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German Pages 214 [224] Year 1991
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Band
Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann
Stefan Matuschek
Über das Staunen Eine ideengeschichtliche Analyse
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Matuschek, Stefan: Uber das Staunen : eine ideengeschichtliche Analyse / Stefan Matuschek. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 116) NE: GT ISBN 3-484-18116-8
ISSN 0081-7236
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Heinrich Koch, Tübingen
Auf die Frage, was der im Jahre 1989, also im Jahr der Niederschrift dieser Arbeit, von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Ausgezeichnete zum Thema zu sagen hat, finde ich folgende Antwort: So reicht auf Erden nichts höher als unser sprachloses » O h e Auf einem einzigen Ton, vielfach gewendet, Klingt und zittert Erleben. Seufzer der Erfüllung Und Seufzer der Entbehrung lauten stets gleich. O h heißt das Staunen (Botho Strauß: Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war. München, Wien 1985. S. 19.)
Damit ist in Kürze viel gesagt. Schön obendrein, so daß es sich als Motto sehen lassen kann. Für etwa denselben Inhalt brauche ich länger:
Inhalt
ι. Geistesgeschichte, Ideengeschichte, Begriffsgeschichte? Einführung zur Methode
ι
2. Auch ohne alles zu kennen: Einführung zur Sache
6
3. A N T I K E
J.I Neugier und Ekstase: Staunen als Ursprung und Ziel der Philosophie 3.2 Wirkungskalkül und Offenbarung: doppeldeutiges Staunen in der Poetik
24
3.3 Plotins Aufstieg zum Einen
46
8
4. M I T T E L A L T E R
4.1 Staunen als Devotion der Vernunft: christliche Erkenntnislehre 4.2 Boethius im Kerker und Dante im Paradies 4.3 Staunen als Gottesandacht: christliche Poetik
$3 71 81
5. R E N A I S S A N C E U N D B A R O C K
5.1 Petrarca am Gipfel und Vasari in der Sixtina 5.2 Überwindung des Staunens: der Beginn neuzeitlicher Wissenschaft 5.3 Universalisierung des Staunens: von der Renaissance- zur Barockpoetik
101 116 136
6. A U F K L Ä R U N G
6.1 Fremdverschuldete Unmündigkeit: Aufklärung als Austreibung des Staunens 6.2 Konzessionen an die Unvernunft: Dichtung als Pädagogik des Staunens 6.3 Gibt es vernünftiges Staunen?
174 187
7. Nachtrag: Staunen in Sartres Roman La nausee
199
8. Literaturverzeichnis
203
rjj
ι. Geistesgeschichte, Ideengeschichte, Begriffsgeschichte? Einführung zur Methode
Bewährten Schultern die Last des ersten Satzes anzuvertrauen muß nicht ein Zeichen der Verlegenheit sein. Es wäre vielmehr eine Gelegenheit versäumt, wollte man, um eine ideengeschichtliche Arbeit ihrer Grundlagen zu versichern, auf die Hilfe Peter Szondis verzichten, in dessen Worten der Streit um die richtige Art der Ideen- oder Geistesgeschichte zur Ruhe kommt: Geistesgeschichte heißt auf französisch histoire des idees, auf englisch history of ideas, also Geschichte der Gedanken. Diese Ausdrücke sind präziser und nüchterner als der unsere, der an Hegel denken läßt. Denn in einer Geschichte der Ideen, der Gedanken, wird nicht vorausgesetzt, daß es den e i n e n Geist gibt, dessen Geschichte unser aller Geschichte ist, sondern es werden die Geschichten der einzelnen Vorstellungen, Begriffe, Ideen verfolgt: tant mieux, wenn sie für einen historischen Augenblick zu dem einen Geist, der die Epoche zu prägen scheint, zusammenschießen. — Geistesgeschichte steht heute nicht hoch im Kurs; zuviel Unfug ist mit ihr, ist in ihrem Namen getrieben worden; zu leicht wurde das Verschiedenartige dem Einen subsumiert, zu schnell wurde in dem Verschiedenartigen ein sie verbindender, einziger Geist gesehen. Nichts könnte der Ambition der Geistesgeschichte konträrer sein, als der Satz, daß der Geist weht, wo er will. Insofern aber der Geist als historischer Menschengeist doch nicht ganz willkürlich den Ort, die Zeit und die Art seines Wehens bestimmt, ist auch die Fragestellung der Geistesgeschichte legitim.'
Dieser Absatz ist das weise ausgleichende Resümee einer Methodendiskussion, die man, um es kurz zu machen, mit Arthur O. Lovejoy beginnen lassen kann. Dessen Antrieb, quer zu dem herkömmlichen Nebeneinander von Philosophie-, Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte (die Literatur dabei obendrein in >Nationalliteraturen< getrennt) eine alle durchkreuzende history of ideas zu stellen, ist das Unbehagen daran, daß durch die Aufteilung der universitären Disziplinen die zu erforschenden Phänomene vielfach in einer Weise zugeschnitten werden, die der Sache nach nicht zu rechtfertigen ist: For the departmentalization
— whether by subjects, periods, nationalities, or languages
— of
the study of the history of thought corresponds, for the most part, to no real cleavages among the phenomena '
1
studied.1
Damit die historische Entfaltung des
Peter Szondi: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Hg. von Senta Metz und HansHagen Hildebrandt. Frankfurt a. M. 1974. S. 47. ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 40.) Arthur O . Lovejoy: Reflections on the History of Ideas.In: Journal of the History of Ideas I. 1940. S. 3 — 23. S. 4.
Denkens richtig verstanden werden könne, lehrt Lovejoy, sei es erforderlich, die Entwicklung je einzelner Gedanken durch die verschiedenen Sprachen und Disziplinen hindurch zu verfolgen. Ein Forum für solche Arbeiten bietet das von ihm im Jahre 1940 begonnene Journal of the History of Ideas, dem ab 1955 das deutsche Archiv für Begriffsgeschichte zur Seite tritt, ohne daß man indes sagen könnte, das deutsche kopierte einfach das amerikanische Konzept. Denn obgleich Lovejoys Theorie und vor allem deren Realisierung in dem Werk The Great Chain of Being (Cambridge, Mass. 1936) große Anerkennung erhielten und weithin wirkten, war ihnen doch in einem zentralen Gedanken zu widersprechen: Abgelehnt wurde vielerorts Lovejoys Begriff der unit-idea, die Vorstellung konstanter Ideen-Einheiten, die in immer neuen Kontexten als eigenständige Faktoren nachweisbar seien.' Man kann hierbei Lovejoy selbst entgegenhalten, was er der traditionellen Wissenschaft vorwarf: Wenn diese in den Sprachen, in den Nationen, in den Disziplinen Einheiten festlegt, die von der Sache her mitunter nicht zu rechtfertigen sind, so tut es der >historian of ideas< ihr nur auf anderem Felde gleich, indem er die Einheit der Idee behauptet. An die Stelle der alten Einheiten tritt eine neue, deren sachliche Rechtfertigung aber nicht weniger problematisch ist. Es bleibt also die Frage, wie die ideengeschichtliche Analyse sich ihr eigenes Feld absteckt, damit sie nicht durch die Überschreitung der herkömmlichen Grenzen im Unbegrenzten sich verliert. Anders gefragt: Worin und wie will sie Zusammenhänge erkennen? Eine Antwort darauf ist in der Forschungsgeschichte zumeist schon durch die Termini gegeben worden, die man je für das eigene Unterfangen wählte. Lovejoys history of ideas setzte zunächst Leo Spitzer sein Konzept der Geistesgeschichte entgegen, indem er einwandte, daß man nicht isolierten Ideen von Etappe zu Etappe nachgehen dürfe, sondern stets das Ideenganze, den >Geist< je einer Epoche zu berücksichtigen habe.4 Gegen die Lehre von den unit-ideas protestiert Spitzer damit als erster, doch nicht, ohne selbst die problematische Einheit >Zeitgeist< zu verkünden. Die größere Nüchternheit, von der Peter Szondi spricht, ist einer so verstandenen >Geistesgeschichte< überlegen, insofern sie vor voreiligen Generalisierungen bewahrt und im einzelnen präziser
>
Der erste Gegner Lovejoys in dieser Frage war Leo Spitzer: Geistesgeschichte vs. History of Ideas as Applied to Hitlerism. In: Journal of the History of Ideas V. 1944. S. 1 9 1 - 2 0 3 . (auf den folgenden Seiten desselben Heftes, S. 204—219, Lovejoys angestrengte Verteidigung: Reply to Professor Spitzer.). Spätere Kritik ζ. B. bei N e w t o n P. Stallknecht: Ideas and Literature. In: Comparative Literature. Method & Perspective. Revised Edition. Edited by Newton P. Stallknecht and Horst Frenz. Carbondale & Edwardsville, London & Amsterdam 1971. S. 145 — 182. Im besonderen S. i j i und Anmerkung 3, S. 342.
4
cf. den in Anm.3 genannten Aufsatz Spitzers, zu seinem Begriff Geistesgeschichte im besonderen S. 202.
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sein kann, da sie nicht immer einen ehrgeizigen Drang zum Ganzen verspürt. Für mehr Nüchternheit und Präzision soll dann der Terminus Begriffsgeschichte stehen: Die Geschichte eines Begriffs scheint eine klarere Angelegenheit zu sein als die von Ideen oder gar die des Geistes. Doch knüpft sich hieran sogleich die Auseinandersetzung, von welcher Seite aus man die Aufgabe definiert: Soll es um Wort-, genauer um Wortgebrauchsgeschichte, um philosophische Terminologiegeschichte gehen oder umgekehrt um eine in immer anderen Worten sich entfaltende Problemgeschichte ? Dies alles sind Termini aus der Methodendiskussion, mit denen die Herausgeber des Archivs für Begriffsgeschichte Aufschluß über ihr Unternehmen geben wollen.' Schließlich ist der Vorschlag eines Sprachwissenschaftlers zu nennen, der seiner Fachterminologie zutrauen will, was die Philosophen als >BegriffIdee< oder >Geist< zu fassen versuchen: Es ist wiederum Leo Spitzer, der für das, wofür er zunächst den Terminus Geistesgeschichte gegen jeden anderen verteidigte, am Ende die Fügung European semantics findet. 6 Hilfreich ist diese Besinnung auf den sprachwissenschaftlichen Begriff im besonderen dann, wenn man auch die dazugehörige nähere Aufgabenbestimmung liest: This task implies a survey of the whole semantic »field«, as it was developed in different epochs and literatures: the concepts and the words expressing it had to be brought face to face, and in the words, in turn, the semantic kernel and the emotional connotations with their variations and fluctuations in time had to be considered. 7
Gegen ein zu enges Verständnis von Begriffsgeschichte ist hier festgehalten, daß nicht ein einzelnes Wort, sondern ein ganzes Bedeutungsfeld in den Blick zu nehmen ist; gegen ein zu vages Reden von Ideen- oder Geistesgeschichte, daß deren verläßliche Grundlage allein die semantische Analyse einzelner Wörter in ausgesuchten Kontexten ist. Ein weiterer Vorteil dieser Spitzerschen Lösung liegt darin, daß sie auch das Gebiet nennt, worauf sich die Arbeit bei all ihren Grenzüberschreitungen doch beschränken muß: european semantics. Eine Gesamtsicht, wie sie hier intendiert ist, kann für den einzelnen nur dann mehr als willkürliches Umherschweifen sein, wenn sie sich an die >überschaubare< europäische Tradition hält. Allein in diesem Rahmen sind die herzustellenden Bezüge nicht zufällig, es kann ihnen vielmehr auf traditionsstiftenden Rezeptionswegen nachgegangen '
cf. Erich Rothacker: Geleitwort. In: Archiv für Begriffsgeschichte i. 1955. S. 5 — 9, im besonderen S. 5; und K. Gründer: [Bericht] über Das Archiv für Begriffsgeschichte. In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Jahrbuch 1966. S. 74 — 79, im besonderen S. 76.
6
Leo Spitzer: Foreword [zu] L. S.: Essays in Historical Semantics. N e w York 1948. S. 1 12. S. 7. [ = Neudruck N e w York 1968].
7
Leo Spitzer: Classical and Christian Ideas of World Harmony. Prolegomena to an Interpretation of the Word »Stimmung«. In: Traditio II. 1944. S. 409 — 464. und III. 1945. S. 307 — 364. Hier: II. S. 409.
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werden. Diese Beschränkung verbietet indes nicht, daß anders konzipierte Arbeiten gerade nach den Beziehungen fragen, die Europa mit Fernerem verbinden; die breit angelegte Ideengeschichte jedoch braucht den sicheren Boden des gut dokumentierten Zusammenhangs einer Kultur. Von dem eigentlichen Gegenstand aber, auf den die Wörter >IdeeBegriff< oder >Problem< zielen, lenkt der sprachwissenschaftliche Terminus >Semantik< ab. Hier mag gegen ein prätentiöses philosophisches Schwergewicht in den Begriffen >Geist< und >IdeeIdeengeschichte< sprechen. Die Grundlage, lehrt Leo Spitzer, ist die semantische Analyse einzelner Wörter in ausgesuchten Kontexten. Soll dann in der Interpretation verschiedener Textausschnitte ein Zusammenhang sichtbar werden, hängt das Gelingen im wesentlichen davon ab, die richtigen Stellen zu finden und auszuwählen. Wenngleich bei solcherlei Arbeit, wie Hans Blumenberg sagt, Belegfunde Glückssache sind und man allenfalls ein Gespür dafür entwickeln kann, wo sie noch am ehesten zu holen sind,1 verbirgt sich doch nicht alles im Geheimnis der Intuition. Auch wenn die eigene Suche keinen Verlaufsplan kennt, an den sie sich halten könnte, so kommt sie doch auch durch Überlegung zum Ziel. Gewiesen wird der Weg durch die Vergleichbarkeit der Kontexte, durch die Tradition bestimmter Texttypen und durch die Rezeptionsgeschichte einiger prominenter Textstellen, in denen der Staunensbegriff charakteristische Bedeutung gewinnt. Wenn die Arbeit dabei Grenzen fachwissenschaftlicher Zuständigkeit überschreitet, folgt daraus nicht, daß der Unterschied von Textsorten verwischt würde. Auch ist die interdisziplinäre Aufgabe nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die philosophischen Texte die Grundlage wären und alle anderen nur insofern berücksichtigt würden, als in ihnen eine aus der >eigentlichen< Philosophie abgeleitete Reflexion auszumachen ist. Im Blick auf Begriffe und Ideen besteht die Gefahr, die Literatur nur als Illustration von andernorts Gedachtem zu verwenden. Statt aber die Literatur als verwässerte Philosophie zu lesen, statt die Ideengeschichte zur Philosophiegeschichte mit belletristischem Beiwerk geraten zu lassen, ist vielmehr nach dem eigenen Anteil der Literatur, nach ihrer
8
Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. In: Archiv für Begriffsgeschichte 6. i960. S. 7 — 142. S. 22.
4
eigenen Bedeutung zu fragen. Dies gilt für die Theorie in Poetik und Rhetorik ebenso wie für die Dichtung selbst. Ist die Textauswahl getroffen, bleibt eine Sorge: Es ist die der ideengeschichtlichen Arbeit eigentümliche Spannung zwischen der Weite ihrer Textgrundlage und der Enge des einen Problems, das sie verfolgt. Aus einer Vielzahl kleiner Textausschnitte soll ein neuer Zusammenhang entstehen, anders gesagt: Was aus seinem ursprünglichen Zusammenhang, dem Textganzen, herausgeschnitten wird, muß Teil eines neuen werden. Wenn dies gelingt, eröffnet sich der neue Blick, den die Ideengeschichte als Gewinn gegenüber den herkömmlichen disziplinaren Trennungen anstrebt, wenn es mißlingt, bleibt am Ende nur eine leblose Anhäufung von Belegstellen, wovor Claude Pichois und AndreM. Rousseau mit dem drastischen Bild warnen, daß, sei einmal die unite organique des textes zerstört, nur noch debris de cadavres mutiles vorlägen.' Jeder Text stellt den Anspruch, nicht nur als Lieferant passender Stellen, sondern als Ganzes genommen zu werden. Diesen Anspruch vollständig einlösen zu wollen ist indes ebenso undenkbar wie umgekehrt die Vorstellung, in jedem Text immer nur einen Begriff zu lesen. Gefordert ist ein Kompromiß: Es darf nicht der eine Begriff isoliert, es muß vielmehr sein Stellenwert in dem durch den Text entwickelten Begriffssystem bestimmt werden. Läßt man sich schon darauf ein, mit Bruchstücken zu arbeiten, so müssen diese groß genug und ihre Einbettung in den gesamten Text ausreichend berücksichtigt sein, damit in ihnen eine historische Position erkennbar wird. Nur so können Bruchstücke zu Bausteinen der Ideengeschichte werden.
'
Claude Pichois, Andre-M. Rousseau: La litterature comparee. Paris 1967. S. 122. 5
2. Auch ohne alles zu kennen: Einführung zur Sache
Der stolzeste Satz, mit dem ein >Geistesgeschichtsschreiber< sich je gebrüstet hat und sich je wird brüsten können, ist eine Parenthese in Hegels Ästhetik — dort eingerückt, wo er sich einen Uberblick über alles Herrliche der alten und modernen Welt zutraut: ich kenne so ziemlich alles, und man soll es und kann es kennenHinter diesem Anspruch — das bekenne ich — stehe ich weit zurück. Da mir also bei der Textauswahl für eine Ideengeschichte des Staunens die Voraussetzung fehlt, um aus allem Möglichen das herauszulesen, was mir als das Vortrefflichste, Befriedigendste erscheint,1 muß ich eine bescheidenere Rechenschaft ablegen, wie ich zu meinen Belegstellen gefunden habe. Die Geschichte des Staunens wird auf zwei Spuren verfolgt: Die eine ist die des erkenntnistheoretischen, die andere die des poetologischen Begriffs. Beide sollen freilich nicht jeder für sich, sondern in ihrem Verhältnis zueinander deutlich werden. Mit welchen Texten dabei der Anfang zu machen ist, liegt auf der Hand: mit der Aristotelischen Metaphysik und Piatons Theaitetos, den Ursprungsstellen des thaumazein: Staunen als Anfang der Philosophie. Hinzuzuziehen ist — das versteht sich nicht von selbst, sondern wird noch zu zeigen sein - Piatons Phaidros, so daß dann im Vergleich mit der Metaphysik ein platonischer gegenüber einem aristotelischen Staunensbegriff zu unterscheiden ist: eine indirekte ontologische gegenüber einer psychologischen Bestimmung. Bei Piaton steht Staunen für die Hoheit des Ideellen, bei Aristoteles für den Wissensdrang und Wissensstand des einzelnen. Analog zu dieser erkenntnistheoretischen Differenz bindet die Poetik ihren Staunensbegriff zum einen an die Dignität des Kunstwerks, zum anderen an die Publikumspsychologie. Aristoteles' Poetik und Rhetorik (und in der Folge Quintilian) behandeln den Affekt als Parameter im wirkungsästhetischen Kalkül; nicht um einen berechneten Effekt, sondern um Ehrfurcht vor der Kunst der Rede geht es in der Schrift Vom Erhabenen: Staunen ist die indirekte Definition des hypsos. Ambivalent zwischen beiden steht Cicero. 1
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. III. = G . W . F . H . : Werke. Bd. 15. A u f der Grundlage der Werke von 1 8 3 2 - 1 8 4 5 neu edierte Ausgabe. Redaktion E. Moldenhauer und Κ, M . Michel. Frankfurt a. M.: 21. u. 1 1 . Tsd. 1983. S. 550.
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C f . a.a.O.
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Diese antiken Texte geben die Grundlage für das Weitere, das nun zwar nicht ausschließlich, doch zu gutem Teil als Rezeptionsgeschichte aufzuspüren ist. Deren große Etappen kann man, wenn man sich nur bewußt hält, wie grobe Etiketten man damit klebt, mit den Begriffen >ChristianisierungHumanisierung< und >Rationalisierung< bezeichnen. Nach dem Kapitel zur Antike folgen so eines zum Mittelalter, zu Renaissance und Barock, schließlich zur Aufklärung. Die erkenntnistheoretische und die poetologische Diskussion werden je in einem eigenen Abschnitt skizziert, variierend tritt jeweils ein dritter hinzu, der eine zugehörige Frage vertieft: Im Antike-Kapitel ist es die Systematisierung und Überlieferung des platonischen Konzepts durch Plotin, im Mittelalter die Literarisierung des aristotelischen und neuplatonisch-christlichen Staunensbegriffs durch Boethius und Dante, in der Renaissance die Übertragung des einst der Gottesandacht verpflichteten Affekts auf die Kunst, im letzten Kapitel der Versuch, Rationalismus und Faszination, Vernunft und Affekt zu vereinbaren. Geht man so den Rezeptionswegen nach, sucht man bei den einflußreichen Autoren die vergleichbaren Kontexte auf, so reiht sich der ideengeschichtliche Zusammenhang zu einer kleinen Geschichte des Staunens.
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3·
Antike
3.1 Neugier und Ekstase: Staunen als Ursprung und Ziel der Philosophie Der Begriff >Staunen< hat in der Philosophiegeschichte einen festen auch über die Fachgrenzen hinaus bekannten Platz: Staunen — so gründet sich auf Piaton und Aristoteles ein immer wieder erinnerter Satz - ist der Anfang der Philosophie. Aus dem Affekt, den bei den griechischen Philosophen das Verb thaumazein bezeichnet, entspringe das Denken, er gebe den Anstoß zur Erkenntnis, insofern er aus der unbewußten Eingebundenheit in die Welt wecke, aus dem >DahinlebenStaunen< stehen bei Theophrast die beiden Verben thaumazein und ekplettein (cf. T h e Characters of Theophrastus. Edited with Introduction, Commentary and Index by R. G . Ussher. London i960. S. 5 7 . = Kap. IV,5). Nicht nur von dem ersten, auch von dem zweiten und vom Verhältnis beider wird im folgenden die Rede sein.
fern, als der Affekt sogleich über sich hinausweist. Genau genommen, könnte man korrigieren wollen, sei es deshalb nicht schon der Affekt, sondern erst das durch ihn provozierte Fragen, womit die Philosophie anfange. Den Satz sogar umkehrend wäre weiter zu argumentieren, daß der vollkommene Philosoph sich gerade dadurch auszeichne, daß er nicht staune, weil er in alles Einsicht gewonnen habe. Für den, der immer nur staune, fange die Philosophie nie an. Was ist - um einmal den Komparativ zu wagen — >philosophischerDaß< der Phänomene aussagen, auf zur Weisheit, die auch Grund und Zweck, das >Weshalb< einsehe (cf.9813,26 — 29). Weisheit als Einsicht in die Kausalität und Finalität bezieht sich dabei nicht nur auf die Naturforschung, sondern auch auf die Ethik, da ebenso an das Gute als Finalität menschlichen Handelns gedacht wird (cf.982b,9—10). Mit dem Bewußtsein, eine zuverlässige Grundlage für die Bewertung und Korrektur seiner Vorgänger zu schaffen, zielt Aristoteles hier auf die eigene Definition der Philosophie. In diesen Argumentationsgang wird der Satz vom Staunen mit fester Funktion eingeordnet: Er dient als Beweis für die Erhabenheit der Weisheit (sophia), d.h. des Aristotelischen Begriffs der >Ersten Philosophie^ der späteren >MetaphysikErste Philosophie< sich richte, sei Wissen um seiner selbst willen, alle anderen Wissenschaften dienen einem Zweck, sind, wie Aristoteles sagt, hervorbringende (poietike 982b,10). Wo aber jeder Nutzen der Erkenntnis fehlt, bleibt die Verwunderung als Antrieb: Daß sie [die Weisheit] aber keine hervorbringende [Wissenschaft] ist, beweisen schon die ältesten Philosophen. Denn Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens (982b,10 —13).
Der Affekt steht bei Aristoteles also in Opposition zur Nützlichkeitserwägung. Staunen ist insofern der Anfang der Philosophie, als es den Anreiz zu einer von allem utilitären Denken freien Erkenntnis gibt. Damit kommt der Begriff thaumazein, worauf der Kenner Ingemar Düring hinweist, dem nahe, was mit modernem Vokabular etwa >Forscherneugierde< genannt wird.4 Und wie die Neugierde vergeht auch das Staunen, sobald die Einsicht erlangt ist. Wer staunt, ist unwissend (Wer aber in [...] Verwunderung über eine Sache ist, der glaubt sie nicht zu kennen. 982^17-18), findet sich vor dem Unerklärlichen, das aber dann, wenn es schließlich erklärt werden kann, auch alles Erstaunliche verliert. Ist die Überwindung der Unwissenheit das Ziel der Philosophie ([die Menschen] philosophierten, um der Unwissenheit zu entgehen 982b,19-20), so muß sie gleichermaßen auf die Uberwindung des Staunens aus sein. Auf dieses Umschlagen des anfänglichen Affekts in die Affektlosigkeit des Einsichtigen legt Aristoteles allen Nachdruck:
4
[Aristoteles'] thaumazein ist die intellektuelle Neugierde. (ingemar Düring: Aristoteles. Darstellung
und
Interpretation
seines
Denkens.
Heidelberg
1966.
(^Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften. Neue Folge. 1. Reihe.)) 10
S. 272.
Ihr [der höchsten Wissenschaft = der »ersten Philosophie*] Besitz muß jedoch für uns gewissermaßen in das Gegenteil der anfänglichen Forschung umschlagen. Denn es beginnen, wie gesagt, alle mit der Verwunderung darüber, ob es sich wirklich so verhält [ . . . ] ; denn verwunderlich erscheint es allen (anfänglich), sofern sie die Ursache noch nicht eingesehen haben [ . . . ] . Es muß sich aber dann am Ende zum Gegenteil und »zum Besseren« umkehren [ . . . ] , wenn man (die Ursache einzusehen) gelernt hat; (983a,! 1 - 1 9 )
Obwohl die Verwunderung als Antrieb zur Erkenntnis sich stets an anderen Phänomenen erneuern kann, ist sie nach Aristoteles doch nur insofern als philosophischer Affekt zu bezeichnen, als sie überwunden wird. Wenn das Staunen zu lange anhält, wird es umgekehrt zum Merkmal des unphilosophischen Menschen, denn der Einsichtige zeichnet sich gerade dadurch aus, daß ihn das für andere Erstaunliche nicht mehr wundert. Wer einmal die Ursachen erkannt hat, wunderte sich vielmehr dann, wenn es sich nicht so verhielte, wie es ihm anfänglich als erstaunlich aufgefallen ist (cf.983a,i9 —20). Der Satz vom Anfang der Philosophie müßte daher, wenn man ihn auf Aristoteles zurückführen will, eine neue Lesart bekommen: >Staunen kann nur dann der Anfang der Philosophie sein, wenn es durch Erkenntnis gelöst wird.< Um insgesamt der Akzentuierung des Aristotelischen Textes in dieser Frage gerecht zu werden, wäre es angemessener, wenn man den Nachdruck nicht so sehr auf das thaumazein, als vielmehr auf die athaumastia, die >Verwunderungslosigkeit< des Weisen legte. Dieses Wort steht zwar nicht bei Aristoteles — nach dem Zeugnis Strabons geht es auf Demokrit zurück'-, doch ist es geeignet, seine Vorstellung vom Ziel der Philosophie auf den Begriff zu bringen. Einer der größten und einflußreichsten Aristoteliker gibt in dieser Hinsicht eine konsequente Auslegung. Es ist Alexandras von Aphrodisias (um die Wende des 2. zum 3. Jahrhundert n.Chr.), dessen Kommentar zur Metaphysik (zu dem Abschnitt 98 2b, 10 —9833,20) gerade das Freisein von der Verwunderung als den Zustand des wissend gewordenen Menschen hervorhebt, den Gedanken, daß Staunen der Ursprung der Philosophie sei, hingegen übergeht.6 Daß es im Buch Alpha hauptsächlich um die Uberwindung des Affekts geht, zeigt sich schriftstellerisch gewandt schließlich darin, daß sie nicht nur einfach gefordert (Es muß sich aber dann am Ende zum Gegenteil und »zum Besseren* umkehren.), sondern überdies als Leistung philosophischer Einsicht vor-
5
cf. Strabon: Geographie. Tome I. ire partie. Introduction generale — Livre I. Introduction par G . Aujac et F. Lasserre. Texte etabli et traduit par G . Aujac. Paris 1969. S. 164 = 1,3,21. Hermann Diels (Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch. Hg. von W. Kranz. Zweiter Bd. Dublin, Zürich: 13. Aufl. 1969. S. 189.) verzeichnet dazu ein Fragment Demokrits ( N r . n ö ) : »Weisheit, die sich durch nichts verblüffen läßt
6
(flthambos),
ist alles wert.«
Alexandra Aphrodisiensis in Aristotelis Metaphysica Commentaria. Edidit M. H a y duck. Berlin 1891. S. 18 — 19. (=Commentaria in Aristotelem Graeca. Vol. I.)
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geführt wird. Die Begriffsbestimmung von sophta weist zu Beginn auf das Staunen hin, das die Menschen angesichts der Weisheit anderer befällt: Wer als erster zu höherer Einsicht gelangte, so daß er die hinter den Erscheinungen und Dingen liegenden Ursachen zu lehren verstand, heißt es, der wurde natürlich von den Menschen bewundert [thaumazesthai], nicht nur wegen der Nützlichkeit seiner Erfindungen, sondern wegen der Weisheit, die ihn vor den anderen auszeichnete. (981b,14—17) Was wird im folgenden dann anderes unternommen, als das am Anfang Erstaunliche, die Weisheit, am Ende zu erklären? Die ersten beiden Kapitel des Buches werden somit von dem Gedanken geleitet: >Die Menschen staunen über die Weisheit; daher ist zu fragen, was sie genau ist, damit aus der Verwunderung Einsicht wird.< Mit der Weisheit der Metaphysik kann man, insofern beide auf den überlegenen Zustand der athaumastia zielen, in der Nikomachischen Ethik die Großgesinntheit (piegalopsychia) vergleichen. Wie es für den Weisen kein Unverstandenes mehr gibt, vor dem er sich zu verwundern hätte, so zeigt sich der Großgesinnte (ynegalopsychos), der sich, wie die Definition lautet, großer Dinge für würdig hält und es auch ist (1123^2 —3)/ durch keine fremde Größe beeindruckt: Er wird sich auch nicht leicht wundern (ude thaumastikos), denn nichts ist für ihn groß. (112 ja,2 —3) Ein wichtiger Unterschied liegt allerdings in der Bewertung, denn dem unbedingten Streben nach Ehre, wodurch die Großgesinntheit sich auszeichne, wird eine gemäßigte, mittlere Haltung zwischen Ehrgeiz und Ehrgeizlosigkeit vorgezogen (cf. Buch IV, Kapitel 10, 112 jb,i — 2 j). Für das Streben nach Erkenntnis gibt es eine solche Einschränkung nicht. Es ist leicht, über das Reden vom Staunen ins Phantasieren zu geraten, wenn man bei der Begeisterung für den einen Satz bereitwillig dessen Kontext vergißt. Das ist in der Tradition gern gehört worden, bemerkt Hans Blumenberg8 zu dieser Ursprungsbestimmung der Philosophie und weist damit zurückhaltend spöttisch auf das, was Wolfgang Welsch9 als Kult des thaumazein tadelt. Der Satz vom Anfang der Philosophie ist wie kaum ein anderer geeignet, selbst zum Anfang von Spekulationen zu werden. Zum Widerspruch reizen sie immer dann, wenn sie, obwohl sie nur Bruchstücke für sich in Anspruch nehmen, als Aristoteles-Interpretationen auftreten. Das interessanteste Beispiel dafür gibt Martin Heidegger in dem Vortrag Was ist das — die Philosophie? und besonders in der Freiburger Vorlesung Grundfragen der Philosophie. Ausge7
A l s Textgrundlage dient: Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Übersetzt und hg. von O. Gigon. Vollständige Ausgabe nach dem Text der zweiten, überarbeiteten Aufl. in der »Bibliothek der Alten Welt«. München: 5. Aufl. 1984. Der griechische Text nach der Ausgabe: Aristotelis Opera. Ex recensione I. Bekkeri edidit Academia Regia Borussica. Editio altera quam curavit O. Gigon. Volumen alterum. Berlin i960.
8
Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M.: 4. Aufl. 1986. S. 33.
'
Wolfgang Welsch: Aisthesis. Grundzüge und Perspektiven der Aristotelischen Sinneslehre. Stuttgart 1987. S. ij9, Anm. 60.
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wählte »Probleme« der »Logik«.'0 Da diese beiden Texte die Diskrepanz vor Augen führen zwischen der Bestätigung des einen prominenten Satzes und der Mißachtung seines Kontextes, die den Weg zu seiner freien Verwendung ebnet, sollen sie, bevor nach dem Zusammenhang bei Piaton zu fragen ist, zu einem kleinen Exkurs Anlaß geben. Dabei wäre es freilich engstirnig, wenn man Heideggers Aristoteles-Verdrehungen lediglich eine nach der anderen als falsch herausstreichen wollte. Dafür hat man es hier mit einem viel zu klugen Verdreher zu tun. Wenn der neue den alten Philosophen unrichtig wiedergibt, dann ist darin weniger eine Verfehlung zu tadeln als eine Absicht zu erkennen. Heideggers These ist, daß thaumazein nichts mit dem Ansporn zu tun habe, das auffallende Unerklärliche erklären zu wollen, sondern eine für das moderne philosophische Denken, dessen Wahrheitsbegriff durch den cartesischen Drang nach Gewißheit geprägt sei (cf. Vortrag S. 27), kaum begreifliche Grundstimmung (Vorlesung S. 155) bezeichne, die sich steigere, je mehr die Philosophie Philosophie werde. Die Argumentation ist dabei nicht logisch, sie ist bekanntlich, wie Mario Wandruszka in anderem Zusammenhang die Gedankengänge Heideggers charakterisiert, von der figura etymologica (bzw. pseudoetymologica) getragene verbale Magie." Nur ein kleiner Auszug: Die Philosophie entspringt aus dem Er-staunen, heißt: Sie ist etwas Erstaunliches in ihrem Wesen und wird um so erstaunlicher, je mehr sie wird, was sie ist. (Vorlesung S. 163) Eine Schlußfolgerung oder Äquivalenz wird in diesem Satz durch das heißt: nur suggeriert, denn nach der Sprachlogik gilt genau das Gegenteil: Das Erstaunliche wird nicht durch das Erstaunen verursacht, entspringt nicht aus ihm, sondern umgekehrt ist das Erstaunliche die Ursache des Erstaunens. Ein weiteres Beispiel. Der Satz Das Erstaunen ist arche - es durchherrscht jeden Schritt der Philosophie. (Vortrag S. 25) stützt seine Aussage allein auf die Mehrdeutigkeit des griechischen Worts: Aber dieses »von woher* wird im Ausgehen nicht zurückgelassen, vielmehr wird die arche zu dem, was das Verbum archein sagt, zu solchem, was herrscht. (Vortrag S. 25) Daß arche nicht nur >AnfangHerrschaft< heißt und daß beides in der Sprachgeschichte verbunden ist, steht außer Frage. Einer besonderen Begründung indes bedürfte es, warum die zweite Bedeutung vor der ersten favorisiert werden soll und warum dann archein gleich mit ^«rcAherrschen auf jedem Schritt zu übersetzen ist? Was bedeutet es überhaupt, daß Erstaunen jeden Schritt der PhilosoMartin Heidegger: Was ist das — die Philosophie? Vortrag, gehalten in Cerisy-la-Salle/Normandie im August 1955. Pfullingen: 9. Aufl. 1988. und: Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte »Probleme« der »Logik«. Freiburger Vorlesung Wintersemester l 917h%· Hg. von F.-W. von Herrmann. Frankfurt a. M . 1984. ( = M . H.: Gesamtausgabe. II. Abt., Bd. 4j.) Die Nachweise erfolgen direkt im Text mit den Stichwörtern >Vortrag< und >Vorlesungwahren Sein< verhaftet, besonders ihrer höchsten, der Idee des Schönen, die mit dem Guten sich verbindet. Das ganze Streben dieses Menschen liegt darin, sich so weit wie möglich zu dem >wahren Seinwahren SeinWunderbare< (thaumaston). Dieser Begriff steht in einem grundsätzlichen poetologischen Antagonismus: Das Wunderbare ist der Gegenpol zum Wahrscheinlichen. Stets wirkt das Gebot der Wahrscheinlichkeit als Zügel, wenn zu entscheiden ist, wie freizügig der Dichter das Erstaunliche als Publikumsreiz verwenden darf. Gleichwohl ist bei allen Einschränkungen das Wunderbare nicht preiszugeben, denn es gehört, wie schon der lakonische Satz aus der Metaphysik sagt, wesentlich zur Dichtung: Die Sage \mythos\ besteht aus Wunderbarem \ek thaumasion, cf. Metaph. 982b, 19). Denkt man an den Kontext dieser Aussage, in dem es um die Weisheit als Einsicht in Kausalität und Finalität geht, scheint in ihr implizit der Kontrast von Mythos und Logos angesprochen zu sein. Mythos ist die Art der Rede, die aus Erstaunlichem besteht, d.h. die es bewahrt, Logos dagegen diejenige, die durch Klärung alles Erstaunliche beseitigt. Der Schritt vom Mythos zum Logos wäre dann der von der Tradierung zur rationalen Auflösung des Wunderbaren.'" Nimmt man mythos in der Bedeutung, wie ihn die Poetik als das Fundament und die Seele der Tragödie bestimmt, nämlich als Handlung der Dichtung, mit modernen Termini als Fabel, Plot, mit oder ohne Bindung an die Überlieferung,' 7 so wird das Wunderbare des Mythos zur dichterischen Freiheit. Weil die Dichtung von der Uberlieferung oder von Erfundenem, nicht aber von der aktuellen Wirklichkeit handelt, weil, wie Aristoteles in der Rhetorik sagt, die Dinge und Personen, über die dort die Rede ist, [... ] uns weiter entrückt sind, hat der Dichter eine freiere Lizenz für das Wunderbare als der Redner (cf. Rhet. 1404^12 - 1 4 ) . Durch den Gegensatz von Aktualität und Entrücktsein ergibt sich dann in der Dichtung selbst ein Unterschied, in welchem Maße die einzelnen Gattungen dem Wunderbaren Raum geben dürfen. Da die Tragödie ihren Inhalt so vor Augen führt, als wäre er aktuelle Wirklichkeit, muß sie sich darin beschränken, um nicht unglaubwürdig und lächerlich zu erscheinen, das Epos dagegen, das von Entferntem erzählt, hat größere Freiheit, (cf. Poetik 1460a,11 - 1 7 ) . >Das Wunderbare paßt besser zum Eposübertreibt< (prostithentes) übersetzt, will er als >hinzufügen< verstehen und darauf >das Wunderbare< als Objekt beziehen.'8 In seinem Vorschlag, wie die Stelle deutsch zu lesen sei, ist das Objekt dann allerdings nicht das Wunderbare selbst, sondern dessen Ankündigung: Das Wunderbare ist angenehm; ein Zeichen dafür ist, dass alle, wenn sie erzählen, dies hinzufügen (nämlich: die Geschichte sei wunderbar), in dem Bewusstsein damit etwas Angenehmes zu bringen. (Teichmüller S. 300).
Daß es die Ankündigung, und nicht das Wunderbare selbst sei, hält Teichmüller deshalb für erforderlich, weil Aristoteles vom Zeichen (semeion, von einem Indicienbeweis spreche. Ein sicheres Indiz, daß die Annehmlichkeit des Wunderbaren offen anerkannt ist, biete nur dessen Verkündigung (cf. Teichmüller S. JOI). Ohne diese Klausel, doch sonst im Sinne Teichmüllers übersetzt Olof Gigon: Das Erstaunliche aber ist gefällig; ein Zeichen ist, daß alle, die etwas berichten, derartiges beifügen, um Vergnügen zu machen. 1 '
Unabhängig davon, welchem Gräzisten man den Vorrang geben will, ist indes folgendes festzuhalten: Schon die alltägliche Praxis des Erzählens läßt erkennen, sagt Aristoteles, daß jedes Publikum am Erstaunlichen Gefallen findet. Entscheidend ist nicht, mit welchen Mitteln der Affekt erregt wird, sondern daß jedermann ihn zu erregen trachtet. Es geht nicht um die Frage, worin das 18
Gustav Teichmüller: Aristotelische Forschungen. In 3 Bänden. Bd. 2. Aristoteles' Philosophie der Kunst, erklärt. Neudruck der Ausgabe Halle 1869. Aalen 1964. (Künftig kurz: Teichmüller.) C f . den Abschnitt Eine Frage der Texterklärung, S. 298 — 301. Die Übersetzung, die Teichmüller korrigieren will, ist freilich nicht die von Manfred Fuhrmann. Angeführt werden die von Susemihl und Vahlen, die indes der von Fuhrmann etwa entsprechen: Statt schreibt der erste das Rufende< heißt. Breit führt Plotin die im Phaidros und im Symposion entworfene Metaphysik des Schönen aus. In ihr tritt die Abwertung dessen, was nur der Abglanz des Ideellen ist, zurück zugunsten der Vorstellung von der Teilhabe des Niederen am Höheren, so daß die sensible als Sprosse zur intelligiblen Schönheit und damit zum ursprünglichen Einen gewürdigt wird. Insofern das Eine als das Schöne erscheint, so daß die Betrachtung der Schönheit zum philosophischen Ziel führt, wird der Aufstieg der Seele als Schau imaginiert. Als ein visuelles Erlebnis gilt damit auch das zugehörige Staunen. Das hängt grundsätzlich mit der Metaphorisierung von Licht und Sehen zum Ausdruck der intellektuellen, der Gottes-Erkenntnis zusammen. Licht steht als Metapher für die Wahrheit und der Gesichtssinn entsprechend als Metapher für das Erkenntnisvermögen. Von ihren Anfängen an habe die Metaphysik sich der Lichtmetapher bedient, stellt Hans Blumenberg allgemein der Besprechung einiger Exempla voran, um für ihre letzten, gegenständlich nicht mehr faßbaren Sachverhalte eine angemessene Verweisung zu geben. [...] Licht und Finsternis können die absoluten metaphysischen Gegenmächte repräsentierend Das Licht oder sein Ursprung, die Sonne, stehen im Vergleich für die höchste metaphysische Größe oder werden mit ihr identifiziert (für diesen Fall prägte Clemens Baeumker den Begriff >Lichtmetaphysikunio mystica< abzugeben. Cf. W. B.: Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte. Frankfurt a. M. 198$. S. 123 und dort Anm. 1. Künftige Verweise auf dieses Buch werden direkt im Text unter dem Stichwort »Beierwaltes« gegeben.
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Hans Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung. In: Studium Generale 10. 1957. S. 432 — 447. S. 432 f. Clemens Baeumker: Witelo, ein Philosoph und Naturforscher des XIII. Jahrhunderts. Münster 1908. S. 422 f. ( = Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Bd.III, Heft 2)
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sehen Versen im Ohr (War nicht das Auge sonnenhaft...), die bekanntlich ein Reim auf Plotins Worte sind.5 Es ist Ausdruck der universellen Metaphorik von Licht und Sehen, daß Piaton von der Schau der Ideen, daß Plotin von der Erhebung zu dem Einen durch die Betrachtung der Schönheit, daß christliche Denker, so ist die Linie dann weiter zu ziehen, von der visio Dei sprechen. Das Staunen, von dem dabei die Rede ist, betrifft das Sehen, sei es in eigentlicher oder, wenn es aus dem sensiblen in den intelligiblen Bereich übertragen wird, in metaphorischer Bedeutung. Der Begriff des Staunens, wie er zuerst bei Piaton zu belegen, jetzt bei Plotin zu zeigen und dann im christlichen Denken noch nachzuweisen ist, steht in engem Verhältnis zu dem der Ekstase. Der Aufstieg der Seele zum Ursprung, dessen Gipfel der Affekt markiert, ist ein ekstatisches Erlebnis. Ekstasis und ekplexis sind bedeutungsverwandt, so daß, wie ein Lexikograph festhält, beide Begriffe füreinander eintreten können. So wie ekstasis zur Bezeichnung des besonderen Affektes, etwa der Bewunderung oder des Staunens dient, steht ekplexis für eine mit bildlicher Eindringlichkeit vorgestellte Ekstase, indem die beiden Begriffen gemeinsame Bedeutung, das Herausgehobenwerden aus dem. gewöhnlichen Üblichen, als starker Affekt, auf den Wortstamm zurückgeführt, als >Schlag< begriffen wird.6 Größte Intensität gewinnt die Vorstellung von der Ekstase dann, wenn beide Begriffe identifiziert werden, wenn ekstasis ekplexis ist: ekstatisches Staunen, in dem die Konzentration auf das Ziel der Erkenntnis kulminiert. Durch die Ursache, die den einzelnen aus dem Gewöhnlichen entrückt, sind zwei Arten der Ekstase unterschieden: die krankhafte auf der einen, die göttlich bewirkte auf der anderen Seite. Auch das Wort ekplexis hat diese Ambivalenz. Neben der philosophischen Bedeutung steht die medizinische: Ekplexis
War nicht das Auge sonnenhaft, Wie könnten wir das Licht erblicken ? Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt uns Göttliches entzücken ? Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd. 13. Naturwissenschaftliche Schriften I. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von D. Kuhn und R. Wankmüller. München: 8., neubearbeitete Aufl. 1981. S. 324. ( = Einleitung zum didaktischen Teil der Farbenlehre) Die Sätze Plotins, die diese Verse wiedergeben, finden sich in der Abhandlung Vom Schönen (Enneades 1,6, Abschnitt 9), auf die sich die Behandlung Plotins im folgenden hauptsächlich stützen wird (zur Textgrundlage, im besonderen zur Wahl der französischen Ubersetzung cf. Anm.8): Jamais un oeil ne verrait le soleil sans etre devenu semblable au soleil, ni une äme ne verrait le beau sans etre belle. Que tout etre devienne done d'abord divin et beau, s'il veut contempler Dieu et le Beau. Cf. den Artikel Ekstase von F. Pf ister in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Hg. von T. Klauser [et al. ]. Bd. IV. Stuttgart 1959. Sp. 9 4 4 - 9 8 7 . Sp. 944, 947 und 958. 48
auctor Medicarum Definitionum dicit esse Mentis abalienationem quae e repentina quapiam perturbatione
extrinsecus provenit,
f ü h r t der Thesaurus
Graecae
Linguae an. 7 D i e Mentis abalienatio als Zustand des S t a u n e n d e n hat eine p a t h o logische P h y s i o g n o m i e : S p r a c h - u n d Regungslosigkeit, w e i t g e ö f f n e t e A u g e n . Ekplexis
liegt v o r , f ä h r t d e r Thesaurus i m m e d i z i n i s c h e n Z u s a m m e n h a n g f o r t ,
quum quis e morbo nec loquitur nec quicquam
agit, sed apertis oculis quietus
manet, veluti prae timore attonitus. Im Phaidros ist d e r A m b i v a l e n z v o n K r a n k heit u n d göttlicher Inspiration gedacht, i n d e m v o n z w e i A r t e n des >Wahnsinns< (imania) die R e d e ist: v o n dem, d e r ein Übel ist, u n d dem, d e r durch göttliche Gunst verliehen wird (cf.244a). D e m U n k u n d i g e n gilt beides gleich, u n d aufg r u n d d e r äußerlich sichtbaren E n t r ü c k u n g aus d e m g e w ö h n l i c h e n Leben w i r d er auch denjenigen v o n einer K r a n k h e i t befallen glauben, d e n göttliche Begeisterung erhebt. Die W e r k e Plotins, die als G e s a m t c o r p u s d e r v o n seinem S c h ü l e r P o r p h y rios angeordneten Enneades8 (sechs B ü c h e r m i t je n e u n A b h a n d l u n g e n ) überlief e r t sind, schildern w i e d e r h o l t in enthusiastischem Ton den A u f s t i e g d e r Seele z u m Einen. A u s d e m u m f ä n g l i c h e n M a t e r i a l sei h i e r ein A u s z u g der S c h r i f t Vom Schönen (1,6) a n g e f ü h r t , da sie z u den b e k a n n t e s t e n u n d w i r k u n g s r e i c h s t e n des P l o t i n z ä h l t : Quant aux beautes plus elevees, qu'il n'est pas donne a la sensation de percevoir, a celles que l'äme voit et sur lesquelles eile prononce sans les organes des sens, il nous faut remonter plus haut et les contempler en abandonnant la sensation qui doit rester en bas. On ne peut se prononcer sur les beautes sensibles, sans les avoir vues et saisies comme belles, si Γοη est, par exemple, aveugle-ne; de la meme maniere, on ne peut se prononcer sur la beaute des occupations, si Γοη n'accueille avec amour cette beaute ainsi que celle des sciences et autres choses pareilles, si Γοη ne se represente combien est belle la face de la justice et de la temperance, si Γοη ne sait que ni l'etoile du matin
7
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Stephanus: Thesaurus Graecae Linguae. Vol. IV. [Nachdruck:] Graz 1954. Lemma: Ekplexis. Sp. 535 — 536. Sp. 536. Zitiert wird Plotin nach der zweisprachigen griechisch-französischen Ausgabe: Plotin: Enneades. Texte etabli et traduit par Ε. Brehier. Deuxieme edition. Paris 1954ff. Die französische Ubersetzung von Emile Brehier wird der deutschen von Richard Harder (erschienen in den Bänden 2 1 1 - 2 1 5 der Philosophischen Bibliothek Meiner, Hamburg: neubearbeitete Aufl. 1956 — 1967) vorgezogen, da von ihr aus besser auf die griechischen Begriffe zu verweisen ist. Härders Ubersetzung wächst oft zu weitläufigen Umschreibungen an, und gerade für die hier in Frage stehenden Begriffe bietet sie, ohne daß es erforderlich wäre, wechselhafte Übertragungen. Diese Bemerkung beansprucht nicht, die Übersetzung abschließend zu beurteilen, es geht allein darum, daß Brehiers Lösung für die Belange hier nützlicher ist. Daß der griechiche Text, den Brehier gibt, durch die Ausgabe von P. Henry und H. R. Schwyzer (Paris, Bruxelles, Leiden 1951 — 73) überholt ist, läßt die hier herangezogenen Passagen unberührt. Die Nachweise der Zitate erfolgen unmittelbar im Text durch die Angabe des Buches, der Abhandlung und des Abschnittes.
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ni l'etoile du soir ne sont aussi belles. On les voit, quand on a une äme capable de les contempler; et en les voyant, on eprouve une joie, un etonnement et un effroi bien plus forts que dans le cas precedent, parce qu'on touche maintenant ä des realites. Car ce sont la les emotions qui doivent se produire a l'egard de ce qui est beau, la stupeur, l'etonnement joyeux, le desir, l'amour et l'effroi accompagnes de plaisir. (1,6,4)
Im Wechsel von der körperlichen Schönheit zu der der Handlungen und Tugenden beschreibt dieser Ausschnitt den Ubergang von der sensiblen zur intelligiblen Welt. Wenngleich dabei die sinnliche Wahrnehmung ausgeschaltet wird (en abandonnant la sensation qui doit rester en bas), bleibt das Sehen Metapher des Erkennens: l'ame voit. Bei Plotin ist die Lichtmetaphorik weit entwickelt. Das Eine erscheint als lumiere seule, pure, et existant en elle-meme (cf. V,5,7). Der Anblick des Schönen läßt staunen. Plotin übernimmt Piatons Begriff: Etonnement übersetzt beide Male ekplexin, hinzu tritt das Wort thambos (übersetzt mit stupeur), das auch schon im Phaidros vorkommt. Von beiden Begriffen steht jedoch, wie noch zu sehen ist, der erste im Vordergrund. Neben diesen beiden beschreiben vier weitere emotions (pathe) die Empfindungen angesichts des Schönen: die antreibenden Kräfte amour und desir, die Spannung aus effroi und plaisir·, das Staunen aber steht herausgehoben an der Spitze. Stupeur und etonnement sind die eigentlichen Kennzeichen dieses Augenblicks am Ziel des Aufstiegs, denn amour und desir, die zum Schönen hinführen, bestehen schon vorher, effroi und plaisir legen die Eigentümlichkeit des Staunens auseinander, die Ambivalenz der Überwältigung, zugleich angezogen und abgestoßen zu werden. Gemäß der Plotinischen Systematik steigert sich der Affekt, je näher der Ursprung erreicht wird. Ist er gegenüber der intelligiblen Schönheit schon bien plus fort als gegenüber der sensiblen, so tritt höchstes Erstaunen ein, wenn man über die Idee des Schönen zum Guten gelangt, wenn man cet etre, das Eine schaut, das als Gutes erstrebt und als Schönes sichtbar wird: Si on le voit, cet etre, quel amour et quels desirs ressentira-t-on, en voulant s'unir ä lui! Quel etonnement [ekplagein] accompagne de quel plaisir! Car celui qui ne l'a pas encore vu peut tendre vers lui comme vers un bien: mais a celui qui l'a vu il appartient de l'aimer pour sa beaute, d'en etre empli d'effroi [thambus] et de plaisir, d'etre en une stupeur bienfaisante [ekplettesthai ablabos]. (1,6,7)
Nicht allen wird diese Schau zuteil, sie bleibt Auserwählten vorbehalten. On les [/es beautes plus elevees] voit, quand on α une äme capable de les contempler. Voraussetzung ist die >Reinigung< von allem Niederen, die Purifikation als Erfolg philosophischer Konzentration: [ . . . ] mais seuls l'obtiennent [le—le Bien] ceux qui montent vers la region superieure, se tournent vers lui et se depouillent des vetements qu'ils ont revetus dans leur descente [die Entstehung des Menschen ist der >Abstieg< der Seele als letzter Stufe der intelligiblen Welt in die Materie], comme ceux qui montent vers les sanctuaires des temples doivent se purifier, quitter leurs anciens vetements, et y monter devetus.
(1,6,7) 5°
Wer unvorbereitet, d.h. wer als Nicht-Philosoph das Höchste zu schauen verlangte, sähe nichts, er wäre geblendet: II [=le Beau] eblouit les etres d'en bas, qui se detournent; car il leur est aussi impossible de le regarder que le soleil: certains pourtant, grace a lui, relevent les yeux et Ie contemplent; les autres sont dans le trouble [exeplexe], et d'autant plus qu'ils sont plus loin de lui. (V,8,io)
Aufgrund dieser Stelle schließt Hildegard Schöndorf, Plotin interpretiere Piatons Begriff ekplexis, so wie er im Phaidros (250a) die Wirkung der Idee im Menschen bedeutet, als AbgestoßenwerdenDoch damit ist nur eine Seite gesehen. Exeplexe als Abgestoßenwerden bezieht sich, kurz gesagt, auf die Nicht-Philosophen, les autres im Gegensatz zu den certains, die Plotin im folgenden Satz die voyants nennt, ceux qui sont capables de le voir; die andere Interpretation des Platonischen Begriffs, die als seine Fortsetzung gelten kann, ist die Form ekplettesthai (1,6,7) als Staunen im Bann des Schönen, die Erfüllung der Philosophie. Der Unterschied beider Affekte, der den Philosophen vom Nicht-Philosophen trennt, ist durch ein Beiwort markiert: Der erste zeichnet sich durch eine stupeur bienfaisante (im Griechischen adverbial: ekplettesthai ablabos, 1,6,7) gegenüber dem anderen aus. Insofern das Sehen Metapher philosophischer Erkenntnis ist, wird die Intensität des Staunens das Maß, wie weit diese entwikkelt ist. Der Grad des Staunens zeigt an, wie weit die Aufgabe der Philosophie, der Rückweg zum Ursprung, erfüllt ist: pour autant quelle [l'ame] peut voir, eile est dans une stupeur joyeuse [exeplage] (VI,7,3i). Die Philosophie, der höchste Erkenntnis als höchstes Erstaunen gilt, ist verwandt mit der Poetik, die das, was die Dichtung ausmacht, als eine, wie es die Schrift Peri Hypsus bezeugt, die Ratio übersteigende Offenbarung verkündet. Beiden geht es um die nicht rational, sondern nur durch Inspiration zu überwindende Differenz zwischen dem, worauf sie zielen, und allem Gewöhnlichen. Das Insistieren auf der Transzendenz oder absoluten Differenz des Einen gegenüber allem Anderen, so formuliert Werner Beierwaltes (Beierwaltes S. 64), gehört zum Grundbestand der Plotinischen Lehre. Das drückt sich in der als ein Leitmotiv wiederkehrenden Klage aus, in Sprachnot zu sein: Vous nous voyez peiner dans l'incertitude de ce qu'il faut dire: c'est que nous parlons d'une chose ineffable. (V,5,6) Deren erstes Zeugnis ist der Grundbegriff der Plotinischen Philosophie selbst, das Eine: modus dicendi für das eigentlich Unsagbare. Immer wird unter der Voraussetzung gesprochen, daß man, um zu verstehen, wovon die Rede ist, es schon wissen, d.h. es schon selbst erfahren haben muß: Si on l'a vu, on sait ce que je veux dire. (1,6,7) Der Topos, vom Unaussprechlichen zu sprechen, dient hier nicht lediglich als ein unter anderen herangezogenes
Hildegard Schöndorf: Plotins Umformung der platonischen Lehre vom Schönen. Bonn 1974. S. 95.
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rhetorisches Mittel der Ausdruckssteigerung, er wird vielmehr zum Proprium einer philosophischen Sprache. Dieser negativen Bestimmung aber tritt die indirekte zur Seite, der Blickwechsel vom Geschauten auf den Schauenden. Durch das Staunen, das es hervorruft, wird sagbar, was als das Unsagbare begriffen werden soll.
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Mittelalter
4.1 Staunen als Devotion der Vernunft: christliche Erkenntnislehre Bevor der Rezeption und Fortsetzung neuplatonischen Denkens im Christentum nachzugehen ist, stellt sich die Frage, was die biblischen Texte zum Thema vorgeben. Mit der lateinischen Ubersetzung des Neuen Testaments ist dabei die erste Orientierung für die Wiedergabe der griechischen Begriffe im Lateinischen gegeben. Im Unterschied der Affekte, die als Triebkraft der Erkenntnis gelten, drückt sich die Andersartigkeit der alttestamentlichen gegenüber der griechischen Gedankenwelt aus. Wie ein lakonisch formulierter Kontrast zur Ursprungsbestimmung der griechischen Philosophie liest sich das, was das Alte Testament als Anfang der Weisheit verkündet: Timor Domini principium sapientiae. (Prov 1,7)' Furcht statt Staunen ist das Prinzip. Darauf liegt aller Nachdruck: Ostinate Anaphern prägen die Glückseligkeit derer ein, qui timent Dominum (Eccli 2,18 — 19 — 20 — 21, zuvor in der Variation qui timetis Dominum Eccli 2,8 — 9-10), und warnen vor der Verdammnis derer, die sich entziehen wollen (Vae\ Eccli 2,14 — 15 — 16). Statt des die Weite des Wißbaren öffnenden thaumazein steht die Enge des geforderten Gehorsams: Time Deum. Das Philosophieren, um, wie Aristoteles das Ziel setzt, der Unwissenheit zu entgehen, die Neugier des Fragenden, der das Wissen um des Wissens willen sucht, gelten unter dieser Voraussetzung als Transgression gesetzter Grenzen, als Sünde der curiositas: Altiora te ne quaesieris, et fortiora te ne scrutatis fueris; sed quae praecepit tibi Deus, ilia cogita semper, et in pluribus opertbus eius ne fueris curiosus. (Eccli 3,22) Das fraglose Sich-Fügen und das Wissenwollen werden als Tugend und Laster gegenübergestellt: Melior est homo qui minuitur sapientia, et deficiens sensu, in timore, quam qui abundat sensu, et transgreditur legem Altissimi. (Eccli 19,21) Dem Geschöpf muß der Schöpfer unbegreiflich bleiben, das Verlangen nach 1
Der lateinische Text wird zitiert nach der Ausgabe: Biblia Sacra iuxta Vulgatam Clementinam. N o v a Editio. Logicis partitionibus aliisque subsidiis ornata a A . Colunga Ο . P. et L. Turrado. Septima editio. Madrid 198$. ( = Biblioteca de autores cristianos 14); der griechische nach: N o v u m Testamentum Graece. C u m apparatu critico curavit E. Nestle et K. Aland. 25. Aufl. Stuttgart 1963.
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Erklärung scheitert am schlechthin Unerklärlichen. Kein Glaube an die Einsehbarkeit ermuntert zu Fragen, es wird vielmehr deren Zwecklosigkeit vor dem Verborgenen erwiesen. Es führt zu nichts, wenn der Mensch verstehen will. Daß er sich dem Unbegreiflichen zu ergeben hat, ist die erlittene Erkenntnis des Hiob: Abscondita est [sc. sapientia] ab oculis omnium viventium. (lob 28,21) Die Aristotelische Definition der Weisheit verheißt als Einsicht in die Kausalität die fortschreitende Erklärung der Wirklichkeit, die alttestamentliche steht dagegen als Demutsformel: Ecce timor Domini, ipsa est sapientia. (lob 28,28) Staunen als Antrieb zum Wissen ist dem Alten Testament fremd. Gleiches gilt von dem anderen Begriff des Staunens, dem Affekt als mittelbarem Ausdruck göttlicher Größe. Wenngleich hier einzuwenden wäre, daß ein Psalm gleichwohl den >wunderbaren< Gott preist (Mirabilis Dens in sanctus suis Ps 67(68X36), so ist doch die lateinische Fassung der Vulgata offenbar eine von der neutestamentlichen Gottesvorstellung geleitete Umdeutung des Urtextes. Der originale Wortlaut wäre angemessener mit >furchtbar< wiederzugeben, wie etwa Martin Bubers Ubersetzung lautet (Furchtbar du aus deinen Heiligtumen), mirabilis ist eine christliche Milderung.1 Von dem Staunen vor Gott, von dem die biblischen Texte sprechen, eine Brücke zum Platonischen und Plotinischen Begriff ekplexis zu schlagen, berechtigt nur das Neue Testament, denn erst dort tritt die der Ideenschau, der Schau des Einen durch das Schöne, vergleichbare Vorstellung von der Gottesschau auf. Im Alten Testament fehlt jeder Gedanke an eine seligmachende visio Dei. Beherrschend bleibt hier das drohende Gotteswort: non enim videbit me homo, et vivet (Ex 33,20). Als Wahrnehmung des Göttlichen ist die Vision der Audition untergeordnet,3 insgesamt gilt die Theophanie noch ungemildert als Tremendum, als das Schrecken- und Grauenerregende (cf. Gen 28,17: pavens, terribilis). Statt der zwischen Furcht und Faszination schwankenden ekplexis kennt das Alte Testament nur den einen leitenden Affekt: timor Domini. Im Neuen Testament dagegen ist schon angelegt, was die Kirchenväter dann nach neuplatonischem Vorbild ausführen: das ekstatische Erlebnis der visio beatifica.1· Damit zeigt sich auch im christlichen Denken ein Grundmotiv der plato1
C f . dazu den einleitenden Überblick bei Karl-Heinz Stahl (Das Wunderbare als Problem und Gegenstand der deutschen Poetik des 17. und 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1975. S. 5): der >furchtbare< Gott wurde so zum »wunderbaren< verharmlost, das AT neutestamentlich übersetzt. Martin Bubers Übersetzung: Die Schrift. Bd. 4: Die Schriftwerke. Verdeutscht von Μ . B. 6. Aufl. der neubearbeiteten Ausg. von 1962. Heidelberg 1986.
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C f . den Artikel Vision in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart [ = R G G ] . Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 3. Aufl. hg. von K. Galling. 6. Bd. Tübingen 1962. Sp. 1408—1412. Besonders Sp. i409f.
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C f . Hans Blumenberg (Licht als Metapher der Wahrheit, cf. hier in Kap. 3.3 A n m . 3. S. 442): [im Neuen Testament] kündigt sich doch schon die Form der Harmonisierung
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nisch-neuplatonischen Philosophie: Steigerung der Erkenntnis als Steigerung des Staunens. Die Evangelien kennen das staunende Gewahrwerden Gottes noch nicht unmittelbar als Vision, sondern vermittelt als Wunder. Indem sie den gewohnten Lauf der Welt unterbricht,' offenbart sich in ihnen die göttliche Macht. Als Reaktion formulieren die Texte in nahezu formelhafter Gleichförmigkeit das Erstaunen der Menge. Folgende Stellen aus den Synoptikern seien angeführt (Hervorhebungen von mir): (anläßlich des unerwarteten Fischfangs:) Stupor enim circumdederat eum, et omnes qui cum illo erant (Lc 5,9) (anläßlich der Auferweckung der Tochter des Jairus:)
etobstupuerunt stupore magno (Mc 5,42) Et stupuerunt parentes eius (Lc 8,$6) (anläßlich der Heilung Kranker und Besessener:) Et stupebant omnes turbae (Mt 12,23) Et mirati sunt omnes (Mc 1,27) Et stupor apprehendit omnes (Lc 5,26) Hier wird der Bezug zum Begriff >Wunder< expressis verbis hergestellt: Quia vidimus mirabilia hodie. Stupebant autem omnes in magnitudine Dei; omnibusque mirantibus in omnibus quae faciebat (Lc 9,44) (neben den Wundertaten auch die Weisheit des lehrenden Jesus:) admirabantur turbae super doctrina eius (Mt 7,28) Et stupebant super doctrina eius (Mc 1,22) Discipuli autem obstupescebant in verbis eius (Mc 10,24) Stupebant autem omnes, qui eum audiebant, super prudentia et responsis eius. Et videntes admirati sunt (Lc 2,47 — 48) Et stupebant in doctrina eius (Lc 4,32)
Zur Bezeichnung des Staunens dienen, wie diese Belege zeigen, hauptsächlich das Verb stupere und das entsprechende Substantiv stupor, die Formen von mirari treten dahinter deutlich zurück (nur in vier von dreizehn Fällen, davon zweimal in Verbindung mit stupere). Eine klare Verteilung, in der die lateinischen den von ihnen übersetzten griechischen Formen zugeordnet wären, liegt nicht vor. Formen der Wortfamilien ekplexis und thambos werden abwechselnd mit stupere und mirari wiedergegeben (exeplessonto wird in Mt 7,28 mit admirabantur, in Lc 4,32; Lc 9,44 und Mc 1,22 mit stupebant übersetzt, in Mc 1,27 mit mirati sunt, ethambunto
ethambethesan
in Mc 10,32 mit stupebant). Zu bemer-
mit der griechischen theoria an, die dann Patristik und Scholastik vollziehen werden: das Sehen ist der Modus der eschatologischen Endgültigkeit. Le miracle est un PRODIGE, c'est-ä-dire un phenomene insolite qui tranche sur le cours habituel des choses [...] une irruption de l'au-deld dans notre univers, definiert der Dictionnaire de Spiritualite. Ascetique et Mystique. Doctrine et Hiscoire. Publie sous la direction de Μ. Viller. Tome X . Paris 1980. Artikel Miracle, Sp. 1 2 7 4 - 1 2 8 6 . Sp. 1280 und 1283.
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ken ist indes, daß stupor auch für ekstasis (Lc 5,26) und stupebant entsprechend für existanto (Mt 12,23, Lc 2,47) stehen. Wie das griechische Wort ekplexis bezeichnet das lateinische stupor das Staunen als ekstatisches Erlebnis, wie ekplexis und ekstasis hat es die Ambivalenz von pathologischem Zustand und Ergriffenheit durch göttliche Offenbarung. De animo, >stupere< enim dicitur, qui torpore quodam animi captus languet, erklärt Forcellinis Lexicon totius latinitatis6 die eine Seite, auf der anderen steht stupere, et quidem frequenter, pro valde mirari, quasi ex se rapi prae admiratione, admirando defixum esse. Wie im Griechischen ekplexis als Steigerung von thaumazein dasjenige Staunen bezeichnet, das den Betroffenen außer sich geraten läßt, so ist im Lateinischen stupor die analoge Steigerung von admiratio: Stupor, definiert Forcellini, ist ingens admiratio, quae hominem extra se rapit.7 Auch der Thesaurus Graecae Linguae bestätigt diese Entsprechung: Als erste Übersetzung für thauma gibt er admiratio, für ekplexis stupor} Der durch göttliche Offenbarung verursachte Affekt stupor kann >profanem Staunen< entgegengesetzt werden. In der Apostelgeschichte unterscheiden die Begriffe dementare und stupens admirare das niedere Staunen vor dem Gaukelspiel des Zauberers Simon von dem erhabenen vor den Zeichen Gottes (cf. Act 8,11 und 13). Fragt man über die zeichenhafte Vermittlung, das Wunder, hinaus nach der Unmittelbarkeit der visio, betritt man schwieriges theologisches Terrain. Ob das Neue Testament überhaupt von einer unmittelbaren Gottesschau redet, ist umstritten. Als ein besonderer Fall gilt Paulus, dem man am ehesten eine tatsächliche visio Dei zuzugestehen geneigt ist.' In dieser Diskussion geht es, kurz gesagt, im wesentlichen darum, ob man das Bekenntnis, Gott gesehen zu haben (et videre illum Act 22,18), als Metapher liest oder wörtlich nimmt. Für den hier betrachteten Zusammenhang ist von Bedeutung, daß die von Paulus bezeugten Gotteserscheinungen durch stupor gekennzeichnet sind. Die Apostelgeschichte berichtet eine Vision im Tempel von Jerusalem: Factum est autem revertenti mihi in Ierusalem, et oranti in templo, fieri me in stupore mentis, et videre illum (Act 2 2 , 1 7 - 1 8 ) .
6
Aegidio Forcellini: Lexicon totius latinitatis. Tom. IV. Padua 1940. Lemma Stupeo, S. j i j —516. Dieses und das folgende Zitat S. 515.
7
a. a. O . Lemma Stupor, S. $16.
8
Stephanus: Thesaurus Graecae Linguae. Vol. V. Lemma thauma. Sp. 257. und Vol.IV. Lemma ekplexis Sp. 535.
'
C f . den Artikel Connaissance mystique de Dieu im Dictionnaire de Spiritualite. Tome III. Paris 1957. Sp. 883 — 929, besonders Sp. 883 — 88$. Z u r Diskussion ferner der Artikel Anschauung Gottes im Lexikon für Theologie und Kirche [ = LThK]. Begründet von M. Buchberger. 2. Aufl. hg. von J. H ö f e r und K. Rahner. Bd. 1. Freiburg 1957. Sp. 583—591, besonders 583 — 585, sowie der Artikel Vision im R G G , Bd. 6. Sp. 1408 — 1412.
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Stupore übersetzt an dieser Stelle ekstasei. Indem es als gemeinsame Übersetzung von thambos, ekplexis und ekstasis auftritt, wird im Lateinischen das Wort stupor zum Terminus des höchsten Erstaunens im Angesicht Gottes. Als Affekt derer, die sie sehen, begleitet es in der Darstellung die Offenbarung göttlicher Größe. Indem die unterschiedlichen griechischen Begriffe in dem einen stupor (oder entsprechend verbal stupere) zusammengeführt werden, bemüht sich die lateinische Ubersetzung um größere terminologische Einheitlichkeit. Überdies setzt sie den Begriff in korrespondierende Szenen ein, selbst wenn der griechische Text dafür keine Entsprechung zeigt. Der Vision im Tempel geht die Bekehrung des Paulus, das >DamaskuserlebnisNicht-begreifen-Können< bedeutet. Inwieweit das Christentum mit dem Gedanken der visio beatifica, der ekstatischen Rückkehr der Seele zum Ursprung, inwieweit es insgesamt als mystische theologia negativa platonisch-neuplatonischem Denken verbunden ist, legen mittlerweile zahlreiche Beiträge dar. Durch sie ist gegen das Vorurteil eines ausschließlichen mittelalterlichen Aristotelismus der Nachweis auch einer platonischen Tradition e r b r a c h t . I n einer neueren, eindringlichen Untersuchung zeigt Werner Beierwaltes unter dem Leitbegriff Henosis, wie die philosophische Eine Übersicht gibt der Artikel Gottesschau (Visio beatifica) im Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. X I I . Stuttgart 1983. Sp. 1 —19. Pionierarbeit, durch die D o kumentation der mittelalterlichen platonischen Überlieferung das Vorurteil zu überwinden, wonach der Einteilung Mittelalter-Renaissance die in Aristotelismus und Piatonismus entspräche, bei Raymond Klibansky: The Continuity of the Platonic Tradition During the Middle Ages. I. Outlines of a Corpus Platonicum Medii Aevi. London 1939. Breiter und schon gesicherter bei Paul Oskar Kristeller: Die aristotelische Tradition, [und:] Piatonismus in der Renaissance. In: Ρ. Ο. K.: Humanismus und Renaissance I. Die antiken und mittelalterlichen Quellen. Hg. von E. Keßler. Übersetzungen aus dem Englischen von R. Schweyen-Ott. München [o.J.] S. 30 — 49 und 50 — 68. ( = Uni-Taschenbücher 914)
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die religiöse Vorstellung vom Ascensus zum Ursprung vorbildet. Damit verbunden erweist er auch das, was er im konkreten Sinne Theo-Logie nennt, d.h. das symbolisierende und negierende Umschreiben des Unkennbaren und Unsagbaren, als christliche Wirkungsgeschichte des Neuplatonismus." Dieser Zusammenhang, so meine ich, fokussiert sich in einzigartiger Weise in dem Begriff des ekstatischen Staunens. Beierwaltes schenkt dem zwar keine Beachtung, doch kann man gerade in bezug auf seine Studien sagen, daß die Charakteristika der philosophischen und der christlichen Mystik sich im Staunensbegriff wie in einem Brennpunkt vereinen. Die Schwierigkeit, das zu erreichende Ziel als das schlechthin Transzendente zur Sprache zu bringen, sowie die Vorstellung der Erkenntnis als Emotion, so daß die Steigerung der einen die der anderen bedeutet, sind darin mit großer Prägnanz ausgedrückt. In der Begriffsgeschichte von ekplexis und stupor, in der — wenngleich modifizierten — Fortführung des ersten durch den zweiten, konkretisiert sich die Wirkungsgeschichte von Piaton über den Neuplatoniker Plotin zum Christentum. Wenn nun von der Aufnahme des neuplatonischen Konzepts durch christliche Autoren die Rede ist, muß neben dem Konstanten indes auch auf das Veränderte hingewiesen werden. Gleich ist die Grundstruktur von Descensus aus und Ascensus zu einem höchsten Ursprung. Wie in den Enneades wird in den christlichen Texten der Aufstieg der Seele als Umkehrung der Weltentstehung gedacht: Was Plotin als Wiederannäherung an das höchste Prinzip begreift, von dem die Welt Stufe um Stufe absteigend entstand, wird in christlicher Interpretation als Befreiung vom Körperlichen die Rückkehr der Seele zum Schöpfer. Spitzt aber Erwin Panofsky das Verhältnis der Augustinischen Theologie zur Plotinischen Philosophie auf den Satz zu, daß Augustinus im Grunde nur den unpersönlichen Weltgeist des Neuplatonismus durch den persönlichen Gott des Christentums zu ersetzen hatte,12 so impliziert doch das, was mit dem Adverb >nur< als Kleinigkeit behandelt wird, die ganze christliche Eschatologie. Was bei Plotin als singulare Bewegung innerhalb einer statischen, immerwährenden Weltordnung gedacht ist, wird im Christentum zur Zielstrebigkeit des die gesamte Menschheit betreffenden Heilsgeschehens. Ferner kommt durch die Personalisierung ein neues Element hinzu: die Gnade. Wenngleich die christlichen Autoren die Vorstellung übernehmen, daß der einzelne durch spirituelle Übung und Konzentration Stufe um Stufe zum Ziel zu gelangen vermag, bleibt die Anschauung Gottes doch ein Geschenk der Gnade. Stupor bezeichnet als Gipfelpunkt christlich definierter Erkenntnis gerade den Augenblick, in dem diese an ihre Grenze stößt und sie nur dadurch überwindet, daß die göttliche Wahrheit sich selbst zeigt: die Überwältigung durch die Offenbarung. "
Werner Beierwaltes: Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte. Frankfurt a. M . 1985. Zitate S. 154. Erwin Panofsky: Idea. Ein Beitrag zur Geschichte der älteren Kunsttheorie. 1., verbesserte Aufl. Berlin i960. S. 18.
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Grundlegend für die Folgezeit verbindet als erster Augustinus die Plotinische Philosophie mit christlichem Denken. Seine Con/essiones13 enthalten zwei Schilderungen der Gottesschau, die gemeinhin als das >Erlebnis zu Mailand< (im VII. Buch) und die >Vision zu Ostia< (im IX. Buch) bezeichnet werden. Wie diese Stellen Plotin, im besonderen der Abhandlung >Vom Schönen< (Enneades 1,6) nachgebildet sind, hat Paul Henry gezeigt •.Augustin transpose done le theme plotinien du retour de l'ame sur un mode chretien.14 Was bei Plotin die Schau des Einen durch das Schöne ist, wird für Augustinus zur Schau Gottes. Sie ist als visio atque contemplatio veritatis das Ziel der menschlichen Spiritualität, ist septimus atque ultimus animae gradus, wie sie die Schrift De quantitate animae als Gipfel des siebenstufigen Aufstiegs der Seele zu Gott bestimmt. 1 ' In den Con/essiones wird sie nach Plotinischem Vorbild als stufenweise aufstrebende Erhebung dargestellt: erigentes nos ardentiore affectu in >id ipsum< perambulavimus gradatim cuncta corporalia et ipsum caelum (IX,10,24). Auch die Lichtmetaphorik, die Metapher vom >Auge der SeeleAuswechslung der Spitze< bezeichnet, heißt das nicht, daß der Rest gleich bliebe. Nicht nur als Übernahme, sondern gleichermaßen als Umdeutung ist der Weg vom neuplatonischen zum christlichen Begriff des Staunens zu verstehen. Der Unterschied zeigt sich darin, daß die Ambivalenz des Begriffs im christlichen Verständnis durch die persönliche Devotion des Geschöpfs gegenüber dem Schöpfer eine Bedeutung erhält, die der abstrakten Begrifflichkeit des Neuplatonikers fremd ist. Zwar bestimmt auch Plotin das Staunen als Spannung von effroi und plaisir (cf. 1,6,4), doch ist dieser Gedanke bei ihm marginal. Das Erschrecken löst sich in ruhiger Kontemplation, das gemischte Gefühl weicht ungetrübter jouissance (cf. 1,6,7). Dadurch ist der Staunensbegriff selbst einseitig akzentuiert. Ekplexis verbindet sich mit hedone zum Begriff vollkommener Glückseligkeit: Quel etonnement accompagne de quel plaisir! (ekplagein meth'hedones 1,6,7) Die Vorstellung des >Tremendum< tritt bei Plotin nicht auf. Das Eine ist das Inkommensurable, das Unsagbare — nie aber das Furchtbare. Die Distanz zu ihm ,s
60
C f . Artikel Admiration 208. Sp. 20J.
im Dictionnaire de Spiritualite. Tome I. Paris 1937. Sp. 202 —
schreckt nicht, sie ist von der Philosophie ausgemessen und in Abschnitte geteilt. In dieser Ordnung gilt der Platz des Menschen nicht als Verdammnis, aus der nur der Gnadenakt der Erlösung befreien könnte. Vielmehr führt eigene Anstrengung den Weg hinauf, so daß die visio beatifica kein Geschenk, sondern Verdienst ist — erreichbar für jeden, der sich nur genügend befleißigt. Gewiß, auch Plotin spricht davon, daß der Anblick des Höchsten unerträglich ist, daß er zurückstößt, doch betrifft das nur diejenigen, die sich der philosophischen Lehre verschließen (cf. V,8,io). Wer die Seinshierarchie mißachtet und mit einem Satz erlangen will, was nur in strenger Disziplin Stufe um Stufe anzustreben ist, muß scheitern. Das ist die Gewöhnungsbedürftigkeit, die Piatons Höhlengleichnis lehrt (cf. Politeia 516a): Wer aus der Dunkelheit kommend sogleich in die Sonne schaut, wird schmerzlich geblendet. Für die anderen aber, die alle Ebenen nacheinander durchlaufen und sich Schritt für Schritt auf das Eine besinnen, ist der Erfolg verbürgt. Beflügelnd wirkt das Vertrauen in die eigene Kraft, Plotin lehrt Zuversicht: aie confiance en toi; meme en restant ici, tu as monte; et tu n'as plus besoin de guide; fixe ton regard et vois. (1,6,9) Solche Selbstgewißheit ist den christlichen Autoren versagt. Aus der diesseitigen Unvollkommenheit vermag keine Anstrengung die jenseitige Vollkommenheit zu erreichen, der Mensch kann nur von jener zu dieser erlöst werden. Dann indes wird die visio beatifica zur ewigen Glückseligkeit aller. Doch ist es nicht dieser eschatologische Endzustand, den Augustinus nach neuplatonischem Muster schildert, es ist vielmehr dessen als Auszeichnung besonderer Gottesnähe gewährte Vorwegnahme schon im Diesseits. Dabei spricht auch der Christ vom Ascensus aus eigener Kraft, wenngleich der letzte Schritt zur visio Dei ein Akt der Gnade bleibt. Wer im diesseitigen Leben in schrittweise aufsteigender Kontemplation seine Gedanken auf Gott zu konzentrieren vermag, darf schon im voraus für einen Augenblick vom Endzustand der Seligen kosten. Dieses vorzeitig Gewährte aber wird — wiewohl ein Vorgriff auf die Glückseligkeit — zum Schrecken, denn die Distanz zwischen Diesseits und Jenseits, die Defizienz des ersten gegenüber dem zweiten, gilt nicht wie für Plotin als philosophisch durchmessener Raum, sondern als Devotion des Schwachen gegenüber dem übermächtigen Herrn. Die Selbstoffenbarung Gottes bewirkt zugleich Faszination und Entsetzen. Stupor bedeutet genau diese Ambivalenz: In der Vorausschau ins Jenseits die eigene Erfüllung zu ahnen, zugleich aber des Abstands inne zu werden, der noch davon trennt, macht den christlichen Begriff des Staunens aus. In den Confessiones formuliert ihn Augustinus mit größter Prägnanz: E t inhorresco et inardesco: inhorresco, in quantum dissimilis ei [ = d e m Geschauten] sum, inardesco, in quantum similis ei sum. ( X I , 9 , 1 1 )
Stupere ist insofern die Steigerung von (ad)mirari, als zum Entzücken über das Außerordentliche die Ehrfurcht, die furchtvolle Unterwerfung hinzukommt. 61
So steigert Augustinus die Empfindung der mira profunditas beim Hören des Gotteswortes zum horror honoris: Mira profunditas eloquiorum tuorum [... ] mira profunditas, deus meus, mira profunditas! Horror est intendere in earn, horror honoris et timor amoris. (Conf.
XII,14,17) Beide zusammen, das Ineinander von (aä)miratio und horror, ergeben stupor, so daß sich darin - wenngleich auf der einen Seite zum Wunderbaren gemildert — der alttestamentliche timor Domini fortsetzt. So muß die in den Ennarationes in Psalmum XLI gestellte Frage: Numquid jam bibo de fonte Mo, nihil metuensf (10,471) die Antwort >Nein< implizieren. Gottesfurcht bleibt eine Grunderfahrung des Religiösen. Unweigerlich ist in diesem Zusammenhang an die bekannteste Formel für die Ambivalenz der religiösen Erfahrung zu denken, an das Mysterium tremendum et fascinosum. Geprägt hat sie Rudolf Otto, 1 ' der damit die Empfindung des Numinosen als Kern jeder Religion bestimmt. Stupor faßt den Doppelsinn dieser Formel in einem Begriff zusammen. In ihm bedeutet das Wunderbare zugleich das Furchtbare, ist die Lobpreisung zugleich Devotion. Daß dieser Begriff des Staunens in der Erkenntnislehre als repressives Moment wirkt, ist offenkundig. Wer lehrt, daß die menschliche Erkenntnis im Staunen vor Gott kulminiert, d.h. auch: endet, setzt eine Grenzmarke für den Intellekt, wie etwa die Säulen des Herkules als Mahnzeichen für den Seefahrer errichtet sind. Die Devise Non plus ultra, unter der das Reden vom unüberwindbaren Erstaunen steht, hat zwei Lesarten: als Hochachtung und als Verbot. Im ersten Fall drückt sie die äußerste Bewunderung dessen aus, was durch nichts übertroffen wird, im zweiten die Warnung: Bis hierhin, aber nicht weiter. So lautet das Gebot, das die Erkenntnis limitiert, weil die Wahrheit Gottes mehr ist, als der Mensch begreifen kann. Stupor ist die erkenntnistheoretische Konsequenz christlicher Demut. Was Augustinus in einzelnen Passagen seines Werkes vorzeichnet, systematisiert Richard von Sankt-Victor zu einer umfassenden contemplatio-Lehre. Die kontemplative Rückkehr der Seele zu Gott wächst in seiner Darstellung zu einer vollständigen ontologischen und psychologischen Theorie aus, indem ihre Etappen zugleich als Aufbau der Welt sowie der menschlichen Psyche zu verstehen sind. Mit seiner Stufenfolge gibt der Ascensus zu Gott den Aufriß einer
Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Nachdruck (45.-49. Tsd.) der ungekürzten Sonderausgabe 1979. München 1987. (erste Aufl. 1917). Bemerkenswert ist, wie Otto aus dem Unsagbarkeitstopos ein Verbotsschild macht. Kein Zutritt für den, der sich nicht emotional schon drinnen glaubt (Otto S. 8): Wir fordern auf sich auf einen Moment starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit zu. besinnen. Wer das nicht kann oder wer solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten nicht weiter zu lesen. 62
christlichen Seins- und Seelenlehre.20 Bei der erkenntnistheoretischen Frage, wie der Mensch über die Betrachtung der göttlichen Zeugnisse zur Anschauung Gottes selbst gelangen kann, wird auch für Richard Staunen zum Schlüsselbegriff. Die contemplatio als Erkennen des Göttlichen ist — so wird das Unvermögen zum abschließenden Begreifen Gottes als condicio humana festgeschrieben — von admiratio und stupor bestimmt, wobei die Steigerung den Ubergang von der Mittelbarkeit zur Unmittelbarkeit markiert. Verwiesen sei auf die Schrift, in der sich Richards Lehre von der Kontemplation vollendet: auf De gratia contemplationis oder Benjamin major.11 In ihr gibt Richard die bündigste Definition seines Leitbegriffs: Contemplatio est libera mentis perspicacia in sapientiae spectacula cum admiratione suspensa (l,IV,67)
Admiratio gehört zur Definition der contemplatio, sie verleiht ihr Dynamik. Nicht bei dem, was ihr den ersten Anlaß gibt, soll die Kontemplation verweilen, durch den Affekt getrieben drängt sie vielmehr vom einfachen augenfälligen Zeugnis hinauf zu Gott. Sechs Grade der contemplatio führen von der untersten Stufe, dem Bestaunen der körperlichen Dinge (admiratio rerum corporalium cf. 11,1,79) a ls Werke des Schöpfers (die erste Erfahrung des Göttlichen wird vermittelt durch die Funktion des Schöpfers, daher auch admiratio Creatoris cf. 11,1,79), bis zur höchsten Annäherung an Gott, dem excessus mentis (cf. V,V,i74) als unmittelbarem Gotteserlebnis. Jede Stufe ist durch die von Mal zu Mal wachsende Intensität des Staunens bestimmt, die Steigerung der contemplatio geschieht secundum qualitatem et quantitatem nostrae admirationis (cf. II,XXVI,107). Staunen treibt die Erkenntnis voran, ohne jedoch dabei zu vergehen. Hier liegt der Gegensatz zum Aristotelischen Konzept: Dort sind der Affekt und die Erkenntnis gegenläufig, je mehr Einsicht jemand gewinnt, desto weniger wird er staunen, hier hingegen sind sie (secundum qualitatem et quantitatem) proportional. Mit der Einsicht wächst das Erstaunen. Dessen Extrem ist der excessus mentis als die reinste dem Menschen gegönnte Gotteserkenntnis. Vorgestellt wird er als Erlebnis der Transzendenz, als Uberschreiten der irdischen Grenzen, indem der Mensch, als nähme er die Erlösung nach dem Tode vorweg, an die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits gelangt: mens humana [...] tandem aliquando humanae capacitatis metas transcendit [.,.] ut [...] in supermundanum quemdam transformata affectum, tota supra semetipsam eat. 20
Eine gute Übersicht, auf die ich mich stütze, gibt der Artikel Richard de Saint-Victor im Dictionnaire de Spiritualite. Tome X I I I . Paris 1988. Sp. $ 9 3 - 6 5 4 .
"
Zitiert wird im folgenden nach der Ausgabe: Richardus a Sancto Victore: De gratia contemplationis libri quinque. Benjamin major. In: J.-P. Migne (Hg.): Patrologiae Cursus Completus [ . . . ] Series latina [ . . . ] Tom. C X C V I . Paris 1880. Sp. 63 — 202. Die Nachweise erfolgen direkt im Text unter Angabe des Buches, des Kapitels (römische Zahlen) und der Spaltenzahl.
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(V,IX, 178) Nachdem der Terminus admiratio durch Beiwörter aufs äußerste gesteigert ist, verwendet auch Richard von Sankt-Victor den Begriff stupor, damit diesem letzten Grad eine alles Vorangehende überbietende Bezeichnung bleibt: Magnitudine admirationis anima humana supra semetipsam ducitur, quando divino lumine irradiata, et in summae pulchritudinis admiratione suspensa, tarn vehementi stupore concutitur, ut a suo statu funditus excutiatur. (V,V,i74) (auch verbal:) stupet ut mente excidat mentemque excedat (V,XII,I8I)
Nach Augustinus und Richard von Sankt-Victor faßt Bonaventura die Lehre von der Rückkehr der Seele zum Ursprung zu einem Kompendium zusammen, das als wegweisendes >PilgerbuchErforschung< zielt auf einen Gegner: den aristotelischen Rationalismus. Die Gegenüberstellung investigatio -
admi-
ratio weist auf den Kern der Auseinandersetzungen, die die christliche Philosophie des 13. Jahrhunderts bestimmen. Deren Pole können die Begriffe Aristotelismus -
Piatonismus (Neuplatonismus, Augustinjsmus) oder Rationalismus
— Fideismus bezeichnen, ohne daß man mit ihnen indes einzelne Autoren etikettieren dürfte. 23 Wie das Denken sich zwischen diesen Polen bewegt, wie es nach Synthesen strebt, aber gleichwohl Spannungen behält, bezeugt das Werk dessen, der zum Inbegriff christlicher Philosophie geworden ist: das Werk des Thomas von Aquin. Wie Thomas die an Aristoteles orientierte Rationalität für die christliche Lehre gewinnen will, ohne dadurch gegen die neuplatonisch-mystische Tradition das >Übervernünftige< des Göttlichen zu leugnen, wird im Staunensbegriff als einem sehr kleinen, doch prägnanten Ausschnitt aus seiner Begriffswelt deutlich. 24 Der aristotelische Begriff des Staunens tradiert sich zunächst durch die Kommentare zur Metaphysik. In der Erschließung des Aristoteles für die lateinische Welt setzt Thomas fort, was sein Lehrer Albertus Magnus beginnt. Des Griechen thaumazein erklärt in Alberts Latein der Satz: est enim admiratio motus ignorantis procedentis ad inquirendum, ut sciat causam eius de quo miratur.*' Bei Thomas lautet der entsprechende Passus:
2
>
14
M
cf. die nuancierte Übersicht von Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1986. (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8342) Im besonderen Kapitel V, S. 244 — 362. Unter den Titeln La notion d'admiration und L'admiration, principe de recherche philosophique legte Guy Godin eine zweiteilige Untersuchung über den Staunensbegriff bei Thomas von Aquin (trotz der allgemeinen Titel) vor. (Beide in: Laval theologique et philosophique X V I I . 1961. Der erste Teil S. 35 — 75, der zweite S. 213 — 242.) Godin weist darauf hin, daß bei Thomas admiratio sowohl im aristotelischen Sinne als principe de philosophic als auch mit einer valeur de terme als contemplatio sublimis veritatis steht (cf. S. 39), ohne jedoch darin den Kontrast der aristotelischen gegenüber der platonisch-neuplatonischen Begriffstradition zu sehen. Das Interesse an begriffsgeschichtlichen Zusammenhängen und Entwicklungen weist Godin despektierlich von sich (cf. S. 48), was man indes dann bedauern muß, wenn er statt dessen ahistorische Identifizierungen, ζ. B. mit Descartes (cf. S. 43), anbietet. Alberti Magni Opera Omnia. Ad fidem Codicum Manuscriptorum edenda Apparatu critico notis prolegomenis indicibus instruenda curavit Institutum Alberti Magni Coloniense. B. Geyer praeside. Tomus X V I , Pars 1. Metaphysica. Libri quinque priores. Münster >960. S. 23. ( = Lib. 1, Tract. 2, Cap. 6) Die folgenden Zitate aus diesem Werk werden direkt im Text durch die Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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admiratio ex ignorantia provenit. C u m enim aliquos manifestos effectus videamus, quorum causa nos latet, eorum tunc causam admiramur. Et ex quo admiratio fuit causa inducens ad philosophiam. 1 *
Wie Aristoteles legen seine christlichen Kommentatoren die Betonung auf die Uberwindung des Staunens durch Einsicht. Mit dem Schritt von mirari zu scire, der Auflösung der Verwunderung durch Wissen, stellt Albert den Verlaufsplan rationaler Welterfassung auf (Docens autem causam non miratur, quia seit causam S. 27), wobei er die Fähigkeit, andere zu lehren {posse docere S. 27), als letzte Vollendung hinzufügt. Der Wissende befreit sich nur selbst vom Makel der Unwissenheit, der sich im Affekt äußert, der Lehrer leistet überdies anderen dabei Hilfestellung. So schreibt sich in drei Verben ein aufklärerisches Curriculum fest: mirari - scire — docere. Daß indes die doctrina, sobald sie als Lehre vom Heiligen selbst heiliggesprochen wird, wieder einen anderen Begriff der {ad)miratio verlangt, nämlich nicht mehr als Ansporn zum Fragen, sondern als Devotion vor dem Gelehrten, macht die Spannung der christlichen AristotelesRezeption aus. In seinem Kommentar zur Metaphysik liest sich Thomas in dieser Hinsicht ganz als Aristoteliker. Von der Fähigkeit, das Staunen durch Erklärung zu lösen, hängt die Würde des Menschen als vernunftbegabten Wesens ab. Ihr Garant ist die Wissenschaft, deren Ziel den affektiven Anstoß ins Gegenteil affektloser Einsicht umkehrt: C u m ergo philosophiae inquisitio ab admiratione ineipiat, oportet ad contrarium finire vel proficere; et ad id proficere quod est dignius [ . . . ] . Erit ergo finis hujus scientiae in quem proficere debemus, ut causas cognoscentes, non admiremur de earum effectibus. (S. 22, A.67)
Halt man im Gedächtnis, daß die scientia, von der im letzten Satz die Rede ist, zuvor unter dem Ehrentitel der honorabilissima scientia als die Wissenschaft von Gott und den ersten Ursachen {de Deo et de primis causis S. ζιί, A.64) bestimmt wurde, muß man in dieser Zielvorgabe das Bestreben sehen, den Glauben vollständig in Vernunft zu überführen. Die Gotteserkenntnis als Stufe um Stufe rückkehrende Annäherung an den Ursprung ist damit im Kontrast zur neuplatonisch-mystischen Tradition nicht die Überschreitung der Vernunft im Affekt, sondern umgekehrt die Überwindung des Affekts durch die Vernunft; statt ekstatischer Erhebung der leidenschaftslose Parcours einer bis zur letzten Ursache fortschreitenden Einsicht in die Kausalität. Zuständigkeit und Anspruch der Vernunft sind dabei durch keine höhere Instanz begrenzt. Die Vollkommenheit der Erkenntnis besteht in der Vollständigkeit eines vernünftigen 16
Sancti Thomae Aquinatis [ . . . ] in Metaphysicam Aristotelis Commentaria. Cura et studio P. Fr. M.-R. Cathala. Altera Editio attente recognita. Torino 1926. S. 19. ( = Lib. I, lect. III, Absatz 55). Die weiteren Zitate aus diesem Werk werden direkt im Text durch Angabe der Seite und des Absatzes nachgewiesen.
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Begründungszusammenhangs: Nec sistit inquisitio quousque parveniatur adprimam causam; et tunc perfecte nos scire arbitramur quando primam causam cognoscimus.17 Nicht die Uberbietung der Ratio durch unüberwindbares Erstaunen, vielmehr der Triumph der Vernunft, für alles Verwunderliche die lösende Erklärung zu haben, gilt als Gipfel der Erkenntnis. Daß Thomas dies auch für die Gotteserkenntnis gelten läßt, ist nur insofern möglich, als er dem griechischen Philosophen nachspricht. Eine christliche Argumentation müßte aus der Abweichung des Aristotelischen Gottesbegriffs von ihrem Gott auf die Falschheit der Erkenntnislehre schließen. Im Metaphysik-Kommentar aber bleibt diese Einrede aus. Die Aristotelische höchste Ursache heißt im Latein des Christen Dens, so daß die konsequente Rationalität auch vor Gott zu behaupten wäre. Für den Konflikt zwischen Vernunft und Glaube, den Thomas> Werk bewältigen will, wird der Gegensatz zweier Staunensbegriffe zum Indikator: Äußert sich in diesem Affekt nur eine akzidentielle, vorübergehende Schwäche der Vernunft, deren Empfindung sogleich die Kraftanstrengung provoziert, das (noch) Verwunderliche zu erklären, oder ist Staunen die notwendige Kapitulation der menschlichen Ratio vor der durch eigene Anstrengung uneinnehmbaren, allein durch Offenbarung zu erfahrenden Wahrheit? Sowohl an die aristotelische als auch an die neuplatonische Tradition anknüpfend, verwendet Thomas admiratio in beiden Bedeutungen. Zwischen den Polen des Rationalismus und des Fideismus findet er dann, wie zu zeigen ist, die scharfsinnigste Formulierung eines christlichen Staunensbegriffs. Als Aristoteliker erscheint Thomas nicht nur in seinen Kommentaren zu dem Werk des griechischen Philosophen, auch seine theologische Summa28 bietet unter Rückverweis auf den aristotelischen Ursprung eine treue Latinisierung des thaumazein: Et ideo remanet naturaliter homini desiderium cum cognoscit effectum, et seit eum habere causam, ut etiam sciat de causa quid est. Et illud desiderium est admirationis, et causat inquisitionem, ut dicitur in prineipio Metaphys. (ia Ilae, q.3, a.8, res)
Wer sich wundert, kennt von einer Wirkung die Ursache nicht (quia nescit quid sit [Subjekt=causa\ admiratur), und die Verwunderung treibt an, die Ursache zu suchen (et admirando inquirit Ia Ilae, q.3, a.8, res). Aus dieser Stoßrichtung des Erklärenwollens leitet Thomas die Gegenposition zur neuplatonisch-my27
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Thomas von Aquin: Summa contra gentiles. Lib. III, cap. 25. Zitiert wird nach der Ausgabe: Sancti Thomae Aquinatis doctoris angelici Opera Omnia iussu impensaque Leonis XIII. P. M. edita. Roma 1882 ff. Die Summa contra gentiles darin in den Bänden X I I I — X V . Rom 1918 — 1930. Die Nachweise erfolgen künftig direkt im Text durch die Angabe des Buches (römische Zahl) und des Kapitels. Zitiert wird nach der in Anm. 27 genannten Ausgabe. Die Summa theologica bildet die Bände IV—XII. Rom 1888— 1906. Die Zitate werden unmittelbar im Text mit den üblichen Abkürzungen nachgewiesen.
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stischen Erkenntnislehre ab. Das Begriffspaar admiratio und stupor, das bei Augustinus, Richard von Sankt-Victor und Bonaventura als anzustrebende Steigerung gilt, bezeichnet nun den Umschlag von der Verwunderung als Antrieb der Forschung {admiratio) zu einem tadelnswerten überzogenen Staunen, das den Abbruch aller intellektuellen Anstrengung bedeutet {stupor): admirans refugit in praesenti dare iudicium de eo quod miratur, timens defectum, sed in futurum inquirit. Stupens autem timet et in praesenti iudicare, et in futuro inquirere. Unde admiratio est principium philosophandi: sed stupor est philosophicae considerationis impedimentum. (Ia Ilae, q.41, a.4, ad 5) In der unterschiedlichen Verwendung des Begriffspaares admiratio und stupor erhält der Gegensatz zwischen dem >platonischen< und dem aristotelischen Staunen< in mittelalterlicher Fortsetzung seinen prägnantesten Ausdruck. Bezeichnet der Begriff stupor in der neuplatonisch-christlichen Tradition als mystische Erfahrung den Gipfel der menschlichen Spiritualität als deren Selbstübersteigerung, so gilt er im christlichen Aristotelismus als deren klägliches Versagen dort, wo sie im besonderen gefordert wird. Der Aristotelische Einfluß bricht allerdings bei Thomas nicht die andere Begriffstradition ab, in der admiratio als unüberwindbares Staunen die Demut der für die Gotteserkenntnis unzureichenden Vernunft bedeutet. Wenn es um die Glaubenswahrheit geht, sieht auch Thomas in dem Affekt die Grenze markiert, an der die Zuständigkeit der Vernunft endet. Admiratio bezeichnet hier das für den Menschen schicksalhafte Nicht-Verstehen-Können, das keine lösende Erklärung findet, weil das Göttliche für das Maß des menschlichen Intellekts inkommensurabel ist. Im Staunen scheitert das Geschöpf in dem Bemühen, seinen Schöpfer zu begreifen: Divina autem substantia a quolibet intellectu creato semper cum admiratiorte videtur: cum nullus intellectus creatus eam comprehendat. {Contra gent. III, c.62) Dieses Scheitern aber ist eine Niederlage als Gewinn. In der visio Dei erliegt die Vernunft einer höheren Form der Erkenntnis, deren Evidenz sich nicht rationaler, sondern affektiver Uberzeugung verdankt. So wertet Thomas ganz in dem Sinne, wie es bei Augustinus, Richard von Sankt-Victor und Bonaventura zu lesen ist, den Begriff admiratio auf zu einer die Vernunft übertreffenden Erkenntnisweise. Gegen den aristotelischen Rationalismus behauptet der Christ eine übervernünftige Wahrheit, die sich nur affektiv, nicht rational erschließt. Als actus consequens contemplationem sublimis veritatis bleibt in der Summa theologica die admiratio der Gipfel der Erkenntnis (cf. IIa Ilae, q.180, a.3, ad 3). Obschon dabei auch für Thomas Gotteserkenntnis immer zugleich Gottesfurcht bedeutet {Ex hac autem admiratione Dei timor procedit et reverentia. Contra gent. II, c.2), versagt ihm wohl dasselbe Bestreben, das timor zu reverentia mildert, die Steigerung von admiratio zu stupor. In dieser Mäßigung zeigt sich der Versuch, zwischen den Polen des zeitgenössischen philosophisch-theologischen Disputs einen Ausgleich zu fin68
den. Gegen einen konsequenten rationalistischen Anspruch hält Thomas an dem Begriff admiratio als Anerkennung der übervernünftigen Glaubenswahrheit fest, gegen einen mystischen Enthusiasmus aber lehnt er dessen Überhöhung zu stupor ab. Wie der Anspruch, durch Vernunftschlüsse zu begreifen, mit dem Glauben an das Unbegreifliche in Konflikt gerät, liest sich zugespitzt in der scholastischen Erörterung des Wunders.29 Deren Argumentation führt zunächst den Begriff >Wunder< (miraculum) auf >Verwunderung< {admiratio) zurück (als Stamm der Wortfamilie wäre die Verbform mirari hier freilich besser am Platz), um dann, gestützt auf die Autorität der Aristotelischen Metaphysik, die Entstehungsbedingungen zu nennen: Verwunderung tritt auf, wenn jemand eine Wirkung sieht, deren Ursache er nicht kennt. Aus der Überlegung, daß die Einsicht in die Ursache jeweils von dem einzelnen Betrachter abhängt, indem ja der eine wissen kann, was dem anderen unbekannt bleibt, wird abgeleitet, daß die Qualität >wunderbar< nicht die Wirkung selbst, sondern deren Relation zu einem Betrachter charakterisiert. Wunderbar sein, wäre daraus zu folgern, ist keine essentielle, sondern eine akzidentielle Eigenschaft. Was für den einen wunderbar ist, muß es nicht immer zugleich auch für den anderen sein. Der Satz: >Etwas ist wunderbar< müßte in genauer Lesart: >Jemand findet etwas wunderbar< lauten. Aus dieser Differenz zweier Betrachter, von denen der eine sich wundert, der andere aber nicht, weil dieser die Ursache kennt, die jenem verborgen bleibt, ergibt sich schließlich die Unterscheidung von Fachmann und Laie: Dieser staunt, jener nicht. Mit Thomas> Worten liest sich dies alles wie folgt: nomen miraculi ab admiratione sumitur. A d m i r a t i o autem consurgit, c u m effectus sunt manifesti, et causa occulta; sicut aliquis admiratur, cum videt eclipsim solis, et ignorat causam, ut dicitur in principio Metaph. Potest autem causa effectus alicujus apparentis alicui esse nota, quae tarnen est alii incognita. U n d e aliquid est mirum uni quod non est mirum alii; sicut eclipsim solis miratur rustucus, non autem astrologus. {Sum. theol. I, q.105, a.7, res)
Konsequent liefe dieser Gedankengang darauf hinaus, daß alles Verwunderliche durch fachmännisches Urteil rational aufzulösen wäre. Wunder gäbe es dann nur noch für die Augen laienhafter Unkenntnis. So scheint die scholastische Erörterung den Wunderglauben als Defekt des Laien gegenüber dem Kundigen zu desavouieren — ein unhaltbares Zwischenergebnis in der theologischen Summe. Dem kann Thomas nur entgehen, indem er einen für alle Ursachenforschung unzugänglichen Bereich postuliert. Um den Ansturm der Vernunft ge-
Diese Erörterung findet sich mit weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung dreimal bei T h o m a s : in der S u m m a theologica I, q. 105, a . 7 ; der S u m m a contra gentiles III, c. 101 und in den Quaestiones disputatae de potentia, q . 6 , a. 2 (Zitiert nach der Ausgabe: T h o m a e A q u i n a t i s O p e r a O m n i a . [ E d . ] S. E . Frette. Vol. X I I I . Paris 1875.)
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gen das Wunder zu brechen, bedarf es einer durch nichts und für niemanden zu erhellenden causa occulta. Der zitierten Argumentation gebietet der Glaubenssatz Einhalt: Miraculam autem dicitur quasi admiratione plenum, quod scilicet habet causam simpliciter et omnibus occultam. Haec autem est Deus. (ebd.)
Der unter dem Motto qui cognoscit causam, non miratur gestellten Forderung, das durch den Affekt angezeigte Stocken der Vernunft durch Ursachenforschung in allen Bereichen zu überwinden, stellt sich unvermittelt die Glaubenswahrheit einer causa occultissima et remotissima (cf. De pot. q.6, a.2, res) entgegen. Damit ist der Konflikt von Vernunft und Glauben, den Bonaventura prägnant in das Begriffspaar investigatio — admiratio übersetzt, bei Thomas noch schärfer formuliert, indem er zwischen einem relativen und einem absoluten Begriff des Wunderbaren unterscheidet. Die Vernunft wird das Wunderbare immer in Relation zu dem Betrachter (quoad nos, cf. De pot. ebd.), zu dessen Kenntnisstand bestimmen, so daß es nichts anderes als >das noch nicht Begriffene< heißt, der Glaube hingegen spricht von einem schlechthin Wunderbaren {secundum se, cf. De pot. ebd.), nämlich dem Göttlichen als dem prinzipiell Unbegreiflichen. An dem Begriff des Erstaunlichen scheiden sich so rationale und gläubige Erkenntnislehre. Den Unterschied zwischen dem relativen und dem absoluten Wunderbaren, der zugleich als der von profanem und sakralem aufzufassen ist, verlangt Thomas begrifflich streng zu markieren: Das erste heißt mirabilium, das zweite miraculum (cf. De pot. ebd.). Dieses darf als das göttliche Übervernünftige nicht mit jenem als dem grundsätzlich Begreiflichen und nur Ungewohnten (insoli• tum) gleichgesetzt werden. Damit das miraculum vor der rationalen Auflösung bewahrt bleibt, der alle mirabilia anheimfallen können, ist diese Trennung des sakralen vom profanen Erstaunlichen nötig. Sie zu beachten ist eine Weisung nicht nur an den Philosophen, daß er die Zuständigkeit der Vernunft nicht überschätze, sondern auch an den Dichter, der die beiden Bereiche des Wunderbaren nicht leichtfertig vermischen darf. In der Dichtung erscheint die thomistische Unterscheidung von miraculum und mirabilium als das wahre gegenüber dem erfundenen, nach seiner Quelle als christliches gegenüber heidnischem Wunderbaren. Je nach dem, woraus der Dichter schöpft, ist das von ihm erregte Staunen als Erbauung zu loben oder als Aufreizung durch Lügengeschichten zu tadeln. Doch was die christliche Lehre — das eine verkündend, das andere verwerfend - zu trennen fordert, bietet die Literatur in spannungsreicher Mischung. Doch bevor für das christliche Mittelalter zu der erkenntnistheoretischen auch eine poetologische Erörterung des Staunens zu stellen ist, soll das, was hier als christliche Fortsetzung des aristotelischen und des platonischen Begriffs verfolgt wurde, in zwei literarischen Gestaltungen sich zeigen: in der 7ο
Consolatio Philosophiae und der Divina Commedia. Commedia führt dann den Weg zur Poetik.
Dantes Reflexion über die
4.2 Boethius im Kerker und Dante im Paradies Stupor steht in der mittelalterlich-christlichen Philosophie mit unterschiedlicher Bedeutung einerseits in platonischer, andererseits in aristotelischer Tradition. Als Steigerung zu admiratio bezeichnet der Begriff — hier kommt das lateinische Wort mit dem deutschen >Staunen< in der ursprünglichen Bedeutung überein - die Vernunft->Starreewige Licht< zu schauen: O h abbondante grazia ond'io presunsi ficcar lo viso per la luce etterna, tanto che la veduta vi consunsi! (Pd.XXXIII,8 2 — 84)
So weit ist die Lichtmetaphorik ausgeführt, daß sie (nach Baeumkers Terminologie 12 ) an die Grenze der Lichtmetaphysik gerät, indem sich das Bildfeld zu eigener Realität verselbständigt. Hier reiht sich Dante in die neuplatonische Linie zu Augustinus und Bonaventura, den wichtigsten Zeugen für die christliche Lichtmetaphysik. Wenngleich die Theologie der Commedia weitgehend thomistisch ist, gilt dies nicht für die Darstellung der Gottesschau. Clemens Baeumker, der Nestor in dieser Frage, weist darauf hin, daß die Bedeutung des Lichts in Dantes Empireo so gar nicht aristotelisch-thomistisch ist, denn Thomas bekämpft als Aristoteliker jene Lichtmetaphysik scharf und sucht sie sogar aus Augustin hinwegzudeuten.n Daß die visio Dei am Ende der Commedia in neuplatonisch-mystischer Tradition steht, legt Edmund G. Gardner dar, wobei er insbesondere den Einfluß Richards von Sankt-Victor hervorhebt. In Dantes punto solo (A/.XXXIII,94), der den Augenblick der Schau bezeichnet, erkennt er Augustinus' Worte wieder, der in den Confessiones seine Vision (die sogenannte , Conf IX,10,2$) hoc momentum intelligentiae nennt.14 Dante selbst führt in dem Brief an Cangrande für die ekstatische Vision Augustinus und Richard als Referenzautoren an, De Quantitate Anime des einen und De
'
Non sembrerebbe dunque arbitrario interpretare l'intero poema come un perpetuo »vedere« [ . . . ] . (Emilio Pasquini: L e metafore della visione nella Commedia. In: S. 129 — l j i . S. 135.
" " ,J
M
Zitiert wird nach der Ausgabe: Dante Alighieri: La Divina Commedia. A cura di U . Bosco e G . Reggio. [3 Bände] Firenze: Quinta ristampa 1981 — 1982. cf. Anm.8, S. 57 f. cf. hier Kap. 3.3, A n m . 4. Clemens Baeumker: Der Piatonismus im Mittelalter. In: Piatonismus in der Philosophie des Mittelalters. Hg. von W . Beierwaltes. Darmstadt 1969. S. 1 — $5. S. 34. (=Wege der Forschung C X C V I I ) Edmund G . Gardner: Dante and the Mystics. Α Study of the Mystical Aspect of the Divina Commedia and its Relations with some of the Mediaeval Sources. London, N e w York 1913. S. 48. Zu Richard von Sankt-Victor S. 162 — 183.
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Contemplatione
des anderen, womit die beiden Hauptwerke Richards gemeint
sind, De praeparatione animi ad contemplationem gratia contemplationis oder Benjamin
oder Benjamin minor und De
majori
Zwischen Richard und Augustinus nennt Dante eine dritte Autorität, Bernhard von Clairvaux, den er am Ende des Paradiso als Führer zur letzten Höhe der Gottesschau einsetzt. In dieser Funktion ist Bernhard Sinnbild der mystischen Kontemplation,16
wie es auch die Antonomasie quel
contemplante
( Ρ ^ . Χ Χ Χ Ι Ι , ι ) ausdrückt. Auch bei ihm, bei Dantes Gewährsmann der visio Dei, ist ein zu Augustinus, Richard und Bonaventura analoger Begriff des Staunens zu lesen. Seine De consideratione libri quinque ad Eugenium
Tertium'7
(in
dem Brief an Cangrande kurz angeführt als De contemplatione) bestimmen die admiratio als höchste Form der Kontemplation: Prima et maxima
contemplatio
est admiratio majestatis. Ihr Ziel ist ekstatisches Staunen, für das Bernhard die Doppelformel stupor et ecstasis bietet. Stupere bezeichnet auch bei ihm den A f fekt dessen, der die Größe Gottes schaut: Quis stupet, nisi qui contemplatur
glo-
riam Dei ? Bei Dante ist das Staunen, wie Lea Ritter-Santini zeigt, durch verschiedene Begriffe zweifach gestuft. A l s erste Steigerung über maraviglia
und
ammirazio-
ne steht stupore: Dante braucht stupore in jenen pathetischen Situationen, in denen maraviglia oder ammiraziotie einen ungenügenden Wert dargestellt hätten, um die stärkste affektive Teilnahme des Schauens auszudrücken. Stupore wird vom Gefühl der Minderwertigkeit der eigenen Person einem lang gehofften — oder gefürchteten — Ereignis oder einer Offenbarung gegenüber begleitet. Der Neugier, mehr zu wissen, entspricht die stumme, regungslose Erwartung eines sich bereits vor den eigenen Augen vollziehenden Wunders.'8 Das lateinische Begriffspaar admiratio — stupor setzt sich in Dantes Italienisch fort. A l s Ausdruck gesteigerten Staunens kennzeichnet stupor, wie es Alessan-
"
17
,s
76
Epistola a Can Grande della Scala. In: Dante Alighieri: Tutte le opere. A cura di L. Blasucci. Seconda edizione, prima ristampa. Firenze 1981. S. 341 — 352. Abschnitt 28. S. 350 f. Hermann Gmelin: Kommentar [zu:] Dante Alighieri. Die Göttliche Komödie. Ubersetzt von H. G. III. Teil. Das Paradies. Zweite, unveränderte Aufl. Stuttgart 1970. S. 542. Bernardus Claravallensis: De consideratione libri quinque ad Eugenium Tertium. In: J.-P. Migne (Hg.): Patrologiae Cursus Completus [ . . . ] Series latina [ . . . ] Tom. C L X X X I I . Paris 1862. Sp. 727-808. Alle folgenden Zitate aus dem V. Buch, X I V . Kapitel, Abschnitte 31 und 32, Sp. 806. Lea Ritter-Santini: Pathetisches Staunen. Ernst Robert Curtius* Hommage an Aby Warburg. In: Text-Etymologie. Untersuchungen zu Textkörper und Textinhalt. Festschrift für Heinrich Lausberg zum 75. Geburtstag. Hg. von A. Arens. Stuttgart 1987. S. 168 — 176. S. 174. Die weiteren Zitate aus diesem Aufsatz werden unmittelbar im Text hinter dem Namen Lea Ritter-Santini mit der Seitenzahl nachgewiesen.
dro Niccoli in der Encyclopedia Dantesca formuliert, i momenti salienti delta [...] esperienza ascetico-mistica nel Purgatorio e nel Paradisoso die Erscheinung der mystischen Prozession im irdischen Paradies (cf. Pg.XXIX,57) und die Spiegelung des Greifen, des Symbols Christi, in den Augen Beatrices (cf. Pg. X X X I , 12 7). Das Staunen Vergils vor der mystischen Prozession, die die Kirche symbolisiert (/o mi rivolsi d'ammirazion pieno! al buon Virgilio, ed esso mi rispuoseI con vista carca di stupor non meno. Pg.XXIX, 5$ — 57), deutet Hermann Gmelin: Allegorisch betrachtet ist es das endgültige Verstummen der >ratio< vor dem Wunder der Erscheinung Christi.10 Staunen ist keine vermeidbare und darum tadelnswerte, sondern die notwendige Kapitulation der menschlichen Vernunft vor der göttlichen Offenbarung. Der erhabenste Moment, in dem stupore Verwendung findet, ist die Schau der Candida rosa:11 10, che al divino da l'umano, a l'etterno dal tempo era venuto, e di Fiorenza in popol giusto e sano, di che stupor dovea esser compiuto! ( P J . X X X I . 3 7 - 40)
Indem stupore an dieser Stelle dem stupefarsi der Barbaren angesichts der Pracht Roms entgegengesetzt wird (Se i barbari [...]/ veggendo Roma e l'ardua sua opera/ stupe/aciensi, Pd.XXX1,51 — 35), bemerkt Lea Ritter-Santini (S. 174), unterscheiden stupore und stupefactio zwei Arten des Staunens: das durch ein gebildetes religiöses Bewußtsein ermöglichte >intelligente< Staunen und das >dumme< der Ungebildeten. Für stupore als >intelligentes< Staunen nennen die drei vorangehenden Verse die Bedingungen: Zu ihm ist allein befähigt, wer gerecht und frei von jedem Fehl (giusto e sano) zur Ewigkeit (mot populaire< gegenüber der gelehrten Entlehnung, wie der Etymologe dieses Paar beurteilt) die theologisch bewußte Distinktion von profanem und sakralem Erstaunlichen ausdrücken.12 Doch was die Literatur bietet, entspricht nicht immer einer solchen religiösen Strenge. Hier gilt eher der synkretistische Begriff des merveilleux chretien, wie ihn Daniel Poirion versteht: Er umfaßt un large espace entre Vimagination epique et la doctrine religieuse, [...] sans qu'on puisse faire une distinction rigoureuse entre un merveilleux archaique et le surnaturel chretien.'1· Wenn es um populäre Verbreitung geht, wird der strikte Sinn des miraculum leicht aufgegeben, zumal die heiliggesprochenen >glaubwürdigen< Wunder von phantastischem Zauber schwerlich eindeutig zu trennen sind. Für die religiöse Literatur zeigt Manfred Fuhrmann an drei Beispielen (der Siebenschläferlegende aus der Legenda aurea, der Vita Malchi des Hieronymus und den apokryphen Petrusakten), wie solche Mischformen von christlicher Weltdeutung bis zur trivialen Unterhaltung sich abstufen, und resümiert: [ . . . ] so konnten auch die weltdeutenden Gattungen des Urchristentums, zumal das Evangelium und die Apostelgeschichte, so konnte weiterhin die Hagiographie, als Inbegriff erzählender Formen in mancher Hinsicht Erbin der genannten urchristlichen Gattungen, durch Phantasie, die Verselbstän-
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Was bei Gautier de Coinci zu belegen ist, vermerkt generell Walther von Wartburgs Französisches Etymologisches Wörterbuch (Bd. 6,11. Basel 1967. Lemma miraculum, S. 148): Im gegensatz zum weiteren semantischen feldvonfr. >merveille< bringt fr. >miracleν das eingreifen einer göttlichen macht zum amdruck. Dazu auch Hans Schmitz (»Wundern und Staunen« im Französischen. Gedanken zur Geistesgeschichte einer Gruppe von sinnverwandten Wörtern. Speyer 1939. S. 47): »merveille« ist »weltlich«. Seinen Platz im religiösen Wortsatz [sie] übernehmen die früheren Sinnverwandten, unter anderen: »miraculum — miracle«. [...] »Miracle« bedeutet stets »Wunder« im kirchlich-abstrakten Sinne als das Eingreifen einer göttlichen Macht; [... ] Schon die lautliche Form zeigt die gelehrte Herkunft des Wortes. Daniel Poirion: Le merveilleux dans la litterature fransaise du Moyen Age. Paris 1982. S. 23. ( = Que sais-je? No. 1938)
digung des Kunsttriebes und rein literarische Mechanismen (wie Variation und Überbietung) zum Weltsurrogat, zu trivialem Unterhaltungsfutter degenerieren.M Wie in dieser Tendenz das miraculum zum mirabilium, das Staunen als Gotteshuldigung zur Lust am Sensationellen wird, zeigt sich deutlicher noch, wenn man den Beispielen Fuhrmanns Zeugnisse strengerer Observanz voranstellt. Gut geeignet dafür sind die Vita Antonii des Athanasius sowie eine andere Fassung der Siebenschläferlegende, die des Gregor von Tours. Athanasius' Vita Antonii (Mitte des 4. Jahrhunderts), mit der die Tradition der Hagiographie beginnt, ist eine nach theologischem Maß mustergültige Literarisierung des christlichen Staunensbegriffs. Was die religiöse Doktrin zu dem Affekt sagt, exemplifiziert diese Erzählung von dem Leben und den Wundertaten des vorbildlichen Mönchs so systematisch, daß man sie insgesamt als eine christliche Schule des Staunens> bezeichnen könnte. Die Belege seien nach der Ubersetzung des Euagrios von Antiochien zitiert, in der Athanasius' Text im lateinischen Sprachraum die weiteste Verbreitung fand.15 In erster Hinsicht gilt das Erstaunen dem Protagonisten, seinem asketischen Leben (cf. 7,14,51), seinen Wundertaten und Weissagungen (cf.60,61). Im Wechsel drückt der Autor selbst den Affekt aus {admiratione plane dignum est, 51; erat autem in fidei pietate mirabilis, 68) oder schreibt ihn den Figuren zu (omnes admirati sunt, 61). Größtes Gewicht liegt auf der Verwunderung der Philosophen über die Weisheit des ungelehrten Antonius (cf. 72,73,80), die sonst üblichen Formen (&d)mirari/admiratio steigern sich zu stuperelstupore (cf. obstupuere, 73; miro philosophi stupore perculsi, 80). Mit Nachdruck wird auf die Überlegenheit dessen hingewiesen, der sein Wissen statt profaner Gelehrsamkeit der Konzentration seiner Gedanken auf Gott verdankt (erat autem valde sapiens, et hoc in se mirabile habebat, quia cum litteras non didicisset, 72). Mit theologischer Genauigkeit aber wird das Staunen anläßlich der Wundertaten des Antonius nicht auf diese selbst, sondern auf die religiösen Tugenden bezogen, die sie ermöglichen. Daß ein Mensch als Ungelehrter Philosophen lehrt, daß er eine in weiter Entfernung lebende Kranke heilt, ohne ihr je zu begegnen (cf. 61), darf nicht als reizvoll Sensationelles, es muß vielmehr als Zeichen, als Beglaubigung besonderer Gottesgefälligkeit gelesen werden. So wird, als eine Weissagung des Antonius eintrifft, nicht die Wahrsagekunst, sondern die reine
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Manfred Fuhrmann: Wunder und Wirklichkeit. Zur Siebenschläferlegende und anderen Texten aus christlicher Tradition. In: Funktionen des Fiktiven. Hg. von D. Henrich und W. Iser. München 198}. S. 1 0 9 - 2 2 4 . S. 22} f. (=Poetik und Hermeneutik X . )
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A l s Textgrundlage dient der Abdruck in: J.-P. Migne (Hg.): Patrologia Graeca. Tom.26, Turnhout [o.J.]. Sp. 835 — 978, der neben dem griechischen Original auch Euagrios' Übersetzung bietet. Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Kapitel. Daß Euagrios seine Vorlage sehr frei wiedergibt, wirkt sich auf den hier untersuchten Aspekt kaum aus. Wenngleich einzelne Stellen differieren, bleibt doch das Gesamtbild gleich.
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Seele bestaunt, der Gott mehr zeigt als den übrigen (puritatem mentis in Antonio mirati sunt, 60), und die außergewöhnliche Weisheit erklärt sich sogleich als Gottesschülerschaft (pro tanta hominis sapientia dux miratus [...] dicens: Vere istum esse Dei famulum, 85). Was diese Fälle konkretisieren, ist Antonius als allgemeine Weisung in den Mund gelegt: Nicht mich sollt ihr bestaunen, schreibt er den Zeugen seiner Taten vor, sondern Gott [ad ille praecipiebat non suae laudi hanc admirationem ab eis applicari debere: sed Domini, 6 2; cf. auch 84). Daß Antonius als admirandus nur ein Mittler ist, zeigt sich schließlich darin, daß das Staunen vor Antonius durch ein Staunen des Antonius überhöht wird. Den Anlaß dafür gibt nicht die mittelbare Offenbarung des Wunders, sondern die unmittelbare Jenseitsvision. Als Termini des gesteigerten Affekts stehen hier stupefactus (60) und obstupefactus (65). Wer als Vermittler der jenseitigen Welt die diesseitige in Staunen versetzt, erliegt selbst dem Affekt, wenn er das Jenseits schaut. In der Figur der Uberbietung, daß der Bestaunte selbst zum Staunenden wird, drückt sich der Ubergang von der vermittelten zur ursprünglichen Wahrheit aus. Konträr zu der höchsten affektiven Wirkung, die von der himmlischen Vision ausgeht, steht die Gemütsruhe des Antonius gegenüber den Dämonen. Als Gegensatz zu den Erscheinungen der göttlichen Macht dürfen sie dem Christen kein Staunen entlocken. Was Antonius vorbildlich beweist, wird zur Aufforderung an alle Christen: Verum in hoc nullum Christiano debet esse miraculum. (31) Staunen und Bewunderung sind dem christlichen miraculum vorbehalten, alles andere, was als Wunderbares damit konkurrieren will, ist in seiner Nichtigkeit zu erkennen (es vergeht wie Rauch, cf. 11,42) und zu verachten: multum ergo despicabilis, multumque contemptus es (ö), weist Antonius das Dämonische von sich, das ihn bedrängt. Zwei Bereiche behaupten gegeneinander den Anspruch auf Wahrheit. Als Prüfstein gilt die Fähigkeit, in Erstaunen zu setzen. Athanasius unterscheidet konsequent: Der eine kann es, der andere nicht; nur die Wahrheit ist das wirklich Erstaunliche. Staunende Bewunderung Gottes und des Gotteszeugen Verachtung der falschen Götter: das sind die komplementären leitenden Motive der Vita Antonii. In einem Satz werden sie kontrapunktisch am dichtesten gegeneinandergeführt, wobei die Antithese von Verachtung und Bewunderung durch den Chiasmus noch unterstützt wird: daemonum insidias contemnerunt, mirabantur in Antonio tantam gratiam (44). In einer wirkungsästhetischen Reflexion expliziert das Vorwort den pädagogischen Begriff des Staunens. Die >admirative Identifikation mit dem Heiligen, dem christlichen Helden, soll zur Nachfolge anspornen: et vos cum admiratione audientes, scio ejus [des Antonius] propositum cupere sectari (praefatio). Diesem einleitenden kaschierten Imperativ (»Ich weiß, daß ihr ihm nachfogen wollt«, bedeutet: »Folgt ihm nach!«) entspricht am Ende die Abwehr aller Zweifel: sed nos minime convenit diffidere, tarn grande miraculum per hominem
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potuisse portendi (83). Wie der Glaube die Voraussetzung für die Wunder des Antonius ist, was Athanasius mit Christi Worten aus dem Matthäusevangelium belegt ($t habueritis fidem, [...] nihil impossibile erit vobis, Mt 17,19), ist er die Bedingung für die richtige Aufnahme der Wundererzählung. Nur wer glaubt, liest diese weder als Fiktion eines Erzählers noch als belanglos Spektakuläres, sondern als Zeugnisse Gottes. Eine vorbildliche christliche Rezeption bezeugt hierfür Augustinus. In den Confessiones berichtet er, wie er zusammen mit seinem Freund und Schüler Alypius durch einen gewissen Ponticianus zum ersten Mal von den Wundern des Antonius erfährt, und beschreibt die Reaktion der frommen Hörer: Stupebamus autem audientes tarn recenti memoria et prope nostris temporibus testatissima »mirabilia tua« (Conf. VIII, 6,14). Eine Formulierung enthält alles, was die richtige Rezeption ausmacht: Die Wunder des Antonius sind die Wunder Gottes (mirabilia tua), sie sind nicht Fiktion, sondern verbürgte(ste) Wahrheit (testatissima). Allein dieser Begriff des Wunderbaren ist aus christlicher Sicht der geziemende Anlaß des Staunens. Den Ubergang von theologischer Gewissenhaftigkeit zu einer freieren Darstellung des christlichen Wunderbaren, bei der sich der Reiz des Verblüffenden vom heilsgeschichtlich Bedeutsamen zu lösen beginnt, zeigen zwei verschiedene Fassungen der Siebenschläferlegende: die des Gregor von Tours (2. Hälfte des 6. Jahrhunderts) und die aus der Legenda aurea des Jacobus von Voragine (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts).'6 Es ist die Geschichte von sieben Christen aus Ephesus, die in einer Höhle im Gebirge, in der sie während der Verfolgung durch den Kaiser Decius zunächst verborgen, darauf aber, nachdem man sie entdeckt und die Höhle vermauert hat, gefangen sind, lange Jahre schlafen, um dann, als unter dem Kaiser Theodosius das Christentum zur allgemeinen Religion geworden ist, wiederaufzuerstehen und so durch ihr Beispiel die Irrlehre einer zu der Zeit verbreiteten Sekte zu vertreiben, die die Auferstehung des Fleisches leugnet. Das Wunderbare dieser Erzählung ist in beiden Fassungen ein miraculum in strengem Sinne: Das Aufwachen nach jahrhundertelangem Schlaf wird als Zeichen für die Auferstehung des Leibes gedeutet, wobei beide Autoren sich durch die Autorität der Bibel beglaubigen lassen, indem sie das von ihnen erzählte Wunder mit dem des Evangeliums, mit der Erweckung des Lazarus, in Analogie setzen (cf. Gregor 11, Legenda aurea 438). Verschieden aber sind die Darstellungen des Wunderbaren. Als die sieben aus ihrem Schlaf erwachen - sie selbst glauben, es wäre nur eine Nacht gewesen -, wählen sie "
Gregorii episcopi Turonensis Passio sanctorum martyrum septem dormientium apud Ephysum. In der in Anm.7 genannten Ausgabe S. 397 — 403. Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Kapitelnummern. Jacobi a Voragine Legenda aurea. Vulgo historia lombardica dicta. Cap. C I . (96.) De septem dormientibus. A d optimorum librorum fidem recensuit T. Graesse. Osnabrück 1965. (Neudruck der 3. Aufl. 1890.) S. 435 — 438. Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Seiten.
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einen unter sich aus, Malchus mit Namen, der unerkannt Brot aus der Stadt holen soll. Alles Vorherige, ihre Entdeckung durch den Kaiser Decius, die Vermauerung der Höhle und viele Jahre später die durch den Anlaß, Ställe einzurichten, motivierte Beseitigung der Mauer, haben sie verschlafen. Durch die Desorientierung des Malchus in der für ihn unbegreiflich veränderten Stadt — er wähnt sie heidnisch und findet Zeugnisse des Christentums, er will mit Geldstücken bezahlen, die längst nicht mehr üblich sind — erscheint das Wunder zunächst als ungedeutetes Verwunderliches, bevor es sich dann als göttliches Zeichen erklärt. In dem Maß, wie vor der Deutung die bloße Verblüffung ausgekostet wird, weichen die beiden Fassungen charakteristisch voneinander ab. Gregor bezieht jeden Ausdruck des Staunens explizit auf die göttliche Offenbarung. Was den Affekt erregt, ist das heilsgeschichtlich gedeutete Wunderbare. Denn die Bürger von Ephesus staunen erst dann über Malchus, als dieser das an ihm geschehene Wunder erklärt: Malchus [ . . . ] dixit episcopo: » [ . . . ] Et nunc suscitavit me Dominus cum fratribus meis, ut cognoscat omne saeculum, quia fiet resurrectio mortuorum. Sequimini ergo me, et ostendam vobis fratres meos, qui mecum resurrexerunt.« Tunc stupefactus episcopus [ . . . ] . (9)
Diese Reihenfolge: erst die Deutung, dann das Staunen, gehorcht genau der Vorschrift signa et prodigia. Der Affekt darf nur am Gotteszeichen als Gotteshuldigung sich entzünden. So bindet auch Gregor an das Wunder ausdrücklich die Glorifikation: omnis populus glorificavit Deum, qui dignatus est tale miraculum ostendere servis suis. (10) Vor der Wunderdeutung spricht Gregor von einem einzigen anderen Anlaß des Staunens: In der Stadt, die er noch für heidnisch hält, trifft Malchus auf Zeichen des Christentums: vidit signum crucis supra portam, et stupefactus, miratus est, [ . . . ] audivit homines per Christi nomen iurare [ . . . ] , stupensque magis, dicebat [ . . . ] (7)
Alle anderen Angebote, die der Legendenstoff zur Ausmalung der sonderbaren Zeitverschiebung bereithält, spielen in Gregors Fassung kaum eine Rolle. Nicht so in der Leganda aurea: Der Situation, daß jemand über Nacht um Jahrhunderte versetzt wird, gewinnt sie eine Reihe von Staunensmomenten ab, die abseits von religiöser Erbauung als bloße Kuriosa die Erzählung würzen sollen. So staunt Malchus über die Mauerreste am Ausgang der Höhle (pidens lapides miratus est, 436), die Bäcker, dann die ganze Stadt, eigens genannt auch Bischof und Prokonsul über die alten Münzen (cum argenteos protulisset, mirati venditores, 436; eum mirantibus; episcopus et proconsul mirantes argenteos, 437) und schließlich wiederum Malchus über die Beteuerung, daß alle seine Verwandten, deren Namen er nennt, und auch der Kaiser Decius schon vor langer Zeit gestorben sind (ita stupeo, 437). Wiewohl diese wundersamen Details am 92
Ende alle zu dem einen miraculum zusammenlaufen, werden sie doch zunächst jedes für sich (mit größter Breite die Verwunderung über die alten Geldstücke) ohne Hinweis auf eine heilsgeschichtliche Bedeutung ausgemalt. Die Reihenfolge ist hier gegenüber Gregors Fassung genau umgekehrt. Dort ist bei jedem Ausdruck des Staunens schon im voraus der Bezug zum göttlichen Zeichen gegeben, hier entzündet sich der Affekt an lauter Merkwürdigkeiten, deren religiöse Deutung noch folgen muß. Das Wunderbare ist im Gegensatz zu Gregor nicht von vornherein ein signum Dei, es wird vielmehr erst von dem Theologen in der Erzählung, dem Bischof, dazu erklärt: Tunc episcopus cogitans et semet ipso dixit proconsuli, quia visio est, quam Deus vult ostendere in juvene isto. (437Ο
Gewiß enthält die Siebenschläferlegende der Legenda aurea kein unchristliches Wunderbares, denn es bleibt ja alles letztlich auf das eine miraculum bezogen. Wohl aber zeigt der Vergleich mit der theologisch strengeren Fassung des Gregor von Tours, daß ihre Darstellung dem Wunderbaren abseits von der heilsgeschichtlichen Bedeutung einen eigenen Raum gibt. Die Erzählung wird dadurch lebendiger: Die Legenda aurea schildert anschaulich die Verwirrung des durch die Zeit versetzten Malchus, bei Gregor dagegen dominiert die Lehre des Heiligen. Wo dieser doziert (»Gott hat mich erweckt, damit ihr an die Auferstehung des Leibes glaubt.« cf.9), ist jener darüber verblüfft, daß alle Namen, die er nennt, längst vergangen sein sollen (ita stupeo cf.437). Durch die erzählerische Lebendigkeit indes verliert das christliche Wunder, verliert analog das christliche Staunen die Strenge des theologischen Begriffs. Weitaus freizügiger als die Legenda aurea behandeln die Petrusakten17 das christliche Wunderbare, so daß ihre Klassifikation >apokryph< nicht allein als Standort neben dem Kanon, sondern geradezu als Opposition zur Rechtgläubigkeit aufgefaßt werden kann. Was ihre Darstellung von Wunder und Staunen betrifft, sind sie das genaue Gegenteil zur Vita Antonii. Wie bei Athanasius geht es hier um den Antagonismus zweier Mächte, die gegeneinander den Anspruch auf Wahrheit erheben: auf der einen Seite der Zauberer Simon, der die Bürger von Rom schon weitgehend vom Christentum ab auf seine Seite gebracht hat, nachdem sein bisheriger Widerpart Paulus zur Mission nach Spanien entsandt wurde, auf der anderen dann Petrus, den Gott als Ersatz für Paulus nach Rom schickt. Im Streit gelten Wundertaten als Argumente, wer die Menschen in Staunen versetzt, gewinnt sie als Anhänger. Die gesamte Erzählung besteht aus dem durch gegenseitige Uberbietung hochgeschaukelten Wettkampf zweier Männer, die sich beide durch mirabilia (das 17
A l s Textgrundlage dient der Abdruck in: Acta apostolorum apocrypha. Post C . Tischendorf denuo ediderunt R. A . Lipsius et M . Bonnet. Pars prior. Darmstadt 1959. Die Acta Petri, hg. von R. A . Lipsius, darin S. 45 — 103. Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Kapitelnummern.
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Wort steht sowohl für die Taten Simons als auch des Petrus, cf. IV und Vi) als Künder der wahren Religion zu legitimieren trachten. Was Athanasius aber qualitativ trennt (nur das Göttliche ist bei ihm das admirandum), entscheidet sich in den Petrusakten durch die Quantität. Das Göttliche erweist sich gegenüber dem Dämonischen allein dadurch, daß es den letzten Schlag im Wunderkampf zu versetzen vermag. Bei jedem Auftritt eines der beiden Kontrahenten steht wieder alles auf dem Spiel, und das staunende Publikum pendelt im Glauben hin und her. Auch wenn der Text sich gelegentlich um die Unterscheidung bemüht, daß nur die Taten des Petrus wahre Wunder (signa et prodigia), die des Simon dagegen carmina et magica figmenta (cf. XVI) seien, wird dies doch durch die Darstellung desavouiert. Denn bis auf die Ausnahme, daß Simon einmal die Wiedererweckung eines Toten nur vortäuscht, die Petrus dann gelingt (cf. XXVIII), sind die Taten der Antagonisten keineswegs als Wirklichkeit und Trug differenziert, und am Ende läßt der Autor keinen Zweifel daran, daß auch Simon >wirkliche Wunder< vollbringen kann: Er fliegt über Rom (cf. XXXII). Die Evidenz dieser Wundertat wendet sogar auf Petrus den Verdacht des Betrugs. »Wenn du Simons Flug nicht unterbrichst«, fleht er zu Jesus, »werden meine Wunder als Täuschungen erscheinen«: Si passus fueris hunc quod conatus est facere, omnes qui crediderunt in te scandalizantur, et quaecumque dedisti per me signa erunt fincta. ( X X X I I )
Die Entscheidung fällt schließlich nicht dadurch, daß Simon als Betrüger entlarvt würde, es ist vielmehr nur die stärkere Wunderkraft, die die schwächere buchstäblich zu Boden zwingt. Auf Petrus' Flehen hin stürzt Simon ab und bricht sich ein Bein. Die Zuschauer steinigen den Verlierer und rühmen den Sieger (cf. XXXII). Was der Text zu differenzieren vorgibt, ebnet die Darstellung ein. In dem vordergründigen, farbenfroh geschilderten Wettkampfgeschehen erscheinen Apostel und Zauberer nicht als Vertreter von Wahrheit und Trug, sondern als potentiell gleiche Gegner. Das macht die Erzählung spannend. Wenn am Ende der eine über den anderen siegt, ist darin nicht der notwendige Triumph des Göttlichen über das Dämonische zu sehen, der Zuschauer erlebt vielmehr bangend einen lange hinausgezögerten >KnockoutWunder< und >Staunen< höchste Dignität: Sie bezeichnen die Gotteserkenntnis als Gnadengeschenk des Schöpfers an sein Geschöpf. Weil das Göttliche mit der menschlichen Ratio inkommensurabel ist, kommt die Erkenntnis nur insofern zustande, als Gott sich von sich aus den Menschen zeigt, deren rationales Vermögen dadurch zu einer affektiven Gotteserfahrung überstiegen wird. Genau das ist die Bedeutung von miraculum einerseits, von admiratio und deren Intensivierung stupor andererseits. Wenngleich an der unterschiedlichen Verwendung der letzten beiden Termini gegenüber der neuplatonisch-mystischen Tradition das Vordringen eines an den Werken des Aristoteles orientierten Rationalismus abzulesen ist, beharrt doch die Theologie von Augustinus bis Thomas von Aquin auf dem Verbot, die Zeichen Gottes und das Erstaunliche, signum und prodigiutn, zu dissoziieren. Darin liegt ein doppelter Anspruch, der auf die Begriffe >Heilssorge< und >Devotion< zu bringen ist: Zum einen wird der Affekt der religiösen Erziehung verpflichtet. Nur das Göttliche darf in Erstaunen setzen, jeder andere Anlaß wäre eine das Seelenheil gefährdende Verführung. Sobald der Affekt sich aus der religiösen Bindung löst, wird er zur Sünde der Gottvergessenheit, des Sich-Verlierens an das Profane, was Augustinus als concupiscentia oculorum und — gegen die gerichtet, die der weltlichen Dichtung ihr Ohr leihen — Peter von Blois als concupiscentia aurium tadeln. Zum anderen schreibt die Formel signum et prodigium den Primat des Glaubens vor der Vernunft fest. Denn durch sie bleiben die signa Dei, die zu verstehen das Ziel der Erkenntnis ist, als unauflösbare prodigia der menschlichen Ratio entzogen. Mit der ersten Weisung, daß nur das Göttliche in Erstaunen versetzen darf, verbindet sich so die zweite, daß das Göttliche immer in Erstaunen setzen muß. Unüberwindliches Staunen, das dem rationalen Rückschluß von der Wirkung auf die Ursache vor Gott als der schlechthin allen verborgenen Ursache {causa simpliciter et omnibus occulta) die Grenze zieht, ist die Devotion der Vernunft vor der transzendenten Wahrheit. Durch den Begriff miraculum, dem die nicht in Wissen zu lösende admiratio entspricht, bewahrt Thomas von Aquin den Glauben vor den Ansprüchen der Vernunft. In der Trivialisierung des theologischen Begriffs liegt nur der anspruchslose Verzicht, nicht die bewußte Zersetzung der Doktrin. Diese wird vielmehr dem Wortlaut nach gehorsam repetiert, wiewohl die Darstellung zum Zwecke populärer Gefälligkeit und reizvoller Effekte den religiösen Gehalt preisgibt. Die Zersetzung des theologischen Begriffs beginnt erst dann, wenn der Affekt von der Heilssorge und der Devotion des Geschöpfs vor seinem Schöpfer gelöst und neu bewertet wird. Indem einerseits nicht mehr allein das Göttliche als 96
Faszinosum gelten darf und indem andererseits die Vernunft den Begriff des unauflösbaren miraculum anficht, vollzieht sich die Säkularisierung des Staunens. Den Anspruch der Vernunft, sich durch kein schlechthin Erstaunliches mehr im Nachvollzug der Kausalität beschränken zu lassen, setzt nach und nach die Naturphilosophie durch; die Neubewertung der Naturschönheit, vornehmlich aber die der vom Menschen geschaffenen Werke, der künstlerischen Vortrefflichkeit, erschließen ein weltliches Faszinosum, so daß Staunen nicht mehr als religiöse, sondern als ästhetische Erfahrung gewürdigt wird. Wie die Faszination durch die Vollkommenheit historisch zunächst an die Idee des Göttlichen gebunden ist und sich dann auf die Leistung der künstlerischen Imagination überträgt, skizziert Hans Robert Jauß.'8 Für diesen Prozeß der Ablösung der ästhetischen von der religiösen Erfahrung (Jauß S. 304) wird der Staunensbegriff zum vorzüglichen Indikator. Doch bevor dies an Zeugnissen der Renaissance zu verfolgen ist, soll einer prominenten frühen Säkularisierung des Staunens gedacht sein, deren Kühnheit, auf einen Menschen die Auszeichnung zu übertragen, die Gott vorbehalten war, sich durch eine weitere offenkundige Christus-Analogie noch bekräftigt. Es ist die Antonomasie für den Staufer Friedrich II., die noch im Jahre 1987 in einem Klappentext als buchhändlerisches Lockmittel in Kurs gesetzt wird, als Anreiz, ein Buch über den zu kaufen, den man »das Staunen der 'Welt« genannt hat.'9 Ihren Ursprung hat diese Formel in der Chronica maior, an der Matthäus von Paris bis zu seinem Lebensende im Jahre 12 59 schrieb. Am 13. Dezember 1250 vermerkt sie den Tod Friedrichs II., dem sie wie einen Grabspruch den Titel nachruft: stupor mundi et immutator mirahilis.'° Mit diesem Ausdruck der verehrenden Faszination verbindet der Chronist Matthäus dasselbe Zeichen, das der Evangelist Matthäus für den Tod Christi setzt: Er erwähnt, daß an dem Tag, an dem Friedrich starb, ein Erdbeben verzeichnet wurde (terremotus, cf. Mt 27,51: et terra mota est). Das Zusammentreffen beider Ereignisse sei gewiß nicht nichtssagend und ohne Bedeutung.11 Die Zeichen Gottes gehen auf den weltlichen Herrscher über, dessen Größe wie die göttliche Offenbarung ehrfürchtiges Staunen gebietet. Später — besonders im 16. und 17. Jahrhundert sind die Zeugnisse der den Büchern voranstehenden Huldigungen üppig — wird cf. den Abschnitt Das Vollkommene als Faszinosum des Imaginären
in: Jauß S. 3 0 3 -
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Kaiser Friedrich II. Sein Leben in zeitgenössischen Berichten. Ausgewählt sowie mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von K. J. Heinisch. München und Zürich 1987. (im Klappentext und auf dem Umschlagrücken.) Matthäus von Paris: Chronica maior. [Auszüge]. In: Monumenta Germaniae Historica. Scriptorum Tomus X X V I I I . Hannover 1888. [Nachdruck: Stuttgart, N e w York 1964] S. 1 0 7 - 3 8 9 . S. 319. a.a.O.: Obiit autem die sancte Lude, ut non videretur ea die terremotus sine significacione et inaniter evenisse.
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der Ausdruck des Staunens als Herrscherlob zu einer vom Absolutismus geforderten Konvention, in der Chronica maior des Matthäus von Paris dagegen ist es die kühne Säkularisierung des Begriffs, wenn das >Staunen der WeltStaunen der Welt< ist ein >weltliches StaunenStaunen der Welte N i la fureur de la flamme enragee, N i le tranchant du fer victorieux, N i le degat du soldat furieux, Qui tant de fois, Rome, t'a saccagee, Ni Ni Ni Ni
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coup sur coup ta fortune changee, le ronger des siecles envieux, le depit des hommes et des dieux, contre toi ta puissance rangee,
N i l'ebranler des vents impetueux, N i le debord de ce dieu tortueux Q u i tant de fois t'a couvert de son onde, O n t tellement ton orgueil abaisse, Q u e la grandeur du rien qu'ils t'ont laisse N e fasse encore emerveiller le monde. J
doppelten Wahrheitdoppelten Wahrheit< oder dem rationalistischen Angriff auf die Theologie auf sich hat, ist eine schwierige Frage/ Das beredteste Zeugnis hierfür stammt nicht von den neuen Aristotelikern selbst, sondern von den
'
Boethius Dacus (De Aeternitate Mundi. In: Boethii Daci Opera. Voluminis V I Pars II. Edidit N . G . Green-Pedersen. Kopenhagen 1976. S. 333 — 366. S. 33j f.): sententia enim philosophorum innititur demonstrationibus et ceteris rationibus possibilibus in rebus de quibus loquuntur; fides autem in multis innititur miraculis et non rationibus; quod enim tenetur propter hoc quod per rationes conclusum est, non est fides, sed seientia.
'
Die sententia philosophorum zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich auf die rationale demonstratio stützt. C f . A n m . 1.
3
Albertus Magnus: De generatione et corruptione. Lib. I, tr.i, cap. 22. In: Alberti Magni Opera Omnia. A d fidem codicum manuscriptorum edenda, apparatu critico notis prolegomenis indieibus instruenda curavit Institutum Alberti Magni Coloniense. W. Kübel praeside. Tomus V, pars II. Edidit P. Hossfeld. Münster 1980. S. 129.
4
C f . dazu Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. C f . hier Kap. 4.1, A n m . 23. Im besonderen Abschnitt 33: Radikale Aristoteliker: Siger von Brabant und Boethius von Dacien. S, 355 — 362.
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Verteidigern der Glaubenslehre. Im Jahre 1277 ließ der Pariser Bischof Tempier eine Liste von 219 Thesen aufstellen, die als Sammlung der verbotenen Ideen die Irrlehren der Artistenfakultät kenntlich machen sollte, damit jeder Magister sich rechtgläubig korrigiere oder den unfügsamen Kollegen anzeige.5 Aus der Vielzahl seien drei Thesen herausgegriffen (Nr. 153, 154 und 175): Quod nihil plus scitur propter scire theologiam. Quod sapientes mundi sunt philosophi tantum. Quod lex christiana impedit addiscere.
In diesen drei Behauptungen liegt der Ansatz zu einer Wissenschaft von der Welt (scientia mundi), die ihren Wissensfortschritt gegen das als erkenntnishemmend empfundene Gesetz des abgeschlossenen theologischen Systems durchsetzen will. Der Konflikt von Wissen und Glauben, der sich im aristotelischen Rationalismus und dessen bischöflicher Verurteilung zeigt, wird in den Texten des 13. Jahrhunderts nicht in seiner Konsequenz gedacht. Die Anwälte beider Seiten lassen das Nebeneinander von Vernunft- und Offenbarungswahrheit gelten, wobei die Auseinandersetzung darum geht, inwieweit die erste der zweiten unterzuordnen und wo die Zuständigkeitsgrenze zu ziehen sei. Fast zwei Jahrhunderte später führt im Werk des Nikolaus von Cues die radikale Formulierung dieses Konflikts zur Auflösung des scholastischen Systems. Der in der christlichen Schulphilosophie versuchten Harmonisierung von Vernunft und Glaube steht des Cusaners Prinzip der docta ignorantia entgegen, das aufgrund der Disproportionalität zwischen der Endlichkeit des menschlichen Verstandes und der Unendlichkeit des alles begründenden Göttlichen der Erkenntnis nur einen stets unvollkommenen und vorläufigen, wie Hans Blumenberg sagt, anstößigen, änderungswürdigen Status beimißt.6 Was zuvor in sicheres Wissen und ehrfürchtiges Nicht-Wissen getrennt war, verbindet sich zu einer dynamischen Erkenntnislehre. Die Methode der »belehrten UnwissenheitDefinition< charakterisiert ist, das Indefinite als unübersteigbare Situationsbedingung des Menschen entgegen.7 Dadurch verlieren die scholastischen quaestiones, die immer mit der Antwort auf die gestellte Frage schließen, ihre Endgültigkeit, so daß — ein drittes Mal Blumenberg — die Welt aus einem Bereich abschließbarer und für weitgehend abgeschlossen gehaltener Erfahrung zu
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C f . die kommentierte Ausgabe von Kurt Flasch: Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs von Paris übersetzt und erklärt. Mainz 1989. ( = excerpta classica VI)
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C f . Hans Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle: Cusaner und Nolaner. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von »Die Legitimität der Neuzeit«, vierter Teil. F r a n k f u r t a. M.: 3. Aufl. 198$. S. 46. ( = s u h r k a m p taschenbuch Wissenschaft 174) A.a.O. S. 5z.
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einem Feld prinzipiell stets überschreitbarer Gegebenheiten, zu einem unerschöpflichen Vorrat an Erkenntnisgegenständen wird.8 Daß kein sicheres und genaues Wissen möglich ist, muß nicht zur Resignation führen, sondern kann im Gegenteil dazu antreiben, den eigenen Erkenntnisstand zu erweitern und zu verbessern. Für dieses Ziel denkt der Cusaner an eine quantifizierende, messende Methode. Gewiß darf man das Werk des Nikolaus von Cues nicht ohne weiteres für eine den Fortschrittsgedanken der modernen Naturwissenschaften antizipierende Erkenntnislehre in Anspruch nehmen. Die Aufmerksamkeit, die sich ihm hier nur im Vorbeigehen zuwenden kann, wird sich an einem abschließenden Urteil darüber nicht verheben wollen. Was sich indes als ein Anzeichen einer >Epochenschwelle< bei ihm belegen läßt, ist das Ungenügen an dem System, das die menschliche Erkenntnis insgesamt zu umfassen und definitiv festzuschreiben meint, das Mangelbewußtsein vor dem entzogenen, statt der Zufriedenheit mit dem verbuchten Wissen. Eine neue Bedeutung des Staunens wird dafür zum vorzüglichen Indikator. Das zweite Buch der Docta ignorantia schließt unter der Kapitelüberschrift De admirabili arte divina in mundi et elementorum creatione9 mit einem Schöpferlob. Gleich der erste Satz bringt den traditionell zugehörigen Affekt zur Sprache, das Staunen über die Kunst und Erhabenheit Gottes, stupor artis et excellentiae divinae (175). Der zweite, mildere Terminus verbindet sich mit dem Weisheitswort (Sap. 11,21: omnia in mensura, et numero, et pondere disposuisti), das der Cusaner als biblischen Beleg für den ordo admirabilis der Schöpfung aufruft: Admirabili itaque ordine elementa constituta sunt per deum, qui >omnia in numero, pondere et mensura< creavit. (176) Schließlich verbal, mit der Künstlermetapher verbunden: Quis non admiraretur hunc opificem. (178) Bis hierhin liest sich das Kapitel als eine durchaus konventionelle admiratio creatoris: Die Künstlermetapher, das Zitat aus dem Buch der Weisheit sowie admiratio und stupor als Ausdruck der Verehrung und der Ehrfurcht gegenüber dem Schöpfer sind deren typische, oft wiederkehrende Motive. Doch was nach herkömmlichem Muster beginnt, nimmt nun eine neue Wendung. Den Affekt feiert Nikolaus von Cues nicht mehr als vernunftübersteigende Gotteserfahrung, im unauflösbaren Staunen sieht er vielmehr — ganz aristotelisch — eine Erkenntnissperre: In his tarn admirandis rebus [...} experimur [...] nos >omnium operum dei nullam< scire posse >rationemÜber die Wunder< (De Miraculis, Ttp S. 81-96) zur angemessenen Wiedergabe seines Inhalts besser den Titel >Uber die Nichtexistenz der sogenannten Wunder< trüge. Es ist irrig, erklärt Spinoza, die Zeugnisse Gottes in dem sehen zu wollen, was dem natürlichen Lauf der Dinge widerspricht, denn gerade im Umgekehrten, in der unabänderlichen Gesetzlichkeit besteht das Göttliche. Spinoza streitet gegen jede im Grunde anthropomorphe Gottesvorstellung, die einen lohnend und strafend oder nur zur Selbstdarstellung willkürlich in das Weltgeschehen eingreifenden Akteur imaginiert, um genau im Gegenteil, in der durch nichts zu beeinflussenden Determiniertheit das Göttliche zu be16
Gottfried Wilhelm Leibniz: Reponse aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M . Bayle, article Rorarius, sur le systeme de l'Harmonie preetablie. In: Die philosophischen Schriften von G . W. L. Hg. von C . Gerhardt. IV. Bd. Hildesheim, N e w York 1978. S. J 5 4 — 5 7 ' · S. $57. [ = Nachdruck der Ausgabe Berlin 1880.] C f . dazu Ernst Cassirer (Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil. Das mythische Denken. 7., unveränderte A u f l . Darmstadt 1977. S. 309.): Im System der universellen Harmonie gibt es keine >Wunder< mehr: wohl aber bedeutet die Harmonie selbst das dauernde und allgemeine Wunder, das alle besonderen in sich aufhebt und sie dadurch >absorbiertWunder< nennt, kann für Spinoza folglich kein Zeugnis, es müßte vielmehr eine Widerlegung Gottes sein. Doch >Wunder< gibt es nicht, lautet das Urteil, und alles, was die Bücher der Bibel als solche anführen, sind naturgesetzliche Erscheinungen, die nur deshalb für Wunder angesehen werden, weil entweder der Verstand der Verfasser zur ihrer Erklärung nicht hinreichte oder die Fabulierlust sie absichtlich ersonnen oder schließlich die mangelhaften Hebräischkenntnisse der späteren Leser sie sich selbst vorgemacht haben. Mit diesem Raisonnement — das ist vielfach aufgezeigt und gewürdigt worden — legt der Tractatus theologico-politicus den Grundstein für die historisch-kritische Bibellektüre. Als Beispiel, daß die von der Bibel erwähnten Wunderzeichen Gottes als gesetzmäßige Naturphänomene zu erklären sind, wählt Spinoza auch den Regenbogen: Wenn die Schöpfungsgeschichte ihn zum signum Dei für den neu geschlossenen Bund mit den Menschen macht (cf. Gen. 9,13 — 16), ist er doch nichts anderes als die Brechung und Reflexion des Sonnenlichts in den Wassertropfen.18 Das fromme Gemüt ist immer geneigt, dort ein Wunderzeichen zu sehen, wo die Vernunft Regeln bestätigt findet. Die sogenannte Tat Gottes ist nichts als die Aktualisierung eines Naturgesetzes. Der Wundertäter, so darf man in dieser Frage den Tractatus zusammenfassen, ist der vulgäre Gottesbegriff, der philosophische dagegen ist der der universalen Notwendigkeit. Ein Beispiel für die populäre Gottesvorstellung sieht Spinoza in einer Stelle des 2. Buches Moses, dem Bericht, wie der Herr den Israeliten unter Aufgebot von Blitz, Donner und Posaunenschall die zehn Gebote verkündet (cf. Ex. 19,16 — 20,18). Dieses Zeugnis vermittelt keine philosophica, seu mathematica certitudo de Dei existentia, es ist bloß ein spectaculum, um die einfachen Gemüter zur admiratio Dei und dadurch zum Glauben zu bewegen: kein durch die Vernunft begründeter, philosophischer Gottesbegriff, sondern ein durch das eindrucksvolle Getöse genährter Gottesglaube: non rationibus, sed tubarum strepitu, tonitru, & fulminibus eosdem adorsus est (cf. Ttp S. 179). Der Konflikt von Glaube und Vernunft löst sich somit durch die Frage nach dem intellektuellen Anspruch. Der Einfältige mag sich mit dem admirandum, dem unergründlichen Gott zufriedengeben, die Philosophen indes, qui non ex miraculis, sed ex claris conceptibus res conantur intellegere (Ttp S. 88), dürfen es nicht. Den höheren Anspruch einzulösen und ex claribus conceptibus den philosophischen Gottesbegriff zu entwickeln ist das Programm der Ethica. Auf die Cap. 9 Genes, vs. 13 ait Dens Noae, se iridem in nube daturum, quae etiam Dei actio nulla sane alia est, nisi radiorum solis refractio & reflexio, quam ipsi radii in aquae guttulis patiuntur. (Ttp S. 89)
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Gleichsetzung von Gott und Welt gründet sie einen uneingeschränkten Rationalismus, denn die Weltlichkeit Gottes, oder umgekehrt gesagt, die Göttlichkeit der Welt bedeutet für Spinoza nichts anderes als deren Kausalität, deren vollständige Determiniertheit durch das Gesetz von Ursache und Wirkung. Gotteserkenntnis und Welterkenntnis sind eins: das vernünftige Erfassen der immanenten Notwendigkeit. 1 ' Diesen Gottesbegriff stellt Spinoza den praejudicia, wie er sagt, entgegen, die Gott ein willkürliches, zweckgerichtetes Handeln unterstellen.30 Das ist der hauptsächliche Irrtum, belehrt das examen rationis (E S. 92) die Vorurteile, daß man immerzu Zwecke sehen will, wiewohl in Wahrheit alles auf der Determination durch Ursachen beruht. Die falsche Annahme der Finalität verhindert die Gotteserkenntnis. Sie allein, urteilt Spinoza, ist der Grund, warum man, zumal in der Frage der Theodizee durch die Uneinsichtigkeit der vermeintlichen göttlichen Absichten getrieben, die Unerklärbarkeit Gottes behauptet hat (cf. Ε S. 96). Staunen vor Gott ist die Ausflucht des schon im Ansatz fehlgeleiteten Fragens, dessen nämlich, das nicht auf die kausale Determiniertheit zielt, sondern Mutmaßungen über die göttlichen Zwecke anstellt. Mehr noch als nur eine Ausflucht kann es ein Mittel zur Bevormundung, der Zwang zur Unmündigkeit im Interesse derer sein, die sich als alleinige Ausleger des Verborgenen verehren lassen. Was als unergründliche göttliche Wahrheit gelten soll, ist bloß ein priesterlicher Betrug, der sich dadurch aufrechterhält, daß ein Ketzergericht zusammentritt, sobald jemand nicht mehr in gefügiger Dummheit staunt, sondern das miraculum zu lüften trachtet: Atque hinc fit, ut qui miraculorum causas veras quaerit, quique res naturales, ut doctus, intelligere, non autem, ut stultus, admirari studet, passim pro haeretico, & impio habeatur, & proclametur ab iis, quos vulgus, tanquam naturae, Deorumque interpretes, adorat. (E S. 100 f.)
Die Gottesgelehrten bestehen auf dem gläubigen stupor, weil sie selbst wissen, daß er das einzige Mittel ist, ihre Lehre und damit ihre Macht zu bewahren: N a m sciunt, quod, sublata ignorantia, stupor, hoc est, unicum argumentandi, tuendaeque suae auctoritatis medium, quod habent, tollitur. (E S. 102)
Der Dens admirabilis, so klagt Spinoza an, ist ein Betrug der Theologen, die strategische Entwertung der Vernunft, um die Doktrin zu schützen. Die Ethica stellt dagegen, wenn man so sagen darf, den Dens comprehensibilis, Gott als Kausalität der Welt — nicht in dem Sinne, daß er als Schöpfer ihr Urheber ist, 19
C f . dazu folgende Propositiones aus dem ersten Teil der Ethica, De Deo: (Prop. X V I I I , S. 54:) Deus est omnium rerum causa immanens [ . . . ] . (Prop. X X I X , S. 72:) In rerum natura nullam datur contingens, sed omnia ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad certo modo existendum, & operandum. (Prop. X X X I I I , S. 80:) Res nullo alio modo, neque alio ordine a Deo product potuerunt, quam productae sunt.
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Diese Auseinandersetzung führt der Anhang zum ersten Teil der Ethica, Ε S. 9 0 - 1 0 8 .
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sondern als das sie insgesamt bestimmende Prinzip der Kausalität. Auch für Spinoza ist damit die Erklärbarkeit der Welt durch Gott garantiert, doch ist der Garant nicht wie bei Descartes die transzendente Macht, der sich die Vernunft vertrauensvoll unterstellt, er ist vielmehr die immanente Schlüssigkeit selbst. Miraculum und Deus sind für Spinoza Gegensätze. Der Einwand der Vernunft gegen den religiösen Staunensbegriff, der sich vom Beginn des neuzeitlichen wissenschaftlichen Rationalismus an formuliert, klingt bei Spinoza am schärfsten. Er sieht in dem Affekt als Unterdrückung der wahren Erkenntnis die Strategie priesterlicher Machterhaltung. Die Naturforscher setzten gegen das Mirakel die Zuversicht: Was Erstaunen erregt, ist nicht das schlechthin, sondern nur das vorläufig noch Unerklärliche, das miraculum bedeutete nicht länger die Kapitulation, sondern als novum die Herausforderung der Vernunft. Bei Spinoza wird aus dieser Zuversicht die Anklage: Mirakel sind Betrug.
5.3 Universalisierung des Staunens: von der Renaissance- zur Barockpoetik Daß die poetologische Diskussion von der Renaissance zum Barock, nach deren Beitrag zur Geschichte des Staunens nun zu fragen ist, sich in ihrem Grundzug als normierende und reduzierende Rezeption der Aristotelischen Rhetorik und Poetik zeigt, hat die Literaturgeschichtsschreibung geflissentlich dargelegt. Dabei ist die Kontrastierung von Renaissanceklassizismus und barockem Manierismus einem entwicklungsgeschichtlichen Verständnis gewichen, das — alles Entscheidende geschieht in dieser Zeit zunächst in Italien — die Positionen der Secentisten als Ubersteigerungen aus denen des Cinquecento hervorgehen sieht. Die grobe Linie ist bekannt: Gegen Aristoteles, der gerade nicht der sprachkünstlerischen Formulierung, sondern dem gedanklichen und argumentativen Aufbau der Rede die größere Aufmerksamkeit schenkt, verengen die im Cinquecento in großer Zahl einsetzenden Ausgaben, Ubersetzungen und Kommentare der Rhetorik ihr Interesse mehr und mehr auf die elocutio, spezieller noch auf den ornatus, bis sich im folgenden Jahrhundert alles der stilistischen Artistik hingibt. Von Rhetorik und Poetik bleibt einzig die gemeinsame Schnittstelle, die Stilkunst, die Dichtung wird rhetorisiert. Das Leitbild ist der poeta rhetor, der durch sprachkünstlerische Fertigkeit — und damit fällt das Losungswort — Staunen erregt. Daß der Begriff meraviglia die Entwicklung der Poetik vom Cinque- zum Seicento erschließt, ist ebenso geläufig wie Marinos Vers, der als Merkspruch dafür Prominenz erlangt hat: E' del poeta il fin la meraviglia. Die rhetorische Wirkungstrias wird auf das movere, und dies wiederum auf das Verwundern eingeschränkt. Dichtung versteht sich als verblüffende Wortartistik, das Staunen, das sie erregt, gilt als Maß ihres Gelingens. 136
"Wenn nun mit ausgesuchten Beispielen die Linie von der Aristotelischen zur meraviglia-Poetik nachgezogen wird, geht es indes nicht allein um die Akzentverschiebung innerhalb eines dichtungstheoretischen Systems. Denn mit der meraviglia steht zugleich ihr Auslöser, das mirabile, zur Diskussion, woraus der nicht nur poetologische, sondern auch religiöse Streit um das christliche und heidnische Wunderbare entspringt. Wie der aristotelische Begriff der Wahrscheinlichkeit zur Glaubensfrage wird, zeigen Tassos Discorsi del poema eroico. Tassos Theorie des Epos ist die reichste Amplificatio des einen Aristoteles-Satzes, der dem Wunderbaren und dem Epischen eine besondere Affinität zuspricht (cf. Arist. Poet. i46oa,i2-13: das Wunderbare paßt besser zum Epos), wobei aus der korrigierenden Forderung der Wahrscheinlichkeit der Schluß gezogen wird, daß für ein christliches Publikum allein christliche Stoffe glaubwürdige Wunder hervorbringen können: non e verisimile, non e credibile al cristiano quel che e creduto da l'idolatra.' Die Worte non e credibile haben dabei zwei Lesarten: als Feststellung und als Vorschrift. Kann oder darf der Gläubige nicht für andere als christliche Wundergeschichten empfänglich sein? Der poetologische ist nicht unabhängig vom religiösen Staunensbegriff. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der wiederentdeckten antiken Dichtungstheorie gewinnt die Poetik vom Cinquecento an im Vergleich zu den vorigen Jahrhunderten eine ganz neue Eigenständigkeit, die sich aber erst dann richtig offenbart, wenn man nicht nur die antike Vorlage zum Vergleich heranzieht, sondern zugleich beachtet, wie das aus der Antike Wiedergewonnene in die christliche Tradition eingepaßt wird. Um die Bedeutung der Renaissanceund Barockpoetiken für die Begriffsgeschichte des Wunderbaren und des Staunens zu verstehen, bedarf es also eines doppelten Blicks. Zum einen ist auf ihre Eigenart gegenüber ihrer Grundlage, gegenüber Aristoteles, zu sehen, zum anderen auf ihre Weise, auf den von der christlichen Tradition gestellten religiösen Anspruch an den Affekt zu reagieren. Im zweiten Aspekt liegt der Zusammenhang mit dem, was in der Entwicklung der Kunstbetrachtung und der Naturforschung zu zeigen war. Auch die Poetiken zielen auf die Ablösung des miraculum durch das novum, der Ehrfurcht vor dem göttlichen Zeichen durch die Verlockung, den Genuß der vom Menschen geschaffenen Vollkommenheit. Auch hier die Säkularisierung des Staunens, die am Ende aber mit der stolzesten Ruhmrede auf den menschlichen Schöpfer, den Poeten, auf die nichtigste Vorstellung vom Thaumaturgen verfällt. Der prätentiöseste wird zum trivialsten Begriff des weltlichen Staunens. Bevor aber mit den Poetiken des Cinquecento zu beginnen ist, sei erwähnt, wie zuvor schon gegen die religiöse Verurteilung der Dichtung die theoretische Torquato Tasso: Discorsi del poema eroico. In: Τ. T.: Prosa. A cura di E. Mazzali. C o n una premessa di F. Flora. Milano, Napoli 1959. S. 487 — 729. S. 534. ( = La letteratura italiana. Storia e testi. Vol. 31.)
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Rechtfertigung der poetischen Fiktion versucht wird. Die Religion kontrastiert die dichterische Erfindung und die göttliche Wahrheit. Gegen die unwahren Geschichten der Dichter stellt sie ihre Legenden als wahrhaftige Berichte von der göttlichen Herrlichkeit. Wer nicht nur diesen, sondern auch jenen seine Aufmerksamkeit schenkt, irrt vom rechten Weg ab. Jede Faszination durch die Fiktion ist verderblich. Daß der höfische Roman sich als erster dagegen als ein bewußt fiktionales Faszinosum behauptet, hat Hans Robert Jauß gezeigt. Davon war kurz die Rede.' Einer der bekanntesten Anwälte der Dichtung, der deren Wert und Würde gegen die religiöse Ablehnung verficht und damit zugleich — das ordnet ihn in die hier verfolgte Ideengeschichte ein — dem Staunen vor dem Poetischen einen eigenen Erkenntniswert zumißt, ist Coluccio Salutati.3 In einem Brief an Giovanni da Samminiato verteidigt sich Salutati gegen den mönchischen Angriff, der ihn vom Studium der heidnischen Dichter (a poeticis et secularibus studiis, 171 f.) abbringen will. Sein Argument ist nicht neu, sondern entstammt einer ehrwürdigen Tradition, die in Italien zuletzt von Giovanni del Virgilio und Albertino Mussato erneuert wird:4 Es ist die potentielle Identität von Dichtung und Theologie als eines gleichnishaften, bildlichen Sprechens von einer anders nicht auszudrückenden Wahrheit. Die Poesie wird als einzig mögliche Vermittlung des Transzendenten sakralisiert. Was sich der direkten Benennung entzieht, kann nur indirekt durch die dichterische Sprache, per figuram et similitudinem (180), zum Bewußtsein gelangen. In vordergründig unwahren, erfundenen Geschichten die sonst unsagbare Wahrheit zu sagen ist die unersetzliche Erkenntnisleistung der Poesie: hic loquendi modus poeticus est, falsitatem corticitus pre se ferens, intrinsecus vero latentem continens veritatem. (177) Quod puris locutionibus non licebat, kann einzig die Sprache der Dichtung non proprie, sed distorte figuratisque verbis vermitteln (cf.181)· Poesie ist veritatis Studium sub cortice falsitatis (181). Dieses Argument ist nicht neu. Doch was in christlicher Tradition vor allem auf die poetischen Züge der Bibel bezogen blieb, weitet Salutati auf die Dichtung insgesamt aus und spricht dabei auch den heidnischen Autoren eine eigene poetisch vermittelte Wahrheit zu, die er nicht nur als mindere Vorahnung der christlichen gelten läßt, sondern als gleichwertig und vereinbar daneben stellt (nulla dissensio nichilque quod se
2 3
4
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Cf. hier das Ende von Kap. 4.3. Zitiert wird im folgenden aus der Epistola an fra Januar 1405 oder 1406. Das ist Nr. X X I I I im 14. Salutati. A cura di F. Novati. Vol. IV. Roma 190$. d'Italia 18,1) Die Nachweise erfolgen unmittelbar zahl.
Giovanni da Samminiato vom 25. Buch des Epistolario di Coluccio S. 170—205. ( = Fonti per la Storia im Text durch Angabe der Seiten-
Cf. dazu das Kapitel Poesie und Theologie bei Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Cf. hier Kap. 3.2, Anm. 2. S. 221 — 234.
mutuo destruat vel repugnet, 184). Die Sensibilität für diese poetische Wahrheit soll folgende rhetorische Frage wecken: sique voluerimus ad intrinseca vatum et poetarum intima debite curiositatis diligentia penetrare, nonne miras et latentes veritates inveniemus [ . . . ] ? ( 1 8 3)
Dieser Satz fordert auf, sich mit genauer Aufmerksamkeit, die geradezu als Pflicht des Lesers gegenüber dem Text gilt (1debite curiositatis diligentia), in die Dichter - so kann man Salutatis Bildlichkeit übersetzen — hineinzulesen. Wer sich so um das Verständnis der Dichtung bemüht, gewinnt Erkenntnis als Belohnung, die indes nicht nüchtern als Wissen verbucht, sondern affektiv erlebt wird: miras veritates inveniemus. Die poetische Wahrheit versetzt deshalb in Erstaunen, sie ist deshalb eine mira Veritas, weil sie sich erst dem tieferen Verständnis dort offenbart, wo das oberflächliche nur Unwahrheiten sieht. Im Affekt kommt somit zweierlei zum Ausdruck: sowohl die Überraschung durch das Unvermutete als auch die Ehrfurcht vor der verborgenen Würde. Die Lektüre ist das neue Offenbarungserlebnis, so daß an die Stelle des demütigen Schauderns vor der Gotteserscheinung nun das Staunen des Lesers tritt. Die Dichtung, die Sprache der Dichtung wird als Vermittlerin der Wahrheit zum Faszinosum. Damit legt Salutatis rhetorische Frage das Bekenntnis des Humanisten ab, der die scientia litterarum zum Kern seines Bildungsprogramms macht. Die gegenpolige Rechtfertigung der poetischen Fiktion findet sich bei dem, der die in der Wirkungsgeschichte für das Cinquecento exemplarisch gewordene Poetik geschrieben hat: bei Julius Caesar Scaliger. Nicht in seiner Poetik selbst, sondern in dem vier Jahre zuvor (1557) erschienenen Werk De subtilitate ad Hieronymum Cardanum bietet Scaliger eine lakonische Begründung, warum auch der Weise an den erfundenen Geschichten (die Homerica phasmata sind sein Beispiel) Gefallen finden darf. Seine Argumentation ist klar und einfach: Falsa [ . . . ] delectant: quia admirabilia. [ . . . ] A t quare delectant admirabilia ? Q u i a movent. C u r movent? Q u o n i a m nova.'
Auch hier gilt die Dichtung als Faszinosum, doch was Salutati mit dem Begriff der poetischen Wahrheit begründet, reduziert sich nun auf den Reiz des Neuen. Das Staunen des Lesers ist bloße Überraschung, die vom Dichter zu erzielende admiratio ergibt sich, in der rhetorischen Wirkungstrias gedacht, als Schnittmenge von delectare und movere: behagliche Affekterregung; das prodesse gerät aus dem Blick. Der Erkenntnisanspruch verliert sich in einem hedonistischen Dichtungsverständnis. '
Julius C a e s a r Scaliger: D e subtilitate ad H i e r o n y m u m C a r d a n u m . Paris 1557. S. 396. (— Exercitatio C C C V I I , 11) G e n a u dieser Stelle entstammen auch das nächste Zitat sowie das im folgenden Referierte. Einen H i n w e i s darauf fand ich bei H a n s Blumenberg: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans. S. 13, A n m . 6. C f . hier K a p . 3.2, A n m . 22.
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Zur Rechtfertigung der Fiktion geht Scaliger im Vergleich zu Salutati also genau den gegenläufigen Weg. Statt den Nachweis zu versuchen, daß das falsum sich dem tieferen Verständnis am Ende doch als das verum zu erkennen gibt, nimmt er den Angriffen auf die dichterischen Lügen die Spitze, indem er erklärt, daß diese gar nicht den Anspruch auf Wahrheit erheben, sondern lediglich als novum Beachtung suchen. Da die Wirklichkeit in ihrer Beschränktheit das Verlangen nach Neuem nicht genügend zu befriedigen vermag, bietet die Kunst willkommenen Ersatz. Sie ist der Trost für das, was in der Realität zu wünschen übrig bleibt, reizvolle Evasion aus dem Gewohnten. Welcher Verschleiß, d.h. welcher Drang zum immer Neuen daraus resultiert, wird indirekt durch die Kehrseite deutlich, die Scaliger nennt \At usitata quare non delectant ? Quia non movent. Wenn die Dichtung nur als novum Geltung beanspruchen kann, wird sie mit der Zeit schnell vergehen. Die Neuheit ist ein flüchtiger Reiz, und das Staunen des Lesers dann nichts als deren rascher Genuß. Freilich kommt mit diesen beiden knappen Hinweisen weder Salutatis noch Scaligers Position angemessen nuanciert in den Blick. Doch sollen die Zitate auch nicht jeweils einen Autor repräsentieren, sie stehen vielmehr für die beiden Pole, zwischen denen sich die meraviglia-Poetik
bewegt. In welcher Eigen-
schaft ist denn, um den Merkvers zu variieren, della poesia il fin la meraviglia ? A l s — und nun können Salutati und Scaliger die Stichworte für die Alternativen geben - mira Veritas oder mira novitas ? Welcher Anspruch liegt in dem Staunen, das die Dichter erregen? Hat es mehr mit Erkenntnis oder mehr mit vergnüglichem Reiz zu tun, oder ist es gerade deshalb das ganz Besondere, weil der Dichter wie kein anderer beides zu verbinden vermag? Mit naiver Vereinfachung weisen diese Fragen doch auf das Entscheidende, was nun in den Poetiken zur Diskussion steht. Das Schwanken zwischen den beiden Polen zeigt sich dabei nicht erst in dem Vergleich der verschiedenen Autoren, es gehört vielmehr zu jedem einzelnen von ihnen, es liegt, darf man sagen, in der Natur der Sache. Das wird am deutlichsten, wenn man die Frage für den speziellen Fall konkretisiert, der vielfach als pars pro toto für die Poesie insgesamt steht: die Metapher. Ist die Metapher die Aufdeckung verborgener Analogien oder stilistischer Schmuck? Versetzt sie in Staunen, weil sie Verbindungen offenbart, die ohne sie unerkannt blieben, oder geht es nur um den Spaß an einem rhetorischen und im übrigen keineswegs ernstzunehmenden Brückenschlag? Der zweite Gegensatz, der die poetologische Diskussion polarisiert, ist an die Namen Piaton und Aristoteles gebunden. Mit den Adjektiven >platonisch< und >aristotelisch< werden zwei grundsätzlich verschiedene Begriffe des poetischen Wunderbaren kontrastiert. Der eine gründet sich auf die Dignität, ja Heiligkeit des Kunstwerks als Offenbarung, der andere auf die Publikumspsychologie, auf ein rhetorisches Wirkungskalkül. Das ist die Spannweite des poetischen Faszinosums: Ist das Staunen vor der Dichtung säkularisierte Religiosität oder der Publikumserfolg eines routinierten Unterhaltungskünstlers? Daß 140
es auch hier nicht zu einseitigen Parteistellungen kommen muß, sondern das einzelne Werk durchaus ambivalent bleiben kann, hat sich beispielhaft schon in Ciceros De oratore gezeigt.6 Mit den aufgelisteten Oder-Fragen lassen sich weder die einzelnen Autoren noch gar ganze Epochen rubrizieren, sie stecken lediglich das Feld ab, auf dem sich alles bewegt. Wie diese Bewegung beginnt, lehrt Lodovico Castelvetros Kommentar zur Aristotelischen Poetik.7 Im letzten Absatz des neunten Kapitels heißt es bei Aristoteles, diejenigen Fabeln seien zu bevorzugen, die mehr den Charakter des Wunderbaren haben, weil dadurch die zu erregenden Affekte, Jammer und Schaudern, verstärkt werden (cf. Arist. Poet. 1452a, 1 —11). Dieser Gedanke, diese Stelle im Aristotelischen Text ist der Keimpunkt der meraviglia-Poetik. Was Aristoteles als Hilfsaffekt zur Katharsis8 nur am Rande erwähnt, rückt bei seinen späteren Auslegern mehr und mehr ins Zentrum. Der anfänglich untergeordnete Affekt - Aristoteles läßt die Verwunderung nur insofern gelten, als sie Jammer und Schaudern intensiviert — gewinnt den ersten Rang. Was Aristoteles zum Nutzen der Katharsis als Lizenz dem Dichter einräumt, wird nun zur Essenz. Erklären kann man diese Umwertung als >Kurzschluß< des Aristotelischen Arguments. Queste cose spaventevoli, & compassionevoli, paraphrasiert Castelvetro den Gedanken der Poetik, sono principalmente spaventevoli, & compassionevoli per opera della maraviglia. (123Ο Entscheidend ist in diesem Satz das Adverb. Mittelbar über die kathartischen Affekte Jammer und Schaudern sind hier das Ziel der Dichtung, delpoeta il fin, und das Staunen, la meraviglia, miteinander verknüpft, das principalmente aber verleitet dazu, den eigentlich erst an dritter Stelle stehenden Affekt unvermittelt zur Hauptsache, zur cosa principale, zu machen. Die ganze meraviglia-Poetik entsteht dadurch, könnte man zugespitzt sagen, daß an dieser Stelle der Aristotelischen Poetik die Formulierung vor allem [durch] den Charakter des Wunderbaren (cf. 1452a,} —5) aus ihrer argumentativen Unterordnung unter die Katharsis gelöst und zum generellen Leitwort erkoren wird. Bei Aristoteles wäre korrekt zu lesen: Das Ziel der Dichtung ist es, Jammer und Schaudern zu erregen, und diese beiden Affekte sind unter allen möglichen weiteren >vor allem< noch durch einen dritten, die Verwunderung, zu verstärken. In den neuen Poetiken werden die Enden dieses Arguments kurzgeschlossen: Das Ziel der Dichtung ist >vor allem< die Verwunderung. So wird aus der Katharsis- die meraviglia-Lehre, die neue Doktrin, die indes den Anspruch erhebt, nichts als die konsequente Fassung, nicht Konkur6 7
C f . hier das Ende von Kap. 3.2. Lodovico Castelvetro: Poetica d'Aristotele vulgarizzata, et sposta. Wien 1570. (Nachdruck: München 1968. = Poetiken des Cinquecento. Bd. i.) Die Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl und, da in der Ausgabe nur Doppelseiten gezählt sind, den Zusatz l[inks] und r[echts] nachgewiesen.
8
C f . hier Kap. 3.2. 141
renz, sondern Vollendung der alten zu sein, denn la maraviglia e il colmo dello spavento & della compassione (131I). Doch der Zusammenhang von Staunen und Katharsis, der Zusammenhang der drei Affekte wird hier lediglich zur Legitimation der meraviglia behauptet, ohne daß Castelvetro darauf einen weiteren Gedanken verwendete. Statt dessen hält er sich — alles sucht die Rückversicherung im kanonischen Grundtext
-
an eine andere Aristoteles-Stelle, an den kurzen Satz, der, nur für sich ohne Kontext beim Wort genommen, jeder hedonistischen Poetik das Konzept liefert: Das Wunderbare bereitet Vergnügen. (1460a, 17) Daß >der ganze Castelvetro< sich im wesentlichen auf folgenden Syllogismus reduzieren läßt, ist Gemeingut der einschlägigen Handbücher: 9 Die Dichtung soll vergnügen. Das Wunderbare (verstanden im Sinne Scaligers als mira novitas, die verwunderlichen, ungewöhnlichen Erfindungen, Fiktionen) bereitet Vergnügen. Also soll die Dichtung aus Wunderbarem bestehen. Das ist, ins Deutsche übersetzt, der Extrakt aus Castelvetros Sätzen: Poscia perche altri poteva domandare per qual cagione si richiedesse la maraviglia nella tragedia, & per proportione si richiedesse maggiore nell'epopea [>das Wunderbare paßt besser zum Epos
C f . den Absatz zu Patrizi bei Bernard Weinberg: A History of Literary Criticism in the Italian Renaissance. Vol. II. Chicago 1961. S. 7 6 5 - 7 8 6 . Dort S. 773: The whole concept of the marvelous is meant to stand in contradiction to any idea of poetic imitation, [...] an antidote to the modern Aristotelians. Weinberg a.a.O., S. 775: The rules, the chop-logic, the distinctions of the Aristotelians have been rejected, and their place has been taken by a mysticism of poetic wonderment.
'7
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C f . Gustav Rene Hocke: Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und Esoterische Kombinationskunst. Beiträge zur Vergleichenden Europäischen Literaturgeschichte. Hamburg 1959. S. 13J. ( = rowohlts deutsche enzyklopädie. Bd. 82/83.)
das Wort meraviglia.
Dabei wird aus der ganzen Vielfalt, die sich in der Be-
griffsgeschichte zeigt, je das gerade Benötigte ausgewählt, so daß sich am Ende kein schlüssiges Konzept, sondern ein disparates Nebeneinander der verschiedenen Bedeutungen ergibt. Die Universalisierung führt zur Entleerung des Begriffs. Je öfter er in den unterschiedlichsten Argumentationszusammenhängen aufgerufen wird, desto weniger bedeutet er. Wo das Wort meraviglia
alles sagen
soll, sagt es am Ende nichts, und es bleibt das Simpelste: far stupire als Effekthascherei. Genau dieser Prozeß ist bei Patrizi und Tesauro zu verfolgen. Daß in der meraviglia-Poetik
ursprünglich der Anspruch liegt, der theolo-
gischen und philosophischen Verurteilung der Dichtung als Irrlehre und Unernst entgegenzutreten, wird deutlich, wenn man beachtet, über welche Zitate Francesco Patrizi' 8 zum poetologischen Staunensbegriff hinführt. Das erste weist auf die theologische, das zweite auf die philosophische Interpretation des Affekts: «Tutte le divine cose sono ammirabili»
(258), zitiert Patrizi anfangs —
auch wenn er diesen Satz von Plutarch nimmt — den religiösen, den christlichen Anspruch an den Affekt, die Identifikation von Staunen und Gottesandacht. Mit Aristoteles und Piaton, mit den prominenten Sätzen aus der Metaphysik und dem Theaitetos, «per maraviglia
ruft er sodann den philosophischen Begriff auf:
gli huomini ed ora e da prima cominciarono
to da filosofo e questo affetto di maravigliarsi,
a filosofare», *mol-
perche altro principio che questo
non hebbe la filosofia» (262). Mit diesen Verweisen ist ein religiöser und erkenntnistheoretischer Ernst vorgegeben, hinter den Patrizi nicht zurückfallen, den er mit seinem poetologischen Staunensbegriff sogar übertreffen will. Es geht um eine ideengeschichtliche Eroberung: Die Begriffe >das Wunderbare< und >das Erstaunen< bestimmen in der Philosophie und Theologie die grundlegende Relation, um die es beiden geht: die von Objekt und Subjekt der Erkenntnis, von Gott und Mensch. Mit dem Affekt verbinden und beantworten sich so die entscheidenden erkenntnistheoretischen und religiösen Fragen. Wählt die Poetik dieselben Begriffe als Basis, so schließt sie damit ihre Sache, die Dichtung, an die der Philosophen und Theologen an. Was bislang deren Thema war, soll jetzt in die Poetologie eingehen. Wenn Patrizi die Dichtungstheorie auf die Begriffe mirabile und maraviglia
festlegt:
Stabiliscasi adunque per verissimo che universali e propri e prossimi fini di poesia sono i due sudetti: mirabile e maraviglia. Quello come forma intrinseca ed essenziale, e questa come effetto estrinseco di quello. ( 3 4 4 ) , dann liegt darin zugleich der umgekehrte Anspruch, daß diese Begriffe auch mit ihren erkenntnistheoretischen und religiösen Implikationen eigentlich zur ,s
Zitiert wird im folgenden aus seinem Opus magnum Deila Poetica, im besonderen aus dem La deca ammirabile überschriebenen Teil (von 1587). Als Textgrundlage dient: Francesco Patrizi da Cherso: Deila Poetica. Edizione critica a cura di Danilo Aguzzi Barbagli. Vol. II. Firenze 1969. La deca ammirabile dort S. 231 — 368. Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl. '45
Dichtung gehören und folglich erst von der Dichtungstheorie richtig erfaßt werden können. Zu sichern versucht Patrizi diesen Anspruch durch eine Distinktion, die allein den Sinn hat, der Dichtung als Summe aller Teile am Ende den höchsten Wert beizumessen: das göttliche, das natürliche und das künstliche Wunderbare. Dem ersten entspricht der religiöse Staunensbegriff, andächtige Ehrfurcht, dem zweiten der aristotelisch-philosophische, die Verlockung durch das Unbekannte, dem dritten Bewunderung als Anerkennung meisterlicher Regelbeherrschung, wofür Patrizi Pseudo-Longinos zitiert: *nell'arte da maraviglia lo esattissimo» (263). Damit wird der Anwalt des Erhabenen freilich für das eingesetzt, was er selbst für das Minderwertige hält, denn er kontrastiert das geringer zu schätzende Regelrechte der nicht in Regeln zu fassenden natürlichen Größe (cf. Ps.-Long. 36,3). Doch mit dem, was Patrizi dann als Summe zieht, zeigt er sich mit der Schrift Vom Erhabenen eng verwandt: Nur in der Dichtung, die sich in erster Linie der göttlichen Inspiration, dann aber auch der Natur und Kunst verdankt, sind wie nirgend sonst alle drei Arten des Wunderbaren vereint. Sie ist das höchste Faszinosum, weil sie als einzige das Göttliche (furore, divina spirazione), natura und arte verbindet: Nel quale mescolamento cht negberä che supremo mirabile non si truovi ? (286) Die Begriffe supremo mirabile und als dessen Wirkung entsprechend suprema maraviglia, mit denen die Dichtung hier ausgezeichnet wird, sind das Ergebnis reiner Akkumulation. Patrizi häuft alles zusammen, was er in der Uberlieferung findet, um jedesmal von neuem zu betonen: Das ist das Wunderbare der Dichtung. Daß hier ohne systematische Ordnung lediglich gesammelt wird, zeigt sich schon in der Fülle der immer nur als Stichwortgeber angeführten Zitate. Nie entwickelt Patrizi konsequent einen Gedanken, stets bringt er sich durch fleißig zusammengelesene Sätze auf neue. Alle Uberzeugungskraft verspricht er sich aus der Extension des leitenden Begriffs, wofür eine Vielzahl zumeist kurzer Allegate die Ideenmenge herbeischafft. Wenn man also fragt, was mirabile, was maraviglia bei Patrizi bedeutet, so muß die Antwort lauten: Alles was die Tradition bereithält, doch - und das ist das Eigene der Deca ammirabile - alles auf die Dichtung bezogen. Wie sich bei Patrizi die Kenntnis mit der bedenkenlosen Akkumulation der verschiedenen überlieferten Konzepte paart, führt in nuce eine Stelle vor Augen, an der er zwei polare Begriffsbestimmungen zwar zutreffend bezeichnet und in sicherer Wahl mit den richtigen Zeugen belegt, sie aber dann ohne einen Gedanken an ihre Gegensätzlichkeit einfach nebeneinanderstellt. Maraviglia, sagt er, ist inganno und incanto. Für das erste verweist er auf die Plutarch zugerechnete Schrift De vita et poesi Homert, die das poetische Wunderbare als Wirkungskalkül, als effektvoll konstruierte Paradoxien, Ubertreibungen und stilistischen Prunk versteht, für das zweite auf Pseudo-Longinos und dessen Vorstellung von dem ekstatischen Staunen vor dem Erhabenen (cf. 324 f.). Betrügen die Dichter durch den schönen Schein, oder sind — wie es die in der Deca am14 6
mirabile immer wieder angerufene platonisch-longinische Tradition will ihre Wunder analog zur göttlichen eine poetische Offenbarung? Patrizi spricht von dem einen wie von dem anderen, von dem Dichterphilosophen Orpheus, der, durch göttlichen Enthusiasmus bewegt — des Dichters eigene maraviglia -, im poetischen mirabile die Wahrheit kündet (cf. 261), und vom Unterhaltungskünstler, der jedem beliebigen Stoff einen Effekt abzugewinnen vermag (studiare di far mirabile ogni soggetto, Vol.III, 407). In welcher Eigenschaft der Dichter die Welt in Erstaunen setzt, als Prophet oder als Artist, ist für Patrizi keine Frage, ihm gilt alles gleich. Allen Nachdruck legt er darauf, daß im far stupire il mondo das Wesen der Dichtung besteht, was dies aber genauer sei, wird bei der parolenhaften Wiederholung des einen Leitbegriffs nicht deutlich. Am knappsten ist Patrizis Poetik wohl mit der Bemerkung zu charakterisieren, daß es ihr auf den Begriff maraviglia, und nicht auf dessen Klärung ankommt. Er wird nicht definiert, sondern expandiert, so daß er am Ende alles, ihn aber nichts mehr erklärt. Alle poetologischen Termini sollen durch den einen bestimmt sein. Cantare, so beginnt Patrizi, jedes Wort als Ableitung von maraviglia zu schreiben, ist fare maravigliar altrui (258), verso ist parlare maraviglioso (258), die lingua aliena, die eigentümliche dichterische Sprache, ist die lingua ammirabile (259): tutte le comunissime proprieta poetiche, schließt er, sono per sua natura maravigliose (260). Der umgekehrte Versuch, den Staunensbegriff durch andere verständlich zu machen, führt zu einer konzeptlosen Ansammlung von zwölf sogenannten fonti della maraviglia, die Patrizi nicht in eigener Argumentation plausibel zu machen sich bemüht, sondern aus kurzen Zitaten zusammenliest (cf. 302 — 305). Seine Zusammenfassung ist in der Tat, wie er selbst sagt, eine raccolta, und keine conclusione: Raccogliendo adunque tutti questi fonti della maraviglia, additatici da nobilissimi scrittori nel m o d o sopradetto, essi saranno questi seguenti dodici: ignoranza, favola, novitä, paradosso, inalzamento, tramutamento dall'usato, l'eccedente la natura, il divino, Futile grande, lo esattissimo, lo inaspettato, e il subito. (305)
Im Wechsel von tautologischen bis zu disparatesten Zusammenstellungen schafft diese Aufzählung ein reichliches Durcheinander. Warum Patrizi die verschiedenen Konzepte des poetischen Wunderbaren nur anhäuft, ohne sich über ihre Vereinbarkeit, ihre Entsprechungen und Widersprüche Gedanken zu machen, erklärt sich zum einen gewiß aus der Frontstellung, die seine Poetik bezieht. Der Begriff des mirabile hat im Grunde nur eine negative Identität, er ist durch den Gegner bestimmt, gegen den er aufgeboten wird: il verisimile und credibile. Insgesamt geht es den weiten Ausführungen Deila Poetica darum, gegen die Nachahmungs-Lehre und die daraus abzuleitende Forderung der Wahrscheinlichkeit das Wunderbare als Proprium der Dichtung zu behaupten. Die Verve des Angriffs herrscht vor, die alles Mögliche ins Feld führt, ohne dabei Sorge zu tragen, ob sich am Ende daraus ein schlüssiges Konzept ergeben kann. Doch ist mit dieser Opposition noch nicht alles erklärt. Die meraviglia-Poetik 147
bedeutet mehr als nur die Akzentverschiebung innerhalb des poetologischen Systems. Mit den verschiedenen Staunensbegriffen werden Ansprüche auf die Dichtung übertragen, die zuvor anderen Bereichen zugehörten. Aufschlußreicher als der Versuch, den Begriff des mirabile durch ein Dutzend anderer zu bestimmen, ist hierfür ein Satz, in dem Patrizi mit einem Vergleich sagt, was er meint: Certamente a noi pare che il mirabile tale dea essere nel poema, quale e la mente, ο la ragione, nelFhuomo. (329)
Die erste Deutung dieses Vergleichs wird gleich im Anschluß expliziert: So wie die Vernunft unter allen Lebewesen den Menschen, so zeichnet das Wunderbare unter allen Arten der Rede die Dichtung aus. Es ist in ihr nicht ein Element unter anderen, sondern das, was ihr Wesen ausmacht und von dem alles übrige in ihr abhängt. Die zweite, weiterreichende Deutung stellt sich nach und nach heraus: Es ist die Gleichsetzung der maraviglia mit der Tätigkeit von mente und ragione. In der Relation von mirabile und maraviglia, so greift Patrizi die philosophische Bedeutungsgeschichte seines Leitbegriffs auf, definiert sich das menschliche Erkenntnisvermögen. Dabei spricht er sowohl in platonischer Tradition vom Offenbarungserlebnis (cf. z.B. 261) als auch in aristotelischer vom Ansporn zum Wissen (cf. z.B. 367), beides steht bei ihm unvermittelt nebeneinander. Diese Relation soll nun aber eine Sache der Poetik sein, ihre Pole werden neu bestimmt als das Wunderbare der Dichtung und das Staunen des Lesers. In deren Verhältnis, so formuliert sich eine poetologische Anthropologie, liegt alles, was den Menschen zum Menschen macht, zwischen poetare und maravigliare, sagt Patrizi, verbirgt sich ogni umanita (cf. 331). Der Vergleich des mirabile mit der mente ο ragione umana gewinnt hier seinen ernsteren Sinn: Das Wesen der Dichtung und das Wesen des Menschen werden in eins gesetzt, das erste ist der einzige authentische Zeuge des zweiten. Das Streben nach Erkenntnis, das den Menschen auszeichnet, wird mit dem Hervorbringen und Wahrnehmen des poetischen Wunderbaren identifiziert. Maraviglia — als Offenbarungserlebnis oder als Dynamik des Wissenserwerbs klingt dies an verstreuten Stellen immer wieder an — soll synonym mit Erkenntnis sein. Daß Patrizi glaubt, mit der Analogie von mirabile und mente ο ragione umana sein Anliegen am besten zur Sprache gebracht zu haben, zeigt sich darin, daß er hier das einzige Mal in seinem dickleibigen Werk stolz seine Originalität beteuert. Kein Lehrer, kein Lobredner der Dichtkunst sei bislang darauf gekommen (cf. 330). Ein Geheimnis {secreto 330) habe er damit gelüftet, sagt Patrizi, und es trifft wohl zu, daß seine Analogie das verborgene Ziel der meravigliaPoetik kenntlich macht: Die Übertragung des philosophischen und religiösen Staunensbegriffs auf die Dichtung soll ihr als Vermittlerin der Wahrheit, als Medium der Erkenntnis höchste Würde verleihen. 148
Wie dieser Anspruch mit der banalen Auffassung vom mirabile als bloßem Effekt kontrastiert, wie er sich darunter verliert, führt die Deca ammirabile auf zweierlei Weise vor Augen. Zum einen mahnt sie es als gegenwärtigen Verfall an: Nur die älteren Dichter, geht die Klage, erfüllen den Erkenntnisanspruch, die neueren vernachlässigen ihn, indem sie sich — und dies ist die einzige Stelle, an der der Begriff pejorativ konnotiert ist — auf die sola maraviglia beschränken (cf. 354). Zum anderen aber zeigt sich bei Patrizi selbst, was er hier beklagt. Denn sein Konzept des poetischen Wunderbaren ist zu disparat, als daß nicht auch das Extrem der manieristischen meraviglia-Poetik, der concettismo, darin seine programmatischen Sätze fände. Unter all den verschiedenen Bestimmungen des mirabile kann man bei Patrizi auch eine rein stilartistische lesen: concetti e parole maravigliose (284). Sie wird nicht einmal als etwas Partikuläres, als eine Teilansicht vorgetragen, sondern als eine vollständige Definition des Poetischen: la poesia sei fattura di concetti e di parole maravigliose (284). Genauso könnte es auch im Hauptwerk der manieristischen Dichtungslehre stehen, in Emanuele Tesauros Cannocchiale Ar istotelico.19 Gleich der Titel exemplifiziert die Kernfigur des literarischen Manierismus, den concetto: Indem das Fernrohr, das Symbol der zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstehenden modernen Naturforschung, mit dem Namen Aristoteles, der von der neuen Wissenschaft bekämpften Schulautorität, zusammengebracht wird, schafft II Cannocchiale Aristotelico die verblüffende, stilistischwitzige Verbindung des Disparaten, die man mit einer Sammelbezeichnung für verschiedene rhetorische Figuren und Tropen (z.B. die Metapher, das Oxymoron) concetto oder - als Terminus für die sich darin ausdrückende Scharfsinnigkeit oder Spitzfindigkeit - acutezza (auch argutezza) nennt. Zutreffender jedoch als jede direkte Begriffsbestimmung ist die indirekte über das Wirkungsziel. Concetto ist die Art des sprachlichen Ausdrucks, die Staunen erregen soll. Zweierlei bedeutet dabei der Affekt: zunächst die Verblüffung, die Verwunderung über die ungewöhnliche Wortverbindung, dann die Bewunderung dessen, der auf solch eigenwillige Einfälle zu kommen weiß. In der meraviglia, auf die der Dichter aus ist, liegt so ein doppeltes Ziel: das Publikum durch Neuheiten zu unterhalten und sich selbst Anerkennung zu verschaffen. Im concetto wird die meraviglia-Poetik konkret. Dadurch schlägt das, was in Patrizis allseitiger Akkumulation unentschieden bleibt, in zwei Richtungen aus. Einerseits wird mit Genauigkeit zu bestimmen versucht, worin die Erkenntnisleistung des far stupire besteht: Durch die überraschende Kombination soll das concetto neue Zusammenhänge sehen lehren. Andererseits reduziert die
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Zitiert wird nach folgender Ausgabe: Emanuele Tesauro: II Cannocchiale Aristotelico. Hg. und eingeleitet von A . Buck. Bad Homburg, Berlin, Zürich 1968. (Neudruck der quinta impressione, Torino 1670. = A r s poetica. Texte, Bd. 5.) Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl.
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Festlegung auf eine Stilfigur die ganze Poetik auf die Rezeptur des sprachkünstlerischen Effekts. Hierin zeigt sich die Zwiespältigkeit der Konkretisierung: Neben dem Gewinn, den sonst unklar-allgemeinen Anspruch mit einem Beispiel belegen zu können, bedeutet sie auch einen Verlust, dann nämlich, wenn sich am Ende alles auf das Konkrete beschränkt und der Gedanke an die poetische Vermittlung von Erkenntnis nur noch der Anhang einer selbstgenügsamen Lust an der stilistischen Spitzfindigkeit ist. Schon der Titel-concetto hat diese Ambivalenz. Wer seine Poetik >Das Aristotelische Fernrohr< nennt, so kann man zu interpretieren beginnen, verbindet den Stolz des Modernen, mehr und schärfer zu sehen als die Alten, 10 mit der Anerkennung desjenigen, auf dessen Vorarbeiten er sich stützt. Genau so expliziert es Tesauro auf den ersten Seiten (cf. 2 f.), und ein dem Titelblatt vorangestellter Stahlstich macht es anschaulich -.Aristoteles überreicht der in der Gestalt einer Frau personifizierten Poesie ein Fernrohr, durch das sie zu Phoebus Apollon, dem Gott der Künste und Führer der Musen, emporblicktIm Titel wäre also folgendes über das Werk gesagt: Mit dem Uberlegenheitsbewußtsein der modernen Wissenschaft will es eine neue, die vorherigen übertreffende Dichtungslehre sein, wobei das Oxymoron, das das moderne Instrument mit dem alten Namen verbindet, für die Absicht steht, nicht gegen, sondern gestützt auf die Aristotelische Rhetorik und Poetik den Gegenstand nun genauer zu erfassen. Soweit die eine Lesart des concetto, die ihn als scharfsinnig-prägnanten Ausdruck eines komplexen Sachverhalts schätzt. Die andere mögliche Lesart wird verständlicher, wenn man für das heutige Publikum nachzuvollziehen versucht, wie Tesauros Titel wirkt. Er verbindet den antiken Namen mit dem modernsten astronomischen Beobachtungsinstrument, für das Bewußtsein des 20. Jahrhunderts ergäbe das etwa: >Das Aristotelische Radioteleskope Das soll man sich als Uberschrift einer Poetik vorstellen. Was überwiegt? Die Erkenntnis, daß sich darin Anspruch und Methode des Werks formulieren, oder der bloße Spaß an der anachronistischen Kombination? Das ist die Ambivalenz des concetto zwischen Ernst und Witz, dieselbe Ambivalenz auch des ihm zugehörigen meraviglia-üegriih. Als Definition des Poetischen bietet Tesauro eine einfache Formel: significare una cosa per altra (cf. 17). Dichtung bestimmt er generell als >uneigentliche RedeJ
C f . dazu Friedrich O h l y : Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: F. O.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt: 2. Aufl. 1985. S. 1 — 31, im besonderen S. 14.
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A.a.O. S. 15.
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einen Streich!« Daß ein Wort neben seiner eigentlichen zugleich drei übertragene Bedeutungen haben, daß es eine dreifache Metapher, ein dreifaches concetto sein kann, das fasziniert ihn: in una paroletta [durch den Diminutiv wird noch eindrucksvoller, was alles in einem >Wörtchen< stecken kann] havrai tre Concetti, & in an Concetto tre Metafore (61). Mit diesem Satz bezeugt Tesauro selbst, worauf der barocke meraviglia-Begriff hinausläuft. An dem Konzept des sensus spiritualis interessiert ihn einzig die quantitative Leistung, beim vierfachen Schriftsinn geht es ihm um das Vierfache, nicht um den Sinn. Wo die Exegeten das göttliche Ziel der Welt vernahmen, sieht Tesauro nur die potenzierte Metapher. Die meraviglia-veneratione, wie er den christlich interpretierten platonischen Staunensbegriff zitiert, wird bei ihm zur Hochachtung rhetorischer Fertigkeit. Das ist die eine Seite des Cannocchiale Aristotelico, die eine Bedeutung seines meraviglia-Begriffs: die äußerste Hochschätzung, ja die Sakralisierung, die Uberschätzung des Stilistischen. Damit zeigt sich in der Poetik das theoretische Pendant zur Überfunktion des Stils, die, wie Hugo Friedrich24 mit dieser bekanntgewordenen Formulierung sagt, die barocke Dichtungspraxis kennzeichnet. Dessen Kehrseite ist die Trivialisierung, die Mechanik des Effekts. Wer das formale Raffinement über alles stellt, läßt von der Dichtungslehre nichts übrig als den ornatus. Statt in der Vielfalt der Aspekte liegt aller Reichtum in der Ausführlichkeit des einen, statt gedanklicher Breite die Länge einer Liste, die einen rhetorischen Kniff an den anderen reiht. Im significare una cosa per altra, das die Dichtung definiert und durch das sie zum Faszinosum werden soll, geht es nicht mehr um die Verdeutlichung des einen durch das andere, um das significare, sondern allein um das möglichst häufige und möglichst weithergeholte una per altra. Statt Erkenntnis ist es Kurzweil, die sich im Affekt verheißt. Am klarsten wird dies, wenn man Tesauros Metaphernbegriff mit dem des Aristoteles vergleicht. Diesem gilt die Metapher als ein Kunstgriff, über den wörtlichen Bezeichnungsvorrat der Sprache hinaus durch Bedeutungsübertragung weitere Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen. Sie ist ein auf die genauere Erklärung einer Sache zielender Vergleich, nur syntaktisch kürzer und daher eleganter (sie ist die brevitas-Form des Vergleichs, lehrt die Rhetorik). Damit aber dieses Ziel erreicht wird, darf das metaphorisch Verbundene nicht zu entlegen voneinander sein, denn der ganze Wert der Stilfigur liegt in der für jeden nachvollziehbaren Erklärung des einen durch ein anderes. Daß die Metapher eine angenehme Verwunderung hervorruft, begründet Aristoteles ausschließlich mit dem Erkenntnisgewinn: Die ungewohnte Bedeutungsübertragung läßt erstaunen, dies Erstaunen ist angenehm, weil es etwas Neues zu erkennen verspricht (cf. Arist. Rhet. 1410b u. 1412a). Tesauro greift dies auf und erinnert mit Hugo Friedrich: Barocke Lyrik. In: H . F.: Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt a. M . 1964. S. 533 — 672. S. 533.
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der Begriffskette novitä - maraviglia - imparare - diletto an die Metapherntheorie, come ci 'nsegna il nostro Autore (cf. i66i), Daß aber die Lehre seines Autors, des Aristoteles, nicht zugleich seine eigene ist, sagt er mit folgendem Bedenken: niuna cosa piu ingordamente appetiscon gli Huomini, che il sapere\ ma niuna piü aborrono che 1 'imparare (122).
Wissen und Lernen sind hier als die Extreme von Lust und Leid kontrastiert. Um das erste zu gewinnen, ohne das zweite in Kauf nehmen zu müssen, bedarf es einer Wissensvermittlung ohne Lernen. Genau das bietet der bloße Reiz des Neuen, die Wahrnehmung von etwas, was man noch nicht kennt, ohne den Anspruch, es mit dem Bekannten in Beziehung zu setzen. Etwas Neues zu wissen zu bekommen, ohne lernen zu müssen, das augenblickhafte Registrieren eines ungewohnten, isolierten Eindrucks: Das ist die barocke meraviglia. Alle Kohärenz, für die in der Aristotelischen Rhetorik die Forderung nach Angemessenheit und der rechten Relation (prepon und analogon) des sprachlichen Ausdrucks bürgen (cf. 1408a), zerfällt in kuriose Einzelheiten. Die ideale Beziehung der Worte zueinander sowie zu dem, was sie bezeichnen sollen, wird die Beziehungslosigkeit, der in einem kurzen Geistesblitz — das ist die immer wieder gepriesene Leistung des ingegno — doch ein Vergleich abgewonnen wird, um aber sofort wieder zu zerstieben. Nicht zum Verständnis gesprochen, sondern zur Schaulust ausgestellt, sagt Tesauro mit einer in diesem Fall angemessenen Metapher, seien die Worte, jedes von ihnen un pien teatro di meraviglie (267). Unvermeidlich ist dabei der Verschleiß, der ständige Zwang zur Uberbietung. Die Dichtung wird zur Jagd nach immer weiteren concetti incompatibili, vom mirabile zum oltremirabile (cf. 446). Daß dies zum Uberdruß führen kann, daß die übertriebene Gefallsucht mitunter das Fadeste hervorbringt, mahnt eine im Grunde zwar ähnlich barocke, doch gemäßigtere Stil-Lehre der Zeit: la troppa ricchezza talvolta si converte in poverta,1S Wenngleich der Cannocchiale Aristotelico sich dem Wortlaut nach der Aristotelischen Definition der Metapher anschließt: parola pellegrina, velocemente significante un'obietto per mezzo di un altro (302), so übergeht er doch schnell das significare, um dem weitschweifenden Verwechslungsspiel des un'obietto per mezzo di un altro Raum zu geben. Jedes Verlangen nach Stimmigkeit, nach überlegter, richtiger Zuordnung, wirkt dabei nur als Hemmnis. Alles zielt darauf, di rallegrar l'animo degli Uditori con la piacevolezza, senza ingombro del vero (493). Von der Definition der Metapher und damit der Dichtung insgesamt bleibt am Ende nur das eine: parola pellegrina. Die Begriffskette, mit der Tesauro die Aristotelische Lehre referiert, wird im eigenen Konzept um das impaSforza Pallavicino: Trattato dello Stile e del Dialogo. [Auszüge] In: Trattatisti e narratori del Seicento. A cura di E. Raimondi. Milano, Napoli i960. S. 197 — 217. S. 213. ( = L a letteratura italiana. Storia e testi. Vol. 36.)
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rare verkürzt: novitä — meraviglia — diletto. Das angenehme Erstaunen, das die Metapher, das die Dichtung erregen soll, bedeutet dadurch im Gegensatz zu Aristoteles gerade nicht die verheißene, sondern die ersparte Erkenntnis. In dieser Umdeutung des Staunensbegriffs ist am genauesten zu erfassen, was allgemein die Rhetorisierung der Dichtung genannt wird. Es ist die Preisgabe des Erkenntnisanspruchs der Sprache, des Erkenntnisanspruchs der Dichtung. Was Patrizi durch die Eroberung des philosophischen und des religiösen meraviglia-Begriffs für die Dichtung zu gewinnen suchte, geht in der rhetorischen Konkretisierung verloren. Darin liegt die Ambivalenz dieser enzyklopädischem Poetiken. Sie umfassen die ganze begriffsgeschichtliche Vielfalt, ohne das, was sie alles aufnehmen wollen, zu einem schlüssigen Konzept integrieren zu können, so daß in der gedankenärmsten, doch handgreiflichsten Form der Dichtungslehre als Rezeptbuch für Tropen und Figuren am Ende nur das Simpelste bleibt: Staunen als Mechanik des stilistischen Effekts. Statt selbst ein durchdachter Begriff zu sein, hat meraviglia dann lediglich eine negative Identität. Sie ist der Gegensatz zur Langeweile. An einer Stelle nennt Tesauro beim Namen, was seinem Werk den verborgenen Zusammenhalt gibt, insofern von hier aus das ganze meraviglia-Konzept als eine Summe von Vermeidungsstrategien kenntlich wird: la noia, la nausea delle cose cotidiane (122$. Mirabile ist alles mögliche, was sich nur eignet, die Langeweile zu vertreiben, dessen Wirkung, meraviglia, ist Kurzweil, der flüchtige Genuß dessen, was ungewöhnlich genug ist, um rasch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber zugleich belanglos genug, um sie nicht zu lange in Anspruch zu nehmen. Staunen ist das Schlüsselwort der Renaissance- und Barockpoetiken. Als deren Leitbegriff drückt es deren Zwiespalt aus, in doppeltem, durchaus widersprüchlichem Sinne >Verselbständigung< zu sein: zum einen als Bemühen um eine selbständige, mit dem philosophischen und theologischen Erkenntnisanspruch sich messende Dichtungstheorie, zum anderen als Verselbständigung eines Teils, als Reduktion der aus der Antike wiedergewonnenen Poetik auf die Stilkunst. Je konkreter das zweite zur Ausführung kommt, desto weiter verliert sich das erste. So ergibt sich die Ambivalenz der Texte, daß sie dort, wo sie am genauesten werden, am anspruchslosesten sind und dort, wo sie am anspruchsvollsten sind, ihre Gedanken über eine zitatgestützte Ideensammlung hinaus nicht zu eigener Klarheit gelangen.
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6.
Aufklärung
6. ι Fremdverschuldete Unmündigkeit: Aufklärung als Austreibung des Staunens Für Entdeckerdrang und -Zuversicht der neuzeitlichen Naturwissenschaft steht metonymisch ein Name: Francis Bacon. Was ihn dazu ausersieht, sind nicht seine fachlichen Leistungen auf diesem Gebiet — hier hat Bacon am wenigsten zu bieten -, sondern sein rhetorisches Talent, der Uberzeugung von der wissenschaftlichen Beherrschbarkeit der Welt griffigen, anschaulichen Ausdruck zu geben. Das beste und auch bekannteste Beispiel ist hierfür das Titelblatt seiner Instanratio magna, das im Zusammenwirken von Bild und Text — ein Emblem des Forschergeists - den Bruch mit dem erkenntnistheoretischen Bescheidungsgebot Nec plus ultra darstellt. Zu sehen ist die Meerenge mit den Säulen des Herkules, dahinter der offene Ozean, auf den über die verbotene Schwelle hinaus schon zwei Schiffe sich aufgemacht haben, zu lesen steht darunter: Multi pertransibunt & augebitur scietttia.' Im Vorwort wird dieses Titelblatt überdeutlich expliziert. Bacon spricht von der intellektuellen Entdeckungsreise, der sich alle Bereiche der Natur öffnen sollen, damit der Mensch sie begreife und — auch diese Konnotation des zu neuen Ufern aufbrechenden Seefahrers fehlt nicht — sich unterwerfe und nutze. Uber die allgemeine Funktion hinaus, das Hemmnis des Erkenntnisdrangs zu symbolisieren, werden die Säulen des Herkules dabei auch in ihrer Zweizahl genauer bestimmt. Die eine sei die Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten, die andere die Uberschätzung dessen, was als überlieferte Wahrheit Geltung beansprucht. Honor et admiratio lauten die Begriffe, die für diese zweite Säule dann gesetzt werden: ehrfürchtiges Staunen vor der Autorität, von dem sich, so fordert Bacon, jeder wissenschaftlich gesinnte Mensch freimachen müsse.3 Wie bei Spinoza zeigt sich schon bei Bacon derselbe Umschwung in der Begriffsgeschichte des Staunens. Was als Schicksal des unvollkommenen Men'
C f . The Works of Francis Bacon. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von Spedding, Ellis und Heath. London 1 8 5 7 - 1 8 7 4 . In vierzehn Bänden. Stuttgart, Bad Cannstatt 1963. 1. Bd. S. 119.
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C f . den Anfang der Praefatio zur Instauratio magna. In der in A n m . 1 genannten Ausgabe S. 125.
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sehen galt, wird als Unterdrückungsstrategie angeklagt. Daß Staunen der Erkenntnis die Grenze setzt, bestimmt die platonische, neuplatonisch-christliche Tradition als condicio humana, doch statt die Beschränkung zu bedauern, preist sie die Grenze als Höhepunkt. Als ekstatische Intuition der Wahrheit zeugen ekplexis und stupor vom Gipfelglück des Wissens. Nicht Erfüllung, sondern Mangel sieht Nikolaus von Cues, aber die beklagte Blindheit vor Gott, der sich und sein Werk verbirgt, duldet er weiterhin fügsam als Schicksal. Diese Klage offensiv gegen weltliche Thaumaturgen zu richten ist das Werk Bacons und Spinozas. Staunen wird als erzwungene Unmündigkeit verurteilt, als affektive Sperre, überlieferte Autorität vor Kritik zu schützen. Die Sachwalter der tradierten Lehre, lautet der Vorwurf, sind wie Scharlatane, die durch Blendwerke betrügen und durch die Macht des Affekts die Menschen in gutgläubiger Einfalt halten. Staunen — so kann man sich die Kantische Definition borgen und variieren — ist die >fremdverschuldete Unmündigkeit (die selbstverschuldete wäre nach Bacon die andere Säule des Herkules, das Mißtrauen in die eigenen Fähigkeiten), aus der den Ausgang zu finden zum Programm der Aufklärung wird. Bacon ist der >richtige MannHäuser der Blendwerke< so etwas wie eine Impfsta>
Francis Bacon: N e w Atlantis. Nach der in A n m . 1 genannten Ausgabe. 3. Bd. S. 125 — 166. S. 156. Die weiteren Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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tion gegen das Staunen. Das ist der Schlußstein im naturwissenschaftlich-technischen Weltbau des Hauses Salomons: sich durch nichts Wunderbares affektiv einnehmen lassen, sondern allem, was sich als solches ausgibt, mit der Uberzeugung begegnen, daß es vollständig erklärbar, vollständig auflösbar ist. Der Staunende ist das Gegenbild des aufgeklärten Menschen, Aufklärung kann insgesamt als Beseitigung dieses Affekts, nach eigener Interpretation als Heilung davon verstanden werden. Auch als Religionskritik ist die Aufklärung, wie es z.B. bei David Hume zu lesen ist, in ihrem Kern Staunenskritik: Das religiöse Empfinden erwachse aus einer krankhaften Staunlust {love of wonder), der der gesunde Verstand (common sense) mit dem Ziel entgegentreten müsse wie in Bacons houses of deceits to undeceive the deluded multitude.4' Staunen gehört nun nur noch in ein einziges Kapitel: die Pathologie der Vernunft, SichWundern gilt als Fehlfunktion der Instanz, die sich eigentlich Klarheit über alles verschaffen soll. Ob als Ehrfurcht vor der tradierten Autorität oder als Blendung durch das vermeintlich Unerklärliche (die neue Wissenschaft will beide als dasselbe, als denselben Betrug aufdecken): Staunen wird grundsätzlich zum Antonym von Aufklärung, so daß sich jede Verknüpfung des Affekts mit der Erkenntnis verbietet. So paßt auch das thaumazein nicht mehr ins philosophische System. Wie Descartes es zuvor schon unternahm, wird der affektive durch den voluntativen Erkenntnisantrieb ersetzt. Dies zeigt sich in schöner Konsequenz zunächst beim Vorreiter, dann beim Schulhaupt der deutschen Aufklärungsphilosophie, bei Christian Thomasius und Christian Wolff. Von wegen der Verwunderung fiengen die Menschen an zu philosophiren: Nur als Zitat, und nicht als eigenen Gedanken schreibt Thomasius diesen Satz in seiner Ausübung der Sittenlehre J Daß der Affekt die Menschen von der Unwissenheit auf den Weg zur Wahrheit bringt, kann er lediglich als bekante ( 1 1 4 , 1 6 ) Meinung erinnern, ohne sie selbst zu teilen, denn für ihn führt die Verwunderung gerade nicht zu dem, worauf es ankommt, zum Wissen des Wissenswerten, sondern zu den Belanglosigkeiten: ja man verwundert sich öfters umb nichtswürdige und leichte Dinge (115,18). Im Gegensatz zu Aristoteles, der vom Aufstreben vom unmittelbar Auffälligen über Größeres bis zu den wichtigsten Fragen der Philosophie spricht (cf. Arist. Metaph. 982^13 — 17), sieht Thomasius in der Verwunderung genau umgekehrt die Tendenz weg von allem Ernsthaften zu reinem Ulk. Was die meisten und am meisten in Erstaunen set4
C f . das Kapitel Of Miracles bei David Hume: A n Enquiry concerning Human Understanding. In: D . H.: The Philosophical Works. Edited by Τ. Η . Green and Τ. Η . Grose. Vol. 4- Reprint of the new edition London ι88ί. Aalen 1964. S. 88 —108. Die Zitate S. 95 und roy.
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Christian Thomasius: Von der Artzeney wieder die unvernünftige Liebe, und der zuvor nöthigen Erkäntniß Sein Selbst. Oder: Ausübung der Sittenlehre. Halle 1720. S. 114, § 16. Die weiteren Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl und des Paragraphen nachgewiesen.
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ze, sei doch die eitle Kunst eines Gauklers, der in einem Sacke Eyer macht (115,18). Gegen die Vorstellung, das Staunen dränge über sich hinaus zur Einsicht, tritt Thomasius als klügerer Sittenkritiker auf und verurteilt den Affekt als dummes Vergnügen der trägen Vernunft, beklagt es als ein Laster der Menschen, daß sie insgemein die Verwunderung mehr lieben als die Wissenschaft (124,44). Am Ende ergibt sich dadurch genau das Gegenteil von dem, was anfangs als bekannt zitiert wurde: Als Lust am Nichtwissen ist die Verwunderung gerade nicht der Ursprung, sondern die Verhinderung der Philosophie, nicht weil sie sich verwunderten, begannen die Menschen zu philosophieren, sondern weil einige sich von der Verwunderung, dieser närrischen Begierde (125,46), zu befreien vermochten. Als Tugend und Laster (cf. 125,46) werden der wahre Weg zur Weisheit und der affektive Antrieb kontrastiert. Einen ganzen Lasterkatalog des Staunens stellt Thomasius auf: Der Wollüstige liebe die Verwunderung, weil er in allem Seltzamen sich Befriedigung verspricht (cf. 125,47), der Ehrgeitzige, weil sie das einfachste Mittel ist, sich Geltung zu verschaffen (cf. 125,48), und der Geldgeitzige, weil man verwunderns-würdige Dinge mit vielem Gelde bezahlet (cf. 125^49). Als Sammelplatz dieser Untugend, der alle Lasterhaftigkeit des Staunens vereint, macht Thomasius schließlich den überkommenen Universitätsbetrieb aus: Wollust der Studenten sowie Ehr- und Geldgeitz der Professoren, die Dinge lehren, die niemand versteht, und viele verwundern, und zu deren Erklärung immer weitere aufgeboten werden, die noch weniger verständlich und also wundersamer sind (i26,5of). Damit ist genau die admiratio gemeint, die Bacon als Ehrfurcht vor der überlieferten Autorität tadelt. Daß Thomasius sich davon befreit hat und daß er seine Leser davon befreien will, bekräftigt die Geste aufgeklärter Einsicht, mit der die Kritik an der falschen Weißheit (126,50) der Universitäten eingeleitet wird: Was wollen wir uns dannenhero wundern... (126,50 und wiederholt 51). Thomasius kennt Staunen nur als Laster, so daß er den Satz vom affektiven Ursprung der Philosophie ablehnen muß. Was aber an dessen Stelle tritt, ist bei ihm selbst noch nicht klar formuliert, sondern erst bei dem Systematiker, der in seinem jeweils Vernünfftige Gedancken betitelten Lehrbuchzyklus den ganzen Bereich des Wissens ausschreitet. In den Vernünftigen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen6 kommt Wolff in dem Kapitel Von den Pflichten gegen den Verstand, d.h. bei der Erörterung, was der Auftrag, nach so vieler Erkäntniß zu trachten, als zu erlangen möglich ist, den Menschen zu thun und zu
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Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit. Die vierdte Auflage hin und wieder vermehret. Frankfurt und Leipzig 1733. (Neudruck, mit einer Einleitung von H . W. Arndt. Hildesheim, N e w York 1976. = C . W.: Gesammelte Werke. I. Abt., 4. Bd.) Die Nachweise erfolgen unmittelbar im Text durch Angabe der Seiten- und Paragraphenzahl.
lassen vorschreibt (cf. 164t, 253 und 255), auf die Verwunderung zu sprechen. Die Quintessenz heißt freilich, daß sie zu lassen ist, daß Staunen für den, der erkennen soll, sich nicht geziemt. Nach dem Verhältnis von Verwunderung und Erkenntnis, genauer: wie die erste zum Kennzeichen der zweiten dient, fragt Wolff und gibt sogleich die Antwort: dadurch, daß sich beide ausschließen. Liegt die eine vor, muß die andere fehlen: Wenn man demnach erforschen will, ob einer in Erkäntniß einiger Wahrheiten geübet ist, oder nicht; so darf man nur acht geben, ob er sich darüber wundert, wenn von dergleichen Wahrheiten geredet wird. Denn wer sich darüber wundert, der leget dadurch seine Unwissenheit an den Tag. (227^)47)
Daß aus dem Affekt der Eiffer für die Aufnahme der Wissenschaft entspringe, daß Staunen also noch in einem anderen Zusammenhang mit der Philosophie stehen könne als dem, ihr negativer Indikator zu sein, ist für Wolff ein ebenso fremder Gedanke wie für Thomasius. Die Lust an der Erkenntnis und die Verwunderung, die Aristoteles im thaumazein verbindet, dürfe man nicht vermengen, man müsse sich hier wohl in acht nehmen und unterscheiden (cf. 228,348). Was statt der Verwunderung der Antrieb zu neuer Erkenntnis sei, versucht Wolff begrifflich zunächst aus dem Wort >Philosophie< selbst zu gewinnen: die Liebe zur Wahrheit. Wie er dabei aber den Begriff >Liebe< versteht, sagt der zur Erläuterung angeführte Vergleich: Freude und Vergnügen über uns noch nicht erkandte Wahrheiten zeigen einen grossen E i f f e r für die Aufnahme der Wissenschafften an. Denn man siehet daraus eine grosse Liebe zur Wahrheit: der E i f f e r aber entstehet aus der Liebe. Wer die Wahrheit liebet, trachtet darnach, wie er viele erkennen kan, gleich wie ein Liebhaber des Geldes sich eiffrig bezeiget Geld zu erwerben. (2 29,349)
Man muß nicht gleich groß vom Sündenfall in wirtschaftliche Gewinnsucht sprechen, wenn man darauf sieht, daß dieser Paragraph bei Christian Wolff, der die Liebe zur Wahrheit mit der zum Geld, den Wissenserwerb mit dem Gelderwerb in Analogie setzt, das Erkenntnis- zum Profitstreben macht. Hier beginnt der Begriffswechsel, der mit der Tradition des thaumazein bricht, um zu einer neuen, zur neuzeitlichen Motivation der Wissenschaft zu führen, zum >InteresseInteresse< also, erklärt.8 Die Dynamik des Geldes leiht den Begriff für die der Wissenschaft. Wer Erstaunen durch Interesse ersetzt, zielt auf eine Ökonomie der Erkenntnis: Nur noch für das darf man sich empfänglich zeigen, was sich lohnt. Interesse ergibt sich aus der Korrektur, die der rechnende Verstand am Affekt vornimmt. Es bleibt das affektive Moment, daß ein Phänomen sich der Aufmerksamkeit bemächtigt, doch hinzu tritt das voluntative, das aus allem, was sich darbietet, das Lohnende, aus dem Uninteressanten das Interessante sondert. Im Staunen, so kann man mit einer Metapher sagen, die zum Emanzipationsbewußtsein der Aufklärung paßt, wird der Mensch von den Gegenständen beherrscht, die sich zur Beachtung aufdrängen, im Interesse aber herrscht der Mensch über die Gegenstände, indem er sich einen nach dem anderen zur Befragung vornimmt. Nirgends zeigt sich besser das Selbstgefühl der aufgeklärten Wissenschaften als darin, daß sie mit der Begriffstradition des thaumazein bricht. Der Passivität des Affekts will sie entkommen, um aktiv nach eigenem Interesse sich die Welt anzueignen. Läßt sich die wissenschaftliche Weltbeherrschung als Austreibung des Staunens verstehen, so ist es - im nächsten Schritt — folgerichtig, daß die Kritik an ihr, der Versuch einer Alternative sich als das Bestreben darstellt, den verteufelten Affekt zu rehabilitieren. Mit dem Vorwurf, daß die moderne Wissenschaft die Natur zwar beherrschen, aber nicht verstehen lehre, daß sie, statt die Phänomene der menschlichen Erfahrung zu erschließen, alles auf technische Daten reduziere, soll der Staunensbegriff als angemessenes Verständnis, zugleich als Achtung der Natur wiedereingesetzt werden. Paradigmatisch ist hierfür ein Streit in der Wissenschaftsgeschichte, der zwar fachlich längst entschieden ist, doch immer dann unter ausdrücklicher Würdigung des wissenschaftlich Unterlegenen in Erinnerung gerufen wird, wenn die Naturwissenschaft ihren Mangel empfindet: Goethes Streit gegen Newtons Spektralzerlegung des Lichts. Es sind *
Popularisiert wird der Begriff »Interesses vermittelt über den des Interessirenden als das, was sich unserer Aufmerksamkeit
bemächtigt,
in Deutschland durch Christian
Garve (Einige Gedanken über das Interessirende, zuerst 1771, jetzt neu in C . G . : Popularphilosophische Schriften über literarische, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände. Im Faksimiledruck hg. von K. Wölfel. Bd. 1. Stuttgart 1974. S. 161 — 347. Zitat S. 163. = Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 18. Jahrhunderts.). Der Profit ist dabei ausdrücklich mitgedacht, insofern das Interessirende auch mit dem übereinkomme, was zur Beförderung unseres Eigennutzes etwas heytragen kann (163). Einen begriffsgeschichtlichen Abriß über das »Interesse« gibt das Historische Wörterbuch der Philosophie. Hg. von J. Ritter und K. Gründer. Bd. 4. Basel/ Stuttgart 1976. Sp. 4 7 9 - 4 9 4 .
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nicht nur der Physik unkundige Philologen oder schwärmerische Goetheaner, die der Farbenlehre gegenüber den Opticks einen eigenen Wert zuerkennen. Auch einer der Großen vom Fach, Werner Heisenberg, würdigt Goethes aus der erlebten Natur entwickelte Vorstellungen als eine notwendige Ergänzung zu der Newtonschen Forschung, die für die moderne Naturwissenschaft ein entscheidender Schritt sei in Richtung auf eine abstrakte, der lebendigen Anschauung entzogene Naturbeherrschung.9 Der Streit um die exakten Wissenschaften, der Stolz auf ihre Leistungen und das Unbehagen daran, ist der Streit ums Staunen. Das führt wie kein zweiter der Fall Newton vor Augen, von seinem ersten Enkomiasten Edmond Halley bis zu seinem leidenschaftlichen Gegner Goethe. Das achtzehnte Jahrhundert stilisiert Newton zur Symbolfigur der naturerobernden Wissenschaft, zum Wohltäter der Menschheit, der alle Geheimnisse der Welt durch eine erklärende Formel — das Gravitationsgesetz — lüftet und sie dadurch für die Menschen berechen- und nutzbar macht. Eine reiche Newton-Panegyrik blüht, deren Auftakt ein Lobgedicht des Physikerkollegen Edmond Halley gibt. Das lateinische Original steht der ersten Auflage von Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (1687) voran und verbreitet sich dann im folgenden Jahrhundert in mehreren englischen Ubersetzungen durch Zeitschriften und Anthologien.10 Welchen Segen die Newtonsche Mathematisierung der Welt bedeutet, formuliert Halley am deutlichsten dort, wo er sein eigenes Forschungsgebiet als Beispiel anführt, die Kometenbewegung. Dort, wo er am ehesten die Leistung Newtons auch für sich selbst beanspruchen darf, wo sich also in das Lob des großen Kollegen der Stolz auf die eigene Arbeit mischt, kommt Halley auf das Staunen zu sprechen: Jam patet horrificis quae sit via flexa Cometis, Jam non miramur barbati Phaenomena Astri. (17Ο What course the dire tremendous comets steer We know, nor wonder at their prone career (ijf),
sagt eine englische Version. Was man die wissenschaftliche >Entzauberung< der Welt nennt, stellt dieses Verspaar als Uberwindung des Staunens dar. Der Af-
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C f . Werner Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. In: Goethe im X X . Jahrhundert. Spiegelungen und Deutungen. Hg. von H . Mayer. Hamburg 1967. S. 418 — 432. Die beiden Zitate S. 419 und 418.
0
C f . Bernhard Fabian: Edmond Hal leys Encomium auf Isaac Newton. Zur Wirkungsgeschichte von Lukrez. In: Renatae Litterae. Studien zum Nachleben der Antike und zur europäischen Renaissance. August Buck zum 60. Geburtstag am 3.12.1971 dargebracht von Freunden und Schülern. Hg. von K. Heitmann und E. Schroeder. Frankfurt a. M. 1973. S. 273 — 290. Hier sind sowohl das lateinische Original (S. 278 — 281) als auch eine Ubersetzung (von F. Fawkes aus dem Jahre 1755, S. 281 — 283) abgedruckt, die Zitate daraus werden unmittelbar im Text durch Angabe der Verszahl nachgewiesen.
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fekt ist der Schrecken vor dem Unerklärlichen, die Starre vor der unberechenbaren Drohung, von der die Rechnungen des Naturforschers befreien. Wird dabei das Ziel gesteckt, am Ende die ganze Vielfalt der Erscheinungen auf eine einzige, alles erklärende >Weltformel< zurückzuführen, so ist doch dies, was die Wissenschaft nur als ferne Vollendung erträumt, in der Meta-Wissenschaft, in der Erkenntnistheorie, schon erreicht. Denn hier ist schon alles mit einer Formel gesagt: We know, nor wonder. Diese Selbstversicherung des Wissenden impliziert ein klares erkenntnistheoretisches Modell: Die ganze Welt ist eine Menge von Rechenaufgaben, die sich unter der Aufschrift we know in die Gruppe der gelösten und der Aufschrift we wonder in die der noch ungelösten teilt. Die Verneinung des Staunens wird zum Programm, alle Phänomene zu Parametern von Gleichungen zu machen. Erkenntnis ist Berechnung. So wie die Kontrastierung von knowledge und wonder der Grundsatz der mathematischen Naturwissenschaften ist, formuliert sich der Widerspruch gegen sie in dem Versuch, das hier Entgegengesetzte neu zu vereinen. Wissenschaftskritik als Rehabilitierung des Affekts: Das ist die Forderung, die Naturerkenntnis nie von der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung, nie von dem Naturerleben des Menschen zu lösen. Vor der vollständigen Mathematisierung soll sich eine affektive Welterfahrung bewahren. Aus Halleys nor wird and: Wissen und Staunen heißt das Gebot, wobei der Affekt für all das stehen soll, was das Wissen als reine Berechnung vermissen läßt. Wer der klaren Sprache der Mathematik ein Defizit vorhält, handelt sich selbst schnell den Vorwurf ein, seinerseits defizitär, nämlich unklar, ein bloßer Schwärmer zu sein. Wer von beiden das Phänomen Farbe besser erklärt, wenn der eine von einem bestimmten Intervall von Wellenlängen und der andere von Taten und Leiden des Lichts spricht, ist im Physikunterricht keine Frage. Doch was hier als Schwärmerei abgetan oder als >Poesie< ins andere Schulfach verwiesen wird, gewinnt seinen Ernst zurück, wenn man daran grundsätzlich die Frage knüpft, was es heißt, ein Phänomen zu erkennen. Dann gewinnt Goethes Farbenlehre größeres Gewicht, so daß man mehr in ihr sehen kann als nur die Newton-Polemik auf verlorenem Posten. Sie ist die Gegenposition zu der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie, die — und darin hat Goethes Streit gegen den englischen Physiker seinen Grund — mit hoher Anerkennung im achtzehnten Jahrhundert durch Newton verkörpert wird. Was mit Namen Goethe contra Newton heißt, ist begrifflich die Wiedereinsetzung des Staunens gegen dessen wissenschaftliche Austreibung. Ein Fingerzeig auf das, was der Autor der Farbenlehre dann zu seinem Anliegen macht, findet sich früh schon dort, wo er am wenigsten ins Bild paßt: in dem eloge, den Fontenelle im Jahre 1727 vor der Academie Frangaise als Nachruf auf den gerade verstorbenen Newton hielt." Insgesamt feiert diese Rede den "
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Fontenelle: Eloge de Newton. In: F.: (Euvres completes. Editees par G.-B. Depping.
Ruhm des Mathematikers und Naturforschers, dessen Berechnungen die bislang unerklärlichen Erscheinungen erklären und vorhersagbar machen. Was einst als bizarrerie galt, wird zur necessite (cf. 392), ein einziges systeme — das Gravitationsgesetz — embrasse avec le meme succes une infinite άexplications (393). Den Lauf des Mondes führt Fontenelle als Beispiel an und im Zusammenhang damit die Gezeiten. Hieran aber schließt sich ein Satz, der singular aus der Aufklärungspanegyrik herausfällt: C e l l e [sc. l'explication] du flux et du reflux s'offre si naturellement par Taction de la lune sur les mers, combinee avec celle du soleil, que ce merveilleux phenomene semble en etre degrade. (393)
Daß die wissenschaftliche Klärung den Phänomenen das Wunderbare nimmt, wird man in einem Eloge de Newton als Erfolgsmeldung der Vernunft erwarten. Wenn Fontenelle, der Vorreiter des siecle des lumieres, vom merveilleux spricht, so meint er damit Betrug oder Faulheit der Vernunft. Si l'on a un peu etudie l'esprit humain, on sqait quelle force le Merveilleux α sur luy> klagt er in seiner Histoire des oracles und verurteilt damit — das ist insgesamt die religionskritische Absicht dieses Werks — priesterliche Scharlatanerie und zugleich auch die Trägheit der Menschen, die das sogenannte Wunder lieber bestaunen als prüfen.12 Daß Newton Ebbe und Flut als Gravitationswirkungen von Sonne und Mond bestimmt hat, müßte folglich zu dem Siegesstolz Anlaß geben, es sei für einen weiteren Fall die force du merveilleux bezwungen. Doch der Satz aus dem eloge verzeichnet einen Verlust: Das Phänomen sei >degradiertDegradierung< der Phänomene. Urphänomen heißt der Begriff, den Goethe dafür ins Feld führt. Die Einheit von abstraktem Naturgesetz und konkreter Anschauung soll er bedeuten. Gewiß kann man, wie etwa Richard Friedenthal es tut, bei diesem Begriff über den geschickt genutzten Vorteil der Vieldeutigkeit spotten, über die Geheimnisund Ehrfurchtswolke, mit der das Präfix >Ur< zu mancherlei Assoziationen An-
T o m e 1. G e n e v e 1968. S. 3 8 7 - 4 0 3 . ( = Reprint der Ausgabe Paris 1818) Die Zitate werden unmittelbar im Text durch A n g a b e der Seitenzahl nachgewiesen. 11
Fontenelle: Histoire des oracles. Edition critique publiee par L. Maigron. Paris 1908. S. 29. ( = Societe des textes frangais modernes)
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laß gibt,'5 doch kann man ihn auch wie Ernst Cassirer als das Bestreben ernst nehmen, die platonische Trennung von Idee und Erscheinung zu überwinden.'4 Urpbänomen — nach Platonischen Maßen paradox, denn innerhalb der Wandelbarkeit und der grenzenlosen Relativität der Erscheinungen gibt es nach Piaton nichts wahrhaft Ursprüngliches'' - ist das Schlüsselwort der Goetheschen Naturbetrachtung. Es steht für die Uberzeugung, daß die Naturgesetze nicht durch Abstraktion von den Erscheinungen gewonnen werden, sondern nur in den, ja als die Erscheinungen selbst. Das Urphänomen ist das Naturgesetz als Anschauung. Was die gängige Vorstellung in die sinnlich wahrnehmbare Natur einerseits und andererseits deren mathematisch zu formulierende Gesetze trennt, setzt Goethe in eins. In allen seinen naturwissenschaftlichen Studien geht es ihm immer wieder um denselben Grundsatz: daß es falsch ist, gesondert von sensueller und intellektueller Erkenntnis zu sprechen, daß vielmehr beide immer eins sind. Das ist seine Maxime, im Wortsinn als das Höchste verkündet: Das Höchste wäre: zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist. [ . . . ] Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre. (Maximen und Reflexionen XII,452, Nr.488 1 6 )
Gefordert ist damit zugleich eine eigene Form der Naturforschung. Goethe polemisiert gegen die experimentelle Wissenschaft. Die instrumentelle Manipulation der Erscheinungen, um gezielt einzelne Parameter abzufragen, schmäht er als Folter (cf.Max. u. Refl. XII,434, Nr.498), die von der Natur falsche Aussagen erpreßt. Seine Methode ist die nicht eingreifende, aufmerksame Beobachtung, denn er ist überzeugt, daß die Natur nur insoweit zu erkennen ist, als sie sich in ihren Erscheinungen zu erkennen gibt. Goethes Wissenschaftstheorie ist ein naturalisierter Offenbarungsglaube: In den Urphänomenen hält die Natur den Menschen ihre eigenen Gesetze vor Augen. Wenn Goethe mit dem Satz Mikroskope und Fernrohre verwirren eigentlich den reinen Menschensinn {Max. u. Refl. XII,430,469) prägnant seine Ferne von der neuzeitlichen Naturwissenschaft formuliert, so ist doch seine Weigerung, durch die Instrumente zu schauen, nicht, wie es etwa die bekannte Szene in Brechts Leben des Galilei zeigt, die des Dogmatikers, der seine Schullehre gegen die Kritik absperrt. Es ist vielmehr der Standpunkt einer Erkenntnistheorie, die den unmittelbar — d.h. ohne die Vermittlung von Apparaten — sinnlich wahrnehmenden, den die Natur erlebenden Menschen zur Basis hat. Jeder Wahrheitsbegriff, der von der konkreten An''
C f . Richard Friedenthal: Goethe. Sein Leben und seine Zeit. München und Zürich:
'4
C f . Ernst Cassirer: Goethe und Piaton. In: E. C . : Goethe und die geschichtliche Welt.
I[
Cassirer, a.a.O. S. 131.
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Alle Goethe-Zitate werden nach der Hamburger Ausgabe gegeben. Es genügen so die
15. Aufl. 1986. S. 464. ( = Serie Piper 248) Drei Aufsätze. Berlin 1932. S. 103 —148. S. 120.
Angabe des Bandes (römische Zahl) und der Seite (arabische Zahl). Vollständige A n gaben im Literaturverzeichnis. 164
schauung abstrahiert - sei es wie bei Newton in Richtung auf zugrunde liegende principia mathematica, sei es religiös in Richtung auf eine übersinnliche Gotteserfahrung -, ist Goethe fremd. Daß die Erkenntnis nicht über die Phänomene hinauskomme, ist seine Vorstellung von den Grenzen der Menschheit,'7 doch nicht als Bedauern, daß dahinter die eigentliche Wahrheit verborgen bleibe, sondern als positive Versicherung, sie im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen, im Urphänomen zu schauen (cf. Versuch einer Witterungslehre XIII,305). Um sein Konzept der »anschauenden Erkenntnis< von der Abstraktion der mathematischen Naturwissenschaften abzugrenzen und es zugleich als zeitgemäße Neuinterpretation einer ehrwürdigen Tradition anzuschließen, kann Goethe keinen besseren Weg wählen, als sein Schlüsselwort, das Urphänomen, mit dem Begriff zu verbinden, der in der Tradition gewürdigt, von deren modernen Gegnern, die auch Goethes Gegner sind, aber abgelehnt wird: mit dem Staunen. Das tut er mehrfach: Vor den Urphänomenen, wenn sie unseren Sinnen enthüllt erscheinen, fühlen wir eine A r t von Scheu, bis zur Angst. Die sinnlichen Menschen retten sich ins Erstaunen; geschwind aber kommt der tätige Kuppler Verstand und will auf seine Weise das Edelste mit dem Gemeinsten vermitteln. {Max. u. Refl. XII,367, Nr. 17) Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, [ . . . ] ist das Erstaunen, und wenn ihn das Urphänomen in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren, und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen; hier ist die Grenze. 1 ®
Der platonische, neuplatonisch-christliche Staunensbegriff wird hier, all seiner Jenseitssehnsucht entkleidet, zur Ehrfurcht vor der Natur. Der Affekt gilt als Erkenntnisziel, doch nicht als Erlebnis der Transzendenz, sondern als in der Anschauung gewonnener Vollbesitz, ja Vollgenuß der Natur. Was hier aus der Tradition erinnert und modifiziert wird, dient als Fahnenwort im aktuellen Streit: Mit seinem Begriff des Erstaunens setzt Goethe gegen die mathematische Naturwissenschaft eine naturalisierte Religiosität. Das ist in der Tat ein >Rettungsversuch< des sinnlichen Menschen, die Rettung des Naturerlebnisses vor der Naturberechnung oder, so macht Goethe die Erkenntnistheorie zur Ethik, Acs Edelsten vor dem Gemeinsten. Goethes Erneuerung des Staunensbegriffs steht in doppeltem Bezug. Gegen jede Vorstellung der Transzendenz ist sie die Naturalisierung, gegen jede wissenschaftliche Austreibung ist sie die Aufrechterhaltung des Wunderbaren. '7
,8
Wenn ich mich beim Urphänomen zuletzt beruhige, so ist es doch auch nur Resignation; aber es bleibt ein großer Unterschied, ob ich mich an den Grenzen der Menschheit resigniere oder innerhalb einer hypothetischen Beschränktheit meines bornierten Individuums. (Max. u. Refl. XII,367, N r . 20) Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg. von F. Bergemann. 2 Bde. [o.O.] 1981. S. 298. (18. Februar 1829) ( = Insel Taschenbuch 500)
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Nicht ein sogenanntes Übernatürliches, sondern die Natur selbst ist das Wunder, und ein Wunder soll sie bleiben, statt in mathematischen Erklärungen aufgelöst zu werden. Das Wunderbare ist in der Natur eben das
Allgewöhnliche,
und der ist ein Tölpel, der sich nicht verwundern kann: So überliefern Gesprächspartner 1 ' zwei >Weisheitssprüche< Goethes, die, auch wenn man berücksichtigt, daß sie von den Gesprächsmemorialisten redaktionell aufbereitet sind, gut als Merksätze seiner Naturphilosophie dienen können. Daß Goethe dort, w o die Wissenschaft von Naturgesetzen und nüchterner Berechnung spricht, an den Begriffen »das Wunderbare< und >Erstaunen< festhält, ist kein Mystizismus, sondern das Bestreben, die erkenntnistheoretische als ethische Frage zu behandeln. Wunder und Staunen stehen nicht für etwas Numinoses, sie bedeuten vielmehr in Analogie zur menschlichen Gemeinschaft eine affektive Bindung zwischen Mensch und Natur. Nicht wie die Natur richtig zu erkennen sei, heißt genau genommen Goethes Überlegung, sondern wie sich die Menschen gegenüber der Natur richtig zu benehmen haben. Das Wort Tölpel für den, der sich nicht verwundern kann, zeigt dies schon an. Ebenso geht es in der Methodendiskussion nicht um den effizienten Weg zur Erkenntnis, sondern um »anständiges Benehmens das methodologische ist im Grunde ein ethisches Urteil. Denn das Argument, mit dem Goethe Experimente ablehnt, ist deren moralische Verwerflichkeit {Folter), und seine Alternative versteht sich in erster Linie auch als moralischer, und nicht als methodischer Gegensatz: redliches Fragen (cf. Max. u. Refl. XII,434, Nr.498). Auch der reine Menschensinn, den er gegen die verwirrenden
optischen Instrumente verteidigt (cf. Max. u. Refl.
XII,430, Nr.469), hat mehr eine ethische als eine methodologische Bedeutung. Darin liegen zugleich Stärke und Schwäche der Goetheschen Naturwissenschaft. Ihre Schwäche ist offenkundig: Wer von beiden die bessere physikalische Erklärung der Farbe gegeben hat - derjenige, der unter unnatürlichen Bedingungen einen künstlichen Lichtstrahl durch ein Prisma schickte, oder derjenige, der aufmerksam das Sonnenlicht am Fenster beobachtete -, steht außer Frage. Über ihre Stärke zu urteilen ist hingegen schwieriger, weil hier nicht einfach positiv zu registrieren ist, was sie geleistet hat (die einzelnen tatsächlich zu verzeichnenden fachwissenschaftlichen Verdienste sind nicht der Grund, warum man Goethes Naturforschung schätzt), sondern ihr Wert darin zu sehen ist, daß sie früh schon das als mangelhaftes Naturbewußtsein angeklagt hat, was erst im zwanzigsten Jahrhundert als Gefahr deutlich wird. Doch darf man dabei nicht, wie es wohl am populärsten als anthroposophischer Goethe-Kult
"
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Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von F. Freih. v. Biedermann. Ergänzt und hg. von W. Herwig. Das erste Zitat gibt Johannes Daniel Falk (30. 6. 1809, Bd. 2. Zürich und Stuttgart 1969. S. 458.), das zweite Heinrich Voß (13. 2. 1804, Bd. 1. Zürich und Stuttgart 1965. S. 916.)
auftritt, den Irrtum begehen, den Newton-Gegner zum Retter vor den Verhängnissen des modernen naturwissenschaftlich-technischen Weltbilds zu stilisieren. Das wäre eine Aktualisierung als Kurzschluß, die weder Goethes Naturphilosophie noch die aktuellen Probleme, deren Lösung sie bieten soll, richtig versteht. Daß an dieser Stelle nun alles Nötige dazu gesagt werden könnte, wäre freilich ein unsinniger Anspruch,20 hier, in der Ideengeschichte des Staunens, muß es bei einer bescheideneren Einsicht bleiben: Stolz und Ablehnung der mathematischen Naturwissenschaften formulieren sich als Austreibung und Rehabilitierung des Affekts. Goethes Versuch, Staunen und Wissen neu zu vereinen, sein Begriff des allgewöhnlichen Wunderbaren, ist der Streit gegen die >Degradierung< der Natur zu technischen Daten. Genau wie bei der methodischen Festlegung auf die unmittelbare Wahrnehmung geht es hier darum, ein affektives Moment der Naturbetrachtung zu bewahren. Gegen den wissenschaftlich-technischen Eroberungsgeist will sich das Ethos ehrfürchtiger Betrachtung behaupten. Welche Aktualität dieser Streit heute hat, ist offenkundig, doch muß man sich hüten, die heutige Sicht in der Rückprojektion als Weitsicht Goethes zu feiern. Denn er hat ja nicht, wie es vernünftig gewesen wäre, die Richtigkeit der mathematischen Physik anerkannt und gegen ihre Einseitigkeit nach einem Komplement gesucht, er stellte vielmehr den Anspruch, die Physiker auf deren eigenem Gebiet zu schlagen, und unterlag. Was aber in diesem Streit als Goethes Leistung sichtbar wird, ist sein begriffsgeschichtliches Gespür, die glückliche Treffsicherheit des richtigen Wortes. Keines hätte er besser wählen können als >StaunenParabase< bezeichnet in der attischen Komödie die Teile, die der Chorführer und der Chor außerhalb des Handlungszusammenhangs als persönliche Worte des Dichters an die Hörer (Kommentar Trunz, 1,719) sprechen. Sie können Stellungnahmen zu aktuellen Fragen, aber auch Interpretationen des aufgeführten Stücks enthalten. Von den sieben Teilen, aus denen die Parabase in der Regel besteht, wählt Goethe drei als Titel kürzerer Gedichte, die er zusammen mit den großen naturwissenschaftlichen Lehrgedichten Die Metamorphose der Pflanzen und Metamorphose der Tiere zu einem Zyklus vereint: Parabase (im engeren Sinne als ein Teil der siebenteiligen Parabase im weiteren Sinne), Epirrhema und Antepirrhema. Dadurch ist den drei kurzen Gedichten die Bedeutung eines Kommentars gegeben, den der Dichter selbst über seine in den beiden Lehrgedichten dargestellte naturwissenschaftliche Arbeit spricht. Das Wort >Parabase< heißt >DanebentretenForschung< muß, damit das geschulte Auge immer mehr von der Natur aufzufassen vermag, zur >Erfahrung< werden, bis es erfahren genug ist, um im Urphänomen >staunend< die Gesetze der Natur zu schauen. Trotz aller Lehrhaftigkeit bleiben diese Gedichte Lyrik durch die Sprachform, in der sich ein Lebensgefühl ausprägt, sagt Max Kommereil21 von Goethes naturphilosophischer Dichtung. Das Lebensgefühl, das das Gedicht Parabase als persönliches Bekenntnis ausspricht, ist die Ehrfurcht vor der Natur. Die Anschauung der lebendigen Natur« (cf. Vers 4) führt nach vielfältiger Variation ihres schaffenden Prinzips, der Polarität {das ewig Eine — vielfach, klein — groß, alles — nach eigner Art, wechselnd — fest sich haltend, nah — fern), zum Staunen, das als Gipfel der Naturbetrachtung zugleich als eigenes Lebensziel bekannt wird. Wenn man dieses Gedicht das Credo des Naturforschers nennt, dann bedeutet das mehr als nur eine übliche Metapher. Denn Goethes Parabase ist nicht lediglich eine Art Glaubensbekenntnis, sie bildet vielmehr in zwar nicht offenkundiger, doch auf den zweiten Blick sehr deutlicher Anlehnung das Apostolische Glaubensbekenntnis um. Der erste Satz spricht dort vom Schöpfergott
M a x Kommereil: Gedanken über Gedichte. Frankfurt a. M . : 3. Aufl. 1956. S. 213.
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(factor caeli et terrae), bei Goethe vom Schaffen der Natur; das ewig Eine korrespondiert mit dem einen Gott {in unum Deum). Das Credo erzählt darauf die Erlösertat Christi, d.h. das Wirken Gottes, Goethe stellt durch das Prinzip der Polarität das Wirken der Natur dar. Hier wie dort folgt dann das Ehrfurchtsbekenntnis: adorare und glorificare heißt es in dem einen, Erstaunen in dem anderen Text. Je nachdem, von welcher Seite man schaut, bedeutet Goethes Credo die Naturalisierung des Göttlichen oder die Sakralisierung der Natur. Das ist genau die Zwischenstellung seines Erstaunens: Es ist in beidseitiger Opposition sowohl zur Religion als auch zur Wissenschaft eine Naturfrömmigkeit. Daß daraus auch die Morallehre abzuleiten ist, was den Menschen fromme, sagt der zweite Vers aus dem Zitatenschatz. Zusammen mit seinem Reimpartner kontrastiert er Verfehlung und Erfüllung: Doch im Erstarren such' ich nicht mein Heil, Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil. (111,193, Verse 6 2 7 i f )
In der Auseinanderlegung des lateinischen stupor bezeichnet dieses Verspaar Unter- und Obergrenze der menschlichen Bestimmung. Erstarren ist stupor als pathologischer Terminus, die körperliche und geistige Reglosigkeit, Schaudern ist stupor als ekstatische Wahrheitsintuition. Das erste könnte in Boethius' Consolatio, das zweite in Dantes Commedia als Ubersetzung dienen (cf. hier Kap. 4.2). Doch greift Goethe hier nicht lediglich ein Wort auf, um es zur erbaulichen Sentenz auszuführen, er bildet zugleich den Kontext nach, in den es begriffsgeschichtlich gehört. Das Verspaar ist der Wahlspruch, mit dem Faust sich auf den Weg zu den Müttern begibt. Goethes A/öfier-Mythos ist so etwas wie eine naturalisierte Ideenlehre, die Vorstellung von Urbildern der Erscheinungen, wobei indes statt der ontischen Differenz von Sein und Schein die Gleichrangigkeit von Ur- und Abbild gelten soll. Der Gang zu den Müttern wäre also eine , dasselbe, wofür auch der Begriff Urphänomen steht.22 Wenn Goethe im Drama vom Schaudern als der Menschheit bestem Teil spricht, so ruft er damit die Begriffstradition von ekplexis und
!1
Auf die Entsprechung von Mütter-Mythos und Urphänomen ist in der Goethe-Forschung schon früh und dann immer wieder hingewiesen worden, auch die Brücke zur platonischen Ideenschau wird in den Interpretationen vielfach geschlagen. Auskunft darüber gibt Trunz in seinem Kommentar (111,549 — 551). Vom Schaudern als dem höchsten, dem religiösen Erstaunen sprechen am genauesten Gottfried Diener (Fausts Weg zu Helena. Urphänomen und Archetypus. Darstellung und Deutung einer symbolischen Szenenfolge aus Goethes Faust. Stuttgart 1961. S. 100 — 102.) und Pietro Citati (Die Mütter. Aus dem Italienischen von G . Luchmann. In: Goethe und Italien. Vorträge anläßlich des deutsch-italienischen Symposiums am 22. November 1982 gehalten in der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Bonn 1983. S. 19 — 34. = Politeia. Bonner Universitätsreden in öffentlichen Fragen 12.), auf den begriffsgeschichtlichen Zusammenhang mit ekplexis und stupor gehen sie nicht ein.
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Stupor auf, um sie dann nach den Grundsätzen der eigenen Naturphilosophie zu modifizieren und dem Eigenen mit einem neuen Mythos literarisch Gestalt zu geben. Zur begrifflichen Bezeichnung seines Konzepts wiederholt Goethe immer wieder dieselbe Methode: Er fordert auf, das, was die Denktraditionen trennen, zu vereinen: Idee und Erscheinung, das abstrakte Gesetz und den konkreten Fall, das Intellektuelle und das Sensuelle. Viele der Maximen und Reflexionen sind so beschaffen, daß sie ihre Erkenntnis als Ineinssetzung gegensätzlicher Begriffe formulieren. >Das eine muß immer zugleich als das andere verstanden werdenZusammenwerfensmittlere Wahrheit< zielt auch die Verbindung von Wissen und Staunen. Hier zeigt sich die anthropologische Grundlage der Goetheschen Erkenntnistheorie. Der Affekt steht für das, was sie gegen die Mathematisierung als richtiges, dem Menschen und der Natur, der Natur des Menschen angemessenes Verhalten fordert: für die Emotionalität des unmittelbaren Erlebens, für die Passivität, alles so zu belassen, wie es sich zeigt, kurz: für das Ethos des Beobachters, des Sammlers von Erfahrungen,23 in dessen Wahrnehmung sich alles das zur menschlichen Vollkommenheit vereinen soll, was begrifflich polar auseinandergezogen wird: das Intellektuelle und das Sensuelle, das Rationale und das Emotionale. Erkenntnis — so will es Goethes integratives Konzept ist immer auch Empfindung, Erlebnis, Genuß der Natur. Die Simultaneität aller verschiedenen Wahrnehmungsweisen, müßte es der nennen, der begrifflich differenziert, die Einheit dessen, was sowieso nicht zu trennen ist, nennt es Goethe. Symbolisiert wird diese Erkenntnislehre im Faust-Monolog am Anfang von der Tragödie zweitem Teil. Er ist - in doppelter Frontstellung gegen religiöse Uber- und wissenschaftliche Nicht-Sinnlichkeit — eine naturalisierte visio beatifica. Wie in der Tradition, aber mit neuer Bedeutung, markiert der Affekt den
In der Geschichte der Farbenlehre
kontrastiert Goethe zwei Typen von Naturfor-
schern : Die ersten [... ] bringen eine Welt aus sich selbst hervor, ohne viel zu fragen, ob sie mit der wirklichen übereinkommen gen sich als gute Beobachter [...],
werde. [...] Die von der zweiten Art [. . .] zei-
vorsichtige Sammler von Erfahrungen.
Als gewalt-
sam und behutsam wird deren moralischer Gegensatz formuliert. U m wen es dabei geht, sagt gleich der nächste Absatz: Zu der ersten dieser Klassen gehört Newton,
zu
der zweiten [galant ziert sich hier die Eitelkeit] die besseren seiner Gegner. ( X I V , 1 4 3 )
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Gipfel. Dabei wird er zwar nicht begrifflich genannt, doch literarisch dargestellt. In seiner ganzen Länge sei der Monolog hier angeführt: Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig, Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen; Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen, Beginnest schon, mit Lust mich zu umgeben, Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen, Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. Im Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen, Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben, Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen, Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen, Und Zweig und Aste, frisch erquickt entsprossen Dem duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen; Auch Farb'an Farbe klärt sich los vom Grunde, Wo Blum' und Blatt von Zitterperle triefen — Ein Paradies wird um mich her die Runde. Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfelriesen Verkünden schon die feierlichste Stunde; Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen, Das später sich zu uns hernieden wendet. Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet, Und stufenweis herab ist es gelungen; — Sie tritt hervor! - Und leider schon geblendet, Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen. So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen, Erfüllungspforten findet flügeloffen; Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen; Des Lebens Fackel wollten wir entzünden, Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer! Ist's Lieb? ist's Haß? die glühend uns umwinden, Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer, So daß wir wieder nach der Erde blicken, Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier. So bleibe denn die Sonne mir im Rücken! Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend, Ihn schau' ich an mit wachsendem Entzücken. Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend, Dann abertausend Strömen sich ergießend, Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend. Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend, Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer, Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend, Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
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Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: A m farbigen Abglanz haben wir das Leben. (III, 148F, Verse 4 6 7 9 - 4 7 2 7 )
Das äußere Geschehen, in dem der Monolog steht, ist der Sonnenaufgang. Das Hervortreten des Lichts über den Berggipfeln und das allmähliche Erhellen des Tals gewinnen dabei die Bedeutung einer erneuten Schöpfung. Nach dem Grundsatz der Farbenlehre entsteht hier die Welt als Farbiges durch die Mischung von Licht und Finsternis (das ist Goethes Urphänomen des Trüben, dessen Anerkennung seine Farbenlehre verlangt), indem sich Himmelsklarheit in die noch dunklen Tiefen senkt (cf. Verse 4689 und 4692). Am Ende der ersten Strophe steht die Vollendung der Schöpfung: Ein Paradies wird um mich her die Runde. (4694) Wie in systematischer Vollkommenheit bei Plotin, auch aber bei christlichen Autoren wird die Schöpfung als Schritt um Schritt vollzogene Abwärtsbewegung vorgestellt (Und stufenweis herab ist es gelungen; 4701), der das menschliche Streben als Aufstieg zum höchsten Dasein (cf. 468$) entgegenläuft. Das Hervortreten der Sonne selbst ist durch die vorausgehende >Verkündigung< (cf. 4696) und die Bezeichnung als feierlichste Stunde (4696), als Ausgießung des ewigen Lichts (4697), wie Peter Michelsen kommentiert, fast überdeutlich als Epiphanie gekennzeichnetIn die Nähe zur Divina Commedia werden diese Verse nicht nur durch die Form der Terzine gerückt. Die Schau des höchsten Lichts, so legt es Paul Friedländer als Dantesche Linie dieser Szene dar,2' ist den Darstellungen im Paradiso nachempfunden, wobei offenbar die Ubersetzung von Streckfuß als Vermittlerin wirkte. Auch die Blendung durch das göttliche Licht (cf. 4702, 4708) ist ein traditionelles Motiv. Was nun aber folgt, ist neu. Obschon den christlichen Autoren der Mensch zu schwach gilt, um die Erscheinung Gottes zu ertragen, gibt es für sie doch einzelne Auserwählte, die dieser Schwäche enthoben werden. Die vorzeitig schon im Diesseits vergönnte visio beatifica ist das Erlebnis der Transzendenz. An die Stelle der geblendeten leiblichen Augen tritt übersinnliche Anschauung. Der Faust-Monolog läßt das nicht zu. Der Blick richtet sich auf den Regenbogen, der als Farbe das Symbol der dem Menschen erfahrbaren Welt darstellt. Der Regenbogen stellt ihm [Faust] die Ganzheit der farbigen Welt vor Augen, sagt Rupprecht Matthaei,2* und es empfiehlt sich, will man nicht das Bekenntnis zur Goetheschen Farbenlehre voraussetzen, den Satz auf die klarere Aussage M
Peter Michelsen: Fausts Schlaf und Erwachen. Zur Eingangsszene von Faust II (Anmutige Gegend). In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1983. S. 21 — 61. S. 56. Paul Friedländer: Rhythmen und Landschaften im zweiten Teil des Faust. Weimar 19 5 j. Darin besonders das Kapitel Die Dantische Linie der Ouvertüre. S. 11 —15.
16
Rupprecht Matthaei: Die Farbenlehre im Faust. In: Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 10. 1947. S. 59 —148. S. 104.
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zu verkürzen: Der Regenbogen stellt ihm die Ganzheit der Welt vor Augen. Dieser Blickwechsel drückt das aus, was Michael Neumann als Weltveränderung am Beginn des zweiten Teils des Faust beschreibt: Himmel und Erde \sind\ nicht mehr als Jenseits und Diesseits geschieden, sondern im Kosmos der einen Natur vereinigt.2? Der Monolog stellt diese Weltveränderung als eine durch die Anschauung zu erlangende Erkenntnis dar. Die Sentenz, auf die er zielt (Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. 4727), wird als Resultat aus der Naturbetrachtung entwickelt. Der Augenblick dieser Erkenntnis aber ist der Augenblick des Staunens. Der Affekt wird nicht begrifflich genannt, sondern durch die Worte Fausts dargestellt. Im Blick auf den Wassersturz (4716) beginnt eine emotionale Steigerung (imit wachsendem Entzücken 4717), die sich dann, als Faust des Regenbogens ansichtig wird, im Ausruf des Staunens vollendet: Allein wie herrlich (4721). Nach dem Grundsatz der Farbenlehre ist der Regenbogen als Farbe das Symbol der Welt. Daß Goethes Naturbegriff den Dualismus von Vergänglichkeit im Diesseits und Ewigkeit im Jenseits auflöst, wird im Bild des über dem Wasserfall ruhenden Bogens anschaulich: Wenngleich er von immerfort wechselnden Wassertropfen gebildet wird, bleibt er doch dauerhaft als unveränderliche Erscheinung bestehen. Wechseldauer (4722) lautet Goethes Begriff für diese Ewigkeit im Vergänglichen. Als Symbol für die der Anschauung sich darbietende Natur wird der Regenbogen zum staunenerregenden Phänomen. Als Fortsetzung eines traditionellen Motivs28 verbindet Goethe die Himmelserscheinung mit dem Affekt, wobei er beiden indes im Sinne seiner Naturanschauung neue Bedeutung gibt. So wird aus der Umformung der Tradition ein eigenes 17
Michael Neumann: Das Ewig-Weibliche in Goethes Faust. Heidelberg 198$. S. 203. Daß die Sonne Phöbus genannt werde (cf. Vers 4670), bezeichne dies schon: Diese Übertragung der maiestas dei auf die mythologisch benannte Naturgewalt offenbart die neue Kosmos-Gestalt des >Faust //Aufklärung< teilhaben. Zum anderen aber kann man ein strengeres inhaltliches Kriterium anlegen, um die Texte zu erfassen, die den Anspruch der Aufklärung, die vernünftige Prüfung und Erklärung, in der Dichtungstheorie durchsetzen wollen. >Poetik der Aufklärung< wäre für das erste, >Aufklärung der Poetik< für das zweite eine taugliche Bezeichnung. Diese Unterscheidung ist keine leere Spitzfindigkeit, die willkürlich aus einem zwei machte. Denn sie eignet sich als Formel für die beiden Pole, zwischen denen sich die Poetik des achtzehnten Jahrhunderts bewegt. Auf der einen Seite wird die Dichtungstheorie als populardidaktisches Beiwerk dem philosophischen Aufklärungskonzept einverleibt (das ist die >Poetik der AufklärungAufklärung der PoetikDer Dichter läßt die Menschen staunen«, heißt in kritischer Lesart: Er hält oder macht sie dumm. So überträgt sich der negative philosophische Staunensbegriff auf die Poetologie. Zur Beglückung all derer, die klare Positionen lieben, kann man dies, wie im folgenden zu zeigen ist, konsequent bei Fontenelle lesen. Was dabei als Restbestand des poetischen Faszinosums geduldet übrigbleibt, ist lediglich eine pädagogische Konzession. Daß die Dichtung den ungebührlichen Affekt nährt, wird nur als didaktischer Trick gebilligt. Da für manche die reine Instruktion zu beschwerlich ist, soll der Dichter sie durch ein angenehm reizvolles Beiwerk erleichtern. Durch allerlei Staunenswertes für den populären Geschmack bereitet, sind poetische Texte Lehrbücher für schlichte Gemüter. Damit ist man bei der Diskussion um das Wunderbare in der Dichtung, in der Germanistik sogleich bei Gottsched und den Schweizern, einem in der Literaturwissenschaft vielbearbeiteten Feld.' Versucht man, diese Debatte nicht vom Objekt, vom Wunderbaren in der Dichtung, sondern vom Subjekt, von der Verwunderung des Lesers und Hörers her zu verstehen, so stellt sie sich als folgende Grundfrage dar: Darf der vernünftige Mensch staunen, sind Rationalismus und Faszination zu vereinen? Die Antworten darauf sind unterschiedlich: Verneinung, nur pädagogisches Zugeständnis und am Ende auch Bejahung, wofür nicht mehr der Begriff des Wunderbaren, sondern der des Erhabenen steht. Mit der letzten Antwort, dem Erhabenen, wird sich das nächste Kapitel befassen, hier geht es zunächst um die ersten beiden. Dazu ist früher anzusetzen als erst bei den Texten, die man zur Aufklärungspoetik rechnet: im 17. Jahrhundert in Frankreich bei Pierre Cor'
Einen Forschungsbericht geben Hans Otto Horch und Georg-Michael Schulz: Das Wunderbare und die Poetik der Frühaufklärung. Gottsched und die Schweizer. Darmstadt 1988. ( = Erträge der Forschung 261) Das Gründlichste und Instruktivste bietet Karl-Heinz Stahl: Das Wunderbare als Problem und Gegenstand der deutschen Poetik des 17. und 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1975.
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neille und Nicolas Boileau. Auch wenn sie noch nicht dem siecle des lumieres zugehören, besteht doch ein Zusammenhang darin, daß bei ihnen schon die Unvereinbarkeit des Wunderbaren mit dem Rationalen bedacht wird. Dies geschieht nicht in explizitem aufklärerischem Ton, sondern implizit, indem beide den Begriff des poetischen Wunderbaren so weit einschränken, daß er mit den Ansprüchen der Vernunft nicht konkurriert. Damit geben sie die beiden Muster vor, wie das merveilleux unter der Herrschaft der raison fortbestehen kann. Corneille — so ist mit einem Satz zu sagen, was sein Examen zu Nicomede als eigenes, neues Tragödienkonzept vorstellt — verbindet die moraldidaktisch (miß)verstandene Aristotelische Katharsislehre mit dem Begriff des Wunderbaren zu einer Theorie des vorbildhaft herausragenden Tugendheldentums. Statt pitie und crainte, schreibt der Franzose, sei ein dritter Affekt eine noch vorzüglichere Wirkung des Dramas, ein sichererer Weg (une maniere plus süre), einen guten erzieherischen Einfluß auf das Publikum zu nehmen: die admiration der vertu.1 Was der Examen theoretisiert, praktiziert die Tragödie mit ihrem Titelhelden: Nicomede ist ein Wunder an Tapferkeit, Großmut, Besonnenheit, Verständnis und Vergebung selbst für seine übelsten Widersacher. Die Wirkung, die damit beim Publikum erzielt werden soll, stellt das Stück selbst in seiner Schlußszene dar: Die Stiefmutter, die böswilligste Feindin des Helden, läutert sich am Ende durch die Bewunderung solch außerordentlicher Tugendhaftigkeit: Contre tant de vertu je ne puis le[ = mon coeur] defendre (Vers 1811). Die kathartischen Affekte eleos und phobos durch einen dritten zu verdrängen hat seit der Wiederbeschäftigung mit der Aristotelischen Poetik in der Renaissance und dann im Barock eine reich belegte Tradition.3 Das Wort für diesen dritten Affekt ist lateinisch admiratio {ammirazione! meraviglia italienisch), das in erster Linie >Verwunderung< und nur durch genaue kontextuelle Bestimmung auch >Bewunderung< bedeutet. Als >Verwunderung< werden admiratio! ammirazione! meraviglia zum beherrschenden Wirkungsbegriff der Barockpoetik, in den deutschen Texten findet sich dafür Erstaunen: der Poet [isi] bemühet! Erstaunen [...] zu erregen, liest man bei Georg Philipp Harsdoerffer,4 das Absehen und der Zweck der alten [...] Tragedien ist gewesen! die Spielschauer [...] zum Erstaunen [...] zu bewegen, bei Siegmund von Birken,' und vom Furchterstaunen, das zu den vornemsten Bewegungen zähle, die in Trauer1
C f . Pierre Corneille: Examen [zu] Nicomede. In: C . : (Euvres completes. Preface de R. Lebegue, presentation et notes de A . Stegmann. Paris 1963. S. $20 f.
' 4
!
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C f . zu deren Anfang bei Castelvetro hier Kap. 5. 3. Georg Philipp Harsdoerffer: Poetischer Trichter. Zweyter Theil. Nürnberg 1648. [Neudruck: Darmstadt 1969] S. 83. (11. Stund, § 13) Siegmund von Birken: Teutsche Rede- bind- und Dichtkunst. Nürnberg 1679. Zitiert nach der Anthologie: Die ästhetische Leidenschaft. Texte zur Affektenlehre im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. von H . Wiegmann. Hildesheim, Zürich, N e w York 1987. S. 33.
spielen zu beobachten, spricht Johann Klaj.6 Der Affekt, den die barocken Autoren meinen, ist die Verblüffung, auch, wie es Klajs Kompositum anzeigt, das Erschrecken durch das Ungeheure: ein kalter Angstschweiß, setzt Harsdoerffer erläuternd hinzu.7 Corneille — so kann man ein Wort, das Max Kommereil auf Gottsched münzt, auf den Franzosen vorverlegen — hat die admiratio entbarockisiert, indem er das sich Verwundern in ihr getilgt hat und ein vernünftiges Gefühl übrig ließ: Bewunderung als [...] die vergnügliche Anschauung bemerkenswerter moralischer Vorzüge.8 Das Entscheidende ist hierbei die Vernünftigkeit des Gefühls. Corneilles admiration rationalisiert das barocke Erstaunen zur Moraldidaxe. Ebenfalls eine rationale Einschränkung des barocken Wunderbaren liest man in dem Werk, das den Cartesianismus des 17. und 18. Jahrhunderts in Frankreich auf die bündigste schulbuchtaugliche Formel bringt, in Nicolas Boileaus Art poetique: A i m e z done la raison: que toujours vos ecrits Empruntent d'elle seule et leur lustre et leur prix. (l,37f)'
Dies ist das bekannteste Beispiel für die Fähigkeit Boileaus, die Gedanken, die zu seiner Zeit im Schwange sind, in ansprechende, gut memorierbare Verse zu setzen. Damit ist schon die ganze Qualität des Dichtungstheoretikers Boileau bezeichnet, eine Schulmeisterqualität, die den Erfolg hatte, daß sein Name in der Folgezeit metonymisch für die französische Klassik stand. In schönen Versen streitet der Art poetique im Namen der raison gegen die Verblüffungssucht der italienischen Barockliteratur, des Marinismus (in erster Linie damit freilich gegen deren französische Nachahmer), am schönsten dort, wo Boileau auf Italie l'eclatante folie reimt (cf. I,4jf). Als Anwalt der raison outragee (1,123) klagt er gegen die meraviglia-Poetik und schmäht deren Publikum als sots und vains admirateurs (1,226; IV,42), immer prompts ä crier merveille! (IV,43).'0 Wird da-
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Johann Klaj: [Vorrede zu] Herodes der Kindermörder. Nürnberg 1645. In: J. K.: Redeoratorien und »Lobrede der Teutschen Poeterey«. Hg. von C . Wiedemann. Tübingen 1965. S. 132 f. ( = Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock) Ein kleiner Wegweiser sind für diesen Zusammenhang die Notizen von J. E. Gillet: A Note on the Tragic »Admiration In: The Modern Language Review X I I I . 1918. S. 233 — 238.
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C f . A n m . 4.
'
Max Kommereil: Lessing und Aristoteles. Untersuchungen über die Theorie der Tragödie. 5. Aufl. mit Berichtigungen und Nachweisen. Frankfurt a. M. 1984. [Zuerst 1940] S. 278.
»
Boileau: A r t poetique. In: B.: CEuvres II. Chronologie et preface par S. Menant. Paris 1969. S. 8 5 - 1 1 5 . Die Zitate werden durch Gesang- und Verszahl nachgewiesen.
10
Auch in Italien wird im Namen der Vernunft der marinistische stupore zurückgewiesen, am spöttischsten von Muratori: Der einzige stupore, der ihn anläßlich Marinos Dichtung erfasse, sei das Erstaunen darüber, wie so etwas je hat gefallen können: mi sento occupar da qualche stupore, come sieno piaciute una volta e possano tuttavia pia-
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mit durch die Forderung eines discours serieux (1,124) alles Wunderbare aus der Dichtung, alles Staunen aus dem Publikum vertrieben? Nein - denn an den Dichter ergeht die Weisung: Que de traits surprenants sans cesse il nous reveille; Qu'il coure dans ses vers de merveille en merveille. ( I l l ^ j f )
Was aber ist das für eine merveille, die sich mit der raison verträgt? Das sind, sagt Boileau, die Erfindungen der antiken Mythen. Denn obwohl sie jeden vernünftigen Grundes entbehren, sind sie doch von vernünftigen Menschen zu dulden, solange sie nichts anderes sein wollen als bloßer Schmuck: Ainsi, dans cet amas de nobles fictions, Le poete s'egaye en mille inventions, Orne, eleve, embellit, agrandit toutes choses, Et trouve sous sa main des fleurs toujours ecloses.
[...]
C'est la ce qui surprend, frappe, saisit, attache. Sans tous ces ornements le vers tombe en Iangueur, La poesie est morte, ou rampe sans vigueur. (111,173-190)
Boileau selbst bietet den präzisesten Begriff für das, was er unter dem poetischen Wunderbaren, unter dem versteht, wodurch die Dichtung in Erstaunen setzt {surprend, frappe): ornement. Das merveilleux kann er nur unter der Bedingung mit der raison vereinbaren, daß er es auf eine bedeutungslose Spielerei reduziert und enge Grenzen zieht, in denen es zu dulden ist. Die Einschränkung, die Boileaus Art poetique gegenüber der barocken meraviglia-Poetik bedeutet, besteht also in zweierlei. Sie ist quantitativ und qualitativ, könnte man sagen: quantitativ, weil sie ein niedrigeres Maß setzt, was an Wunderbarem schicklich ist, qualitativ, weil sie den Affekt nur noch als Vergnügen versteht und alles andere aufgibt, was die italienischen Poetiken darüber hinaus in den Begriff meraviglia legen, im besonderen den Gedanken an eine eigentümliche poetische Erkenntnisvermittlung. Das Wunderbare hat nun nur noch dort seinen Raum, wo man sich in klaren Grenzen der Schicklichkeit von der Vernunft dispensiert. Auf diese Weise verharmlost, braucht es keine Konkurrenz, keine Irritation der Vernunft mehr zu sein. Deswegen muß Boileau auch das merveilleux chretien widerstreben (cf. 111,193 — 236), weil das christliche Wunder anders als sein Begriff der merveille poetique nicht einen bloßen Unterhaltungs-, sondern einen Erkenntniswert beansprucht. Was in den Barockpoetiken ins Schrankenlose ausgewachsen ist, wird bei Corneille und Boileau rationalisiert. Beide stecken einen engen Toleranzbereich cere ad alcuno si sciocche immagini
(Lodovico Antonio Muratori: Deila perfetta poesia italiana. (1706) In: Opere di L. A . M. a cura di G. Falco e F. Forti. Milano, Napoli [o.J.]. S. 59—176. S. 13. = La letteratura italiana. Storia e testi. Vol. 44,!.).
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ab, in dem dem vernünftigen Menschen sich dem unvernünftigen Affekt hinzugeben erlaubt ist. Denn unvernünftig - so wird es jedenfalls der Cartesianer sagen — ist das Staunen, es ist die Fehlfunktion der Vernunft angesichts dessen, was aus ihrem geordneten Weltbild herausfällt. Wie ist dies zu dulden, ohne daß dadurch der Rationalismus insgesamt irritiert wird? Corneille und Boileau finden zwei Antworten: als Konzession zur Erziehung oder Unterhaltung des Publikums. Das Wunderbare wird tolerabel als das herausragend Vorbildhafte oder der zum Vergnügen abgezirkelte vernunftfreie Raum. Die rationale Revision des Wunderbaren wird im folgenden Jahrhundert ausdrücklich zum Hauptanliegen der Poetiken. Wer nun über die Dichtung urteilt, verurteilt einen großen Teil von ihr als Hort der Unvernunft. Denn für den, der Aufklärung einfach als Wissenschaftspädagogik versteht, betreibt die Dichtung genau das Gegenteil dessen, worauf es ankommt: Statt die Wirklichkeit zu erklären, erfindet sie Unwirkliches, Verwunderliches, das den Realitätssinn stört und daher schädlich ist, sofern es sich nicht als didaktische Hilfestellung rechtfertigen kann. Das Erkenntnisziel, Staunen durch Einsicht zu überwinden, bedeutet damit zugleich, einen Teil der Dichtung zu überwinden, nämlich all das, was den Phantasien der Mythen und Fabeln — dem wirksamsten poetischen Faszinosum — zugehört. Exemplarisch ist dies bei Bernard le Bovier de Fontenelle zu lesen. Die Tatsache, daß nun der wissenschaftliche Erkenntnis- und Wahrheitsbegriff über die Dichtung richtet, ist in ihm personifiziert: Als Secretaireperpetuel de l'Academie des sciences hat er zwar die Naturforschung nicht selbst vorangebracht, doch immerhin deren neueste Ergebnisse mit Erfolg weithin popularisiert, und was er über die Dichtung lehrt, ist ganz dieser Funktion verpflichtet. Das Urteil der Vernunft über das Wunderbare bringt er auf die kürzeste Formel: le faux merveilleux. Der engere Kontext, in dem sie steht, ist die allgemeine charakterologische Bemerkung, daß die Menschen eine Lust am Wunderbaren empfinden, eine Staunlust, die sich alltäglich schon dadurch beweise, daß jeder, der etwas zu erzählen habe, zu seinem eigenen und seiner Hörer Vergnügen gern etwas Wunderbares hinzuerfinde.11 Diese Bemerkung ist ein Gemeinplatz, so alt wie die europäische Tradition: Man findet sie in der Aristotelischen Poetik (1460a, 17 -18).' 1 Der weitere Kontext aber, in dem sie bei Fontenelle steht, macht den scheinbar konstant wiederholten doch zu einem eigenen Gedanken des Aufklärers. Denn erst in dessen Blick wird der Hang zum Wunderbaren der Antagonist der Vernunft, das Hemmnis in der fortschreitenden "
"
[Quand les recits passeront de bouche en bouche] chacun otera quelque petit trait de vrai, et y en mettra quelquun de faux, et principalement du faux merveilleux qui est le plus agreable. (Fontenelle: D e l'origine des fables. In: F.: Textes choisis. Introduction et notes par Μ . Roelens. Paris 1966. S. 223 — 238. S. 225. Die weiteren Verweise werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl gegeben.) C f . hier Kap. 3.2.
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Rationalisierung der Welt. Der Text, um den es sich hier handelt, ist die kurze Abhandlung De Vorigine des fables. In ihr geht es um zweierlei: Zunächst um die im Titel angezeigte Frage, wie die fables — das sind für Fontenelle die Mythen, les extravagances des Grecs (238) — entstanden sind, dann aber auch um die für ihn viel wichtigere, warum diese offenbar falschen und für den vernünftigen Menschen lächerlichen Geschichten (faussetes manifestes et ridicules, 223) selbst in der zeitgenössischen aufgeklärten Welt {nous [qui sommes] incomparablement plus eclaires, 235) in Literatur und Malerei immer noch fortbestehen. Die Ursprungsfrage ist rasch beantwortet. Fontenelle bietet die moderne Analyse des mythischen Bewußtseins: Die antiken Göttergeschichten sollen die für die damaligen Menschen wissenschaftlich noch unlösbaren Rätsel der Natur erklären. Wenn sie dabei wunderbar phantasierten, so ist dies nur ein schuldloses, kindliches Irren (ßans qu'ily ait de leur faute, 228), hält ihnen Fontenelle zugute, weil es ja dem aufrichtigen Bemühen um Klarheit entsprang. Schwieriger ist die zweite Frage. Was ist davon zu halten, daß man immer noch an den Mythen festhält, obwohl die Vernunft längst deren Unwahrheit erwiesen und deren einstige Funktion durch die richtige Erklärung ersetzt hat ? Das ist für Fontenelle deshalb nicht leicht zu sagen, weil er noch keinen Begriff für die ästhetische Rezeption der poetischen Fiktion hat, so daß er am Ende doch immer wieder auf die eine Alternative wahr oder unwahr verfällt. Die Erfindungen der Dichter müssen ihm daher als Lüge und das Staunen über sie als Dummheit anstößig bleiben. Er erwähnt zwar die Möglichkeit, ja die Gewohnheit seiner Zeitgenossen, trotz des klaren Bewußtseins ihrer Unwahrheit an den Mythen Gefallen zu finden (cf. 235 f.), doch ist ihm selbst dieser plaisir der Menschen ä se tromper eux-memes (228) suspekt. Sobald die Vernunft es besser wissen kann, das ist Fontenelles Grundsatz, wird aus dem, was ursprünglich einmal unschuldige Unwissenheit war, schuldiger Selbstbetrug. Das Wunderbare ist nichts als Irrtum und Betrug (erreur und imposture), der erste läßt es entstehen, der zweite setzt es fort. Die Geschichte der alten Mythen, sagt Fontenelle, ist l'histoire des erreurs de l'esprit humain (238), und seine Histoire des oracles, die, wie es gemeinhin heißt, ihrem Inhalt nach angemessener Histoire des miracles betitelt wäre, schreibt die Geschichte der heidnischen wie der christlichen religiösen Wunder als Geschichte eines fortgesetzten Betrugs. Ihre Klage: si Von a un peu etudie l'esprit humain, on sgait quelle force le Merveilleux a sur luy,} formuliert indirekt, wie Fontenelle Aufklärung als Religionskritik versteht: Er will die force du merveilleux, er will das Staunen überwinden. In genau demselben Sinne übt er Dichtungskritik. In seiner Abhandlung Sur la poesie en general warnt er vor der Macht, die die Dichter durch die Wundergeschichten über ihr Publikum gewinnen können: eine Macht, die Vernunft zu entmündigen. Wenn wir den Thaumaturgen über uns freie Hand lassen, so Fontenelle, nous retombons C f . hier Kap. 6.1, A n m . 12. 180
aisement en enfance.'4 Als sein Wunschbild des Dichters - das mag man, wie Fontenelle es ausdrücklich tut, als Gegensatz zum poeta vates, wohl auch aber zum barocken facitore del mirabile verstehen - stellt er den poete philosophe vor: ein Dichter, dessen Ziele instruire und raisonner (und nur in deren Diensten auch divertir und plaire), dessen Tugenden ordre, clarte und justesse sind.1' E' del poeta il fin la meraviglia — genau das Gegenteil ist nun die neue Maxime. Die Dichtung soll ihren Beitrag leisten im allgemeinen Programm der Aufklärung, Staunen als Makel der Dummheit zu überwinden. Das vermag sie am besten als Populardidaxe, als Volksfassung wissenschaftlicher Lehrbücher. Fontenelle selbst schreibt einige Werke zu diesem Zweck, z.B. die Entretiens sur la pluralite des mondes, einen allgemeinverständlichen, unterhaltsamen Grundkurs in Astronomie, damit auch den wissenschaftlich Unbedarften, d.h. für Fontenelle in erster Linie: den Damen die neuen Erkenntnisse eröffnet werden. Was darin gerade nicht zu finden sein wird, stellt gleich das Vorwort klar: Ne vous attendes pourtant pas a entendre des merveilles...'6 Um seine Erörterung des Wunderbaren einer festen Grundlage zu versichern, gibt ein deutscher Dichtungstheoretiker folgenden Hinweis: Man lese hier nach, was Herr Fontenelle in seinem Diskurse vom Ursprünge der Fabeln, den ich in den auserlesenen Schriften desselben verdeutschet habe, für Ursachen davon gegeben hat. Diese Empfehlung stammt aus dem Hauptwerk der deutschsprachigen rationalistisch-aufklärerischen Poetik, aus Johann Christoph Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst.'7 Gottsched schätzt den französischen Philosophen so sehr, daß er ihn, wie er hier selbst anzeigt, dem deutschen Publikum durch eine umfängliche Ubersetzungsauswahl eröffnet, darunter neben De l'origine des fables z.B. auch die Histoire des oracles und die Entretiens sur la pluralite des mondes.l% Tatsächlich hält sich die Critische Dichtkunst grundsätzlich an Fontenelles kleine Abhandlung und ist wie sie überzeugt, in einem schon sehr fortgeschrittenen Stadium der zielstrebigen Rationalisierung der Welt zu stehen, so daß alles, was die unschuldige Unwissenheit früherer Zeiten an Wunderbarem ersonnen hat, nun außer Kurs geraten muß. M
Fontenelle: Sur la poesie en general. In: F.: CEuvres completes. Editees par G.-B. Depping. T. III. Paris 1S18 [Reprint:Genf 1968]. S. 3 5 - 5 1 . S. }8.
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C f . a.a.O. S. 47 f. Fontenelle: Entretiens sur la pluralite des mondes. Edition critique avec une introduction et des notes par A . Calame. Paris 1966. S. 11. ( = Societe des textes frangais modernes)
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Johann Christoph Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst. Vierte sehr vermehrte Aufl. Leipzig 1751. S. 184. (Neudruck: Darmstadt 1962.) Alle weiteren Zitate hieraus werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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Herrn Bernhards von Fontenelle [ . . . ] Auserlesene Schriften, nämlich von mehr als einer Welt, Gespräche der Todten, und die Historie der heydnischen Orakel; vormals einzeln herausgegeben, nun aber mit verschiedenen Zugaben [ . . . ] vermehret [ . . . ] von Johann Christoph Gottscheden. Leipzig 1751.
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Die Menschheitsgeschichte wird mit dem Erwachsenwerden des Individuums gleichgesetzt, aus kindlicher Einfalt reift sie zur Vernünftigkeit. Wieviel und worüber gestaunt wird, gilt vom anfänglichen Maximum bis zum erstrebten Minimum, ja bis zur Austreibung des Affekts als Maß, wie weit dieser Prozeß schon vorangeschritten ist. Wer sich dabei nicht seiner Zeit gemäß verhält, d.h. wer ungebührlich staunt, vergeht sich gegen die Vernunft, läßt sich >infantilisierentypischen< rationalistisch-aufklärerischen Staunensbegriff. Denn auch bei Breitinger bleibt Staunen das Antonym von Erkennen. Das Wunderbare der Dichtung ist nur der Schmuck der Kleidung, durch den die nackete Wahrheit aus dem Gesicht entzogen und verstecket wird (12 j): Diese Metapher — mit der die Critische Dichtkunst ihre eigene Theorie praktiziert: Sie macht ihre Lehre durch den mahlerischen Ausdruck volkstümlich — bietet die beste Anschauung für das, was bei Bacon und Spinoza, Thomasius und Wolff zu lesen war. Das Wunderbare ist Blendwerk, Betrug. Wenn die Wahrheit sich enthüllt, wird alles Verwunderliche, alle Verwunderung sich auflösen. Staunen ist der Affekt dessen, der die Wahrheit nicht sieht. E' del poeta il fin la meraviglia: Nachdem Fontenelle diesen Satz ins Gegenteil gewendet hat, soll er nun wieder gelten, doch in so eng eingeschränktem Sinn, daß alle Einwände berücksichtigt werden, die Fontenelle im Namen der Vernunft erhoben hat. Das Staunen rehabilitiert sich, indem es als rhetorisches Wirkungskalkül in den Dienst der Aufklärung tritt. Die handgreiflichsten Zusammenfassungen liest man zumeist nicht in den Werken, die selbst die Diskussion vorantreiben, sondern bei den >kleineren< Autoren, die ihnen hinterherlaufen, um zu sammeln und zu sichern, was im Schwange ist. Für die Poetik der Aufklärung ist Johann Christoph König ein solcher Fall. Der Abschnitt Vom Wunderbaren in seiner Philosophie der schönen Künste16 hebt gleich in einprägsamem Repetitor-Ton an: Die Geschichte beweise, daß der Mensch in dem Maße, wie die Aufklärung zunimmt, und in höchstem Maße dann, wann er sich zu den höchsten Stufen der Kultur aufgeschwungen hat, Feind und Verfolger alles dessen wird, was nur an das Wunderbare zu gränzen scheint (370). Als nicht nur angrenzendes Übel, sondern als Ursprung des ganzen, als Urgefühl des Wunderbaren (374), ist damit das Erstaunen proskribiert. Für die pädagogische Lizenz aber, die es doch erlaubt, findet König das lakonischste Wort, das alle Selbstgewißheit des Rationalisten enthält: Wo der Haufe gewöhnlicher Alltagsmenschen erstaunt, bewundert, anbetet, da muß ihm [dem aufgeklärten Dichter] eine innere Stimme das plus ultra laut zuruffen, da muß eine A r t Mitleid gegen die staunende Menge ihn beseelen. (347)
Das Staunen räumt die Aufklärung nur aus Mitleid des Klügeren mit dem Dümmeren ein: eine therapeutische Rücksichtnahme auf den, der nur mit Zugeständnissen an die Unvernunft behutsam zur Vernunft gebracht werden kann.
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Johann Christoph König: Philosophie der schönen Künste. Nürnberg 1784. Die Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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6.3 G i b t es vernünftiges Staunen? Es scheint, so sagt der, der wie kein zweiter zum Repräsentanten der kritischen Vernunft geworden ist, es scheint, das Gefühl der Verwunderung [...] habe an sich selbst viel Anlockendes für den Schwachen: nicht bloß weil ihm auf einmal neue Aussichten eröffnet werden, sondern weil er dadurch von dem ihm lästigen Gebrauch der Vernunft losgesprochen zu sein, dagegen andere in der Unwissenheit sich gleich zu machen, verleitet wird.1 Mit diesem Satz bekräftigt Immanuel Kant das geläufige rationalistische Urteil über den Affekt. Sich verwundern heißt: seine Vernunft nicht gebrauchen und ist eine Schwäche, eine ansteckende Schwäche derer, die diesen Gebrauch scheuen. Im genauen Gegensatz zum aristotelischen thaumazein bedeutet Verwunderung hier nicht den Antrieb, sondern die Bequemlichkeit des Denkens. Die neuen Aussichten, die Kant dennoch mit dem Affekt verbunden sieht, haben nichts mit philosophischer Erkenntnis zu tun, im Gegenteil: Damit ist die Sensationsgier gemeint, die affektive Bereitschaft, sich dem Betrug der Sinne, der Bezauberung, dem Blendwerk hinzugeben. Die Empfänglichkeit für Bauchredner und Schwarzkünstler ist dafür das harmlosere, der in der Religion sich bergende Aberglaube das schlimmere Beispiel, weil dieser ja, wie Kant mahnend an den Hexenglauben erinnert, tödlich enden kann (cf. 441 f.): Ein wundersüchtiges Volk dichtet armen unwissenden Weibern Zaubereien an, eine Staunlust, die sich mit Mordlust paart. Verwunderung wird zum Gegenbegriff der Aufklärung: Statt des Wissens macht sie die Unwissenheit allgemein. Es scheint, so sagt Kant. Diese Einleitung des Satzes kann man auf zwei Weisen verstehen. Im Kontext meint sie zunächst nicht den Trug der Oberfläche, sondern die historische Evidenz. Wenn man die Beispiele in der Geschichte der Menschheit anschaut, dann wird die verderbliche Wirkung der Staunlust offenkundig. Die Mesmerianer (441), die Leichtgläubigkeit, mit der so viele dem Scharlatan des >tierischen Magnetismus« auf den Leim gegangen sind, führt Kant als rezenten Beleg an. Blickt man indes über den engen Textausschnitt hinaus, so kann man Kants Es scheint auch anders lesen. Die Verurteilung des Affekts ist nur >scheinbar< so radikal, wie sie sich hier gibt, denn sie ist nur die halbe Wahrheit, die durch einen zweiten, positiven Staunensbegriff zu ergänzen ist. Daß dafür einfach der aristotelische wiedereingesetzt werden könnte, verbietet das neue Selbstverständnis der Philosophie. Sie wendet sich — wenn man einmal kurze und grobe Formulierungen zuläßt — vom Objekt auf das Subjekt der Erkenntnis, d.h. die Wahrheit ist nicht in den Gegenständen selbst evident,
Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: I. K.: Werkausgabe. Hg. von W. Weischedel. Bd.XII. Frankfurt a. M.: 9. Tsd. 1980. S. 442. ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 193) Die weiteren Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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sondern kann erst aus den subjektiven Voraussetzungen der Erkenntnis erschlossen werden. Es darf deshalb nicht der äußere Anstoß sein, der die Menschen zum Philosophieren bringt, im Gegenteil: Die Philosophie beginnt erst dann, wenn man sich von den äußeren Rätseln abwendet, um in der Selbstreflexion zunächst nach den Bedingungen zu fragen, unter denen dieses Außere wahrgenommen und gedacht wird. Erst die Immunität gegen alle Staunenserreger schafft den klaren Kopf des Philosophen. Wie aber der Affekt im 18. Jahrhundert noch woanders einen Platz findet als nur auf dem Krankenblatt des vernünftigen Menschen, lehrt die Diskussion eines anderen Begriffs, des >ErhabenenErhabenen< sprechen können, ohne zugleich genaue Grenzen zu ziehen, innerhalb deren sie diesen Begriff gelten lassen wollen, wird sogleich dann deutlich, wenn man bedenkt, was zur Definition des Erhabenen gehört: das Erstaunen. Die allgemeinste Bestimmung, die von allen anerkannt und als Basis jeder weiteren Erörterung bestätigt wird - das ist eine Erbschaft vom Pseudo-Longinos - ist die indirekte durch den Rückschluß von der Wirkung auf die Ursache. Das Erhabene ist das, was Erstaunen erregt, und zwar nicht lediglich als Hochachtung, als Bewunderung des Außerordentlichen, sondern als Verwunderung: der Affekt als Zeichen dafür, daß etwas, wie eine zuständige Abhandlung sagt, die Denkungsfähigkeit übersteigtBei der Diskussion des Erhabenen im 18. Jahrhundert geht es also um die Frage: Was kann, was darf den vernünftigen, aufgeklärten Menschen noch Staunen abverlangen? Die Antworten darauf sind unterschiedlich, drei ausgewählte zeigen die ganze Spannweite der Möglichkeiten: Nichts — das Göttliche — die Vernunft. Das sind die Antworten von Curtius, Bodmer und Kant. Was Michael Conrad Curtius' Abhandlung von dem Erhabenen in der Dichtkunst bietet, stimmt grundsätzlich mit der Kritik des Wunderbaren überein, die bei Fontenelle, Gottsched und auch Breitinger zu lesen war. Das Erhabene ist nichts als der Restbestand dessen, was die Weltweisheit in ihrem Kampf gegen den Aberglauben noch nicht bezwungen hat. Die Geschichte des Erhabenen ist die der zielstrebig geringer werdenden Irrtümer: Das also, was die Denkungsfähigkeit eines Zeitalters überstieg, und daher den prächtigen Namen des Erhabenen nahm, ist vielleicht in einem erleuchteteren Zeitpuncte ein gemeiner Gedanke, ein Vorurtheil, ein Irrthum.'
Die Zukunft verheißt deren restlosen Schwund: Was uns mit einem ehrerbietigen Erstaunen erfüllet, ist vielleicht für Einwohner eines vollkommenem und aufgeklärteren Weltkörpers ein unbemerktes und gewöhnliches Schauspiel. (8 f.) 4
C f . Michael Conrad Curtius: Abhandlung von dem Erhabenen in der Dichtkunst. In: M. C. C.: Kritische Abhandlungen und Gedichte. Hannover 1760. S. 1 — 68. S. 9.
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A.a.O. Die künftigen Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen. 189
Am Geschichtsziel der vollkommen aufgeklärten Welt ebnet sich alles zur Gewöhnlichkeit, zu einer Ordnung bekannter Tatsachen, so daß nun, wenn jemand weiterhin gegen das Gewöhnliche etwas Erhabenes und gegen das Kennen ein Erstaunen behaupten will, dies als irrationaler Ausbruch, als ausschweifender Traum gelten muß, den der Weltweise — hier kommt Curtius mit Johann Christoph König überein — nur mit Mitleiden anstehet (cf. 34 f.). Das Wechselspiel von Erhabenem und Erstaunen ist in der kritischen Abhandlung dann nur noch als Simulation, als planvolle Befriedigung eines niedrigeren Bewußtseins denkbar. Wenn es der moralischen Besserung oder der Erheiterung dient - darin sieht Curtius den Zweck der Dichtung -, dann ist es erlaubt, ein Werk der rückständigen Vernunft seines Publikums anzugleichen (cf.34). Für den, der das Entwicklungsziel der Menschheit erreicht hat, gibt es nichts mehr zu staunen, was an Erstaunen bleibt, ist die Schwäche kindlicher Gemüter. Die Antwort, die Johann Jacob Bodmer gibt, ist die Ausführung dessen, was sich bei Curtius nur an einer Stelle als Lücke im System zeigt. Das einzige, was er von der historischen Relativierung, von der zielstrebigen Beseitigung ausnimmt, ist das, woran die Religion festhält: GOtt, und seine Würkungen, machen [...] das einzige unbedingte Erhabene aus. (36) Wenn Bodmers Lehrsätze von dem Wesen der erhabenen Schreibart zwei Arten der Verwunderung unterscheiden, so zielen sie darauf, gegen die philosophische Verurteilung den religiösen Staunensbegriff zu rehabilitieren. Die Verwunderung der Menge, des Pöbels, das dumme Angaffen, das die Unwissenheit zur Mutter habe, das blinde Uberraschen, ohne Nachdenken und Tiefsinn — so faßt Bodmer die Schlüsselworte der aufklärerischen Staunenskritik zusammen — dürfe man nicht in eins setzen mit einer ganz anderen Verwunderung, aus welcher die grösten [sie] Geister die mit dem erlauchtesten Verstände begäbet sind, sich eine Ehre machen.6 Daß dieser ganz andere Staunensbegriff gegenüber der zeitgenössisch gängigen Auffassung nicht leicht zu behaupten ist, weiß Bodmer sehr genau. Er nimmt deshalb selbst schon die möglichen Einwände vorweg, um sich am Ende doch einen Ausweg freizuhalten. Für diejenigen, die sich weder durch den Schein der Dinge, noch durch Wahn betrügen lassen, die gewohnt sind, bis auf den Grund der Sachen durch zudringen, die aus dem vergangenen auch auf das künftige, d.h. in Kausalketten zu schließen wissen — so umreißt Bodmer das Selbstbewußtsein des aufklärerischen Rationalismus — für die könne es freilich nur wenig Sachen geben, die ihnen der Verwunderung würdig vorkommen (cf. 216 f.). Damit aber dieses wenige nicht konsequent zu nichts wird, damit sich überhaupt etwas unergründlich Verwundersames bewahrt, muß Bodmer mit dem bislang geführten 6
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Johann Jakob Bodmer: Lehrsätze von dem Wesen der erhabenen Schreibart. In.: J. J. B. und Johann Jakob Breitinger: Schriften zur Literatur. H g . von V. Mied. Stuttgart 1980. S. 21$ —221. S. 216. ( = Reclams Universal-Bibliothek Nr.9953) Die Nachweise werden künftig unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl gegeben.
Raisonnement brechen und an eine ganz andere Tradition erinnern, an die admit atio Dei: G O t t ist der Höchste in der ganzen Natur [ . . . ] . Sein Wesen ist dem Menschen verborgen, er wohnt in einem Lichte, dessen Glanz die blöden menschlichen Augen blendet. Wir kennen ihn nur aus seinen Thaten, aus seiner Regierung und Anordnung der Dinge, und diese sind allemal seiner Unendlichkeit gemäß, und führen den Charakter eines unbegreiflichen Wesens. Darum füllen sie auch die grössten Gemüther mit heiliger Bewunderung und Ehrfurcht an. (118) Bodmers Konzept des Erhabenen (auch bei ihm die indirekte Definition durch die Wirkung: Das Erhabene Grad
der Verwunderung
ist dasjenige, welches einen hohen und
verursacht
wieder ein. A u c h der Ambivalenz des fascinosum dacht: heilige Bewunderung
sonderbaren
215.) setzt den religiösen Staunensbegriff
und bestürzende
et tremendum
Verwunderung
wird dabei ge-
(217), formuliert
Bodmer. Daß diese Theorie auf einem bevorzugten praktischen Beispiel basiert, ja daß sie nichts anderes ist als die Abstraktion von dem, was der Anschauung schon als vorbildliche Dichtung gegeben war, ist offenkundig. A u c h ohne daß Bodmer den N a m e n >seines< Dichters zu erwähnen brauchte, wird dies deutlich, indem er als Konkretisierung seiner Theorie des Erhabenen das empfiehlt, was er in Miltons Epos finden konnte: Unter allem sind die seligen Engel guten, und die gefallenen
im bösen auf einem hohen Grade vortrefflich
Gegen die Scharf- und Tiefsinnigkeit
im
(219).
von Witz, Verstand und Vernunft ver-
ficht Bodmer den A f f e k t als fromme Andacht: die höchste Kraft des
Herzens
(cf.221). Diese zu erwecken ist die Aufgabe der Dichtung, die — das ist bei Bodmer der Richtwert aller Theorie — in Miltons Paradise lost vorbildlich erfüllt wird. Der Z w e c k des poetischen Erhabenen, gegen den Rationalismus den A f fekt als Gottesandacht und -ehrfurcht zu bewahren, ist darin in katechetische Verse gebracht: the rest For Man or Angel the great Architect Did wisely to conceal, and not divulge His secrets to be scannd by them who ought Rather admire; Bodmer übersetzt: Der weise Bauherr hat es weislich den Menschen und den Engeln verborgen gelassen, und seine Geheimnisse ihnen nicht geoffenbaret, damit sie von denjenigen nicht beurtheilet würden, deren Pflicht vielmehr erfodert, sie zu bewundern. 7
7
John Milton: Paradise lost. V I I I , 7 1 - 7 5 . (nach: The Poetical Works of J. M. Ed. by H. Darbishire. London, New York, Toronto 1958.) Johann Miltons Episches Gedicht von dem Verlohrenen Paradiese. Ubersetzet und durchgehende mit Anmerckungen über die Kunst des Poeten begleitet von Johann Jacob Bodmer. Zürich 1742. (Neudruck: Stuttgart 1965 = Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 18. Jahrhunderts) 191
Was Bodmer zur Wiederaufwertung des Affekts vorbringt, steht außerhalb des philosophischen Raisonnements seiner Zeit. Er durchbricht deren Argumentation, um an die überlieferte Lehre vom Deus absconditus anzuknüpfen. Der im Vergleich zum zeitgenössisch gängigen ganz andere erweist sich als der ganz alte Staunensbegriff. Wer ebenfalls der aufklärerischen Verurteilung des Affekts entgegentritt, dabei aber nicht die Tradition wiederbelebt, sondern etwas Neues formuliert, wer nicht gegen, sondern durch das kritisch vernünftige Raisonnement die Verwunderung wiederaufzuwerten sich bemüht, ist Kant. Er faßt — so kann im voraus resümiert werden - den neuplatonisch-christlichen Staunensbegriff neu als Selbstandacht des vernünftigen Menschen. Auch hier gibt die Erörterung des Erhabenen den Rahmen. Kants Analytik des Erhabenen8 meldet den Anspruch an, das, was Burke nur beschrieben habe, philosophisch zu deuten, d.h. sie will die Empfindung des Erhabenen aus der empirischen Psychologie in die Transzendentalphilosophie hinüberziehen (191). Sie greift dazu dort ein, wo Burke den Hauptakzent setzt: The astonishment, the effect of the sublime, so sagt der Engländer, ist die gemischte Empfindung von Faszination und Schrecken, wofür er, um es auf eine Formel zu bringen, das Oxymoron delightfull horror wählt. Daß er damit nichts Neues verkündet, sondern diese Ambivalenz der Begriffstradition des Staunens schon von Anfang an eingeschrieben und in den verschiedenen Wörtern deutlich bekundet ist, weist er in einem kurzen philologischen Exkurs auf: Several languages bear a strong testimony of the affinity of these ideas. T h e y frequently use the same word, to signify indifferently the modes of astonishment or admiration, and those of terror. Thambos is in Greek, either fear or wonder [ . . . ] . The Romans used the verb stupeo, a term which strongly marks the state of an astonished mind, to express the effect either of simple fear or of astonishment; the word attonitus (thunder-struck) is equally expressive of the alliance of these ideas; and do not the French etonnement, and the English astonishment and amazement, point out as clearly the kindred emotions which attend fear and wonder?'
Die philosophische Deutung, die Kant dieser Bestandsaufnahme geben will, besteht darin, daß er diese Ambivalenz den verschiedenen Erkenntnisvermögen zuordnet, dem >niederen< der Sinnlichkeit und dem >oberen< der Vernunft. Wenn die Analytik des Erhabenen vom schnellwechselnden Abstoßen und Anzie· 8
'
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Das ist das Zweite Buch im Ersten Abschnitt des Ersten Teils der Kritik der Urteilskraft. Zitiert wird nach: Immanuel Kant: Werkausgabe. Hg. von W. Weischedel. Bd. X . Frankfurt a. M . 1974. ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 57). Die Nachweise werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl gegeben. Edmund Burke: A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful. In: Ε. B.: O n Taste, On the Sublime and Beautiful, Reflections on the French Revolution, A Letter to a Noble Lord. With Introduction and Notes. N e w York 1909. S. 27—148. ( = T h e Harvard Classics. Vol. 24.) Die Zitate in der Reihenfolge: S. 51, 114 und 52.
hen (181) spricht, so teilt sie sogleich ein, für wen das eine und für wen das andere gilt: Für die Vernunft ist es in eben dem Maße anziehend, als es für die bloße Sinnlichkeit abstoßend ist (181 f.). Die Zweiteilung des menschlichen Erkenntnisvermögens in Anschauung, d.h. Sinnlichkeit einerseits und reines Denken, Ideen, d.h. Vernunft andererseits, unterliegt bei Kant durchaus der Wertung, die durch die Termini >niederes< und >oberes< Erkenntnisvermögen schon angezeigt ist. Denn obgleich er im Bereich der Naturerkenntnis beide aufeinander verpflichtet und mahnt, daß hier jedes von der Anschauung gelöste Denken zu leeren Begriffen führt, so bedeutet doch in der Anthropologie die Einteilung in das >niedere< und das >obere< Vermögen die in das Unedle und das Edle im Menschen, in die dunkle Seite, auf der er heteronom dem Zwang der äußeren und inneren Natur unterliegt, und die helle, auf der er autonom seine Bestimmung zur Freiheit erfüllen kann. In der Selbsterkenntnis kommt also alles auf die Einsicht an, daß wir reine selbständige Vernunft haben (182), und genau diese Einsicht ist der Moment des Staunens. Denn indem hier die Sinne hinter der Vernunft zurückbleiben (das Staunen, so gelangt man auf das Etymon zurück, ist das >Erstarren< der Sinne10), läßt der Affekt die Überlegenheit der Vernunftbestimmung über die Sinnlichkeit empfinden (cf.180). Konkret: Wird der Mensch einer Sache gewahr, die seine sinnliche Fassungskraft übersteigt, überanstrengt oder ihn bedroht im Aufreihen von Beispielen wird Kant prolix: kühne überhangende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. d. gl. (18$) -, so kann er diese überwältigenden Erscheinungen genau dann als erhaben empfinden, wenn er — an sicherem Platz vor der unmittelbaren Gefahr geschützt - sie nicht zu fürchten braucht, sondern als Gleichnis des Ideellen aufzufassen vermag. In der Überlegenheit der äußeren Naturerscheinungen über seine eigene, innere Natur soll der Mensch gleichnishaft die Überlegenheit seiner Vernunft über seine Sinnlichkeit erkennen. Dieser Augenblick, in dem der Mensch am sinnlichen Modell die Hoheit seiner Vernunft begreift, ist die Verwunderung, die an Schrecken grenzt, das Grausen und der heilige Schauer (195): die Empfindung des Erhabenen als eine in der Natur simulierte Selbsterkenntnis. Die ganze Analytik des Erhabenen, so kann man resümieren, steckt in folgenden zwei Sätzen:
In den frühen Beobachtungen Uber das Gefühl des Schönen und Erhabenen
steht die
Doppelformel: Die Miene des Menschen, der im vollen Gefühl des Erhabenen sich befindet, ist [...]
starr und erstaunt. In: Immanuel Kant: Werkausgabe. Hg. von W. Wei-
schedel. Bd.II. Frankfurt a. M.: 6 . - 9 . Tsd. 1978. S. 8 2 1 - 8 8 4 . S. 827. ( = suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 187)
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Man kann das Erhabene so beschreiben: es ist ein Gegenstand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüt bestimmt, sich die Unerreichbarkeit der N a t u r als Darstellung von Ideen zu denken. (193) A l s o ist das Gefühl des Erhabenen in der Natur Achtung für unsere eigene Bestimmung, die wir einem Objekte der Natur durch eine gewisse Subreption (Verwechslung einer Achtung für das Objekt statt der für die Idee der Menschheit in unserem Subjekt) beweisen, welches uns die Überlegenheit der Vernunftbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichsam anschaulich macht. (180)
Kants Verwunderung als Selbsterkenntnis und Selbstachtung des vernünftigen Menschen ist die rationalistische Neufassung des platonisch-christlichen Staunensbegriffs. Die Apposition heiliger Schauer (195) signalisiert, welches traditionelle Konzept hier reformiert wird: Es geht um die Erkenntnis des Vollkommenen durch das Unvollkommene. Gott und Mensch hieß diese Relation einst, Vernunft und Sinnlichkeit heißt sie nun. Der Affekt markiert beidemal die Schwelle, an der das Niedrigere durch sein Scheitern das Höhere erkennt. Kant setzt nur das alte Konzept um eine Stufe herab, aus dem excessus mentis wird bei ihm der excessus sensus. Wo zuvor das Versagen der Vernunft angenommen wurde, korrigiert er als Rationalist: Es ist nur das Versagen der Sinne. Man könnte die Ideengeschichte des Staunens hier abschließen und sich mit folgender Nachrede verabschieden: Die Geschichte des Staunens ist zu Ende. Als deren Schlußpunkt versteht sich die Aufklärungsphilosophie, indem sie das auf die Menschheitsgeschichte überträgt, was Aristoteles im Blick auf den einzelnen Erkenntnisschritt sagt: Es beginnen alle mit der Verwunderung [...]. Es muß sich aber dann am Ende zum Gegenteil, »zum Besseren« umkehren." Nicht nur im Einzelnen, sondern umfassend und definitiv dieses Bessere erlangt zu haben formuliert sich als wissenschaftliches Selbstbewußtsein im 18. Jahrhundert. Die vernünftige Einsicht soll nun allgemein geworden sein. Die Austreibung der Verwunderung durch die Vernunft fügt sich dabei in ein generelles anthropologisches Programm: Der Mensch sei autonome Vernunft. Gegen den >niederen< Bereich der Empfindung, der Sinnlichkeit, der Affekte wird der >hehre< des reinen Denkens gesetzt. Die Passivität des ersten durch die Aktivität des zweiten zu überwinden ist das Ziel der menschlichen Selbstverwirklichung. Genau so liest es sich bei dem, der alle gültigen Schlußfolgerungen der Philosophiegeschichte gezogen zu haben beansprucht. Sein Schlußsatz zur Geschichte des Staunens lautet: Das philosophische Denken aber muß sich über den Standpunkt der Verwunderung erheben. Es ist ein völliger Irrtum, zu meinen, daß man die Sache schon wahrhaft erkenne, wenn man von ihr eine unmittelbare Anschauung habe. Die vollendete Erkenntnis gehört nur dem reinen Denken der begreifenden Vernunft an. ,! " "
Metaph. 9 8 3 3 , 1 3 - 1 8 ; cf. hier Kap. 3.1. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes. = G . W. F . H : Werke.
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D o c h dieser Satz ist nicht die gültige Conclusio, nicht einmal nur für die Philosophie des 18. Jahrhunderts. Denn in ihr sind auch die Stimmen zu vernehmen, die das, was Hegel einen völligen Irrtum nennt und sofort korrigiert, anders zu lösen versuchen, indem sie die unmittelbare ne Denken
der begreifenden
Anschauung
und das rei-
Vernunft nicht als falsch und wahr kontrastieren,
nicht nur auf der einen Seite, sondern erst in der Vereinigung beider von vollendeter Erkenntnis
sprechen.' 3 Wenn man diese Kritik an der rationalistischen Er-
kenntnislehre als >Gegenaufklärung< bezeichnen will, so ist dies mit Ulrich Gaier am zutreffendsten als Aufklärung sche Begrenzung
der Aufklärung
des Absolutheitsanspruchs
der Vernunft.'*
zu verstehen: die kritiD e r vielfältigste und
für die Folgezeit anregendste Beitrag stammt hierbei von Johann Gottfried Herder. Durch ihn wird die Geschichte des Staunens nicht abgeschlossen, sondern neu begonnen, indem er diesen Begriff als Korrektiv gegen die Einseitigkeit des Rationalismus wieder in die Diskussion bringt. Ohne es in gründlicher Darstellung auszuführen, gibt er doch einzelne ernste Anregungen, wie der A f fekt nicht mehr nur als Negation, sondern auf neue Weise als Voraussetzung von Erkenntnis verstanden werden kann. Freilich sind auch solche Stellen anzuführen, die Herder scheinbar glatt in seine Zeit ordnen. Seine Geschichte des Erhabenen dung'''
in der menschlichen
Empfin-
zeichnet in der üblichen Parallelisierung von Menschheits- und Indivi-
dualentwicklung eine Fortschrittsgeschichte der Vernunft, wie man sie typischer in keiner Musterschrift der A u f k l ä r u n g finden könnte. D e r Weg führt zielstrebig vom ersten dunklen Anstaunen
zur Kenntnis (cf.235). In immer neuen
Beispielen wird das eine Schema variiert: Was einst nur angestaunt ward, wird am Ende mit dem Geist erfaßt (cf.232), das dumpfe Anstaunen
der Kindheit
muß sich in vernünftiger Einsicht lösen, wer als Kind natürlicher
(233)
Weise staunt,
kommt schließlich doch zur Vernunft und lernt (cf.235 f.). M i t der gängigen A u f klärungsmetaphorik spart Herder nicht: Die Vernunft der Menschen klärte sich auf (231), das Licht verbreitete
sich (232), unsere Vernunft erwachte
(237), die
Tuba der Vernunft erscholl (239), ja er findet sogar die großartigste von allen, indem er die älteste Erkenntnismetapher, den ascensus, die Bergbesteigung, zu
14
''
Bd. 10. Auf der Grundlage der Werke von 1832 - 1 8 4 5 neu edierte Ausgabe. Redaktion E. Moldenhauer und Κ. M. Michel. Frankfurt a. M. 1970. S. 25$. Dies ist im vorangehenden Kapitel (6.1) schon bei Goethe aufgewiesen worden. Ulrich Gaier: Gegenaufklärung im Namen des Logos: Hamann und Herder. In: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. von J. Schmidt. Darmstadt 1989. S. 261 — 276. S. 2 7 6 . Johann Gottfried Herder: Kalligone. Vom Erhabenen und vom Ideal. I,i. Geschichte des Erhabenen in der menschlichen Empfindung. In: J. G . H.: Sämtliche Werke. Bd. X X I I . Hg. von B. Suphan. Hildesheim, N e w York [o.J.]. S. 227 — 241. ( = Zweite Nachdruckauflage der Ausgabe Berlin 1880) Die Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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einem Bewußtseinsbild des 18. Jahrhunderts umformt. Was in neuplatonischchristlicher Tradition den Aufstieg zum Einen, den ascensus in Deum,'6 bei Petrarca dann den Versuch darstellt, religiöse und ästhetische Erfahrung zu vereinen,'7 wird bei Herder dadurch zum Sinnbild für Aufklärung, daß er — in genauer Umkehrung des überlieferten Schemas — das Staunen vom Gipfel ins Tal verlegt. Statt auf die Devotion vor der überrationalen Offenbarung zielt der Weg nun auf die Emanzipation der Vernunft, anstatt am Ende vom Affekt überwältigt zu werden, gilt es nun, sich von ihm zu befreien: W i r sahen Berge, Thürme, Felsen; »ach, wer droben wäre!« sagte unser jugendliche Geist; »und wer könnte nicht dort seyn!« sagte unser jugendliche Muth. W i r erklimmten die Höhe, um auch zu seyn, wo der Vogel saß; und fanden oben den kahlen Gipfel oder gar eine Ebene. Das Erstaunen war aufgelöset, aber in etwas viel Schöneres, die freie, weite Aussicht tief hinab und weit umher verwandelt. Was uns das Thal des Staunens nicht geben konnte, gab uns die Höhe im vielumfassenden, reich-belehrenden [ . . . ] Anblick. (235)
Sich aus dem Thal des Staunens zur vielumfassenden, reich belehrenden, freien, weiten Aussicht tief hinab und weit umher erheben: eine trefflichere und im traditionellen Bezug prägnantere Metapher kann für das philosophische Bewußtsein des 18. Jahrhunderts nicht gefunden werden. Diese wenigen Hinweise belegen, wie fest Herder seiner Zeit, wie fest er dem Programm der Aufklärung verbunden ist. Um aber nicht das Zeittypische, sondern das Eigene bei ihm zu erkennen, bieten sich genügend Werke an, mit denen er selbstbewußt, oft polemisch gegen die herrschende Philosophie, in Herders Anklageton: gegen den einseitigen Rationalismus streitet. Am deutlichsten ist hier die Schrift, die ihren Standort außerhalb der zeitgenössisch gängigen Diskussion in ihrem Untertitel selbst anzeigt: Beytrag zu vielen Beyträgen des Jahrhunderts. In Opposition zu allen Fortschritt feiernden Vernunft teleologien gibt Herder darin - so lautet der Haupttitel — Auch eine [d.h. eine eigenwillig andere] Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit.'9 Gemeinhin wertet man diesen Text als eine der Gründungsschriften des Historismus, doch wenngleich Herder darin auffordert, jede Epoche aus sich und für sich zu beurteilen, hält er weiterhin an einem übergeordneten, ahistorischen Maßstab fest. Denn der Vorwurf, daß die modernen Geschichtsschreiber aufgrund rationalistischer Vorurteile den Wert der verschiedenen Zeitalter verkennen, führt bei ihm nicht immer geradezu zum historischen Relativismus, es 16
" 18
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C f . hier Kap. 3.3 und 4.1. C f . hier Kap. 5.1. Johann Gottfried Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Beytrag zu vielen Beyträgen des Jahrhunderts. In: J. G . H.: Sämtliche Werke V. Hg. von B. Suphan. Hildesheim, N e w York [o.J.]. S. 4 7 5 - 5 8 6 . ( = Zweite Nachdruckauflage der Ausgabe Berlin 1891) Die Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
bleibt vielmehr oftmals dabei, daß er das eine, das rationalistische, durch ein anderes Ideal ersetzt. Dieses andere, das Herdersche Ideal ist die Einheit von Empfindung und Erkenntnis, von Affekt und Vernunft. Verwirklicht sieht er dies in besonderer Weise am Anfang der überlieferten Kultur, im Morgenland (cf.483 ff.), so daß er diesen Ursprung trotz allen historischen Relativierens als unvergängliches Vorbild achtet. Hier glaubt er das verbunden, was er in der modernen Philosophie zum großen Schaden getrennt findet: das affektive Empfinden und das vernünftige Begreifen der Welt. Wer alles mit Staunen erfaßt, wird es damit auch um so vester [sie] sich zueignen (cf.485), thöriebt ist der, der den Affekt als Betrügerei und Dummheit, als Aberglaube brandmarkt (cf.486). Doch solche Sätze — das wird man Herder und im besonderen seiner Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit vorhalten können — sind oft nicht mehr als leidenschaftliche Rhetorik. Gegen die Ratio, die trockne und kalte Vernunft (482), ehren sie den Affekt, ohne indes näher zu sagen, warum die rationalistische ohne die affektive Auffassung mangelhaft ist. Der bloße Begriff der >Ganzheitlichkeit< ist noch kein überzeugendes Argument. Man darf Genaueres verlangen. Warum die Vernunft nur zum Schaden von allem Affekt zu trennen ist, warum die Austreibung des Staunens gerade nicht Fortschritt, sondern Rückschritt der Erkenntnis bedeutet, läßt sich bei Herder am genauesten aus dem Satz erschließen, der — so kann man an sich selbst erfahren, was nun zu erklären ist — gewiß der erstaunlichste in seiner Philosophie der Geschichte ist: die Geschichte der frühesten Entwicklungen des Menschenlichen Geschlechts, wie sie uns das ältste Buch beschreibt, mag also so kurz und apokryphisch klingen, daß wir vor dem Philosophischen Geist unsres Jahrhunderts, der nichts mehr als Wunderbares und Verborgnes haßet, damit zu erscheinen erblöden: eben deswegen ist sie wahr. (478)
Mit diesem Satz legt sich Herder quer zum Raisonnement seiner Zeit. Er will die Wahrheit genau durch das verbürgt hören, was vernünftigen Ohren« die Unwahrheit beweist: dadurch, daß etwas wunderbar klingt. Dies lediglich als religiösen Vorbehalt dessen abzutun, der gegen die Geschichtsforschung weiterhin an das Buch Genesis glaubt, wäre zu einfach. Besser kann man es dann verstehen, wenn man als hermeneutische Hilfe einen Gedanken von Hans Blumenberg hinzuzieht. Der neuzeitliche Wirklichkeitsbegriff, so umreißt Blumenberg in einer kleinen Skizze, ist auf Vermeidung des Unerwarteten, auf Eindämmung, auf Konsistenz gegen den Fall der Unstimmigkeit angelegt. [Die] Erfahrung ist auf Kategorien reduziert, deren Reichweite einerseits >a priori< den Grenzfall des ganz und gar Irregulären ausschließt, andererseits die Schwelle der Zulassung des nur Singulären hoch legen muß. Möglich — so Blumenberg weiter - wird dabei die bange Frage, ob nicht erst das, was die Konsistenz des Wirklichkeitsbewußtseins zu durchbrechen vermöchte, das im strengeren Sinne Wirkliche 197
wäre.'9 Blumenberg zielt mit dieser Frage auf die moderne Literatur, auf deren Fähigkeit, das Gewöhnliche und Alltägliche als das Ungeheure erscheinen zu lassen. Als Kronzeuge dafür wird — freilich - Kafka aufgerufen. 10 Was aber hier der modernen Literatur zugesprochen wird, das Vermögen, die Immunisierung des Bewußtseins durch Konsistenz aufzuheben,11 findet Herder woanders: in den alten Uberlieferungen. Das ist der Grund, warum man etwas gerade deshalb für wahr halten kann, weil es wunderbar klingt: Es öffnet den Blick für das, was der eigenen unbemerkten und anders nicht zu bemerkenden Beschränktheit entgeht. Der abstrakte Kopf stellt sich das Alles Federleicht [sie] vor, spottet Herder über diejenigen, die selbstsicher mit Genugtuung in ihren Systemen denken, ohne sich deren nur begrenzter Gültigkeit bewußt zu sein, und als Remedium gegen solche Borniertheit stellt er sich vor: wie wird er vor der Zauberwelt eines Landes und Himmelsstrichs, alter Sitten und Gebräuche, ewiger Empfindungen und des ganzen Elements einer Nation staunen!11 Auf neue Weise wird Staunen zur Voraussetzung von Erkenntnis: Es ist die Bereitschaft, die Fähigkeit, sich durch Fremdes aus dem Konzept bringen zu lassen. Der Affekt wird zur notwendigen, zur immer wieder notwendigen Aufrüttelung dort, wo das eigene Denken in falscher Sicherheit bequem wird. Wer annimmt, durch eigenes Nachdenken alle seine Fehler und Grenzen aufspüren zu können, muß große Stücke auf seine Vernunft halten, wer sich hingegen eingesteht, daß er dazu nicht nur einmal, sondern immerzu des äußeren Anstoßes bedarf, ist aufrichtiger. Der Affekt als Wirkung fremder Texte, uns aus der eigenen Engstirnigkeit zu schrecken: Wenn man dies das »philologische Staunen< nennen will, so ist damit wohl das beste Motiv bezeichnet, sich mit diesem Fach abzugeben.
''
H a n s Blumenberg: Vorbemerkungen zum Wirklichkeitsbegriff. In: G ü n t e r Bandmann et al.: Z u m
Wirklichkeitsbegriff. Mainz,
Wiesbaden
1974.
S. 3 —10. S. 9.
( = Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Jg. 1973, N r . 4.) 20 21 21
C f . a.a.O. A.a.O. Johann Gottfried Herder: V o m Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. I n : J . G . H . : Werke. H g . von W . Pross. Bd. II. Darmstadt 1987. S. 5 4 3 - 7 2 3 - S. 627 f.
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7· Nachtrag: Staunen in Sartres Roman La nausee
Herausgefordert, die beanspruchte Auslegungs- als Aneignungskunst zu erweisen, ist diese Arbeit ein einziges Mal für Martin Heidegger von ihrem historischen Parcours in die jüngere Vergangenheit abgewichen (cf. Kap.3.1). Als Nachtrag soll ihm ein zweiter, philosophiegeschichtlich nahestehender Autor zugesellt werden: Jean-Paul Sartre. Anders als Heidegger, dessen Erstaunen gleich anfangs an dem griechischen thaumazein zu messen war, auf das es sich beruft, muß Sartre am Ende stehen. Denn seinen Beitrag zur Ideengeschichte des Staunens kann man nur dann verstehen, wenn man sich zuvor eine lange Tradition vergegenwärtigt: die der ekstatischen Wahrheitsintuition, die ihr Urbild in der platonischen Ideen- und in der christlichen Gottesschau ihre in Konzeption und Darstellung weiteste Ausarbeitung hat. Sartre schließt an diese Tradition an, um das hier Vorgebildete genau ins Gegenteil zu verkehren. Aus dem ascensus zur beglückenden Wahrheit wird der descensus zur bedrückenden Sinnlosigkeit. Alle Motive der visio beatifica verwandeln sich wie auf einem Negativ zur Düsternis einer visio horrifica. Damit zum Text: Es handelt sich um die prominente Stadtparkepisode aus Sartres erstem Roman La nausee,' das Offenbarungserlebnis des fiktiven Tagebuchautors Antoine Roquentin. Was offenbart sich hier? Auf den ersten Blick ist es genau das, worauf Heidegger sein Er-staunen bezieht: das Seiende in seiner Unverborgenheit, das Seiende als solches. Im Erlebniston des Diariums klingt es so: a l'ordinaire l'existence se cache. [ . . . ] Et puis voila: tout d'un coup, c'etait clair comme le jour: l'existence s'etait soudain devoilee. (179)
Das Stadtparkerlebnis stilisiert den existentialistischen Lehrsatz als persönliche Erfahrung: Die Existenz ist an sich sinnlos. Das Dasein der Welt und des Menschen ist ein rein faktisches Daß, falsch ist jeder Anspruch, es mit einem kausalen oder finalen Warum oder Wozu zu verbinden. Exister, läßt Sartre Roquentin angesichts einer Baumwurzel innewerden, cest etre lä, simplement;
Jean-Paul Sartre: La nausee. Paris 1980. ( = Gallimard, Collection folio 80$; Erstausgabe 1938) Die Zitate werden unmittelbar im Text durch Angabe der Seitenzahl nachgewiesen.
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(184) le monde des explications et des raisons η'est pas celui de I'existence (182). Der Sinn, so führen spätere Werke Sartres aus, kann nicht anders als durch die freie, selbständige Entscheidung des Menschen geschaffen werden, ohne daß dieser dafür eine andre Richtschnur hätte als seine eigene Verantwortung. Daraus resultiert die Angst, die jeder empfinde, der sich nicht durch Selbstbetrug aus der Verantwortung stehle, resultiert der paradoxe Satz, daß der Mensch zur Freiheit verurteilt sei. Doch diese weiteren Fragen bleiben in dem frühen Roman noch außer Betracht. In ihm geht es allein um den vorausliegenden Grundsatz, um das Bewußtsein von der Sinnlosigkeit des Daseins. Genau das ist die Bedeutung der nausee: Das Denken des Sinnlosen wird in dem Roman zur Ästhetik des Unästhetischen. Die Sinnlosigkeit wird als Widerlichkeit sinnfällig. Die Empfindung des Ekels soll den Gedanken der absurdite vermitteln. Deshalb ist im Text das Wortfeld des Noetischen spärlich, das des (Un)Ästhetischen hingegen üppig bestellt. Die Ausdrücke des Ekels und des Ekelhaften sind in genau der aufdringlichen Uberfülle da, in der sich — nach Sartre — das Dasein offenbart. 2 Eine Offenbarung, richtiger: das Gegenbild einer Offenbarung wird hier geboten. Statt des Lichtglanzes der Wahrheit das Anekeln des Absurden. Bis ins Detail ist die Stadtparkepisode eine Kontrafaktur der visio beatifica. Gleich der erste Satz schlägt den charakteristischen Ton an: Et tout d'un coup, d'un seul coup, le voile se dechire, j'ai compris, j'ai vu. (178)
Es ist die Plötzlichkeit eines Augenblicks, den die Erinnerung nicht mehr wiedergeben, sondern nur kurz davor (le voile se dechire) und kurz danach (j'ai compris, j'ai vu; das Perfekt zeigt an, daß es schon abgeschlossen ist) einkreisen kann. Das Gesehene selbst ist unsagbar (Oh! Comment pourrai-je fixer ςα avec des mots f 182) und kommt nur indirekt durch die Wirkung auf den Sehenden, durch dessen Überwältigung zur Sprache: f a m'ecrase (178), ςa m'a coupe le souffle (179). Mit der Licht- und Augenmetaphorik reiht sich der Text deutlich in die Tradition (j'ai vu 178, cette illumination 179), durch die Uberbetonung der zeitenthobenen Erfüllung allen Wissensdrangs wird er geradezu kitschig-konventionell: mon but est atteint: je sais ce que je voulais savoir (178), j'ai fait Γexperience de l'absolu (182), le temps s'etait arrete: [...] il etait impossible que quelque chose vint apres ce moment-lä (185). 3
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Je compris quil n'y avait pas de milieu entre l'inexistence et cette abondance pämee. Si l'ort existait, il fallait exister jusque-la, jusqu'ä la moisissure, a la boursouflure, a fobscenite. (180) Zur lexikalischen abondance des Ekels und des Ekelhaften folgende Liste: boursoufle (180); rugueux, huileux, calleux (182); louche (183); amorphe et veule (184); gros (185); sou/jfreteux, morne, pourri (187);gras (188);poissant, epais, gelatineux (189); ςα ressemblait ä une meurtrissure, ä une secretion, a un suint (184); ςa vous tourne le coeur (185); c'etait repugnant (187); salete poisseuse (189); und alles zielt auf den Ausruf: «quelle salete, quelle salete!» (189).
Doch das ganze traditionelle Inventar wird nicht aufgerufen, um bestätigt, sondern um ins Gegenteil verkehrt zu werden. Die neue Richtung, die Sartre weist, gibt lakonisch folgender kurzer Satz an: Die Offenbarung, sagt er, etait... au-dessous de toute explication. (183)
Die drei Punkte sind von Sartre selbst gesetzt. Sie sind das retardierende Moment vor der Katastrophe, im wörtlichen Sinne: vor der Wendung, dem Umsturz. Die platonisch-christliche visio lebt von der Uberbietung, immerzu soll das Niedere zum Höheren hin überschritten werden, bis zum Höchsten, das mehr sei, als die Vernunft erfassen, als Worte sagen können. Sartre nimmt den umgekehrten Weg. Was sich hier offenbart, ist unter aller Vernunft, ist weniger, als Worte sagen, mit denen ja immer schon ein Sinn gegeben wird. Hieß das alte Ziel, sich aus dem Körperlichen zur ideellen Seligkeit zu erheben, so läuft das neue genau entgegen: ramener α Γexistence (cf. 182). Schon der Anlaß, den Sartre für seine visio wählt, hat dafür symbolischen Wert: Was könnte treffender das Eindringen in die Existenz, d.h. in das bloß materielle Sein, und die Verhaftung mit ihm ausdrücken als eine Baumwurzel ? Die gelungenste Wendung von der visio beatifica zur nausee aber ist darin zu sehen, wie Sartre seinem Roman den Staunensbegriff aneignet. So wie es die Tradition vorschreibt, spricht Sartre von extase, die er indes durch das Epitheton horrible (184) in seine neue Richtung lenkt, spricht er von fascination (185, zuvor schon: eile [sc. la racine] me fascinait, 182) und gibt die Ambivalenz des fascinosum et tremendum durch das Oxymoron atroce jouissance (i8j) wieder. Nachdem es aber durch diese Vokabeln vorbereitet ist, zieht er seine gesamte Neuinterpretation der visio in einem Bild zusammen: la souche noire ne passait pas, eile restait la, dans mes yeux, c o m m e un morceau trop gros reste en travers d ' u n gosier. Je ne pouvais ni l'accepter ni la refuser. (185)
Entscheidend ist hier der Übergang von yeux zu gosier·. statt des Sehens, des von alters her als Metapher für die intellektuelle Erkenntnis nobilitierten Sinnes, das Schmecken und Schlucken als die unmittelbarste Wahrnehmung des Materiellen. Wie in der spiritualistischen Erhebung bezeichnet auch in der Versenkung in die Sinnlosigkeit das Staunen (die Ambivalenz, zugleich angezogen und abgestoßen zu werden: ni l'accepter ni la refuser) den Augenblick der intensivsten Erkenntnis. Nur wird aus dem Erstarren der Vernunft nun der Starrkrampf der Kehle: ein sehr anschauliches, doch im ideengeschichtlichen Bezug zugleich sehr gelehrtes Bild für das, was der Roman als Erfahrung der Sinnlosigkeit, als Existenzerfahrung, mit seinem Titel: als nausee vermitteln will.
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