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German Pages 401 Year 1976
F.A.MANN
Beiträge zum Internationalen Privatrecht
Beiträge zum Internationalen Privatrecht Von
Professor Dr. F. A. Mann Mitglied der britischen Akademie AssocM de l'lnstitut de Droit International
DUNCKER & HUMBLOT/ BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany
© 1976 Duncker
ISBN 3 428 03593 3
Der Rechts· und Staatswissenschaftlichen Fakultät
1960-1975 der Rheinischen Friedrich·Wilhelms-Universität Bonn gewidmet.
Vorwort Ut in vitasie in studiis pulcherrimum et humanissimum existimo severitatem comitatemque miscere, ne illa in tristitiam, haec in petulantiam excedat. Qua ratione ductus graviora opera lusibus jocisque distinguo. Plinius, Briefe, Buch viii, xxi. Wer seit mehr als 40 Jahren englischer Jurist und mit dem englischen Recht praktisch und wissenschaftlich aufs engste verbunden ist und sich verbunden fühlt und dennoch über deutsches Recht und insbesondere deutsches internationales Privatrecht während der letzten 30 Jahre gearbeitet und geschrieben hat und jetzt- entsprechend der Anregung vi~ler Freunde - eine Sammlung seiner deutschen internationalprivatrechtliehen Aufsätze vorzulegen wagt,- ein solcher Autor schuldet seinem Leser ein Wort der Erklärung und Rechtfertigung. Sie ist in der Katastrophe des Jahres 1933 zu finden. Diese beendigte zwar eine beinahe vierjährige Tätigkeit als Fakultätsassistent an der Berliner Juristischen Fakultät in der Zeit ihrer großen Blüte und machte trotz abgeschlossenen Assessorexamens eine juristische Betätigung wie eine weitere Verfolgung der gerade begonnenen wissenschaftlichen Arbeit in Deutschland unmöglich. Aber die Verbindung zum deutschen Recht brach nicht ab. Eine internationale Anwaltspraxis in London und nach dem Krieg die Honorarprofessur an der Universität Bonn, Vorlesungen und Seminare über internationales Wirtschaftsrecht, Vorträge, ständige Beobachtung deutscher Rechtsentwicklung, Prozesse, Schiedsgerichte, Gutachten führten immer wieder zur Fortsetzung der wissenschaftlichen Tätigkeit, der vor 1933 ihre feste Grundlage gegeben worden war. Was namentlich das internationale Privatrecht angeht, so muß an dieser Stelle mit Dankbarkeit ein Wort des Gedenkens an Martin Wolff ausgesprochen werden. Während seines Exils in Oxford von 1938 bis 1953 bestand eine enge, ja intime und über das LehrerSchüler-Verhältnis der Berliner Jahre weit hinausgehende, persönliche und wissenschaftliche Verbindung mit ihm, einem der großen deutschen Juristen und gewiß einem der größten juristischen Lehrer dieses Jahrhunderts; die Befruchtung und geistige Bereicherung, die dieser Freundschaft entsprang, mag in dem vorliegenden Band vielleicht einen Widerhall finden.
Vorwort
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Unter diesen Umständen von sachverständiger Seite als "Verteidiger des tradierten Systems" bezeichnet zu werden (Steindorff, Entwicklungen des deutschen internationalen Privatrechts in Deutsche zivilund kollisionsrechtliche Beiträge zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran 1974, S. 156), ist ein willkommener und freudig akzeptierter Kommentar. Es ist zu hoffen, daß der vorliegende Band zu dem Beweis dafür beiträgt, daß jenes System eine gesunde Grundlage für die durch Savigny inspirierte deutsche Praxis und Wissenschaft abgibt, aber zugleich eine vernünftige Weiterentwicklung und Reform des deutschen internationalen Privatrechts gestattet und erleichtert; weder für ein "politisches" noch ein "anarchisches" Kollisionsrecht noch für eine Neo-Statutentheorie amerikanischer Prägung sollte in Deutschland Raum sein. Die Aufsätze sind in der Form abgedruckt, in der sie ursprünglich erschienen sind. Das bedeutet, daß alle Fehler und Unebenheiten erneut wiedergegeben und in der Zwischenzeit eingetretene Entwicklungen nicht berücksichtigt sind. Die einzige Alternative hätte eine völlige Überarbeitung und Neufassung bedeutet. Nichts derartiges war möglich oder mit dem Zweck der vorliegenden Veröffentlichung vereinbar. Eine Wahl, eine Entscheidung mußte getroffen werden. Daß sie nur im Sinn einer Reproduktion ergehen konnte, wird hoffentlich jeder verstehen, der sich die Erfordernisse und Folgen jeder anderen Lösung zu vergegenwärtigen sucht. Weihnachten 1975
F.A. Mann
lnhaltsverzeich nis I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht Ein Beitrag zum Problem der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . 25 III. Zwangseinbürgerungen und das Völkerrecht Ein Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Zum Problem der Staatsangehörigkeit der juristischen Person . . . .
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V. Bemerkungen zum Internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 VI. Staatensukzession und juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Die Konfiskation von Gesellschaften, Gesellschaftsrechten und Gesellschaftsvermögen im Internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . 116 VIII. Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten .. .. 163 IX. Eingriffsgesetze und Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 178 X. Offentlieh-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr 201 XI. Die Urkunde ausländischer, insbesondere englischer Notare und der deutsche Rechtsverkehr ... . ......... .. . . ... . ......... .... .. 219 XII. Zur Auslegung des Art. 11 EGBGB Zugleich eine erneute Bemerkung zur Urkunde ausländischer Notare im deutschen Rechtsverkehr ...... . . .. . .. ......... . . .... 225 XIII. Die internationalprivatrechtliche Parteiautonomie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 XIV. Einheitliches Kaufgesetz und Internationales Privatrecht . . . . . . . . 260 XV. Die Verträge der Völkerrechtssubjekte und die Parteiautonomie .. 272 XVI. Die Behandlung von Reichsmarkverbindlichkeiten bei ausländischem Schuldstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 XVII. Währungszersplitterung und Währungsbestimmung . . . .. . .. .. .. 306 XVIII. Der Internationale Währungsfonds und das Internationale Privatrecht (1953) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 XIX. Der Internationale Währungsfonds und das internationale Privatrecht (1970) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 XX. Internationale Schiedsgerichte und nationale Rechtsordnung . . . . 349 XXI. Völkerrecht im Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal* I.
Kollisionsnormen können bekanntlich allseitige oder einseitige sein. Sie sind allseitig, wenn sie allgemein die Frage regeln, welches Recht auf eine bestimmte rechtliche Beziehung anzuwenden ist. So könnte es die folgende Kollisionsnorm geben (es gibt sie in Wahrheit nicht): "Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters richtet sich nach dem Recht des Landes, in dem er seine Niederlassung hat." Eine Regel dieser Art, wie wir sie z. B. aus den Artikeln 7 Abs. 1, 11 oder 17 Abs. 1 EGBGB kennen, würde unabhängig vom Vertragsstatut auch den in Deutschland geltend gemachten Ausgleichsanspruch eines argentinischen Handelsvertreters gegen seinen brasilianischen Geschäftsherrn erfassen1 • Die Kollisionsnorm ist einseitig, wenn sie lediglich vorsieht, unter welchen Voraussetzungen deutsches Recht zur Anwendung kommt. So könnte eine einseitige Kollisionsnorm lauten (allerdings gibt es auch sie nicht): "Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters richtet sich nach deutschem Recht, wenn dieser seine Niederlassung in Deutschland hat." Eine solche Kollisionsnorm beruht auf der irrigen Meinung, daß sie einen "kosmopolitischen Standpunkt" in den Hintergrund zu rücken geeignet sei2 • Solche Erwägungen sind, wie seit langem anerkannt ist, politisch rückschrittlich und juristisch falsch. Es gibt demnach nur noch vereinzelte Gelehrte, die sich mit einem großen Aufwand von höchst theoretischen, zuweilen geradezu unverständlichen und durchweg unfruchtbaren Erörterungen zugunsten eines Systems einseitiger Kollisionsnormen aussprechen3 • Es lohnt sich nicht, diesen Gedankengängen im einzelnen nachzugehen. Steht man vor einer einseitigen Kollisionsnorm, so geht die einzige Frage von praktischem Wert dahin, ob sie im Wege der Auslegung oder Analogie in eine allseitige Kol-
* Veröffentlicht in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift für Ludwig Raiser, hrsg. von Bauer I Esser I Kühler I Steindorff, Tübingen 1974. t Allerdings mag die Rück- und Weiterverweisung zu einer Korrektur führen, aber dieser Gesichtspunkt kann hier nicht weiter verfolgt werden. 2 Vgl. dazu Nußbaum, Deutsches Internationales Privatrecht (1932), S. 27, 28. 3 Ein rechtsvergleichender Überblick findet sich bei de Nova, Rec. 118 (1966 ii), 573 ff., vor allem mit Hinweisen auf Quadri, sowie bei Gothot, Rev. Crit. 1971, 1, 209, 415.
12 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal lisionsnorm umgedeutet werden kann. Gerade die deutsche Rechtspraxis hat dies mit Recht und ohne Zögern getan und damit die Unhaltbarkeit der politischen Hemmungen oder der theoretischen Bemühungen um ein System der einseitigen Kollisionsnorm zwingend bewiesen4 • Von den Kollisionsnormen, ob sie nun allseitig oder einseitig sind, sind die von Nußbaum5 so genannten Sachnormen mit inländischem Tatbestandsmerkmal zu unterscheiden. So lautet eine Norm des deutschen Handelsrechts6 : "Der Handelsvertreter mit Niederlassung in Deutschland hat einen (vertraglich nicht ausschließbaren) Ausgleichsanspruch." Sachnormen dieser Art - man mag sie, um die beiden noch zu erwähnenden Aspekte der Problematik zu erfassen, als Sachnormen mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal oder mit einem etwas kürzeren Ausdruck als abgrenzende Sachnormen bezeichnen7 - kommen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen ausländischen Rechten vor, auf die die deutsche Kollisionsnorm verweist. Schon 1943 hat Nußbaum davon gesprochen8 , das einschlägige Rechtsgebiet sei "wide and unexplored". Seitdem haben abgrenzende Sachnormen im Ausland umfangreiche, z. T. höchst abstrakte Auseinandersetzungen hervorgerufen9. Von der deutschen Literatur werden sie jedoch nach wie vor vernachlässigt. Das ist umso erstaunlicher, als gerade die höchstrichterliche Rechtsprechung Deutschlands in geradezu vorbildlicher Weise mit jenen Normen fertiggeworden ist. Diese deutsche Rechtsprechung verdient Zusammenfassung und Anerkennung, so daß beim Auftauchen ähnlicher Fälle ihrem wegweisenden Charakter Rechnung getragen wird. Dabei soll zunächst einiges über die rechtliche Natur der abgrenzenden Sachnorm im allgemeinen (unten Abschnitt II) gesagt und sodann von den verschiedenen Problemen gehandelt werden, zu denen vornehmlich die deutsche Sachnorm mit inländischem Tatbestandsmerkmal 4 Vielleicht sollte man an dieser Stelle auch von den Sachnormen sprechen, die kraft der Vorbehaltsklausel internationalprivatrechtliche Relevanz erhalten können. Es erschien zweckmäßiger, sie unten S. 17 zu erwähnen. s a.a.O. 6 §§89b, 92c HGB. 7 Die Frage der Formulierung ist oft behandelt worden, ist aber nebensächlich und bleibt hier außer Betracht. s S. 72 des in Amerika erschienenen Buches "Principles of Private International Law" (1943). 9 Die wertvollste Arbeit ist wohl De Nova, Diritto Internazianale 1959, 13, auf französisch in Melanges Maury I (1960), 377. Seitdem vor allem Kelly, International and Comparative L. Q. 1969, 249, und Lipstein, Rec. 135 (1972 i), 204.
I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal 13
Anlaß gibt (unten Abschnitte III und IV). Schließlich wird auf etwaige Besonderheiten des Falles einzugehen sein, in dem die ausländische lexcausaeeine abgrenzende Sachnorm enthält (unten Abschnitt V). Ein Nachwort (Abschnitt VI) wird einige Bemerkungen zum Fremdenrecht beifügen. II. Aus den vorstehenden Bemerkungen ergibt sich bereits der Unterschied zwischen Kollisionsnormen und abgrenzenden Sachnormen. Die ersteren geben auf die Frage Antwort, welches Recht auf einen bestimmten Tatbestand anwendbar ist. Die letzteren regeln die Voraussetzungen, unter denen ein materiellrechtliches Ereignis eintrittl0 • Der bekannte Gegensatz von Kollisionsrecht und materiellem Recht tritt hier erneut auf und wird in keiner Weise dadurch vP.rwischt. daß die Vorschrift des materiellen Rechts Tatbestandsmerkmale enthält, die ihre Anwendbarkeit abgrenzen oder einschränken. Der Unterschied ist so grundsätzlich, daß eine Verwischung nicht möglich sein sollte. Der Satz, daß kraft zwingenden Rechts der Handelsvertreter mit Niederlassung in Deutschland einen Ausgleichsanspruch hat, kann keine Kollisionsnorm, muß eine Sachnorm sein; denn er gewährt einen materiellrechtlichen Anspruch. Es ist denkbar, daß der Gesetzgeber das Ergebnis auch auf anderem Weg hätte erreichen können, etwa dadurch, daß er eine (einseitige) Kollisionsnorm des oben unterstellten Inhalts und ferner eine den Ausgleichsanspruch gewährende Sachnorm formuliert hätte. Ob das möglich, zweckmäßig und frei von Gefahren gewesen wäre, ist eine müßige Frage, auf deren Erörterung verzichtet werden kann. Der Unterschied ist am Wortlaut erkennbar, geht aber über den Wortlaut hinaus. Er betrifft den Charakter und vor allem die Funktion der beiden Normgruppen. Allerdings mag es Fälle geben, in denen der Wortlaut nicht klarstellt, ob der Gesetzgeber die Anwendung deutschen Rechts vorschreibt oder ob er die Voraussetzungen für die Anwendung materiellen deutschen Rechts festlegt. Ein Beispiel für eine solche Unklarheit konnte nicht gefunden werden. Als ein Beispiel wird in der Literatur jedoch oft Art. 992 des holländischen bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichnet. Danach kann ein Holländer im Ausland nur durch öffentliche Urkunde testieren. Aber auch diese Bestimmung ist gewiß eine Sachnorm. Sie schreibt die Testamentsform für Holländer im Ausland vor. Sie hat nichts mit 10 Der Unterschied wird richtig gesehen von Nußbaum (oben Anm. 2, S. 11), Raape, Internationales Privatrecht (5. Aufi., 1961), S. 4, und Kegel, Internationales Privatrecht (3. Aufl., 1971), S. 23- 26, der von einem formalen Kriterium spricht. Aber es handelt sich um mehr.
14 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal der Frage zu tun, ob holländisches oder ausländisches Recht gelten soll. Man hat zuweilen darauf hingewiesen, daß der Kollisionsnorm sowie der Sachnorm mit inländischem Tatbestandsmerkmal eines gemeinsam sei, nämlich die Abgrenzung des Geltungsbereichs materiellen Rechts. In einem ganz allgemeinen und vagen Sinn mag das richtig sein, aber mit einer solchen Kennzeichnung ist nichts gewonnen. Sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß, mag auch das Ziel gemeinsam sein, der Gesetzgeber verschiedenartige Methoden gewählt und die Rechtsanwendung sich der einmal gewählten Methode zu fügen hat. Man muß sich ferner dagegen wenden, daß Sachnormen mit inländischem Tatbestandsmerkmal als versteckte Kollisionsnormen11 bezeichnet werden; auch der Bundesgerichtshof hat in einer Nebenbemerkung den Ausdruck "spezielle Kollisionsnormen" gebraucht, ohne daraus allerdings irgendwelche Folgen zu ziehen12• Unter dieser Voraussetzung ist die bloße Ausdrucksform unschädlich, aber zur Vermeidung von Mißverständnissen sollte jene Bezeichnung doch vermieden werden. Wenn jedoch mit ihr auf einen Wesenszug der Kollisionsnorm, nämlich auf die Tatsache abgestellt sein soll, daß die Vorschrift zwingend ist, "unbedingt" oder "immer" zur Anwendung kommen soll (und das ist, was Neuhaus vorschwebt)1 3 , so muß dem widersprochen werden. Die u So vor allem Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts (1962), S. 49 f., ferner Makarov, Grundriß des Internationalen Privatrechts (1970), S. 16, der dem im Text wiederholt behandelten § 92 c HGB entnehmen will, "daß dann, wenn der Handelsvertreter eine Niederlassung im Inland hat, das inländische Recht unbedingt zur Anwendung kommen muß". Dies wird 9 Jahre nach der Veröffentlichung der unten Anm. 14 erwähnten Entscheidung des BGH geschrieben, ohne daß diese auch nur erwähnt wird! Melchior, Die Grundlagen des deutschen internationalen Privatrechts, S. 58 bis 60, benutzte den nicht weniger unglücklichen Ausdruck "bedingt anwendbare Kollisionsnormen". Er nannte als Beispiele die §§ 568, 575, 593 HGB, die auf den Ortsgebrauch am Ablade- oder Löschungshafen abstellen, und sagte selbst, daß diese "Kollisionsnormen" nur bei Anwendbarkeit deutschen Rechts zu berücksichtigen, also Sachnormen sind. 12 BGHZ 53, 194. 13 Die Literatur erwähnt an dieser Stelle oft die Regeln, die Francescakis "regles d'application immediate" genannt hat. Mit diesem Ausdruck sollten Vorschriften, die den Charakter von ordre public international haben, und die lois de police et de surete des Art. 3 Code Civil zusammengefaßt werden (vgl. Francescakis, Rev. Crit. 1966, 4); dabei spricht Francescakis neuerdings von lois de police: Batiffol, Traite (5. Aufl., 1970), Nr. 251 Anm. 7bis. Daß Francescakis, wie V an Hecke, Rec. 126 (1969 i), 454, meint, mit seiner Formulierung Nußbaums Sachnormen mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal treffen wollte, ist wohl ein Irrtum. Dagegen hat Francescakis diese Sachnormen - leider - als "regles materielles de droit international prive" bezeichnet, und dieser widersprüchliche Ausdruck wird aufgenommen von von Overbeck, De Confiictu Legum (Essays presented to Kollewijn and Offerhaus, 1962), S. 362; Rigaux, Droit International Prive (Brüssel 1968), Nr. 75 und V an Hecke, a.a.O. Dabei vertreten sowohl Rigaux wie Van Hecke, a.a.O., mit Recht die Auffassung, daß kollisionsrechtlich das heimische Recht
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Sachnorm mit inländischem Tatbestandsmerkmal ist eben keine Kollisionsnorm, und ob sie auf anderem Weg, nämlichkraftder Vorbehaltsklausel, "unbedingt" oder "immer" zu berücksichtigen ist, das ist eine ganz getrennte Frage, auf die zurückzukommen ist und die auch auftaucht, wenn es sich nicht um eine Kollisionsnorm handelt, die also von dieser Kennzeichnung unabhängig ist. Es scheint in der Tat in der deutschen Rechtsprechung keinen Fall zu geben, in dem eine Sachnorm mit inländischem Tatbestandsmerkmal als Kollisionsnorm behandelt worden wäre. Insbesondere ist dies nicht geschehen in der grundsätzlichen Entscheidung, in der der Bundesgerichtshof mit einem holländischen Recht unterstellten Vertrag zwischen einem holländischen Unternehmer und einem deutschen Handelsvertreter mit Niederlassung in Deutschland befaßt war14• Die Frage, ob etwa die §§ 89 b, 92 c HGB eine Kollisionsnorm enthalten und deshalb die Parteiverweisung auf holländisches Recht beiseite schieben können, tauchte - mit Recht - überhaupt nicht auf, ist aber stillschweigend gewiß verneint worden. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, daß es von vornherein unmöglich ist, je eine Sachnorm im Wege der Auslegung in eine Kollisionsnorm umzudeuten. Das mag in Ausnahmefällen in Betracht kommen, bedarf jedoch höchst sorgfältiger und differenzierender Prüfung. Das bekannteste Problem dieser Art dürfte wohl im Rahmen des § 244 BGB entstanden sein. Hier hat insbesondere Martin Wolff15 die Ansicht vertreten, es handele sich um eine "versteckte Kollisionsnorm" . Das Ergebnis wäre, daß, wenn etwa ein Argentinier einem Brasilianer in Brasilien Deutsche Mark schuldet, er sich ohne Rücksicht auf das Vertragsstatut durch Zahlung in brasilianischer Währung befreien kann. Daß das bei Abfassung des § 244 BGB die Absicht des Gesetzgebers war, erscheint unwahrscheinlich. Dagegen deutet dieses Beispiel auf einen anderen Gesichtspunkt hin, der der Hervorhebung wert ist. Da der Gesetzgeber, wie wir wissen, das internationale Privatrecht nur unvollständig geregelt hat, da der Rechtsprechung deshalb eine große rechtsschöpferische Aufgabe gestellt anwendbar sein muß, bevor die "regle materielle de droit international prive" berücksichtigt werden kann. Rigaux, a .a.O., Nr. 83 und 84, trifft noch weitere Unterscheidungen zwischen "regle non-synthetique" und "regle d'application immediate", deren Notwendigkeit oder Berechtigung bezweifelt werden muß. In Belgien dreht sich ein Teil der Diskussion um ein Gesetz, das für die Auflösung von Konzessionsverträgen das Recht des Landes vorzuschreiben scheint, für das die Konzession erteilt ist. 14 NJW 1961, 1061 und an vielen anderen Stellen, vor allem IPRspr. 1960 u. 1961, s. 132. 15 Das internationale Privatrecht Deutschlands (3. Aufl., 1954), S. 156. Zu dem Problem nunmehr eingehend Birk, AWD 1973, 425.
16 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal
ist, sucht man häufig, zu Kollisionsnormen und namentlich zu Anknüpfungspunkten zu kommen, die der Natur der Sache entsprechen, vernünftig und sachgemäß erscheinen und sich in die der Rechtsordnung immanenten Gedanken einfügen. Wo es sich darum handelt, ist der Richter gewiß nicht gehindert, auch den in einer Sachnorm zum Aus.., druck gebrachten Hinweis zu verwenden. Wenn der Richter also z. B. vor der Frage steht, ob die Ersetzungsbefugnis des Fremdwährungsschuldners kollisionsrechtlich dem Recht des Vertrags oder dem Recht des Zahlungsorts unterworfen sein soll, so braucht er die in § 244 BGB enthaltene Wertung nicht außer acht zu lassen; allerdings wäre zu hoffen, daß er sich von ihr nicht irreführen lassen, sondern dem Vertragstatutwenigstens grundsätzlich den Vorzug geben würde16•
III. Da es sich bei Sachnormen mit inländischem Tatbestandsmerkmal eben um Sachnormen und nicht um Kollisionsnormen handelt, sind sie nur, aber auch immer dann zu berücksichtigen, wenn deutsches Recht anwendbar ist, also die einschlägige Kollisionsnorm auf deutsches Recht verweist. Den Beweis liefert wiederum der Bundesgerichtshof, der entschieden hat17, daß ein deutscher Handelsvertreter sich gegenüber seinem holländischen Unternehmer nicht auf§ 89 b HGB berufen kann, wenn der Vertrag holländischem Recht unterliegt. Einer der wichtigsten Fälle abgrenzender Sachnormen, deren Anwendbarkeit von der Geltung des sie tragenden Rechtssystems abhängt, enthält das Recht des Seefrachtvertrags. Die Haager Regeln sind während der letzten 50 Jahre in den Vertragsstaaten durch Gesetze eingeführt worden, in denen die zu erfassenden Verschiffungen definiert werden. So bezieht sich z. B. in England der Carriage of Goods Act 1924 sowie nunmehr der Carriage of Goods Act 1971 auf Verschiffungen in einem englischen Hafen. Gelten die Haager Regeln, wenn diese Voraussetzung zwar vorliegt, das Konnossement aber dem Recht der Flagge, sagen wir norwegischem Recht unterstellt ist, und Oslo auch der Bestimmungshafen ist, so daß also von Umgehung keine Rede sein kann? Die Frage sollte verneint werden. Sie ist - wahrscheinlich in England bisher noch nicht zur Entscheidung gekommen18, aber an der Richtigkeit des Ergebnisses sollte nicht gezweifelt werden; diejeni16 Internationalprivatrechtlich wird auch im Licht des in der vorigen Anm. erwähnten Aufsatzes von Birk an der Ansicht festgehalten, die in Recht des Geldes (1960), S. 279, vorgetragen wurde. 11 Oben Anm. 14. 18 Die berühmte Entscheidung Vita Food Products v. Unus Shipping Co. (1939), A. C. 277, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einschlägig.
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gen, die es kritisieren19 , sollten ihre Angriffe nicht gegen den internationalprivatrechtliehen Teil der Entscheidung und noch weniger gegen die Auslegung der Sachnorm, sondern gegen den vom Gesetzgeber bestimmten und vom Richter hinzunehmenden Inhalt der Sachnorm richten. Es ist deshalb zu begrüßen, daß das deutsche Recht einen ähnlichen Standpunkt zu vertreten scheint. So gilt § 662 HGB sowie die seinen Anwendungsbereich begrenzende VO vom 5. 12. 1939 nur dann, "wenn nach den Regeln des internationalen Privatrechts deutsches Recht zur Anwendung kommen würde" 20 • Ein weiteres Beispiel, das allerdings die Rechtsprechung bisher noch nicht beschäftigt hat, ergibt sich aus § 3 Satz 1 des Währungsgesetzes, i. V. m. § 49 Abs. 1 des Außenwirtschaftsgesetzes. Danach ist die Eingebung von Fremdwährungsverbindlichkei ten nur mit Genehmigung der Bundesbank gestattet, soweit es sich nicht um Verpflichtungen von Gebietsansässigen gegenüber Gebietsfremden handelt. Anders ausgedrückt ist die Eingehung solcher Verbindlichkeiten zwischen Gebietsansässigen nur mit Genehmigung gestattet. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt die Geltung des deutschen Rechts voraus 21 Auf der anderen Seite sollte nicht behauptet werden, daß die inländische Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandselement auch dann immer oder unbedingt zu berücksichtigen ist, wenn ausländisches Recht gilt. In diesem Fall hängt die Anwendbarkeit der Sachnorm ausschließlich von Art. 30 EGBGB ab. Die bloße Existenz einer zwingenden inländischen Vorschrift gestattet es nicht, sie in jedem Fall zur Anwen19 Dicey & Morris, Conflict of Laws (9. Aufl., 1973), 54; Morris 62 (1946), L. Q. R. 176; Scrutton, Charterparties (17. Aufl., 1965), S. 395, 402. Wie im Text aber Carver's Carriage by Sea (12. Aufl., 1971, herausgegeben von Colinvaux), Nr. 310, 311. 2o So Schaps-Abraham, Das Deutsche Seerecht (3. Aufl., 1962), § 662 Anm. 8, vor allem aber BGHZ 25, 251 (255, 265), wo wohl davon ausgegangen wird, daß § 662 nur anwendbar ist, "soweit deutsches Recht anzuwenden ist". In Frankreich scheint die Rechtslage nicht geklärt zu sein. In Art. 3 des Gesetzes vom 24.7.1966 heißt es, daß "en matiere internationale le cantrat d'affretement est regi par loi du pavillon, sauf convention contraire des parties". Art. 16 sieht vor, daß "le present titre est applicable aux transports effectues au depart ou a destination d'un port franc;ais ... ". Man sollte annehmen, daß Art. 16 nur eine abgrenzende Sachnorm ist, die lediglich dann gilt, wenn das Konnossement französischem Recht unterliegt. Aber Batijjol (5. Auf!., 1971), Nr. 251 Anm. 7bis, vermittelt den Eindruck, daß es sich um eine in jedem Fall anwendbare loi de police handelt. 21 Auch die Literatur scheint zu der Frage nicht Stellung zu nehmen. Allerdings will Fögen, Geld- und Währungsrecht (1969), S. 150 § 3 Satz 2, währungsrechtlich anknüpfen. Dagegen Ma-nn, ZHR 133 (1970), S. 399, 400. Auf dem Weg über die Vorbehaltsklausel kann sich § 3 bei einem ausländischen Recht unterliegenden Vertrag deshalb nicht durchsetzen, weil die rein zivilrechtliche Sanktion im Fall eines Verstoßes den Zweck des Gesetzes keineswegs als vordringlich erscheinen läßt. Die Bestimmung enthält kein Verbot.
2 Mann
18 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal dung zu bringen22 • Auch das hat der Bundesgerichtshof vor allem im Zusammenhang mit den§§ 89 b, 92 c HGB entschieden23 • Von dem ersteren wurde mit Recht erklärt, er könne nicht "von so grundlegender und weitreichender Bedeutung sein, daß er abweichende ausländische Regelungen ausschließen will". Von der letzteren Vorschrift heißt es: Die Vorschrift bestimmt u. a., daß § 89 b HGB für den Handelsvertreter ohne Inlandsniederlassung abdingbar ist. Aus ihr läßt sich aber kein Umkehrschluß dahin entnehmen, daß bei einem Handelsvertreter mit Inlandsniederlassung die Vereinbarung ausländischen Rechts und Gerichtsstands wegen der zwingenden Natur des§ 89 b HGB keinesfalls wirksam sein könne. Bei der Würdigung dieser Praxis ist jedoch im Auge zu behalten, daß, wenn das inländische Recht die Eingehung eines bestimmten Vertrags oder Vertragsteils verbietet (§ 134 BGB), das Verbot selbst dann gilt, wenn der Vertrag ausländischem Recht unterliegt24 • Das ist nichts der abgrenzenden Sachnorm Eigentümliches, bedarf aber der Erwähnung, weil im Ausland einige Fälle dieser Art mißverstanden und mit ihr in Zusammenhang gebracht worden sind25 • 22 In diesem Sinn z. B. das BAG in IPRspr. 1966 u. 1967, S. 166 ff.: ein Verstoß gegen das Kündigungsschutzgesetz ist unbeachtlich, wenn der Vertrag zwischen Arbeitgeber und Angestellten amerikanischem Recht unterliegt, mag auch der Angestellte amerikanischer Staatsangehörigkeit in Deutschland seinen Wohnsitz haben und arbeiten. Das Prinzip, daß die (gültige) Vereinbarung fremden Rechts das heimische zwingende Recht ausschließt, dürfte allgemein anerkannt sein. Ein besonders markantes Beispiel ist die Entscheidung des holländischen Hoge Raad, 13. Mai 1966, Rev. Crit. 1967, 522. 23 Oben Anm. 14. Der entsprechende französische Fall ist Cass. Soc., 9. Dezember 1960, J. C. P. 1961. li. 12029 mit Anm. Simon-Depitre (Auszug in Rev. Crit.1961, 835): ein Vertrag zwischen einem tschechischen Unternehmer und einem französischen Handelsvertreter war tschechischem Recht unterstellt, unterlag aber dennoch den französischen Schutzvorschriften des Art. 29 k ff. des Code de Travail. Dagegen gelten diese Bestimmungen nicht, wenn der Vertrag zwischen einem französischen Unternehmer und einem im Ausland tätigen Handelsvertreter ausländischem Recht unterstellt ist: Cass. Soc., 9. November 1959, Rev. Crit. 1960, 566 mit Anm. Simon-Depitre; 1. Juli 1964, Rev. Crit. 1966, 47 mit Anm. Simon-Depitre; 5. März 1969, Rev. Crit. 1970, 279 mit Anm. Batiffol. 24 In diesem Sinn Kegel, Kurzlehrbuch (3. Aufl., 1971), S. 54 (Berufung auf Art. 30 unangebracht) und z. B. Mann, Rec. 132 (1972 i), 125 - 133. 25 Das gilt vor allem von dem australischen Fall Kay's Leasing Corporation v. Fletcher, 116 (1966- 1967), C. L. R. 124, zu dem De Nova, Revue Hellenique de Droit International 1969, 24, Stellung genommen hat. Er meint insbesondere, daß die australischen Gerichte "simply tried to establish the spatial reach of certain provisions of the lex fori". Das ist wohl nicht ganz so. Ein dem Recht von Victoria unterstelltes und in Victoria geschlossenes Abzahlungsgeschäft wurde Gegenstand eines Prozesses, den die in Victoria ansässigen Verkäufer gegen die in New South Wales ansässigen Käufer vor den dortigen Gerichten anstrengten. Die Beklagten beriefen sich auf das Abzahlungsgesetz von New South Wales, nach dem der Vertrag nichtig war und eine strafbare Handlung darstellte. Diese Verteidigung wurde zurückgewiesen, und der Fall wurde nach dem Recht von Victoria entschieden. Das Recht von New South Wales wurde (schon) deshalb für unerheblich erachtet,
I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal 19
IV. Die abgrenzenden Tatbestandselemente, die inländischen Sachnormen häufig beigefügt sind, sind fast durchweg Gegenstand ausdrücklicher Regelung. Dabei kann der Gesetzgeber auf die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz einer Partei, den Abschluß- oder Erfüllungsort, aber auch auf sachliche Merkmale wie etwa die inländische Währung26 abstellen. Eine im Wege der Auslegung ermittelte Einschränkung des Geltungsbereichs ist denkbar, in Deutschland jedoch selten. Der Versuch, in § 313 BGB die Einschränkung hineinzulesen, daß er auf den Verkauf ausländischer Grundstücke nicht anzuwenden sei, ist neuerdings mit Recht gescheitert27• Der Bundesgerichtshof ging von der kollisionsrechtlichen Frage aus, ob der Vertrag deutschem Recht unterstand. Da diese Frage zu bejahen war, galt § 313 jedenfalls für einen in Deutschland geschlossenen Vertrag28 , und weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift konnte die in der älteren Rechtsprechung angedeutete und von einigen Schriftstellern befürwortete Einschränkung unterstützen. Eine Auslegungsregel, die oft dazu führt, daß ein abgrenzendes Tatbestandseierneut in eine gesetzliche Bestimmung hineingelesen wird, ergibt sich aus dem notwendigerweise territorialen29 Charakter jeglicher nationaler Gesetzgebung, aus dem "principe elE~mentaire", von dem Batiffol spricht30 und nach dem "chaque Etat legifere sur les relations juridiques se deroulant sur son territoire, et l'ordre international sera satisfait en vertu de la maxime de bon sens ,chacun chez soi"'. Insbeweil das dortige Gesetz nur in New South Wales abgeschlossene Verträge erfaßte. Ein schottischer Fall, English v. Donnelly (1958), S. C. 494, ist noch deutlicher: Eine englische Verkäuferin und ein schottischer Käufer schlossen einen Abzahlungsvertrag, für den englisches Recht galt, der aber in Schottland geschlossen war und das dortige Recht verletzte. Da das schottische Recht auf alle in Schottland geschlossenen Verträge anzuwenden war, konnte die Verweisung auf englisches Recht den Vertrag nicht retten. Beide Fälle haben mit der abgrenzenden Sachnorm wohl kaum etwas zu tun. 26 § 3 Satz 2 des Währungsgesetzes setzt voraus, daß es sich um eine Verbindlichkeit in DM handelt. Die Bestimmung kann nur angewandt werden, wenn der Vertrag deutschem Recht unterliegt: oben Anm. 21. Auch die amerikanische Joint Revolution von 1933 setzt voraus, daß eine Dollarschuld mit der Goldklausel ausgestattet ist. Ein allgemeines Verbot von Goldklauseln besteht deshalb auch in Amerika nicht. In diesem Sinn Mann, Rec. 132 (1971 i), 129. 27 BGHZ 52, 239; 53, 189 (194). 2s Das folgt aus Art. 11 EGBGB. 29 In dem von Huber und Story begründeten Sinn, wonach die Personalhoheit über Staatsangehörige in diesem Ausdruck enthalten ist: Mann, Rec. 111 (1964 i), 28. Vgl. BayObLG, IPRspr. 1960 u. 1961, S. 84, 85. 30 Aspects Philosophiques du Droit International Prive (1956), S. 260. Im gleichen Sinn Rigaux (oben Anm. 13), Nr. 22. 2•
20 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal
sondere im anglo-amerikanischen Recht ist das Prinzip oft ausgesprochen worden. Vielleicht am eindrucksvollsten ist der von Story, damals noch Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten, vor genau 150 Jahren formulierte, seitdem in ähnlichen Worten ständig wiederholte Satz31 : "And however general and comprehensive the phrases used in our municipallaws may be, they must always be restricted in construction to places and persons upon whom the legislature have authority and jurisdiction." Auch in Deutschland finden sich Ansätze für die Berufung auf die AuslegungsregeP2 • Wenn z. B. eine deutsche Verordnung Höchstpreise für gewisse Waren festsetzt, so könnte die Allgemeinheit der Fassung den Schluß nahelegen, daß man alle Lieferungen in der Welt erfassen wollte. Das ist in aller Regel nicht so. Ein deutsches Gesetz will sich nur Wirkung für deutsches Gebiet beilegen. Wenn ein Händler mit Sitz im Ausland Waren zu einem Preis liefert, der den Höchstpreis überschreitet, so liegt kein Gesetzesverstoß vor, und der Vertrag ist selbst dann gültig, wenn er deutschem Recht untersteht33.
V. Wenn man sich nunmehr der ausländischen Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal zuwendet, die dem von der lex fori in Bezug genommenen ausländischen Wirkungstatut angehört, so steht man vor der m erkwürdigen Tatsache, daß viele Schriftsteller hier ein Problem sehen, das angeblich "considerable difficulty" involviert34 oder als "fort delicat" bezeichnet wird35• Dennoch darf man die Behauptung wagen, daß die Rechtsanwendung denkbar einfach ist und von ernsthaften Schwierigkeiten keine Rede sein kann. Der Ausgangspunkt ist eindeutig: die Kollisionsnorm der lex fori hat, so ist zu unterstellen, auf ausländisches materielles Recht verwiesen. Wir wenden es so an, wie wir es vorfinden. Wenn deshalb etwa der Vertrag zwischen einem deutschen Unternehmer und einem Handelsvertreter mit Niederlassung in Italien französischem Recht unterliegt und wenn dieses einen Ausgleichsanspruch von der Niederlassung des Handelsvertreters in Frankreich abhängig macht, so versagt in casu das französische Recht den Anspruch, und die Klage ist The Apollon (1824), 9 Wheat. 362, 370. RGZ 104, 50 (52); BayObLG, oben Anm. 29; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 190 Anm. 3. Zu dem allgemeinen Problem vgl. Mann, Rec. 111 (1964 i), 63. aa RG vom 18. 4. 1921, abgedruckt nur in Fontes Juris Gentium, Serie A, Abt. II, Band 1, S. 69. 34 Lipstein, Rec. 135 (1972 i), 205. 35 De Nov a, Melanges Maury (oben Anm. 9), S. 393. 31
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I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal 21
abzuweisen. Oder wenn ein Vertrag zwischen zwei Deutschen mit Wohnsitz in Deutschland Zahlung von Dollars mit Goldklausel in Deutschland vorsieht, aber dem Recht von New York unterstellt ist, und wenn die amerikanische Gesetzgebung zur Aufhebung der Goldklausel so auszulegen ist, daß sie auf diesen Tatbestand angewandt sein will, so verhilft der deutsche Richter dem so verstandenen Recht von New York zur Anwendung36• Oder um nur eines von zahlreichen Beispielen aus der ausländischen Rechtsprechung zu erwähnen37 : eine Stadtgemeinde in Neuseeland hat bei einer australischen Versicherungsgesellschaft ein Darlehen aufgenommen, das durch Hypotheken auf neuseeländischen Grundstücken gesichert ist. Der Vertrag unterliegt australischem Recht. Ein australisches Gesetz ordnet die Herabsetzung aller Zinssätze an. Es ist dahin auszulegen, daß es nur Hypotheken erfassen will, die auf australischen Grundstücken eingetragen sind. Der Zinssatz bleibt der alte und wird von dem Gesetz nicht betroffen. Gegen diese - man muß es noch einmal sagen - einfachen und beinahe selbstverständlichen Ergebnisse sind zwei Bedenken geäußert worden. 1. Aus Gründen, die kaum zu verstehen sind, hat man die zur Debatte stehende Fallgestaltung mit Rück- und Weiterverweisung in Zusammenhang gebracht. Es scheint, daß der Gedanke auf Balladore Pallieri zurückgeht38• Man geht aus von der Funktion der Kollisionsnorm, den Anwendungsbereich von Sätzen des materiellen Rechts zu definieren. Da die abgrenzende Sachnorm dieselbe Funktion erfüllt, ist sie einer Kollisionsnorm gleichzustellen. Wenn man dem in der fremden Sachnorm enthaltenen abgrenzenden Tatbestandsmerkmal Rechnung trägt und deshalb die Bestimmung des fremden Rechts nicht anwendet, so gibt man einer Art von Rückverw·eisung statt, und das sollte oder wie etwa in Italien - darf man nicht tun. Jeder einzelne Teil dieser Überlegung ist falsch. Eine Diskussion erscheint kaum nötig, aber vielleicht ist es doch am Platz, die überzeugende und zugleich ungewöhnlich höfliche Erwiderung zu erwähnen, die de Nova gegeben hat39 : The anti-renvoists may find, on closer inspection, that they do not really have any reason to worry about those foreign substantive rules which but RG JW 1936, 2058. Mount Albert Borough Council v. Australasian Temperance and General Mutual Life Assurance Society, {1938) A.C. 224, eine Entscheidung des Privy 36 37
Council, durch die die Revision gegen ein Urteil des neuseeländischen Berufungsgerichts zurückgewiesen wurde. 38 In diesem Sinn wohl DeNova {oben Anm. 35) mit weiteren Angaben. 39 Rec. 118 (1966 ii), 533. Ebenso Toubiana, Le Domaine de la Loi du Cantrat en Droit International Prive (Paris 1972), Nr. 237.
22 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal for their own limitations would govern a given case. Applying a foreign "self-limiting" substantive rule on its own terms - namely, only when the case at hand perfectly fits its scheme - is not paying obeisance to foreign rules of private international law, which is the essence of renvoi. It is simply applying that substantive rule of the competent legal order which does fit the facts of the given case - as those facts are seen by that legal order. 2. Das zweite Bedenken ist etwas ernster zu nehmen. Es ist von Francescakis40 für den Fall formuliert worden, in dem man auf eine ausländische Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal stößt: "Faut-il la respecter comme telle ou se dire qu'en tout etat de cause le domaine d'application d'une loi etrangere est fixe par la regle de conflit qui a donne competence a cette loi?" Bereits vor vielen Jahren ist die Frage in Australien aufgetaucht. Vor der oben erwähnten Entscheidung des Privy Council41 hatte sich der High Court von Australien mit Fällen zu befassen, die einen im wesentlichen gleichen Tatbestand aufwiesen. Der bekannte australische Richter Evatt hielt die Frage der Existenz von abgrenzenden Tatbestandsmerkmalen für unerheblich, sondern sah in der Parteiverweisung auf australisches Recht eine Verweisung auf dasjenige australische Recht, das in AustraUen für Rechtsbeziehungen gilt, die rein australischen Charakter haben, also jeden ausländischen Elements entbehren. Im einzelnen erklärte er, die Vereinbarung australischen Rechts habe den Zweck•2 to treat the rights and obligations of the contracting parties upon the same footing as if all of the material and relevant parts of the transacion were taking place, and to take place, within the State of Victoria. Die Verweisung sei "meaningless, unless it implies that the general law of Victoria is to be applied to the transaction without paying regard to the limited territorial application which is a characteristic and inevitable feature of all Victorian laws" 43 • Ferner: "Victorian law must mean, if it means anything, a system of law which applies in Victoria to local transactions of the same general character as those represented by the present debentures44." Es mag sein, daß in manchen Fällen diese Lehre zu denselben Ergebnissen führt wie die hier befürwortete Lösung; es ist jedenfalls schwerlich anzunehmen, daß irgend jemand auf den Gedanken kommen 40 41
Rev. Crit. 1966, 1, 11. Oben Anm. 37.
4% Barcelo v. Electrolytic Zinc Company of Australasia (1937), 48 C. L. R. 391, 433, 434. Auf diese Fälle hat Kelly (oben Anm. 9) aufmerksam gemacht. 43 s. 435. 44 S. 435. Ähnliche Äußerungen fielen in dem Fall Wanganui Rangitiki Electric Power Board v. Australian Mutual Provident Fund (1934), 50 C. L. R. 581, 605.
I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal 23
könnte, einem Handelsvertreter, der in Frankreich keine Niederlassung hat, in dem oben gebildeten Beispiel einen Ausgleichsanspruch zu geben, den das französische Recht nicht kennt. Oder will man etwa die Fiktion schaffen, daß der Handelsvertreter so behandelt werden müsse, als habe er eine Niederlassung in Frankreich? Das erscheint ausgeschlossen. Damit aber ist die Antwort grundsätzlicher Natur bereits angedeutet. Die Verweisung auf das ausländische Recht bedeutet die Verweisung auf das Recht, wie es für den konkreten Fall gilt und wie es auf diesen Fall angewandt sein will. Daß man das ausländische Recht so anwendet, wie es in anderen Fällen als dem zu entscheidenden Fall gilt, oder umgekehrt, daß man das ausländische Recht so umgestaltet, daß es nach Ansicht des Richters für den zu entscheidenden Fall besser paßt, das sind schlechthin unannehmbare Vorschläge.
VI. So sind zum Schluß nur einige Worte zu dem Thema "Fremdenrecht" nachzutragen. Es handelt sich dabei um ein Gebiet, das im Begriff ist, auszusterben; denn daß Rechtsfolgen von deutscher Staatsangehörigkeit abhängen, wird immer seltener, und Raape hatte im Grunde recht, als er behauptete, das Fremdenrecht sei "ein Gemenge von Vorschriften aller möglichen Gebiete des inländischen Rechts, mit Ausnahme gerade des internationalen Privatrechts" 45 • Eines ist beinahe allgemein anerkannt: "Fremdenrecht ist materielles Recht für Ausländer. Seine Anwendung setzt voraus, daß inländisches Recht anzuwenden ist48." Dennoch sind Fälle denkbar, in denen diese These zweifelhaft sein kann. Schon vor mehr als 40 Jahren hat Max Gutzwiller bei grundsätzlicher Anerkennung des Ausgangspunkts die Frage aufgeworfen47 : "Gehört das Fremdenrecht, welches lediglich den persönlichen Anwendungsbereich der Privatrechtssätze betrifft, jus singulare für Fremde ist, ins ,materielle Privatrecht'?" Und in neuerer Zeit hat Steindorff gar für den Regelfall vorgeschlagen, die fremdenrechtliehe Norm der Kollisionsnorm gleichzustellen, da die erstere "die Funktion einseitiger Kollisionsnormen" erfülle und nicht etwa kollisionsrechtliche Regelung voraussetze4s. Soweit die Einordnung eine rein dogmatische Frage ist, fehlt ihr praktische Bedeutung, und man sollte sich nicht bei ihr aufhalten. Aber Raape, Internationales Privatrecht (5. Aufl., 1961), S. 11. So in prägnanter Formulierung Kegel, Internationales Privatrecht (3. Auf!., 1971), S. 40. Im gleichen Sinn Raape (vorige Anm.); Nußbaum (oben Anm. 2) ; Makarov (oben Anm.ll), S. 31; Korkisch, in: Staudingers Kommentar zum EGBGB, Bd. II, Einleitung, Rdz. 74, 77 u. a. 47 Internationalprivatrecht (1931), S. 1549. 48 Sachnormen im Internationalen Privatrecht (1958), S. 31 ff. 45
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24 I. Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal die Beobachtung des noch erkennbaren fremdenrechtliehen Restes im internationalen Privatrecht zeigt doch, daß die kollisionsrechtliche Entscheidung getroffen sein muß, bevor man zum Fremdenrecht kommt. Man braucht sich nur der §§ 120 ff. des Urheberrechtsgesetzes zu erinnern. Hier wird zwischen Deutschen und Ausländern auf privatrechtlicher Ebene unterschieden. Aber die Unterscheidung kann nur zum Zug kommen, wenn vorher festgestellt ist, daß deutsches Recht im allgemeinen und das Urheberrechtsgesetz im besonderen gilt, d. h. also in der Mehrzahl der Fälle, daß die Urheberrechtsverletzung in Deutschland begangen ist. Das leuchtet ein und beweist, daß kollisionsrechtlich gesehen die fremdenrechtliche Norm nichts anderes ist als eine Sachnorm mit abgrenzendem TatbestandsmerkmaL
II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht* Ein Beitrag zum Problem der Rechtsvereinheitlichung I.
Nach der seit 1938 geltenden Fassung des Art. 29 EGBGB ist das Personalstatut einer staatenlosen Person das Recht des Staates, "in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt hat oder zu der maßgebenden Zeit gehabt hat". Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts als internationalprivatrechtlicher Anknüpfungspunkt hat rasch Schule gemacht. Er ist, soweit es sich nicht um erbrechtliche Fragen handelt, von Art. 1 des Gesetzes Nr. 23 über die Rechtsverhältnisse verschleppter Personen und Flüchtlinge vom 17. 3. 19501 übernommen worden. Er wird überdies von vielen für das Gebiet des interzonalen Privatrechts als Anknüpfungspunkt befürwortet2 und taucht, wie noch zu zeigen sein wird, in anderen Zusammenhängen internationalprivatrechtlicher Natur auf. Im materiellen deutschen Recht ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts mindestens seit dem Unterstützungswohnsitzgesetz von 1870 vom Gesetzgeber in unzähligen Bestimmungen verwendet worden. So erscheint er, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen, im Fürsorgerecht, im Jugendwohlfahrtsrecht, im Versorgungsrecht, im Wiedergutmachungsrecht, im Steuerrecht, im Lastenausgleichsrecht, im Zivil- und Strafprozeßrecht, im Eherecht3 • Eine gesetzliche Definition scheint es allerdings nur im Steuerrecht zu geben: nach § 14 I StAnpG hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Steuergesetze dort, "wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend ver-
* Veröffentlicht in JZ t
1956, 466.
Amtsblatt der AHK S. 140.
2 Enneccerus-Nipperdey (14. Aufl.), S. 268; Soergel-Kegel (8. Aufi., 1955), Art. 7 Anm. 5. Es mag sein, daß, was hier für das IPR vorgetragen wird, aus rein praktischen Gründen nicht durchweg für das interzonale Recht gelten kann. Vgl. auch BGH vom 7. 12.1955, BGHZ 19, 240 = NJW 1956, 262. a Eine brauchbare Übersicht über die Praxis auf diesen Gebieten findet sich in der unveröffentlichten Göttinger Dissertation über den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, die C. C. Maack im Jahre 1954 auf Anregung von Flume vorgelegt hat. Manche der Hinweise in den folgenden Anmerkungen 4, 5, 7 bis 9 beruhen auf den dort gemachten Angaben.
26
li. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht
weilt". Im Rahmen dieser Bestimmung kommt es somit nur auf das äußere Bild, nicht auf den Willen des Betroffenen an, so daß auch der Strafgefangene, der in einer Strafanstalt untergebracht ist, am Anstaltsort jedenfalls dann den gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn die Dauer der Strafe ein Jahr übersteigt4 • Die Praxis der Gerichte und Verwaltungsbehörden, die sich im Laufe der Jahrzehnte auf den verschiedensten Gebieten entwickelt hat, hat zu einer Begriffsbildung geführt, die im großen und ganzen mit derjenigen des Steuerrechts übereinstimmt. Gewiß bestehen Unterschiede in der Formulierung und hier und da auch im Ergebnis, aber sie sind schwerlich geeignet, das Gesamtbild zu beeinträchtigen. So bezeichnet man im Fürsorgerecht häufig als gewöhnlichen Aufenthalt denjenigen Ort, an dem eine Person bis auf weiteres und nicht nur vorübergehend den gewollten Mittelpunkt ihrer Existenz hat5 , aber in Wahrheit sind weder Existenzmittelpunkt noch Wille entscheidende Bestandteile des Begriffs, insbesondere ist es klar, daß weder ein rechtsgeschäftlicher noch ein nur tatsächlicher Wille zur Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts gefordert wird6 • Auf der anderen Seite scheint § 8 II StPO einen freiwillig gewählten Aufenthalt zu fordern, so daß z. B. die Einlieferung in ein Krankenhaus oder eine Heilanstalt keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet7. Ferner wird die Frage, ob ein doppelter gewöhnlicher Aufenthalt möglich ist, im Fürsorgerecht verneint8, im Zivilprozeß- und Jugendwohlfahrtsrecht9 dagegen bejaht. Das Ergebnis ist jedoch fast überall die völlige Objektivierung des Begriffs, d. h. das Abstellen auf die rein äußerlichen, tatsächlichen Umstände unter Ausschaltung des Willens, sowie die weitgehende Tendenz, schon bei relativ loser örtlicher Verbindung einen gewöhnlichen Aufenthalt als gegeben zu betrachten, wie etwa im Fall des sog. mißglückten Arbeitsversuchs10 oder im Fall des Studenten, der seine Studien an einer Universität betreibt11 • So hat schließlich die Einheitlichkeit der Rechts4 Gutachten des RFH vom 19. 10. 1940, RStBl. 1940, 925. s BAH (Bundesamt für Heimatwesen) 64, 188; 85, 99; 88, 13. 6 BAH 88, 64 und allgemeine Meinung. 7 Löwe-Rosenberg (20. Aufl.), § 8 Anm. 4 mit weiteren Angaben. s BAH 85, 118; 94, 19; BayVGH in Z. f. Heimatwesen 1938, 140. 9 Stein-Jonas-Schönke (18. Aufl.), § 606 Anm. IV 1; Potrykus, JugendwohlfahrtsG § 7 Anm. 2; Riedel, JugendwohlfahrtsG § 7 Anm. 8. Ebenso für das IPR Martin Wolff, IPR (3. Aufl.) S . 43, sowie alle anderen Schriftsteller. Da man nach deutschem Recht auch einen doppelten Wohnsitz haben kann, ist dieses Ergebnis nicht überraschend. to Dieser Tatbestand ist insbesondere im Fürsorgerecht vielfach behandelt worden: vgl. BAH 89, 170. 11 Daß der Student gewöhnlichen Aufenthalt am Studienort hat, wird überall angenommen.
II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht
27
entwicklung zu einem allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts geführt, wie er - unter ausdrücklicher Berufung auf eine steuerrechtliche Entscheidung des RG12 - im RGR-Kommentar13 vorgetragen wird: "Für das Vorhandensein des gewöhnlichen Aufenthalts ist nur zu erfordern, daß das Verweilen von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit ist, nicht auch daß der Mittelpunkt der Lebenshaltung für einige Zeit an dem Ort des Aufenthalts begründet wird." Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellt die grundsätzliche und eingehend begründete Entscheidu;ng des IV. Zivilsenats des BGH vom 20. 4. 195514 dar, nach der ein katholischer Geistlicher polnischer Staatsangehörigkeit, der im August 1940 in Polen verhaftet worden war und sich bis Kriegsende in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau begründete Entscheidung des IV. Zivilsenats des BGH vom 20. 4. 195514 Deutschland hatte. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß auch die internationalprivatrechtliche Literatur sich diesen allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu eigen gemacht hat. Das galt schon unter der Herrschaft des Art. 29 in seiner alten Fassung, die bekanntlich subsidiär auf den "Aufenthalt" abstellte; unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 16 ZPO und Art. 8 EGBGB sprach z. B. Melchior 15 von dem Aufenthalt als dem "Verbleib an einem Ort, der auf eine gewisse Dauer berechnet ist", und betonte, daß es unerheblich ist, ob das Verbleiben willentlich oder nur unter Zwang geschieht. Was Art. 29 i. d. F. des Gesetzes von 1938 angeht, so wird unter Führung von Lauterbach16 die Formel des RG wiederhoJt1 7 • Oder es wird - so Raape18 - gelehrt, daß das Anknüpfungsmoment des gewöhnlichen Aufenthalts "zu einem rein faktischen" wird, so daß nicht nur Ehefrauen19 und minderjährige Kinder einen eigenen gewöhnlichen Aufenthalt haben können, sondern auch seine Begründung keinen rechts12
RGZ 91, 287 zum ErbschaftsStG von 1906.
13 10. Aufl. § 7 Anm. 1. 14 RzW 1955, 220. Daß der Begriff des dauernden oder ständigen Aufent-
halts mit dem des gewöhnlichen Aufenthalts übereinstimmt, wird nicht nur in dieser Entscheidung dargelegt, sondern entspricht auch der Rechtsprechung des RFH: 6. 2. 1936, RStBl. 1936, 294. 1s Die Grundlagen des deutschen IPR, S. 457. 16 DR 1942, 535 und bei Palandt (15. Aufl.), Art. 29 EGBGB Anm. 2, wo allerdings von all den hier besprochenen Entscheidungen nur RGZ 91, 287 zitiert wird und insbesondere die in Anm. 28-30 erwähnten nicht aufgeführt sind.- Vgl. auch Palandt-Danckelmann, § 7 Anm. 1. 17 Erman-Arndt, Art. 29 Anm. 3. 1s IPR (4. Aufl.) S. 50. 19 Für Deutschland ist das, seitdem § 10 BGB außer Kraft getreten ist (vgl. Staudinger-Coing, 11. Aufl. § 10 Anm. 1), nicht auffallend.
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II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht
geschäftlichen oder tatsächlichen Willen erfordert20 • Die Konsequenzen dieser Auffassung sind an einigen Beispielen deutlich zu machen21 : 1. Es ist, wie insbesondere die steuerrechtliche Rechtsprechung beweist, klar, daß auch ein Volljähriger seinen Wohnsitz in dem einen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem anderen Land haben kann. Nach Art. 29 EGBGB kommt es jedoch auf den Wohnsitz überhaupt nicht an. Es ist deshalb durchaus möglich, daß der staatenlose Familienvater, dessen Familie in Deutschland lebt und der selbst in Deutschland einen Wohnsitz hat, nur deshalb im Fall seines Todes nach spanischem Recht beerbt wird, weil er in Spanien ein Geschäft betreibt, aus diesem Anlaß regelmäßig und auf längere Zeit in Spanien verweilt und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat22 • Oder man denke an den Tatbestand, der einer Entscheidung des RFH23 zugrunde liegt: Ein volljähriger Student ging im Dezember 1931 nach Berlin, um an der Universität zu studieren. Von einem Ferienaufenthalt abgesehen, blieb er in Berlin bis März 1932, ging dann zu seiner Mutter ins Ausland, um Mitte Mai zum Sommersemester zurückzukehren. Ende Juni 1932 ging er ins Ausland. Im Oktober 1933 begründete er seinen Wohnsitz in Deutschland. Der RFH spricht von dem "so schwankenden Begriff" des gewöhnlichen Aufenthalts, der "der Natur der Sache nach einen gewissen Spielraum (verlangt), innerhalb dessen Grenzen für Rechtsbegriffe nicht gezogen werden können", und bestätigt die Entscheidung, nach der der Student am 1. Januar 1932 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Wäre er staatenlos und Art. 29 n. F. in Kraft gewesen, so hätte sich an diesem Tag vielleicht auch sein Personalstatut geändert. 2. Oder man denke an den Fall des Staatenlosen, der in Deutschland eine eingerichtete Wohnung hat, gegen den in Deutschland ein Haftbefehl ergeht, während er sich zur Kur in Italien befindet, der aber beabsichtigt, nach Deutschland zurückzukehren, sobald der Haftbefehl aufgehoben ist. Der RFH hat wiederholt entschieden, daß es nicht darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige zurückkehren will, sondern darauf, ob er zurückkehren kann und wird; deshalb wird die Aufgabe 2o Dies scheint auch die Auffassung von KegeL bei Soergel (8. Aufl., 1955), Art. 29 Anm. 2 zu sein; s. jedoch unten Anm. 29. 2t Vgl. auch die von Neuhaus, DRZ 1950, 402, 403, gebrachten Beispiele zum interzonalen Recht. Neuhaus dürfte in der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts viel zu weit gehen. Der Gedanke, daß Fragen des deutschen internationalen oder interzonalen Privatrechts mit Hilfe des kanonischen Rechts zu lösen sind, kann schwerlich gebilligt werden. 22 Vgl. die Fälle RFH 15, 303; RStBl. 1935, 1219; 1936, 294. Soweit diese Entscheidungen die Reichsfluchtsteuer betreffen, sind sie allerdings von nationalsozialistischem Geist nicht durchweg frei. 23 17. 10. 1935, RStBl. 1935, 1415 und 1542.
II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht
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des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts nicht dadurch ausgeschlossen, daß er durch äußere Umstände, wie z. B. Krankheit24 oder behördliche Maßnahmen25 an der Rückkehr gehindert wird26 • Internationalprivatrechtlich würden diese Gedanken zu einem erzwungenen Statutenwechsel führen. 3. Minderjährige Staatenlose haben einen selbständigen gewöhnlichen Aufenthalt: das geschäftsunfähige staatenlose Kind, das in einem italienischen Internat untergebracht ist, würde italienischem Recht unterstehen, auch wenn seine Eltern den Wohnsitz in Deutschland haben und beabsichtigen, das Kind in einem späteren, unbestimmbaren Zeitpunkt zu sich zu nehmen. 4. Daß der Staatenlose, der zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt oder der geisteskrank und auf unabsehbare Zeit in einer Irrenanstalt untergebracht ist, den gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der Anstalt hat, ergibt sich ohne weiteres aus dem allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts und wird offenbar auch für das internationale Privatrecht für richtig gehalten oder wenigstens in Kauf genommen. Und wendet man gar die Grundsätze der oben erwähnten großen Entscheidung des BGH vom 20. 4. 195527 an, so hätte der katholische Geistliche, falls er staatenlos gewesen wäre, bei seiner Ankunft im Konzentrationslager Buchenwald ein deutsches Personalstatut erworben.
5. Die Objektivierung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts führt schließlich dazu, daß man allzu leicht den gewöhnlichen Aufenthalt für aufgegeben hält und sich deshalb mit dem Anknüpfungspunkt des bloßen Aufenthalts begnügt. So sagt das OLG Hessen28 von einem polnischen Soldaten, der in Italien während des Krieges Militärdienste leistete und nach dem Kriege dort in Strafhaft geriet, daß er dort Aufenthalt i. S. des Art. 29 EGBGB habe; denn es "ist auch der Aufenthalt des Beklagten an einem Orte, an dem er inhaftiert ist, zur Begründung seines ,Aufenthalts' geeignet. Es gilt in diesem Falle nicht etwa sein letzter gewöhnlicher freiwilliger Aufenthalt als weiterbestehend". Daß jemand da, wo er ohne Bewegungsfreiheit lebt, "Aufenthalt" hat, ist nicht zweifelhaft. Aber daß infolge dieses Aufenthalts ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem anderen Land fehlt und fehlen muß, ist ein Irrtum. Er würde dazu führen, daß in dem in Ziffer 4 erwähnten Fall der katholische Geistliche ein deutsches Personalstatut selbst dann 24
2s 26 27 28
26. 5. 1937, RStBl. 1937, 741; 24. 6. 1937, RStBl. 1937, 822. 18. 2. 1937, RStBl. 1937, 382; 29. 4. 1937, RStBl. 1937, 615. Vgl. RFH 5. 11. 1936, RStBl. 1936, 1159. s. Anm. 14. IPRspr. 1950- 1951 S. 284, 288.
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II. Der "gewöhnliche Aufenthalt" im Internationalen Privatrecht
erworben hätte, wenn das Verbleiben in einem Konzentrationslager einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht begründen könnte. Vom Standpunkt des internationalen Privatrechts aus betrachtet müssen alle diese Ergebnisse als untragbar bezeichnet werden. Das IPR ist auf Anknüpfungspunkte aufgebaut, die nach den klassischen Formulierungen Savignys und Gierkes den Sitz oder den Schwerpunkt einer rechtlichen Beziehung anzugeben beabsichtigen, die also auf den Ort der engsten Verbindung deuten. Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, der Wille der Parteien im Vertragsrecht, der Ort der unerlaubten Handlung oder der belegenen Sache sind geeignete Anknüpfungspunkte, weil sie dieser Aufgabe genügen. Der allgemeine Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts entspricht diesen Anforderungen nicht. Er kann zu einer Verbindung mit einem Staat führen, die weniger eng ist als diejenige mit einem anderen Staat und die überdies ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen erfolgt, obwohl gerade das Personalstatut in Frage steht. Es ist deshalb befriedigend festzustellen, daß - allerdings vor der grundsätzlichen Entscheidung des BGH vom 20. 4. 1955 - die unteren Gerichte sich geweigert haben, wenigstens in Konzentrationslagerfällen die letzte, beinahe groteske Konsequenz aus dem allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu ziehen: die OLG Hamm29 und Köln30 haben entschieden, daß ein Verfolgter durch die Verschleppung in ein Konzentrationslager den bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des Art. 29 EGBGB nicht verliert. Zur Begründung hat das OLG Hamm drei Gesichtspunkte herangezogen, die allerdings nicht durchweg überzeugen. Es meint, aus dem Wort "gewöhnlich" schließen zu können, daß es auf "den natürlichen Willen der beteiligten Person" ankomme. Dieser Gedanke, der übrigens den Fall des verschleppten Geisteskranken nicht zu decken vermag, steht im Widerspruch mit der gesamten Praxis zum allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, ohne daß erklärt wird, warum diese Praxis nicht zur Anwendung kommen soll. Sodann wird angenommen, daß der Verschleppte sich "auf nur ganz kurze Dauer" im Konzentrationslager befunden habe und alsbald umgebracht worden sei. Das ist ein rein tatsächlicher Umstand, der etwa im oben erwähnten Fall des verschleppten katholischen Geistlichen nicht weiter hilft. Schließlich wird darauf hingewiesen, daß den Anknüpfungspunkten im IPR "eine natürliche, meist mehr oder weniger dauerhafte Beziehung zu dem betreffenden Sachverhalt gemeinsam", 29 NJW 1954, 1731 Nr. 13. Wie sich aus der Entscheidung ergibt, haben Gutachten von Dölle und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht dabei wesentlichen Einfluß geübt. Zustimmend Soergel-Kegel, a.a.O. ao NJW 1955, 755.
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eine derartige Beziehung aber "nicht zum Verschleppungsorte, sondern nur zum alten Aufenthaltsorte Brüssel vorhanden" sei. Beides ist richtig, ist aber nichts anderes als eine petitio principii, weil es sich ja gerade um die Frage handelt, ob nicht der allgemeine Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, der sich mit einer losen örtlichen Beziehung begnügt, Anwendung verlangt. Daß er nicht nur in den Verschleppungsfällen, sondern ganz generell im Rahmen des Art. 29 EGBGB und überhaupt weitgehend auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts außer acht gelassen werden sollte, ist die hier vertretene These. Wo findet sie ihre rechtliche Grundlage? I I.
Die Antwort wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Verwendung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts im IPR jedenfalls insoweit auf einem Übersetzungs- oder Gedankenfehler beruht, als es sich um die Bestimmung des Personalstatuts handelt. Er soll das Äquivalent des Begriffs der residence habituelle sein, dieser ist aber in Wahrheit von dem allgemeinen deutschen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts völlig verschieden. 1. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist für den Zweck der Zuständigkeitsbestimmung in das deutsche IPR mit Art. 2 und Art. 3 des Raager Abkommens zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige vom 12. 6. 1902 eingedrungen, um kurz danach wieder in Art. 4 des Raager Abkommens über Entmündigung und gleichartige Fürsorgemaßregeln vom 17.7.1905 aufzutauchen. Nach dem ersten Weltkrieg findet er sich in einigen Staatsverträgen, die Deutschland abgeschlossen hat31 • Schließlich wird er vom deutschen Gesetzgeber durch das Gesetz vom 12. 4. 1938 übernommen. Dieses Gesetz beruht auf den Ergebnissen der 6. Raager Konferenz vom Jahre 192832, über die Volkmar wie folgt berichtet hat33 : Man hat hier einheitlich für alle Abkommen in erster Linie den Aufenthalt (residence habituelle) des Staatenlosen für maßgebend erachtet. Den Ausdruck "gewöhnlicher Aufenthalt" hat man gewählt, weil damit ein klarer faßbarer Vorgang bezeichnet wird, während die Wahl des Wortes "Wohnsitz" einen Rechtsbegriff eingeführt hätte, der in den einzelnen beteiligten Rechtsgebieten in verschiedenartigem Sinn gebraucht wird, und 31 Vgl. die Vormundschaftsabkommen mit Polen vom 5. 3. 1924 und mit Österreich vom 5. 2. 1927. s2 Vgl. Massfeller, JW 1938, 1290 und die amtliche Begründung, auf die allerdings im Hinblick auf den Art. III des Gesetzes Nr. 1 der Militärregierung wohl nicht zurückgegriffen werden darf. sa JW 1928, 857 f.
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deshalb erst verwendet werden kann, wenn schon feststeht, nach welchem Recht der Staatenlose zu beurteilen ist.
Die zahlreichen Bände der Actes der Raager Konferenzen von 1893, 1894, 1900, 1904, 1925 und 1928 ergeben nichts für die Annahme, daß man mit dem Begriff der residence habituelle den allgemeinen deutschen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts erfassen wollte. Soweit die erwähnten Artikel der Abkommen von 1902 und 1905 die Zuständigkeit regeln, wäre es allerdings nicht unberechtigt gewesen, den allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu verwenden, und es muß auch anerkannt werden, daß diese Artikel davon ausgehen, daß z. B. ein Minderjähriger eine residence habituelle haben kann, die vom gesetzlichen Vertreter nicht bestimmt ist, daß somit auf den "faktischen" Zustand abgestellt wird34• In Wahrheit war es jedoch das Ziel der Delegierten, die in französischer Sprache verhandelten, lediglich den Ausdruck "domicile" zu vermeiden, der bekanntlich sowohl in Frankreich wie in Großbritannien eine ganz spezifische rechtliche Bedeutung hat35• Der Sache nach wollte man den Wohnsitz treffen. Statt den Ausdruck zu gebrauchen, hat man den von dem Ausdruck von alters her und überall36 ins Auge gefaßten Sachverhalt selbst bezeichnen wollen, nämlich den Ort, an dem jemand die residence habituelle, die ständige Niederlassung, sein "settled headquarters"31 hat, ubi quis larem ac fortunarum summam constituit38• Da es sich als unmöglich herausgestellt hat, einen einheitlichen Domizilbegriff aufzustellen39, zog man es, wie Rene Cassin dargelegt hat40 , vor, "de determiner avec precision a propos de chaque matiere les elements constitutifs du domicile" und eine "definition concrete ad hoc" zu verwenden41 • 34 Meili-Mamelok, Das internationale Privat- und Zivilprozeßrecht der Haager Konvention (1911) S. 258, 295. Die im Text gegebene Darstellung wird vor allem durch die folgenden Stellen der Haager Actes unterstützt:
1894 li, 94; 1900, 103.
35 Nach französischer Praxis unterliegt der Staatenlose dem Recht des "domicile", und es ist interessant festzustellen, daß mit Rücksicht auf die Beschlüsse der 6. Haager Konferenz Lerebours-Pigeonniere, Precis de droit international prive (1948) S. 294 unter diesem Ausdruck nunmehr die residence habituelle verstehen will. Auch im neuen griechischen Recht unterliegt der Staatenlose primär dem Domizilrecht Damit wird das Recht der residence habituelle gemeint; vgl. Maridakis, Rec. 85 (1954) 161. 36 Ein rechtsvergleichender Überblick findet sich insbesondere bei Arminjon-Nolde-Wolff, Traite de droit compare I, 221. Vgl. Caemmerer, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch IV, 351. 37 Ausdruck von Harman J. in dem englischen Fall Re Adoption AppHcation (1951) 2 All E. R. 931, 936. as Cod. 10. 40. 8. 39 Über Bemühungen in dieser Richtung vgl. Barbosa de Magalhaes, La doctrine de domicile en droit international prive, Rec. 23 (1928) 5 ff.; Annuaire de !'Institut de Droit International 36 (1931) I, 492; li, 178. 40 Rec. 34 (1930) 659 ff., 777, 778. 4t In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht unangebracht, auf
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Daß auch die deutsche Delegation nichts anderes gewollt hat, zeigt nicht nur der Bericht von Volkmar, sondern auch ein Vorfall, der im Licht der späteren Entwicklung bemerkenswert ist. Die deutsche Regierung legte der 6. Raager Konferenz von 1928 eine Note in französischer Sprache vor42 , in der der Anknüpfungspunkt des "sejour habituel" als "condition de pur fait" im Gegensatz zum Rechtsbegriff des Domizils befürwortet wird. Es mag sein, daß man damit an den allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gedacht hat. Aber als der deutsche Delegierte Karl Neumeyer in der ersten Sitzung das Wort ergriff43 , redete er zugunsten der "residence habituelle". Auch im endgültigen Bericht44 wird residence habituelle nur dem domicile, nicht dem sejour habituel gegenübergestellt. Daß die deutsche Übersetzung dann doch auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt, kann nicht als Abkehr von den Raager Gedankengängen bewertet werden. Es war daher durchaus folgerichtig, daß Makarov in der französischen Übersetzung des Art. 29 n . F. von residence habituelle spricht45 • Seitdem hat sich ähnliches abgespielt. Der französische und englische Text des ARKG Nr. 23 spricht von residence habituelle und von ordinary residence, aber im deutschen Text erscheint der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts46• 2. Man kann nicht feststellen, daß im Haag der Einfluß französischer Juristen entscheidend gewesen sei. Zwar war die französische Sprache wenigstens zum großen Teil Verhandlungssprache, und viele der Delegierten vertraten Staaten, deren Recht und Rechtsdenken dem einige der zahlreichen Staatsverträge hinzuweisen, die die durch die Uneinheitlichkeit des Domizilbegriffs geschaffenen Probleme zu lösen versucht haben. In dem von Deutschland ratifizierten Abkommen über russische und armenische Flüchtlinge vom 30. 6. 1928 (Hudson, International Legislation IV, 2486) wird in erster Linie auf domicile, subsidiär auf residence habituelle, schließlich auf residence abgestellt. Das Völkerbundsabkommen vom 10. 2. 1938 über deutsche Flüchtlinge (Societe des Nations, Recueil des Traites 192, 59) begnügt sich mit domicile, subsidiär mit residence. Nach Art. 12 des Flüchtlingsabkommens vom 28. 7. 1951, dem Art. 12 der neuen Konvention vom 28. 9. 1954 (Cmd. 9509) entspricht, wird das Personalstatut der Flüchtlinge geregelt "par la loi du pays de son domicile ou, a defaut de domicile, par la loi du pays de sa residence (by the law of the country of his domicile or, if he has no domicile, by the law of the country of his residence)". Nach Faul Weis, British Year Book of International Law 1953, 481, 485 soll das residence habituelle bedeuten. Das deutsche Gesetz vom 1. 9. 1953 (BGBl. II 559) macht die Konvention von 1951 zum Bestandteil des deutschen Rechts und stellt in Art. 12 auf den Wohnsitz, subsidiär auf den (bloßen) Aufenthalt ab. 42 Actes 1928, II, 50. 4S Actes 1928, I, 110. 44 Actes 1928, I, 157, 158. 45 Die Quellen des IPR (2. Aufl.). 46 Vgl. ferner unten zu Anm. 49 über die Renvoi-Konvention von 1951 und oben Anm. 41 über die Flüchtlingskonventionen. 3 Mann
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französischen Recht nahestehen. Es kommt hinzu, daß gerade der dem französischen Recht eigene, abstrakte Begriff des domicile zu vielen Schwierigkeiten Anlaß gab und gibt. Dennoch läßt sich dem französischen Recht nichts über den Begriff der residence habituelle entnehmen. Der Grund liegt darin, daß der Begriff dem französischen Zivilrecht fremd ist47 und nur im modernen französischen Verwaltungsrecht und insbesondere Steuerrecht auftaucht48 • Auch in Frankreich ist der steuerrechtliche Begriff der residence habituelle rein tatsächlicher, objektiver Natur, so daß z. B. ein Staatenloser, der seinen Wohnsitz in Spanien hat, steuerrechtlich allein deshalb residence habituelle in Frankreich hat, weil er in Frankreich für die Dauer eines Jahres ein Landhaus gemietet hat. Es läßt sich keinerlei Beweis dafür finden, daß man sich im Haag vor dem Jahre 1951 ernsthafte Gedanken über den Begriff der residence habituelle gemacht hat. Nur eines steht fest: man wollte den Rechtsbegriff des domicile ausschalten und einen tatsächlichen, allgemeinverständlichen, überall anwendbaren Begriff einführen. Mit dieser Absicht und dem Mangel an sonstigen Anhaltspunkten ist es durchaus vereinbar, daß man die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Wohnsitzbegriffs beibehalten wollte, nämlich das factum der Nie47
Der Begriff der residence kommt allerdings wiederholt vor. Nach
Planiol-Ripert, Traite Pratique de droit civil franc;ais (2. Aufi., 1952) bedeutet
er den Ort "ou sejourne une personne sans avoir l'intention de s' y etablir". 48 Es erscheint angebracht, den Art. 4 des Code General des Impöts wiederzugeben: Nach ihm haben residence habituelle in Frankreich 1. Les personnes qui y possedent une habitation a leur disposition a titre de proprietaires, d'usufrutiers ou de locataires, lorsque, dans ce dernier cas, la location est conclue soit par convention unique, soit par conventions successives, pour une periode continue d'au moins d'une annee ; 2. Les personnes qui, sans disposer en Franeo d 'une habitation dans les conditions definies a l'aliena precedent, ont neanmoins en France le lieu de leur sejour principal. Die Entscheidungen, die sich mit der Auslegung dieser Bestimmungen befassen, sind in Nr. 2306 des Dictionnaire des Contributions Directes zusammengestellt. Der Begriff der ordinary residence ist im anglo-amerikanischen Recht in vielen Beziehungen ungeklärt. Die maßgebliche englische Entscheidung ist wohl Inland Revenue Commissioners v . Lysaght, (1928) A. C. 234, wo bemerkenswerterweise Lord Sumner (S. 243) die vom BGH (oben Anm. 14) als Wortspiel zurückgewiesene Feststellung trifft, daß das Gegenteil von ordinary residence extraordinary residence ist und daß das nicht extraordinary sein kann, was jemand freiwillig und "for settled purposes" tut. Factum und animus sind erforderlich. Gefangene können gewiß keine residence haben. Für Geschäftsunfähige und in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte bestehen erhebliche Zweifel. Eine Ehefrau kann selbständige residence haben. Vgl. ferner Stransky v. Stransky (1954), 2 All E. R. 536 und Re Mackenzie (1940), 4 All E. R. 310. - Für das amerikanische Recht s. Reese and Green, Vanderbilt Law Review VI (1953) 561. Das Moment der Freiwilligkeit wird betont in der Entscheidung McGrath v. Kristensen, 340 (1950) U. S. 162, 175; vgl. die englische Entscheidung Re Hatch (1948), Ch. 592.
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derlassung oder der Begründung des Hausstandes und auf der anderen Seite den animus des Verbleibens, das zwar nicht als für immer gewollt zu sein braucht, aber auch nicht als lediglich vorübergehend gedacht sein darf. Wenn es richtig ist, daß man die subjektiven Voraussetzungen nicht über Bord werfen wollte, so kann ohne weiteres gefolgert werden, daß eine residence habituelle an dem vom Wohnsitz verschiedenen Ort des Geschäftsbetriebs oder am Universitätsort oder am Ort des Konzentrationslagers nicht für möglich gehalten wurde. Wie die Fälle des abgeleiteten Wohnsitzes zu behandeln wären, bleibt allerdings zunächst unklar. An diese Fälle hat man erst gedacht, als man sich zur 7. Raager Konferenz im Jahre 1951 versammelte. Damals wurde insbesondere der Entwurf einer Konvention zur Regelung von Konflikten zwischen Staatsangehörigkeits- und Domizilrecht, die sog. Renvoi-Konvention ausgearbeitet49 • Sie leidet an manchen Formulierungsfehlern50, aber in Art. 5 definiert sie Domizil i. S. der Konvention als residence habituelle, nimmt jedoch davon die Fälle des abgeleiteten Domizils aus. Was diese Ausnahme bedeutet, ist ebenfalls unklar5 t, aber negativ läßt sich doch wohl sagen, daß es der Raager Gedankenwelt 1951 fernlag, Minderjährigen und Geisteskranken eine vom Willen des gesetzlichen Vertreters unabhängige residence habituelle zuzuerkennen52. Man wird daraus schließen dürfen, daß diese Absicht auch im Jahre 1928 nicht bestand. Der französische Text ist in RabelsZ 1952, 273 ff. abgedruckt. Das gilt insbesondere von Art. 5, nach dem "domicile" i. S. der Konvention "residence habituelle" bedeutet und der dadurch die ganze Konvention unbrauchbar macht. Wendet man diese Definition auf Art. 1 an, so schreibt dieser vor, daß das Recht der residence habituelle anzuwenden ist, falls das Recht des Landes, in dem eine Person "residence habituelle" hat, auf das Staatsangehörigkeitsrecht, dieses aber auf das Recht der "residence habituelle" verweist. Wenn ein Engländer in Deutschland lebt, aber in England "domicile" hat, so hat der deutsche Richter englisches Recht anzuwenden, aber eine Rückverweisung findet nicht statt, weil englisches Recht nicht auf das Recht der residence habituelle verweist. - Die kühne Auslegung, die DöHe, RabelsZ 1952, 204, dem Art. 5 gibt, ist mit dem klaren Text unvereinbar und auch deshalb unhaltbar, weil sie, wie er selbst S. 204 Anm. 2 zugibt, ein "paradoxes Ergebnis" herbeizuführen geeignet ist. 51 DöHe, a.a.O., S. 203, meint, die abhängige Person habe ihr Domizil i. S. der Konvention dort, wo die Hauptperson ihr Konventionsdomizil habe. Das ist vor allem deshalb zweifelhaft, weil Art. 5 lediglich eine Definition enthält und deshalb für abhängige Personen vielleicht allein die Bedeutung hat, daß für diese die Gleichstellung von "domicile" und "residence habituelle" nicht gilt. 52 Vgl. insbesondere die Actes der 7. Konferenz von 1951, Bd. I S. 228 ff. Auf S. 232 erklärte der Vorsitzende der Unterkommission, Sauser-Hall: "La residence habituelle est un notion de fait et ne necessite aucun rattachement a un ordre juridique donne." Es ist nicht einfach festzustellen, ob die Delegierten diesen Ausspruch etwa als Übertreibung empfunden haben. 40
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III. Die vorstehenden Betrachtungen führen zu den folgenden Ergebnissen: 1. Wo für die Ermittlung des Personalstatuts das internationale Privatrecht auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt, hat der Begriff nicht seine allgemeine, sondern eine besondere Bedeutung. Er entspricht dem Begriff der residence habituelle, wie er den Raager Konferenzen vorgeschwebt hat und völkerrechtlicher Praxis52a entspricht. Er deckt sich mit dem Begriff der ständigen Niederlassung, also inhaltlich mit dem Begriff des Wohnsitzes i. S. des § 7 BGB und setzt demgemäß sowohl factum wie animum voraus53 • Rein äußerliche, objektive Vorgänge können den gewöhnlichen Aufenthalt weder begründen noch aufheben54 ; die deutsche Rechtsprechung und Lehre zum allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht einschlägig. Da nach richtiger Lehre der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach deutschem Recht auszulegen oder zu "qualifizieren" ist55 und nach deutschem Recht die Ehefrau einen eigenen Wohnsitz haben kann56, wird sie auch in der Lage sein, einen eigenen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Der gewöhnliche Aufenthalt der Geschäftsunfähigen und in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten wird nach Analogie der §§ 8, 11 BGB zu bestimmen sein. Wie eine Person einen doppelten Wohnsitz haben kann, so kann sie nach deutscher Auffassung auch einen doppelten gewöhnlichen Aufenthalt haben; die Bestimmung des internationalprivatrechtlich maßgebenden gewöhnlichen Aufenthalts erfolgt nach den für den doppelten Wohnsitz entwickelten Lehren 57. s2a Ständiger Internationaler Gerichtshof in dem Fall betr. Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit (Serie B Nr. 7) S. 20 : "established in a permanent manner with the intention of remaining." Vgl. den Schiedsspruch von Kaekenbeck, Annual Digest 1923 - 1924 Nr. 123 und die wichtige Entscheidung des Belgisehen Kassationshofs vom 9. 3. 1936 zu Art. 36 des Vertrags von Versailles, Pasicrisie Belge I (1936) 184 = Annual Digest 1938- 1940 Nr. 107. sa Im einzelnen vgl. Staudinger-Coing (11. Aufl.), § 7 Anm. 3. 54 Deshalb kann auch ein Gefangener keinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. von Art. 29 haben. Er hat auch keinen Wohnsitz: Staudinger-Coing, § 7 Anm.4. 55 In Wahrheit handelt es sich nicht um einen QualifikationsfalL Der Text lehnt die vielfach verfochtene Maßgeblichkeit des Rechts des behaupteten Wohnsitzes oder Aufenthalts ab und folgt Martin Wolff, Das IPR Deutschlands (3. Aufl.) S. 44 mit Nachweisen; Raape, IPR (4. Aufl.) S. 43 ff., 53; Palandt-Lauterbach (15. Aufl.), Vorbem. 7 b vor Art. 7; Metchior, Grundlagen des IPR, s. 160 ff.; Lewald, Regles Generales des Confiits de Lois (Basel 1941) S. 85 ff., 90 u. a. 56 Oben Anm. 19. 57 Staudinger-Coing, § 7 Anm. 12; a. M. Martin Wolff, a.a.O.
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Solange eine Person einen gewöhnlichen Aufenthalt, d. h. eine ständige Niederlassung hat, kann ihr Personalstatut nicht von dem Recht des bloßen Aufenthalts bestimmt werden. Aber der Aufenthalt in dem einen Staat bedeutet keineswegs, daß der gewöhnliche Aufenthalt in einem anderen Staat mit Notwendigkeit aufgehört hat. Es kommt auf den Willen an. Er bedarf der Ermittlung und Auslegung, und erst wenn festgestellt ist, daß nicht nur die tatsächliche Niederlassung, sondern auch der Aufenthaltswille aufgegeben ist58, fehlt es an einem gewöhnlichen Aufenthalt. Wie das deutsche Recht Wohnsitzlosigkeit für möglich hält59, so mag es auch sein, daß ein gewöhnlicher Aufenthalt nirgends besteht. Erst dann kommt der Aufenthalt als Anknüpfungspunkt zum Zug. Die Schwierigkeiten der Beweisführung sind nicht zu verkennen. Aber sie sind überwindbar und fallen nicht ins Gewicht, wenn es sich um die Formulierung eines sachgemäßen und gerechten Prinzips handelt. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei betont, daß die hier vorgeschlagene Definition des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts keineswegs in allen internationalprivatrechtliehen Zusammenhängen Gültigkeit beansprucht. Es mag Fälle geben, in denen es zweckmäßig und vom Gesetzgeber beabsichtigt ist, auf den allgemeinen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen, etwa wo es sich um prozessuale Zuständigkeiten handelt. Aber in den meisten Fällen internationaler Gesetzgebung und Reformarbeiten60 dürfte in Wahrheit an die ständige Niederlassung i. S. des § 7 BGB gedacht sein. 2. Das hier behandelte Problem zeigt die Gefahren, denen die Rechtsvereinheitlichung ausgesetzt ist. Daß ihre Ausschaltung sorgfältige Rechtsvergleichung voraussetzt, liegt auf der Hand. Aber Rechtsvergleichung allein genügt nicht. Es muß zunächst gefordert werden, daß zur Vermeidung von Schwierigkeiten und zwecks Sicherstellung einheitlicher Lösungen in der "definition concrete ad hoc" über die im Haag geübte Methode hinausgegangen wird. Hätte man sich nicht damit zufrieden gegeben, den Begriff der residence habituelle zu verwenden, sondern hätte man ihn definiert, so wäre der Fehler, dem der deutsche Gesetzgeber 1938 unterlegen ist, nicht vorgekommen. Es ist deshalb zu begrüßen, daß, wie erwähnt, die 7. Raager Konferenz ss Vgl. Staudinger-Coing, § 7 Anm. 13. 59 Staudinger-Coing, § 7 Anm. 15. eo Bericht über die 34. Tagung der International Law Association in Wien 1926, S. 488 (betr. internationales Kaufrecht); Bericht über die 44. Tagung der International Law Association in Kopenhagen 1947, S. 193 (Art. 3 des Konventionsentwurfs über Vertretung); Annuaire de !'Institut de Droit International, 43 II (1950) S. 154 (Art. 3 des Entwurfs über Kommissionsverträge); Art. 6 und Art. 20 des Entwurfs eines einheitlichen Kaufrechts, ausgearbeitet vom Institut für Rechtsvereinheitlichung in Rom (1951).
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wenigstens in gewissem Umfang eine Konkretisierung des Begriffs der residence habituelle versucht hat. Es ist aber ferner zu verlangen, daß diejenigen, die für die amtlichen deutschen Übersetzungen fremdsprachlicher Texte verantwortlich sind, sich ihrer Aufgabe mit besonderer Sorgfalt widmen. Der Gesetzgeber von 1938 und wahrscheinlich schon vorher die deutsche Delegation von 1928 haben sich eines primitiven Übersetzungsfehlers schuldig gemacht; sie hätten erkennen müssen, daß in den damals behandelten Zusammenhängen n?sidence habituelle der ständigen Niederlassung, nicht dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichzusetzen ist. Soweit es sich um den Entwurf einer Renvoi-Konvention von 1951 handelt, so liegt eine amtliche deutsche Übersetzung noch nicht vor. Doch übersetzt Dölle, der so wesentlich zu der im Ergebnis richtigen Entscheidung des OLG Hamm61 beigetragen hat, wiederum residence habituelle mit dem Ausdruck "gewöhnlicher Aufenthalt" 62 • Der deutsche Gesetzgeber wird hoffentlich erkennen, daß das deutsche Recht keinen Begriff kennt, der dem des Domizils im französischen oder englischen Recht entspricht, daß aber sowohl "residence habituelle" wie "ordinary residence" dem deutschen Wohnsitzbegriff im wesentlichen gleichkommt und deshalb entweder mit "Wohnsitz" oder mit "ständiger Niederlassung" zu übersetzen ist63 •
61 Oben Anm. 29. Die Entscheidung ist allerdings nach Abschluß der 7. Haager Konferenz ergangen, und auch das Gutachten ist erst 1952 erstattet worden. 62 RabelsZ 1952, 161 ff., 175, 203, wo ausgeführt wird, dieser Begriff sei "im wesentlichen durch überall gleich zu beurteilende, äußerlich erkennbare Tatsachen bestimmt". 63 Vgl. Dölle-Zweigert, Gesetz Nr. 52, S . 92 ff.
III. Zwangseinbürgerungen und das Völkerrecht* Ein Rückblick I. In einem Vortrag, der vor fünf Jahren vor der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht gehalten und alsdann veröffentlicht wurde 1, wurde darauf hingewiesen, daß durch die Artikel 25 und 100 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949 den deutschen Gerichten auf dem Gebiet des Völkerrechts eine rechtsschöpferische Tätigkeit besonderer Art übertragen und insbesondere dem Bundesverfassungsgericht "eine große, eine höchst verantwortungsvolle, aber auch eine dankbare Aufgabe (erwachsen ist), deren Erfüllung weit über die Grenzen der deutschen Bundesrepublik hinaus beobachtet werden wird": .,Der Erfolg wird nicht mit mechanischen Maßen gemessen werden können. Er wird durch Imponderabilien bestimmt, durch das Gewicht und die Überzeugungskraft der Entscheidungen, durch den Einfluß auf die Rechtsentwicklung der Welt, der nur in stiller, langsamer Arbeit gewonnen werden kann. Er wird davon abhängen, in welchem Umfang es dem Gericht gelingt, zu führen ohne radikal oder gar revolutionär zu sein, zu überzeugen ohne zu diktieren, dem Fortschritt zu dienen ohne die Harmonie zu gefährden." Zugleich wurde bemerkt, daß die Ermittlung der "allgemeinen Regeln des Völkerrechts", die Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen, nur auf breiter rechtsvergleichender Grundlage möglich ist und daß, wenn auf dieser Grundlage aufgebaut wird, die deutschen Gerichte "bahnbrechend wirken, Völkerrecht schaffen können". In der Zwischenzeit hatten sich von den fünf obersten Gerichten der Bundesrepublik nicht weniger als drei mit fundamentalen Fragen des Völkerrechts deshalb zu befassen, weil sie zu den Zwangseinbürgerungen aus den Jahren 1938 bis 1945 Stellung zu nehmen hatten. Der BundesgerichtshoF sowie das Bundesverwaltungsgericht3 , abge-
* Veröffentlicht in: Die Friedenswarte. Blätter für internationale Verständigung und zwischenstaatliche Organisation, hrsg. von Hans Wehberg, 53 (1956) 101. 1 Unten S. 378 2 BGHZ 3, 178. a BVerwG JZ 1955, 80 NJW 1955, 35.
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sehen von zahlreichen anderen Gerichten, haben denjenigen früheren Österreichern, die nach 1945 ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik behielten. die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen und dabei die zu Grunde liegenden völkerrechtlichen Fragen für so wenig zweifelhaft gehalten, daß eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht eingeholt worden ist. Dieses Gericht selbst hat entschieden4, daß ein tschechoslowakischer Staatsangehöriger, der aus dem Gebiet des "Protektorats Böhmen und Mähren" stammt, die deutsche Staatsangehörigkeit im Jahre 1939 erworben hat und nach wie vor besitzt5• In der Zwischenzeit hat der deutsche Gesetzgeber Maßnahmen getroffen oder vorgeschlagen, die diese Rechtsprechung der unmittelbaren praktischen Bedeutung berauben'. Eine Erörterung der völkerrechtlichen Sätze, auf denen die Rechtsprechung beruht, ist jedoch keineswegs unfruchtbar. Als Beitrag zu den allgemeinen Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts behalten sie ihre Bedeutung. Soweit die Rechtsprechung eine bestimmte Haltung zum Völkerrecht zum Ausdruck bringt, soweit sie Methode in der Handhabung völkerrechtlicher Sätze erkennen läßt, hat sie symptomatischen Charakter und verlangt sie Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsentwicklung im allgemeinen. Darin liegt die Rechtfertigung für die folgenden Ausführungen. Sie werden auch dadurch nicht überflüssig, daß, wie Makarov vor kurzem hervorgehoben hat7. im deutschen Schrifttum und in der deutschen Praxis bereits alle Argumente vorgetragen sind, die überhaupt in Frage kommen können. Eine ins Einzelne gehende Auseinandersetzung mit diesen Argumenten, zu denen übrigens die im Ausland zur Sprache gekommenen hinzukommen sollten, ist hier nicht beabsichtigt. Die Frage, die hier erörtert werden soll, geht nicht vornehmlich dahin, ob die drei Entscheidungen im Ergebnis richtig sind. Sie ist grundsätzlicher Natur und bezieht sich im wesentlichen darauf, ob diese Entscheidungen in der Begründung so abgeschlossen und überzeugend sind, daß sie denjenigen Anforderungen entsprechen, die das Grundgesetz stellt. Sie lautet, ob die deutsche Rechtsprechung an ihre große Aufgabe im rechten Geiste und mit dem rechten juristischen Verantwortungsbewußtsein herangetreten ist. Die erwähnten Urteile hatten sich mit drei verschiedenen Problemgruppen zu beschäftigen. In erster Linie handelte es sich darum, ob BVerfGE 1, 322 = JZ 1952, 414. Vgl. auch BVerfGE 2, 98. 6 Gesetz für Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. 2. 55, BGBl. 1955, 65 und Gesetzentwurf "zur Bereinigung deutsch-österreichischer Staatsangehörigkeitsfragen" (ER-Drucksache Nr. 454/54), besprochen NJW 4
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1955, 134. 7 JZ 1955, 82 (r. Sp.).
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der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit anfänglich gültig war (darüber unter II). Sollte die Frage verneinend ausfallen, so entstand die weitere Frage, ob der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vor 1945 insoweit gültig geworden ist, als die Annexionen, aus denen er hervorgegangen ist, anerkannt worden sind (darüber unter III). War wenigstens eine dieser Fragen zu bejahen, so war festzustellen, ob und in welchem Umfang der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach 1945 unwirksam geworden ist (darüber unter IV). I I.
Daß der "Anschluß" Österreichs ebenso wie die Eingliederung des "Protektorats" Böhmen und Mähren wenigstens ursprünglich völkerrechtswidrig war, sollte heute nicht bezweifelt werden. Während eine Feststellung in diesem Sinn hinsichtlich Österreichs von keinem der drei obersten Gerichte getroffen wird8, geht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) davon aus, "daß die Besetzung von Landesteilen der tschechoslowakischen Republik durch deutsche Truppen im März 1939 völkerechtswidrig war" 9 • In noch höherem Maß muß dies von der- vom BVerfG nicht ausdrücklich erwähnten - Annexion gelten. Allerdings scheint es - wenigstens in Deutschland - noch Schriftsteller zu geben, nach denen zur Annexion nichts anderes gehört als eine vollendete militärische Unterwerfung und die Absicht des Erwerbs der Souveränität, nach denen es also auf die Rechtmäßigkeit nicht ankommt' 0 • Aber das ist offenbar nicht die Ansicht des BVerfG noch des von ihm vielfach herangezogenen Verdross 11 und ist in der Tat eine unhaltbare Auffassung, die im modernen Völkerrecht keinen Widerhall findet12• Aus der Völkerrechtswidrigkeit folgt, daß die Ausübung der Gesetzgebungsgewalt durch das Deutsche Reich in den überfallenen Gebieten nichtig war. Es ist einer der primitivsten Sätze des Völkerrechts, daß ein Staat im fremden Gebiet oder über Personen fremder Staatsangehörigkeit, die nicht in seinem eigenen Land wohnen, keine Gesetzgebungsgewalt hat. Außerhalb des eigenen Gebiets fehlt es dem s Sie wurde jedoch von dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg getroffen. 9 a.a.O., S. 328. 1o Vgl. z. B. H. J. Jellinek, Der automatische Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit durch völkerrechtliche Vorgänge (1951), S. 111. 11 Völkerrecht, S. 187, wo diese Rechtsfolge allerdings zu Unrecht mit der Stimson-Doktrin in Zusammenhang gebracht wird. 12 Oppenheim (-Lauterpacht), International Law (8. Aufl., 1955), S. 514; Wehberg, Krieg und Eroberung im Wandel des Völkerrechts (1953), S. 101 ff.
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Staat an jeder Kompetenz. Man braucht deshalb nicht auf das noch allgemeinere Prinzip ex injuria jus non oritur13 zurückzugreifen um festzustellen, daß jede gesetzgeberische Maßnahme des Dritten Reichs, durch die Bewohnern des rechtswidrig besetzten Gebiets die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden ist, wenigstens anfänglich rechtlich wirkungslos, nichtig war. Ebenso wie derjenige, der die einem anderen gehörige Sache widerrechtlich wegnimmt, nicht Eigentum erwirbt, so kann der Staat, der das Gebiet eines anderen Staates besetzt, selbst dann keine Souveränität über dieses Gebiet erwerben, wenn er sie proklamiert. Dann sind die Zwangseinbürgerungen aber auch mit Notwendigkeit als innerstaatlich nichtig anzusehen. Das beruht auf Art. 25 in Verbindung mit Art. 123 Abs. 1 GG. Dieser Ausgangspunkt wird vom BVerfG mit einer Begründung vermieden, die der Analyse bedarf und deshalb im einzelnen wiederzugeben ist14 : "Auszugehen ist von dem völkerrechtlichen Grundsatz, daß jeder Staat grundsätzlich allein berufen ist, nach seinem Ermessen zu bestimmen, wie seine Staatsangehörigkeit erworben und verloren wird. Das Ermessen des Staates, diese Angelegenheiten zu regeln, wird durch das allgemeine Völkerrecht begrenzt . . . Die Staatsangehörigkeit kann auf Grund der Rechtsordnung innerstaatlich wirksam sein, solange sie nicht von einem fremden Staat angefochten und auf sein Verlangen wieder entzogen wird (Verdross, S. 210) ... Über die innerstaatliche Wirksamkeit entscheidet daher zunächst das deutsche Recht. Die Unwirksamkeit des hierfür maßgebenden Erlasses .. . läßt sich weder aus Art. 4 WeimRV noch aus Art. 25 GG - die Gültigkeit jener und die rückwirkende Anwendung dieser Vorschriften unterstellt herleiten. Das Völkerrecht enthält keine allgemeinen Grundsätze über den Wechsel der Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit einer Gebietsveränderung (Staatensukzession). Es mag zunächst dahingestellt bleiben, ob es richtig ist, daß es keine allgemeinen Grundsätze über Staatsangehörigkeitswechsel im Fall der Staatensukzession gibt. Die entscheidende Tatsache ist, daß ein Fall der Staatensukzession überhaupt nicht in Frage steht. Es handelte sich vielmehr, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, um eine ungültige Staatensukzession, um eine rechtlich nicht vorhandene Annexion, um Ausübung der im Rechtssinn fehlenden Gesetzgebungs13 Dieses Prinzip ist insbesondere von Lauterpacht wiederholt aufgestellt worden (zuerst wohl 62 (1937) Recueil des cours de l'Academie de Droit international, S. 287) und ist gewiß richtig, wenn auch die Abgrenzung und Anwendung im Einzelfall nicht immer frei von Schwierigkeit sein mag. Es wird nur von denjenigen bestritten werden, die den Lehren Kelsens huldigen, wie etwa von Brandweiser, The International Status of Austria in Law and Politics in the World Community (University of California Press, 1953), S. 221 ff., 235. 14 a.a.O., s. 328, 329.
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gewalt auf fremdem Gebiet. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die zur -- anfänglichen - Nichtigkeit der Zwangseinbürgerungen führen mußten, waren nicht etwaige Regeln über den Staatsangehörigkeitswechsel im wirksam annektierten Gebiet, sondern die Regeln über die Rechtswidrigkeit der Annexion selbst. Nun meint jedoch das BVerfG, daß nach dem innerstaatlichen Recht Deutschlands die - völkerrechtswidrige - Verleihung der Staatsangehörigkeit wirksam sein "kann", "solange sie nicht von einem fremden Staat angefochten und auf sein Verlangen wieder entzogen wird". Wie der Hinweis auf Verdross, S. 210, klarstellt, macht sich damit das BVerfG die "Lehre vom gemäßigten Monismus" zu eigen, nach der "die Erlassung eines völkerrechtswidrigen Gesetzes einen völkerrechtlichen Unrechtstatbestand bildet, der im normalen Verfahren der völkerrechtlichen Streiterledigung angefochten werden kann" (so Verdross, S. 61). Demgemäß heißt es bei Verdross, S. 261: Die Staatsangehörigkeit "kann aber auf Grund der Rechtsordnung des verleihenden Staates innerstaatlich wirksam sein, solange sie nicht von einem Staate angefochten und auf sein Verlangen wieder entzogen wird" (S. 62). Auf S. 62 aber akzeptiert Verdross den gemäßigten Monismus, um auf S. 63 zu erklären: "Auch ein völkerechtswidriges ... staatliches Gesetz ist für die Behörden (Gerichte) des erlassenden Staates verbindlich, sofern nicht das staatliche Recht etwas anderes be-
stimmt."
Sowohl das BVerfG wie Verdross stellen es demnach - mit vollem Recht - als möglich hin, daß ein Gesetz ungeachtet seiner Völkerrechtswidrigkeit innerstaatlich wirksam sein kann. Aber weder das BVerfG noch Verdross erörtern die Frage, ob diese Möglichkeit deutschem Recht entspricht. Dies hängt von der Auslegung des Art. 25 GG ab. Sie ergibt nicht das geringste zugunsten der Meinung des BVerfG und trägt ebensowenig die weitere Folgerung, daß nach deutschem Recht, das die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in sich aufgenommen hat, die Völkerrechtswidrigkeit erst dann zur Ungültigkeit eines innerstaatlichen Gesetzes führt, wenn es von "einem" (welchem?) fremden Staat angefochten und daraufhin rückgängig gemacht ist. Innerstaatlich wird das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht nicht vom Völkerrecht und noch weniger von Lehrmeinungen, sondern ausschließlich vom Verfassungsrecht bestimmt. Das Verfassungsrecht der Bundesrepublik kennt keinen gemäßigten Monismus. Es kennt, soweit es sich um die allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt, den unbegrenzten, absoluten Monismus. Diese allgemeinen Regeln mögen zwar in gewissen Fällen eine Heilung der völkerrechtlichen Ungültigkeit durch Verzicht vorsehen.
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Aber ob er "von einem fremden Staat", ob er gar von einem überfallenen Staat lediglich dadurch ausgesprochen werden kann, daß eine Anfechtung unterbleibt, und ob innerstaatliche Rückgängigmachung Voraussetzung der völkerrechtlichen Heilung ist, muß als recht zweifelhaft bezeichnet werden. Für die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens ursprünglicher völkerrechtlicher Unwirksamkeit kommt es darauf nicht an. Es muß vielmehr daran festgehalten werden, daß der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Personen, die einem rechtswidrig annektierten fremden Staat angehören, nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und damit eben auch nach deutschem innerstaatlichen Recht als grundsätzlich unwirksam zu betrachten ist. Jeder andere Ausgangspunkt ist mit Art. 25 GG und deshalb gerade mit innerstaatlichem deutschem Recht unvereinbar. III. Auf dieser Grundlage ergibt sich die weitere Frage, ob der zunächst ungültige Staatsangehörigkeitswechsel dadurch gültig geworden ist, daß die Annexion, aus der er hervorgegangen ist, Anerkennung gefunden hat. Daß die Eingliederung des "Protektorats" Böhmen und Mähren nicht anerkannt worden ist, bedarf keiner weiteren Ausführung und dasselbe gilt etwa für Polen. Im Falle Österreichs liegen die Dinge weniger einfach. Der Bundesgerichtshof glaubt ohne nähere Begründung, "daß der Anschluß zunächst allgemeine Anerkennung durch die Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft dadurch gefunden hat, daß sie ihre diplomatischen Vertretungen aus Wien zurückgezogen und für ihre Konsuln um das Exequatur vom Deutschen Reich nachsuchten" 15• Auch das Bundesverwaltungsgericht nimmt in Ubereinstimmung mit dem Oberbundesanwalt ohne weiteres an, daß der Anschluß "allgemein anerkannt" wurde16 und daß deshalb ein ehemaliger Österreicher die deutsche Staatsangehörigkeit ,,rechtmäßig erworben" hat. Die große Problematik, die in diesem Zusammenhang in Hinblick auf Art. 25 GG auftaucht, wird von keinem der beiden Gerichte erwähnt. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine stillschweigende de facto Anerkennung - nur sie steht in Frage - aus den vom BGH angeführten Maßnahmen dann abgeleitet werden darf, wenn sie einem praktischen Zwang entsprachen und die Möglichkeit zu einem anderen Verhalten fehlte 17 ; ob jenen Maßnahmen der Wille zur Anerkennung ts a.a.O., S. 183. t6 JZ 1955, 80 (1. Sp.). 17
Eine Zusammenstellung der Regierungserklärungen findet sich bei
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eines Rechtszustandes deshalb fehlte, weil dies im Fall der Vereinigten Staaten von Amerika einen Bruch mit der erst 1932 proklamierten Stimson-Doktrin und im Fall der übrigen Staaten eine Verletzung des ebenfalls 1932 gefaßten Völkerbundbeschlusses bedeutet hätte, nach dem es den Mitgliedstaaten oblag, von einer Anerkennung abzusehen, wenn eine Situation unter Außerachtlassung der Völkerbundsatzung und des Kellogg-Paktes geschaffen worden war; ob jene Maßnahmen nicht etwa im Lichte der von den Regierungen abgegebenen Erklärungen auszulegen waren18 und deshalb eine Anerkennung nicht involvieren konnten; ob die Praxis ausländischer Gerichte zu berücksichtigen war19 ; ob etwa eine erfolgte Anerkennung später, sei es durch die Moskauer Erklärung von 194320 , sei es durch die Ereignisse im Jahre 1945, widerrufen worden ist; ob ein solcher Widerruf rückwirkende Kraft hat. Auf alle diese Fragen braucht nicht eingegangen zu werden. Denn die deutschen Gerichte standen in erster Linie vor einem ganz anderen, durchaus grundsätzlichen, aber außer Acht gelassenen Problem: gibt es eine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der eine von einzelnen Staaten ausgesprochene AnerkenVerosta, Die internationale Stellung Osterreichs 1938- 1947 (Wien, 1947). Nach Reut-Nicolussi, Transactions of the Grotius Society 39 (1954), 125
erklärten die Vereinigten Staaten von Amerika mit aller Deutlichkeit: "The Government of the United States finds itself under the necessity as a practical measure of closing its legation at Vienna and of establishing a Consulate-General in its place." 1s Im Jahre 1942 hat die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt: "Diese Regierung hat niemals den Standpunkt eingenommen, daß Osterreich rechtmäßig vom Deutschen Reich absorbiert worden ist." s. die Entscheidung des United States Circuit Court of Appeals, Second Circuit in Schwarzkopf v. Uhl (1943) 137 F. 2d, 998, hier zitiert nach Annual Digest 1943 - 1945, 188- 194. Im übrigen s. auch die Darstellung bei Lauterpacht, Recognition in International Law (Cambridge, 1947), S. 397 - 400. 10 In Amerika sind die maßgebenden Entscheidungen Schwarzkopf v. Uhl (vgl. die vorige Anm.) und D'Esquiva v. Uhl (1943) 137 F. 2d 903 = Annual Digest 1943 - 1945, S. 23 ff. In dem englischen Fall In the Matter of Application for Patents by A. B. (1944) 61 R. P. C. 89 wurde zwar die Frage der Österreichischen Staatsangehörigkeit des Erfinders, der ein Patent angemeldet hatte, offen gelassen. Aber es wurde ausgesprochen, daß der Erfinder sich in der Patentanmeldung deshalb als österreichischer Staatsangehöriger bezeichnen durfte, weil mit Rücksicht auf gewisse Erklärungen der englischen Regierung im Parlament anzunehmen sei, daß der Österreichische Staat bestehe und zu den Ländern gehöre, zu deren Befreiung England das Schwert gezogen habe. In anderem Sinn allerdings die Entscheidung In the Matter of Mangold's Patent (1951) 68 R. P . C. 1, gegen die jedoch aus den von Abel, 4 (1951) International Law Quarterly, 373 und Mann, 15 (1952) Modern Law Review, 100 dargelegten Gründen erhebliche Bedenken bestehen. 2o Dies dürfte der französischen Ansicht entsprechen, wie sich aus den beiden Clunet 1955, 165 abgedruckten Entscheidungen ergibt, und nach einem mir nicht zugänglichen Aufsatz scheint dies auch die Auffassung von Verdross zu sein: Die völkerrechtliche Identität von Staaten, Festschrift für Heinrich Klang (1950), S. 20 f.
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II!. Zwangseinbürgerungen und das Völkerrecht
nung eine auf Völkerrechtswidrigkeit beruhende Ungültigkeit eines Souveränitätswechsels in der Weise zu heilen vermag, daß dieser Erwerb auch im Verhältnis zwischen den beiden betroffenen Staaten gültig wird? Nur wenn diese Frage zu bejahen wäre, könnte es darauf ankommen, ob eine Anerkennung stattgefunden hat. Es ist gewiß richtig, daß der Staat, der den Anschluß anerkannt hat, der Ausübung deutscher Gesetzgebungsgewalt in Österreich Rechtswirkungen beizumessen hat. Es ist ferner richtig, daß - im Rahmen des Völkerrechts - jeder Staat für sich selbst entscheidet, ob er einen anderen Staat, eine Regierung, einen Kriegszustand, einen Souveränitätswechsel anerkennen will. Aber um all dies handelt es sich nicht. Was zur Debatte steht, ist die Frage, ob nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf die Art. 25 GG verweist, eine objektiv bestehende Ungültigkeit eines völkerrechtlichen Vorgangs nach objektivem Recht beseitigt wird, wenn noch so viele einzelne Staaten eine Anerkennung aussprechen. Einen solchen Satz gibt es nicht21 • Er kann nur von denjenigen aufgestellt werden, die glauben, daß die einzelnen Staaten durch Anerkennung Recht schaffen, aus Unrecht Recht machen können. Diese Folge kann in Wahrheit nur dann eintreten, wenn die Staaten durch quasilegislatorischen Gesamtakt Recht zu schaffen beabsichtigen22• Wie immer sich einzelne Staaten verhalten mögen, welche Folgerungen sich aus diesem Verhalten auch für die einzelnen Staaten selbst ergeben mögen, im Sinne des objektiven Rechts oder der allgemeinen Regeln des Völkerrechts konnte eine Heilung der Ungültigkeit des Anschlusses solange nicht eintreten, als nicht die Völkerrechtsgemeinschaft durch ausdrückliche rechtsetzende Erklärung den Anschluß sanktioniert hatte. Dazu ist es im Falle Österreichs nie gekommen. Vielleicht wird der hier entwickelte Gedankengang durch ein Beispiel verdeutlicht. Man nehme an, daß zwischen zwei Staaten Feindseligkeiten ausgebrochen sind und daß einzelne, vielleicht sogar zahlreiche oder alle Staaten diese Feindseligkeiten als Kriegszustand anerkennen. Niemand würde wohl zu behaupten wagen, daß infolge der Anerkennung des Kriegszustands dieser rechtmäßig geworden und das völkerrechtliche Verbot des Krieges in casu beseitigt ist.
21 So sagt Verdross, Völkerrecht 8 . 121: "Die Anerkennung bewirkt daher, daß der anerkennende Staat die Rechtmäßigkeit des anerkannten Zustandes oder Anspruchs nicht mehr bestreiten kann." Daß Österreich den Anschluß nicht anerkannt hat, ist bekannt. In Österreich ist die sog. Okkupationstheorie beinahe allgemein anerkannt: vgl. Adamovich, Grundriß des Österreichischen Verfassungsrechts (1947), S. 36 oder R eut-Nicolussi, a.a.O., S. 126 mit zahlreichen Nachweisungen. 22 Darüber Lauterpacht, Recognition in International Law, S. 412, 419.
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IV. Wäre man zu dem Ergebnis gekommen, daß die Zwangseinbürgerungen von Anfang an ungültig waren und auch nicht nachträglich gültig geworden sind, so wären gewiß viele praktische Schwierigkeiten und Härten hervorgerufen, aber es wäre eine Lösung gefunden worden, die das juristische Gewissen befriedigt und die Achtung aller erfordert hätte. Sie hätte überdies eine klare Rechtslage geschaffen. Da die Gerichte jedoch in entgegengesetztem Sinn entschieden haben, sahen sie sich vor die weitere Frage gestellt, ob und in welchem Umfang die Zwangseinbürgerungen durch die Ereignisse des Jahres 1945 unwirksam geworden sind23 • Daß nicht nur durch zahlreiche Gesetze der Bundesrepublik2 \ sondern vor allem auch durch besatzungsrechtliche Erklärungen und Vorschriften das Gebiet Deutschlands auf die Grenzen vom 31. Dezember 1937 beschränkt worden ist und "die nach diesem Tag erfolgten Annexionen als rechtlich unwirksam behandelt" 25 werden, kann nicht zweifelhaft sein. Dies folgt allerdings nicht aus einer allgemeinen und umfassenden Erklärung der Alliierten, ist aber ohne weiteres einer Reihe von Einzelbestimmungen zu entnehmen. Dazu gehören außer den in den Urteilen des BVerfG und des BVerwG hervorgehobenen Bestimmungen insbesondere Art. 2 (d) der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, nach der die deutschen Streitkräfte "sämtliche außerhalb der deutschen Grenzen (nach dem Stande vom 31. Dezember 1937) liegenden Gebiete" zu räumen hatten26 ; die "Feststellung" vom 5. Juni 1945, in der es heißt: "Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 bestanden, für Besatzungszwecke in vier Zonen aufgeteilt" 27 ; und, soweit Österreich in Betracht kommt, die Sonderstellung von Abschnitt VIII der Mitteilung über die Berliner Dreimächtekonferenz vom 2. August 194528 und der Londoner Staatsvertrag über die Verwaltung Österreichs vom 4. und 7. Juli 194529 • 23 Merkwürdigerweise scheinen die Gerichte nie die Frage geprüft zu haben, ob die Zwangseinbürgerungen deshalb unwirksam sind, weil sie auf Gesetzen beruhen, die ihrem Inhalt nach nur im Sinn nationalsozialistischer Lehren angewandt werden können (vgl. BGHZ 1, 90; 2, 132). 24 s. z. B. § 1 des Bundesvertriebenengesetzes vom 19. 5. 1953 (BGB-I 201); § 86 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. 9. 1953 (BGBl. I, 1387). 2s Makarov, JZ 1952, 403 (r. Sp.). 2& Hier zitiert nach Ergänzungsblatt Nr. 1 des Amtsblatts des Kontrollrats in Deutschland S. 7. 21 Ebenda, S. 11. 28 Ebenda, S. 18. 29 Cmd. 6958.
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Aber welche Folgen hatte dieses Unwirksamwerden der Annexionen und damit der Zwangseinbürgerungen? Merkwürdigerweise liegt hier der Punkt, dem man am meisten Aufmerksamkeit geschenkt hat, obwohl seine entscheidende Bedeutung durchaus nicht ins Auge springt. Es gab zwei Möglichkeiten, und es ist auch heute noch nicht völlig klar, für welche der beiden Möglichkeiten sich die Rechtsprechung letzten Endes entschieden hat. 1. Man konnte annehmen, daß die "Desannexion" oder Emanzipation - es sollte wirklich nicht auf den Ausdruck ankommen30 - ex nunc wirkte. Dann war man absolut folgerichtig: die Annexionen waren anfänglich gültig, d. h. sie bestanden zwischen 1938 und 1945, aber sie wurden im Jahre 1945 ungültig und hörten damals auf, zu bestehen. Es lag also eine auf eine Annexion folgende Desannexion vor, die rechtlich nichts anderes war als die Abtrennung von zu Deutschland gehörigen Gebietsteilen. Oder, wie der BGH folgerichtig ausführte31 : "Als ein Fall der Staatensukzession ist auch die Wiedererrichtung Österreichs im Verhältnis zu Deutschland aufzufassen."
Von diesem Standpunkt aus ist wahrscheinlich im Ergebnis den Entscheidungen des BGH und des BVerwG zuzustimmen, nach denen eine Ehefrau österreichischer Staatsangehörigkeit, die im Jahre 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat und nach 1945 in Deutschland geblieben ist, weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Jedoch erheben sich Bedenken gegen die Begründung der beiden Entscheidungen. Sie kann hier nicht im einzelnen wiedergegeben werden, beruht jedoch im wesentlichen auf der Ansicht, daß nach deutschem Recht mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht eintreten kann. Die Frage, ob deshalb auch diejenigen, die nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich im Jahre 1945 dort geblieben sind und die Österreichische Staatsangehörigkeit erworben haben, ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, müßte logischerweise verneint werden. Das BVerwG betont in der Tat ausdrücklich32 : "Die Verneinung dieser Frage kann seiner Entscheidung keinesfalls entnommen werden." Es wird somit nicht überraschen, daß, wie Makarov berichtetaa, das Urteil "manche Gemüter beträchtlich erregt" hat. 30 Makarov (JZ 1955, 83, l.Sp.} scheint auf den Ausdruck Wert zu legen. Er scheint zwischen Emanzipation und Desannexion zu unterscheiden. In Wirklichkeit handelt es sich nur um die Frage, ob die Wiedererrichtung Österreichs, wie immer man sie nennen mag, ex tune oder ex nunc wirkt. 3t a.a.O., S . 185 unten 32 JZ 1955, 82 (1. Sp.}. 33 Ebenda (r. Sp.).
III. Zwangseinbürgerungen und das Völkerrecht
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Die Zweifel rühren wiederum daher, daß die Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf die Art. 25 GG34 verweist, allzu leicht genommen haben. Der BGH erklärt, daß sich allgemeine völkerrechtliche Regeln nicht ermitteln lassen, und beschränkt sich, abgesehen von einem kurzen Hinweis auf Schönborn und den durch seine theoretische Grundauffassung gebundenen Verdross, auf die Feststellung, daß "die Staatenpraxis" -und damit ist die Staatsvertragspraxis gemeint - starke Schwankungen und Ungleichmäßigkeiten zeigt35• Auch das BVerwG meint nach kurzer Erörterung der Bestimmungen des Versailler Vertrags, daß "die Staatenpraxis - auch hier ist die Staatsvertragspraxis gemeint -, welche das Völkerrecht gestaltet, ... unterschiedlich ist"a&. Beide Gerichte scheinen demnach davon auszugehen, daß es kein Völkergewohnheitsrecht gibt, daß die Entscheidungen internationaler und nationaler Gerichte, die diplomatische Korrespondenz, die Gesetzgebung einzelner Staaten, und die Lehrmeinung der Welt unerheblich ist. Gerade im gegenwärtigen Zusammenhang liegen die Dinge in Wahrheit umgekehrt: es gibt ein Völkergewohnheitsrecht, das trotz der unvermeidlichen und jedem Rechtsgebiet anhaftenden Unklarheit in der Abgrenzung allgemein anerkannte Regeln entwickelt hat. Diese verlieren nicht dadurch ihre Gültigkeit, daß sie in besonderen Fällen vertraglich abgeändert worden sind. Schließlich hört ja eine abdingbare Vorschrift des bürgerlichen Rechts nicht dadurch auf, Recht zu sein daß sie von einzelnen Kontrahenten ausgeschlossen wird. Es ist nicht der Zweck dieser Bemerkungen, die Untersuchungen auf breiter rechtsvergleichender Grundlage anzustellen, die die Gerichte hätten vornehmen sollen. Es muß genügen, auf die ungeheure Literatur hinzuweisen, in der das Material und vor allem die Entscheidungspraxis gesammelt ist37, und den einen oder anderen besonders autoritativen Satz lediglich als Beispiel anzuführen. Bereits im Jahre 1828 34 Es mag an dieser Stelle übrigens bemerkt werden, daß an der rückwirkenden Kraft dieser Bestimmung nicht gezweifelt werden sollte: vgl. Art.123 Abs.1 GG. Art. 4 WeimV würde zum gleichen Ergebnis führen. Kein Gericht hat die Maßgeblichkeit völkerrechtlicher Regeln mit der Begründung abgelehnt, Art. 25 GG habe keine rückwirkende Kraft. 35 BGHZ 3, 186. 36 JZ 1955, 80 (r. Sp.). 37 Das Material ist zum großen Teil, wenn auch keineswegs vollständig gesammelt bei Mann, The Effect of Changes of Sovereignty upon Nationality, V (1942) Modern L. R. 218. Ein umfangreiches Verzeichnis der Literatur findet sich bei H. J. Jellinek, a.a.O., S. xi-xxiii. Im Verlauf seiner Darstellung legt dieser Schriftsteller allerdings viel zu wenig Gewicht auf die Rechtsprechung. Einige Hinweise auf Entscheidungen gibt Makarov, Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts (1947), S. 102, der jedoch den angloamerikanischen Rechtkreis übergeht.
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hat kein geringerer als Chief Justice Marshall den vorher und nachher in England und Amerika wiederholt bestätigten Satz formuliert 38 : "Der gleiche Akt, der ihr Land überträgt, überträgt die Zugehörigkeit derjenigen, die in ihm verbleiben"; im Jahre 1937 konnte deshalb der Generalanwalt der Vereinigten Staaten von Amerika feststellen 39, daß "es eine allgemein anerkannte Regel des Völkergewohnheitsrechts ist, daß die Einwohner unterworfenen oder abgetretenen Gebiets ihre Statsangehörigkeit verlieren und die Staatsangehörigkeit des annektierenden Staates erwerben". In dem maßgebenden englischen Werk40 wird die Praxis in dem Satz zusammengefaßt: "Im Fall der Unterwerfung oder Abtretung erwerben nach Völkerrecht die Einwohner des unterworfenen oder abgetretenen Gebietes die Staatsangehörigkeit des Staates, der das Gebiet annektiert, und ihre frühere Staatsangehörigkeit erlischt infolge des Erwerbs der neuen Staatsangehörigkeit." Aus der reichen französischen Praxis und Literatur, die auf grundsätzliche Darlegungen von Pothier zurückgeht, sei auf Audinet41 verwiesen: "Les habitants du territoire annexe changent la nationalite. Ils perdent la nationalite de l'Etat demerobre pour acquerir celle de l'Etat annexant." Niemand, der sich die Mühe macht, die Gesetzgebung, die umfangreiche Rechtsprechung und die beinahe unübersehbare Literatur der führenden Länder zu prüfen, wird daran zweifeln können, daß das Recht der Staatsangehörigkeit im Fall einer Staatensukzession42 durch feststehende Regeln des Völkergewohnheitsrechts bestimmt wird. Diese wenigen Zitate müssen nur in einem Punkt ergänzt werden: der BGH selbst verweist auf die Verordnung vom 3. Juli 1938, die die deutsche Staatsangehörigkeit der Österreicher voraussetzt, und erklärt, diese VO gehe, "wie allgemein anerkannt ist, davon aus, daß es einer besonderen Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die Österreichischen Bundesbürger nicht bedurft habe, da diese nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen über die Wirkung der Staatensukzession unmittelbar durch den Anschluß die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben" 43• Ist damit nicht auch die Frage 38 39
116.
American Insurance Co v. Canter (1828), 1 Peters 511, 542. 38 Op. Att. Gen. (1934- 1937) 525, 530, zitiert bei Hackworth, Digest III,
Oppenheim(-Lauterpacht), International Law (8. Aufl., 1955), S. 660. Annexion, Cession et Demembrement, Nr. 391 in Repertoire de Droit International (1929). 42 Ob diese durch Annexion, Zession, Sezession, Emanzipation, Desannexion oder durch irgend einen anderen Vorgang erfolgt, ist für Staatsangehörigkeitsfragen natürlich gleichgültig. Das Entscheidende ist die Tatsache, nicht die Art des Souveränitätswechsels. 43 BGHZ 3, 182. 40
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-richtig- entschieden, deren Verneinung das BVerwG seinem Urteil nicht entnommen wissen wollte? Unter den in diesem Abschnitt angenommenen Voraussetzungen hätte man also zu dem Ergebnis kommen müssen, daß grundsätzlich die Wohnbevölkerung Österreichs die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, die ehemalig Österreichische Wohnbevölkerung Deutschlands sie jedoch behalten hat. 2. Die zweite der oben ins Auge gefaßten Möglichkeiten ging dahin, die "Desannexion" ex tune wirken zu lassen. In diesem Fall müßte man zu demselben Ergebnis kommen, wie wenn die Annexion von Anfang an ungültig war und nie geheilt worden ist. Demgemäß wären die Zwangseinbürgerungen nichtig und niemand, der von ihnen betroffen wurde, hätte die deutsche Staatsangehörigkeit je erworben. Hier setzt nun eine neue Theorie ein, die diese Folgerungen vermeiden will und von der man wohl annehmen darf, daß sie auf Makarov 44 zurückzuführen ist. Dem BGH war diese Theorie noch unbekannt. Während das BVerfG sie sich zu eigen gemacht hat, ist sie vom BVerwG abgelehnt worden. Ihre rechtlichen Grundlagen liegen in der Tat völlig im Dunkeln. Sie bedeutet, daß alle mit Annexionen nach dem 31. Dezember 1937 "verbundenen Zwangseinbürgerungen als unwirksam zu behandeln sind, soweit die betreffenden Personen von den Staaten, deren Gebiet annektiert wurde, als ihre Staatsangehörigen in Anspruch genommen werden" und daß, falls diese Bedingung fehlt, die deutsche Staatsangehörigkeit jedenfalls dann fortbesteht, wenn "der zwangsweise Eingebürgerte seit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 ständig den Willen bekundet hat, als deutscher Staatsangehöriger behandelt zu werden"~ 5• Diese Lehre stellt also nicht auf den Wohnsitz des Betroffenen und ebensowenig auf die aus der Unwirksamkeit ex tune sich ergebenden Rechtsfolgerungen ab, sondern mißt dem Verhalten, insbesondere der Gesetzgebung fremder Staaten entscheidende Bedeutung bei. Aber es gibt weder einen völkerrechtlichen Satz noch ein deutsches Gesetz, aus dem diese Theorie abzuleiten wäre. Das BVerfG beschränkt sich deshalb auch freimütig auf reine Interessenabwägung: die Festsetzung des Stichtages vom 31. Dezember 1937 könne "unter Berücksichtigung der Ansprüche der fremden Staaten nur" 45 in diesem Sinn verstanden werden. Auch Makarov 46 spricht vom "ver44 Das BVerfG beruft sich ausdrücklich {BVerfGE 1, 331) auf ein Gutachten des Max-Planck-lnstituts für ausländisches und internationales Privatrecht vom 18. Dezember 1951, das wohl auf die Gedankengänge Makarovs, wie sie JZ 1952, 403 dargelegt sind, zurückzuführen ist. 45 BVerfGE 1, 331. 46 JZ 1952, 404 {1. Sp.).
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nünftigen Interesse", fügt jedoch den Satz hinzu: "Wo aber kein Kläger, da ist kein Richter", - einen Satz rein prozessualen Charakters, der das materielle Recht offensichtlich nicht berührt und wohl selbst unter der Herrschaft des Aktionensystems schief war. Denn daß da, wo kein Kläger auch kein Recht ist und jeder Richter tun kann, was "vernünftigen Interessen" entspricht, ist gewiß ein Novum. Daß man im Grunde das fremde Recht darüber entscheiden läßt, ob jemand Deutscher ist, daß somit das Recht eines fremden Staates die deutsche Staatsangehörigkeit verleiht oder entzieht, ist überdies prinzipwidrig und unannehmbar. Das BVerwG47 ist in vollem Recht, wenn es dem BVerfG entgegenhält, daß, wenn der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an unwirksam gewesen wäre (wie hier unterstellt werden muß), so hätte er nicht nachträglich mit Rückwirkung dadurch wirksam werden können, daß dem Beschwerdeführer die tschechoslovakische Staatsangehörigkeit durch das tschechoslovakische Dekret vom 2. August 1945 nachträglich mit Rückwirkung entzogen worden ist. Man darf hinzufügen: war der Erwerb von Anfang an unwirksam, so bedurfte es auch nicht ausländischer Gesetze, um dem angeblichen Deutschen seine deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen.
V. Die Aufgaben, vor die die deutschen Gerichte durch die Zwangseinbürgerungen gestellt wurden, waren letzten Endes politischer Natur. Sollte man die aus der Tschechoslowakei vertriebenen "Volksdeutschen" als staatenlos behandeln? Sollte man Personen österreichischer Abstammung, die nach 1945 in Deutschland blieben, als Österreicher ansehen? Die Versuchung war groß, auf beide Fragen verneinend zu antworten. Eine Lösung durch Staatsvertrag oder Gesetz fehlte. Dabei stand die Staatsangehörigkeit "von Millionen von Menschen" auf dem Spiel, und der Wunsch, insbesondere "die größte Flüchtlingsgruppe der Sudetendeutschen, allein etwa drei Millionen, . . . als deutsche Staatsangehörige anerkannt" 48 zu sehen, war begreiflich. 47 48
JZ 1955, 81 (1. Sp.). Schätzel, Die Staatsangehörigkeit der Sudetendeutschen, Clunet 1954,
624, 630. Auf S. 632 meint Schätze!: "Man kann gespannt sein, wie das interessierte Ausland diese Entscheidungen des BVerfG aufnehmen wird." Es kann schwerlich angenommen werden, daß man ihnen Folge leisten wird. Es wäre übrigens von Interesse zu wissen, was an der folgenden Darstellung Schätzeis richtig ist: "Als die systematische Verfolgung der ,Nazis' durch die Okkupanten einsetzte und Hunderttausende auf Jahre hinter Stacheldraht gesetzt wurden, zogen es viele Parteigänger des gestürzten Regimes vor, ,unterzutauchen', das heißt, unter falschem Namen weiterzuleben. Man schätzt noch heute die Zahl dieser ,Untergetauchten' in der Bundesrepublik auf über Hunderttausend."
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Die Rechtsfindung und Rechtsanwendung, die dem Richter vor allem im Rahmen des Art. 25 GG - obliegt, erfordert jedoch das Bewußtsein der Verantwortung für die Entwicklung des Völkerrechts im ganzen. Aber es muß darüber hinaus die Möglichkeit und der Wille bestehen, das wahre Völkerrecht zu finden, das auf breitester Basis ruht und nicht etwa nur in einzelnen, deutschsprachigen und vielleicht gar durch ihre dogmatische Tendenz gefärbten Darstellungen enthalten ist. Dazu gehört ein Materialstudium, das ungleich viel gründlicher sein muß und gewiß ungleich viel zeitraubender ist als da, wo es sich nur um die Ermittlung deutschen Rechts handelt. Dies dürfte einer der Gedankengänge sein, auf denen Art. 100 GG beruht. Gerade weil das BVerfG in der hier erörterten Entscheidung seiner ganz besonderen Aufgabe vielleicht nicht völlig gerecht worden ist, muß die Hoffnung ausgesprochen werden, daß es sich in Zukunft den Einfluß zu sichern wissen wird, der ihm zugedacht ist. VI. Als die vorstehenden Ausführungen bereits gedruckt waren, erging das Urteil des BVerfG vom 9. November 1955 zur Frage der Österreichischen Staatsangehörigkeit. Es läßt diese Frage in völlig neuer Beleuchtung erscheinen, vermag aber nur wenig an dem Gesamteindruck zu ändern, den die bisherige deutsche Rechtsprechung zum Problem der Zwangseinbürgerung vermittelt. Soweit es sich um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Jahre 1938 handelt, folgt das Gericht in zwei Sätzen der deutschen Auffassung49 : "Dieser Erwerb beruht auf dem faktischen Wechsel der Souveränität über das Österreichische Staatsgebiet, der die völlige Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich bezweckte und tatsächlich zur Folge hatte (vgl. Art. 1 des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938, RGBI. I, S. 237). Davon geht erkennbar auch die Verordnung über die Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 3. Juli 1938 (RGBI. I, S. 790) aus (z. B. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1). Ob der "Anschluß" völkerrechtsmäßig oder völkerrechtswidrig war, ist für den Staatsangehörigkeitserwerb bedeutungslos (BVerfGE 1, 322, 330)." 49 Daß das Gericht zu diesem Grundproblem nicht mehr zu sagen hatte, daß es überdies die nationalsozialistische Gesetzgebung vom Jahre 1938 als rechtlich bedeutsam anführt und schließlich erneut die Völkerrechtswidrigkeit des Gebietserwerbs für den Erwerb der Staatsangehörigkeit als gleichgültig bezeichnet, muß besonders bedauert werden. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, hat das Gericht die staatsrechtlichen Folgen der Wiederherstellung Österreichs von der "richtigen völkerrechtlichen Bewertung dieses Vorgangs" abhängig gemacht. Diese Auffassung, die sich auf den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bezieht, dürfte unvereinbar mit dem sein, was dasselbe Gericht über das Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht vorgetragen hat, als es sich um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit handelte (s. oben unter Il).
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"Die Würdigung der politisch-historischen Zusammenhänge und die Interpretation des Verhaltens der Beteiligten bei der Wiederherstellung der Bundesrepublik Österreich" führt das Gericht alsdann zu dem in der Tat unbestreitbaren Schluß, daß "die Republik Österreich wiederhergestellt, der ,Anschluß' also rückgängig gemacht werden sollte". Auf dieser Grundlage eröffnet sich dem Gericht "der Weg zu einer richtigen völkerrechtlichen Bewertung dieses Vorgangs und damit auch der staatsrechtlichen Folgen, die sich an ihn knüpfen": "Es handelt sich nicht um eine typische Loslösung eines Staatsteils aus dem Verband eines Gesamtstaats (Emanzipation), es handelt sich vielmehr um einen ganz besonders gearteten Fall der Staatensukzession, einen Akt der Wiederherstellung des status quo ante. Aus ihm ergibt sich folgerecht, daß dem in seinen alten Grenzen wiedererrichteten Staate Österreich sein früheres Staatsvolk nicht vorenthalten werden darf. Daraus folgt aber weiter, daß die zu diesem Staatsvolk gehörenden Personen vom Tage der Neubildung des Österreichischen Staates an (27. April 1954) nicht mehr von Deutschland als Staatsangehörige in Anspruch genommen werden dürfen, mithin von diesem Tage an die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben müssen." Auf den Willen der Betroffenen kommt es dabei nicht an. Es ist gewiß zu begrüßen, daß diese Entscheidung nicht den Gedanken aufnimmt, auch die heutige Wohnbevölkerung Österreichs besitze noch die deutsche Staatsangehörigkeit. Auf der anderen Seite fällt es auf, daß jede rechtliche, insbesondere völkerrechtliche Begründung dafür fehlt, daß Deutsche, die in Deutschland wohnen, infolge eines Vorgangs, der zwar die Wiederherstellung des status quo ante herbeiführt, dennoch nur ex nunc wirkt, ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben. Gewiß ist die "Desannexion" Österreichs ein ganz besonderer Fall. Aber falls man sie nicht ex tune wirken läßt, bleibt es unerfindlich, warum sie sich rechtlich von der "Emanzipation" unterscheiden soll. In diesem kritischen Punkt urteilt das BVerfG mit der Souveränität des höchsten Richters, der befiehlt, aber nicht überzeugt.
IV. Zum Problem der Staatsangehörigkeit der juristischen Person* Rechtsprechung und Literatur zur Staatsangehörigkeit der juristischen Person haben, wie RabeP sich vor kurzem ausgedrückt hat, sowohl im In- wie im Ausland so "phantastische Proportionen" angenommen, daß von einer Wiederaufnahme der Diskussion schwerlich etwas Neues erwartet werden kann. Wenn dennoch im folgenden dem Problem einige grundsätzliche, auf die großen Züge beschränkte und die Einzelheiten der unübersehbaren bisherigen Forschung außer acht lassende Bemerkungen gewidmet werden, so geschieht dies aus doppeltem Grund. Zunächst ist eine Periode des Umbaus und Aufbaus gekommen, in der es angezeigt und vielleicht für die Praxis ersprießlich erscheint, Überschau zu halten und das Gesamtbild zu zeichnen. Sodann aber dürfte es von Interesse sein, einen Satz Martin Wolffs klarzustellen und ihn so davor zu bewahren, einer Schule zugerechnet zu werden, der er in Wahrheit wohl nicht angehört. I.
Es ist unerläßlich, das Problem von vornherein mit Deutlichkeit abzugrenzen. Es betrifft die Behandlung der juristischen Person im Rahmen derjenigen Bestimungen des deutschen Rechts, die dem Ausländer Rechtsvorteile versagen; es entsteht ferner da, wo es um die völkerrechtliche Aktivlegitimation zur Ausübung diplomatischen Schutzes2 sowie um die Auslegung von Staatsverträgen geht, in denen Angehörigen der kontrahierenden Staaten Rechte eingeräumt oder Pflichten auferlegt werden, so daß festgestellt werden muß, ob die juristische Person zu diesen Angehörigen zu rechnen ist. Die Rechtsfrage bedarf prinzipieller Erörterung. Gewiß gibt es zahlreiche Fälle, in denen Gesetz oder Staatsvertrag eine Definition enthalten und deshalb im konkreten Fall das Ergebnis ändern. Solche Definitione:n sind für die Ermittlung des Prinzips unerheblich. Wären sie einheit• Veröffentlicht in: Festschrift für Martin Wolff, hrsg. von Ernst von Caemmerer, Walter Hallstein, F. A. Mann und Ludwig Raiser, Tübingen 1952. 1 Conflict of Laws, U (1947), S. 18. 2 Allerdings kann ein Staat völkerrechtlichen Schutz auch dann ausüben, wenn zwar nicht die Aktiengesellschaft selbst, aber Aktionäre ihm zugehören: vgl. z. B. Hackworth, Digest of International Law, V (1943), S. 841 oder Hyde, International Law, II (1945), S. 904- 908.
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liehen Charakters, so könnte Gewohnheitsrecht entstehen; aber da davon nicht die Rede sein kann, haben sie nur illustrative Bedeutung und entheben nicht der Verpflichtung, den Grundsatz zu suchen. Auf der anderen Seite hat die Staatsangehörigkeit der juristischen Person nichts zu tun mit einer Reihe von völlig andersartigen Fragen, die häufig erörtert worden sind und mitunter zur Verwirrung geführt haben. 1. Es handelt sich nicht darum, ob man überhaupt von einer Staatsangehörigkeit der juristischen Person sprechen kann. Solche Erörterungen, die z. B. in Frankreich erheblichen Umfang angenommen haben, führen zu einem Spiel mit Worten und sind müßig. Die Beobachtung der Praxis zeigt, daß die staatsrechtliche Einordnung der juristischen Person eine Notwendigkeit ist: es muß z. B. festgestellt werden, ob die juristische Person etwa französischer oder schweizerischer Nationalität im Sinne bestimmter Vorschriften ist und damit zu den Vereinten Nationen gehört oder nicht. Ob man von echter oder unechter, eigentlicher oder uneigentlicher Staatsangehörigkeit spricht, ist gleichgültig.
2. Es handelt sich nicht darum, den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt einer juristischen Person, sei es allgemein, sei es im Sinne gewisser gesetzlicher Bestimmungen zu ermitteln. Es ist offensichtlich, daß sowohl natürliche wie juristische Personen ihren Wohnsitz oder Aufenthalt in einem Lande haben können, ohne die Staatsangehörigkeit dieses Landes zu besitzen. Lehren, die man zu der einen Problemgruppe entwickelt hat, können deshalb nicht oder nicht ohne weiteres auf die andere übertragen werden. 3. Aus ähnlichen Gründen hat der Feindbegriff mit der Staatsangehörigkeit der juristischen Person nichts zu tun: eine Aktiengesellschaft kann nach Kriegsrecht Feind, dennoch im Sinne des Staatsangehörigkeitsrechts Freund sein. 4. Vor allem aber muß die Staatsangehörigkeit der juristischen Person von ihrem Personalstatut unterschieden werden. Die Verwechslung beider Begriffe hat vielfach zu Unklarheiten geführt. So hat man geglaubt, entsprechend dem für natürliche Personen geltenden Recht das für die juristische Person geltende Recht ihrer Staatsangehörigkeit entnehmen zu müssen; man hat dann die Staatsangehörigkeit etwa nach dem Recht des Sitzes bestimmt und kam so schließlich dazu, das Personalstatut nach dem Recht des Sitzes zu bestimmen; denn wenn a gleich b und b gleich c ist, so ist a gleich c: "Wenn man das Personalstatut von der Staatsangehörigkeit abhängig machte, diese aber wieder durch ein anderes Merkmal wie den Sitz bestimmen mußte, so schaltet e man ein unnötiges Bindeglied ein. Man konnte statt dessen auch gleich
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sagen, Personalstatut sei das Recht, das am Sitze gilt3 ." Aber es handelt sich um mehr als nur um ein unnötiges Bindeglied. Nachdem man den Satz gewonnen hatte, daß das Personalstatut durch das Recht des Sitzes bestimmt werde, hat man gewissermaßen rückwärts geschlossen und erklärt, daß das Personalstatut doch mit dem Staatsangehörigkeitsstatut identisch sein müsse und daß deshalb auch die Staatsangehörigkeit durch den Sitz bestimmt werde. Man hat also argumentiert, daß, wenn a gleich c und a gleich b sei, auch b gleich c sein müsse. Diese Fehlschlüsse beruhen wahrscheinlich auf einer Verkennung der von Rabet4 betonten Tatsache, daß der Sitz nicht der Staatsangehörigkeit gleichgestellt werden kann: wer das Personalstatut der juristischen Person im Recht des Sitzes findet, wendet in Wahrheit das Wohnsitzprinzip, nicht das Staatsangehörigkeitsprinzip an (obwohl paradoxerweise das sonst dem Wohnsitzprinzip huldigende anglo-amerikanische Recht gerade bei juristischen Personen für die Ermittlung des Personalstatuts nicht dem Wohnsitzprinzip folgt). Die Rolle, die jene fehlsamen Gedankengänge im einzelnen im Internationalprivatrecht der juristischen Person gespielt haben, braucht hier nicht näher aufgezeigt zu werden. Es genügt vielmehr zu betonen, daß das Problem der Staatsangehörigkeit der juristischen Person von dem des Personalstatuts grundsätzlich unabhängig und verschieden ist. Es muß jedoch ferner hervorgehoben werden, daß für die folgenden Untersuchungen insbesondere die nach dem maßgebenden Personalstatut festgestellte Rechtsfähigkeit der "juristischen Person" vorausgesetzt wird. Handelt es sich um eine französische societe en nom collectif, um eine englische corporation sole, um eine schweizerische Stiftung, so entsteht die Frage der Staatsangehörigkeit nur dann, wenn die der Rechtsfähigkeit bejaht ist. I I.
Die Lösung des Problems der Staatsangehörigkeit der juristischen Person erfordert, daß die folgenden beiden Fragen auseinandergehalten werden: Welchem Rechtssystem steht die Entscheidung darüber zu, ob eine juristische Person die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates besitzt, ob sie Inländer oder Ausländer, Angehörige dieses oder jenes ausländischen Staates ist? Wie wird die Staatsangehörigkeit einer juristischen Person von dem als maßgeblich ermittelten Rechtssystem bestimmt? 3
Beitzke,
Juristische Personen im internationalen Privatrecht (1938), S. 28,
29 mit Hinweisen auf ähnliche, frühere Äußerungen. 4 a.a.O., S . 29, 30.
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Während die zweite Frage materiellrechtlicher Natur ist und vorläufig zurückgestellt werden muß, ist die erste internationalprivatrechtlichen Charakters und bedarf vorweg der Klärung. Sie sollte genau so beantwortet werden wie für eine natürliche Person: ob eine juristische Person einem bestimmten Staat angehört, richtet sich nach dem Recht dieses Staates und kann sich nur nach diesem Recht richten, weil kein anderer Staat darüber eine Bestimmung treffen kann. Daraus folgt, daß das deutsche Recht nur darüber entscheiden kann, ob eine juristische Person deutscher Staatsangehörigkeit, also Inländerin ist. Handelt es sich etwa darum, ob eine juristische Person die französische Staatsangehörigkeit besitzt, so muß die Entscheidung dem französischen Recht überlassen werden. Daraus ergibt sich ferner, daß es bei juristischen ebenso wie bei natürlichen Personen doppelte Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit geben kann. Wenn eine nach englischem Recht gegründete Aktiengesellschaft ihren Sitz in Frankreich hat, so ist sie nach englischem Recht englischer, nach französischem Recht französischer Nationalität. Wenn eine in Frankreich konstituierte Aktiengesellschaft ihren Sitz in England hat, so hat sie nach französischem Recht nicht die französische und nach britischem Recht nicht die britische Staatsangehörigkeit, ist also staatenlos5 • Das französische Recht kann ihr nicht die britische und das englische Recht kann ihr nicht die französische Staatsangehörigkeit verleihen. Wenn der deutsche Richter festzustellen hat, ob die Gesellschaft im Sinn eines Staatsvertrags zu den dort genannten französischen Staatsangehörigen gehört, so muß er die Frage verneinen, wenn das französische Recht sie verneint; denn er kann Frankreich nicht einen Staatsangehörigen aufdrängen, von dem französisches Recht nichts weiß und den Frankreich deshalb nicht als von dem Staatsvertrag erfaßt wissen wollte. Die im vorstehenden angeregte Lösung der internationalprivatrechtlichen Frage, ja die Unterscheidung zwischen dieser und der materiellrechtlichen Frage erscheint so selbstverständlich, daß eine weitere Begründung weder nötig noch möglich ist. Man muß mit Verwunderung feststellen, daß diese Auffassung nicht nur nicht vorherrscht, sondern weithin unbekannt ist. Dabei ist sie nicht neu, sondern bereits vereinzelt vorgetragen worden6 • Soweit die Literatur ihr widersprochen s s. das Beispiel bei M. Wolff, Private International Law (2. Auf!., 1950),
s. 308.
z. B. von E. Isay, Zeitschrift für internationales Recht 32 (1924), 23; Zeitschrift für Völkerrecht 12 (1923), 275, und mit größerer Ausführlichkeit Marburg, Staatsangehörigkeit und feindlicher Charakter juristischer Personen (1927); wie es scheint, auch Nussbaum, Internationales Privatrecht (1932), S. 190. G
Neumeyer,
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hat, sind gewichtige Gegengründe nicht vorgebracht worden. Wenn z. B Melchior1 ausführt, nach der hier vertretenen Auffassung sei die Feststellung einer Nationalität unmöglich, wenn das in Frage stehende ausländische Recht, wie etwa das argentinische, den Begriff der Staatsangehörigkeit der juristischen Person nicht kenne, so ist dies zwar richtig, aber von keiner Bedeutung. In einem solchen Fall ist die juristische Person eben nicht argentinischer Staatsangehörigkeit. Ob sie die deutsche oder eine andere Staatsangehörigkeit besitzt, steht auf einem anderen Blatt. Und wenn Raape 8 meint, daß die Frage, ob der ausländische Staat sich die juristische Person zurechne, deshalb unerheblich sei, weil man "bei dem Wirrwarr der Meinungen auch kaum darauf eine verläßliche Antwort bekommen" würde, so könnte man von diesem Standpunkt aus das ganze internationale Privatrecht vergessen und immer deutsches Recht anwenden. Die vorwiegende Lehre geht jedoch dahin, daß die juristische Person die Staatsangehörigkeit des Landes hat, in dem sich ihr Sitz befindet9 • Damit wird die internationalprivatrechtliche Frage in Wahrheit übergangen oder, wie Nussbaum sich ausdrückt, von der lex fori beantwortetl0. Das Ergebnis ist unbefriedigend. Es kann davon abgesehen werden, daß, wie noch zu zeigen sein wird, die Maßgeblichkeit des Sitzes nicht einmal ein gesicherter Satz des internen deutschen Rechts ist; denn von welchen Kriterien man die Zugehörigkeit einer juristischen Person zu Deutschland auch abhängig macht, sie versagen da, wo es es sich darum handelt, eine juristische Person einem fremden Staat zu- oder abzusprechen. Wird die Richtigkeit der Sitztheorie im internen deutschen Recht unterstellt, so führt die herrschende Lehre dazu, daß der deutschen Richter eine in England gegründete Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in New York hat, entgegen dem englischen und vor allem entgegen dem amerikanischen Recht als amerikanische Staatsangehörige behandelt und daß er entgegen dem amerikanischen, aber vor allem entgegen dem englischen Recht ihre englische Staatsangehörigkeit verneint. Gewiß kann das deutsche Recht einer nach englischem Recht gegründeten Gesellschaft, die nach englischem Recht die britische Staatsangehörigkeit hat, deshalb die deutsche Staatsangehörigkeit zusprechen, weil sie ihren Sitz in Deutschland hat; denn deutsches Recht bestimmt, wer deutscher Staatsangehöriger ist. Aber deutsches 7 Die Grundlagen des deutschen internationalen Privatrechts (1932), S. 470. s Internationales Privatrecht (3. Aufl., 1950), S . 134, Anm. 22. 9 Vgl. statt aller Melchior, a.a.O., S. 463. Unklar Raape, a.a.O., dem nur folgendes zu entnehmen ist: In Deutschland gegründete juristische Personen sind immer deutsch; im Ausland gegründete juristische Personen mit ausländischem Sitz gehören dem Sitzstaat an; im Ausland gegründete juristische Personen mit deutschem Sitz werden nicht behandelt. to Nußbaum, Principles of Private International Law (1943), S. 146, 147.
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Recht bestimmt nicht, wer die Staatsangehörigkeit eines fremden Staates hat. Auch bei Martin Wolff 11 findet sich der Satz: "auch die Frage der Staatsangehörigkeit wird durch den Sitz der juristischen Person beantwortet." Es ist jedoch durchaus nicht sicher, daß damit die herrschende Lehre uneingeschränkt übernommen werden sollte. Zweifel ergeben sich nicht nur daraus, daß im nächstfolgenden Satz der Verfasser eine noch zu erwähnende Entscheidung des Reichsgerichts billigt, sondern vor allem aus seinem englischen Buch über Private International Law12 • Dort heißt es: According to most continental laws this nationality (of the legal person) is determined by the real centre of management, under English (and AngloAmerican) law by the law under which the incorporation was made. The rule that a natural person is a citizen of the state X only if X regards him as a citizen applies equally to legal personst3.
Die Tragweite dieser Darstellung ist nicht ohne weiteres klar. Es scheint jedoch, daß durch den ersten Satz nur das materielle englische Recht dargestellt wird, nach dem eine in England organisierte juristische Person englischer Staatsangehörigkeit ist, und daß mit dem zweiten Satz und den an ihn angeknüpften Beispielen die hier entwickelte Meinung vorgetragen wird14 • Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem Martin Wolf! sie nicht auch für das deutsche Recht hätte vertreten können. Gewiß steht sie mit der herrschenden Lehre in Widerspruch. Aber es gibt in Deutschland keine höchstrichterliche, vielleicht sogar überhaupt keine Entscheidung, die die Frage der ausländischen Staatsangehörigkeit einer juristischen Person behandelt. Es gibt Entscheidungen zur Frage des Personalstatuts. Es gibt ferner Entscheidungen zur Frage der deutschen Staatsangehörigkeit einer juristischen Person. Aber es gibt keine Entscheidung, in der eine juristische Person kraft deutschen Rechts, aber entgegen ausländischem Recht als ausländische Staatsangehörige behandelt worden wäre. III. Was nun die oben erwähnte materiellrechtliche Frage angeht, so ist es natürlich Sache jedes einzelnen Rechtssystems, die Gesichtspunkte zu entwickeln, nach denen es juristische Personen als sich zugehörig Das Internationale Privatrecht Deutschlands (2. Aufl., 1949), S. 100. 2. Aufl. (1950), S. 308; s. bereits 1. Aufl. (1947), S. 312. 13 Es folgt dann das oben Anm. 5 gegebene Beispiel. 14 Im englischen Recht wird sie allerdings sonst nicht vertreten, sie ist aber auch für das englische Recht durchaus vertretbar. II
1Z
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betrachten will. Da ausdrückliche Vorschriften meistens fehlen, ist hier der Rechtsprechung und Doktrin eine schöpferische Aufgabe zugewiesen, für deren Erfüllung es weniger auf dogmatische als auf Zweckmäßigkeitserwägungen ankommen sollte. Aus demselben Grund ist eine rechtsvergleichende Betrachtungsweise von besonderem Nutzen. Aber immer muß die Frage, um die es ausschließlich geht, klar vor Augen gehalten werden: welche juristische Personen betrachtet das deutsche Recht als deutsche Staatsangehörige, als Inländer? Hinter dieser allgemeinen Frage stecken drei andere Fragen, je nachdem ob man deutsche Gründung, deutschen Sitz oder deutsche Kontrolle als das entscheidende Kriterium für die deutsche Staatsangehörigkeit betrachtet15 • Ist eine in Deutschland zur Entstehung gebrachte juristische Person Inländerin, selbst wenn sich der Sitz im Ausland oder ihre Kontrolle in den Händen von Ausländern befindet? Eine bejahende Antwort wird von der Gründungstheorie gegeben. Oder ist eine im Ausland gegründete juristische Person, die überdies von Ausländern kontrolliert wird, deshalb deutscher Staatsangehörigkeit, weil sich ihr Sitz in Deutschland befindet? Oder hat eine juristische Person, die im Ausland gegründet ist und deren Sitz sich im Ausland befindet, die deutsche Staatsangehörigkeit, weil die sie kontrollierenden Personen diese Staatsangehörigkeit besitzen? Auf die erstere Frage gibt die Sitztheorie, auf die letztere gibt die Kontrolltheorie eine bejahende Antwort. Andere Fragestellungen sind vom Standpunkt des deutschen Rechts unmöglich. 1. Die Kontrolltheorie als Anknüpfungspunkt für die Staatsangehörigkeit ist in Deutschland allgemein abgelehnt worden16, obwohl Beitzke sie im Jahre 1938 vertreten hat, indem er lehrt, daß "für die Staatsangehörigkeit der juristischen Person diejenige der Mitglieder und Leiter, die Herkunft des Kapitals und der Zweck entscheidend" sind17 • Auch in England ist, wie gegenüber vielfach hervorgetretenen Mißverständnissen betont werden muß, bis nach dem zweiten Weltkrieg von der Kontrolltheorie nichts zu merken gewesen. Es ist gewiß richtig, daß in der grundlegenden Entscheidung des House of Lords in der 1s Von anderen Theorien, von denen es viele gibt, die aber häufig nur in Einzelheiten d er Formulierung voneinander abweichen, braucht hier nicht gehandelt zu werden, weil sie in der Praxis keine Rolle spielen. Auch auf die Gestaltung, die die hier behandelten Lehren im einzelnen erfahren, wie z. B. auf die Definition des Gründungsstaates oder des Sitzes, kann hier nicht eingegangen werden. 16 Vor allem RFH vom 8. 8. 1928, IPRspr. 1929, Nr.176, S. 237 ; DüringerHachenburg-Bing, § 182, Anm. 45; Enneccerus-Nipperdey, S. 354, Anm. 6 a, und die internationalprivatrechtliche Literatur. 11 a.a.O., S. 227.
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Sache Continental Tyre C. v. Daimler Corporation Ltd. 18 eine in England gegründete Aktiengesellschaft deshalb als Feind bezeichnet wurde, weil sich ihre Direktoren und beinahe sämtliche Aktionäre in Deutschland befanden. Aber das hing damit zusammen, daß es sich nicht um die Nationalität, sondern um den feindlichen Charakter der Gesellschaft handelte19 und nach englischem Recht bekanntlich für den Feindbegriff auf den Wohnsitz abgestellt wird: wie ein Individuum englischer Staatsangehörigkeit, das sich während des Krieges in Feindesland aufhält, ein Feind ist, so ist nach der Entscheidung des höchsten englischen Gerichts eine in England gegründete Aktiengesellschaft ein Feind, wenn sich "central control and management" und damit ihr Sitz, wie er z. B. auch für das Steuerrecht oft definiert worden ist20, in Feindesland befinden. Als die Pariser Vorortverträge der Jahre 1919 und 1920 den Alliierten u. a. das Recht zur Liquidation deutschen Eigentums gaben und als deutsches Eigentum das Vermögen von Gesellschaften bezeichneten, die von natürlichen Personen deutscher Staatsangehörigkeit kontrolliert waren, hat England es unterlassen, diese Erweiterung in das innerenglische Recht aufzunehmen21 ; z. B. wurde das Vermögen einer holländischen Gesellschaft, die von Deutschen kontrolliert war, von der innerenglischen Liquidationsgesetzgebung nicht erfaßt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde an dieser Auffasung zwar bei der Anwendung der Friedensverträge mit Italien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien ausdrücklich festgehalten 22 • Dagegen hat England eine einseitige Kontrolltheorie für deutsches Vermögen nicht nur in Staatsverträgen23, sondern auch in seiner eigenen Gesetzgebung anerkannt: England liquidiert nicht nur das Vermögen einer in Deutschland 18 [1916} 2 A. c. 307. 19 Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit insbesondere aus dem Urteil von Lord Parker in dem Fall Daimler. 20 M. Wotff, Private International Law (1950), S. 295. 21 Auf diese oft übersehene Tatsache hat schon Richard Fuchs, Die Grundsätze des Versailler Vertrags über die Liquidation und Beschlagnahme des deutschen Privatvermögens im Ausland (1927), S. 91, aufmerksam gemacht. 22 Vgl. Art. 5 der Treaty of Peace (Italy) Order 1948, dessen Text mit den für die anderen Länder geltenden Bestimmungen identisch ist. 23 Vgl. die Staatsverträge über deutsches Vermögen mit der Schweiz vom 25. Mai 1946 (Cmd. 6884) und mit Schweden vom 18. Juli 1946 (Cmd. 7241). Dazu Mann, Deutsches Vermögen im Ausland, NJW 1948, 601. Die Unangemessenheit der Kontrolltheorie zeigt sich vor allem darin, daß sie Vermögensrechte beeinträchtigt, die in Wahrheit schutzwürdig sind: eine in Amerika gegründete Gesellschaft, die von Deutschen kontrolliert wird, deren Aktien sich aber zu 49 Ofo in amerikanischen Händen befinden, verliert wahrscheinlich ihr in England belegenes Vermögen, ohne daß die Vermögensrechte der amerikanischen Aktionäre berücksichtigt werden. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten müssen häufig durch Staatsverträge geregelt werden, wie z. B. den englisch-holländischen vom 20. September 1949 (Cmd. 7803).
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gegründeten, sondern auch einer außerhalb Deutschlands gegründeten, von in Deutschland ansässigen Deutschen kontrollierten Gesellschaft24 • In keinem Fall hat England die britische Staatsangehörigkeit von Gesellschaften anerkannt, die außerhalb Englands gegründet, aber von Engländern kontrolliert sind. Während in den Vereinigten Staaten die Entwicklung ähnlich war25 , hat Frankreich schon im ersten Weltkrieg für Zwecke der Kriegsgesetzgebung die Staatsangehörigkeit von juristischen Personen nach der Kontrolle bestimmt; dabei ist man sich allerdings darüber einig, daß diese Rechtsprechung Ausnahmecharakter hatte und für normale Verhältnisse nicht galt26 • Die bestechende Wirkung der Kontrolltheorie zeigt sich am deutlichsten im Fall der Einmanngesellschaft: welches Interesse sollte Deutschland daran haben, einer Aktiengesellschaft deutsche Staatsangehörigkeit zuzusprechen, wenn sie zwar in Deutschland gegründet ist, aber die Kontrolle in Händen von Ausländern und vielleicht auch der Sitz im Ausland liegt? Und warum sollte Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit einer Gesellschaft versagen, die von Deutschen kontrolliert wird, die aber im Ausland gegründet ist und dort ihren Sitz hat? Die Antwort liegt darin, daß es auch für die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen nicht auf die Staatsangehörigkeit derjenigen ankommt, die die Kontrolle über Vermögen oder Tätigkeit ausüben. Ein Kind oder ein Geisteskranker deutscher Staatsangehöriger behält diese auch dann, wenn der Vater oder Vormund Ausländer ist. Von dem Kaufmann deutscher Staatsangehörigkeit, der lediglich die Erzeugnisse eines ausländischen Unternehmens vertreibt, von diesem finanziert wird und auf Grund vertraglicher Bindungen völlig abhängig ist, wird niemand behaupten, er sei nicht in jeder Beziehung Deutscher. Warum sollte der Kontrollgedanke dann relevant werden, wenn der Geschäftsbetrieb in eine GmbH. eingebracht und von dieser fortgeführt wird, die Geschäftsanteile aber dem ausländischen Unternehmen gehören? Wer bei juristischen Personen auf die Kontrolle abstellt, müßte dies auch bei natürlichen Personen tun. Diese Folgerung wird nirgends gezogen. Deshalb kann auch in dem Fall der Einmanngesellschaft die Kontrolltheorie nicht als berechtigt anerkannt werden. Liegen die Verhältnisse nicht so eindeutig, so ergeben sich weitere schwerwiegende Bedenken gegen die Kontrolltheorie. Unter welchen Vgl. sec. 8 des Distribution of German Property Act 1949. Domke, International Law Quarterly !II (1950), 52. 26 Vgl. z. B. Arminjon, Precis de droit international prive commercial (1948), S. 85- 87; Batiffot, Traite de droit international prive (1949), S. 215; aber s. zum spanischen Recht Werner Gotdschmidt, Sistema y Filesofia del Derecho International Privado (1949), S. 57 ff., 69. 24
2s
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Umständen kann eine juristische Person als von einer bestimmten Person oder Personengruppe kontrolliert bezeichnet werden? Die Kontrolle mag de jure oder de facto bestehen. Im ersten Fall kommt es wohl lediglich auf die Kapitalmehrheit an ; verteilt sich das Kapital auf eine Mehrzahl von Personen, von denen keine die Mehrheit besitzt, so versagt die Kontrolltheorie. Im letzteren Fall kommt es auf die Personen an, die, sei es auch ohne die rechtliche Möglichkeit der Einflußnahme zu haben, tatsächlich das Schicksal der Gesellschaft bestimmen. Nur in den seltensten Fällen werden sich die Tatumstände eindeutig feststellen lassen. Es ist deshalb verständlich, daß Beitzke sich gezwungen sah, sich auf den unbefriedigenden Satz zurückzuziehen: "Wenn wir uns auch bemühen müssen, die maßgebenden Merkmale soweit wie möglich zu bestimmen und herauszustellen, so ist doch nicht zu verkennen, daß- bewußt oderunbewußt-der abschließende Bewertungsakt, ob eine inländische oder ausländische juristische Person vorliegt, stets daneben noch ein letztes irrationales Element in sich schließt27 ." 2. Wenn man zu ermitteln sucht, welche Gesichtspunkte die Sitztheorie tragen, so ergibt sich die überraschende Tatsache, daß die
meisten ihrer Anhänger es sich versagen, ihr eine rationelle Begründung zu geben28 ; das gilt insbesondere von den führenden deutschen Darstellungen29 • Man findet zwar umfangreiche Erörterungen über die Frage, was man unter dem "Sitz" einer juristischen Person im Sinn des Staatsangehörigkeitsrechts versteht und w ie man ihn bestimmt. Aber der dogmatische Unterbau des Prinzips ist dürftig und geht kaum je über Erwägungen der Art hinaus, wie man sie z. B. bei Arminjon30 findet: die Sitztheorie stützt sich sur la consideration du milieu dans lequel se developpe l'activite de la societe; elle tire parti d'un fait persistant, facile a distinguer, dont la realisation ne depend pas de la volonte arbitraire des parties et qui etablit une relation naturelle et logique entre ce que nous avons denomme l'institution et un systeme juridique: le domicile social ou principal etablissement. Beinahe jedes Wort dieser Begründung, die hier nur als repräsentatives Beispiel herausgegriffen wird, ist verfehlt. Der Sitz, vor allem 21
2s
a.a.O., S. 229. z. B. Batiffol, Traite Eiementaire de droit international prive (1949),
§ 193.
29 s. z. B. Raape, S. 129, 130, der über Redewendungen der im folgenden behandelten Art nicht hinauskommt; Enneccerus-Nipperdey, 13. Aufl. (1931), S. 353, 354 (ohne Begründung); vgl. auch Dü.ringer-Hachenburg, § 201, Anm. 50, der aus § 201 HGB gewiß zuviel herauszulesen versuchte. 30 a.a.O., s. 74. Arminjon, der sich bekanntlich mit dem Problem vielfach beschäftigt hat, vertritt die Sitztheorie, indem er die Wahl zwischen dem centre d'administration und dem centre d'exploitat ion zuläßt (S. 82).
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wenn man darunter den Verwaltungssitz im Gegensatz zum statutarischen Sitz versteht, ist ohne weiteres veränderlich und deshalb nicht "un fait persistant"; es ist nicht schwer, sich tatsächliche Umstände vorzustellen, in denen der Sitz keineswegs "facile a distinguer" ist; es ist nicht richtig, daß seine Bestimmung nicht von der Willkür der Parteien abhängt; und es ist nicht richtig, daß der Sitz in höherem Maße als ein anderer der üblichen Anknüpfungspunkte eine natürliche und logische Verbindung mit einem Rechtssystem herstellt. Wesentlich gewichtiger ist die Begründung, mit der Martin Wolff dem Recht des Sitzes für die Bestimmung des Personalstatuts den Vorzug gibt und die auch bei der Bestimmung der Staatsangehörigkeit berücksichtigt werden muß31 : the criterion chosen is one which everybody who comes into commercial contact with the corporation can easily check, since the main administration centre can hardly be kept secret. Das trifft zwar vielfach, aber, wie noch auszuführen sein wird, durchaus nicht immer zu; in dem unten erwähnten, vom Reichsgericht entschiedenen Fall scheint die Identität des Verwaltungssitzes bestritten gewesen zu sein. Die Lehre, nach der die Staatsangehörigkeit der juristischen Person von ihrem Sitz abhängt, würde erheblich unterstützt werden, wenn sie zu der Vereinfachung führen würde, daß Staatsangehörigkeit und Personalstatut der juristischen Person von demselben Anknüpfungspunkt, dem Sitz, bestimmt würden. Da die herrschende Lehre in der Tat das Personalstatut nach dem Sitz bestimmt32 , so bringt sie eine Rationalisierung des Rechts mit sich und wird deshalb gegenüber lediglich dogmatischen Einwendungen ohne weiteres den Sieg davontragen. Es ergeben sich jedoch erhebliche Bedenken aus Erwägungen praktischer Art. Zunächst steht es wenigstens in Deutschland durchaus nicht fest, daß der Sitz das Personalstatut der juristischen Person bestimmt. Was insbesondere von Nussbaum33, Geiler34 und anderen35 gegen diese, im st Private International Law, S. 297, 298. 32
M. Woljf,
Das Internationale Privatrecht Deutschlands, S. 96.
aa Deutsches Internationales Privatrecht (1932), S. 187 f.
Bei Düringer-Hachenburg, Kommentar zum HGB, I Anm. 17 d unter b. RGR-Komm. (9. Aufl., 1939), Vorbem. 7 vor § 21; Frankenstein, Internationales Privatrecht, I, S. 458 ff. mit besonders eingehenden und wertvollen Ausführungen; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, I (1909), S. 108; Schnitzer, Handbuch des internationalen Privatrechts (3. Aufl., 1950), S. 298 (umfangreicher Literaturnachweis S. 286); und neuerdings Niederer, Beiträge zum Raager Internationalprivatrecht (1951), S. 107 ff. Niederers überzeugende Ausführungen, die erst nach Fertigstellung dieses Auftrages erschienen sind, zeigen nicht nur, daß die Sitztheorie im Rückzug begriffen 34
35
5 Ma nn
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Rückzug befindliche Auffassung vorgebracht worden ist, erscheint schlechthin überzeugend. Man kann in der Praxis Fragen der rechtlichen Organisation, auf die das Personalstatut Anwendung finden soll, nicht mit dem Recht des Sitzes lösen; man ist vielmehr gezwungen, auf das Recht des Gründungsstaates zurückzugreifen, weil nur dieses darüber aussagen kann, welche Rechtsnatur das durch die Gründung ins Leben gerufene Gebilde hat, wie die Statuten auszulegen sind, welche Rechte und Pflichten die Verwaltung oder die Aktionäre nach Gesetz und Statut haben. Man nehme ein beliebiges Beispiel, etwa die Frage der Statutenänderung, von der Martin Wolff36 ausdrücklich erklärt, sie unterstehe dem Recht des Sitzes. Man denke an eine in Frankreich gegründete Aktiengesellschaft, die in England ihren Sitz hat; wer im englischen materiellen Recht festzustellen sucht, wie eine in Frankreich gegründete Gesellschaft ihre Statuten ändern kann, wird, wennn man von Rückverweisung absieht, nichts finden. Oder man denke an eine in England gegründete Gesellschaft, die in Deutschland ihren Sitz hat. Wie kann sie ihre Satzung ändern, ohne daß man nach englischem Recht feststellt, was eine Satzungsänderung ist, w ie man sie durchführt, was die in der Satzung erwähnte "special resolution" bedeutet usw.? Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, daß, wie Nussbaumß1 mit Recht feststellt, es keine höchstrichterliche Entscheidung in Deutschland gibt, die die Sitztheorie in einem Fall anerkannt hat, in dem die Gründungstheorie nicht zum selben Ergebnis geführt, in dem man der Sitztheorie nicht nur mit Worten gehuldigt, sondern sie in Opposition zum Recht des Gründungsstaates durchgeführt hätte. Ein zweiter Gesichtspunkt, der gegen die Sitztheorie spricht, ist der, daß sie dann lediglich auf dem Papier steht und nur eine andere Bezeichnung für die Gründungstheorie ist, wenn man, wie dies gerade die deutsche Rechtsprechung vielfach tut38, auf den satzungsmäßigen Sitz, nicht auf den wirklichen Sitz der Hauptverwaltung abstellt. Nach deutsehern Recht müssen die Statuten einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung den "Sitz" bestimmen; er muß in Deutschland liegen und wenn er später ins Ausland verlegt wird, so wird die Gesellschaft aufgelöst. Ebenso müssen die Statuten einer im Vereinigten Königreich gegründeten Gesellschaft das "registered office" bestimmen; es muß im Vereinigten Königreich liegen und ist (vgl. S. 116), sondern auch, daß sie in der Schweiz wohl niemals anerkannt war und daß sie dort der Berechtigung entbehrt. 36 Das Internationale Privatrecht Deutschlands (2. Aufl., 1949), S. 98. 37 a.a.O., S. 189. 38 Für Nachweise s. M. Wolff, a.a.O., S. 97, Anm. 7.
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kann nicht ins Ausland verlegt werden39• Wer den auf diese Weise bestimmten Sitz für entscheidend hält, wendet in Wirklichkeit das Recht des Gründungsstaates an und sollte es aufgeben, der Sitztheorie das Wort zu reden. Aber selbst wenn man auf den Verwaltungssitz abstellt, so ist dieses Kriterium mit so vielen praktischen Schwierigkeiten verbunden, daß seine Herrschaft eingeschränkt, nicht auf die Bestimmung der Staatsangehörigkeit ausgedehnt werden sollte. Auf den Verwaltungssitz einer juristischen Person kommt es gewiß da an, wo es sich um den Wohnsitz oder den Ort der Leitung, etwa im Sinne steuerrechtlicher Vorschriften handelt. Von diesem Grundsatz geht z. B. die englische Rechtsprechung aus. Sie zeigt, wie schwer es sogar bei großen und aktiven Gesellschaften ist, tatsächlich festzustellen, wo "the central control and management" geführt wird40 • Dies gilt in noch höherem Maße von den unzähligen kleinen Gesellschaften, vor allem den Familienoder Einmanngesellschaften, deren Verhältnisse häufig undurchsichtig sind oder rascher Veränderung unterliegen. Selbst derjenige, der solche Entwicklungen nicht aus praktischer Anschauung kennt, wird sie sich ohne weiteres vorstellen und ausmalen können. Er wird zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Verwaltungssitz in den meisten Fällen ein zu unsicherer und schwankender Anknüpfungspunkt ist, um den Anforderungen der Praxis genügen zu können. 3. Wendet man sich schließlich der Gründungstheorie zu, so ist vorweg zu betonen, daß das Reichsgericht sie sich mit aller Deutlichkeit zu eigen gemacht hat. Eine GmbH deutschen Rechts war in Berlin mit dem Sitz in Berlin gegründet und in das dortige Handelsregister eingetragen worden. Alsbald nach der Gründung gingen die sämtlichen Geschäftsanteile in die Hand des einzigen Geschäftsführers über. Dieser war ungarischer Staatsangehöriger, hatte seinen Wohnsitz im Ausland und besorgte von dort aus die gesamte Geschäftsführung. Das Reichsgericht verneinte die Frage, ob die Gesellschaft Ausländerin und deshalb nach § 7 PrStaatshaftG vom 1. August 1909 von dem Staatshaftungsanspruch aus Art. 131 RV ausgeschlossen sei41 :
Jede Gesellschaft des deutschen Handelsrechts mit selbständiger Rechtspersönlichkeit tritt als deutsche Gesellschaft ins Leben. Die Staatszugehörigkeit ihrer Inhaber ist dabei ohne Einfluß, ebenso die Staatszugehörigkeit ihrer Geschäftsführer ... Ebensowenig ist sie damit zu einer ausländischen Gesellschaft geworden, daß der Geschäftsführer, wie der Beklagte behauptet, die gesamte Geschäftsführung vom Ausland aus besorgt. Eine deutsche 39 sec. 2, 4 u. 5, Companies Act 1948; rechtsvergleichend A. B. Levy, Private Corporations and their Control (1950), S. 365 ff. 4o Vgl. z. B. Cheshire, Private International Law (3. Aufl.), S. 248. 41 JW 1934, 2969.
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Gesellschaft hat notwendig ihren Sitz im Inland, wo er, je nach dem Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird, wechseln kann. Eine Verlegung ihres Sitzes ins Ausland ist dagegen nicht möglich, vielmehr wird die Verwaltung, wenn sie vom Ausland aus geführt wird, dadurch vom Sitz der Gesellschaft getrennt. Die Gesellschaft aber behält ihren inländischen Sitz und ihre Inländereigenschaft Die Entscheidung ist in dem Sinn angegriffen worden, daß sie "auf eine dem Volksleben fremde, ziemlich spitzfindige Unterscheidung hinausläuft" und "den Anschauungen der neuen Rechtsentwicklung nicht gerecht" wird, daß überdies "die neue Rechtsentwicklung mit ihrer Forderung auf Klarheit und Einfachheit der Rechtslagen .. . eine solche Entscheidung nicht gutheißen" kann42 • Aber gerade die Klarheit und Einfachheit der Lösung spricht für die reichsgerichtliche Auffassung. Dies wird offensichtlich, wenn man sich der großen Schwierigkeiten erinnert, die sowohl die Sitz- wie die Kontrolltheorie in Fragen der tatsächlichen Würdigung und Abgrenzung mit sich bringt. Es ist ferner nicht einzusehen, warum es angemessener und sachgemäßer Lösung zuträglicher sein soll, eine Gesellschaft als deutsche zu behandeln, sofern sich ihr Sitz in Deutschland befindet, sie aber im Ausland von dort ansässigen Ausländern gegründet ist. In diesem Fall hat im Sinne des Staatsangehörigkeitsrechts die Gesellschaft gewiß nicht mehr mit Deutschland zu tun als in jenem vom Reichsgericht behandelten Fall. Und wer mit dem Staatsangehörigkeitsrecht der natürlichen Person nur einigermaßen vertraut ist, wird zugeben müssen, daß es auf diesem Gebiet nur allzu oft auf äußerliche, formelle Gesichtspunkte ankommt und daß weder innere Verbundenheit noch nationale Betätigung noch Würdigkeit bei der Bestimmung der Staatsangehörigkeit eine Rolle spielen. So behauptet Arminjon43 (ohne Quellenangabe), die Gründungstheorie sei "l'objet de severes critiques en Angleterre":
il a pour resultat de conferer l'appartenance britannique a des societes qui n'ont avec la Grande-Bretagne aucune attache, dont le siege administratif, le centre d'exploitation et tous les elements d'actif se trouvent dans un autre pays, ou elles seront considerees comme nulles faute d'avoir ete constituees suivant sa legislation. Diese Gedankengänge wären beachtlich, wenn nicht die britische Staatsangehörigkeit der natürlichen Person von der oft rein zufälligen Geburt auf britischem Boden oder wenn nicht die deutsche Staatsangehörigkeit eines Kindes von derjenigen seiner väterlichen Vorfahren abhinge, ohne Rücksicht darauf, daß seit Generationen die Familie "aucune attache", keinerlei Verbindung mit Deutschland hat. Ebensowenig überzeugend ist die Behauptung, die Gründungstheorie
in der Anm. zu vorgenannter Entscheidung. Precis de Droit International Prive Commercial (1948), S. 71. Die englischen Kritiker, von denen Arminjon spricht, konnten nicht festgestellt werden. 42
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CrisoHi
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fördere die Gesetzesumgehung. Mit dieser Begründung wird ihr (bei der Erörterung des Personalstatuts) insbesondere von Martin Wolff widersprochen44: It seems undesirable that the promoters should be in a position freely to choose the law under which their child is to be born and will live, irrespective of whether there is any real connexion between the activity of the corporation and the law they choose. Aber wer es gestattet, daß vorbehaltlich der Zustimmung durch den Sitzstaat der Sitz frei gewählt wird, der sollte zugeben, daß in der freien Bestimmung des Gründungsstaates keine größere Gefahr der fraude a la loi liegen kann. Und wer im Vertragsrecht der Parteiautonomie huldigt, der wird in der Maßgeblichkeit des Gründungsstatuts für die Staatsangehörigkeit der juristischen Person nichts Ungewöhnliches finden.. Daß die Gefahr der Gesetzesumgehung keine zuverlässige Richtschnur für die Ermittlung des im Regelfall geltenden Rechts darstellt, ist oft gesagt worden. Im Ausnahmefall werden sich die Gerichte zu helfen wissen45.
Jedenfalls hat die Gründungstheorie einen großen und unbestreitbaren Vorteil. Sie führt zu einem klaren und einfachen Anknüpfungspunkt. Sie erfüllt die Forderungen der Praxis mit größerer Wirksamkeit als irgend eine andere Lehre. Das Ergebnis ist deshalb: 1. Die Staatsangehörigkeit einer juristischen Person bestimmt sich nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Frage steht. Handelt es sich um die Frage, ob die juristische Person deutscher Staatsangehörigkeit ist, so gilt deutsches Recht. 2. Nach deutschem Recht ist eine juristische Person nur, aber auch immer dann deutscher Staatsangehörigkeit, wenn sie in Deutschland gegründet ist.
44 Private International Law (1950), S. 300, 301. Die Ausführungen haben auch für die Bestimmung der Staatsangehörigkeit Bedeutung. 45 Wertvolles zur Frage der Gesetzesumgehung bei der Bestimmung des Personalstatuts findet sich bei Niederer, a.a.O., S. 127. Umfangreiches Material auch bei Schwandt, Die Staatsangehörigkeit der Handelsgesellschaften, in: Heymaonn, Deutsche Landesreferate zum Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1932, S. 197, der Verfasser folgt der Gründungstheorie.
V. Bemerkungen zum Internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns* I.
Das internationale Privatrecht der Aktiengesellschaft und insbesondere des Konzerns1 ist aus zwei Gründen in den Vordergrund des Interesses gerückt. Auf der einen Seite vergeht kein Tag, an dem man nicht über die sog. multinationale Gesellschaft lesen kann. Journalisten haben diesen Begriff in einer völlig ungerechtfertigten, aber für unsere Zeit charakteristischen Weise hochgespielt. Aber auch Juristen haben sich ihm mehr und mehr zugewandt. Nur wenige haben gesehen, daß die spezifischen Schwierigkeiten, zu denen die multinationale Gesellschaft Anlaß gibt, im wesentlichen auf völkerrechtlichem Gebiet liegen. Dagegen waren die kollisionsrechtlichen Fragen des internationalen Konzerns längst erkannt, ja zum großen Teil gelöst, bevor man je von dem irreführenden Begriff der - im Rechtsinn gar nicht vorhandenen - multinationalen Gesellschaft gehört hatte. Wenn man deshalb sich erneut dem internationalen Privatrecht der Aktiengesellschaft zuwendet, so muß dies mit einem Wort der Entschuldigung erfolgen: es handelt sich um nichts anderes als um die Lösung weithin bekannter Probleme und um die Anwendung bekannter Lösungen auf Tat• Veröffentlicht in: Wirtschaftsfragen der Gegenwart. Festschrift für Carl Hans Barz, hrsg. von Fischer I Möhring I Westennann, Berlin- New York 1974. 1 Neuere deutsche Darstellungen, auf die hier ein für allemal verwiesen wird, sind vor allem Fikentscher, MDR 1957, 71; Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971); Luchterhandt, Deutsches Konzernrecht bei grenzüberschreitenden Konzernverbindungen (1971); Immenda und Klacke, Konzernkollisionsrecht, Zeitschrift für Schweizerisches Recht (1973), 27. Es gibt ferner einen aufschlußreichen Aufsatz von Beitzke, Unternehmensverflechtung in Europa und das deutsche Gesellschaftsrecht, der bisher lediglich in italienischer Sprache in Rivista delle societa, XIII (1968), 1088, erschienen ist, der auch in deutscher Sprache in einem Kongreßbericht erscheinen sollte und dessen deutsche Druckbogen dem Verfasser freundlicherweise zur Verfügung gestellt waren. Siehe ferner Colloque sur le Droit International Prive des Groupes de Societes (Genf 1973). Zum amerikanischen Recht s. Baade, RabelsZ 1973, 5, dem allerdings in manchen Punkten nicht zugestimmt werden kann und der insbesondere geneigt ist, modische Wandlungen zu ernst zu nehmen, die das internationale Privatrecht in Amerika von Zeit zu Zeit beherrschen, aber im allgemeinen nicht von Dauer sind.
V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns 71 bestände, die quantitativ häufiger geworden, qualitativ jedoch nicht neu sind. Auf der anderen Seite ist die Diskussion dadurch angeregt und gefördert worden, daß nicht nur in einigen Ländern und auch in der EWG Reformvorschläge zum internationalen Konzernrecht vorliegen, sondern daß vor allem auch das am 1. Januar 1966 in Kraft getretene deutsche Aktiengesetz in den §§ 291 ff. das Konzernrecht neu und umfassend geregelt hat. Soweit mindestens eines der verbundenen Unternehmen ein ausländisches ist, entsteht eine Gruppe, die man - ohne Vorteil - als multinationale Gesellschaft bezeichnen mag und die in jedem Fall und mit Notwendigkeit kollisionsrechtliche Probleme aufwirft. So kommt man alsdann zu der allgemeinen Frage des internationalen Konzernrechts, d. h. zu der Frage, welches Recht anwendbar sein soll, wenn etwa keines (oder eines) der verbundenen Unternehmen ein deutsches ist. Die folgende Übersicht will in diesem allgemeinen Sinn verstanden werden. Das deutsche Aktiengesetz ist nur Paradigma. In erster Linie ist der internationalprivatrechtlich kritische Fall im Auge zu behalten, in dem eine ausländische Gesellschaft vor deutschen Gerichten Ansprüche auf Grund des für sie geltenden ausländischen Aktiengesetzes erhebt. II. Alle korporationsrechtliehen Fragen - und die Qualifikation erfolgt ausschließlich nach der lex fori - unterstehen dem Personalstatut der Korporation. So selbstverständlich dieser Ausgangspunkt ist, so bedarf es zwecks Vermeidung von Fehlschlüssen einiger Abgrenzungen und Klarstellungen. 1. Es wäre nicht am Platz, im gegenwärtigen Zusammenhang erneut den Versuch zu unternehmen, das Personalstatut in den relativ seltenen Fällen zu bestimmen, in denen der Sitz der Gesellschaft außerhalb des ausländischen Staates liegt, in dem sie inkorporiert ist. Entgegen einer immer mehr verbreiteten Lehrmeinung2 und entgegen einer 2 Die Literatur ist zusammengestellt von Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts (1970, S. 271, Anm. 163). Dazu gehört seitdem Koppensteiner, a.a.O., S. 136. Die praktischen Beobachtungen, die den Verfasser schon vor 20 Jahren (oben S. 65) zu dieser Meinung führten, haben sich seitdem nur verstärkt. Es muß betont werden, daß der Sitz einer deutschen Aktiengesellschaft immer in Deutschland liegen muß, hier das Problem also nicht auftaucht. Auch in der Schweiz zieht die neuere Rechtslehre die Inkorporationstheorie vor: Moser, Festgabe für Bürgi (1971), 284- 286, mit weiteren Angaben.
72 V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns
sich mehr und mehr verfestigenden Staatsvertragspraxis3 steht bekanntlich die kontinentale und vor allem die deutsche Rechtsprechung auf dem Standpunkt der sog. Sitztheorie4 • Dazu soll hier nur angemerkt werden, daß gerade auf dem Gebiet des internationalen Konzernrechts starke Argumente zugunsten der Gründungstheorie jedenfalls insoweit sprechen, als es sich um die Innenverhältnisse der Gesellschaft und der Aktionäre handelt. Dazu hat sich neuerdings Grasmann5 mit gewichtigen Darlegungen geäußert, und es darf vielleicht daran erinnert werden, daß es bisher keine Entscheidung gibt, die den doch wohl als absurd zu bezeichnenden Satz billigt, daß etwa eine in England gegründete Gesellschaft, die einen aus dem englischen Aktiengesetz und dem englischen Gesellschaftsvertrag sich ergebenden Anspruch gegen einen Aktionär verfolgt, auf deutsches Recht sich deshalb stützen kann und muß, weil sie den Sitz ihrer Hauptniederlassung nach Deutschland verlegt hat. In England und Amerika beruht die Herrschaft der Gründungstheorie im Innenverhältnis letzten Endes wohl auf dem Gedanken, daß jeder, der Mitglied einer Gesellschaft wird, ein Vertragsverhältnis mit ihr und seinen Mitaktionären schafft, auf Grund dessen er sich der für die Gesellschaft maßgebenden Gesetzgebung sowie der Satzung, den "statuts", den Articles of Association, den bye-laws unterwirft6 • Aber genau dasselbe gilt auch in Frankreich, wo Loussouarn & Bredin7 die Lehre in dem Satz zusammenfassen: "en s'integrant a l'institution les associes se soumettent a la loi de la collectivite dans laquelle ils entrent." Solche Erwägungen mögen dem deutschen Recht nicht im gleichen Maß geläufig sein, aber ihre Beachtlichkeit ist schwerlich zu leugnen. 3 Siehe insbesondere Art. XXV (5) des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages (BGBl. 1956 II 487): "Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Ver tragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils." Ähnlich z. B. Art. 15 des deutsch-spanischen Niederlassungsvertrags (BGBl. 1972 II 1041). Andere Staatsverträge machen die Staatsangehörigkeit davon abhängig, daß die Gesellschaft im Gebiet des Vertragsteils sowohl errichtet ist wie ihren Sitz hat; so z. B. Art. VI des deutschfranzösischen Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrags (BGBl. 1957 II 1661). Auf den Sitz allein scheint kein Staatsvertrag abzustellen. Die Literatur scheint diese Staatsverträge im allgemeinen zu übergehen. 4 Neuerdings BGHZ 53, 181. Die Ausführungen der Entscheidung sind leider weder differenzierend noch gründlich. Die angezogenen Vorentscheidungen sind nicht ohne Einschränkung einschlägig. Andere Entscheidungen bleiben unerwähnt. Die Begründung ist dürftig. Das Ergebnis mag - mit anderer Begründung - durchaus richtig sein. s Oben Anm. 2. 6 Zu England vgl. Gower, The Principles of Modern Company Law (3. Aufl., 1969), S. 261; zu Amerika vgl. vor allem die Entscheidung des Supreme Court Roger v. Gv.aranty Trust Company of New York, 288 U. S. 123 (1933), auf S. 130 per Butler J. 7 Droit du Commerce International (1969), Nr. 365.
V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns 73 2. Die Herrschaft des Personalstatuts wird ferner - wenigstens im Grundsatz -nicht von Vorschriften berührt, die den Geltungsbereich des deutschen Rechts, den champ d'application abgrenzen. Eine typische Bestimmung enthält § 305 AktGes.: in den dort vorgesehenen Fällen müssen eigene Aktien des herrschenden Unternehmens als Abfindung an die Minderheitsaktionäre der beherrschten Gesellschaft gewährt werden, wenn die herrschende Gesellschaft ihren Sitz im Inland hat. Diese Vorschriften, wie überhaupt Vorschriften dieser Art, sind keine Kollisionsnormen8 • Sie kommen nur und erst zum Zug, wenn vorweg entschieden ist, daß deutsches Recht anzuwenden ist. Bejahendenfalls mag deutsches Recht seine eigene Anwendbarkeit ausschließen und ausdrücklich oder stillschweigend ein anderes Recht für anwendbar erklären. Wird aber kollisionsrechtlich überhaupt nicht auf deutsches Recht verwiesen, so entsteht von vornherein keine Möglichkeit oder Gelegenheit, den Geltungsbereich deutschen Rechts abzugrenzen. Mit anderen Worten liegt eine Kollisionsnorm nur vor, soweit die Frage beantwortet wird, welches von mehreren konkurrierenden Rechtssystemen anzuwenden ist. Diese Frage wird von § 305 nicht berührt. Vorschriften der hier behandelten Art werden häufig, aber ungenau als versteckte Kollisionsnormen bezeichnet. Der Ausdruck wird insbesondere von Neuhaus gebraucht und ist unschädlich, führt aber nicht weiter. Es mag sein, daß im Wege der Auslegung eine solche Abgrenzungsnorm zur zweiseitigen Kollisionsnorm erweitert werden kann, etwa folgendermaßen: die Frage, ob das herrschende Unternehmen eine Abfindung durch eigene Aktien zu gewähren hat, richtet sich nach dem Personalstatut des herrschenden Unternehmens. Aber § 305 gestattet gewiß nicht eine solche Auslegung; denn es kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wäre im Gegenteil völlig sinnwidrig und nicht praktikabel, die Frage, ob eine Abfindung zu gewähren ist, dem einen, und die Frage, wie sie zu gewähren ist, einem anderen Recht zu unterstellen9 • 3. Schließlich wird die Herrschaft des Personalstatuts auch nicht durch die geradezu abenteuerliche These gefährdet, nach der "die wirtschaftsrechtlichen Normen eines Staates jeden Sachverhalt ergreifen, der sich auf das Wirtschaftsgebiet des die Norm aufstellenden Staates auswirkt" 10• Und noch energischer wird die als zweiseitige Kollisionsnorm formulierte These zu verwerfen sein, nach der alle wirtschaftsrechtlichen Fragen dem Recht des Staates unterworfen sein sollen, in s Es muß hier genügen, auf Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts (1962), S. 49, zu verweisen. Vgl. ferner oben S. 13. 9 Zur kollisionsrechtlichen Lösung s. unten S. 75. 10 Luchterhandt (oben Anm. 1), S. 76.
74 V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns
dem sich ein Tatbestand auswirkt11 • Was mit Wirtschaftsrecht gemeint ist und warum es einem Sonderstatut unterliegen soll, ist schlechthin unbegreiflich. Enthält nicht auch § 138 Abs. 2 BGB oder § 89 b HGB eine wirtschaftsrechtliche Norm? Soll etwa auch hier - im Gegensatz zu gefestigter Auffassung - ein Sonderstatut gelten? Welche rechtliche Grundlage, welche innere Berechtigung kann das behauptete Wirkungsprinzip für sich in Anspruch nehmen? § 98 Abs. 2 KartellGes. sollte doch endlich als Sonderfall erkannt werden, der überdies eine unglückliche amerikanische Lehre in das deutsche Recht hineinträgt und dessen rechtliche und rechtspolitische Grundidee dem deutschen Recht fern ist und fernbleiben sollte. Gerade das Konzernrecht ist ein vorzügliches Beispiel für die Undurchführbarkeit des Allswirkungsprinzips in einseitiger oder zweiseitiger Fassung: eine Vielzahl von Rechten wäre - vor allem beim kompliziert konstruierten internationalen Konzern - anzuwenden, weil in jedem dieser Rechte Wirkungen festgestellt werden könnten. Die Rechtsunsicherheit, die so entstehen würde, liegt auf der Hand und braucht demjenigen nicht nachgewiesen zu werden, der je in der Praxis erfahren hat, zu welchen unannehmbaren Konsequenzen die amerikanische Wirkungslehre im Kartellrecht führen kann, ja geführt hat.
III. Werden somit die korporationsrechtliehen Beziehungen vom Personalstatut der Aktiengesellschaft geregelt, so entsteht im Konzernrecht die weitere Frage, ob die konzernrechtlichen Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, zwischen herrschendem Unternehmen und abhängiger Gesellschaft dem Recht des ersteren oder dem Recht der letzteren unterworfen sind. Mit anderen Worten, es entsteht die Frage nach der Identität des maßgeblichen Personalstatuts. Man muß sich hier ganz besonders gegen die Tendenz schützen, es handele sich im Sinn des internationalen Privatrechts um neue Probleme. Für dieses Rechtsgebiet ist es von keiner oder nur von höchst geringer Bedeutung, ob der Mehrheitsaktionär ein Unternehmen oder ein Individuum, ja ob der Aktionär, um den es sich dreht, ein Mehrheitsaktionär ist. Wird im Rahmen des internationalen Konzernrechts eine Lösung vorgeschlagen, die von bewährter Lehre abweicht, so sollte man sich fragen: würde diese Lösung auch gelten, wenn die Majorität sich in Händen eines Individuums befände? Und zuweilen sollte man sich fragen: würde dies auch gelten, wenn der Aktionär, sei es allein, sei es mit anderen zusammen, keine Mehrheit darstellen 11 Habscheid, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, 11 (1973), 69 ff., 71. Zur Lehre vom Sonderstatut vgl. unten S. 196 - 199.
V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns
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würde? Sollten die Antworten verneinend ausfallen, so wäre darin eine Warnung zu sehen; denn internationalprivatrechtlich dürften die Unterscheidungen, die solche Antworten involvieren, kaum gerechtfertigt sein. Wo es sich um die korporationsrechtliehen Beziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft handelt und deshalb das maßgebende Personalstatut zu ermitteln ist, sollte man sich für das Hecht der abhängigen Gesellschaft entscheiden12• Das gilt gewiß da, wo das Hechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär zu untersuchen ist, mag der Aktionär auch ein Mehrheitsaktionär mit Unternehmenscharakter sein, - eine, wie dargetan, juristisch bedeutungslose Eigenschaft. Die Muttergesellschaft ist Aktionärin der Tochter. Deshalb untersteht das korporationsrechtliche Verhältnis zwischen beiden dem Hecht der Tochter, genau wie die Beziehung zwischen Minderheitsaktionär und Tochter dem Hecht der letzteren untersteht. Das Ergebnis sollte aber auch dort das gleiche sein, wo die Hechte und Pflichten der Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft im Verhältnis zum Mehrheitsaktionär, nämlich der Muttergesellschaft, zur Debatte stehen. In korporationsrechtlicher Beziehung unterliegt der Aktionär dem Personalstatut der Gesellschaft, deren Aktionär er ist. Niemand kann einen so unsinnigen Satz aufstellen wie den, daß der Minderheitsaktionär sich nach dem Hecht des Mehrheitsaktionärs zu richten hat. Daß dieser ein herrschendes Unternehmen ist, muß rechtlich gleichgültig sein. Wenn man in der Literatur zuweilen von der Maßgeblichkeit des Rechts des Stärkeren gesprochen hat13, so mag dies ein Gedanke sein, der in einer gewissen Lage zu einer vernünftigen Lösung führt, aber er drückt nicht ein allgemeines, auch im gegenwärtigen Zusammenhang brauchbares Prinzip aus. Die Geltung des Hechts der abhängigen Gesellschaft mag dem Minderbei tsaktionär zum Vorteil gereichen, wie etwa in dem Fall, in dem die abhängige Gesellschaft eine deutsche, das herrschende Unternehmen ein schweizerisches ist. Im umgekehrten Fall eines deutschen herrschenden und eines schweizerischen abhängigen Unternehmens würden die Minderheitsaktionäre des letzteren die Anwendbarkeit 12 In diesem Sinn z. B. Vischer, Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht 1960, 49, 71; ferner Artikel 3 und 4 der Draft Convention on Conflicts of Law relating to Companies, die von der International Law Association angenommen wurde (Bericht über die 49. Konferenz, Harnburg 1960), S. ix; Artikel 8 der Draft Convention, die vom Institut de Droit International vorgeschlagen wurde (Annuaire 51 I 248; II 50, auch RabelsZ 1967, 549). 13 Kegel bei Soergel, Rdz. 246 u. 253 vor Art. 7.
76 V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns deutschen Rechts vielleicht vorziehen. Aber solche wertenden Überlegungen sind dem internationalen Privatrecht fremd. Es ist seiner Natur nach neutral. In keinem Fall könnte man es verstehen, warum die Minderheitsaktionäre einer schweizerischen Gesellschaft einen unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Gewinn aus der Tatsache ziehen sollten, daß eine deutsche Gesellschaft die Mehrheit der Aktien der schweizerischen abhängigen Gesellschaft erwirbt. Es wäre unangemessen, wenn in einem solchen Fall das deutsche Recht sich plötzlich für berufen halten würde, seine Schutzvorschriften auf die Aktionäre einer schweizerischen Gesellschaft zu erstrecken. IV. Wenn man nunmehr die im Vorstehenden aufgestellten Grundsätze auf die einzelnen Beziehungen korporationsrechtlicher14 Art zwischen den verschiedenen Beteiligten anzuwenden sucht, so empfiehlt es sich, die Fallgruppen auseinanderzuhalten. 1. Die geringsten Schwierigkeiten entstehen im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär, mag er nun, wie gesagt, Mehrheits- oder Minderheitsaktionär, mag er ein Unternehmen oder ein Individuum sein. Das Personalstatut der Gesellschaft bestimmt z. B., ob ein Aktionär von seinen Leistungspflichten befreit werden (vgl. § 66 AktGes.) oder seine Beitrittserklärung anfechten oder ob er die Ausübung eines Bezugsrechts widerrufen kann; denn wie der Österreichische Oberste Gerichtshof in beinahe wörtlicher Übereinstimmung mit amerikanischen Formulierungen15 sich ausgedrückt hat, "diese Rechtsverhältnisse können nur einheitlich für alle Aktionäre und nicht nach dem Personalstatut des einzelnen beurteilt werden" 16.
Hierher gehören auch die außerordentlich weitgehenden und in europäischen Augen z. T. recht bedenklichen Rechte, die das amerikanische Recht der Gesellschaft gegen Aktionäre gibt. So ist ein Aktionär, der mehr als 10 Ofo der Aktien einer amerikanischen Gesellschaft besitzt und während eines Zeitraums von sechs Monaten weitere Aktien kauft und mit Gewinn weiterverkauft, zur Herausgabe des Gewinns an die Gesellschaft verpflichtet. Daß das amerikanische Recht hier selbst dann anwendbar ist, wenn der Aktionär ein Aus14 Es ist natürlich durchaus möglich, daß im Verhältnis zwischen den verschiedenen Beteiligten andere Anspruchsgrundlagen zu berücksichtigen sind, insbesondere Ansprüche aus Vertrag, unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung usw. Von solchen Ansprüchen ist hier nicht die Rede. 15 Leflar, American Conflicts Law (1968), S. 602. 16 Entscheidung vom 29. 12. 1930, Rechtsprechung 1931, 71, auch Schweizerische Juristenzeitung 1931/2, 16.
V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns 77 länder ist, erscheint durchaus sachgemäß 17• Nach amerikanischem Recht hat die Gesellschaft auch dann einen Anspruch gegen den Aktionär, wenn dieser von ihr Aktien zu einem besonders günstigen Preis erwirbt. Handelt es sich um eine amerikanische Gesellschaft, so entspricht die Anwendung amerikanischen Rechts auf den Herausgabeanspruch dem Prinzip. Daß aber amerikanisches Recht, wie der Court of Appeals, Second Circuit, entschieden hat18, auch dann anwendbar sein soll, wenn die Gesellschaft eine kanadische ist, erscheint unhaltbar. Die Begründung beruhte auf der Tatsache, daß die Aktien der kanadischen Gesellschaft auch in New York an der Börse eingeführt waren und daß "Congress intended the Exchange Act ... to protect domestic investors who have purchased foreign securities on American exchanges". Aber es handelte sich um eine dem Recht der Gesellschaft unterliegende Frage. Dieses war kanadisch. Für die Anwendung des amerikanischen Rechts war von vornherein kein Raum, und die Absichten des amerikanischen Gesetzgebers konnten deshalb nicht relevant sein. Sodann gehört hierher der Ausgleichs- und Schadensersatzanspruch, der in den Fällen der §§ 311 und 317 AktGes. dem deutschen abhängigen Unternehmen gegen das ausländische herrschende Unternehmen zusteht. Er richtet sich nach dem Recht der abhängigen Gesellschaft und besteht demgemäß nicht, wenn das abhängige Unternehmen ein ausländisches, das herrschende ein deutsches ist und das Recht des ersteren ihn nicht kennt. Was die sonderbaren, dem deutschen Recht eigentümlichen Unternehmens-, insbesondere Beherrschungsverträge i. S. von § 291 AktGes. angeht1 9 , so steht es den Parteien frei, im Rahmen der für das Vertragsrecht geltenden Parteiautonomie zu handeln, aber die korporationsrechtliche Wirksamkeit (vgl. §§ 293 ff. AktGes.) richtet sich auch hier nach dem Personalstatut der abhängigen Gesellschaft. Ferner bestimmt das Personalstatut der Gesellschaft, ob die korporationsrechtliehen Voraussetzungen und nur diese für die Aktionärseigenschaft, ihren Erwerb und ihre Übertragung bestehen. In diesem Sinn ist es richtig, wenn gelehrt wird, das Personalstatut gelte 17 In diesem Sinn Roth v. Fund of Funds, 405 F. 2nd 241 (1968), Court of Appeals, Second Circuit. 18 Schoenbaum v. Firstbrook, 405 F. 2nd 200, 215 (1968). Zu den Grenzen dieser Entscheidung s. Leasco Data Processing v. Maxwell, 468 F. 2d 1326 (1972), at pp. 1333, 1334 per Chief Judge Friendly. 19 Am merkwürdigsten ist die Tatsache, daß solche Verträge nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch da vorkommen sollen, wo kein faktischer Konzern besteht, wo also die herrschende Gesellschaft nicht die Aktienmehrheit an der abhängigen Gesellschaft besitzt. Kommt das je vor?
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"auch für die Übertragung der Mitgliedschaft" 20 • Dagegen muß man sich darüber im klaren sein, daß trotz dieser mißverständlichen Formulierung, die man auch im Ausland antrifft, der obligatorische Vertrag, der die Übertragung der Aktie vorsieht, wie die rein zivilrechtliehen Voraussetzungen der Übertragung ihrem eigenen Recht folgen, genauso wie etwa der Vertrag des Vormundes vom Personalstatut des Mündels nur insoweit abhängt, als es sich um die personenrechtlichen Voraussetzungen und insbesondere um die vom Personalstatut verlangte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung handelt. Das Personalstatut der Gesellschaft bestimmt demnach z. B., ob die Zustimmung zum Erwerb von Namensaktien notwendig oder gültig erteilt ist (vgl. § 62 Abs. 2 AktGes.). Der eindrucksvollste Fall aus der internationalen Praxis ist wohl die begrüßenswerte Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts in der Sache Royal Dutch21 : wenn das Recht der Gesellschaft die Mitgliedschaft von gewissen Nachweisen abhängig macht und beim Fehlen einen Rechtsverlust anordnet, so ist dem Personalstatut Folge zu leisten. Und nunmehr zum gleichen Tatbestand mit besonderer Prägnanz der französische Kassationshof22 : "les obligations de la socü~te envers ses actionnaires sont regies par la loi nationale de cette societe, . . . d'ou il suit que cette loi seule determine, quel que soit le pays ou les titres sont detenus, les conditions dans lesquelles s'acquiert, se conserve et se perd la qualite d'actionnaire." Schließlich werden die korporationsrechtliehen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Aktionär auch dann berührt, wenn es sich um das Problem des Erwerbs eigener Aktien handelt. Dieser Erwerb ist deshalb in der Regel ausgeschlossen oder begrenzt, weil er eine versteckte Kapitalherabsetzung involviert. Seine Zulässigkeit wird deshalb vom Personalstatut der Gesellschaft bestimmt. Aber ist die von einer deutschen herrschenden Gesellschaft abhängige ausländische Gesellschaft in demselben Umfang vom Erwerb der Aktien der ersteren ausgeschlossen, wie dies der Fall wäre, wenn sie eine deutsche Gesellschaft wäre 23 ? Eine bejahende Antwort wird von vielen24, vor allem von Barz25 gegeben. Dabei beruft man sich beinahe durchweg auf die Kegel bei Soergel, Rdz. 246, 253 vor Art. 7. BGE 80 II 53 (2. Februar 1954). Vgl. Cass. Civ., 25. Januar 1966, Clunet 1966, 631. 22 Rev. crit. 1973, 520 mit Anm. Batiffol. 23 Vgl. § 71 Abs. 4 AktGes. 24 z. B. von Baumbach-Rueck (13. Aufl., 1968), § 71 Anm. 21; Lutter im Kölner Korn. § 71, Rdz. 76; Koppensteiner, S. 151, 321. Die von Koppensteiner S. 286 ff. ausführlich erörterte Frage, ob § 71 Abs. 4 gilt, wenn eine deutsche 2o
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Gesellschaft von einer ausländischen beherrscht wird, ist gewiß zu verneinen und braucht gar nicht erst aufgeworfen zu werden. 25 Großkom. § 71 Anm. 34.
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Notwendigkeit, die Umgehung des deutschen Verbots zu vermeiden. Aber Umgehungsfälle liegen besonders. Man kann ihrer leicht mit bekannten Mitteln Herr werden, ohne Fälle zu treffen, die ganz anders gestaltet sind und bei denen jede Umgehungsabsicht fehlt; man darf nie vergessen, daß eine ausländische Gesellschaft abhängig sein kann, ohne daß das deutsche herrschende Unternehmen Alleinaktionär ist. In Wahrheit wird sorgfältig unterschieden werden müssen. Wenn das Gesetz, wie für den Regelfall etwa § 71 AktGes., lediglich das schuldrechtliche Geschäft für nichtig erklärt, den dinglichen Erwerb jedoch anerkennt, so fehlt es an jedem relevanten Anknüpfungspunkt, der für die ausländische abhängige Aktiengesellschaft das Recht der herrschenden Gesellschaft zur Geltung bringen könnte. Denn weder die abhängige Gesellschaft selbst noch der Vertrag über den Erwerb der Aktien, den sie im Ausland abschließt, untersteht dem Personalstatut der Muttergesellschaft. Wo sodann das Gesetz eine strafrechtliche Norm aufstellt und der abhängigen Gesellschaft gewisse Rechtsgeschäfte verbietet, so dürfte nach allgemeinen Grundsätzen das Verbot keine extraterritoriale Wirkung beanspruchen können. Die Folge ist, daß auch die zivilrechtliche Gültigkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts, die nur durch eine dem § 134 BGB entsprechende Vorschrift in Frage gestellt werden könnte, nicht zu bezweifeln ist. Wo schließlich das Verbot sich auf den dinglichen Erwerb der Aktien erstreckt, da könnte die abhängige Gesellschaft es deshalb zu beachten haben, weil nach dem eingangs erwähnten Prinzip das Personalstatut der herrschenden Gesellschaft die Voraussetzungen und Bedingungen für den Erwerb ihrer Aktien bestimmt. Diese Erwägung kann dadurch unterstrichen werden, daß es sich im wirtschaftlichen Sinn um eine Art von Kapitalherabsetzung der herrschenden Gesellschaft handelt, wenn die abhängige Gesellschaft Aktien der ersteren kauft. Aus diesen Gründen trifft es zu, daß die herrschende Gesellschaft die Aktionärseigenschaft der abhängigen Gesellschaft nicht anerkennen darf, aber wenn es sich nicht um Namens-, sondern um Inhaberaktien handelt, so richtet sich der Eigentumserwerb der ausländischen abhängigen Gesellschaft ausschließlich nach der lex rei sitae und sollte deshalb überall als wirksam anerkannt werden. Diese Betrachtungsweise entspricht der vom schweizerischen Bundesgericht in einer führenden Entscheidung entwickelten Lehre2 &. Dort wird mit Recht unterschieden "zwischen wertpapierrechtlichen Fragen und solchen, die das im Wertpapier verurkundete Rechtsverhältnis als solches betreffen". Das Gericht wandte die lex rei sitae auf den Erwerb des Eigentums an den Aktientiteln, die lex societatis auf "das Grundverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft" an. Der 26
2. Februar 1954, BGE 80 II 53 (Fall Royal Dutch).
80 V. Internationales Privatrecht der Aktiengesellschaft und des Konzerns Fall des Erwerbs von Aktien der herrschenden Gesellschaft durch die ausländische abhängige Gesellschaft ist analog zu behandeln. Für die Anwendung von Art. 30 EGBGB ist in keinem Fall Raum27• 28 • 2. Was die rechtlichen Beziehungen zwischen Aktionären als solchen29 angeht, so richten sie sich nach dem Gesellschaftsstatut. Wenn also nach englischem Aktiengesetz der Minderheitsaktionär einer englischen Aktiengesellschaft von der Mehrheit den Ankauf seiner Aktien in dem Fall verlangen kann, daß die Geschäfte der Gesellschaft in einer ihm nicht zurnutbaren ("oppressive") Weise geführt werden, so gilt für diesen Anspruch englisches Recht30• Ebenso unterliegt der Ausgleichs- und Abfindungsanspruch der Minderheit31 oder der Schadensersatzanspruch gegen den Mehrheitsaktionär32 dem Personalstatut der abhängigen Gesellschaft, der sowohl die Mehrheit wie die Minderheit als Mitglieder angehören. Man wird ferner wenigstens das Ergebnis einer interessanten amerikanischen Entscheidung aus dem Jahre 1966 billigen müssen33 • Der kanadische Hauptaktionär einer amerikanischen Gesellschaft verkaufte sein Aktienpaket in Kanada an einen wahrscheinlich kanadischen Käufer. Nach amerikanischem Recht hatten, wie es scheint, die Minderheitsaktionäre Anspruch darauf, daß auch ihnen die Gelegenheit zum Verkauf zu einem dem Paketzuschlag entsprechenden Preis gegeben würde. Der Klage der Minderheitsaktionäre gegen den verkaufenden Hauptaktionär wurde deshalb mit Recht stattgegeben, weil das Personalstatut der Gesellschaft zur Anwendung kam. Das Gericht stellte allerdings darauf ab, daß die Veräußerung in Kanada sich in mehreren Beziehungen in Amerika ausgewirkt hatte; es qualifizierte also deliktsrechtlich. Diese Begründung entbehrt der Überzeugungskraft. Sie ist gekünstelt und erscheint insbesondere dann unangemessen, wenn das "Delikt" sich nicht im Land der Iex societatis auswirkt. Die Grenzen der Herrschaft des Personalstatuts der Gesellschaft werden durch den Stimmbindungsvertrag beleuchtet. Das Motiv für 27 Dazu Ftechtheim bei Düringer-Hachenburg, § 226 Anm. 43, dem allerdings Barz (oben Anm. 25) widerspricht. 28 Daß bei der deutschen herrschenden Gesellschaft die bei der ausländischen abhängigen Gesellschaft liegenden eigenen Aktien für die 10 Ofo mitzuzählen sind oder daß die Vorstandsmitglieder der ersteren aus § 93 Abs. 3 Nr. 1 haften, ist unbestreitbar und unbestritten. 29 Dazu gehört gewiß nicht § 117 AktGes., der deliktsrechtlicher Natur ist. Die Haftung kann nämlich eine Person treffen, die gar nicht Aktionär ist. ao Section 210 des Aktiengesetzes von 1948. 31 §§ 304, 305 AktGes. 32 § 317 Abs. 1 Satz 2 AktGes. 33 Ferraioti v. Cantor, 259 1 des societes pose essentiellement un problerne de conflit de lois, et qu'en ce domaine il est traditionellement admis par une jurisprudence constante, que conforte l'article 3 de la loi du 24 juillet 1966, qu'il y a lieu de se referer au siege social. Die letzten Worte sind besonders interessant. Vielleicht darf noch einmal betont werden, daß es unangebracht ist, auf den Gesellschaftssitz abzustellen. Ein kontinentaler Jurist kann höchstens die Gesellschaft unterwerfen "a la loi du pays dans lequel se trouve le siege social", dem Recht des Landes, in dem sich der Sitz befindet. Wenn man einmal das Prinzip so formuliert hat, dann ist es klar, daß im Falle eines Souveränitätswechsels es die Frage, ob das Recht des Vorgängerstaates oder das Recht des Nachfolgerstaates, sei es aus rechtlich notwendigen Gründen, sei es als Folge einer Wahl, zur Anwendung kommt, nicht zu beantworten vermag. Auch ist es nicht richtig, mit Loussouarn und Bredin39 zu sagen, daß unter dem Vorwand der Anerkennung des Aktionärwillens40 die Lehre des Pariser Berufungsgerichts "en remettant en cause une des rares regles que l'on pouvait considerer comme acquises, risque de declencher une nouvelle crise de la nationalite des societes". Es besteht kein Grund für die Annahme, daß die Entscheidung einen Rechtsgrundsatz für irgendeinen Fall formulieren wollte, der außerhalb des Bereichs des Souveränitätswechsels liegt, und das ist ein ganz besonderes und glücklicherweise seltenes Vorkommnis. Das Problem, das die französische Entscheidung aufwirft, liegt auf tatsächlichem Gebiet. Nach der algerischen Entscheidung erfolgte die Sitzverlegung nach Paris Ende 1966 und wurde von einer außerordentlichen Generalversammlung im Jahre 1967 bestätigt. Nach der französischen Entscheidung fanden, wie oben erwähnt, die beiden Ereignisse im November 1963 und Juni 1964 statt. Was immer die Erklärung dieses Widerspruchs sein mag, so verbleibt der Eindruck, 37
Clunet 1967, 882, 883.
ss Droit du Commerce International (1969), S. 309. 39 a.a.O. Vielleicht kann an dieser Stelle bemerkt werden, daß nach Art. 3 des französischen Gesetzes über Gesellschaften von 1966 "les societes dont le siege social est situe en territoire franc;ais sont soumises a la loi franc;aise". Abgesehen von der Tatsache, daß der Ausdruck "siege social" vielleicht nicht frei von Zweideutigkeit ist, dürfte sich diese Bestimmung kaum auf das Problem der Wirkung eines Souveränitätswechsels beziehen. 40 Die beiden Verfasser erkennen an, daß die Theorie des Pariser Berufungsgerichts den Gründerwillen respektiert, aber halten dies für unerheblich, weil eine solche Auffassung "s'inspire d'une conception contractuelle de la societe qui est, dans une !arge mesure, depasse". Diese Begründung erscheint wenig überzeugend.
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daß gewiß im Jahre 1966/67, aber vielleicht auch im Jahre 1963/64 eine Entscheidung zugunsten algerischen Rechts zumindest stillschweigend bereits stattgefunden hatte und daß aus diesem Grunde eine Verlegung nach Frankreich ohne Berücksichtigung des algerischen Rechts nicht mehr möglich war. Ein endgültiges Urteil zu diesem Punkt kann jedoch nicht gebildet werden, da das vorliegende Tatsachenmaterial nicht ausreicht und gute Gründe die Verzögerung rechtfertigen mögen. In keinem Fall haben sich die französischen und algerischen Gerichte mit der Rechtsstellung in Frankreich und Algerien einer ausländischen Gesellschaft, d. h. einer Gesellschaft befaßt, die in einem dritten Staat bestand und die infolge einer Staatennachfolge scheinbar nunmehr in zwei Staaten besteht. Das Urteil des Pariser Berufungsgerichtes gibt jedoch Grund zu der Annahme, daß das Recht des Vorgängerstaates gelten und die nach diesem Recht existierende juristische Person zu dem in Frankreich belegenen Vermögen der Originalgesellschaft berechtigt sein würde. VI. Bis hierher war davon auszugehen, daß völkerrechtlich sowohl der Alt- wie der Nachfolgestaat gleichrangig, daß sie beide von der Regierung des Gerichtsstaats de jure anerkannt sind, daß sie auch einander anerkennen und daß es deshalb nicht auf die Frage ankommt, ob sich die Ergebnisse in dem Fall ändern, in dem die Stellung des Nachfolgestaates an rechtlicher Inferiorität leidet. Nunmehr sollen drei Fälle einer derartigen Inferiorität betrachtet werden. Sie liegt vor, wenn entweder der Nachfolgestaat überhaupt nicht anerkannt ist (unten Ziffer 1) oder wenn er zwar im Gerichtsstaat de facto anerkannt, aber vom Mutterland nicht anerkannt ist (unten Ziffer 2) oder wenn der Gerichtsstaat ihn de jure anerkennt, der Mutterstaat ihm jedoch ebenfalls jede Anerkennung versagt hat (unten Ziffer 3). Diese drei Fälle können nur dann problematisch sein, wenn, wie dies zur Zeit etwa in Großbritannien der Fall ist, das Recht des Ortes des Gesellschaftssitzes gilt, denn wenn in Übereinstimmung mit der kontinentalen Lehre die Sitzverlegung dem Recht des Vorgängerstaates unterliegt, dann kann das Problem von vornherein nicht auftauchen und die Rechtsstellung des Nachfolgestaates ist unerheblich. Unter diesen Umständen mag man sogar dazu neigen, einen Beitrag, der einem kontinentalen Juristen gewidmet ist, von dem Ballast zu befreien, der das anglo-amerikanische Recht beschwert. Dennoch ist dieses Material von erheblichem allgemeinem Interesse, weil, wie sich herausstellen wird, es in großem Umfang einen Fall berührt, der die ganz besondere Aufmerksamkeit deutscher Juristen verdient.
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1. Wenn der Nachfolgestaat weder von dem Gerichtsstaat noch von dem Mutterstaat in irgendeiner Form anerkannt ist, so bleibt der letztere der de jure und de facto anerkannte Souverän des gesamten Staatsgebietes. In diesem Fall ist der Nachfolgestaat nichts anderes als ein Usurpator, und seine Handlungen sind ohne jede rechtliche Bedeutung, so daß eine juristische Person mit Sitz in seinem Gebiet ausschließlich der Rechtsordnung des Mutterstaates unterworfen bleibt. Wenn dieser eine Sitzverlegung gestattet, so ist sie international wirksam.
Das ist zweifellos die Rechtslage in den anglo-amerikanischen Ländern, in denen bekanntlich das Fehlen einer Anerkennung die Handlung des angeblichen Staates jeder Rechtswirkung beraubt41 • Aber die Rechtslage sollte überall die gleiche sein, denn obwohl auf dem Kontinent oft behauptet wird, die Anerkennung eines Staates sei nicht die Voraussetzung für die Anerkennung seines Rechts, so gibt es wahrscheinlich keine einzige Entscheidung in diesem Sinn und bei sorgfältiger Analyse sollte sich die Behauptung als unhaltbar herausstellen. Es handelt sich um einen völlig anderen Fall als um den einer nicht anerkannten Regierung in einem ungeteilten Staat; so aber lag der Fall, mit dem die kontinentale Praxis bisher, wie es scheint, allein befaßt war, der zu verallgemeinernder Formulierung geführt hat42 und der allerdings auf dem Kontinent regelmäßig sehr viel befriedigender gelöst worden ist als in den anglo-amerikanischen Ländern43 • Es erscheint undenkbar - und mehr braucht im gegenwärtigen Zusammenhang nicht ausgeführt zu werden - , daß, wenn die Mafia etwa eine Regierung in Sizilien einsetzt, die unabhängige Republik Sizilien proklamiert, aber von Italien nicht anerkannt wird, ein kontinentales Gericht sizilianisches Recht anwenden würde, das die Verlegung des Sitzes italienischer Aktiengesellschaften von Sizilien nach dem Festland verbietet. 41 Die Anerkennung dieser Regel liegt der Entscheidung des House of Lords in Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. (1967), 1 A. C. 853, zugrunde und ist selbstverständlich ausdrücklich von der Entscheidung des Berufungsgerichts in demselben Fall erwähnt ([1965), Ch. 596), die bekanntlich vom Oberhaus aus völlig anderen Gründen, auf die noch zurückzukommen sein wird, aufgehoben wurde. Was die Vereinigten Staaten von Amerika angeht, so wird z. B. auf den Fall The Maret (1944), F. 2d 431 und die vielen anderen Entscheidungen verwiesen, die O'Connell, International Law I (1970), S. 172 ff., erwähnt. 4Z Zu Frankreich s. Batiffol, Droit International Prive (5. Aufl., 1970), § 256. Zu Deutschland s. Kegel (Soergel), Anm. 101 vor Art. 7. Wahrscheinlich bedarf das Problem in beiden Ländern wesentlich intensiverer Bearbeitung, wobei die zahlreichen tatsächlichen Unterschiede zu berücksichtigen sind, die in solchen Fällen auftauchen können. 43 A. E. Anton, Private International Law (1967), S. 255; Mann, Transactions of the Grotius Society (1943), S. 158; Greig, 83 (1967), L. Q. R. 96 und andere.
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Das Beispiel der Deutschen Demokratischen Republik, die zur Zeit wohl nirgends in der westlichen Welt anerkannt ist, zeigt, daß wenigstens außerhalb Englands - die Praxis der Gerichte diesen Gedankengängen entspricht. Die Bundesrepublik wird, entsprechend ihrer eigenen Auffassung, überall - außer in englischen Gerichtssälen - als identisch mit dem weiterhin bestehenden Deutschland anerkannt. Zumindestens vertritt sie Deutschland44 . Auf dieser Grundlage haben die Gerichte der Bundesrepublik das von der Deutschen Demokratischen Republik verwaltete Gebiet als Teil Deutschlands und nicht als Ausland betrachtet, die Regeln des internationalen Privatrechts für unanwendbar erklärt und es hunderten von juristischen Gesellschaften, die nach deutschem Recht gegründet worden waren, ermöglicht, in Übereinstimmung mit dem Recht der Bundesrepublik, aber im Gegensatz zu dem Recht der DDR ihren Sitz nach dem Westen zu verlegen. Ein prominentes Beispiel ist der Fall der Ihage Kamerawerke AG, der zu sich widersprechenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs45 und des Obersten Gerichts der DDR46 führte. Ein noch prominenterer, allerdings ganz besonderer47 Fall ist derjenige der Carl Zeiss-Stiftung, die 1889 in Jena gegründet worden war, aber aufgrund Baden-Württembergischer Verordnungen vom Jahre 1949 und 1954 und eines Bundesgesetzes vom Jahre 1967 ihren Sitz in die Bundesrepublik verlegte. Nicht nur die Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika48 , sondern auch zahlreiche kontinentale Gerichte haben die Sitzverlegung im Lichte deutschen Rechts, wie es von den Gerichten der Bundesrepublik49 angewendet wird, gewürdigt und die Entschei44 s. Mann, JZ 1967, 585. Ob sich etwas seit Oktober 1969 geändert hat, ist ungewiß. 45 30. 1. 1969, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 1969, 487. 46 20. 12. 1963, IzRspr. 1964- 1965 Nr. 72. 47 Die Besonderheit liegt darin, daß eine Stiftung nicht der Herrschaft von Einzelpersonen unterliegt und sich deshalb insbesondere von einer Aktiengesellschaft unterscheidet, die von Aktionären beherrscht wird. Vielmehr ist eine Stiftung der "zuständigen Behörde" nach § 87 BGB unterworfen und deren Identität steht mangels einer sorgfältig begründeten, höchstrichterlichen Entscheidung nicht eindeutig fest. 48 Carl Zeiss Stiftung v. VEB Carl Zeiss, 433 F. 2d 686 (1970), wo das Berufungsgericht die Entscheidung von Richter Mansfield, 293 F . Supp. 892 (1968), ausführlicher berichtet 160 USPQ 97, bestätigt hat. Alle Zitate sind der letzteren Belegstelle entnommen. 49 Die grundsätzliche, allerdings durchaus nicht einzige Entscheidung ist diejenige des BGH vom 15. 11. 1960, IzRspr. 1960- 1961 Nr. 52. Das ist die Entscheidung, die in dem Fall Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler, a.a.O., Richter Cross als "pervers" bezeichnet hat, durch die Lord Reid (S. 923) "nicht beeindruckt" war und die Lord Upjohn (S. 949) "völlig unüberzeugend" erschien. Auf der anderen Seite hat Richter Mansjield (oben Anm. 48) auf S. 130 sie als "ruhig, objektiv, im wesentlichen logisch und frei von Leiden-
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dungen des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik50 außer acht gelassen. Solange die Deutsche Demokratische Republik nicht anerkannt ist, erscheint dies gewiß richtig. Eine ähnliche Situation, die sich auf China bezieht, war von einem amerikanischen Gericht zu beurteilen. Die Bank von China wurde als die chinesische Zentralbank im Jahre 1912 in Shanghai errichtet. Sie hatte ein Bankkonto bei der Wells Fargo Bank and Union Trust in San Franzisko. Die chinesische Nationalregierung, von den Vereinigten Staaten als die einzige Regierung Chinas anerkannt, verlegte die Bank nach Taipeh in Formosa, wo sie unter der Kontrolle der Nationalregierung funktioniert und ihre Geschäfte in verschiedenen Teilen der Welt geführt werden. Aber die chinesische Volksregierung, die auf dem Festland besteht, von den Vereinigten Staaten jedoch nicht anerkannt war, betreibt ebenfalls eine Bank von China in Taiping. Beide Banken behaupten, die 1912 in China gegründete Bank von China zu sein und verhalten sich entsprechend. Beide machten Ansprüche auf das Bankkonto in San Franzisko geltend, und deshalb stand Richter Goodman vor der Frage, welche Bank von China zu dem Konto berechtigt ist. Der Richter lehnte die "rein pragmatische Einstellung" ab, die zu einer Teilung des Bankkontos zwischen beiden Banken im schaften" bezeichnet. Lord Reids Hauptbeschwerde scheint dahin gegangen zu sein, daß der Bundesgerichtshof nicht die Prinzipien des internationalen Privatrechts angewandt hat. Nach diesen soll es angeblich ausschließlich auf das ostdeutsche Recht ankommen. Auf der anderen Seite ist sich Lord Reid darüber im klaren gewesen (S. 922), daß nach der von dem Gericht zugrunde gelegten Auffassung Deutschland "nach wie vor ein Staat" ist. Hätte es etwa von der Republik Spanien erwartet werden können, daß sie das von der Franco-Regierung im Baskenland eingeführte Recht anwendet? Was wäre etwa die Auffassung des Vereinigten Königreichs, wenn ein drittes Land das Smith-Regime in Südrhodesien anerkennt, nicht nur das gegenwärtige rhodesische Recht anwendet, sondern darüber hinaus dem Vereinigten Königreich und seinen Gerichten einen Vorwurf daraus macht, daß gerade dies abgelehnt wird? Weigert sich nicht das Vereinigte Königreich, das Smith-Regime in Südrhodesien und seine Gesetzgebung anzuerkennen? (s. Madziml>amuto v. Lardner-Burk [1969], A. C. 645; Adams v. Adams
[1970], 3 AllE. R. 572). so 6. 4. 1954, IzRspr. 1964- 1965 Nr. 50; 23. 3. 1961, IzRspr. 1960- 1961 Nr. 136. Von diesen Entscheidungen hat Lord Reid (a.a.O., S. 924) gesagt, daß, obwohl
sie kommunistische "Verzierungen" enthielten, es ihm möglich sei, "wenn er diese Ausschmückungen außer acht lasse", "eine richterliche Einstellung und ein angemessenes Ergebnis" festzustellen. In New York dagegen erklärte Richter Mansfield (S. 129), daß ihnen "so vollständig jede Objektivität fehle und sie so völlig durchtränkt sind von einer Kombination kommunistischer Propaganda, Ausfällen gegen die kapitalistisch eingestellten Entscheidungen der westdeutschen Gerichte und das Fehlen jeder richterlichen Zurückhaltung, daß jede logische Analyse durch deren offensichtlich politische Mission unmöglich gemacht wird". Ein weiteres Gutachten, das den obengenannten Entscheidungen zu einem erheblichen Teil widerspricht, wurde von dem Obersten Gerichtshof der DDR am 19. 11. 1970 erstattet, also wenige Wochen vor Beginn eines weiteren Zeiss-Prozesses in England. Es ist noch nicht veröffentlicht.
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Verhältnis zu den Funktionen der ursprünglichen Bank von China geführt hätte, die jede der beiden nunmehr ausübt. Er lehnte es also ab, das Konto derjenigen Bank zuzusprechen, die im weitestgehenden Maße der 1912 gegründeten juristischen Person entspricht. Vielmehr entschied er, daß die Nationalregierung nach der Auffassung der Vereinigten Staaten die beste Qualifikation habe, um die beiderseitigen Interessen Chinas und der Vereinigten Staaten zu fördern, und daß sie deshalb Anspruch darauf habe, rechtlich so gestellt zu werden, daß sie die korporativen Befugnisse der Bank von China ausüben könne51 . Das Ergebnis verdient Zustimmung, obwohl es vielleicht besser auf den Grundsatz hätte gestüzt werden sollen, daß infolge der Nichtanerkennung der chinesischen Volksregierung vor einem Gericht der Vereinigten Staaten das auf eine alt-chinesische juristische Person anwendbare chinesische Recht von der Nationalregierung bestimmt wird. 2. Der nächste Fall ist der, daß der Nachfolgestaat de facto im Gerichtsstaat anerkannt ist, während der Vorgängerstaat, der selbst de jure anerkannt ist, jede Anerkennung des Nachfolgestaates verweigert. Wenn also Sizilien seine Unabhängigkeit erklärt hat und der Gerichtsstaat diese de facto anerkennt, während Italien nach wie vor Sizilien als Teil Italiens betrachtet, so entsteht die Frage, ob eine nach italienischem Recht errichtete juristische Person mit Sitz in Palermo ihren Sitz in Übereinstimmung mit italienischem, aber entgegen sizilianischem Recht nach Italien verlegen und alsdann die vor der Spaltung in Deutschland vorhandenen Vermögenswerte der ursprünglichen juristischen Person verlangen kann52 • Wenn man auf das Recht am Ort des tatsächlichen Sitzes abstellt, so würde die juristische Person wahrscheinlich als sizilianisch betrachtet werden, unabhängig von der Intensität ihrer Verbindung mit dem italienischen Rechtssystem vor dem Souveränitätswechsel, und im Gerichtsstaat würde die rechtliche Wirksamkeit der Rechtsakte einer de facto anerkannten Regierung wahrscheinlich nicht bezweifelt werden können53• Dennoch fragt es sich, ob selbst auf der Grundlage dieser territorialen Auffassung eine Ausnahme nicht in dem Fall notwendig ist, in dem Bank of China v . WeHs Fargo Bank, 104 S. Supp. 59 (1952), S. 66. Zur Vermeidung von Mißverständnissen soll hier noch einmal betont werden, daß es nicht zweifelhaft sein kann, daß jede der beiden Gesellschaften aufgrund ihres eigenen Rechtes und deshalb überall rechtmäßig im Besitz des von ihr verwalteten oder erworbenen Vermögens ist und, soweit dieses entzogen ist, seine Rückerstattung verlangen kann. Das Problem bezieht sich ausschließlich auf das in einem dritten Staat liegende Vermögen, das vor der Spaltung der ursprünglichen Gesellschaft gehörte. 53 In England ist dies so aufgrund der Entscheidung in Luther v. Sagor (1921), 3 K. B. 532. In Deutschland besteht die Hoffnung, daß sich die im Text zu entwickelnde Lehre durchsetzen wird. 51 s2
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der Vorgängerstaat und seine Regierung vom Gerichtsstaat als de jure Souverän des ursprünglichen Einheitsstaates anerkannt ist, de jure und de facto Souveränität in weiten Gebieten dieses Einheitsstaates ausübt und seinerseits den Nachfolgestaat und seine Regierung nicht anerkennt. In einem solchen Fall handelt es sich um einen Konflikt zwischen zwei Rivalen, von denen der eine de jure und der andere de facto anerkannt ist. Hier spricht viel dafür, daß der Gerichtsstaat das Recht des Vorgängerstaates anwenden sollte. Die de facto-Anerkennung eines Staates und seiner Regierung, die ihre Funktion lediglich in einem Teil des Staatsgebiets ausübt, stellt nicht nur einen Affront gegen den de jure anerkannten Staat und seine Regierung dar, sondern mag auch dem Völkerrecht widersprechen. Wie Lord McNair sich mit der ihm eigenen Zurückhaltung ausgedrückt hat, war der während des spanischen Bürgerkriegs gemachte Versuch, eine de facto-Regierung anzuerkennen, die lediglich in einem Teil des Staatsgebietes regiert, "eine Neuerung" und kann "in der Zukunft nur mit der allergrößten Vorsicht befolgt werden" 54• In Wahrheit ist es höchst zweifelhaft, ob während des spanischen Bürgerkriegs jener Versuch überhaupt gemacht worden ist, denn die Anerkennung von Aufständischen als eine Regierung, die de facto Verwaltungstätigkeit in dem von ihnen beherrschten Gebiet ausübt (und vor 1938 handelte es sich nur darum55), ist keineswegs dasselbe wie die de facto-Anerkennung eines neuen Staates oder der neuen Regierung im Gesamtgebiet des ursprünglichen Staates56 • Sodann sollte jene Form der Anerkennung, selbst wenn sie rechtlich möglich ist, nicht die Wirkung haben, den rechtmäßigen Souverän seiner Befugnis und seiner Funktion zu berauben, die oberste gesetzgeberische, verwaltende und rechtsprechende Gewalt im Namen der Nation auszuüben. Wenn deshalb eine juristische Person von ihm gegründet ist, in dem von ihm beherrschten Gebiet existiert und eine von ihm definierte Identität besitzt, so sollte dies überall anerkannt werden, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß in einem Teil des Gebiets eine lediglich de facto anerkannte Regierung arbeitet, die dieselbe juristische Person für sich in Anspruch nimmt. Es handelt sich The Legal Effects of War (4. Aufl., 1966), S . 402, 403. Als der Fall der Banco de Bilbao vor dem englischen Berufungsgericht verhandelt wurde. 56 Zu den im Text aufgeworfenen Fragen s. Sir Hersch Lauterpacht, Recognition in International Law (1947), S. 284, 285, 294, 343, 365. Im Gegensatz zum Eindruck des Verfassers scheinen jedoch die Äußerungen des englischen Auswärtigen Amtes im Falle der Banco de Bilbao nicht ausdrücklich auf den Charakter der Franco-Regierung als aufständischer Regierung hingewiesen zu haben. Dennoch war diese Äußerung bemerkenswert, weil sie lediglich von verwaltenden Funktionen sprach und sich auf die Verhältnisse im Baskenland beschränkte. Vgl. ferner Dahm, Völkerrecht I (1958), s. 150, 151. 54
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um einen der Fälle, in denen de jure-Anerkennung bloßer de factoAnerkennung überlegen sein sollte57 • Die Gültigkeit des internen Rechts eines de jure anerkannten Staates kann schwerlich deshalb verneint werden, weil ein Teil dieses Staates sich unter der vorläufigen Kontrolle eines anderen Staates befindet oder weil Rechtshandlungen ohne internationale Gültigkeit wären, falls der Einheitsstaat einer de facto anerkannten Regierung unterstünde. Wenn z. B. die Sowjetregierung ganz Rußland regierte und de facto als die Regierung des gesamten Rußlands anerkannt war, so wäre es gewiß unmöglich gewesen, die Gültigkeit ihrer Rechtshandlungen zu bezweifeln. Aber solche Gesichtspunkte versagen, wenn ein noch nicht ausgetragener Konftikt58 besteht zwischen dem de jure anerkannten und in einem Teil des Staatsgebiets souveränen Mutterstaat und dem Nachfolgestaat, der nur vorläufig und nur hinsichtlich der von ihm tatsächlich beherrschten Gebiete anerkannt ist. Beide Staaten nehmen die juristische Person für sich in Anspruch. Wenn der Gerichtsstaat vor einem solchen Konflikt steht, so sollte er dem Recht des de jure anerkannten Mutterstaates den Vorzug geben59. 57 Luther v . Sagor bezog sich auf eine tatsächliche Situation, die von der im Text unterstellten wesentlich verschieden ist und deshalb rechtlich eine andere Lösung erforderte. Die Sowjetregierung war die einzige Regierung, die die gesamte Sowjetunion beherrschte. Im übrigen bestand kein Widerspruch zwischen ihrer gesetzgeberischen und verwaltenden Tätigkeit und der Gesetzgebung eines Rivalen. aB Sir Hersch Lauterpacht, loe. eit., S. 94, 95, 279, 290- 293, hat betont, daß, solange der Bürgerkrieg dauerte, es dem Völkerrecht widersprach, die spanischen Aufständischen als eine de jure-Regierung anzuerkennen. Soweit sie als eine de faeto-Regierung anerkannt werden könne, dürfe sie nicht genauso behandelt werden, als wäre sie eine de jure-Regierung. 59 In England ist allerdings der Weg zu einer solchen Lösung vorläufig durch die Entscheidung des Court of Appeal in dem Fall Banco de Bilbao v. Sancha, (1938) 2 K. B. 176, verbaut. Der Tatbestand ist bereits oben erwähnt. Man wird sich daran erinnern, daß der Fall so entschieden worden ist, als ob das von General Franeo besetzte Baskenland sowohl von Großbritannien wie von Spanien als getrennter Staat oder als Teil eines von General Franeo kontrollierten spanischen Gesamtstaates anerkannt gewesen sei. Mit anderen Worten ist der Fall ohne Rücksicht auf die Tatsache entschieden worden, daß Spanien General Franco, seine Regierung oder einen von ihm gegründeten Staat in keiner Weise anerkannt hat. Die Begründung kann wie folgt zusammengeiaßt ewrden: Da die britische Regierung General Franeo als die de faeto-Regierung des Baskenlandes anerkannt hatte, war das Gericht gezwungen, die Rechtsakte jeder anderen Regierung, selbst wenn sie de jure anerkannt war, außer acht zu lassen. Diese Begründung ist zwar vom Hause of Lords gebilligt worden (Carl Zeiss Stiftung v. Ray ner & Keeler Ltd. [1967], A. C. 853, S. 905) und stellt deshalb für den Augenblick das englische Recht dar, dennoch muß darauf hingewiesen werden, daß sie nicht zum Ausdruck bringen wollte oder konnte, daß General Franeo im entscheidenden Zeitpunkt die Regierung des spanischen Gesamtstaates darstellte. Die Entscheidung wird, wie zu hoffen ist, bei Gelegenheit überprüft werden. Bei einer solchen Gelegenheit wird es gut sein, sich von der ganz besonderen Einstellung freizumachen, die weite Kreise Englands während der Jahre 1937 und 1938 beherrscht hat und die nicht für sich in Anspruch nehmen kann, auch für alle zukünftigen Generationen verbindlich zu sein.
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3. So kommt man schließlich zu dem schwierigsten und gleichzeitig ungewöhnlichsten der in Betracht kommenden Fälle: Sowohl der Vorgängerstaat wie der Nachfolgestaat sind hinsichtlich der ihnen unterstehenden Gebiete im Gerichtsstaat de jure anerkannt, aber die beiden Staaten selbst verweigern einander jede Form der Anerkennung, und insbesondere lehnt der Vorgängerstaat die Existenz des Nachfolgestaates ab. Wenn bei einer solchen Sachlage eine juristische Person mit Gesellschaftssitz in dem Nachfolgestaat ihren Sitz in den Vorgängerstaat verlegt und dabei in Übereinstimmung mit dem Recht des letzteren Staates handelt, ist sie dann im Gerichtsstaat diejenige juristische Person, die ausschließlich zu den dort belegeneu Vermögenswerten der im Nachfolgestaat fortbestehenden juristischen Person berechtigt ist? Diese Frage scheint bisher nirgends aufgetaucht zu sein, aber sie kann jedenfalls zur Zeit in England in bezug auf juristische Personen auftauchen, die in den von der Deutschen Demokratischen Republik verwalteten Gebieten gegründet worden sind und nach 1949 ihren Sitz in die Bundesrepublik verlegt haben. England erkennt die Bundesrepublik als den Souverän der ihr unterstellten Gebiete de jure an. England hat der Deutschen Demokratischen Republik jede Anerkennung irgendwelcher Art versagt, aber die englischen Gerichte, im Gegensatz zu der englischen Regierung60, behandeln die DDR als das untergeordnete Organ der Sowjetunion, in der sie den de jureSouverän des von der DDR verwalteten Gebiets sehen61 , mit dem Ergebnis, daß praktisch die letztere die Rechtsstellung eines voll anerkannten Staates in England hat. Die Besonderheiten im Verhältnis zwischen Vorgänger- und Nachfolgestaat sollten im Gerichtsstaat, der der Sache nach beide de jure anerkennt, ohne rechtliche Bedeutung sein. Jedenfalls können sie im Gerichtsstaat zu keinem anderen Ergebnis führen als in dem Regelfall, 60 Das bis 1967 bekanntgewordene Material ist zusammengestellt von Mann, JZ 1967, 585. 61 Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler, a.a.O., S. 905 und auch sonst. Diese weithin als überraschend angesehene Lehre, die Jennings (121 [1967 ii]
Rec. 361) als "gewagt und nicht überzeugend" bezeichnet hat, wird in keinem anderen Staat vertreten. Sie gilt insbesondere nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es kann als sicher angesehen werden, daß die britische Regierung, die seinerzeit die Regierung der Sowjetunion "as de jure entitled to exercise governing authority" in Mitteldeutschland bezeichnet hat, nicht im entferntesten daran dachte, daß die Sowjetunion der de jure Souverän sein könne oder daß die "governing authority" der Sowjetunion frei von Beschränkungen sei. Aber das Oberhaus weigerte sich bekanntlich, von der Regierung weitere Auskünfte einzuholen und kam so zu einer schlechthin einzigartigen Lehre. Professor O'Connell sagte mit Recht, daß das Oberhaus "ein Rechtssystem anwandte ... , das ... weder Völkerrecht noch das Recht eines der in Betracht kommenden Länder darstellt", aber er ist weniger als fair gegenüber dem Foreign Office, wenn er fortfährt, die augewandte Rechtsordnung sei "an invention of the Foreign Office". 8 Mann
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der oben in Abschnitt IV behandelt ist und in dem eine allseitige de jure-Anerkennung vorliegt. Die Gesetze der Logik und der Gerechtigkeit versagen dem Gerichtsstaat jede Möglichkeit, die Befugnisse des Vorgängerstaates und seines Rechts deshalb zu beschneiden, weil er dem Nachfolgestaat völkerrechtliche Inferiorität beimißt. Im übrigen darf nicht außer acht gelassen werden, daß von den beiden im Vorgänger- und Nachfolgestaat bestehenden und dem ersten Anschein nach völlig gleichberechtigten juristischen Personen nur eine der beiden das im gegenwärtigen Zusammenhang relevante zusätzliche Merkmal in Anspruch nehmen kann: Nur die im Vorgängerstaat bestehende juristische Person ist in den Augen eines englischen Gerichts nach wie vor deutsch, wird vom deutschen Recht beherrscht und untersteht deutscher Souveränität. Dieser weitere Gesichtspunkt dürfte dafür sprechen, daß die in die Bundesrepublik verlegte juristische Person in einem dritten Staat wie England im Rechtssinn mit dem ursprünglichen Gebilde identisch ist. VII. Wird die im vorstehenden entwickelte Auffassung von einem Satz des Völkerrechts beeinfl.ußt? Das Völkergewohnheitsrecht schweigt. Ungezählte Staatsverträge haben sich mit den Rechtsfolgen der Staatensukzession befaßt. Ein vollständiger Überblick fehlt, aber es besteht ein gewisser Grund für die Annahme, daß das Völkerrecht keineswegs die Lehre trägt, nach der eine juristische Person unabänderlich dem Recht des Gebietes unterworfen ist, in dem sie ihren Sitz hat. Der Vertrag von Versailles enthielt keine besondere Bestimmung62 , aber der Friedensvertrag mit Italien vom 10. Februar 1947 sieht vor, daß Gesellschaften, die nach italienischem Recht gegründet sind und ihren "siege social" 63 in den von Italien abgetretenen Gebieten haben und die ihren siege social nach Italien verlegen wollen, ihr Vermögen transferieren können, vorausgesetzt, daß mehr als die Hälfte des Gesellschaftskapitals im Eigentum von Personen steht, deren gewöhnlicher Wohnsitz außerhalb des abgetretenen Gebiets liegt oder die aufgrund des Friedensvertrages für Italien optieren und nach Italien auswandern. Eine weitere Voraussetzung ist, daß die geschäftliche Dazu RGZ 107, 97. Man wundert sich, was dieser Ausdruck, wenn er in einem Staatsvertrag vorkommt, bedeuten soll. Wahrscheinlich hat man den Verwaltungssitz und nicht den rein statutarischen Sitz im Auge. Es handelt sich um ein interessantes Beispiel von Rückverweisung durch einen Staatsvertrag auf innerstaatliches Recht. 62
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Tätigkeit der Gesellschaft zum größten Teil außerhalb des abgetretenen Gebiets ausgeübt wird 64 • Die hier zum Ausdruck gebrachten Voraussetzungen einer Sitzverlegung enthalten Beschränkungen, die über die in diesem Aufsatz dargelegten Grundsätze hinausgehen. Aber in der Praxis dürften die Unterschiede verschwinden, denn eine Gesellschaft kann aus rein tatsächlichen Gründen nicht ihren Sitz verlegen, wenn sie nicht von Gebietsfremden beherrscht wird, und sie wird auch nicht verlegt, wenn ihre Tätigkeit außerhalb des übertragenen Gebietes nicht eine solche Maßnahme rechtfertigt oder notwendig macht. Die keineswegs vollständigen Nachforschungen, die angestellt werden konnten, haben nur die Staatsverträge zum Vorschein gebracht, die Frankreich mit seinen früheren afrikanischen Kolonien abgeschlossen hat. Alle diese Verträge scheinen die folgende Klausel zu enthalten65 : De meme, les socil~tes ayant leur siege social sur le territoire de la Republique centralafricaine dont la majorite du capital appertient a des Fran~ais et dont plus de la moite des administrateurs ou gerants sont de nationalite fran~aise pourront, sur declaration faite au registre du commerce, conserver leur statut actuel en ce qui concerne les regles regissant leur constitution, leur fonctionnement, leur liquidation et, d'une maniere generale, les rapports entre associes ou actionnaires. Es scheint, daß, falls das "statut actuel" die Verlegung der juristischen Person gestattet, dieses Recht aufrechterhalten ist. In diesem Fall ist es von Interesse, festzustellen, daß der Transfer des Kapitals von der französischen Staatsangehörigkeit der Mehrheit der Aktionäre und Vorstandsmitglieder abhängt, aber keine Geschäftstätigkeit außerhalb des abgetretenen Gebiets verlangt wird. Wie immer die Einzelheiten der Sitzverlegung ausgestaltet sein mögen, scheinen die vorhandenen Staatsverträge den Schluß zu rechtfertigen, daß juristische Personen, die normalerweise "Bewohner" des Nachfolgestaates würden, ähnlich wie natürliche Personen berechtigt sind, sich zugunsten einer Verlegung ihrer korporativen Identität zu entscheiden. Das entspricht im grundsätzlichen dem Ergebnis, das hier befürwortet wird.
61 Anhang XIV, Abs. 12. &s Der Text ist Art. 11 (3) des Staatsvertrages zwischen Frankreich und der Zentralafrikanischen Republik vom 13. 8. 1960, Rev. Crit. 1961, 215, entnommen. Ähnliche Bestimmungen finden sich z. B. in dem Staatsvertrag zwischen Frankreich und Tschad vom 11. 8. 1960 und zwischen Frankreich und Kongo vom 15. 8. 1960, a.a.O., S. 220 und 217, und dem Staatsvertrag zwischen Frankreich und Malagasy vom 27. 6. 1960, Clunet 1960, 1138.
a•
VII. Die Konfiskation von Gesellschaften, Gesellschaftsrechten und Gesellschaftsvermögen im Internationalen Privatrecht* Die Konfiskation von Gesellschaften, Gesellschaftsrechten und Gesellschaftsvermägen und ihre internationalrechtliche Wirkung machen dem Juristen aus mehreren Gründen besondere Schwierigkeit. Zunächst führen sie häufig zu einem Konflikt zwischen dem Personalstatut, das den Bestand und die Organisation einer Gesellschaft beherrscht, und der lex rei sitae, die für die sachenrechtliehen Folgen der Konfiskation maßgebend ist; im Widerstreit beider Prinzipien ist es oft nicht leicht, die Grenze zu finden und die Akzente zu verteilen. Dabei spielt die Tatsache eine hemmende Rolle, daß dort, wo es auf die lex rei sitae ankommt, die Belegenheit einer Sache oder eines Rechts festgestellt werden muß, diese Belegenheit aber, soweit es sich um Rechte handelt, keineswegs immer eindeutig zu ermitteln ist. Weiterhin steht im Vordergrund der Diskussion das große Problem der juristischen Person und ihrer Grenzen, die Möglichkeit eines "piercing of the corporate veil". Sodann hat bei vielen Gelegenheiten die Konfiskationsgesetzgebung der Staaten von einer klaren rechtlichen Regelung abgesehen; man hatte es eben so eilig, sich des verlockenden Privateigentums zu bemächtigen, daß man keine Zeit hatte, juristisch durchgearbeitete Gesetze zu erlassen - daher sind Plötzlichkeit und Eile bei Erlaß der Gesetze oft eine Begleit-
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27 (1962) 1. Wo in dieser Abhandlung v on Gesellschaften und Gesellschaftsrechten die Rede ist, sind nur juristische P ersonen und Mitgliedschaftsrechte an solchen gemeint. Der Abwechslung halber werden zuweilen diese Ausdrücke oder die Ausdrücke Aktiengesellschaft, Aktie und Aktionär gebraucht. Abgekürzt werden zitiert: Beitzke, Probleme der enteignungsrechtlichen Spaltgesellschaft: Festschrift Hermann Janssen (1958) 29 ff.; - ders., Nochmals zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten: JZ 1956, 673 ff.; Dicey(-Morris), Confiict of Laws7 (1958);- Kegel = Soergel-Siebert (-Kegel), BGB9 V (1961); - ders., Probleme des internationalen Enteignungs- und Währungsrechts (1956); - Kuhn, Die Enteignung deutscher Beteiligungen an Österreichischen Aktiengesellschaften mit deutschem Vermögen: WM 10 (1956) 2 ff.; - W . L ewald, Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten und Spaltungstheorie: NJW 1958, 281 ff.; - Schmidt = Gadow-Heinichen (-Schmidt), Großkommentar AktG2 I (1961) ; - Schnitzer, Handbuch des IPR4 I (1957), II (1958); - Seidl-Hohenvetdern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht (1952); - ders., Die Spaltungstheorie im Falle der Konfiskation von Aktionärsrechten: Jb. Int. R. 6 (1956) 263 ff. Sonstige Abkürzungen : A. D = Annual Digest and Reports of Public International Law Cases (seit 1950: International Law Reports); - Rec. Trib. = Recueil des Decisions des Tribunaux Arbitraux Mixtes.
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erscheinung und vielleicht sogar ein Merkmal des wahren Charakters der Konfiskationsgesetzgebung. Ferner hat möglicherweise gerade die Unklarheit der Gesetze dazu geführt, daß die rechte Klassifikation der Tatbestände und Entscheidungen unterblieb, ja, daß es sowohl in Deutschland wie auch sonst in der westlichen Welt kaum Spezialuntersuchungen gibt, die es unternommen haben, das Konfiskationsrecht, soweit es sich auf juristische Personen bezieht, zu analysieren und darzustellen. Das wiederum hat die Notwendigkeit ergeben, aus der Fülle des Materials zum Konfiskationsrecht im allgemeinen, das im Laufe langer Jahre in aller Welt zutage gefördert worden ist, eine Auswahl zu treffen. Obwohl im Zuge der Vorbereitung dieses Beitrages wohl die meisten Entscheidungen und fast das ganze Schrifttum durchgesehen worden sind, beschränken sich die Hinweise in der Regel auf höchstrichterliche Entscheidungen und die wichtigsten Beiträge der Rechtslehre. Was insbesondere das außerdeutsche Material angeht, so sind darüber vielfach irrige oder wenigstens mißverständliche und unpräzise Behauptungen aufgestellt worden, deren Richtigstellung so wenig attraktiv wäre, daß von ihr in der Regel abzusehen war; der mit dem Gebiet vertraute Leser wird auch ohne ausdrückliche Erklärung bemerken, aus welchen Gründen gewisse Interpretationen zurückzuweisen waren und wie sie richtiggestellt wurden. Unter diesen Umständen erscheint es angezeigt, die sechs typischen F älle zu unterscheiden und angesichts ihrer Verschiedenheit getrennt zu untersuchen, die die Praxis zutage gebracht hat. Es ist zunächst möglich, daß der inländische Staat das gesamte Vermögen oder gewisse Vermögensteile einer ausländischen juristischen Person, soweit sie im Inland belegen sind, enteignet; das ist gewissermaßen der einfachste Fall von dem unter I zu handeln sein wird und der zu grundsätzlichen Erwägungen gesellschaftsrechtlicher Natur führen soll. Der umgekehrte Fall tritt da ein, wo ein ausländischer Staat im Inland belegenes Vermögen einer ihm zugehörigen Gesellschaft konfisziert (darüber unter II). Probleme ganz anderer Natur entstehen in den Fällen, in denen der ausländische Staat eine Gesellschaft in seinem Hoheitsbereich auflöst und zugleich ihres Vermögens beraubt, sie also vernichtet (darüber unter 111). Sodann kommt es vor, daß die Gesellschaft und ihr Vermögen formell unangetastet bleiben, jedoch im Wege der Konfiskation sämtliche Aktien auf den Staat, dem die Gesellschaft untersteht, übertragen werden und dieser alsbald seine Mitgliedschaftsrechte durch Einberufung einer Hauptversammlung und durch Bestellung eines neuen Vorstands ausübt; dabei kann sich der Staat auch mit weniger weitreichenden Eingriffen in die Organisation der Gesellschaft begnügen (darüber unter IV). Sodann ist des Falls zu gedenken, in dem nur einzelne Mitglied-
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schaftsrechte an einer ausländischen juristischen Person entzogen werden (darüber unter V). Schließlich ist die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß Inhaberaktien von dem Staat, in dem sie sich befinden, konfisziert werden und alsdann im Sitzstaat ein Konflikt zwischen dem konfiszierenden Staat und dem ursprünglichen Eigentümer der Aktien entsteht (darüber unter VI). Mindestens vier dieser Abschnitte sind Variationen über das Thema, dem der große amerikanische Richter Oliver Wendell Holmes die berühmte Formulierung gegeben hat, daß, falls die Korporation eine Fiktion ist, "it is a fiction created by law with intent that it should be acted on as if true. The corporation is a person and its ownership is a nonconductor that makes it impossible to attribute an interest in its property to its members"t. Es ist ein Thema, dessen Kraft und Eindringlichkeit in unserer Zeit zuweilen leider übersehen werden. Dabei beziehen sich die folgenden Ausführungen, wie mit aller Deutlichkeit betont werden muß, ausschließlich auf das internationale Privatrecht. Sie gelten nicht dem interzonalen Recht. Die Ansicht, daß auf beiden Gebieten gleiche Ergebnisse und gleiche Begründungen geboten sind, entbehrt jeder Berechtigung1a. Als das interzonalrechtliche Problem sich etwa 1947 zum ersten Mal stellte, da ergriff man verständlicherweise die Analogie zum internationalen Privatrecht, um den Weg zu einer Lösung zu finden. Seitdem hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung zum interzonalen Gesellschaftsrecht entwickelt. Sie wird nicht nur emotionell, wirtschaftlich und politisch, sondern vor allem auch rechtlich von ihrer eigenen Note beherrscht. Sie ist zu Ergebnissen gelangt, die wohl durchweg Billigung verdienen und deren Richtigkeit nicht in Frage gestellt sein soll, was immer im Einzelfall an der Begründung auszusetzen sein mag. Daß insbesondere den Machthabern der sowjetischen Besatzungszone die Möglichkeit versagt wird, eine nach deutschem Recht geschaffene Gesellschaft mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland zu vernichten, zu konfiszieren oder zu verstaatlichen, ist nicht nur zu begrüßen, sondern beinahe selbstverständlich. Dazu braucht man keine gesellschafts- oder kollisionsrechtlichen Theorien. Erst dann, wenn man die besondere interzonalrechtliche Gestaltung 1 Klein v. Board of Tax Supervisors, 282 U. S. 19, 24 (1930). Allerdings ist in Deutschland das Prinzip anerkannt, daß der "Durchgriff" nie zugunsten der Gesellschaft oder ihres Mitglieds erfolgen kann: Soergel-Siebert, BGBD I (1959) Vorbem. 16 zu § 21. ta Der Aufsatz von Drobnig, Die entsprechende Anwendung des interantianalen Privatrechts auf das interzonale Recht Deutschland: Jb. f. OR II/2 (1961) 31 ff., lag bei Abfassung dieser Arbeit noch nicht vor.
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nunmehr in das internationale Privatrecht zurückübertragen will, wenn man dies gar mit einem gewissen Automatismus tun zu können glaubt, erscheint ein warnendes Wort am Platz und muß die innere Verschiedenheit der beiden Rechtsgebiete und demgemäß die Tatsache hervorgehoben werden, daß das interzonale Recht ein hier nicht berührtes Sondergebiet ist.
I. Grundsätzliches- Insbesondere Konfiskation des Inlandsvermögens einer ausländischen Gesellschaft im Inland Wo der inländische Staat das inländische Vermögen oder auch nur einzelne Vermögensteile einer ausländischen juristischen Person auf sich überträgt, ist die Enteignung, wenn man hier wie im folgenden von Völkerrechtswidrigkeiten absieht, wirksam. Das ergibt sich aus der Maßgeblichkeit der lex rei sitae, welche die dingliche Übertragung dem Recht der Belegenheit unterwirft, und aus dem dahinter stehenden Gedanken der Hoheitsgewalt des Staates auf seinem eigenen Gebiet. Auch im Rahmen der innerhalb des konfiszierenden Staats getroffenen Maßnahmen zeigt sich jedoch der hier vornehmlich interessierende Unterschied zwischen dem Vermögen der juristischen Person und dem Vermögen ihrer Mitglieder. Dabei gilt der überall anerkannte Grundsatz, daß das Mitglied kein "mittelbares Eigentum" am Gesellschaftsvermögen hat oder, anders ausgedrückt, daß das Mitgliedschaftsrecht niemals im Rechtssinn ein Recht am Gesellschaftsvermögen verschafft. 1. Das bedeutet auf der einen Seite, daß beim Fehlen ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen das Vermögen der juristischen Person, das nach der lex rei sitae dem Staate verfallen ist, nicht deshalb vor Konfiskation geschützt ist, weil (und insoweit) das Vermögen der Mitglieder vor Konfiskation geschützt wäre. Ferner hat das Mitglied keinen Anspruch auf Herausgabe des Gesellschaftsvermögens, wenn und insoweit in seiner Person die Kontiskationsvoraussetzungen nicht gegeben sind.
Vielleicht das wichtigste Beispiel aus der internationalen Praxis für diesen Grundsatz liefert die schiedsgerichtliche Entscheidung im Falle der Tankschiffe der Deutsch-Amerikanischen Petroleum-Gesellschaft. Auf Grund des Versailler Vertrags waren die einer deutschen GmbH gehörigen Schiffe an die Reparationskommission abgeliefert worden. Die Standard Oil Company of New Jersey, die das alleinige Mitglied der deutschen GmbH war, verlangte Herausgabe unter Berufung auf ihr angebliches indirektes oder wirtschaftliches Eigentum ("beneficial ownership"). Der Anspruch wurde zurückgewiesen, weil das Schiedsgericht der Meinung war, daß
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"to proclaim the economic character of an alleged right is not sufficient to vest it with the privileges and sanctions of a right of ownership". Das Schiedsgericht verwies ferner darauf, daß "the decisions of principle of the highest courts of most countries continue to hold that neither the shareholders nor their creditors have any right to the corporate assets other than to receive, during the existence of the company, a share of the profits . .. and after its winding-up a proportional share of the assets"2. Ein verwandter Fall kam vor ein internationales Gericht, als nach dem ersten Weltkrieg Jugoslawien das dort belegene Eigentum einer deutschen Aktiengesellschaft liquidiert hatte. Die drei Österreichischen Alleinaktionäre der deutschen Aktiengesellschaft erhoben vor dem österreichisch-jugoslawischen Gemischten Schiedsgerichtshof Ansprüche auf Herausgabe, die jedoch deshalb abgewiesen wurden, weil Aktionäre nicht Eigentümer des Gesellschaftsvermögens sind und daher durch dessen Wegnahme nicht geschädigt werden, andererseits auch nicht berechtigt sind, Rechte der Aktiengesellschaft geltend zu machen3. Ähnliche Fälle sind oft auch von nationalen Gerichten im gleichen Sinn entschieden worden. So war der französische Kassationshof im Jahre 1923 damit befaßt, daß in Frankreich belegene Vermögenswerte einer deutschen Gesellschaft auf Grund des Versailler Vertrags konfisziert worden waren und französische Aktionäre dieser deutschen Gesellschaft die Zahlung eines anteilmäßigen Betrages verlangten. Der Anspruch scheiterte, weil "les biens d'une socit~te, tant qu'elle existe, sont la propriete de la societe seule et non la propriete des actionnaires"4. In England war während des zweiten Weltkriegs das Prisengericht vor die Frage gestellt, ob das Schiff "Unitas", das einer deutschen GmbH gehörte, deshalb vor der Beschlagnahme als Prise geschützt sei, weil eine holländische N.V. Eigentümerin sämtlicher Geschäftsanteile der deutschen GmbH war. Entsprechend einer früheren Entscheidung aus dem ersten W eltkrieg5 wurde der Anspruch des holländischen Mitglieds der deutschen juristischen Person zurückgewiesen mit der vertrauten Begründung, daß das Vermögen der juristischen Person nicht dem Mitglied zustehe6 . Seit einer Entschei2 United Nations Report of International Arbitral Awards II 779 (791, 787). Es handelte sich nicht um einen Fall wirklicher Konfiskation, aber in dieser Arbeit werden alle Arten staatlicher Eingriffe auch dann als Beispiele herangezogen, wenn ihnen der Konfiskationscharakter fehlt. a öst.-jug. Gern. Schiedsgerichtshof 8. 9. 1927, Rec. Trib. VII794. Ebenso Ung.-jug. Gern. Schiedsgerichtshof 2. 4. 1927, ebd. 855. 4 Cass. Req. 14. 11. 1923, Clunet 51 (1924) 1013. Im gleichen Sinne zum Nachteil eines amerikanischen Aktionärs Cass. Req. 21. 6. 1926, S. 1926. 1. 268.
5
The Marie Glaeser (1914), P . 218, 223.
s The Unitas, (1948) P. 205, 219 ff., bestätigt (aus anderen Gründen) (1950)
A. c. 536.
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dung des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 1899 steht die amerikanische Praxis im gleichen Sinn fesF. 2. Auf der anderen Seite können Vermögensgegenstände der juristischen Person, die im konfiszierenden Staat liegen, mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen nicht deshalb konfisziert werden, weil sie, wenn sie den Mitgliedern gehören würden, zu konfiszieren wären. Oder anders ausgedrückt, die Gesellschaft kann ihre Rechte nicht im Hinblick auf den Aktionär verlieren und behält deshalb ihr Recht auf das Gesellschaftsvermögen, auch wenn und soweit bei ihrem Aktionär, selbst wenn er Alleinaktionär ist, die Voraussetzungen für die Konfiskation vorlägen. Dieses Prinzip wird belegt durch eine bemerkenswerte Entscheidung des französischen Kassationshofs8 • Das Kapital einer schweizerischen Aktiengesellschaft gehörte zu 7,5 Prozent Deutschen. Die schweizerische Aktiengesellschaft war Aktionärin einer französischen Aktiengesellschaft, die im Hinblick auf die Bestimmungen des Versailler Vertrages die Aktionärsrechte der schweizerischen Gesellschaft in Höhe von 7,5 v.H. nicht anerkennen wollte. Mit derselben Begründung wie in der bereits erwähnten früheren Entscheidung9 erklärte der Kassationshof diese Weigerung als ungerechtfertigt10• Im gleichen Sinne entschied das Schweizerische Bundesgericht in einem berühmten Urteil, das alle Schriftsteller, die sich über die Belegenheft von Aktionärsrechten auslassen, sorgfältig prüfen mögen11 • Der französische Verwalter feindlichen Vermögens hatte die Rechte beschlagnahmt, die angeblich deutschen Aktionären einer schweizerischen Aktiengesellschaft aus der Liquidation einer französischen Zweigniederlassung zuflossen (wobei die Liquidation wesentliche Voraussetzung dieser 7 The Pedro, 175 U . S. 354, 367, 368 (1899). s Cass. Civ. 24. 7. 1928, Clunet 56 (1929) 703. Der entscheidende Grund lag wiederum in dem Gedanken, daß "toute sociE§te commerciale constitue une personne morale distincte de la personne physique des associes et les biens d'une societe sont la propriete de la societe seule et non la propriete des actionnaires". Von älteren französischen Entscheidungen, die zu einem entgegengesetzen Ergebnis gekommen waren (insbesondere Cass. Req. 2. 2. 1925, S. 1925. 1. 225), erklärte Richard Fuchs, Die Grundsätze des Versailler Vertrags über die Liquidation und Beschlagnahme deutschen Privatvermögens im Ausland (1927) 96, daß sie gegen die "elementaren Grundsätze des Rechts der juristischen Person" verstießen. 9 Oben Anm. 4. to Im zweiten Weltkrieg ist der sonderbare Gedanke, daß z. B. die Rechte deutscher Minderheitsaktionäre einer schwedischen Gesellschaft, die nicht von diesen Deutschen kontrolliert wird, sich auf das in Frankreich belegene Gesellschaftsvermögen erstreckten und dieses dort anteilmäßig vom Verwalter feindlichen Vermögens beschlagnahmt werden könnte, soweit ersichtlich, überhaupt nicht aufgetaucht. 11 BG 1. 4. 1924, BGE 50 (1924) li 51 = Clunet 51 (1924) 785.
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Maßnahme war). Er zahlte demnach an den Abwickler der schweizerischen Aktiengesellschaft nur den auf die nicht-deutschen Aktionäre entfallenden Teil des Erlöses aus, und so erhob sich die Frage, ob die deutschen Aktionäre in der Schweiz an diesem Vermögensteil beteiligt waren. Das Bundesgericht bejahte dies in eingehenden Ausführungen, unter denen die folgenden Sätze hervorragen: "11 est impossible de seinder ainsi les affaires ou les biens de la SociE~te: le principe de l'unite de la personne juridique et d'ailleurs la necessite de sauvegarder les droits des creanciers sociaux s'oppose absolument a ce qu'on reconnaisse aux actionnaires un droit sur un benefice net seulement partiel ou sur le produit d'une Iiquidation seulement partielle." Das eindrucksvollste Beispiel für jenen Rechtssatz bildet jedoch die Entscheidung des damaligen Richters, jetzigen Lord Devlin in der Sache Bank voor Handel en Scheepvaart N . V. v. Slatford 12• Die holländische N. V. besaß in England Goldbarren und Bankguthaben. Ihr alleiniger Aktionär war ein ungarischer Staatsangehöriger. Mit Rücksicht auf diese Tatsache wurde das in England belegene Vermögen der Gesellschaft auf Grund des mit Ungarn geschlossenen Friedensvertrages beschlagnahmt. Die Herausgabeklage der N. V. war auf zwei Rechtsgründe gestützt: Sie klagte zunächst als Zessionarin des holländischen Staates, der behauptete, auf Grund der Verordnung Stb. Nr. A 1 vom 24. 5. 1940 das Eigentum an dem in England belegenen Vermögen der Gesellschaft wirksam auf sich übertragen und damit zu holländischem Vermögen gemacht zu haben; sie klagte sodann auf Grund der zum Friedensvertrag mit Ungarn ergangenen Ausführungsverordnungen mit der Behauptung, daß der Aktionär einer Aktiengesellschaft keinerlei Recht am Vermögen der Aktiengesellschaft habe und deshalb nicht der Alleinaktionär, sondern sie die Eigentümerin des in England befindlichen Vermögens gewesen sei. Die letztere Behauptung, die im gegenwärtigen Zusammenhang allein einschlägig ist, wurde in eingehenden Ausführungen gutgeheißen13 und die gegenteilige Argumentation der Krone wurde als "contrary to all authority and principle" bezeichnet. Das Prinzip der juristischen Person siegte über die Tatsache, daß das in England belegene Vermögen wirtschaftlich ungarisches Vermögen war. 3. Wenn auch an der internationalen Anerkennung des bisher dargestellten Prinzips kein Zweifel sein kann, so ist es doch nicht weniger klar, daß der Gesetzgeber- und nur er-, wenn er es in bestimmten Zusammenhängen für richtig hält, ein anderes Ergebnis herbeiführen kann. 12 (1953) 1 Q. B. 248. Der wahre Grund für den Erfolg der N. V. lag ausschließlich in dem im Text erwähnten Gesichtspunkt. 13 a.a.O., 269 ff.
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So erklärt sich die bekannte Entscheidung des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten von Amerika im Falle der Schweizer Gesellschaft "Interhandel" 14. Das amerikanische Vermögen einer schweizerischen Gesellschaft, die als von Deutschen und deshalb von Feinden kontrolliert betrachtet wurde, war auf den amerikanischen Verwalter feindlichen Vermögens übertragen worden. Amerikanische Aktionäre der schweizerischen Gesellschaft drangen mit ihrem Anspruch auf Auszahlung eines anteilmäßigen Betrags durch, und zwar wie das Gericht ausdrücklich klarstellte, nicht deshalb, weil das Mitgliedschaftsrecht einen !Solchen Anspruch vermittelte, sondern weil der Wortlaut des Gesetzes es verlangte15. Hierher gehören auch die wiederholt mißverstandenen Bestimmungen der nach dem zweiten Weltkrieg geschlossenen Abkommen zur Regelung der SequesterKonflikte16•17. Nach der Kontrolltheorie, die der modernen Gesetzgebung über die Behandlung feindlichen Vermögens zugrunde liegt, wurde - um ein konkretes Beispiel zu nennen - in Amerika eine schwedische Gesellschaft dann als deutscher Feind betrachtet, wenn sie unter deutscher Kontrolle stand. Dazu genügte es, daß die Geschäftsleitung von Deutschen kontrolliert wurde, ohne daß es auf Kapitalbesitz ankam. Das hätte also dazu geführt, daß in Amerika das gesamte Vermögen dieser schwedischen Gesellschaft beschlagnahmt worden wäre, nicht etwa nur der prozentuale Anteil, der im Falle deutscher Aktienbeteiligung gewissermaßen auf die deutschen Aktionäre entfallen wäre. Ähnliche Probleme ergaben sich u. a. dort, wo Deutsche nur einen Teil des Aktienkapitals besaßen, aber auf Grund dieses Besitzes ebenfalls die Kontrolle ausüben konnten. Auch hier war gegebenenfalls das gesamte in Amerika befindliche Vermögen verfallen. Im Verhältnis zwischen Holland und Amerika bedurfte ein solches Ergebnis der Korrektur. Es wurden die sog. Sequester14
Kaufmann v. Societe Internationale, 343 U. S. 156 (1952).
15 a.a.O., 160: "This holding is not based on any technical concept of
derivative rights appropriate to the law of corporations. It is based on the Act which enables one not an enemy as defined in § 2 to recover any interest, right or title which he has in the property vested." Die im Text erwähnte gesetzliche Entwicklung ging auf das Jahr 1941 zurück, als man von der im er sten Weltkrieg entwickelten Praxis - Behn v. MiHer, 266 U. S. 457 (1924); Hamburg-American Line v. United States, 277 U. S. 138 (1927) - abging und die Kontrolltheorie einführte: Ctark v. Übersee Finanz-Korporation, 332 U. S. 480 (1947). 16 Siehe bei Böhmer-Duden-Janssen, Deutsches Vermögen im Ausland I (1951) 25 ff. - Falsch insbesondere Seidt-Hohenvetdern, Jb. Int. R. 6 (1956) 267, nach dem z. B. die englische Praxis die deutsche Beteiligung an einer holländischen Gesellschaft als .,für Konfiskationszwecke in Großbritannien belegen" ansah ; ähnlich Kuhn 8. 17 Wo eine Gesellschaft nach amerikanischem Recht deshalb "Feind" war, w eil sie in einem von Deutschland besetzten Gebiet inkorporiert war, da entstanden natürlich zusätzliche Fragen, die hier ohne Inter esse sind.
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Konflikts-Abkommen geschlossen, die dazu geführt haben, daß in dem angeführten Beispiel Amerika die gesamten Vermögenswerte der holländischen N. V. freizugeben hatte und dafür lediglich einen Geldbetrag erhielt, der dem Grad des deutschen Interesses an der holländischen N. V. entsprach. Es ist also offensichtlich ganz unmöglich, aus dieser Regelung ein Rechtsprinzip des Inhalts ableiten zu wollen, daß "eine vermögensmäßige Beziehung des Anteilseigners zu dem außerhalb des Statutarlandes belegenen Vermögen" besteht1B; die Abgabe wäre auch dann zu zahlen gewesen, wenn eine deutsche Aktienbeteiligung an der von Deutschen kontrollierten holländischen Gesellschaft nicht bestanden, sondern die deutsche Kontrolle sich auf die Geschäftsleitung beschränkt hätte. 11. Konfiskation von Inlandsvermögen einer ausländischen Gesellschaft durch das Ausland
Wo der ausländische Staat im Inland belegene einzelne Vermögensteile (oder auch schlechthin das inländische Vermögen) einer ihm zugehörigen juristischen Person auf sich überträgt, entstehen Rechtsfragen ganz anderer Art, die nur in gewissem Umfang durch die bisherige Praxis der führenden Staaten geklärt sind. 1. In negativer Beziehung weist zwar ein allgemein anerkannter Grundsatz den Weg. Die Konfiskation erfaßt keine Vermögensgegenstände, die im Inland, also außerhalb des konfiszierenden Staates belegen sind. Das ist wiederum eine Folge des Prinzips der lex rei sitae und der territorial beschränkten Hoheitsgewalt des Staates. Die Regel ist so selbstverständlich geworden und hat in der Rechtsprechung der westlichen Welt so einhellige Anerkennung gefunden, daß es sich erübrigt, sie durch Hinweise auf das überreiche Material zu belegen. Immerhin mag bemerkt werden, daß angesichts seiner ratio das Prinzip auch dann Anwendung verlangt, wenn die Enteignung gegen Entschädigung erfolgt; denn auch in diesem Fall würde, wenn man anders entscheiden wollte, der enteignende Staat seine völkerrechtliche Kompetenz überschreiten, indem er mit dinglicher Wirkung die Zugehörigkeit von Sachen und Rechten in einem fremden Staat zu regeln versucht19• 1s So Kuhn 9. Jedenfalls hat in keinem alliierten Land jemand durch Staatsverträge, Gesetzestexte, Entscheidungen oder literarische Äußerungen dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß der deutsche Aktionär einer holländischen Gesellschaft, welche Vermögen in Amerika besaß, ein Mitgliedschaftsrecht in Amerika habe und daß dieses dort beschlagnahmt werden könne. 19 Im gleichen Sinn wohl die herrschende Praxis und Lehre, insbesondere Schweiz. BG 25. 9. 1956, BGE 82 (1956) I 196 = Int. L. Rep. 1956, 24, sowie
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Aus dem gleichen Grund muß übrigens das Prinzip auch da angewandt werden, wo die Enteignung "wohlwollenden" Charakter hat, also treuhänderisch, zum Schutz des Eigentümers erfolgt. Das war die Idee der holländischen Verordnung Stb. A Nr. 1 vom 24. 5. 1940, die in dem ersten Teil der Entscheidung in der Sache Bank voor Handel en Scheepvaart N. V. v. Slatford 20 zur Debatte stand und deren Anwendung von dem englischen Richter abgelehnt wurde mit dem Hinweis auf die lex rei sitae, "the simple rule that generally property in England is subject to English law and to none other" 21 • Zugleich wurde es abgelehnt, der "wohlwollenden" Enteignung auf Grund des ordre public zum Erfolg zu verhelfen22 • Daß in Amerika entgegengesetzt entschieden wurde, beruhte wenigstens in gewissem Umfang auf der Abhängigkeit der Justiz von der Exekutive in Angelegenheiten der auswärtigen Politik, einer Besonderheit des amerikanischen Verfassungsrechts23 • 2. Obwohl der Staat kraft Konfiskation keine Vermögensteile außerhalb seines Gebietes erwerben kann, bleibt doch die Frage, wem sie nach der Konfiskation positiv zustehen. Die Antwort, daß die juristische Person Eigentümerirr geblieben ist, liegt zwar auf der Hand, führt aber nicht weiter. Denn im Gegensatz zur natürlichen Person kann, wenigstens im allgemeinen, die juristische Person nicht auswandern, nicht das ihr verbliebene Vermögen abholen und außerhalb ihres Sitzlandes behalten. Ist man demnach zu dem Schluß gezwungen, daß das inländische Vermögen allein der ausländischen juristischen Person zusteht und deshalb mittelbar dem Zugriff des konfiszierenden Staates ausgesetzt ist? Man nehme folgenden Fall an. Aus Gründen der Devisengesetzgebung oder etwa im Wege der Einziehung durch Strafurteil oder zu Steuerzwecken konfisziert der ausländische Staat X alle privaten Goldbestände, auch soweit sie im Inland liegen. Eine AktiengesellWaUer Lewald, Das internationale Enteignungsrecht im Licht neuen Schrifttums: RabelsZ 21 (1956) 119 ff. (125 ff.), beide mit Nachweisen. Dagegen insbesondere Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 179 ff. und in vielen
späteren Beiträgen (z. B. Probleme des Internationalen Konfiskations- und Enteignungsrechtes: Clunet 83 [1956] 308 ff.), deren gegen Walter Lewald gerichteten Polemik weder überzeugt noch anspricht. 2o Oben Anm. 12. Vgl. auch den dazugehörigen Text. 21 a.a.O., 260. 22 a.a.O., 264 ff. Die frühere Entscheidung von Atkinson J. in Lorentzen v. Lydden & Co., (1942) 2 K. B. 202, in der gegenteilig entschieden wurde, hat heute in England wohl kaum mehr autoritative Bedeutung. Vgl. Mann, Extraterritorial Effect of Confiscatory Legislation: Mod. L. Rev. 5 (1941- 42) 262 f. 23 State of the Netherlands v . Federal Reserve Bank, 201 F. 2 d 455 (1953) mit der Note in Col. L. R. 53 (1953) 561. Zu dem verfassungsrechtlichen Problem vgl. allgemein unten S. 378.
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schaft mit Sitz in X ist Eigentümerin von Goldbarren, die bei einer deutschen Bank deponiert sind. An der Aktiengesellschaft sind als Aktionäre Personen beteiligt, von denen einige in Deutschland leben. Haben sie eine Möglichkeit, die in Deutschland liegenden Goldbarren ganz oder zum Teil zu beanspruchen? Die Frage ist zu verneinen. Die Goldbarren gehören vom inländischen Standpunkt aus gesehen der Aktiengesellschaft in X. Wenn diese will, so kann sie die Goldbarren im Inland abholen, und die Auslieferung könnte nicht verweigert werden. Insbesondere hat der Aktionär kein Recht auf Auslieferung, gleichgültig ob er Mehrheits- oder Minderheitsaktionär ist. Eine Argumentation des Inhalts, daß der Aktionär überall Mitgliedschaftsrechte hat, wo Vermögen der Gesellschaft liegt, und sich deshalb überall dieses Vermögens bemächtigen kann, wäre nicht nur unhaltbar, sondern ist im gegenwärtigen Zusammenhang genausowenig aufgetaucht wie in den oben zu I besprochenen Fällen. Ebensowenig ist der Gedanke vertretbar, daß eine neue, deutsche Gesellschaft (ohne Gesellschaftsvertrag, ohne Aktienkapital, ohne Aktien und ohne Eintragung) entstanden ist, die auf nicht geklärte Weise Eigentümerin der Goldbarren geworden wäre und somit die in Deutschland kraft der Beschränkung des Territorialprinzips als Eigentümerin anerkannte Aktiengesellschaft in X aus ihrem Eigentum verdrängt hätte. Das wären groteske Gedanken, die nicht weiter verfolgt zu werden brauchen, die aber interessant sind, weil sie zeigen, daß es Tatbestände gibt, in denen eine Konfiskation zwar rechtlich ohne exterritoriale Wirkung ist, aber dennoch faktisch exterritoriale Folgen hat, die die juristische Person und ihre Mitglieder zu schädigen geeignet sind und die kein einzelnes Mitglied verhindern kann. Das beruht auf dem Wesen und Prinzip der juristischen Person und ist die notwendige Kehrseite des Wesens und Prinzips der beschränkten Haftung. Die internationale Praxis scheint -mit Recht- nur einen Weg zu kennen, auf dem man der hier geschilderten Situation Herr werden kann. Dieser Weg besteht in der Verlegung des Sitzes der juristischen Person aus dem ausländischen Staat in das Inland, der Bestellung eines neuen Vorstands und der Reorganisation der Gesellschaft, soweit sie sonst notwendig sein mag. Ob jedoch dieser Weg offensteht, hängt ausschließlich vom Personalstatut der juristischen Person ab. Hierher gehört vor allem der Fall, der in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg zur Entscheidung kam und in dem es sich um die Verlegung des Sitzes deutscher Gesellschaften aus den abgetretenen Gebieten handelte24 • Diese Gesellschaften wurden in den abgetre24 RGZ 107, 94; KG 7. 2. 1924, JFG 2, 252; 28. 4. 1927, JFG 4, 184; Dtsch.engl. Gern. Schiedsgerichtshof 29. 11. 1927, Rec. Trib. VII 473 = JW 1928, 1473.
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tenen Gebieten nicht vernichtet, sondern nur ihrer dort belegenen Vermögenswerte beraubt25 • Sie waren deutsche Gesellschaften, die unter deutschem Recht gegründet waren und die deshalb - selbstverständlich - nach deutschem Recht ihren Sitz verlegen konnten. Englische Gerichte hatten sich mit Fällen zu befassen, in denen nach den vorliegenden Sachverständigengutachten russische und estnische Gesellschaften nicht als vernichtet, sondern als fortbestehend zu behandeln waren und ihren Sitz gültig nach England bzw. Schweden verlegt hatten26 • Solchen Gesellschaften wurde alsdann das Recht zuerkannt, in England belegene Guthaben einzuziehen.
3. Es steht einem Staat jedoch offen, durch Staatsvertrag die Wirksamkeit ausländischer Konfiskationsmaßnahmen im Inland anzuerkennen. Nach der Auffassung des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten von Amerika war eine solche Anerkennung in dem Notenwechsel zu finden, der anläßlich der Anerkennung der SowjetRegierung durch die Vereinigten Staaten im Jahre 1933 mit dem Botschafter Litvinov stattfand und in dem die Sowjetunion ihre Ansprüche auf russisches Vermögen an die Vereinigten Staaten von Amerika abtrat27 • Obwohl an dem Prinzip nicht gezweifelt werden kann, ist seine Anwendung im Fall des Litvinov-Abkommens deshalb mit Recht beinahe ausnahmslos kritisiert worden, weil die Sowjetunion nach amerikanischem Recht in den Vereinigten Staaten keine Rechte hatte, die sie hätte abtreten können.
III. Verstaatlichung der Gesellschaft durch Konfiskation des Vermögens Eine dritte Konfiskationsmethode besteht darin, daß der ausländische Staat das gesamte Vermögen der ausländischen Gesellschaft, wo immer es belegen sein mag, konfisziert. 25 So heißt es in RGZ 107, 94 (99), daß die französische Maßnahme nur die Befugnisse des Verwaltungsapparats in Frankreich, "aber seinen Bestand und den der Aktiengesellschaft nicht berührt habe. . .. Die deutsche Aktiengesellschaft hat also zwar einen Teil ihres Vermögens eingebüßt, und ihre Aktien haben infolgedessen an Tauschwert verloren, ihr rechtlicher Bestand hat aber dadurch keine Beeinträchtigung erlitten." 26 Woronin v . Huth & Co. (1945- 46), 79 Ll. L. Rep. 262, eine Entscheidung von Wright J., dem späteren Lord Wright, aus dem Jahre 1928 (!) betreffend russische Gesellschaften; A IS TaHina v. TaUina Shipping Co., ebd. 245, bestätigt vom Berufungsgericht (1946-47), 80 Ll. L. Rep. 99, betreffend eine estnische Gesellschaft. In der ersten Entscheidung erklärte Wright J. (a.a.O., 270): "These conclusions seem to imply that the plaintiff company has a species of dual existence, being in Russia a bare legal entity, nominis umbra, stripped of assets and functions, but in this country holding assets, having its directors and members, and capable of exercising legal functions." Zu dieser Entscheidung auch unten Anm. 100. 27 United States v. Pink, 315 U. S. 203 (1942). Vgl. schon United States v. Belmont, 301 U. S. 324 (1937).
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Kraft ausdrücklicher Bestimmung ist damit zumeist die Vernichtung der Gesellschaft verbunden. Aber auch wenn es an einer solchen Vorschrift fehlt, sollte die Rechtsfolge die gleiche sein; denn eine juristische Person ohne Vermögen oder gar eine juristische Person ohne Vermögen, ohne Verbindlichkeiten und ohne Mitglieder ist schwerlich denkbar. Dennoch hat man zuweilen geglaubt, ein solches Gebilde könne als Rechtsperson bestehen28 • Wo der Staat das gesamte Vermögen einer juristischen Person auf sich, eines seiner Organe oder eine andere, ihm gehörige juristische Person überträgt, da liegt eine Konfiskation selbst dann vor, wenn die Verbindlichkeiten mit übertragen werden und so eine "gesetzliche Novation" oder auch eine "Vermögensübertragung und Fusion" 29 geschaffen wird, wie dies die Sowjetunion im Fall von BankAktiengesellschaften zu tun vorgab30 • Die Außerachtlassung der Rechte der Aktionäre genügt, um klarzustellen, daß, selbst wenn die Gläubiger befriedigt werden sollten, eine Konfiskation des Gesellschaftsvermögens vorliegt; daran ändert sich auch dann nichts, wenn eine Entschädigung der Aktionäre nur in Aussicht gestellt wird31 • Die Verstaatlichung oder Nationalisierung einer Gesellschaft - die Ausdrücke sind ohne juristische Bedeutung würde zu keinen Sonderproblemen Anlaß geben, wenn es sich nur um die Konfiskation des Vermögens und deshalb nur um die bekannte Anwendung des Territorialprinzips handelte. Obwohl die Entziehung des Vermögens, wenn sie die Interessen der Aktionäre oder auch nur die der Gläubiger unberücksichtigt läßt, das in mancher Hinsicht rechtlich entscheidende Merkmal der Verstaatlichung darstellt, entsteht die zusätzliche, gesellschaftsrechtliche Frage, welcher Einfluß der gleichzeitigen Vernichtung der juristischen Person insoweit zuzuschreiben ist, als es sich um das außerhalb des konfiszierenden Staates belegene Vermögen handelt. 1. Die internationalprivatrechtliche Behandlung dieses Falles der Vernichtung einer juristischen Person im Zuge ihrer Verstaatlichung ist jedenfalls in negativer Beziehung überall dieselbe. Es scheint kein Land zu geben, in dem den Rechtsnachfolgern der vernichteten 2s Vgl. unten Anm. 57.
29 Der erste Ausdruck ist in England benutzt worden von Maugham J. in Re Russian Bank jor Foreign Trade (1933), Ch. 745 (766), ist aber ohne Wert, wenn es an einer ernstgemeinten Schuldübernahme fehlt. Der letzte Ausdruck, den Vaisey J. in Re Banque des Marchands de Moscou (1952), 1 All E. R. 1269, 1275 gebraucht, ist ebenso irreführend. Vgl. Dicey 810. ao Die Texte finden sich z. B. auf englisch in Russian Commercial and Industrial Bank v. Comptoir d'Escompte de Mulhouse (1925), A. C. 112. 31 Dazu unten S. 165. Im gleichen Sinn der Österreichische OHG 14. 1. 1953, Jb. Int. R. 5 (1955) 294 mit Anm. von Seidl-Hohenveldern.
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juristischen Person oder ihres Vermögens das Recht zugestanden worden wäre, Ansprüche auf das Vermögen zu erheben, das außerhalb des konfiszierenden Staats belegen ist. Ein solcher Anspruch wäre offensichtlich mit den wiederholt dargestellten Rechtsgrundsätzen unvereinbar: dem ausländischen Staat fehlt die Kompetenz zur dinglichen Änderung der Zugehörigkeit im Inland belegener Vermögenswerte. In Amerika ist zwar einmal der Gedanke aufgetaucht, die Auflösung einer Gesellschaft und die gleichzeitige Konfiskation ihres Vermögens sei dem erbrechtliehen Vermögensübergang zu vergleichen und sei deshalb nicht nach der lex rei sitae zu beurteilen, sondern unterliege dem Personalstatut der Gesellschaft32 . Martin Wolff hat darauf die schlagende Antwort gegeben: "This inference from analogy is, however, out of place, since under no legal system is the murderer allowed to succeed to the property of his victim. And even if the lex domicilii of the murdered company were to permit such succession, should not the English or American court regard such a provision as inconsistent with public policy33?" Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß nur in ganz wenigen Ausnahmefällen von Sowjetrußland und anderen Ländern des Ostblocks der zum Scheitern verurteilte Versuch unternommen worden ist, des im Westen belegenen Vermögens habhaft zu werden34 ; daß im Fall der Nationalisierung der Suezkanal-Gesellschaft - einem der krassesten Fälle willkürlicher Konfiskation - zuweilen das Gegenteil behauptet worden ist, kann nur als Kuriosum verzeichnet werden35• 2. Die Bestimmung der Person, der - positiv - das inländische Vermögen der verstaatlichten ausländischen Gesellschaft zusteht, hängt jedenfalls im Ausgangspunkt von einem ganz allgemein anerkannten Prinzip des internationalen Privatrechts ab. Ebenso wie über die Entstehung, die Auflösung und die Abwicklung sowie die Fusion36 entscheidet auch über die Beendigung und insbesondere
32 Walter Herzfeld, Nationalization of Foreign Corporations - Effect on Local Assets (Contemporary Law Pamphlets Ser. 9 n. 1; 1943) 9. 33 Wolff, Private International Law2 (1950) 307. 34 Sowjetrußland in England im Fall The Jupiter (No. 3) (1927), P. 122 (Admiralty), 250 (C. A.); in Frankreich im Fall Ropit, Cass. Req. 5. 3. 1928, Clunet 55 (1928) 674; ebenso die estnischen Behörden nach der sowjetischen Annexion in allen Fällen, in denen es sich um estnische Schiffe handelte: s. z. B. in England im Fall AIS Tallina v. Tallina Shipping C. (oben Anm. 26). 35 Der englische Text des Verstaatlichungsgesetzes vom 26. 7. 1956 findet sich z. B. in: The Suez Canal, A Selection of Documents Relating to the International Status of the Suez Canal and the Position of the Suez Canal Company (London 1956) 41 ff. Dazu auch Delson, Nationalization of the Suez Canal Company - Issues of Public and Private International Law: Col. L. Rev. 57 (1957) 755 ff. mit weiteren Angaben. 36 Dazu grundsätzlich die Entscheidung des House of Lords im Falle National Bank of Greeece and Athens v. Metliss, (1958) A. C. 509. 9 Mann
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die Vernichtung einer juristischen Person die lex societatis, das Personalstatut der Gesellschaft. a) Wenn die juristische Person nach dem anwendbaren materiellen Recht Bestand hat, so ist die Identität des Eigentümers inländischen Vermögens nicht zweifelhaft37 • Man geht im Grunde von demselben Prinzip aus, wenn man die Vernichtung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anerkennt und so das Fortbestehen der vernichteten Gesellschaft fingiert. So entschied nicht nur der Kassationshof des vorrevolutionären Rumäniens38, sondern vor allem auch das höchste Gericht des Staates New York, dessen ständige Praxis von ihm im Jahre 1933 wie folgt zusammengeiaßt wurde: "We have considered the extraterritorial effect of Soviet decrees which liquidated Russian banks (Petrogradsky Mejdunarodny Kommerchesky Bank v. National City Bank, 253 N. Y. 23, 170 N. E. 479) and insurance companies (First Russian Ins. Co. v. Beha, 240 N. Y. 601, 148 N. E. 722). We have reached the conclusion in those and similar cases that such decrees had no extraterritorial effect and that the continued existence of such companies, wherever they were found to function outside of Russia, would be recognized. The consequence has been that corporations nonexistent in Soviet Russia have been, like fugitive ghosts endowed with extraterritorial immortality, recognized as existing outside its boundaries. The juristic person, the Russian corporation, dead in the country which created it, has received juridical vivification elsewhere39.'' Hierher gehört vor allem auch die Praxis der Bundesrepublik, die insoweit im Gegensatz zur Praxis des Reichsgerichts 40 steht. Der Beginn der Entwicklung liegt in der ständigen Rechtsprechung, nach 37 Das war vor dem Jahre 1936 die Situation der russischen Gesellschaften in England. Dazu unten Anm. 57, 67, 68. ss Cass. 5. 12. 1932, Clunet 62 (1935) 718 = A. D. 1933 - 1934 Nr. 80.
39 Salimoff v. Standard Oil Co. of New York, 262 N. Y. 220, 186 N . E. 679 (1933). Ähnlich die spätere Entscheidung desselben Gerichts in Vladikavkazsky Railway Co. v. N ew York Trust Co., 263 N. Y. 369, 189 N. E. 456 (1934).
Grundlegend war die Entscheidung von Cardozo J . in dem Fall Petrogradsky aus dem Jahre 1930. Diese Rechtsprechung mußte sich natürlich ändern, als 1933 die Sowjetunion anerkannt wurde (United States v. Pink [oben Anm. 27]). Ob sie auf dem ordre public, dem Territorialitätsprinzip oder der Nichtanerkennung beruht, läßt sich nicht mit Sicherheit aus den Entscheidungen entnehmen und ist eine Frage, die anglo-amerikanische Richter sich im allgemeinen nicht vorlegen, weil sie zu abstrakt und theoretisch ist. Vgl. dazu Cassoni, La Nazionalizzazione delle Societa (1959) 42. Als 1936 die Möglichkeit der Bestellung eines "receiver" geschaffen wurde, entfiel auch jedes Bedürfnis, an den früher geäußerten Ansichten festzuhalten. 40 RGZ 129, 98 = JW 1931, 141 mit Anm. von Walter Lewald. Insbesondere soweit diese Entscheidung es ablehnt, einer vernichteten russischen juristischen Person in Deutschland "Rechtsfähigkeit kraft Daseins" zuzusprechen (S. 106 - 108), ist sie vortrefflich begründet und ein eindrucksvolles Beispiel für die Strenge der richterlichen Tradition, die die Rechtsprechung des Reichsgerichts oft ausgezeichnet hat. Vgl. allgemein Staudinger(-Coing), BGBH I (1957) Einl. vor § 21 Anm. 33.
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der Gesellschaften, die ihren Sitz in der Ostzone hatten und dort Yerstaatlicht worden sind, auch ohne Sitzverlegung und handelsregisterliche Eintragung in der Bundesrepublik als fortbestehend gelten, solange sie hier Vermögen haben41 ; da es sich um deutsche Gesellschaften handelte und die Sowjetzone gewiß nicht das Recht und die Macht hatte, deutsche Gesellschaften mit Wirkung für das gesamtdeutsche Gebiet zu vernichten, wäre das gleiche Ergebnis auch ohne Aufstellung eines so weitreichenden Rechtssatzes zu erzielen gewesen, in welchem Fall jedoch die bei einer Sitzverlegung zu beobachtenden Formalitäten hätten erfüllt werden müssen42 • Der Bundesgerichtshof ist alsdann dazu übergegangen, diesen Rechtssatz auf eine sudetendeutsche Genossenschaft anzuwenden43 ; dabei wurde allerdings (zu Unrecht) auf die angebliche Tatsache Gewicht gelegt, "daß das Sudetenland deutsches Gebiet war und daß das dort aufrechterhaltene Recht nur als deutsches Recht Geltung besaß" 44 • Schließlich erstreckte der Bundesgerichtshof seinen Rechtssatz auch auf den Fall einer in Rußland sowie einer in Prag vernichteten Gesellschaft45 und nahm somit eine in Deutschland bestehende "Restgesellschaft"46 an, und zwar, wie man wohl sagen darf, auf Grund einer Fiktion, wobei offen bleibt, ob und inwieweit es sich dabei um eine Gesellschaft des deutschen Rechts handelt. Bei der Würdigung dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allerdings eine Tatsache zu beachten, die auf die Begründung erheblichen Einfluß gehabt hat. Der Bundesgerichtshof scheint in keinem einzigen Fall 41 BGH 1. 2. 1952, BGHZ 5, 35; 9. 7. 1956, IzRspr. 1954- 1957 Nr. 65; 4. 6. 1957 ebd. Nr. 78 und vor allem 19. 2. 1959, NJW 1959, 1126, wo der 2. ZS betont, daß auch geringes Vermögen genügt, um die Existenz zu erhalten, daß es "Leben erhaltende Kraft" hat: "es handelt sich um eine aufgespeicherte, verborgen ruhende, latente Wirkung eines Teils des Gesellschaftsvermögens." Die Instanzgerichte hatten in diesem Sinn schon seit langem entschieden. Die erste Entscheidung ist wohl OLG Bamberg 30. 1. 1948, IzRspr. 1945 - 1953 Nr. 75. 42 Aus den im Text zu erwähnenden Gründen wäre dies gewiß ein durchaus nicht unerwünschtes Ergebnis gewesen. 43 BGHZ 25, 134. 44 a.a.O., 139, 148. Dagegen Karl, Zur Sitzverlegung deutscher juristischer Personen des privaten Rechts nach dem 8. Mai 1945: Arch. civ. Pr. 159 (1960/61) 293 ff. (311). 45 BGH 5. 2. 1958, WM 1958, 557; BGH 6. 10. 1960, BGHZ 33, 195 (197, 198), wonach es sowohl für das internationale wie das interzonale Recht feststeht, "daß eine juristische Person, die in ihrem Sitzstaat durch Konfiskation ihr ganzes Vermögen verloren hat und infolgedessen vernichtet worden ist, hinsichtlich des nicht konfiszierten Auslandsvermögens fortbesteht". Die erste Entscheidung beruft sich auf RGZ 134, 91, wo es sich um den Fortbestand einer deutschen Gesellschaft, und auf die unten in Anm. 68 erwähnte Entscheidung des House of Lords im Falle Russian & Engtish Bank v. Baring Bros., wo es sich jedoch um die Stellung des Abwicklers des englischen Vermögens einer russischen Gesellschaft handelte. 46 BGHZ 33, 195 (199). 9•
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davon ausgegangen zu sein oder wenigstens darauf abgestellt zu haben, daß die juristische Person auf Grund einer ausdrücklichen, die Vernichtung aussprechenden Gesetzesbestimmung ihre Existenz verloren hat. Vielmehr wird überall angenommen und betont, daß, wie es in der wohl wichtigsten Entscheidung heißt, eine juristische Person, "die in ihrem Sitzstaat durch Konfiskation ihr ganzes Vermögen verloren hat und infolgedessen vernichtet worden ist, hinsichtlich des nicht konfiszierten Auslandsvermögens weiterbesteht" 47 • Die Vernichtung im Heimatland wird also auf die Entziehung des Vermögens zurückgeführt. Weil aber diese Entziehung nicht das in der Bundesrepublik belegene Vermögen erfassen kann, soll auch eine auf Vermögensentziehung beruhende Vernichtung in der Bundesrepublik keine Wirkung haben. Die territoriale Begrenzung der Vermögensentziehung involviert die territoriale Begrenzung des Verlusts der Rechtspersönlichkeit in Fällen, in denen eine Konfiskation des Gesamtvermögens zwar beabsichtigt ist, aber ohne extraterritoriale Wirkung bleibt48 • Diese Begründung ist bedenklich, weil die Vernichtung einer Gesellschaft vom Personalstatut, also vom Willen des Gesetzgebers des Heimatstaates, nicht aber davon abhängt, ob die vermögensrechtlichen Folgen der Vernichtung, die von der lex rei sitae bestimmt werden, im beabsichtigten Umfang eintreten. Daß man im Grunde die lex rei sitae über die Existenz der Gesellschaft entscheiden läßt, ist ein immerhin ungewöhnlicher und schwerlich zu billigender Vorgang. Die Literatur hat sich jedoch nicht an ihm gestoßen49 , ja z. T. hat sie ihn vielleicht überhaupt nicht erkannt, und es muß auch angenommen werden, daß nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs das Ergebnis das gleiche wäre, wenn die lex societatis die Vernichtung ausgesprochen hätte. Denn es ist offensichtlich- und damit hat der Bundesgerichtshof gewiß Recht-, daß das Ergebnis nicht davon beeinflußt sein kann, ob zu der Wegnahme des Vermögens noch ausdrücklich die Vernichtung der Rechtspersönlichkeit hinzukommt. Es ist ferner gleichgültig, auf welche Fiktion das Fortbestehen der Gesellschaft gegründet wird, ob 47 So BGHZ 33, 198. Die dort angeführten früheren Entscheidungen stellen alle auf den Vermögensverlust ab. 48 Diese Begründung kommt am deutlichsten in BGHZ 25, 134 (143, 144) zum Ausdruck. Ihr Ursprung ist ungewiß. Das Schrifttum, auf das sich der Bundesgerichtshof beruft, scheint auf den im Text erwähnten Gedanken nicht verfallen zu sein. Man vergleiche etwa Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 130: dort wird teils von der Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte, teils von der durch Konfiskation herbeigeführten Auflösung der Gesellschaft gesprochen, die nach der Meinung des Verfassers eine Abwicklung nötig macht. 49 Die Rechtsprechung wird im allgemeinen zustimmend zitiert, ohne daß auf die im Text hervorgehobene Begründung eingegangen wird.
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man insbesondere die Fiktion auf den ordre public stützt, wie früher in New York, oder auf die Wirkung der lex rei sitae, wie in Deutschland. Das wahre Problem in allen diesen Fällen liegt, wie nicht scharf genug hervorgehoben werden kann, nicht in der juristischen Methode oder der dogmatischen Konstruktion der Begründung eines Ergebnisses. sondern in der praktischen Frage, welche Personen zur Vertretung der als fortbestehend geltenden Gesellschaft berechtigt sind, welcher Aufsicht sie unterliegen und ob insbesondere eine gerichtliche Kontrolle besteht. In England stellten die Gerichte, solange sie die Rechtsfähigkeit bejahen zu können glaubten, darauf ab, ob Sachverständige die nach dem Personalstatut erforderlichen Voraussetzungen für die fortdauernde Vertretungsmacht des Vorstandes und die sonstigen gesellschaftsrechtlichen Erfordernisse nachgewiesen hatten50 . In New York waren die Gerichte zunächst geneigt, es mit den gesellschaftlichen Erfordernissen des ausländischen Rechts leicht zu nehmen51 , bis im Jahre 1936 s. 977-b in den Civil Practice Act von New York eingeführt wurde und die gerichtliche Ernennung eines "Receiver" ermöglichte. Der Bundesgerichtshof scheint wenigstens dann Bedenken zu haben, wenn Vorstandsmitglieder in der Bundesrepublik tätig werden, deren Amtsdauer auf Grund der Vorschriften des heimischen Gesetzes oder der Satzung abgelaufen ist52 . Er hält mehrere Lösungen für möglich; es kann entweder ein Pfleger bestellt werden, oder für die deutsche Restgesellschaft einer vernichteten Gesellschaft ausländischen Rechts können auch neue Vorstandsmitglieder in einer Generalversammlung gewählt oder gerichtlich bestellt werdensa. b) Nach der Praxis der Mehrzahl aller Staaten wird jedoch die Vernichtung der Gesellschaft durch die lex societatis anerkannt, und auf diesem Standpunkt steht wohl auch im allgemeinen das Schrifttum54. So entschieden nicht nur das Reichsgericht5s, sondern auch die obersten Gerichte in Frankreich56, Großbritanniens7, Osterreichss, 50 Vgl. die vor 1933 liegenden Entscheidungen, die unten in Anm. 57 zitiert sind. 51 Siehe z. B. Petrogradsky Mejdunarodny Kommerchesky Bank v. National City Bank, 253 N. Y. 23, 170 N. E. 479 (1930; oben Anm. 39). 52 BGHZ 33, 195 (200). 53 a .a .O., 201. Zu dem Problem im ganzen siehe B eitzke 29 ff. 54 Vgl. z. B. Batiffol, Traite de Droit international privea (1959) no. 202; Nußbaum, Deutsches IPR (1932) 192 f.; Rabel, The Conflict of L aws2 II (1960) 88 ff.; Schnitzer I 324, li 612; Sei dl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 107 ff.; Kegel, Art. 10 EGBGB Anm. 14 (allerdings nur grundsätzlich, nicht für den Fall der Konfiskation; siehe auch Vorbem. 446- 450 vor Art. 7). 55 Oben Anm. 40. 56 Cass. Req. 29. 7. 1929, Clunet 57 (1930) 680. Weitere Nachweise zur französischen Praxis bei Batiffol (oben N. 54) a .a.O.
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Schweden59 und der Schweiz60 sowie obere Gerichte in Belgien61 und den Niederlanden 62 • Dabei ist für den an solchen Feinheiten interessierten Rechtsvergleicher die Begründung bemerkenswert. So lehnte der französische Kassationshof ausdrücklich die Behauptung ab, daß "la suppression d'une personne morale par la voie legislative, serait Contraire a !'ordre public franc;ais" 63 • In England wurde ausgesprochen: "English Courts have long since recognized as juristic persans corporations established by foreign law in virtue of the fact of their creation and Continuance under and by that law ... But as the creation depends on the act of the foreign state which created them, the annulment of the act of creation by the same power will involve the dissolution and non-existence of the corporation in the eyes of English law. The will of the sovereign authority which created it can also destroy it64." Damit vergleiche man die Worte des schweizerischen Bundesgerichts: "Le Tribunal federal ne peut que s'incliner devant le fait accompli et en enregistrer le resultat. La societe anonyme n'a d'existence que celle que lui donne le legislateur et les societes etrangeres ne possedent la personnaHte juridique que si eile leur a ete octroyee par la loi de leur pays. Dans chaque pays, le legislateur reste a cet egard le maltre. Le droit qu'il concede, il peut le retirer sans qu'aucun recours soit possible contre son decret qui supprime le sujet de droit comme precedemment il lui avait donne la viess." 57 Lazard Bros. v . Midland Bank, Ltd. (1933), A. C. 289. In dieser Entscheidung ist auf Grund der dem Gericht unterbreiteten Sachverständigengutachten die Vernichtung der russischen Gesellschaften zum ersten Mal anerkannt worden. Aber auch die früheren Entscheidungen, in denen auf Grund von Gutachten die russischen Gesellschaften als fortbestehend betrachtet wurden, gingen davon aus, daß allein das russische Recht über den Bestand der Gesellschaften zu entscheiden habe: Russian Commercial
and Industrial Bank v. Camptair d'Escompte de Mulhouse (1925), A. C. 112; Banque Internationale de Petragrad v. Goukassow (1925), A. C. 150; Employers' Liability Assurance v . Sedgwick, Cotlins & C. (1927), A. C. 95.
ss Wahle in Kommentar zum ABGB2 V (1954) 570 mit Nachweisen, ferner OHG 4. 3. 1959, ZfRvgl. 1 (1960) 175 mit Anm. von Beitzke. 59 Högsta Domstel 12. 11. 1938, Nytt Juridiskt Arkiv 1938 I 56 = A. D. 1919 - 1942 (Suppl.) Nr. 56. 60 BG, BGE 50 (1924) II 507 = Clunet 52 (1925) 488; 51 (1925) l i 259, wo auf S. 264 betont wird, daß der russische Staat keine Rechte geltend machen könne, weil die Enteignung des Aktivvermögens ohne Rücksicht auf die Passiven der öffentlichen Ordnung widerspricht. Ebenso BGE 79 (1953) II 87. 61 Bruxelles 11. 7. 1936, Rev. crit 32 (1937) 121 = A. D. 1935- 1937 Nr. 77; Bruxelles 25. 6. 1947, Clunet 77 (1950) 882; Comm. Bruxelles 24. 3. 1951, Rev. Prat. Soc. 53 (1954) 90 (Textor S. A.). 62 Hof Amsterdam 4. 11. 1942, N. J . 1943 Nr. 496 = A. D. 1919- 1942 (Suppl.) Nr. 10; siehe jedoch Hof s'Gravenhage 3. 6. 1937, N. J . 1937 Nr. 1168 = A. D. 1935 - 1937 Nr. 75. 63 Cass. Req. (oben Anm. 56) 681. 64 Lord Wri ght in Lazard Bros. v. Midland Bank, Ltd. (1933), A. C. 289, 297. ss BGE 50 (1924) II 507 (513).
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Auch in diesen Fällen der anerkannten Vernichtung liegt das eigentliche Problem in der Frage, wem das inländische Vermögen zusteht. Es kann nicht mehr von der vernichteten juristischen Person oder ihren Vertretern in Anspruch genommen werden66. Nachdem man in England die Möglichkeit erkannt hatte, das englische Vermögen einer im Ausland vernichteten Gesellschaft durch einen gerichtlich bestellten Liquidator abwickeln zu lassen67, konnte man die Kunstgriffe, mit denen man vorher das Fortbestehen einer in Wahrheit vernichteten Gesellschaft behauptet hatte, fallen lassen und unter Ausnutzung der neu geschaffenen Möglichkeit einen Liquidator einsetzen68. In Frankreich begann man schon früh mit der gerichtlichen 66 So ausdrücklich der französische Kassationshof (oben Anm. 56) und Bruxelles (oben Anm. 61). 67 Die jetzt maßgebenden Bestimmungen sind in den ss. 399(5), 400 des Companies Act 1948 enthalten. Danach kann das englische Gericht die Liquidation anordnen, wenn eine ausländische Gesellschaft vernichtet ("dissolved") ist, ihren Geschäftsbetrieb aufgegeben hat oder nur zum Zwecke der Abwicklung aufrechterhält, zahlungsunfähig ist oder schließlich, "wenn nach Ansicht des Gerichts eine Abwicklung der Gesellschaft recht und billig ist". Die Liquidation erfolgt praktisch schon dann, wenn die vernichtete Gesellschaft Vermögen in England hat: Banque des Marchands des Moscou v. Kindersley (1951), Ch. 112. Die praktische Wirkung dieser Bestimmungen geht dahin, daß, wenn eine ausländische Gesellschaft in ihrem Heimatstaat vernichtet ist und in England Vermögen hat, ein Abwickler bestellt werden kann. Ob das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist Ermessenfrage, hängt also davon ab, was zum Schutz von Gläubigern und Aktionären verständigerweise zu geschehen hat. Wird nach der lex societatis eine ordnungsgemäße Abwicklung durchgeführt, so würde natürlich kein englisches Gericht einen Abwickler einsetzen. &s Wenn man heute die vor 1936 liegenden Entscheidungen liest, in denen auf Grund von Sachverständigengutachten russische Gesellschaften als fortbestehend behandelt wurden (s. bereits oben Anm. 57 und Wortley, The Dissolution of Foreign Corporations in Private International Law in the Light of the "Russian Bank Cases": Br. Y. B. Int. L. 14 [1933] 1 ff.; BlomCooper, Jurisdiction to Wind up a Foreign Company in England: Clunet 86 [1959] 686 ff.), so kann man sich nicht genug wundern über die Wortklauberei, mit der die englischen Richter aus der russischen Gesetzgebung das Fortbestehen der russischen Gesellschaften entnehmen zu können glaubten. Noch merkwürdiger ist es, daß vor 1936 niemand den Versuch gemacht hat, die vernichteten russischen Gesellschaften in England auf Grund von Gesetzestexten zur Abwicklung zu bringen, die seit 1848 in das englische Recht eingefügt waren; dazu Lord Atkin in Russian & English Bank v. Baring Bros. (1936), A. C. 405 (424); In re Banque des Marchands de Moscou (1958), Ch. 182; Lipstein, Jurisdiction to Wind up Foreign Companies: Cambridge L. J. 11 (1951 - 1953) 198 ff. Zwar hat man auch schon vor 1936 gelegentlich auf Grund von Sachverständigengutachten die Vernichtung russischer Gesellschaften angenommen (vgl. oben Anm. 57). Aber die sich daraus ergebende Notwendigkeit, Abwickler auf Grund des Gesetzes von 1929 zu bestellen, begegnete merkwürdigen logischen Schwierigkeiten. In Russian & English Bank v. Baring Bros. entschieden drei fortschrittliche Richter des Oberhauses gegen eine Minorität von zwei Oberrichtern und gegen die vier Richter der beiden unteren Instanzen, daß kein Gesetz der Logik den englischen Richter daran hindert, das Vermögen einer bereits vernichteten Gesellschaft zu liquidieren. Vgl. auch unten Anm. 76.
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Bestellung eines Liquidators69 ; Belgien verfuhr ebenso70. In Österreich werden Kuratoren bestellt7t, in der Schweiz Beistände nach Art. 393 ZGB72 • Diese Lösung des praktischen Problems ist vorzuziehen; dabei macht es - so sei noch einmal betont - keinen Unterschied, ob man dogmatisch zur rechten Lösung auf dem Weg über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Vernichtung, über die Fiktion des Wiederauferstehens oder die des Fortbestehens der Gesellschaft gelangt. Der Grund liegt, wie schon das Reichsgericht mit Recht angedeutet hat73 , darin, daß es unerwünscht ist, Gesellschaften als werbende Gesellschaften bestehen zu lassen, ohne daß sie den Garantien unterliegen, die das Gesetz, sei es nun ein ausländisches oder ein inländisches, verlangt und von deren Erfüllung die internationalprivatrechtliche Anerkennung abhängig ist. Die Interessen alter und neuer Gläubiger sowie der Aktionäre selbst verlangen zum wenigsten ein gewisses Maß gerichtlicher Überwachung; denn eine vernichtete Gesellschaft ist, wie sich ein englischer Richter ausgedrückt hat, "a submerged wreck floating on the ocean of commerce" 74 und als solches gefährlich75. Es wäre bei einer durch die Sachlage gebotenen elastischen Handhabung der Gesetzestexte gewiß nicht schwergefallen, auch in Deutschland regelmäßig eine der lex societatis entsprechende Liquidation durchzuführen76 oder, falls dies nicht möglich ist, einen Pfleger zu bestellen77. 69 Bordeaux 2. 1. 1928, Clunet 56 (1929) 115; Paris 13. 6. 1928, ebd. 119, und 3. 1. 1944, Rev. crit. 37 (1948) 81. 70 s. oben Anm. 61. 71 Wahte (oben Anm. 58) 572. Es entsteht eine gewöhnliche Gesellschaft nach §§ 825 ff. ABGB (communio incidens). In diesem Sinn auch die in Anm. 31 und 58 erwähnten Entscheidungen des OGH. Es ist nicht ohne Interesse, daß nach
zaristischem russischen Recht nach Auflösung der juristischen Person ihr Vermögen ebenfalls in das Miteigentum ("common ownership") der früheren Aktionäre überging und gerade deshalb diese jetzt an dem in England zu verteilenden Vermögen der aufgelösten juristischen Person beteiligt sind: In re Banque des Marchands de Moscou (1958), Ch. 182. 72 So BGE 51 (1925) II 259. Nach Art. 393 kann ein Beistand bestellt werden, wenn einem Vermögen die nötige Verwaltung fehlt. 73
RGZ 129, 98 (108).
Maugham J. in Re Russian Bank for Foreign Trade (1933), Ch. 745, 764. 75 So im Ergebnis auch Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 112. 74
76 Die Durchführung einer Abwicklung im Inland führt zu manchen Schwierigkeiten, deren Darstellung zu weit führen würde. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 113 ff. Dabei handelt es sich insbesondere um die Fragen, ob die Gesamtheit der Gläubiger oder nur die im Abwicklungsland ansässigen Gläubiger an dem Ergebnis beteiligt sind (im ersten Sinn Paris 22. 7. 1929, Clunet 56 [1929] 1095; 3. 1. 1944, Rev. crit. 37 [1948] 81); ob Gläubiger, deren Forderungen russischem Recht unterliegen oder in Rußland belegen sind, ausgeschlossen sind (so vielleicht zu Unrecht mehrere Entscheidungen englischer Richter erster Instanz, insbesondere Re Banque des Marchands de Moscou [No. 2], [1954] 1 W. L. R. 1108); ob die Ansprüche etwa
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Der wirkliche Gegensatz, der hinter allen Worten, Fiktionen, Dogmen und Theorien steckt, liegt darin, daß einerseits die Existenz einer werbenden Gesellschaft im rechtsleeren Raum fingiert und andererseits diese Lösung für rechtspolitisch ungesund gehalten und deshalb eine geregelte Abwicklung befürwortet wird. Es ist ein Gegensatz, der eine Entscheidung grundsätzlicher Natur erfordert und der übrigens im interzonalen Verkehr angesichts der Geltung deutschen Rechts und des sich daraus ergebenden Mangels einer echten Kollision von Gesellschaftsrechten weder in dogmatischer noch in rechtspolitischer Beziehung überhaupt auftauchen kann.
IV. Konfiskation aller MitgliedschaftsrechteKritik der "gemäßigten Spaltungstheorie" Der ausländische Staat, der das Vermögen einer ihm kraft Personalstatut unterworfenen juristischen Person konfiszieren will, kann auch so vorgehen, daß er alle Mitgliedschaftsrechte, also alle Aktien einer Aktiengesellschaft oder alle Geschäftsanteile einer GmbH auf sich überträgt; dazu ist er, wie noch darzulegen sein wird, selbst dann in der Lage, wenn die Gesellschaft nur Inhaberaktien ausgegeben hat. Dieser Konfiskationsmethode sind die Untersuchungen des vorliegenden Abschnitts gewidmet. Dabei ist vorweg zu betonen, daß diese Art der Konfiskation einerseits in manchen Ländern zu Problemen der staatlichen Immunität Anlaß geben mag, die hier außer acht gelassen werden, und daß andererseits ihr häufig der Fall gleichzusetzen sein wird, in dem der Staat dasselbe wirtschaftliche Ziel mit anscheinend weniger radikalen Mitteln verfolgt, nämlich dadurch, daß er, ohne die Mitgliedschaftsrechte zu berühren, einen neuen Vorstand bestellt noch in Rußland befindlicher Aktionäre auf Auszahlung des Liquidationserlöses zu berücksichtigen sind (in bejahendem Sinn Cass. Civ. 2. 3. 1955, Clunet 83 [1956] 150); wann das Recht des Staates auf bona vacantia zum Zuge kommt und ob insbesondere auch die Rechte von Aktionären berücksichtigt werden können, wenn ihre Inhaberaktien in Rußland lagen und dort konfisziert worden sind (vgl. die englische Entscheidung In re Banque des Marchands de Moscou [1958], Ch. 182, sowie den aufschlußreichen Aufsatz von Michael Mann, The Dissolved Foreign Corporation: Mod. L. R. 18 [1955] 8 ff. 30, 31, und Dicey 484 ff.). 11 Wie hier Schmidt § 5 Anm. 9, ferner OLG München 15. 12. 1955, RiW 2 (1956) 127, wo entschieden wurde, eine aufgelöste tschechoslowakische Gesellschaft sei nach tschechoslowakischem Recht abzuwickeln. Vgl. BGHZ 33, 195 (201) und Beitzke 32. RGZ 129, 98 (108) erklärte lediglich die Durchführung einer Liquidation für zweifelhaft. Die Rechtsprechung ist voll von Beispielen für die Bestellung von Pflegern nach § 1913 BGB (z. B. LG Stuttgart 30. 9. 1948, IzRspr. 1945- 1053 Nr. 119; LG Berlin 26. 3. 1952, ebd. Nr. 121) oder nach §50 FGG (KG 27. 6. 1952, ebd. Nr. 87) oder nach §57 ZPO (BGHZ 20, 4). Auch über gesetzliche Beschränkungen (wie z. B. § 75 I AktG) hat man sich hinweggesetzt; siehe etwa OLG Frankfurt 21. 12. 1953, IzRspr. 1945 bis 1953 Nr. 83 b.
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oder Treuhänder oder sogenannte kommissarische Verwalter einsetzt; diese Fälle werden häufig als Konfiskation zu betrachten und genauso zu behandeln sein wie der Fall der Entziehung sämtlicher Mitgliedschaftsrech te78. 1. Wo der ausländische Staat kraft Konfiskation Alleinaktionär wird und alsdann durch die Organe der ihm unterstellten Aktiengesellschaft ihr ausländisches Vermögen zu erfassen versucht, entsteht die Frage, ob und in welchem Umfang ein solcher Anspruch durchdringen kann. Die bisher vorliegenden Entscheidungen antworten vielfach verneinend. So hat das schwedische oberste Gericht die Klage einer englischen Aktiengesellschaft auf Auszahlung eines bei einer schwedischen Bank bestehenden Guthabens in einem Fall abgewiesen, in dem die Aktien einem Deutschen gehört hatten, aber nach Kriegsausbruch auf den Verwalter feindlichen Vermögens übertragen und von diesem dazu benutzt worden waren, einen neuen Vorstand zu bestellen79 • So war ein amerikanisches Gericht mit der Frage befaßt, was aus dem amerikanischen Vermögen einer ungarischen offenen Handelsgesellschaft wird, die in Ungarn als juristische Person, als "entity" gilt, wenn die ungarische Regierung, ohne die Identität der juristischen Person zu berühren, die Anteile der Gesellschafter konfisziert. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, daß die juristische Person und die dahinterstehende ungarische Regierung kein Recht auf das amerikanischeVermögen habe: "Prior to confiscation the assets of the firm both here and in Hungary were equitably owned by the plaintiffs as the sole partners in the firm. It is clear that the Hugarian government could not directly seize the assets which have a situs in the state of the forum. To allow it to do so indirectly through confiscation of firm ownership would be to give its decree exraterritorial effect and thereby emasculate the public policy of the forum against confiscation. This we decline to do80." 78 Zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern als Konfiskationsmaßnahme vgl. u. a. BGHZ 33, 195 (200) mit Nachweisen, BGHZ 17, 209 sowie BGH 27. 5. 1957, IzRspr. 1954- 1957 Nr. 200. Die Einsetzung von kommissarischen Verwaltern war insbesondere ein Merkmal nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen und ist im Ausland in der Regel nicht anerkannt worden. 79 Högsta Domstal 25. 9. 1944, A. D. 1943- 1945 Nr. 16. Im gleichen Sinne in Dänemark Ostre Landsret 22. 9. 1955, UfR 89 (1955) 1070 = Clunet 87 (1960) 496 = RabelsZ 26 (1961) 261 Nr. 10 = RiW 3 (1957) 165. 80 Zwack v. Kraus Bros. & Co., 237 F. 2d 255, 259 (1956) = Int. L. Rep. 1956, 10. Ob die offene Handelsgesellschaft in Ungarn eine juristische Person ist, soll allerdings bestritten sein. Es ist überdies wahrscheinlich, daß nach ungarischem Recht die Gesellschaft aufgelöst ist und von einer Beschränkung auf die Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte keine Rede sein kann: siehe Comm. Bruxelles (oben Anm. 61).
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So haben schließlich nicht nur ein schweizerisches Gericht81 , sondern vor allem auch der deutsche Bundesgerichtshof82 die Klagen holländischer83 Aktiengesellschaften auf Auszahlung ihrer in der Schweiz bzw. in Deutschland belegenen Bankguthaben aus dem Grunde abgewiesen, weil sämtliche Aktien der klägerischen Gesellschaften vom niederländischen Staat durch seine Verordnung über Feindvermögen vom 20. 10. 1944 (Stb. Nr. E 133) auf sich selbst übertragen und die ursprünglichen deutschen Aktionäre somit enteignet worden waren. Während der 7. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seine Entscheidung im wesentlichen mit der Notwendigkeit begründete, "zu gerechteren Ergebnissen" zu kommen und eine Aushöhlung des Territorialprinzips zu vermeiden84, entnahm der 2. Zivilsenat diesem Urteil den Grundsatz, "daß mit Rücksicht auf das Territorialitätsprinzip das inländische Vermögen einer ausländischen juristischen Person nicht von der vom ausländischen Staat vorgenommenen Konfiskation aller oder fast aller Mitgliedschaftsrechte erfaßt werde und daher von der auf diesem Wege praktisch verstaatlichten juristischen Person nicht in Anspruch genommen werden könne" 85. Wenn man von staatsvertragliehen Besonderheiten absieht86 , ist es möglich, daß im Ergebnis alle diese Entscheidungen zu billigen sind87• Mit Rücksicht auf die Neuartigkeit der Problematik, die Bedürfnisse der Rechtssicherheit und die vom Bundesgerichtshof mit Recht betonten Erfordernisse der Gerechtigkeit sind jedoch behutsame Forschung 51 Bezirksgericht Zürich 12. 3. 1958, A WD 1958, 80. Hierher dürfte auch die bei Vannod, Fragen des Internationalen Enteignungs- und Konfiskationsrechts (Zürich 1959) 122, unvollständig wiedergegebene und sonst wohl nirgends veröffentlichte Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 17. 5. 1956 i. S. Rakosi Matyas gegen Weiss gehören. Der Auszug ist jedoch so ungenügend, daß ein sicherer Schluß nicht möglich ist. Das Urteil des Appellationsgerichts Basel-Stadt 7. 3. 1958, A WD 1958, 130, betrifft keine Kommanditgesellschaft und gehört deshalb nicht hierher. 82 BGHZ 32, 256 (7. ZS) = NJW 1960, 1569 (mit Anm. von Mann, NJW 1960, 2141, und Kübel, NJW 1961, 24) = JZ 1961, 703 mit Anm. von SeidlHohenveldern; zu diesem Urteil auch Czapski, Die Rechtsprechung des BGH zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten an niederländischen juristischen Personen: NJW 1961, 1291 f. Ferner das Urteil des 2. ZS vom 23. 1. 1961, WM 15 (1961) 347. Ob man in diesen Fällen wirklich von Konfiskation sprechen konnte, ist ungewiß. Vgl. Mann, Zum Privatrecht der deutschen Reparationsleistung (1962) 5 ff. 83 In dem Fall BGHZ 32, 256 war die Klägerin allerdings eine schweizerische Gesellschaft, die der holländischen Gesellschaft vollständig gehörte und ihre eigene Forderung geltend machte. Das Problem wird durch diese Gestaltung der Sachlage nicht geändert, sondern nur verschärft. 84 BGHZ 32, 256 (261). ss WM 15 (1961) 347. 86 Da rüber Mann (oben Anm. 82). Vgl. die kanadische Entscheidung Brown, Gow, Wilson v. Beleggings-Societeit N. V. (1961), 0. R. 815. 87 Zur Literatur s. unten Anm. 99 und 100.
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und wägende Zurückhaltung notwendig, bevor Lösungsvorschläge als sachgemäß akzeptiert werden können. Man darf nie außer acht lassen, daß es sich um einen Fall handelt, in dem die rechtliche Identität der juristischen Person durch den Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte sich nicht geändert hat, daß demgemäß die rechtliche Zugehörigkeit ihres Vermögens sowie ihrer Verbindlichkeiten sich nicht verschiebt und deshalb die Interessen sowohl der Gesellschaftsgläubiger als auch der Gesellschaftsschuldner besonderer Fürsorge bedürfen, bevor man ausspricht, daß der Gesellschaft gehörige Vermögenswerte ihr entzogen sind. Wo der Staat das Vermögen der juristischen Person auf sich überträgt, mag es sein, daß auch die Gläubiger ihre Rechte verlieren und enteignet werden- wie dies bei der Nationalisierung der russischen Versicherungsgesellschaften der Fall war - oder daß die Gläubiger Rechte gegen den Staat oder das von ihm geschaffene Organ erwerben - wie das bei russischen Bankaktiengesellschaften geschah - oder daß sonst für sie Vorsorge getroffen wird. Bei einer Enteignung sämtlicher Mitgliedschaftsrechte besteht dafür kein Anlaß. Die juristische Person besteht und haftet den Gläubigern. Diese dürfen nicht außerhalb des konfiszierenden Staates dadurch enteignet werden, daß der juristischen Person ihr Vermögen von Aktionären entzogen wird. Diesen Gesichtspunkten wird nicht Rechnung getragen, wenn man die Begründung lediglich im Territorialitätsprinzip sucht und aus diesem ableitet, daß von der verstaatlichten juristischen Person ihr Vermögen "nicht in Anspruch genommen werden könne". Im Rechtssinn ist die Zugehörigkeit des Vermögens der juristischen Person nicht berührt worden. Als Rechtsprinzip kommt das Territorialprinzip deshalb nicht zum Zug; es würde nur dann zum Zug kommen, wenn das ausländische Recht zum mindesten den Versuch unternommen hätte einen Vermögenswechsel im Inland herbeizuführen. Es ist gewiß richtig daß, so wie der Kauf sämtlicher Mitgliedschaftsrechte nach feststehender Rechtsprechung den Kauf des von der juristischen Person betriebenen Unternehmens darstellt, auch die Enteignung sämtlicher Mitgliedschaftsrechte wirtschaftlich die Übertragung des Unternehmens bewirkt88 • Das ist ein Gedanke, der die Beziehungen zwischen Anteilseigner und Staat, das Verhältnis inter partes erklären und zum Beweis dafür angeführt werden kann, daß der Staat keinen Anspruch auf das Auslandsvermögen hat. Aber gegenüber Dritten, insbesondere ss Auf diese Analogie verweist mit Recht BGHZ 20, 4 (13). Vgl. im allgemeinen Staudinger(-Ostler), BGBll II/2 (1955) § 433 Anm. 31. Der Gedanke dieser Rechtsprechung ist maßgebend für die Darstellung des Textes: die Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte hat den wirtschaftlichen Erfolg, daß dem Staat die Verfügung über das Unter nehmen verschafft wird.
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gegenüber Gläubigern, hätte dieser Gedanke nur dann Durchschlagskraft, wenn der enteignete Anteilseigner auch die Pflichten des Unternehmers hätte, also den Gläubigern unbeschränkt und selbst dann haftete, wenn Vermögen außerhalb des konfiszierenden Staates überhaupt nicht vorhanden ist. Das ist ein Ergebnis, das in manchen Fällen nicht minder unerwünscht wäre. Mit dem Territorialprinzip allein ist es also nicht getan. Die Ähnlichkeit der Tatbestände darf nicht über ihre Verschiedenartigkeit hinwegtäuschen. Man kann getrost dem Staat den Zugriff auf das Auslandsvermögen des Einzelunternehmers versagen, weil der letztere in jedem Fall den Gläubigern haftbar bleibt. Aber die Anwendung des Territorialprinzips in einem Fall, in dem sich rechtlich die Vermögenszugehörigkeit gar nicht geändert hat, vermag nicht an die wahren Probleme heranzuführen. Wie der Bundesgerichtshof sich ausgedrückt hat, "über die Rechtsform der juristischen Person darf nicht leichtfertig oder schrankenlos hinweggegangen werden"s9. Vielmehr sollte der ausländischen juristischen Person nach der Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte die Geltendmachung von Ansprüchen im Inland insoweit versagt sein, als sie im Grunde und der Sache nach die Ausübung von Hoheitsgewalt, die Verfolgung öffentlichrechtlicher Ansprüche, einen Bestandteil oder ein Glied in der Kette der Konfiskationsmaßnahmen darstellt90 , die Gesellschaft in Wahrheit Staatsorgan ist. Genauso wie der ausländische Staat im Inland keine Straf- oder Steueransprüche geltend machen kann, so kann er auch keine Konfiskationsmaßnahmen ergreifen, selbst wenn er sich dazu einer Klage vor den ordentlichen Gerichten bedienen will. Man würde der dogmatischen Begründung kein Gewicht beizulegen haben, wenn sie nicht praktische Folgen haben könnte. Zunächst würde der Satz, daß von der verstaatlichten juristischen Person ihr inländisches Vermögen "nicht in Anspruch genommen werden könne", wohl dazu führen, daß der Schuldner der juristischen Person nicht mehr mit befreiender Wirkung an sie leisten könnte. Das wäre im Normalfall eine unannehmbare Folge; denn wo ihm ein Gläubigerwechsel nicht bekannt ist, muß der Schuldner an seinen ursprünglichen Gläubiger leisten können. Wenn allerdings das enteignete Mitglied91 dieser Zahlung widerspricht und dann im Widerstreit mit ihm die juristische Person ihren Anspruch aufrechterhält, su BGHZ 20, 4 (11).
Zu diesem Prinzip grundsätzlich unten S. 201; Dicey 162. 91 Die vorläufige Benutzung dieses Ausdrucks sei der Einfachheit halber gestattet. Die Frage, wer wirklich und positiv widersprechen und als neuer Gläubiger auftreten kann, wird weiter unten zu behandeln sein. 90
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dann kann darin, nicht in dem an den Schuldner gerichteten Zahlungsverlangen, die unzulässige Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs liegen. Ob eine solche unzulässige Geltendmachung vorliegt, hängt davon ab, zu wessen Gunsten sie erfolgt; auch über diesen Gesichtspunkt würde das Territorialprinzip wohl nichts auszusagen vermögen oder, was noch gefährlicher wäre, gar hinweggehen. Man nehme an, die in den Niederlanden verstaatlichte juristische Person habe dort kein Aktivvermögen, wohl aber niederländische und schweizerische Warengläubiger, zu deren Befriedigung sie das in der Bundesrepublik belegene Vermögen benötigt. In diesem Fall steht dieses ihr zu, weil die Geltendmachung keine Konfiskationsmaßnahme darstellt. Jedes andere Ergebnis wäre unannehmbar, zumal man in keinem Fall dazu kommen darf, daß der Gläubiger in einem anderen Land Rechtsschutz suchen muß, man ihn also nicht zu einer Klage in Deutschland statt in Holland zwingen darf. Und wenn nur ein Teil des in Deutschland belegenen Vermögens zur Befriedigung privater Gläubiger erforderlich ist, dann muß das deutsche Vermögen in Höhe dieses Teils zur Verfügung stehen92. Man denke ferner an den Fall, in dem der ausländische Staat die von ihm konfiszierten Aktien weiterverkauft und nunmehr die reorganisierte Gesellschaft Ansprüche auf inländisches Vermögen erhebt; das ist besonders leicht denkbar in Fällen, in denen der ausländische Staat die Aktien ursprünglich zu Strafzwecken eingezogen oder im Wege der Zwangsvollstreckung für Steueransprüche erworben hat. Wenn hier die juristische Person Ansprüche in Deutschland erhebt, so würde das Territorialprinzip, wenn es überhaupt den Fall zu treffen vermag, ihr dieses Recht vermutlich verweigern. Aber trotz vieler Zweifel sollte es ihr wahrscheinlich zustehen, weil von einer Verletzung deutscher Hoheitsgewalt nicht (mehr) gesprochen werden kann. Ebenso zweifelhaft ist schließlich die Frage, ob die verstaatlichte ausländische Gesellschaft, die in den Besitz ihres inländischen Vermögens gekommen ist, dieses an das enteignete Mitglied herauszugeben verpflichtet ist. Was immer die Stellung der juristischen Person gegenüber Dritten sein mag, inter partes, d. h. im Verhältnis zum enteigneten Mitglied, hat sie kein Recht auf das inländische Vermögen, soweit dieses nicht für Gläubiger benötigt wird. Dem enteigneten Mitglied sollte deshalb wohl ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zugesprochen werden. Man kann also nicht sagen, daß durch die Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte die ausländische juristische Person mit Notwendig92
Unten S. 213.
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keit ihr inländisches Vermögen verliert. Sie ist lediglich daran gehindert, dieses Vermögen insoweit für sich in Anspruch zu nehmen, als im konkreten Fall die Geltendmachung ausschließlich der Bereicherung des ausländischen Staates dient und im Widerstreit mit dem wahren Berechtigten erfolgt. 2. Das führt zu der Frage, wer dieser wahre Berechtigte ist, wem das inländische Vermögen zusteht, dessen sich die ausländische juristische Person nicht bemächtigen kann. Das ist vielfach eine verhältnismäßig unwichtige Frage der juristischen Technik, wobei es aber doch darauf ankommt, berechtigte Interessen zu schützen und traditionellen Boden nicht zu verlassen. Die ausländische Praxis enthält keine sicheren Hinweise auf eine positive Lösung. Die erwähnte amerikanische Entscheidung93 führt deshalb nicht weiter, weil es sich um eine ungarische offene Handelsgesellschaft handelte, die nach ungarischem Recht zwar eine juristische Person war, aber eben doch aus vier, sämtlich als Kläger erschienenen Personalgesellschaftern bestand. Der vom Bezirksgericht Zürich entschiedene Fall spricht die Forderung der in Holland verstaatlichten N. V. der Gesellschaft in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung als einer selbständigen Person zu, ohne sich über die Rechtsgrundlage dieses seltsamen Gebildes auszulassen94 • Im allgemeinen wäre wohl aus den bereits erwähnten Gründen95 nach deutschem Recht die empfehlenswerte Lösung in der Bestellung eines Liquidators oder Pflegers zu finden96 , und so will man auch in Österreich und der Schweiz97 sowie für den Regelfall in New York98 vorgehen. Dadurch würden die richterliche Überwachung der Abwicklung und damit die Berücksichtigung berechtigter Interessen Dritter gewährleistet. Zwack v. Kraus Bros. & Co. (oben Anm. 80). Bezirksgericht Zürich (oben Anm. 81). Vgl. auch das Urteil des dänischen Ostre Landsret 22. 9. 1955 (oben Anm. 79). - Es ist vielleicht nicht ohne Interesse festzustellen, daß, als Ägypten die Suezkanal-Gesellschaft nationalisierte, Frankreich nicht etwa das Bestehen einer Spaltgesellschaft annahm, sondern ein Gesetz vom 1. 6. 1957 (J. 0. vom 4. 6. 1957, S. 5571) erließ, auf Grund dessen die Gesellschaft weiterhin französischem Recht unterworfen wurde, "sans pouvoir etre affectee par les dispositions d'une loi etrangere". 95 Oben S. 136. 96 Wahrscheinlich nach § 1913 BGB; ebenso Schmidt § 5 Anm. 10. 97 Für Österreich Wahle (oben N. 58) 573 und OHG 3. 2. 1954, Rev. crit. 45 (1956) 258. Für die Schweiz s. Schnitzer II 615. 98 Kuerschner & Rauchwarenfabrik v. New York Trust Co., 126 F . Supp. 684, 689 (1955), wo die Einsetzung eines "Receiver" nach s. 977-b des Civil Practice Act von New York empfohlen wird. Ob in England eine Liquidation des Vermögens der verstaatlichten Gesellschaft auf Grund der in Anm. 67 erwähnten Bestimmungen erfolgen könnte, ist höchst zweifelhaft. Man kann nur sagen, daß die Frage bejaht werden sollte. 93
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Dagegen sollte man die neuerdings in Deutschland erfundene, sonst aber nirgends vertretene Lösung ablehnen, nach der im Fall der Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte an einer ausländischen juristischen Person in Deutschland eine "Spaltgesellschaft" entsteht (sogenannte gemäßigte Spaltungstheorie)99 ; denn sie gefährdet den Rechtsverkehr, und weder ihre Begründung noch ihre Durchführung hält juristischer Analyse stand 1oo. 99 So vor allem der BGH (7. ZS), BGHZ 33, 195, dem eine Reihe von Schriftstellern den Weg geebnet hatten, die im wesentlichen in BGHZ 32, 260 f. zusammengefallt sind; vgl. auch bereits BGH (2. ZS), BGHZ 20, 4 (13 ff.). Ferner BAG 28. 10. 1958, Arbeitsrechtliche Praxis (1-R), IPR Nr. 2, mit Anm. von Beitzke. Die deutsche Literatur geht im wesentlichen zurück auf den Aufsatz von Hans Lewald, Zur one man company als Mittel der Nationalisierung von Aktiengesellschaften im internationalen Privatrecht: JBI. 74 (1952) 238 ff. Seitdem hat sich eine ausgedehnte Literatur entwickelt; s. Beitzke, JZ 1956, 673 ff.; Ficker, Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts (1952) 155 ff.; Kegel, Probleme 32 ff. und Vorb. 442 vor Art. 7 EGBGB; Walter Lewald, NJW 1958, 281 ff. (gegen ihn Seidl-Hohenveldern, Gegen die Verketzerung der Spaltungstheorie: AWD 4 [1958] 66 ff. mit weiteren Entgegnungen von Lewald, ebd. 86 ff., und Seidl-Hohenveldern, ebd. 122 ff.; vgl. das oben Anm. 19 zu dieser Kontroverse Gesagte); Lieberknecht, Die Enteignung deutscher Mitgliedschaftsrechte an ausländischen Gesellschaften mit in Deutschland belegenem Vermögen: NJW 1958, 571 ff., 931 ff.; Serick, Zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten: JZ 1956, 198 ff.; ferner insbesondere Seidl-Hohenveldern in unzähligen Veröffentlichungen, von denen vielleicht die Abhandlung Völkerrechtswidrige staatliche Eigentumseingriffe und deren Folgen: Friedens-Warte 53 (1955- 56) 1 ff. (19 ff.) repräsentativ ist. Vgl. auch Anm. 119. Die Literatur leidet z. T . daran, daß sie es unklar läßt, ob von der Konfiskation sämtlicher oder der Konfiskation einzelner Mitgliedschaftsrechte und ob von dem materiell bedeutsamen Recht der verstaatlichten juristischen Person oder dem nur für den Techniker wichtigen Recht der Spaltgesellschaft auf das deutsche Vermögen die Rede ist. Eine ausgezeichnete Darstellung findet sich jedoch bei Schmidt § 5 Anm. 8, 10- 12, dem in allem wesentlichen zu folgen ist, wenn auch vielleicht einige Äußerungen, wie die Betonung des Mißbrauchs, in der Formulierung Zweifel erwecken. too Die außerdeutsche Literatur hat sich nur in geringem Umfang geäußert. In der Schweiz würde Niederer, Schweiz. Jb. Int. R. 11 (1954) 102, der verstaatlichten ungarischen AG den ordre public entgegenhalten. Schnitzer li 611 bezeichnet die Annahme, daß sich das Aktienrecht überall dort befinde, wo Aktiven liegen, mit Recht als "eine Konstruktion ohne zureichende Rechtsgrundlage", hält aber ebenfalls mit Recht die Liquidation des in der Schweiz liegenden Sondervermögens für angebracht (S. 616). Die Behandlung des ausländischen Materials durch die bisher vorliegende Literatur verlangt einige Richtigstellungen. Denn gerade hier macht sich das Fehlen der in der vorigen Note erwähnten Unterscheidungen bemer kbar, und drei unbestreitbare Tatsachen sind deshalb nicht zum Ausdruck gebracht worden. Es gibt kein ausländisches Material, das sich auf einen anderen Fall als den der Konfiskation sämtlicher Mitgliedschaftsrechte bezieht. Es gibt ferner kein ausländisches Material, das die Behauptung stützt, daß Mitgliedschaftsrechte am Ort des Gesellschaftsvermögens belegen sind. Und es gibt kein ausländisches Material, das bei Enteignung sämtlicher oder einiger Mitgliedschaftsrechte die Schaffung einer Spaltgesellschaft im deutschen Sinn darzutun geeignet ist. - Ferner muß man sich mit Entschiedenheit gegen die Entstellung d es ausländischen Materials w enden, deren sich vor allem Seidl-Hohenveldern schuldig macht und die immer wieder zu zeitraubender, aber
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a) Der 7. Zivilsenat hat das Ergebnis mit der Bemerkung begründet, "eine befriedigende Lösung" könne anders nicht gefunden werden. Warum die Bestellung eines Pflegers und die Abwicklung unter gerichtlicher Aufsicht unbefriedigend sein soll, wird nicht erklärt und unfruchtbarer Arbeit zwingt. Dafür seien einige Beispiele gegeben: 1. In Jb. Int. R. 6 (1956) 268 f. beruft sich Seidl-Hohenveldern für seine Spalttheorie auf die Entscheidung des Schweiz. BG i. S. Ammon g. Royal Dutch (BGE 80 [1954] II 53). Da Ammon kein Wertpapierbereinigungsverfahren durchgeführt hatte, wurde er von der Royal Dutch nicht als Aktionär anerkannt. Er klagte deshalb mit der Behauptung, Aktionär zu sein, auf Auszahlung der aufgelaufenen Dividende und Schadenersatz wegen widerrechtlicher Vorenthaltung gültiger Aktienurkunden. Die Klage wurde abgewiesen. Dabei erklärte das Gericht, daß das holländische Wertpapierbereinigungsverfahren nicht gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstoße. Nach Seidl-Hohenveldern erklärte das BG, "daß es bereit gewesen wäre, die Rechte Ammons ... zu schützen, wenn es sich nicht um Rückerstattung, sondern um einen konfiskatorischen Eingriff gehandelt hätte". Abgesehen davon, daß der Fall mit Rückerstattung nichts zu tun hatte, hätte der ordre public doch nur dazu geführt, daß Ammon als Aktionär anerkannt worden wäre und deshalb die beiden erwähnten obligatorischen Ansprüche gehabt hätte, die sich, wie das Gericht feststellte (S. 59) aus dem Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft ergeben hätten. Wie man daraus entnehmen kann, daß das Gericht Ammon eine anteilsmäßige Beteiligung am schweizerischen Vermögen der Royal Dutch zugesprochen hätte, ist unbegreiflich. - 2. a.a.O., 265 beruft sich Seidl-Hohenveldern auf den oben Anm. 26 erwähnten englischen Fall Woronin v. Huth & Co. (1945 -1946), 79 LI. L. Rep. 262, und behauptet, es sei dort strittig gewesen, ob "die Aktionäre" einer als bestehend geltenden russischen Gesellschaft "ihre Verfügungsgewalt über das englische Vermögen der AG verloren hätten", da durch VO vom 4. 3.1919 auch die Aktien konfisziert worden waren. "Das Gericht verweigerte diesem Dekret mit Recht extraterritoriale Wirkung." Wieder wird der Eindruck erweckt, als sei dem enteigneten Aktionär "Verfügungsgewalt" über das englische Vermögen zuerkannt worden. In Wahrheit waren zwar die meisten der etwa 6000 Inhaberaktien in Rußland bei Banken deponiert, aber die Depotscheine waren in England, und nach dem Gesellschaftsvertrag galten sie als Eigentumsbeweis und vermittelten das Stimmrecht (a.a.O., 264). Sodann erklärte der Richter auf S. 267 ausdrücklich, daß er nicht festeilen könne, daß "the decree of March, 1919, had destroyed or confiscated those shares". Nach seiner Meinung waren die Altaktionäre also nach wie vor Aktionäre, und die Frage einer extraterritorialen Wirkung der VO konnte nicht auftauchen. - 3. In Clunet 83 (1956) 428 bei N. 59, in Am. J. Comp. L. 4 (1955) 243 und anderwärts führt Seidl-Hohenveldern (wie übrigens auch Beitzke, JZ 1956, 677) die Entscheidung Comm. Bruxelles (oben Amn. 61) als Beweis dafür an, daß eine durch die Konfiskation sämtlicher Aktienrechte verstaatlichte ungarische Aktiengesellschaft keinen Anspruch auf ihr Auslandsvermögen habe. In Wahrheit behandelt das Gericht die ungarische Gesellschaft als eine "societe dissoute" (S. 94), also als eine vernichtete Gesellschaft, und ordnet ihre Liquidation in Belgien an. Die Entscheidung beweist also nichts für die hier zur Debatte stehende Frage.- 4. In Friedens-Warte 53 (1955- 56) 20 N. 90 glaubt Seidl-Hohenveldern sich zur Unterstützung seiner Ansichten u. a. auf Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des IPRl (1954) 180, und auf van Hecke, Int. L. Q. 4 (1951) 354, berufen zu können. Keines der beiden Zitate beweist die Behauptung. Insbesander van Hecke befaßt sich mit der Immunität und erklärt sogar: "The (Hungarian) company continues in existence as a separate legal entity and the shareholders have therefore no direct title to the company's assets" (a.a.O., 356). - Die Beispiele ließen sich um ein Vielfaches vermehren. 10 Mann
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ist nicht einzusehen. Im übrigen beruht die gemäßigte Spaltungstheorie auf der Meinung, Mitgliedschaftsrechte seien für Konfiskationszwecke überall dort belegen, wo sich Vermögenswerte der Gesellschaft befinden. Auf dieses Fundament wird dann, wie es scheint, die Schlußfolgerung gebaut, daß "deshalb" in allen Ländern, in denen Vermögen liegt und somit Mitgliedschaftsrechte bestehen, sich eine "Spaltgesellschaft" bilde. Die Voraussetzung, deren Existenz Seidl-Hohenveldern zum ersten Mal behauptet zu haben scheint, ist falsch, auch wenn der Bundesgerichtshof sie leider aufgenommen hatl 01 . Zunächst kann die Frage, welche Rechte am Gesellschaftsvermögen dem Mitglied zustehen, ausschließlich vom Personalstatut der Gesellschaft beantwortet werden; sie hat nichts mit der Belegenheit des Gesellschaftsvermögens und deshalb nichts mit der lex rei sitae zu tun. Ganz abgesehen von diesem nicht anzuzweifelnden kollisionsrechtlichen Gesichtspunkt ist die materiellrechtliche Regel ebenso einheitlich. Das Mitglied hat nach dem Recht aller Kulturstaaten keinerlei Recht am Vermögen der Gesellschaft (und es hat deshalb auch keinerlei Verpflichtung aus den Schulden der Gesellschaft); es hat nur einen Anspruch auf Auszahlung seines Anteils am Gewinn und am Liquidationserlös, und es hat ferner gewisse, in der Hauptversammlung auszuübende Verwaltungsrechte102. Die Belegenheit des Gesellschaftsvermögens kann deshalb k ein Maßstab für die Belegenheit von Mitgliedschaftsrechten sein. Im übrigen hat das Mitglied auch kein "Benutzungsrecht" am Gesellschaftsvermögen103 und kein "mittelbares vermögensrechtliches Interesse ... am Vermögen der juristischen Person" 104. Es ist schwerlich 1o1 Sowohl Seidt-Hohenvetdern selbst wie seine Anhänger sehen den Ursprung ihrer Irrlehre in den Bemerkungen in Enteignungsrecht S. 127 ff. Dort wird aber von dem Fall gehandelt, in dem ein ausländischer Staat dort belegene Aktien einer inländischen Gesellschaft konfisziert, - also von einem Fall, der völlig verschieden von dem im Text behandelten liegt. Dem konfiszierenden Staat wird nun das Aktienrecht an der inländischen Gesellschaft mit der Begründung versagt, er benötige die "Hilfe der Rechtsordnung des Landes, in dem Vermögenswerte der Gesellschaft liegen. Das Recht ist also dort belegen". Diese wenig präzise Bemerkung taucht nicht auf, wo der hier interessierende Fall besprochen wird, in dem im Ausland sämtliche Aktien einer ausländischen Gesellschaft konfisziert werden und diese alsdann hier Rechte geltend macht (a.a.O., 130). Vgl. jedoch schon Seidt-Hohenv etdern, Getarnte extraterritoriale Konfiskationsansprüche: JBl. 74 (1952) 410 ff. (411); zustimmend Kuhn 10 und Beitzke, JZ 1956, 675. 102 Diese Rechtslage ist so selbstverständlich geworden, daß sie keiner Belege bedarf. Immerhin sei bemerkt, daß die oben in Anm. 1 - 12 und unten in Anm. 105 genannten Entscheidungen einige wenige Beispiele für die absolut einhellige und unbestreitbare, zu einem allgemeinen Rechtsprinzip gewordene Praxis der Gerichte sind. 1oa Ein solches Recht behauptet Beitzke, JZ 1956, 674. 104 So jedoch Beitzke, a.a.O. Ähnlich Kuhn 8 ff., der "eine vermögensmäßige Beziehung des Anteilseigners zu dem außerhalb des Statutarlandes
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nötig oder auch nur am Platz, zu betonen, daß das Mitglied z. B. nicht Ersatz des der juristischen Person entstandenen Schadens verlangen kann105• Es ist ebenso unnötig, aber im Gedenken an den überragenden Juristen vielleicht doch nicht ohne Wert, sich an das zu erinnern, was Julius Flechtheim zu sagen hatte: "Da die AG selbständig ihre Rechte hat, können diese nicht gleichzeitig Rechte der Aktionäre sein. Die Aktionäre sind zwar wirtschaftlich am Vermögen der AG im ganzen und damit auch an den einzelnen Vermögensstücken beteiligt ... Aber rechtlich verkörpert sich diese Beteiligung in ihrer Mitgliedschaft im ganzen, der Aktie. An den einzelnen Vermögensgegenständen sind sie rechtlich nicht beteiligtlo6." Dabei ist die juristische Kuriosität zu verzeichnen, daß die Mitgliedschaft nur für Konfiskationszwecke am Ort des Gesellschaftsvermögens belegen sein soll. Die Rechtsgrundlage dieser Einschränkung ist unerklärlich. Es ist nicht zu begreifen, warum dieselbe Lehre nicht auch für Steuer-, Straf- oder Zwangsvollstreckungszwecke gelten sollte. Das würde allerdings zu Ergebnissen führen, die nur als erstaunlich bezeichnet werden könnten. So könnte z. B. Amerika auf den Gedanken kommen, beim Tode des Alleingesellschafters einer deutschen GmbH dessen "Mitgliedschaft" an dem in Amerika belegeneo Vermögen der GmbH der Erbschaftssteuer zu unterwerfen, - ein Gedanke, der auf Grund zahlreicher Entscheidungen des United States Supreme Court bisher mit Rücksicht auf den Charakter der juristischen Person abgelehnt worden ist107. belegeneo Vermögen" annimmt, und selbstverständlich Seidt-Hohenvetdern, der vom "Eigentum", von der "Verfügungsberechtigung", der "Verfügungsgewalt" des Mitglieds über das Vermögen der juristischen Person spricht (Nachweise bei W. Lewatd 281 Anm. 3 - 5). 10s Wäre das anders, so wäre die Stellung von Gläubigern der juristischen Person, die ohnehin nicht frei von Gefahren ist, völlig unterminiert. Wer die Rechte der Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen zu erweitern versucht, der sollte doch in erster Linie daran denken, daß dem eine Erweiterung der Rechte der Gläubiger entsprechen muß! Wie das geschehen könnte, ohne die für den Rechtsverkehr unentbehrliche Idee der juristischen Person "auszuhöhlen", ist unerfindlich. In England ist vom höchsten Gericht entschieden worden, daß der Alleinaktionär kein Interesse am Vermögen der Gesellschaft hat und es deshalb nicht gültig zu seinen eigenen Gunsten versichern kann: Macaura v. Northern Assurance Co. (1925), A. C. 619. Der Grund war, daß "no shareholder has any right to any item of property owned by the company, for he has no legal or equitable interest therein" (S. 626). In Amerika ist mit derselben Begründung oft entschieden worden, daß Aktionäre die der Aktiengesellschaft zustehenden Rechte nicht geltend machen können: Smith v. Hurd, 53 Mass. 371 (1847); Button v. Hoffman, 20 N. W. 667, 61 Wis. 20 (1884); Green v. Victor Tatking Co., 24 F. 2d 378 (1928). 106 Düringer-Hachenburg(-Ftechtheim), HGB3 III/1 (1934) § 210 Anm. 2. 107 Vgl. z. B. die denkwürdige Entscheidung Rhode Island Hospital Trust v. Doughton, 270 U. S. 69 (1925): North Carolina hatte behauptet, daß für Erbschaftssteuerzwecke die Aktien eines verstorbenen Aktionärs einer NewJersey-Gesellschaft, die zwei Drittel ihres Vermögens in North Carolina habe,
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Die auf die- falsche- Voraussetzung aufgebaute Schlußfolgerung ist überhaupt nicht zu verstehen. Wieso die Belegenheit von Mitgliedschaftsrechten am Ort des Gesellschaftsvermögens zur Entstehung einer Spaltgesellschaft führen muß oder auch nur kann, ist mit juristischer Logik nicht zu erfassen. Allerdings gibt es nichts, was sich nicht fingieren ließe. Wenn die Existenz einer Spaltgesellschaft kraft Fiktion behauptet wird, so entfällt jede Möglichkeit rechtlicher Argumentation; man kann dann nur noch fragen, ob eine solche Fiktion rechtspolitisch zweckmäßig wäre, und mit der von Walter Lewald empfohlenen Ironie feststellen, daß man die angebliche Fiktion der ausländischen juristischen Person beiseite schieben will, um die Fiktion der inländischen Spaltgesellschaft zu schaffen108. Die Weisheit des Reichsgerichts, das sich gegenüber der Vernichtung russischer Gesellschaften weigerte, eine "Rechtsfähigkeit kraft Daseins" anzunehmen, verdient den Vorzug109. b) Nach der gemäßigten Spalttheorie ist die Spaltgesellschaft eine von der verstaatlichten Gesellschaft "rechtlich verschiedene, selbständige juristische Person", dennoch aber die Trägerin des inländisehen Vermögens, insbesondere also rechts- und parteifähig110. Sie ist eine "neue Gesellschaft, die ihren Bestand als juristische Person ausschließlich dem inländischen Recht verdanken kann" und verdankt111. Sie scheint im Zeitpunkt der Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte zu entstehen, und zwar ungeachtet aller Vorschriften des deutschen Rechts ohne Gesellschaftsvertrag, ohne registerrichterliche Prüfung und Eintragung und ohne ein Grundkapital in deutscher Währung. Die Frage, wer ihre Mitglieder sind, darf nicht gestellt werden, weil sie unbeantwortbar ist; das gilt ganz besonders, wenn es sich um große Gesellschaften mit Inhaberaktien handelt, deren insoweit in North Carolina belegen seien, als der Anteil an dem dortigen Gesellschaftsvermögens in Frage stehe. Taft C. J. erklärte im Namen des Gerichts: "This is on the theory that the stockholder is the owner of the property of the corporation, and the state which has jurisdiction of any of the corporate property has pro tanto jurisdiction of his shares of stock. We cannot concur in this view. The owner of the shares of stock in a. company is not the owner of the corporation's property" (S. 81). 1os W. Lewatd 281, 284. 109 RGZ 129, 98 (106 f.). Man wird vielleicht erwidern, daß auch die New Yorker Gerichte die Existenz einer vernichteten russischen Gesellschaftkraft "public policy" fingiert haben; s. oben S. 130. Aber in unserer Fallgruppe besteht die ausländische Gesellschaft, sie bedarf keiner Fiktion, und es wird auch keineswegs ihre Existenz in der Bundesrepublik fingiert, was vielleicht doch als zu weitgehend angesehen wird. Vielmehr wird, wie sich sofort zeigen wird (s. den Text), die Existenz einer deutschen Spaltgesellschaft behauptet. 11o So BGH (7. ZS), BGHZ 33, 195 (199). nt Beitzke 34; dagegen nimmt das BAG (oben N. 99) eine nach ausländischem Recht bestehende Aktiengesellschaft an.
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Eigentümer nicht feststellbar sind, aber vielleicht z. T. mit der Konfiskation einverstanden sind. Deshalb ist nichts damit gewonnen, daß man behauptet, alle früheren Aktionäre seien Mitglieder der Spaltgesellschaft. Ebensowenig ist die Frage zu beantworten, welches Kapital die Spaltgesellschaft hat und in welcher Währung es ausgedrückt ist. Da nach der Natur der Sache jeder Rechtsakt fehlen muß, hat die Spaltgesellschaft das inländische Vermögen der verstaatlichten juristischen Person automatisch erworben112, so daß z. B. eine Berichtigung des Grundbuchs stattfinden könnte113 • "Gläubiger aus dem Enteignungsland" haben keinen Anspruch gegen die Spaltgesellschaft, sondern sind von dieser an die alte Gesellschaft zu "verweisen" 114• Die Fiktion, daß eine vernichtete ausländische Gesellschaft noch als solche fortbesteht, erscheint, wie unter III gezeigt wurde, bedenklich. Die Fiktion aber, daß eine bestehende ausländische Gesellschaft zugleich als uneingetragene und uneintragbare, dennoch werbende inländische Gesellschaft besteht, ist nicht zu rechtfertigen, wenn man sich daran erinnert, daß auch die verstaatlichte Gesellschaft am Rechtsund Wirtschaftsverkehr teilzunehmen in der Lage ist und dadurch eine untragbare Verwirrung eintreten kann. Dies würde natürlich noch mehr gelten, wenn man mit dem Bundesarbeitsgericht fingiert, daß die verstaatlichte ausländische Gesellschaft "in allen Ländern, in denen sie Vermögen hat, also noch in alter Form", also als ausländische Gesellschaft bestehend giltm. Die Erwähnung dieser bemerkenswerten Gedankengänge dürfte genügen. Auf juristischer Grundlage ist eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht möglich. Dabei ist erneut zu betonen, daß in dem hier zur Diskussion stehenden Fall die Spaltungstheorie lediglich eine im Grunde untergeordnete Frage der Technik betrifft. Aber gerade deshalb und angesichts der Tatsache, daß sie so leicht vermeidbar ist, 112 Dieser Gedanke liegt, auch wenn er unausgesprochen bleibt, der Entscheidung des BGH (vorletzte Anm.) zugrunde, weil eine Abtretung des eingeklagten Bankguthabens selbstverständlich nicht erfolgt war. 113 Vgl. dazu Beitzke 39, der sich dankenswerterweise als einziger das Verdienst erworben hat, den Aufbau und die Organisation der Spaltgesellschaft darzustellen. 114 Beitzke, a.a.O. Dagegen mit Recht auch Staudinger(-Weber), BGB11 II/1b (1961) § 242 Anm. C 164 (dort und in den Fußnoten auf S. 693 ff. findet sich übrigens - überraschenderweise - eine vollständige Zusammenstellung des Materials zu den Problemen der Konfiskation). Das BAG (oben Anm. 99) gestattet jedoch dem tschechoslowakischen Gläubiger der tschechoslowakischen Gesellschaft, gegen die in Deutschland fortbestehende Spaltgesellschaft vorzugehen, obwohl nach tschechoslowakischem Recht die Forderung in einem Zeitpunkt enteignet war, in dem auch der Gläubiger in der Tschechoslowakei ansässig war. 11s BAG (oben N. 99) mit Anm. von Beitzke, der sich gerade zu dem im Text hervorgehobenen Punkt äußert.
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sollte man, wie Walter Lewald und Walter Schmidt mit Recht betont haben, nicht "einen völligen Umbruch unseres Gesellschaftsrechts" heraufbeschwören, dessen "abenteuerliche Konsequenzen" nicht zu übersehen sind116.
V. Konfiskation eines Teils der MitgliedschaftsrechteKritik der "extremen Spaltungstheorie" Der Fall, daß weniger als alle (oder als fast alle) 117 Mitgliedschaftsrechte einer juristischen Person vom Sitzstaat enteignet werden, ist, wie z. B. der früher behandelte Fall der Enteignung einzelner Vermögensteile der juristischen Person, nur denkbar im Rahmen einer Privatrechtsordnung, die das Eigentum formell anerkennt. Er kommt deshalb nicht nur da vor, wo sich der staatliche Angriff gegen gewisses Eigentum als solches richtet, sondern auch und vor allem da, wo er sich gegen einen bestimmten Aktionär und sein Vermögen richtet. Das mag nicht nur auf Enteignung, sondern auch auf Einziehung im objektiven Verfahren, auf Beitreibungsmaßnahmen für Steuerzwecke oder ähnlichen Staatsakten des Sitzstaats beruhen und ist nicht nur im Fall von Namensaktien, sondern unter gewissen, noch darzustellenden Voraussetzungen auch bei Inhaberaktien möglich. Daß ein solcher gegen das Mitglied gerichteter Staatsakt des Auslands die Zugehörigkeit des im Inland belegenen Gesellschaftsvermögens beeinflussen könnte, ist ein Gedanke, der außerhalb Deutschlands überhaupt niemals und nirgends aufgetaucht ist. Auch in Deutschland ist er noch ganz jung, und die letzte Konsequenz wurde wohl zuerst im Jahre 1956 von Seidl-Hohenveldern gezogen, als er behauptete, daß "jeder Zugriff, der die Verfügungsberechtigung auch nur eines Aktionärs über das Auslandsvermögen der AG beeinträchtigt", wegen des angeblichen Verstoßes gegen das Territorialprinzip zu einer Spaltgesellschaft führe 118. Diese extreme Spaltungstheorie, 11s W. Lewald 284; Schmidt § 5 Anm. 12. 117 Im folgenden wird diese Einschränkung nicht mehr betont werden. Es ist jedoch klar, daß, wo nur 97 Prozent, vielleicht auch nur 88,5 v. H. aller Mitgliedschaftsrechte konfisziert werden, für die Zwecke des Rechts eine Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte vorliegen kann. Im einzelnen wird die Abgrenzung häufig Schwierigkeiten machen. Aber solche Gradunterschiede sind dem Juristen vertraut. Vgl. auch unten Anm. 126 und Löscher in BGB-RGRK11 1/2 (1960) § 419 Anm. 14: Übernahme des Vermögens kann auch vorliegen, wenn nicht das gesamte Vermögen übernommen wird. us Seidl-Hohenveldern, Jb. Int. R. 6 (1956) 264. Kegel, Vorb. 442 vor Art. 7 EGBGB, glaubt, das Absurde dieses Ergebnisses mit der Behauptung aus der Welt schaffen zu können : "der Satz ,minima non curat praetor' verwirklicht sich von selbst." Aber gerade der Kleinstaktionär, der das Armenrecht erhält, kann die größte Unsicherheit im Rechtsverkehr schaffen.
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d. h. die Lehre, daß auch im Fall einer Konfiskation nur eines Teils der Mitgliedschaftsrechte eine Spaltgesellschaft entsteht, wird zwar neuerdings von einigen Schriftstellern vertreten119, hat aber bisher in der Rechtsprechung keinerlei Anklang gefunden. Sie ist abzulehnen. Die gemäßigte Spaltungstheorie war hauptsächlich wegen ihrer unannehmbaren Methode zu verwerfen. Aber sie gilt der Lösung eines echten Problems und einem rechtspolitisch letzten Endes erwünschten, ja zuweilen notwendigen Ergebnis. Da wenigstens in den meisten Fällen die durch Konfiskation von Aktien verstaatlichte Gesellschaft ebensowenig in den Genuß ihres Inlandsvermögens kommen soll wie die durch Vernichtung oder durch Konfiskation ihres Vermögens verstaatlichte Gesellschaft, war ein Weg zu finden, der dieses Inlandsvermögen dem Zugriff des ausländischen Staats entzieht. Hier aber liegen die Dinge anders.
1. Wo der Einzelaktionär 120 sein Mitgliedschaftsrecht durch Staatsakt des Sitzstaates verliert, entfällt bereits die Erwägung, daß auch nur in wirtschaftlichem Sinn dem bisherigen ausländischen Vermögensinhaber das Recht auf sein Inlandsvermögen entzogen wird. Die Vermögenszugehörigkeit hat sich überhaupt nicht geändert. Der Zugriff des Staates erfaßt das Mitgliedschaftsrecht des Einzelaktionärs. Da dieser aber nicht Alleinaktionär ist, erfaßt der Zugriff auch im materiellen Sinn nicht das Vermögen der juristischen Person. Nirgends ist das klarer zum Ausdruck gebracht worden als von dem OLG Düsseldorf im Aku-Fall: Für die gebietsmäßige Abgrenzung von Hoheitsakten ist die Entziehung einzelner Aktienrechte einer Enteignung von Vermögen der Gesellschaft keineswegs gleichzuachten. Eine solche Betrachtungsweise würde das Wesen der juristischen Person völlig außer acht lassen und ist rechtlich nicht zu vertreten121. " Das Territorialprinzip kommt im Inland überhaupt nicht zum Zug. Denn die im Konfiskationsstaat erfolgte Änderung in der Zugehörigkeit des einzelnen Mitgliedschaftsrechts würde im Inland nur dann eine Rechtsänderung zur Folge haben, wenn das einzelne Mitglied Rechte am inländischen Vermögen der juristischen Person hätte. Das ist aber gerade nicht der Fall. Ebensowenig kommt der Gedanke in Betracht, daß nach der Konfiskation des Mitgliedschaftsrechts die juristische Person im Inland unzulässigerweise einen öffentlich-recht119 Hierher gehören nur diejenigen Schriftsteller, die ausdrücklich die Spaltungstheorie anwenden wollen, wenn auch nur ein Teil der Aktien beschlagnahmt wird, also z. B. Kegel, Probleme 33, Beitzke, JZ 1956, 673, wahrscheinlich auch Kulm 9 f. und Ficker (oben Anm. 99). 12o Mit diesem Ausdruck wird im folgenden der Aktionär bezeichnet, der nur Teile des Aktienkapitals besitzt, also nicht Alleinaktionär ist. 121 OLG Düsseldorf 18. 3. 1954, IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 11 (S. 43).
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liehen Anspruch geltend macht, wenn sie Anspruch auf ihr Vermögen erhebt. Die juristische Person handelt in ihrem eigenen Interesse, nicht etwa zwecks Bereicherung des Staates, und kraft eigenen Entschlusses, nicht etwa als Organ des Staates zum Zweck der Durchführung einer Konfiskation. Es besteht eben im Verbandsrecht ein Unterschied zwischen der Einmanngesellschaft und der Gesellschaft, die mehrere Aktionäre hat. Im ersten Fall ist es in gewissen Zusammenhängen wirtschaftlich nötig und rechtlich vertretbar, das Vermögen der Gesellschaft und das Vermögen des Mitglieds gleichzusetzen. Im letzten Fall besteht diese Möglichkeit nicht. Der quantitative Unterschied involviert den qualitativen Unterschied. So hat das Reichsgericht mit Recht entschieden, daß die Rechtsprechung, nach der es sich beim Kauf sämtlicher Aktien um den Kauf eines Unternehmens, nicht um den Kauf von Aktienrechten handelt122, nicht zur Anwendung kommen kann, wenn z. B. nur 75 Prozent der Aktien, gekauft werden123• Hier werden Aktien, hier wird nicht ein Unternehmen verkauft. Dem hat beinahe das gesamte Schrifttum124, darunter auch Kuhn 125 zugestimmt. So steht es ferner fest, daß, wenn jemand ein Grundstück an eine Aktiengesellschaft veräußert, deren Alleinaktionär er ist, ein Verkehrsgeschäft nicht vorliegt und § 892 BGB nicht zur Anwendung kommen kann. Wenn dagegen die Veräußerung an eine Aktiengesellschaft vorgenommen wird, an der der Aktionär nur mit 75 v.H. beteiligt ist, so liegt ein Verkehrsgeschäft vor126 • Es ist derselbe Unterschied, der es dem Einzelaktionär versagt, die Erstreckung einer ausländischen Konfiskationsmaßnahme auf das inländische Vermögen einer ausländischen juristischen Person sowie die inländische Konfiskation des inländischen Vermögens einer ausländischen Gesellschaft in Höhe seines Anteils zu verhindern127• Der Einzelaktionär hat keinerlei Rechte am Gesellschaftsvermögen. Was zu dieser Frage in anderen Zusammenhängen, vor allem aber im Vgl. bereits oben S. 140. RG 3. 1. 1944, DR 1944, 485. 124 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948) 188, dessen treffende Formulierung dem obigen Text zugrunde liegt und auch von Staudinger(-Ostler) (oben Anm. 88) übernommen ist. Dort auch weitere Nachweise. 125 Kuhn in BGB-RGRKH II/1 (1959) § 459 Anm. 16. 126 Vor allem RG 8. 2. 1930, JW 1930, 3740, betr. einen Fall, in dem der Veräußerer 75 Prozent der Geschäftsanteile der erwerbenden GmbH besaß, und 20. 12. 1930, HRR 1931 Nr. 591, wonach ein Verkehrsgeschäft selbst dann vorliegt, wenn der Veräußerer 90 v. H. der Geschäftsanteile als Gegenleistung erhält. Weiteres Material bei Staudinger(-Seufert), BGB11 III/1 (1956) § 892 Anm. 22 b, der ebenso wie z. B. Wolff-Raiser, SachenrechtiO (1957) 145 bei N. 20, der Unterscheidung zustimmt. 121 s. oben zu I und li. 122 123
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Zusammenhang mit der Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte ausgeführt worden ist128, gilt hier a fortiori. Man mag in gewissen Fällen und in vorsichtig umschriebenem Umfang die Gesamtheit der Gesellschafter als Inhaber des Gesellschaftsunternehmens (nicht etwa nur des Vermögens) ansehen. Aber der Gedanke, daß einzelne Gesellschafter einen Anteil am Gesellschaftsvermögen oder gar an Teilen des Gesellschaftsvermögens oder am Gesellschaftsunternehmen haben könnten, steht außerhalb jeder Rechtsordnung. Er ist so abwegig, daß er sich einer Diskussion entzieht. Oder wie man in Anlehnung an Walter Schmidt sagen darf: mittels des Territorialprinzips "kann nicht die übrige Rechtsordnung über den Haufen geworfen" werden129• Es ist deshalb auch nicht überraschend, daß bisher niemand eine Begründung dafür gefunden hat, die nicht lediglich eine apodiktische Behauptung wäre. Das gilt auch von Seidl-Hohenveldern, der als wesentliches, vielleicht einziges Argument vorbringt, die Konfiskation einzelner Mitgliedschaftsrechte müsse "konsequenterweise" ebenso behandelt werden wie die Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte130 • Hier wird versucht, aus der Ausnahme die Regel zu machen. Hätte man nicht zuvor festgestellt, daß es für die Rechte des konfiszierenden Staates im allgemeinen nicht darauf ankomme, ob er als Form der Verstaatlichung die Übertragung aller Mitgliedschaftsrechte oder die Vernichtung der Gesellschaft und die Übertragung ihres Vermögens wählt, so wäre wohl der Gedanke gar nicht möglich gewesen, daß die Konfiskation eines Teils der Mitgliedschaftsrechte ebenso zu behandeln wäre wie die Konfiskation der Gesellschaft selbst oder daß eine Ausnahme, die für die Einmanngesellschaft gilt, auch für die Tausendmanngesellschaft gelten könnte. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Gedankengänge Kegels hingewiesen werden131 • Er geht von der staatlichen Macht aus. Die Enteignung von Mitgliedschaftsrechten als Machtakt wirke immer für das im enteignenden Staat belegene Gesellschaftsvermögen, dagegen nie für das in einem anderen Staat belegene Gesellschaftsvermögen. Kegel würde wohl die Konfiskation in den oben (S. 121 ff.) besprochenen Fällen anerkennen, aber in dem hier zur Debatte stehenden Fall ablehnen und somit Macht vor Recht gehen lassen. Es fällt schwer zu glauben, daß ein Gelehrter wie Kegel, der dem "Interesse des Rechtsfriedens" und dem "Interesse an der internationalen Ordnung" zu dienen bestrebt ist132, Ergebnisse billigt, die mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren sind. 128 129 130 131 132
Oben S. 145.
Schmidt § 5 Anm. 11. Seidl-Hohenveldern, A WD 4 (1958) 66. Kegel, Probleme 33, und Vorb. 442 vor Art. 7 EGBGB. Kegel, Probleme 8 f.
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2. Selbst wenn man annehmen wollte, daß dem Einzelaktionär Rechte am Inlandsvermögen einer ausländischen juristischen Person zustehen, so wäre die extreme Spaltungstheorie wegen ihrer unannehmbaren Folgen abzulehnen. Nach der Meinung ihrer Anhänger führt, wie es scheint, die Enteignung auch nur einer einzigen Aktie oder jedenfalls einer Minderheit des Aktienkapitals durch den Sitzstaat dazu, daß die ausländische Aktiengesellschaft nicht etwa nur einen proportionalen Teil, sondern ihr gesamtes inländisches Vermögen verliert und dieses auf eine inländische Spaltgesellschaft übergeht. Zu dieser Spaltgesellschaft sollen zwar theoretisch alle diejenigen als Mitglieder gehören, die vor dem kontiskatarischen Eingriff Mitglieder waren133 ; praktisch aber ist es - wenigstens bei großen Gesellschaften und Inhaberaktien ·- nicht nur unmöglich, deren Identität festzustellen und Nacherwerber zu übergehen, sondern die nicht von der Enteignung betroffenen Mitglieder werden sich auch weigern und sollten keinesfalls dazu gezwungen werden, Aktionäre einer deutschen Spaltgesellschaft zu werden und somit Rechte und Pflichten zu erwerben, die möglicherweise in weitem Umfang verschieden sind. Dabei fällt besonders ins Gewicht, daß es sich um eine werbende Gesellschaft handeln würde, die gerichtlicher Überwachung sowohl bei der Entstehung wie bei der Geschäftsführung entzogen ist. Die Verantwortung für solche Ergebnisse, die eine ausländische juristische Person, ihre Aktionäre und Gläubiger mit gleicher Härte treffen und die sich ihrer Begründung nach noch nicht einmal auf den Schutz deutscher Interessen beschränken würden, sollte von keinem Juristen übernommen werden. Sie wiegen ungleich schwerer als in dem Fall der Konfiskation sämtlicher Mitgliedschaftsrechte, dessen juristische Lösung ohnehin keineswegs einfach ist. Wo die Mitgliedschaftsrechte von Einzelaktionären im Ausland konfisziert werden, aber die Gesellschaft Vermögen im Inland hat, ist das hier gewonnene Ergebnis in einem Fall vielleicht der Korrektur fähig und bedürftig. Man nehme an, eine in Indonesien gegründete Aktiengesellschaft habe zwei Aktionäre, einen Indonesier mit 51 Prozent und einen Deutschen mit 49 Prozent des Kapitals. Man nehme an, die Gesellschaft habe keine Gläubiger und besitze ein einziges Vermögensstück, nämlich einen Goldbarren bei einer Bank in der Bundesrepublik. Man nehme schließlich an, Indonesien konfisziere die Rechte des deutschen Minderheitsaktionärs. Hätte die Bundesrepublik den Goldbarren konfisziert, dann hätte, wie in Abschnitt I 133 So für den Fall einer Konfiskation sämtlicher Mitgliedschaftsrechte BGHZ 33, 195 (198).
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darzulegen war, der deutsche Aktionär keine Möglichkeit, das Gesellschaftsvermägen zu schützen. Soll er mehr Rechte haben, wenn Indonesien seine Mitgliedschaftsrechte konfisziert? Art. 30 EGBGB gestattet und verlangt eine bejahende Antwort. Es handelt sich um eine in die Form einer juristischen Person gekleidete Personalgesellschaft, deren Charakter durch den diskriminierenden Eingriff des indonesischen Staates in einer Weise geändert ist, die einer Zwangsliquidation des ursprünglichen Unternehmens nahekommt und die, wenn sie einen der beiden ursprünglichen Gesellschafter leer ausgehen läßt, dem Zweck der deutschen Rechtsordnung zuwiderläuft. Wo die juristische Person tatsächlich nicht den Charakter einer Personalgesellschaft hat, ist eine solche Entscheidung jedoch unmöglich. Auch besteht in einem solchen Fall für sie kein Bedürfnis, weil es nicht Sache des Gerichts ist, den einzelnen gegen Risiken, die dem Geschäftsleben innewohnen, gegen Fehlinvestitionen und -Spekulationen zu schützen. Ob der Reformgesetzgeber weiter gehen sollte, ist eine hier nicht zu erörternde Frage. Wenn er eine Regelung treffen will, so wäre an den Ausbau der sich an § 133 HGB anlehnenden Bestimmung des § 61 GmbHG und ihre Anwendung auf den Fall zu denken, in dem es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt, der Kläger nicht mehr Gesellschafter ist und auch nicht über die vorgeschriebene Mindestbeteiligung von 10 v .H. verfügt. Man hat vorgeschlagen, daß man vielleicht die Idee des Art. 87 des deutsch-österreichischen Vermögensvertrags vom 15. 6. 1957134 -und vielleicht auch die Idee der amerikanischen Gesetzgebung über die Verwaltung feindlichen Vermögens135 - verallgemeinern und bestimmen sollte, daß der Aktionär im Fall der Konfiskation seines Aktienrechts und möglicherweise auch in anderen Fällen einen Entschädigungsanspruch gegen die Aktiengesellschaft haben sollte, der im Inland zu erfüllen wäre136 • Dieser Gedanke dürfte jedoch nicht genügend Gewähr dafür bieten, daß die Gesellschaftsgläubiger befriedigt werden, bevor dem Aktionär Gesellschaftsmittel zufließen. Sollte dafür Sorge getragen sein, so besteht kein erheblicher Unter134 BGBl. 1958 li 129. Nach dieser Bestimmung sind Österreichische Aktiengesellschaften, deren deutsche Aktionäre ihr Mitgliedschaftsrechtkraft österreichischer Konfiskation verloren haben, gehalten, diese Aktionäre in gewissem Umfang zu entschädigen. Aber der Text stellt es völlig klar, daß damit die Wirksamkeit der Konfiskation hinsichtlich des deutschen Gesellschaftsvermögens nicht angezweifelt werden sollte; diese wird vielmehr ausdrücklich bestätigt. 135 Siehe oben S. 123. 136 So Feaux de la Croix, Inwieweit hilft die Spaltungstheorie gegen die Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten?: Festschrift Walter Schmidt (1959) 171 ff.; dazu Raape, IPRS (1961) 689.
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schied zwischen den beiden Methoden, wie denn überhaupt das gesetzgeberische Problem nicht in der Methode, sondern im Grundsatz liegt.
VI. Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten ausländischer Gesellschaften Bisher war davon die Rede, daß der Sitzstaat entweder alle (oben IV) oder einzelne Mitgliedschaftsrechte (oben V) der Gesellschaft konfisziert. Die letzte der zur Erörterung stehenden Fragen betrifft den Fall, in dem der ausländische Staat Inhaberaktien konfisziert, die dort liegen, aber von einer Gesellschaft des Inlands oder des sonstigen Auslands ausgegeben sind. 1. Eine solche Konfiskation ist möglich und wenigstens grundsätzlich angesichts der Herrschaft der lex cartae sitae wirksam. Man hat zwar neuerdings in Deutschland zuweilen behauptet, Mitgliedschaftsrechte seien "nur und allein am Sitz der Gesellschaft belegen"137. Aber diese Auffassung beruht auf der unzulässigen Verallgemeinerung eines für die Wertpapierbereinigung aufgestellten Rechtssatzes13S; sie widerspricht überdies nicht nur der älteren deutschen Rechtsprechung und Lehre139 sowie dem unbestreitbaren Grundsatz des materiellen deutschen Rechts, nach dem das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt 140 , sondern sie ist vor allem auch unvereinbar mit einer rechten Analyse der in Betracht kommenden Rechtsbeziehungen sowie praktischen Bedürfnissen, die den Schutz der Gesellschaft verlangen. Und wenn man meint, für Konfiskationszwecke sei eine Sonderregelung in der Frage der Belegenheit von Aktienrechten getroffen141 , so fehlt dafür jeglicher Beweis und übrigens auch jede Notwendigkeit. Vielmehr ist eine Inhaberaktie wie jedes andere Recht da belegen, wo in dem sofort zu besprechenden Sinn mit dinglicher Wirkung darüber verfügt werden kann. Dieser leitende Gedanke - in England hat man mit Recht von einem So z. B. Schmidt § 5 Anm. 10; vgl. Schnitzer li 611. Er ist mit vollem Recht in unzähligen Entscheidungen der Instanzgerichte ausgesprochen, dann aber vor allem vom Bundesgerichtshof anerkannt worden: BGH 17.1. 1956, IzRspr. 1954-57 Nr. 229, wo ausdrücklich der dort anerkannte Satz auf den Anwendungsbereich des WBG beschränkt wird. Ebenso steht es natürlich dem Gesetzgeber frei, für bestimmte andere Zwecke besondere Vorschriften über die Belegenheit zu erlassen. Das ist auch wiederholt geschehen. Für das Wiedergutmachungsrecht vgl. OLG München 18. 12. 1950, RzW 1951, 65; OLG Tübingen 12. 4. 1951, ebd. 275. 139 Nachweise etwa bei Nußbaum (oben Anm. 54) 330 ff. 140 Wo!ff-Raiser (oben Anm. 126) 231 f., 280; Flechtheim (oben Anm. 106) Vorb. 10 zu § 222 HGB. 141 So wohl K egel, Vorb. 456 vor Art. 7 EGBGB. 137
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"principle of effectiveness" gesprochen142 - führt dazu, daß ein Recht in mehr als einem Land "belegen" sein kann, wenn man diesen irreführenden und unpräzisen Ausdruck benutzen will; in Wahrheit handelt es sich um Verfügungs- oder Eingriffsmöglichkeiten, die aus ganz verschiedener Quelle stammen. Ein Inhaberaktie ist zunächst da und nur da belegen, wo sich die Aktienurkunde befindet, da Papier und Recht in der Regel untrennbar verbunden sind; ganz ähnlich ist eine unverbriefte Forderung kraft allgemeiner, zum Gewohnheitsrecht gewordener Praxis am Wohnsitz des Schuldners belegen. Das hindert jedoch keineswegs die lex societatis, in das Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Mitglied einzugreifen, soweit dies derart geschieht, daß die Verfügung dingliche Wirksamkeit hat; genauso kann das Vertragsstatut die sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ändern, was mit "Belegenheit" nichts zu tun hat. Unter Ausschaltung irreführender Formulierungsprobleme und ohne das weite Problem der Inhaberpapiere im Internationalen Privatrecht erschöpfend behandeln zu wollen, darf somit festgestellt werden: das Eigentum an Inhaberaktien und das sich daraus ergebende Recht kann da übertragen werden, wo sich die Aktienurkunde befindet, es sei denn, daß die lex societatis mit dinglicher Wirksamkeit entweder ihrerseits über die Aktienrechte verfügt oder dem auf der lex cartae sitae beruhenden Eigentumsübergang die Anerkennung versagt143 • Daß nicht nur im Verhältnis zu Rechtsvorgängern und -nachfolgern sowie Dritten (wie etwa Vollstreckungsgläubigern)1 44 , sondern solange die lex societatis nicht eingegriffen hat, auch im Verhältnis zur Gesellschaft die Aktienurkunde das Aktienrecht vermittelt, sollte 142 Dicey 503. 143 Das Zusammenwirken von lex situs und lex societatis wird in der vorbildlich und überzeugend begründeten Entscheidung des Schweiz. BG i. S. Ammon g. Roya~ Dutch, BGE 80 (1954) II 53 (vgl. bereits oben Anm. 100), aber auch in der älteren deutschen Rechtsprechung (z. B. RGZ 109, 295) gezeigt. Wenn Martin Wo~ff, Das IPR Deutschlands3 (1954) 118, etwas mißverständlich davon spricht, daß bei der Übertragung von Inhaberaktien "sowohl das Personalstatut der Körperschaft wie die lex situs cartae befolgt werden müssen", so weicht er wahrscheinlich nicht von der im Text vertretenen Ansicht ab. Vgl. ferner Raape (oben Anm. 136) 624; Frankenstein, IPR li (1929) 110, 352; Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im deutschen IPR (1934) 81 ff.; Arminjon, Precis de Droit international prive commercial (1948) 266 ff. Raapes Unterscheidung zwischen Erwerb im rechtsgeschäftliehen Verkehr und sonstigem Erwerb ist nicht überzeugend. Ein Erwerb durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung oder Einziehung im objektiven Verfahren muß dem rechtsgeschäftliehen Erwerb gewiß gleichgestellt werden. 144 Vgl. OLG Nürnberg 3. 2. 1910 und OLG Harnburg 1. 11. 1910, OLGE 23, 79, sowie Wieczorek, ZPO I/1 (1957) § 23 Anm. B III a 2: Im Ausland liegende Inhaberaktien, die eine deutsche AG ausgegeben hat, begründen im Inland keinen Gerichtsstand nach § 23 ZPO.
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nicht bezweifelt werden. Die auf dem Urkundenbesitz beruhende Legitimationsfunktion des Inhaberpapiers wäre gefährdet, die eindeutigen Erfordernisse der Praxis würden mißachtet und eine für die Gesellschaft untragbare Belastung würde entstehen, wenn die Gesellschaft - entgegen Wortlaut, Sinn und Zweck des analog anwendbaren § 793 BGB 145 - verpflichtet wäre, die Legitimation des Inhabers in Frage zu stellen. Das hindert nicht, daß die lex societatis durch geeignete Maßnahmen146 das in der Inhaberaktie verkörperte Aktienrecht vernichten, ändern und übertragen kann (und wenn man ihr dieses Recht wegen der "Belegenheit" zusprechen will, so ist das zwar dogmatisch falsch, aber im Grund nur ein nebensächliches Wort und deshalb nicht notwendigerweise schädlich). So kann die Jex societatis, die das Recht zwischen Gesellschaft und Aktionär beherrscht, das Aktienrecht vernichten, z. B. durch Nationalisierung der Gesellschaft. Sie kann es auch ändern, indem sie es z. B. kraftlos erklärt147 oder in irgendeiner Form der Wertpapierbereinigung unterwirft148. Sie kann es schließlich übertragen, indem sie z. B. alle Aktienrechte auf den Staat überträgt. Sie kann dieses Ergebnis auch dadurch erreichen, daß sie im Einzelfall einen Eigentumsübergang nicht anerkennt149. Die dingliche Wirksamkeit einer solchen Maßnahme setzt jedoch bei Inhaberaktien voraus, daß sie entweder alle Aktien unterschiedslos betrifft oder die betroffenen einzelnen Aktien so eindeutig bezeichnet, daß sie erfaßt werden. Dafür liefert die Rechtsprechung des Höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten von Amerika eindrucksvolle Beispiele. Im Falle Direction der Discanto-Gesellschaft v. U. S. Steel Co1·p.150 hatte eine amerikanische Aktiengesellschaft Inhaberaktien ausgegeben151 • Während des ersten Weltkriegs wurden einige dieser Aktien, die sich in England befanden, vom Verwalter des feindlichen Vermögens be145 Danach ist die Gesellschaft zur Prüfung der Legitimation des Inhabers in der Regel nicht verpflichtet. Eine solche Pflicht wäre "eine zu große Last für den Aussteller, die auch im Widerspruche stünde mit der ganzen rechtlichen Natur des Inhaberpapiers". So Staudinger(-Mü.ller), BGB11 II/4 Lief. 3 (1960) § 793 Anm.16; s. auch ebd. Anm.17. 146 Deshalb ist oben auf die Notwendigkeit "dinglicher Wirksamkeit" Wert gelegt worden. 147 Vgl. z. B. § 66 AktG. 148 Dies kann in den verschiedensten Formen geschehen. Das auf Gesetz beruhende Verlangen, sog. Affidavits vorzulegen, ist ebenfalls eine Form der Wertpapierbereinigung. 149 Etwa nach Art. 30 EGBGB. 150 267 u. s. 22 (1924). 151 Es handelte sich um blanko indossierte Namensaktien, aber darin liegt kein durchschlagender Unterschied.
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schlagnahmt. Damit war das Aktienrecht auf ihn übergegangen, und die in Amerika erhobene Klage des ursprünglichen deutschen Eigentümers gegen die amerikanische Gesellschaft war abzuweisen. Kein Geringerer als Oliver W endell Holmes erklärte, daß Aktienurkunden "so far represent the stock that ordinarily at least no one can get the benefits of ownership except through and by means of the paper . .. But the question who is the owner of the paper depends upon the law of the place where the paper is"t52. Diese Entscheidung ist deshalb so interessant, weil sie ausdrücklich den Vorbehalt des Eingriffs der lex societatis macht. In dem zu entscheidenden Fall hatte - wahrscheinlich mit Rücksicht auf die in England getroffenen Maßnahmen - der amerikanische Gesetzgeber, anders als in dem früher entschiedenen Fall Miller v. Kaliwerke Aschersleben AG153 , nicht eingegriffen. Deshalb erklärte Holmes: "If the United States had taken steps to assert its paramount power, as in Miller v . Kaliwerke Aschersleben ... a different question would arise that we have no occasion to deal witht54."
Die Gelegenheit ergab sich für das Höchste Gericht nach dem zweiten Weltkrieg in dem Fall Cities Service Co. v. McGrath155. Die amerikanische Gesetzgebung hatte zwar, wie bekannt, schon seit 1941 deutsches Vermögen beschlagnahmt. Aber das blieb, wie oben ausgeführt, für die außerhalb Amerikas liegenden Inhaberpapiere zunächst notwendigerweise ohne Wirkung. In dem zur Entscheidung stehenden Fall wurden von amerikanischen Gesellschaften ausgestellte Inhaberpapiere auf Grund eines Einziehungsbeschlusses vom 11. 3. 1949 konfisziert, wobei die Nummern und die sonstigen zur Identifikation nötigen Einzelheiten genau bezeichnet waren. Die Gültigkeit dieser Konfiskation156 wurde alsdann mit der Behauptung angegriffen, daß die amerikanische Gesetzgebung außerhalb Amerikas belegene Inhaberpapiere nicht erfassen könne. Der Einwand wurde mit Recht zurückgewiesen. Der amerikanische Gesetzgeber behielt seine "paramount power", die ihm kraft der lex societatis zustand, und hatte sie 1949 auch mit dinglicher Wirksamkeit ausgeübt. Aber die Existenz dieser "paramount power" bedeutet nicht, daß solange sie nicht wirksam 1s2 a.a.O., 2B. tsa 283 F. 746 (1922) mit einem interessanten Urteil erster Instanz von
Learned Hand J.
154 a.a.O., 29. tss 432 U. S. 330 (1952). Vgl. auch State of the Netherlands v. Federal Reserve Bank, 201 F. 2d 455 (1953). tss Die im Text dargestellten Tatsachen ergeben sich nicht aus der Entscheidung des Sup. Ct., sondern aus den Urteil erster Instanz (McGrath v. Cities Service Co., 93 F. Supp. 408 [1950]), das für das Verständnis des Falles unerläßlich ist.
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ausgeübt ist, die lex cartae sitae ihrer Herrschaft über die Vermögenszugehörigkeit des Rechts am und aus dem Papier beraubt ist. 2. Nach diesen einleitenden Bemerkungen kann nunmehr der Fall behandelt werden, daß z. B. Ungarn einzelne Inhaberaktien einer deutschen Aktiengesellschaft konfisziert und, weil sie sich in Ungarn befinden, in Besitz nimmt. a) Solange Maßnahmen des deutschen Rechts fehlen, wird der ungarische Staat oder sein Rechtsnachfolger als Aktionär anzuerkennen sein. Auch eine Herausgabeklage des enteigneten Aktionärs wäre aus Gründen des materiellen Rechts abzuweisen, so daß Immunitätsprobleme auch hier nicht untersucht zu werden brauchen. Da, wie erwähnt, Inhaberaktien und die aus ihnen fließenden Rechte nicht ausschließlich am Ort des Sitzes der Gesellschaft belegen sind und im Interesse des Rechtsverkehrs und der Rechtssicherheit nicht ausschließlich dort belegen sein können, wäre die Klage nur auf die Erwägung zu stützen, daß Art. 30 EGBGB der Anerkennung der ungarischen Enteignung entgegensteht. Eine solche Ausdehnung des Art. 30 wäre keineswegs grundsätzlich ohne Anziehungskraft. Aber sie muß - vielleicht vorläufig und mit Bedauern - wegen mangelnder Kongruenz abgelehnt werden: es ist nicht einzusehen, mit welcher inneren Berechtigung die Konfiskation eines Rembrandt oder von Banknoten der Deutschen Bundesbank anzuerkennen ist, aber die Konfiskation einer Inhaberaktie gegen Art. 30 verstößt. Die Gründe, die für die Berechtigung einer solchen Unterscheidung angeführt werden, sind, was immer man sonst über sie denken mag, im Rahmen des Art. 30 zu schwach, um einen so weitreichenden prinzipiellen Gegensatz tragen zu können. Daß die Inhaberaktie der lex societatis unterworfen ist157 , daß sie- angeblich- am Gesellschaftssitz "belegen" ist,- all das ist, solange Maßnahmen der lex societatis fehlen, ohne Gewicht. Dabei können die Bedürfnisse des Verkehrs nicht außer Betracht gelassen werden; sie sind, wie § 935 II BGB zum Ausdruck bringt, bei Inhaberpapieren besonders stark. Wenn die internationale Praxis zum Fall des Rembrandt-Bildes und der Banknote sich einmal ändert, dann und erst dann wird auch die Inhaberaktie dem geänderten Rechtssatz unterliegen. b) Die Frage, ob die Gesellschaft zur Ausstellung einer neuen Urkunde berechtigt und verpflichtet ist, ob mit anderen Worten eine Kraftloserklärung oder Wertpapierbereinigung möglich ist, kann nur von der lex societatis bestimmt werden.
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Darauf scheint Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht 128, abzustellen. Der Text läßt auch hier Völkerrechtswidrigkeiten außer Betracht.
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Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Kraftloserklärung im Einzelfall sind überall ähnlich. Daß die bloße Beschlagnahme kein Abhandenkommen im Sinn der Bestimmungen über die Kraftloserklärung von Wertpapieren darstellt, ist in Deutschland seit langem anerkannt158. Dagegen wird neuerdings angenommen, daß Inhaberpapiere dann als abhanden gekommen zu gelten haben, wenn auf Grund von Maßnahmen, die gegen Art. 30 verstoßen und deshalb hier nicht rechtswirksam sind, der Berechtigte sich den Besitz nicht verschaffen kann159. "Die Rechtsohnmacht des Berechtigten muß wie seine Besitzentsetzung durch verbotene Eigenmacht gewertet werden160." Die entgegengesetze Meinung wird vom Schweizerischen Bundesgericht vertreten161 . Aus Deutschland ausgewanderte Juden waren die Eigentümer von Inhaberaktien einer schweizerischen Aktiengesellschaft, die in Deutschland lagen und dort als jüdisches Vermögen beschlagnahmt waren. Sie verlangten neue Urkunden, wozu sie nachzuweisen hatten, daß die ursprünglichen Aktien "sich nicht in den Händen eines bekannten neuen Inhabers befinden". Der Inhaber war aber bekannt. Selbst wenn der schweizerische ordre public verletzt wäre, "würde dadurch nichts geändert an der Tatsache, daß sich die Aktien heute in den Händen des deutschen Staates befinden"162. Die letztere Auffassung ist zwar hart, aber, wenn der zu a) vertretene Standpunkt richtig ist, rechtlich kaum zu widerlegen16a. Die Kraftloserklärung ist ein schwerwiegender Eingriff, der keineswegs nur im Interesse des Altaktionärs unter Mißachtung der Bedürfnisse des Verkehrs und der Interessen der Gesellschaft zugelassen werden kann. 3. Andere Erwägungen kommen zum Zug, wenn der ausländische Staat sämtliche von einer deutschen Aktiengesellschaft ausgegebenen Inhaberaktien konfisziert. 1ss Stein-Jonas, ZPQ1B II (1956) § 1003 Anm. V.; Planck(-Landois), BGB4 II/2 (1928) § 799 Anm. 1.; Palandt(-Gramm), BGB21 (1962) § 799 Anm. 2 a. 159 OLG Stuttgart 28. 4. 1955, NJW 1955, 1154; zustimmend Kuhn in BGB - RGRKH 11/2 (1960) § 799 Anm. 2. l6o Wieczorek, ZPO IV/2 (1958) § 1003 Anm. CI b 1. RGZ 155, 72 lehnte es mit Recht ab, eine mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung nicht zu beseitigende Urkundenunterdrückung einem Abhandenkommen gleichzustellen. 161 BGE 66 (1940) II 37. 1s2 a.a.A., 43. 163 Daß Besitzverlust auf Grund nichtigen Verwaltungsakts ein Abhandenkommen bedeuten kann (vgl. Staudinger[-Berg], BGBH III/1 [1956] § 935 Anm. 11. mit Nachweisen), ist ein hier einschlägiger Gesichtspunkt. In anderen Ländern scheint die Frage nicht zur Entscheidung gekommen zu sein. Für die Möglichkeit einer Kraftloserklärung in Amerika setzt sich ein Weiden, German Confiscations of American Securities, Contemporary Law Pamphlets Ser. 1 Nr. 27 (1940) 23 ff. 11 Mann
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Wenn er in der Bundesrepublik als Alleinaktionär der deutschen Gesellschaft auftreten sollte, so würde es sich der Sache nach um den Versuch handeln, ein deutsches Unternehmen durch Hoheitsmaßnahmen des ausländischen Staates zu enteignen. Das ist genausowenig möglich wie in dem früher besprochenen Fall der Konfiskation aller Aktien einer ausländischen Gesellschaft, die im Inland Vermögen hat164 • Unter solchen Umständen wird es wohl auch im Interesse der Harmonie zwischen materieller und formeller Rechtslage notwendig sein, die ursprünglichen Urkunden als abhanden gekommen zu betrachten. 4. Letztlich ist es denkbar, daß der ausländische Staat in seinem Gebiet belegene Inhaberaktien konfisziert, die von einer Aktiengesellschaft mit Sitz in einem dritten Staat ausgegeben sind: Inhaberaktien einer schweizerischen Aktiengesellschaft werden in Ungarn beschlagnahmt; der enteignete Aktionär behauptet, in Deutschland noch Aktionär zu sein. Diese Behauptung wäre nur dann zu halten, wenn es eine "Ubiquität der Mitgliedschaftsrechte" 165 gäbe, wenn Mitgliedschaftsrechte überall da belegen wären, wo sich Gesellschaftsvermögen befindet, und außerdem dieses Gesellschaftsvermögen sich infolge der Konfiskation auch nur einer Inhaberaktie automatisch verselbständigen könnte, wenn also die extreme Spaltungstheorie gelten würde. Dem ist nicht so166• Wer jener Theorie beizustimmen geneigt ist, möge sich über ihre Folgerungen im gegenwärtigen Zusammenhang klar werden. Man würde in Deutschland - entgegen der lex cartae sitae und entgegen der lex societatis167 -- lediglich deshalb eine juristische Person zur Entstehung bringen, weil sich hier Gesellschaftsvermögen befindet. Daß etwa das deutsche Vermögen der Schweizerischen Kreditanstalt deshalb gefährdet sein soll, weil eine Inhaberaktie in Ungarn konfisziert worden ist, ist ein Ergebnis, dessen Erwähnung genügen sollte, um die Unbrauchbarkeit jener Theorie auch im gegenwärtigen Zusammenhang darzutun.
Oben S. 137 ff. Der Ausdruck stammt von Schmidt § 5 Anm. 10. 186 Vgl. oben S. 150 ff. 167 Es ist nötig, dies besonders zu betonen. Wenn die lex societatis, im Beispiel des Textes also das schweizerische Recht, den enteigneten Aktionär anerkennt, so kann in Deutschland das Problem nicht entstehen. Eine in Deutschland gegen die schweizerische Aktiengesellschaft erhobene Klage, mit der die Anerkennung des enteigneten Aktionärs erreicht werden soll, wäre nach schweizerischem Recht zu entscheiden; siehe die Entscheidung des Schweiz. BG i. S. Ammon (oben Anm. 100, 143). 184 185
VIII. Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten* Es ist gewiß einer der unbestrittenen und unbestreitbaren Sätze des Internationalen Privatrechts, daß die Wirkung von Enteignungsmaßnahmen soweit und nur soweit reicht wie die Gebietshoheit des Staates, von dem sie getroffen werden1 . Das Prinzip ergibt sich mit Notwendigkeit aus praktischen Bedürfnissen, ist aber nicht selten auch völkerrechtlich unterbaut worden2 : aus der Hoheitsgewalt des Staates in seinem eigenen Gebiet fließt das ausschließliche Recht, über die in diesem Gebiet liegenden Sachen zu verfügen. Gilt der Grundsatz auch dann, wenn die Enteignung völkerrechtswidrig ist? Es muß überraschen, daß diese Frage noch heute für viele ungeklärt ist, daß - abgesehen von den Vereinigten Staaten, wo die Verhältnisse ganz besonders liegen - noch kein höchstes Gericht ausdrücklich zu ihr Stellung genommen hat und daß untere Gerichte ihr mit deutlichem Unbehagen begegnet sind. Es erscheint deshalb nicht unangebracht, sie erneuter Prüfung zu unterziehen. I.
Eine Enteignung ist völkerrechtswidrig, wenn sie den staatsvertragliehen Verpflichtungen des enteignenden Staates oder dem Völkergewohnheitsrecht widerspricht. 1. Das eindrucksvollste Beispiel für die erstere Gruppe wird durch den deutsch-polnischen Streit über die Fabrik in Chorzow geliefert. Die Wegnahme der Oberschlesischen Stickstoffwerke AG in Chorzow (Königshütte) durch Polen auf Grund des Gesetzes vom 14. 7. 1920 widersprach nicht nur dem Versailler Vertrag, sondern vor allem auch dem deutsch-polnischen Abkommen vom 15. 5. 1922. Im Urteil Nr. 13 erklärte der Internationale Gerichtshof, dem als deutscher Ver-
* Veröffentlicht in NJW 1961, 705. Nach einem vor dem Zücherischen Juristenverein gehaltenen Vortrag. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont, daß dieser Aufsatz weder direkt noch indirekt der Verfolgung von Privatinteressen dient oder ein Parteigutachten oder einen Schriftsatz wiedergibt. 1 BGHZ 25, 134 (143) = NJW 1957, 1433; BGHZ 31, 168 (171) = NJW 1960, 189; BGHZ 32, 97 (99) = NJW 1960, 1052 und viele andere Entscheidungen. 2 Zum Beispiel in BGHZ 12, 79 = NJW 1954, 796 und von Wolff-Raiser, Sachenrecht § 90 Anm. 6.
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treter kein Geringerer als Ernst Rabel angehörte:t, daß "Za reparation doit, autant que possible, effacer toutes les consequences de Z'acte illicite". Dies sollte in erster Linie durch "restitution en nature" und nur subsidiär durch Zahlung von Schadensersatz erfolgen. All dies entsprach in vollem Umfang dem von Erich Kaufmann vorgetragenen Standpunkt des Deutschen Reichs, dessen Ausführungen in Teil C der Veröffentlichungen des Gerichtshofs abgedruckt sind. 2. Eine Enteignung widerspricht dem Völkergewohnheitsrecht in zwei Fällen. Sie mag einmal diskriminierend wirken, d. h. dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehen, also willkürlich oder mißbräuchlich sein. Aber sie ist jedenfalls im Verhältnis zu Ausländern auch dann völkerrechtswidrig, wenn sie ohne prompte und effektive Zahlung angemessener Entschädigung erfolgt. Zwar gibt es auch hier, wie bei jedem Rechtssatz, die beinahe unvermeidlichen Unsicherheiten in der Schattierung, der Abgrenzung, den Umrissen. Aber das Prinzip steht fest. Kein Gelehrter von Gewicht hat es angezweifelt. Es wird belegt durch unzählige Äußerungen von Vertretern der Wissenschaft, durch viele Entscheidungen internationaler Gerichte\ die diplomatische und staatsvertragliche Praxis der führenden Staaten5 und ist auch von nationalen Gerichten anerkannt worden 6 • Es beruht auf einem der großen Gedanken der Kulturgeschichte im allgemeinen und der Rechtsgeschichte im besonderen, nämlich dem Gedanken, daß beim Fehlen von Kriminalität die entschädigungslose Wegnahme Strafe, Einschränkung der persönlichen Freiheit, Willkür, Unrecht ist7. Von diesem Standpunkt aus sind auch die Einzelfragen zu beantworten. Was insbesondere das Maß der Entschädigung angeht, so wird man sich nicht darüber Urteil Nr. 13 Abt. A S. 46, 47. Diese sind neuerdings zusammengestellt worden von Lord McNair, Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht VI (1959) 218 ff. 5 Auch hier liegt überreiches Material vor, das im Rahmen dieses Aufsatzes nicht gesammelt werden kann. Es muß aber auf die mehr als 15 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge hingewiesen werden, die die Vereinigten Staaten seit Kriegsende abgeschlossen haben und die alle eine Bestimmung enthalten, die Art. V des mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Staatsvertrags entspricht (BGBI. 1956 II 487). Angesichts des weitverbreiteten Systems der Meistbegünstigungsklausel beeinflussen diese Verträge die Rechte und Pflichten vieler dritter Staaten. 6 s. z. B. die wichtige Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs v. 24. 6. 1954, A. S. Nr. 2680 = Clunet 1956, 110, wonach "eine entschädigungslose Konfiskation einem Ausländer gegenüber in der Lehre und Übung des Völkerrechts als unzulässig angesehen wird und es sich dabei zweifellos um eine jener allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt, die Art. 9 Bundesverfassungsgesetz als Bestandteil des Bundesrechts erklärt". s. ferner Berufungsgericht von Tokio, unten Anm. 21. 7 Vgl. z. B. BGHZ 16, 350 (353, 354) = NJW 1955, 905 oder die amerikanische Entscheidung Chicago, BurLington and Quincy Railroad Co. v. Chicago (1897), 3
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u. s.
226, 236.
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beunruhigen, daß es weder von vornherein mathematisch berechnet noch auch nur mit einer Formel abschließend definiert werden kann. Ob der Enteignete zu voller oder zu angemessener, zu gerechter oder billiger Entschädigung berechtigt ist, ist häufig eine terminologische, immer aber eine Gradfrage, deren Beantwortung nur auf Grund umfassender rechtsvergleichender Untersuchungen versucht werden kann. Praktische Fälle, in denen wirkliche Zweifel über die völkerrechtliche Zulässigkeit des Maßes der Entschädigung auftauchen konnten, sind schwerlich nachzuweisen. Der Versuch, aus den seit dem Ende des zweiten Weltkriegs abgeschlossenen Globalentschädigungsabkommen die Angemessenheit einer Entschädigung in Höhe von ungefähr zehn Prozent des Wertes abzuleiten8 , wäre ebenso unhaltbar wie etwa die Ansicht, aus der Existenz des Konkursrechts und der Institution einer Konkursquote sei das Recht des Schuldners abzuleiten, seinen Gläubiger mit einem Bruchteil des geschuldeten Betrags abzufinden9 • In jedem Fall sollte darüber Einigung bestehen, daß eine entschädigungslose Enteignung auch dann vorliegt, wenn eine Entschädigung nur in Aussicht gestellt, ohne daß ihre Höhe, der Zeitpunkt und die Art der Zahlung, die Bereitstellung der Zahlungsmittel oder das der Berechnung dienende Verfahren bestimmt und dem Eigentümer noch nicht einmal ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch zuerkannt wird, der vom Belieben des bereits im Besitz der konfiszierten Werte befindlichen Staates unabhängig und unwiderruflich ist. In allen diesen Punkten ist die Analogie des nationalen Rechts wegweisend; wenn die völkerrechtlichen Regeln häufig als positivistisch und deshalb als unbefriedigend empfunden werden, so liegt das nur daran, daß man ihre im nationalen Recht begründeten geistesgeschichtlichen Quellen nicht oder nicht genügend berücksichtigt hat. So sei auf die reiche Praxis der Vereinigten Staaten von Amerika verwiesen, die mit dem deutschen Recht völlig übereinstimmt10 • Nach ihr braucht zwar die Leistung der Entschädigung nicht notwendigerweise der Eigentumsentziehung vorauszugehen11, aber sie verlangt eine "reasonable, certain and adequate provision" 12 , auf Grund deren die Zahlung als sichergestellt betrachtet werden kann. Das ist nur dann der Fall, B Es scheint, daß jedenfalls in England die Quote 10 Ofo nie überschritten wurde. 9 Ein solches Recht wird im Ergebnis für Enteignungen großen Stils in dem wenig glücklichen Aufsatz von De Nova, Friedenswarte 52 (1954), 122, behauptet - gewiß zu Unrecht. 1o Scheuner bei Reinhardt-Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums (1954) s. 148 ff. 11 Hurlei v. Kincaid (1931), 285 U. S. 95, 104 per Brandeis J. 12 So schon Cherokee Nation v. Southern Kansas Rly. (1889), 135 U. S. 641, 659.
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wenn das Gesetz die Festsetzung der Entschädigung auf regulärem Weg, ohne unzulässige Verzögerung und unter Beachtung eines rechtlich geregelten Verfahrens vorsieht und dem Eigentümer das unbedingte Recht auf ein Urteil in Höhe der Entschädigungssumme gibt, mit dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kannu. Das Völkerrecht braucht nicht mehr zu verlangen. Es kann sich aber nicht mit einem wesentlich niedrigerem Maßstab begnügen14• An diesem Punkt haben nun die modernen Enteigner angesetzt. Sie haben das wahre, vielleicht sogar das einzige, jedenfalls aber das schwerwiegendste und zugleich das meistens übersehene völkerrechtliche Problem des modernen Enteignungsrechts geschaffen, indem sie nämlich die oben skizzierten Regeln des Völkerrechts in allem Wesentlichen anerkennen, indem sie deshalb in ihren Enteignungsgesetzen eine Entschädigung durchweg vorsehen und somit zu der sehr viel subtileren Frage Anlaß geben, ob sie damit mehr beabsichtigen als eine- höfliche oder verächtliche- Verbeugung vor dem völkerrechtlichen Gebot. Diese Politik begann spätestens mit den mexikanischen Enteignungen von 193815 • Im Jahre 1943 hatte die Cour de Rouen über die Gültigkeit der mexikanischen Gesetzgebung deshalb zu entscheiden, weil die Gesellschaft "El Aguila" vor französischen Gerichten Herausgabe des von ihr beanspruchten Öls verlangte. Die Klage wurde, wie es scheint, mit der Begründung abgewiesen, daß das mexikanische Gesetz eine Entschädigung ins Auge fasse und deshalb keinen Konfiskationscharater habe16• Die Nationalisierungsgesetze, die unmittelbar nach Beendigung des zweiten Weltkriegs in der Tschechoslowakei, in Polen, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien erlassen wurden, sahen - mit gewissen Ausnahmen - sämtlich die Zahlung einer Entschädigung vor17 • Darüber, daß - außerhalb des dürftigen Rahmens der Global13 Grundlegend wohl Sweet v. Rechel (1895), 159 U. S. 380, 402. Ferner z. B. Backus v. Fort Street Union Depot Co. (1898), 169 U. S . 557, 568; Yearsley v. Ross Construction Co. (1939), 309 U. S. 18, 21, 22.
14 Eine sorgfältige rechtsvergleichende Untersuchung dieser Prinzipien wäre von großer Wichtigkeit. 15 Wortley, 43 (1959) Transactions of the Grotius Society 15, 25; W. C. Gordon, The Expropriation of Foreign-Owned Property in Mexico, 127. 16 Die Entscheidung ist leider nur unvollständig wiedergegeben in Sirey, Table Quinquennale 1941 - 1945, sub verbo Etranger Nr. 1. 17 Makarov, Festgabe für Erich Kaufmann (1950) 249, 251 ff., u. andere. Die Estländische Enteignungsgesetzgebung, die eine Entschädigung in Höhe von 25 Ofo des Wertes vorsah, wurde in England (AIS Tallina Laevauhisus v. Estonian State Line, 80 [1947] Lloyds L. R. 99, 111) und in Kanada (The Elise [1949], Supreme Court Reports 530 = A. D. 1948 Nr. 50) als genau so konfiskatorisch und "penal" angesehen, "as if the compensation had been fixed at 1 °/o".
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entschädigungsabkommen - eine Entschädigung bezahlt worden wäre, ist nichts bekanntgeworden. Als das Schweizerische Bundesgericht über die tschechoslowakische Gesetzgebung zu befinden hatte, wies es darauf hin, daß sie sich ausschweige "über Einzelheiten, welche die Entschädigungen des vorliegenden Falles beträfen, insbesondere über die Namen der entschädigten Aktionäre, Höhe, Art und Zeitpunkt der Entschädigungen". Das Gericht fügte mit Recht hinzu, es sei "nicht daran zu zweifeln, daß hier nicht eine Enteignung gegen angemessene Entschädigung, sondern eine entschädigungslose Aneignung (Konfiskation) vorliegt" 18• Ebenso sah der Österreichische Oberste Gerichtshof in einer ungarischen Bestimmung, nach der die Nationalisierung gegen Entschädigung erfolgen sollte und diese einem besonderen Gesetz vorbehalten war, nichts als ein vages Versprechen, das den Konfiskationscharakter nicht beseitigtl9 • Im Fall der Konfiskation der AngloIranian Oil Company Ltd. durch Persien verleitete die bloße Existenz einer denkbar vagen Bestimmung20 italienische und japanische Gerichte 21 dazu, auf die völkerrechtliche Legitimität der Enteignung zu schließen. Im Fall der Wegnahme holländischer Unternehmungen durch Indonesien wurde vorgeschrieben, daß den "Eigentümern eine Entschädigung gegeben wird, deren Höhe durch eine von der Regierung zu ernennende Kommission festgesetzt wird". Zwar war eine Beschwerde gegen Entscheidungen dieser Kommission an das höchste Gericht vorgesehen, aber Bestimmungen über die Zahlung der Entschädigung waren einem besonderen Gesetz vorbehalten, das einige Monate später erlassen wurde22 , gewisse verfahrensrechtliche Fragen regelte, sich jedoch über die materiellen Fragen weiterhin ausschwieg. Bei dieser Sachlage hat ein deutsches Gericht die Völkerrechtswidrigkeit der Entziehung verneint: durch jene Gesetzestexte werde den völkerrechtlichen Erfordernissen genügt, es sei denn der beraubte Eigentümer beweise die Negative, "daß keine angemessene Entschädigung bezahlt werden soll", und das sei ihm nicht gelungen23 • Der Rechtsirrtum, der in dieser ts 25. 9. 1956, BGE 82 I 196, 199. Ähnlich das Appellationsgericht Bologna, 28. 4. 1946, Rivista di diritto internazianale 1957, 264 mit Anm. von Giovanni Pau - eine sehr wichtige Entscheidung, die wohl die Bedeutung der unten Anm. 21 erwähnten erstinstanzliehen Urteile einschränkt. 19 3. 2. 1954 i. S. Danuvia c. Sieberth, hier zitiert nach Rev. Crit. 1956, 259. 2o Der Text findet sich z. B. (auf englisch) in Cmd. 8425. 21 Tribunal von Venedig, Foro Italiano 1953 II 719 = International L. R. 1955, 19; Tribunal von Rom, Rev. Crit. 1958, 519 (aber dagegen die Anm. von DeNova = International L. R. 1955, 23); Berufungsgericht von Tokio, International L. R. 1953, 305. 22 Die Texte sind auf englisch in Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht VI (1959) 291, 307 abgedruckt. 23 OLG Bremen v. 21. 8. 1959, Auszüge in AWD 1959, 207, 272 und bei Münch, Jahrbuch f. Internationales Recht 9 (1960), 84.
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Verteilung der "Beweislast" liegt, ist so offensichtlich, daß nähere Erörterungen sich erübrigen24 • Wenn man bedenkt, daß auch Ägypten mit der Wegnahme des Suezkanals ein ganz besonders unbefriedigendes Entschädigungsversprechen verknüpft hat25, so wird die Methode und das durch sie geschaffene Problem klar. Allerdings sollte die Lösung dieses Problems zu echten Zweifeln keinen Anlaß geben.
I I. Wenn eine Eigentumsentziehung durch einen ausländischen Staat im Sinne der vorstehenden Darlegungen völkerrechtswidrig ist, so ist sie beim Fehlen staatsvertraglicher Regelung im Inland als nichtig zu behandeln. Vor inländischen Gerichten hat der frühere Eigentümer sein Eigentum nicht verloren. Dem Ergebnis nach steht diese Feststellung im Einklang nicht nur mit dem größeren Teil der Rechtslehre26 , sondern vor allem auch mit der Praxis italienischer und japanischer27, wahrscheinlich auch französischer28 und in gewissen Fällen englischer29 Gerichte. Sie steht ferner 24 Vgl. die Entscheidugnen BGHZ 25, 127 (129) = NJW 1957, 1435 L; BGHZ 32, 256 = NJW 1960, 1570 L, in denen der BGH in der Wegnahme deutschen Vermögens durch Holland eine entschädigungslose Konfiskation erblickt hat, obwohl die Bundesrepublik selbst sich durch Art. 5 von Teil VI des Überleitungsvertrags zu einer Entschädigung der früheren Eigentümer verpflichtet hat. 25 s. die Texte in der Veröffentlichung The Suez Canal (London 1956). 26 s. insbesondere Martin Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands (3. Aufi.), S. 12; Raape, Internationales Privatrecht (4. Aufi., 1955), S. 619, 620; Dahm, Völkerrecht, S. 264, 270; Herbert Kmus (unten Anm. 47), S. 234; Zitelmann, Internationales Privatrecht I, 378- 380; Oppenheim(-Lauterpacht), International Law (8. Aufi., 1955), S. 267- 270; Schaumann, Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Privatrecht, X (1953) 131, 186; Niederer, Festschrift für Hans Lewald (1953) 547, 554 und Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht, XI (1954) 91, 97 ff.; Adriaanse, Confiscation in Private International Law (1956) S. 149; Verzijl, Festgabe für A. N. Makarov (Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 19, 531, 541 ff.; De Nova, Rev. Crit. 1958, 541; Zander, American Journal of International Law 1959, 841 ff.; Mann, 70 (1954) L. Q. R. 181, 191 ff.; vgl. Wortley, Expropriation in Public International Law (1959) 17. In der wichtigen Entscheidung des Berufungsgerichts in Singapore, American Journal of International Law 1957, 802, wird ausgesprochen, daß die Beschlagnahme des den Antragstellern gehörigen Öls in Sumatra durch die japanische Armee völkerrechtswidrig war und "deshalb" das Eigentum nicht auf die Japaner übertragen werden konnte (S. 808, 811, 815). s. zu dem Problem im Fall der kriegerischen Besetzung Morgenstern, British Year Book of International Law 1951, 291, 300 ff. 27 Die oben Anm. 21 genannten Entscheidungen gehen übereinstimmend davon aus, daß, wenn eine Völkerrechtswidrigkeit hätte festgestellt werden können, der Klage des früheren Eigentümers stattgegeben worden wäre. 2s Die Entscheidungen des Kassationshofs Req. 5. 3. 1928, Clunet 1928, 674; Civ. 14. 3. 1939, Clunet 1939, 615 sind auch heute noch maßgebend; s. z. B.
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im Einklang mit der deutschen Praxis und Literatur, soweit sie sich auf die Wegnahme sudetendeutschen Vermögens durch die Tschechoslowakeit bezieht3°, während das OLG Bremen im Fall der Wegnahme holländischen Vermögens durch Indonesien umgekehrt entschieden hat31 • Merkwürdigerweise scheinen auch im Verhältnis zur Ostzone die unteren Gerichte der Bundesrepublik zur Anerkennung entschädigungsloser Enteignungen zu neigen32, obwohl der BGH wiederholt ausgesprochen hat, daß sowjetzonale Enteignungsmaßnahmen "nach Art. 30 EGBGB - weil im Widerspruch mit Art. 14 GG stehend - in der Bundesrepublik nicht anerkannt werden können"33 . Ob man das Ergebnis aus der Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB ableiten kann und darf, ist allerdings ungewiß, wenn auch wahrscheinlich nur eine Frage der Formulierung und deshalb von höchst untergeordneter praktischer Bedeutung. Der Gedanke des ordre public ist da, wo es sich um die Auswirkungen einer Völkerrechtsverletzung handelt, zwar nicht abwegig, aber weder adäquat noch geeignet, zu Batiffol, Traite de Droit International Prive (3. Aufi., 1959) Nr. 523, wo die Entscheidungen zustimmend zitiert werden. Die Behauptung von SeidlHohenveldern, Die Friedenswarte 53 (1956), 1, 11, er könne "nur feststellen,
daß die französische Doktrin und Rechtsprechung . . . sich nunmehr der herrschenden Meinung anschließt" und den Eigentumsverlust anerkennt, entbehrt jeder Berechtigung. 29 Die meistens zitierte Entscheidung im Fall The Rose Mary (1953), 1 W. L. R. 246 = Archiv des Völkerrechts 1969, 470 ist vom Kolonialgericht in Aden erlassen und hat deshalb in England nur geringes Gewicht, zumal ihrer Begründung ein englischer Richter in Re Claim of Helbert Wagg & Co. (1956), Ch. 323 entgegengetreten ist. Dort wird jedoch anerkannt, daß im Ergebnis The Rose Mary richtig entschieden worden ist (S. 346), wahrscheinlich weil die persische Gesetzgebung diskriminierenden Charakter hatte. Aber selbst dagegen Cheshire, Private International Law (5. Aufi., 1957) 140, 141, dem Mann, 74 (1958) Law Quarterly Review 132 widerspricht. Zum einschlägigen englischen Recht Cohn, Festschrift für Hermann Janssen (1958) s. 57 ff. 30 Gegen die Anerkennung (durchweg im Verhältnis zur Tschechoslowakei) OLG München, IPRspr. 1950- 1951 Nr. 5 = Clunet 1954, 1012; OLG Nürnberg, ebenda Nr. 13; OLG Hamburg, IPRspr. 1952-1953 Nr. 36; LG Kassel, IPRspr. 1945 - 1949 Nr. 3, sowie gewisse Amtsgerichte. Ebenso Arndt, SJZ 1948, 144; Lattn, MDR 1949, 164; Beitzke, RabelsZ 15 (1949) 145. Das BGHZ 8, 378 = NJW 1953, 545, von dieser Rechtsprechung abgegangen und zur "klassischen Ansicht" zurückgekehrt sei (so Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1956) 1, 15 Anm. 67), ist eine Behauptung, die besser unterblieben wäre. Für Anerkennung (im Verhältnis zu Polen) merkwürdigerweise LG Hildesheim, IPRspr. 1945- 1949 Nr. 13. 31 Oben Anm. 23. 32 OLG Hamburg, IZRspr. 1945-1953 Nr. 7 a; OLG Oldenburg, ebenda S. 22; LG Mannheim, ebenda Nr. 7. Ebenso Raiser, SJZ 1950, 279. Gegen Anerkennung jedoch OLG Nürnberg, IZRspr. 1945- 1953 Nr. 5; LG Berlin, ebenda Nr. 3 und Nr. 6, und Blomeyer, MDR 1951, 560. 33 Urteil v. 28. 2. 1956, LM Nr. 2 zu § 96 EVO; v. 12. 11. 1959, BGHZ 31, 168 (172) = NJW 1960, 189. s. ferner unten Anm. 36.
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rechtlich überzeugenden oder gar zwingenden Ergebnissen zu führen. Er ist nicht adäquat, weil wesentlich mehr auf dem Spiel steht als die Erhaltung inländischer Ordnung oder Interessen. Er ist nicht zwingend, weil im Rahmen der Vorbehaltsklausel die üblicherweise auftauchenden Fragen nicht eindeutig zu beantworten sind. Es wäre zum Beispiel falsch, die Berufung auf den ordre public mit der beliebten Begründung zu versagen, daß eine Inlandsbeziehung fehle oder nur in ungenügendem Maß vorhanden sei. Die Sache befindet sich im Inland, und inländische Gerichte haben nicht nur über die Folgen des vollzogenen Eigentumsübergangs, sondern auch über das Eigentum selbst zu entscheiden und dabei das ausländische Gesetz keineswegs bloß zu berücksichtigen, sondern geradezu anzuwenden. Diese Tatsache berührt die inländische Rechtsordnung in so fühlbarer Weise, daß an der Inlandsbeziehung füglieh nicht gezweifelt werden kann, und das gilt selbst dann, wenn der frühere Eigentümer nicht Deutscher ist. Allein damit ist noch nicht gesagt, daß das Inland, selbst wenn es betroffen ist, an einem auf ausländischer Enteignung beruhenden, im Ausland vollzogenen Eigentumsverlust Anstoß zu nehmen hat. Ist es nicht im allgemeinen der inländischen Rechtsordnung gleichgültig, warum das ausländische Recht einen Eigentumsverlust eintreten läßt? Es gibt Rechtsordnungen, die es dem Gutgläubigen ermöglichen, vom Dieb auch andere Sachen als Geld und Inhaberpapiere zu erwerben. Sollte der deutsche Richter es etwa abzulehnen haben, die Bestimmung des schweizerischen Rechts anzuwenden, nach der abhanden gekommene Sachen nach Ablauf von fünf Jahren vom gutgläubigen Erwerber nicht herauszugeben sind34? Es ist vielmehr die Völkerrechtswidrigkeit des Eigentumsverlusts als entscheidend anzusehen. Von diesem Standpunkt aus hat man sich um den ordre public überhaupt nicht zu bemühen. Die Völkerrechtswidrigkeit des ausländischen Rechts macht dieses von vornherein und mit Notwendigkeit unanwendbar, ohne daß es des Umwegs über den ordre public bedarf. Denn, wie der BGH in eindrucksvollen Worten ausgesprochen hat, "das Gesetz findet dort seine Grenze, wo es in Widerspruch zu den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts oder zu dem Naturrecht tritt" 35• Oder, wie der BGH sich an anderer Stelle mit dem ganzen Gewicht seiner großen moralischen Autorität äußert, das Völkerrecht steht "als unantastbarer Kernbereich des Rechts über jedem innerstaatlichen Recht", und wenn zum Beispiel eine Maßnahme gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts verstößt, so müssen die inländischen Gerichte mit Wirkung für den einzelnen "ihre 34 35
Art. 714, 934 ZGB. BGHZ 3, 94 (107) = NJW 1951, 917.
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Unrechtmäßigkeit zugrunde legen" 36• Wie nach Art. 25 GG und den ähnlichen Bestimmungen vieler anderer Verfassungen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts dem Landesrecht vorgehen und die einzelnen unmittelbar verpflichten, so haben sie auch Vorrang vor dem ausländischen Gesetz insoweit (aber auch nur insoweit), als dieses in Deutschland angewandt werden will: das ausländische völkerrechtswidrige Recht ist Unrecht und deshalb a priori unanwendbar. Nur diese Begründung eines kaum anzuzweifelnden Ergebnisses entspricht der Kraft, der Würde, dem Primat des Völkerrechts. Sie entspricht zugleich rechter juristischer Analyse. Das sog. Territorialprinzip findet seine Stütze in der staatlichen Kompetenz. So wie diese Kompetenz durch das Völkerrecht getragen wird, so wird sie durch das Völkerrecht nicht nur territorial und personell, sondern immanent begrenzt. Sie hört dort auf, wo sie in Widerspruch tritt zum Völkerrecht, zu der Quelle, aus der sie fließt.
III. Man hat gegen die vorgetragene Lehre Einwendungen von durchaus ungleicher Beachtlichkeit erhoben. 1. Es ist behauptet worden, das Völkerrecht kenne als einzige Sanktion die Schadensersatzpflicht gegenüber dem Heimatstaat des früheren Eigentümers, nicht die Geltendmachung der Nichtigkeit des Eigentumsübergangs durch den Eigentümer selbst37• Die Schadensersatzpflicht geht primär dahin, daß die Hechtswidrigkeit zu beseitigen ("effacer") ist durch "restitution en nature"38• Allerdings kann Naturalrestitution, die zwar dogmatisch Schadensersatz ist, aber sachlich der Nichtigkeit nahekommt, völkerrechtlich im allgemeinen nur vom Heimatstaat der Verletzten verlangt werden. Aber das ist ein rein prozeßrechtlicher Gesichtspunkt. Das nationale Gericht muß in der ihm gemäßen Weise dem völkerrechtlichen Gebot Rechnung tragen. Das Völkerrecht schreibt nicht vor, wie es durchgesetzt werden 36 BGHSt. 1, 391 (398, 399) = NJW 1952, 111; BGHSt. 2, 234 (238) = LM Nr. 4 zu §59 StGB; BGHSt. 3, 357 (362) = NJW 1953, 351. Die zuletzt genannte Entscheidung ist von ganz besonderer Bedeutung für die Frage, inwieweit es einem Staat freisteht, "darüber zu bestimmen, was Recht und was Unrecht ist". In dieser Entscheidung sowie in BGHSt. 2, 238 wird ausgesprochen, daß heute die Art. 1 - 19 GG die Bindungen definieren, denen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung überall und unter allen Umständen unterworfen sind. Dazu gehört vor allem Art. 14. Vgl. RGZ 145, 16 (Fall Mumm), wonach völkerrechtswidriges französisches Recht in Deutschland nicht anzuerkennen ist (S. 19, 21). sr Vgl. z. B. Beitzke, Festschrift für Raape, S. 96, 97 oder Watter Lewatd, Beiträge zum Bürgerlichen Recht (1950) 416, 417, oder Schnitzer, Internationales Privatrecht (4. Aufl., 1958) II, 603, 604, 607, vgl. aber I, 37, 205. ss Oben Anm. 3.
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will. Es überläßt dies dem nationalen Recht39. Wenn völkerrechtliche Gebote innerstaatlich nicht durchgesetzt werden könnten, so würde das Prinzip, das in Art. 25 GG und in den Verfassungen vieler anderer Länder Ausdruck findet, keinen Sinn und keine Funktion haben40 . Würde man nicht so entscheiden, so würde man überdies zu dem unerträglichen Ergebnis kommen, daß das inländische Gericht sich zum Werkzeug bei der Verwirklichung einer Rechtswidrigkeit machen würde. Damit würde das Gericht die völkerrechtliche Verantwortlichkeit seines Staates herbeiführen. Hätte zum Beispiel Italien 1951 ein Gesetz erlassen, nach dem persisches Öl als dem persischen Staat gehörig zu behandeln ist, so wäre dies gewiß völkerrechtswidrig gewesen, weil, wenn die unter I dargelegte Prämisse richtig ist, Italien damit englisches Eigentum konfisziert hätte. Eine richterliche Entscheidung, die zu diesem Ergebnis führt, würde die staatliche Haftung ebenso engagieren. 2. Man hat eingewandt, daß es einem inländischen Gericht nicht gestattet sei, die völkerrechtliche (oder sonstige) Gültigkeit eines ausländischen Staatsakts nachzuprüfen41 • Das ist die Act-of-State-Theorie, die die amerikanischen Gerichte entwickelt haben42 und die ihre Grundlage in der amerikanischen Verfassung hat: diese ist bekanntlich streng auf dem Prinzip der Gewaltenteilung aufgebaut, und nach amerikanischer Auffassung steht die auswärtige Gewalt dem Präsidenten in dem Sinn ausschließlich zu, daß es dem Richter versagt ist, durch seine Rechtsprechung auch nur indirekt mit ihrer Ausübung zu kollidieren43. Die englischen Gerichte haben - nachweisbar unter dem Einfluß der amerikanischen Judikatur - eine ähnliche Theorie sich zu eigen gemacht44 , und es gibt wenigstens zwei Entscheidungen holländischer Berufungsgerichte45, die ebenfalls dieser Gedankenrichtung angehören, ohne daß die ideengeschichtliche Quelle ersichtlich wäre. Aber
39 Mos!er, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte (1957) S. 7. 40 Darum ist auch der Ausgangspunkt des kenntnisreichen, aber unbefriedigenden Aufsatzes von Baade, American Journal of International Law 1960, 801, schwerlich haltbar. 41 So wohl in Deutschland nur Seid!-Hohenve!dern (unten Anm. 50). 42 Die wichtigsten Entscheidungen sind Underhi!! v. Hernandez (1897),
168 U. S. 250; Ricaud v. Ameri can Meta! (1917), 246 U. S. 304; Oetjen v . Central Leather Co. (1917), 246 U. S. 297. 43 Ein markantes Beispiel für diese Lehre ist United States v. Pink (1942), 315 U. S. 203. Über ihre Grundlagen s. z. B. Jaffe, Judicial Aspects of Foreign Relations (1933) oder C. G. Post, The Supreme Court and Political Questions (1936). 44 Zuerst in Luther v. Sagor (1921), 3 K. B. 532. 45 Haag, 4. 12. 1939, A. D. 1919- 1942 S. 18; Amsterdam, 3. 12. 1942, ebenda Nr. 75 = N. J. 1943 Nr. 340; im Prinzip auch Amsterdam, 4. 6. 1959, AWD 1959, 208 wo jedoch eine Ausnahme bei Völkerrechtswidrigkeiten anerkannt wird.
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im übrigen fehlt es in Europa beinahe an jedem Anhalt für eine Lehre, die aus vielen Gründen wenig anspricht46 und von hervorragender deutscher Seite mit Recht als geradezu "anstößig" bezeichnet worden ist~ 7 • Insbesondere ist sie zum Beispiel dem deutschen48 und schweizerischen Recht49 beinahe unbekannt und gewiß so fremd, daß sie überhaupt nicht zu erwähnen wäre, wenn nicht Seidl-Hohenveldern50 infolge eines Mißverständnisses51 und ihm folgend der Österreichische Oberste Gerichtshof52 die Existenz einer "völkerrechtlichen Regel" behauptet hätten, "derzufolge kein Staat über die Handlungen eines anderen zu Gericht sitzen darf". 3. Man begegnet zuweilen dem Bedenken53 , daß in den Worten des OLG Bremen54 der konfiszierende Staat blockiert werden würde und mit der enteigneten Ware keinen Handel treiben könnte. Gleichzeitig würde aber der gesamte Welthandel durch eine derartige Sanktion stark berührt und beunruhigt werden, besonders wenn der blockierte Staat zu Gegenmaßnahmen greifen würde. Selbst wenn dies richtig wäre, so müßte berücksichtigt werden, daß man zu wählen hätte zwischen der Blockierung des Warenverkehrs und der Blockierung des Kapitalverkehrs. Denn die Ansicht des OLG Bremen würde dazu führen, daß kein vernünftig Denkender das 46 Gegen sie Mann (1943), 59 L. Q. R. 53, 153 und seitdem viele andere Schriftsteller. 47 Herbert Kraus, in Gegenwartsprobleme des Internationalen Rechts und der Rechtsphilosophie (Festschrift für Rudolf Laun, 1953) 223, 231. 48 Es scheint keine deutsche Entscheidung zu geben, die das angebliche Prinzip anerkennt, und auch die Literatur nimmt von ihm keine Notiz. Vgl. Hans Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte (1951); Rumpf, Regierungsakte im Rechtsstaat (1955). 49 Vgl. Schaumann, oben Anm. 26. so Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht (1952) S. 6 und sonst. Von einer "völkerrechtlichen Regel" kann in keinem Fall gesprochen werden: s. z. B. Oppenheim-Lauterpacht, International Law (8. Aufl., 1955) I, 268; Dahm, a.a.O., S. 263 f.; Wengler, Der Begriff des Politischen im Internationalen Recht (1956) Anm. 26; und eingehend Neumayer, 23 (1958) RabelsZ 574 - 585/ ferner Geck bei Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts (1960) I, 55. Dagegen wohl Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts (1948) I, 171, der sich nur auf Literatur, nicht auf Rechtsprechung beruft, und zwar auf Literatur, die fast nur von der persönlichen Immunität des Beklagten handelt. 51 Der Verfasser beruft sich auf ein bekanntes Wort von Bartolus, das sich aber auf die Reichweite staatlicher Gesetzgebungsgewalt bezieht und nichts über die Befugnis und die Pflicht des Richters aussagt, in gewissen Fällen ausländisches Recht nicht anzuwenden. 62 19. 11. 1958, A WD 1959, 128 (ohne weitere Begründung, jedoch unter Berufung auf Seidl-Hohenveldern, S. 44, 45). 53 Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht S. 12, 13. 54 Oben Anm. 23.
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Risiko einer Investition in großen Teilen der Welt auf sich nehmen würde. Welche Art der Blockierung unerwünschter wäre, ist eine Frage, die der Jurist nicht zu beantworten vermag. Jene rein politische Erwägung beruht überdies insofern auf einer Übertreibung, als von einer Blockierung des konfiszierenden Staates nur dann die Rede sein kann, wenn er alles Privateigentum konfisziert; das war zum Beispiel weder im Fall des persischen Öls noch im Fall des indonesischen Tabaks so. Es ist eben die Pflicht und das Privileg des Richters, das Recht - einschließlich des Völkerrechts - zu wahren. Er verläßt den Boden des Rechts und wird seiner Aufgabe untreu, wenn er Politik, sei es auch nur Wirtschaftspolitik, treibt, wenn er mit (vermeintlichen) Zweckmäßigkeitserwägungen nationaler oder lokaler Natur die Funktion des Gesetzgebers ausübt55• IV. So bleibt die Frage nach den Folgen, zu denen die hier vorgetragene Lehre führt. 1. Die völkerrechtswidrig enteignete bewegliche Sache ist als abhanden gekommen zu betrachten. Der ursprüngliche Eigentümer behält seine Rechte, es sei denn, daß ein Nacherwerber gemäß den Vorschriften der lex rei sitae gültig Eigentum erworben hat. In diesem Fall ist es jedoch denkbar, daß der Nacherwerber nach§ 826 BGB oder ähnlichen Bestimmungen des Deliktsstatuts dem ursprünglichen Eigentümer schadensersatzpflichtig ist. 2. Die Nichtigkeit des Eigentumsübergangs bezieht sich nicht nur auf Mobilien, sondern auch auf unbewegliches Vermögen (obwohl in der Praxis der letztere Gesichtspunkt schwerlich von Bedeutung sein wird). Sie tritt ferner nicht nur zugunsten inländischer Staatsangehöriger, sondern auch zugunsten der Angehörigen von Drittstaaten ein. Der Schutz rein nationaler Interessen wäre vielleicht im Rahmen des ordre public ein beachtlicher Gedanke56• Hält man dagegen die Völkerrechtswidrigkeit für entscheidend, so reichen ihre Wirkungen so weit wie der Schutz, den das Völkerrecht gewährt. 3. Wenn der Heimatstaat des Klägers ein Entschädigungsabkommen mit dem enteignenden Staat schließt und nach dessen Inhalt die Enteignungsmaßnahmen als gültig anzuerkennen sind, so entfällt das Recht auf Herausgabe der enteigneten Gegenstände. Das ist allerdings Das übersieht Seidt-Hohenveldern, a.a.O., S. 4. s& Walter Lewald (oben Anm. 37), S. 418 will in der Tat die eigenen Angehörigen des Gerichtsstaats durch ordre public schützen. Dagegen soll nach Niederer (Anm. 57), S. 99, 100 der ordre public auch die Angehörigen des Konfiskationsstaates schützen. 55
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von NiedereT 51 unter Berufung auf den ordre public und "die Verletzung des schweizerischen Rechtsgefühls" für den Fall bestritten worden, in dem die gezahlte Entschädigung nicht "einigermaßen angemessen" war. Aber völkerrechtlich ist ein Staat zur staatsvertragliehen Verfügung über das Vermögen seiner Staatsangehörigen ermächtigt58 • Eine solche Verfügung muß von nationalen Gerichten da anerkannt werden, wo zur Debatte steht, ob ein Vorgang völkerrechtsmäßig oder völkerrechtswidrig ist. Wenn dagegen durch eine innerstaatliche Maßnahme der enteignende Staat Entschädigung in einem Zeitpunkt verspricht, in dem die Sache sich bereits auf fremdem Gebiet befindet, so wird die Völkerrechtswidrigkeit nicht geheilt59 • 4. Die weitaus schwierigste Frage ist die, ob die Nichtigkeit der Eigentumsentziehung sich nur auf diejenigen Sachen bezieht, die vor dieser Entziehung im Eigentum des Klägers standen, oder ob diesem auch das Eigentum an Sachen zusteht, die er erworben hätte, wenn keine Konfiskation stattgefunden hätte. Ist die Anglo-Iranian Oil Company Ltd. im Jahre 1951 Eigentümerin des bei der Entziehung bereits gewonnenen Öls geblieben sowie Eigentümerin des Öls geworden, das nach der Entziehung der Nutzungsberechtigung vom persischen Staat gewonnen worden ist? Wäre der letztere Teil der Frage zu verneinen, so würden sich erhebliche Beweisschwierigkeiten ergeben und überdies wäre die Lehre von der Völkerrechtswidrigkeit des Eigentumsübergangs nur temporär von praktischer Bedeutung; denn man würde auf halbem Weg stehenbleiben. Eine bejahende Antwort erscheint jedoch am Platz60 • Der Grund liegt nicht etwa in den Bestimmungen, die die lex rei sitae zum Beispiel über den Eigentumserwerb an Früchten (vgl. § 956 BGB) enthält; diese sind von Land zu Land verschieden und häufig unentwickelt und undurchsichtig. Der Grund liegt vielmehr darin, daß der Nutzungserwerb ebenso völkerrechtswidrig ist wie der Erwerb der Hauptsache und daß deshalb auch seine Folgen zu "effacer", auszulöschen sind. Ist die Prämisse richtig und gilt deshalb der auf einer Völkerrechtswidrigkeit beruhende Eigentumsverlust als nicht eingetreten, so muß der Kläger nicht nur insoweit obsiegen als er beweist, daß er trotz der Konfiskation Eigentümer geblieben ist, sondern auch soweit er beweist, daß er ohne die 57
Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht XI (1954) 91, 99.
ss BGH, RzW 1960, 553.
Das gleiche Ergebnis bei Cass. Civ., 14. 3. 1939, Clunet 1939, 615. Vgl. jedoch die schwerlich haltbaren Entscheidungen des schwedischen Höchsten Gerichts vom 11. 6. 1941, RabelsZ 13 (1940- 41) 833 = A. D. 1919 bis 1942 Nr. 57 und vom 10. 6. 1942, RabelsZ 15 (1949- 50) 497, nach denen Zahlungen für Lieferungen, die der kommissarische Verwalter eines jüdischen Unternehmens vorgenommen hat, ihm und nicht dem Eigentümer des Unternehmens zustehen. 59
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Konfiskation Eigentümer geworden wäre. Dagegen wird man wohl nicht so weit gehen dürfen, daß man dem Eigentümer einer enteigneten Fabrik auch das Eigentum an denjenigen Erzeugnissen zuspricht, die nach der Enteignung fabriziert worden sind. 5. Nach dem Recht vieler Länder ist ein Versicherungsvertrag nichtig, wenn er dem Zweck dient, dem Versicherungsnehmer den Erfolg sozialwidrigen Verhaltens zu sichern61 • Da die völkerrechtswidrig enteignete Sache als abhanden gekommen, ja als gestohlen gilt, so kann sie, wenn beide Parteien die Umstände kennen, im allgemeinen nicht gültig versichert werden.
V. Der Gegensatz, zu dem die vorstehenden Bemerkungen Stellung genommen haben, ist letzten Endes nichts anderes als der Gegensatz zwischen dem Positivismus, wie er in der starren Durchführung des Territorialprinzips in Erscheinung tritt, und dem gemäßigten Naturrecht, dem in der Tradition des Hugo Grotius das moderne Völkerrecht Ausdruck gibt. Es ist der Gegensatz, der nirgends mit solcher Würde und Eindringlichkeit und so vorbildlicher Rechts- und Moralauffassung gelöst worden ist wie vom deutschen BGH, dessen vielleicht größte Leistung in seiner wegweisenden Rechtsprechung zum Naturrecht liegt62• Es ist der Gegensatz zwischen den Grenzen des Gesetzes und der Unbegrenztheit des Rechts. Das Problem der völkerrechtswidrigen Enteignung ist ferner ein bemerkenswertes Beispiel für die Unbedingtheit und Unabdingbarkeit des Rechtsgedankens. Der Skeptizismus unserer Zeit mag manchen zu der Frage führen, ob es wirklich sinnvoll ist, das große Geschütz des "Kernbereichs des Rechts" da einzusetzen, wo es (nur) um den Schutz des Privateigentums geht. Steht diese Aufgabe im rechten Verhältnis auf der einen Seite zu dem extremen Unrecht, in dessen Namen Millionen von Menschen gemordet, ausgeplündert und vertrieben worden sind? Steht sie im rechten Verhältnis auf der anderen Seite zu der Tatsache, daß es sozial schutzwürdige Interessen gibt, deren Mißachtung nicht oder - vielleicht sollte man sagen - noch nicht völkerrechtswidrig ist? Oder man hat auf die Art und den Wert der entzogenen Sache abstellen zu können geglaubt. Die Wegnahme von Hausrat, wie etwa einer Nähmaschine, sei aus Gründen der Humanität zu verdammen und deshalb nicht anzuerkennen63 • Aber wo es um die Prölss, Versicherungsvertragsgesetz (12. Aufl., 1960) Vorb. 2 vor §51. Vgl. im allgemeinen Weinkauf, NJW 1960, 1689, und z. B. Bodenheimer, American Journal of Comparative Law 1954, 379; s. auch Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz, Archiv des öffentlichen Rechts 1960, 121. 63 Kegel bei Soergel, IV S. 78. 61
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Nationalisierung von Öl oder von Tabakplantagen oder auch nur von Juwelen oder Bildern gehe, da sei den Maßnahmen des Enteigners nicht beizukommen. Vielleicht hat man gelegentlich auch nationale oder lokale Interessen der Rechtsidee gegenüberstellen zu können geglaubt. Italienische ÖHmporteure mögen geglaubt haben, sich um Italien verdient zu machen, wenn sie vom persischen Staat Öl zu einem billigeren Preis erwerben als die enteignete Anglo-Iranian Oil Company bewilligt hätte. Oder der Gedanke, daß Venedig etwa ein Ölhafen werden könnte, mag für einen Venezianer wichtiger sein als der Schutz ideeller Werte. In einem anderen Sinn hat ein bekannter Schriftsteller64 geglaubt, im internationalen Enteignungsrecht Zweckmäßigkeitserwägungen den Vorrang vor moralischen, "vor ethischen, ja selbst vor rechtstheoretischen Argumenten geben" zu können: die zutreffende Lösung soll hinter derjenigen zurücktreten, "der die meisten Staaten bereits folgen", die deshalb "einer möglichst allgemeinen Annahme" sicher sein kann. Ja, der gleiche Schriftsteller scheint den Vorschlag zu machen65, daß die juristische Entscheidung "zu einer Entspannung zwischen Ost und West beitragen" sollte. Dieses ungewöhnliche Programm wissenschaftlicher Forschung, dieses Verlassen juristischer Maßstäbe zugunsten opportunistischer Gesichtspunkte würde zu einem Tiefstand des Niveaus führen, der untragbar wäre. Erwägungen dieser Art kann und darf nicht Raum gegeben werden. Völkerrechtsverletzungen sind immer absolutes Unrecht. Sie sind unverzeihlich und können in den Augen des verantwortungsbewußten Juristen nie Recht schaffen.
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Seidt-Hohenvetdern,
Internationales Konfiskations- und Enteignungs-
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Seidt-Hohenveldern,
Friedenswarte 53 (1956), 1, 17.
recht (1952) S. 4. 12 Mann
IX. Eingriffsgesetze und Internationales Privatrecht* I.
Die internationalprivatrechtliehen Probleme, die durch staatliche Eingriffe in den normalen, von den Parteien erwarteten Ablauf von Vertragsverhältnissen geschaffen werden, haben seit langem die Praxis und Literatur beschäftigt. Schon im Jahre 1935 hat Eduard Wahl eine starke Tendenz festgestellt, "für das internationale Geschäft einen Komplex hemmender Normen, die bald als politisch, bald als öffentlichrechtlich charakterisiert werden, auszuscheiden, weil man fürchtet, dem internationalen Geschäftsverkehr überhaupt die Basis zu entziehen, wenn die nationalen Gesetzgeber durch wirtschaftspolitische Maßnahmen jederzeit in die Abwicklung laufender Geschäfte eingreifen können"1. Diese Äußerung, der allerdings eine heute schwerlich zu billigende Einstellung zu Sonderrecht zugrunde liegt, fiel, als es darum ging, die Wirkung der amerikanischen Goldklauselgesetzgebung auf einen Anleihevertrag zu beurteilen, der zwar dem Recht von New York unterstand, aber zwischen zwei in Deutschland ansässigen Deutschen geschlossen und in Deutschland zu erfüllen war. Der Jubilar, dem diese Zeilen gewidmet sind, sah damals das Problem noch im traditionellen Licht und war sich darüber im klaren, daß im allgemeinen die folgenden Ergebnisse erzielt werden: Eine Zahlungsverpftichtung, die deutschem Recht unterliegt, wird selbst dann nicht von der amerikanischen Goldklauselgesetzgebung berührt, wenn die Parteien (oder eine der Parteien) in den Vereinigten Staaten ansässig sind, die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen und Dollars zu zahlen sind; es ist auch im Prinzip gleichgültig, ob der Zahlungsort in den Vereinigten Staaten sich befindet, es sei denn, daß ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt2 , der zu einer Verlegung des Zahlungsortes führen könnte3 • Andererseits wäre im Regelfall die amerikanische Gesetzgebung immer zu berücksichtigen, wenn auf den Vertrag das Recht von New York anzuwenden wäre. Sollte die Verpflichtung
* Veröffentlicht in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung (Festschrift für Eduard Wahl), hrsg. von Klaus Müller und Hermann Soell 1973. 1 NiemeyersZ 52 (1938), S. 277, 278, 279. 2 RGZ 93, S. 182. 3 RG JW 1924, S. 1357; RGZ 107, 8 . 121; OGHBrZ, NJW 1949, S. 465, durchweg unter Billigung durch die Literatur.
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schweizerischem Recht unterliegen, so wäre im allgemeinen nicht nur die amerikanische, sondern auch eine deutsche Gesetzgebung zur Goldklausel unbeachtlich, es sei denn, daß die letztere zur Anwendung von Art. 30 EGBGB zwingt4 • Ähnliche Lösungen ergeben sich bei Eingriffsgesetzen anderer Art, wie etwa bei Ein- oder Ausfuhrverboten, bei Devisenkontrollmaßnahmen oder bei Zinsbeschränkungen. Wahl versuchte seinerzeit, den Eingriff, den nach prinzipiell anwendbarem amerikanischen Recht die Goldklauselgesetzgebung in den zwischen Deutschen geschlossenen und in Deutschland zu erfüllenden Vertrag vornahm, dadurch auszuschalten, daß er sich auf drei Argumente stützte. Von diesen sind zwei heute wahrscheinlich nicht mehr zugkräftig.
So ist die These, die Auslegung des Vertrages führe dazu, daß die Parteien "das amerikanische Goldklauselgesetz von der Anwendung ausschließen wollten" heute nicht mehr zu halten. Wie das Reichsgericht sich ausgedrückt hat5 , kann allein die Tatsache einer unerwarteten Gesetzesänderung in Amerika "es nicht rechtfertigen, die ausdrücklich und unbedingt ausgesprochene Unterstellung unter die Gesetzgebung des Staates New York einschränkend dahin auszulegen, daß damit eine Unterwerfung auch unter ein derartiges Gesetz nicht gemeint gewesen sei". Das entspricht gesunder und heute weithin anerkannter internationalprivatrechtlicher Lehre6 und ist gerade im Zusammenhang mit der amerikanischen Goldklauselgesetzgebung von zahlreichen hohen Gerichten ausgesprochen worden7 • Die von Wahl fernerhin befürwortete Berufung auf Art. 30 EGBGB ist im Ergebnis vom Reichsgericht akzeptiert worden8 • Wenn man von üblem nationalsozialistischem Beiwerk absieht, so läuft die Entscheidung darauf hinaus, daß Art. 30 zugunsten derjenigen deutschen Gläubiger eingreife, die bei Erlaß des Goldklauselgesetzes bereits Inhaber der Forderung waren. Diese praktisch unbrauchbare Unterscheidung zwischen 4 Im Fall von § 3 WährG ist das gewiß nicht so. Nicht jede Vorschrift zwingenden Rechts erfüllt die Voraussetzungen, die eine Berufung auf Art. 30 rechtfertigen oder zwingen: BGH NJW 1961, S. lOGt. F&gen, Geldund Währungsrecht, S. 150 Anm. 238, will § 3 währungsrechtlich anknüpfen. Das würde eine Rückkehr zu den Gedanken des unten Anm. 9 erwähnten Dollarbondgesetzes bedeuten und ist auch aus vielen anderen Gründen unannehmbar. 5 JW 1936, S. 2058. G Vgl. z. B. Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., S. 24; Rabel, RabelsZ 10 (1936), S. 507 = Gesammelte Aufsätze II, S. 344. Siehe vor allem die Entscheidung RG JW 1938, S. 1447, wo mit aller Klarheit ausgesprochen ist, daß die Unterwerfung eines Vertrags unter deutsches Recht das jeweilige deutsche Recht, also auch z. B. das nachträglich erlassene Aufwertungsgesetz erfaßt. 7 Nachweise bei Mann, Recht des Geldes, 1960, S. 255 Anm. 143, 146. s Oben Anm. 5.
12*
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Alt- und Neubesitz wurde bekanntlich durch ein - seinerseits nicht minder bedenkliches - Gesetz beseitigt9 und kann außer acht gelassen werden. Wahl selbst schien Artikel30 deshalb für anwendbar gehalten zu haben, weil das Goldklauselgesetz eine gegenüber Ausländern völkerrechtswidrige Enteignungsmaßnahme dargestellt habe. Aber wir wissen heute, daß die Erwartung auf den Fortbestand eines Rechtszustands keinen Vermögenswert darstellt und daß eine Rechtsänderung, die nicht Vermögenswerte auf den Staat überträgt, keine Enteignung ist1°. Auch sonst ist die- in weiten Teilen der Welt verbreitete- Abschaffung der Goldklausel ihrem Inhalt wie ihrem Charakter nach mit dem ordre public durchaus vereinbar. Schließlich berief sich Wahl auf die Lehre, nach der öffentlichrechtliche Gesetze im internationalen Privatrecht außer Anwendung zu bleiben haben. In den Augen vieler ist diese Lehre auch heute noch durchschlagend. Sie wird deshalb des näheren zu untersuchen sein (unten II). Darüber hinaus wird man sich zwei Gedankengängen zuwenden müssen, die in neuerer Zeit entwickelt worden sind und die jenen "Komplex hemmender Normen" isolieren wollen, nämlich die Lehre vom öffentlichen Kollisionsrecht (unten III) sowie die Lehre von der Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsgesetze (unten IV)1°a. Vorweg sind jedoch drei Gesichtspunkte mit aller Deutlichkeit zu betonen. Zunächst muß ein für allemal klargestellt sein, daß die hier aufgeworfene Problematik nur auftauchen kann, aber auch immer auftaucht, wenn Art. 30 EGBGB nicht zur Anwendung kommt. Es sind viele Umstände denkbar (und es handelt sich dabei keineswegs nur um Fälle von Diskriminierung oder Verfolgung), in denen wegen des Verstoßes gegen den deutschen ordre pnblic das ausländische Gesetz von einem deutschen Richter zu verwerfen ist. Die Reserveklausel des Art. 30 steht immer zur Verfügung. Ihre Existenz braucht nicht ständig in Erinnerung gebracht zu werden. Zuweilen mag sie durchgreifen. Ob die Voraussetzungen gegeben sind, ist im Einzelfall zu prüfen. Hier wird diese Selbstverständlichkeit unterstellt. Sie wird nicht erörtert11 • 9
Vom 26. 6. 1936, RGBl. 1936 I, S. 515, das sog. Dollarbondgesetz.
to So ausdrücklich die amerikanische Rechtsprechung sowie das völker-
rechtliche Material. Für Nachweise s. Mann, The Legal Aspect of Money, 3. Aufl. 1971, S. 306 Anm. 4 bzw. S. 495. toa Dabei handelt es sich um eine auf den deutschen Rechtszustand zugeschnittene und z. T. erweiterte Darstellung von Gedankengängen, die im wesentlichen schon in den Haager Vorlesungen über Conflict of Laws and Public Law, Rec. des Cours 132 (1971 I), S. 157 - 196, vorgetragen worden sind. 11 Die bei weitem überwiegende Praxis hat es abgelehnt, der Außerkraftsetzung von Goldklauseln mit der Berufung auf den ordre public zu begegnen. Vgl. Mann, a.a.O., S . 259, 260.
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Sodann kann keineswegs anerkannt werden, daß gewissermaßen a priori ausländische Eingriffsgesetze immer und notwendigerweise auszuschalten sein sollten. Es ist einfach nicht richtig, daß sie regelmäßig, also insbesondere beim Versagen des Art. 30, in ihrer Wirkung so unbefriedigend sind, daß Wege zu ihrer Vermeidung gefunden werden müssen. Die Parteien, die die Geltung eines bestimmten Rechtssystems verabreden, unterwerfen sich seinem von Zeit zu Zeit wechselnden Inhalt, nehmen seine Entwicklung durch Gesetzgebung oder Rechtsprechung auf sich und können sich nicht darüber beschweren, wenn ihre Erwartungen fehlgehen. Es ist nicht Sache der Rechtsfindung, Risiken, die in einem Vertrag oder einer Vertragsbestimmung liegen, auszugleichen. Selbst wenn sie unvorhergesehen und unvorhersehbar waren, sollte der Jurist sich nicht automatisch dazu berechtigt und verpflichtet halten, nach Auswegen zu suchen. Im angloamerikanischen Rechtskreis wird, wie noch zu zeigen sein wird, an der Richtigkeit dieser Gedanken nicht gezweifelt. Auch in Deutschland sollte man den Weg zur recht verstandenen Parteiautonomie zurückfinden. Schließlich ist es eine Übertreibung, zu behaupten, daß die Anerkennung nationaler Gesetzgebungsakte wirtschaftspolitischer Art dem internationalen Geschäftsverkehr "die Basis zu entziehen" geeignet sei. Der internationale Geschäftsverkehr ist längst damit vertraut, daß solche Maßnahmen überall an der Tagesordnung sind, daß man sich ihnen durch Rechtswahl häufig entziehen kann, daß man sie aber, wo das nicht der Fall ist und der ordre public nicht eingreift, in Kauf nehmen muß. Dennoch ist jener Verkehr ständig und in ungeahntem Maß gewachsen. Niemand hat feststellen können, daß z. B. der ungeheure Markt der Eurowährungsanleihen dadurch erschüttert worden ist, daß Kouponsteuern eingeführt oder schwankende Kurse praktiziert worden sind. I I.
In gewissem Sinn kann der Lehre von der Unanwendbarkeit fremden öffentlichen Rechts uneingeschränkt zugestimmt werden; denn sie drückt eine Selbstverständlichkeit aus. In keinem Land wird das öffentliche Recht eines anderen Landes "angewandt". Die deutsche Steuerbehörde wendet notwendigerweise deutsches Steuerrecht an; sie denkt nicht daran, einen Steuerpflichtigen ausländischer Staatsangehörigkeit etwa nach ausländischem Steuerrecht zu veranlagen. Oder die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Engländer in Deutschland sein Automobil zu führen berechtigt ist, richtet sich notwendigerweise und ausschließlich nach deutschem Verwaltungsrecht,
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mag dieses auch einen englischen Führerschein unter bestimmten Voraussetzungen anerkennen. Die Maxime beabsichtigt jedoch, ein viel weniger eindeutiges, aber zugleich viel umfassenderes Prinzip zum Ausdruck zu bringen. Fremdes öffentliches Recht, so wird behauptet, kann auch nicht indirekt "angewandt" werden, indem man es in Betracht zieht oder berücksichtigt, indem man ihm im Rahmen des Privatrechts Folgerungen oder Wirkungen beimißt, indem es die Entscheidung über ein Rechtsverhältnis beeinflußt, das im Forumstaat zu beurteilen ist und dem Recht des betreffenden ausländischen Staates unterliegt. Wenn also ein Vertrag dem Recht von Ruritanien untersteht und im Hinblick auf eine Vorschrift des ruritanischen öffentlichen Rechts ungültig ist, so muß er angeblich doch im Forumstaat als gültig behandelt werden, denn anderenfalls würde der inländische Richter ruritanisches öffentliches Recht "anwenden", und das ist ihm nicht gestattet. Die Maxime soll angeblich selbst dann gelten, wenn das ausländische öffentliche Recht selbst nicht die Ungültigkeit vorsieht, sondern nur ein Verbot enthält und ein Verstoß gegen dieses aus rein zivilrechtliehen Gründen, etwa auf Grund einer dem § 134 BGB entsprechenden Vorschrift, zur Ungültigkeit führt. Diese Lehre, deren Ursprung im Dunkeln liegt und von der mit Recht gesagt worden ist, daß sie nicht durch ständige Wiederholung bewiesen wird12, weist drei Besonderheiten auf. In erster Linie hat sie nichts mit dem ordre public zu tun. Sie tritt neben den ordre public und schreibt die Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts auch dann vor, wenn dieses von keinem Gesichtspunkt aus gesehen gegen den heimischen ordre public verstößt. Sodann ist die Lehre unabhängig von dem nicht zu bezweifelnden Satz, nach dem ein ausländischer Staat weder direkt noch indirekt öffentlichrechtliche Ansprüche im Inland verfolgen kann13• Dieser Satz beruht letzten Endes auf völkerrechtlicher Grundlage und bedeutet z. B., daß die Strafbarkeit einer Handlung im Inland von inländischem Recht abhängt und ein ausländischer Staat im Inland keine Strafgewalt ausüben kann. Aber er hat nichts mit den Rechtsfolgen zu tun, die dann eintreten, wenn ein ausländischem Recht unterliegendes Rechtsverhältnis nach diesem unwirksam ist. Schließlich ist hervorzuheben, daß die Maxime nur in Frankreich14, der Schweiz15 und neuerdings in Deutschland 16 eine gewisse Anerken12 In diesem Sinn Schnitzer, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 1957, S.191, 192. ta Im einzelnen vgl. unten S. 201. u Es gibt keine Entscheidung der Cour de Cassation, wenn man von der
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nung gefunden hat, daß sie auch in diesen Ländern bisher ausschließlich auf dem Gebiet des Devisenrechts zum Ausdruck gebracht worden17, daß sie aber z. B. im anglo-amerikanischen Rechtskreis unbekannt und gerade auf dem Gebiet des Devisenrechts in England niemals auch nur in Betracht gezogen worden ist18• Es ist jedoch keineswegs sicher, daß in all den Entscheidungen, in denen die Maxime erwähnt wurde, auch das Ergebnis auf ihr beruht. So spricht vieles dafür, daß in der Schweiz die Urteile zum interEntscheidung von 16. 10. 1967, Rev. Crit. 57 (1968), S. 661 absieht, die gerade in dem zur Debatte stehenden Punkt nicht ganz eindeutig ist. Im übrigen siehe Cour de Paris, 19. 4. 1928, Clunet 55 (1928), S. 695; 30. 6. 1933, Clunet 60 (1933), S. 963; 26. 10. 1933, Clunet 61 (1934), S. 943; 26. 3. 1936, Clunet 63 (1936), S. 931; 3. 4. 1936, D. 1936, 2, S. 88; Cour de Colmar, 16. 2.1937, Clunet 64 (1937), S. 784. In vielen dieser Fälle ist es zweifelhaft, ob die Maxime wirklich ratio decidendi war. Gegen sie insbesondere Batiffol, Droit International Prive, 5. Aufl. 1970, Nr. 248. 15 Eine vollständige Liste der Entscheidungen findet sich bei Schäneberger, Anm. 134- 137 der Allgemeinen Einleitung zu Bd. V 1 a des Kommentars zum Obligationenrecht, Zürich 1961. Die neueste Entscheidung ist 4. 2. 1969, BGE 95 II 109 (114). Die wichtigsten früheren Entscheidungen sind 8. 10. 1935, BGE 61 II 242; 28. 10. 1948, BGE 74 II 224 oder Schw.Jb.Int.R. 1949, S. 217 mit Anm. von Gutzwiller; 23. 1. 1953, BGE 79 II 87, auch Schw.Jb. Int.R. 1954, S. 263; 2. 2. 1954, BGE 80 II 53, auch Schw.Jb.Int.R. 1955, S. 275. Die schweizerische Literatur hat die Maxime fast einhellig verworfen. In diesem Sinn schon vor dem Krieg R. R. Neumann, Devisennotrecht und Internationales Privatrecht, Bern 1938, sowie in neuere Zeit Bär, Kartellrecht und Internationales Privatrecht, 1965, S. 297; Gutzwiller, Schw.Jb.Int.R. 1949, S. 221; Heiz, Das fremde öffentliche Recht im internationalen Kollisionsrecht, 1939, S. 113 ff.; Pierre A. Lalive, Eranion en l'honneur de G. S. Maridakis, Athen 1964, III, S. 189; Schnitzer, oben Anm. 12; Vischer. Intermltionales Vertragsrecht, 1962, S. 188 ff. Zugunsten der Maxime spricht sich Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, 1954, S. 307 ff. aus. 18 BGHZ 31, S. 367. Zugunsten der Maxime spricht sich Johannes Schulze, Das öffentliche Recht im Internationalen Privatrecht, 1972, S. 46- 57 aus. Diese Schrift hat leider einen so abstrakten Charakter, daß sie der wahren Aufgabe juristischer Forschung kaum zu dienen geeignet ist. Warum z. B. die "privatrechtsgestaltenden Vorschriften öffentlichen Rechts" eine Sonderbehandlung verdienen sollen, wie sie überhaupt zu erkennen und abzugrenzen sind, bleibt in einem Zeitalter, in dem der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Recht immer mehr verschwindet, völlig unklar. Man möge doch nie vergessen, daß jener Unterschied nicht naturge~eben ist, sondern nur in gewissen Ländern und dort nur als Folge der RechtswegregeJung besteht. 11 Der BGH berief sich auf eine große Reihe von Entscheidungen, die mit vollem Recht ausgesprochen haben, daß ausländische Konfiskationen keine Wirkung hinsichtlich des im Inland belegenen Vermögens haben können. Das ist ein völlig anderer Gedanke, der die hier zur Diskussion stehende Maxime in keiner Weise zu rechtfertigen vermag. 18 Vgl. etwa Banque des Marchands de Moscou (No. 2), (1954), 1 W. L. R. 1108; De Beeche v. South American Stores Ltd. (1935), A. C. 148; Rossano v. Manufacturers Life Assurance Co. (1963), 2 Q. B. 352, neben vielen anderen Entscheidungen zu ähnlichen Rechtsgebieten. Gegen die Maxime insbesondere Rabel, Conftict of Laws, li, 1947, S. 565, 566.
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nationalen Devisenrecht in Wahrheit von der "spoliativen" Natur getragen werden, die nach der Auffassung des Bundesgerichts Devisenbestimmungen kennzeichnet19• Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß außerhalb des Gebietes des Devisen- und Konfiskationsrechts die Maxime bisher nie zur Anwendung gekommen zu sein scheint20 • Es ist danach durchaus nicht unwahrscheinlich, daß in der Schweiz und vielleicht auch in Frankreich die Maxime zwar oft proklamiert, aber nicht angewandt wird. Wenn man ihren wahren Inhalt und Wert feststellen will, so muß man an einen Testfall denken, wie er bisher noch nirgends zur Entscheidung gekommen ist: man nehme an, ein Vertrag unterliege dem Recht von Ruritanien und sei nach diesem nichtig, weil er gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nämlich gegen Bestimmungen des Kartellgesetzes, die Wettbewerbsbeschränkungen untersagen. Müßte die Anwendung des öffentlichen Rechts von Ruritanien abgelehnt und demgemäß der Vertrag als wirksam behandelt werden? Die Frage sollte mit Rücksicht auf Erwägungen grundsätzlicher Art verneint werden. 1. Es geht zunächst nicht an, öffentlichem Recht einen prinzipiell anderen Charakter als privatem Recht zuzuschreiben und es insbesondere als von dem Prinzip der Territorialität der Gesetze beherrscht zu betrachten. Jeder Gesetzgeber handelt ausschließlich für den Bereich seiner eigenen Gebietshoheit oder vielleicht seiner eigenen Staatsangehörigen, ohne daß dabei zwischen öffentlichem und privatem Recht zu unterscheiden ist. Wie Batiffol sich mit Recht ausgedrückt hat21 , "chaque Etat legifere sur les relations juridiques se deroulant su1· son terr·itoire". Ähnliche Äußerungen sind in Belgien22 und Deutschland23 gefallen. Sie drücken einen geradezu offensichtlichen Erfahrungssatz aus und zeigen, daß der Gedanke der Territorialität des öffentlichen oder privaten Rechts im Rahmen des Völkerrechts wertvoll, aber im internationalen Privatrecht weder relevant noch nützlich ist. Die Territorialität hat zwar in der Geschichte des internationalen Privatrechts eine erhebliche Rolle gespielt. So war sie für den geradezu grotesken Wirrwarr verantwortlich, der im Jahre 1849 entstand, als der belgisehe Kassationshof, zehn Jahre nach einer Entscheidung des Höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten im umgekehrten Sinn24, plötzlich einer französischen Aktiengesellschaft das Prozeßführungstu In diesem Sinn vor allem die Entscheidungen vom 8. 10. 1935 und 4. 2. 1969, die oben Anm. 15 erwähnt sind. 20 Vgl. auch unten bei Anm. 32. 21 Aspects Philosophiques de Droit International Prive, 1956, S. 260. 22 Henri Rolin, Rec. des Cours 77 (1950 II), S. 307, 370. 23 Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1955, § 190 Anm. 3. 24 Bank of Augusta v. Earle, 13 Pet. 519 (1839) auf S. 588, 589.
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recht in Belgien mit der Begründung verweigerte, daß "un tel etre c1·ee exclusivement par une loi etrangere et n'existant que par elle expire necessairement Zd ou finit Z'empire de cette Zoi" und daß die Anerkennung der französischen juristischen Person "serait etendre au dela des limites tracees par le droit international le pouvoir de l'lttat qui l'a cree"25• So ist, um ein anderes und moderneres Beispiel zu nehmen, der Gedanke der Territorialität in einigen Ländern für die Praxis verantwortlich, nach der im Inland keine Ansprüche auf Grund ausländischer Verletzungen ausländischer Patente oder Warenzeichen verfolgt werden können, - eine Praxis, die in England26 und Australien27 allgemein und in Deutschland in bezug auf Patentverletzungen26 vorherrscht. Aber das sind vereinzelt gebliebene Irrlehren. Sie beeinträchtigen nicht den Grundsatz, der dem Begriff der Territorialität im internationalen Privatrecht Geltung versagt und im Gegenteil die Anwendung des von der Kollisionsnorm berufenen ausländischen Rechts jeder Art, also Gesetze wie gemeinen Rechts, öffentlichen wie privaten Rechts gestattet und verlangt29. Statt vom Charakter des ausländischen Rechts muß demnach von der Kollisionsnorm des Gerichtsstaates ausgegangen und gefragt werden: Worauf verweist sie? Welche Art von Recht wird von ihr für 25 Pas.b. 1849, 1, S. 221 mit dem berühmten Schlußvortrag des Procureur General Mathieu Leclercq. Die Wirkungen dieser Entscheidung waren enorm. Sie werden beschrieben z. B. von Raymond Abrahams, Les Socil~tes en Droit International Prive, 1957; von Bar, Theorie und Praxis des Internationalen Privatrechts, 1889, I, S. 305; Batiffol, Traite de Droit International Prive, 5. Auf!. 1970, § 201; Loussouarn-Bredin, Droit du Commerce International, 1969, § 287. Noch im Jahre 1880 verteidigte Laurent, Droit Civil International, IV, §§ 119 ff., die belgisehe These mit großer Energie: "Le legislateur seul a le pouvoir de creer des personnes juridiques; or, son pouvoir s'arrete d la limite du territoire de la nation qui lui a delegue la puissance legislative; hors de ces limites, il n'exerce aucune autorite; donc les corporations, qui n'ont d'existence que par sa volonte, n'existent pas ld ou cette volonte est sans Jorce et sans effet." 2& Dicey and Morris, Confiict of Laws, 9. Auf!. 1967, S. 930 und M. Wolff, Private International Law, 2. Auf!. 1950, S. 486, 489. 27 Norbert, Steinhardt a•nd Son Ltd. v. Meth (1960), 105 C. L. R. 440. 2s Die grundlegende Entscheidung ist diejenige des RG vom 18. 6. 1890, JW 1890, S. 280. Es ist zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung heute bestätigt würde. Das OLG Düsseldorf, IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 183, ist ihr nicht gefolgt. In der Literatur wird sie abgelehnt: Krausse-Kathlun-Lindenmaier, Patentgesetz, 5. Aufl. 1970, § 6 Anm. 69; Reimer, 3. Auf!. 1968, S. 266; Benkard, 5. Aufl. 1969, S. 363. Daß die alte Rechtsprechung nicht für Warenzeichenverletzungen gilt, steht fest: BGHZ 22, S. 1 (13). 29 Man kann deshalb die Gefühle Zweigerts teilen, der gestanden hat, daß er geradezu leidet, wenn er im internationalen Privatrecht vom Grundsatz der Territorialität sprechen hört: Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in : Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Harnburg 1965, S. 124 (130). Eine französische Übersetzung findet sich Rev. Crit. 54 (1965), S. 645.
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anwendbar erklärt? Die Antwort lautet: das ausländische Recht als Ganzes, in seiner Gesamtheit, so wie es im Ausland gilt30• Wie der Österreichische Oberste Gerichtshof im Jahre 1935 mit Recht erklärt hat31, so richtig es ist, daß Währungsrecht als solches öffentliches Recht ist, so unrichtig ist es, daraus auf die Unzulässigkeit seiner Anwendung durch den inländischen Richter zu schließen. Wird dieser durch eine Kollisionsnorm des Internationalen Privatrechts auf ein fremdes Währungsstatut verwiesen, so hat er es ungeachtet seines öffentlichrechtlichen Charakters zu beachten. Wird diese These als richtig anerkannt, dann braucht man sich nicht im einzelnen mit der merkwürdigen Lehre zu befassen, die zwischen verschiedenen Typen öffentlichen Rechts unterscheidet und die Berücksichtigung desjenigen öffentlichen Rechts des Auslands gestattet, das ausschließlich oder vornehmlich dem Schutz von Individualinteressen dient oder die Zwecke des maßgeblichen ausländischen Privatrechts fördert 32• Die Lehre ist merkwürdig, weil sie möglicherweise auf einem Mißverständnis beruht. Seit den Tagen Ulpians hat man auf den Zweck des Gesetzes abgestellt, um herauszufinden, ob es zum öffentlichen oder privaten Recht gehört33• Aber erst im Jahre 1954 kam in der Schweiz der Gedanke auf, daß man zwischen zwei verschiedenen Arten öffentlichen Rechts zu unterscheiden habe34 • In keinem Fall spricht etwas dafür, daß eine solche Unterscheidung rechtlich von Wert und haltbar wäre. Im Jahre 1954 war das schweizerische Bundesgericht mit den Wirkungen der bekannten Gesetzgebung befaßt, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Holland eingeführt wurde und die während der Besatzungszeit gestohlene holländische Wertpapiere für ungültig erklärte. Diese Gesetzgebung dient nach der Auffassung des Bundesgerichts dem Schutz des Privatvermögens. Aber es kann nicht 3D RGZ 78, S. 234. Die Entscheidung bezieht sich auf den Fall der Rückverweisung, ist aber von allgemeiner Bedeutung, insbesondere soweit sie betont, man sei "nach einer altbewährten Auslegungsregel nicht berechtigt, Unterscheidungen hineinzutragen, den allen Kulturstaaten geläufigen, sehr allgemeinen Ausdruck ,Gesetz' oder ,Recht' in Gruppen zu spalten, je nachdem es sich um materielles Recht, um Sachnormen oder um das auf den gegenseitigen Verkehr der Staaten bezügliche internationale Recht, die Kollisionsnormen handelt, und demgemäß unter Gesetzen sprachwidrig nur die Sachnormen zu verstehen". Dasselbe gilt, wenn man anstelle von Sachnormen von Privatrechtsnormen sprechen würde. at 26. 11. 1935, RabelsZ 9 (1935), S. 891 ff. (896). 3l? In diesem Sinn zuerst die Entscheidung vom 2. 2. 1954, BGE 80 II 53, der der deutsche Bundesgerichtshof am 17. 2.1959, BGHZ 31, S. 368 gefolgt ist.
33 D. 1. 1. 2.: publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem.
34 Das Schweizerische Bundesgericht berief sich auf eine Reihe von Schriftstellern, aber es hat wahrscheinlich sowohl deren Worte wie deren Gedanken mißverstanden. So äußert sich z. B. Melchior, Die Grundlagen des Deutschen Internationalen Privatrechts, 1932, S. 130, 267, im Sinne des Texts und gibt nichts für die Meinung des Bundesgerichts ab.
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geleugnet werden, daß wenigstens in gewissem, schwer zu definierendem oder festzustellendem Umfang die holländische Gesetzgebung auch dem Schutz der holländischen Wirtschaft im ganzen und der Ausschaltung des von Deutschen unrechtmäßig erworbenen Vermögens diente. Warum der erstere Zweck schutzwürdiger sein soll als der letztere, ist unerfindlich. In keinem Fall erscheint es nützlich, über den Haupt- oder Nebenzweck eines Gesetzes zu spekulieren, das in Wahrheit wohl auf einer Mehrzahl von Motiven beruht. Der zwiespältige Charakter eines öffentlichrechtlichen Gesetzes, das dem Schutz privater Interessen dient, kann kaum je mit Sicherheit ermittelt werden. Man denke etwa an Wuchergesetze. In vielen Ländern handelt es sich dabei um öffentliches Recht. Dient es nur oder hauptsächlich privaten Interessen? Und gibt es nicht auch Zivilrecht, das öffentlichen Interessen oder Zwecken dient? Solche unlösbaren Fragen werden am besten dadurch vermieden, daß man nicht nur jene unpraktische Unterscheidung, sondern auch die ihr zugrunde liegende Lehre aufgibt, nach der ausländisches öffentliches Recht im Forumstaat unanwendbar sein soll. 2. Sodann muß, wie bereits angedeutet, daran festgehalten werden, daß der Richter, der durch seine eigene Kollisionsnorm auf ein fremdes Recht verwiesen wird, weder nach dem Sprachgebrauch noch kraft juristischer Logik je dazu berufen ist, fremdes öffentliches Recht "anzuwenden", soweit seine eigene Kollisionsnorm dies nicht verlangt. In der Regel wendet der Richter entweder Vorschriften an, die in einer öffentlichrechtlichen Norm des Auslands enthalten sind, aber privatrechtliehen Charakter haben (wie z. B. § 106 des englischen Taxes Management Act von 1970, nach dem ein Vertrag nichtig ist, der auf Zahlung von Zinsen, Mieten oder anderen jährlichen Leistungen ohne Abzug von Steuern gerichtet ist), oder Vorschriften, die zwar privatrechtlicher Natur sind, aber kraft öffentlichen Rechts zum Zuge kommen (wie z. B. ein § 134 BGB entsprechender Rechtssatz). Deshalb ist noch heute Melchiors Darstellung völlig überzeugend35 : Was wir an fremdem Recht unmittelbar anwenden, ist bürgerliches Recht. Wieweit dieses durch Verwaltungsrecht - eigenes oder fremdes - sich beeinflussen lassen will, ist dessen Sache. Im deutschen internationalen Privatrecht kommt das fremde öffentliche Recht also nur auf dem Umweg über das zivilrechtliche Wirkungsstatut in Betracht. Daraus ergibt sich der Satz, daß wir das öffentliche Recht, soweit nicht die Vorbehaltsklausel eingreift, genau in dem Umfang berücksichtigen, wie dieses vom bürgerlichrechtlichen Wirkungsstatut vorgeschrieben wird. as Die Grundlagen des Deutschen Internationalen Privatrechts, 1932, S. 267. Er nennt mit Recht eine Reihe älterer deutscher Entscheidungen im gleichen Sinn, denen RG IPRspr. 1930 Nr. 15 hinzuzufügen ist.
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Und Melchior konnte vor 40 Jahren noch hinzufügen: "Das ist der Standpunkt unserer Rechtsprechung." Es gibt nur zwei allgemein anerkannte Sonderfälle. Sie entstehen allein deshalb, weil die eigene Kollisionsnorm selbst auf ausländisches öffentliches Recht verweist. So hängt die Frage, ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates besitzt, von dem Staatsangehörigkeitsrechts, also vom öffentlichen Recht jenes Staates ab. Ferner wird die Identität einer den Gegenstand der Schuld bildenden Währungseinheit von der ausländischen lex monetae, also wiederum von ausländischem öffentlichen Recht bestimmt36 • Es gibt darüber hinaus jedoch auch noch andere Zusammenhänge, in denen selbst schweizerische und deutsche Gerichte sich keineswegs weigern, ausländisches öffentliches Recht zu berücksichtigen und damit indirekt anzuwenden37• Die wichtigsten Fälle beziehen sich auf Schmuggelgeschäfte unter Verletzung ausländischer Ausfuhr- oder Einfuhrverbote. Ein Vertrag, der unter Verletzung italienischer Zollvorschriften den Schmuggel von Kaffee aus der Schweiz nach Italien vorsieht, wurde von dem Handelsgericht Zürich als sittenwidrig erklärt38. Ähnliche Entscheidungen sind in Deutschland ergangen39. Dort 36 Davon weicht leider die Entscheidung des BGH vom 18. 2. 1965, BGHZ 43, S. 162 ab. Dazu s. die kritische Anmerkung von Mann, JZ 1965, S. 450, dem Palandt-Lauterbach, BGB-Kommentar, 31. Auf!. 1972, Vorbem. 4 vor EGBGB 12, folgt.
37 Es gibt noch viele andere Fälle, die bisher in der Rechtsprechung kaum je zu entscheiden waren, deren Lösung jedoch nicht zweifelhaft sein sollte. Es muß genügen, die folgenden zu nennen: 1. Wenn die Gültigkeit einer Heirat im Ausland in Frage steht und die Gültigkeit der Bestellung des ausländischen Standesbeamten zu prüfen ist, so steht der öffentlich-rechtliche Charakter der Gesetzgebung der Prüfung nicht entgegen. Vgl. Batiffol, Droit International Prive, 5. Aufl.
1970, s. 248. 2. Wird Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (vgl. § 823
Abs. 2 BGB) verlangt, so wäre gewiß ausländisches öffentliches Recht anzuwenden. 3. Wird der Betrag des von dem Kläger verlangten Schadensersatzes deshalb bestritten, weil ein Teil steuerpflichtig ist (vgl. BGH 10. 4. 1967, NJW 1967, S. 1462; 18. 12. 1969, JZ 1970, S. 579), so wird kein Gericht zögern, die Existenz der Steuerpflicht gemäß ausländischem Steuerrecht zu prüfen. 4. Ein nach ausländischem Recht bestehendes Moratorium wird wahrscheinlich nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil es zum öffentlichen Recht gehört. Vgl. Schnitzer, a.a.O., S. 774, 775. 5. Eine nach ausländischem öffentlichen Recht geschaffene Unmöglichkeit der Leistung wird selbst dann berücksichtigt, wenn der Vertrag heimischem Recht unterliegt (RGZ 93, S. 182). 38 9. 5. 1968, SchwJZ 1968, S. 354. 39 RG 26.10.1928, JW 1929, S. 244 = IPRspr. 1928 Nr. 20; 17. 10. 1930, JW 1931, S. 928 = IPRspr. 1931 Nr. 9. Es ist allerdings denkbar, daß ausländische Devisenvor schriften als Ausfluß der bloßen Handelspolitik betrachtet und aus diesem Grund Devisenschmuggelverträge in Deutschland
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hat in dem berühmten Borax-Fall der Bundesgerichtshof in einer wegweisenden Entscheidung sogar ausgesprochen, daß ein deutschem Recht unterliegender und in Deutschland zu erfüllender Vertrag sittenwidrig ist, wenn er die Täuschung amerikanischer Behörden zum Zweck der Umgehung amerikanischer Vorschriften über den Handel mit Ostblockländern vorsieht40 • Gewiß hat es sich in keinem dieser Fälle um den Schmuggel von Geld unter Verletzung von Devisenbestimmungen gehandelt. Aber sollte etwa der Schmuggel von Geld weniger verwerflich sein als der Schmuggel von Kaffee? 3. Die Schmuggelfälle führen schließlich zu dem vielleicht entscheidenden Gesichtspunkt, der die Maxime von der angeblichen Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts zu widerlegen geeignet ist: vom Standpunkt juristischer Grundsätze und vor allem vom Standpunkt der Rechtspolitik aus gesehen entbehrt die Maxime jeder Überzeugungskraft. Es besteht von vornherein kein Grund, aus dem öffentliches Recht in eine besondere, ja in eine inferiore Kategorie von Rechtssätzen eingeordnet werden könnte. Es ist deshalb keineswegs überraschend, daß kaum jemals ein Versuch gemacht worden ist, die Sonderstellung des öffentlichen Rechts zu erklären oder zu begründen. So findet sich auch kein Wort positiver Argumentation bei dem schweizerischen Autor, der behauptet hat, ausländisches öffentliches Recht dürfe berücksichtigt werden, wenn es privaten Interessen dient, müsse aber unbeachtet bleiben, wenn es ins Privatrecht in einer spoliativen Weise eingreift41 • Noch schwerer wiegt die Tatsache, daß die Maxime weder von gesunder Rechtspolitik noch von Geboten der Moral getragen wird. Die angeblich mindere Qualität des ausländischen öffentlichen Rechts impliziert die Befugnis, dieses zu verletzen, zu umgehen und zu mißachten. Ist das eine Haltung, die Juristen sanktionieren dürfen? Man nehme eine höchst bemerkenswerte schweizerische Entscheidung4~t: Auf Grund eines vom schweizerischen Recht beherrschten Vertrages verpflichtete sich im Jahre 1951 ein Basler Unternehmen, einer Züricher Bank 50 000 US-Dollars in kleinen Noten in Frankfurt dadurch zur Verfügung zu stellen, daß sie einem unter falschem Namen auftretensanktioniert würden (vgl. RG, 24. 6. 1927, JW 1927, S. 2288). In diesem Sinn KG, 11. 7. 1961, IPRspr. 1966/1967, S. 618 (620). Es sollte jedoch wenigstens im Prinzip nur darauf ankommen, ob die Handlung, nicht das Gesetz, verwerflich ist. Siehe neuerdings BGH NJW 1972, S.1575 mit Anm. Mann, NJW 1972, S. 2179. 40 BGHZ 34, S. 169. 41 Niederer, Einführung in die Allgemeinen Lehren des Internationalen Privatrechts, 1953, S. 307 ff., 310. 42 30. 3. 1954, BGE 80 II 49 oder Schw.Jb.Int.R. 1953, S. 268 mit Anm. Gutzwiller.
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den Vertrauensmann der Bank ausgehändigt werden sollten. Die Züricher Bank sollte dafür 50 000 Dollar abzüglich 1375 Dollars bezahlen. Das Basler Unternehmen weigerte sich, den Vertrag zu erfüllen, weil die Zuverlässigkeit des Frankfurter Gewährsmannes zweifelhaft erschien. Daraufhin klagte die Züricher Bank auf den Gegenwert von $ 1375 als entgangenen Gewinn. Sie war in allen drei Instanzen erfolgreich. Nach Auffassung des Bundesgerichts war der Vertrag, der keine Leistung über die Grenzen vorsah, nicht auf Schmuggel gerichtet. Daß er deutsche Devisenbestimmungen verletzte, war nach schweizerischer Auffassung nicht sittenwidrig, weil Devisenbestimmungen nicht die ethische Ordnung berühren und deshalb frei verletzt werden können43 • Es ist gewiß nicht einfach, über Moralauffassungen zu streiten, zumal wenn es sich um diejenigen eines fremden Landes handelt. Vielleicht darf man jedoch sagen, daß die Entscheidung keine Nachahmung verdient. Das entscheidende Moment sollte nicht in dem Charakter oder der Qualität des ausländischen Rechts gesehen werden. Vielmehr sollte das juristische Gewissen aufs tiefste getroffen sein, wenn die Mißachtung einer ausländischen Rechtsordnung offen ermutigt und unterstützt wird. Eine Leistung, die nach dem Recht des Erfüllungsorts rechtswidrig ist, soll mit Kenntnis und Billigung beider Parteien auf dem Wege eines Täuschungsmanövers erbracht werden. Wo solche Handlungen nicht zum Zweck der Verteidigung gegenüber Verfolgung oder Diskriminierung oder als Kriegsmaßnahmen notwendig werden, sind sie des Rechtsschutzes nicht würdig. Auch kann die bewußte Verletzung einer Rechtsordnung nicht dadurch sanktioniert werden, daß man, wie das merkwürdigerweise das schweizerische Bundesgericht tut, das Prinzip der Vertragsfreiheit und den Satz pacta sunt servanda zu Hilfe ruft. Beide Prinzipien setzen einen gültigen Vertrag voraus. Die Gültigkeit steht eben gerade zur Diskussion. Eine fortschrittliche Rechtsentwicklung, die internationale Harmonie und die Ideale unserer Zivilisation werden durch die engherzige und intolerante Haltung gefährdet, die das schweizerische Bundesgericht bisher eingenommen hat. Sie geht letzten Endes zurück auf die verfehlte Einstellung zu gewissem oder vielleicht gar zu allem öffentlichen Recht des Auslandes. Es ist zu hoffen, daß diese Einstellung verschwindet. Damit würde auch in der Schweiz eine Rückkehr zu gesunden Grundsätzen ermöglicht: abgesehen von Fällen des ordre public hat der Richter den Geboten seiner Kollisionsnorm zu folgen und das Wirkungsstatut anzuwenden, ohne sich darum zu kümmern, ob das Recht, auf das verwiesen wird, öffentliches oder privates ist. 43 Dafür berief sich das Gericht auf die frühere Entscheidung vom 28. 2. 1950, BGE 76 II 33 oder Schw.Jb.Int.R. 1951, S . 234 mit Anm. Gutzwiller.
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III. In der Bundesrepublik Deutschland haben die Gedankengänge, die der im vorstehenden erörterten Maxime zugrunde liegen, im Laufe der letzten Jahre eine weitere Entwicklung durchgemacht und zu überraschenden Ergebnissen geführt. In einer devisenrechtlichen Sache hat der 7. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs 1959 zum ersten Mal die Existenz eines "öffentlichen Kollisionsrechts" behauptet und die nach fremden Devisenvorschriften ungültige Abtretung der Klageforderung als gültig behandelt44 • Bereits 1962 hatte derselbe Senat wiederum einen devisenrechtlichen Fall zu entscheiden45 : Der Vertrag zwischen den Parteien unterstand deutschem Recht, aber der in Österreich ansässige Beklagte behauptete die Ungültigkeit des Vertrages wegen Verstoßes gegen Österreichische Devisenbestimmungen, und der Bundesgerichtshof erachtete diese Verteidigung für erheblich, so daß der Revision stattgegeben und dem Berufungsgericht aufgetragen wurde, zu prüfen, "ob Österreichische Devisenvorschriften ... der Rechtsverfolgung des Klägers entgegenstehen". Das Prinzip wurde wie folgt formuliert: Die Anwendbarkeit des Österreichischen Devisenrechts auf die Rechtsbeziehungen der Parteien hängt nicht davon ab, ob diese österreichischem oder deutschem Privatrecht unterliegen. Denn privates und öffentliches Kollisionsrecht sind grundsätzlich zu unterscheiden. Dem öffentlichen Kollisionsrecht wohnt der Gedanke der Territorialität inne. Bestimmungen des öffentlichen Rechts wirken grundsätzlich nicht über die Landesgrenzen hinaus. Devisenbestimmungen sind öffentliches Recht; sie bezwecken in aller Regel den Schutz der Währung und Wirtschaft des Staates, der sie erlassen hat und dienen der Förderung von dessen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen.
Das Urteil fährt fort: Im vorliegenden Fall macht der Kläger eine Forderung gegen die Beklagte geltend, die ihren Sitz in Österreich hat. Die Klageforderung ist daher in Österreich belegen (§ 23 ZPO) und unterliegt infolgedessen den Österreichischen Devisenbestimmungen (BGHZ 31, 367, 373- 375). 44 BGHZ 31, S. 367; dazu Drobnig, NJW 1960, S. 1088 und Neumayer, RabelsZ 25 (1960), S. 649. Das Urteil des 10. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 5. 3. 1971, NJW 1972, S. 398 mit guter Anmerkung von Kohler ist so völlig verfehlt, ja geradezu grotesk, daß man es besser mit Stillschweigen übergeht und sich darauf beschränkt, die Entscheidung und ihre Veröffentlichung zu bedauern. 45 IPRspr. 1962/1963 Nr. 163. Die Erörterungen, die sich auf den Spezialfall des Art. VIII 2 b des Abkommens von Bretton Woods beziehen, bleiben hier außer Betracht. Wie sich aus dem Text ergibt, war der Senat der Meinung, daß die Existenz von Vermögen in Deutschland an sich die Anwendbarkeit Österreichischen Devisenrechts ausschalte. Das ist der für die Zwecke dieses Aufsatzes entscheidende Gesichtspunkt. Daß jener Spezialfall dann doch wieder österreichisches Devisenrecht relevant machte, spielt hier keine Rolle.
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Der Senat verweist sodann darauf, daß die Beklagte Vermögen in der Bundesrepublik habe, das zur Zuständigkeit der deutschen Gerichte geführt habe, und erklärt: Das Vermögen der Beklagten außerhalb eines Staates unterliegt an sich nach dem Territorialitätsprinzip nicht den Beschränkungen der Devisengesetzgebung dieses Staates. Es soll also ausländisches Devisenrecht auch bei deutschem Vertragsstatut erheblich sein, soweit es am Ort der Belegenheit der Forderung, d. h. am Wohnort des Schuldners gilt; wenn jedoch der Schuldner Vermögen in der Bundesrepublik hat, so gilt hinsichtlich dieses Vermögens nur deutsches Devisenrecht, vermutlich mit der Folge, daß, wenn dieses die Verurteilung des Beklagten verlangt oder gestattet, eine auf Deutschland beschränkte Verurteilung erfolgt. Im Jahre 1959 hatte der 7. Zivilsenat noch davon gesprochen46 , das öffentliche Kollisionsrecht werde "von der Vorstellung beherrscht, daß die Bestimmungen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht über die Landesgrenzen des rechtsetzenden Staates hinaus wirken", und sah darin den "Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts". 1962 zeigte sich, daß jenes "öffentliche Kollisionsrecht" im Gegenteil zur Anwendung des am Sitz des Beklagten geltenden Devisenrechts führt, also von Nichtanwendung keine Rede mehr war. Im Gegenteil hat man das ausländische öffentliche Recht weit über den Rahmen hinaus berücksichtigt, den ihm das Vertragsstatut zuteilt. Ja man hat 1962 durch die Anerkennung des Schuldnerwohnsitzes als Anknüpfungspunkt im praktischen Ergebnis und der Sache nach jene Lehre von Sonderstatut befolgt, die 1959 ausdrücklich abgelehnt worden war und die, wie noch zu zeigen sein wird, tatsächlich abgelehnt zu werden verdient47. So ist eine erhebliche Unsicherheit entstanden. Der 7. Zivilsenat scheint geradezu das Gegenteil von dem erreicht zu haben, was er wahrscheinlich zu erzielen beabsichtigte. Man muß in der Tat Bedenken anmelden. Zunächst gibt es ein öffentliches Kollisionsrecht überhaupt nicht, mag auch z. B. Niede1·er, auf den sich der Bundesgerichtshof beruft, den Ausdruck verwandt haben48. Das ist bereits oben ausgeführt worden49, aber es sei wiederholt: Kollisionsrecht beantwortet die Frage, ob dieses oder jenes Recht anzuwenden ist. Es gibt keinen Satz, der es dem deutschen Richter, Zollinspektor oder Bankbeamten gestatten würde, österreichisches Devisenrecht anzuwenden. Wenn er aber bei 4G
S. 371.
Unten unter IV. 48 Niederer (oben Anm. 15), S. 311. 47
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Anwendbarkeit des Österreichischen Vertragsstatuts gehalten ist, § 879 AGBGB, der dem § 134 BGB entspricht, anzuwenden, so wendet er Privatrecht an 50• Was Vorschriften öffentlichrechtlicher Natur (aber keineswegs nur diese) häufig definieren, ist etwas ganz anderes: auf welche Tatbestände mit Auslandsberührung wollen sie angewandt werden? Wie ist der Geltungsbereich nationaler öffentlichrechtlicher Normen international abgegrenzt? Das ist in der Regel eine Auslegungsfrage, die nur und erst dann auftaucht, wenn die auszulegende Vorschrift zur Anwendung kommt, wenn also die kollisionsrechtliche Frage in einem bestimmten Sinn entschieden ist. (Man mag jene Auslegungsfrage eine einseitige Kollisionsnorm nennen. Mit dieser Terminologie ist nichts gewonnen, sie ist aber unschädlich, vorausgesetzt nur, daß man sich mit Steindorff51 darüber im klaren ist, daß die einschlägigen Vorschriften nur wie einseitige Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts "fungieren", ohne jedoch diesen Charakter tatsächlich zu haben.) Von den unzähligen Beispielen, die zur Verdeutlichung dieser Sätze der internationalen Rechtsprechung entnommen werden können, soll hier noch einmal der Fall der amerikanischen Goldklauselgesetzgebung herausgegriffen und auf das in diesem Punkt vorbildliche Urteil des Reichsgerichts52 zurückgekommen werden. Die Joint Resolution ist eine Bestimmung öffentlichen Rechts. Sie war dann und nur dann in Deutschland anzuwenden, wenn das Recht von New York den Vertrag beherrschte. Da das der Fall, also das internationalprivatrechtliche Problem gelöst war, ergab sich nunmehr die Frage, ob die Joint Resolution die Beziehungen zwischen deutschen Gläubigern und Schuldnern regeln konnte; das ist häufig ein großes völkerrechtliches Problem53, macht allerdings im Fall einer Parteiverweisung auf das ausländische Recht, wie wiederum das Reichsgericht hervorgehoben hat, keine Schwierigkeiten. Schließlich war zu prüfen, ob die Goldklauselgesetzgebung in casu angewandt werden wollte; das ist die erwähnte Auslegungsfrage. Um es noch einmal zu sagen, so hat sie materiellrechtlichen Charakter und taucht nur auf, wenn die kollisionsrechtliche Frage entschieden ist. Sodann sollten Gesichtspunkte des internationalprivatrechtliehen Sachenrechts, der lex rei sitae, im Rahmen des Vertragsrechts - im Gegensatz etwa zum Enteignungsrecht - unerheblich sein, und auch die Frage der Abtretung einer Forderung gehört bekanntlich zum So insbesondere Neumayer (oben Anm. 44), S. 653. Internationales Verwaltungsrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts III, S. 581. Vgl. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsnormen, 1965, S. 239. 52 Oben Anm. 5. sa Dazu Mann, The Doctrine of Jurisdiction in International Law, Rec. des Cours 111 (1964 I), S. 1, vor allem S. 63 ff. 50
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Vertragsrecht54 • Die Belegenheit einer Forderung ist ein sachenrechtlicher Anknüpfungspunkt und ist vertragsrechtlich uninteressant. Wenn der Vertrag nach deutschem Recht zu beurteilen, die Forderung aber am Sitz des Schuldners in Österreich belegen ist, so wird dadurch nicht österreichisches Recht für die Frage relevant, ob der Vertrag gültig abgeschlossen oder ob seine Erfüllung unmöglich ist. Die Anwendbarkeit Österreichischen Devisenrechts auf die Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien kann gewiß nicht allein davon abhängen, ob der Schuldner seinen Sitz in Österreich hat. Damit wird das Österreichische Devisenrecht nicht etwa auf seine "territorialen Grenzen" beschränkt, sondern weit darüber hinaus erstreckt. Gerade das, was die Parteien z. B. mit der ausdrücklichen Unterwerfung des Vertrags unter deutsches Recht bezwecken, wird zunichte gemacht. Die Wirkung der Parteiverweisung wird in entscheidenden Richtungen ignoriert. Die Ursache liegt in der sachwidrigen Berufung auf sachenrechtliche Momente. Schließlich widerspricht es in noch höherem Maße allen internationalrechtlichen Geboten, neben dem Österreichischen Belegenheitsstatut doch wieder das deutsche Recht deshalb für anwendbar zu erklären, weil der Schuldner Vermögen in Deutschland hat. Wenn es (auch) auf die Belegenheit von Vermögen ankommen sollte, so müßte dieser Gedanke allgemein gelten. Sollte also z. B. der Österreichische Schuldner Vermögen in der Schweiz haben, so hätte die Frage der Anwendbarkeit Österreichischen Devisenrechts mit gleicher B erechtigung vom schweizerischen Recht abzuhängen; danach wäre sie zu verneinen. Aber die Belegenheit von Vermögen ist überhaupt nie ein privatrechtlicher Anknüpfungspunkt. Sie ist in der deutschen Rechtsordnung im Rahmen des Zivilprozeßrechts für den Gerichtsstand erheblich. Damit wird sie nicht kollisionsrechtlich erheblich, d. h. die Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts hängt nicht davon ab, ob und wo der Schuldner Vermögen hat. Alles andere wäre schon deshalb unannehmbar, weil bekanntlich die Zuständigkeit von dem Vorhandensein eines ganz geringwertigen Vermögensstücks bestimmt wird: Warum sollte im Rahmen eines schweizerischem Recht unterstehenden Vertrags zwischen einem englischen Gläubiger und einem Schuldner mit Sitz in Österreich deutsches Recht nur deshalb anwendbar sein, weil der Schuldner einer Millionensumme ein Paar Schuhe vor sein Hotelzimmer in Deutschland stellt55 ? Man wird sich aus all diesen Gründen mit der Lehre des 7. Zivilsenats nicht befreunden können. Das gilt auch dann, wenn man sich 54
Soergel-Siebert-Kegel, B e m. 311 vor Art. 7 EGBGB.
Nach deutschem Recht ist das bekanntlich genügend. Auf die Absurdität eines solchen Zuständigkeitsgrundes hat schon vor vielen Jahren Breit, JW 1911, S. 636 (639) hingewiesen. 55
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vergegenwärtigt, daß sie in vielen Fällen zu ähnlichen Erwägungen und Ergebnissen führt wie die von Kegel56 verfochtene Machttheorie. Er hat sie wie folgt formuliert57 : Ausländische politische und wirtschaftspolitische Vorschriften, die Schuldverträge verbieten oder nachträglich in Rechte aus Schuldverträgen eingreifen ... , sind grundsätzlich dann und nur dann anzuwenden, wenn der ausländische Staat, der sie erlassen hat, die Macht besitzt, sie durchzusetzen, nach h. M. also, wenn der Schuldner dort seinen Wohnsitz hat, nach hier vertretener Ansicht, wenn er dort Vermögen hat .. . Die Sonderstellung, die somit den "politischen und wirtschaftspolitischen Vorschriften" eingeräumt wird, hat gewiß nicht mehr Anziehungskraft als die früher behandelte Lehre von der Inferiorität ausländischer öffentlichrechtlicher Vorschriften im allgemeinen. In beiden Fällen sind die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht nur groß, sondern vor allem unfruchtbar. Sind Wuchergesetze oder das Abzahlungsgesetz oder Vorschriften zum Schutz von Handelsvertretern nicht ebenfalls wirtschaftspolitischer Natur? Soll § 3 des Währungsgesetzes etwa in geringerem Umfang wirtschaftspolitischen Gehalt haben als die amerikanische Joint Resolution? Die Unterscheidungen sind gekünstelt, ohne sachliche Berechtigung und zuweilen sogar willkürlich. Viel schwerer wiegt jedoch der im Ergebnis bereits verworfene Gedanke, daß die Anwendbarkeit ausländischer Vorschriften von dem Besitz von Vermögen abhängen soll, weil es auf die Durchsetzbarkeit, die Macht ankomme. Macht gewährt nicht Recht. Wir sollten uns aufs entschiedenste gegen jede Theorie wehren, die auch nur auf rein tatsächlicher Ebene an Macht anknüpft, um daraus Rechte abzuleiten (und in dieser beinahe weltanschaulichen Grundeinstellung weiß man sich mit Kegel einig). Die deutsche Rechtsordnung weiß von einem solchen Anknüpfungspunkt nichts. Er wird weder im Interesse der Gerechtigkeit noch zwecks Erreichung sachdienlicher Ergebnisse verlangt. Im Gegenteil, er verleugnet den für Juristen allein wegweisenden Gerechtigkeitsmaßstab. Er führt zur erweiterten Anerkennung ausländischer wirtschaftspolitischer Maßnahmen und, wie Kegel selbst sieht58, zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten. Er füllt keine Lücke und befriedigt kein Bedürfnis. Er ist in keinem Rechtssystem bekannt, und seine Anerkennung würde das deutsche Recht isolieren. Die Bedenken gegen die Auffassung Kegels werden verdeutlicht, wenn man seine Stellungnahme zu der hier wiederholt behandelten ss Zuerst Festschrift für Lewald, 1953, S. 279 ff.; ferner Probleme des Internationalen Enteignungs- und Währungsrechts, 1956. 57 Soergel-Siebert-Kegel, Bem. 284 vor Art. 7 EGBGB; ferner Kegel, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1971, S. 52- 56. ss Soergel-Siebert-Kegel, Bem. 541 vor Art. 7 EGBGB. 13•
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Goldklauselentscheidung59 des Reichsgerichts berücksichtigt60 • Danach sollen amerikanische Staatseingriffe wie die Goldklauselgesetzgebung Wirkung haben nicht kraft der Parteiverweisung auf New Yorker Schuldrecht, sondern "immer und nur, soweit die Macht der USA reicht, also nicht für Schuldner mit Sitz in Deutschland oder für Schuldnervermögen in Deutschland". Dabei wird völlig übersehen, daß es die "Macht" der Parteien ist, die durch Verweisung auf das New Yorker Recht den USA nicht nur die Macht, sondern das Recht einräumt, den Vertrag der Parteien zu regeln. Es handelt sich nicht darum, wie weit abstrakt gesehen "die Macht der USA reicht". Die F'rage, die sich stellt, ist vielmehr, wie weit sich die Parteien dem Recht der USA unterworfen haben und wie weit das so berufene Recht reichen will. Allerdings liegt insoweit ein richtiger Kern in Kegels Hinweis auf das Machtprinzip, als bekanntlich der ausländische Staat auch nicht indirekt Macht im Inland ausüben kann60 a. Dieses Prinzip kann in besonderen Fällen dazu führen, daß auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen eine Berufung auf ausländisches öffentliches Recht in Wahrheit dessen Durchsetzung im Inland, Machtausübung des ausländischen Staats im Inland involviert. Man nehme ein Beispiel60b: Ein Vertrag zwischen zwei Personen, die in Deutschland wohnen, unterliegt ungarischem Recht. Er sieht Zahlung in Deutschland vor. Seine Gültigkeit ist nicht in Frage gestellt. Der auf Zahlung verklagte Schuldner wendet ein, nach ungarischem Recht dürfe der Vertrag nur erfüllt werden, wenn die Genehmigung der ungarischen Devisenbehörde vorliege. Hier macht der Schuldner, der sich auf Unmöglichkeit der Leistung beruft, einen im Inland durchzusetzenden Machtanspruch des ausländischen Staates geltend und kann mit seiner Verteidigung keinen Erfolg haben. IV. Während die Lehre von der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts sowie, wenigstens ihrer Grundtendenz nach, auch die Theorie vom öffentlichen Kollisionsrecht die Reichweite ausländischen öffentlichen Rechts einzuschränken suchen, verfolgen die nunmehr zu erörternden Bestrebungen um ein Sonderstatut für ausländische Eingriffsnormen grundsätzlich entgegengesetzte Zwecke. ss Oben Anm. 5. oo Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1971, S. 53, 54. ooa Dazu unten S. 201 und Mann, Rec. des Cours 111 (1964 I), S. 141- 145; Rec. des Cours 132 (1971 I), S. 166 - 181. oob Vgl. dazu des näheren Mann, The Legal Aspect of Money, 3. Aufi. 1971, s. 415, 416, 428.
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Diese Bestrebungen, so darf man wohl vermuten, gehen auf die Lage zurück, in der sich die deutsche Industrie unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs befand und die gewiß zu weitreichenden Erörterungen im damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut führten: Konnte deutschen Unternehmen geholfen werden, deren Verpflichtungen amerikanischem Recht unterlagen, die durch deutsches Devisenrecht an der Leistung verhindert wurden und die nach fester internationaler Praxis61 mit einer Verurteilung im Ausland rechnen mußten? Was immer der Ursprung gewesen sein mag, es entstand eine zuerst von Wengler 1941 vorgetragene6!, dann von Zweigert 1942 entwickelte63 und 1965 wiederbelebte64 Theorie vom Sonderstatut, der sich einige deutsche Autoren angeschlossen haben65• Danach sollen die Prohibitivgesetze anzuwenden sein, die entweder dem Vertragsstatut oder einem mit dem Vertrag in hinreichend engem Zusammenhang stehenden Rechtssystem angehören. Nach Wengler gibt es keine Regel, nach der die Existenz eines hinreichend engen Zusammenhangs ermittelt werden kann66 • Nach Zweigert sind die Prohibitivgesetze jedes Staates zu berücksichtigen, in dem ganz oder zum Teil eine zur Erfüllung führende Wertbewegung stattzufinden hat61 : praktisch läuft dies meist auf die Anwendbarkeit des Rechts des Schuldnerwohnsitzes hinaus. Zweigert selbst faßt die Begründung seiner Auffassung dahin zusammen, daß sie "letztlich von der im internationalen Privatrecht so bedeutsamen Leitmaxime der internationalen Entscheidungsharmonie und vom comitas-Gedanken, der Verpflichtung zu zwischenstaatlicher Rücksichtnahme, gefordert wird". Es sind "die international-typischen Interessen aller Staaten zu ermitteln, in denen die Frage der Anwendung ausländischer Verbotsnormen auftauchen kann" 68 • Dieser Bewertungsprozeß veranlaßt ?:weigert dann dazu, zwischen "sympathischen" und "artfremden" 69 GeNachweise bei Mann, Recht des Geldes, S. 353 Anm. 56. ZvglRW 1941, S. 168. 63 RabelsZ 14 (1942), S. 283. 64 Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, Harnburg 1965, S. 124, und auf französisch Rev. Crit. 34 (1945), S. 645. 65 Insbesondere Lorenz, Vertragsabschluß und Parteiwille im internationalen Obligationenrecht Englands, 1957, S. 154; Neumeyer, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht II, 1957, S. 35, 59 und Rev. Crit. 46 (1957), S. 579; 47 (1958), S. 53; Palandt-Lauterbach, 31. Auf!. 1972, Vorbem. 4 vor EGBGB 12. Gegen diese Lehre insbesondere Serick, RabelsZ 18 (1953), s. 646. 66 Oben Anm. 59 auf S. 185, 186. 61 Oben Anm. 60 auf S. 295. 68 Oben Anm. 61 auf S. 128. 69 Der Ausdruck stammt von Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht IV, 1936, S. 243 ff. Neumeyers Ausführungen sind jedoch auch in diesem Zusammenhang so unbefriedigend, daß ihr bleibender Wert bezweifelt werden muß. 61 62
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setzen zu unterscheiden. Wenn sie sympathisch" sind, wenn es sich um Normen handelt, "die im Zuge wirtschaftspolitischer oder sozialer Erwägungen von internationaler Verbreitung und Billigung liegen", so sind sie "bei hinlänglicher Beziehung des Sachverhalts" zum erlassenden Staat unabhängig vom Vertragsstatut anzuwenden70 • Diese Lehre, die nicht nur vom Bundesgerichtshof abgelehnt worden11, sondern auch in Belgien72, England73 , Italien74 und der Schweiz75 ohne Zustimmung geblieben ist, entbehrt in der Tat der Überzeugungskraft. Die internationale Entscheidungsharmonie ist ein viel zu allgemeiner Gesichtspunkt, um als Entscheidungsmaßstab dienen zu können. Er würde zur Auflösung des internationalen Privatrechts führen und wäre gewiß nicht auf Prohibitivgesetze zu beschränken. Auch ist nicht einzusehen, warum lex fori sowie Vertragsstatut ihr eigenes Recht und eigene Interessen denjenigen anderen Staaten unterordnen sollten, mögen diese auch noch so "sympathisch" oder schutzwürdig sein. So sollen auch bei deutschem Vertragsstatut englische Devisenbestimmungen bei hinlänglicher Beziehung anzuwenden sein "einfach deshalb, weil wir in der westlichen Welt ökonomisch (und weithin auch politisch) in einem Schiff sitzen". Aber die Interessen des Gläubigers sind nicht minder schutzwürdig als diejenigen des Schuldners. Schließlich widerspricht die von Zweigert geforderte Wertung richterlicher Geisteshaltung und Aufgabe. Diese verlangen gerade die Abkehr von der von Zweigert befürworteten politischen Einstellung. Es verlohnt sich, dies des näheren aufzuweisen. Zweigert billigt die wiederholt erwähnte Entscheidung des 7. Zivilsenats von 195976 • Es handelte sich um folgendes: Im Jahre 1948 erhielt der Beklagte von einer Frau W. ein Darlehen in Höhe von DM (Ost) 10 000,-. Damals waren beide Parteien in der Sowjetzone ansässig. Sie waren dort auch noch 1950 ansässig, als ein sowjetzonales Gesetz in Kraft trat, nach dem die Abtretung von Forderungen gegen Schuldner in der Bundesrepublik behördlicher Genehmigung bedurfte und ohne 70 a.a.O., S. 131. Die weiteren Ausführungen Zweigerts zum internationalen Kartellrecht können hier außer Betracht bleiben, weil sie sich nicht auf Eingriffsgesetze beziehen und an anderer Stelle zu ihnen ausführlich Stellung genommen worden ist: Rec. des Cours 132 (1971 I), S. 162- 164. 11 BGHZ 31, S. 367 (373). 72 Van Hecke, Problemes Juridiques des Emprunts Internationaux,
2. Aufl. 1964, S. 136, 137.
Mann, The Legal Aspect of Money, 3. Aufl. 1971, S. 211 Anm. 3. Conforti, L'Esecuzione delle Obbligazioni nel Diritto Internazianale Privato, 1962, S. 122 ff.; Treves, Il controllo dei Cambi nel Diritto Internazianale Privato, 1967, S. 115 ff. 75 Vischer, Internationales Vertragsrecht, 1962, S. 198 ff., und (ausführlicher) Festgabe für Max Gerwig (1960), S. 167 ff. 76 Oben Anm. 68. 73
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diese nichtig war. 1955 kam der Schuldner in die Bundesrepublik 1957 trat Frau W. ohne Genehmigung ihre Forderung an den Kläger ab. Gegenüber dem Zahlungsanspruch machte der beklagte Schuldner die Unwirksamkeit der Abtretung geltend. Die Klage hatte Erfolg. Was immer man über die Begründung sagen mag, so spricht das Ergebnis nicht an, denn die Abtretbarkeit wurde vom Vertragsstatut in einem Zeitpunkt beschränkt, in dem beide Vertragsparteien in der Sowjetzone lebten, so daß, wenn man mit dem Bundesgerichtshof von Art. 30 EGBGB absieht, die Gerechtigkeit gewiß keine dem Vertragsstatut widersprechende Lösung erheischte. Zweigert dagegen hält das Gesetz von 1950 für "artfremd", weil "der gesamte Wirtschaftsstil der kommunistischen Länder dem unseren so dezidiert entgegengesetzt ist, daß wir öffentlichrechtliche Normen von der Art der Devisengesetze, wie sie dort gelten, deshalb nicht anwenden, weil sie sich gerade als eine spezifische Folge jenes uns gegenpoligen Wirtschaftssystems darstellen" 77 • Ist die Devisengesetzgebung kommunistischer Länder- im Gegensatz etwa zu ihrer praktischen Handhabung- wirklich so "artfremd", so verschieden von derjenigen in westlichen Ländern? Zum mindesten wären hier sehr genaue Untersuchungen nötig. Ohne sie fehlt jede Möglichkeit, den Boden rein politischer Wertungen zu verlassen und zu einem juristisch gesicherten Urteil vorzudringen.
V. Man kann nicht übersehen, daßtrotzaller Unterschiede im einzelnen der 7. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit seinem Anknüpfungspunkt der Belegenheit der Forderung, d. h. des Schuldnerwohnsitzes, Zweigert mit seiner Verweisung auf das Recht des Landes, in dem sich die zur Erfüllung führende Wertverschiebung ganz oder zum Teil abspielt, das also in der Regel mit dem Land des Schuldnerwohnsitzes übereinstimmen wird, sowie K egel mit seiner Bevorzugung des Rechts, das die Macht zur Durchsetzung hat, in dem also wiederum der Schuldner zumeist seinen Wohnsitz hat, häufig zum gleichen Ergebnis kommen. Die vorstehenden Ausführungen, so ist zu hoffen, sollten dargetan haben, warum jeweils nicht nur der verschiedenartige dogmatische Ausgangspunkt, sondern auch das gemeinsame Ergebnis der Kritik ausgesetzt ist: Der Schuldnerwohnsitz ist Anknüpfungspunkt entweder als Belegenheitsstatut bei einer Forderung oder als Erfüllungsort bei einem Vertrag. Im ersteren Fall handelt es sich um einen sachenrechtlichen Gesichtspunkt. Im letzteren Fall kann der Schuldnerwohnsitz gewiß nicht den Vorrang haben vor ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung des Vertragsstatuts. Darüber hinaus muß 77
a.a.O., S. 132.
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aber jeder Tendenz entgegengetreten werden, die neben das Wirkungsstatut oder gar an seine Stelle einen weiteren Anknüpfungspunkt setzt und die auf diese Weise dem ausländischen Eingriffsgesetz einen erweiterten Spielraum beimißt. Eine solche Tendenz ist ebenso extrem wie die Maxime von der Duanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts. Extreme Lösungen sind immer ein Symptom für Ungesundheit und Unsicherheit. Sie sollten vermieden werden. An ihre Stelle sollte die Rückkehr zu erprobter Lehre, das erneute Bekenntnis zur Herrschaft des Wirkungsstatuts treten. Das ausländische öffentliche Recht, ob es nun ein Eingriffsgesetz ist oder nicht, ist weder a priori unanwendbar noch in jedem Fall zu berücksichtigen. Das ausländische öffentliche Recht ist dann, nur dann und immer dann zu berücksichtigen, wenn es vom Wirkungsstatut verlangt wird. Es ist in dem Sinn und in dem Umfang zu berücksichtigen, den das Wirkungsstatut bestimmt. Die Grenzen und Ausnahmen ergeben sich ausschließlich aus Art. 30 EGBGB.
X. Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr* I. Das Problem Die bisherige Lehre Wer Gelegenheit gehabt hat, sich auf vergleichender Grundlage mit der Rechtsprechung und Literatur zum internationalen Privatrecht zu befassen, wird vor allem in Frankreich und in der Schweiz, aber auch in manchen andern Ländern dem Satz begegnet sein, daß das öffentliche Recht eines fremden Staates vom Gerichtsstaat nicht angewandt wird. Oder, wie es häufig heißt: ausländische Gesetze öffentlich-rechtlichen Charakters haben eine streng territoriale Wirkung und können deshalb in dem Gerichtsstaat nicht angewandt werden. Dabei wird insbesondere an ausländisches Strafrecht, Steuer- und Zollrecht und an Gesetze gedacht, die manchmal als "politisch" bezeichnet werden, aber darüber hinaus auch an Währungsgesetze, an die Gesetzgebung über die Verwaltung feindlichen Vermögens und an Konfiskationsgesetze. Es ist an dieser Stelle nicht nötig und auch nicht möglich, die zahlreichen Belege zusammenzustellen, die sich beinahe überall für dieses angebliche Rechtsprinzip finden lassen1. Immerhin darf vielleicht des Beispiels halber auf die früheste sowie auf die neueste Erscheinungsform aufmerksam gemacht werden, die der Satz von der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit Steuergesetzen gefunden hat. Im Jahre 1775 hat ein berühmter englischer Richter, Lord Mansfield, das in der späteren Praxis allerdings niemals ernstlich befolgte Diktum ausgesprochen, daß kein Land jemals das Finanzrecht eines anderen Landes berücksichtige2 • Im Jahre 1954 hat Arminjon, der schon seit Jahren ein Vorkämpfer der Lehre vom territorialen Charakter der "lois politiques, fiscales et monetaires" ist3, ein so kritisches Gremium
* Veröffentlicht in: RabelsZ 21 (1956) 1. Dieser Aufsatz gibt einen im Mai 1955 vor der Universität Bonn gehaltenen Vortrag wieder. Er stellt die wesentlich abgeänderte deutsche Fassung eines Vortrags dar, der im Oktober 1954 vor der Grotius Society in London gehalten wurde und in den Transactions of the Society 40 (1955) 25 erschienen ist. t Eine neuere Darstellung des Problems findet sich bei Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des IPR (Zürich 1954) 307 ff. 2 Holman v. Johnson (1775), 1 Cowp. 341, 343. 3 Arminjon, Precis de Droit International Prive3 I (1947) 281 - 288.
202 X. Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr wie das Institut de Droit International anläßlich seiner Tagung in Aixen-Provence dazu überredet, folgenden Beschluß zu fassen 4 : "Sauf dispositions contraires des conventions internationales, les lois fiscales ne sont pas applicables hors du pays ou elles ont ete edictees." Man muß sich fragen, was mit einem solchen Satz gemeint sein soll. Daß etwa, um beim Beispiel des Steuerrechts zu bleiben, der französische Richter nur französisches Steuerrecht durchsetzen kann und darf, daß in Frankreich französisches Steuerrecht aber auch in jedem Fall durchgesetzt wird, daß außerhalb Frankreichs das französische Steuerrecht gar nicht durchgesetzt werden will, ist eine Platitüde, die weder besonderer Betonung noch eines Beschlusses des Institut de Droit International bedarf; und mehr als diese Selbstverständlichkeit wird auch nicht von dem in diesem Zusammenhang immer wieder angezogenen Art. 3 I Code civil ausgesprochen, nach welchem "les lois de police et de st1rete obligent tous ceux qui habitent le territoire". Aber eine ganz andere Frage ist natürlich die, ob etwa der französische Richter eine Bestimmung des deutschen Steuerrechts berücksichtigen darf, die einen dem deutschem Recht unterliegenden Vertrag nichtig macht oder sonstwie auf ein Rechtsverhältnis einwirkt. Ein derartiges Problem lag dem französischen Kassationshof zweimal vor und ist von ihm widersprechend gelöst worden. Im ersten Fall5 handelte es sich darum, daß ein französischer Exporteur, der Waren nach Italien geliefert hatte, einen italienischen Spediteur mit der Zollabfertigung in Italien beauftragt hatte. Infolge falscher Angaben, die der französische Exporteur gemacht hatte, mußte der italienische Spediteur eine Zollstrafe bezahlen, deren Erstattung er von dem französischen Exporteur verlangte und vor dem Kassationshof im Jahre 1898 deshalb erreichte, weil es sich um einen vertraglichen Anspruch und nicht um die Verfolgung eines Zollanspruchs handelte. In dem zweiten Fall8 waren A und B Eigentümer von deutschen Aktien, auf die in Deutschland eine Steuer zu bezahlen war. Die Steuer wurde durch Vollstreckung in das Vermögen von A beigetrieben, und dieser verlangte nun Erstattung auf Grund der Bestimmungen des Code civil über ungerechtfertigte Bereicherung. Im Jahre 1928 wurde die Klage abgewiesen mit der Begründung: "Les lois fiscales sont strictement territoriales." Hätte nicht auch hier das Gericht entscheiden können, daß es sich um einen obligatorischen und nicht einen Steueranspruch als solchen handelte? 4 Annuaire de !'Institut de Droit International 45-11 (1954) 295. s Cass. civ. 22. 11. 1898, Clunet 1899, 136. & Cass. civ. 3. 7. 1928, Clunet 1929, 385.
X. öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr 203
Kritik Das Dogma von der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts ist falsch, und es darf mit Befriedigung festgestellt werden, daß es in der deutschen Rechtsprechung und Literatur keinen Widerhall gefunden hat. Wenn das internationale Privatrecht auf ein fremdes Recht verweist und dieses somit im Rahmen des konkreten Rechtsverhältnisses für relevant erklärt, so sind alle Bestimmungen des fremden Rechtes anzuwenden, gleichgültig ob sie öffentlich-rechtlichen oder privatrechtliehen Charakters sind. Und wenn die Kollisionsnorm nicht auf fremdes Recht verweist, so kann dessen Inhalt nicht berücksichtigt werden, es sei denn als bloßes Element des Tatbestandes. (Von der Bedeutung und der Wirkung der Vorbehaltsklausel kann für die Zwecke dieser allgemeinen Erörterung abgesehen werden.) Es sollte deshalb nicht zweifelhaft sein, daß etwa bei Anwendbarkeit englischen Rechts ein Vertrag, der in England wegen Verstoßes gegen ein englisches Steuergesetz nichtig wäre, auch vom deutschen Richter als nichtig zu behandeln ist. Ebensowenig sollte es zweifelhaft sein, daß die Rechtsfolgen eines Vertrages, der englischem Recht unterliegt und dessen Erfüllung auf Grund eines englischen Exportverbots unmöglich wird, vom deutschen Richter nach englischem Recht zu beurteilen sind. Ja, das ReichsgerichF hat in einer denkwürdigen Entscheidung sogar ausgesprochen, daß für einen Vertrag, welcher deutschem Recht unterliegt, ein englisches Handelsverbot, mag es auch auf der Gesetzgebung über den Handel mit feindlichen Ausländern beruhen, eine vom deutschen Richter zu berücksichtigende tatsächliche Unmöglichkeit herbeizuführen geeignet ist. Das Reichsgericht hat ferner entschieden8, daß der deutsche Verfrachter dem deutschen Schiffseigentümer erstattungspftichtig ist, wenn auf Grund einer falschen Angabe im Konnossement der Kapitän in Holland eine Zollstrafe zu bezahlen hatte. Und schließlich zeigt die Rechtsprechung zu Schmuggelgeschäften9 , daß das ausländische öffentliche Recht vom deutschen Richter durchaus nicht von vornherein als irrelevant behandelt werden darf. Obwohl das Dogma vom territorialen Charakter ausländischen öffent·· liehen Rechts, soweit es sich auf die Frage der Anwendbarkeit solchen Rechtes bezieht, der juristischen Grundlage entbehrt, enthält es doch - wie dies so häufig vorkommt - einen Kern, der nicht nur wahr, sondern für die Rechtsfindung auch sehr wichtig ist. Daß ausländisches öffentliches Recht, auf das die Kollisionsnorm verweist, wegen seines Charakters nicht angewendet werden könne, ist falsch. Daß ausländi7 RGZ 93, 182. s RG 27. 2. 1924, JW 1925, 1477. 9 Nachweise bei Nußbaum, Deutsches !PR (1932) 246.
204 X. Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr
sches öffentliches Recht in einem ganz besonderen Sinn im Inland nicht im Wege der Rechtsverfolgung geltend gemacht werden kann, ist jedoch richtig. Die besondere Form der Geltendmachung, die hier in Betracht kommt, ist die Geltendmachung durch einen ausländischen Staat oder eines seiner Organe, das vor einem deutschen Gericht sich auf die durch sein eigenes öffentliches Recht ihm verliehene Gewalt oder Befugnis beruft. In einer höchst vorläufigen Form darf gesagt werden, daß eine in diesem Sinn verstandene Geltendmachung (nicht Anwendung) ausländischen öffentlichen Rechts durch prinzipielle Erwägungen ausgeschlossen wird. Wenn also der englische Staat in Deutschland eine Klage auf Zahlung einer ihm nach englischem Recht zustehenden Steuerschuld erheben würde, so wäre diese Klage abzuweisen, weil, wie man in Anlehnung an eine englische Formulierung sagen darf, ein deutsches Gericht sich nicht zum Steuerbeitreibungsamt eines fremden Staates zu machen bereit wäre. Die Rechtsgrundsätze, aus denen dieses Ergebnis folgt, bedürfen der Aufklärung. Dazu wird es erforderlich sein, zunächst den Ursprung und das juristische Fundament (unter II), sodann den Inhalt und die Tragweite der Regel darzustellen (unter III) und schließlich zusammenfassend die rechte Formulierung des Prinzips zu versuchen (unter IV). II.
Juristische Fundierung
Die Ansprüche fremder Staaten, die die Gerichte der Welt am häufigsten für international nicht durchsetzbar erklärt haben, sind diejenigen, die sich auf die Straf- und Finanzgesetzgebung des klagenden Staates gründen 10• Soweit es sich um Zoll- und Steueransprüche handelt, haben sich in diesem Sinne insbesondere die höchsten Gerichtshöfe Englands11 , Österreichs12, Schwedens13, Belgiens14 und Frankreichst5 ausgesprochen tu. 10 Die internationale Verfolgung von Strafansprüchen scheint auf dem europäischen Festland nie versucht worden zu sein. Für die Vereinigten Staaten von Amerika s. Huntington v. Attrill, 146 U. S. 657 (1892), und die Diskussion bei Beale, Treatise on the Conflict of Laws III (1935) 1635 ff. Für Großbritannien s. Huntington v. Attrill (1893), A. C. 150. II Government of India v. Taylor (1955), A. C. 491. 12 OHG 16. 2. 1892, Clunet 1893, 930; 22. 9. 1897, Clunet 1898, 777; 29. 10. 1935, Clunet 1937, 126. 13 H. D. 31. 12. 1924, Annual Digest 1923- 1924 No. 148. 14 Cass. 18. 2. 1929, Pasicrisie beige 1929. 1. 96. 15 s. oben Anm. 6; vgl. Trib. civ. Seine 24. 2. 1949, S. 1949. 2. 101 mit Anm. von Niboyet. 16 In Deutschland fehlt es an einer höchstrichterlichen Entscheidung; vgl. jedoch Nußbaum (oben Anm. 9) 388 N. 4, 453 N. 2 mit Nachweisen. Für Däne-
X. Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr 205
Die Begründung der bestehenden Praxis Aber wenn man von dem hier zurückgewiesenen Dogma von der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts absieht, sind die Gründe für diese Rechtsprechung nicht klar zum Vorschein gekommen. In England ist zum Beispiel die Erklärung darin gefunden worden, daß die Verfolgung ausländischer Steuer- und Zollansprüche der Handelsfreiheit widerspreche17• Oder man hat sich damit begnügt, die Erklärung "in den allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit und Sachdienlichkeit"18 oder in der Tatsache zu finden, daß die Regel seit über zweihundert Jahren bestanden habe19. In Amerika hat man sich vielfach auf die "public policy" berufen20 • Auf der andern Seite ist die Unmöglichkeit, Strafansprüche international geltend zu machen, von einem englischen Gericht in einer Form erklärt worden, die als höchst fruchtbar bezeichnet werden darf. Es war Lord W atson, der von einer völkerrechtlichen Regel gesprochen hat, welche die internationale Verfolgung ausländischen Strafrechts verbiete, und der in einem höchst bemerkenswerten Satz auf diejenigen Gruppen von Ansprüchen verwiesen hat, welche Strafansprüche einschließen und "nach Völkerrecht ausschließlich der inneren Zuständigkeit des Staates zugewiesen sind" 21 • Das war im Jahre 1893 - mehr als 25 Jahre, bevor die Satzung des Völkerbunds22 von den inneren Angelegenheiten gesprochen hat, die nach Völkerrecht zur ausschließlichen Zuständigkeit der einzelnen Staaten gehören, und mehr als 50 Jahre, bevor die Satzung der Vereinten Nationen23 von Fragen mark s. die in Annual Digest 1923- 1924 Nr. 147 abgedruckte Entscheidung. Zum italienischen Recht s. die Entscheidung des Berufungsgerichts Genua vom 14. 1. 1932, Clunet 1932, 1146, und zum ägyptischen Recht die Entscheidung des Gemischten Gerichtshofs vom 4. 2. 1936, Clunet 1937, 337. In den USA
scheint kein wirklich internationaler Fall entschieden worden zu sein ; die Entscheidungen in Fällen, die die Mitgliedsstaaten der Union betreffen, sind in so weitgehendem Maße durch die Verfassung beeinflußt, daß ihnen internationale Bedeutung schwerlich beigemessen werden kann: vgl. Beale (oben N. 10) 1635 ff.; Albrecht, The Enforcement of Taxation under International Law: Brit. Y. B. of Int. L. 30 (1953) 454, 463 f. 17 In diesem Sinn Sir Raymond Evershed in der Entscheidung des Court of Appeal In re Delhi Electric Supply and Traction Co. Ltd., 1 (1954) Ch. 131, 151, die vom House of Lords unter dem Namen Government of India v. Taylor (oben Anm. 11) bestätigt worden ist. 18 Sir Raymond Evershed M. R. a.a.O. 1o Dies ist der Hauptgrund, auf dem die Entscheidung des House of Lords in Government of India v. Taylor (oben Anm. 11) beruht. 2o Damit kommt man natürlich nicht weiter, da man mit "public policy" auch das umgekehrte Ergebnis rechtfertigen könnte. 21 Huntington v. Attrill (oben Anm. 10 a. E.) 155. 22 Art. 15 VIII. 23 Art. 2 VII.
206 X. öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr
sprach, die "im wesentlichen zu den inneren Angelegenheiten des Staates gehören". Welches sind nun die Ansprüche, die das Völkerrecht ausschließlich der inneren Zuständigkeit des Staates zurechnet? Es sind diejenigen Ansprüche, die auf dem öffentlichen Recht, auf dem jus imperii des Staates beruhen. Der Grund ist der, daß die Ausübung der staatlichen Hoheitsgewalt territorial gebunden ist und an den Grenzen des Staates endet. Die Betonung liegt auf dem Wort Ausübung. Es wäre gewiß nicht richtig, zu behaupten, daß die aus der territorialen Hoheit eines Staates abgeleiteten Rechte keine extraterritoriale Existenz hätten; im Gegenteil ist die extraterritoriale Existenz im Rahmen des Völkerrechts sowie des internationalen Privatrechts anerkannt. Aber die Ausübung ist territorial beschränkt. Folglich ist auch die Ausübung durch gerichtliche Verfolgung ebenso beschränkt. Wie es in der erwähnten englischen Entscheidung über Strafansprüche heißt, sind Vergehen "in dem Sinne lokal, daß sie nur in dem Lande, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, erheblich sind und bestraft werden können. Folglich kann kein Verfahren, auch nicht in der Form eines Zivilanspruchs, außerhalb des Territoriums geltend gemacht werden, wenn es direkt oder indirekt die staatliche Vollstreckung verhängter Strafen zum Zweck hat24." Oder wie der Ständige Internationale Gerichtshof im Haag denselben Gedanken in allgemeinerer Fassung zum Ausdruck gebracht hat: "Die erste und wichtigste Beschränkung, der ein Staat nach Völkerrecht unterliegt, ist die, daß er, wenn eine ausdrückliche Erlaubnis im gegenteiligen Sinne nicht erteilt worden ist, seine Gewalt in keiner Form im Gebiet eines andern Staates ausüben kann2 s." Obwohl dieser Gesichtspunkt vielleicht von geringerer Bedeutung ist, so ist es doch vorzuziehen, das Problem in erster Linie vom Standpunkt der Beschränkung zu betrachten, der die Gewalt des klagenden Staats unterworfen ist, und nicht etwa davon auszugehen28 , daß der Versuch der Ausübung dieser Gewalt im Gerichtsstaat die territoriale Souveränität des Gerichsstaats beeinträchtigen würde. Im Jahre 1932 hat Herzfeld 21 in einem beachtenswerten Aufsatz die Auffassung vertreten, daß die Geltendmachung von Finanzansprüchen im Ausland dem Völkerrecht nicht widerspreche, weil dieses nicht mit dem Ergebnis, nämlich der Tatsache eines Urteils und einer darauf folgenden Zahlung, 24
25
Huntington v. Attrill (oben Anm. 10 Fall Lotus, Serie A Nr. 10, S. 18 f. So aber Oppenheim(-Lauterpacht),
a. E.) 156 f.
International Laws (1954) § 144 b. Probleme des Internationalen Steuerrechts: Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht 6 (1932) 422 ff., 441 (in bezug auf Steueransprüche). 28
21 Herzfe~d,
X. Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr 207
sondern nur mit der Legalität der Methode befaßt und ein Gerichtsverfahren rechtmäßig sei. Eine derartige Argumentation kann nicht aufrechterhalten werden, wenn man die territorialen Grenzen im Auge hat, die der Ausübung der staatlichen Hoheitsgewalt gezogen sind. Diese Grenzen stellen einen Hinderungsgrund dar, gleichgültig ob der klagende Staat seine Beamten nach Deutschland schickt, damit sie sich des Vermögens seines Schuldners bemächtigen, oder ob er auf gesetzgeberischem Weg in Deutschland belegenes Vermögen auf sich überträgt oder ob er ein deutsches Gericht anruft und so einen Rechtsanspruch geltend macht, den ihm das Völkerrecht versagt. Warum völkerrechtliche Begründung? Aus einer Reihe von Gründen erscheint es wertvoll, die Haltung der Gerichte gegenüber der hier zur Diskussion stehenden Gruppe von Ansprüchen gerade völkerrechtlich zu erklären. Vor allem ist die völkerrechtliche Erklärung allgemeinen und nicht speziellen Charakters: sie rechtfertigt die bestehende Praxis nicht nur im Zusammenhang mit Straf- und Finanzansprüchen, sondern gestattet die Entscheidung auch in anderen Klassen von Fällen, die zunächst als heterogen erscheinen, aber in Wahrheit dasselbe Grundprinzip involvieren. Zweitens ist es dogmatisch befriedigend, einen weiteren Zusammenhang festzustellen, in welchem das Völkerrecht nationales Recht bestimmt und beherrscht. Und es ist theoretisch von Interesse, erneut28 rlem Grenzgebiet zwischen Völkerrecht und internationalem Privatrecht zu begegnen. Es braucht kaum betont zu werden, daß das Völkerrecht vor allem da, wo es feststehende Regeln entwickelt hat, zu einer klareren Lösung zu führen geeignet ist als die Vorbehaltsklausel oder der Gedanke internationaler Höflichkeit oder der Gedanke der Gerechtigkeit. Drittens dürfte die hier angeregte Erklärung zu Ergebnissen führen, die besonders einer rechtlichen Betrachtungsweise und dem Rechtsbewußtsein entsprechen. Es handelt sich hier nicht um ein Problem, das gelöst werden könnte, indem man in einzelnen Fällen die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines bestimmten Ergebnisses abwägt, oder bei dem es darauf ankäme, ob der Beklagte im ausländischen Staat zu Recht oder zu Unrecht bestraft worden ist, ob die Strafe angemessen 28 Frühere Arbeiten des Verfassers zu diesem Gebiet sind in englischen Zeitschriften veröffentlicht worden. s. insbesondere The Sacrosanctity of the Foreign Act of State: L. Quart. Rev. 59 (1943) 53, 155; The Law Governing State Contracts: Brit. Y. B. 21 (1944) 11; International Delinquencies before Municipal Courts: L. Quart. Rev. 70 (1954) 181.
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oder exorbitant ist, ob es sich bei dem geltend gemachten Anspruch um eine Steuer handelt, die in zivilisierten Staaten üblich ist, ob es sich um Steuerumgehung oder eine zulässige Steuervermeidung handelt oder ob die Verweigerung der Zahlung moralisch zu rechtfertigen ist29 • Ein streng juristischer Maßstab ist notwendig, und dieser kann deshalb nicht vom Privatrecht geliefert werden, weil diesem die erforderlichen Kategorien fehlen. Üblicherweise sagen uns die Kollisionsnormen, ob ein fremdes Gericht in einem bestimmten Fall zuständig oder welches Recht anzuwenden ist. Wie könnte ein deutsches Gericht bestimmen, ob ein ausländischer Staat die internationale Kompetenz hat, eine Person, die vielleicht niemals in diesem Staat ansässig war, zu bestrafen oder mit einer Steuer zu belegen? Ein Gericht, das sich mit dieser oder ähnlichen Fragen zu befassen hätte, wäre jedes juristischen Maßstabes beraubt. Auf der anderen Seite steht es den Staaten offen, durch gegenseitige Bestimmungen in den zahlreichen Auslieferungs- oder Doppelbesteuerungsverträgen, die geschlossen sind oder werden, eine Entscheidung darüber zu treffen, in welchem Umfang und in welchen Fällen die Gerichte sich für die Verfolgung der Ansprüche ausländischer Staaten zur Verfügung stellen können. Die Tatsache, daß es keinen Staatsvertrag zu geben scheint, der die internationale Geltendmachung von Strafansprüchen gestattet, und die Tatsache, daß es nur ganz vereinzelte Staatsverträge gibt, die die internationale Geltendmachung von Finanzansprüchen gestatten30, beweist beinahe zwingend, daß die Regel des allgemeinen Völkerrechts weiterhin besteht; ein weiterer Beweis wird dadurch geliefert, daß es offenbar niemals zu einem Protest gegen die zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen gekommen ist, in denen die internationale Verfolgung von Straf- und Finanzansprüchen abgelehnt worden ist. Die bestehende Praxis der Gerichte ist deshalb mit der bestehenden völkerrechtlichen Regel im Einklang. Gerade aus diesem Grunde sollte sie unterstützt werden. Gewiß ist es richtig, daß der Begriff der inneren Angelegenheiten nicht nur relativ, sondern auch entwicklungsfähig ist31 • Es mag sein, daß sich das gemeine Völkerrecht im Laufe der Zeit wandeln wird, vor allem etwa, falls eine Änderung in der herrschenden staatsvertragliehen Praxis eintreten sollte. Aber für den Augenblick würde angesichts der tief eingewurzelten und allgemein anerkannten Überzeugung, die die Geltendmachung 29 Solche Gesichtspunkte werden von Albrecht (oben Anm. 16} 462 angeführt. ao Sie sind von Albrecht (vorige Note) 468 ff. zusammengestellt worden. Vgl. ferner Niboyet, Traite de Droit International Prive fran