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German Pages 69 [91] Year 1914
Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde Publications de la Societe suisse des traditions populaires
.......... ......... >---------
10-----------------------
Mei den Wassern des Walsertates
Von
I. Jörger.
Masel Verlag der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde Augustinergasse No. 8
1913
Irchattsverzeichnis
Seite
Zur Einführung
..........................................................................................
1
.....................................................................
1
Straße und Pässe ..........................................................................................
4
Zwüfchet leida, ruchaBärga
Aus alter und neuer Zeit
.........................................................................
Mit Großmütterchen „Sage" kreuz und quer durchs Tal Haus und Stall
6
...
13
..........................................................................................
26
Vom lieben Vieh und dergleichen
.............................................................
31
Produkte des Landes ....................................................................................
34
Die harte Arbeit
37
..........................................................................................
Alpen und Alpwirtschaft
...........................................................................
Wie üns Bäsi Barbli vom Chäse erzellt
41
.................................................
45
Hauszeichen und Viehzeichen........................................................................
47
Religiöses Leben (Ostern,Dreikönigsfest, Weihnacht) ..................................
48
Heilige Ordnung, segensreiche (Knabenschaft, Liebeswerben, Kreuzgänge)
51
Von der Wiege bis zur Bahre (Geburt, Hochzeit, Tod) ..........................
53
Von Not, Gefahr und Unglück
..................................................................
58
Gebräuche und Spiel (Neujahr, Fastnacht, Kinderspiele, Nebelzauber) ...
61
Von Volksmedizin und dergleichen (Kalenderzeichen, Wetterregeln)
64
Die Sprache und Schluß..............................................................................
67
Zur Einführung. Mit dem Namen „Walser" bezeichnet man die deutschen Ansied
lungen unter den Romanen Graubündens und anderer Nachbarländer,
welche die Geschichtsforschung von den Bewohnern des Oberwallis ab Eine solche Walserkolonie sind die Bewohner des „Vals" oder
leitet.
des „Valsertales" im bündnerischen Oberlande. Von dieser Kolonie, ihrem
Leben und ihrer Eigenart möchte ich Näheres berichten.
Was ich er
zählen und schildern werde, ist nicht ganz die Gegenwart, sondern die
Zeit vor 40 und mehr Jahren; denn auch in Vals hat sich seither
Vieles geändert, nach dem Rezepte: eine Straße wird gebaut, ein Kur ort wird getauft und eine Idylle wird begraben.
Wer von meiner Arbeit viel Originelles erwartet, wird nicht auf seine Rechnung kommen; denn seit Prof. Steblcr seine schönen Mono graphien über das Wallis geschrieben hat: „Ob den Heidcnreben", „Das
Goms und die Gomser" und „Am Lötschberg", sind die Walser, wo immer
sie auch wohnen mögen, in ihren Gebräuchen und ihrer Eigenart be Es kann sich daher nur mehr um Vergleiche der Walserkolonien
kannt.
mit dem Mutterlande Wallis handeln.
Hiezu eignet sich nun wohl
kaum eine Talschaft besser, als das bündnerische Vals und seine Be wohner.
Vals war seit Jahrhunderten und ist bis in unsere Zeit hinein
eine Oase geblieben.
Dem nivellierenden Weltverkehr völlig entrückt,
eingeschlossen zwischen hohen Bergen, haben ihm überdies religiöse und
sprachliche Verschiedenheit gegenüber seinen Nachbarn schier unübersteigliche Schranken aufgerichtet.
Es ist also ein Tal, in dem sich alte
Gebräuche, alte Mundart und Originalität der Bewohner erhalten und
forterben mußten, wie kaum in einem andern Erdenwinkel.
Diesen ein
samen, fast unbekannten Winkel mit mir zu durchstöbern, dürfte doch manch Einem Lust und Freude sein.
Zwüschet leida, rucha Bärga. Das Haupttal von Vals mit seiner Fortsetzung Zervreila zieht sich etwa 5—6 Stunden durch das Adulagebirge hin bis zu dessen
höchstem Gipfel, dem Rheinwaldhorn (3400 m ü. M.) und ist rechts flankiert von den ansehnlichen Seitentälern Tomül, Peil und Kanal;
links streckt das Pernoktälchen seinen kurzen Arm gegen den Piz Terri Jörger, Bei den Walsern des Valsertales
1
Zur Einführung. Mit dem Namen „Walser" bezeichnet man die deutschen Ansied
lungen unter den Romanen Graubündens und anderer Nachbarländer,
welche die Geschichtsforschung von den Bewohnern des Oberwallis ab Eine solche Walserkolonie sind die Bewohner des „Vals" oder
leitet.
des „Valsertales" im bündnerischen Oberlande. Von dieser Kolonie, ihrem
Leben und ihrer Eigenart möchte ich Näheres berichten.
Was ich er
zählen und schildern werde, ist nicht ganz die Gegenwart, sondern die
Zeit vor 40 und mehr Jahren; denn auch in Vals hat sich seither
Vieles geändert, nach dem Rezepte: eine Straße wird gebaut, ein Kur ort wird getauft und eine Idylle wird begraben.
Wer von meiner Arbeit viel Originelles erwartet, wird nicht auf seine Rechnung kommen; denn seit Prof. Steblcr seine schönen Mono graphien über das Wallis geschrieben hat: „Ob den Heidcnreben", „Das
Goms und die Gomser" und „Am Lötschberg", sind die Walser, wo immer
sie auch wohnen mögen, in ihren Gebräuchen und ihrer Eigenart be Es kann sich daher nur mehr um Vergleiche der Walserkolonien
kannt.
mit dem Mutterlande Wallis handeln.
Hiezu eignet sich nun wohl
kaum eine Talschaft besser, als das bündnerische Vals und seine Be wohner.
Vals war seit Jahrhunderten und ist bis in unsere Zeit hinein
eine Oase geblieben.
Dem nivellierenden Weltverkehr völlig entrückt,
eingeschlossen zwischen hohen Bergen, haben ihm überdies religiöse und
sprachliche Verschiedenheit gegenüber seinen Nachbarn schier unübersteigliche Schranken aufgerichtet.
Es ist also ein Tal, in dem sich alte
Gebräuche, alte Mundart und Originalität der Bewohner erhalten und
forterben mußten, wie kaum in einem andern Erdenwinkel.
Diesen ein
samen, fast unbekannten Winkel mit mir zu durchstöbern, dürfte doch manch Einem Lust und Freude sein.
Zwüschet leida, rucha Bärga. Das Haupttal von Vals mit seiner Fortsetzung Zervreila zieht sich etwa 5—6 Stunden durch das Adulagebirge hin bis zu dessen
höchstem Gipfel, dem Rheinwaldhorn (3400 m ü. M.) und ist rechts flankiert von den ansehnlichen Seitentälern Tomül, Peil und Kanal;
links streckt das Pernoktälchen seinen kurzen Arm gegen den Piz Terri Jörger, Bei den Walsern des Valsertales
1
2
und das tessinische Val Luzzoni hin.
Die Valsergrenze endet am tessi-
nischen Blegnotal, wo ein anderes Volk in anderer Zunge spricht.
mühsamer Paß führt über den Gletscher in etwa
Ein
10 Stunden von
Vals-Platz aus zu den Nachbarn in Olivone, wenn man bei einer solchen, weiten und holperigen Entfernung überhaupt noch von Nach
barn reden darf.
Für Kiltgänge ist's auf alle Fälle zu weit und zu
umständlich.
Jenseits des Tomül- und Valserbergpasses (4—5 Stunden von Vals-Platz aus) wohnen die deutschen Safier und Rheinwalder, eben
falls Walserkolonien.
Sie sind aber protestantisch, die Valser katholisch,
was ihre Vermischung fast völlig unterbunden hat.
Der Verkehr mit
Safien war wohl nie von irgendwelcher Bedeutung; denn Sofien ist gleich Vals ein abgeschlossenes Tal, in dem sich kein Weltgetriebe ent
wickeln konnte. Bleiben also noch die Nachbaren talauswärts, die Lugnetzer, denen Vals politisch angegliedert ist.
Die
Lugnetzer
sind
aber
Romanen,
Stock-Romanen, die mit den deutschen Balsern in früheren Zeiten nichts
weniger als auf freundschaftlichem Fuße standen, hatten sie doch sogar ein Heiratsverbot einstmals gegen die Valser aufgerichtet.
Ein Schlag
ins Wasser, denn die Valser wußten sich im heiklen Kapitel der Ver
mehrung im eigenen Tale und auf eigene Faust sehr gut zu helfen, ohne daß sie es nötig gehabt hätten, in Römermanier auf Raub nach
Sabinerinnen auszuziehen. „Wir husa zwüschet leida, rucha Bärga," klagt der Valser.
was bestehen diese Berge?
Aus
Dr. Wilkens, Professor der Geologie in
Jena, der mehrere Sommer lang dem Studium des Adulagebirges ob
gelegen, hat das Rätsel also gelöst: „Das Gebirge um Vals wird von Gesteinen aufgebaut, die teils erup tiver Entstehung, teils ursprünglich Schichtgesteine sind, sämtlich aber durch die Vorgänge bei der Bildung der Alpen eine schieferige und stark krystalli nische Beschaffenheit erhalten haben. Das tiefste Glied der Gesteinsfolge bil den die Gneise, unter denen der oft gls Augengneis ausgebildete und durch seine schönen, grünen Glimmer ausgezeichnete Adulagneis am verbreitetsten ist. Als Einlagerungen kommen in ihm Glimmerschiefer, Hornblende und Granit gesteine vor. Von Glimmerblättchen schimmern in Vals die Wege, die Acker erde, der Flußsand. Auf den Gneis lagern sich Dolomite und die löcherigen Rauhwacken der Triasformation, dann der Komplex jener Gesteine, die man früher als Bündnerschiefer zusammenfaßte. Es sind dies teils kalkfreie Phyllite, teils Kalke mit schwarzem Glimmer, teils Marmore mit mehr oder weniger Glimmer- und Kieselgehalt. Weit verbreitet sind die sogenannten Grünschiefer, stark veränderte und gelieferte Diabase, Eruptivgesteine aus dem Mittelalter der Erdgeschichte. Alle diese Gesteine werden von Gängen durchsetzt, die im Wesentlichen aus Quarz bestehen und die schönen Mineralien geliefert haben, deretwegen der Piz-Aul bei den Mineralogen bekannt ist.
3 Mit Ausnahme des Adulagneises zeigen alle Gesteine des Valsergebirges eine Faltung und Fältelung von einer Intensität, wie sie größer gar nicht gedacht werden kann. Auch im Großen sind die Lagerungsverhältnisse durch Faltungen und Überschiebungen kompliziert. Das Adula-„Massiv" ist eine
große, liegende Falte. Sie ist von SSO her vorgestoßen. Sie liegt dabei aber nicht glatt, sondern macht einen Buckel in der Querrichtung und außerdem liegt sie nicht horizontal zur Erdoberfläche, sondern schräg, indem sie ONO unter andere derartige, der Länge nach dachziegelartig deckende (eine tektonische Treppe bildende) liegende Falte absinkt. Die Wölbung der vom Valserrhein und Peilerbache umflossenen, ovalen Gebirgsmasse, Fanellamasse genannt, ent spricht etwa dem Buckel der großen Falte. Über sie hinweg steigen, auf ihr
selbst freilich später abgetragen, die jüngeren Gesteine von SO her empor, um dann gegen NW abwärts zu tauchen. In der Fanellamasse sind die jüngeren Gesteine nur auf der NW-Seite in der Form einiger liegender Dolomitmulden erhalten, die eigentliche Hülle der Gneisfalte bildet dagegen die Kette des Valserhorns einer-, die Piz-Aulkette anderseits. Immer von neuem schalten sich"aber hier Gneislager zwischen die Dolomite, Schiefer und Marmore ein und zeigen, daß nicht nur die Adula-Deckfalte, sondern eine ganze Anzahl übereinander geschobener Massen die Lagerung der Adulafalte gleichsinnig mitmachen. Gut beobachten läßt sich die mehrfach erneuerte Wiederkehr von Schichtfolgen, von ältesten bis zu jüngsten, an dem Grat von der Wenglispitze zum Valserberg. Die ruhige, gleichmäßige Aufeinanderfolge der Gesteine ist nur eine scheinbare. Obwohl die jetzigen Oberflächenformen des Gebirges auf der Tätigkeit der Verwitterung, des fließenden Wassers und der diluvialen Vergletscherung beruhen, so spiegeln sie doch den innern Bau getreulich wieder. Fast aus nahmslos haben alle Valserberge eine leicht ersteigbare Dach- und eine schroffe Steilseite. In der Valserhornkette ist die Dachseite mit dem Abfall der Schichten gegen SO, in der Piz-Aulkette nach NW gerichtet. Das Fanellahorn, in der Achse der Deckenwölbung gelegen, kehrt nach beiden Seiten seine Ab dachung Symmetrisch laufen auf beiden Seiten des Valsertales die Fels bänder zum grünen Wiesenboden hinab."
Das Valsergebirge wahrhaft feenhafter
ist ein bekannter Fundort von schönen und
Vor Jahren wurde am Piz-Aul eine Höhle von
seltenen Mineralien.
Pracht freigelegt.
Ihr Inneres war vollständig
ausgefüllt von goldglänzenden Rutilnadeln.
Die schöneil, großen Berg
kristalle, welche ihre Wände bekleideten, sind dicht mit den gleichen gol denen Haarbüscheln erfüllt.
aller Wrlt gewandert.
Der einzigartige Fund ist in die Museen
Von andern mehr weniger seltenen Mineralien,
die in Vals gefunden wurden, sind zu nennen: Damburit,
Brookit,
Anatase in verschiedenen Farben, Turmalin, Fluorit, Asbest, Apatit usw.
Dem Wanderer wohl am meisten auffällig ist Vals durch seinen
Wasserreichtum.
meln;
ungezählte
Quell an Quell, Bach bei Bach springen und mur Wasserfälle,
weiße
Bänder, stäubende
Bogen
schreckende Wellen stürzen hoch von den Felsen in die Schluchten.
und
4
Strasze und Fasse. Von Lugnetz führt seit
1877 eine Kunststraße,
an Stelle des
früheren, halsbrecherischen und gefährlichen Saumweges, durch die Luch-
nern, da wo auf einsamen Gehöften die „Luchner" wohnen, nach Vals. Die Geographen haben die ca. 10 Kilometer lange Schlucht, die an Großartigkeit, Abwechslungsreichtum und Überraschungen ihresgleichen sucht, die „Valserschlucht" getauft.
Der historische Name „Luchnern"
Auch
droht daher unterzugehen, was schade ist.
dem Valserflusse hat
Er hat bei den Balsern bis
man einen falschen Namen aufgebunden.
auf den heutigen Tag niemals „Glenner" geheißen, sondern der „Rhi"
oder der „Valscherrhi". Wenn ich durch die Luchnern wandere, suche ich den alten Saum pfad, jetzt nur mehr stellenweise erkenntlich.
Kleine,
aus Stein ge
mauerte, mit Platten bedachte Wegkapellchen, die in einer großen Nische das Bild eines Heiligen al fresco gemalt dem Wanderer zeigen, weisen
die Richtung des alten Weges.
Da ist noch mein Studentenkoffer so
manches Jahr auf dem Saumrosse hin und her gewandert. mer hat ihn gern übernommen;
auswärts
durfte
Kein Säu
er nur links aufs
Roß, einwärts nur rechts geladen werden, damit er nicht an die über
hängenden Felsen stoße und Roß und Ladung in die Tiefe stürze. Bei der
Kapelle
St. Nicolaus
„in
der Hundschipfa"
Schlucht am tiefsten, engsten und grausigsten.
ist
die
Dort ist die „Zigeuner-
folta", eine Runse, die ehemals in eine schwarze Tiefe leitete, wo manch
ein Saumroß verschwunden ist.
Woher der Name?')
Im „Hanstönihus" in Vals wohnten einstmals Zigeuner, wohl
eher deutsche Heimatlose.
Das Haus wurde 1812 von einer Lawine
zerstört, man sieht noch Spuren seiner Ruinen. geuner ausziehen.
Da mußten die Zi
Auf dem Wege durch die Luchnern wurde die hun
dertjährige Großmutter müde und klagte über Beschwerden.
Ihre An
gehörigen trösteten sie: „Hend Geduld, Muotter, es chunt bald besser." Als sie auf der Hundschipfa anlangten, stießen sie die alte Ahne in den Abgrund und es wurde ihr besser.
Seither heißt der Ort die Zigeu-
nerfolta.
Beim Hofe „Lunschania", der romanischen Sprachgrenze, weitet sich die Schlucht zu einer kleinen Wiesenterrasse.
Von schwindelnder
Höhe grüßen die braunen Häuser und weißen Kirchlein der Höfe „Munt" und „Travisarsch".
Von der andern Talseite her winken die Häuser
von „Mataschg" und „Feistenberg".
Letztere hängen wie Adlernester
an steiler Halde über einem grausigen Tobel.
In Feistenberg werden
') Vgl. Idiotikon 1, 821: volle, aus bem rontan. volta - Wendung, Gewölbe.
5 die Kinder und der „Schittstock" (Scheitstock) vor dem Hause angeseilt und die Hühner werden mit Fußeisen beschlagen, damit sie nicht zu Tode
fallen, erzählt der Volkswitz?) In Lunschania sammelt im Winter ein kleines, braunes Schul
häuschen die Kinder all dieser Höfe, die auf einem stundenlangen, ge fährlichen Wege durch Schnee und über Eis hier eine dürftige Bildung holen müssen.
Beim Hofe „Bnccarischuna" liegt die Valsergrenze, dort engt sich das Tal wieder zur finster-düstern Schlucht, die wir nicht mehr ver lassen, bis wir, aus einem Tannenwalde auftauchend, die Talmulde von
Vals vor uns sehen.
Der alte Saumweg führte, sehr romantisch, durch
ein Gewölbe unter der Kapelle des hl. Nikolaus aus dem Waldesdunkel in die blumigen Gefilde des Tales.
Viel mehr Bedeutung als der Saumpfad nach dem Lugnetz hatte
vor 1877 der Paß über den Valserberg nach Hinterrhein
den St. Bernhardin
nach
dem sonnigen Süden.
Dorthin
und über
ging
die
Sehnsucht des Balsers, von dort her bezog er seine Nahrungsmittel,
die Polenta, den Reis, die Kastanien, den Wein, dorthin trieb er sein Vieh zum Verkaufe nach Giubiasco, Lauts, Mailand.
Die Herbstvieh
triebe über den Valserberg, vom Lugnetz und Oberland her, sieht man noch jetzt.
Ich werde noch an anderer Stelle auf die Bedeutung und
Geschichte dieses Passes zu sprechen kommen.
Auch paß" muß
haben.
mit dem Blegnotale, über den „Sorreda- oder Scaradra-
in
alter Zeit ein nicht unwesentlicher Verkehr bestanden
Man wird sich jetzt noch über den gut angelegten Pfad mit
seinen Stützmauern wundern, der, den Gletscher geschickt umgehend, vom Zervreilatale nach Olivone hinüberführt.
Die „Blegner oder Plender"
haben jetzt noch die hintersten zwei Alpen des Zervreilatales im Besitze. Die Klubhütte, welche die Sektion Bodan S. A. C. im hintersten Zer-
vreila, in der „Senta" erbaut, kommt auf tessinisches Eigentum zu stehen. In alter Zeit hatten dort in der „Lampertschalp" (ital. Sor
reda) die Plender ein ausgedehntes Sommerdörfchen, wie die zahl
reichen Trümmer und noch vorhandenen Gebäude beweisen.
Die ein
zelnen Hütten, Häuschen, Ställe waren Privatbesitz auf Gemeindeboden und sind erst vor Kurzem aus Familienbesitz durch Kauf in das Eigen
tum der Gemeinde übergegangen.
Auch eine kleine, jetzt zum Geißstall
verschandelte Kapelle, von äußerst niedlicher Form, fehlt nicht.
Welchem
Heiligen sie geweiht war, meldet kein Lied, keine Sage, wahrscheinlich *) Ähnlich erzählt man sich von einer Ortschaft am Luganersee, daß den Hühnern Säckchen umgebunden werden, damit die Eier nicht den steilen Hang hinab in den See rollen.
6 dem
S. Antonio,
dem
der
Lieblingsheiligen
Plender.
Dieses kleine
Gotteshaus wäre der Erhaltung wert, als ein bescheidenes Denkmal einstiger Alpenherrlichkeit
und
Anblick jedesmal mehr als
freien Alpenlebens.
Mich erbaut sein
das Granitdenkmal irgend
eines zweifel
haften Raufboldes.
Grausige Sage geht über die Lampertschalp.
einstmals die Marchsteine der Alp versetzt.
Ein Plender hatte
Dafür muß er nun nach
seinem Tode als feuriger Reiter auf feurigem Rosse herumreiten und in Sturmnächten die Herden scheuchen.
Geschieht ihm ganz recht, dem
Gauner! *)
Seit Jahren verpachten die Plender ihre Alpen an die Lugnetzer
oder Valser.
nem
Vieh
Ich erinnere mich aber noch, daß sie dieselben mit eige über den Gletscherpaß
her
befuhren.
Im Herbst kamen
dann die Weiber der Plender über den Sorredapaß in die Alp, be luden sich mit den Molken und trugen sie durch das Tal hinaus nach Jlanz, das Oberland hinauf und über den Lukmanier nach Hause.
Diesen armen Weibern, die auf ihren Zoccoli im Gänsemarsch durch das Dorf klapperten, wäre gewiß das bündnerische Automobil zu gönnen
und zu wünschen gewesen! Von Vals-Platz führt ein Paß
über Alp Tomül nach Saften
und ein anderer, der „Patnaulpaß", am Piz-Aul vorbei nach Vrin. Sie haben nur touristische Bedeutung und keine Geschichte.
Aus alter und neuer Zeit. Die Geschichte der Bergpässe führt mich weit, weit zurück auf die alte, nur noch in Spuren und Sagen vorhandene Geschichte des ein
samen Valsertales. Vals hat in Dr. I. Heierli's „Urgeschichte der Schweiz" einen be scheidenen Platz erobert.
Beim Bau des Kurhauses der Therme Vals
stieß man auf eine tief verschüttete, gemauerte, eigentümliche Badezisterne. In ihr fanden sich Stoßzähne des wilden Ebers, Zähne einer ver
schollenen Hirschart und seltsame Scherben italienischer Töpfe der Bronze
zeit, die Heierli als Zeugen urgeschichtlicher Kultur anspricht.
Darnach
hat die Heilquelle von Vals den ältesten Ausweis ihres Gebrauches von allen Bädern unseres Landes.
Unser bündnerischer
Geschichtsforscher, Prof. Muoth
sel., suchte
durch die Luchnern, über Travisarsch, nach Vals und über den Valser-
berg eine alte Verkehrsstraße.
Heierli schreibt:
„Die wichtigste Paß
linie der Bronze- und Eisenzeit in den Alpen war der Bernhardin. Merkwürdigerweise
aber
ging
der Weg
nicht
dem Hinterrhein nach
*) Sehr verbreitete Sage; vgl. Idiotikon 6, 1703.
6 dem
S. Antonio,
dem
der
Lieblingsheiligen
Plender.
Dieses kleine
Gotteshaus wäre der Erhaltung wert, als ein bescheidenes Denkmal einstiger Alpenherrlichkeit
und
Anblick jedesmal mehr als
freien Alpenlebens.
Mich erbaut sein
das Granitdenkmal irgend
eines zweifel
haften Raufboldes.
Grausige Sage geht über die Lampertschalp.
einstmals die Marchsteine der Alp versetzt.
Ein Plender hatte
Dafür muß er nun nach
seinem Tode als feuriger Reiter auf feurigem Rosse herumreiten und in Sturmnächten die Herden scheuchen.
Geschieht ihm ganz recht, dem
Gauner! *)
Seit Jahren verpachten die Plender ihre Alpen an die Lugnetzer
oder Valser.
nem
Vieh
Ich erinnere mich aber noch, daß sie dieselben mit eige über den Gletscherpaß
her
befuhren.
Im Herbst kamen
dann die Weiber der Plender über den Sorredapaß in die Alp, be luden sich mit den Molken und trugen sie durch das Tal hinaus nach Jlanz, das Oberland hinauf und über den Lukmanier nach Hause.
Diesen armen Weibern, die auf ihren Zoccoli im Gänsemarsch durch das Dorf klapperten, wäre gewiß das bündnerische Automobil zu gönnen
und zu wünschen gewesen! Von Vals-Platz führt ein Paß
über Alp Tomül nach Saften
und ein anderer, der „Patnaulpaß", am Piz-Aul vorbei nach Vrin. Sie haben nur touristische Bedeutung und keine Geschichte.
Aus alter und neuer Zeit. Die Geschichte der Bergpässe führt mich weit, weit zurück auf die alte, nur noch in Spuren und Sagen vorhandene Geschichte des ein
samen Valsertales. Vals hat in Dr. I. Heierli's „Urgeschichte der Schweiz" einen be scheidenen Platz erobert.
Beim Bau des Kurhauses der Therme Vals
stieß man auf eine tief verschüttete, gemauerte, eigentümliche Badezisterne. In ihr fanden sich Stoßzähne des wilden Ebers, Zähne einer ver
schollenen Hirschart und seltsame Scherben italienischer Töpfe der Bronze
zeit, die Heierli als Zeugen urgeschichtlicher Kultur anspricht.
Darnach
hat die Heilquelle von Vals den ältesten Ausweis ihres Gebrauches von allen Bädern unseres Landes.
Unser bündnerischer
Geschichtsforscher, Prof. Muoth
sel., suchte
durch die Luchnern, über Travisarsch, nach Vals und über den Valser-
berg eine alte Verkehrsstraße.
Heierli schreibt:
„Die wichtigste Paß
linie der Bronze- und Eisenzeit in den Alpen war der Bernhardin. Merkwürdigerweise
aber
ging
der Weg
nicht
dem Hinterrhein nach
*) Sehr verbreitete Sage; vgl. Idiotikon 6, 1703.
7
hinunter, sondern über den Valserberg, nach dem Badeort Vals und das Lugnetz hinaus...
Von Jlanz zieht sich ein jedenfalls sehr alter
Weg dem Glenner entlang nach Vals, von wo aus nach Sofien und dem
Rheinwald Pfade hinüberführen. Bronzefunde (zwei Dolche), die an einem dieser Pfade gefunden wurden, beweisen, daß die Bündnertäler, welche
gegen den Bernhardinpaß hinziehen, schon sehr früh begangen waren."
Fig. 1.
Bergträger mit Reitbrett, Schneereifen und Läget.
Der Paß über den Valserberg ist im Sommer und Winter ohne
besondere Gefahr begehbar und muß in alten Zeiten beidseits bis an
nähernd auf die Paßhöhe mit Arven („auf der Arve" heißt O noch diesseits) bewaldet gewesen sein.
Bis zum Bau der Valserstraße wurde
er jeden Herbst vom Dorfweibel mit hohen Holzstangen besteckt.
Uber
ihn zogen im Sommer die Saumrosse auf der „Roßstraße" des Peil tales nach dem Veltlin, denn
auch der
Valser hatte Verlangen nach
dem feurigen Weine des Untcrtanenlandes, für dessen Regierung auch
8 Vals verschiedene Beamte (podestati) geliefert hat.
Im Winter be
sorgte eine eigene Gilde, die Bergträger, den Transport der Lebens mittel über den Berg nach Vals.
Ausgerüstet
mit Reitbrett, Schnee
reifen, Bergstock, Schlitten, gestiefelt und die „Schwänzlikappe" über die
Ohren gezogen, erzwangen sie den Paß auch im Schneesturm (s. Fig. 1).
Die letzten Bergträger sind vor wenig Jahren erst gestorben; entzündete Augen und Erblindung, sog. Schneeblinde, war zum Schlüsse meist ihr
trauriges Los.
Sie trugen den „Mötsch und die Weinlägel", ein Ge
wicht von über zwei Zentnern, von Hinterrhein nach Vals.
große, starke Männer gewesen sein!
Das müssen
Stark schon, aber groß nicht alle,
denn es fällt mir ein artiges Erlebnis ein, das ich einschalten muß. Vor bald 40 Jahren botanisierte ich einmal am Valserberge.
Da
sah ich einen größeren, schwarzen Gegenstand, den ich mir nicht erklären
und deuten konnte, über den Rasen daher kommen.
neugierig.
Was war's?
Ich näherte mich
Wahrhaftig eine Weinlägel, die sich anschei
nend aus eigener Kraft aufrecht hielt und vorwärts bewegte. Ich dachte
selbstverständlich an Hexenwerk und schlug zur Vorsicht ein Kreuz. stand die Lägel still.
Ich pirschte mich hinan,
den Seiten;
nichts
Da
besah die Läget von Ich guckte nach
hinten,
von
vorne.
Da hockte in der Wegvertiefung der „Martatunni", der kleinste
war zu entdecken.
Mann von Vals, ein förmlicher Zwerg. und tragende Kraft der Läget.
Das war jetzt die treibende
Auf meine erstaunte Frage, ob er denn
eine Lägel zu tragen vermöge, gab er die stolze Antwort: „Ich trage
Mötsch und Lägel seit vielen Jahren über den Berg."
Seither habe
ich den unansehnlichen Martatunni wie einen Helden geachtet.
Er ist
vor nicht langer Zeit im Alter von 84 Jahren gestorben, als der Letzte Wie einst den alten Rittern Speer und Schild,
seines Geschlechtes.
hätte man ihm Mölsch und Lägel mit ins Grab geben sollen. Aus der alten, nur mehr durch Bronze und Scherben bezeugten
Urbevölkerung ging durch die Okkupation der Römer (15 v. Eh.) eine romanische Bevölkerung
Spuren aufweist.
hervor, die
bis
auf den heutigen Tag ihre
Die meisten Orts- und Flurnamen von Vals sind
noch romanisch, z. B. Valle, Zervrcila, Curaletsch, Clavadätsch, Parwig,
Selva, Apervreila rc.
Auch der Name „Vals" hat nicht etwa Bezug
zum Worte „Wallis"; er
ist nur die Kürzung des romanischen „Val
Sä'n Peder", oder des italienischen „Valle di San Pietro".
Viele der
romanischen Namen, einmal zwischen die harten Lippen der Walser ge
raten, 'wurden arg zermalmt und bis zur Unkeuntlichkeit entstellt. soll z. B. der Name „Gulibei"') bedeuten.
Was
Das klingt ja ganz tunesisch.
Mit dem rom. baie zusammenhängend? Vgl. Idiotikon 4, 899 f.
9 Zu den Romanen gesellten sich die Walser oder Walliser als demokratisches Element und verdrängten ihre Sprache und Gebräuche,
offenbar nicht durch Gewalt, sondern durch ihre große Fruchtbarkeit.
Was so ein Geschlecht in Vermehrung zu leisten vermag, zeigt ein um 1644 eingewanderter Walser. auswärts
heute
nach
Seine Nachkommen zählen in Vals und
Hunderten.
Die
friedliche Durchdringung, die
Kolonialkunst unserer Tage, war also dazumal schon bekannt und mit
Erfolg geübt. Merkwürdig ist nun, daß in Vals weder Überlieferung, noch Sage irgend eine Anknüpfung an die Walliser kennen.
Nur zwei un
deutliche Spuren sind mir bekannt, ein hl. Theodul, Nationalheiliger des
Wallis, auf einem Altarbilde der Valser Pfarrkirche und eine Votiv
tafel von einem „Antoni Sigrist aus dem Walliß". Die Valser Sage erzählt von einer ganz anderen deutschen Ab
stammung.
Als der deutsche Kaiser Friedrich der Rotbart über die
Berge nach Italien zog, ließ er zur Bewachung der Pässe deutsche
Krieger zurück.
Diese wurden niemals mehr abgerufen, verblieben im
stillen Bergtale und von dieser „tausendjährigen Wache" stammen die deutschen Valser ab.
Wann die Einwanderung der Walliser stattgefunden hat, ist nicht
genau bekannt. Jahrhundert.
Prof. Dr. Purtscher in
Chur
nennt
dafür das 13.
Zur Zeit des trideutinischen Konzils, offenbar zur Re
formationszeit, war die Verdrängung der Romanen in Vals vollendet, denn wir finden in den bis zum Konzil zurückreichenden pfarramtlichen Zivilstandsregistern, mit einer einzigen Ausnahme, nur die jetzigen deut
schen Valsergeschlechter, von denen mehrere auch im Wallis und bei den
Walsern des Vorarlberg zu finden sind.
Dazumal gab's in Vals 23
Geschlechter, von denen nunmehr 5 ausgestorben sind (Frank, Schuler, Lieni, Bischof, Filpen).
Im Mittelalter lebten die Valser, wie die andern Bündner-Ober länder, unter allerlei geistlichen und weltlichen Herren in fast unver
ständlichen, verwickelten Eigentums-
und Gerichtsverhältnissen.
Nach
Dr. Purtscher waren in Vals Hauptgrundbesitzer der Bischof von Chur,
das Domkapitel, die Herren von Montalt und die von Belmont.
Der
Bischof war dort nie Landesherr, er übte nur die niedere Gerichtsbar keit, die höhere unterstand dem König, wurde von den weltlichen Herrn nach und nach angeeignet und festgehalten, bis ihre angemaßten Rechte
am Volkswillen und unter mißlichen Verhältnissen zerbröckelten.
Auch der Valser suchte und wußte sich eine möglichst große poli tische Unabhängigkeit zu ertrotzen, weshalb immer eine gewisse Rivalität
mit dem äußern Lugnetz, dem Vals angegliedert war, und den dortigen
10 regierenden
Herrn
bestand.
In
sollen
die Calvenschlacht 1499
die
Balser nicht unter dem Banner von Lugnetz, sondern mit eigenem Fähn
lein ausgezogen sein.
Um diese Zeit beklagten sich die Lugnetzer, daß
die Balser ein eigenes Siegel erworben und sogar Lehensgüter vom Lugnetz
siegeln.
Die
Balser
führten
Wappen
in
und
Siegel den
Steinbock, der um 1540 durch den hl. Petrus mit dem „Rührstücken" (einem zackigen Stab) ersetzt wurde. Seit dem 16. Jahrhundert, bis ca. 1850, hatte Bals seine eige
nen Landammänner und sein Gericht, das sich möglichst große Kompe tenzen anmaßte.
Neidlos wurde dem Hochgericht (Malesizgericht) Lug
netz eigentlich nur die Verbrennung der Hexen überlassen.
Die Wahl zum Landammann wurde dadurch
geehrt, daß man
dem Gewählten einen bis an den Wipfel entasteten, hohen, schlanken
T a n n e n b a u m vor das Haus pflanzte, der stehen blieb, bis er morsch
wurde oder der Wind ihn fällte.
Ich habe noch als Knabe zwei solcher
Landammannstannen erlebt und sie, selbstverständlich ohne Erfolg, zu erklettern versucht, woraus ich schloß, daß ich zu politischen Ämtern nichts tauge und diesem Zauber für immer den Rücken kehrte.
Vor dem
alten Valsergerichte muß es übrigens recht gemütlich und in der Haupt sache nicht nach geschriebenen, ledernen Paragraphen her- und zugegangen
sein.
Als einmal der Joder-Tunni als Geschworener aufgeboten wurde,
stellte er sich mit der Frage: „Jez säget-mer, wem ich zuostah muoß?", d. h. welcher Partei habe ich zu helfen. Der ganze jetzige Kreis Lugnetz, gegenwärtig
über ein Dutzend
Gemeinden mit 3500 Seelen, bildete „seit alter Zeit und noch fast bis
in die Mitte des 16. Jahrhunderts, mit Ausnahme der kleinen Pfarrei
,Fraissen' zu Igels, eine einzige Pfarrei, die von Pleif aus verwaltet
wurde.
Dort war das Baptisterium, dort der Begräbnisplatz (cime-
terium) für die Leute des ganzen Tales.
Noch heute wird beim Fried
hof in Pleif ein Stück Allmende gezeigt, wo z. B. die Balser ihren
Ochsen, den sie beim Leichentransport verwendeten, weiden zu lassen das Recht hatten" (Dr. Purtscher).
Noch ist auf dem dortigen Fried
hofe der Platz der Balser zu sehen, und vor wenig Jahren noch sollen darauf Grabkreuze, einfache Eisenkreuze, der Balser gestanden
haben.
Die Balser machten also mit ihren Täuflingen und Leichen einen Weg
von ca. 20 Kilometern.
Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie
dieser Leichentransport bei dem alten, wurde.
grausigen
Wege bewerkstelligt
Jedenfalls gelangten in Pleif keine scheintoten Balser zur Be
erdigung.
Die
Balser Filialkirche
8. Martini in Valles“.
von Pleif
hieß
St. Martin war
der
um
1345 „Capella
Nationalheilige
der
11 Merowinger.
Seine Kirchen stehen auffallenderweise, nach Dr. Purtscher,
den ich hier wieder zitiere, auf der Straße des Lukmanier, des Splü
gen und Bernhardin, als Stützpunkte der Christianisierung des Landes. Die Kirche des hl. Martin in Vals dürfte wohl eher im Hofe Balls,
suchen sein.
als im Dorfe (Vals-Platz) selbst zu
Die jetzige Kapelle
daselbst ist 1677 erbaut und ist dem hl. Kreuze geweiht.
Darin be
findet sich jedoch noch ein Altarschrein aus früherer Zeit mit den Haupt statuen Maria und St. Martin.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahr
hunderts wurde Vals von der Mutterkirche Pleif abgetrennt, bei wel chem Anlaß die jetzige Kirche St. Peter und Paul auf dem „Platze" zur Haupt- bezw. Pfarrkirche erhoben worden sein wird.
und Paulus aber scheinen mir über
St. Petrus
den Valserberg her gewandert zu
sein, wo sie in Misox und im Hinterrhein zuerst Kirchenpatrone waren. Aus der spätern Geschichte von Vals mag noch die Reformation
angeführt werden, deren sich ebenfalls
die Sage bemächtigt hat, nach
Valsermanier, die auch den ernsthaften Dingen ein lustiges Mäntelchen
umzuhängen weiß.
Die Sage erzählt:
Die Reformation war in Vals eingezogen, ein Teil der Bewohner hielt zur Messe, der andere ging in die Predigt.
Da sagten sich die
Leute, für zwei Religionen sei eigentlich in dem engen Tale eher zu wenig Platz, man täte gut, sich auf eine einzige
zu besinnen.
Zum
Zwecke der Einigung berief man eine Gemeindeversammlung und be schloß über die Konfession abzustimmen, die Minderheit habe sich dann
der Mehrheit zu fügen.
Aber
siehe da, bei der Abstimmung ergaben
sich gleich viel Stimmen für die Messe, wie für die Predigt.
Darob
große Verlegenheit, denn einen Präsidialentscheid kannte man offenbar noch nicht.
Dorf.
Zum Glücke trieb gerade der Geißhirt seine Herde ins
Nun stellte einer der findigen Köpfe den Antrag, man solle den
Geißhirt entscheiden lassen.
Gesagt, getan, der Hirte entschied für die
Messe und damit war der Reformationshandel erledigt. Die ganz gleiche Sage, nur mit dem Unterschiede, daß dort der Hirte für die Predigt
entschied, wird auch von Orbe im Kanton Waadt erzählt. In Wirklichkeit ist jedoch die Reformation in Vals
ernster vorübergegangen.
bedeutend
Dokumente existieren indessen darüber nicht.
Der Pfarrer, ein Herr namens Lutta (1520—1523), war mit dem
Hauptorte Vals-Platz zur Reformation übergegangen, nach dem Beispiele
der Nachbaren in Safien und Rheinwald.
Das große Kreuz mit dem
lebensgroßen Bilde des Gekreuzigten vor der Kirche wurde in den Rhein geworfen.
Innerhalb des Hofes Camp, da wo der Fluß vor dem
Hochwasser vom Jahre
1868 eine scharfe Krümmung machte, wurde
das Kreuzbild ans Land geschwemmt.
An der Stelle baute man in
12 der Folge eine Kapelle und brachte das Bild darin unter. *) steht heute
kapelle
noch.
In
das
Innere
Die Kreuz
der Kirche gelangten die
Bilderstürmer nicht, denn der Meßmer gab die Schlüssel,
unter dem Kopfkissen verborgen hatte, nicht heraus.
welche er
Da steckte man
sein Haus, „auf dem Hofli", wo noch Hansruinen zu sehen sind, in
Der Mann flüchtete sich vermutlich nach dem Hofe Leis, der
Brand.
damals an Bevölkerung dem Platze näher gekommen sein wird, als
jetzt, denn eine Zeichnung des Platzes auf einem Altarbilde von 1647 zeigt außer der Kirche nur eine Gasse.
Auf dem jetzigen Dorfplatz
stehen noch keine Häuser, das älteste derselben trägt die Jahrzahl 1658. Die Leiser, ob der Gewalttat gegen den Meßmer ergrimmt, zogen an
den Platz und vertrieben den neuerungssüchtigen Pfarrer, womit die Refor
in Vals zu Ende war.
mation
Mehrere Familien wanderten nach
Hinterrhein, Kästris re. aus (Loretz, Tönz), andere zogen von dort und
von
Safien her
nach
Vals
(Meuli,
Schuhmacher),
ein
Geschlecht
(Rüttimann) soll sogar vom Zürichsee her nach Vals gezogen sein, um seinen alten Glauben zu retten. In die gute, alte Zeit gehört auch der Hexenglaube, der in Vals
längst überwunden ist.
Von den Hexen erzählte man sich die allerorts
gleichlautenden Bosheiten,
besonders Schädigungen am Vieh, an der
Gesundheit der Menschen und wie sie ihre Ehemänner täuschten.
Sie
legten den Besen ins Ehebett, ölten den Stiel mit Hexensalbe gehörig
ein, setzten sich drauf und mit dem Zauberspruche: „Ds'Chemi uf und
ds'Chemi ab, obna us und niene a," ritten sie auf dem Besenstiel wie auf einem Aeroplan durch das Kamin zum Hexentanz, der auf einem
Haufen Geißmist abgehalten wurde.
Einmal kam ein besonders „tiffi-
ger" Mann dem Betrug auf die Spur.
beschloß die Kunst nachzumachen.
Er belauschte seine Frau und
Weil er aber den Zauberspruch nicht
richtig verstanden hatte, kommandierte er sein Reitpferd: „Obna us und
überall a," was zur Folge hatte, daß er die ganze Nacht im Kamin
herumstürmen mußte. durch
das Kamin
Beim Morgengrauen, als seine zarte Ehehälfte
heimwärts
steuerte, trafen
sich
die zweie alldort,
worauf beide ein paar Wochen lang mit zerschundenem Kopfe zu sehen waren?)
An andern Orten hätte sich aus einer solchen Begegnung flugs
eine Ehescheidung entsponnen.
In Vals regt man sich wegen solcher
Kleinigkeiten nicht auf und scheidet überhaupt nie die Ehe.
Im Grunde
genommen hat der Valser von den Hexen gar keine schlechte Meinung, denn wenn er ein „Wibavolch" recht nachdrücklich belobigen will, so ’) Eine ähnliche Sage bei K u o n i. Sagen des Kts. St. Gallen 1903, Nr. 374. 2) Vgl. z. B. G. Fi ent, Prättigau (1897), S. 219 fg.; A. Lütolf, Sagen und Bräuche aus den fünf Orten. Luzern 1862, S. 202.
13 sagt er: „Schi ischt es ziers, gschwinds Häxli".
Der gegenteiligen Mei
nung stehen mehr Ausdrücke zu Gebote: „Schi ischt es tondersch Plagg, es leids Pflaster, en alta Grongga" u. s. w.
Im „Schniderhns" wohnte ein Hexennieister, der machen konnte,
daß ihn die Mädchen verküssen mußten.
Diese Kunst ist jetzt noch
bekannt und geübt. Eine perfide Bosheit übten die Valserhexen im „Dogglidrücken" (Alpdruck).
Als zierliche „Doggli", in rotem Häubchen, hüpften sie
durchs Fenster, setzten sich auf die Brust des Schlafenden und drückten ihn, bis des Morgens die Betglocke anschlug. Eine wirkliche Begebenheit dürfte folgender Erzählung zu Grunde
Unter „der Balma" wohnte ein Mann.
liegen.
Als er sah, wie man
auf der andern Seite des Flusses von Leis her eine Frau zum Malefiz
gericht als Hexe ins Lugnetz schleppte, durchwatete er den Fluß und trat für ihre Unschuld ein.
Er
büßte sein
kühnes Unterfangen
als
Hexenmeister. In Vals werden noch
ein paar schwere Schlachtwerkzeuge nach
Art der Hellebarden oder Morgensterne aufbewahrt. nach sind sie nicht alt.
Dem Aussehen
Sie dürsten geschmiedet worden fein, als die
Valser Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Franzosen auszogen, wo
sie sich an dem Gefechte bei Reichenau beteiligten.
Alte Valser erzählen
indessen, diese Mordwerkzeuge seien zur Sonderbundszeit, wo man um
die Erhaltung der Konfession bangte, geschmiedet worden.
Damals soll
der wegen seines polternden Wesens bekannte Baschli Joos die Refor
mierten in Hinterrhein nicht übel dran gekriegt haben.
Die im Rhein
wald trauten in jener aufgeregten Zeit den Balsern ganz schlecht.
Als
nun der Baschli als Bergträger nach Hinterrhein kam, plagte man ihn allerorts mit der Frage, was die Valser zu tun gedenken.
Der Baschli
gab mit einem fürchterlichen Ernst die Auskunft: „D'Valler sind-schi rätig cho, schi gängä in d's Riwald über, schläja dert alls zämma und macha Bluotwürst druß." Die vom Hinterrhein nahmen die Rede ernst und ließen den Bergpaß besetzen, um vor dem Überfall gesichert
zu sein.
Se non e vero, e ben trovato.
Mit Grosjmütterchen „Sage" kreuz und quer durchs Tal. Die Gemeinde Vals mit einer Einwohnerzahl von ca. 750 Seelen besteht aus mehreren Höfen.
Vom Lugnetz her gelangen wir zunächst
nach Camp mit seinem Kirchlein, das an rauschendem Mühlebache unter dem Schatten eines gewaltigen Ahornbaumes sich zu verbergen sucht. Über dem Eingang ins Heiligtum steht der schöne Psalmvers: „Quasi
13 sagt er: „Schi ischt es ziers, gschwinds Häxli".
Der gegenteiligen Mei
nung stehen mehr Ausdrücke zu Gebote: „Schi ischt es tondersch Plagg, es leids Pflaster, en alta Grongga" u. s. w.
Im „Schniderhns" wohnte ein Hexennieister, der machen konnte,
daß ihn die Mädchen verküssen mußten.
Diese Kunst ist jetzt noch
bekannt und geübt. Eine perfide Bosheit übten die Valserhexen im „Dogglidrücken" (Alpdruck).
Als zierliche „Doggli", in rotem Häubchen, hüpften sie
durchs Fenster, setzten sich auf die Brust des Schlafenden und drückten ihn, bis des Morgens die Betglocke anschlug. Eine wirkliche Begebenheit dürfte folgender Erzählung zu Grunde
Unter „der Balma" wohnte ein Mann.
liegen.
Als er sah, wie man
auf der andern Seite des Flusses von Leis her eine Frau zum Malefiz
gericht als Hexe ins Lugnetz schleppte, durchwatete er den Fluß und trat für ihre Unschuld ein.
Er
büßte sein
kühnes Unterfangen
als
Hexenmeister. In Vals werden noch
ein paar schwere Schlachtwerkzeuge nach
Art der Hellebarden oder Morgensterne aufbewahrt. nach sind sie nicht alt.
Dem Aussehen
Sie dürsten geschmiedet worden fein, als die
Valser Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Franzosen auszogen, wo
sie sich an dem Gefechte bei Reichenau beteiligten.
Alte Valser erzählen
indessen, diese Mordwerkzeuge seien zur Sonderbundszeit, wo man um
die Erhaltung der Konfession bangte, geschmiedet worden.
Damals soll
der wegen seines polternden Wesens bekannte Baschli Joos die Refor
mierten in Hinterrhein nicht übel dran gekriegt haben.
Die im Rhein
wald trauten in jener aufgeregten Zeit den Balsern ganz schlecht.
Als
nun der Baschli als Bergträger nach Hinterrhein kam, plagte man ihn allerorts mit der Frage, was die Valser zu tun gedenken.
Der Baschli
gab mit einem fürchterlichen Ernst die Auskunft: „D'Valler sind-schi rätig cho, schi gängä in d's Riwald über, schläja dert alls zämma und macha Bluotwürst druß." Die vom Hinterrhein nahmen die Rede ernst und ließen den Bergpaß besetzen, um vor dem Überfall gesichert
zu sein.
Se non e vero, e ben trovato.
Mit Grosjmütterchen „Sage" kreuz und quer durchs Tal. Die Gemeinde Vals mit einer Einwohnerzahl von ca. 750 Seelen besteht aus mehreren Höfen.
Vom Lugnetz her gelangen wir zunächst
nach Camp mit seinem Kirchlein, das an rauschendem Mühlebache unter dem Schatten eines gewaltigen Ahornbaumes sich zu verbergen sucht. Über dem Eingang ins Heiligtum steht der schöne Psalmvers: „Quasi
14
oliva spcciosa in campis et quasi platanus cxaltata sum juxta aquam in plateis,“ Die Kirchevon Camp (Fig. 2) ist 1693 an Stelle einer kleinern
Kapelle, wohl aus Anlaß eines später zu erwähnenden, großen Lawinen
unglücks erbaut worden.
Ihre äußern, sehr hübschen Formen sind auch im
Innern nicht minder niedlich und bergen reiche, schöne Stukkaturarbeiten
im Renaissancestile.
Ein Bild der schmerzhaften Gottesmutter, datiert
Fig 2.
Kirche von Camp.
1690, dürfte noch aus der alten Kapelle stammen.
Ihm hat ein anderes
den Rang streitig gemacht, eine schöne Kopie des Gnadenbildes
von
Pöltsch in Ungarn (Original jetzt im Stephansdom in Wien!, das der
Balser Kleriker I. Berni hieher brachte.
Camp
mit diesem Bilde der Mutter Gottes, das man weinen
sieht, wenn ein großes Unglück droht'), ist ein Wallfahrtsort fürs Lugnetz.
Die
Bewohner von Peiden, Tersnaus, Oberkastels, Cumbels,
1 Vgl. Jegerlehner, Sagen und Märchen a. d. Oberwallis 277 Nr. 41.
15 Camuns machen jährlich ihre Bittprozessionen mit Kreuz und Fahnen nach Maria Camp. Drei größere Ölgemälde, Votivtafeln dieser Ge
meinden, datiert 1690 bis 1717, die an der Orgel der Kirche hängen, zeigen ihre feierlichen Aufzüge.
Eine Menge anderer, farbig gemalter
Votivtafeln hängen an den Wänden.
Sie tragen die Jahrzahlen 1701
bis 1760 und sind insofern recht interessant, als
sie häusliche Szenen
mit großer Naivität und die ehemaligen Volkstrachten getreu, bunt und
drollig wiedergeben. Mit dem Kirchlein von Camp in Beziehung steht die Sage vom
Teufels st ein (Fig. 3), die auch von andern Walsertälern, mit etwas
anderem Inhalt erzählt wird.
Die Valsersage hat zwei Varianten.
Nach
der einen hat die Mutter Gottes selbst das beabsichtigte Teufelswerk mit ihrer Hand verhindert, hat dann nachher an einer Quelle die Hände
gewaschen, die heute noch das Muttergottesbrünneli heißt und ein aus-
16 gezeichnetes Wasser — es soll das beste des Tales sein — liefert, wes
halb die Vorübergehenden davon trinken, auch wenn sie gerade keinen Durst verspüren. *)
Nach der andern Version lautet die Sage, die ich im
Dialekt sprechen lassen will, ungefähr also:
Uf em „Heidboda" us stänt zwee Gütsche, höi as wie a Chilcheturra, und me gset-ne a, dasch emal nu eis Stuck gsi sind.
Schi heißa
die „höja Steine" oder au „d's Tüfelsch Steine", wil sche der Tüfel
sälber härä treit het. D'Valler heind emal vor alta Zitta z'Camp der Muotter Gottes
e Chapelle
bua und d'Lüt d's Land us und e sind mit de Chrüzene
cho, heind bättet und viel Guotsch ta.
me cha schi denka gwüß nit lütschig.
rätig cho,
Dsäb het der Tüfel gärgeret, Er het afa futter« und ischt-schi
er well die Chapelle z'Hudere und z'Fätze
schlah und e
Ziere Bälle druf legga, dersch de nit eso gschwind meh ewäg tröla.
Richtig es Tagsch, es si usgänds Brächet gsi, chunt er d's Loch
iecha kichet mit eme tondersch grüße Stet uf-em Grind.
Zum Gfell
ischt usets „Hansjola" trat es alts, aber nu es tiffigs Babi ume gstibelet. . Wie äs der schwarz Kärli mit schim länge Schwanz gseh het,
is zerst e Bitz erdatteret, de es het trat gmerkt, wer das si chönti. „Jez luog de är a," hets denkt, „gäb wa der Schügg he well mit
schim Gütsch, är wird woll äppäs Dumsch astella wälla." seits eso zier: z'Valsch?
Stibeli.
—
Zum Tüfel
„He, guote Tag, alte Ledige, isch-me au birum emal Jer heil hüt mächtig schwär
glada
für
eso en alte
Ich hätti gmeint, dere Gütsche und no zierer, hättet-er au z'
Valsch gnuog bercho und bruchtet sche nit us de Luchnere ieche z'träga.
Zei, stellet es Flöhli ab und hirmet, wer wella es Dingschi verzella." Der dumm, schwarz Löli lat-schi richtig bschissa, stellt schi Burdi ab
und hockt in d's Gras.
Wil er aber es heißlächtigs Füttli (ich chas
gwüß nit anderscht säga) kä het, se fat die naß Lische und fänt die Chrißäst um-ne um afa brüustela, tschüscha und schmürzela.
Wa es das gmerkt 'het, seit üns Wibli: „Jer sid glaub-i nit
rächt gsund, ter lät neue en heiße Ata Hine uße, schmeka tuet-er au nit
trat guot, eher as nit sticha, as wie en Bläger.
E sättige Hitz chan-i
nit erträga, ich muoß es Dingschi hinder eue Stei z'Schatte,
sus
schrißts-mer nu alls oppschi."
Seit's und düschelet hindert und ischt fri es Wili nüma füre cho. Es het derwil in de heiligste Ramme es Chrüzli (ma chas hüt no gseh) mit schim Fingschi uf de Stei gmacht.
Innere Wil — schi zwei heind duo nu vo allerlei Läuf und *) Vgl. Lenggenhager, Volkssagen aus dem Kt. Baselland (1874),
S. 95.
17 Gang tischkeriert — seit der Tüfel: „Ich muoß denkt gah," und d's
Babi tust druf: „Würdet denkt muessa und läd-ich der Wil."
Wie duo
aber der
Schwarze
schi
Gütsch
birum
uf
d'Hore
gsteckt het, ischt der Stei wäge dem Chrüzli schwärer und schwärer cho
und gäb was das Höllemilzi au gsperzt, grangget, kichet, gschnufet, piflet, gstrontct, gschrißa, gschwitzt und schi zerta het, es het der Gütsch
mnessa la kia und derbi ischber in zwee Stuck zersprnnga.
Fig. 4.
Hof Solodüra (Saldüra).
D's Babi Helschi bi der Hantierig der Buuch muessa hä vor Lache
und der Tüfel hetschi gschämmt, as wie en nüw gschorne Pudel, und
ischt, was gischt was d'häst, mit-cme mächtige Plär d's Loch ns und
der Hell zua.
Dert bi schir Ahne heindsch-ne drüberab au nit brav
trägt und usglachet.
Sit der Gschicht chunt der Tüfel minime meh ge
Valsch und wend-er an iui üppä-ne mal eine z'nä hätti". ') Über Camp, auf sonniger, weitsichtiger Höhe liegt Solodüra,
oder besser gesagt, lag, denn der einstmals ansehnliche Hof ist auf ein Haus und das Kirchlein zusammengeschmolzen (Fig. 4).
Die burgartige
Ruine einer Kapelle zeugt von einstiger Lawinennot, denn eine Lawine soll sie zu Tal gefegt haben.
') Lütolf, Sagen 178 Nr. 114.
Jörger, Bei den Walsern des Valsertales
18 Innerhalb Solodüra (Saldüra) am Tobel ist der Platz, wo einst
die Hexen zum Tanze zusammenkamen.
Sie machten ein großes Feuer
und tanzten drum herum. — „Uf Saldüra dobna ischt a mal a Häx gsi, dia hät äppäs Bsundersch chönne.
d'Luft g'ritta.
Dia ischt
uf em Bäsme dur
Wennsch d's Schmalz in d'Pfanne ta het uf d's Für, se
isch uf em Bäsme dur d'Luft, uf die andera Site über de RKi über
gfahra ga Lauch holla uf cm Jegerberg, de dert gits wilde Lauch. Bevor d's Schmalz heißes gsi ischt, isch mit
dem
Lauch
scho
birum
z'rugg gsi." ') Auf der Straße fürbas wandernd, gelangen wir an der Kreuz kapelle vorbei zum Kurhaus der Therine mit seinem Erlenwalde, den
sog. Badstauden.
Die Sage erzählt, so einer früh morgens, ungeseg
net, vor dem Läuten der Betglocke zum Füttern des Viehes hier vorbei ging, trotte etwas aus den Vadstauden herunter, setzte sich
auf den
Helsen (Deckel) des Milchkübels und der Mann mußte die schwere Bürde tragen bis zur Kreuzkapelle.
Bei den Badstauden entspringt unter dem Fuße des Piz-Aul, in
der Stärke eines bedeutenden Baches, die Valser Heilquelle, deren aus
gezeichnete Kräfte, wie bereits erwähnt, schon die Urbevölkerung gekannt und benutzt hat.
Es ist eine eisenhaltige Gipstherme von ca. 28° C.
Ihre Ablagerung bildet einen ganzen Hügel und wo sie fließt, färbt sie den Boden rot, weshalb der Ort „der rote Härd" genannt wird. Weit herum machen warme Quelläufe ihre Wirkung geltend, denn der an der andern Talseite hinziehende Rhein gefriert im Winter von einer
bestimmten Stelle an talabwärts nicht ein, während er talaufwärts sich mit Eis überwölbt.
Im warmen Bache der Therme wächst und grünt
auch im Winter die Brunnenkresse in üppigen Polstern.
Die darin
wohnenden Frösche geraten aus dem Kalender und betreiben ihr schwung
volles Fortpflanzungsgeschäft, das sonst anderwärts auf den Frühling angesetzt ist, zu einer Zeit, wo meterhoher Schnee die Ufer säumt uud
das Land in Eis und Kälte erstarrt ist. In wenig Minuten sind wir am P l a tz angelangt, der zu beiden
Seiten des Flusses a» die Abhänge hingelehnt, mit dem Hofe Zamaia zusammen ein stattliches Dorf bildet (Fig. 5). Den einstigen Dorfteil, Hof
Glüs, hat das Hochwasser vom Jahr 1868 bis auf ein Haus gefegt.
weg
Dorthin führte vor dem Hochwasser eine Brücke, die in älterer
Zeit Eigentum einer Familie auf dem Platze war.
Sie erhob von den
Passanten einen Brückenzoll.
') Vgl. Jegerlehner, Sagen und Märchen a. d. Oberwallis 101 Nr. 128.
19
Auf dem Platze steht die stattliche Pfarrkirche der Gemeinde, die
noch vor wenig Jahren durch großmütige Schenkung eines Valserbürgers eine namhafte Vergrößerung erfahren hat.
Sie hat Kreuzesform und
stammt aus verschiedenen Bauzeiten und Baustilen.
Die Muttergottes-
Kapelle, welche mutmaßlich vom Bischof von Chur für seine Leheusleute
gebaut wurde, datiert aus dem 14. Jahrhundert; Chor, Hauptschiff und Turm sind 1647 bereits vorhanden und die an schönen Stukkaturen
Fig. 5. Vals-Platz. reiche Antoninskapelle wurde 1668 erbaut aus Spenden der in Italien weilenden Valser.
An Kunstwerken, welche die Augen der Kenner lüstern gemacht, enthält die Kirche zwei gotische Altarftügel aus der Zeit um 1500 mit geschnitzten Reliefbildcrn auf der Vorderseite Bildern auf der Rückseite.
und
gemalten gotischen
Sie sind deutsche Arbeit, vielleicht vom
württembergischen Meister Ivo Striegel, der den viel gerühmten Altar
in Igels geschnitzt hat.
Aus noch früherer Zeit stammen 3 weitere
gotische Figuren des Marienaltars, ebenfalls gute, deutsche Arbeit. manch andern bedeutenden Werken sind
Von
noch besonders erwähnenswert
ein vorzüglich geschnitztes Abendmahl über dem Drehtabernakel und eine
20 prächtige alte Kanzel.
In der Marienkirche stehen, gleichsam in der
Verbannung, auch zwei Holzstatuen der Apostel Petrus und Paulus, Kirchenpatrone von Hinterrhein, die zur Reformationszeit über den Berg
geflüchtet worden sein sollen.
Zu hinterst in der Talebene von Vals, ehe sie sich zur Zervreila-
schlucht schließt, liegt der Hof Vallä (Fig. 6).
Um dorthin zu gelangen,
müssen wir den Pcilbach überschreiten, der aus einer grandiosen Schlucht
Fig. 6. hervorbricht.
Hof Vallo.
Sein Gurgeln, Rauschen und Dröhnen hat zu folgender
Sage Veranlassung gegeben. So einer in alter Zeit nach dem Läuten der Abendglockc auf dem
Wege nach Vallä die Peilerbrücke überschreiten wollte, rannten unter Quicken und Grunzen eine Färlisau mit vielen Jungen aus dem Tobel herunter und versperrten dem Wanderer die Brücke.')
Die unsauberen
Tiere versuchten dem Manne zwischen den Beinen durchzulaufen, was ihnen gar leicht gelang, wenn der Unselige angetrunken war.
Dadurch
wurde er ebenfalls in ein Säulein verwandelt und mußte hinfort im Tobel Wohnung nehmen.
Zur Förderung der Abstinenz im Allgemeinen,
-) Vgl. Idiotikon 7, 1491, 1499, 1508; Schweiz.Archiv f. Vkde. 17,86.
21
wie zur Respektierung der Polizeistunde int besondern wären derartige Polizcischweinchen gewiß noch für manche Wege und Stege zu wünschen und verdienten staatliche Förderung, Schutz und Subvention. Der Hof Valle liegt den ganzen Winter über, von St. Katha Der Vokswitz giebt hiefür als
rinatag an, im Schatten der Selonalp.
Grund an, die Einwohner von Valle seien einmal so arm gewesen, daß sie der hl. Katharina die Wintcrsonne für einen Ziger verkauft hätten.
Fig. 7. Hof Leis. Gegenüber Valle, hoch oben auf einer Felsterrasse, liegt der H o f
Leis am Leisertobel (Fig. 7), das seine milchweißen Wasser in einem schönen
Toppelfall
von
ca. 200 Meter
in
die
Nheinschlucht
hinuntcrstürzt.
Sehenswert sind auch die gewaltigen Wassermühleit dieses Tobels. Weit über'Leis ragt ein Felsturm, das „Hohliecht".
einstens,
erzählt die Sage, ein Hirtenknabe, der
Tort wurde
einzige Sohn einer
hablichen Witwe, von crblüsternen Händen über den Fels in den Tod
gestoßen
In gewissen Nächten sieht man ein Lichtlein brennen, das
die Engel an der Leiche des Gemordeten anzünden.
Auch der Hof Leis mit dem Kirchlein des hl. Jakobus hat sich
stark entvölkert, trotz seiner fruchtbaren,
sonnige« und schönen Lage.
22 Es macht sich, wie allerorts, das Bestreben geltend, ins Dorf, d. h.
an den Platz zu ziehen, wo die Schulen sind und die Kurzweil.
Die
alten Balser wohnten zerstreuter, pflegten das Hofsystem und siedelten sich
dort an, wo sie ihre Matte hatten. Viele Namen und Zunamen beweisen, daß früher an vielen Orten einzelne Hauser gestanden haben müssen. Auch
die höher gelegenen Gegenden, viele Maiensässe, z. B. die „Volchtanne", „der Vat" und die Seitentäler Peil und Zervreila, wo ganz stattliche Häuser stehen, wie im Dorfe, waren früher das ganze Jahr bewohnt.
Fig. 8.
Zervreila und Zervreilahorn.
Landschaftlich der großartigste Teil des Valsertales ist Zervreila mit seinem vergletscherten Hintergründe der Lenta und des Kanals.
Der
Weg dorthin führt entweder links vom Rhein über Leis und die hohen Terrassen von Moos, Pidanätsch und Frunt, oder rechts durch Schlucht
und Wald, stellenweise über Zyklopentreppen von Gneisblöcken, die nicht
der einäugige Polyphem, sondern der Valserbauer zurecht gerückt hat. Das Tal von Zervreila (Fig. 8) bildet eine ansehnliche Ebene
am Fuße des schroff aufragenden Zervreilahorns, das ein Geologe die abenteuerlichste Gestalt der Alpen genannt hat.
Wie die Ruine einer
zerbrochenen Ritterburg steht ihm zur Seite „das Brochenhörnli". Die meisten der wenigen Häuser von Zervreila drängen sich am
23 Zusammenfluß
des Kanalbaches mit dem Rhein um ein ansehnliches
Kirchlein, das die Jahrzahlen 1624 und 1658 aufweist und aus ver schiedenen Baustilen (Gothik und Renaissance) zusammengesetzt ist.
Auf
altem viereckigem Unterbau erhebt sich ein neuerer achteckiger Turinauf
bau, der zwei Glocken beherbergt. niedliches Schnitzwerk.
Wände gemalten,
zwölf Apostel
Kirchenpatron von Zervreila ist.
Stifter.
Der Altar im Innern ist ein sehr-
Am meisten fallen die lebensgroßen, auf, von
denen
Sie tragen
„Schi sind amal artiger gsi.
auf die
der Bartholomäus
die Hauszeichen ihrer
Duo hets aber a gang es
frönds Malerli härägschnitt; das het für Spiis und Trank dra umagfirgget itttb jez sindsch halt, wiesch sind," sagt der Balser von diesen
Apostelbildern.
Reben der Kapelle ist noch ein eingefriedeter Kirchhof, der „HeiligGarten", ein sinniger Name, der früher
war.
für den Friedhof gebräuchlich
Dieser Heilig-Garten diente zum letzten Male 1714 als Be
gräbnisplatz für eine Bettlerin aus Bayern. Der Maiensäß Zervreila hat noch seine Pfarrechte.
im Jahre, 6 im Sommer
und 6 im Winter,
Zwölfmal
muß einer der Balser
Geistlichen in Zervreila an Sonntagen Gottesdienst halten.
Eine be
schwerliche Aufgabe, aber im Mittelalter war die Sache noch besser
eingerichtet.
Damals gehörte die Seelsorge von Zervreila merkwürdiger
weise zu der etwa 6 Stunden entfernten Pfarrei von Igels netz.
im Lug
Eine Urkunde vom Jahr 1527 berichtet, daß der Pfarrer von
Igels für seine Seelsorge in „Safrayla" jedes Jahr quadraginta
crinas butiri (40 Crinen Schmalz ä 1 */-i Pfund) einzunehmen habe.
Erst um 1530 ging die Besorgung dieser opulenten Pfründe samt dem Schmalz an die Pfarrei Bals
über.
Man kann nicht sagen, daß die
Alten in kirchlichen Dingen die Bequemlichkeit übertrieben hätten.
Eine alte Sage erzählte, daß in Zervreila auch einst eine Mühle
gestanden habe.
Niemand wollte ihr glauben, denn wozu eine Mühle
in dieser Wildnis (1780 m ü. M.), wo nirgends eine Ackerspur zu finden ist?
Die Sage wäre wohl längst verklungen, wenn ihr nicht
das Hochwasser des Jahres 1868 als Geschichtsforscher zu Hilfe ge kommen wäre.
Es zerwühlte den Boden, stürzte Häuser und Ställe
und grub einen regelrechten Mühlstein aus, der nun als Zeuge höherer
Kultur vor dem Kirchlein von Zervreila liegt. Zervreila hat noch eine andere Eigentümlichkeit.
Man kann dort
das Vieh nicht den ganzen Winter über füttern, denn nach einiger Zeit fängt es an zu kränkeln, magert ab und kommt von der Milch.
Grund dafür, meinen die Balser, soll im Trinkwasser liegen,
Der
denn,
24 meint
man
in
dem Fluß
tränke,
blieben
die Tiere länger munter.
Gleiches wird von andern Alptälern, wenn ich nicht irre vom Scarltal
im Engadin, berichtet.
Man hat der Ursache nachgeforscht durch che
mische und botanische Untersuchung des Futters, hat aber in. W. nichts
Besonderes gefunden.
Bon hoher Felswand schaut die kleine Kapelle von Frunt wie eine weiße Taube vom Dachfirst herunter und
weckt mit dem Klange
ihres Glöckleins das Echo in den grausigen Schluchten.
Bis zum Jahr
1820 wurde hier am St. Anna-Tag Gottesdienst gehalten, wahrschein lich mit Prozession.
Die Lage von Frunt mit seinem weiten Blick auf
das Alp- und Gletschergebiet und hinunter in die Zervreilaebene gemahnt
mich an diejenige von Mürren im Berner Oberlande, während Zervreila mit seinem Horn schon oft mit Zermatt in Vergleich gesetzt worden ist.
Von Frunt führt durch die Felsen
ein Weg nach Zervreila hin
unter, der den passenden Namen „die Seala" trägt.
Ein rauschender
Wasserfall stäubt über ihn hinweg. Nicht minder zutreffend ist der Name
„des Teufels Platte" für einen gefährlichen Wildheuhang innerhalb Frunt. Unterhalb Frunt in den Felsen, wo menschliche Wohnstätten Nie
mand vermuten sollte, stehen ein
im Vätti".
paar einsame Häuser „im Vat und
Das sind noch unverfälschte, ehrwürdige, von der Kultur
unbeleckte Horste.
Von den kleinen Fensterchen, oder besser Gucklöchern
ziehen weißliche Bänder
über
die
sonnenverbrannte Wand hinunter.
Sie stammen aus einer Zeit, wo man nur mit Naturfarben malte und
rühren vom „Brunzbroggli" her, das minder umständliche und zimper liche Hände, als die unserer Tage, auf dem denkbar kürzesten Wege
ins Freie zu leeren pflegten.
Vom „Vat" geht fast wörtlich die gleiche Sage, wie von dem abgeschiedenen „Uiflengu" im Lötschentale.
Im Vatt wohnte einst ein
biederer Niese, namens „Tschänni".
Er hatte nur einen Sohn, den er bis zum
erwachsenen Alter einen
Weiberrock tragen ließ und von jedem Verkehr mit fernhielt.
dem Weibervolk
Der gute Mann mußte seine diesbezüglichen Erfahrungen
gemacht haben.
Einmal an einem Sonntag nahm er das erwachsene
Kind zum ersten Male nach Vals.
Als nun der Bursche Frauen und
Töchter im Sonntagsstaat daher kommen sah, was denn das für Tierlein seien?
Der Vater,
fragte er verwundert,
der Schlaumeier, gab
die Antwort, das seien ausländische Geißen. „Solche Geißen möchte ich auch haben," erwiderte der begehrliche
Junge. I
') Vgl. I c g e r l e h n e r, Sagen und Märchen a. d. Oberwallis 152 Nr. 16.
25 Vom gleichen Tschänni im Vatt wird auch erzählt, daß er ein
Kriegsheld gewesen sei.
Als einst der Schlachtruf durchs Tal ertönte,
schloß Tschänni seinen Käsekeller und sein Haus.
Auf dem Wege riß
er eine Tanne samt den Wurzeln aus und schwang sie mörderisch über
den Köpfen der feindlichen Neitersmannen in der Schlacht bei St. Carlo am Mondaun.
Der Tag war heiß, Tschänni bückte sich über einen
Brunnen, um zu trinken.
In diesem Augenblicke stieß ihm ein am
Brunne» liegender Verwundeter sein Schwert ins Gedärme.
Tschänni
hielt die tödliche Wunde mit der einen Hand zu und schwang mit der andern seine Tanne noch lange, bis er znsammcnbrach.
Man wird in dieser Sage unschwer Anklänge finden an den wil
den Mann des Bündnerwappens, an Benedikt Fontana, den Held an der Calven, und an den deutschen Siegfried.
Das Bergtal von Zcrvreila verkündet den Ernst, den Schauer und die Großartigkeit der Alpenwelt.
Im Gegensatz hiezu ist das Tal
vou Peil die Lieblichkeit, der Träger grüner Matten, blumiger Wildheuflächeu und saftiger Alptriften.
Sein blaues Auge, der „Sclvasee",
liegt freundlich lächelnd in einem Blumenkränze; die Augensterne des Zervreilatales,
„der
Amperfreilasee
und
der
Curaleschtsee"
blinken
düster; schwarz der eine, falsch-grün der andere und sind von Fels und Eis eingerahmt.
Im Peiltale grüßen zerstreute und zu kleinen Gruppen
vereinigte Häuser, Ställe und Alphütten von hüben und drüben und das Kirchlein des hl. Michael läutet den Morgen- und Abendfrieden ein.
Aber auch in Peil klingt düstere Sage.
Dort steht
angeblich
das älteste aller Häuser des Tales, ein aus gewaltigen Holzquadern gezimmerter Bau mit ganz kleinen Fensterchen. Es heißt das „Abersch h u s " (s. Fig. 9), denn ein Averser soll es gebaut und bewohnt haben.
26
Weil ungläubig, blieb der Mann allen gottesdienstlichen Übungen fern
und starb als ein Heide in seiner Sünden Pfuhle. als Gespenst
Sein
Herumgeisten.
Dafür muß er jetzt
Schreckensgebiet reicht
außer
Hause bis zu einem in der Nähe aufgetürmten Felsblock.
dem
Darüber
hinaus darf er nicht; denn auch für die Gespenster gilt Gesetz
und
Ordnung, an die sie sich zu halten haben.
^en der wiege bis zur Bahre. Wird ein Kind geboren, was in Vals verhältnismäßig sehr oft vor kommt, („der Ofa ist zämma kitt" szusammengefallenj, sagt der Valser,
wenn er die Niederkunft der Frau poetisch umschreiben will), so wird es
noch am gleichen oder folgenden Tage von den Taufpaten in die Kirche zur
Taufe getragen, damit es nicht in der Erbsünde sterbe und der Gesellschaft
der Engel des Himmels verlustig gehe.
Die Weigerung, bei einem armen
Kinde Patenstelle zu übernehmen, wird als schmutzige Handlung verurteilt.
Den Tod eines Kindes künden seine Eltern den Nachbaren mit
54 den Worten: „Ich Han es Engelti", und
es
besteht in diesem uner
schütterlichen Glauben ein Trost, der alle Trauer besiegt.
An die Be
erdigung geht jedermann, der nicht dringend abgehalten ist, „denn zu einem Kinderbegräbnisse und zu einer Primiz (erste Messe eines Neu
priesters) soll man ein paar Schuhe durchlaufen."
Der Taufgötti trägt
den kleinen, weißen Sarg unter dem Arm in die Kirche, versenkt ihn ins Grab und schaufelt es zu.
Mit Vorliebe wird die Kindesleiche in
das Grab eines jüngst verstorbenen nahen Anverwandten beigesetzt.
Die ersten Kinder einer Familie erben in der Regel den Tauf namen der Großeltern.
Hat die Mutter das Wochenbett hinter sich,
so erscheint sie auf Verabredung mit ihrem Kleinen im Kissen vor der
Kirchentüre, wo sie der Pfarrer im Chorhemde empfängt und
segnet.
Dann begibt sie sich in die Kirche und opfert ihr Kind vor dem Hoch
altar dem Herrn, wie einst die Mutter des Heilandes ihren kleinen
Jesus.
Das Neugeborne wird sofort in lange Binden eingefäschet, so daß
es sich nicht mehr rühren kann.
Es fehlt an
dem Pakete nur die
Aufschrift „fragile“, sonst wäre die Sicherung tadellos.
Alle Kinder
werden von der Mutter an der Brust gestillt, oft bis sie herumlaufen
können.
Sie erhalten aber auch schon vom ersten Tage an irgend einen
Brei zum Essen, dessen sie sich anfänglich mit
anererbter Fertigkeit
durch Erbrechen wieder entledigen, so daß er ihnen selten was zu scha
den vermag.
Die Verlobung wird von den Beteiligten so lange als nur irgend möglich geheim gehalten und abgeleugnet.
guten Tone.
Das gehört nun einmal zum
Verlobungsringe und der Ehering beim Manne waren
früher ebenso unbekannt wie das Wort „Verlobung".
„Schi zeit mit-
em; er zeit mid-ere", d. h. sie heiraten sich, sagen die Valser.
Die be
absichtigte Ehe wird in der Kirche dreimal von der Kanzel verkündet, in besondern Fällen jedoch, wenn's etwa eilt, wird das abgekürzte Ver
fahren
der
einmaligen Verkündigung
eingeschlagen.
Als
unglückliche
Vorbedeutung gilt, wenn in die Verkündigungszeit oder gar auf den Hochzeitstag eine „Leiche fällt".
Am Hochzeitstage schmückt der Bräutigam seine Brust mit einem
Blumensträuße (Maien), die Braut trug früher auf dem Kopfe „das
Tschäppeli", eine Art Brautkrone, jetzt schmückt sie ihr Haar mit einem weißen Kranze.
Der Bräutigam holt die Braut im Hause ihrer Eltern
ab und sie gehen ohne Begleitung, recht sinnig Hand in Hand, wie
vertrauensselige Kinder unter Glockengeläute zur Trauung in die Kirche. Hinter Fenstern, Türen, aus Gassenwinkeln knallen
schlecht verborgene
55 Schützen, wobei der Bräutigam aufzupassen hat, wer da schießt, damit
er ihn nachher bei der Einladung zum Abendtrunk nicht vergesse.
Der
Trauung während feierlichem Hochamt folgt ein Hochzeitsessen im Hause
der Braut oder des Bräutigams, wozu die nächsten Anverwandten ein geladen werden.
Eine bevorzugte Stellung nehmen dabei Paten und
Patenkinder ein.
Abends folgt der Trunk für die Schützen.
Früher
mußte der Jungmannschast eine Legel Wein gespendet werden; da aber dieser Brauch zu Streit und Tätlichkeiten Veranlassung gab, wurde er ca. 1820 abgeschafft.
Vor der eidgenössischen Civilstandsordnung, die
alle Heiratswege in langweiliger Weise geebnet hat, mußte jeder, der
eine Auswärtige einheiratete, ein Einkaufsgeld an die Gemeinde zahlen und sich überdies noch mit den Gesellen besonders
abfinden.
Diese
Einfuhrerschwerung zum Schutze des eigenen Absatzes an Mädchenpro
duktion darf als weise und gerechte Maßregel angesehen werden. Ist eine erwachsene Person gefährlich erkrankt, so „chlecht's" d. h. der Meßmer gibt ein kurzes Zeichen mit der Kirchenglocke, weil nun
der Priester mit dem Allerheiligsten zum Kranken geht, um ihn zu ver sehen.
Er ist von einem Ministrantenknaben oder dem Meßmer be
gleitet, die eine brennende Laterne und eine Klingel tragen.
Wer das
„Chlechen" gehört hat und leicht abkommen kann, begleitet den Priester
ans Bett des Kranken.
Der Versehgang hat Trost gebracht: „Nu mags
gah, wies will, är ischt antat versehnde."
Sterbende, besonders unversehens dem Tode Geweihte, „chünden"
sich gern an.
wandeln;
Hellsehende Personen sehen den Todkranken im Freien
geht die Gestalt der Kirche d. h. dem Friedhof zu, so stirbt
der Patient, entfernt sie sich von der Kirche, so kommt der Kranke mit dem Leben davon. *)
Einem Verstorbenen wird eine Stunde lang vom Kirchturme ge läutet, den Erwachseiten mit allen vier Glocken, dem Kinde nur mit
dem kleinen Glöcklein allein.
Beim Manne beginnt die größte Glocke
die Totenklage, bei der Frau die zweitgrößte, „die Mättwe".
in der Fremde verstorbenen Valsern
Auch den
wird „die Stunde geläutet", als
letzter Abschiedsgruß aus der fernen, lieben Heimat.
Eine Todesnach
richt wird mit dem Spruch cntgegengenommen: „Tröst-e Gott und schi arme Seel." Nach dem Ableben wird die Leiche in ein Leintuch eingenäht, auf
die Stubenbank gelegt, ein Kreuzlein drauf und das Weihwasserkesselchen
mit der geweihten Palme daneben.
Tag und Nacht kommen die Dorf-
*) Vgl Walliser Sagen. Herausgegeben von dem historischen Verein von Oberwallis 1 (Brig 1907), 140 Nr. 117.
56 genossen, besprengen die Leiche mit dem geweihten Wasser, knien den
Wänden entlang nieder und beten laut.
liche Bewohner.
Dem Begräbnis folgen sämt
Es beginnt mit der Einsegnung der Leiche durch den Dem Leichenzug werden Totenkreuz
Priester im Hause des Verstorbenen.
und Totenfahne vorangetragen, das Grabkreuz trägt ein Knabe, in der Regel eilt Götti (Patenkind) des Toten, vier Männer folgen mit dem unge strichenen, weißen Sarge und ein weibliches Göttikind mit dem Schmalz auf dem Teller.
förmigen
„Das Schmalz" bestand
früher
in
einem cylinder-
Butterstollen, dem „Stär", dessen Größe der Wohlhabenheit
und Freigebigkeit der
Das Totenschmalz
anheimgestellt war.
Erben
war eine Spende für die Kirchenlampen, das
der Kirche und den Kapellen brennt.
ewige Licht, welches in
Während des feierlichen Toten-
anites wird der Sarg in der Kirche aufgebahrt, das Schmalz wird in einen Kranz brennender Kerzen, mit einem Lichtlein in der Mitte, auf
den Sarg Wachskerze.
gestellt?)
Fast alle weiblichen Leidtragenden brennen ihre
Dem Totenamt
Totengesängen.
folgt
die Beerdigung unter Gebet und
Mit lautem Weinen, „Leidtua oder Brällä" geheißen,
verfolgen die Angehörigen den Hergang.
Die Größe der Trauer wird
einigermaßen nach der Eindringlichkeit der Wehklagen gewertet: „Schi heind mächtig leid ta,"
worauf die Bosheit etwa antwortet:
„Schi
bruchta nit eso z'brälla, schi heind-e gäre gnuog gseh stärbä."
Grabreden werden in Vals nicht gehalten.
dankbares Geschäft, da
jeder
den
andern
offizielle Herauslügen nichts fruchten könnte.
so
Wäre auch ein un
genau kennt, daß
das
In alter Zeit gab's auf
dem Kirchhof ein eigen Plätzchen zur Beerdigung ungetaufter Kinder.
Für Selbstmörder war eine besondere Abteilung nie nötig, weil sich in Vals Niemand selbst umbringt, „de es wä d's Dümmst, wa eine tua
chönti."
Die Dauer des Leidtragens, „der Sturz träga", ist genau nach dem Grade der Verwandtschaft mit dem Toten abgestuft und beträgt
Wochen bis ein Jahr.
Leidtragende Frauen gehen Werktags und Sonn
tags in Schwarz und nehmen in den hintersten Kirchenbänken Platz. Erst
nach
einer
gewissen Zeit
wird
das Schwarz
auf
eine dunkle
Schürze beschränkt. Jeder auch nur einigermaßen Besitzende macht vor seinem Ableben „den Spruch",
d. h. ein Testament zu wohltätigen Zwecken und zur
„Ruhe seiner Seele".
Ist er selbst es zu machen nicht mehr imstande
gewesen, „so tun die Erben den Spruch nach".
Derselbe wird vor
dem Totenamt vom Priester verlesen zugleich mit einer Genealogie der
bereits verstorbenen näheren Anverwandten des Heimgegangenen, „für
*) Vgl. Schweiz. Archiv für Volkskunde 14, 79 ff.
57 welche auch zu beten ist."
Ein Trauergottesdienst am 7., am 30. und
am Jahrestage des Todes ist das mindeste, was zum Seelenheile des
Verstorbenen getan wird. Wohlhabende stiften für sich oder Angehörige „ein Jahrzeit" d. i. ein Totenamt, das sich jährlich wiederholen muß.
Der Pfarrer verkündet jeden Sonntag nach der Predigt sein und seines
Kollegen Messeprogramm für die Woche, das zur Hauptsache aus sol
chen Sprüchen geschöpft ist.
Im „Spruch" werden besonders gern die
Pfarrpfründen, der Armenfonds (die „Spänd") und der Schulfonds be dacht, aber auch des kleinen Kirchleins seines Maiensäßes gedenkt der sterbende Valser in rührender Anhänglichkeit mit bescheidener Gabe. Der Grabhügel wird mit einem Holzkreuze versehen, das bei Ver
heirateten schwarz, bei Ledigen bunt gestrichen ist. Kreuzes
tragen
die
Anfangsbuchstaben
Geburts- und Sterbedatum.
Die Querarme des
vom Namen des
Toten, das
An Stelle des hölzernen Kreuzes treten
oftmals eiserne von recht guter Schmiedearbeit und in jüngerer Zeit auch steinerne Grabdenkmäler, die in diese Gesellschaft und Gegend gar
nicht passen. Beim Verlassen des sonntäglichen Gottesdienstes bleiben die An
gehörigen am Grabhügel im Gebete stehen, denn die Liebe überdauert Tod und Grab.
Früher stand auf dem Friedhof ein großes, kapellen
artiges Beinhaus, in dem die ausgegrabenen Schädel und größeren Knochen aufgeschichtet und selbst mit Namen angezeichnet wurden.
Hochwasser vom Jahr 1868 hat das Beinhaus gebrochen und
Das sein
düsteres Inventar weggeschwemmt. Familiensinn, Familiengeist und Liebe zur Heimat teilt der Valser
mit allen Bewohnern der Berge.
Während die Väter in den Städten
gewohnt sind, für ihre Kinder bis ins Jünglings- und Jungfrauenalter sorgen zu müssen, rechnet der Valser umgekehrt mit der Hilfe seiner
Kinder.
In den Bergen sind die Kinder ein Kapital, in der Stadt
sind sie eine Last.
„Wenn-er amal d'Chinder e Bitz ufpringt, mag
er-schi de scho gwärra," geht die Rede vom armen, kinderreichen Manne
in Vals.
Und es ist so. . Der Gläubiger kann drauf rechnen.
Schuld
betreibung und Konkurs sind deshalb in Vals eine große Seltenheit.
Auch der Vermittler hat Jahre lang keinen Fall zu behandeln und Prozesse gibt's noch weniger, „de es ischt gschider, d's guot Gäld in de
Rhi ab, as de Prokratere nah z'wärfa".
Die Achtung vor der Weis
heit der Gesetze und der Richter, „vor de Gasaggamannlene", stand,
früher wenigstens, beim Valser auf dem Gefrierpunkte, denn „en Pro zeß si en Lotterie; d'Gsetze heind Angle und länt-schi dräja".
darf dem Valser zu dieser Erkenntnis Glück wünschen.
Man
58
Den Net, Gefahr und Unglück. Das tief in die hängenden Berge
eingeschnittene Valsertal mit
seinem übermäßigen Quell- und Wasserreichtum ist ein Katastrophental.
Bergstürze, Rüfen, Lawinen und Hochwasser vereinigten sich je und je zur Neränderuug seiner Physiognomie.
die Talmulden
Erstere
muß
von Vals-Platz
eine
In vorhistorischer Zeit waren
und Zervreila von Seen
angefüllt.
größere Ausdehnung gehabt haben als
bedeutend
gegenwärtig, denn auf der rechten Seite sieht man die fächerförmige Ausbreitung eines oder mehrerer gewaltiger Bergstürze, die aus der
Auch die linke Tal
Gegend des „Horns" einst zu Tal gefahren sind.
seite ist von Sturzblöcken übersät, die von der Leisalp, wo heute »och
weite,
unheimliche Felsspalten
sein
klaffen, heruntergepoltert
müssen.
Die Arbeit der Gletscher und des Wassers war unsäglich, wenn sie, wie
die Geologen lehren, die Rundhöcker der Alpen alle geglättet und die langen Schluchten von Peil, Zervreila rc. ausgesägt und ausgehobelt
haben. Besonders
gefürchtet
ist
die Löwin des Gebirges, die Lawine.
Nur kleine Teile des Haupttales sind
ganz lawinensicher.
Die rechte
Talseite von Peil hat Lawinenzug au Zug, denn was auf die steilen Gräte und Wildheuflächen vom Himmel fällt, muß
die Tiefe stäuben.
auch donnernd in
Die größte dieser Lawinen überbrückt im Winter
das Tal, bildet noch im Sommer einen langen Eistunnel und gelangt
hie und da ein Jahr gar nicht zum völligen Abschmelzen.
Auch in den
Kessel des Zervreilatales fallen von allen Seiten die Schneemassen und brechen selbst nahe beim Dörfchen die Ställe.
Angesichts von Vals-
Platz stürzt nach jedem größeren Schneefall hoch vom Jägerberg eine
Lawine in die Schlucht des Perwigtobels.
Von größeren Unglücken wissen Überlieferung und Geschichte zu erzählen.
Den 30. März 1693 zerstörte eine Lawine ein Haus in Camp,
unmittelbar an der jetzigen Straße südlich der Kapelle.
Drei Erwach
sene und 5 Kinder kamen dabei ums Leben. Im Jahre 1812 löste sich in der Gegend des Piz-Aul eine ganz
außerordentliche Lawine und zerstörte auf ihrer Talfahrt 30 Ställe, ein Haus in Glüs und eines in der Nähe der jetzigen Brücke („Hanstöni-
hus"); 90 Stück Großvieh und 300 Stück Schmalvieh nebst Futter vorräten gingen zu Grunde.
gulden (ä Fr. 1.70) geschätzt.
Der Schaden wurde auf 22,000 Bündner
Die Lawine kam in der Nacht.
Beim
umgestürzten Hause in Glüs krochen die Bewohner im Hemde unter dem Schnee hervor.
59 In einem früheren Jahrhundert, wann ist unbekannt, löste sich
int Leisertobel eine Eislawine und tötete zwei Wäscherinnen.
Dies ge
schah am 14. Februar, dem Tage des hl. Valentin, weshalb dieser Tag, um der Fürbitte des Heiligen willen, bis in die neuere Zeit gefeiert
wurde. In den 60 er Jahren des letzten Jahrhunderts fuhr eines Abends
ganz unversehens vom „Horn" herunter eine Lawine gegen das Dorf mib endete ihren Lauf in den Gärten am Platz.
Diese unheimliche
Gegend unter dem Horn wurde nun in diesen Jahren gegen Lawinen verbaut und aufgeforstet mit einem Kostenaufwand von 50,000 Fr.
Im September 1882 wurde eine heimwandernde Schafherde zur Hälfte von der Lawine weggefegt.
Ein paar Jahre vorher war eine andere
zum größeren Teile von einem Felssturz zerschmettert worden.
Von
Lawinen gebrochene Ställe gibt's fast jeden Winter bei großen Schnee fällen und irgend ein Lawinenabenteuer hat fast jeder ältere Valserbauer einmal erlebt.
Schrecklicher noch als der Schnee sind die Rüfen und Hochwasser. Im Jahre 1834 schwoll der Fluß ungewöhnlich stark an, überflutete sein Bett und riß Häuser und Ställe fort.
Den 3. Juni 1849 löste
sich oberhalb Vals-Platz eine Rüfe und brach ins Dorf hinein, es mit völligem Untergang bedrohend.
Diese Rüfe ist trotz aller kostbilligen
Verbauungen bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig zur Ruhe ge
kommen.
In den letzten Jahren mußten zwei andere, neue, gefährliche
Rüfen verbaut werden.
Es hat des Kampfes und Wehrens kein Ende.
Den Gipfel der Not zeitigte
das Jahr 1868 mit seinem Hoch
wasser vom September, das über eine Woche andauerte und die Täler
von Vals zum großen Teil bis zur Unkenntlichkeit entstellte. sohlen wurden von Wasser und Geschieben überflutet.
Alle Tal
In Zervreila
fielen Häuser und Ställe samt der Viehhabe dem wütenden Elemente
zum Opfer.
In Balls verschwanden in der grausigen Nacht spurlos
ganze Häuser, eines davon samt dem Felsen, auf dem es kühn gestanden
hatte.
Der Hof Glüs mit seinen zwei Mühlen und Sägewerken fiel
für immer als Opfer der Zerstörung.
Auf dem Platz wurden Häuser
niedergerissen, untergraben, gebrochen, die Kirche spaltete von oben bis unten, das Beinhaus verschwand in den Fluten, der Friedhof wurde
zerwühlt und die frischen Särge mit ihrem Inhalt schwammen davon. Grabkreuze wurden bis in den Bodensee geschwemmt.
Ein hölzernes
Haus wurde samt Steindach vom steinernen Unterbau abgehoben und
schwamm
als
Arche
das
Tal
hinunter.
Menschen
wurden in den
Häusern, sogar auf den Dächern, wohin sie sich flüchten mußten, von
60
den Fluten umtost und Tage lang belagert, bis konnten.
ganzen
Vom „Horn"
Platze
sie befreit
werden
her drohte die Rüfe, Stoß um Stoß, dem
mit völliger Vernichtung.
Was in dem mehrtägigen
Kampfe mit dem wütenden Element zur Rettung eingeschlossener Men schen an Mut, Todesverachtung und ruhiger Entschlossenheit von den Balsern geleistet wurde, ist wahres Heldentum.
Vals war völlig von
der Welt abgeschlossen, Niemand konnte zu Hilfe kommen, kein fremdes
Auge sah seine Not.
Nur die
schwimmenden Geräte und Kreuze, die
talwärts aufgefischt wurden, verkündeten der Regierung und dem Volke
die entsetzliche Katastrophe.
Als der Gemeindepräsident, unter Gefahr
des Lebens, endlich nach Chur gelangte und dort aus der Post stieg, hörte er, wie sich die Leute auf der Straße erzählten, Vals sei ganz
untergegangen. Ich könnte viel Einzelheiten erzählen aus diesen Tagen des Jam mers und der Not, nur eine sei erwähnt.
Aus einem Hause hatten
sich die Bewohner rechtzeitig durch die Wasser gerettet. Nur ein älterer Lediger war nicht zu bewegen gewesen, mitzukommen, denn, wendete er
ein: „Dies Haus ist schon lange gestanden und wird weiter stehen." In der Nacht rissen die Fluten den Hintern Teil des Hauses weg.
Da
sah man, wie der Alte in der angerissenen Küche am Herde stand und
sorglos sein Mahl bereitete.
Der Mann hatte eine selten große Dosis
von Gottvertrauen. Der Schaden, den Vals erlitt, war enorm.
Die Verheerungen
sind zum Teil bis auf den heutigen Tag, besonders in den Bergtälern
und Alpen, noch nicht vernarbt. aller Welt.
Ebenso großartig war die Hilfe aus
Sie hat Fluß und Rüfen verbaut mit einem Aufwande
von Hunderttausenden und hat bis zur Stunde nicht ausgesetzt, denn noch seit 1894 wurden an Verbauungen und Aufforstungen 169,000
Franken verausgabt, woran allerdings auch die Gemeinde stark beteiligt
ist.
Wenn man bedenkt, daß die Gemeinde eine große Armenlast zu
tragen hat und über 100,000 Franken an die Erstellung der Zufahrts
straße zu leisten hatte, so begreift man, daß sie nicht auf Rosen gebettet ist und daß unter dem niederschmetternden Eindruck des Hochwassers
von 1868 der Plan einer Gesamtauswanderung nach Amerika ernstlich erwogen wurde.
Nationalrat Dr. ArpagauS, der wackere Philantrop des
Lugnetz, der in verschiedenen Schriften die Valserunglücke beschrieben
hat, endet eine derselben mit den Worten: „Jeder Ort hat seinen be sondern Kummer, aber der Valser Kummer ist so düster, daß vor ihm fast alle Hoffnung eines Besserwerdens weichen muß." aber der düstern Sorge nicht erlegen.
Die Valser sind
Die tausendjährige Wache Kaiser
61 Rotbarts wird ihren Posten behaupten und niemals wanken.
Der Fluß
mag ihre Gebeine und Leichen davon tragen, die Lebenden werden stehen und kämpfen.
Gebräuche und Spiel. Über Gebräuche habe ich schon das meiste in den Gang meiner Erzählung einflechten müssen.
Als besondern Gebrauch will ich uoch
das „Neujahrsagwinne" erwähnen. Wer dem andern am Neujahrstage
zuerst ein „glückhaftes nüws Jahr" anznwünschen imstande ist, hat von
demselben ein Geschenklein zu gute. beschleichen, zu
überrumpeln
und
Nun sucht man sich gegenseitig zu
der Jubel
über
das Gelingen ist
größer als die Aussicht auf das Geschenk. Zu den Volksbelustigungen gehörte früher die F a st n a ch t, oder das „Fastnacht-Narren-Laufen",
verdrängt wird.
das
nunmehr
durch
Theateraufführungen
Früher war eben das Volk sein eigener Dichter, jetzt
drängen sich fremde Dichterlinge überall ein.
Der schmutzige Donners
tag, der Fastnachtmontag und -Dienstag waren der Belustigung einge
räumt, größere Unternehmungen beschränkten sich aber nur auf einen Tag.
Manchmal
gab's
einen Maskenzug, wo die maskierten Paare
auf Schlitten herumfuhren.
Dem Zuge voraus hüpfte der leichtfüßige,
in bunte Gewänder und eine drollige Maske gekleidete „Harleging",
der Herold des Zuges.
An einer biegsamen Rute schwang er spielend
eine aufgeblasene Schweinsharnblase, mit der er rechts und links sanfte
Hiebe austeilte und damit die Bahn frei hielt.
Den Schluß des Zuges
bildeten die beiden komischen „Alten", Mann und Frau.
Für dieselben
waren zwei gräuliche, aus Holz geschnitzte Masken vorhanden, die leider
verschwunden sind.
Die beiden Alten trugen das ehemalige Valserkostüm; er kurze Hosen, Wadenstrümpfe, Ringgenschuhe, eine „Gasagge" (von casaque) und auf
dem Kopf einen Tellerhut mit breitem, auf drei Seiten aufgestülptem Rande. Sie trug auf dem Kopf das „Zughubi", am Körper ein buntes oder
schwarzes Mieder, ein braunes „Lani" (Rock) und Stöcklischuhe (Fig. 19). Die alte Valsertracht ist vor einigen Dezennien nach und nach aus dem
Volke verschwunden.
Die beiden Alten bildeten den Gipfel der Fast
nachtskomik mit ihren drolligen Spässen, von ihrer Erfindungsgabe und
ihrem Humor hing das Gelingen des Aufzuges ab. Die Sicherheit der Fastnachtkarawane gegen die angriffslustige, Schneeballen werfende Jugend verbürgte der „Aeschenpudel". Er steckte in alten, schäbigen Bauernkleidern und sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske aus Papier oder Leder mit weit heraushängeuder, roter Zunge.
61 Rotbarts wird ihren Posten behaupten und niemals wanken.
Der Fluß
mag ihre Gebeine und Leichen davon tragen, die Lebenden werden stehen und kämpfen.
Gebräuche und Spiel. Über Gebräuche habe ich schon das meiste in den Gang meiner Erzählung einflechten müssen.
Als besondern Gebrauch will ich uoch
das „Neujahrsagwinne" erwähnen. Wer dem andern am Neujahrstage
zuerst ein „glückhaftes nüws Jahr" anznwünschen imstande ist, hat von
demselben ein Geschenklein zu gute. beschleichen, zu
überrumpeln
und
Nun sucht man sich gegenseitig zu
der Jubel
über
das Gelingen ist
größer als die Aussicht auf das Geschenk. Zu den Volksbelustigungen gehörte früher die F a st n a ch t, oder das „Fastnacht-Narren-Laufen",
verdrängt wird.
das
nunmehr
durch
Theateraufführungen
Früher war eben das Volk sein eigener Dichter, jetzt
drängen sich fremde Dichterlinge überall ein.
Der schmutzige Donners
tag, der Fastnachtmontag und -Dienstag waren der Belustigung einge
räumt, größere Unternehmungen beschränkten sich aber nur auf einen Tag.
Manchmal
gab's
einen Maskenzug, wo die maskierten Paare
auf Schlitten herumfuhren.
Dem Zuge voraus hüpfte der leichtfüßige,
in bunte Gewänder und eine drollige Maske gekleidete „Harleging",
der Herold des Zuges.
An einer biegsamen Rute schwang er spielend
eine aufgeblasene Schweinsharnblase, mit der er rechts und links sanfte
Hiebe austeilte und damit die Bahn frei hielt.
Den Schluß des Zuges
bildeten die beiden komischen „Alten", Mann und Frau.
Für dieselben
waren zwei gräuliche, aus Holz geschnitzte Masken vorhanden, die leider
verschwunden sind.
Die beiden Alten trugen das ehemalige Valserkostüm; er kurze Hosen, Wadenstrümpfe, Ringgenschuhe, eine „Gasagge" (von casaque) und auf
dem Kopf einen Tellerhut mit breitem, auf drei Seiten aufgestülptem Rande. Sie trug auf dem Kopf das „Zughubi", am Körper ein buntes oder
schwarzes Mieder, ein braunes „Lani" (Rock) und Stöcklischuhe (Fig. 19). Die alte Valsertracht ist vor einigen Dezennien nach und nach aus dem
Volke verschwunden.
Die beiden Alten bildeten den Gipfel der Fast
nachtskomik mit ihren drolligen Spässen, von ihrer Erfindungsgabe und
ihrem Humor hing das Gelingen des Aufzuges ab. Die Sicherheit der Fastnachtkarawane gegen die angriffslustige, Schneeballen werfende Jugend verbürgte der „Aeschenpudel". Er steckte in alten, schäbigen Bauernkleidern und sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske aus Papier oder Leder mit weit heraushängeuder, roter Zunge.
62 Seine Waffe war ein mit Asche gefüllter Sack, den er mehr als reich
lich über die Rücken und Köpfe all derer, welcher er durch List und Gewandtheit habhaft werden konnte, stäuben ließ.
Unter den Tänzen
der Maskierten fehlte nie der „Barbiertanz", darin bestehend, daß einer
im Tanze einen Sitzenden zur Pose rasierte.
Fig. 19. Alte Valsertracht. Das Valserkind ahmt, wie überall, in «Spiel und Ernst den Er wachsenen nach.
Der Knabe mauert mit Steinen seine Häuser, Ställe,
Sennhütten und schnitzt seine Alp- und Milchgeräte und hölzernen Kühe.
Künstliches, gekauftes Spielzeug gab es früher nicht, zum großen Vorteil der jugendlichen Erfindungsgabe.
Als solches mählig Eingang fand,
konnte man die Beobachtung machen, daß dem Kinde das gekaufte Zeug
nur für kurze Zeit gefiel und es bald wieder zum selbstverfertigten Spiel
zeug zurückkehrte, wie armselig es auch sein mochte.
63 Die Jugend hat ihre alteingelebten Spiele, die sich nach Jahres
zeit und Umständen richten.
Ein einmal mit Beschlag belegter Spiel
platz wird gegen alle obrigkeitlichen Anfeindungen mit aufopfernder Zähig
keit festgehalten. „Frässa" und „Pfui" sind zwei Fangspiele. „Dogglena" heißt das„Blinde Kuh-Spiel". „Schelmen und Landjäger" ist ein Knaben
spiel, dessen Bedeutung der Name besagt.
Sodann wird von Groß und
Klein gekegelt und „Botschen" gespielt, letzteres in Ermangelung von
Kugeln auch nur mit Steinplatten.
Das „Botschen" kommt offenbar
von Italien her. Eine Weile der Schulzeit beherrscht das „Atriba" das ganze Inter
esse der Knaben. Der eine der Spieler wirft einen Hosenknopf oder eine Kupfermünze an eine Mauer, der andere oder die andern machen es ebenso. Wer nun vom eigenen Knopf zu dem des andern mit der Hand
zu spannen vermag, hat den Knopf des Mitspielers gewonnen.
Gute
Spieler gewinnen eine Unmenge von Hosenknöpfen, die sie an einer Schnur aufgereiht mit Stolz vorweisen und Börsengeschäfte damit-machen. Die schlechten Spieler laufen bald ohne alle Knöpfe an den Kleidern herum;
vor ihnen sind auch die Knöpfe an der Hose des Vaters ebenso wenig
sicher, wie diejenigen im „Fadazeinli" der Mutter oder der Schwestern. Die Knopfnot steigert sich manchmal zu einem wahren Elend. Auf der Weide und auf der Alp wird „Stäkehirt" gespielt.
Stock wird in den Boden geschlagen und gebunden.
eine
lange Schnur
Ein
dran
An den Stock legt jeder Spieler ein Pfand, das Nastuch,
das Messer, ein Kleidungsstück u. dgl.
Der „Stäkehirt" läuft, die
Schnur in der Hand, um den Stock und die andern suchen ihm die
Pfänder zu stehlen.
Erwischt er den Dieb mit der Hand,
letzterer ein neues Stück hinlegen.
so muß
Gänzliche Plünderung eines frechen
Diebes, bis aufs Hemd, ist oft genug das Endergebnis. An den Türen und Türpfosten der Maiensäß- und Alpgebäude
sieht man Reihen von ausgebrannten, konisch zulaufenden Löchern. sind durch das „Nebelheilen" entstanden.
Sie
Wenn dichter Nebel die
Weiden und das Vieh verhüllt, gehen die Hirtenbuben dran, den lästigen Gast auf derbe Art zu vertreiben. Sie nehmen ein rundes, auf beiden Seiten zugespitztes, recht hartes Holzstück, stecken es quer zwischen die
Türe und den Pfosten und wickeln eine Schnur herum.
Wenn nun an
beiden Enden derselben kräftig hin- und hergezogen wird, so gerät das Holzstück in rasende Bewegung, fängt in Folge der Reibung zu brennen
an und brennt an den Enden je ein Loch in die Tür und den Pfosten.
Wenn der Zauber helfen soll, so muß dazu gerufen werden: „Nebel, Nebel, ich heilet-di."
Das Verfahren, ebenso sinnreich, wie umständ-
64
lich, hat prompt den gewünschten Erfolg. handlung flieht der Nebel auf und
Wegen der erlittenen Miß
davon, sofern er männlichen Ge
schlechtes ist Im Frühjahr werden aus der Rinde der Erle und der Weide („Salastuda") Pfeifen, Achchübli und Spritzen gedreht unter Ableierung
eines Spruches, der mir nicht mehr in Erinnerung ist.
Wie einen doch
das Gedächtnis gerade in den wichtigsten Dingen zu narren pflegt.
Im
Nheinwald heißt die Pfeifenbeschwörungsformel, laut einem zuverlässigen
Fig. 20. Doppelhaus auf dem Platz.
Gewährsmann, also: „Tingel, Tangel, Marti-mangel, pfif wohl, trat wohl, sus bischt e vermalediti Häx."
Im Winter ist das Schlitteln
mit dem Reitbrett und Schlitten Trumpf, wozu die steilen Halden und Heuschleifen Gelegenheit in Hülle und Fülle bieten.
Don Volksmedizin und dergleichen. Vals hat keinen Arzt, der nächste wohnt in Jlanz, also über 20 Kilometer entfernt.
Seit Jahrzehnten nimmt sich der Kaplan von
Vals, Herr Ph. Rüttimann, selbst ein urchig Valserkiud und der letzte
64
lich, hat prompt den gewünschten Erfolg. handlung flieht der Nebel auf und
Wegen der erlittenen Miß
davon, sofern er männlichen Ge
schlechtes ist Im Frühjahr werden aus der Rinde der Erle und der Weide („Salastuda") Pfeifen, Achchübli und Spritzen gedreht unter Ableierung
eines Spruches, der mir nicht mehr in Erinnerung ist.
Wie einen doch
das Gedächtnis gerade in den wichtigsten Dingen zu narren pflegt.
Im
Nheinwald heißt die Pfeifenbeschwörungsformel, laut einem zuverlässigen
Fig. 20. Doppelhaus auf dem Platz.
Gewährsmann, also: „Tingel, Tangel, Marti-mangel, pfif wohl, trat wohl, sus bischt e vermalediti Häx."
Im Winter ist das Schlitteln
mit dem Reitbrett und Schlitten Trumpf, wozu die steilen Halden und Heuschleifen Gelegenheit in Hülle und Fülle bieten.
Don Volksmedizin und dergleichen. Vals hat keinen Arzt, der nächste wohnt in Jlanz, also über 20 Kilometer entfernt.
Seit Jahrzehnten nimmt sich der Kaplan von
Vals, Herr Ph. Rüttimann, selbst ein urchig Valserkiud und der letzte
65 seines Geschlechtes, der Kranken in Uneigennützigkeit und mit Verständ nis an.
Er ist auch in vielen Dingen dieser Schrift mein Gewährs
mann, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin.
An Knochenbrüchen
und Wunden hantiert ein anderer Autodidakt herum und ein Dritter auch
in Vals in
Der Valser hilft sich manchmal aber auch selbst.
Als einmal
versteht das Zähneziehen.
„Die Kunst" ist
also
Spezialitäten aufgeteilt.
der „Gandahannes" im Winter über den Berg kam, blieb er im ©turnt stecken und mußte im Schnee vergraben die ganze Nacht ausharren.
Er badete seine Glieder
Die Folge war ein schwerer Rheumatismus.
im Thermalwasser der Valser Heilquelle, und das tat ihm gut.
Weil
er aber weit entfernt wohnte, überlegte er sich die Sache genauer uitd sprach: „Offenbar hilft da die Wärme und die kann ich näher und
mit weniger Umständen haben."
Darauf heizte er den Backofen der
Stube gehörig ein, schob ein Brett als Sitz in den Ofen, kroch hinein
Diese formidable Wärme
und ließ von der Frau die Türe schließen.
kur hat dem Hannes geholfen, denn noch viele Jahre lief er nachher „in den Büehlen" herum und machte gute Witze.
Bon Hausmitteln, die im Gebrauch sind, nenne ich: Für „Erfrörtes" ist
eine Salbe mit Schweinsgalle gut.
hilft das Auflegen von Sandblättern (Huflattich),
mit geröstetem Rheinsand.
Beim Seitenstich
Gegen Gesichtsrose
oder ein Säcklein
(Lungen- oder Brustfell
entzündung) wird Polenta aufgewärmt, oder es werden Umschläge ge
macht mit flüssigem, heißem Schweineschmalz, auch Nidel und Weiß mehl, kalt aufgelegt, sollen gut sein.
Warmes Fußbad mit Asche und
Salz hebt den Blutandrang im Kopfe.
Die Hühneraugen soll man
im „ufgähnde Mahne" beschneiden, sonst wachsen sie ins Fleisch. meltierfett ist ein
famoses
Mittel
innerlich,
wie
äußerlich.
Mur Gegen
Die Stränza-
Magenübel hilft die Enzianwurzel und der Baldrian.
wurzel (Imperatoria) kaut man, wenn man Zahnweh hat.
Sie wird
aber auch unter den Rauchtabak gemischt wegeit ihres guten Aromas.
Wer in der Not „Heublumen" statt Tabak raucht, ist ein „Fluxraucherli". Diesen Übernamen tragen bei den Balsern die romanischen Lugnetzer. Diarrhöen.
Gedörrte Heidelbeeren Gegen
Verschleimuttg
und
deren
und
Schitaps
Auszehrung
gebraucht man den Salat der Brunnenkresse,
helfen
gegen
(Lungenphthise)
des Spitzwegerich, oder
den Tee vom „Cypria" (isländisch Moos). Der „Cypria" findet sich auf den Alpen in Menge.
Das Mär
chen erzählt, der Cypria sei in alter Zeit grün, saftig und ein wunder
bares Milchkraut gewesen, so daß man die Kühe, die sich von ihm Jörger, Bei den Walsern des Balsertales
5
66 nährten, dreimal im Tage habe melken müssen.
Da habe einmal eine
Sennerin, die des vielen Melkens überdrüßig war, den Cypria ver
wünscht: „Verfluchter Cypria, sollst immer und ewig dürre stah." Seit her ist der Cypria dürr, fürs Vieh ungenießbar und der Milchertrag gering.') Zu Umschlägen auf verletzte Glieder wird die Arnika und
ge
Zum Blutstillen bei Wunden dienen
quetschter Spitzwegerich benutzt.
Spinngewebe („Spinnwupp") und der Staub der „Gragga-Eier" (wört
lich — Rabeneier, d. i. eierförmige Pilze, Bovisten.
„Graggahüetli").
Der Hutpilz heißt
Schmerz und Wunden aller Art heilen der „Harz-
plätz" und die „Lötschenen", weiches Harz der Lerche.
Gegen Verkäl
tungen dient warmer Tee von Camillen und „Käslichrutt" (Malven),
gegen Ohrenschmerz wird Schaf- oder Pudelwolle umgebunden oder ein Kopfdampfbad gemacht.
Bei Verschleimung der Lunge gibt man Tee
vom Löwenzahn („Schwinebluoma").
quetschte Schnecken aufgelegt.
Bei Leberentzündung werden ge
Wunden werden besonders „gnärhaft"
(heilbar) durch Waschen mit Kinderurin oder vom Abschlecken durch Gut für Vieles ist der Jvatee; warmer Kuhmist als
einen Hund.
Auflage zur Durchwärmung ist auch nicht zu verachten und das Schla fen im heißen Heu vertreibt den Rheumatismus. So ist für jedes Übel ein Kraut gewachsen, wenn man's nur zu finden weiß.
Der Adlerfarn heißt in Vals „Geistödti", weil er den Ziegen giftig sein soll. die Milch.
Gehen die Ziegen in die Heidelbeeren, so verlieren sie
„Süßwurz" (Engelwurz) und weiches Pech kauen die Kin
der zum Zeitvertreib.
Die gefleckten Blätter der Orchis maculata
sind des Heilandes blutiges Schweißtuch, ihre gelappten Wurzeln sind seine Hände und Füße.
„Der Almanharnisch" ist eine geheimnisvolle
Wurzel von ganz besonderer Kraft, die aber nur wenige zu finden
missen. Die Kalenderzeichen machten dem alten Valser viel zu schaffen, weil sie für die Arbeiten des Landmannes von großer Bedeutung waren
und
„bsenkt"
beobachtet werden
mußten.
Außer
den
Mondszeichen
und den zwölf himmlischen Zeichen trieben auch noch die Planeten und
die Aspekten (Zusammenkunft und Gegenschein) ihren Spuk in der Welt, nach dem sich der Bauer zu richten hatte, wollte er nicht zu Schaden
kommen.
Säen und pflanzen mußte nian im aufgehenden Monde, sonst
ging die Saat nicht auf.
Widder, Steinbock und Löwe waren gute
Zeichen für das erstmalige Auslassen des Viehes auf die Weide im Frühjahr; die Tiere blieben dann ruhig.
Im Krebs erstmals aus-
>)Jegerlehner, Sagen und Märchen aus dem Oberwallis 187 Nr. 79.
67 gelassenes Vieh kletterte überall hinauf und fiel zu Tode; im Schützen „bisrieten" die Tiere gern.
Wassermann und Fische waren Wasser
Im Zeichen der
zeichen und brachten ihrer Firma entsprechend Regen.
Jungfrau durfte man nicht die Haare schneiden, denn sie zog gern
Käufe, was man von einer Jungfrau am allerwenigsten erwarten sollte.
Im Scorpio konnte man nicht düngen, denn man erzeugte
dadurch
Ebenfalls im Scorpio durfte man nicht
Ameisenhaufen in der Wiese.
mähen, weil das Heu schlecht wurde, so daß es die Tiere nicht fressen
Auch
wollten.
die Kinder richteten nicht
ungern
ihre Talente und
Charaktere nach den Kalenderzeichen, in denen sie geboren wurden. Als Wetterregeln gelten: Wenn der Abend die Sonne von den
Gräten
wegnimmt, so
anderen Tages wüst Wetter.
ist
Wenn
auf
4 Uhr nachmittags bei trübem Himmel die Sonne sich zeigt, so scheint
Um das Wetter für den kommenden Tag
sie für den folgenden Tag
zu ergründen, muß man abends auswärts (nach Norden), am Morgen einwärts schauen.
der
Wenn
Fig. 21.
wirft, so kommt Schnee.
Regen in
den Pfützen große Blasen
Gemeindesiegel von Vals.
Wenn abends die Schwalben hoch um den
Kirchturm fliegen und die Mücken am Dachkännel tanzen, so ist der
morgige Tag schön. rostet,
so
gibt
es
Wenn die Sense beim Mähen und Dängeln an Regen.
Verschiedene „Loostage", z. B. Lichtmeß,
geben die Witterung des Jahres an.
St. Verena (2. September) bringt
einen Schnee oder eine Leiche.
Die Sprache und Schlutz. Der Valserdialekt') ist in Worten und Ausdrücken der des Wallis. Prof. Stebler zählt in seinen Arbeiten über das Wallis eine Anzahl
Worte auf, die dortigen Tälern eigen sein sollen.
Die meisten derselben
finden sich gleichlautend, oder wenig verändert, nicht nur in Vals, son dern auch in andern Walsergemeinden unseres Landes.
Ich habe daher
die Jagd auf spezifische Valserausdrücke als ziemlich aussichtslos bei
Seite gelassen, dafür aber längere Abschnitte im Valserdialekte erzählt und dieselben mit möglichst viel eigenartigen Ausdrücken durchwoben. *) Vgl. darüber jetzt: K. Bohnenberger, Die Mundart der deutschen Walliser. Frauenfeld 1913.
67 gelassenes Vieh kletterte überall hinauf und fiel zu Tode; im Schützen „bisrieten" die Tiere gern.
Wassermann und Fische waren Wasser
Im Zeichen der
zeichen und brachten ihrer Firma entsprechend Regen.
Jungfrau durfte man nicht die Haare schneiden, denn sie zog gern
Käufe, was man von einer Jungfrau am allerwenigsten erwarten sollte.
Im Scorpio konnte man nicht düngen, denn man erzeugte
dadurch
Ebenfalls im Scorpio durfte man nicht
Ameisenhaufen in der Wiese.
mähen, weil das Heu schlecht wurde, so daß es die Tiere nicht fressen
Auch
wollten.
die Kinder richteten nicht
ungern
ihre Talente und
Charaktere nach den Kalenderzeichen, in denen sie geboren wurden. Als Wetterregeln gelten: Wenn der Abend die Sonne von den
Gräten
wegnimmt, so
anderen Tages wüst Wetter.
ist
Wenn
auf
4 Uhr nachmittags bei trübem Himmel die Sonne sich zeigt, so scheint
Um das Wetter für den kommenden Tag
sie für den folgenden Tag
zu ergründen, muß man abends auswärts (nach Norden), am Morgen einwärts schauen.
der
Wenn
Fig. 21.
wirft, so kommt Schnee.
Regen in
den Pfützen große Blasen
Gemeindesiegel von Vals.
Wenn abends die Schwalben hoch um den
Kirchturm fliegen und die Mücken am Dachkännel tanzen, so ist der
morgige Tag schön. rostet,
so
gibt
es
Wenn die Sense beim Mähen und Dängeln an Regen.
Verschiedene „Loostage", z. B. Lichtmeß,
geben die Witterung des Jahres an.
St. Verena (2. September) bringt
einen Schnee oder eine Leiche.
Die Sprache und Schlutz. Der Valserdialekt') ist in Worten und Ausdrücken der des Wallis. Prof. Stebler zählt in seinen Arbeiten über das Wallis eine Anzahl
Worte auf, die dortigen Tälern eigen sein sollen.
Die meisten derselben
finden sich gleichlautend, oder wenig verändert, nicht nur in Vals, son dern auch in andern Walsergemeinden unseres Landes.
Ich habe daher
die Jagd auf spezifische Valserausdrücke als ziemlich aussichtslos bei
Seite gelassen, dafür aber längere Abschnitte im Valserdialekte erzählt und dieselben mit möglichst viel eigenartigen Ausdrücken durchwoben. *) Vgl. darüber jetzt: K. Bohnenberger, Die Mundart der deutschen Walliser. Frauenfeld 1913.
68 Der Walliser betont anders als der Valser, er redet weicher, ge dehnter und liebt die Vokale.
Der Valser spricht hart, er scheut sich
vor den Konsonanten nicht und stolpert so wenig darüber, wie über die vielen Steine auf seinen Wegen. geben, ist indessen leicht.
Den einen für den anderen auszu
Als ich vor einigen Jahren zum ersten Male
ins deutsche Wallis kam und am zweiten Tage den gerade leeren Speise
saal eines Hotels betrat, wurde ich von einer Kellnerin empfangen, die
ich nach ihrem Gesichte als Wallisertochter einschätzte.
Sie redete mich
in französischer Sprache an und ich gab ihr im Walserdialekt Antwort. Offensichtlich
erfreut, bediente sie sich nun sofort auch des Deutschen.
Nach kurzer Rede und Gegenrede rief sie zur Türe hinaus ihrer Kol
legin: „Komm geschwind her, es ist ein Gomser hier."
Ich habe dann
mit den beiden prächtigen Mädchen lange „gegomsert", sie hielten mich für einen engeren Landsmann und wollten wissen, aus welchem Dorfe
des Goms ich her sei. Der Valserdialekt ist recht reich an Ausdrücken.
Viele davon
sind im Verschwinden begriffen und mit der Zeit werden wohl alle
seine Eigentümlichkeiten von der importierten Sprache des Schulmeisters verdrängt werden. arger Feind
aller
Die Schule ist die Mörderin der Dialekte und ein
Volksoriginalität.
Schier
unerschöpflich
sind
int
Valserdialekt z. B. die Ausdrücke zur Bezeichnung von Lauten, Bewe
gungen und Hantierungen.
Der Valser liebt auch, wie der Italiener,
das Anhängen von Silben, womit er groß und klein, gut und verächt lich, niedlich und häßlich rc. bezeichnet.
„En Chue" z. B. bedeutet die
Krone der Rindviehschöpfung, „es Chueli" ist eine alltägliche Matrone, „es Chuetschi" ein Tier der Mittelware, „es Chuetschelti" aber ein gar
niedliches, zum Verküssen liebliches Rindvieh.
Um die Kinder in den
verschiedenen Altersstufen, Eigenschaften und Größen zu bezeichnen, hat
der Valser eine große Zahl von Ausdrücken, die mir sicher einfallen.
Ich führe an:
nicht alle
„en Mürt, es Mürtli, en Goof, es Gööfli,
en Maigge, es Maiggi, en Mützeri, en Söttet, es Lötterli, en Hübel, es Hübelti, en Brögler, es Bröglerli." Einsame Bergbewohner in ihrem gleichartigen, vorsichtigen Wesen werden
von
den
Schriftstellern gerne auf
schmeichelhaften Charakter eingeschätzt.
Balsern nicht zuliebe tun.
einen
einzigen,
möglichst
Ich kann diese Artigkeit meinen
Wohl geben ihnen die eigenartige Sprache,
die Abgeschlossenheit, die einseitige Beschäftigung u. s. w. eine gleiche
äußere Prägung.
Wer aber unter ihnen lebt, wird bald gewahr, daß
unter dem Landtuchgewande hundertfältiges Rüstzeug des Geistes, des Gemütes und des Charakters vorhanden ist, und daß auch in Vals,
—
69
—
wie überall, die Rosen neben Dornen stehen.
Die Valser sind wie ihre
tausend Bäche, welche, keiner dem andern gleich, sich fertig im Rheine zusammentun.
schließlich fried
Der eine ist trübe Gletschermilch, klarer
Bergkristall der andere, dieser spielt als Kind in blumigen Auen, jener drängt wie ein Kobold grollend und polternd durch die Steine. dünkt mich gut und schön.
Das
Das Einerlei würde in diesem von der
Natur geschaffenen Kloster durch seine Langweile töten, die Mannig
faltigkeit aber, hier der knorrige Stumpf und dort der gutmütige Riese, bringt Betätigung, Leben und Bewegung.
Verlag der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde HuguftinergaTTe 8, Basel.
Schweizerisches Archiv für Volkskunde. Vierteljahrsschrift. Bestellungen außer Abonnement direkt bei der Schweizerischen Gesell schaft für Volkskunde, Augustinergasse 8, Basel. Bd. I 1897 Fr. 20. —, so lange vorrätig. Bd. II-XVI (1898-1912). Abonnement für Mitglieder* Fr. 4.-, für Nichtmitglieder Fr. 8. —. Mitglieder können frühere Jahrgänge zu Fr. 7. —, Nichtmitglieder zu Fr. 8. — nachbeziehen. * (Der Jahresbeitrag der Mitglieder beträgt Fr. 3. —.)
Schweizer Volkskunde. Korrespondenzblatt der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde. (Monatsschrift, jährlich 6 Bogen in 8°.) Für Mitglieder gratis, für Nichtmitglieder 3 Fr. jährlich. Beginn der Publikation: Januar 1911.
Schriften der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde. Direkt zu beziehen — per Postanweisung oder Nachnahme — von der Schwei zerischen Gesellschaft für Volkskunde, Augustinergasse8, Basel. Bd. I €. H. Studtelberg, Geschichte der Reliquien in der Schweiz. [L] Zürich 1902. Für Mitglieder Fr. 8. —, für Nichtmitglieder Fr. 10. —. Bd. II Gertrud Züricher, Kinderspiel und Kinderlied im Kanton Bern. Zürich 1902. Für Mitgl. Fr. 2.—, für Nichtmitgl. Fr. 2.50. Bd. III Hlfred Cobler, Das Volkslied im Appenzellerlande. Zürich 1903. Für Mitgl. Fr. 2.50, für Nichtmitglieder Fr. 3.50. Bd. IV H. £. Gasmann, Das Volkslied im Luzerner Wiggertal und Hinterland. Basel 1906. FürMitgl.Fr. 3.50,fürNichtmitgl.Fr.4.50. Bd. V H. Studtelberg, Geschichte der Reliquien in der Schweiz. II. (Schluß). Basel 1908. Für Mitgl. Fr. 10.—, für Nichtmitgl. Fr. 12.—. Bd. VI J. Jegerlebner, Sagen aus dem Unterwallis. Basel 1909. Für Mitglieder Fr. 3.50, für Nichtmitglieder Fr. 4.50. Bd. VII S. Grolimund, Volkslieder aus dem Kanton Solothurn. Basel 1910. Für Mitglieder Fr. 2.40, für Nichtmitglieder Fr. 3.—. Bd. VIII $. Grolimund, Volkslieder aus dem Kanton Aargau. Basel 1911. Für Mitglieder Fr. 5.—, für Nichtmitglieder Fr. 6.20. Bd. IX J. Jegerlebner, Sagen und Märchen aus dem Oberwallis. Mit vergleichendem Anhang und Register zu dieser und des Verfassers Sagen aus dem Unterwallis (1909), unter Mitwirkung von Prof. Dr. S. Singer von Hanns Bächtold. Basel 1913. Für Mitgl. Fr. 6.—, für Nichtmitgl. Fr, 8.—. Bd. X J. Jörger, Bei den Walsern des Balsertales. Basel 1913. Für Mrtgl. Fr. 1.50, für Nichtmitgl. Fr. 2.—. Bd. XI Yanns Bächtold, Die Bräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz. Erne volks kundlich-historische Studie. 1. Teil. (Im Druck.)
e.
MF* Als Sonderabzug sind erschienen: S. H. Studtelberg, San Lucio, der Sennenpatron. 35 Seiten (reich illustriert). Preis Fr. I.—. E. Boffmann-Krayer, Wege und Ziele schweiz. Volkskunde. Preis Fr. 0.50.
Im Verlag von Schultheß & Co., Zürich: S. Boffmann-Krayer, Feste und Bräuche des Schweizervolkes. Kleines Handbuch des schweiz. Volksbrauchs der Gegenwart in gemein faßlicher Darstellung. 1913. Fr. 3.—.