied des „Montagsclubs“. Nach Woellners Beurteilung war er „ein vortreflicher junger Mann“, der über herausragende Kameralkenntnisse verfügte. Gerlach war seit 1790 als Finanzrat im General-Direktorium und seit 1791 Mitglied der Gesetzkommission. 1795 erfolgte seine Beförderung zum Präsidenten der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer. Er gehörte 1806 nicht zur „Reformpartei“ und nahm 1809 seinen Abschied. Wegen seiner eher konservativen Gesinnung geriet er wiederholt mit den Ministern Stein und Hardenberg in Auseinandersetzungen. Zum Abschied erhielt er den Roten-Adler-Orden. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Goldbeck, Heinrich Julius v. (1733–1818) studierte in Frankfurt/O. Rechtswissenschaften und war als Referendar in der Altmark und im Berliner Kammergericht angestellt. Ab 1763 arbeitete er als Kammergerichtsrat, trat den Freimaurern und später auch den Gold- und Rosenkreuzern bei. Seit 1769 wirkte er als Geh. Justizrat und ab 1778 als Präsident des Berliner Kammergerichtes. Im Dezember 1789 zum Justizminister befördert, übernahm er 1795 nach dem Ausscheiden Carmers dessen Ressort und wurde zum Chef des gesamten preußischen Justizwesens. Goldbeck erhielt die Aufsicht über die Justiz in Südpreußen, reiste in die neue Provinz und legte Vorschläge zur Verbesserung des Justizwesens vor. Er war 1797 Mitverfasser der Gutachten des Justizdepartements und Mitunterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Goß(ss)ler, Christoph (1752–1817) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. 1772 kam er als Referendar zum Kammergericht. 1775 erhielt er sein Patent zum Kammergerichtsrat und wurde von Woellner als heller und offener Kopf eingeschätzt. Seit 1787 war Goßler Mitglied der Berliner Freimaurerloge. 1794 wurde er Geheimer Revisionsrat im Oberrevisionskollegium des Kameral- und Kommerzdepartements. Seit 1798 arbeitete er als Assessor im Fabriken-Departement, war Mitglied in der Gesetzkommission und Mitarbeiter von Minister Struensee u. a. bei der Finanzkontrolle. Er besaß nach der Konduitenliste vorzügliche Geistesgaben und einen sehr angenehmen Vortrag. Nach Beyme zeichnete er sich durch Diensteifer und Gemeinsinn aus. Goßler publizierte in verschiedenen Periodika und hielt öffentliche Vorlesungen. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Grattenauer, Carl Friedrich Wilhelm (1773–1838) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften. Er arbeitete ab 1796 im Berliner Kammergericht als Auskultator und ab 1798 als Justizkommissar und Notar. Nach Straubel betätigte sich Grattenauer ab 1802 auch als Freimaurer. Grattenauer publizierte als Judengegner die Schrift Über die physische und
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moralische Verfassung der heutigen Juden (1791) und Wider die Juden (1803). Für die Hetzschrift Wider die Juden erhielt er eine Haftstrafe. Nach seiner Entlassung (1804) wurde er zwei Jahre später als Assessor in der südpreußischen Regierung von Kalisch wieder eingestellt.13 An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Grolmann, Heinrich Diet(e)rich (v.) (1740–1840) studierte Rechtswissenschaften in Göttingen und Halle/S. Seit 1762 war er in der Regierung in Kleve tätig, wechselte vor dem großen Examen 1765 nach Berlin. Er war dort mit Sitz und Stimme als Kammergerichtsrat im Kammergericht tätig und seit 1787 Mitarbeiter von Svarez und Carmer. 1789 erfolgte seine Nobilitierung. 1793 erhielt er das Patent zum Geheimen Obertribunalsrat. Schon vor 1800 war er Mitglied der Gesetzkommission. Grothe (ohne Angaben) war 1797 Mitglied der Gesetzkommission. Hake, Karl Georg Albrecht (1786–1835) trat 1785 als Fähnrich ins preußische Heer ein. 1793 in den Generalstab versetzt, avancierte er wegen Fleiß, Geschicklichkeit und Application zum Capitän und 1799 zum Inspektionsadjutanten und persönlichen Adjutanten von Prinz Heinrich. 1809 wurde er zum Direktor der 1. Division des Allgemeinen Kriegsdepartements berufen, 1810 leitete er das Militär-Ökonomie-Departement und übernahm ein halbes Jahr später, nach dem Rücktritt von Scharnhorst, die Leitung des Allgemeinen Kriegsdepartements. Hake wurde 1819 als Nachfolger von Boyen Kriegminister und blieb bis 1833 auf diesem Posten. Hake war Mitunterzeichner des Gutachtens des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) zum Entwurf Schroetters. Hardenberg, Karl August Fürst v. (1750–1822) studierte in Göttingen und Leipzig Rechtsund Staatswissenschaften, war seit 1770 in hannoverschen Diensten, seit 1782 im braunschweigischen Staatsdienst, seit 1790 preußischer Minister in Ansbach und Bayreuth und regierte nachdem die Markgrafschaften als Erbe an Preußen fielen fast selbstständig. 1804–1806 wirkte er als Preußens Außenminister, ab 1810 als Staatskanzler. Nach Hausherr (NDB) war es seinem Engagement zu verdanken, dass 1812 „die Emanzipation der Juden Gesetz [wurde]“. Dass Hardenberg als eigentlicher Schöpfer des Edikts bezeichnet wird, muss nach Freund relativiert werden: „Das ist insofern unberechtigt, als die Initiative zu derselben nicht von ihm ausgegangen [ist] und er beim Antritt der Kanzlerschaft bereits das begonnene und für den Abschluss reife Werk vorfand.“14 Allerdings wird in der Endredaktion sein Einfluss auf die Paragrafierung durchaus deutlich. Hardenberg war Mitunterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Haugwitz, Christian Heinrich Curt Graf v. (1752–1832) studierte in Halle/S. und Göttingen Rechtswissenschaften und war seit 1774 Freimaurer. Haugwitz arbeitet in der schlesischen Verwaltung. Darüber hinaus wirkte er an der 2. Teilung Polens und am Frieden von Basel mit. 1786 wurde er in den Grafenstand erhoben. 1793 erhielt er die Bestallung zum Kabinettsminister und arbeitete in Ressortteilung mit Minister v. d. Reck zusammen. Haugwitz war Mitunterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801).
13 Vgl. dazu Straubel, Handbuch, S. 345. 14 Zit. n. Freund, Ismar: Die Emanzipation der Juden in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes vom 11. März 1812. Bd. 1. Berlin 1912, S. 165.
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Heidenreich, Carl Ludwig (v.) (1732–1804) studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt/O. und Halle/S. Er war seit 1755 als Kammergerichtsrat in Berlin angesetzt und erhielt drei Jahre später das Prädikat Geh. Justizrat. Minister Woellner beurteilte ihn als guten Juristen, als Mann, der Religion habe und als arbeitsamen Menschen, der nie gegen die Gesetze verstoßen würde. Zum Ober-Akzise und Zollgerichtsrat befördert, war Heidenreich schon 1797 Mitglied der Gesetzkommission. 1803 wurde Heidenreich nobilitiert. Heinitz, Friedrich Anton Freiherr v. (1725–1801) erhielt Privatunterricht und besuchte Vorlesungen zum Bergbau (Dresden, Freiberg). Er begann seine Laufbahn im Bergkollegium zu Blankenburg, war Leiter des Harzer Bergbaus (1762) und als Bergkommissar in Kursachsen (1763). Nach Krankheit und Kuraufenthalt wechselte Heinitz als Minister für das Berg- und Hüttenwesen in preußische Dienste (1777). Zum o. g. Zeitpunkt war er Geh. Staats- und Kriegsminister, verwaltete die westfälischen Provinzen, die Bergwerks-, Salz- und Münzsachen. Er war Mitglied der KPM-Kommission. Heinitz war Mitunterzeichner des 1. Reformentwurfs (1789). Hertzberg, Ewald Friedrich Graf (1725–1795) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. und promovierte an der dortigen Universität. 1745 trat er in den preußischen diplomatischen Dienst ein. Zu den Vertrauten des preußischen Königs gehörte Hertzberg nach den Recherchen von Straubel nicht. Dennoch wurde Hertzberg zum 1. Sekretär im Auswärtigen Dienst befördert und vertrat Preußen 1750–1751 als bevollmächtigter Minister in Russland. Im Verlauf des Siebenjährigen Krieges verfasste er verschiedene Denkschriften, in denen er die Politik Preußens rechtfertigte und verteidigte. 1786 in den preußischen Adelsstand erhoben, stieg er unter Friedrich Wilhelm II. zu einer einflussreicheren Position auf. Außenpolitisch bedeutungsvoll war seine Stellung im Juli 1790 als er über die Konvention von Reichenbach auf der Basis eines Friedensschlusses mit Österreich verhandelte. Im Juli 1791 erhielt Hertzberg seinen erwünschten Abschied aus dem preußischen Dienst und machte sich auch als Autor und Herausgeber regionaler Themen einen Namen.15 An den Reformarbeiten war er nicht beteiligt. Hoffmann, Johann Gottfried (1765–1847) war ab 1803 als Bauassessor bei der neuostpreußischen Kriegs- und Domänenkammer tätig. 1808 wurde er als Staatsrat ins Ministerium des Innern berufen und leitete seit 1810 das von ihm eingerichtete Statistische Büro. Gleichzeitig erhielt er eine Professur an der Berliner Universität. Hoffmann galt als enger Vertrauter von Staatskanzler Hardenberg, wurde Vortragender Rat im Außenministerium und veröffentlichte verschiedene Schriften zur Ökonomie. Dass es sich bei ihm um den Staatsrat Hoffmann handelte, der gemeinsam mit Staatsrat Minuth das Gutachten der Gewerbepolizei (1809) verfasste, kann aufgrund der Häufigkeit des Nachnamens nicht mit Sicherheit gesagt werden. Holsche, August C. (v.) (1749–?) 1798 nobilitiert, stand seit 1772 im preußischen Justizdienst. Im September 1793 bat er um eine Anstellung als Kammerjustiziar in Südpreußen im Ministerium Voss. Er kam stattdessen als Regierungsrat nach Petrikau. Ab 1796 arbeitete er als Regierungsdirektor in Białystok. Sein Chef war Minister Friedrich L. v. Schroetter. Es ist also durchaus möglich, dass Holsche seine Untersuchungen im Auftrag Schroetters ausführte. 1797 erfolgte die Beförderung Holsches zum Geheimen Justizrat. Bis 1806 blieb er im Kollegium in Białystok. Zum Zuständigkeitsbereich der Neuostpreußischen Kollegien
15 Siehe zur Rolle Hertzbergs bei den Verhandlungen über die Konvention auch Ritter, Paul: Die Konvention zu Reichenbach (27. Juli 1790). Berlin 1898.
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gehörte nach dem Reglement vom 3. März 1797 die interimistische Oberaufsicht über alle öffentlichen Anstalten, Gesellschaften und Korporationen, auch über das Judenwesen. Seit 1811 war Holsche Direktor des Stadt- und Landgerichtes in Memel.16 Schriften von August C. Holsche: Geographie und Statistik von West-, Süd- und Neu-Ostpreußen. Nebst einer kurzen Geschichte des Königreichs Polen bis zu dessen Zertheilung (1800–1808). An den Reformarbeiten war er namentlich nicht beteiligt. Hoym, Karl Georg Heinrich Graf v. (1739–1808) studierte in Frankfurt/O. Rechtswissenschaften. 1761 trat er als Junker in ein Kürassierregiment (Breslau) ein, verließ im selben Jahr den Militärdienst und wechselte in die Kriegs- und Domänenkammer Breslaus. 1762 wurde er zum Rat, 1767 zum Geh. Rat und Kammerdirektor ernannt. Nach Arbeiten über die Domänenpachtung folgte seine Ernennung zum Präsidenten der Kammer in Cleve (1769). 1770 erfolgte seine Berufung zum dirigierenden Minister von Schlesien. Hoym war Begründer des Landwirtschaftlichen Kreditinstituts für Schlesien. Er verbot das „Bauernlegen“, ordnete die Teilung der „Gemeinheiten“ an und betrieb die Ansetzung von Bauernbetrieben auf den Vorwerken. Auf den königlichen Domänen befreite er die Bauern von Zusatzleistungen. In seiner Amtszeit verdoppelte er den Handelsverkehr und die Einwohnerschaft und vervierfachte die Steuereinnahmen. 1786 in den Grafenstand erhoben, erhielt er 1793 unter der Oberleitung von Minister v. Voss die Verwaltung von Posen und Petrikau, ab 1797die Verwaltung von ganz Südpreußen. Hoym galt als geschmeidiger und anpassungsfähiger Amtskollege, der teilweise auch wegen dieser Fähigkeiten und seiner aufwändigen Hofhaltung in Breslau in der Kritik seiner Kollegen stand. Gleichzeitig regierte Hoym mit harter Hand: In Schlesien ließ er in den Gebirgsstädten die Weberunruhen (1793) und den Aufstand der Breslauer Handwerksgesellen (1793) militärisch niederschlagen. Er verbot das „Räsonnieren“ in den Dörfern und drohte bei Verbreitung revolutionärer Ideen die Todesstrafe an. 1806 fiel Hoym wegen mangelhafter Verteidigungsmaßnahmen gegen die Napoleonische Armee in Ungnade und erhielt keine Neuberufung. In seiner Amtszeit wurde die Vorschrift, wie es künftig mit dem Judenwesen in Breslau zu halten sei (21. Mai 1790) erlassen. An den Arbeiten
zur preußischen Judenreform war er zur Zeit des ersten Reformversuchs (1789) mit einem Gutachten beteiligt. Er war Mitunterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Humboldt, Wilhelm v. (1767–1835) studierte in Frankfurt/O. und Göttingen Rechtswissenschaften und ging als Referendar ans Berliner Kammergericht. Seit 1801 lebte und arbeitete er als Minister-Resident in Rom, bis er 1808 zur Rückkehr nach Berlin aufgefordert wurde. Humboldt war vom 18. Februar 1809 bis 1810 als Direktor der Sektion Cultus- und Öffentlicher Unterricht tätig. In seiner eineinhalbjährigen Tätigkeit in diesem Ressort lag der Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Reform des preußischen Schul- und Hochschulwesens. An der Reform der preußischen Judengesetzgebung war Humboldt nur in Form der Erstellung des Gutachtens beteiligt. In der späteren Forschung wurde sein Gutachten das meist zitierte Votum der gesamten Beamtenschaft und das Konzept der vollen bürgerlichen Gleichstellung wurde fast ausschließlich mit seiner
16 Siehe zu weiteren Auskünften Straubel, Handbuch, Bd. 1, S. 453.
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Person verbunden.17 Sein tatsächlicher Einfluss auf die preußische Legislative war jedoch begrenzt und erhielt durch die wiederholte Rezeption des Votums und sein späteres Eintreten für das preußische Edikt als beispielhafte Legislative für alle Deutschen Staaten ein überdimensioniertes Gewicht. Itzig, Daniel (1722–1799). Daniel Itzigs Familie lebte seit 1714 nachweisbar in Berlin. Im Jahr 1748 hatte er eine Tochter des späteren Baumwollfabrikanten Benjamin Elias Wulff geheiratet. 1752 erschien sein Name zum ersten Mal in Münzgeschäften. Sowohl im Münzgeschäft wie im Immobilienerwerb und im Manufakturwesen war Daniel Itzig erfolgreich. Für die Jahre nach dem Siebenjährigen Krieg sind die Gewinne aus der Münzherstellung von den Ministern Heinitz, Struensee und Schroetter geschätzt worden. Insgesamt wurde der Wert seines Nachlasses auf 700.000 bis 1 Mio. Thaler berechnet.18 In der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II. entwickelte Daniel Itzig keine unternehmerischen Aktivitäten mehr. Er erhielt 1791 mit seiner Familie das Naturalisationspatent. Daniel Itzig war als Ältester der Jüdischen Gemeinde in Berlin aktiv an den Eingaben/ Petitionen beteiligt. Er unterzeichnete das zweite Memorandum (28. Februar 1790) als kritische Reaktion auf den ersten Reformentwurf (1789) und die Petition von 1795 zur Abschaffung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Itzig, Isaac Daniel (1750–1806), ältester Sohn von Daniel Itzig, wurde von Friedrich Wilhelm II. 1791 zum Hofbaurat und Hofbankier ernannt: „Wir Friedrich Wilhelm […] Thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß wir den bisherigen Chaussée-Bau-Inspector und Ober-HofBanquier Itzig hieselbst, welcher nach Erhalt Unsrer Cabinets-Order vom 23ten dieses Monats diese Stellen seither ohne Gehalt mit Fleiß und Treue verwaltet hat, zum Zeichen unserer höchsten Zufriedenheit, zu Unserm Hof-Bau-Rath ernannt und angenommen […].“19 Am 2. Mai 1791 erhielt die Familie das Naturalisationspatent. Das Privileg erstreckte sich auf „eheliche Descendenten beiderlei Geschlechts“ und sicherte ihnen zu, dass sie „folglich mit allen christlichen Bürgern gleiche Rechte haben sollen“. Ausschlaggebend für die Verleihung waren u. a. nicht nur „bisher geleistete“, sondern auch „noch ferner zu leistende treue Dienste“. Die Einbürgerung trat 1792 in Kraft, nachdem Isaak Daniel, sein Vater Daniel, seine Brüder Elias Daniel (1755–1818), Benjamin Daniel (1756–1833), Jacob Daniel (1762–1838) und die angeheirateten Schwager Joseph Fliess, David Friedländer, Benjamin Isaac Wulff, Samuel Salomon Levy, Mendel Oppenheim und David Ephraim den Bürgereid geleistet hatten (20. März 1792), und nachdem die Befreiung von den Abgaben geregelt worden war. Um den Wegfall des Anteils an der Steuer auszugleichen, musste die Familie einmalig eine Summe von 15.000 Thalern an die Invalidenkasse zahlen. Isaac D. Itzig war neben David Friedländer General-Deputierter der Reforminitiative von 1787. Er unterzeichnete das Pro Memoria (1787), die Denkschrift (1790) gegen den ersten Entwurf v. 1789 und die Eingabe (1795) zur Abschaffung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Kannewurff, Heinrich Gottlob v. (1726–1799) stammte aus Thüringen und war im Siebenjährigen Krieg Offizier. Er erhielt verschiedene Verdienstorden, wurde 1787 zum
17 Vgl. dazu Katz, Jakob: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770–1870. Franfurt/M. 1986, S. 90ff. 18 Vgl. dazu Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, S. 35. 19 Zit. n. Cauer, Karoline: Oberhofbankier und Hofbaurat. Aus der Berliner Bankgeschichte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1973, S. 98.
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Generalmajor befördert, 1794 zum Generalleutnant und 1794 zum Kriegsminister ernannt. Er war Mitunterzeichner der Gutachten des Militärdepartements (1790). Kircheisen, Friedrich Leopold (v.) (1749–1825) studierte in Frankfurt/O. und Halle/S. Rechtswissenschaften. Nach dem 1. Examen war er Referendar am Kammergericht. 1773 erfolgte die Bestallung zum Kammergerichtsrat. Kircheisen war mit Finckenstein und Ransleben freundschaftlich verbunden. Nach Woellner war er nicht ungeschickt, etwas suffisant, doch redlich. Seit 1787 war Kircheisen Direktor des Kammergerichts und Mitglied der Gesetzkommission. Er begleitete die Initiative der preußischen Judenschaften mit verschiedenen abschlägigen Gutachten (1792/1797). 1811 fertigte er das Gutachten zum Entwurf Raumers (1811) an. Als Justizminister war er 1812 Mitunterzeichner des Emanzipationsgesetzes. Klevenow, Johann Christian Philipp (v.) (1744–1818) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften, arbeitete zunächst im juristischen Dienst in Magdeburg und wechselte 1774 ins Kameralfach. Zum KD-Rat in Königsberg berufen, erarbeitete er mit seinem Bruder das neue Kommerzialsystem für Preußen. Nach Minister Schroetter war er ein „Mann von ausgezeichnetem Fleiß und Rechtschaffenheit […] und kannte den alten Dienstgang genau“.20 Nach den Untersuchungen von Ruppel-Kuhfuss gehörte Klevenow ebenso wie Dietrich als Geh. Finanzrath zum General-Direktorium. Er war Mitglied der 1. Judenreformkommission. Koehler, Christian Philipp (1778–1842) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S., war Kriegs- und Domänenrat in Stettin und wurde 1809 als Staatsrat ins Ministerium des Innern berufen. Ihm wurden schnelle Übersicht, Fleiß und Talent bescheinigt, und er galt als vorzüglicher Arbeiter.21 Über Staatsrat Koehler gibt es weder in der ADB noch in der Altpreußische[n] Biographie Eintragungen. Koehler schrieb ein umfangreiches Einzelgutachten (1809) zum Entwurf Schroetters. Koenen, Johann (v.) (1727–1805) studierte in Duisburg und Halle/S. Rechtswissenschaften und arbeitete seit 1752 in Berlin als Kammergerichtsrat. Seit 1767 visitierte er als Mitglied der Jurisdiktionskommission die Obergerichte der westlichen Provinzen und war seit 1783 Mitglied der Gesetz- und Oberrevisionskommission. Von Minister Woellner wurde er als einer der gelehrtesten Juristen im Land bezeichnet, der fromm, redlich und gerecht handelte. Seit 1792 war er Direktor der Gesetzkommission und verschiedener anderer juristischer Gremien. Von seinen Kollegen wurden ihm Fleiß, Arbeitsgeist und seltene Geistesgaben bescheinigt. 1802 wurde er mit seinen vier Söhnen nobilitiert. Bis zu seinem Tod blieb er erster Präsident des Geheimen Obertribunals. Er war 1797 Mitglied der Gesetzkommission. Kossmann, Johann Wilhelm Andreas (1761–1804) studierte in Marburg und Gießen u. a. Mathematik, Geschichte, Ökonomie und Staatswirtschaft. Er diente im preußischen Heer, arbeitete als Lehrer und Übersetzer, promovierte in Frankfurt/O. (1790), arbeitete in Berlin als Kammerassessor und lehrte ab 1798 als Professor am Ober-Hofbauamt und der Akademie der Artillerie. Er veröffentlichte u. a. Schriften zu politisch-historischen Tabellen in Europa und Deutschland (1785), über das Leben Friedrich Wilhelms II. (1798) und die preußische Kameralverfassung (1800). Gemeinsam mit Heinsius gab er seit 1796 die
20 Zit. n. Ruppel-Kuhfuß, Edith: Das Generaldirektorium unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. mit Berücksichtigung der interimistischen Instruktion von 1798. Würzburg/Aumühle 1937, Anhang. 21 Vgl. dazu Straubel, Handbuch, S. 507.
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Denkwürdigkeiten und Tagesgeschichte der Mark Brandenburg heraus. An der Reform war er nicht beteiligt, aber er publizierte Aufsätze gegen die rechtliche Judenemanzipation. Ladenberg, Johann Andreas Philipp (1769–1847) studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Halle/S. und Bonn. 1789 kam er als Auskultator ans Berliner Stadtgericht, 1792 als Referendar an die Kriegs- und Domänenkammer der Kurmark. Ladenberg war Freimaurer (seit 1798) und wurde als zuverlässig, geschickt und fleißig beschrieben. Mit wechselnden Geschäften betraut kam er 1806 nach Białystok, anschließend nach Danzig und Marienwerder. Seit 1810 stand er an der Spitze der Steuerabteilung im Finanzwesen. 1817 wurde er Mitglied des Staatrats. Ladenberg schrieb gemeinsam mit Beuth das Gutachten der Abgaben-Sektion (Finanzministerium) zum ersten Entwurf Raumers (11. April 1811). Lamprecht, Joachim Friedrich (v.) (1733–1807) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. und kam 1754 als Referendar an das Kammergericht. 1758 erfolgte die Berufung zum Kammergerichtsrat. 1768 erfolgte die Ernennung zum Geheimen Justizrat. Lamprecht war Freimaurer und seit 1774 Mitglied der Immediat-Examininations-Kommission. Seine Arbeitsleistung und seine juristischen Einsichten beurteilte Woellner positiv. Privat hatte er den Ruf eines „Wollüstlings“. 1786 erfolgte seine Nobilitierung, und neben Woellner und Goldbeck war er für die Schuldenregulierung verantwortlich. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) immatrikulierte sich 1746 als Student der Theologie in Leipzig. Er besuchte Theaterstücke französischer und englischer Bühnenautoren und brachte 1748 sein erstes eigenes Stück auf die Bühne. In den Berliner Jahren (bis 1755) arbeitete er als Kritiker für die Mylius-Zeitung Kritische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, als Dramatiker u. a. an den Schriften: Die Juden, Der Freigeist, Miß Sara Sampson und als Übersetzer von Voltaires kleineren historischen Schriften. Freundschaften verbanden ihn mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai. Literarisch arbeitete er mit Ewald Christian von Kleist zusammen, unterstützte das Projekt der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste von Nicolai und studierte die griechische Dramaturgie und Poesie. Goethe schrieb nach dem frühen Tod von Lessing in einem Brief an Frau von Stein: „Wir verlieren viel, viel an ihm, mehr als wir glauben“.22 An den Reformarbeiten war Lessing nicht beteiligt. Levy, Ferdinand Moritz (1782–1858), der spätere Freiherr von Delmar stammte aus wohlhabender und 1786 generalprivilegierter Familie. Er führte als ältester Sohn von Moses Salomon das erfolgreiche Geschäft der Brüder Levy fort, das zu den vier namhaften Bankhäusern gehörte, die den preußischen Staat nach 1806 mit finanzierten. Die Kreditverhandlungen über die Kontributionszahlungen an Frankreich liefen auch über das Haus Levy. Eine ungünstige Beurteilung erhielt er vom damaligen Geh. Oberfinanzrat Sack, der Delmar (nicht seinem Vater) mangelnden Patriotismus und fehlende Uneigennützigkeit im Vergleich zum Haus Schickler vorwarf. Delmar konvertierte 1806 in Berlin. Seine Taufe wurde auf der Karteikarte 3443 der sog. „Judenkartei“ (aktuell im Evangelischen Zentralarchiv der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz einzusehen) vermerkt. Delmar gehörte zu den ersten gewählten Berliner Stadtverordneten. 1810 wurde
22 Zit. n. Redlich, Carl Christian: „Lessing, Gotthold Ephraim“. In: ADB 19 (1884), ND Berlin 1969, S. 756–802, S. 801.
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er nobilitiert. 1858 starb er ohne eheliche Nachkommen in Paris.23 An den Reformarbeiten war Delmar namentlich nicht beteiligt. Lottum, Karl Friedrich Heinrich Graf v. Wylich u. (1767–1841), Militär und Politiker, erhielt seine Ausbildung an der Ritterakademie Berlin. Er war Mitglied der Militär-Reorganisations-Kommission und wollte die Homogenität des Offizierskorps aufrechterhalten. Ab 1810 leitete er das Potsdamsche Waisenhaus, dem er bis 1826 vorstand. 1812 erfolgte seine Ernennung zum General der Infanterie. Ab 1817 war er Mitglied des Staatsrates, ein Jahr später wurde er Minister für Innere Angelegenheiten und 1823 Minister für den Staatsschatz und das Münzwesen. 1834 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt. Von Wylich und Lottum schrieb das Gutachten des Militär-ÖkonomieDepartements zum Entwurf Schroetters (1810). Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1772–1806), geb. in Berlin, besuchte die Berliner jüdischen Salons regelmäßig und gehörte wahrscheinlich zum Gästekreis der „einmal für immer“ geladenen Gäste. Er war Militär im Rang eines Obersten (1793), später General (1806) des preußischen Heeres und entsprach wegen außerordentlicher Tapferkeit im Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich dem Ideal eines jugendlichen Helden. Privat schätzte er einen unkonventionellen und freien Lebensstil, widmete sich der Musik, der Philosophie und dem geselligen Leben. Damit symbolisierte er nach Stribrny eine „ideale Verbindung zwischen Dynastie, Armee und Bürgertum“.24 Louis Ferdinand verstand sich als erklärter Feind Napoleons, förderte das Bündnis zwischen Preußen und Österreich zu Gunsten der Unabhängigkeit Preußens und begrüßte die preußische Kriegserklärung gegen das Napoleonische Frankreich. In einem Vorhutgefecht mit französischen Truppen vor den Schlachten bei Jena und Auerstedt (1806) wurde der Prinz tödlich verwundet. Die zeitgemäßen Interpretationen zu seinem frühen Tod gingen von einem gewollten und gesuchten Tod aus. An der Reform war er nicht beteiligt. Massow, Julius Eberhard Wilhelm v. (1750–1816) studierte Rechtswissenschaften in Königsberg, trat eine Referendarstelle am Hofgericht in Königsberg an und erreichte über verschiedene Stationen das Amt des Chefpräsidenten der Regierung in Stettin (1784). 1798 trat er die Nachfolge von Minister Woellner an. Massow war Unterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Mauschwitz, Carl Maximilian Ferdinand v. (1738–1792) studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt/O. Er wurde 1768 zum KD-Rat in der Kurmark bestellt und war seit 1782 Präsident der Kammer. Seit 1786 gehörte er als Provinzialminister und Nachfolger von Minister Werder zum General-Direktorium. Minister Woellner beurteilte ihn als „vollkommen ehrlich [und] als wahren Menschenfreund, [der] keine Bauern drücke“.25 1789 gehörte er zu den Mitunterzeichnern des 1. Reformentwurfs. Mendelssohn, Moses (1729–1786) studierte in der Talmudschule von Rabbiner David Fränkel in Dessau und setzte mit dem Wechsel Fränkels über Frankfurt/O. nach Berlin sein Studium
23 Vgl. dazu Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute. Bd. 2, S. 379 und Bd. 3, S. 26ff. 24 Stribrny, Wolfgang: „Louis Ferdinand, Prinz von Preußen“. In: NDB 15 (1987), S. 257–258, S. 258. 25 Zit. n. Ruppel-Kuhfuß, Edith: Das Generaldirektorium unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. mit Berücksichtigung der interimistischen Instruktion von 1798. Würzburg/Aumühle 1937, Anhang.
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in Berlin fort. Mendelssohn lernte als Autodidakt Latein, Griechisch, Französisch und Englisch, arbeitete ohne Anstellung und damit ohne eigenständigen Schutzstatus als Essayist und Übersetzer zu philosophisch-aufklärerischen und religiösen Themen. 1753 erhielt er als Hauslehrer und folgend als Prokurist in der Seidenfabrik von Isaak Bernhard eine Festanstellung. 1762 heiratete er Fromet Gugenheim. Aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor, von denen nur sechs das Erwachsenenalter erreichten. Mendelssohn schrieb als theologischer Rationalist, als Apologet eines aufgeklärten Judentums, als menschenfreundlicher Philosoph und als kritischer Rezensent u. a. für die Bibliothek der schönen Wissenschaften und die Berlinische Monatsschrift. Hier eine Auswahl seiner Publikationen: Philosophische Gespräche (1755), Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767), Ritualgesetze der Juden (1775), Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783). Siehe zu seinem Tod die Vossische Zeitung (10. Januar 1786), in der anlässlich des Todes und der Beerdigung von Moses Mendelssohn auch ein Nachruf gedruckt wurde. Dort heißt es u. a.: „Es ist eine tiefe Wunde, welche die jüdische Nation durch den Tod Moses des Weisen empfangen hat. Er war ihr Lehrer und Führer, ihr Ratgeber, ihr Vertreter, ihr Erzieher, ihr alles. Talmudisten und Kaufleute, Vorsteher und Schullehrer, Dichter und Ärzte, Künstler und Schriftsteller, alles lief zu ihm, wie zu einem selten fehlenden und nie bestechlichen Orakel; und was er für das innere Wesentliche ihrer Religion tat, das weiß ja die Welt.“ Minuth (ohne Angaben). Minuth war Mitverfasser des Gutachtens der Gewerbepolizei (1809) zum Entwurf Schroetters. Möllendorff, Wichard Joachim Heinrich Graf v. (1724–1816) war preußischer Generalfeldmarschall und Vize-Ober-Kriegs-Präsident. Er kam im Zweiten Schlesischen Krieg als Fähnrich ins preußische Heer und wurde im Siebenjährigen Krieg bereits hoch dekoriert. 1787 erfolgte seine Ernennung zum General der Infanterie, 1793 zum Generalfeldmarschall mit dem Befehl über die preußischen Truppen, die in Polen einmarschierten. Siehe zu Feldmarschall v. Möllendorffs Abschied auch die Notiz im Gothaische[n] Hofkalender zum Nutzen und Vergnügen (1795), S. 6. Siehe ansonsten zur Bedeutung von Moellendorff für den preußischen Hof im ersten Jahr unter der Regierung von Friedrich Wilhelm II. auch die Briefe des Grafen de Mirabeau in dessen Geheime Geschichte des Berliner Hofes oder Briefwechsel eines reisenden Franzosen.26 Möllendorff äußerte sich zweimal zur Reform über das Judenwesen (1790). Moser, Friedrich Carl v. (1723–1798) Staatsmann und Reichspublizist, stand sowohl familiär wie auch in der Schul- und Studentenzeit der Herrnhuter Gemeinde und dem Pietistischen Christentum nahe. Moser studierte Rechtswissenschaften und Anatomie in Jena, trat 1747 in den Hofdienst des Landgrafen von Hessen-Homburg und wurde 1749 Hofrat. Seit 1753 stand er im darmstädtischen Dienst und vertrat auf Gesandtschaftsreisen auch die Interessen kleinerer Reichsstände. Als Minister am darmstädtischen Hof fiel er 1780 in Ungnade, lebte folgend in Ludwigsburg und wurde zehn Jahre später rehabilitiert. Seine bekanntesten Schriften sind: Der Herr und der Diener (1759); Sammlung der ReichsHofrathsgutachten, 6 Bde. (1752–1769); Kleine Schriften zur Erläuterung des Staats- und Völkerrechts, 12 Bde. (1751–1762); Von dem deutschen Nationalgeist (1795); Über die Regierung der geistlichen Staaten von Deutschland (1887). Neben Schlözer und Häberlin
26 Mirabeau, Gabriel Honoré Victor Riquetti Vicomte de: Geheime Geschichte des Berliner Hofes oder Briefwechsel eines reisenden Franzosen. 1. Theil. Cölln 1789.
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gehörte Moser zu den Reichspublizisten, die die Macht des Souveräns im Absolutismus an Gesetze binden wollten. Am bekanntesten wurde seine Schrift Über den Diensthandel deutscher Fürsten (1786). An der Reform war er nicht beteiligt. Moses, Jakob (1724–1802) war siebzehn Jahre lang Oberlandesältester. Das Generalschutzprivileg erhielt Moses erst im Dezember 1786, also unter der Herrschaft von Friedrich Wilhelm II. Auch nach seiner Demission 1792 sollte er auf Wunsch des Königs an der Judenreform bis zu ihrem Ende mitarbeiten. Dokumente zu seiner Ernennung, erhaltene Privilegien, sein Rücktrittsgesuch, sein Testament und sein Nachruf sind im GStA PK, I. HA Rep. 94, IV R, Nr. 905 einzusehen. Jakob Moses gehörte zu den Sachverständigen, die bei Fragen zur Reform zu Rate gezogen werden sollten. Jakob Moses unterzeichnete die Petition (1795) zur Aufhebung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Nicolovius, Georg Heinrich Ludwig (1767–1839) studierte Rechtswissenschaften und katholische Theologie in Königsberg und war seit 1800 als Kammerassessor im preußischen Staatsdienst für die Generalsachen des gesamten Schulwesens zuständig. Seit 1808 war er als Staatsrat im Ministerium des Inneren und als Leiter der Sektion „Cultus und Öffentlicher Unterricht“ bis zum Eintritt von Wilhelm v. Humboldt tätig. Nach dem Rücktritt Humboldts (1810) und der Berufung von Staatsrat Schuckmann trat Nicolovius zurück und war seit 1817 unter dem ersten Minister Karl von Stein zum Altenstein als Direktor des neu geschaffenen eigenständigen Ministeriums tätig.27 Nicolovius schrieb ein Einzelgutachten (1809) zum Entwurf Schroetters. Paalzow, Christian Ludwig (1753–1824) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften und kam 1787 als Assessor an das Kammergericht in Berlin. 1789 arbeitete er u. a. als Kammerfiskal in Marienwerder. Paalzow verfasste verschiedene Schriften zu Fragen des Bürgerrechts für Juden und sprach ihnen prinzipiell die Befähigung zum Staatsbürger ab. Nach W. Bergmann hatten die Schriften einen „deutlich antijüdischen Ton“, „rechtfertigten Zwangsmaßnahmen des Staates zur Judenemanzipation“ und forderten eine „völlige kulturelle wie physiologische Transformation des jüdischen Charakters“. Die Methode war hierbei identisch mit der der Emanzipationsbefürworter: Aufhebung der Sonderstatuten und Übernahme aller Staatsbürgerpflichten.28 An der Reform war er nicht beteiligt. Pfeiffer, Friedrich (1754–1816) studierte in Erlangen und Göttingen Rechtswissenschaften. 1791 wechselte er in den preußischen Staatsdienst, avancierte 1795 zum Regierungsrat in Bayreuth. 1798 erfolgte die Bestallung zum Obertribunalsrat in Berlin. Pfeiffer war seit 1799 Mitglied der Gesetzkommission. 1810 wurde er vortragender Rat im Justizministerium.29 Pfeiffer überarbeitete die Entwürfe Raumers und Schroetters (1812). Ransleben, Johann Ludwig (1728–1825) studierte Rechtswissenschaften in Halle/S. 1773 erfolgte die Berufung zum Kammergerichtsrat. 1775 folgte die Versetzung in den 2. Senat des Kammer-
27 Siehe Friedländer, Ernst: „Nicolovius, Georg Heinrich Ludwig“. In: ADB 23 (1885), ND Berlin 1970, S. 635–640. 28 Vgl. dazu Bergmann, Werner: „Christian Ludwig Paalzow.“ In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2.2: Personen (2009), S. 611–612, S. 612. Vgl. dazu auch die Altpreußische Biographie, Bd. 2, S. 486. Dort heißt es zu Christian Ludwig Paalzow: „Er veröffentlichte bis 1822 zahlreiche juristische, philosophische und satirische Werke, darunter dem Zeitgeist unter Friedrich Wilhelm III. entsprechend verschiedene Schriften zur Judenfrage.“ 29 Vgl. dazu: Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat aus dem Jahr 1800, S. 179, und 1805, S. 97.
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gerichts und 1783 zum Assessor ins Ober-Revisionskollegium. Von Woellner wurde er als einer der besten Kammergerichtsräte beurteilt. 1789 erfolgte die Bestallung zum Finanzrat und 1790 wurde er zum Mitglied der Gesetzkommission ernannt. Er war u. a. mit Friedrich Leopold (v.) Kircheisen befreundet. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Rauch, Johann Georg Gustav v. (1774–1841) besuchte die Ingenieur-Akademie (Ecole de génie) in Potsdam, wurde 1790 Leutnant und war bis 1796 mit Befestigungsarbeiten an der schlesisch-österreichischen Grenze beschäftigt. 1794 nahm er am Krieg gegen Polen teil. 1802 wurde er als Quartiermeisterleutnant nach Berlin in den neugebildeten Generalstab berufen. Er avancierte bis zum Major und wurde nach dem Friedensschluss (1807) u. a. Scharnhorst zugeteilt. 1809 war er Direktor der 2. Division des Allgem. Kriegsdepartements. 1814 wurde er zum Chef des Ingenieur-Corps und Generalinspekteur der Festungen berufen. 1829 erfolgte seine Beförderung zum General, 1831 zum Mitglied des Staatsrates. Rauch war von 1837 bis 1841 Preußens Kriegsminister. Er unterzeichnete das Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) zum Entwurf Schroetters. Raumer, Friedrich v. (1781–1873), studierte in Halle/S. und Göttingen Natur- und Rechtswissenschaften. Er erwarb sich die Qualifikation zu einer Kriegs- und Domänenratsstelle und kam 1810 in das preußische Finanzministerium. Raumer galt als Vertrauter von Hardenberg. Er fertigte im Rahmen der Reformarbeiten zwei Entwürfe an, die in ihrer Art deutlich puristischer und kürzer als der Schroettersche Entwurf waren. Er verzichtete u. a. auf Gesetzesregelungen zu den jüdischen Religions- und Ritualsachen und folgte im Wesentlichen der westfälischen Verordnung vom 27. Januar 1808. Die Verankerung der gesetzlich erlaubten Mischehe musste Raumer aufgrund der Einwände aus dem Justizministerium zurücknehmen. Im September 1811 verließ Raumer den politischen Dienst und nahm eine Professur für die Staatswissenschaften an der Universität Breslau an.30 Reck, Eberhard Friedrich Christoph Freiherr v. d. (1744–1816) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften und war seit 1767 Referendar in der Regierung Minden. 1770 erfolgte die Beförderung zum Geheimen Regierungsrat in Kleve. Er avancierte über verschiedene Etappen zum Mitarbeiter und fast Nachfolger von Minister Carmer und fungierte ab 1800 als Chef der Justiz in Schlesien. 1814 wurde er zum Generalgouverneur von Sachsen ernannt. Reck unterzeichnete die Gutachten des Justizdepartements zur Eingabe von 1795. Riem, Andreas (1749–1807) kann nach den Untersuchungen von Walter Grab zu den wenigen deutschen Jakobinern gezählt werden und darüber hinaus zu dem Kreis derer, für die eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Juden zum Kanon „unbedingter demokratischer Gesellschaftsordnungen“ gehörte. Riem war reformierter evangelischer Theologe, arbeitete als Prediger im Friedrichsspital und Waisenhaus von Berlin, verstand sich als Neologe und publizierte verschiedene Schriften zu religions- und kulturgeschichtlichen Themen aus dem Christen- und Judentum. Er erhielt 1787 die Stellung eines Sekretärs der „Preußischen Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ und wurde zeitgleich zum Direktor der „Königlichen Kunst- und Buchhandlung“ ernannt. 1789 verlor er sein Amt als Prediger aufgrund eines Disziplinarverfahrens, eingeleitet wegen verschiedener Publikationen gegen das Religionsedikt von 1788. Folgend publizierte Riem in seiner eigens gegründeten Zeitung Europens politische Lage und Staats-Interessen Artikel zu einer Freundschaftsallianz zwischen dem revolutionären Frankreich und Preußen und bot seine Vermittlertätigkeit an. 1795 wurde er des Landes verwiesen, ging nach Paris
30 Siehe Poten, Bernhard v.: „Raumer, Friedrich v.“. In: ADB 27 (1888), ND Berlin 1970, S. 403–416.
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und arbeitete als politischer Agent u. a. in den Niederlanden. Seine Schrift zur Apologie der unterdrückten Judenschaft in Deutschland (1798) nimmt nach den Untersuchungen von Walter Grab „einen besonderen Platz“ in den damaligen Debatten zur Gleichberechtigung ein.31 An den Reformarbeiten war Riem nicht beteiligt. Rochow, Friedrich Eberhard v. (1734–1805) gilt als Praktiker der Pädagogik. Auf seinen Rittergütern richtete er Volksschulen ein und bemühte sich um eine Verbesserung der Lehrmethoden und der Lehrerausbildung. Sein Aufklärungsbegriff schloss die Vermittlung von Tugend und Wissen zur „Aufklärung des Volkes“ ein. Belehrung und zweckmäßiger Unterricht sollten zum Erwerb von geistigen Fähigkeiten führen, die zu einem gottgefälligen und tugendsamen Leben notwendig waren. Der Unterricht ging über die reine Katechese hinaus und schloss in diesem Fall die Vermittlung von Grundsätzen und die Unterweisung in der präzisen Sprach- und Begriffsbestimmung ein. Nach dem Urteil von H. Stuke, blieb sein Unterrichtsziel auf die Erziehung von Untertanen und nicht von sittlich autonomen Menschen und Bürgern ausgerichtet.32 An der Reform war Rochow nicht beteiligt. Rohdich, Friedrich Wilhelm v. (1719–1796) wurde 1737 Unteroffizier in der Grenadier-Garde, zeichnete sich verschiedene Male aus und gelangte über die Etappen Hauptmann (1756), Major (seit 1760), General-Inspekteur (1776) zum ersten Kriegsminister mit Sitz im General-Direktorium (1787) und im Geheimen Staatsrat. Unter seine Verwaltungsaufsicht fiel auch das Große Potsdamsche Waisenhaus, das zeitweise mit 2.000 Jungen und Mädchen belegt war. Privat war Rohdich seit 1763 Mitglied der Freimaurer. Er war Mitunterzeichner der Gutachten des Militärdepartements (1790/1791). Sack, Johann August (1764–1831) studierte in Halle/S. und Göttingen Kameralistik. Seit 1785 war er im Staatsdienst. Die Bekanntschaft mit Stein machte er über sein Amt als Justitiarius bei der Kriegs- und Domänenkammer in Cleve, an der Stein als Kammerpräsident tätig war. Als Geheimer Finanzrat wurde er nach Berlin berufen und 1806 zum Zivilgouverneur von Berlin ernannt. Im Jahr 1807 war er Vorsitzender der Immediatkommission. Ab 1808 war er Oberpräsident der Kur-, und der Neumark sowie von Pommern. Ab 1813 wurde er in verschiedenen Landesregionen Preußens zum Zivilgouverneur eingesetzt. Schuckmann schrieb ein Gutachten zum Entwurf Raumers (1811). Scharnhorst, Gerhard (v.) (1755–1813), preußischer Generalleutnant und Militärreformer besuchte die Kriegsschule des Grafen zu Schaumburg-Lippe auf der Feste Wilhelmstein. Scharnhorst unterrichtete seit 1783 als Schulmeister in der Artillerieschule in Hannover. Er war Herausgeber der Zeitschrift Militärbibliothek (1782–1785), der Bibliothek für Offiziere (1785–1788) und schrieb das Handbuch für Offiziere in den anwendbaren Theilen der Kriegswissenschaften (1787). 1801 erfolgte der Wechsel in preußische Dienste und seine Nobilitierung. Ab 1807 war er Leiter der Militär-Reorganisations-Kommission. Aus der Sicht Boyens war Scharnhorst ein „konsequenter Denker, [...] ein Mensch der seine Person so den großen Zwecken, die er leitete, unterzuordnen verstand. […] Ein glühender Haß gegen Napoleon und Frankreich kochte fortdauernd in diesem anscheinend teilnahmslosen, schläfrigen Körper und gab ihm die Kraft, zur Erreichung seines Zweckes gegen Kabalen
31 Vgl. dazu Grab, Walter: Der deutsche Jakobiner Andreas Riem und seine Apologie für die unterdrückte Judenschaft in Deutschland. In: Heid, Ludger/Knoll, Joachim H.: Deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart/Bonn 1992, S. 63–83, S. 79. 32 Vgl. dazu Stuke, Horst: „Aufklärung“. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 (1972), S. 258–260.
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und Undank zu kämpfen.“33 Scharnhorst verfasste das Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements (1809) zum Entwurf Schroetters. Schmedding, Johann Heinrich (1774–1846) studierte in Göttingen katholische Theologie und Rechtswissenschaften und arbeitete seit 1796 als Advokat im preußischen Staatsdienst. Nach der napoleonischen Okkupation Westfalens war er Mitglied des Administrationskollegiums im Königreich Westfalen und wurde auf Werbung von Theodor von Schön nach Preußen berufen. Von 1811–1820 hielt Schmedding an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin Vorlesungen über die Rechte und war Mitglied der Prüfungskommission für die Beamten der höheren Verwaltung. Ab 1815 arbeitete er als Beauftragter für die neuen katholischen Untertanen Preußens in der Rheinprovinz und in Westfalen.34 Schmedding schrieb ein Einzelgutachten (1809) zum Entwurf Schroetters. Scholtz, Emilius (v. Hermensdorff) (1735–1800) studierte in Halle/S. Rechtswissenschaften und kam 1757 als Advokat an das Kammergericht. Seit 1763 in der Oberamtsregierung von Breslau tätig, zählte er dort zu den besten Räten, weil er u. a. detaillierte Verbesserungsvorschläge zum Hypothekenwesen verfasste. 1777 erfolgte seine Ernennung zum Geh. Obertribunalsrat und ein Jahr später der Eintritt in die Gesetzkommission. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Schroetter, Friedrich Leopold Freiherr v. (1743–1815) kam als Fähnrich ins preußische Heer und wurde im Siebenjährigen Krieg zum Offizier befördert. Schroetter hatte kein Studium absolviert, sondern rückte 1787 aus dem Heer als Major und Anwärter für die höhere Beamtenlaufbahn in das neu errichtete Oberkriegskollegium auf. Einen Anteil an seinem Aufstieg hatten nach Straubel seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern und Rosenkreuzern und die Förderung durch Minister Woellner. Seit 1790/1791 war er Finanzrat im Departement für das Fabrikwesen und seit 1791 Präsident für Ost- und Westpreußen. Seine Ernennung erfolgte mit der Begründung, dass er Kenntnisse vom Land und von den Bedürfnissen und den Mitteln zum Erhalt des preußischen Heeres besitze. Seit 1793 wirkte er maßgeblich am Aufbau der Verwaltung von Süd- und Neuostpreußen mit. 1795 erfolgte seine Ernennung zum Minister und zum Chef des preußischen Provinzialdepartements Ost-, West- und Neu-Ostpreußen. 1808 entwickelte er den ersten Entwurf (1808) zum späteren Emanzipationsedikt (1812). Nach seiner Entlassung 1808 agierte er 1812/1814 als Präsident der interimistischen Nationalrepräsentation in Berlin. Schuckmann, Kaspar Friedrich v. (1755–1834) studierte in Halle/S. Rechts- und Staatswissenschaften und arbeitete ab 1779 als Referendar im Kammergericht in Berlin. 1798 folgte die Ernennung zum Geh. Oberfinanzrat. 1807 bis 1810 wurde er vom Staatsdienst entbunden. 1810 erfolgte unter der Regierung Hardenbergs seine Berufung ins Innenministerium. 1814 folgte seine Ernennung zum Innenminister. Dort amtierte er neben Kircheisen als Justiz-, Bülow als Finanz- und Boyen als Kriegsminister. Nach einem Schlaganfall wurde er 1830 amtsentlastet, 1834 in den Freiherrenstand erhoben. Er war insgesamt fünfzig Jahre im preußischen Staatsdienst. Schuckmann publizierte einen Aufsatz zur schrittweisen
33 Zit. n. Schmidt, Dorothea (Hrsg.): Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen. Berlin 1990, S. 226. 34 Siehe Friedländer, Ernst: „Schmedding, Johann Heinrich“. In: ADB 31 (1890), ND Berlin 1970, S. 631–632.
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Eingliederung der Juden Ueber Judenkolonien in der Berlinischen Monatsschrift (1785)35 und fertigte ein Gutachten zum Entwurf Raumers an (1811). Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm Graf von der (1742–1815) trat nach dem Besuch der Ritterakademie in Brandenburg ins Heer ein. Seit 1760 war er als Soldat im Siebenjährigen Krieg. 1765 nahm er seinen Abschied vom Heer. Seit 1767 war er als Landrat im Kreis Magdeburg tätig. Durch erfolgreiche Kolonisationsgeschäfte wurde Friedrich II. auf ihn aufmerksam, und über die Stationen als Vize- und Kammerdirektor erhielt Schulenburg 1771 von Friedrich II. einen Ministerposten und arbeitete mit Unterbrechungen in wechselnden Ressorts. Er entwarf u. a. Handelsverträge zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten von Nordamerika. 1786 in den Grafenstand erhoben, zog er sich nach dem Tod von Friedrich II. aus dem Dienst zurück und wurde nach dem Tod von Schulenburg-Blumberg (1790) in das General-Direktorium zurückberufen. SchulenburgKehnert war Unterzeichner Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Schulenburg-Blumberg, Alexander Friedrich George Graf von der (1745–1790) studierte zwei Jahre mit unbekannter Studienrichtung in Frankfurt/O., verkehrte am Hof von Prinz Heinrich und wurde 1773 Verordneter der Kurmärkischen Landschaft. 1786 wurde er von Friedrich II. in den Grafenstand erhoben. Er erhielt eine Bestallung als Etatminister und verwaltete die Provinzen Magdeburg und Halberstadt, die Grafschaft Hohenstein, Stift Quedlinburg und die Seehandlungskompagnie, Banksachen, die Witwenverpflegungsanstalt, die Kasse und die Tabaksadministration. Seit 1790 war er Chef sämtlicher Mobilmachungs- und Kommissariatsgeschäfte im Militärdepartement. Im selben Jahr starb er am 16. 5. 1790 durch Selbstmord.36 Wahrscheinlich war Schulenburg-Blumberg der Verfasser des Gutachtens der Mobilmachungskommission (1790) im 1. Reformversuch. Schulze, Christian Ludwig (v.) (1742–1815) studierte Rechtswissenschaft in Königsberg und Halle. Bis 1776 war er in Coeslin in der Rechenkammer tätig und wechselte 1779 nach Berlin. 1782 erfolgte die Bestallung zum Finanzrat und 1789 zum Direktor des Obermedizinal-Kollegiums. Im selben Jahr wurde er nobilitiert. 1795 erfolgte seine Ernennung zum Präsidenten der Oberrechenkammer und 1795 auch zum Mitglied der Gesetzkommission. 1802 fiel er wegen mangelhafter und verzögerter Arbeit an der Ausarbeitung des GeneralZivil-Salarien-Etats in Ungnade. Smith, Adam (1723–1790), schottischer Moralphilosoph, Volkswirtschaftler und Begründer der klassischen Nationalökonomie. Nach Smith ist die treibende Kraft aller wirtschaftlichen Vorgänge das Selbstinteresse und der natürliche Trieb des Menschen, seine Lage zu verbessern. Die Realisierung vollzieht sich wirtschaftspolitisch über den freien Wettbewerb. Darüber hinaus entwarf Smith in seinem Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) ein politisches Programm für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes durch Kapitalbildung, Arbeitsorganisation und mögliche Steuerungsmechanismen. Smith betonte darüber hinaus die Bedeutung der Bildung
35 Gedr. und kommentiert bei Frodermann, Ina: Die jüdische Aufklärung in Preußen im Spiegel der Berlinischen Monatsschrift 1783–1796. Saarbrücken 2008. 36 Dass sich Schulenburg das Leben nahm, weil er als Verantwortlicher nicht die rechtzeitige Mobilmachung gegen Österreich bewerkstelligt hatte, ist eine These von Paul Ritter: Die Konvention von Reichenbach (27. Juli 1790). Diss. Berlin 1898, S. 8ff.
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bei der Förderung von „Humankapital“. Die Begeisterung der preußischen Beamten für die wirtschaftsliberalen Ideen förderte die ökonomische Gleichstellung der jüdischen Einwohner Preußens. Stein, Heinrich Friedrich Carl Reichsfreiherr vom und zum (1757–1831) studierte in Göttingen Rechts- und Staatswissenschaften, absolvierte ein Praktikum am Reichskammergericht in Wetzlar und kam auf Vorschlag von Minister Heinitz als Referendar ans Berliner Bergwerksdepartement. Stein unternahm Studienreisen (u. a. nach England) und rückte über die Stufe vom zweiten Kammerdirektor bis zum Oberpräsidenten aller westfälischen Kammern auf. Seine Zeugnisse bescheinigten ihm einen „raschen Überblick und richtige Staatsgrundsätze“. 1804 wurde er Amtsnachfolger des verstorbenen Struensee und Minister für Handel, Gewerbe, indirekte Steuern, Seehandel und Bankwesen. Seit 1807 war er Mitinitiator der Preußischen Reformen. Im November 1808 erfolgte auf Intervention Napoléons seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst. Seit 1812 stand Stein in den Diensten des russischen Zaren. 1816 zog er sich ins Privatleben zurück. An den Reformarbeiten (1808–1812) war Stein namentlich nicht beteiligt. Struensee, Carl August (v.) (1735–1804), 1789 nobilitiert, hatte Theologie, Mathematik und Philosophie studiert. Seit 1757 unterrichtete er als Professor für Mathematik und Philosophie an der Ritterakademie in Liegnitz. Ab 1760 erfolgten erste Buchveröffentlichungen. 1769 ging er als dänischer Justizrat nach Kopenhagen und kehrte 1772 nach Preußen zurück. Unter Friedrich II. erhielt er keine sofortige Anstellung als Finanzrat, sondern sollte weiterhin als „Schulmann“ Dienst tun. 1777 erfolgte die Ernennung zum Direktor des Elbinger Bankkontors, 1782 zum 1. Direktor der Seehandlung. Im Oktober 1791 übernahm er als Nachfolger von Minister Werder den Posten als Chef des kombinierten Akzise-, Zoll-, Handels- und Fabrikwesens. Nach Rolf Straubel steht Struensee in der Tradition der Wegbereiter der preußischen Reformer.37 Struensee veranlasste Maßnahmen zur Aufhebung der Zunftordnung, verfasste Pläne zur Abschaffung der Binnenzölle und machte Vorschläge zur steuerpolitischen Angleichung von Stadt- und Landakzise. Seit 1793 richtete er die Steuerverwaltung und das Zollwesen für die Provinz Südpreußen ein. Struensee galt als liberaler, vielseitig gebildeter und umgänglicher Mensch. Er war wie Minister Wloemer und Christian Wilhelm Dohm Mitglied der Berliner „Mittwochs-Gesellschaft“. Er wurde pietistisch erzogen und besaß ebenso wie Svarez einen Großvater, der als Handwerker (Tuchweber) gearbeitet hatte. Struensee war 1797 Mitglied des General-Direktoriums und unterzeichnete 1797 das abschlägige Gutachten an die jüdischen Landesältesten. 1801 war er Mitunterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Struensee, Johann Friedrich (1771–1814) war seit 1793 bei der Steuerverwaltung in Königsberg tätig und wurde nach Straubel von Minister Struensee protegiert. Ab 1797 war J. F. Struensee als Ober-Akzise- und Zollrat in der Steuerdirektion von Posen beschäftigt. Nach Abtretung der Provinz (1807) blieb er vorerst ohne weitere Dienstanstellung. Er galt zwar als Mann von ausgezeichnetem Diensteifer, hatte sich aber nach einer KO v. 25. 11. 1808 „nicht rühmlich betragen“38 und erhielt keine neue Anstellung. Ende 1811 avancierte er dennoch zum Regierungsrat und Mitglied der Abgaben-Deputation in der Neumark. 1813
37 Vgl. dazu Straubel, Handbuch, S. 94. 38 Zit. n. Straubel, Handbuch, S. 995f.
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löste er das Dienstverhältnis und trat ins preußische Heer ein. An den Reformarbeiten war er nicht beteiligt.39 Süvern, Johann Wilhelm (1775–1829) studierte Theologie in Jena und besuchte im Anschluss die Fachhochschule für Schulamtskandidaten. Nach seiner Rektorentätigkeit am alten Gymnasium der Stadt Thorn (1800) und folgend am Elbinger Gymnasium (1803) publizierte er verschiedene Schriften zur Schulgliederung. 1806 folgte er dem Ruf an die Universität Königsberg. Süvern hielt u. a. Vorlesungen vor der preußischen Königin Luise und wurde auf Vorschlag von Nicolovius zum Staatsrat in der Unterrichtsabteilung berufen. Er war ein Freund Pestalozzis. Sein Ziel war die Verbesserung des Elementarunterrichts durch Gesang, Zeichnen und Turnen in Ergänzung zum Lesen, Schreiben und der Sprach- und Zeichenlehre. Süvern40 galt als ein begeisterter Anhänger von Minister Stein. Süvern fertigte ein Einzelgutachten (1809) zum Entwurf Schroetters an. Svarez, Carl Gottlieb (1746–1798) studierte in Frankfurt/O. Rechtswissenschaften und wirkte als Geh. Oberjustizrat in der Verwaltung der Provinz Schlesien. Gemeinsam mit Carmer arbeitete er an der Schaffung der „Schlesischen Landschaft“ und galt als „vorzüglich tüchtiges Subjekt“ mit der Eignung für ein Amt in der Oberamtsregierung. Mit der Ernennung Carmers zum Großkanzler und dessen Wechsel nach Berlin folgte seine Berufung zum Vortragenden Rat. Svarez arbeitete die Gerichts- und Prozessordnung aus (Corpus Iuris Fridericianum I, 1781), entwickelte und bearbeitete gemeinsam mit Carmer und Klein die Entwürfe und Kodifizierungen zum Allgemeinen Preußischen Landrecht. 1797 war er Mitglied der Gesetzkommission. Thomasius, Christian (1655–1728) war seit 1690 Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Halle/S. und wurde zu einem der einflussreichsten Gelehrten der preußischen Frühaufklärung. Er richtete sich mit moralischen Reformen an den Bürger und die Frauen und schrieb in deutscher Sprache. Die Dringlichkeit des Vorurteilsabbaus war u. a. Thema seiner Schriften, in denen er sich erfolgreich gegen Hexenprozesse und Hexenverbrennung einsetzte: Kleine teutsche Schriften (1701); Der richtige Gebrauch der Vernunft; Ausübung der Vernunftlehre (1691). Nach Hattenhauer kritisierte Thomasius Moral und Sitte der Studenten, die von einem geringeren Stand waren und denen es deshalb – seiner Meinung nach – an Freundlichkeit, Leutseligkeit und Bescheidenheit mangels der entsprechenden Erziehung fehlte. Sie verließen die Universität oft nur mit erbärmlichen Kenntnissen. Die unzureichende Ausbildung in der Jurisprudenz machte sie in ihren Berufen zu „Unruhestiftern, zu Verfassern ungeschickter Verordnungen und Registraturen und zu Verursachern unnötiger Kosten“41. Thomasius ließ das Werk mit seinen Anmerkungen als Schulbuch für den Universitätsbetrieb drucken. Hans Hattenhauer erwähnt in diesem Zusammenhang
39 Siehe die Monografie Struensees zur wirtschaftlichen Funktion der jüdischen Einwohner in Neuostpreußen: Struensee, Johann Friedrich: Blikke auf Südpreußen vor und nach dem Jahr 1793. Sämtlichen Gutsbesizzern Südpreußens gewidmet. Posen 1802. 40 Vgl. dazu Dilthey, Wilhelm: „Süvern, Johann Heinrich“. In: ADB 37 (1894), ND Berlin 1971, S. 206–245. 41 Thomasius, C.: Anmerkungen zu Melchior von Osse. Testament gegen Hertzog Augusto Churfürst zu Sachsen (1556). Halle 1717, zit. n. Hattenhauer, Hans: Geschichte des deutschen Beamtentums. Köln 1993, S. 106.
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auch die verschiedenen preußischen Landesschulreglements und bemerkt dazu, dass, allerdings nicht nur in Preußen „Hochschulrecht immer auch Disziplinarrecht [war]“.42 Thulemeier, Friedrich Wilhelm Freiherr v. (1735–1811) studierte Rechtswissenschaften, und stand seit 1755 als Legationsrat und Gesandter in preußischen Diensten. 1793 erfolgte seine Berufung zum Justizminister. Thulemeier war Mitglied des Justizdepartements und zeichnete die Gutachten (1797). Er war Unterzeichner des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Veit, Salomon (1751–1827) stammte aus der Familie von Juda Veit Singer, der seit 1750 Kattun herstellte und 1781 eine Konzession als Baumwollfabrikant erhielt. Seit 1764 besaß sein Vater ein Schutzprivileg zur Etablierung seiner Familie und seiner sechs Kinder. Die Söhne gründeten im selben Jahr das Bankgeschäft Gebr. Veit & Co. Salomon war der zweite von fünf Söhnen (Joseph, Salomon, David, Simon, Philipp) und nach Rachel der bedeutendste Sohn in der Familie. Seit 1803 gehörte Salomon Veit zur Börsenrepräsentanz und wurde wiederholt (1810, 1813, 1816, 1819) zum Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt.43 Veit unterzeichnete die Eingabe (1795) zur Aufhebung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Voss, Otto Carl Friedrich v. (1755–1823) studierte in Frankfurt/O. und Göttingen Rechtswissenschaften. Voss saß seit 1789 im General-Direktorium, war Staats- und Kriegsminister. Er verwaltete das Departement für die Kurmark, Magdeburg, Halberstadt und Neuchâtel incl. der Stempelsachen und übernahm damit das Ressort von Mauschwitz nach dessen Umsetzung. 1793 wurde er Departementschef der neuen Provinz Südpreußen. Nach einer dreijährigen Auszeit vom Staatsdienst, zog er 1798 wieder in das General-Direktorium ein, und übernahm erneut die Verwaltung der Provinz Südpreußen. Voss war Mitunterzeichner des 1. Reformentwurfs (1789), des Reglement[s] wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801) und des General-Juden-Reglement[s] für Süd- und Neu-Ostpreußen (1797). Werder, Hans Ernst Dietrich v. (1740–1800) besuchte die Brandenburgische Ritterakademie, war als Cornet und Leutnant im Siebenjährigen Krieg und nahm 1764 seinen Abschied vom Militär. Anerkannte Verdienste erwarb er sich bei der Organisation zur Urbarmachung des Fiener Bruches im Auftrag der Kriegs- und Domänenkammer Magdeburg. 1781 wurde er Finanzrat im Kurmärkischen Departement des General-Direktorium. 1784 übernahm er die Leitung der Departements IV und V. Zwischenzeitlich leitete er auch das Departement Ostund Westpreußen und Litauen. Die Judenreformkommission von 1789 stand unter seiner Leitung. Wloemer, Johann Heinrich (1726–1797) studierte Theologie und Rechtswissenschaften. Zum Zeitpunkt des ersten Reformversuchs war er Finanzrat, leitete das Departement und besaß in Justizsachen den Vortrag. In der Ober-Examinations-Commission des GeneralDirektoriums saß er in der Prüfungskommission für Kandidaten im oberen Justizdienst und als Justitiarius und Assistent im Banco-Directorium. Nach einem Dossier über preußische Beamte, angefertigt von Minister Woellner für Friedrich Wilhelm II. wurde der Geh.
42 Hattenhauer, Hans: Geschichte des deutschen Beamtentums. Köln 1993, S. 109. 43 Vgl. auch Rachel/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 3, und Jacobson, Judenbürgerbücher, S. 67f.
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Finanzrat und Justitiarius im General-Direktorium wie folgt charakterisiert: „Er hat den Ruf eines großen Juristen; ist lange Advokat gewesen und hat wichtige große Prozesse bearbeitet. Ein Mann von schneller und richtiger Penetration, dessen Meinung und Votum in einer Sache bei allen Juristen sehr respektiret wird […]. Schon seine Physiognomie spricht Redlichkeit, die er auch in der Tat in einem hohen Grade besitzt“.44 Wloemer wurde zum Chef der ersten Judenreformkommission ernannt, verfasste den Enwurf von 1789 und das General-Juden-Reglement für Süd- und Neuostpreußen (1797). Woellner, Johann Christoph (v.) (1732–1800) studierte Theologie in Halle/S. Er arbeitete zunächst als Hauslehrer, erhielt 1755 das Predigeramt in Groß-Behnitz und war seit 1768 Mitglied der Freimaurer. 1770 war er Rat in der Domänenkammer des Prinzen Heinrich, seit 1779 aktiver Rosenkreuzer und von 1781–1792 Mitglied im „Montagsclub“. Im Oktober 1786 wurde er von Friedrich Wilhelm II. nobilitiert. Seine Ernennung zum Geh. Staatsund Justizminister und Chef des Geistlichen Departements in allen lutherischen und katholischen Kirchen-, Schul- und Stiftssachen erfolgte 1788. Das berüchtigte Religionsedikt (1788) fällt in seine Verantwortung. J. D. Preuß (1865) beurteilte das Wirken Woellners als Kronprinzenerzieher, Minister und Königsberater als schuldhafte Verstöße gegen Glaubensfreiheit und Recht.45 Woellner war als Chef des Justizdepartements mit der Abfassung des Gutachtens zur Berliner Petition der Judenältesten (1795) betraut worden. In seiner Denkschrift Von der Bevölkerung […] (1784) hatte Woellner gut zehn Jahre zuvor ein deutlich positiveres Urteil über die Nützlichkeit der jüdischen Einwohner ausgesprochen. Siehe auch seine Characteristic guter Leute (Konduitenliste von hohen preußischen Beamten) in seinem Plan zur Abschaffung der Regie (1786).46 Wolff, Christian W. (1679–1755), Philosoph und Mathematiker, war Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, der Londoner und der Pariser Societät der Wissenschaften (1710) und seit 1706 Professor für Mathematik und Naturwissenschaften in Halle/S. 1723 erfolgte seine Amtsenthebung durch den preußischen König, 1727 ein Verbot der Verbreitung und Nutzung seiner Schriften. Diese Entscheidung wurde nach Schrader als „Schlag gegen die Freiheit der Lehre empfunden“. Wolff stand in den 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts unter erheblicher Kritik, weil er in seinen Büchern lateinische und philosophische Fachausdrücke ins Deutsche übersetzte, auf Latein verzichtete und den übertragenen Begriffen eine neue Bedeutung gab. Wolff musste Halle verlassen, folgte einem Ruf an die Philipps-Universität (Marburg) und kehrte 1740 als Geh. Rat und Vizekanzler an die Universität in Halle zurück.Vgl. dazu auch seine Schriften: Vernünfftige Gedancken von den Kräften des Verstandes (1719); Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (1720); Vernünfftige Gedanken von der Menschen Thun und Lassen (1720); Vernünfftige Gedanken von dem Gesellschaftlichen Leben des Menschen, insonderheit dem gemeinen Wesen (1721); Philosophia rationalis (1728); Psychologica empirica (1732); Psychologica rationalis (1734); Theologica naturalis (1736); Cosmologica generalis (1737).
44 Woellner, Johann Christoph: Characteristic guter Leute. In: Plan zur Abschaffung der Regie (1786). In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 206 E. 45 Preuß, Johann D.: Zur Beurtheilung des Staatsministers Woellner. In: Foss, Rudolf (Hrsg.): Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde. H. 2 (1865), S. 577–604, S. 577. 46 In: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 206 E. Teilw. gedr. bei Ruppel-Kuhfuß, Generaldirektorium, Anhang IV.
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Wolf(f) (Wulff), Isaak Benjamin (1731–1802), kam 1755 nach Berlin. Er erhielt 1763 das General-Privileg und errichtete in Berlin eine Kattunfabrik. Zum Zeitpunkt der Initiative unterzeichnete er als Landesältester die zweite Denkschrift (28. Februar 1790) als Kritik und Korrektur am 1. Reformentwurf (1789). Wulff, Liepmann Meyer (1745–1812) erhielt im April 1787 das General-Privileg mit den Rechten christlicher Kaufleute. Die Verleihung dieses „General-Schutz und Handlungs-Privilegium für sich und seine Descendenten in der gewöhnlichen Art, jedoch mit Einschluss der Stadt Königsberg“ war eins von elf Privilegien, die in den letzten 25 Jahren ausgestellt wurden. Zu den damit verbundenen Rechten gehörten die Handelsfreiheit, die freie Niederlassung und die Gleichstellung mit den christlichen Kaufleuten vor Gericht und im Wechselrecht. Ferner durfte sich Wulff zukünftig Banquier nennen. Ab 1787 war er Entrepreneur des Postfuhrwesens. Mit der Fertigstellung der Ausbaustrecke Potsdam – Berlin zu einer chaussierten „Allwetterstraße“ als Verbindung zwischen den Schlössern besaß Wulff die Monopolstellung in der Personen- und Postbeförderung. Er unterzeichnete die Eingabe (1795) zur Aufhebung der Haftung in solidum nach Gen.-Jud.-Priv. von 1750, Art. 10 u. 24. Zimmermann, Friedrich-Albert (1745–1815) arbeitete seit seinem dreizehnten Lebensjahr als Schreiber bei einem Steuereinnehmer. Mit einem Aufsatz über die schlesische Steuerverwaltung wurde er Provinzialminister Hoym bekannt, der ihn 1771 als Hilfsarbeiter in der Breslauer Kriegs- und Domänenkammer anstellte. 1774 erhielt er eine Kalkulatorstelle bei der Breslauer Kammer und führte die Aufsicht über die jüdischen Angelegenheiten im Bezirk. Praktisch setzte er sich für die Einrichtung der Breslauer Königlichen Wilhelmsschule ein, der ersten vom Staat eingerichteten jüdischen Schule für Jungen mit deutschsprachigem Unterricht. Nach Arbeiten in der Verwaltung des geteilten Polens stieg er 1804 zum Geheimsekretär auf, wurde Sachverständiger für Schlesien bei den Reformberatungen in Königsberg (1809) und verwaltete das Rechnungs- und Kassenwesen der Provinz. Zimmermann war Herausgeber der Schlesischen Provincialblätter und schrieb 13 Bände zur Statistik und Landeskunde Schlesiens. An den Reformarbeiten zum „Emanzipationsedikt“ war er namentlich nicht beteiligt.
Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalien Denkschriften der Judenschaften, Skripte, Entwürfe und Gutachten der Beamtenschaft zu den Reformentwürfen von 1789 und 1792. In: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen. Generalia, Fasz. 35a, Bl. 1–30: Pro Memoria der Deputirten der sämmtlichen jüdischen Kolonien in den Preußischen Staaten mit dem „Abriß von dem politischen Zustande der sämmtlichen jüdischen Kolonien in den preußischen Staaten mit Ausschluß von Schlesien, Westpreußen und Ostfriesland“ (17. Mai 1787). GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.),Tit. LVII: Judensachen, Nr. 13, Bd. 1, B1. 1: KO an das General-Direktorium (31. Oktober 1787) wg. Einsetzung einer Reformkommission; Bl. 7–9: Instruktion für die Geh. Finanzräte Wloemer, Klevenow, Dietrich und Gen. Fisc. d’Anières wg. der Untersuchung der von den Juden verlangten Verbesserung ihres bürgerlichen und sittlichen Zustands; Bl. 35–62: Abschlussbericht der Judenreformkommission (10. Juli 1789); Bl. 71–79: Entwurf Wloemer (18. Dezember 1789); Bl. 80–109: Denkschrift der General-Deputierten der Preußischen Judenschaften (28. Februar 1790); Bl. 110–112: Gutachten der Kantonkommission (18. Januar 1790); Bl. 115: Gutachten des Oberkriegskollegiums (10. März 1790); Bl. 116: Gutachten der Mobilmachungskommission (10. März 1790); Bl. 147–152: Vorschrift wie es mit dem Juden-Wesen in Breslau gehalten werden soll (21. Mai 1790); Bl. 172: Aufforderung Wloemers an die Delegierten sich in Angelegenheit der Reform im General-Direktorium einzufinden (9. Februar 1792); Bl. 173–179: Protokoll der Sitzung (13. Februar 1792); Bl. 194–196: Schreiben an Friedrich Wilhelm II. zu den Gründen für die Verzögerung der Reformarbeiten (24. Januar 1792). GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Juden.Sachen, Nr. 13, Bd. 2, Bl. 1–11: Entwurf zur „Declaration“ (24. Februar 1792); Bl. 21: Petition der Judenschaft aus Frankf./Oder zwecks Zusendung einer Abschrift der geplanten Declaration (6. März 1792); Bl. 33–38: Gutachten der Gesetzkommission (2. April 1792); Bl. 39–52: „Declaration“ von 1792 mit Präambel (April 1792). Ebenfalls einzusehen in: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Juden.Sachen. Generalia, Fasz. 22, Bl. 39–52. Petitionen, Skripte, Entwürfe und Gutachten zur Abschaffung der Haftung in solidum. In: GStA PK, I. HA Rep. 21 (Kurmärkische Städte, Ämter, Kreise), Nr. 207b 2a: Judensachen. Generalia, Fasz. 22, Bl. 53–56: Petition der Oberlandes und der Berliner Ältesten der Jüdischen Gemeinde wg. Aufhebung der Haftung in solidum im Gen.-Jud.-Priv. von 1750 (22. März 1795); (Copie) Bl. 63–64: Gutachten des General-Direktoriums (20. Oktober 1795); Bl. 69–73: Gutachten der Gesetzkommission (2. Juli 1797); Bl. 86–87: Reskript des General-Direktoriums (27. Dezember 1797). GStA PK, II. HA Abt. 3 (Gen.-Dep.), Tit. LVII: Juden.Sachen, Nr. 13, Bd. 4, Bl. 1–3: Petition der Oberlandes und der Berliner Ältesten der Jüdischen Gemeinde wg. Aufhebung der Haftung in solidum im Gen.-Jud.-Priv. von 1750 (22. Mai 1795); Bl. 13–14: Skript des GeneralDirektoriums (21. Juli 1795); Bl. 15: Schreiben der Ältesten der Jüdischen Gemeinde (Berlin) zwecks Bescheid/Entscheidung zur Petition vom 22. Mai 1795; Bl. 43–44: Reskript des Justiz-Dep.(10. Juli 1797); Bl. 60–62: Reskript des General-Direktoriums (Copie, 21. November 1797); Bl. 63: Reskript des Justiz-Dep. (13. Dezember 1797); Bl. 69: Bescheid an
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Daniel Itzig und Consorten betreffs der Ablehnung der Petition (2. April 1798); Bl. 103–110: Reglement wegen Aufhebung der Verpflichtung der jüdischen Gemeinen, den durch Vergehungen einzelner Mitglieder zugefügten Schaden zu ersetzen (18. Juli 1801). Skripte, Entwürfe und Gutachten zum Edikt vom 11. März 1812. In: GStA PK, I. HA Rep. 77 (Ministerium des Innern), Titel XXX: Juden.Sachen.Generalia. Nr. 5. Bd. 1, Bl. 42–44: Immediatvorlage Schroetter (20. November 1808); Bl. 61: Beauftragung Schroetters (25.November 1808); Bl. 96–105: Entwurf Schroetter (22. Dezember 1808); Bl. 106–109: Erläuterungen Schroetters zum Entwurf (22. Dezember 1808); Bl. 111–115: Gutachten Koehler (13. Mai 1809); Bl. 116–123: Gutachten der Allgemeinen Polizeisektion, gez. Hoffmann und Minuth (3. Juni 1809); Gutachten der Sektion für „Cultus und Öffentlichen Unterricht“; Bl. 124–137: Einzelgutachten Humboldt (17. Juli 1809); Bl. 137–138: Einzelgutachten Nicolovius (6. September 1809); Bl. 139–140: Einzelgutachten Süvern (10. September 1809); Bl. 141–148: Einzelgutachten Schmedding (22. September 1809); Bl. 80: 1. Gutachten des Militär-Ökonomie-Departements, gez. Lottum (14. Oktober 1809); Bl. 84–87: Gutachten des Allgemeinen Kriegsdepartements, gez. Scharnhorst, Hake, Rauch, Dunker, Boyen (27. November 1809); Bl. 89: 2. Gutachten des MilitärÖkonomie-Departements, gez. Lottum (17. Januar 1810); Bl. 149–156: Gutachten der Abgabensektion des Finanzministeriums, gez. Beguelin (24. Januar 1810); Bl. 160–163: Gutachten des Justizministeriums, gez. Beyme (23. Mai 1810). GStA PK, I. HA Rep. 77 (Ministerium des Innern), Tit. XXX: Juden.Sachen.Generalia. Nr. 5, Bd. 2, Bl. 16–17: Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate (Berlin, 11. März 1812). GStA PK, I. HA Rep. 74 (Staatskanzlei Hardenberg), J. IX, Nr.1, Bd. 1, Bl. 272–275: 1. Entwurf Raumer (Februar 1811); Bl. 55–69: 2. Entwurf Raumer (Mai 1811); Bl. 87–91: Gutachten Pfeiffer zum 1. Entwurf Raumers (29. Januar 1811); Bl. 26–29: Gutachten Kircheisen (4. Februar 1811); Bl. 35–36: Gutachten Sack (2. April 1811); Bl. 49–54: Gutachten Schuckmann (20. April 1811); Bl. 153–161: 2. Entwurf Pfeiffer (Januar 1812). Sonstige Erlasse, Denkschriften, Kommentare/Gutachten und Urkunden. In: Berliner Landesarchiv, A Rep. OO3-1 (Urkunden zur Organisation des preußischen Armenwesens), Nr. 57, 77, 195, 201, 243, 244, 253, 354–358, 369–377, 389, 617, 618. EZA (Berlin): Taufkarten von konvertierten jüdisch-christlichen Einwohnern Berlins (1770–1808). GStA PK, BPH Rep. 45E (Politica), Nr. 13, Bl. 30–40: Project einer Juden Ordnung in der Königl. Residentz Berlin, und der Churmarck Brandenburg (8. April 1711); Bl. 20–27: Kommentar „sämmtlicher Schutzverwandten Juden hiesiger Königlicher Residentzien“ (17. April 1711). GStA PK, I. HA Rep. 94, Nr. 403 (Civil. Sachen unter Friedrich dem Großen): Denkschrift von Ephraim Veitel Ephraim (1785) mit einem angehefteten Kommentar von Moses Mendelssohn. GStA PK, BPH Rep. 48A, Nr. 5: Taufurkunde und Aufsätze von Friedrich Wilhelm II. zu seinem Religionsunterricht. GStA PK, I. HA Rep. 96 (Judensachen. Generalia. Spezialia), Nr. 226, Bl. 20–25: Naturalisationspatent für die Familie von Daniel Itzig (2. Mai 1791). GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 226, Bl. 13: Schreiben von Minister Woellner an Friedrich Wilhelm II. wg. Erteilung eines Generalprivilegs für Nathan Liepmann (27. Februar 1791).
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Gesetzestexte und -sammlungen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Hrsg.: Hattenhauer, Hans. Frankfurt a. M. 1996. Archiv der Deckersche[n] Geheimen Ober-Hofbuchdrucksachen. Sammlung von den in genannter Druckerei gedruckten Edicten, Gesetzen und sonstigen amtlichen Erlassen. Bd. XXV.(1824–1825). Berlin 1824–1825. Corpus Constitutionem Marchicarum oder Königl.-Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck-Brandenburg auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta ect. (C.C.M.). 6 Teile. Hrsg.: Mylius, Christian Otto. Berlin/Halle [1737]–1757. Codex Iuris Fridericianum. 1. Buch von der Proceß-Ordnung. Berlin 1781. Corpus iuris militaris novissimum oder neuestes Kriegsrecht: worinnen die MilitairVerordnungen, welche die Römischen Kayser, die geist- und weltlichen Chur-Fürsten, die mächtigsten Fürsten und andere vornehme Stände des Heil. Röm. Reiches, imgleichen die auswärtigen Könige und Republiquen bis auf diese Zeit ergehen lassen, zu finden. Leipzig 1724. Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten. Berlin 1810–1813 u. 1814–1816. Novum Corpus Constitutionem Prussico-Brandenburgensium. Oder neue Sammlung Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburgischer, sonderlich in der Chur- und MarckBrandenburg, wie auch andern Provintzien, publizirten und ergangenen Ordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten etc. (N.C.C.). 12 Bde. Hrsg.: Coccejus, Samuel v.. Berlin 1753–1822. Preussische Verordnungen von 1793–1800. Sammelband (zu publizierten Gesetzen, die in der Mehrzahl von Georg Decker in der Königl. Preuß. Hofdruckerei gedruckt wurden und zur Regierungszeit von Friedrich Wilhelm II. die neuen Gebietserwerbungen betrafen), Nr. 3.
Sammelwerke Allgemeine Deutsche Biographie. Hrsg.: Historische Commission in der königlichen Akademie der Wissenschaften. 1875–1910. ND Berlin 1967–1971. Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Hrsg.: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried. Leipzig 1815–1840. Altpreußische Biographie. Bd. 2. Hrsg.: Krollmann, Christian (im Auftrag der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung). ND Marburg/Lahn 1969. Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten. 1740–1806/15. Hrsg.: Straubel, Rolf. München 2009. Calwer Bibellexikon. Hrsg.: Schlatter, Theodor. 2. Aufl. Stuttgart 1967. Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 3. Hrsg.: Killy, Walther. München [u. a.]1996. Encyclopaedia Judaica. Bd. 13. Hrsg.: Roth, Cecil. Jerusalem 1978. Encyclopaedia Judaica. Second edition. Bd. 16. Hrsg.: Skolnik, Fred. Detroit/New York 2007. Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 9. Hrsg.: Jaeger, Friedrich. Stuttgart 2009. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Bd. 3. Hrsg.: Pfeifer, Wolfgang. Berlin 1989.
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Abbildungsnachweise Abb. 1
Radierung von Daniel Berger (1789). Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte (bpk). Nr. 100118147. Abb. 2 Stich von Daniel Berger. Neu fotografiert nach der Abbildung bei Lotz, Albert: Geschichte des Deutschen Beamtentums. Berlin 1914, S. 215. Abb. 3 Stich von Daniel Berger (1789). Jewish Museum London. Abb. 4 Kupferstich von Ludwig Buchhorn. Neu fotografiert nach der Abbildung bei Lotz, deutsches Beamtentum, S. 344. Abb. 5 Gemälde von Joseph Friedrich d’Arbes (1787). Stiftung Stadtmuseum Berlin. Abb. 6 Stich von Meno Haas. Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte (bpk). Nr. 10012297. Abb. 7 Stahlstich von Aldermann. Neu fotografiert nach der Abbildung bei Lotz, deutsches Beamtentum, S. 348. Abb. 8 Stich von Friedrich Wilhelm Bollinger. Neu fotografiert nach einer Abbildung bei Lotz, deutsches Beamtentum, S. 224. Abb. 9 Gemälde von Johann Friedrich Bury. Landesmuseum Hannover. Abb. 10 [o. A.]. Stiftung Stadtmuseum Berlin. Neu fotografiert nach der Abbildung bei Lotz, deutsches Beamtentum, S. 345. Abb. 11 Stich von Daniel Berger. Neu fotografiert nach der Abbildung bei Lotz, deutsches Beamtentum, S. 341.
Personenregister Die Zahlen beziehen sich auf die Fundstellen im Text. Für die familiengeschichtlich interessierten Leser werden im Register auch die jüdischen Personen genannt, die nicht zum engeren Kreis der jüdisch-preußischen Delegierten gehörten. Die Nennung erfolgt ebenfalls unter Angabe der Seitenzahl, auch wenn der Name nur in den Fußnoten erwähnt wird. Aaron, Israel 33–35 Abraham, Alexander (Alexander Abraham) 118, 217 Abraham, Raphael 123 Ajzensztejn, Andrea 361 Alembert, Jean Le Rond d’ 63, 64 Allerhand, Jakob 84, 87 Altenstein, Carl Sigismund Franz Freiherr vom Stein zum 340, 354, 372, 375, 421, 457, 500, 518 Althusius, Johannes 441 Alvensleben, Philipp Carl Graf von 500–501 Anières, Johann Friedrich Benjamin de 162, 388, 389, 455, 456, 501 Arendt, Hanna 475, 476 Arnim, Friedrich Wilhelm Graf von 163, 249, 491,493, 501 Arnim, Otto Albrecht von 501 Aron, Wolf 299 Ascher, Saul 57, 91 Baczko, Ludwig von 218 Bär, Max 278 Bärensprung, Johann Georg Wilhelm 253, 501 Bahrdt, Carl Friedrich 72 Basedow, Johann Bernhard 96 Baumgart, Peter 4, 292, 347, 348 Baumgarten, Otto Nathanael 253, 501 Becker, Peter 210 Becker, Rudolf Zacharias 63, 72 Beer, Jacob Herz 137, 245 Beguelin, Heinrich von 390, 391, 407, 442, 450, 501 Beheim-Schwarzbach, Max 17, 19, 21 Behm, Britta L. 77 Bendavid, Lazarus 57, 91, 93–95, 440, 502
Bendix, Abraham Hirsch (August Heinrich Bendemann) 137, 204, 245, 502 Bendix, Bernhardt 217 Bendix, Jeremias (Bendix Jeremias, Königsberg) 454 Bendix, Samuel Nathan 137, 245 Benthem, Heinrich Ludolf 23 Berghahn, Cord Friedrich 389 Berghahn, Klaus L. 355 Bergmann, Werner 8, 9 Berndt, George Benjamin 295 Beuth, Peter Christian Wilhelm 503 Beyer, Georg Friedrich Eberhard von 253, 502 Beyme, Karl Friedrich (von) 451, 502–503 Bielefeldt, Heiner 84 Birnbaum, Salomo 271 Bischoffwerder, Johann Rudolf von 102 Bissing, Wilhelm Moritz Freiherr von 104 Bloch, Marcus Elieser 57, 326 Bloch, Philipp 303 Blumenthal, Christoph Caspar von 28 Blumenthal, Joachim Christian Graf von 163, 172, 249, 491, 493, 503 Bodian, Miriam 92 Boguslawski, o. V., preußischer Beamter 422 Bopp, Franz 454 Bornemann, Wilhelm 5 Borowski, Georg Heinrich 5 Bose, o. V., von, preußischer Kriegsrat 468 Botzenhart, Manfred 373, 414, 419, 420 Bourdieu, Pierre 146 Boyen, Hermann Ludwig Leopold von 372, 407, 503, 520, 521 Brammer, Annegret 6, 346, 348 Brandenburg, Markgraf Ernst von 27 Brandes, Ernst 205–208, 210, 215 Brenner, Michael 10
Personenregister
Brill, Joel 90, 503 Bringmann, Wilhelm 10, 44, 105, 107, 110, 263 Bruer, Albert A. 10, 71, 261, 273, 303, 310, 311, 145, 369, 423, 475, 476 Brühl, Karl Adolf Reichsgraf von 101, 102 Buchholtz, Heinrich Jakob Ludwig (von) 282, 286, 297, 503–504 Buchholz, Carl August 5 Buchholz, Friedrich Paul Ferdinand 8, 390, 391, 392,504 Buggenhagen, Julius Ernst von 310 Bülow, Friedrich August von 400, 504 Bülow, Ludwig Friedrich Victor Hans Graf von 504 Burchard, Bernhard Sigmund 137 Burghoff, Johann Friedrich August 253, 504 Bussenius, Ingeburg 288, 289, 298 Campe, Joachim Heinrich 62 Canstein, Raban von 28 Carmer, Johann Heinrich Casimir Graf von 54, 108, 174, 252, 253, 504–505, 509, 519, 524 Caro, Isaac 299 Caspar, Isaac, Bankier (Königsberg) 386 Cauer, Karoline 133 Cavan, Georg Wilhelm Christian 253, 505 Clark, Christopher 106 Clauswitz, Paul 329, 332, 350 Coelln, Georg Friedrich Wilhelm von 8, 392, 497, 505 Cohen, Daniel J. 118 Cohen, Ernst Gustav Wilhelm 137 Cohen, Philippine 473 Consentius, Ernst 198 Czacki, Thadeusz 273 Dahlberg, Großherzog Karl Theodor von 451 Davidson, Wolf 465, 466 Diefenbach, Friedrich 335 Dietrich, Johann Friedrich 162, 485, 492, 505, 514 Doerner, o. V., preußischer Beamter 108 Dohm, Christian (Konrad) Wilhelm (von) 8, 61, 62, 69, 75–82, 98, 115, 259, 284,
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285, 342, 385, 389, 390, 392, 402, 477, 497, 506, 523 Dohna-Schlobitten, Alexander Graf von 340, 407, 447, 500, 506 Dunker, o. V. , preußischer Beamter 407 Eberhardt, Johann A. 405 Enck(e), Wilhelmine, spätere Gräfin von Lichtenau 49 Ephraim, David 146, 506, 513 Ephraim, Ephraim Veitel 91, 128, 130, 131, 506 Ephraim, Heimann Veitel 130, 228, 506 Ephraim, Joachim Heimann 217 Ephraim, Nathan Veitel Heine (Veitel Ephraim, Veitel Heine Ephraim) 128, 130, 470, 506 Erler, Adalbert 5 Erman, Jean P. 156 Escher, Heinrich 11 Euchel, Isaak(c) 82, 90, 467, 503, 507 Feiner, Shmuel 57, 82, 83, 88, 89, 90, 92 Feuchtwanger, Sigbert 42, 43 Fichte, Johann Gottlieb 8, 69, 357, 358, 393, 396, 423 Fischer, Friedrich Christoph Freiherr von 507 Fischer, Horst 375, 433 Flato, Jakob 299 Fließ, Bär 123 Fliess, Joseph (Carl Ferdinand Flies) 146, 469 Fliess, Moses Isaac (Moses Isaac) 468, 469, 470 Flottwell, Theodor von 334 Forst, Rainer 82 Fränkel, Heimann Josef 137 Franz II., österreichischer Kaiser 115 Friedberg, Emil 464 Friedländer, Bernhardt 217 Friedländer, David 2, 57, 82, 84, 90, 93, 95–98, 113, 116, 121, 123, 136–137, 139–140, 146, 162, 177, 225, 284, 314–315, 329, 403–404, 407, 432–433, 438, 461, 465, 486, 503, 507, 513 Friedländer, Meyer 217 Friedländer, Michael 57 Friedländer, Simon 217
572
Personenregister
Friedländer, Wulff 217 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 1, 4, 5, 12, 17, 19–21, 25, 41, 44, 46, 64, 66, 86, 101, 106, 110, 113, 117, 119, 128, 130, 161, 165, 171–173, 178, 185, 194, 197, 210, 215, 222–223, 226, 241, 242, 244 –247, 278, 279, 283, 294, 317, 322, 383, 384, 394, 418, 424, 456 Friedrich III./I., Kurfürst von Brandenburg, König in Preußen 16, 25–26, 40, 100, 176, 366 Friedrich Wilhelm (der Große Kurfürst), Kurfürst von Brandenburg 13–19, 26–28, 30–32, 34–36, 38, 39, 100, 454 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 17, 18, 41, 52, 101, 169, 176, 197, 198, 200, 201, 231, 232, 234, 240, 332, 416, 418, 421 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 2, 10, 42–46, 49, 51–54, 92, 101–107,109–113, 117, 124, 126, 130, 132, 133, 150, 161, 163, 171, 172, 176, 180, 185, 194, 201, 201, 224, 226f., 263, 267, 270, 294, 356, 418, 440, 468, 502, 508, 511, 513, 517, 518, 525, 526 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 2, 26, 101, 105, 185, 287, 309, 322, 332, 348, 357, 359, 383, 396, 425, 438, 440, 448, 508 Freund, Ismar 1, 2, 3, 10, 115, 116, 134, 217, 222, 248, 322, 346, 347, 368, 400 Friese, Carl Ferdinand 407, 506, 508 Fuller, Adam 454 Gedike, Friedrich 272 Geiger, Ludwig 10, 116, 124, 127, 183, 185, 222, 256, 320, 322, 325, 396, 469 Gerhard, Carl Abraham 253, 509 Gerlach, Carl Friedrich Leopold von 253, 509 Glatzer, Ruth 178 Globig, o. V., preußischer Gerichtsrat (Dresden) 464 Goldbeck, Heinrich Julius von 251, 254, 255, 272, 286, 327, 509 Goldberg, Jakub 272 Goldenbaum, Ursula 61 Gompertz, Hertz Moses 242 Gompertz, Ruben Samuel 245
Gosewinkel, Dieter 5, 158 Goß(ss)ler, Christoph 253, 509 Gotzkowsky, Johann Ernst 238 Grab, Walter 106 Graetz, Heinrich 88 Graetz, Michael 76 Grass, Karl Martin 341 Grashoff, Carl Friedrich August 296–297 Grattenauer, Carl Friedrich Wilhelm 8, 395, 396, 498, 410 Graupe, Heinz Mosche 87 Grimm, Dieter 5 Grolmann, Heinrich Diet(e)rich (von) 253, 510 Grothe, o. V., preußischer Beamter 253, 510 Grotthuß, Sara von 49 Gumpertz, Aron 85 Gumpertz, Ruben Samuel (Ruben Samuel Gompertz) 131 Guttmann, Julius 88 Hagemann, Karen 457 Hahn, Hans-Werner 346, 402 Hake, Karl Georg Albrecht 407, 510 Halle, Joel Samuel (von) 137 Hamann, Johann Georg 62 Hardenberg, Karl August Fürst von 1, 11, 158, 319, 345, 350, 354, 355, 372, 375, 392, 396, 400, 436, 443, 447, 448, 449, 458, 459, 478, 479, 500, 502, 505, 508, 509, 510, 511, 519, 521 Hattenhauer, Hans 5, 250, 251, 252, 440, 441 Haugwitz, Christian Heinrich Curt Graf von 272, 509, 510 Hausherr, Hans 171 Heidenreich, Carl Ludwig (von) 253, 511 Heine, Heinrich 88 Heinemann, Gerd 129 Heinitz, Friedrich Anton Freiherr von 163, 166, 224, 249, 491, 509, 511, 513, 523 Heinrich, Gerd 106 Held, Joseph von 216, 217, 350 Helfft, Gottschalk 118 Heppner, Aaron 260, 303, 307, 309 Herder, Johann Gottfried 62 Herlitz, Georg 42 Hertz, Deborah 473, 474 Hertz, Zaady 118
Personenregister
Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von 267, 268, 511 Herz, Henriette 8, 49, 74, 472–473, 475 Herz, Marcus 57, 90 Herzberg, Isaak 260, 303, 307, 309 Heymann, Nathan 217 Heymann, Marcus 217 Hintze, Otto 158 Hirsch, David 118, 131, 137, 326 Hirsch, Laser Salomon 217 Hirsch, Levin 217 Hirsch, Philip 366, 367 Hirsch, Samuel 365, 446 Hirsch, Simon 322 Hirsch, Simon, Ältester der Jüdischen Gemeinde in Breslau 293 Hirsch, Simon Bendix (Simon Bendix Hirsch) 217 Hirsch, Täubchen 366 Hirsch, Zewi (Hirschel Löb), Berliner Rabbiner 202 Hitzig, Julius Eberhard 145 Hoensch, Jörg K. 263 Hoffmann, Johann Gottfried 379, 407, 437, 460, 511 Holsche, August C. (von) 270, 274–280, 499, 512 Hoym, Karl Georg Heinrich Graf von 119, 257, 273, 280, 284, 285, 286, 288, 289, 291, 292, 203, 304, 311, 492, 503, 512, 527 Hubatsch, Walter 172 Huber, Ernst Rudolf 5, 372, 373, 417 Humboldt, Alexander von 473 Humboldt, Wilhelm von 6,74, 346, 348, 350, 351, 372, 374, 390, 407, 428, 435, 447, 460, 481, 505, 511, 518 Ibbeken, Rudolf 428 Isaac, David 217 Isaac, Ezechiel 217 Isaac, Mendel (David Isaac Mendel) 217 Isaac (Fliess), Moses 468, 469, 470 Isaac, Salomon (Isaac Salomon) 124 Israel, Jakob 118 Issachar ben Samuel 312 Itzig, Benjamin Daniel 146,513 Itzig ben Samuel 312
573
Itzig, Daniel 91, 127, 128, 129, 132, 145, 146, 228, 243, 469, 470, 486, 496, 506, 507, 513 Itzig, Elias Daniel 146, 513 Itzig, Isaac Daniel 91, 132, 133, 145, 146, 162, 486, 513 Itzig, Jakob Daniel 146, 513 Itzig, Zierle 134 Jacob, Salomon 118 Jacobi, Friedrich Heinrich 60 Jacobson, Jacob 137, 258, 259, 260, 261, 276, 279, 288, 295, 297, 300, 312 Jacoby, Jessica 326 Jakob, Pinkus 312 Jaworski, Rudolf 257, 271 Jersch-Wenzel, Stefi 15, 50, 314, 315, 316 Jesus von Nazareth 391, 462 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 100 Jolowicz, Heimann 366 Joseph, David 118 Joseph II., österreichischer Kaiser 8,114, 115, 385, 401, 431 Kaeber, Ernst 199, 200, 201 Kannewurff, Heinrich Gottlob von 167, 249, 513 Kant, Immanuel 62, 64, 65, 370, 382, 411 Karl IV., römischer Kaiser 453 Karst, Thomas 150 Kathe, Heinz 201 Katz, Jakob 115, 344, 345, 372, 431 Katz, Mose ben Baruch (Mose ben Baruch Katz) 312 Kaufhold, Karl Heinrich 15 Kaufmann, Adalbert 5 Kemlein, Sophia 267, 282, 288 Kircheisen, Friedrich Leopold (von) 192, 193, 253, 400, 439, 440, 441, 448, 461, 514, 519, 521 Kirschner, Bruno 42 Klevenow, Johann Christian Philipp (von) 162, 485, 492, 514 Klewitz, Wilhelm von 362 Klopstock, Friedrich Gottlieb 423 Klüting, Harm 138
574
Personenregister
Knigge, Adolf Franz Friedrich Ludwig Freiherr von 8, 377–378 Koch, Carl F. 374 Kocka, Jürgen 143 Koehler, Christian Philipp 349, 376, 378, 379, 389, 407, 428, 450, 506, 514 Koe(ö)nen, Johann (von) 253, 514 Köppen, Fedor von, Historiker 269 Köppen, Johann 28 Koppel, Meyer 217 Koselleck, Reinhart 5, 341, 344, 408 Kossmann, Johann Wilhelm Andreas 514 Kost, Jürgen 142, 143, 147 Kraus, Christian Jakob, Professor (Königsberg) 370, 373, 382 Krause, Peter 214, 223, 227, 257, 261, 272, 305 Kraut, Johann Andreas (von) 234 Krünitz, Johann Georg 8, 78, 79, 81, 326, 371 Kühnel, Martin 68, 108 Kuczynski, Joseph 299 Ladenberg, Johann Andreas Philipp 503, 515 Lässig, Simone 146, 404 Lamprecht, Johann Friedrich (von) 253, 515 Landau, David R. 312 Lehmann, Max 416, 417 Lehr, Abraham 299 Leibniz, Gottfried Wilhelm Freiherr von 89, 201 Lemos, Benjamin de 326 Lessing, Gotthold Ephraim 44, 61, 63, 69, 466, 467, 515 Levin, Behrendt 217 Levin, David 217 Levin, Hirsch (Hirsch Levin) 217 Levin, Joseph Salomon (Levin Joseph Salomon) 118 Levin, Meyer Isaac 217 Levin, Samuel Salomon 217 Levy, Ferdinand Moritz (Freiherr von Delmar) 329, 438, 515 Levy, Moses 217 Levy, Salomon Moses (Moses Salomon Levy) 134, 515 Lev(w)y, Samuel Salomon 134, 146 Lewin, Jakob 299
Lewin, Michael 118 Lewin, Reinhold 120, 190, 219, 292, 305 Liebmann, Nathan 118 Lieb(p)mann, Abraham (Carl August Limann) 228 Liepmann, Isaac Nathan 137, 245 Liepmann, Nathan 164 Lindner, Erik 345, 424 Lippold, Münzmeister Joachims II. 33, 37 Lisco, Friedrich Gustav 325 Lobethan, Friedrich Georg August 213 Locke, John 72 Lohmann, Uta 95 Lottum, Karl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und 422, 429, 450, 516 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen 49, 516 Lowenstein, Stephen M. 135 Lowenthal, Ernst G. 120 Luther, Martin 463 Magnus, Marcus 117 Maimon, Salomon 57, 85, 86, 219 Maimonides, Maimon 86 Mamroth, Karl 5, 457 Manitius, Adolph Gebhardt 388 Marcuse, Abraham 243 Marwitz, Friedrich August Ludwig von 396 Massow, Julius Eberhard Wilhelm von 516 Masing, Johannes 5, 158 Mauschwitz, Carl Maximilian Ferdinand von 163, 164, 491,516, 525 Mayer, Gabriel (Mayer Gabriel) 217 Meier, Brigitte 103 Meier, Ernst 5, 369 Meinders, Franz von 28 Meisl, Josef 89, 131, 266, 271, 272 Mendel, David Isaac 217 Mendelssohn, Moses 48, 57, 61, 62, 64–66, 76, 82, 84–86, 87, 88, 89, 94, 97, 130, 424, 465, 475, 503, 515, 516–517 Meyer, Elias 217 Meyer, Koppel (Koppel Meyer) 217 Meyer, Liepmann, Ältester der Jüdischen Gemeinde in Breslau 29 Meyer, Moses 217 Meyer, Salomon 217 Meyer, Samuel Benjamin 217
Personenregister
Meyer-Eybenberg, Marianne 473 Michaelis, Johann David 81 Minuth, o. V., preußischer Beamter 379, 407, 437, 460, 511, 517 Mirabeau, Gabriel de Riqueti Vicomte de 8, 61, 134 Möllendorff, Wichard Joachim Heinrich Graf von 167, 268, 270, 517 Möller, Horst 57, 59 Möser, Justus 405, 423 Mohnhaupt, Heinz 214 Moser, Friedrich Carl Freiherr von 53 Moser, Johann Jakob 53, 150, 517 Moses, Jakob 121, 127–128, 129, 502, 517 Münchow-Pohl, Bernd von 427 Mylius, Christlob 61 Napoléon Bonaparte, Kaiser von Frankreich 354, 383, 435 Napoléon, Jérôme, Regent im Königreich Westphalen 452 Nathan, Salomon 123 Nauen, Joel Salomon 123, 322 Nauen, Jonas 123 Neumarck, Jakob Laser 218 Nicolai, Friedrich 8, 51, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 69,70, 73, 76, 85, 110, 135, 136, 139, 218 Nicolovius, Georg Heinrich Ludwig 6, 346, 350, 352, 371, 407, 428, 465, 518, 524 Nowak, Kurt 343 Oppenheimer, David 57 Oppenheimer, Wullf 219 Paalzow, Christian Ludwig 8, 396, 518 Panoffka, Mendel 124 Paulus, o. N., Apostel 463 Perles, Joseph 298, 300 Pertz, Georg Heinrich 330 Pfeiffer, Friedrich 7, 10, 399, 400, 403, 407, 413, 415, 432, 447, 448, 461, 464, 504, 518 Pierer, Heinrich August 2 Pius IV., Papst 104 Pollack, Hirsch 362, 363, 364, 365, 376 Pott, Degenhardt 110
575
Preuß, Johann David 105 Pufendorf, Samuel (von) 48, 67, 149 Rachel, Hugo 135, 233, 238, 242 Ransleben, Johann Ludwig 253, 514,518 Rauch, Johann Georg Gustav von 407, 519 Raumer, Friedrich von 7, 10, 380, 387, 398–400, 406–408, 410, 413, 415, 432, 439, 452–453, 458–460, 464, 508, 519 Raumer, Friedrich von, Historiker 329 Raumer, Kurt von, Historiker 369 Recha, Tochter Nathans im Schauspiel „Nathan der Weise“ (G. E. Lessing) 467 Reck, Eberhard Friedrich Christoph Freiherr von 254–255, 519 Reclam, Peter C. F. 156 Rheinz, Hannah 472–473, 475–476 Riem, Andreas 62, 519 Ries, Aaron Moses 118 Ries, Lipmann 217 Rieß(ss), Abraham 26, 33, 35 Riess, Itzig 326 Riess, Meyer 198 Rochow, Friedrich Eberhard von 74, 520 Rönne, Ludwig von 5, 411 Rohdich, Friedrich Wilhelm von 167, 249, 520 Rotteck, Carl von 5, 334, 335, 417, 420 Rürup, Reinhart 78 Runkel, o. V., von 468 Ruppel-Kuhfuß, Edith 171 Sachs, Joel 299 Sachs, Salomon 378 Sack, Johann August, preußischer Staatsrat 407, 515, 520 Sack, Friedrich Samuel Gottfried, Berliner Hofprediger 111 Saine, Thomas P. 61 Salomon, Caspar 238 Salomon, I. A. 236 Salomon, Isaac 124 Salomon, Jacob (Salomon Jacob) 118 Salzmann, Christian Gotthilf 63 Samuel, Hennoch (Samuel Hennoch) 125 Samuel, Jakob (Samuel Jakob) 242 Samuel, Meyer Benjamin (Samuel Meyer Benjamin) 217
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Personenregister
Sauter, Christina M. 74 Schadow, Johann Gottfried von 474 Scharnhorst, Gerhard (von) 407, 410, 416, 418, 426, 430, 431–432, 481,503, 510, 519, 520–521 Scheidemantel, Heinrich Gottfried 5, 410 Scheidler, Karl Hermann 343 Scheiger, Brigitte 179–180 Schenk, Tobias 9, 224 Schey, Joseph 118 Schieder, Theodor 170 Schiller, Friedrich (von) 62 Schlegel, Dorothea, geb. Mendelssohn 473–475 Schlegel, Friedrich 393, 473, 475 Schleiermacher, Friedrich 8, 97, 187, 220–222, 475 Schlesinger, o. V., Dr. 118 Schlesinger, Liebermann 245 Schlesinger, Liebmann Marc 137 Schlettmann, o. V., (Gießen) 412 Schlettwein, Johann August 79 Schmalz, Theodor von 5, 412 Schmedding, Johann Heinrich 6, 346, 348, 352–353, 357–358, 407, 428, 434, 437, 447, 466, 479, 521 Schmoller, Gustav 38 Schneiders, Werner 62, 64 Schochat, Asriel 83, 135 Schoeps, Hans-Joachim 10, 44 Schön, Theodor Heinrich (von) 372–373 Schönemann, Salomon 96–97 Scholtz, Emilius (von Hermensdorff) 253, 521 Schreiner, Klaus 68 Schroeder, o. V., Deputierter 118 Schroetter, Friedrich Leopold Freiherr von 7, 10–11,249, 257, 286, 289, 315, 318, 328, 340, 346, 348–349, 351–352, 357, 359 –360, 362–364, 366, 368–376, 379–381, 383–384, 386–387, 389–390, 398–403, 405–407, 413–415, 425–426, 428–430, 433, 437, 439– 440, 442, 445, 447–451, 459–460, 465–466, 476, 478–480, 508, 512, 513, 514, 521 Schuckmann, Kaspar Friedrich von 407–408, 453, 459–460, 518, 520, 521–522 Schulte, Christoph 83, 91
Schultz, Helga 178, 198 Schulenburg-Blumberg, Alexander Friedrich George Graf von der 167, 522 Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm Graf von der 171, 249, 522 Schulhoff, Esther (gen. die Liebmännin) 235 Schulze, Christian Ludwig (von) 253, 522 Schwartz, Franz 262, 268 Schwarz, Johannes V. 87 Schwerin, Otto von 28 Seelig, Lipschitz (Lipschitz Seelig) 217 Seeligmann, Joseph 217 Seuffert, Johann Michael 440–441 Simon, Heinrich 5 Shavit, Zohar 95 Skalweit, Stephan 238 Smith, Adam 79, 373, 522 Somnitz, Lorenz Christoph von 28 Sorkin, David 7, 26 Staël, Germaine de 8, 59–60 Stamm-Kuhlmann, Thomas 101–102 Statthagen, Josef 132 Stauffen, Curd v., christlicher Tempelherr im Schauspiel „Nathan der Weise“ (G. E. Lessing) 467 Stein, Heinrich Friedrich Carl Reichsfreiherr vom und zum 158, 328, 350, 354, 365, 369, 398, 435–436, 443, 505, 507, 509, 520, 523, 524 Steinacker, Karl 342–343, 377 Stern, Moritz 13, 32, 34–35, 127, 202 Stern, Selma 25, 39, 117, 121 Stolleis, Michael 5, 149, 408 Straubel, Rolf 287, 313, 369–370 Struensee, Carl August (von) 164, 249, 257, 268, 369, 493, 510, 513, 523 Struensee, Johann Friedrich, preußischer Akziserat 281–283, 523 Stuke, Horst 520 Süvern, Johann Wilhelm 6, 346, 350, 352, 407, 428, 524 Svarez, Carl Gottlieb 46, 195, 252–253, 462–463, 509, 523, 524 Teller, Wilhelm Abraham 80, 96, 98, 111–112, 139, 187, 469 Terlinden, Reinhard F. 199–200
Personenregister
Thadden, Rudolf von 100 Thiele, A. F. 402 Thomasius, Christian 8, 66–68, 79, 107–110, 524 Thulemeier, Friedrich Wilhelm Freiherr von 525 Timroth, o. V., preußischer Akziserat (Posen) 301, 307 Toury, Jacob 345 Treue, Wilhelm 337 Troschel, Friedrich Heinrich Gustav 368 Tychsen, Oluf Gerhard 469 Varnhagen von Ense, Karl August 473 Varnhagen von Ense, Rahel 49 Veit, Benedict 33 Veit, Levin (Witwe Levin Veit) 235 Veit, Salomon 130, 137, 228, 438, 525 Vierhaus, Rudolf 66 Volkov, Shulamit 3, 347 Voss, Otto Karl Friedrich Freiherr von 163, 167, 249, 269, 273, 284–285, 289, 291, 304, 309–310, 358, 493, 509, 512, 525 Wagner, Hermann 215, 223 Wallich, Paul 233, 238, 242 Warschauer, Adolf 294, 305 Weber, Peter 61 Wehler, Hans-Ulrich 142, 343–344
577
Weil, Israel 299 Welcker, Karl Theodor 5, 216, 334–335, 420 Werder, Hans Ernst Dietrich von 160–161, 163, 249, 491, 493, 516, 523, 525 Wieland, Christoph Martin 62, 413 Wilhelmy, Petra 49 Winter, Georg 5 Wladislaw IV. Wasa, König von Polen und Großfürst von Litauen 23 Wloemer, Johann Heinrich 162, 214–215, 223, 286,485, 493, 523, 525 Woellner, Johann Christoph (von) 102, 105, 106–108, 110, 161, 164, 168–170, 172, 251, 254–255, 501, 502, 504, 506, 508, 509, 510, 511, 514, 515, 516, 519, 521, 525, 526 Wolf, Jakir 312 Wolf, Ziemke 367 Wolff, Christian 8, 66, 70–71, 89, 149, 526 Wolff (Wulff), Isaak Benjamin 124, 177, 527 Wolff, Sabattja Joseph 219 Wolfsohn, Aron 90, 467 Wulff, Liepmann Meyer 123, 129, 162–163, 162, 191, 228, 312, 326, 527 Zimmermann, Friedrich-Albert 273–274, 292, 304, 527 Zöllner, Johann Friedrich 64