Basel III, Risikomanagement und neue Bankenaufsicht 9783956470394, 9783956470400, 9783956470417, 9783956470424, 3956470397

Das bankaufsichtsrechtliche Regelwerk Basel III (umgesetzt durch CRD IV und CRR) bringt neue, deutlich strengere interna

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Table of contents :
Titel
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick
1 Einleitung
2 Der Weg von Basel I zu Basel III
3 Die drei Säulen von Basel II
3.1 Quantitative Eigenkapitalanforderungen
3.2 Qualitative Aufsicht
3.3 Förderung der Marktdisziplinierung durch Publizitätsvorschriften
4 Modifizierung der Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko als Schwerpunkt der Basel-II-Regelungen
4.1 Segmentierung des Anlagebuchs und Wahl zwischen Standardansatz und internem Ratingansatz
4.2 Ableitung der Eigenkapitalunterlegung für Forderungen gegen Unternehmen und Privatpersonen, Banken und Staaten
5 Finanzmarktkrise als Indikator für Regulierungsdefizite
6 Wesentliche Änderungen durch Basel III und dessen Umsetzung in Deutschland
6.1 Modifikation der risikoorientierten Eigenkapitalregeln
6.2 Einführung einer risikounabhängigen Leverage Ratio
6.3 Neue Anforderungen an die Liquidität
6.4 Weitere Vorschriften
7 Ausblick: Auf dem Weg zu Basel IV
Verwendete und weiterführende Literatur
I Risikosensitive Eigenkapitalanforderungen
Interner Ratingansatz aus Sicht einer Geschäftsbank
1 Einleitung
2 Grundlagen interner Ratingsysteme
2.1 Definition und Arten interner Ratingsysteme
2.2 Ökonomische Anforderungen an interne Ratingsysteme
2.3 Einsatzmöglichkeiten interner Ratingsysteme
3 Aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken
3.1 KSA und IRBA als aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungsalternativen
3.2 Kalkül der Banken bei der Wahl des IRBA
3.3 Aufsichtsrechtliche Anforderungen an und Prüfung interner Ratingsysteme
3.4 Basel III und interne Ratingsysteme
4 Entwicklung und Überwachung interner Ratingverfahren
4.1 Methodische Ansätze der Ratingsystementwicklung
4.2 Ratingsystemarchitektur
4.3 Prozess der Ratingsystementwicklung und Ratingsystemarchitektur
5 Resümee und Ausblick
Keine Planung ohne Stress – Szenarioanalysen als neues Paradigma der Kapitalsteuerung
1 Einführung und Überblick
2 Entwicklung von Umfeld und regulatorischen Anforderungen
2.1 Parallele Steuerung nach unterschiedlichen Kapitalbegriffen
2.2 Steuerung von Abzugsposten und individueller Kapitalanforderung
2.3 Übergreifende Stressanalysen
2.4 Mehrjahresbetrachtungen in Planung und Stresstest
2.5 Kapitalrelevanz von Stresstests
3 Handlungsfelder für die Institute
3.1 Infrastruktur für Stresstests und Kapitalplanung
3.2 Integration von Szenarioanalyse und Planung
4 Fazit
Literatur
Basel III und Förderbanken
1 Einleitung
2 Der Dreiklang der Betroffenheit der Förderbanken von Basel II und Basel III
2.1 Erste Dimension: Zielkunden von Förderbanken
2.1.1 Behandlung von Mittelstandskrediten
2.1.2 Behandlung von Langfristfinanzierungen
2.2 Zweite Dimension: Marktveränderungen und Marktversagen
2.2.1 Leverage Ratio
2.2.2 Verbriefungen
2.3 Dritte Dimension: Regulatorische Behandlung von Förderbanken
2.3.1 Freistellung vom Bankaufsichtsrecht
2.3.2 Nullgewichtung in der Säule 1
2.3.3 Neue Regulierung für Förderbanken
2.3.3.1 Ausgangslage
2.3.3.2 Die neuen Regulierung der KfW
2.3.3.3 Die neue Regulierung der Caisse des Dépôts et Consignations (CDC)
2.3.3.4 Vergleich der neuen Regulierung von KfW und CDC
3 Abschließende Bemerkungen
Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio
1 Einleitung
1.1 Homogene Risikopools als exklusive Besonderheit der IRBA- Forderungsklasse Mengengeschäft
1.2 Aufbau der Studie
2 Identifikation homogener Risikopools mit Hilfe eines parameterfreien Klassifikationsverfahrens
3 Ein Lösungsansatz vor dem Hintergrund der CRR
3.1 Struktur und Umfang der Datenbasis
3.2 Definition „guter“ und „schlechter“ Engagements
3.3 Kennzahlen als Risikotreiber für die Generierung der Poollandschaft
3.4 Berechnung der Verlustparameter
3.5 Berechnung der regulatorischen UL-Eigenkapitalanforderung
4 Ergebnisse der empirischen Auswirkungsstudie
4.1 Statistische und inhaltliche Interpretation der gefundenen Poollandschaft
4.2 Validierung der Trennschärfe
5 Zusammenhang zwischen Trennschärfe und regulatorischer Eigenkapitalanforderung
6 Zusammenfassung
Literatur
Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III in Europa
1 Abstrakt
2 Definitionen
2.1 Rolle, Verbriefung, Tranche, Wiederverbriefung
2.2 Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen
2.3 Wesentlicher und wirksamer Risikotransfer
3 Eigenkapitalunterlegung von Verbriefungen unter Basel III bzw. CRR
3.1 Ansätze und Hierarchien
3.2 Die einzelnen Ansätze und ihre Anwendungsgebiete
3.2.1 Ratingbasierter Ansatz
3.2.2 Aufsichtlicher Formelansatz
3.2.3 Interner Bemessungsansatz
3.2.4 Durchschau
3.3 Verbriefungen im Handelsbuch
4 Risikorückbehalt, Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen
4.1 Risikorückbehalt
4.2 Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen
4.2.1 Sorgfaltsprüfungen der Investoren
4.2.1.1 Prüfungshandlungen
4.2.1.2 Stresstests
4.2.2 Offenlegungs- und Kreditvergabepflichten für Sponsoren/Originatoren
4.2.2.1 Offenlegung
4.2.2.2 Kreditvergabekriterien
4.2.3 Implizite Kreditunterstützung
4.2.4 Offenlegungsanforderungen
5 Neuerungen in Bezug auf LCR, NSFR, Großkredit und Leverage Ratio
5.1 Liquidity Coverage Ratio (LCR)
5.1.1 Liquide Aktiva
5.1.2 Netto-Liquiditätsabflüsse
5.2 Stabile Refinanzierungsquote (NSFR)
5.3 Großkreditregime
5.4 Verschuldungsquote („Leverage Ratio“)
6 Zusammenfassung und Ausblick
Aufsichtliche Anforderungen für Marktrisikopositionen
1 Einleitung
2 Basel 2.5 im Überblick
3 Neuerungen bei den Standardmethoden
3.1 Besonderes Kursrisiko für Aktienpositionen
3.2 Besonderes Kursrisiko für Zinspositionen
3.3 Verbriefungspositionen
3.4 Aufsichtlicher Formelansatz für Handelsbuchbestände
3.5 N-th-to-default-Kreditderivate
3.6 Correlation Trading-Portfolio (CTP)
3.7 Berechnung der Kapitalunterlegung
4 Neuerungen für Institute mit eigenem Risikomodell
4.1 Zusätzliche Anforderungen bei der Ermittlung des Value-at-Risk
4.2 Stressed-Value-at-Risk (Stressed-VaR)
4.3 Incremental Risk Charge (IRC)
4.4 Comprehensive Risk Measure (CRM)
4.5 Berechnung der Gesamtkapitalunterlegung
5 Weitere Anforderungen
5.1 Abgrenzung von Handelsbuch und Anlagebuch
5.2 Empfehlungen zur vorsichtigen Bewertung
5.3 Offenlegung
6 Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
Marktpreisrisiken im Anlagebuch
1 Einleitung
2 Das Anlagebuch in Abgrenzung zum Handelsbuch
3 Allgemeine Anforderungen im Umfeld Marktpreisrisiko Anlagebuch
4 Grundlegende Überarbeitung der Handelsbuchregelungen
5 Der Baseler Zinsschock
6 Die Stresstestwelt jenseits des Baseler Zinsschocks
7 Produkt-/Positionseigenschaften im Anlagebuch
8 Die Aktivitäten der Task Force on Interest Rate Risk in the Banking Book
9 Marktpreisrisiko Anlagebuch in den EBA-Leitlinien für den SREP
10 Fazit
Literatur
Berücksichtigung der Operationellen Risiken
1 Einführung
2 Definition und aufsichtsrechtliche Anforderungen für OpRisk
2.1 Das „continuum of approaches“
2.2 Basisindikatoransatz
2.3 Standardansatz
2.4 Ambitionierte Messansätze (AMA)
2.5 Qualifikationskriterien und OpRisk Sound Practices
2.6 Risikotransfer
2.7 Aufsichtliches Überprüfungsverfahren (Säule 2)
2.8 Marktdisziplin (Säule 3)
2.9 Umsetzung in Deutschland
3 Umsetzung der Anforderungen in der Praxis
3.1 Framework
3.2 Definitions and Structures
3.3 Loss Data
3.4 Risk Assessment
3.5 Key Risk Indicators
3.6 Management Information System
3.7 Economic and Regulatory Capital
3.8 Risk IT
4 Schlussbetrachtung
Literatur
Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick
1 Einführung
2 Begriffsbestimmung
3 Spezifika von Reputationsrisiken in der Finanzwirtschaft
3.1 Zeitlich und/oder räumlich begrenzte Auswirkungen
3.2 Auswirkung auf den Absatzmarkt
3.3 Einschränkungen in der Funktions- und/oder Handlungsfähigkeit eines Instituts
3.4 Branchenweite Auswirkungen in Form einer Vertrauenskrise
4 Regulatorische Grundlagen
5 Das Managementinstrumentarium
5.1 Ziel- und Strategiedefinition
5.2 Umsetzungsstufen des RepRisk-Managements: Drei-Phasen- Konzept
5.3 Identifikation des Reputationsrisikos
5.4 Bewertung des Reputationsrisikos
5.5 Steuerung des Reputationsrisikos
5.5.1 Issue Management
5.5.2 Stakeholderindividuelles Reputationsrisikomanagement nach Handlungsfeldern
5.5.2.1 Handlungsfeld: Gesellschaftliche Anforderungen
5.5.2.2 Handlungsfeld: Finanzielle Performance
5.5.2.3 Handlungsfeld: Qualität interner Prozesse
5.5.2.4 Handlungsfeld: Kundenzufriedenheit
5.6 Controlling des Reputationsrisikos
6 Ausblick
Literatur
Leverage Ratio
1 Hintergrund und Zielsetzung
2 Aufbau der Leverage Ratio
3 Erfüllt die Leverage Ratio die gesteckten Ziele?
4 Kritik an risikobasierten Eigenkapitalvorschriften
4.1 Risikobasierte Eigenkapitalvorschriften bewirken zu niedrige Eigenkapitalquoten
4.2 Risikogewichte sind zu ungenau
4.3 Modellrisiken
4.4 Regulatory Capture by Sophistication
4.5 Prozyklizität
4.6 Die Leverage Ratio als Insolvenzindikator
5 Auswirkung der Leverage Ratio auf die Risikopolitik der Banken
6 Fazit
Literatur
II Neue Kapitaldefinition und Eigenkapitalpuffer
Bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital
1 Einleitung
2 Entwicklung der Eigenkapitaldefinition
3 Geltende Eigenkapitaldefinition
3.1 Struktur des bankaufsichtlichen Eigenkapitals
3.2 Mindesteigenkapitalquoten
3.3 Bestandteile des bankaufsichtlichen Eigenkapitals
3.3.1 Hartes Kernkapital
3.3.2 Zusätzliches Kernkapital
3.3.3 Ergänzungskapital
3.4 Abzugspositionen des bankaufsichtlichen Eigenkapitals
3.5 Offenlegung der Eigenmittelbestandteile
3.6 Übergangsregelungen
4 Bedeutung der Eigenmittel für Institute
5 Bewertung
Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland
1 Einleitung
2 Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland
2.1 Charakteristika kleiner und mittlerer Unternehmen
2.2 Traditionelle Finanzierungsmuster deutscher Mittelstandsunternehmen
3 Baseler Regulierungsreformen und Kreditvergabe
3.1 Basel II
3.2 Basel III
4 Wirkungen für die Mittelstandsfinanzierung
4.1 Kreditangebot
4.2 Kreditvergabeprozess und Rating
4.3 Konsequenzen für den Mittelstand
5 Fazit
Literatur
III Technische Standards in der Bankenregulierung und Rechtsrahmen für den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus in der Eurozone
Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden
1 Hintergrund
2 Harmonisierung der Bankenregulierung in der EU – Single Rule Book
3 Veränderte Normsetzungskompetenzen
4 Aufbau der EBA
5 Aufgaben und Befugnisse der EBA
6 Ausarbeitung technischer Standards
7 Besonderheiten bei Regulierungsstandards (RTS)
8 Leitlinien und Empfehlungen
9 Questions-&-Answer-Prozess der EBA
10 Zusammenfassung und Ausblick
Vorgaben durch die Europäische Zentralbank
1 Einleitung
2 Von der Schuldenkrise zur Bankenunion
3 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus
3.1 SSM-Verordnung
3.1.1 Vorbemerkungen
3.1.2 Zusammenarbeit der EZB
3.1.3 Aufgaben der EZB
3.1.4 Befugnisse der EZB
3.1.5 Organisatorische Grundsätze
3.1.6 Allgemeine und Schlussbestimmungen
3.2 Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank
3.3 Änderung der EBA-Verordnung
3.4 SSM-Rahmenverordnung
3.5 Interne Vorschriften bezüglich der Trennung der bankaufsichtlichen von der geldpolitischen Funktion
3.6 EZB-Beschluss über enge Zusammenarbeit
3.7 SSM-Gebührenverordnung
3.8 EZB-Beschluss bezüglich der Liste bedeutender Institute
4 Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank
4.1 Errichtung der SSM-Steuerungsstrukturen
4.1.1 Aufsichtsgremium
4.1.2 Lenkungsausschuss
4.1.3 Administrativer Überprüfungsausschuss
4.1.4 Schlichtungsstelle
4.2 Einrichtung der Aufsichtsfunktion bei der Europäischen Zentralbank
4.2.1 Organisation
4.2.2 Personalausstattung
4.2.3 Gemeinsamer Aufsichtsteams
4.2.4 Trennung der Funktionsbereiche
4.2.5 Verhaltenskodices
4.3 Aufsichtsmodell der Europäischen Zentralbank
4.3.1 SSM-Aufsichtshandbuch
4.3.2 Öffentlicher Leitfaden zur Aufsichtspraxis
4.3.3 Handbuch für die aufsichtliche Berichterstattung
4.4 Umfassende Bewertung
4.4.1 Ziele und Umfang
4.4.2 Organisation
4.4.3 Aufsichtliche Risikobewertung
4.4.4 Überprüfung der Qualität der Aktiva
4.4.5 Stresstest
4.4.6 Ergebnisse und Maßnahmen
5 Auswirkungen auf die Kreditinstitute
5.1 Auswirkungen auf bedeutende Institute, die direkt beaufsichtigt werden
5.2 Auswirkungen auf diejenigen Institute, die als nicht bedeutend qualifiziert sind
6 Ausblick
Abkürzungen
Literatur
IV Qualitative Überwachung durch die Bankenaufsicht
Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien
1 Einleitung
2 Überblick internationale Vorgaben und ihre regulatorische Umsetzung durch nationale und Europäische Behörden
2.1 Basel
2.1.1 Umsetzung von Basel III durch CRR und CRD IV
2.1.2 Rückblick: Nationale Umsetzung der zweiten Baseler Säule bis zu den MaRisk
2.2 Nationale Regulierung und Aufsicht zusammen mit EBA und EZB
2.3 Die neuen EBA SREP-Leitlinien
3 Ausgewählte Elemente des SREP für kleine Institute
3.1 Doppelte Proportionalität und Kategorisierung gemäß EBA SREP-Leitlinien
3.1.1 Doppelte Proportionalität in der bisherigen Aufsichtspraxis
3.1.2 Kategorisierung und mögliche doppelte Proportionalität in der Zukunft
3.2 Geschäftsmodellanalyse
3.2.1 Begriffsabgrenzungen
3.2.2 Derzeit bestehende Anforderungen
3.2.3 Durchführung einer Geschäftsmodellanalyse gemäß SREP-Leitlinien
3.2.3.1 Vorbereitende Analyse
3.2.3.2 Identifizierung der wichtigsten Bereiche für die BMA
3.2.3.3 Untersuchung des Geschäftsumfelds
3.2.3.4 Qualitative und quantitative Analyse des aktuellen Geschäftsmodells
3.2.3.5 Analyse der zukunftsgerichteten Strategie und der Kapitalplanung
3.2.3.6 Untersuchung der ökonomischen Umsetzbarkeit (viability)
3.2.3.7 Untersuchung der Nachhaltigkeit der Strategie
3.2.3.8 Identifikation der wichtigsten Schwachstellen des Instituts in Bezug auf das Geschäftsmodell und die Strategie
3.2.3.9 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Einstufung
3.3 Kreditrisikomanagement
3.4 Exkurs: Vergütung
4 Ausblick
Literatur
Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde
1 Einleitung
2 Warum werden Banken reguliert, und wie lassen sich Regulierungsalternativen bewerten?
3 MaRisk als Kern der qualitativen Aufsicht
4 Empirische Ergebnisse zur Wahrnehmung der qualitativen Aufsicht
5 Förderung von Marktdisziplin als Ergänzung staatlicher Aufsicht
6 Übertragung des Outpacing-Ansatzes auf Fragen der Bankenaufsicht
7 Ausblick
Verwendete und weiterführende Literatur
Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos
1 Der Weg bis zur Umsetzung der LCR im Jahr 2014
2 Ausgestaltung der LCR
2.1 Liquide Aktiva
2.2 Zahlungsmittelabflüsse
2.3 Zahlungsmittelzuflüsse
3 Auswirkungen der LCR auf die Kreditinstitute
3.1 Auswirkungsstudie der Deutschen Bundesbank
3.2 Anreizwirkungen der LCR im geschäftspolitischen Kontext
3.3 Steuerungsansätze zur Optimierung der LCR
4 Kritische Würdigung der LCR
Literatur
Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR (Net Stable Funding Ratio)
1 Einführung
2 Steuerung der NSFR
2.1 Kalibrierung 2014
2.2 Wie profitabel kann Fristentransformation unter der NSFR noch sein?
2.3 NSFR-Einhaltung in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell
2.4 Strategien zur Steuerung des NSFR
2.5 Optimale Strategien
2.6 NSFR-Vorausschau
2.7 Optimaler, NSFR-kompatibler Fundingplan
3 Weiterführende Aspekte
Literatur
Appendix
V Quantitative Liquiditätsvorschriften für Banken
Basel III, MaRisk und Liquiditätsrisiken in Banken
1 Einführung in die Liquiditätsrisikoanalyse in Banken
1.1 Grundüberlegungen zum Liquiditätsrisiko in Banken
1.2 Entwicklungsstufen bei der Liquiditätsrisikoanalyse in Banken
1.3 Schwachstellen beim Liquiditätsrisikocontrolling in Banken
2 Neue Regulierung des Liquiditätsrisikos in Banken
2.1 Baseler Empfehlungen zum Liquiditätsrisiko in Banken
2.2 KWG und MaRisk zum Liquiditätsrisiko in Banken
3 Controlling des kurzfristigen Liquiditätsrisikos in Banken
3.1 Ermittlung der Nettomittelabflüsse in Banken
3.2 LAR zur Schätzung der Zahlungsstromrisiken in Banken
4 Controlling des strukturellen Liquiditätsrisikos in Banken
4.1 Zusammenspiel von kurzfristigem und strukturellem Liquiditätsrisikocontrolling in Banken
4.2 LAF und LVAR zur Schätzung der Liquiditätsstrukturrisiken in Banken
5 Stresstests für das Liquiditätsrisikocontrolling in Banken
6 Zusammenfassung und Praxistipps
Literatur
VI Offenlegungspflichten der Banken
Basel III: Überarbeitung der Offenlegungsanforderungen
1 Einführung
2 Revision der Säule 3 Offenlegungsanforderungen zu Kapitaladäquanz und Risiken
2.1 Allgemeine Anforderungen an die Offenlegung
2.2 Feste Formatvorgaben und Offenlegungsintervalle
3 Offenlegungsanforderungen an Vergütungssysteme (Juli 2011)
4 Offenlegung der Eigenmittelanforderungen (Juni 2012)
5 Identifizierung global systemrelevanter Banken (Juli 2013)
6 Offenlegung der kurzfristigen Liquiditätsanforderungen (LCR) (Januar 2014)
7 Offenlegung der Verschuldungsquote nach Basel III (Januar 2014)
8 Schlussbemerkung
Literatur
VII Mindestanforderungen an das Risikomanagement
Weiterentwicklung der MaRisk – Die vierte Novelle
1 Einleitung
2 MaRisk im Überblick
2.1 Anwenderkreis der MaRisk
2.2 Ziele der MaRisk: Konsistentes, aufsichtliches Gesamtwerk und angemessene Risikomanagementsysteme
2.3 Zentrale Inhalte
2.3.1 Doppelte Proportionalität
2.3.2 Konsistente Geschäfts- und Risikostrategie
2.3.3 Modularer Aufbau: Allgemeiner und Besonderer Teil
3 Die vierte Novelle der MaRisk
3.1 Zukunftsgerichteter Kapitalplanungsprozess in Ergänzung zum bisherigen Risikotragfähigkeitskonzept
3.2 Nachträgliche Validierung bei Anwendung fortgeschrittener methodischer Konzepte
3.3 Bestimmung von quantitativen und qualitativen Risikotoleranzen und Einführung eines Risikofrüherkennungssystems
3.4 Einführung einer Risikocontrolling-Funktion
3.5 Einführung einer Compliance-Funktion
3.5.1 Erweiterung des Aufgabenspektrums
3.5.2 Unmittelbare Weisungsgebundenheit gegenüber der Geschäftsleitung
3.5.3 Benennung eines Compliance-Beauftragten
3.5.4 Uneingeschränkter Zugang zu Informationen
3.5.5 Regelmäßige Berichterstattung an die Geschäftsleitung durch die Compliance-Funktion
3.6 Einführung eines Liquiditätstransferpreissystems sowie bessere Steuerung der Liquiditätsrisiken
3.7 Weitere Anforderungen
3.7.1 Besondere Anforderungen bei der Vergabe von Fremdwährungsdarlehen
3.7.2 Anforderungen in Bezug auf IT-Systeme
3.7.3 Anpassungsprozesse
4 Internationale Regulierungsvorhaben und die MaRisk
4.1 Zusätzliche Berücksichtigung internationaler Veröffentlichungen neben der MaRisk
4.2 Zukünftige EU-Regulierungsvorhaben und die MaRisk
5 Fazit
Autoren
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Basel III, Risikomanagement und neue Bankenaufsicht
 9783956470394, 9783956470400, 9783956470417, 9783956470424, 3956470397

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Gerhard Hofmann (Hg.)

Basel III, Risikomanagement und neue Bankenaufsicht

1. Auflage 2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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ISBN (print): 978-3-95647-039-4 ISBN (pdf): 978-3-95647-040-0 ISBN (ePub): 978-3-95647-041-7 ISBN (Mobi): 978-3-95647-042-4 1. Auflage 2015 © Frankfurt School Verlag GmbH, Sonnemannstraße 9-11, 60314 Frankfurt am Main

Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Paul

I

IX

1

Risikosensitive Eigenkapitalanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

Interner Ratingansatz aus Sicht einer Geschäftsbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Döhring/Jürgen Hromadka

83

Keine Planung ohne Stress – Szenarioanalysen als neues Paradigma der Kapitalsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Gutheim/Robert Graf/Holger Spielberg Basel III und Förderbanken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Lob/Ingo Schumann Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Kaltofen/Stefan Stein

113

147

177

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III in Europa. . . . . . . . . Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

209

Aufsichtliche Anforderungen für Marktrisikopositionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karsten Stickelmann

239

Marktpreisrisiken im Anlagebuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Pier-Ribbert

279

Berücksichtigung der Operationellen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kaiser

319

V

Inhalt

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Einhaus

345

Leverage Ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Hartmann-Wendels

385

II

Neue Kapitaldefinition und Eigenkapitalpuffer . . . . . . . . . . . . . . . .

411

Bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Groß/Madlen Neumann/Thomas Stawitzke

413

Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph J. Börner/Jörg Rühle

III Technische Standards in der Bankenregulierung und Rechtsrahmen für den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus in der Eurozone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Jäger/Martin Boegl

433

461

463

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Jerzembek

481

IV Qualitative Überwachung durch die Bankenaufsicht. . . . . . . . . . .

535

Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Botterweck/Ludger Hanenberg/Dirk Kramer/Thomas Petersen

537

Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Paul

573

VI

Inhalt

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

611

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR (Net Stable Funding Ratio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

641

V

Quantitative Liquiditätsvorschriften für Banken . . . . . . . . . . . . . .

667

Basel III, MaRisk und Liquiditätsrisiken in Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Ahrens-Freudenberg/Stefan Zeranski

669

VI Offenlegungspflichten der Banken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

707

Basel III: Überarbeitung der Offenlegungsanforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Heinz Hillen

709

VII Mindestanforderungen an das Risikomanagement. . . . . . . . . . . . .

735

Weiterentwicklung der MaRisk – Die vierte Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Budy/Natalia Treskova/Bahar Maghssudnia

737

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

759

VII

Vorwort des Herausgebers Der vorliegende Sammelband „Basel III, Risikomanagement und neue Bankenaufsicht“ gibt den aktuellen Stand wesentlicher für Banken geltender Regelungen aus einer Praxisperspektive wider. Es geht darum, wie Banken und Aufsicht mit den neuen Rahmenbedingungen umgehen, wo entscheidende Weichen in der Umsetzung bestehen. „State of the art“-Risikomanagement bleibt im Zeitalter der Bankenunion mehr denn je eine Kunst, zumal der regulatorische Rahmen deutlich enger gesteckt wurde. Die einzelnen Aufsätze sollen Banken und ihren Beratern eine Hilfe sein für eine effiziente Umsetzung der z.T. sehr komplexen Regeln. Darüber hinaus sollen die Beiträge die wissenschaftliche Diskussion befördern, das Ringen um die optimale Regulierung, das nie zu Ende gehen wird. Die Weiterentwicklung von Regulierung und Aufsicht wurde entscheidend durch die Finanzkrise ab 2007 geprägt. Krisen sind bekanntlich auch Chancen. Krisen im Finanzsektor lösen nicht nur ein Überdenken von Geschäftsmodellen, bankinternen Strukturen und Verfahren, sondern zugleich Quantensprünge in der Regulierung aus. Als Reaktion auf die schwerste Finanzkrise der Neuzeit folgt nach dem Willen der G20-Staats- und Regierungschefs das umfassendste Programm zur Re-Regulierung der Finanzmärkte. Zu den wichtigsten neuen Regeln gehört Basel III; das sind die am 16.12.2010 vom Baseler Ausschuss beschlossenen Empfehlungen, die jedoch weltweit normative Kraft entfalten. Alle wichtigen Finanzplätze der Welt sind aufgefordert, Basel III in einem Zeitraum von 2013 bis 2018 in Stufen ansteigender Anforderungen umzusetzen. Im Mittelpunkt stehen dabei die strengere Definition des Eigenkapitals, insbesondere des sogenannten harten Kernkapitals, eine an den aufsichtsrechtlich gemessenen Risiken von 2% auf 7% erhöhte Quote für das harte Kernkapital, eine von 8% auf 10,5% angehobene Gesamtkapitalquote; des weiteren umfangreichere Abzüge vom Kernkapital, eine nicht risikosensitive Leverage Ratio und erstmals quantitative Liquiditätsvorschriften. Basel III baut hinsichtlich der Quantifizierung von Risiken innerhalb der sogenannten Säule I auf Basel II auf, d.h. stellt die bisherige Risikomessung grundsätzlich nicht in Frage, auch wenn an verschiedenen Stellen klar ist, dass auch hier eine Überarbeitung folgen müsste. So haben die Finanzkrise und die folgende Staatsschuldenkrise z.B. gezeigt, dass das Null-Gewicht für Staatsanleihen nicht nur das ökonomische Risiko in vielen Fällen grob unterschätzt, sondern diese einseitige Begünstigung staatlicher Exposures hat Fehlanreize gesetzt, Klumpenrisiken in den Bankbilanzen befördert und die Ansteckungsrisiken im Finanzsystem erhöht. Die Risikogewichte sollen überarbeitet werden, was Basel IV vorbehalten werden dürfte. Die Vorstellung, das internationale Bankensystem durch mehr Kapital von höherer Qualität und umfangreicherer Liquiditätshaltung widerstandsfähiger zu machen, bleibt der zentrale Gedanke der Regulatoren, und diese Initiative ist auch noch nicht an ihrem Ziel angekommen. Künftige Krisen sollen so weniger wahrscheinlich werden, und die Schäden unvermeidbarer Krisen sollen geringer ausfallen als in der jüngsten Finanz-

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krise. Dies ist sicher nur ein Teil der Wahrheit, denn alle Banken, die in der Finanzkrise in eine Schieflage geraten sind, hatten (rechnerisch) hohe Kapitalquoten. Das Problem lag vielmehr in der Unterschätzung von Risiken. Methodisch stellt sich zudem die Frage, ob Basel III aufgrund der einseitigen Änderung der Größe Eigenkapital nicht auch jenseits der Staatsfinanzierung zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Mit Blick auf die künftige Kapitalunterlegung von Krediten an den Mittelstand und Retail-Kunden wurde dies vermieden, indem eine entsprechende Korrektur zur allgemein höheren Kapitalanforderung eingeführt wurde. Die Finanzkrise hatte ihren Ursprung vor allem durch wenig transparente und falsch bewertete ABS-Papiere, denen Hypothekenforderungen aus dem beschönigend bezeichneten „Sub prime“-Segment zugrunde lagen und die von den Ratingagenturen in aller Regel mit AAA bewertet worden waren. Diesem Umstand hat die Neuregelung unter Basel III Rechnung getragen. Die EU-Kommission hat ihren Vorschlag zur Umsetzung von Basel III in europäisches Recht im Sommer 2011 vorgelegt. Sie hat Basel III in einigen Rahmenregeln durch eine Richtlinie, die sog. Capital Requirements Directive IV (CRD IV), aber mit Blick auf die Kerninhalte durch die Capital Requirements Regulation I (CRR I), d.h. eine Verordnung umgesetzt. Eine EU-Verordnung gilt nach ihrer Verabschiedung in Brüssel ohne weiteren nationalen Umsetzungsakt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Unbestreitbar ergeben sich dadurch Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit und Einheitlichkeit der Implementierung von Aufsichtsregeln in Europa. Und, im Rahmen der Bankenunion – zunächst innerhalb der Eurozone mit der Möglichkeit für andere Länder, beizutreten – gilt ein einheitliches Regelwerk als unverzichtbar. Zu groß waren die nationalen Umsetzungs- und Auslegungsunterschiede innerhalb der EU bzw. des Euro-Währungsgebietes. Kritisch bleibt allerdings anzumerken, dass einige Hundert sog. technischer Standards auf die European Banking Authority (EBA) in London delegiert wurde. Einerseits hat dies den Druck auf Einigungen im europäischen Gesetzgebungsverfahren deutlich vermindert. Andererseits ist die EBA mit der hohen Zahl an technischen Standards nicht nur überfordert, sondern es besteht die Gefahr, dass Aufgaben des Gesetzgebers, also auf europäischer Ebene vor allem des EUParlaments und des Rates, allein auf die EBA und damit auf die EU-Kommission übertragen werden. Die Grenzen zwischen technischen Standards und strategischen Weichenstellungen in der Regulierung sind z.T. fließend. Deshalb ist eine funktionierende parlamentarische Kontrolle der EBA unverzichtbar, dies sowohl ex ante, also bevor neue Standards in Angriff genommen werden, für die z.T. kein ausreichendes Mandat vorliegt, als auch ex post zur Überprüfung, ob der Wille des Gesetzgebers umgesetzt wurde. Finanzmärkte sind dann widerstandsfähig, wenn sie hinsichtlich Größe, Geschäftsschwerpunkt und geografisch diversifiziert sind und geeignete Rahmenbedingungen aufweisen; dann gibt es Vielfalt, und gerade Vielfalt ist zugleich Diversifikation, dies hat sich in der Finanzkrise als großer Vorteil erwiesen. Die neuen europäischen Ansätze dürfen daher nicht dazu tendieren, Vielfalt per Regelung oder über die neue Aufsicht der Europäischen Zentralbank zu vermindern, d.h. Einheitlichkeit als Ziel an sich zu sehen. Die Auswir-

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kungen der nun anstehenden Veränderung werden erst nach einigen Jahren vollständig sichtbar werden. Inhaltlich weicht die EU-Kommission in einigen Detailregelungen von den Baseler Texten ab, ohne jedoch die Regeln in ihrer Substanz und ihrer Belastungswirkung für die europäischen Bankensysteme aufzuweichen. Dies ist sehr sinnvoll, da sonst erhebliche Verwerfungen an den Finanzmärkten gedroht hätten. Die USA setzen Basel III erneut nur für eine sehr kleine Zahl von Banken um. Neben den Eigenkapitalregeln ist die Liquidity Coverage Ratio (LCR) besonders zu erwähnen, welche die kurzfristige Liquidität von Banken auch unter Stressbedingungen sichern soll. Diesem wichtigen Thema ist ein neuer Beitrag gewidmet. Insgesamt stellt Basel III einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Resilienz von Banken dar. Es bleiben aber Unsicherheiten und Schwächen, und generell darf die Fähigkeit von Regulierungen, künftige Krisen weniger wahrscheinlich zu machen, nicht überschätzt werden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der pauschalierende Ansatz, alle Banken mit zusätzlichen Anforderungen zu belegen, sachgerecht ist. Beim Absturz eines Flugzeuges würden nach Auswerten der Black Box vor allem die Teile verstärkt, die sich als Schwachpunkte erwiesen haben. Ein solcher gezielter Problembeseitigungsansatz wäre auch im Bankensystem wünschenswert gewesen, denn die erhöhten Kapital- und Liquiditätsanforderungen mögen für einige Banken zu gering, für andere zu hoch sein. Das Feintuning z. B. entsprechend Risikogehalt, Größe und systemischer Relevanz könnte verbessert werden. Der Baseler Ausschuss erkennt diesen Punkt wohl grundsätzlich an und inzwischen sind Kapitalzuschläge für systemrelevante Banken verabschiedet. Der Größe einer Bank, ihrer Verbundenheit mit anderen Instituten (interconnectedness), der Ersetzbarkeit im Markt, des globalen Marktauftritts und ihrer Komplexität spielen eine Rolle bei der Einschätzung des Risikos. Damit wird zugleich ein Premium-Segment im internationalen Bankensektor geschaffen. Die betreffenden Banken unterliegen härteren Regulierungen und einer strengeren Aufsicht, was unter Proportionalitätsgesichtspunkten zu begrüßen ist. Zugleich dürfen systemrelevante Institute aber keine Sonderstellung einnehmen. Insbesondere darf kein Zweifel daran aufkommen, dass auch große Institute bei Bedarf abgewickelt werden können und nicht vom Steuerzahler erneut gerettet werden müssen. Auch das Schattenbanksystem bleibt weitgehend unreguliert, und angesichts der deutlich verschärften Vorschriften für Banken ist mit Ausweichbewegungen in diesen Raum zu rechnen. Ein hoch regulierter Bankensektor wird neue regulatorische Arbitrage begünstigen, solange Schattenbanken weniger reguliert bleiben. Die systemischen Risiken könnten im „worst case“ sogar zunehmen. Ich wünsche Ihnen, sehr verehrte Leserinnen und Lesern, dass die Vielfalt der Beiträge des vorliegenden Werkes viel Freude bereitet und als nützlich empfunden wird. Wünsche und Anregungen sind stets willkommen. Frankfurt am Main, im Juni 2015

GERHARD HOFMANN

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Vorwort

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick Stephan Paul

1 Einleitung 2 Der Weg von Basel I zu Basel III 3 Die drei Säulen von Basel II 3.1 Quantitative Eigenkapitalanforderungen 3.2 Qualitative Aufsicht 3.3 Förderung der Marktdisziplinierung durch Publizitätsvorschriften 4 Modifizierung der Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko als Schwerpunkt der Basel-II-Regelungen 4.1 Segmentierung des Anlagebuchs und Wahl zwischen Standardansatz und internem Ratingansatz 4.2 Ableitung der Eigenkapitalunterlegung für Forderungen gegen Unternehmen und Privatpersonen, Banken und Staaten 5 Finanzmarktkrise als Indikator für Regulierungsdefizite 6 Wesentliche Änderungen durch Basel III und dessen Umsetzung in Deutschland 6.1 Modifikation der risikoorientierten Eigenkapitalregeln 6.2 Einführung einer risikounabhängigen Leverage Ratio 6.3 Neue Anforderungen an die Liquidität 6.4 Weitere Vorschriften 7 Ausblick: Auf dem Weg zu Basel IV Verwendete und weiterführende Literatur

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1 Einleitung Als nach einer fast achtjährigen Diskussionsphase das Regulierungspaket Basel II zu Beginn des Jahres 2007 in Form der Solvabilitätsverordnung auch in Deutschland in Kraft trat, war von einer „Zäsur in der Bankenaufsicht“ die Rede. Da sowohl die Regeln als auch die Prozesse der Aufsicht so stark wie noch nie zuvor verändert wurden, müsse man – so war damals oft zu hören – den Kreditinstituten eine mehrjährige Regulierungspause zugestehen, um diesen Umbruch „zu verdauen“. Nur ein halbes Jahr später setzte die weltweit schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ein. Hierzulande waren im Sommer 2007 die IKB und die Sachsen LB die ersten Institute, die ohne staatliche Hilfe zusammengebrochen wären. Die Rettungsaktionen für die nationalen Kreditwirtschaften haben in der Folge die Verschuldung zahlreicher Staaten vor allem in Europa in kaum mehr tragbarer Weise erhöht. Daher wurden in der Öffentlichkeit intensiv regulatorische Konsequenzen zur künftigen Verhinderung von Krisen angemahnt. Als Reaktion hierauf legte der Baseler Ausschuss Mitte September 2010 – fast genau zwei Jahre nach dem Kulminationspunkt der Krise, dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15.09.2008 – unter der Überschrift „Basel III“ Vorschläge für Veränderungen in den Eigenkapital- und Liquiditätsregeln vor, die am 16.12.2010 verabschiedet wurden. Die Umsetzung auf europäischer Ebene beanspruchte einen wesentlich längeren Zeitraum als zunächst vermutet, da mittlerweile die Diskussion über das noch umfassendere Projekt der Bankenunion eingesetzt hatte, die grundsätzlich ein grenzüberschreitend einheitliches Regelwerk (Single Rule Book) zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen voraussetzt. Daher wurde der überwiegende Teil der neuen Vorschriften in eine in allen Mitgliedsländern unmittelbar geltende Verordnung aufgenommen, die nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt Ende Juni 2013 in Kraft trat. Andere Regeländerungen wurden zeitgleich in eine Richtlinie gekleidet, die dann auch in Deutschland erst wieder national umzusetzen war. Nach den entsprechenden Änderungen vor allem des Kreditwesengesetzes im August 2013 erlangte das neue Regelwerk für die hiesigen Banken zum 01.01.2014 Gültigkeit. Mit diesem Einführungsbeitrag soll ein komprimierter Überblick über die Entwicklung des Baseler Regelwerks und seine Umsetzung in Deutschland gegeben werden. Dazu wird zunächst kurz der Weg von Basel I zu Basel III nachgezeichnet (2), anschließend der säulenartige Aufbau des Basel-II-Standards vorgestellt, der in Basel III beibehalten wurde (3), und darauf aufbauend der Schwerpunkt der damaligen Neuregelungen – die Modifizierung der Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko – kritisch diskutiert (4; zu einer ausführlicheren Fassung vgl. die Vorauflagen dieses Buches). Im Kapitel 5 werden die mit der Finanzmarktkrise sichtbar gewordenen Regulierungsdefizite benannt, die die Impulse für Veränderungen im Rahmen von Basel III gegeben haben. Letztere wer-

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den im sechsten Kapitel dargestellt und einer ersten vorsichtigen Bewertung unterzogen, zumal zahlreiche Details der Neuregelungen in den kommenden Jahren noch erarbeitet werden müssen. Ein kurzer Ausblick auf ein sich schon abzeichnendes Basel IV (7) schließt den Beitrag ab.

2 Der Weg von Basel I zu Basel III Nach seiner Einführung 1962 blieb das Grundgerüst von (insbesondere) quantitativen Eigenkapitalbelastungsregeln der deutschen Bankenaufsicht, kodifiziert in der zentralen Vorschrift des Grundsatzes I, im Kern 20 Jahre unverändert (zum Überblick Burghof/ Rudolph, 1996, S. 202 ff. und Süchting/Paul, 1998, S. 470 ff.). Erst Anfang der 1980er Jahre wurde zunehmend deutlich, dass es dringend einer Harmonisierung der durch erhebliche Unterschiede gekennzeichneten Aufsichtsnormen zumindest in den bedeutenden Wirtschaftsnationen bedurfte, um Regulierungsarbitragen – Geschäfte wurden dort abgewickelt, wo sie den schwächsten Kontrollvorschriften unterlagen – einzudämmen. Nach einer Gemeinschaftsaktion der Bankaufsichtsbehörden der Vereinigten Staaten und Großbritanniens wurden 1988 die Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht von den Zentralbankgouverneuren bzw. -präsidenten der Länder der Zehnergruppe mit den Leitern der Aufsichtsbehörden dieser Länder (BCBS, Basel Committee on Banking Supervision) verabschiedet (so genannter „Baseler Eigenkapitalakkord“, mittlerweile als „Basel I“ bezeichnet). Diese Empfehlungen zielten auf eine einheitliche Begrenzung der Risiken insbesondere aus dem Aktivgeschäft der Kreditinstitute durch Anbindung an ihre haftenden Eigenkapitalmittel. Sie bildete die Grundlage für die im Rahmen der Harmonisierung des Bankrechtes in Europa 1989 verabschiedeten EG-Solvabilitäts- und EG-Eigenmittelrichtlinien. Bei deren Umsetzung im Rahmen der 4. KWG-Novelle wurden 1993 die haftenden Eigenmittel der Bank neu definiert und über die bisher allein erfassten Ausfallrisiken aus Buchkrediten hinaus nun auch diejenigen aus Wertpapieren beschränkt, um die sich im Zuge der Securitization zeigende Tendenz zur Verbriefung von Finanzierungen zu berücksichtigen. Zur weiteren Angleichung der Aufsichtsnormen wurde 1993 die EU-Kapitaladäquanzrichtlinie (CAR) verabschiedet, um auch die in Trennbankensystemen wie demjenigen Großbritanniens anzutreffenden reinen Wertpapierhäuser in das Regulierungssystem einzubeziehen. Dabei strebte man an, die Systematik der Eigenkapitalbelastungsregeln möglichst sachgerecht auf die Begrenzung der für diese Finanzintermediäre typischen Risiken zu übertragen. Diese resultieren aus Schwankungen von Marktpreisen (etwa Zinsen, Aktien und Währungskursen) der gehandelten Finanzkontrakte. Nach dem Grund-

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

satz „same business, same risk, same regulation“ wurde der Anwendungsbereich der entwickelten Risikobegrenzungsnormen über Investment Banks hinaus auch auf den Wertpapierhandelsbestand von Universalbanken („Trading Book“) ausgedehnt. Nach den EU-Vorgaben war die CAR bis Ende 1995 in nationales Recht zu transformieren – in Deutschland sollte dieses im Rahmen einer 6. KWG-Novelle geschehen. Während der Umsetzungsdiskussion wurde wiederum vom Baseler Bankenausschuss eine „Ergänzung der Eigenkapitalempfehlung zum Einbezug von Marktrisiken“ erarbeitet. Neben der Einigung über so genannte Standardverfahren zur Quantifizierung möglicher Marktpreisschwankungen wurden Anforderungen entwickelt, deren Erfüllung den Kreditinstituten die Verwendung interner Modelle zur selbstständigen Bestimmung der institutsindividuell zu unterhaltenden Eigenkapitalbeträge erlaubte. Dieser Vorschlag sollte einen Weg aus dem „Regulierungsdilemma“ des vorausgegangenen Jahrzehnts weisen: Die hohe Zahl von Produktinnovationen insbesondere im Bereich der derivativen Finanzinstrumente erzwang nach Ansicht der Aufsichtsbehörden eine permanente Modifikation der quantitativen Begrenzungsvorschriften. Infolge des für die Entwicklung maßgeschneiderter Kontrollkonzepte erforderlichen Zeitaufwandes konnte die Bankenaufsicht aber mit der Dynamik der Finanzmärkte nicht mithalten. Dies legte die Vorgabe „qualitativer“ Mindeststandards nahe, bei deren Einhaltung den Banken dann die Gelegenheit gegeben werden sollte, in ihrem Risikomanagement weitgehend autonom zu operieren. Es entfiele somit die Notwendigkeit, bei jeder Finanzinnovation die bankaufsichtlichen Normen anzupassen. Die CAR wurde unter Berücksichtigung der Baseler Empfehlung mit Hilfe der 6. KWGNovelle und eines konzeptionell neu gestalteten Grundsatzes I umgesetzt. Letzterer integrierte die Vorschriften zum „Adressenausfallrisiko“ (= Bonitätsrisiko) sowie dem „Marktrisiko“ und trat 1998 in Kraft. Aufgrund von Bagatellregelungen hatten 2013 nur knapp 10% der 1820 Banken die Marktrisikoregelungen zu beachten; ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) abgenommenes, internes Marktrisikomodell hatten lediglich 11 deutsche Banken im Einsatz. Für 90% der deutschen Banken (die als „Nicht-Handelsbuch-Institute“ eingestuft werden) sind jedoch lediglich die Vorschriften über Adressenausfall- (sowie Währungs-)risiken relevant. Mit dem im Juni 2004 unter dem Titel „International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards – A Revised Framework“ veröffentlichten Rahmenwerk (Baseler Ausschuss, 2004) unternahm der Baseler Ausschuss nach mehreren Konsultationspapieren einen Anlauf zu einer in weiten Teilen völlig umgestalteten Eigenkapitalregulierung („Basel II“). Zwar sind seinen Richtlinien direkt nur international tätige Kreditinstitute unterworfen. Dennoch besaß dieses Gremium in der Vergangenheit stets die Schrittmacherfunktion für die Weiterentwicklung der Regulierung in Bezug auf die ge-

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samte Kreditwirtschaft. Von daher war bereits damit zu rechnen, dass auf der Basis eines endgültigen Akkords die Umsetzung in europäische Richtlinien und nachfolgend auch deutsche Gesetzeswerke erfolgen würde. Parallel zum Baseler Ausschuss führte die EU-Kommission seit November 1999 einen eigenen Konsultationsprozess zur Neufassung der EU-Eigenmittelanforderungen durch. Dieser fokussierte auf die konsolidierte Bankenrichtlinie über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und die Kapitaladäquanzrichtlinie über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten. Im üblichen Sprachgebrauch wurden die zu überarbeitenden Normen zusammengefasst und mit dem Arbeitstitel Capital Adequacy Directive 3, CAD 3, bezeichnet. Nach einem ersten Richtlinienentwurf und zahlreichen Änderungsvorschlägen verabschiedete das Europäische Parlament am 28. September 2005 (der Rat am 14. Juni 2006) die Capital Requirements Directive (CRD), die nach der nationalen Umsetzung für sämtliche Banken und Wertpapierfirmen in der EU verbindlich wurde. In Deutschland erfolgte die Transformation der europäischen Normen durch das Gesetz vom 17.11.2006 zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, das die notwendigen Änderungen des KWG enthielt. Auf seiner Basis wurde die Solvabilitätsverordnung (SolvV, Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen) erlassen und zum 01.01.2007 in Kraft gesetzt. Sie war das Herzstück der Umsetzung von Basel II, da sie vor allem die detaillierten technischen Regelungen der Kreditrisikounterlegung enthielt. Bereits Ende 2005 wurden die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) veröffentlicht, die auf § 25a KWG beruhten, von den Kreditinstituten ein „angemessenes Risikomanagement“ forderten und damit bereits die Vorschriften der qualitativen Aufsicht in der anschließend zu behandelnden Säule 2 vorwegnahmen. In den Folgejahren haben die MaRisk materiell bedeutsame Ergänzungen erfahren, um vor dem Hintergrund der Entwicklungen seit 2007 z.B. Stresstests stärker zu verankern oder Konzentrations- und Liquiditätsrisiken sowie Fragen der Compliance und Corporate Governance in den Fokus der Bankleitungen zu rücken. Die erste Reaktion des Baseler Ausschusses auf die Finanzmarktkrise bestand in einer Art „Erste-Hilfe-Paket“, mit dem die gravierendsten Regulierungsdefizite beseitigt werden sollten. Dabei wurden vor allem die Regelungen zu hybriden Kernkapitalinstrumenten, Großkrediten, der Berücksichtigung von Zweckgesellschaften und die Eigenkapitalanforderungen an (Wieder-)Verbriefungen verändert (siehe Abschnitt 5). Diese wurden auf EU-Ebene Mitte 2009 in eine CRD II gekleidet und führten zu Überarbeitungen von KWG und SolvV auf nationaler Ebene (Deutsche Bundesbank, 2009). Mit der CRD III,

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

die zum Jahresbeginn 2012 in Kraft trat, wurden Ende 2010 durch das Europäische Parlament und den Rat die Handelsbuch- und Verbriefungsregelungen sowie die Regelungen zur Vergütung geändert. Die im Baseler Ausschuss am 16.12.2010 verabschiedeten und 2014 noch einmal leicht modifizierten Neufassungen der Eigenkapital- und Liquiditätsregeln („Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems“) fanden nach intensiven Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission der EU – wie gesagt – Eingang in ein „gigantisches Regelungspaket“ (Höpfner, 2014): zum einen in die nach der Veröffentlichung am 27.06.2013 unmittelbar gültige Verordnung Capital Requirements Regulation (CRR, EU-Verordnung 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen). Sie enthält vor allem die neuen Vorschriften zur Eigenkapitaldefinition und -unterlegung der verschiedenen Risikokomplexe, die erstmals eingeführten Leverage- und Liquiditätskennzahlen sowie zahlreiche modifizierte Einzelvorschriften, so etwa Großkredit- und Offenlegungsbestimmungen. Diese Vorschriften werden näher konkretisiert durch ebenfalls unmittelbar anzuwendende ca. 100 technische Durchführungs- und Regulierungsstandards, an denen die Europäische Bankaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA) derzeit arbeitet: Regulatory Technical Standards (RTS) und Implementing Technical Standards (ITS, zu den ersten Standards siehe Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1423/2013 v. 20.12.2013 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die Offenlegungspflichten der Institute in Bezug auf Eigenmittel gemäß der VO (EU) Nr. 575/2013, EU-Amtsblatt, L 355/60 v. 30.12.2013). Zum anderen spiegelt sich das Basel-III-Paket in der zeitgleich verabschiedeten Richtlinie CRD IV (Capital Requirements Directive, Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen) wider, die neben den Voraussetzungen für die Aufnahme von Geschäftstätigkeiten im Finanzsektor und neu formulierten Grundsätzen der regulatorischen Aufsicht und Unternehmensführung insbesondere die Regelungen über Kapitalpuffer enthält, die die Anforderungen der CRR an das Eigenkapital der Institute erweitern. Damit sollen nationale Besonderheiten – Struktur des Bankensystems, Rechtsund Verwaltungssystems, Konjunkturzyklus – auch unverändert in erster Linie national adressiert werden. Die Transformation in deutsches Recht erfolgte mit dem CRD-IVUmsetzungsgesetz (Gesetz zur Umsetzung der RL 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung an die VO (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen v. 28.08.2013, BGBl I v. 03.09.2013, S. 3395), das auch die im Kreditwesengesetz (und der darauf basierenden Solvabilitätsverordnung) durch die Verordnung entfallenden Teile regelte. Das nationale Gesetz wurde dabei im Kernparagraphen 10 deutlich entschlackt, denn die Teile des Rechtsrahmens, die in Europa einheitlich vorgegeben sind, dürfen hierzulande nicht noch einmal geregelt

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werden. Dies erhöht indes die Komplexität dahingehend, dass die bankaufsichtlichen Vorschriften für hiesige Banken nicht mehr nur in einem Regelwerk, sondern (in hierarchischer Reihenfolge) in CRR, Technischen Standards, dem Kreditwesengesetz sowie darauf fußenden Verordnungen, Mindestanforderungen usw. zu finden sind (zum Überblick Deutsche Bundesbank, 2013a und Thelen-Pischke/Sawahn, 2014). Abbildung 1: Von Basel 1 zu Basel III Basel I Wichtige Inhalte

> Limitierung der Kreditvergabe der Banken durch Kopplung an das Bankeigenkapital > Fokus erstmalige globale Harmonisierung der Berechnung von Risiken und Risikoträgern > Pauschalierte Unterlegungspflicht von Kreditrisiken

Basel II

Basel III

> 3-Säulen-Konzept (Ergänzung durch qualitative Bankenaufsicht)

> Fortführung 3-SäulenKonzept

> Individuellere Risikomessung mittels bankinterner oder externer Ratings

> Einforderung von mehr und härterem Eigenkapital zur Unterlegung von Risiken

> Einforderung einer stärker risikoorientierten Kreditpolitik

> Strengere Liquiditätsvorschriften

> Fokus Risikoträger

> Berücksichtigung von Systemrisiken

Baseler Bankenausschuss

1988

2004

2010/11

Inkrafttreten Deutschland

1993

2007

2014

3 Die drei Säulen von Basel II Das auch unter Basel III verfolgte Grundkonzept von Basel II war, dass ein von drei Säulen getragener Ansatz die Stabilität des internationalen Finanzsystems stärken sollte (vgl. grundsätzlich zum Überblick Deutsche Bundesbank, 2001, 2002 und 2004 sowie Europäische Zentralbank, 2001). Schon seit Jahrzehnten unterlagen Banken quantitativen Eigenkapitalanforderungen (Säule 1) im Hinblick auf Adressenausfall- und seit 1998 auch Marktrisiken. Die zuvor bestehenden Kreditrisikoregelungen wurden mit Basel II stärker differenziert durch Einbeziehung von externen Ratingurteilen bzw. individualisiert durch Rückgriff auf interne Ratings der Kreditinstitute. Zugleich wurden erstmals so genannte operationelle Risiken durch quantitative Vorschriften begrenzt. In Bezug auf diese beiden Risikokategorien wurde – wie zuvor schon bei Marktrisiken – ein evolutionäres Konzept verfolgt: Seither stehen wahlweise sowohl stark standardisierte Erfas-

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

sungskonzepte mit weitgehenden regulatorischen Vorgaben als auch feinere bankeigene Modelle zur Wahl. Letztere erfordern zwar einen höheren Entwicklungsaufwand, werden aufgrund ihrer größeren Präzision aber von der Aufsicht präferiert und den Instituten auf mittlere Sicht zur Anwendung empfohlen. Ende 2013 verfügten 11 Kreditinstitute über ein internes Modell im Marktrisikobereich, 15 mit Bezug auf operationelle Risiken, und 49 Banken kalkulierten die Eigenmittelanforderungen für Kreditrisiken nach einem auf dem internen Rating basierenden Ansatz. Abbildung 2: Das „Drei-Säulen-Konzept“ von Basel II

In den Vereinigten Staaten werden traditionell die Ressourcen und betrieblichen Abläufe einer jeden Bank in regelmäßigen Abständen einer Überprüfung unterzogen. Diese ist dann die Grundlage für eventuelle Aufschläge auf die sich aus den quantitativen Normen ergebenden Eigenkapitalanforderungen. Dieses in den deutschen Aufsichtsvorschriften zuvor nicht verankerte Vorgehen wurde von Basel zum Inhalt der 2. Säule gemacht. Ein „Supervisory Review Process“ (SRP) untersucht das individuelle Risikoprofil einer jeden Bank und prüft dafür in gewissen Rhythmen vor Ort die wesentlichen Potenziale und Prozesse der Kreditinstitute. Mit der 3. Säule strebte der Baseler Ausschuss die Erhöhung der Transparenz über die Risikoposition von Banken an, damit die Finanzmarktteilnehmer die Kreditinstitute über ihre Renditeforderungen disziplinieren können.

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Wichtig ist der Zusammenhang der drei Säulen, die nicht isoliert nebeneinander stehen sollen: Bestimmte, vor allem bankindividuelle Verfahren zur Ermittlung der notwendigen Eigenkapitalunterlegung (Säule 1) darf ein Kreditinstitut nur dann anwenden, wenn diese von der Aufsicht eingehend geprüft wurden (Säule 2) und/oder die Bank die Finanzmärkte über die Ausgestaltung der Systeme im Rahmen ihrer Publizität informiert hat (Säule 3).

3.1 Quantitative Eigenkapitalanforderungen Die Struktur der Mindestkapitalanforderungen nach Basel II (Säule 1) verwendet weiterhin die grundlegenden Elemente der Eigenkapitalanforderung von 1998: Konfrontiert werden die nach einem bestimmten Schlüssel ermittelten Risiken einer Bank mit ihrem Risikoträger in Form des Eigenkapitals in regulatorischer Abgrenzung. Während die als Risikoträger anrechenbaren Mittel weitgehend unverändert blieben, lag der Schwerpunkt von Basel II auf den oben bereits angesprochenen neuen Verfahren der Risikomessung. Übernommen wurde dagegen die zuvor bereits vorgeschriebene Mindesteigenkapitalquote in Höhe von 8% der Risikopositionen (und insofern nicht gleichzusetzen mit der bilanziellen Eigenkapitalquote). Ihre Erfüllung wird anhand des Solvabilitätskoeffizienten überprüft. Danach dürfen die zur Unterlegung der jeweiligen Risikopositionen notwendigen Eigenmittel („Anrechnungsbeträge“) die Summe der vorhandenen Eigenmittel nicht überschreiten: Gesamt-ABAdress + ABOR + ABMR ≤ Eigenmittel AB = Anrechnungsbeträge Adress = Adressenausfall- = Kreditrisiken OR = Operationelle Risiken MR = Marktrisiken Eigenmittel ≥ Gesamt-ABAdress + ABOR + ABMR Eigenmittel ≥ 0,08 (12,5 · Gesamt-ABAdress + 12,5 · ABOR + 12,5 · ABMR) Eigenmittel ------------------------------------------------------------------------------------------- ≥ 0,08 12,5 ⋅ ( Gesamt-AB Adress + AB OR + AB MR ) Eigenmittel ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- ≥ 0,08 Gewichtete Risikoaktiva Adress + 12,5 ⋅ ( AB OR + AB MR )

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Abbildung 3: Das aufsichtsrechtliche Eigenkapital: „Eigenmittel“ Eigenmittel (§ 10 KWG) Haftendes Eigenkapital

Kernkapital (Tier 1)

• eingezahltes Kapital • ausgewiesene Rücklagen • Einbehaltener Bilanzgewinn (ggf. nachgewiesener Zwischengewinn) • Fonds für allgemeine Bankrisiken (§ 340g HGB) • Einlagen stiller Gesellschafter

Abzüglich: −Bilanzverlust (ggf. Zwischenverluste) −Korrekturposten für nicht bilanzwirksam gewordene Kapitalveränderungen (§ 10 Abs. 3 KWG) −Immaterielle Vermögenswerte −Bestimmte Kredite an (auch stille) Gesellschafter −Eigene Aktien oder Geschäftsanteile

Ergänzungskapital (Tier 2) Klasse 1 (Anerkennung

bis zu 100 Prozent des Kernkapitals)

Klasse 2 (Anerkennung bis zu 50 Prozent des Kernkapitals)

Drittrangmittel (Tier 3)

• Vorsorgereserven nach § 340f HGB • Genussrechtskapital • Neubewertungsreserven

• Vorzugsaktien • Rücklagen nach § 6b EStG Abzüglich: −Korrekturposten gemäß § 10 Abs. 3 KWG

• längerfristige nachrangige Verbindlichkeiten • Haftsummenzuschlag für Kreditgenossenschaften

• Nettogewinn des Handelsbuches • kurzfristige nachrangige Verbindlichkeiten

• „gekapptes“ Ergänzungskapital

Der Risikoträger Eigenmittel (Abbildung 3) gliederte sich in das haftende Eigenkapital und die bei Handelsbuchinstituten zur Unterlegung von Marktrisiken anrechenbaren Drittrangmittel. Das haftende Eigenkapital musste mindestens zur Hälfte, also 4%, aus Kernkapital (Tier 1) bestehen. Hierbei handelt es sich um Bilanzpositionen, die auch im strengen betriebswirtschaftlichen Sinne die Funktionen des Eigenkapitals erfüllen: Sie nehmen an laufenden und Liquidationsverlusten teil, sind allen anderen Ansprüchen nachgeordnet, sind eingezahlt, stehen dauerhaft zur Verfügung. Hierbei sind bei den zum Ergänzungskapital (Tier 2) und noch stärker den zum Drittrangkapital (Tier 3) gezählten Formen Abstriche zu machen: So hängt etwa der im Krisenfall tatsächlich zur Verfügung stehende Wert der (stillen) Vorsorgereserven nach § 340f HGB sowie der Neubewertungsreserven auf Wertpapiere und Immobilien von der Marktpreisentwicklung der jeweiligen Vermögenspositionen ab. Die Laufzeit von Genussrechtskapital und nachrangigen Verbindlichkeiten ist in der Regel begrenzt. Beim Haftsummenzuschlag stellt sich die Frage, inwiefern die Eigentümer ihrer in der Satzung einer Genossenschaftsbank verankerten Nachschusspflicht tatsächlich nachkommen können. Die Behandlung der Risikoseite konzentriert sich im Abschnitt 4 auf Kreditrisiken. Im Folgenden werden daher noch die zentralen Bestimmungen mit Blick auf Markt- und operationelle Risiken angesprochen. Unter dem Begriff der Marktpreisrisiken werden vor allem Fremdwährungs-, Aktienkurs- und Zinsänderungsrisiken verstanden. Setzt ein Institut kein eigenes Modell ein, sind die Eigenkapitalanforderungen (unabhängig von einer Reihe von Besonderheiten bei den jeweiligen Risikokomplexen) sehr holzschnittartig in drei Stufen abzuleiten:

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1. Ermittlung der „Nettoposition“ 2. Berechnung der „besonderen“ Kursrisiken 3. Berechnung der „allgemeinen“ Kursrisiken Die regulatorische Behandlung des Zinsänderungsrisikos etwa sieht auf der ersten Stufe die Saldierung gegenläufiger Positionen in „gleichen“ Wertpapieren unter Berücksichtigung auf die Zinskomponente bezogener Derivate zur Nettoposition vor. Besondere Kursrisiken sollen die Gefahr eines Kursverlustes aufgrund einer verschlechterten Emittentenbonität abbilden. Auf der zweiten Stufe werden die Wertpapiere hierfür nach Laufzeit geordnet und mit einem bonitätsabhängigen Gewichtungsfaktor versehen, der bis 2014 mit dem Unterlegungssatz von 8% zu multiplizieren war. Je besser die Bonität und je kürzer die Laufzeit, desto geringer ist auch das zu unterhaltende Eigenkapital. Zur Berechnung des allgemeinen Kursrisikos kann auf der dritten Stufe zwischen zwei Verfahren gewählt werden. Bei der Jahresbandmethode werden die Zinsnettopositionen entsprechend ihrer Nominalverzinsung und ihrer Restlaufzeit einem von 15 Laufzeitbändern zugeordnet. Dort wiederum gelten mit zunehmender Restlaufzeit ansteigende Gewichtungsfaktoren, die mit dem Eigenkapitalunterlegungssatz zu multiplizieren sind. Auch bei der Durationsmethode erfolgt eine Einordnung in Laufzeitbänder, für die bestimmte Zinsänderungen unterstellt werden. Nach Multiplikation mit der modifizierten Duration des jeweiligen Titels resultiert eine auf das Volumen der Nettoposition zu beziehende Prozentzahl. – Mit Blick auf das Zinsänderungsrisiko sei auf die Besonderheit hingewiesen, dass dieses nur für das Handelsbuch zu quantifizieren ist; das Zinsänderungsrisiko aus dem Anlagebuch wird lediglich in Säule 2 behandelt (s.u.). Operationelle Risiken erwachsen aus den Potenzialfaktoren des Leistungserstellungsprozesses einer Bank (Einhaus, 2006). Sie werden vom Baseler Ausschuss definiert als „Gefahr von Verlusten, die infolge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen oder Systemen oder von externen Ereignissen eintreten.“ Typische Risiken dieser Art werden etwa durch IT-Probleme (z.B. Fehlbuchungen) oder Unterschlagungen, Fehlinformationen o.ä. verursacht. Diese Begriffsfassung schließt die im Nachgang der Finanzkrise sehr deutlich gewordenen Rechtsrisiken ein, beinhaltet aber nicht strategische Risiken oder Reputationsrisiken. Da das Management dieser Risikokategorie bei der Verankerung von Basel II noch eher unterentwickelt war, lässt der Ausschuss eine Bandbreite mehrerer Ansätze zur Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung zu; im Kern verdichten sich diese auf zwei Klassen: Im Basisindikatoransatz wird der Eigenkapitalbetrag anhand einer einzigen Größe – dem Dreijahresdurchschnitt des Bruttoertrages – ermittelt und mit einem festen Satz von 15% („Alpha-Faktor“) multipliziert. Der Standardansatz übernimmt dieses Prinzip, differenziert aber nach Geschäftsfeldern, die je nach vermutetem operationellen Risiko mit unterschiedlichen „Beta-Faktoren“ (wiederum bezogen auf den Drei-Jahres-Ertragsdurchschnitt) versehen sind. Sehr fraglich ist, ob gerade eine Ertragsgröße der richtige Indikator für das operationelle Risiko

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einer Bank ist. Von dieser für die Institute einfachen, aber erneut sehr holzschnittartigen Betrachtung können wiederum diejenigen Häuser abweichen, die sich für den fortgeschrittenen Bemessungsansatz entschieden haben und die Eigenkapitalanforderungen für das operationelle Risiko etwa über eine Verlustverteilung der in diesem Bereich bisher tatsächlich eingetretenen Schäden oder Scorecards zentraler Risikofaktoren und darauf basierender Projektionen möglicher Schäden ermitteln.

3.2 Qualitative Aufsicht Der in Säule 2 definierte Bewertungs- und Prüfprozess der Aufsicht (Supervisory Review Process, kurz: SRP) kann pointiert als qualitativer „Aufsichtsschirm“ gefasst werden. Hiernach haben die zuständigen Behörden die Kapitaladäquanz der Institute in einer Gesamtsicht zu prüfen, d.h. die strategische Eigenkapitalplanung ist daraufhin zu untersuchen, ob sie sich im Einklang mit der Risikoprofilentwicklung der jeweiligen Bank befindet. Dabei reicht der aufsichtliche Review weit über den Test der sachgerechten Anwendung der Säule 1- bzw. Säule 3-Regulierungen hinaus und erstreckt sich auch auf alle übrigen materiell relevanten Risikoquellen. Der entsprechende externe „Supervisory Review and Evaluation Process“ (SREP) muss insgesamt als eine umfassende Prüfung derjenigen Ressourcen, Systeme und Prozesse verstanden werden, die zusammenwirken, um für das Institut eine Abstimmung von Risikoträger und -profil zu gewährleisten. Auf bankinterner Seite wird dieser Komplex unter dem Oberbegriff des „Internal Capital Adequacy Assessment Process“ (ICAAP) subsumiert. Der SREP setzt sich aus vier Komponenten zusammen: Komponente 1 betrifft die Prüfung der Anforderungen der Säulen 1 und 2. Hier ist von der Aufsicht etwa die Einhaltung der Zulassungskriterien für interne Rating- und Operational-RiskVerfahren, die Verwendung von Techniken zur Kreditrisikominderung und die Erfüllung von Transparenzanforderungen zu überprüfen. Komponente 2 stellt auf die Risiken ab, die in Säule 1 (noch) nicht oder nicht angemessen enthalten sind. In diesem Bereich hat die Aufsicht ihr Augenmerk insbesondere auf die Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, aber auch (bis zur Gültigkeit entsprechend „harter“ Kennzahlen) Liquiditätsrisiken, Konzentrationsrisiken und bestimmte operationelle Risiken zu richten. Spiegelbildlich zum SREP muss jedes Kreditinstitut einen Internal Capital Adequacy and Assessment Process (siehe weitere Ausführungen unten) aufsetzen.

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Komponente 3 sieht dazu vor, dass die Aufsicht die Angemessenheit des ICAAP in Abhängigkeit von der Komplexität des Instituts zu prüfen hat. Bei Verstößen gegen die Normvorstellungen der Behörden muss die Aufsicht durch unterschiedliche Formen von Sanktionen einschreiten. Sie soll sicherstellen, dass die Institute „adäquate“ Eigenkapitalausstattungen besitzen, somit das aus aufsichtlicher Perspektive bestimmte Minimum überschritten wird. Den nationalen Aufsichtsbehörden ist es überlassen, welche Auslöserquoten (Trigger) sie für ihre intensitätsmäßig gestaffelten Eingriffe verwenden. Auch der Sanktionskatalog ist nicht abschließend definiert; hierzu zählen aber etwa eine intensivere Überwachung, eine Beschränkung der Ausschüttung von Dividenden, die Implementierung von Sanierungsplänen, der Zwang zur Eigenkapitalaufstockung usw. In Komponente 4 geht es um die Überprüfung der bankinternen Kontrollsysteme (interne GovernanceStrukturen). Hier richtet sich der Fokus der Aufsicht etwa auf die Fragen der Unabhängigkeit des Controllings, Angemessenheit des Datenmanagements und Adäquanz der Prozesse der internen Revision in den Einzelinstituten. Die Säule 2 ist Ausdruck der Philosophie einer verstärkt präventiv agierenden Aufsicht, die die Qualität der institutsinternen Verfahren zur Steuerung und Überwachung sämtlicher Risiken vor dem Hintergrund der Risikoträger überprüft. Hierfür machen sich die Aufsichtsinstanzen mehr als unter Basel I ein „Bild aus eigener Anschauung“. Mit Hilfe von On- und Off-Site-Kontrollen, Management-Discussions, einem Review interner und externer Prüfungsunterlagen sowie der periodischen Berichterstellung muss die Aufsicht die Güte des Risikomanagements der Einzelinstitute einschätzen, also die Kontrolle des Zusammenspiels von Risiken und Risikoträgern überwachen. Betont wird dabei, dass die Aufsichtsinstanzen nicht in die Rolle des Bankmanagements selbst schlüpfen, sondern zunächst einmal lediglich dessen Handeln bewerten sollen. Um den dahingehenden Einsatz (z.B. Planung, Priorisierung und Allokation) der aufsichtlichen Ressourcen zu organisieren, greifen die Aufseher auf ein Risk Assessment System (RAS) zurück. Das RAS ist eine interne Strukturierungshilfe und Schritt-für-SchrittAnleitung für die Aufseher, die Risiken eines Instituts nach einem gewissen Raster systematisch zu erkennen und zu bewerten. Interpretationsleitlinien zum RAS und Supervisory Colleges sollen dazu dienen, die Vorgehensweisen der Aufsichtsbehörden in den verschiedenen Ländern zu harmonisieren und die Kommunikation zwischen ihnen zu erleichtern.

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Ziel des RAS ist es, die Risiken und ihre Kontrollen möglichst auf der Geschäfts- bzw. Teilbankebene zuzuordnen und zu bewerten, auf der sie entstehen, um ein detailliertes Risiko- und Kontrollprofil des Instituts zu erhalten. Bei dieser Vorgehensweise müssen sich verschiedene Aggregationsschritte anschließen, die weitere geeignete Annahmen bzw. Leitlinien sowohl durch das Institut als auch von Seiten des Aufsehers erfordern, um letztlich zu einer aussagekräftigen Gesamtbewertung des Risikoprofils des Instituts zu kommen. Auch wenn das RAS vom Grundsatz her nicht als paralleler ICAAP der Aufsicht angelegt ist, wird damit doch deutlich, dass das Ergebnis eines derartig ausgestalteten RAS letztlich Benchmark für das Ergebnis des ICAAP des jeweiligen Kreditinstituts ist. Dies gilt vor allem dann, wenn der ICAAP einer Bank als nicht angemessen eingestuft werden sollte, und der Aufseher nachfolgend – auf Basis des RAS – etwa eine Indikation für zusätzlich benötigtes Kapital zur Abdeckung eingegangener Risiken abgeben muss. Der ICAAP soll insbesondere dafür Sorge tragen, dass hinreichend internes Kapital vorgehalten wird, welches dem Risikoprofil und der Risikostrategie eines Instituts entspricht. Als wichtigstes Element eines solchen Verfahrens und dessen Dokumentation, Berichterstattung sowie Prüfung und Überwachung wird die zentrale Leitungs- und Kontrollverantwortung der Bankführung unterstrichen: • Die Bankleitung hat die materiell relevanten Risikoquellen zu identifizieren und zu quantifizieren. • Es besteht eine Prozessverbindung zwischen der Kapitalbemessung und dem Risikoprofil im Rahmen der strategischen Eigenkapitalplanung. • Das interne Kontrollsystem hat auf einem adäquaten Berichtswesen zu basieren, das zukunftsorientiert sein muss, Sensitivitäten beurteilt, Prämissen überprüft, Trendbewegungen einschätzt. In diesem Zusammenhang wird die grundsätzliche Eigenverantwortlichkeit des Instituts betreffend Aufbau und laufender Fortentwicklung des ICAAP besonders hervorgehoben. Es ist nicht beabsichtigt, hierbei den Banken verbindliche aufsichtliche Ausgestaltungsregeln vorzuschreiben. Es steht ihnen offen, Verfahren zur Risikoidentifizierung, -messung und zum -reporting sowie zur Gegenüberstellung von internem Kapital und bestehenden Risiken nach eigenem Dafürhalten zu implementieren. Dabei sollen institutsinterne Strategien und die Ziele des Instituts bezüglich seines zukünftig vorzuhaltenden Kapitals Berücksichtigung finden. Ebenfalls hervorzuheben ist der Umstand, dass zwar die Kapitalanforderungen aus Säule 1 grundsätzlich als regulatorisches Minimum anzusehen sind, dies aber noch nicht

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die Annahme rechtfertigt, dass damit sämtlichen Aspekten des Risikoprofils eines Instituts Genüge getan ist: Säule 1 markiert ein „Durchschnitts“-Niveau, aber spezifische Marktsituationen oder Risikolagen machen (neben den in Säule 1 nicht oder nicht angemessen enthaltenen Risiken) möglicherweise Anpassungen „nach oben“ notwendig. Daher könnte die Aufsichtsinstanz unter anderem Auslöserquoten und Kapitalquotenziele festsetzen oder Kategorien oberhalb der Mindestquoten definieren (z.B. gut kapitalisiert oder angemessen kapitalisiert), um das Niveau der Eigenkapitalausstattung einer Bank zu qualifizieren. Manche Länder könnten sich sogar dafür entscheiden, für das gesamte Bankensystem eine höhere Eigenkapitalquote vorzuschreiben (diese Möglichkeiten werden in Basel III durch die in Kapitel 6 dargestellten systemischen Kapitalpuffer erweitert). Mit Blick auf das Zusammenspiel von ICAAP und SREP besteht das Leitbild einer „doppelten Proportionalität“: So soll zum einen der bankinterne ICAAP Art, Umfang und Komplexitätsprofil der betriebenen Geschäfte angemessen widerspiegeln. Umgekehrt soll aber auch die Aufsicht ihrerseits Tiefe, Häufigkeit und Intensität des SREP angemessen an den potenziellen Risiken der Geschäfte der betreffenden Bank oder Sparkasse für das Finanzsystem ausrichten (Abbildung 4). Abbildung 4: Leitbild der doppelten Proportionalität

Angemessen ausgestalteter ICAAP

Angemessen ausgestalteter SREP

CRD I, Artikel 123:

CRD I, Artikel 124:

„These strategies and processes shall be comprehensive and proportionate to the nature, scale and complexity of the activities of the credit institution concerned.“

„Competent authorities shall establish the frequency and intensity of the review and evaluation […] having regard to the size, systemic importance, nature, scale and complexity of the activities of the credit institution concerned and taking into account the principle of proportionality.“

Geschäfts- und Risikoprofil des Kreditinstituts

CEBS Guidelines: „[…] guidance for both institutions and supervisors will be applied in a proportionate manner to reflect the nature, scale and complexity of the institutions.“

Kernfrage der Mindestanforderungsdefinition (konzeptionell und im Umfang)

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Eine konkrete Niveaubestimmung von ICAAP und SREP (z.B. die Präzisierung technischer Ansprüche für verschiedene Bankgeschäftsmodelle) nahm weder der Baseler Ausschuss noch das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) in seinen Papieren vor. Diese Operationalisierungslücke ist indes durchaus typisch für prinzipienorientierte Regulierungsansätze, die letztlich dazu tendieren, die Konkretisierungsnotwendigkeit von der Normenebene auf die Ebene der verwaltungstechnischen Ausführungsvorschriften zu verlagern. Damit wird die Steuerungseffizienz – vielfach aber -ineffizienz – der Regelbindung zwar auf Ebene des Normenkatalogs vermieden, aber letztlich nur auf die Aufsichtspraxis verschoben. Zudem sind auf dieser Stufe dann auch Fragen der angemessenen Ressourcenausstattung zu klären, um selbst bei „richtiger“ Aufsichtsregel eine „richtige“ Regelanwendung zu gewährleisten. Auf europäischer Ebene bemüht sich die European Banking Authority (2014a) um eine Detaillierung, vgl. auch Blochwitz (2014). Zur näheren Konkretisierung der qualitativen Aufsicht auf nationaler Ebene hatte die BaFin am 20. Dezember 2005 (nach intensiven Beratungen mit den Vertretern der Kreditwirtschaft) die Endfassung der „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) vorgelegt, die die bis dahin geltenden MaH, MaK und MaIR zusammenfassten. Eingehend werden die als Konsequenz der Finanzkrise ab 2009 mehrfach modifizierten MaRisk im zweiten Beitrag von Paul in diesem Band gewürdigt. Neben allgemeinen Ausführungen gehen die Regelungen der 2. Säule auch auf einige spezielle Aufsichtsbausteine ein, wobei für praktisch alle Kreditinstitute die Behandlung des Zinsänderungsrisikos besondere Relevanz besitzt. Entgegen den ursprünglichen Vorstellungen hat der Baseler Ausschuss die bisher nicht erfolgte Begrenzung von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch von Kreditinstituten nicht mehr in der Säule 1 verankert. Aufgrund der angeblich beträchtlichen Unterschiede zwischen international tätigen Banken hinsichtlich der Art des zugrunde liegenden Risikos und der Verfahren zu seiner Überwachung und Steuerung sieht er es stattdessen als gebotener an, das Zinsänderungsrisiko unter Säule 2 des Akkords zu behandeln. Auch in diesem Zusammenhang werden die bankinternen Steuerungssysteme als Hauptinstrument für die Messung des Risikos anerkannt, insofern sind die Verfahren zur Steuerung und Kontrolle von Zinspositionen sachgerecht mit den Systemen zum Management der übrigen Risiken zu verzahnen. Um den Aufsichtsinstanzen die Überwachung der Zinsrisikopositionen über die Institute hinweg zu ermöglichen, müssen die Banken die Ergebnisse ihrer internen Messsysteme der Aufsicht zur Verfügung stellen. Diese werden als Barwerte im Verhältnis zum Eigenkapital ausgedrückt und sollen die Reaktion auf einen standardisierten Zinsänderungsschock zeigen. Falls Aufsichtsinstanzen feststellen, dass eine Bank zur Unterlegung ihres Zinsänderungsrisikos kein ausreichendes Eigenkapital vorhält, müssen sie von der Bank fordern, ihr Risiko zu verringern, einen spezifischen zusätzlichen Betrag an Eigenkapital aufzubringen, oder diese beiden Mittel zu kombinieren. Die Kontrollbehörden sind angehalten, besonders bei so genannten „Ausreißer-Banken“ auf ausreichendes Eigenkapital

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zu achten. Darunter werden Institute verstanden, deren Barwert sich als Reaktion auf den standardisierten Zinsschock (ausgedrückt als Veränderung der Zinsstrukturkurve um +/– 200 Basispunkte) um mehr als 20% der Summe aus Kern- und Ergänzungskapital verringert (s. im Detail Rundschreiben 11/2011 der BaFin: Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch). Angesichts dieser Quantifizierung sowie der Tatsache, dass gerade im Bereich des Managements von Zinsänderungsrisiken in den letzten Jahren besonders leistungsfähige Verfahren erarbeitet wurden (z.B. auf Basis der Duration oder des Barwertkonzepts), die auch für kleinere Institute einfach zu handhaben sind, ist die Behandlung dieses Risikokomplexes lediglich im Rahmen der qualitativen Aufsicht inkonsequent.

3.3 Förderung der Marktdisziplinierung durch Publizitätsvorschriften Mit den Regelungen der dritten Säule wird angestrebt, den Finanzmarktteilnehmern ein genaueres Bild über die tatsächliche Rendite-Risiko-Positionierung der Kreditinstitute zu vermitteln. Dabei konzentriert sich der Ausschuss auf die Formulierung – teils sehr detaillierter – Anforderungen zur Abbildung des jeweiligen Risikoprofils. Im Mittelpunkt steht der Aspekt der Risikotragfähigkeit, also der wagnisgerechten Abstimmung zwischen dem vorgehaltenen „Risikopuffer“ Eigenkapital und der eingegangenen Gesamtrisikoposition (z.B. auch unter Berücksichtigung von Risikominderungstechniken wie Kreditderivaten). Flankierend treten hierzu Offenlegungspflichten, die Informationen über die renditeorientierte Risikopolitik der jeweiligen Banken liefern können. Durch diese Publizitätsregulierungen soll in einer Gesamtsicht gerade (potenziellen) Investoren die sachgerechte(re) Anpassung ihrer risikoorientierten Renditeforderungen ermöglicht werden. Da diese spiegelbildlich die Kapitalkosten der Banken bestimmen, verspricht sich Basel hiervon einen disziplinierenden Einfluss auf den „Risikoappetit“ der Bankleitungen. Der umfangreiche Publizitätskatalog lässt sich im Kern in vier Offenlegungsbereiche gliedern: • Anwendungsbereich der Eigenkapitalvorschriften • Eigenkapitalstruktur • Eigenkapitalausstattung • Eingegangene Risiken und ihre Beurteilung.

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Diese Anforderungen sind in der Folgezeit durch nationale und europäische Konkretisierungen sowie Interpretationen weiter für die Kreditwirtschaft operationalisiert worden (zuletzt European Banking Authority, 2014c). Waren die Aktivitäten des Baseler Ausschusses auf den letzten Stufen des Konsultationsprozesses durch die Bemühungen geprägt worden, den Publizitätsumfang der dritten Säule gegenüber früheren Entwürfen deutlich „abzuspecken“, deuten diese Regulierungsschritte offensichtlich wieder in eine andere Richtung: Zwar wird formal „nur“ der Baseler Bezugsrahmen schärfer konturiert und inhaltlich näher bestimmt, de facto erfolgt damit aber eine stärkere Einzelregelorientierung der Risikopublizität – teils sogar mit Hilfe beispielhafter Formatierungen der Offenlegungsberichte. Dabei reichen die auf diesen Ebenen entwickelten Vorschriften von allgemeinen Ausweispflichten für alle Kreditinstitute (z.B. Strukturen des Eigenkapitals) bis hin zu sehr weitreichenden Vorgaben vor allem für diejenigen Institute, die die internen Ratingverfahren nutzen werden (z.B. Schätzungen einzelner Kreditverlustparameter, teils ergänzt um Soll/Ist-orientierte Vergleiche). Zudem werden nicht zuletzt durch Revisionen im Bereich der International Financial Reporting Standards (IFRS) verstärkt inhaltliche Verbindungslinien zwischen zum einen den Baseler Offenlegungsanforderungen und zum anderen den Bestimmungen des International Accounting Standards Board (IASB) aufgebaut. Beispielhaft sei an dieser Stelle nur auf die Kapitalausweispflichten nach IAS 1 sowie die erweiterten und konzentrierten Publizitätsstandards für Finanzinstrumente nach IFRS 7 verwiesen. Allerdings ist die Abstimmung zwischen Basel und dem IASB – schon aufgrund unterschiedlicher Interessenschwerpunkte und konzeptioneller Orientierungen – längst nicht als abgeschlossen zu betrachten. Vielmehr erscheint es angemessener, eine denkbare (Mindest-)Harmonisierung als „Moving Target“ zu bezeichnen. Dabei wird gerade die Klärung unterschiedlicher Positionen zur Fair-Value-Bewertung weiteren Diskussionsbedarf aufwerfen. Gleichwohl dürften die IFRS nach herrschender Meinung die beste Ausgangsbasis für eine internationale Bankpublizität bieten, die sowohl eine gewisse Niveaustabilisierung zwischen den Ländern erreichen als auch gleichzeitig einen bankaufsichtlichen Sonderweg bei den Transparenzanforderungen (weitgehend) vermeiden kann. Hier wird auch die Auffassung vertreten, dass eine mit den IFRS verbundene, weiter reichende Transparenz einen besseren Investorenschutz darstellt als das Zurückgeworfensein auf Spekulationen über möglicherweise vorhandene stille Reserven als Verlustauffangpotenzial nach HGB-Abschlüssen (vgl. ausführlich Paul in diesem Band).

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4 Modifizierung der Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko als Schwerpunkt der Basel-II-Regelungen 4.1 Segmentierung des Anlagebuchs und Wahl zwischen Standardansatz und internem Ratingansatz In Basel I waren zur Begrenzung des Bonitätsrisikos aus Kredit- und Wertpapierbeständen (wie erwähnt) allein quantitative Kontrollnormen anzutreffen. Gemäß der zentralen Regelungsnorm „Grundsatz I“ sollten die „gewichteten Risikoaktiva“ das 12,5-fache des haftenden Eigenkapitals einer Bank nicht übersteigen, sie waren also grundsätzlich mit 8% Eigenkapital zu unterlegen. Die Risikoaktiva wurden in Abhängigkeit von der Bonität der Kreditnehmer (aber auch deren geographischer Herkunft sowie der Kreditart) in sechs Risikoklassen eingeteilt. In diesen galten unterschiedliche „Anrechnungssätze“ für das Kreditvolumen, mit deren Hilfe der Eigenkapital„verbrauch“ gestaffelt wurde (Tabelle 1). Tabelle 1: Status quo der aufsichtsrechtlichen Behandlung von Kreditrisiken Risikoklasse

Wesentliche Risikoaktiva

Bonitätsgewicht

Eigenkapital„verbrauch“

0%

0,0%

10%

0,8%

20%

1,6%

Forderungen an Zentralbanken und öffentliche Haushalte des

I

Inlands sowie der Präferenzzone A (EU-Staaten und weitere OECD-Vollmitglieder)

II III

Pfandbriefe Forderungen an Banken im Inland, der Zone A sowie der

Zone B bei Laufzeit

1 Jahr

IV

Hypothekarkredite, Swaps, Termingeschäfte, Optionen

50%

4,0%

V

Bauspardarlehen

70%

5,6%

100%

8,0%

VI

Wertpapiere, Beteiligungen, Forderungen an Nichtbanken sowie Banken außerhalb der Zone A bei Laufzeit

1 Jahr

Durch die Eigenkapitalbelastungsregeln dieses „quantitativen Ansatzes“ wurde bereits dauerhaft in die Ressourcendisposition der Bank eingegriffen. Dabei fehlte es dieser Begrenzung des Adressenausfallrisikos sowohl an theoretischer Fundierung (Schneider, 1987, insbes. S. 92 ff. und 2002 sowie Burghof, 1998, S. 102 ff.) als auch an einer tragfähigen empirischen Basis. Der Gesetzgeber gab keine schlüssige Begründung für die in ihrer Grundsystematik über Jahrzehnte tradierte Beschränkung der Risikoaktiva auf das 12,5-

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

(bis 1993 18-)fache des haftenden Eigenkapitals, die Abgrenzung der Risikoklassen sowie die Wahl der Bonitätsgewichte. Auch der zahlreich geäußerten Einschätzung, die Regelung habe ein „bewährtes Sicherheitsniveau“ (Meister, 1999, S. 150) geschaffen, kann nicht gefolgt werden, da sich nicht nachweisen lässt, dass genau diese Vorschriften den Eintritt von Solvenzkrisen einzelner Häuser (und nachfolgenden Systemkrisen) verhindert haben. Selbst wenn dies gelänge, wäre aber die Effizienz der Regelung zu bezweifeln. Banken, die bewusst einen Bestand von Kreditnehmern (z.B. Firmenkunden) guter Bonität aufgebaut hatten, konnten dieses unter Nutzung unternehmerischer Findigkeit erworbene Wissen nur unzureichend verwerten, da sie trotz weitaus niedrigerer Abschreibungsquoten Eigenkapital in der aufsichtsrechtlich vorgegebenen (im Hinblick auf Nichtbanken nicht ausreichend nach der Bonität differenzierten) Höhe vorhalten mussten. Daher war das vom Ausschuss auch für Basel II proklamierte Ziel, die Höhe der Eigenkapitalanforderungen dürfe sich zukünftig nicht wesentlich (nach oben oder unten) verändern, ausgesprochen problematisch. Abbildung 5: Genauere Abbildung des Kreditnehmerrisikos in Risikoprämien als Preisbestandteil gewünscht

Mit Basel II wurde eine risikogerechtere Formulierung der Eigenkapitalanforderungen angestrebt, die sich auch entsprechend in den Kreditpreisen niederschlagen sollte (Abbildung 5). Damit wollte man die häufig beklagte Konstellation verändern, nach der Schuldner besserer Bonität (durch „zu hohe“ Risikoprämien in den Zinsen) solche schlechterer Bonität (die „zu geringe“ Risikoprämien bezahlen) subventionieren und in der Folge eine Negativauslese (Adverse Selection) des Kreditportefeuilles droht.

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Banken müssen ihr Anlagebuch nach Basel II in einem ersten Schritt anhand einer vorgegebenen Segmentierung strukturieren: Tabelle 2: Segmentierung des Anlagebuchs Corporate

Kredite an Unternehmen mit Exposure ≥ 1 Mio. EUR

Retail

• Kredite an Privatpersonen • Kredite an Kleinunternehmen, Gewerbetreibende, Freie Berufe, wenn Kreditexposure < 1 Mio. EUR • Revolvierende Forderungen (auch aus dem Kreditkartengeschäft) gegenüber Privatpersonen, wenn Kreditexposure ≤ 100.000 EUR • Wohnwirtschaftlich besicherte Darlehen an Privatpersonen

Sovereign

Kredite an Staaten, Zentralbanken und bestimmte öffentliche Institutionen

Banks

Kredite an Banken und Wertpapierfirmen

Equity

Anteile an anderen Unternehmen

Specialised Lending

Projekt- und Spezialfinanzierungen

Securitised Assets

Verbriefte Forderungen

In der öffentlichen Diskussion hat dabei im Vorfeld der Einführung des neuen Akkords die Einteilung von Unternehmenskrediten in die Corporate-Klasse einerseits, das RetailSegment andererseits die größte Rolle gespielt, da für Letzteres deutlich geringere Eigenkapitalanforderungen gelten (s.u.). Basel geht nämlich von einer „natürlichen“ Risikodiversifikation aus, wenn eine Bank einen möglichst großen Pool eher kleinteiliger Forderungen unterhält – daher die Obergrenze für das Kreditexposure eines Schuldners von 1 Mio. EUR. Zudem darf das Kreditinstitut in seinem internen Risikomanagement die dem Retail-Segment (nach Solvabilitätsverordnung „Mengengeschäft“) zugerechneten Forderungen gegenüber Unternehmen nicht anders behandeln als diejenigen gegenüber Privatpersonen (daher auch die Bezeichnung „aufsichtliches Privatkundenportfolio“) – dies bedeutet tendenziell eher den Einsatz standardisierter Scoringverfahren und Portfolio- anstelle von Einzelbewertungen (und -steuerungen, -kontrollen usw.).

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Abbildung 6: Methodenwahl im Kreditrisikobereich Methodenwahl

Standardansatz, KSA • Risikogewicht einer Forderung wird nach externem Rating des Schuldners bemessen • Sonderregelung für das Retail-Segment und Realkredite

Interner Ratingansatz (Internal Ratings-Based Approach, IRBA)

Basisansatz (Foundation Approach)

Fortgeschrittener Ansatz (Advanced Approach)

• Risikogewicht einer Forderung wird nach internem Rating des Schuldners bemessen

• Bank schätzt außer der Ausfallwahrscheinlichkeit auch die ausstehende Forderungshöhe und den Verlust bei Ausfall (sowie ggf. die Laufzeit und den Umsatz des Kreditnehmers) selbst

• Bank schätzt nur die mit der Ratingklasse verbundene Ausfallwahrscheinlichkeit selbst

• Sonderregelung für das Retail-Segment, Realkredite und Überziehungskredite/ Kreditkartenforderungen

Sofern keine Sonderregelungen bestehen, haben Banken dann in einem zweiten Schritt die Methodenwahl, die Eigenkapitalanforderungen für diese Segmente nach dem Standardansatz oder dem internen Ratingansatz zu berechnen, wobei sich Letzterer noch einmal in einen einfacheren Basis- und einen fortgeschrittenen Ansatz unterteilt. „Standardverfahren“ sind bereits von der Begrenzung der Marktrisiken her bekannt. Dort ist – wie erwähnt – eine sehr grobe, durch die Bankenaufsicht festgelegte Einteilung von Risikoklassen und zugehörigen Bonitätsgewichten anzutreffen. Letzteres wird in Basel II auf Kreditrisiken übertragen. Allerdings werden Staaten, Banken und Unternehmen nicht automatisch in eine Risikoklasse eingereiht (wie zuvor, vgl. Tabelle 1), sondern maßgeblich im Standardansatz ist das externe Rating des Schuldners. Die IRB-Ansätze bilden die Parallele zu den internen Modellen im Bereich der Marktrisikoregelungen. Im einfachen Ansatz schätzen Banken (für ihr Gesamtportfolio oder Teile davon, partial use) lediglich die mit einer Ratingklasse verbundene Ausfallwahrscheinlichkeit, bei der anspruchsvolleren Methodik auch die weiteren, den möglichen Verlust bestimmenden Parameter selbst. Für die Institute in der Bundesrepublik war die gleichwertige Anerkennung externer und interner Ratings von großer Bedeutung, da hierzulande nur ca. 200 Industrieunternehmen von einer Ratingagentur bewertet sind.

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Während der IRB-Basisansatz zum 01.01.2007 in Kraft trat (ein Jahr nach dem Standardansatz), durften die Eigenkapitalanforderungen erst ab 01.01.2008 nach dem fortgeschrittenen Ansatz berechnet werden. Im Sommer 2004 wollten nach einer Umfrage der Aufsicht mit einer Rücklaufquote von 40% über 40% der Banken und Sparkassen bis 2009 einen aufsichtlich zugelassenen, auf internen Ratings basierenden Messansatz verwenden, darunter 50 die fortgeschrittenere Variante (vgl. Deutsche Bundesbank, 2005). Tatsächlich beantragten bis 2013 – wie gesagt – nur 49 Kreditinstitute die Zulassung ihrer internen Risikomodelle, 18 nutzten den fortgeschrittenen IRBA. Die Anerkennung der Ratingsysteme hängt von der Erfüllung sehr detaillierter Vorschriften für ihre Ausgestaltung in den MaRisk ab, so etwa (Beispiele in Klammern) zur • Gestaltung der Ratingkriterien (Konsistenz mit interner Kreditvergabepolitik); • Klassenstruktur und -verteilung (Minimum von sieben Klassen plus Default-Kategorie); • Anforderungen an Rechenparameter und -methoden (Schätzung von PD, LGD, EAD); • Wahl des Zeithorizonts (PD-Schätzung auf Jahresbasis); • Anwendung von Ratingmodellen (Organisation von Dateninput und Ergebnisvalidierung); • Dokumentation der Gestaltung des Ratingsystems (Volldokumentation der Aufbauund Prozessorganisation des Ratings).

4.2 Ableitung der Eigenkapitalunterlegung für Forderungen gegen Unternehmen und Privatpersonen, Banken und Staaten Bei den Bonitätsgewichten im Standardansatz unter Rückgriff auf die Bewertung externer Agenturen, die von der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörde zugelassen werden müssen, ergab sich in Basel II die wichtigste Veränderung für die Unternehmen als Schuldner von Krediten (mit einem Exposure ab 1 Mio. EUR): Hier trat eine stärkere Differenzierung der Eigenkapitalunterlegung ein, die immer noch unzureichend, der Basel-I-Regelung jedoch überlegen war. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass der Anrechnungssatz von 100% in der Klasse „ohne Rating“ nur einen Sockelbetrag darstellt, der grundsätzlich von den Aufsichtsbehörden erhöht werden kann.

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Abbildung 7: Bonitätsgewichte Kredit-Standardansatz

Es handelt sich bei dem Standardansatz um eine weitere willkürliche Klassifizierung, die nur eine Problemverschiebung darstellt: Vertraut wird nicht mehr auf die Kompetenz der Aufsicht, sondern auf die von Ratingagenturen. Dabei sind die Kriterien der Anerkennung der Agenturen durch die nationalen Aufsichtsbehörden mehr als vage, wenn Basel etwa fordert, die Agentur müsse objektiv und unabhängig handeln, ihre Bewertungen hätten öffentlich verfügbar und glaubwürdig zu sein und ihre Ressourcen müssten ausreichen, dauerhaft die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. – Willkürlich erscheint darüber hinaus, dass im Falle von zwei unterschiedlichen Ratings das schlechtere angewandt werden soll. Bestehen mehr als zwei Ratings, so sollten diejenigen herangezogen werden, die dem niedrigsten Risikowert entsprechen, und wenn diese unterschiedlich sind, sollte das höhere Risikogewicht benutzt werden. Wenn die beiden besten Ratings identisch sind, sollte dieses Rating Verwendung finden, um das Risikogewicht zu bestimmen. Forderungen an Staaten wurden in Abhängigkeit von ihrem Rating zwischen 0% und 150% gewichtet; für Forderungen an die öffentliche Hand blieb es bei der 0%-Gewichtung. Forderungen an sonstige öffentliche Stellen sollten grundsätzlich wie Forderungen an Banken gewichtet werden, wobei nach nationalem Ermessen jedoch auch eine Gleichbehandlung mit staatlichen Schuldnern möglich war.

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Bei Forderungen an Banken kann seither zwischen zwei Optionen gewählt werden: Bei Option 1 erhalten alle Kreditinstitute prinzipiell ein um eine Stufe höheres Risikogewicht als das des Sitzstaats. In der Option 2 basiert das Gewicht auf der Bonitätsbeurteilung der jeweiligen Bank durch die Aufsichtsbehörde, wobei für Forderungen mit einer Ursprungslaufzeit von maximal drei Monaten teilweise niedrigere Gewichte verwendet werden können. Kredite an Banken derselben Institutsgruppe (Genossenschaftsbanken bzw. öffentlichrechtliche Institute) und desselben Sicherungssystems sowie innerhalb eines Bankkonzerns gewährte Kredite erhielten unter bestimmten Voraussetzungen mit Blick auf Risikoausgleich und -management ein Risikogewicht von 0. Am bemerkenswertesten jedoch war die Festlegung des Bonitätsgewichts für das RetailSegment (Mengengeschäft) auf 75%, wodurch sich die Eigenkapitalanforderung gegenüber Basel I von 8% auf 6% reduzierte. Wie erwähnt, befinden sich in dieser Klasse neben Darlehen an Privatpersonen auch Firmenkredite mit einem Exposure unter 1 Mio. EUR. Nach übereinstimmenden Quellen fallen damit weit über 90% aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in der Bundesrepublik in dieses Segment. Für mehr als 9 von 10 Firmenkunden müssen Kreditinstitute, die den Standardansatz anwenden, also seit 2007 deutlich weniger Eigenkapital unterhalten. Hier hat die öffentliche Diskussion vor allem durch Verbandsvertreter und (gerade in den Wahljahren 2002 und 2005) auch die Politik eine erste gewichtige Mittelstandskomponente durchgesetzt. Fraglich ist, ob die dabei unterstellte breite Risikodiversifikation tatsächlich (immer) anzutreffen ist. Zwar rechtfertigt eine Portefeuillestruktur mit vielen kleinen Engagements die Hoffnung auf Risikostreuung. Es sind indes auch Verbundwirkungen und damit Klumpenrisiken denkbar, z.B. bei der Insolvenz eines großen Arbeitgebers in der Region und den nachfolgenden Problemen zahlreicher kleinerer und mittelgroßer Unternehmen – vom Zulieferer bis zum Einzelhändler. In Teilen verändert wurden auch die Anrechnungssätze für hypothekarisch gesicherte Forderungen. Bei wohnwirtschaftlichen Realkrediten an Privatpersonen (im Standardansatz nicht im Retail-Segment) sank das Bonitätsgewicht von zuvor 50% auf 35%; in Deutschland privilegierte gewerbliche Realkredite (Kreditvergabe übersteigt niedrigeren Wert aus 50% des Marktwertes sowie 60% des Beleihungswerts des betreffenden Objektes nicht) behielten den gewohnten Anrechnungssatz von 50% (in beiden Fällen: sofern kein Zahlungsverzug des Schuldners von mehr als 90 Tagen vorliegt). Ein Bonitätsgewicht von 100% galt demgemäß für nicht privilegierte Hypothekarkredite.

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Im internen Ratingansatz muss ein Kreditinstitut bis zu fünf Parameter berücksichtigen: • Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Ausfall kommt (PD, Probability of Default). Dabei werden verschiedene Indikatoren für die Ausfallgefahr vorgeschlagen (z.B. Zahlungsverzug von mehr als 90 Tagen). • Ausstehender Betrag, wenn es zum Ausfall kommt (EAD, Exposure at Default). • Prozentsatz des Exposures, der bei einem Ausfall des Schuldners gefährdet wäre (LGD, Loss Given Default). • Restlaufzeit des Kredits (M, Maturity). • Unternehmensumsatz (S, Sales). Hat die Bank den IRB-Basisansatz gewählt, dann hat sie lediglich die PD zu ermitteln und bei den anderen Parametern auf die Vorgaben der Bankenaufsicht zurückzugreifen. In diesem Zusammenhang muss sie jeden Kreditnehmer einzeln bewerten und in eine von mindestens sieben Risikoklassen einordnen. Darüber hinaus sind weitere Anforderungen an die Ausgestaltung des Ratingsystems zu erfüllen, deren Einhaltung regelmäßig von der Bankenaufsicht überprüft wird (Säule 2); auch müssen die den IRB-Ansatz anwendenden Banken bestimmten Publikationsvorgaben nachkommen (Säule 3; vgl. ausführlicher die weiteren Beiträge in diesem Band mit dem Fokus „Rating“). Das konkrete Bonitätsgewicht in den IRB-Ansätzen ergibt sich dann unter Zuhilfenahme der (je nach Ansatz vorgegebenen oder selbst ermittelten) weiteren Parameter, die in eine komplexe Risikogewichtungsfunktion Eingang finden; Döhring/Hromadka widmen sich in diesem Band ausführlich ihrer Konstruktion und Anwendung. Gegenüber früheren Konsultationspapieren war dabei materiell besonders bedeutend, dass Basel eine Eigenkapitalunterlegung nur noch für unerwartete Verluste vorsah. Erwartete Verluste (Expected Losses, EL), also die durchschnittlich z.B. in einem Kundensegment in der Vergangenheit angefallenen, ausfallbedingten Wertberichtigungen und Abschreibungen, sollen durch die (verdienten!) Standard-Risikokosten abgedeckt werden. Unerwartete Verluste (Unexpected Losses, UL) sind die in einzelnen Perioden über den Durchschnitt hinausgehenden Ausfälle; derartige nicht antizipierte Verluste im Sinne von Ex-post-Überraschungen sollen durch regulatorisches Eigenkapital aufgefangen werden („UL Only-Ansatz“). Damit ist zwar unverändert der gesamte Risikovorsorgebedarf zu ermitteln. Es muss aber in einer Art „aufsichtlichen Deckungsbeitragsrechnung“ für dasjenige Bankportfolio, für das der IRB-Ansatz gewählt wurde, zunächst der Teil des darauf entfallenden (Ein-Jahres-)Verlusts mit den für dieses Portfolio gebildeten Einzel- und Pauschalwertberichtigungen verglichen werden. Sind diese Vorsorgepositionen kleiner als der erwartete Ver-

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Stephan Paul

lust, muss die Bank diese Unterdeckung je zur Hälfte vom Tier 1- und Tier 2-Kapital abziehen (also dem Zähler des Solvabilitätskoeffizienten; der Abzug des „shortfalls“ vom Kernkapital ist gemäß Säule 3 zu veröffentlichen). Im Falle des Überschusses von Wertberichtigungen kann die Bank diese bis zu 0,6% der risikogewichteten Aktiva aus dem Kreditgeschäft als Ergänzungskapital anrechnen. Somit erfolgt im UL Only-Ansatz die Unterlegung des erwarteten Verlusts durch eine andere „Eigenkapitalqualität“ als die des unerwarteten Verlusts: Einzel- und Pauschalwertberichtigungen reservieren Gewinn als Risikoträger für möglicherweise auftretende Kreditausfälle, zählen aber in Deutschland nicht zum regulatorischen Eigenkapital (Tier 1, Tier 2), welches (abgesehen von 340f HGB- und Neubewertungsreserven) entweder tatsächlich entstandenen oder in Form von Rücklagen (einschl. des Fonds für allgemeine Bankrisiken) verwendeten Gewinn bzw. von Beteiligungskapitalgebern dauerhaft bereitgestellte Mittel als Risikoträger umfasst (vgl. ausführlicher Paul/Stein/Kaltofen in diesem Band). Abbildung 8: Konzeption der Eigenkapitalunterlegung für unterschiedliche Verlustkategorien in Basel II Dichtefunktion

„Zu 99,9% tritt in der kommenden Periode kein Verlust größer dieser Schwelle ein“

unerwarteter Verlust

erwarteter Verlust

Verlust 0,999-Konfidenzniveau (Restrisiko)

Risikopositionen

ƒ (PD, LGD, EAD, M, S) (Basler IRB-Risikofunktionen)

PD, LGD, EAD

Deckung erforderlich

Tier 1Kapital

Differenz

Tier 2Kapital

reservierter Gewinn (Risikovorsorge)

Risikoträger Anrechnung bis 0,6% der Kredit-RWA Abzug je zur Hälfte von Tier 1 und 2

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excess shortfall

Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Die Verlustkalkulation im Kreditgeschäft erfolgt demnach grundsätzlich zweigeteilt: Abbildung 9: Berechnung des erwarteten und des unerwarteten Verlusts

Sofern der EL ausreichend durch Risikovorsorge abgedeckt ist, führt die reine UL-Kalibrierung jedoch dazu, dass Banken für ausgefallene Kredite kein Kapital mehr vorzuhalten haben: Da der Verlust eingetreten ist, kann es keine Überraschungskomponente mehr geben. So geht der LGD im IRB-Basisansatz auch als risikolose Konstante in das Baseler Risikomodell ein. Nach Ansicht des Ausschusses sollten ausgefallene Kredite jedoch aufgrund der Unsicherheit über die Werthaltigkeit von Sicherheiten eine Kapitalunterlegung erhalten, in der insbesondere adverse Konjunktureinflüsse auf die Erlösquoten abgebildet sind. Daher wurde für den fortgeschrittenen Ansatz verankert, dass Kreditinstitute ihre bankinternen LGD-Schätzungen nicht mehr an ausfallgewichteten Mittelwerten („defaultweighted average LGDs“), sondern an konservativen Konjunktur-Szenarien ausrichten sollen. Zu schätzen ist demnach eine „Abschwung“-LGD („downturn LGD“), wodurch für ausgefallene Kredite eine Kapitalanforderung resultierte. Denn dieser Stresswert wird in der Regel den EL übersteigen, bei dem Banken einen erwarteten LGD-Wert schätzen müssen, der das gegenwärtige wirtschaftliche Umfeld und den derzeitigen Wert der Sicherheiten berücksichtigt. Diese Differenz zwischen Abschwung-LGD und der erwarteten LGD führt dann zu einem UL-Risikogewicht für ein latentes, systematisches Risiko in dem noch nicht einzelwertberichtigten oder abgeschriebenen Teil einer ausgefallenen Kreditforderung.

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Diese differenzierte Behandlung der Komponente LGD mag auf den ersten Blick unnötig kompliziert anmuten, denn der Gesamtbetrag der notwendigen Vorsorge für den erwarteten und den unerwarteten Verlust wäre kein anderer gewesen, hätte man – wie bei nicht ausgefallenen Krediten – auch im Rahmen des EL auf die Abschwung-LGD abgestellt. An dieser Stelle erlangt jedoch erneut die unterschiedliche Qualität der Deckungsmasse für den Verlust an Bedeutung: Der Aufsicht kommt es darauf an, dass Banken auch für ausgefallene Kredite „härtere“ Vorsorgekomponenten in Form von regulatorischem Eigenkapital unterhalten. Ohne die Beleuchtung der Baseler Risikogewichtungsfunktionen an dieser Stelle fortsetzen zu können, sollen zentrale Konsequenzen für die Eigenkapitalunterlegung betrachtet werden, wobei Unternehmens- (und durch das Retail-Segment auch Privat-)kunden im Fokus stehen (zur Behandlung von Spezialfinanzierungen, Beteiligungen und Verbriefungen vgl. die weiteren Aufsätze in diesem Band). Bei den dafür im Folgenden verwendeten Funktionen ist zu berücksichtigen: Die ermittelten Werte enthalten zum einen einen so genannten Scaling-Faktor von 1,06, mit dem die sich aus dem IRB ergebenden Anrechnungsbeträge multipliziert wurden. Dadurch sollte vor dem Hintergrund des UL Only-Konzepts im Durchschnitt und unter Berücksichtigung des neuen Risikokomplexes der operationellen Risiken dasselbe Eigenkapital wie unter Basel I erforderlich sein – zum anderen basieren die ermittelten Eigenkapitalunterlegungssätze auf der bis 2014 vorgeschriebenen Höhe der Eigenmittel. Für das Retail-Segment wird im internen Ratingansatz nicht zwischen einer Basis- und einer fortgeschrittenen Variante unterschieden, sondern der IRB-Retail- ist stets ein fortgeschrittener Ansatz – mit den entsprechenden Anforderungen an die Fähigkeit der Institute zur Parameterschätzung. – Im Übrigen besteht innerhalb des Retail-Segments aber eine Differenzierung in (1) Wohnwirtschaftliche Realkredite (Baufinanzierungen), (2) Qualifizierte revolvierende Retailforderungen (insbesondere aus dem Kreditkartengeschäft, materiell aber wohl auch Dispositions- und Kontokorrent-Kredite) und (3) Übriges oder sonstiges Retail (unspezifische Forderungen an Privat- und Firmenkunden, letztere mit einem Exposure bis 1 Mio. EUR) mit sich deutlich unterscheidenden Risikogewichten, wie in den Abbildungen 12 und 13 veranschaulicht.

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Abbildung 10: Ermittlung der risikogewichteten Aktiva

Angenommen, die Bank hat auf Basis ihrer eigenen Verlustdaten für die dritte Kategorie ihres Retail-Segments einen LGD von 45% ermittelt (auf diesen Wert wird zur Vergleichbarkeit mit dem unten behandelten Corporate-Fall abgestellt), dann muss für die Forderungen in diesem Bereich mit einer PD von z.B. 0,03% nur 0,38% Eigenkapital unterhalten werden. Selbst im Falle des erheblich höheren LGD von 85% wird die BaselI-Eigenkapitalanforderung erst bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von mehr als 1% überschritten. Dabei ist interessant, dass eine PD von 2% (sie entspricht einem Rating BB- von Standard & Poor’s) zwar einerseits von der Aufsicht als vergleichsweise pessimistische Annahme bezeichnet wird. Andererseits ist in diesem Zusammenhang aber das Ergebnis einer Studie der Deutschen Bundesbank von Bedeutung. Untersucht wurde die Kreditqualität von ca. 20.000 deutschen Unternehmen. Diese wurden dazu in drei Größenklassen unterteilt. Die Größenklasse mit den kleinsten Unternehmen enthielt Firmen, die weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigten und eine Bilanzsumme von weniger als 5 Mio. EUR oder einen Jahresumsatz unter 7 Mio. EUR aufwiesen. Für jedes Unternehmen wurde eine Ausfallwahrscheinlichkeit bestimmt, die mit einem von vielen Banken genutzten Kreditrisikomodell ermittelt wurde. Für die Klasse der kleinsten Unternehmen berechnete die Bundesbank auf dieser Basis eine mittlere Ausfallwahrscheinlichkeit (Median) von 2% (Becker/Brackschulze/Müller, 2004). – Noch stärker als im „sonstigen

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Retail“ sank die Eigenkapitalunterlegung für revolvierende Kredite an Privatpersonen bis zu 100.000 EUR mit einem hohen Verhältnis zukünftiger Gewinne zu den zu erwartenden Verlusten im Bereich niedriger PDs (Abbildung 14). Der vergleichsweise hohe LGDWert ist Ausdruck der Erfahrung, dass die einzige „Sicherheit“ in diesem (z.B. Kreditkarten-)Geschäft in der Marge besteht. Abbildung 11: Unterschiede in den Risikogewichtungsfunktionen nach Assetklassen UL nach Basel II



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Ausleihungen an Unternehmen mit einem Exposure ≥ 1 Mio. EUR fallen – wie erwähnt – in das Corporate-Segment. Auch in den IRB-Ansätzen müssen Kreditinstitute zum einen für Unternehmen besserer Bonität deutlich weniger Eigenkapital als nach Basel I unterhalten. Zum anderen hat der Baseler Ausschuss eine zweite Mittelstandskomponente (neben den Retail-Regelungen) im Rahmen eines nationalen Wahlrechts eingebaut, indem die Eigenkapitalanforderungen an Unternehmen mit einem Jahresumsatz (die Bankenaufsicht darf allerdings auch die Bilanzsumme verwenden) unter 50 Mio. EUR mit Hilfe eines so genannten „size factors“ noch weiter abgesenkt werden können. Die Höhe dieses Faktors variiert in den einzelnen Unternehmensgrößenklassen und bringt in der Spitze bis rund 25%, im Durchschnitt etwa 20% Eigenkapitalentlastung mit sich (in der rechten Spalte der folgenden Abbildung zum Vergleich erneut das Retail-Segment; beim IRB-Basisansatz wird dabei im Corporate-Segment ein erwarteter Verlust bei Ausfall des Kredits (LGD) von 45% sowie eine Kreditlaufzeit von 2,5 Jahren von der Aufsicht vorgegeben).

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Abbildung 12: UL-Eigenkapitalunterlegung im Retail-Segment (IRB-Ansatz) nach Basel II

Abbildung 13: UL-Eigenkapitalunterlegung Corporates (IRB-Ansatz) nach Basel II

Fokussiert man noch einmal auf kleinere und mittelständische Unternehmen, deren zukünftige Finanzierungskosten stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, so fasst der Baseler Ausschuss diese als „small and medium-sized enterprises“ (SME) zusammen und ordnet sie im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen der Kreditinstitute drei Klassen zu.

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Der untere (i.S.v. dem Umsatz nach kleinere) Mittelstand befindet sich im Retail-Bereich. Zieht man für einen Belastungsvergleich zur Basel-I-Regelung einer pauschalen Eigenkapitalanforderung von 8% das oben beschriebene Ergebnis der Bundesbank-Studie einer mittleren Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) von 2% für dieses Segment heran, ergibt sich im Standardansatz – wie bereits erwähnt – eine Entlastung von 25% (6 statt bisher 8%). Im internen Ratingansatz beträgt die Entlastung bei einem LGD von 45% für ein Durchschnittsunternehmen (mit ebenfalls 2%iger PD, unbesicherter Kredit) 38,5% (4,92 statt bisher 8% Eigenkapitalanforderung). Erst bei einem LGD von über 73% wird die bisherige Eigenkapitalanforderung überschritten. Abbildung 14: Segmentierung des Mittelstands und Konsequenzen für die Eigenkapitalunterlegung nach Basel II

Die Abbildung 15 zeigt darüber hinaus, wie sich die geforderte Kapitalunterlegung für diejenigen Unternehmen verändert hat, die anders als das Durchschnittsunternehmen eine aus Sicht der Bank niedrigere oder höhere Ausfallwahrscheinlichkeit besitzen. Hier wird noch einmal deutlich, in welchem Maße es bei Kreditnehmern mit guter Bonität im IRB-Ansatz zu noch weitergehenden Entlastungen, für solche mit deutlich schlechterer umgekehrt aber auch zu einer Belastung gekommen ist (vgl. dazu die empirischen Ergebnisse mit Blick auf das Retail-Portfolio bei Paul/Stein/Kaltofen in diesem Band).

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Abbildung 15: Size Factor für den mittleren Mittelstand nach Basel II

Da im unteren Mittelstand für die dort gebildeten Retail-Portfolios außerdem keine Einzelratings, sondern vereinfachte Bewertungsverfahren Anwendung finden – somit der Aufwand der Banken in diesem Punkt tendenziell geringer ist – sind solche Institute im Vorteil, die ihren Geschäftsschwerpunkt in der Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen besitzen. Den entgegengesetzten Pol bilden die Unternehmen des gehobenen (i.S.v. dem Umsatz nach größeren) Mittelstandes ab einem Jahresumsatz von 50 Mio. EUR. Für sie besitzen die allgemeinen Risikogewichte – ermittelt mit Hilfe des Standard-, alternativ des IRBAnsatzes des Corporate-Segmentes – Gültigkeit. Führt man den Belastungsvergleich analog zu dem im unteren Mittelstand durch (also mit einer durchschnittlichen Ausfallwahrscheinlichkeit von 2%, unbesicherter Kredit), ergibt sich nur dann keine Veränderung gegenüber Basel I, wenn eine Bank ihre Kapitalanforderung nach dem Standardansatz bestimmt und das betreffende Unternehmen über kein externes Rating verfügt. Bei externen Bonitätsbewertungen schlechter als BB- trat dagegen eine Mehrbelastung ein – ebenso im IRB-Ansatz bei der gewählten PD von 2%. Zwischen die beiden Pole schiebt sich der mittlere Mittelstand, definiert durch eine Unternehmensgröße bis 50 Mio. EUR Jahresumsatz. In dieser Kategorie gilt der „size factor“, also eine zusätzliche Differenzierung der Risikogewichtungsfunktion in Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmensgröße. Die allgemeine Risikogewichtungsfunktion des Corporate-Segmentes wird dadurch mit der jeweiligen Unternehmensgröße verschoben, wobei der Entlastungseffekt nicht so stark ausfällt wie im unteren Mittelstand. Somit hängt eine eventuelle Be- oder Entlastung von der Ausfallwahrscheinlichkeit und der Unternehmensgröße ab. Im hier gewählten Beispiel ist ein leichter Anstieg der Eigen-

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kapitalanforderungen zu verzeichnen; ab einer PD unter 1,79% würde sich bei gleicher Umsatzklasse eine Absenkung ergeben. – Das mittlere Mittelstandssegment ist im Standardansatz nicht vorgesehen und wird dort wie der gehobene Mittelstand behandelt (siehe Abbildung 14). Die bisher angesprochenen Bonitätsgewichte verstehen sich im Übrigen vor Anrechnung von Sicherheiten, die zu einer weiteren Reduktion der Eigenkapitalanforderungen führen können. Der Umfang der anerkennungsfähigen Sicherheiten liegt über dem des Grundsatzes I auf der Basis von Basel I und steigt vom Standard- über den Basis- hin zum fortgeschrittenen Ansatz an (siehe Abbildung 16). In Letzterem besteht dann keine Beschränkung des Kreises der Sicherheiten mehr, soweit das Institut verlässliche Schätzungen zu deren Werthaltigkeit vorweisen kann. Abbildung 16: Anerkennung von Sicherheiten im System von Basel II Status quo

Standardansatz

IRB (Foundation)

IRB (Advanced)

Realsicherheiten

wie heute +

wie Standardansatz +

wie IRB (Foundation) +

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

alle anderen Arten von Sicherungsinstrumenten

Bareinlagen Wertpapiere von Staaten

Garantien von Unternehmen

Garantien von Staaten + Banken

Ungeratete Bankbonds Aktien

Andere Sachsicherheiten

Investmentfonds Kreditderivate

Wie groß die Bedeutung des LGD – und damit des Sicherheitenmanagements – in den Risikogewichtungsfunktionen von Basel II ist, zeigt die folgende Abbildung 17 für einen Ausschnitt aus dem Band möglicher PDs.

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Abbildung 17: Einfluss des LGD auf die Kapitalanforderungen im Retail-Segment nach Basel II

Der Baseler Ausschuss hat auch den in diesem Zusammenhang auftretenden Double-Default-Effekt berücksichtigt. Bevor nämlich das Kreditinstitut einen Verlust aus der abgesicherten Forderungsposition erleidet, müssen sowohl Kreditnehmer als auch der Sicherungsgeber ausfallen. Die gemeinsame Ausfallwahrscheinlichkeit (Joint Probability of Default) liegt jedoch deutlich unter den jeweiligen Ausfallwahrscheinlichkeiten. Bei besicherten Unternehmenskrediten wird die ansonsten übliche Risikogewichtungsfunktion daher entsprechend korrigiert. Lediglich im fortgeschrittenen Ansatz und dort (falls von einem nationalen Wahlrecht Gebrauch gemacht wird) auch nur für Kreditnehmer mit einer Bilanzsumme und einem Jahresumsatz ab 500 Mio. EUR schreibt Basel zwingend sog. Laufzeitzuschläge vor, die dem (vermuteten) Anstieg des Bonitätsrisikos mit zunehmender Laufzeit des Kredits Rechnung tragen sollen. Die Begrenzung dieser auf größere Unternehmen berücksichtigt nicht zuletzt die Bedenken der deutschen Seite, da hierzulande eine ausgeprägte Langfristkultur in der Unternehmensfinanzierung besteht. Die langfristige Bankenfinanzierung fungiert quasi als Eigenkapitalersatz: 2/3 der an Unternehmen und wirtschaftlich Selbstständige ausgereichten Mittel weisen eine vereinbarte Laufzeit von über 5 Jahren auf (vgl. ausführlich Paul/Stein/Horsch, 2002). – Bei Krediten an Unternehmen mit einem Jahresumsatz und einer Bilanzsumme unter 500 Mio. EUR ist also nicht die tatsächliche Duration zu berechnen, sondern von einer 2,5-jährigen Laufzeit auszugehen. Kreditinstitute, die den IRB-Ansatz nutzen, sollen in einem überschaubaren Zeitraum alle bedeutenden Forderungsklassen in diesen Ansatz überführt haben. Eine dauerhafte freie Wahl zwischen Standard- und IRB-Ansatz auf Ebene der Forderungsklassen würde nach Baseler Auffassung potenziell zum „Rosinenpicken“ verführen: Banken könnten versucht sein, jeweils das Verfahren zu wählen, mit dem sich die geringere Kapitalanfor-

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derung verbindet. Basel gestattet daher das zeitlich unbegrenzte Verbleiben im Standardansatz prinzipiell nur für Portfolios mit nicht materiellem Volumen und Risikogehalt. Als Bemessungsgrundlage für die temporäre partielle Nutzung des IRB-Ansatzes (partial use) sollen sowohl der EAD als auch die risikogewichteten Aktiva herangezogen werden. Abschließend sei erwähnt, dass der Baseler Ausschuss zwei „Floors“ eingezogen hatte. Demnach konnten die Eigenkapitalanforderungen für das nach dem IRB-Basisansatz ermittelte Kreditrisiko sowie das operationelle Risiko im ersten Jahr der Gültigkeit (2007) nicht unter 95% (von 8%), im zweiten (2008) nicht unter 90% und im dritten (2009) nicht unter 80% des Basel-I-Niveaus sinken. Im Falle der fortgeschrittenen Ansätze für das Kredit- und operationelle Risiko (die erst ab 2008 in Kraft traten) betrugen die Begrenzungen ebenfalls 90 bzw. 80%.

5 Finanzmarktkrise als Indikator für Regulierungsdefizite Eine Abfolge von Fundamental- und Vertrauenskrise kennzeichnet die drei großen „Wellen“ der Finanz- und nachfolgenden Wirtschaftskrise, die entlang der Abbildung 18 skizziert wird (vgl. zum Krisenverlauf und den daraus resultierenden Regulierungsimpulsen Calomiris (2008, 2009), Gorton (2008), Honegger/Neckel/Magnin (2010), Paul (2008–2013, 2012), Rudolph (2008, 2010a und b), Sinn (2009) und Tichy (2010). Abbildung 18: Die Finanz- und Wirtschaftskrise im Überblick Veränderungen im Umfeld (USA) > > > > > >

Kapitalimporte, Geldschwemme und Niedrigzinspolitik Politische Förderung Immobilienbesitz Steigende Immobilienpreise Globalisierung, Deregulierung und steigende Konkurrenzintensität Veränderung der Bankenintermediation Steigender Shareholder-Value-Druck

Krisenursachen > > > > >

Überproportionale Kreditvergabe Subprime zu Kampfkonditionen Ungeprüfte Übernahme Vermittlergeschäft Leichtfertiger und intransparenter Umgang mit Verbriefung zur Regulierungsarbitrage Defekte im Risikomanagement Übertriebene Fristentransformation

Krisenverstärker > > > > > >

Rating-Agenturen Bankenaufsicht Politik Zentralbank Wirtschaftsprüfer Medien

Krisenauslöser = Schock

Krisensymptome

> Marktstörungen

Finanzmarktkrise Krisenbekämpfung

> Liquiditätsspritzen > Kapitalmaßnahmen > Re-Regulierung

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Krisenwirkungen

> Wertberichtigungen > Abschreibungen

> Doppelte Preisüberraschung → Zinsen → Immobilien > Zusammenbruch Informationsund Vertrauenssystem

Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Im Januar 2001 und später dann beschleunigt nach den Terroranschlägen des 11. September leitete die US-Zentralbank (Federal Reserve Bank) eine Geldmengenausweitung ein, die die amerikanischen Leitzinsen von 6,5% auf ein historisch niedriges Niveau von knapp über 1% schleuste und dann dort bis weit in 2004 beließ. Die zunächst geringe Zinslast machte es vielen Beziehern niedriger Einkommen möglich, sich für den Kauf von Immobilien bei Kreditinstituten zu verschulden. Der Erwerb speziell von Wohneigentum durch soziale Minderheiten und Migranten, also im so genannten Subprime-Segment nicht erstklassiger Bonität, wurde politisch stark gefördert. Dazu dienten auch die staatlichen Kreditaufkauf- und -garantieagenturen Fannie Mae und Freddie Mac. Diese Subventionen verstärkten den deutlich höheren Anteil der Bevölkerung, der in Wohneigentum lebt (USA 73%, Deutschland 43%). Eine weitere Konsequenz aber war die Strukturverschiebung des hypothekarischen Finanzierungsgeschäfts hin zu schlechteren Bonitäten. Der vorher schon einsetzende Preisanstieg bei Immobilien wurde aber nicht nur dadurch beschleunigt. Hierzu trugen auch die nach dem Platzen der Internetblase am Aktienmarkt in diesem Segment angelegten Gelder, sowie die aus China und dem Nahen Osten „recycelten“ Ersparnisse („global savings glut“) bei. Die in manchen Regionen der USA geradezu explodierenden Preise für Grundstücke und Gebäude luden im Sinne eines sich zunächst selbst verstärkenden Kreislaufs sowohl Verbraucher als auch institutionelle Investoren zum weiteren Immobilienerwerb ein. Rückblickend lässt sich nachweisen, dass nicht nur die privaten Haushalte, sondern auch Banken angesichts im Wert kontinuierlich steigender Sicherheiten in ihrer Prüfung der Kreditnehmer (zu einem Stück wohl auch aus Renditesucht) immer sorgloser wurden und vor allem Zuführgeschäft von Kreditvermittlern, die im Stile von „Drückerkolonnen“ agierten, nahezu unkritisch akzeptierten. In diesem Zusammenhang wird von „ninja“Loans gesprochen (no income, no job or assets). Vor dem Hintergrund der Immobilienpreissteigerungen erklären sich auch die piggy backs (Huckepackkredite), bei denen eine immer weiter reichende Verschuldung in Form von Kreditkarten- oder Konsumfinanzierungen auf ein und dasselbe Objekt basiert wurden. Im Jahr 2003 etwa nahmen private Haushalte in den USA doppelt soviel Hypothekarkredite auf wie sie für den Erwerb von Wohneigentum verwendeten. Diese Geschäftsexpansion konnte von den Banken praktisch ohne Ausweitung ihres aufsichtsrechtlich relevanten Eigenkapitals dargestellt werden. Dies wurde möglich durch die erst in den letzten 10–15 Jahren voll entwickelte Finanztechnologie der Verbriefung. Dabei werden die von einer Bank an die privaten Haushalte herausgelegten Kredite an eine so genannte Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle) übertragen, die nur mit diesen Krediten besicherte Wertpapiere (Asset Backed Securities, ABS) bei Investoren platziert. Auf die Kredite von den Schuldnern geleistete Zins- und Tilgungszahlungen werden an die Investoren durchgereicht, bei Ausfällen greifen bis zu einer bestimmten Höhe

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Sicherungszusagen. In der Welt der Verbriefung besteht allerdings die Gefahr, dass die Bank weniger sorgfältig prüft, weil sie die von ihr vergebenen Kredite nicht behält, sondern an den Kapitalmarkt weiterreicht („originate and distribute“). Zur Mitte 2008 waren so bereits mehr als 60% aller Hypotheken in den USA verbrieft. Sowohl die Versicherungen bei der Formulierung ihrer Risikoprämien als auch die Rating-Agenturen bei ihrer Bewertung der Papiere haben aber offenbar ebenso wie die Banken eine entsprechend notwendige Prüfung der Kredite unterlassen – und auch die Wirtschaftsprüfer und die Bankenaufsicht hatten diesen Aspekt sowie den Blick auf das hohe Gesamtvolumen dieses Geschäftsfeldes im Bankensystem vernachlässigt. In den Zweckgesellschaften wurde eine massive Fristentransformation betrieben, d.h. die erworbenen, mittel- bis langfristigen Hypothekardarlehen wurden revolvierend durch kurzfristige Commercial Papers refinanziert. Dies schafft Mehrwert bei einer normalen Zinsstrukturkurve, bei der aufgrund der größeren Zukunftsunsicherheit langfristige Zinsen höher sind als kurzfristige, und einer normalen Marktverfassung, bei der immer wieder der Geldanschluss für die auslaufenden kurzfristigen Papiere gefunden werden kann. Kreditinstitute konnten mit diesen Konstruktionen die Eigenkapitalvorschriften umgehen, indem sie Risiken durch die Verbriefung von ihrer Bilanz entfernten und den Vehikeln dann Liquiditätsgarantien für den Fall der (vorübergehenden) Nichtplatzierbarkeit neuer CPs gaben. Diese hatten eine Laufzeit unter einem Jahr und wurden aufgrund einer Übergangsregelung bis Ende 2007 noch nach Basel I behandelt. In diesem Standard war keine Eigenkapitalunterlegung vorgesehen. Die auf diese Weise entstandenen Wertpapiere wurden an Banken, Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften auf der ganzen Welt verkauft, weil sie attraktive Renditen für die Finanzbranche boten, in der die durch die Globalisierung zunehmende Konkurrenzintensität die Renditeerzielung in den klassischen Bankgeschäftsfeldern erschwert, gleichzeitig aber den Shareholder-Value-Druck zur Renditeerzielung immer weiter erhöht hatte. Vielfach wurden die bereits verbrieften Papiere erneut, mitunter mehrfach „verpackt“ (CDO, Collateralized Debt Obligations). Auf diese Weise gelangten hypothekarisch besicherte Forderungen aus dem Subprime-Segment als Beimischung in die unterschiedlichsten, mitunter auch vermeintlich „sicheren“ Wertpapierkörbe (z.B. auch von Geldmarktfonds). Auch schlechter bewertete (z.B. BBB) Papiere wurden „veredelt“, indem die besten Kredite dieses Topfes herausgenommen und erneut in Wertpapiere gekleidet wurden („Aus Landwein wird Qualitätswein.“). Diese Vielfachverbriefungen führten nicht nur zu Intransparenz über die, sondern auch zu Verstärkungen der in den Emissionen enthaltenen Risiken. Bei einem grundsätzlich sinnvollen Instrument der Risikoteilung (nämlich der Verbriefung) wurde so durch die Übertreibungen der Praxis aus (beherrschbarer) Komplexität eine (unbeherrschbare) Undurchsichtigkeit.

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Konkreter Krisenauslöser war nun zunächst ein doppelter Preisschock. Ab 2004 stiegen zum einen die Leitzinsen bis Mitte 2007 von 1 auf 5,25% an. Zum anderen ging der Preisanstieg für Wohnungseigentum in dramatischer Weise zurück. Diese beiden Entwicklungen sind nicht unabhängig voneinander. Die steigenden Zinsen machten es nämlich vielen Schuldnern unmöglich, Zins und Tilgung zu leisten, so dass sie ihre Immobilie verkaufen oder schlichtweg verlassen mussten. Letzteres ist in den USA aufgrund der fehlenden Meldepflicht sowie des nicht gegebenen Durchgriffsrechts der Banken auf das laufende Einkommen und sonstige Vermögen des privaten Haushalts mit vergleichsweise geringen Konsequenzen für den Schuldner verbunden – bis auf die Tatsache des notwendigen Umzugs in Mietwohnungen oder sogar Zelte. Hintergrund ist dabei die in den USA verbreitete Variante der „2/28er Hypothek“. Feste, häufig stark subventionierte Zinszahlungen werden in diesen Konstruktionen im Gegensatz zu deutschen Hypothekenfinanzierungen mit langfristiger Festzinsbindung nur für die ersten zwei Jahre vereinbart, danach gelten variable Zinsen, was den Haushalten in Zeiten des Zinsanstiegs zum Verhängnis wurde. Zwar hatte die US-Notenbank inzwischen in rasantem Tempo ihren Leitzins heruntergeschleust, doch es stieg die Zahl der Haushalte, die ihre Verpflichtungen aufgrund von Arbeitslosigkeit nicht erfüllen konnten oder schlicht wegen zu niedriger Hauspreise nicht erfüllen wollten. Zentrales Defizit der Banken (vor allem in den USA) war aber nicht nur die mangelnde Bonitätsprüfung bzw. -prognose für Stressfälle. Völlig unterschätzt wurde von den Kreditinstituten und Kapitalsammelstellen weltweit das Liquiditätsrisiko. Die sich ab Frühjahr 2007 einstellenden Ausfälle bei den Subprime-Papieren führten zu einem bisher nicht dagewesenen Vertrauensverlust zunächst gegenüber diesen Papieren und den sie haltenden Finanzinstituten. Durch dieses „Headline-Risiko“ wurden die Wertpapiere praktisch kollektiv und ohne Einzelbetrachtung illiquide, d.h. praktisch unverkäuflich, gleichzeitig konnten die Banken aber auch nicht in gewohntem Maße auf die Refinanzierung untereinander zurückgreifen, da sie sich wegen des nicht bekannten Umfangs solcher Papiere in ihren Bilanzen gegenseitig nicht mehr vertrauten. Viele Banken besaßen zu wenig „Puffer“, um Verluste aufzufangen bzw. Liquiditätsdefizite temporär zu überbrücken. Der Grund liegt in der extremen Ausnutzung des sogenannten Leverage-(= Hebel-)Effekts, bei dem Geschäfte zur Maximierung der Rendite der Eigentümer mit möglichst wenig Eigenkapital unterlegt werden. Dieses ist zwar teurer als Fremdkapital, dient dafür aber als Ausgleich für Verluste und steht dauerhaft zur Verfügung. Sofern die von einer Bank oder Unternehmung unternommenen Investitionen zu Renditen oberhalb der Kapitalkosten führen, stellt sich eine positive Hebelwirkung ein. Sinken die Renditen der Investitionen – so bei massiven Abschreibungen auf Wertpapiere – wird die Eigenkapitalrendite aber ebenso schnell heruntergehebelt, denn die auf das relativ umfangreiche Fremdkapital anfallenden Zinsen sind unabhängig von der Gewinnentwicklung zu zahlen.

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Ein erster Kulminationspunkt der Krise wurde erreicht, als nach Schließung zweier Hedgefonds von Bear Stearns (Juni 2007) in Deutschland insbesondere die IKB, SachsenLB, BayernLB und WestLB mit massiven Staatshilfen gestützt werden mussten (Juli bis September 2007), es in Großbritannien mit Northern Rock sogar zu einer Verstaatlichung kam, nachdem besorgte Einlagenkunden die Bankschalter gestürmt hatten. Wurden die Probleme der US-Finanzinstitute zunächst primär durch im Zeitvergleich überproportionale Ausfallraten im Bereich der Subprime-Verbriefungen verursacht, zeigten sich kontinentaleuropäisch insbesondere Liquiditätsprobleme, da sich geplante Refinanzierungen aufgrund der Vertrauensstörungen zunächst auf den Wertpapier- und dann auch auf den Interbankenmärkten nicht mehr darstellen ließen. Wenn aber im Frühjahr 2008 der Eindruck entstand, die Finanzmarktkrise habe sich beruhigt, so hing dies vor allem mit den massiven Liquiditätsspritzen der Notenbanken zusammen, die weitere Marktverklemmungen zunächst verhinderten. Doch zum einen waren die Probleme der Subprime-Schuldner nach wie vor ungelöst, zum anderen hatten bereits Übersprungseffekte auf andere Finanzmärkte und dann auch die Realwirtschaft eingesetzt, der Vertrauensverlust hatte sich verselbstständigt. Offenbar war der Schock über die jahrelang intransparenten Probleme des Bankensektors so massiv, dass aus einer ursprünglich eng begrenzten Finanzsegment- eine globale Finanzsystem- und schließlich sogar Weltwirtschaftskrise resultierte. Insofern ist der Zusammenbruch des Vertrauenssystems der Krisenauslöser schlechthin. Es entstand ein Teufelskreis aus Forderungsabwertung, Zweifeln an der Bonität speziell von Banken, daraus resultierenden Liquiditätsproblemen und Versuchen der Risikoreduktion durch Einschränkungen der Kreditvergabe. Gerade Letzteres im Verbund mit den Belastungen der privaten Hypothekenschuldner führte in den USA zu deutlichen Rückgängen des Konsums, was sich zunächst in der Automobilindustrie, im weiteren Jahresverlauf auf nahezu allen Güter- und Dienstleistungsmärkten zeigte. Die rezessive volkswirtschaftliche Entwicklung machte wiederum neue Wertberichtigungen in weiteren Segmenten des Firmenkundengeschäfts (z.B. dem Bereich der Unternehmenskäufe und -verkäufe) erforderlich. Die US-Regierung versuchte diesen Prozess mit umfangreichen Bankenrettungspaketen und Konjunkturhilfen in Höhe von letztlich rund 2 Bio. USD zu stoppen. Um aber keine Hoffnungen auf unbegrenzte staatliche Rettungsaktionen („bail out“) zu wecken, ließ man dagegen kurz darauf die Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz abrutschen (15.09.2008). Trotz der nachfolgenden Rettungsaktion für den weltweit größten Versicherer AIG ging damit der verbliebene Rest an Vertrauen in die Stabilisierbarkeit des Finanzsystems verloren. Ende 2010 summierten sich die in Deutschland vom Bund und den Ländern gewährten Stabilisierungshilfen auf rd. 260 Mrd. EUR (ca. 22 Mrd. EUR davon bis Ende 2013 defi-

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

nitive Verluste). Nimmt man die EU 27, Großbritannien und die USA zusammen, dann wurden staatliche Rettungsmaßnahmen von über 3 Bio. EUR in Anspruch genommen, die den Banken eingeräumten Möglichkeiten der Rekapitalisierung, Risikoübernahme und Garantieziehung reichen noch weit darüber hinaus. Die Maßnahmen der Bankenrettung und Stimulierung der Konjunktur haben jedoch die Staatsverschuldung international an den Rand der Tragfähigkeit geführt, und speziell in Europa ist aus der Finanz- und Wirtschafts- eine Währungs- und Politikkrise geworden. Die im Vertrag von Maastricht gesetzten Grenzen wurden mehrfach deutlich überschritten, denn die öffentliche Verschuldung im gesamten Euro-Raum in Relation zum BIP nahm innerhalb von nur drei Jahren zwischen 2007 und 2010 um gut 18 Prozentpunkte zu. In den USA war die Verschuldung in diesem Zeitraum sogar um 30 Prozentpunkte angestiegen und hatte bei den Ratingagenturen Zweifel an der bisherigen erstklassigen Bonitätseinstufung geweckt. Während die Verschuldung in den G7-Ländern 2007 vor der Finanz- und Wirtschaftskrise durchschnittlich 83% des BIP betrug, wuchs sie bis Ende 2010 auf 110% an – mit weiter steigender Tendenz. Besonders dramatisch stellte sich die Haushaltslage in den sogenannten „PIIGS“-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) dar. Nachdem Griechenland im Mai 2010 bereits Hilfen über 11 Mrd. EUR von der Staatengemeinschaft gewährt worden waren, musste sich im November auch Irland mit beantragten 90 Mrd. EUR unter den Rettungsschirm begeben, den die EU-Staaten und der IWF im Frühsommer in Höhe von 750 Mrd. EUR aufgespannt hatten. Eine nachhaltige Beruhigung der Krise trat erst ein, als die Europäische Zentralbank den Kreditinstituten Ende Dezember 2011 und Ende Februar 2012 über eine Billion Euro an Liquidität bereitstellte. Seither kämpft der Finanzsektor indes mit den Folgen der Niedrigzinspolitik. Und angesichts der Zahl von 27 Mio. Arbeitslosen in Europa, einer Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland von über 50% sind die öffentlichen Forderungen nach einer deutlichen Verschärfung der Regulierung („Banken in die Schranken“) nur zu verständlich. Die hier stark vereinfacht dargestellte Krise konnte nur durch die Fehlhandlungen einer Vielzahl von Beteiligten entstehen. Konzentriert man sich auf den in diesem Buch relevanten Aspekt der Regulierung, so wurden Defizite insbesondere in der Erfassung und Beurteilung von Risiken deutlich: • Das gesamte Kreditgeschäft speziell der US-amerikanischen Banken wurde auf der Ebene der Einzelinstitute nur unzureichend überwacht, so dass die Ordnungsmäßigkeit über Jahre hinweg nicht gewährleistet war (fehlende Bonitätsprüfung, mangelnde, wenig werthaltige Sicherheitenstellung, unzureichende Dokumentation, Vereinbarung stark risikobehafteter Zinsmodalitäten usw.).

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Stephan Paul

• Die Risikogewichte für zahlreiche Kreditschuldner (insbesondere Staaten) erwiesen sich als deutlich zu niedrig. • Die im Verbriefungsbereich liegenden Risiken wurden unterschätzt – dies betrifft zum einen die Ebene der strukturierten Produkte, deren Rating-Einstufungen zu wenig hinterfragt wurden und deren Eigenkapitalanforderungen (wie generell für das Handelsbuch) deutlich zu niedrig lagen. Dies gilt aber zum anderen auch auf der Ebene der Zweckgesellschaften, die trotz ihrer mit der Fristentransformation verbundenen Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiken ein „Eigenleben“ neben den Baseler Vorschriften führen konnten. • Deutlich zu spät wurde eine konsolidierte Perspektive verfolgt, die zeigte, welche Volumina die Kreditwirtschaft als Sektor direkt oder indirekt (Kauf strukturierter Produkte) im Immobilienbereich investiert hatte und welches systemische Risiko hieraus erwuchs. Sowohl mit Blick auf Einzelinstituts- als auch auf Systemebene wurde Klumpen- bzw. Konzentrationsrisiken eine zu geringe Beachtung geschenkt, und „harte“ Stresstests, die auch zuvor noch nicht gesehene Marktpreisveränderungen simulierten, fehlten. • Nicht nur das Liquiditätsrisiko aufgrund fehlender Anschlussfinanzierungen für Wertpapierkonstruktionen, sondern auch die aus Störungen des Interbankenmarktes resultierenden Finanzierungsprobleme wurden vernachlässigt. • Das aus fehlerhaften Vergütungsstrukturen resultierende Managementrisiko der Banken wurde in den Normen nicht adressiert – ebenso wenig wie die mangelhafte Kontrolle durch die unzureichende Qualifikation der Aufsichtsgremien in den Kreditinstituten. Da viele Banken über einen zu gering bemessenen Risikoträger (Eigenmittel) verfügten, wirkten sich diese Risiken besonders dramatisch aus, aber bei diesen Risiken liegt die wesentliche Krisenursache. Und ebenso richtig sind Hinweise darauf, dass die Regulatoren nicht mit der gleichen Geschwindigkeit (die USA hatte die Baseler Regeln nur für einige wenige Institute eingeführt) und international nicht ausreichend vernetzt agierten sowie die bestehende Regulierung die Krise prozyklisch verstärkte (mit entsprechender Rückwirkung auf die Kreditvergabe). Aber noch einmal: Der Regulator war primär auf dem „Risikoauge“ blind.

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

6 Wesentliche Änderungen durch Basel III und dessen Umsetzung in Deutschland 6.1 Modifikation der risikoorientierten Eigenkapitalregeln Wie der vorangegangene Rückblick auf die Krise zeigte, verfügten viele Kreditinstitute angesichts in dramatischer Weise schlagend werdender Risiken über einen zu gering bemessenen Risikoträger bankaufsichtlichen Eigenkapitals. Teilweise waren die Verluste so hoch, dass ohne staatliche Kapitalzufuhr die Fortführung des Geschäftsbetriebs nicht möglich bzw. andernfalls die Systemstabilität gefährdet gewesen wäre. Überdies zeigte sich, dass bei den Banken bestimmte Kapitalbestandteile aufsichtlich zwar als Eigenkapital anerkannt waren, diese in der Krise aber nur eingeschränkt zum Verlustausgleich zur Verfügung standen. Diese Problematik wurde dadurch verstärkt, dass angesichts vorgeschriebener Mindesteigenkapitalquoten der vorhandene Risikoträger in der Krise gar nicht zur Pufferung der Risiken herangezogen werden konnte, weil ein Unterschreiten des aufsichtlich geforderten Mindestwerts zu Sanktionen oder sogar einem Entzug der Geschäftslizenz geführt hätte. Vor diesem Hintergrund ist deshalb ein wesentliches Ziel des Basel-III-Pakets, die Qualität, Konsistenz und Transparenz der als Risikoträger anerkannten Eigenmittel erheblich zu verbessern (zur folgenden Diskussion der wesentlichen Elemente der neuen Regulierung Deutsche Bundesbank, 2011 und 2013a, Paul/Stein 2013, a-c, Paul/Stein/Kaltofen, 2013, Höpfner, 2014). Dazu werden künftig die von einer Bank eingesetzten Finanzinstrumente anhand klar definierter Kriterien beurteilt (substance over form), die deren Haftungsqualität beschreiben und je nach Merkmalsausprägung einer von drei Kapitalklassen zuordnen:

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Stephan Paul

Abbildung 19: Neue kriterienbasierte Definition der Eigenmittelbestandteile nach CRR Kernkapital Kriterien

Hartes Kernkapital (CE-1-Kapital)

Zusätzliches Kernkapital (AT-1-Kapital)

 Going concern

Grundprinzip

Ergänzungskapital (Tier-2-Kapital)  Gone concern

Rang bei Insolvenz

 Letzter Rang

 Vorletzter Rang

 Vorrangig gegenüber Tier-1Kapital, nachrangig gegenüber allen anderen

Übernahme laufender Verluste

 Ja, ohne Einschränkung

 Ja, ohne Einschränkung

 Nein

Dauerhaftigkeit

 Unbefristet

 Im Grundsatz unbefristet; aber  Ursprungslaufzeit mindestens Möglichkeit zur Kündigung durch 5 Jahre; kein Recht des den Emittenten nach frühestens 5 Gläubigers, vorzeitige Jahren Rückzahlung zu verlangen  Bail-in-Klausel

Erfolgsanspruch  Residual, abhängig vom Unternehmenserfolg

 Residual, abhängig vom Unternehmenserfolg

 Residual und/oder fest; bonitätsabhängiger Anpassungsmechanismus unzulässig

Wie Abbildung 19 mit Blick auf die wichtigsten der 13 in Art. 25-72 CRR genannten Kriterien zeigt, zeichnet sich hierbei das sog. „harte“ Kernkapital (Core-Equity-1-Kapital) durch die höchste Haftungsqualität aus. Seine Charakteristika sind der Nachrang gegenüber allen anderen Ansprüchen im Liquidationsfall, die fehlende Laufzeitbegrenzung, die „tiefste“ Verlustabsorption sowie die volle Flexibilität bezüglich Dividenden- bzw. Zinszahlungen. Diese Merkmale treffen idealtypisch auf das Grund- und Stammkapital bei Aktiengesellschaften bzw. GmbHs zu. Für Kreditinstitute in anderen Rechtsformen sind deren typische Eigenkapitalinstrumente in Bezug auf das gezeichnete Kapital als hartes Kernkapital weiter anerkennungsfähig. Darüber hinaus werden andere Finanzinstrumente als „zusätzliches Kernkapital“ (Additional-Tier-1-Kapital) zugelassen, sofern sie ebenfalls strengen Kriterien genügen. Finanzinstrumente in dieser Kategorie müssen der Verlustabsorption dienen, nachrangig sein zumindest gegenüber Einlegern und weiteren Gläubigern, können aber unter bestimmten Voraussetzungen durch den Emittenten kündbar sein. Auch müssen die Instrumente dieser Kapitalkategorie die Möglichkeit enthalten, spätestens dann in hartes Kernkapital gewandelt oder abgeschrieben zu werden, wenn die Quote des harten Kernkapitals im Verhältnis zu den Risikoaktiva einen Schwellenwert von gut 5% unterschreitet (Bail-in, z.B. durch Contingent Convertibles, CoCos, vgl. Rudolph, 2013). – Das harte und das zusätzliche Kernkapital, also die von den Eigentümern aufgebrachten Mittel, sollen im going concern ausreichen, die laufenden Verluste zu tragen. Eine Anerkennung als Ergänzungskapital (Tier-2-Kapital) ist dagegen auch bei fehlender Übernahme laufender Verluste und bei Begrenzung der Ursprungslaufzeit möglich (wie etwa bei längerfristigen nachrangigen Verbindlichkeiten oder Genussrechten). Hier bleibt unter Haftungsaspekten die Nachrangigkeit der Ansprüche im Fall der Insolvenz

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

(gone concern) gegenüber den bevorrechtigten Gläubigern. – Die vormaligen Drittrangmittel für Handelsbuchinstitute entfallen vollständig. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist schließlich, dass bestimmte Bilanzpositionen die Eigenmittel sehr viel stärker als bisher vermindern. Wie Abbildung 20 zeigt, sind z.B. der Goodwill und andere immaterielle Vermögensgegenstände, aber auch aktive latente Steuern und Wertberichtigungsfehlbeträge künftig vom harten Kernkapital abzuziehen. Abbildung 20: Abzugsbeträge von den Eigenmitteln Position

Vormalige Behandlung im KWG

Behandlung gemäß CRR

Immaterielle Vermögensgegenstände

Abzug vom Kernkapital

Abzug vom harten Kernkapital

Goodwill

Abzug vom Kernkapital bei Abzug vom harten Kernkapital IFRS-Banken, aktivischer Unterschiedsbetrag bei HGB-Banken

Nicht konsolidierte Beteiligungen innerhalb des Finanzsektors

Hälftiger Abzug vom Kern- und Abzug von der gleichen Ergänzungskapital, soweit bestimmte Kapitalklasse, in die investiert Schwellen überschritten werden wurde, soweit bestimmte Schwellen überschritten werden 1)

Aktive latente Steuern

Kein Abzug/keine Begrenzung

Grundsätzlich vollständiger Abzug vom harten Kernkapital 1)

Verluste des laufenden Geschäftsjahres

Möglichkeit der Festsetzung eines Korrekturpostens auf das haftende Eigenkapital

Abzug vom harten Kernkapital

Wertberichtigungsfehlbetrag Hälftiger Abzug vom Kern- und bei IRBA-Banken Ergänzungskapital

Abzug vom harten Kernkapital

Überschüsse aus leistungsorientierten Pensionsplänen

Abzug vom harten Kernkapital

Kein Abzug

1 Signifikante Beteiligungen in Form von Bestandteilen des harten Kernkapitals sowie bestimmte aktive latente Steuern aus Bewertungsunterschieden zwischen Handels- und Steuerbilanz sind bis zu jeweils 10 % des harten Kernkapitals, insgesamt jedoch nur bis zu 15 % des harten Kernkapitals, vom Abzug freigestellt. Auf die nicht abgezogenen Beträge findet ein Risikogewicht von 250 % Anwendung.

Quelle: Deutsche Bundesbank (2013), S. 60.

In Abbildung 21 sind noch einmal zusammenfassend die alte und die neue Struktur der Eigenmittel gegenübergestellt. Von den daraus folgenden Veränderungen sind die Gruppen des deutschen Kreditgewerbes in unterschiedlicher Weise betroffen. Die Landesbanken, die einen erheblichen Anteil stiller Einlagen unterhielten, müssen diese durch eine Änderung der Vertragsbedingungen „härten“ (also den angesprochenen Kriterien anpassen), um sie wenigstens zum zusätzlichen Eigenkapital zählen zu können. Für Genossenschaftsbanken entfiel der Haftsummenzuschlag. Darüber hinaus sind sie ebenfalls wie die Sparkassen die Hauptbetroffenen der Nichtanerkennung stiller Vorsorgereserven nach § 340f HGB. Beide Institutsgruppen haben daher in den Jahren 2011 und 2012 hohe Beträge aus dieser Kategorie gewinnerhöhend aufgelöst und dem Fonds für allgemeine Bankrisiken zugeführt. Gerade für die konzernartig organisierten (Groß-)Banken sind die Vorschriften zu den Abzugspositionen besonders einschlägig.

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Ergänzungskapital 2. Klasse

Abzugspositionen vom Kern- und Ergänzungskapital

> Kurzfristige nachrangige Verbindlichkeiten > „Gekapptes“ Ergänzungskapital

> Langfristige nachrangige Verbindlichkeiten > Haftsummenzuschlag

Drittrangmittel

> Genussrechtskapital > Vorsorgereserven gem. § 340f HGB

Ergänzungskapital 1. Klasse

Kernkapital

> Geschäftsanteile > Fonds für allg. Bankrisiken gem. § 340g HGB > Freiwillige und gesetzliche Rücklagen > Einbehaltener Bilanzgewinn > Stille Einlagen

> Bestimmte Beteiligungen > Wertberichtigungsfehlbetrag

> Goodwill > Latente Steuern

> Langfristige nachrangige > Verbindlichkeiten Genussrechtskapital

> Stille Einlagen

> Geschäftsanteile > Fonds für allg. Bankrisiken > Freiwillige und gesetzliche Rücklagen > Einbehaltener Bilanzgewinn

Abzugspositionen vom > Beteiligungsrechte von Hypotheken harten Kernkapital z.B.

Ergänzungskapital

Zusätzliches Kernkapital

Hartes Kernkapital

Stephan Paul

Abbildung 21: Neue Struktur des Eigenkapitals nach CRR

Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Kernstück des neuen Standards ist die Erhöhung und „Härtung“ des von den Kreditinstituten mindestens nachzuweisenden regulatorischen Eigenkapitals. So wird die von den Banken als Untergrenze geforderte Quote des Kernkapitals (Tier 1) von bisher 4 auf 6% der risikogewichteten Aktiva angehoben. Der darin vorzuhaltende Anteil des „harten“ Kernkapitals soll stufenweise von 2 auf letztlich 4,5% ansteigen (1,5% sind dann noch zusätzliches Kernkapital). Die bislang gültige Mindest-Eigenkapitalquote von 8% bleibt unangetastet, allerdings ändert sich ihre Zusammensetzung. Während Kern- und Ergänzungskapital derzeit je 4 Prozentpunkte ausmachen, bleiben aufgrund der erhöhten Kernkapitalanforderung künftig nur noch 2 Prozentpunkte für das Ergänzungskapital (Tier 2). Abbildung 22: Vervielfachung der Unterlegung von Risikopositionen mit hartem Kernkapital

19,5% 1 – 3%?

Besondere Zuschläge für Systemrisiken

0 – 3,5%

Zuschlag Systemrelevanz (G-SRI/A-SRI)

0 – 2,5%

Antizyklischer Puffer

16,5%

13,0%

Tier 2

4,0%

Tier 1

10,5%

2,0%

2,5%

Kapitalerhaltungspuffer

2,0%

Ergänzungskapital

1,5%

Zusätzliches Kernkapital

4,5%

Hartes Kernkapital

2,0%

2013

Spätestens 2019

Darüber hinaus müssen Banken zwei Pufferkomponenten aus hartem Kernkapital aufbauen. Erstens einen sogenannten Kapitalerhaltungspuffer in Höhe von 2,5%. Mit ihm soll künftig „Luft geschaffen“ werden, der Kernfunktion des Eigenkapitals gemäß Verluste gegen diesen Betrag zu buchen, ohne sofort unter die aufsichtlich festgelegte Eigenmittelgrenze für den Geschäftsbetrieb zu rutschen. Zweitens soll die Entwicklung des Eigenmittelbestandes und der damit verknüpften Kreditvergabekapazität einer Bank stärker von konjunkturellen Wechsellagen entkoppelt werden. Speziell bei Anwendung eines auf internen Ratings basierten Verfahrens der Ableitung von Eigenmittelanforderungen steigen diese tendenziell im Abschwung und sinken im Aufschwung. Ein kurzfristig unveränderbares Eigenkapital unterstellt, werden die Finanzierungsspielräume aber gerade dann beschnitten (ausgeweitet), wenn dies volkswirtschaftlich am wenigsten wünschenswert ist, da ein downturn (boom) noch weiter verstärkt wird. Durch den antizyklischen Kapitalpuffer, den die nationalen Aufsichtsbehörden in einer Bandbreite

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Stephan Paul

zwischen (in der Regel) 0 und 2,5% festlegen und je nach konjunktureller Lage variieren können, soll die Volatilität der Eigenmittel abgedämpft werden. Die Pufferquote hängt von der Belegenheit der Forderungen ab, d.h. deutsche Banken haben für inländische Forderungen die von der BaFin für hiesige Kreditinstitute festgelegte Quote zu beachten. Für Pufferquoten bis 2,5% gilt das Prinzip der Reziprozität, so dass der in anderen Mitgliedsstaaten festgelegte Wert bei ausländischen Forderungen zu übernehmen ist. Bei über 2,5% hinausgehenden Pufferquoten hängt die Anwendungspflicht von der Anerkennung durch die BaFin ab. Unmittelbar einleuchtend mit Blick auf den antizyklischen Kapitalpuffer, aber auch beim Kapitalerhaltungspuffer sowie durch im Folgenden zu behandelnde, weitere Aufschläge zeichnet sich ab, dass die Eigenmittelanforderungen künftig international wesentlich stärker divergieren können als in der Basel-II-Welt. Dies wird ausgelöst durch das in CRR und CRD einbaute „Flexibilitätspaket“. Es räumt den EU-Mitgliedsstaaten zum einen die Möglichkeit ein, verschiedene bankaufsichtliche Anforderungen zu verschärfen – neben den hier schwerpunktmäßig angesprochenen Eigenkapital- z.B. auch Großkredit- oder Offenlegungsanforderungen. So kann auch der Kapitalerhaltungspuffer nach Art. 458 CRR auf nationaler Ebene erhöht werden. Falls ein Mitgliedsstaat eine solche Maßnahme ergreifen möchte, muss er dies gegenüber dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission, dem Rat, dem ESRB (European Systemic Risk Board) und der EBA anzeigen und begründen. Selbst wenn der Rat einen solchen Antrag ablehnen sollte, kann der Staat die Risikogewichte bei Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie für Forderungen innerhalb des Finanzsektors um bis zu 25 Prozentpunkte erhöhen und auch die Großkreditvorschriften restriktiver gestalten. Bestehen systemische Risiken, die sämtliche Mitgliedsstaaten betreffen, hat die EU-Kommission die Möglichkeit, aufsichtliche Anforderungen für die Dauer eines Jahres zu verschärfen (Art. 459 CRR). Zum anderen besteht die Möglichkeit, verschiedene Aufschläge für systemische Risiken flexibel einzusetzen. Wie zuvor dargestellt, löste der Zusammenbruch bzw. die Schieflage einer Reihe von großen globalen Finanzinstituten nicht nur heftige Schockwellen im Finanzsektor aus, sondern beeinträchtigte auch die Realwirtschaften rund um den Globus. Die (im Nachhinein vielfach auch fälschlichen) Annahmen über die Qualität einzelner Häuser führten zur Angst unter Banken, Liquidität einem möglicherweise kurz vor der Insolvenz stehenden Institut über den Interbankenmarkt zur Verfügung zu stellen. Dies ließ diesen Markt mangels gegenseitigen Vertrauens phasenweise austrocknen und führte zu Ansteckungs- und Welleneffekten (Dominoeffekt), die über den Finanzsektor hinaus in Folge ganze Volkswirtschaften in Mitleidenschaft zogen. Als Lender of last Resort mussten viele Regierungen (darunter auch die deutsche) sowie die Zentralbanken mit der Bereitstellung von großvolumigen Liquiditätstendern, Garantien und Notprogrammen agieren. In einigen Staaten war deshalb die Schuldentragfähigkeit nicht mehr gegeben, die Staaten selbst gerieten an den Rand der Insolvenz.

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Die praktizierte Too-big-to-fail-Politik entband Bankmanager von der Notwendigkeit einer sorgfältigen Risikopolitik, setzte sogar im Gegenteil Moral-Hazard-Anreize zu besonders riskanter Geschäftspolitik im Sinne einer „Privatization of Return, Socialization of Risk“ – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Steuerzahler. Diese Fehlentwicklungen haben die G-20-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Cannes im Herbst 2011 veranlasst, zusätzliche Maßnahmen im Umgang mit systemrelevanten Finanzinstituten zu ergreifen. Das Basel-III-Paket enthält deshalb eine besondere Regulierung für zwei Kategorien systemrelevanter Banken („G-SRIs“, global systemrelevante Institute sowie „A-SRIs“, anderweitig systemrelevante Institute), um die Wahrscheinlichkeit und die Schwere der Probleme zu verringern, die aus einer Schieflage solcher Institute resultieren. Systemrelevante Banken werden mit einer über die bereits dargestellten neuen Eigenkapitalanforderungen hinausreichenden Auflage belegt. Zur Identifizierung der für das Weltfinanzsystem relevanten Banken (G-SRIs) wurde ein indikatorbasierter Messansatz entwickelt, der die Systemgefahr bewertet. Die Kriterien für die Identifizierung als GSRI bestehen zu je einem Fünftel aus den Kategorien Grenzüberschreitende Aktivitäten, Größe, Verflechtung, Ersetzbarkeit/Finanzinstitutsinfrastruktur und Komplexität, die sich wiederum aus verschiedenen Einzelindikatoren zusammensetzen. Auf diese Weise wurden besonders große und international vernetzte Banken als systemrelevant identifiziert, die – je nach zugeteilter Relevanz-Gruppe – zusätzlich 1 bis 2,5 Prozentpunkte mehr hartes Kernkapital vorhalten müssen. Eine fünfte Klasse mit einem Aufschlag von 3,5% bleibt zunächst unbesetzt. Sie soll Banken abhalten, eine noch größere Systemrelevanz anzustreben. In Ausnahmefällen sind Anpassungen aufgrund von Ermessensentscheidungen durch die Bankenaufsicht zulässig. Das Ranking und die Stichproben sollen jährlich, die Methodik alle drei Jahre aktualisiert werden. – Hierzulande wurde in der letzten Kategorisierung des Baseler Ausschusses im November 2014 nur die Deutsche Bank als global systemrelevante Bank eigestuft (Puffer 2%). Zusätzlich kann ein Kapitalpuffer für anderweitig, also inländisch systemrelevante Banken (A-SRIs) von bis zu 2% verlangt werden, da diese – auch wenn sie aus internationaler Sicht nicht als global systemrelevant eingeschätzt werden – auf nationaler Ebene systemrelevant sein und somit ebenfalls negative systemische Effekte hervorrufen können. Aus diesem Grund besteht für die einzelnen Länder die Möglichkeit, nationale Rahmenwerke für A-SRIs zur Identifikation und Bewertung inländisch systemrelevanter Banken einzurichten und Anforderungen an die Ausstattung mit zusätzlichem Haftungskapital zu definieren. Ende 2014 hat die European Banking Authority hierzu Guidelines vorgestellt (EBA, 2014b). Presseberichten zufolge stuft die deutsche Bankenaufsicht gut 30 inländische Kreditinstitute als national systemrelevant ein. Über diese, einzelne Institute betreffende Aufschläge hinaus können Staaten auch einen nationalen Kapitalpuffer für systemische Risiken einfordern, um weitere langfristige nicht

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Stephan Paul

zyklische systemische oder makroprudenzielle Risiken abzuwenden, für die die übrigen Kapitalpuffer noch zu wenig Schutz bieten. Er beträgt mindestens 1% und ist insofern flexibel einsetzbar, als er sowohl für alle als auch selektiv bestimmte Arten oder Gruppen von Instituten und für Forderungen im Inland, in anderen Mitgliedsstaaten oder in Drittstaaten – auch in unterschiedlicher Höhe – festgelegt werden kann. Bis zu einer Pufferhöhe von 3% muss die Anordnung der EU-Kommission, der EBA, dem ESRB und den betroffenen ausländischen Behörden lediglich angezeigt werden, bei darüber hinausgehenden Pufferquoten sind komplexe Abstimmungsverfahren notwendig. Sämtliche Kapitalpuffer sind mit hartem Kernkapital zu bilden. Die Aufschläge für GSRI und A-SRI sind grundsätzlich nicht additiv ausgelegt, d.h. nur der höhere Puffer ist anwendbar. Führt der Sitzlandstaat zusätzlich einen nationalen Kapitalpuffer für systemische Risiken ein, so ist ebenfalls nur der höhere der Puffer anwendbar, es sei denn, der Kapitalpuffer gilt nur für Forderungen in diesem Mitgliedsstaat. In diesem Fall erhöht die Kapitalanforderung des Landes den G-SRI- bzw. A-SRI-Puffer noch weiter. Ein Unterschreiten der kombinierten Pufferanforderungen führt zu Einschränkungen bzw. zum Verbot von Gewinnausschüttungen. Außerdem muss BaFin und Bundesbank innerhalb von fünf Arbeitstagen ein Kapitalerhaltungsplan vorgelegt werden. – Abbildung 23 stellt die unterschiedlichen Kapitalpuffer noch einmal zusammen. Es wird deutlich, dass die Höhe der Eigenmittelanforderungen künftig im Zeitverlauf, von Land zu Land und auch innerhalb eines Landes in Abhängigkeit von Größe, Geschäftsschwerpunkt usw. einer Bank erheblich differieren kann. In Abbildung 22 wurde angenommen, der antizyklische Puffer würde bis zur Regelgrenze von 2,5% voll ausgeschöpft, es handle sich um ein global systemrelevantes Institut der höchsten Kategorie, und der Staat habe auch abstimmungsfreie weitere Kapitalanforderungen von 3% erlassen. Dann betragen die (strukturell gehärteten) Eigenmittelanforderungen fast 20 gegenüber zuvor 8% der Risikoaktiva! Speziell für kleinere Häuser dürfte es aber in konjunkturellen Normalzeiten auch bei 10,5% bleiben – die Spreizung wird also deutlicher. Speziell mit Fokus auf global systemrelevante Banken hat der Finanzstabilitätsrat im November 2014 einen einflussreichen Vorschlag veröffentlicht, der die Haftkapitalbasis im Abwicklungsfall noch über das nach Basel III erforderliche Eigenkapital hinaus stärken soll (Financial Stability Board, 2014a, Wallenborn/Brisbois, 2014). Das FSB schlägt eine Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC) von mind. 16–20% der RWAs sowie dem Doppelten der unten angesprochenen, risikounabhängigen Leverage Ratio vor, die sich aus den Minimum-Basel-III-Mitteln sowie der Gone-Concern Loss-Absorbing Capacity (GLAC) zusammensetzt. Die GLAC kann aus bail-in-fähigem Fremdkapital sowie die Mindestquote von 8% überschreitendem Eigenkapital gebildet werden. Die Kapitalpuffer aus hartem Kernkapital, die mit Basel III eingeführt wurden, sind zusätzlich zu erfüllen, so dass die Eigenmittelunterlegung dann schon mehr als 25% betragen kann. Da die für TLAC anrechenbaren Kapitalinstrumente – etwa Contingent Convertibles (Rudolph, 2013) – im Abwicklungs- bzw. Restrukturierungsfall unmittelbar, also schnell,

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Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

ohne rechtliche oder praktische Schwierigkeiten („über ein Krisen-Wochenende“) und insbesondere ohne Hilfen des Steuerzahlers umgewandelt oder abgeschrieben werden sollen, müssen sie bestimmten Qualitätskriterien genügen. Dazu gehören z.B. die Laufzeit und Nachrangigkeit, Nichtbanken als Investoren usw. (zum neuen Abwicklungsregime auf EU-Ebene und die dort formulierte Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities, MREL, vgl. Deutsche Bundesbank, 2014b). Abbildung 23: Kapitalpuffer nach CRD IV (KWG) Kombinierte Kapitalpuffer-Anforderung Kapitalerhaltungspuffer (Art. 129 / § 10c))

2,5% 1) 2)

Antizyklischer Kapitalpuffer (Art. 130 und 135 bis 140 / § 10d))

Systemrisikopuffer (Art. 133 und 134 / § 10e))

0% bis 2,5% 1) 3)

mind. 1% 4)

Kapitalpuffer für systemrelevante Institute (Art. 131 und 132) global systemrelevante Institute (G-SRI) (§ 10f))

anderweitig systemrelevante Institute (A-SRI) (§ 10 g)

1% bis 3,5% 1)

max. 2% 1)

Falls ein Institut mehreren dieser Puffer unterliegt, gilt grundsätzlich nur der höchste dieser Puffer. Gilt der Systemrisikopuffer jedoch nur für Risikopositionen, die in dem Mitgliedstaat belegen sind, der den Puffer festlegt, so ist die Anforderung additiv zu einem ggf. anwendbaren Kapitalpuffer für G-SRI oder A-SRI. 5) 1 In % des Gesamtforderungsbetrages 2 Kann gem. Art. 458 CRR auf nationaler Ebene ggf. erhöht werden. 3 Kann auch höher sein; grenzüberschreitende Reziprozität grundsätzlich verpflichtend bis 2,5% Pufferquote. 4 In % der risikogewichteten Positionswerte solcher Risikopositionen, auf die der Systemrisikopuffer angeordnet wird. Je nach Höhe und Belegenheit der Risikopositionen, für die der Puffer gilt, sind unterschiedliche Prozedere bzgl. der Anordnung vorgesehen. 5 Ist ein A-SRI Tochterunternehmen entweder eines G-SRI oder eines A-SRI mit Sitz im Ausland, das einem Kapitalpuffer für A-SRI auf konsolidierter Ebene unterliegt, so darf der Kapitalpuffer für A-SRI auf konsolidierter Ebene für dieses Tochterunternehmen maximal 1% betragen.

Quelle: Deutsche Bundesbank (2013a), S. 69.

Abbildung 24 zeigt, dass die Banken die neuen Anforderungen nicht „auf einen Schlag“ erfüllen müssen, sondern sich in einem stufenweisen Anpassungsprozess der neuen Eigenmittelstruktur bis spätestens 01.01.2019 nähern können – auch wenn die systemrelevanten Banken in Europa schon seit Mitte 2012 9% hartes Kernkapital vorhalten müssen und alle Kreditinstitute aus Reputationsgründen versuchen, die Zielmarke früher zu erfüllen. Der Aufbau von hartem Kernkapital im „Eigenmittelsockel“ musste spätestens zum 01.01.2014 beginnen. Ab 2016 sind sukzessive der Kapitalerhaltungs- und (je nach Ausführungsvorschrift) auch der antizyklische Kapitalpuffer aufzubauen. Gleichzeitig nimmt die Anrechenbarkeit derjenigen Kapitalbestandteile ab, die künftig nicht mehr zu den Eigenmitteln gerechnet werden dürfen. So müssen z.B. im Jahre 2016 60% einer abzugspflichtigen Position von den Eigenmitteln abgesetzt werden. Für Kapitalemissionen, die vor dem 31.12.2011 begeben wurden, wird ein Bestandsschutz gewährt, der ein ratierliches Abschmelzen der Anrechenbarkeit des zum 31.12.2012 bestehenden Gesamtvolumens bis zum 31.12.2021 vorsieht.

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Quelle: Deutsche Bundesbank (2013a), S. 62.

0%

2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

16%

2013

2,0%

2,0%

4,0%

Ansteigende Kapitalquoten

2014

4,0%

1,5%

2,5%

2015

4,5%

1,5%

2,0%

2016

4,5%

1,5%

2,0%

0,625% 0,625%

2017

4,5%

1,5%

2,0%

1,25%

1,25%

2018

4,5%

1,5%

2,0%

1,875%

1,875%

2019

4,5%

1,5%

2,0%

2,5%

2,5%

in % des Gesamtforderungsbetrages

Hartes Kernkapital

Zusätzliches Kernkapital

Ergänzungskapital

Kapitalerhaltungspuffer

Antizyklischer Kapitalpuffer

0%

20%

40%

60%

80%

100%

100%

80%

60%

40%

20%

0%

2012

100%

2012

20%

2014

40%

2015

60%

2016

80%

2017

2013

2014

80%

2015

70%

2016

60%

2017

50%

Abschmelzender Bestandsschutz für Eigenkapitalbestandteile

2013

2018

40%

100%

2018

Hineinwachsen in die neuen Abzugsregelungen

2019

30%

100%

2019

Stephan Paul

Abbildung 24: Übergangsvorschriften für Kapitalquoten und Kapitalpuffer, Abzugspositionen sowie Eigenmittelbestandteile

Aus hartem Kernkapital

Umbruch der Bankenregulierung: Entwicklung und Umsetzung des Baseler Regelwerks im Überblick

Nur am Rande sei erwähnt, dass in der CRR auch eine neue Kapitalanforderung zur Abdeckung von Marktwertverlusten (Credit Valuation Adjustments, CVA) aufgrund der Bonitätsverschlechterung von Kontrahenten im Rahmen des Derivate-Geschäfts – insbesondere bei denjenigen, die nicht über zentrale Clearing-Stellen abgewickelt werden – verankert wurde. Adressiert wird damit das Risiko, dass sich der positive Wiederbeschaffungswert mindert, weil die Kreditrisikoprämie einer Gegenpartei ansteigt, ohne dass diese notwendigerweise ausfällt. Aus deutscher Sicht ist besonders hervorzuheben, dass sich auch im Basel-III-Paket eine Privilegierung der Kredite an kleine und mittelgroße Unternehmen findet. In den Verhandlungen zwischen EU-Parlament, -Kommission und -Rat wurde ein Kompromiss dahingehend erzielt, KMU-Kredite bis zu einer Volumengrenze von sogar 1,5 statt bisher 1 Mio. EUR günstiger zu stellen und die entsprechenden (mit der Eigenkapitalanforderung zu multiplizierenden) Risikogewichte im Standard- bzw. Rating-basierten Ansatz abzusenken. Durch Multiplikation mit dem Faktor 0,7619 („Karas-Faktor“, benannt nach dem Berichterstatter im EU-Parlament) soll der Anstieg bei der Eigenkapitalunterlegung von Basel II 8% auf neu 10,5% (einschließlich Kapitalerhaltungspuffer von 2,5%, aber ohne antizyklischen und Systempuffer) genau ausgeglichen werden (8%/10,5%). Die Begünstigung gilt für Unternehmen mit einem Umsatz bis 50 Mio. EUR. Hervorzuheben ist, dass künftig unabhängig von der Zuordnung in die Schublade Mengengeschäft (Retail) der begünstigende Faktor 0,7619 anzuwenden ist. Die neue Mittelstandskomponente liegt sozusagen „quer“ zu den beschriebenen Schubladen für die Zuordnung der Kreditgeschäfte. Wird die Kreditvolumens- und Umsatzgrenze nicht überschritten, kann die Begünstigung für Unternehmenskredite in den Klassen „Mengengeschäft“ und neu auch „Unternehmen“ sowie „durch Hypotheken auf Immobilien besicherte Forderungen“ in Anspruch genommen werden. Die folgende Abbildung 25 verdeutlicht die Struktur der vom Kreditvolumen abhängigen Eigenmittelunterlegung, Abbildung 26 zeigt die Auswirkungen auf die Eigenkapitalkosten, wobei unterschiedliche Renditeforderungen der Eigenkapitalgeber angenommen werden.

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Abbildung 25: Privilegierung der Eigenmittelunterlegung von Krediten an kleine und mittelgroße Unternehmen Unternehmensumsatz in Mio. EUR

4

„Unternehmen“ Keine Vergünstigungen

50

2

1 „Mengengeschäft“

„Unternehmen“ Vergünstigungen wie 3, aber zusätzlich

Vergünstigungen  KSA: Risikogewicht pauschal nur 75%  IRBA: Sehr günstige Berechnungsformel für Ermittlung des Risikogewichts  Neuer Entlastungsfaktor

 Neuer Entlastungsfaktor

1,0

3

„Unternehmen“ Vergünstigungen

 KSA: keine  IRBA: Berechnungsformel enthält Umsatzgröße

1,5

Kreditvolumen insgesamt bei einer Bank in Mio. EUR

Abbildung 26: Eigenkapitalkosten für einen Retail-Kredit im KSA mit „Karas-Faktor“ Basel II (reg. EK = 8 %) Kreditbetrag EK-Unterlegung Gewichtung: 8 % Risikogewicht 75 % (Mittelstandskomponente alt)

100.000 EUR

8.000 EUR

6.000 EUR

EK-Renditeanspruch der Bank p.a. 12%

Kreditbetrag EK-Unterlegung Gewichtung:

100.000 EUR

10.500 EUR

13.000 EUR

Risikogewicht 75 % x 0,7619 (Mittelstandskomponente neu) 6.000 EUR

7.429 EUR

EK-Renditeanspruch der Bank p.a. 12% (14%)

EK-Kosten

EK-Kosten 720 EUR

Quelle: Modifiziert nach Gschrey (2013)

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13 %

Basel III – reg. EK = 10,5 %

720 EUR

891 EUR

(840 EUR)

(1.040 EUR)

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Vorausgegangen war dieser Änderung eine zum Teil heftig geführte Diskussion. So hat sich z.B. die Deutsche Bundesbank gemeinsam mit dem Zentralen Kreditausschuss, der bankgruppenübergreifenden Interessenvertretung der deutschen Kreditwirtschaft, auf die Seite der Verfechter einer noch weiter gehenden Vergünstigung geschlagen. Gestützt auf eine Studie für Deutschland hält die Bundesbank eine Verringerung der Risikogewichte für Forderungen an KMU sogar um 24 Prozentpunkte gegenüber dem heutigen Basel-II-Niveau für gerechtfertigt (Düllmann/Koziol, 2013). Eine dezidiert andere Meinung hat hingegen die Europäische Bankaufsichtsbehörde EBA (2013) vertreten. Sie sieht das „Risiko einer Gefährdung der finanziellen Stabilität“, falls für Ausleihungen an kleine und mittlere Unternehmen weniger Eigenkapitalhinterlegung verlangt würde, als nach Basel III vorgesehen. Kleine und mittlere Unternehmen sind ihrer Ansicht nach gerade in schlechten Zeiten abhängiger von der generellen Konjunkturentwicklung als größere Unternehmen. Die konservativen Annahmen des aktuellen Regelwerks seien möglicherweise nicht so konservativ, wie es auf den ersten Blick scheine. Die EBA hat daher auch den Auftrag erhalten, die Auswirkungen der Neuregelungen im KMU-Segment innerhalb von drei Jahren zu überprüfen. Aufgrund der Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es jedenfalls noch fraglicher geworden, ob die durch die Regelung unterstellte, breite Risikodiversifikation bei Mittelstandskrediten tatsächlich (immer!) anzutreffen ist. Eine Portefeuillestruktur mit vielen kleinen Engagements deutet – wie gesagt – in der Regel auf Diversifikation, jedoch sind gerade bei regionalen Kreditinstituten Verbundwirkungen und damit Klumpenrisiken denkbar, z.B. bei der Insolvenz eines großen Arbeitgebers und den nachfolgenden Problemen von KUMs. Die Anhebung der Kreditobergrenze verschärft diese Problematik, indem sie praktisch alle deutschen Unternehmen zu „Mittelständlern“ macht. Es wäre daher zu wünschen gewesen, dass die bisherigen Kriterien nicht ohne empirische Basis allein aufgrund eines politischen Eingriffs verändert worden wären; anekdotische Evidenz kann „harte“ Daten zur tatsächlichen Höhe der Adressausfallrisiken nicht ersetzen. Ob die Eigenmittelanforderungen steigen, hängt also außer von der Bonität des Kreditnehmers künftig stärker von seiner Größe (Umsatz und Kreditvolumen) und der seiner Bank (Systemrelevanz) ab. Dies zeigt Abbildung 27 in Analogie zur vorherigen Basel-IIRegelung in Abbildung 14. Hier wurde unterstellt, dass Banken minimal 10,5%, maximal 19,5% Eigenmittel unterhalten müssen, obwohl dieser Satz – wie gesagt – noch weiter ansteigen kann.

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Abbildung 27: Eigenmittelunterlegung für Mittelstandskredite künftig stärker abhängig von Größe der Bank und des Unternehmens Eigenkapitalanforderung Basel III

Segment

Großunternehmen u. Gehobener Mittelstand (Forderungsklasse „Unternehmen“) Mittlerer Mittelstand (Forderungsklasse „Unternehmen“; zugrunde gelegter Umsatz hier: 5 Mio. €) Kleine Unternehmen (Forderungsklasse „Mengengeschäft“)

Umsatzklasse Kreditvolumen (in Mio. €) (in Mio. €)

> 50

-

Annahmen: Ausfallwahrscheinlichkeit 2% (Rating < BB-), Verlustquote 45%, Kreditlaufzeit 2,5 Jahre Standardansatz Mit externem Rating

Ohne externes Rating

15,8–29,3%

10,5–19,5%

Interner Ratingbasierter Ansatz

12,8–23,7%

≤ 50

> 1,5

≤ 50

≤ 1,5

12–22,3%

8–14,9%

7,5–13,7%

≤ 50

≤ 1,0

-

6,0–11,1%

4,9–8,9%

9,9–18,2%

Modifiziert nach Paul/Stein (2013).

Zieht man an dieser Stelle ein kurzes Zwischenfazit, so ist festzuhalten, dass durch die Veränderung der Eigenmittelregeln die Anforderungen an den Risikoträger pauschal erhöht werden, d.h. es wird neben dem Investmentbanking auch das „normale“ Kreditgeschäft der Banken belastet. Bereits nach Basel II waren Kreditrisiken weitaus stärker mit Eigenmitteln zu unterlegen als Exposures im Marktrisikobereich. Die deutliche Erhöhung des vorzuhaltenden Kernkapitals auch in diesem Bereich wirkt sich in absoluten Beträgen dementsprechend stark aus. Ist es richtig, sich regulatorisch derart stark auf den Risikoträger Eigenkapital zu fokussieren? Schon 2010 zeigten Erlebach/Grasshoff/Berg mit einem Vergleich von regulatorischen und ökonomischen Modellen zur Kalkulation der notwendigen Eigenkapitalbeträge im Kreditrisikobereich, dass die ökonomischen Modelle der Banken das zu hinterlegende Kapital erheblich niedriger ansetzen als der Regulator. Im Marktrisikobereich ergab sich umgekehrt ein deutlich höherer Betrag als in den regulatorischen Vorgaben. Aus zwei neueren Studien des Baseler Ausschusses ging 2013 (a und c) – fast drei Jahre in der Verbesserung der Risikomodelle später – hervor, dass die Ermittlung der risikogewichteten Aktiva von Banken und der daraus resultierenden Eigenkapitalunterlegung sehr unterschiedlich gehandhabt wird und zudem für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist. Bei einer Untersuchung von 17 international tätigen Banken (aus Deutschland die Deutsche Bank und die Commerzbank) sollten für unterschiedlich zu-

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sammengesetzte Portefeuilles die Marktrisiken und regulatorischen Eigenmittelbeträge ermittelt werden. Es ergaben sich zum Teil exorbitante Unterschiede, insbesondere dann, wenn neben Aktien und Renten auch größere Teile in Derivaten investiert wurden. Aber selbst bei einem breit diversifizierten Korb mit Standardprodukten schwankte die ermittelte Eigenkapitalunterlegung für zwei identische Portefeuilles beispielsweise zwischen 8,6 und 18,5 Mio. EUR bzw. 6,3 und 19,7 Mio. EUR. Ein Viertel dieses Unterschiedsbetrages resultierte daraus, wie die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden die Baseler Vorschriften umsetzten, vor allem, inwieweit sie ihren Banken gestatteten, interne Modelle (ggf. mit einem Aufschlagsfaktor) anzuwenden. In diesen Zusammenhang passt auch, dass etwa die Deutsche Bank ihre Risikoaktiva im dritten Quartal 2012 um 55 Mrd. EUR reduzierte, allein 27 Mrd. EUR hiervon wurden auf „Änderungen und Anpassungen in den Berechnungsverfahren“ zurückgeführt. Offenbar bestehen also sowohl auf Seiten der nationalen Aufseher als auch der Banken (immer noch) weite Spielräume in der Risikoquantifizierung. Der Basler Ausschuss hat 2013 (b) auch einen ersten Bericht über die Einheitlichkeit der Berechnung der risikogewichteten Aktiva (RWA) in Bezug auf das Kreditrisiko im Anlagebuch herausgegeben. Die Analyse stützt sich auf aufsichtsrechtliche Daten von mehr als 100 wichtigen Banken sowie auf zusätzliche Daten zu Forderungen an Staaten, Banken und Unternehmen, die von 32 großen international tätigen Kreditinstituten im Rahmen eines Portfoliovergleichs erhoben wurden. Danach bestehen zwischen den Banken erhebliche Unterschiede bei den durchschnittlichen RWA in Bezug auf das Kreditrisiko im Anlagebuch, die der Ausschuss „zum größten Teil“ auf allgemeine Unterschiede in der Zusammensetzung der Bankaktiva zurückführt. Diese entsprechen wiederum – ganz im Sinne der risikobasierten Eigenkapitalregelung von Basel III – den unterschiedlichen Risikopräferenzen der Banken. Allerdings liegt darüber hinaus „ein wesentlicher Teil“ der Unterschiede in der Verschiedenheit der Bank- und Aufsichtspraktiken begründet. Der im Rahmen der Analyse durchgeführte Portfoliovergleich ergab ein hohes Maß an Konsistenz bei der Beurteilung des relativen Risikogehalts der Schuldner. Demnach weisen Banken den Portfolios einzelner Schuldner eine sehr ähnliche Rangfolge zu. Es gibt jedoch Unterschiede in Bezug auf die Höhe des von den Banken geschätzten Risikos, wie es in der Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) und der Verlustausfallquote (LGD) zum Ausdruck kommt. Diese Unterschiede bewirken eine Variation der Risikogewichte, für welche unterschiedliche Usancen der Banken verantwortlich sind. Die gemeldeten Eigenkapitalquoten bestimmter Ausreißer-Banken könnten dadurch um über 2 Prozentpunkte (bzw. 20% in relativer Betrachtung) von einer risikobasierten Benchmark-Quote von 10% abweichen (und zwar jeweils nach oben oder nach unten). Die am linken Rand der Abbildung 28 positionierte europäische Bank würde demnach eine um 2,2 Prozentpunkte niedrigere Kapitalquote ausweisen, würde ihre Gewichtung an den Median der Branche angepasst. Unter

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jenen Banken, deren Risikogewichtung das Eigenkapital eher überzeichnet, befinden sich überdurchschnittlich viele Institute mit Sitz in Europa (Neubacher, 2013). Abbildung 28: Wie sich abweichende Risikogewichtungen auf die Kapitalquoten auswirken Veränderung der regulatorischen Eigenkapitalquoten von 32 Großbanken in Prozentpunkten 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 -0,5 -1,0

Asien/Australien Nordamerika

-1,5

Europa

-2,0 -2,5

Quelle: Baseler Ausschuss (2013b) nach Neubacher (2013).

Aus diesen Ergebnissen müsste die Konsequenz gezogen werden, die Aufsichtsregeln zu vereinheitlichen und nicht einseitig beim Risikoträger, sondern vor allem bei der Risikomessung der Kreditinstitute anzusetzen. Doch stattdessen wird eine weitere, nun aber risikounabhängige Restriktion verankert, die das Eigenkapital fokussiert: die Leverage Ratio.

6.2 Einführung einer risikounabhängigen Leverage Ratio Mit seinem bekannten „Frisbee-Beispiel“ kritisierte Andrew G. Haldane (2012) von der Bank of England die bestehenden Eigenkapitalregeln. Ein Hund – so seine Argumentation – müsse auch nicht Physik studiert haben, um eine Frisbee-Scheibe zu fangen, obwohl die Berechnung ihrer Flugbahn alles andere als banal sei. Er plädiert daher für ein radikales „Abrüsten“ in der Bankenregulierung, die er als bürokratisches Monster sieht. In „normalen“ Zeiten – in denen die Bankenregulierung indes keine wesentliche Rolle spiele – sei der hochgerüstete Apparat aus Risikomanagern, Controllern, Revisoren, Aufsehern tauglich, aber überdimensioniert, ja, schüre Kontrollillusion. In Krisenzeiten aber – und für diese sei Bankenregulierung im Kern da – würden die Regelwerke versagen, weil die insbesondere mit dem Value at Risk operierenden Modelle dramatische Umweltveränderungen, Strukturbrüche nicht (schnell genug) abbilden und in Risikomessregeln oder Steuerungsgrößen umsetzen könnten. Daher sei eine einfache, an der Bilanzsumme oder dem Geschäftsvolumen ansetzende Eigenkapitalnorm = Leverage Ratio dem bestehen-

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den Risikoklassen-System überlegen (vgl. dazu auch Mariathasan/Merrouche, 2012 und Rudolph, 2011 und 2012a). Man kann auch von einem „extrem vereinfachten Standardansatz“ sprechen (KPMG, 2014). Vor diesem Hintergrund enthält das Baseler Reformpaket die Einführung einer sog. Leverage Ratio, mit der der „Verschuldungsgrad“ im Bankensektor eingeschränkt werden soll. In der EU soll diese neue Kennzahl erst nach einer Beobachtungsphase in die Säule 1 integriert werden. Ab Anfang 2015 sollen die Banken ihre Leverage Ratio offenlegen. Die verbindliche Einführung ist ab 2018 geplant. Bis Januar 2017 muss die EU-Kommission hierfür einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Bei der Leverage Ratio handelt es sich um eine Eigenkapitalquote von mindestens 3% auf die vorhandenen bilanziellen und außerbilanziellen Geschäfte einer Bank: Kernkapital Leverage Ratio = ------------------------------------------------------------------------------------------ ≥ 3% Bilanzaktiva + außerbilanzielle Positionen

Sieht man von bestimmten Ausnahmen ab, sind im Grundsatz im Nenner alle Anlagen der Bank auf und außerhalb der Bilanz brutto zu erfassen, d.h. es erfolgen keine Kürzungen z.B. aufgrund von Sicherheiten und auch keine bonitätsbedingten Risikogewichtungen. Im Zähler wird hierauf das zuvor dargestellte (harte und weitere) Kernkapital bezogen. Das gesamte Geschäftsvolumen darf dann nur noch maximal dem 33-fachen des Kernkapitals entsprechen. Die Leverage Ratio steht damit in einem Widerspruch zur generellen Baseler Konzeption, die Eigenkapitalunterlegung am Risikogehalt eines Geschäfts zu orientieren (Paul/Stein, 2013c). Der Regulator möchte indes mit Einziehen dieser „Verschuldungsgrenze“ das Risiko von erzwungenen, prozyklischen Notverkäufen von Vermögensgegenständen einer Bank im Krisenfall reduzieren. Außerdem soll die Kennzahl im Hinblick auf die Risikomessung potenzielle Modellrisiken (z.B. Unvollständigkeit der Risikomodelle, Unterschätzung von kompensatorischen Wirkungen zwischen den getätigten Anlagen) und Modellmanipulationen (z.B. Nutzung von Spielräumen bei den Parametern der Risikomodelle) reduzieren bzw. als eine Art „Backstop“ dienen (Deutsche Bundesbank, 2013a). Auch die Vorschläge von Admati/Hellwig (2013) in ihrem vielbeachteten Buch „The Banker´s New Clothes“ gehen in diese Richtung. Sie stellen die mit internen Berechnungsverfahren verbundenen Modellrisiken heraus und fordern eine deutlich höhere, nicht-risikosensitive Eigenkapitalquote von 20–30%. Hierin sehen sie keine Überbelastung der Kreditinstitute, da deren Fremdkapitalkosten bei verbesserter Eigenkapitalausstattung sinken würden. Insofern blieben – nach der traditionellen Modigliani-MillerThese – ihre Gesamtkapitalkosten konstant. Dies setzt jedoch streng genommen den vollkommenen Kapitalmarkt voraus, auf dem zum einen vollständige Bonitätstrans-

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parenz herrscht und Kapitalgeber zum anderen ausreichende Disziplinierungsanreize (und -fähigkeiten!) besitzen. Admati/Hellwig fordern daher die Abschaffung impliziter Staatsgarantien für Banken, eine Beschränkung expliziter Garantien aus Einlagensicherungen und eine Ausweitung von Disziplinierungsanreizen durch Pflichtwandelanleihen, Nachschusspflichten usw. Neben dem konzeptionellen Bruch stößt die Operationalisierung der Leverage Ratio jedoch schnell auf ein gewichtiges Problem. Die Bilanzsummen (oder Geschäftsvolumina) der Banken unterscheiden sich je nach Rechnungslegungsstandard (HGB, IFRS, USGAAP) erheblich. Ein Grund für Abweichungen sind etwa der Einbezug und die Verrechnungsmöglichkeiten bzw. -zwänge für Derivate. Deshalb formuliert die vormalige Vize-Präsidentin der Deutschen Bundesbank, Sabine Lautenschläger (2013), auch: „Entweder habe ich eine einfach konzipierte Leverage Ratio, dann ist sie aber nicht vergleichbar – und wenig wert. Oder ich habe eine vergleichbare Leverage Ratio; dann muss ich aber einigen Aufwand betreiben, um eine ‚saubere‘ Kennzahl zu ermitteln.“ Welcher Aufwand dabei zu betreiben ist, zeigt ein 2014 (b) veröffentlichtes Papier des Basler Ausschusses, der Vorschläge zur Vereinheitlichung der Berechnung der Leverage Ratio vorstellt. Aber einmal angenommen, diese Probleme könnten gelöst werden: Inwiefern sollte – über die „elegante Schlichtheit“ (von Petersdorff, 2013) hinaus – eine nicht-risikoorientierte Leverage Ratio dem risikosensitiven Ansatz überlegen sein, der doch gerade als größter Fortschritt bei der Einführung von Basel II bezeichnet wurde? Warum wird vor dem Problem der Risikomessung und -kontrolle kapituliert? Hier wird immer wieder darauf verwiesen, dass Staatsanleihen in Basel II und zukünftig auch III mit einem Nullgewicht versehen seien, was sich ökonomisch nicht rechtfertigen ließe (so z.B. die Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, Claudia Buch, in: o. V., 2013). Diese und andere Inkonsistenzen bzw. bewusste politische (Fehl-)Entscheidungen seien dafür verantwortlich, dass Risikoaktiva einerseits und Bilanzsumme andererseits bei vielen Kreditinstituten dramatisch auseinanderfielen – bei der Deutschen Bank Ende März 2013 im Verhältnis 325 Mrd. EUR zu 2.033 Mrd. EUR (Frühauf, 2013). Aber diese Schwäche ließe sich – bei entsprechendem politischen Willen – ja leicht ausmerzen. Aus diesem Grund allein brauchte man keine neue Kennziffer, die parallel in die Steuerung eines Kreditinstituts eingebunden werden muss und von der u.U. Fehlanreize ausgehen. Denn für „risikoarme“ Banken ergibt sich dann ebenso wie für „risikoreiche“ Institute die Pflicht, den genannten Mindestbetrag an Eigenkapital zu unterhalten und durch Eingehen entsprechender Risiken auch die erforderlichen Eigenkapitalkosten zu erwirtschaften. Möglicherweise wird also das Eingehen „guter Risiken“ (mit niedrigen Margen, aber volumenintensiv) bestraft, ein „Frontstop“ mit adversem Anreiz, der den Risikotransfer in das noch relativ unregulierte Schattenbanksystem fördern könnte (zur Schattenbank-Problematik vgl. Rudolph (2012), Dombret (2014), und Financial Stability Board (2014b)).

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Und schließlich zur Höhe der Leverage Ratio. Nun ist es eine Binsenweisheit, dass manche Banken in der Krise offenbar zu wenig Eigenkapital vorhielten, aber wie viel sollte es denn nun sein? Claudia Buch (o. V., 2013) verweist auf andere Industrien: „Einen Hinweis liefert auch die Eigenkapitalquote von Industrieunternehmen, die bei etwa 25% liegt.“ Doch Banken haben ganz andere Geschäftsmodelle als realwirtschaftliche Unternehmen, und es käme auch niemand auf die Idee, z.B. von einem Beratungs-(= Dienstleistungs-)Unternehmen die gleiche Eigenkapitalquote wie von einem Maschinenbauer zu erwarten. Hellwig (2013) führt zur notwendigen Höhe aus: „Wir orientieren uns an dem, was es vor dem Ersten Weltkrieg gab, also bevor der Staat den Wunsch entdeckte, von Banken finanziert zu werden und bevor es staatliche Sicherungssysteme für Bankgläubiger gab. Im Jahr 1913 haben sich die deutschen Banken im Durchschnitt zu 22% aus eigenen Mitteln finanziert.“ Doch schaut man genauer hin, stellen sich die Dinge differenzierter dar. Schon die Eigenkapitalquoten der Berliner Großbanken streuten 1913 von 15,5% (Deutsche Bank) über 18,7% (Dresdner Bank) bis zu 21% (Commerzbank). Bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken lag die durchschnittliche Eigenkapitalquote dagegen nur bei knapp 5% bzw. gut 11%. Hieraus lässt demnach wohl keine „optimale“ Quote ableiten (Holtfrerich, 1981). Eine niedrige Eigenkapitalquote muss nicht immer eine Gefahr darstellen – wenn z.B. ein Unternehmen aufgrund der Produktionsbedingungen in der Lage wäre, sein Anlagevermögen im Ernstfall schnell und ohne größere Verluste am Markt zu liquidieren. Das war bei Banken und ihren Vermögensgegenständen ganz offensichtlich nicht der Fall. Bei anderen Prüfkriterien fällt die Antwort nicht immer so einfach aus: In der Finanzierungstheorie wird nämlich außerdem argumentiert, Informations- und Anreizprobleme zwischen unterschiedlichen Kapitalgebern sowie zwischen Eigentümern und Management beeinflussten die Finanzierungsstruktur. So diszipliniere etwa der Druck, das Fremdkapital bedienen zu müssen, die Unternehmensleitung, freie Mittel nicht in „windigen Projekten zu verplempern“. Denkbar wäre auch, dass ein niedriger kapitalisiertes Unternehmen besser diversifiziert ist. Eine geringere Streuung der am Markt verdienten Cashflows ließe ebenso eine höhere Verschuldung gerechtfertigt erscheinen. Dagegen implizieren im Geschäftsmodell angelegte hohe Insolvenzkosten ganz klar eine niedrigere Verschuldung. Schließlich spielen auch steuerliche Aspekte für die Beurteilung eine Rolle. Das Thema der „richtigen“ Ausstattung mit Eigenkapital ist also offenbar kein einfach zu beantwortendes. Viele Faktoren spielen eine Rolle, die nicht alle in dieselbe Richtung wirken (Damodaran, 2011 und Deutsche Bundesbank, 2012). Von daher ist es überhaupt erstaunlich, dass im Gegensatz zu Industrieunternehmen der Staat sich zutraut, bei Banken anstelle eines Marktresultats einen Wert für die Eigenkapitalquote festzulegen. Da Eigenkapital vor allem als Puffer für nicht planbare Ex-postÜberraschungen dient, lässt sich die „richtige“ im Sinne von „notwendige“ Eigenkapital-

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ausstattung schon durch die jeweilige Bank nicht perfekt, aber schon gar nicht extern sinnvoll quantifizieren. Vorgaben für Eigenkapitalquoten erweisen sich daher letztlich als „theorielose Messergebnisse ..., die so oder auch anders geregelt sein könnten.“ (Schneider, 1987 und 1997). Insofern geht auch der Hinweis, man könne ja auf das Eigenkapital abstellen, das zur Vermeidung der Krise erforderlich gewesen wäre, ins Leere: Auch mit 25% Eigenkapitalquote hätte Lehman nicht überlebt, wohl wäre aber die Masse der Regionalbanken hiermit wohl eher überkapitalisiert (falls ihr Geschäftsmodell dann überhaupt noch funktionieren würde).

6.3 Neue Anforderungen an die Liquidität Mit Basel III verändern sich nicht nur die Eigenkapital-, sondern auch die Liquiditätsanforderungen der Bankenaufsicht. In der Finanzmarktkrise zeigten sich (mit Ausnahme z.B. vom Northern-Rock-Fall) zwar kaum die klassischen Schalterstürme von Einlegern, die in Scharen ihre Bankkonten leerräumen wollten. Aber es kam zu Verklemmungen zuvor hochliquider (z.B. Wertpapier-) Märkte, manche Vermögenswerte erwiesen sich als zumindest temporär illiquide, und auch der Interbankenmarkt war mehrmals so angespannt, dass er sich für die Kreditinstitute als teure und schwer kalkulierbare Refinanzierungsquelle darstellte. Durch die Einführung von zwei neuen Kennzahlen will die Aufsicht deshalb künftig prekäre Liquiditätsverknappungen bei Banken frühzeitiger erkennen und ihnen vorbeugen. Mit einer neuen Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) soll die jederzeitige, kurzfristige Zahlungsfähigkeit auch in schweren Stresssituationen sichergestellt und dadurch eine mögliche Ansteckung über den Geldmarkt begrenzt werden. Kreditinstitute müssen nachweisen, dass ihre Vermögenspositionen höchster Bonität und Liquidität den 30-tägigen Nettoliquiditätsbedarf mindestens decken: Liquide, qualitativ hochwertige Vermögenswerte LCR = -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- ≥ 100% Netto-Zahlungsmittelausgänge im 30-Tage-Stress-Szenario

Für die LCR ist in der EU eine stufenweise Einführung vorgesehen. Die Kennzahl soll demnach 2015 mit 60% starten und 2018 von den Banken vollständig erfüllt werden (Basel Committee on Banking Supervision, 2014a). Das Stressszenario ist u.a. charakterisiert durch einen dreistufigen Rating-Downgrade, den massiven Abzug von Einlagen, eine hohe Marktvolatilität sowie eine gesteigerte Inanspruchnahme von zugesagten Kreditund Liquiditätslinien. Die LCR definiert dementsprechend die Höhe des vorzuhaltenden Liquiditätspuffers, der die potenziellen Abflüsse unter Stress kompensieren und somit eine kurzfristige Liquiditätslücke während einer Stressperiode verhindern soll.

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Die Aktiva, die den Puffer bilden (Zähler der LCR), sollen schnell und möglichst verlustfrei liquidierbar sein. 60% müssen deshalb aus Bargeld, Reserven bei den Zentralbanken und Staatsanleihen bestehen. Diese Bevorzugung von Staatsanleihen dürfte zwar die Nachfrage der Banken nach diesen Titeln erhöhen und die Finanzierung von Staatsdefiziten erleichtern. Angesichts der europäischen Staatsschuldenkrise ist dies unter Risikogesichtspunkten jedoch besonders problematisch. Unter Inkaufnahme von Abschlägen dürfen 40% des Puffers deshalb u.a. aus (Nicht-Finanz-)Unternehmensanleihen mit einem Rating von mindestens BBB- (also Investmentqualität), Anleihen, die durch privat genutzte Wohnimmobilien gesichert sind (Rating mindestens AA-) und bestimmten Aktien bestehen. Auch Bankanleihen sollen hier anrechenbar sein, müssen dann aber mit Hypotheken oder Staatskrediten unterlegt sein (sog. Covered Bonds bzw. Pfandbriefe). Der Netto-Liquiditätsbedarf (Nenner der LCR) wird durch eine spezifische Gewichtung von bilanziellen und außerbilanziellen Positionen ermittelt. Hierbei spielen unterschiedliche Annahmen im Hinblick auf Abruf-, Prolongations-, Verfügbarkeits-, Rückzahlungsund Preisentwicklungsfaktoren eine Rolle. Bei der Bewertung der Kennzahlenausprägung kommt es bei Krediten und Einlagen auf die jeweilige Kunden- und Produktkategorie an. In diesem Zusammenhang werden Einlagen von Privatkunden und Mittelständlern begünstigt, dagegen kommt es bei Privat- und Mittelstandskrediten zu einer Verschärfung im Vergleich zum Status quo. Interbankengeschäfte auf beiden Seiten der Bankbilanz werden bei der Berechnung der Kennzahl prohibiert. Die LCR wirkt auf diese Weise als Entflechtungsfaktor im Hinblick auf die Refinanzierungsabhängigkeiten zwischen den Banken, der das systemische Risiko im Finanzsektor reduziert. Jenseits des einmonatigen Zeithorizonts der LCR soll die ebenfalls neue Strukturelle Refinanzierungsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR) Refinanzierungslücken bei den Banken vermeiden. Dem Gedanken der „Goldenen Bankregel“ folgend, begrenzt diese Kennzahl zeitliche Inkongruenzen zwischen den Aktiv- und Passivgeschäften. Die NSFR soll so einer übertriebenen Fristentransformation vorbeugen und eine größere Unabhängigkeit einzelner Institute von kurzfristig zur Verfügung gestellten Mitteln einzelner Großkunden gewährleisten (Basel Committee on Banking Supervision (2014c)). Um eine stabile Refinanzierung über eine hypothetische Stressperiode von einem Jahr hinweg sicherzustellen, müssen den vorhandenen Aktiva auch im Krisenfall stets fristenmäßig entsprechende Passivpositionen in ausreichender Höhe gegenüberstehen. Unter Berücksichtigung des angenommenen Ziehungsverhaltens von Kreditkunden und Einlegern sowie der Liquidierbarkeit und Werthaltigkeit von Vermögensgegenständen im Stressfall hat der Baseler Ausschuss ein Schema aus Stress- bzw. Anrechnungsfaktoren für alle Aktiv- und Passivpositionen abgeleitet. Daran entlang errechnet sich einerseits der erforderliche Anteil an stabiler Refinanzierung von Aktivpositionen („Required Stable Funding“, RSF), andererseits die Eignung der Passivpositionen, im Krisenfall als stabile Finanzierung zu dienen („Available Stable Funding“, ASF). Eine Erfüllung der

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regulatorischen Vorgaben ist gegeben, wenn der Quotient aller mit den ASF- und RSFFaktoren gewichteten Passiv- bzw. Aktivpositionen größer oder gleich 100% ist. Eine (vollständig) kurzfristige Refinanzierung (< 1 J.) langfristiger Kredite (> 1 J.) führt zu einer unerlaubten Kennzahlenausprägung. Verfügbare stabile Refinanzierung (ASF) NSFR = -------------------------------------------------------------------------------------- ≥ 100% Geforderte stabile Refinanzierung (RSF)

Die im Basel-III-Paket vorgeschlagene Kalibrierung der ASF- und RSF-Faktoren setzt für Banken und Sparkassen Anreize, langfristige Refinanzierungsfazilitäten aufzubauen und diese fristenkongruent in qualitativ hochwertige Titel zu investieren. Kapitalinstrumente mit einer Restlaufzeit (RLZ) von über einem Jahr, etwa Eigenkapital oder Einlagen, werden als vollständig stabil eingestuft und erhalten den höchsten ASF-Faktor von 100%, bei kürzerer Laufzeit ist die Anrechnung geringer. Kurzfristige Retail-Einlagen, also auch solche von Privat- und Mittelstandskunden, werden aufgrund von Bodensatzüberlegungen als weitgehend stabil angesehen und erhalten daher privilegierte ASF-Faktoren von bis zu 90%. Kurzfristige Einlagen von Finanzunternehmen werden besonders konservativ behandelt, da von vollständigem Abzug unter Stress ausgegangen wird: Sie liefern also keine stabile Refinanzierung. Die RSF-Faktoren bewegen sich in Abhängigkeit der unterstellten Marktgängigkeit und Werthaltigkeit im Liquidationsfall ebenfalls zwischen 0 und 100%. Die explizite Unterlegungspflicht auch von außerbilanziellen Eventualverpflichtungen (das sind z.B. eingeräumte Kreditlinien) mit stabiler Finanzierung bedeutet de facto eine Vorratshaltung für Stressevents. Kurzfristig veräußerbare Vermögensgegenstände sind mit 0% einzubeziehen, Kredite an Unternehmen und Staaten mit einer Restlaufzeit von unter einem Jahr mit 50 sowie Hypotheken mit 65%. Eine ähnlich starke Privilegierung des RetailGeschäfts wie auf der Einlagenseite sieht der Regulierer dagegen nicht vor. So müssen Retail-Kredite kurzer Restlaufzeit mit einem vergleichsweise hohen RSF-Gewicht von 85% berücksichtigt werden. Kurzfristige Mittelstandskredite rechnen sich ungünstiger als vergleichbare Unternehmensanleihen. Für eine EU-weite Umsetzung hat die Kommission noch bis Ende 2016 Zeit, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen. Von den Details der Berechnungsweise wird abhängen, inwieweit sie gerade das Geschäftsmodell kleiner und mittelgroßer Banken und Sparkassen berührt, deren Jahresüberschüsse vielfach vorwiegend aus der Fristentransformation stammen. Will ein Kreditinstitut diese eindämmen, kann es entweder versuchen, längerfristige Refinanzierungsmittel zu akquirieren und/oder die Laufzeiten auf der Aktivseite verringern. Insofern ist zum einen zu erwarten, dass sich der ohnehin schon harte Preiskampf auf der Einlagenseite der Banken verschärft. Zum anderen werden Unternehmen möglicherweise schwerer an länger laufende Kredite kommen – problematisch gerade in Deutschland mit der Dominanz der langfristigen Bankfinanzierung. Es dürfte sich somit

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weniger die Frage stellen, ob vor dem Hintergrund der veränderten Kapitalanforderungen Kreditmittel in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden, sondern eher mit welcher Laufzeit und zu welchem Preis. Insofern ist es im Sinne einer größeren Flexibilität speziell kleinerer Häuser sinnvoll, dass die Liquiditätskennziffern auch statt auf der Einzel- auf Verbundebene berechnet werden dürfen (Waiver-Regelung), sofern in der gewählten Konsolidierungsgruppe ein einheitliches Liquiditätsmanagement betrieben wird. Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit hieraus Konzernierungstendenzen erwachsen (Kaltofen/Meine/Paul, 2012).

6.4 Weitere Vorschriften Auf europäischer Ebene werden die ursprünglichen Baseler Vorschläge darüber hinaus um Vorschriften für eine effektivere Corporate Governance bei Banken ergänzt („Brüssel III“; Börsen-Zeitung vom 01.03.2013). Dabei geht es erstens um mehr Transparenz. Banken müssen für jedes Land, in dem sie tätig sind, Gewinn, Umsatz, gezahlte Steuern, erhaltene Subventionen sowie die Mitarbeiteranzahl offenlegen. Von 2014 an müssen diese Daten an die EU-Kommission berichtet, ab 2015 vollständig offengelegt werden (Umsetzung in § 26a KWG). Auch die Meldepflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden wurden verschärft (Finanzinformationenverordnung, FinaV, Dezember 2013). Zweitens sollen zur Eindämmung leichtsinniger Geschäftspraktiken die Bonuszahlungen an Bankmanager (Geschäftsleiter, Risk Taker u.a.) begrenzt werden: Das Verhältnis zwischen fixem und variablem Gehalt soll im Normalfall 1:1 betragen. Maximal dürfen die Boni das Doppelte des Grundgehalts betragen, wenn die Eigentümer der Bank diesem in der Hauptversammlung zugestimmt haben. Um ein nachhaltigeres Gewinnstreben zu fördern, wird dann allerdings ein Viertel des gesamten Bonus für mindestens 5 Jahre aufgeschoben (§ 25a KWG i.V.m. Institutsvergütungsverordnung, InstitutsVergV, Dezember 2013). Aufgrund der Vorgaben der CRD IV wurde – drittens – auch der Katalog der Ordnungswidrigkeiten in § 54-60 KWG erweitert. Geschäftsleiter können danach mit Freiheitsstrafen oder Bußgeldern belegt werden, wenn sie durch einen Verstoß gegen die in § 25c KWG genannten Grundanforderungen guter Unternehmensführung (die ebenfalls im KWG aufgeführten Strategien, Prozesse, Verfahren, Funktionen und Konzepte) eine Bestandsgefährdung des Instituts herbeiführen. Mit dieser Regelung soll die persönliche Haftung von Vorständen für Missmanagement verstärkt werden. – Eine unabhängige Compliance-Stelle soll die Einhaltung der internen Kontrollrichtlinien und -verfahren überprüfen.

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Viertens formulieren die § 25c und d KWG erstmals ausdrücklich – über die bisherigen „Merkblätter“ hinaus – Anforderungen an Aufsichts- und Verwaltungsorgane. Sie sollen vor allem sicherstellen, dass die genannten Personen nicht nur hinreichend qualifiziert sind, sondern dass sie ihrer Mandatswahrnehmung auch genug Zeit einräumen.

7 Ausblick: Auf dem Weg zu Basel IV Die Umsetzung des Basel-III-Pakets bedeutet für die deutsche Kreditwirtschaft einen geschätzten Aufwand von 9 Mrd. EUR p.a. zwischen 2010 und 2015 – und dies in einer Niedrigzinsphase mit ohnehin belasteten Geschäftsergebnissen (KPMG, 2014). Vor diesem Hintergrund und angesichts der Vielzahl der Neuerungen könnte man für eine Regulierungspause plädieren, wie sie schon nach der Einführung von Basel II gefordert wurde. Dadurch könnten Erfahrungen gesammelt werden zur Wirksamkeit der veränderten Regeln, ihren Auswirkungen auf Kreditvergabe und Wirtschaftswachstum in Europa und auch der Nutzung der nationalen Wahlrechte (Level playing field oder Renationalisierung?). Doch stattdessen stehen bereits weitere einschneidende regulatorische Veränderungen bevor. Institutionell stellt die im Rahmen der Bankenunion nach den Asset Quality Reviews und Stresstests am 04.11.2014 erfolgte Verlagerung der Aufsichtskompetenz für die systemrelevanten Institute in Europa auf die EZB (Single Supervisory Mechanism, SSM) die wohl gravierendste Neuerung dar. Im Zusammenhang der Bankenunion werden sich auch die Mechanismen der Abwicklung und Restrukturierung sowie (zu einem späteren Zeitpunkt) der Einlagensicherung verändern (Deutsche Bundesbank, 2013b und 2014a/b). Auf der Regelebene wird unverändert auf zahlreichen Teilgebieten an neuen Vorschriften gearbeitet (vgl. Kasprowitz/Ott/Quinten, 2014, und Loeper, 2014). Dazu zählen (um nur einen kleinen Ausschnitt zu benennen) etwa die Überarbeitung der Handelsbuch- und Verbriefungsvorschriften, die (immer noch ausstehende) Einbeziehung der Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch in die erste Säule, die Regulierung von „Schattenbanken“ oder die Separation von Commercial und Investment Banking in Form von „Trennbanken“. Doch es mehrt sich die Kritik an der immer komplexeren Regulierung, die nicht nur zu erheblichem Aufwand führe, sondern sowohl von den Banken selbst als auch den Aufsehern kaum noch zu beherrschen sei, dennoch – siehe die angesprochenen internen Modelle – viel zu weite Handlungsspielräume ließe und damit die Vergleichbarkeit sowie Wettbewerbsneutralität auch im internationalen Rahmen erschwere. Umfang und Art der Regeln mündeten damit in ein nicht unerhebliches „regulatorisches Risiko“ (KPMG, 2014). Der Basler Ausschuss hat dies mittlerweile wohl selbst erkannt und im Juli 2013

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ein Konsultationspapier zur „Diskussion über ein ausgewogenes Verhältnis von Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit in der Basler Eigenkapitalregelung vorgelegt“, in dem die Frage nach dem künftigen Weg der Regulierung aufgeworfen wird. Welcher Pfad ist der richtige? Drei unterschiedliche Stoßrichtungen für ein Basel IV zeichnen sich ab. Ein Weg könnte in die Einschränkung von Wahlrechten für Banken und Politik durch ein (wieder? noch?) engeres Korsett von Puffern = Bandbreiten und Untergrenzen (Floors) für Risiko- und Kapitalschätzungen sowie Modellierungsvorgaben führen (vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2014d und Tallau, 2014b). Der überarbeitete Kredit-Standardansatz etwa soll die Abhängigkeit der Risikogewichtung von den Urteilen der RatingAgenturen verringern. Künftig soll sich die Eigenkapitalunterlegung an mehreren Risikotreibern orientieren, die „einfach, intuitiv, schnell verfügbar und international gut vergleichbar“ sein sollen (Basel Committee on Banking Supervision, 2014g). Weil dabei aber z.B. an den Umsatz oder den Verschuldungsgrad des Kreditnehmers gedacht wird, ist es doch sehr fraglich, ob allein damit das Ausfallrisiko besser approximiert werden kann als durch das Monitoringergebnis der Ratingagenturen. Diese Zweifel bestehen offenbar auch in Basel selbst, da an einen Floor als Untergrenze der Kapitalunterlegung gedacht wird (Basel Committee on Banking Supervision, 2014f.). – Ähnliche Tendenzen zeigen sich bei der Überarbeitung der Handelsbuchregulierung durch einen neuartigen, gröberen Standardansatz und eine stärkere Normierung der internen Modelle, bei denen künftig im Übrigen wohl stärker auf den Expected Shortfall statt den Value at Risk abgestellt werden soll (Basel Committee on Banking Supervision, 2014e und Tallau, 2014b). Auch der zweite mögliche Weg wäre nicht zielführend. Er besteht in der noch weiteren Aufwertung der Leverage Ratio zu der zentralen Kontrollgröße der Bankenaufsicht. Wie zuvor bereits ausgeführt, werden mit dieser nur scheinbaren Vereinfachung aber die Probleme der risikosensitiven Kennziffern nur verlagert bzw. durch neue ersetzt, nicht aber gelöst. Ein dritter Weg besteht in der in den Vorauflagen dieses Beitrags immer wieder geforderten deutlichen Aufwertung der Säulen II und III, die mit Basel III noch weiter in den Hintergrund der Säule I gerückt sind. Statt einer Kapitulation vor dem Problem der differenzierten Risikokontrolle ist eine massive Verstärkung der proaktiven Kontrolle des Risikomanagements der Banken und der Publizität hierüber erforderlich. Die zweite Basler Säule bietet – richtig verstanden – hierfür zahlreiche Ansatzpunkte in Form der qualitativen Aufsicht. Da niemand weiß, wann und in welcher Form die nächste Krise kommt, ist eine adäquate Infrastruktur des Risikomanagements von Banken (Menschen, Systeme, Prozesse) der beste Krisenschutz. Dies von Seiten der Aufsicht durchzusetzen und zu kontrollieren, ist indes viel mühsamer als das schlichte „Abhaken“ einer Eigenkapitalquote. Es erfordert auch wesentlich besser ausgebildete und bezahlte, sich international noch stärker vernetzende Aufseher. Qualitative Aufsicht in Verbindung mit

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einer veränderten Form der Risikopublizität – dies zeigt der Verf. im zweiten Beitrag dieses Bandes – bietet am ehesten das Potenzial, die Mängel der Säule I (perspektivisch diese überhaupt) zu ersetzen. Ohne der nun beginnenden Diskussion über das jüngste Papier des Basler Ausschusses vorzugreifen, dürfte doch schon heute feststehen, dass es eines Paradigmenwechsels bedarf, denn die von ihm genannten drei Qualitätskriterien können nicht gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Eine sachgerechte Bankenregulierung muss zunächst effektiv, also aus Gründen des Systemschutzes risikosensitiv und dabei vergleichbar über verschiedene Banken und Länder hinweg sein. Jüngste Alleingänge der amerikanischen oder europäischen Aufseher, die Uneinheitlichkeit der Regeln durch die diskretionäre Vorgabe institutsindividueller Kapitalquoten (zumindest für systemrelevante Banken) noch weiter zu verstärken, führen zu wieder fragmentierteren Kapitalmärkten und damit weg vom Level playing field (vgl. o.V., 2014; o.V., 2015, und Deutsche Bank Research, 2014). Erst in zweiter Linie kann es dann um Effizienzfragen gehen. Hier sollten die Regeln so einfach wie möglich sein, aber – um eine Analogie im Steuerrecht zu suchen – eine „Regulierung auf dem Bierdeckel“ ist angesichts der Komplexität des Bankgeschäfts eine Illusion.

Verwendete und weiterführende Literatur (ausführliche Literaturhinweise zur Diskussion im Vorfeld von Basel II in der Vorauflage dieses Buches) Admati, A. R./Hellwig, M. F. (2013): The Banker‘s New Clothes, Princeton 2013, dt.: Des Bankers neue Kleider: Was bei Banken wirklich schief läuft und was sich ändern muss, München. Balzli, B. et al. (2008): Der Bankraub, in: Spiegel, 47/2008, S. 44–80. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Jahresberichte, fortlaufend, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2004): International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards – A Revised Framework, Basel, Juni. Basel Committee on Banking Supervision (2009): Strengthening the resilience of the banking sector, Basel, Dezember. Basel Committee on Banking Supervision (2010a): Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems, Basel, Dezember.

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I Risikosensitive Eigenkapitalanforderungen

Interner Ratingansatz aus Sicht einer Geschäftsbank Jens Döhring/Jürgen Hromadka

1 Einleitung 2 Grundlagen interner Ratingsysteme 2.1 Definition und Arten interner Ratingsysteme 2.2 Ökonomische Anforderungen an interne Ratingsysteme 2.3 Einsatzmöglichkeiten interner Ratingsysteme 3 Aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken 3.1 KSA und IRBA als aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungsalternativen 3.2 Kalkül der Banken bei der Wahl des IRBA 3.3 Aufsichtsrechtliche Anforderungen an und Prüfung interner Ratingsysteme 3.4 Basel III und interne Ratingsysteme 4 Entwicklung und Überwachung interner Ratingverfahren 4.1 Methodische Ansätze der Ratingsystementwicklung 4.2 Ratingsystemarchitektur 4.3 Prozess der Ratingsystementwicklung und Ratingsystemarchitektur 5 Resümee und Ausblick

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1 Einleitung Interne Ratingsysteme sind seit je her die Basis für die Ausfallrisikosteuerung einer Geschäftsbank. Entsprechend sind interne Ratingsysteme auch keine moderne Erscheinungsform im Rahmen der Banksteuerung. Neu ist hingegen, dass Ratingsysteme seit einigen Jahren nicht mehr nur expertenbasiert wie in der Vergangenheit, sondern auch empirisch – basierend auf historischen Daten ausgefallener und nicht ausgefallener Kunden – entwickelt werden und den modernen Ratingsystemen eine umfassende empirischstatistische Methodik zugrunde liegt. Als Katalysator für die Entwicklung empirisch basierter Ratingsysteme wirkte das 2007 in Kraft getretene aufsichtsrechtliche Basel-II-Rahmenwerk, das es den Banken erlaubt, ihre Ratingsysteme nicht nur für die interne Ausfallrisikosteuerung zu nutzen, sondern ihrer aufsichtsrechtlichen Eigenmittelunterlegungspflicht auf Basis interner Ratingsysteme nachzukommen. Intention der Aufsicht bei der Optionierung des Internen-Rating-Ansatzes war eine sachgerechtere, weil risikodifferenziertere aufsichtliche Eigenmittelunterlegung, die Nutzung des Know-how der Banken im Bereich der Ausfallrisikosteuerung für aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungszwecke, die Schaffung von Anreizen bei den Banken zur Entwicklung und zum Einsatz empirisch-statistischer Ratingsysteme und die Harmonisierung von aufsichtsrechtlicher und interner Steuerung. Im Rahmen der Finanzmarktkrise ist jedoch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass die Banksteuerungssysteme im Allgemeinen, aber auch die internen Ratingsysteme der Banken die an sie gestellten Erwartungen nicht vollständig erfüllen, dass im Rahmen der Ausfallrisikomessung empirisch-statistische Analysen den Blick für eine gesamthafte, kreditnehmerindividuelle und auch gesamtwirtschaftliche Aspekte berücksichtigende Bonitätsbeurteilung verstellt haben und dass die Banken ihre Freiheiten beim Bau der Ratingsysteme zum Teil auch zur sachlich nicht gerechtfertigten Einsparung von aufsichtsrechtlichem Eigenkapital genutzt haben. Auch aufsichtsrechtlich scheint die Euphorie für die Nutzung interner Ratingsysteme für Zwecke der Eigenmittelunterlegung abgenommen zu haben und Banken schließlich, die bisher noch keine internen Ratingsysteme für aufsichtsrechtliche Steuerungszwecke im Einsatz haben, scheinen derzeit vor dem Hintergrund immer höherer Anforderungen an die internen Ratingsysteme wohl abzuwägen, ob sich deren Einsatz lohnt. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der vorliegenden Abhandlung, die ökonomischen Anforderungen der Banken an interne Ratingsysteme und deren Einsatzmöglichkeiten darzustellen, die Überlegungen der Banken für oder gegen den Einsatz interner Ratingsysteme für die Eigenmittelunterlegung aufzuzeigen, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen beim Einsatz interner Ratingsysteme zu beleuchten, die Implikationen von

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Basel III für interne Ratingsysteme zu eruieren und schließlich den aufwändigen Prozess der Entwicklung interner Ratingsysteme darzustellen und somit einen Eindruck davon zu vermitteln, was empirisch-basierte Ratingsysteme zu leisten in der Lage sind und was nicht.

2 Grundlagen interner Ratingsysteme 2.1 Definition und Arten interner Ratingsysteme Moderne interne Ratingsysteme sind von (Geschäfts-)Banken selbst entwickelte, heutzutage – im Unterschied zu expertenbasierten tradierten Rating-Ansätzen – in der Regel mathematisch-statistisch basierte und auf empirischen Ausfalldaten fundierende Verfahren zur Ermittlung der Ausfallwahrscheinlichkeit von ausfallrisikobehafteten Kontrahenten. Interne Ratingsysteme haben den Anspruch, sowohl die Bonitätsreihenfolge als auch das Niveau der Ausfallgefährdung einzelner Kontrahenten sachgerecht festzulegen. Von externen Ratingagenturen – wie etwa von Fitch, S&P und Moody`s – generierte Ratingnoten beanspruchen hingegen nur, die Bonitätsreihenfolge der bewerteten Kontrahenten richtig festzulegen und machen keine Aussage zum prognostizierten Niveau der Ausfallgefährdung (der Ausfallwahrscheinlichkeit) der von den Agenturen bewerteten Unternehmen. Lediglich ex post werden von den externen Ratingagenturen in der Vergangenheit beobachtete Ausfallraten publiziert, die auf eine Ausfallwahrscheinlichkeit schließen lassen. Ein von modernen bankinternen Ratingsystemen zu prognostizierender Ausfall ist gewöhnlich entsprechend bankenaufsichtsrechtlicher Vorgaben definiert und tritt in der Regel bereits dann ein, wenn eine Einzelwertberichtigung für mit dem Kunden abgeschlossene Geschäfte gebildet wurde oder der Kunde mit seinen Zahlungsverpflichtungen mindestens 90 Tage in Verzug ist. Ein Ausfall tritt in der Diktion der Bank – bzw. in der Diktion der bankinternen Ratingsysteme – also bereits dann ein, wenn noch kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder ein Verlust aus einem Geschäft mit dem Kunden eingetreten ist. Dem Kunden ist in der Regel auch nicht bekannt, dass er aus Sicht der Bank als ausgefallen klassifiziert wurde. Eine spätere vollständige Auflösung einer einmal gebildeten Einzelwertberichtigung (EWB) oder eine Wiederaufnahme der Zins- und Tilgungszahlungen durch den Kunden heilt (rückwirkend) den Ausfall aus Sicht der Bank bzw. nach aufsichtsrechtlichen Vorgaben nicht. Die mit der Ratingnote prognostizierte Ausfallwahrscheinlichkeit ist folglich keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Verlusten, sondern über den Eintritt eines Zahlungsverzugs oder einer EWB-Bildung auf Engagements des Kunden.

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Interne Ratingsysteme fokussieren weiterhin nur auf die Ausfallgefährdung des Kunden und abstrahieren von Art und Umfang der Besicherung des mit dem Kontrahenten konkret abgeschlossenen Geschäfts. Das Rating eines Kunden ist also unabhängig davon, ob das mit ihm abgeschlossene Geschäft etwa mit einer Barsicherheit vollständig unterlegt wird oder ob vom Kunden keine Sicherheit bereitgestellt wird. Bei der Kreditentscheidung sollte demnach nicht allein das Rating des Kunden von Relevanz sein, sondern auch Art und Umfang der Besicherung. Bei einigen Banken gibt es, neben dem internen (Bonitäts-)Rating im engeren Sinne (von dem im Folgenden zu sprechen sein wird) zusätzlich ein geschäftsspezifisches sog. Expected-Loss-Rating, das neben dem Bonitätsrating auch Art und Umfang der Besicherung des konkreten Geschäfts kulminiert in einer weiteren „Expected-Loss-Ratingnote“ berücksichtigt. Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass gesicherte empirische Erkenntnisse über den Wert der Sicherheiten im Falle ihrer Verwertung (sog. Sicherheiten-Erlösquoten) und über Rückflüsse aus unbesicherten Engagements vorliegen. Die mit einer internen Ratingnote verknüpfte Ausfallwahrscheinlichkeit (in der Regel handelt es sich aufgrund aufsichtlicher Vorgaben um 1-Jahres Ausfallwahrscheinlichkeiten) wird gewöhnlich definiert durch eine „Rating-Masterskala“. Die Masterskala definiert pro Ratingklasse eine 1-Jahresausfallwahrscheinlichkeit, wobei diese Zuordnung im Zeitablauf fest definiert ist und konstant bleibt. D.h., wird ein internes Ratingsystem überarbeitet und c. p. die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kunden höher oder niedriger kalibriert, verändert sich die Ratingnote und nicht die der Ratingnote zugeordnete Ausfallwahrscheinlichkeit. Dieses Vorgehen einer konstanten Masterskala ist sinnvoll, um die Aussagekraft der Ratingnote im Zeitablauf nicht zu verwässern. Schließlich wird bei Ratingsystemen allgemein (d.h. sowohl bei internen Ratingsystemen als auch bei Systemen von externen Ratingagenturen) zwischen sog. Through-TheCycle-Ratingsystemen und Point-In-Time-Ratingsystemen unterschieden. ThroughThe-Cycle-Ratingsysteme sind dadurch charakterisiert, dass gewöhnliche konjunkturelle Schwankungen die Ratingnote nicht beeinflussen sollen. Verändert sich folglich die 1Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kontrahenten für das Prognosejahr allein dadurch, dass sich die Wirtschaft in einer Rezession befindet und sich die Bilanzverhältnisse als Grundlage des Ratings konjunkturbedingt verschlechtert haben, dann soll sich die Ratingnote eines Through-The-Cycle-Ratingsystems nicht verändern. Hiermit wird intendiert, eine zu starke Volatilität der Ratingnoten aufgrund gewöhnlicher Konjunktureinflüsse zu vermeiden. Bei einem Point-In-time-Ratingsystem hingegen sollen auch gewöhnliche konjunkturelle Einflüsse die Ratingnote determinieren. In praxi gibt es bei den Banken weder reine Point-In-Time- noch Through-The-Cycle-Ratingsysteme. Zwar wird bei der Kalibrierung der Ratingsysteme in der Regel ein Mehrjahreshorizont an Ausfällen berücksichtigt, so dass Konjunktureffekte gedämpft werden, jedoch beeinflussen insbesondere konjunkturbedingte Veränderungen der bilanziellen Verhältnisse weiterhin die Ratingnoten.

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2.2 Ökonomische Anforderungen an interne Ratingsysteme Unabhängig davon, ob es sich bei einem internen Ratingsystem um ein Through-TheCycle-Ratingsystem oder um ein Point-In-Time-Ratingsystem handelt, sind von internen Ratingverfahren nachfolgende ökonomische Anforderungen zu erfüllen: Erstens muss ein Ratingsystem eine möglichst hohe Trennschärfe (Fähigkeit, zwischen ausfallgefährdeten und weniger ausfallgefährdeten Kunden zu trennen) aufweisen. Diese ist im (unrealistischen) Idealfall dann gegeben, wenn ein Ratingsystem die Fähigkeit aufweist, ausfallende (schlechte) und nicht ausfallende (gute) Kreditnehmer ausnahmslos in voneinander getrennte und überschneidungsfreie Ratingklassen einzuordnen. Ist dies der Fall, dann können sowohl die Kreditvergabe an schlechte Kreditnehmer (sog. „AlphaFehler“) als auch die Ablehnung von Kreditanträgen von guten Kreditnehmern („BetaFehler“) vermieden werden. Zur integrativen Messung des Alpha- und Beta-Fehlers eines Ratingsystems wird das Instrument der Power-Statistik (PS) benutzt. Wird die PS auf ein bestehendes Ratingsystem angewendet, so müssen für einen hinreichend großen und repräsentativen historischen Kredit-Portfoliobestand guter und schlechter Kunden zum einen entsprechende Ratings gesammelt werden, zum anderen muss eruiert werden, ob die gerateten Kreditnehmer zum Beispiel ein Jahr nach Erstellung der Ratingnote (dann errechnet sich eine Ein-Jahres-PS) ausgefallen sind oder nicht. Nach dieser Datensammlung wird der fokussierte Portfoliobestand der untersuchten guten und schlechten Kreditkunden derart in ein Koordinatensystem einsortiert, dass auf der X-Achse die Kunden mit aufsteigender Bonität angeordnet werden. Auf der Y-Achse wird sodann abgetragen, wie viel Prozent der Kredite an ausgefallene Kunden hätten vermieden werden können, wenn an x Prozent Kunden des gesamten Kreditportfolios keine Kredite vergeben worden wären. Beim Idealmodell eines Ratingsystems sind alle schlechten – und nur die schlechten Kreditnehmer – in einer schlechten Ratingklassse angeordnet, so dass etwa bei insgesamt 1% schlechten Kreditnehmern im Kreditportfoliobestand nur Kredite an 1% der Kreditnehmer vom gesamten Portfoliobestand hätten ausgeschlossen werden müssen, um 100% der Ausfälle zu vermeiden. Durch einen Ausschluss weiterer Kreditnehmer hätten keine zusätzlichen Ausfälle vermieden werden können. Im Koordinatensystem ist das Idealmodell dargestellt durch die Linie, die die Punkte A, B und C tangiert. Bei einem Zufallsmodell hingegen sind gute und schlechte Kreditnehmer gleichmäßig so auf die verschiedenen Ratingklassen verteilt, dass bei einem Ausschluss von 50% der Kreditnehmer des gesamten Kredit-Portfoliobestandes auch nur erwartet werden kann, 50% der Ausfälle zu vermeiden (sog. „Würfelgenauigkeit“). Dieses Modell wird im Koordinatensystem durch die Linie dargestellt, die die Punkte A und C tangiert. Das realistische Modell stellt sich im Koordinatensystem als konkave Kurve zwischen dem Idealmodell und dem Zufallsmodell dar. Die PS errechnet sich dann durch das Verhältnis der Flächen I einerseits und der Summe der Flächen I und II ande-

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Interner Ratingansatz aus Sicht einer Geschäftsbank

rerseits. Ein gutes Ratingsystem, das den aktuellen Marktstandard erfüllt, sollte eine EinJahres-PS von mindestens 65% aufweisen. Abbildung 1: Schematische Darstellung des Instruments der Power-Statistik zur Beurteilung der Güte eines Ratingsystems Vermiedene Ausfälle Idealmodell

100%

B

C II Realistisches Modell I

Zufallsmodell

50%

I PS = I

+

II

A Anteil der Ausfälle im Portfolio

50%

100%

Ausgeschlossenes Portfolio

Eine zweite Anforderung an ein Ratingsystem besteht darin, dass die Masterskala über eine hinreichende Zahl von Ratingklassen verfügt, so dass Kreditnehmer einer bestimmten Klasse des Ratingsystems hinsichtlich ihrer Bonität möglichst homogen und gegenüber Kreditnehmern anderer Ratingklassen heterogen sind und eine in etwa gleich hohe Ausfallwahrscheinlichkeit aufweisen. Die Rating-Masterskalen der Geschäftsbanken haben gewöhnlich 15 bis 20 Ratingklassen für „lebende“ Kunden und bis zu 5 Ausfallklassen. Zu beachten ist bei der Festlegung der Masterskala, dass die Ratingnoten aller Portfolien auf die Masterskala gemappt werden müssen und dass die Masterskala auch eine hinreichende Bonitätsdifferenzierung nicht nur über das gesamte Portfolio der Bank, sondern auch innerhalb einzelner Portfolien gewährleisten soll. Es muss also zum Beispiel möglich sein, auf der Masterskala auch die Bonität von Adressen mit gewöhnlich guter Bonität wie etwa von Industrieländern oder Banken in unterschiedliche Ratingklassen zu differenzieren und diesen Adressen nicht nur eine oder nur wenige Ratingklassen zuzuweisen. Entsprechend sollte die Anzahl der Ratingklassen umso höher sein, je mehr Geschäftsfelder mit unterschiedlicher Bonität eine Bank hat.

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Drittens sollen die Klassen des Ratingsystems aber auch so gewählt sein, dass sich die Kreditnehmer im Zielfokus der Banken möglichst gleichmäßig auf alle Ratingklassen verteilen und sich nicht in wenigen Ratingklassen konzentrieren, was eine differenzierte Kreditentscheidung und eine differenzierte Preisstellung verhindern würde. Dies bedeutete, dass insbesondere in mittleren, in der Regel mit vielen Kreditnehmern besetzten Bonitätsbereichen die Ratingklassen stärker differenzieren müssen als in Bonitätsbereichen, in denen die Bank nur wenige Kreditnehmer besitzt. Viertens wird an moderne Ratingsysteme die Anforderung gestellt, dass sie unabhängig sein sollen von subjektiven Einschätzungen seitens des Ratingerstellers, um eine Einheitlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit der Ratingnoten zu gewährleisten. Eine fünfte Anforderung an ein internes Ratingsystem besteht darin, dass die einzelnen Ratingklassen mit Ausfallwahrscheinlichkeiten verknüpft sein sollen, um u.a. Kreditrisikoprämien sachgerecht kalkulieren zu können. Sechstens schließlich soll ein internes Ratingsystem für den Anwender transparent und nachvollziehbar sein, um eine hohe Akzeptanz des Ratings sicherzustellen. Dies ist dann gewährleistet, wenn sich das neue Ratingsystem den Anwendern nicht als „Black-Box“ darstellt, sondern sowohl die Entwicklung des Ratingsystems als auch die eruierten Risikofaktoren weitgehend offengelegt werden.

2.3 Einsatzmöglichkeiten interner Ratingsysteme Interne Ratingsysteme bzw. die mit diesen verknüpfte Wahrscheinlichkeit über den Ausfall von Geschäftspartnern sind der Nukleus jeder Bank-Ausfallrisikosteuerung. Es gibt kaum ein Instrument der Ausfallrisikosteuerung, das nicht auch auf internen Ratingsystemen basiert: Die Kreditrisikogrenze, bis zu der eine Bank gewillt ist, Ausfallrisiken einzugehen, ist definiert als interne Ratingnote. Die Höhe von Kreditlinien, in dessen Rahmen es Geschäftspartnern erlaubt ist, ausfallrisikobehaftete Handels- oder Kreditgeschäfte mit der Bank zu tätigen, wird primär in Abhängigkeit von der internen Ratingnote festgelegt. In der deckungsbeitragsorientierten, von den Kundenbetreuern im Rahmen der Geschäftsakquisition durchgeführten Vorkalkulation von Krediten sind die wesentlichen Kostendeterminanten Standardrisiko (SRK)- und Eigenkapitalkosten (EKK) zur Abdeckung erwarteter (SRK) und unerwarteter (EKK) Verluste – beide Kostendeterminanten wiederum basieren auf internen Ratingnoten. Die Kompetenz der Marktfolge-Entscheidungsträger zur Bewilligung von Kreditanträgen ist abhängig von internen Ratingnoten. In der Nachkalkulation von Krediten nach Geschäftsabschluss wird der Erfolgsbeitrag von einzelnen Geschäften, Kunden und Profit-Centers analog zur Vorkalkulation maßgeblich

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bestimmt von auf internen Ratingnoten basierenden SRK und EKK. Nach Geschäftsabschluss wird die Gefahr unerwarteter Verluste mit Hilfe von Credit-Value-At-RiskSystemen gemessen, diese basieren wiederum auf internen Ratingnoten bzw. entsprechenden Ausfallwahrscheinlichkeiten. Ebenso sind im Ausfallrisiko-Portfolioreporting interne Ratingnoten ein zentrales Darstellungskriterium. Die ausfallrisikoadjustierte, sog. Fair-Value-Bewertung von Krediten im Rahmen der IFRS-Rechnungslegung basiert ebenfalls auf internen Ratingnoten. Während der Kreditlaufzeit wird in Abhängigkeit von internen Ratingnoten über die Intensität der Bonitätsüberwachung (Monitoring) entschieden. Auch erfolgt oftmals die Planung von Einzelwertberichtigungen auf Basis von Standardrisikokosten, die – wie erwähnt – maßgeblich von internen Ratingnoten bestimmt werden. Schließlich bestimmt sich insbesondere bei vielen Großbanken die Höhe der aufsichtsrechtlichen Eigenmittelunterlegung anhand von internen Ratingnoten.

3 Aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken 3.1 KSA und IRBA als aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungsalternativen Bezogen auf die aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung können von den Banken gemäß der sog. Basel-II-Regelungen interne Ratingsysteme genutzt werden, um im Rahmen der aufsichtsrechtlichen Internal Ratings Based Approaches (IRBA) die Höhe des aufsichtsrechtlichen Eigenkapitals zu bestimmen. Eine Verpflichtung zur Nutzung des IRBA gibt es für die Banken allerdings nicht. Vielmehr kann die Eigenmittelunterlegung alternativ auch im Rahmen des sog. Aufsichtsrechtlichen Kreditrisiko-Standardansatzes (KSA), der im Wesentlichen auf externen Ratingnoten basiert, unterlegt werden. Bei beiden Ansätzen (KSA und IRBA) hängt die Eigenmittelunterlegung neben der internen oder externen Ratingnote bzw. der damit verknüpften Ausfallwahrscheinlichkeit von den Parametern der erwarteten Inanspruchnahme zum Ausfallzeitpunkt (EAD), der Verlustquote bei Ausfall (LGD) und von der Restlaufzeit (M) ab. Der aufsichtsrechtliche Eigenkapitalbedarf errechnet sich sowohl beim KSA als auch beim IRBA dann als Produkt von EAD, Risikogewicht und dem aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalfaktor. Beim IRBA ist wiederum zwischen dem einfachen und dem fortgeschrittenen IRBA zu unterscheiden. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden IRBA-Ansätzen besteht in der Festlegung der Parameter LGD, CCF und M. Beim einfachen IRBA werden LGD und CCF aufsichtsrechtlich vorgegeben – ggf. unter Anrechnung vorhandener Sicherheiten – und der Laufzeitfaktor M auf 2,5 Jahre festgesetzt. Von bankinternen Ra-

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ting-Modellen determiniert wird lediglich die PD. Beim fortgeschrittenen Ansatz werden hingegen auch die Parameter LGD und CCF aus internen Verlusterfahrungen bzw. aus eigenen Erfahrungen über Inanspruchnahmen für Kreditlinien (CCF) ermittelt. Der Faktor M entspricht im fortgeschrittenen Ansatz der tatsächlichen Restlaufzeit der Kredite, wobei die maximale Restlaufzeit auf 5 Jahre begrenzt ist.

3.2 Kalkül der Banken bei der Wahl des IRBA Die Entscheidung für den KSA oder für einen der beiden IRB-Ansätze ist auf Basis einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen und daher nur schwer zu einem abschließenden Gesamturteil zu aggregierenden Kriterien zu treffen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Entscheidung für einen der drei Ansätze mit weitreichenden Konsequenzen insbesondere hinsichtlich Kosten, Mitarbeiterbindung und Managementaufmerksamkeit verbunden und – einmal getroffen – in der Regel irreversibel ist, erscheint es ratsam, die Kriterien sorgsam abzuwägen, die Entscheidung nicht zu übereilen, unterschiedlichste Interessengruppen mit in die Entscheidung einzubeziehen, nicht nur den Status Quo der Bank, sondern auch Entwicklungsszenarien zu berücksichtigen und Erfahrungen vergleichbarer Institute mit den Ansätzen zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen den IRBA ist zunächst die Existenz IRBAfähiger bzw. weitgehend IRBA-fähiger Ratingsysteme zum Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen. Setzt ein Institut etwa bereits seit Jahren Ratingsysteme ein, die den aufsichtsrechtlichen IRB-Anforderungen vollständig oder zum Großteil genügen, so spricht dies für die Wahl eines IRB-Ansatzes, da dann der enorme Aufwand für die Entwicklung IRB-fähiger Ratingsysteme entsprechend reduziert wird. So beträgt die Entwicklungsdauer von der Entscheidung für den Bau eines Ratingsystems, der fachlichen Einarbeitung in die Besonderheiten des jeweiligen Geschäftsfeldes, der Entscheidung für einen geeigneten Modellansatz, der Datensammlung und Datenbereinigung, der Programmierung statistischer Entwicklungssoftware, der Durchführung erforderlicher statistischer Analysen, deren Dokumentation, über den Bau eines Prototyps bis zur finalen IT-technischen Umsetzung und bis zur Schulung der Anwender bis zu 2 Jahre. Auch sind Kosten für den Kauf bzw. den Bau von internen Ratingsystemen durch externe Berater von bis zu 2 Mio. EUR und mehr pro Ratingsystem nicht unüblich. Aber auch dann, wenn entsprechende Kostenbudgets für die Entwicklung eines Ratingsystems von der Bank bereitgestellt werden, sollte beachtet werden, • dass vor einer IRBA-Zulassung die Ratingsysteme von der Bankenaufsicht geprüft werden müssen, was weitere erhebliche Mitarbeiterkapazitäten bindet; • dass die interne Revision die Ratingsysteme vor der Zulassungsprüfung auf ihre IRBA-Fähigkeit hin untersuchen muss;

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• dass durchaus das Risiko besteht, eine IRBA-Zulassungsprüfung nicht zu bestehen; • dass auch im Falle einer erfolgreichen Zulassungsprüfung in der Regel aufsichtsrechtliche Feststellungen zur Weiterentwicklung der Ratingsysteme zu erwarten sind; • dass nach oftmals umfangreichem Weiterentwicklungsaufwand mit einer erneuten aufsichtsrechtlichen Nachschauprüfung zu rechnen ist; • dass die IRBA-zugelassenen internen Ratingsysteme jährlich umfänglich zu validieren sind und • dass Weiterentwicklungen von IRBA-Ratingsystemen nicht nach autonomem Ermessen der Bank, sondern im Rahmen einer aufsichtsrechtlichen sog. Model-ChangePolicy vorab mit der Aufsicht abzustimmen sind. Sofern eine Bank nicht selbst bereits über IRBA-fähige Ratingsysteme verfügt, so ist bei der Entscheidung für oder gegen einen aufsichtsrechtlichen IRBA-Ansatz relevant, ob im Rahmen einer Konzerneinbindung nicht von der Mutter-Bank oder von einem anderen Konzerninstitut oder ob im Rahmen einer Verbundgruppeneinbindung nicht von einem Banken-Verband oder einer verbandsnahen Ratinggesellschaft IRBA-fähige und idealerweise schon von der Aufsicht zugelassene interne Ratingsysteme genutzt werden können. In diesem Fall: • entfällt die aufwändige Entwicklung der Ratingsysteme, • wird aufsichtsrechtlich nicht mehr die Ratingmethodik beim neu in den IRBA eintretenden Institut geprüft – da das Ratingsystem ja bereits methodisch für valide befunden wurde –, sondern es werden nur noch die Ratingprozesse beim sich für den IRBAnsatz bewerbenden Institut von der Aufsicht analysiert (Prozessprüfung), • erfolgen methodische Weiterentwicklungen in der Regel bei demjenigen Institut, das das Ratingsystem ursprünglich entwickelt hat (Methodenprüfung), • kann die Bank, die das Ratingsystem übernimmt, auf die Erfahrungen und die Prozessdokumente (Ratingleitfäden, Schulungsunterlagen etc.) des Ratingsystemanbieters zurückgreifen, • werden Überarbeitungen in der Regel von der das Ratingsystem bereitstellenden Bank vorgenommen, • wird auch die Änderungskommunikation mit der Aufsicht im Rahmen der ModelChange-Policy in der Regel vom Ratingsystem bereitstellenden Institut übernommen. Nachzuweisen vom das Ratingsystem übernehmenden Institut ist in diesem Fall aber, dass das von der Muttergesellschaft oder dem Verband übernommene Ratingsystem repräsentativ ist für das eigene Institut und dass ein methodisches Grundverständnis für das übernommene Ratingsystem besteht. Diesbezüglich ist es jedoch üblich, dass das Ra-

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tingsystem entwickelnde Institut das Ratingsystem übernehmende Institut in Fragen der Ratingmethodik in mehrtägigen Workshops schult. Ferner ist bei der Übernahme von Ratingsystemen zu beachten, dass nicht in jedem Fall auch die DV-Umsetzung des Ratingmodells von der das Ratingsystem bereitstellenden Bank übernommen werden kann, weil ggf. eine entsprechende DV-Infrastruktur bei der das Ratingsystem übernehmenden Bank fehlt, die DV-Infrastruktur zu komplex ist oder die DV-Architektur bei der das Ratingsystem übernehmenden Bank der Ratingsystem-DV-Umsetzung der das Rating bereitstellenden Bank widerspricht. In diesen Fällen wäre eine DV-Umsetzung beim Ratingsystem übernehmenden Institut selbst vorzunehmen, was einen nicht zu unterschätzen Implementierungszeitraum von sechs bis neun Monaten erfordern und erhebliche Implementierungskosten verursachen kann. Eine Alternative zur Übernahme eines Ratingmodells und zur Vermeidung dv-technischer Implementierungsprobleme stellt in diesem Zusammenhang ein sogenannter Rating-Desk dar. Hier stellt dasjenige Institut, das bereits ein IRB-fähiges oder zugelassenes Ratingsystem im Einsatz hat, nicht das Ratingsystem zur Verfügung, sondern bereits mit dem Ratingsystem erzeugte Ratingnoten und Analysen, die dann nur noch vom Ratingnoten übernehmenden Institut plausibilisiert werden müssen. Unproblematisch ist diese Ratingnotenübertragung dann, wenn beim Ratingnoten übertragenden Institut – aufgrund einer eigenen Geschäftsbeziehung zum Kunden – die angefragte Ratingnote bereits vorliegt. Allerdings ist auch in diesem Fall dann, wenn in die bereits vorliegende Ratingnote Erkenntnisse aus der Geschäftsbeziehung zum Kunden vom Ratingnoten übertragenden Institut eingeflossen sind, der geratete Kunde um Erlaubnis zur Übertragung der Ratingnote anzufragen. Eine Verpflichtung des Kunden zur Zustimmung zur Ratingnotenübertragung gibt es hierbei nicht und es ist oft mit einem längerfristigen Zustimmungsprozess zu rechnen. Hat das Ratingnoten übertragende Institut die angefragte Ratingnote nicht bereits generiert, weil zum entsprechenden Kunden keine Geschäftsbeziehung besteht, muss die Ratingnote für das anfragende Institut extra generiert und eine Ratinganalyse für das anfragende Institut extra erstellt werden, was mit einem Analystenaufwand von mehreren Tagen und entsprechenden Kosten verbunden ist. Schließlich ist bei der Übernahme eines Ratingsystems oder einer Ratingnote zu beachten, ob ein Outsourcing-Tatbestand erfüllt ist, was mit zahlreichen rechtlichen Kontrollund Überwachungsprozessen beim Ratingsystem oder Ratingnoten bereitstellenden Institut verbunden ist. Ein weiteres Kriterium bei der Wahl eines IRB-Ansatzes ist die Größe des Instituts. Sehr kleine Banken mit entsprechend kleinen Controlling-Abteilungen sind in der Regel nur schwer in der Lage, IRBA-Ratingsysteme selbst einzuführen und mit eigenen Ressourcen den IRBA-Zulassungsprozess zu begleiten und den Betrieb von IRBA-Ratingsystemen (insbesondere eine regelmäßige umfassende Validierung) dauerhaft zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn IRBA-Ratingsysteme von den sehr kleinen

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Banken selbst entwickelt werden und entsprechend eine aufsichtsrechtliche Methodenprüfung bei den Instituten stattfinden muss. Auch wenn es großen Instituten unbenommen bleibt, nicht den IRBA-Ansatz für die aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung zu wählen, sondern den KSA, so besteht gleichwohl die Erwartung der Bankenaufsicht, dass sehr große Institute zumindest den einfachen Ansatz im Rahmen der IRB-Ansätze wählen. Falls eine Großbank hingegen den KSA zur Eigenmittelunterlegung wählt und damit den Erwartungen der Bankenaufsicht nicht entspricht und wenn die Aufsicht insbesondere den Eindruck hat, dass durch die Wahl des KSA eine maßgebliche Eigenkapitalersparnis intendiert wird und die Eigenkapitalausstattung der Bank als nicht ausreichend erachtet wird, dann kann die Aufsicht der KSA-Bank einen Eigenkapitalzuschlag auferlegen. Sollte die Bankenaufsicht ferner den Eindruck gewinnen, dass eine Großbank deshalb den Standardansatz wählt, weil die eingesetzten Ratingsysteme keinem einer Großbank gemäßen Standard genügen und hält die Aufsicht die eingesetzten Ratingsysteme nicht für risikoadäquat, kann die Aufsicht – durch strenge Anforderungen an die gemäß MaRisk von allen Banken einzusetzenden Risikoklassifizierungsverfahren (= vereinfachtes Ratingverfahren) – die Bank dazu bewegen, trotz Wahl des KSA Risikoklassifizierungsverfahren einzusetzen, die in ihrer Güte und Komplexität den IRB-fähigen Ratingverfahren nahezu gleichkommen. Vor diesem Hintergrund haben alle Großbanken in Deutschland einen der beiden IRBA-Ansätze zur aufsichtsrechtlichen Eigenmittelunterlegung gewählt. Unabhängig von der aufsichtsrechtlichen Erwartung sind bei der Entscheidung für oder gegen einen IRB-Ansatz zum einen die Erwartung der Banköffentlichkeit und zum anderen die mit dem Einsatz von IRB-Ratingsystemen verbundene Reputation zu beachten. Insbesondere große Bankkunden, die mit den internen Ratingsystemen beurteilt werden, empfinden eine IRBA-Zulassung als Gütekriterium der internen Ratingsysteme der Bank, und auch externe Ratingagenturen und der Wirtschaftsprüfer erwarten in der Regel von größeren Banken die Wahl eines IRB-Ansatzes. Bei der Wahl des Standardansatzes könnten intensivere Ratingdiskussionen mit Kunden und Wirtschaftsprüfern oder gar eine schlechtere externe Ratingnote die Folge sein. Auch ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Wahl des IRBA oder des KSA im Rahmen des Risikoberichts (Teil des Jahresabschlusses) der Banköffentlichkeit gegenüber zu kommunizieren ist. Abgesehen von der Erwartung der Banköffentlichkeit wird der IRB-Ansatz insbesondere von Großbanken oft auch aufgrund ihres Selbstverständnisses und des eigenen Anspruchs, Risiko-Steuerungsinstrumente gemäß hohem Marktstandard einzusetzen und diesen hohen Standard auch zu dokumentieren, gewählt. Dieses Selbstverständnis sollte jedoch nicht dazu führen, die Entscheidung für einen IRB-Ansatz weniger intensiv zu beleuchten und die Ansatzwahl ohne reifliche Überlegung und Einbindung aller Interessengruppen zu treffen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Kosten und Managementauf-

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merksamkeit unterschätzt werden und die Entscheidung im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein weiteres Kriterium bei der Wahl des IRB-Ansatzes sind die Implikationen auf das gemäß Standard- oder IRB-Ansatz zu unterlegende aufsichtsrechtliche Eigenkapital. Eigenkapitaleinsparungen sind bei der Wahl eines IRB-Ansatzes insbesondere bei Instituten zu erwarten, die kleinvolumiges Retailgeschäft mit Kunden guter Bonität oder hoch besichertes Spezialfinanzierungsgeschäft betreiben. Für diese Institute überwiegt oft der Nutzen durch die Kapitaleinsparung den zusätzlichen Aufwand bei Wahl des IRB-Ansatzes. Ein weiterer zu beachtender Aspekt bei der Wahl eines IRB-Ansatzes ist die Einbindung einer Bank oder auch einer Nicht-Bank (z.B. einer Leasing-Gesellschaft) in einen BankKonzern. So erfordern die aufsichtsrechtlichen Vorschriften eine Abdeckung mit IRBRatingsystemen nicht nur auf Einzelinstituts-, sondern auch auf Gruppenebene. Es kann folglich die Konstellation auftreten, dass sich für ein Einzelinstitut die Wahl eines IRBAnsatzes als nachteilig herausstellt, dann aber auf Gruppenebene – sofern die Konzernmutter einen IRB-Ansatz gewählt hat – der erforderliche Abdeckungsgrad mit IRB-Ratingsystemen nicht mehr erreicht werden kann. In diesem Fall kann das Erfordernis entstehen, dass die Konzerntochter nicht aus eigenem Kalkül heraus, sondern in erster Linie zur Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen auf Konzernebene einen IRB-Ansatz wählen muss. Zusätzlich ist bei der Wahl eines IRB-Ansatzes die Struktur des Portfolios zu beachten. Je diversifizierter die Geschäftsfelder einer Bank und daraus resultierend die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Ratingsystemen – jeweils zugeschnitten auf die einzelnen Geschäftsfelder – zu entwickeln, desto höher ist die Hürde, einen IRB-Ansatz zu wählen. Bei Großbanken mit vielen unterschiedlichen Geschäftsfeldern im Corporate- und Retail-Bereich besteht oft die Notwendigkeit, 10 bis 20 interne Ratingsysteme zu entwickeln, was einen erheblichen Aufwand darstellt. Bei Spezialbanken mit nur wenigen Geschäftsfeldern reichen hingegen oft nur 5 Ratingsysteme, um die aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen.

3.3 Aufsichtsrechtliche Anforderungen an und Prüfung interner Ratingsysteme Sofern die Entscheidung für den IRBA getroffen und interne Ratingsysteme entwickelt wurden, muss die Verwendung eines IRB-Ansatz für aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungszwecke zuvor bei der Aufsicht beantragt und von dieser genehmigt werden. Eine Genehmigung erfolgt in der Regel erst nach einer umfangreichen Prüfung jedes einzelnen Ratingsystems, die gewöhnlich von der Bundesbank im Auftrag der BaFin und

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zukünftig – bei Großbanken – im Auftrag der EZB durchgeführt wird. Hat ein Institut das Ziel oder besteht eine Notwendigkeit, den Zulassungsbescheid der Aufsicht zu einem bestimmten Zeitpunkt spätestens zu erhalten, ist zu berücksichtigen, dass auch die Aufsicht die Prüfung der Ratingsysteme rechtzeitig einplanen muss. Gewöhnlich besteht eine Jahres-Prüfungsplanung der Aufsicht, so dass bereits im Herbst des Vorjahres der Bundesbank die Prüfung eines Ratingsystems zu avisieren ist, die dann im Folgejahr stattfindet. Weiterhin ist im Rahmen der Prüfungsplanung zu beachten, dass das einen IRB-Ansatz beantragende Institut mindestens drei Jahre lang Ratingsysteme verwendet haben muss (3-Jahres-Erfahrungshorizont), die den Anforderungen an IRB-Ratingsysteme im Wesentlichen entsprechen. Über den 3-Jahres-Erfahrungshorizont hinaus erwartet die Aufsicht weiterhin, dass das Ratingsystem vor der Prüfung mindestens 6 Monate (Use-Test) unverändert – hinsichtlich Ratingmodell und Ratingprozess – im Einsatz war und dass zum Prüfungsbeginn mindestens 80% des Portfolios des zu prüfenden Ratingsystems mit dem Ratingsystem bereits geratet wurden. Nach Beantragung eines IRBA-Ansatzes werden von der Aufsicht vor Prüfungsbeginn umfangreiche Unterlagen angefordert, die gewöhnlich 6 Wochen vor Prüfungsbeginn einzureichen sind. Hierbei handelt es sich insbesondere um ein detailliertes Fachkonzept für das zu prüfende Ratingsystem, einen aktuellen Validierungsbericht, ein Validierungsfachkonzept, einen Revisionsbericht, Portfolio-Daten zum jeweiligen Ratingsystem und eine für jedes Ratingsystem zu befüllende sog. Konkordanzliste, in der die Ratingmethodik und die Ratingprozesse detailliert beschrieben werden. Hinsichtlich der Prüfungsplanung der Bank ist in Bezug auf die vor Prüfungsbeginn einzureichenden Unterlagen zu berücksichtigen, dass das zu prüfende Ratingsystem vor Beginn der aufsichtsrechtlichen Prüfung von der internen Revision einer intensiven Beurteilung zu unterziehen und auch eine aktuelle Validierung rechtzeitig vor Prüfungsbeginn durchzuführen ist. Abgesehen von der Einplanung der rechtzeitigen Erstellung von Revisions- und Validierungsberichten ist aber schon die Bereitstellung und Aufbereitung bereits erstellter und vorhandener Unterlagen sehr aufwändig und erfordert einen Vorbereitungszeitraum von bis zu drei Monaten, was bei der Prüfungsplanung zu beachten ist. Das zu prüfende Ratingsystem selbst muss gemäß aufsichtsrechtlicher Vorgaben u.a. eine aussagekräftige Beurteilung der Merkmale von Schuldnern und Geschäft, eine aussagekräftige Risikodifferenzierung sowie genaue und einheitliche quantitative Risikoschätzungen liefern, was von der Aufsicht im Rahmen der Prüfung beurteilt wird. Diese Anforderungen sind aufgrund der Unterschiedlichkeit von Geschäftsfeldern und der daraus resultierenden Anforderungen zur Bonitätsbeurteilung sowie der verschiedenen möglichen Modell-Ansätze zur Ratingentwicklung nur schwer operationalisierbar. Folglich gibt es einen unvermeidbaren aufsichtsrechtlichen Freiheitsgrad bei der Zulassung von IRB-Ratingsystemen sowie ein Risiko für die Bank, den Anforderungen im Rahmen der IRBA-Prüfung nicht zu genügen. Die Erfahrung mit bankenaufsichtsrechtlichen Prüfungen hat jedoch gezeigt, dass von der Aufsicht durchaus unterschiedliche methodische Ra-

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tingansätze akzeptiert werden, sofern diese den abzubildenden Risiken gerecht werden und von der Bank ausreichend begründet und dokumentiert werden. Eine weitere aufsichtsrechtliche Anforderung besteht darin, dass die Ratingsysteme nicht nur für aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungszwecke verwendet werden, sondern eine wesentliche Rolle beim Risikomanagement und im Entscheidungsprozess sowie bei der Kreditbewilligung, der Allokation des internen Kapitals und der Unternehmensführung des Instituts spielen sollen. Auch hier besteht ein Ermessensspielraum der Bankenaufsicht, wann diese Kriterien als erfüllt gelten. In der Regel wird als Nachweis für die Verwendung des Ratingsystems akzeptiert, dass Kreditentscheidungen auf den vom IRB-System generierten Ratingnoten basieren, Standardrisikokosten in Abhängigkeit von den IRB-Ratingnoten festgelegt werden und Limite auf Basis der IRB-Ratingnoten eingeräumt werden. Eine organisatorische Anforderung der Aufsicht im Rahmen einer IRBA-Zulassungsprüfung besteht ferner darin, dass eine unabhängige und vor ungebührlicher Einflussnahme geschützte Kreditrisikoüberwachungseinheit besteht, die für die Ratingsysteme zuständig ist, d.h. die Ratingsysteme entwickelt, weiter entwickelt, validiert und der Bankenaufsicht im Rahmen der IRBA-Zulassungsprüfung vorstellt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allem, dass die Einheit in einem Bereich angesiedelt ist, wo es zu keinen Interessenkonflikten mit Anwendern und Betroffenen der Ratingnoten kommt. Insbesondere eine organisatorische Zuordnung der Einheit zu einem Kundenbereich mit Ergebnisverantwortung erschiene hier nicht adäquat. Die Prüfung der IRB-Ratingsysteme durch Bundesbank/BaFin/EZB selbst dauert pro Ratingsystem bis zu 6 Wochen und wird von bis zu 10 Prüfern der Bundesbank und der BaFin (und EZB) begleitet. Die Prüfer werden der Bank vor Beginn der Prüfung benannt, arbeiten in der Regel in zwei Teams, wobei ein Team für methodische Fragen und das zweite für kreditprozessuale, IT-technische und meldetechnische Fragen zuständig ist. Koordiniert werden die beiden aufsichtsrechtlichen Teams von einem Prüfungsleiter. Auf der Bankseite sollten an der Prüfung die Mitarbeiter der Risikoüberwachungseinheit, die das Ratingsystem entwickelt haben, und die Analysten aus dem Kreditbereich, die das zu prüfende Ratingsystem anwenden, beteiligt sein. Partiell werden von der Aufsicht auch Mitarbeiter der Kundenbereiche im Rahmen der Prüfung zum Geschäftsgebaren befragt, Mitarbeiter des Rechnungswesens zur Umsetzung der Meldeprozesse, und es ist der IT-Bereich involviert, der die technische Umsetzung des Ratingmodells erläutert. Ferner werden im Rahmen der Prüfung auch Gespräche geführt mit der internen Revision. Externe Berater, die ggf. das Ratingsystem mit entwickelt oder Rating-Prozesse mit gestaltet haben, sollten hingegen nicht an der Prüfung beteiligt sein, da es der Aufsicht ein großes Anliegen ist, bestätigt zu sehen, dass Methoden und Prozesse von bankinternen Mitarbeitern vertreten werden können.

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Um eine logistisch fehlerfreie Organisation der IRBA-Prüfung zu gewährleisten, ist die Einrichtung eines Prüfungsbüros sinnvoll. Das Prüfungsbüro agiert als zentraler Ansprechpartner für die Aufsicht sowie für alle Mitarbeiter der Bank, die an der Prüfung beteiligt sind. Aufgabe des Prüfungsbüros sind u.a. die Kommunikation mit der Aufsicht zu allen Prüfungsbelangen, die Organisation der Räume für die Prüfer der Aufsicht, die Organisation von Ausweisen für den Zutritt zur Bank, die Beschaffung von DV-Hardware und von Büromaterial, die Organisation von Zugriffen zu erforderlichen DV-Systemen, die Koordination von Kick-off-Meetings, von Zwischen- und von Sachverhaltserörterungen, die Koordination von Gesprächs- und Interviewterminen der Aufsicht, die zentrale Bereitstellung und Ablage von Dokumenten an die Aufsicht, das Nachhalten offener Punkte, die Ablage von Protokollen der Prüfungsgespräche, die Koordination interner Jour Fixes im Laufe der Prüfung sowie ggf. von Reisen der Prüfer zu in- und ausländischen Standorten der Bank. Der Ablauf der Prüfung beginnt in der Regel mit einer formalen Kick-Off-Sitzung, an der alle beteiligten Prüfer der Aufsicht sowie alle an der Prüfung beteiligten Mitarbeiter der Bank, Vertreter der internen Revision sowie betroffene Führungskräfte der Bank (oftmals bis zur Bereichsleiter- oder gar Vorstandsebene) teilnehmen. Ziel des Treffens ist eine Vorstellung aller Prüfungsbeteiligten, eine Klärung der Rahmenbedingungen der Prüfung sowie eine kurze Vorstellung des Ratingmodells, der Ratingprozesse und der IT-Infrastruktur. Nach der Kick-off-Sitzung erfolgt im Rahmen eines weiteren Gesprächs eine detaillierte, mehrstündige Darstellung der Ratingmethodik und der Ratingprozesse. An diesem Gespräch nehmen in der Regel alle unmittelbar Prüfungsbeteiligten von der Aufsicht und der Bank teil. Hiernach teilen sich im Rahmen des weiteren mehrwöchigen Prüfungsverlaufs die beiden aufsichtsrechtlichen Teams auf und prüfen im Rahmen von vom Prüfungsbüro vereinbarten Gesprächsrunden die Ratingmethodik sowie die Ratingprozesse. Bei den Gesprächen der Bank mit dem Methodikteam der Aufsicht werden in gewöhnlich täglich stattfindenden ein bis zwei Prüfungsgesprächen mit bis zu dreistündiger Dauer anhand des von der Bank bereitgestellten Fachkonzepts Diskussionen zu unterschiedlichsten Aspekten des Ratingmodells geführt. Die Gespräche sollten in einer „Seminaratmosphäre“ stattfinden, denn Ziel der Gespräche ist es nicht nur, die Aufsicht von der Sachgerechtigkeit des Modells zu überzeugen, sondern es soll der Aufsicht auch dargelegt werden, warum die Bank das Ratingsystem in der vorliegenden Form entwickelt hat und zudem soll die Fähigkeit gezeigt werden, Ratingsysteme eigenständig entwickeln und weiter entwickeln zu können. Oftmals besteht auch der Wunsch der Aufsicht, nach deren Vorgaben Alternativmodelle zum vorliegenden Modell zu entwickeln und die Qualität des Alternativmodells mit dem bestehenden Modell zu vergleichen. Die Aufträge der Aufsicht, die jeweils am Ende des Gesprächs mit der Aufsicht nochmals abzustimmen sind, sollten möglichst zeitnah bearbeitet werden, um den Prüfungsverlauf nicht zu beeinträchtigen. Bei dennoch eintretenden Verzögerungen der Bearbeitung ist die Aufsicht unmittelbar zu informieren. Grundsätzlich sollte für die Prüfungsgespräche und für die Bearbeitung von Aufträgen der Aufsicht hinreichend Zeit

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eingeplant werden, Prüfungsthemen sollten im Vergleich zum Tagesgeschäft prioritär behandelt und Abwesenheiten der unmittelbaren Prozessbeteiligten der Bank während des Prüfungszeitraums sollten vermieden werden. Im Rahmen der Gespräche der Bank mit dem Ratingprozessteam der Aufsicht werden einzelne Kreditfälle – die jeweils von der Aufsicht ausgewählt und kurz vor dem Gespräch bekannt gegeben werden – intensiv zwischen der Aufsicht, dem Kreditanalysten und in der Regel einem Vertreter des Kreditbereichs – mit übergreifender Verantwortung für kreditprozessuale Fragen im Rahmen der Prüfung – diskutiert. Ziel der Gespräche ist es u.a. zu prüfen, ob die Rating- und Kreditprozesse sachgerecht gelebt werden und ob ein hoher Datenqualitätsstandard gegeben ist. Ferner wird im Rahmen der Ratingprozessgespräche aber auch untersucht, ob die Modellannahmen der Ratingsysteme mit dem tatsächlichen Handeln der Kreditanalysten korrespondieren. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang, Protokolle der Prüfungsgespräche anzufertigen und ein wöchentliches bankinternes Jour Fixe mit Vertretern des Prozess- und Methodenteams stattfinden zu lassen, um über den Prüfungsverlauf zu berichten und ggf. entstandene Missverständnisse zwischen dem Methoden- und Prozessteam aufzuklären. Zur Mitte der Prüfung und zum Ende der Prüfung (nach Abschluss der fachlichen Gespräche) findet gewöhnlich ein Feed-Back-Gespräch der Aufsicht mit den unmittelbar Prüfungsbeteiligten statt. Im Rahmen des Gesprächs wird von der Aufsicht eine fachliche Einwertung des Ratingmodells und der Ratingprozesse gegeben. Ein offizielles Sachverhaltserörterungsgespräch findet erst einige Wochen nach Ende der Prüfung in der Zusammensetzung des Kick-offGesprächs statt. Der Bank werden vor der Sachverhaltserörterung die fachlichen Kritikpunkte der Aufsicht schriftlich mitgeteilt und die Bank ist aufgerufen, im Rahmen der Sachverhaltserörterung Stellung zu den Kritikpunkten zu beziehen und fachliche Missverständnisse auszuräumen. Hieran anschließend wird der finale Prüfungsbericht von der Bundesbank erstellt, der der Bank dann über BaFin/EZB mit einer Benotung der in der Schlussbesprechung diskutierten Kritikpunkte und der IRBA-Zulassung – oder der Ablehnung – zugestellt wird.

3.4 Basel III und interne Ratingsysteme Das in der EU ab 01.01.2014 in Kraft getretene „Basel III-Rahmenwerk“ wurde von den Staats- und Regierungschefs der G20-Länder als Weiterentwicklung des Basel II-Rahmenwerks – das es den Banken erstmals erlaubte, aufsichtsrechtliches Eigenkapital in Abhängigkeit von internen Ratingnoten zu unterlegen – als Reaktion auf die Finanzkrise beschlossen. Ziel von Basel III ist die Verbesserung der Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung der Institute. Die Banken müssen zukünftig nicht mehr nur mehr, sondern qualitativ höherwertiges Eigenkapital vorhalten. Kern- und Ergänzungskapital stehen zukünftig nicht mehr oder weniger gleichgewichtig nebeneinander, sondern das sog. „harte“ Kernkapital, das aus eingezahlten Eigenkapitalinstrumenten und den offenen

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Rücklagen besteht, steht zukünftig im Fokus der aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Zudem werden erstmals Kapitalpuffer eingeführt, die flexibler als die bisherigen Mindestkapitalquoten Kapitalanforderungen festsetzen können und die erstmals auch systemische Erwägung in der Eigenkapitalunterlegung berücksichtigen. Die in Basel II geschaffene Möglichkeit, einen IRB-Ansatz zu wählen und damit die Eigenmittelunterlegung auf Basis interner Ratingsysteme festzulegen, bleibt von Basel III hingegen unberührt. Lediglich die gesetzlichen Grundlagen für die aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung, die bisher in Deutschland im Wesentlichen in der Solvabilitätsverordnung geregelt waren, werden gesetzessystematisch durch das Basel-III-Rahmenwerk anders angeordnet. Hinsichtlich der Gesetzessystematik wird das Basel-III-Rahmenwerk in der EU zum einen durch eine Verordnung umgesetzt, die unmittelbar geltendes Recht darstellt (Capital-Requirements-Regulation – CRR). Hierdurch soll erreicht werden, dass bisher gewährte nationale Gestaltungsspielräume eingeschränkt werden und eine verstärkte Harmonisierung bei den aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen erfolgt („Single Rule Book“). Entsprechend finden sich in der CRR zum größten Teil auch die Baseler Vorgaben zur Eigenmittelunterlegung wie etwa die Definition des haftenden Eigenkapitals oder die Vorgaben zu einer angemessenen Ausstattung von Instituten zur Abdeckung u.a. von Kreditrisiken, was bisher in der SolvV geregelt war (der Umfang der SolvV wird durch Basel III daher deutlich reduziert). Neben der CRR wird das Basel-IIIRahmenwerk zum anderen durch eine Richtlinie umgesetzt (Capital Requirements Directive – CRD IV), die in nationales Recht umzusetzen ist. In der CRD IV finden sich Vorgaben zur Zulassung und Beaufsichtigung von Instituten, zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden, zu den zusätzlichen Kapitalpuffern u.ä., was aufgrund nationaler Besonderheiten einer nationalen Interpretation und Umsetzung bedarf. Relevant in Bezug auf die Verwendung interner Ratingsysteme für die aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegung ist, dass Basel III in der CRR über eine Neudefinition des haftenden Eigenkapitals und höhere Kapitalanforderungen hinaus auch die Einführung einer Verschuldungsquote (Leverage Ratio) vorsieht. Diese Ratio ist eine ergänzende Regelung zu internen Ratingnoten und damit einer Ratingmodell-determinierten risikogewichteten Eigenmittelunterlegung und sieht vor, dass zukünftig auch das nicht risikogewichtete Gesamtengagement in Beziehung zum Kernkapital gesetzt wird. Die Leverage Ratio ist ein Reflex der Aufsicht auf die Erfahrung der Finanzmarktkrise, dass in einigen Fällen die tatsächlich eingetretenen Ausfälle bzw. Verluste der Banken die von den Ratingmodellen der Banken prognostizierten Ausfälle bzw. Verluste weit überstiegen und dass das gemäß interner Ratingmodelle zu unterlegende aufsichtliche Eigenkapital im Vergleich zum Kreditexposure in einigen Fällen ggf. nicht ausreichend ist. Entsprechend kann die Leverage Ratio als Misstrauen gegenüber der reinen Ratingmodell-gestützten

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aufsichtsrechtlichen Eigenmittelunterlegung interpretiert werden. Die Aufsicht ist sich jedoch gleichwohl bewusst, dass ein vollständiger Verzicht auf eine risikogewichtete und damit Ratingmodell-gestützte Eigenmittelunterlegung dazu führen könnte, dass Banken riskantere Kreditengagements eingehen. Daher behält Basel III die risikogewichtete Eigenmittelunterlegung bei, verlangt aber ab 2015 von den Instituten eine Veröffentlichung der Leverage Ratio und ihrer Komponenten auf Basis eines einheitlichen Übersichtsbogens. Auf eine verbindliche Mindestanforderung für die Leverage Ratio wird hingegen – trotz häufiger Diskussionen über verschiedene „angemessene“ Höhen – bis dato verzichtet.

4 Entwicklung und Überwachung interner Ratingverfahren 4.1 Methodische Ansätze der Ratingsystementwicklung Es gibt mehrere Methoden, Ratingsysteme zu entwickeln. Abhängig von den für die Ratingentwicklung zur Verfügung stehenden Daten kommt eine der vier klassischen Verfahrensweisen zur Anwendung: 1. Gut-Schlecht-Analyse, 2. Externer-Rating-Referenzansatz (oder Shadow-Rating-Ansatz), 3. Cashflow-Simulation oder 4. Experten basierte Modellentwicklung Die Aufzählungsreihenfolge entspricht dabei der marktüblichen Präferenzreihenfolge in der Anwendung. Wann immer möglich, wird auf die Gut-Schlecht-Analyse zur Entwicklung interner Ratingsysteme zurückgegriffen. Die Entwicklungs- (und ebenso die Validierungs-) Stichprobe besteht bei diesem Verfahren aus Kreditnehmern des eigenen Portfolios (bzw. ggf. aus Kreditnehmern von Finanzverbünden), von denen bekannt ist, ob sie ausgefallen sind (Schlechtfälle) oder nicht (Gutfälle) sowie aus den über diese Kreditnehmer im Vorfeld des Ausfalls vorliegenden Informationen (potenzielle Ratingfaktoren). Im Rahmen der statistischen Analyse wird dann untersucht, mit welchen Einzelfaktoren und mit welchen Mehrfaktorkombinationen sich die späteren Schlechtfälle besonders gut von den Gutfällen unterscheiden lassen. Die Gut-Schlecht-Analyse setzt das Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl von Ausfällen voraus. In vielen Kreditnehmer-Segmenten liegt eine entsprechend ausreichen-

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de Anzahl von Ausfällen nicht vor. Beispiele hierfür sind typischerweise das Bankenportfolio und das Länderportfolio. Selbst durch das Poolen von Ausfalldaten in Finanzverbünden kann in der Regel nicht die erforderliche Datenmenge an Ausfällen erhoben werden. Deshalb hat sich als Marktstandard als Second-Best-Lösung der Externe-Rating-Referenzansatz (auch Shadow-Rating-Ansatz) durchgesetzt. Aus der Kalibrierung externer Ratings auf Ausfallwahrscheinlichkeiten wurde anstelle der binären zu Erklärenden „Gut oder Schlecht“ (0 oder 1) die stetige Erklärende „Ausfallwahrscheinlichkeit“ (0 ≤ PD ≤ 1) erhoben. Der Methodikbaukasten der Gut-Schlecht-Analyse ließ sich durch diesen „Kunstgriff“ auf den Externe-Rating-Referenzansatz übertragen. Für den Bereich der Spezialfinanzierungen (z.B. Projektfinanzierungen) ist es sinnvoll, auf Elemente der Cashflow-Simulation als weiteres Verfahren der Ratingentwicklung zurückzugreifen. Bei der Cashflow-Simulation wird die Ausfallwahrscheinlichkeit nicht über mit dem Ausfallereignis möglichst hoch korrelierte Faktoren prognostiziert, sondern kausal modelliert. Hierzu wird der Einfluss der zentralen (wenigen) Risikotreiber auf den Cashflow der Spezialfinanzierung, der zur Abdeckung des fälligen Kapitaldienstes ausreichen muss, modelliert und die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Risikotreiber übersetzt in die Wahrscheinlichkeitsverteilung, dass der Cashflow für den Kapitaldienst nicht ausreicht und die Spezialfinanzierung ausfällt. Liegen schließlich weder genügend Ausfälle noch genügend Kreditnehmer mit einem externen Rating, noch hinreichend Informationen für eine Cashflow-Simulation vor, so wird ein Experten basiertes Modell entwickelt. Hierbei wird durch einen entsprechenden Moderationsprozess das langjährige Experten-Know-how der Analysten in eine Auswahl besonders relevanter Risikofaktoren und deren Gewichtung kondensiert. Eine statistische Überprüfung kann dabei nur im Rahmen anekdotischer Evidenz erfolgen. D.h., es wird zum Beispiel überprüft, wie mit dem entwickelten Modell Ausfälle, die in dem entsprechenden Segment in den letzten fünf Jahren aufgetreten sind, vor Ausfall eingestuft worden wären. Sind die in der Vergangenheit aufgetretenen Ausfälle mit dem Expertenmodell als bonitätsmäßig gut eingestuft worden, wird das Modell überarbeitet. Darüber hinaus erfolgt eine Experten basierte Validierung des Modells, indem Kreditnehmer mit dem Modell geratet werden, und die Analysten das Modellergebnis anschließend mit ihrer Gesamteinschätzung des Kreditnehmers vergleichen. Hierzu eignen sich besonders Rangfolgevergleiche (d.h. Anordnung der Kreditnehmer nach abnehmender Bonität). In der Anwendung finden sich die oben genannten Entwicklungsansätze häufig auch in Mischformen – z.B. dergestalt, dass der quantitative Teil des Ratings (d.h. vor allem Jahresabschlussfaktoren) auf Basis einer Gut-Schlecht-Analyse entwickelt wird, der qualitative Teil des Ratings aber aufgrund mangelnder Verfügbarkeit qualitativer Daten aus der

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Vergangenheit zunächst auf Basis von Expertenwissen modelliert und später (nach einiger Zeit der Anwendung) dann mittels Gut-Schlecht-Analyse validiert und weiterentwickelt wird. Zu diesem Zweck ist es auch sinnvoll und üblich, ergänzend zu den „scharf geschalteten“ (das Ratingurteil tatsächlich determinierenden) qualitativen Faktoren zusätzliche „Dummy-Faktoren“ zu erheben, die zukünftig ebenfalls statistisch auf ihre Trennschärfe getestet werden sollen.

4.2 Ratingsystemarchitektur Unabhängig von der Wahl des methodischen Ansatzes ist im Rahmen der Ratingentwicklung die Ratingsystemarchitektur zu klären. Ratingsysteme zeichnen sich durch einen modularen Aufbau aus. Dabei werden im Rahmen der Ratingentwicklung verschiedene Bonitätsursachenkomplexe identifiziert und zunächst isoliert entwickelt. Interdependenzen zwischen den einzelnen Modulen werden in einem nächsten Schritt auf der Ebene des Gesamtmodells berücksichtigt. Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass zukünftig ein einzelnes Modul des jeweiligen Ratings etwa aufgrund neuer methodisch-konzeptioneller oder empirischer Erkenntnisse überarbeitet werden kann, ohne dass das andere Modul hiervon betroffen ist und ebenfalls überarbeitet werden muss, was den Weiterentwicklungsaufwand reduziert. Nachfolgend werden die einzelnen idealtypischen Module eines Ratingsystems beschrieben, wobei nicht jedes Modul bei allen Ratingsystemen Anwendung findet. In der Regel weisen Ratingsysteme ein quantitatives und ein qualitatives Modul auf. Im Rahmen des quantitativen Moduls werden quantitativ/objektive Daten (intervallskalierte Daten und solche auf nominalem und ordinalem Skalenniveau) erfasst, die: a) durch außen stehende Dritte überprüfbar sind und b) bei unterschiedlichen Analysten stets gleich beantwortet werden. Quantitative Daten unterliegen folglich nur geringen subjektiven Einflüssen seitens des das Rating unmittelbar anfertigenden Analysten. Bei quantitativen Daten handelt es sich bei Firmenkundenratings insbesondere um Informationen aus dem Jahresabschluss. Darüber hinaus können den quantitativen Daten aber z.B. auch die Anzahl der Mitarbeiter, das Sitzland/die Region oder die Branche des zu beurteilenden Unternehmens subsumiert werden. Aufgrund des Ausschlusses subjektiver Einflüsse kommt dem quantitativen Modul eine besondere Bedeutung zu, die sich gewöhnlich in einem hohen Modulgewicht niederschlägt. Qualitative Module umfassen im Unterschied zu quantitativen hingegen solche Informationen, die die zwei oben genannten Kriterien quantitativer Faktoren nicht erfüllen, son-

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dern in gewissem Umfang dem Urteilsvermögen des Analysten unterliegen. Hierbei handelt es sich etwa um die Qualität des Managements oder die Marktstellung des Unternehmens. Wenngleich nicht oder nur bedingt objektiv überprüfbar, können qualitative Informationen gleichwohl zur Verbesserung der Trennschärfe eines Ratingsystems beitragen. Mangelnde Nachvollziehbarkeit kann aber problematisch sein. Um entsprechende Verfälschungen oder auch nur eine fehlende Nachvollziehbarkeit oder eine intersubjektiv fehlende Vergleichbarkeit von qualitativen Faktoren zu verhindern oder zumindest einzuschränken, wird bei den Ratings oftmals versucht, die qualitative Bonitätsursache durch möglichst objektive Kriterien („reliabel“) zu erfassen. Beispielsweise wird die Frage nach der Qualität des Managements nicht der Interpretation des Analysten überlassen und dieser aufgefordert, die Managementqualität auf einer Skala zwischen null und zehn festzustellen. Vielmehr wird die Managementqualität anhand detaillierter Fragen wie etwa zur Ausbildung, zur Berufs- oder Branchenerfahrung des Managements erfasst. Allerdings wird nicht willkürlich anhand von objektiven Fragen auf qualitative Bonitätseinschätzungen geschlossen; vielmehr finden diese objektiven Fragen zu qualitativen Bonitätsursachen nur dann Eingang in das Ratingsystem, wenn empirisch nachgewiesen werden kann, dass es einen Wirkungszusammenhang gibt zwischen den objektiven Fragen und dem Ausfall eines Kreditnehmers (z.B. wenn sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass von Managern ohne Branchenerfahrung geführte Unternehmen signifikant häufiger ausgefallen sind als Unternehmen mit Managern mit einschlägiger Branchenerfahrung). Da entsprechende empirische Erfahrungen oftmals nicht vorliegen, d.h. qualitative Fragen in der Vergangenheit nicht gestellt und beantwortet wurden, erfolgt bei der Ratingerstellung in der Regel eine laufende Erhebung einer begrenzten Zahl potenziell bonitätsrelevanter Fragen (sog. Dummy-Variablen). Antworten auf diese Fragen haben zunächst noch keinen Einfluss auf das Rating. Nach einem ausreichenden Erhebungszeitraum werden die Antworten zu diesen Fragen statistisch ausgewertet und auf ihre Trennfähigkeit zwischen guten und schlechten Kreditnehmern hin untersucht. Nur bei nachgewiesener Trennfähigkeit werden die qualitativen Fragen dann im Rahmen einer Überarbeitung in der neuen Version des qualitativen Moduls berücksichtigt. Die gewichteten Bonitätsergebnisse der quantitativen und qualitativen Module führen zu einem ersten Bonitätsurteil. Dieses wird erweitert um sog. Warnsignale. Bei diesen handelt es sich um Ereignisse, die zwar selten auftreten, im Falle eines Eintritts aber eindeutige Hinweise auf eine erhöhte Ausfallgefahr des Kunden geben. Beispielsweise handelt es sich hier um Scheck- oder Lastschriftrückgaben mangels Deckung. Eingetretene Warnsignale führen in der Konsequenz zu einem Bonitätsabschlag. Die gewichteten Ergebnisse aus den quantitativen und qualitativen Teilmodulen und den Warnsignalen spiegeln die intrinsische Bonität wider, d.h. diejenige Bonität, die auf den Bonitätsmerkmalen des zu beurteilenden Unternehmens selbst beruht (Finanzstärke-

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rating). Darüber hinaus gibt es Unterstützungsmechanismen, d.h. unternehmensexterne – in der Regel bonitätsverbessernde – Einflussfaktoren auf die Bonität des zu beurteilenden Unternehmens durch Dritte, wie etwa durch die Patronatserklärung einer Konzernmutter für ihre Tochter. Auch die Berücksichtigung von Unterstützungsmechanismen geschieht nicht willkürlich oder intuitiv, sondern erfolgt auf der Basis empirischer Erkenntnisse. Ergebnis des bisherigen Ratingprozesses ist das sog. Local-Currency-Rating. Hat das bonitätsmäßig zu beurteilende Unternehmen seinen Sitz im Ausland, so ist ferner das Transferrisiko zu berücksichtigen. Dieses Risiko tritt dann ein, wenn trotz Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers durch staatlichen Eingriff – wie etwa durch ein staatliches Zahlungsmoratorium – der Schuldendienst nicht erfolgt. Das Transferrisiko wird bei den Ratings mit Hilfe eines sog. Country-Ceiling-Ansatzes berücksichtigt. Das Foreign-Currency-Rating (es handelt sich hier in der Regel um ein maschinelles Rating) kann im Rahmen eines letzten Schrittes durch einen Override vom Analysten korrigiert werden. Beim Override handelt es sich um eine Korrektur des im Wesentlichen maschinell erzeugten Foreign-Currency-Ratings durch den Analysten. Eine Korrektur kann aus zwei Gründen erfolgen: 1. Es liegen aktuellere ratingrelevante Informationen vor als diejenigen, die in das maschinelle Ratingergebnis eingeflossen sind. 2. Es werden vom Analysten – für das zu beurteilende Unternehmen – bonitätsrelevante Sachverhalte erkannt, die bis dato nicht im Ratingmodell berücksichtigt wurden/werden konnten, da diese Sachverhalte bei der Mehrzahl der zu beurteilenden Unternehmen nicht einschlägig sind. Overrides müssen vom Analysten detailliert begründet und durch geeignete Unterlagen belegt werden. Hinsichtlich der Richtung der Overrides sind sowohl Up- als auch Downgrades möglich. Jedoch werden aus Vorsichtsgründen an Upgrades höhere Anforderungen gestellt. Die Durchführung eines Overrides ist insgesamt kein Indiz für Fehler des Ratingsystems. Vielmehr sind Overrides geeignet, die Spezifika von Kreditkunden zu erfassen, um zu einem sachgerechten und fairen Bonitätsurteil zu gelangen. Die Analysten sind entsprechend aufgefordert, jedes maschinelle Rating auf die Notwendigkeit eines Overrides hin zu überprüfen. Diesbezüglich spielen die Erfahrung des Analysten und seine spezifischen Kenntnisse des zu beurteilenden Unternehmens eine besondere Rolle, die auch in Zukunft durch empirische Erhebungen und statistische Verfahren nicht substituiert werden können. Das Foreign-Currency-Rating nach Override ist dasjenige Rating, das im Rahmen der Banksteuerung Verwendung findet.

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Alle Ratingsysteme weisen schließlich eine identische Ratingnotenterminologie auf und werden auf die Rating-Masterskala der Bank gemappt.

4.3 Prozess der Ratingsystementwicklung und Ratingsystemarchitektur Abschließend soll der idealtypische Prozess der Ratingentwicklung anhand des Baus eines Ratingsystems mit dem Ansatz einer Gut-Schlecht-Stichprobe dargestellt werden: Erster Schritt beim Ratingbau ist eine Festlegung auf die fachliche Architektur des Ratingsystems. Diesbezüglich wird eine Entscheidung über die grundsätzliche Ratingmethodik, über die Ratingsystemarchitektur, d.h. den speziellen modularen Aufbau, bestehend aus einem quantitativen und einem qualitativen Teilrating, die dann zu einem Gesamtrating kombiniert werden, getroffen. Beim zweiten Schritt wird für das quantitative und das qualitative Teilrating – auf der Basis von Expertenwissen, ökonomischen Insolvenzmodellüberlegungen und Erfahrungen beim Bau von Ratingsystemen bei anderen Banken – eine Obermenge von Risikofaktoren (sog. „Longlist“) eruiert, die potenziell in der Lage sind, gute und schlechte Kreditnehmer voneinander zu trennen. Hierbei handelt es sich etwa betreffend quantitative Risikofaktoren um Bilanzkennzahlen wie die Eigenkapitalquote, die Personalaufwandsquote oder den Cashflow zu Verbindlichkeiten und bezogen auf qualitative Risikofaktoren um Fragen nach dem Marktumfeld des Kunden, seinen internen Steuerungsinstrumenten oder sonstigen Umständen, die bonitätsrelevant sein könnten. Unter diesem Aspekt kann es beispielsweise interessant sein, ob das Unternehmen seine Rechtsform geändert hat, ob es ein funktionierendes Controlling hat, oder wie viele Konkurrenten es besitzt. Auf der Grundlage dieser Longlist werden im Rahmen eines dritten Schrittes sodann Daten von in der Vergangenheit guten und schlechten Kreditnehmern gesammelt. Von besonderer Bedeutung für den Ratingbau ist hier die Anzahl schlechter Kreditnehmer. Je mehr schlechte Kreditnehmer beim Ratingbau zur Verfügung stehen und je mehr aus den Erfahrungen – etwa unterschiedliche Bilanz- und GuV-Kennzahlen – mit diesen schlechten im Vergleich zu den guten Kreditnehmern gelernt werden kann, desto stabiler ist dann gewöhnlich das entstehende Ratingsystem. Hierbei liegen beim Ratingbau – anders als sonst im Rahmen der Geschäftspolitik angestrebt – schlechte Kreditnehmer gewöhnlich in zu geringer Anzahl vor. Nach der Datensammlung werden im vierten Schritt basierend auf den Erhebungen und der Longlist Kennzahlen – wie etwa aus dem erhobenen Eigenkapital und dem Geschäftsvolumen die Eigenkapitalquote – gebildet.

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Im folgenden fünften Schritt werden die Kennzahlen einer umfassenden Datenreinigung unterzogen. Bei der Bereinigung handelte es sich im Einzelnen etwa um fehlende Angaben, um Ausreißer im Sinne ungewöhnlich hoher oder niedriger Werte, um die Suche nach Bilanzpositionen mit Nullwerten, bei denen eigentlich keine Nullwerte auftreten dürfen – z.B. bei der Bilanzsumme –, oder um die Überprüfung von gebildeten Summengrößen. Nach der Datenreinigung wird im sechsten Schritt eine Scoretransformation der bereinigten Kennzahlenwerte durchgeführt. Bei einer Scoretransformation handelt es sich in diesem Zusammenhang um eine funktionale Verknüpfung von rohen Kennzahlenwerten (wie z.B. der Eigenkapitalquote) mit standardisierten Bonitätsbenotungen dieser Kennzahlen zwischen null und eins, die die isolierte Ausfallwahrscheinlichkeit von Kunden widerspiegeln, die eine bestimmte Bonitätsbenotung bzw. einen bestimmten Scorewert aufweisen. Sinnvoll ist diese Transformation deshalb, weil für den Ratingbau verwendete Kennzahlen wie beispielsweise die Eigenkapitalquote nur in einem bestimmten Definitionsbereich eine Trennung guter und schlechter Kreditnehmer ermöglichen. Zum Beispiel wird sich die Ausfallwahrscheinlichkeit zweier Kreditnehmer, die Eigenkapitalquoten von 80% und 90% aufweisen, nicht wesentlich voneinander unterscheiden, wohingegen dies bei zwei anderen Kreditnehmern mit Eigenkapitalquoten von 10% und 20% durchaus der Fall ist. Entsprechend bekommen die Kreditnehmer mit Eigenkapitalquoten von 80% und 90% gleiche Scorewerte und die Kreditnehmer mit Eigenkapitalquoten von 10% und 20% unterschiedliche Scorewerte zugewiesen. Insgesamt können durch derartige Transformationen der Inputvariablen trennschärfere Ratingsysteme konzipiert werden. Auf Basis der scoretransformierten quantitativen und qualitativen Kennzahlen wird sodann eine Einzelfaktoranalyse durchgeführt, d.h. es wird für jede Kennzahl über den gesamten bereinigten Datenbestand eine Power-Statistik ermittelt. War die Power-Statistik für eine einzelne Kennzahl sehr gering, bedeutete dies, dass die Kennzahl nicht in der Lage ist, gute und schlechte Kreditnehmer voneinander zu trennen. Entsprechende Kennzahlen werden vom weiteren Ratingbau ausgeschlossen. Im siebten Schritt wird eine Korrelationsanalyse durchgeführt. Korrelationskoeffizienten geben diesbezüglich an, ob einzelne Kennzahlenpaare, die nicht bereits in der Einzelfaktoranalyse aussortiert wurden, immer gleichzeitig einen Ausfall indizieren – dies ist bei vollständig positiven (+ 1) oder vollständig negativen Korrelationskoeffizienten (– 1) gegeben –, oder ob die Kennzahlen Ausfälle unabhängig voneinander anzeigen (Korrelationskoeffizient von null). Ist ersteres der Fall, ist der Informationsnutzen der Kennzahlen redundant und für den weiteren Ratingbau braucht nur eine der vollständig korrelierten Kennzahlen berücksichtigt zu werden.

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Im achten Schritt erfolgt eine Mehrfaktoranalyse, bei der mit Hilfe des statistischen Verfahrens der logistischen Regression die verbliebenen Kennzahlen kombiniert und auf eine möglichst hohe Powerstatistik hin optimiert werden. Mit Beendigung dieses Schrittes stehen dem Entwicklungsteam mehrere quantitative und qualitative Rating-Teilmodule mit hohen Power-Statistik-Werten zur Verfügung. Aufgabe des weiteren neunten Schrittes ist es nun, die quantitativen und qualitativen Teilmodule so zu kombinieren, dass das dann entstehende Gesamtrating zum einen eine hohe Einjahres-Power-Statistik aufweist, zum anderen aber auch eine hohe zeitliche Power-Statistik-Stabilität besitzt. Im folgenden zehnten Schritt, der sog. Kalibrierung, werden den einzelnen Ratings Ausfallwahrscheinlichkeiten zugerechnet, indem zunächst die guten und schlechten Kunden der einzelnen Ratingklassen in Beziehung gesetzt und die errechneten Relationen dann wegen der aus technischen Gründen nicht dem Gesamtportfolio entsprechenden Repräsentativität der Stichprobe (relativ zu viele schlechte Kreditnehmer) auf die Ausfallwahrscheinlichkeit der Gesamtbank transformiert wird. Interpolations- und Glättungsroutinen sowie der Vergleich mit externen Benchmarks runden das Kalibrierungsverfahren ab. (Als externe Benchmarks bieten sich Ausfallinformationen von Auskunfteien oder auch Vergleiche mit externen Ratings an.) Schließlich wird das fertige und kalibrierte Ratingmodell in einem DV-Prototyp technisch realisiert. Dieser dient abschließenden inhaltlichen und dv-technischen Testzwecken des Ratingmodells, ist aber auch hilfreich bei der Pilotierung des Ratingmodells sowie der endgültigen dv-technischen Umsetzung.

5 Resümee und Ausblick Insgesamt haben moderne empirisch-statistisch basierte interne Ratingsysteme eine höhere Qualität als rein expertenbasierte traditionelle Ratingsysteme und sind insbesondere trennschärfer, objektiver, differenzierter und erstmals mit einer Wahrscheinlichkeitsaussage zum Ausfall der Kreditkunden verknüpft. Basel II war und Basel III ist im Hinblick auf seine Katalysatorfunktion zur Entwicklung dieser Ratingsysteme – auch aus Sicht der Banken – positiv zu beurteilen. Allerdings sind moderne Ratingsysteme keine Glaskugeln. Auch empirisch-statistisch basierte Ratingsysteme können nur aus zum Entwicklungszeitpunkt bestehenden Erfahrungen und vorliegenden Daten der Vergangenheit lernen und aus diesen Erfahrungen konsequent Schlüsse für die Zukunft ziehen. Neue Erfahrungen und veränderte Rahmenbedingungen, wie sie etwa im Rahmen der Finanzmarktkrise gemacht wurden, können und konnten von den modernen Ratingsystemen nicht antizipiert werden. Ein Versagen der Ratingsysteme vor dem Hintergrund der

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Erfahrungen der Finanzmarktkrise kann daher nicht diagnostiziert werden. Vielmehr validieren die Banken ihre Ratingsysteme regelmäßig und überarbeiten diese auf Basis neuer Daten und entsprechend haben die Banken auch aus den Erfahrungen der Finanzkrise gelernt, gesammelte Daten aus den Krisenjahren verarbeitet und ihre Ratingsysteme adjustiert. Die Befürchtung, dass durch die Nutzung statistisch basierter Ratingsysteme der Blick für eine gesamthafte, Kreditnehmer-individuelle und auch gesamtwirtschaftliche Aspekte berücksichtigende Bonitätsbeurteilung verstellt wird, ist ebenfalls unbegründet. Auch bei empirisch-statistischen Ratingsystemen wird gewöhnlich nicht „blind“ auf die maschinelle Ratingnote vertraut, sondern es ist stets intendiert, dass die maschinelle Ratingnote vom Analysten überschrieben werden soll, wenn dieser der begründeten Meinung ist, dass im betrachteten Einzelfall das Ratingsystem bonitätsrelevante Informationen nicht oder nicht aktuell berücksichtigt. Der gesamthafte, individuelle Blick auf den zu ratenden Kunden geht also auch bei modernen Ratingsystemen nicht verloren. Aufgrund der vielfältigen Steuerungskreise, für die interne Ratingsysteme genutzt werden und aufgrund des Verbots, interne Ratingsysteme nur für aufsichtsrechtliche Eigenmittelunterlegungszwecke zu nutzen, haben Banken einen hohen Anreiz, Ratingsysteme betriebswirtschaftlich möglichst sachgerecht und nicht mit dem Ziel der aufsichtlichen Eigenmitteloptimierung zu entwickeln. Letzteres schließt allerdings nicht aus, dass das Ausfallrisiko ähnlicher Kreditportfolien von unterschiedlichen Banken auf Basis voneinander abweichender Ratingsysteme unterschiedlich beurteilt wird und auch die aufsichtlichen Eigenmittelanforderungen voneinander abweichen. Dies sollte aber nicht ad hoc kritisch und als Indiz für ein Versagen des aufsichtsrechtlichen Internen Ratingansatzes gesehen werden, sondern lediglich als Ausdruck dafür, dass es bei der Entwicklung von Ratingsystemen unterschiedliche Experten-Auffassungen geben kann. Der Wettbewerb der Ratingsysteme unter den Banken, die jährliche Validierung und die Überarbeitung der Ratingsysteme, der sehr aufwändige aufsichtliche Prozess der Zulassung und regelmäßigen Nachschauprüfungen der Ratingsysteme und schließlich sogenannte Benchmark-Studien zum Vergleich der Steuerungsmodelle der Banken sollten dazu führen, dass sich die Eigenmittelunterlegung bei gleichen Risiken mittelfristig angleichen wird. Auch, wenn die Euphorie der Aufsicht für interne Ratingsysteme zum Zwecke der Eigenmittelunterlegung etwas abgeklungen zu sein scheint, unterschiedliche Eigenmittelunterlegungen bei ähnlichen Kreditportfolien kritisch hinterfragt werden, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Banken aufgrund der Erfahrungen der Finanzmarktkrise nicht mehr so opportun scheinen wie vor der Finanzmarktkrise und eher starre, von den Modellen der Banken unabhängige Steuerungsinstrumente eingeführt

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werden (z.B. Leverage Ratio), so ist doch positiv zu beurteilen, wenn im Rahmen der Basel-III-Regelungen der Grundgedanke von Basel II, interne Ratingsysteme zur Eigenmittelunterlegung zu nutzen, nicht angetastet wurde. Aus Sicht der Banken schließlich ist die Entscheidung für die Entwicklung und Einführung interner Ratingsysteme zum Zwecke der aufsichtlichen Eigenmittelunterlegung nicht einfacher geworden. Gerade kleinere Banken sind einerseits aufgrund der hohen und zum Teil steigenden aufsichtlichen Anforderungen an interne Ratingsysteme, deren Einführung und deren Betrieb und Weiterentwicklung oftmals überfordert. Für die interne Risikosteuerung sind aber allen Banken empirisch-statistische Ratingsysteme zu empfehlen.

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Keine Planung ohne Stress – Szenarioanalysen als neues Paradigma der Kapitalsteuerung Frank Gutheim/Robert Graf/Holger Spielberg

1 Einführung und Überblick 2 Entwicklung von Umfeld und regulatorischen Anforderungen 2.1 Parallele Steuerung nach unterschiedlichen Kapitalbegriffen 2.2 Steuerung von Abzugsposten und individueller Kapitalanforderung 2.3 Übergreifende Stressanalysen 2.4 Mehrjahresbetrachtungen in Planung und Stresstest 2.5 Kapitalrelevanz von Stresstests 3 Handlungsfelder für die Institute 3.1 Infrastruktur für Stresstests und Kapitalplanung 3.2 Integration von Szenarioanalyse und Planung 4 Fazit Literatur

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1 Einführung und Überblick Stresstests und Szenarioanalysen sind bereits seit Jahren integraler Bestandteil der Gesamtbanksteuerung. Das Spektrum und der Anwendungsbereich wurde – auch getrieben durch regulatorische Anforderungen – zunehmend ausgeweitet und reicht von einfachen Sensitivitätsanalysen für einzelne Portfolien bis hin zu gesamtbankweiten Szenarioanalysen, bei denen die Auswirkungen von umfassenden Szenarien auf die wesentlichen Steuerungsgrößen (insb. Kapital- und Liquiditätssituation) der Bank über einen mehrjährigen Zeithorizont analysiert werden. Abhängig von der Ausgestaltung der Stresstests und Szenarioanalysen finden die Ergebnisse Verwendung in der internen operativen, taktischen und strategischen Steuerung sowie der Planung von Kapital und Liquidität. Dabei reicht die Betrachtungsebene vom Portfolio bis zur Gesamtbank. Die Analyseresultate sind Gegenstand der internen wie der externen Berichterstattung z.B. an interne Komitees, die Geschäftsleitung oder das Aufsichtsorgan bzw. die Öffentlichkeit über den Geschäftsbericht oder die Regulatoren. Der Detaillierungsgrad der hierbei von den Instituten durchgeführten Berechnungen und die Komplexität der eingesetzten Methoden orientieren sich in der Regel an den Fragestellungen, die mit den jeweiligen Analysen adressiert werden sollen. In der Vergangenheit wurden Stresstests von Regulatoren primär zur Plausibilisierung und Validierung interner Modelle genutzt. So mussten Institute im Rahmen der Steuerung des Marktrisikos schon lange umfangreiche Sensitivitäts- und Szenarioanalysen durchführen. Mit der Einführung von Basel II haben sich die Anforderungen erhöht, insbesondere dann, wenn interne Modelle für die Bestimmung der Kapitalanforderungen unter der Säule 1 zur Anwendung kommen sollen. So fordert die Capital Requirements Regulation (CRR, vgl. [8]) als aktuelle europäische Umsetzung des Baseler Rahmenwerks z.B. umfangreiche Stress- und Szenarioanalysen für Rating- und LGD-Modelle, sofern IRBAnsätze zur Ermittlung des Kapitalbedarfs für Kreditrisiken in der Säule 1 genutzt werden. Das Management und die Planung der Ressource Kapital lagen dagegen primär im ureigenen Interesse der Unternehmenssteuerung. Das primäre Ziel hierbei war, mit einer entsprechenden Kapitalausstattung die geplante Geschäftsentwicklung zu ermöglichen. Die Kapitalausstattung konnte hierzu in der Zeit vor dem Beginn der Finanzmarktkrise aktiv, weitgehend durch Kapitalaufnahme und -ausschüttung an einem liquiden Markt gesteuert werden. Die Finanzmarktkrise hat die Möglichkeiten in diesem Punkt signifikant beschränkt. Zudem ist festzustellen, dass die Geschäftsmodelle von Banken in den letzten Jahren insgesamt unter Druck geraten sind, so dass sich der Schwerpunkt der Kapitalsteuerung seitdem in Richtung des aktiven Managements des Kapitalbedarfs, z.B. durch Abbau der risikogewichteten Aktiva (RWA) durch Verkauf oder Einstellung des Neugeschäfts in nicht-strategischen Geschäftsfeldern sowie der frühzeitigen Antizipation

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des Kapitalaufnahmebedarfs verschoben hat. Eine ähnliche Entwicklung ist für die Ressource Liquidität seit dem Beginn der Finanzmarktkrise auszumachen: Die eingeschränkte Liquidität des unbesicherten Interbankengeldmarktes und höhere Aufschläge bei Kapitalmarktemissionen machen es nötig, den Liquiditätsbedarf frühzeitig zu antizipieren und im Rahmen des Neugeschäfts entsprechend bei den Konditionen zu berücksichtigen. Auch wenn der vorliegende Artikel die Entwicklungen im Hinblick auf Liquiditätsstresstests nicht völlig ausblendet, so liegt der Fokus doch eindeutig auf der Kapitalseite. Kapitalmanagement und -planung wurden und werden von den Instituten in der Regel durch wertbasierte Gesamtbanksteuerungssysteme ergänzt, um auf Gesamtinstituts- oder Gruppenebene eine angemessene Eigenkapitalverzinsung zu erreichen und dabei Wert für die Aktionäre zu generieren. Die Instrumente dieser wertbasierten Steuerung waren und sind Kapitallokation, die Vor- und Nachkalkulation sowie risikoadjustierte Performancemessung. Im Zuge der regulatorischen Reaktion auf die Finanzmarktkrise – unter anderem der Stärkung der Säule 2 und der Einführung von Basel 2,5 und Basel 3 – sowie der Einführung von regulatorischen Kapitalstresstests hat sich die Bedeutung von Stresstests sowie Kapitalmanagement und Planung deutlich verschoben und erweitert: 1. Parallele Steuerung nach unterschiedlichen Kapitalbegriffen: Lange Zeit war der Kapitalbedarf unter Säule 1 in der Regel größer als der meist aus einem ökonomischen Kapitalbegriff abgeleitete Kapitalbedarf unter Säule 2. Damit war die Säule 1 der wesentliche externe Engpassfaktor, der über Kapitalaufnahme und -ausschüttung an einem liquiden Markt gesteuert wurde, während bei Geschäftsentscheidungen eher auf den als relatives Risikomaß verwendeten, risikosensitiveren Säule 2-Kapitalbegriff abgestellt wurde. Mit der weiteren Etablierung der Säule 2 im Aufsichtsprozess sind auch die Anforderungen an die Messung des Kapitalbedarfs unter der Säule 2 deutlich konservativer geworden. In der Konsequenz können heute beide Steuerungskreise Engpässe generieren, die es zu steuern gilt. Darüber hinaus verknüpft der neue von der EBA festgelegte „Supervisory Review and Evaluation Process“ (SREP, vgl. [5]) beide Säulen miteinander, indem im Rahmen eines „Säule 1+“ genannten Ansatzes für das jeweilige Institut spezifische zusätzliche Säule 1-Kapitalanforderungen in Form eines prozentualen Aufschlags auf die Mindestanforderungen festgelegt werden. Grundlage hierfür ist insbesondere ein Abgleich von Säule 1 und Säule 2 in Bezug auf zusätzlichen, unter Säule 1 bislang nicht reflektierten Kapitalbedarf. Eine duale Steuerung von Säule 1 und Säule 2 sowie der Interdependenzen ist deutlich wichtiger geworden. Es ist absehbar, dass sich die Dimensionalität der Steuerung aufgrund der regulatorischen Vorhaben zur Sicherstellung der Bail-In-Fähigkeit und der daraus resultierenden quantitativen Vorgaben an die von den Instituten zur Rekapitalisierung im Rahmen einer Abwicklung vorzuhaltenden berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten weiter erhöhen wird.

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2. Steuerung von Abzugsposten und individueller Kapitalanforderung: Sowohl für Säule 1 als auch für Säule 2 haben massive Anpassungen in Bezug auf den Begriff des zur Abdeckung von Risiken zur Verfügung stehenden Kapitals stattgefunden. Die Anrechenbarkeit von bestimmten Kapitalbestandteilen geringerer Qualität wurde reduziert und mehr Abzugsposten zur Anwendung gebracht. Insbesondere die Volatilität und Materialität dieser Abzugsposten erfordern, dass die potenzielle Veränderung dieser Komponenten im Rahmen von Stresstests und Kapitalplanung adäquat abgebildet wird. Zudem stellt die im SREP festgelegte institutsspezifische Mindestkapitalquote einen zusätzlichen Kapitalbedarf dar, dessen Veränderungen antizipiert und gesteuert werden müssen. In naher Zukunft wird sich die Komplexität der Steuerung durch die Operationalisierung der Anforderungen an die Bail-In-Fähigkeit weiter erhöhen. 3. Übergreifende Stressanalysen: Stressanalysen blieben zunächst auf einzelne Risikofaktoren oder Risikoarten beschränkt. Mit der Einführung der Säule 2 im Baseler Rahmenwerk wurde es schrittweise wichtiger, die Auswirkung von Stressszenarien auf die Risikotragfähigkeit auf Gesamtbankebene und damit risikoartenübergreifende Stressszenarien zu betrachten. Im Rahmen von regulatorischen Stresstest (z.B. gemeinsamer Stresstest von EBA und EZB in 2014) hat sich die Entwicklung auf die Kennziffern der Säule 1 ausgeweitet. Mit der Anforderung, alle für die jeweilige Bank kritischen Dimensionen zu berücksichtigen, decken die im Rahmen von Recovery-Plänen geforderten Belastungsanalysen (meist Säule 1, Säule 2 und Liquidität) ein noch weiteres Spektrum an unterschiedlichen Sichtweisen ab. 4. Mehrjahresbetrachtungen in Planung und Stresstests: Eine Mehrjahresplanung hat sich spätestens mit der MaRisk-Novelle 2012 von der betriebswirtschaftlichen Kür zum regulatorisch geforderten Pflichtprogramm entwickelt und stellt heute ein wesentliches Element der aufsichtlichen Überwachung dar. Für die Planung ist hierbei die erwartete Entwicklung genauso wichtig wie angepasste Planungen für Stressszenarien. Jüngstes Beispiel hierfür ist der gemeinsame Stresstest von EBA und EZB im Jahr 2014, bei dem die betroffenen Institute die Entwicklung der Kapitalquoten über einen Zeitraum von drei Jahren für ein erwartetes Szenario und für ein Stressszenario auswerten mussten. Damit ist insgesamt eine Entwicklung zu immer längeren Szenariozeiträumen zu beobachten, mit neuen Herausforderungen an Methodik und Infrastruktur. Gleichzeitig haben die für das Neugeschäft getroffenen Annahmen einen stärkeren Einfluss auf das Ergebnis der Szenarioanalysen. 5. Kapitalrelevanz von Stresstests: In der Vergangenheit erfolgte die Beurteilung der Angemessenheit der Kapitalausstattung unter Säule 1 und Säule 2 allein auf Basis des existierenden Portfolios zum Betrachtungszeitpunkt. Das Institut galt dann als ausreichend kapitalisiert, wenn es auf Basis des Portfolios zum Betrachtungszeitpunkt die vorgegebenen Mindestquoten einhielt. Inzwischen ist die Frage stärker ins Bewusstsein gerückt, wie man verhindern kann, dass Institute im Falle einer Krise die vorge-

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gebenen Mindestquoten nicht mehr erfüllen. Daher wird von Banken regelmäßig der Nachweis verlangt, dass sie auch den Eintritt geeignet kalibrierter Stressszenarien verkraften können, ohne gegen angepasste aufsichtsseitige Mindestanforderungen zu verstoßen. In der Konsequenz führt dies nicht nur zu einem höheren Kapitalbedarf, sondern auch zu neuen Herausforderungen in der Kapitalsteuerung und der notwendigen Infrastruktur für Szenarioanalysen und Stresstests. In Summe hat die veränderte und erweiterte Bedeutung von Stresstests und Szenarioanalysen umfangreiche Implikationen für alle Bereiche der Banksteuerung: 6. Infrastruktur für Stresstests und Kapitalplanung: Im Laufe der Zeit sind von den Instituten unterschiedliche Datenhaushalte für Säule 1 und Säule 2 aufgebaut worden. Diese sind darüber hinaus zum Teil auch noch getrennt von den Datenhaushalten für die Erstellung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Für die Steuerung von Liquidität wurden meist ebenfalls separate Datenhaushalte aufgebaut. Die Etablierung übergreifender Stressanalysen, die Notwendigkeit einer parallelen Steuerung von Säule 1, Säule 2 und der Abhängigkeiten im Rahmen der Säule 1+-Betrachtung sowie die Forderung nach einer konsistenten integrierten Geschäfts- und Kapitalplanung erfordern hier ein deutliches Zusammenwachsen dieser Datenhaushalte und eine entsprechende Überleitbarkeit zwischen den Perspektiven. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Analysefähigkeit der Szenarioergebnisse auf Ebene der Portfolien und der wesentlichen Treiber. Ohne diese Analysefähigkeit können die Simulationsergebnisse nicht zu Steuerungszwecken verwendet werden. Darüber hinaus fordert das breitere Anwendungsspektrum des Instruments Stresstest in der Regel auch einen deutlichen Ausbau der Simulationsfähigkeiten, neben ökonomischer Säule-2Kenngröße insbesondere in Bezug auf die Simulation der Kenngrößen für die Säule 1, sowie der Bilanz und GuV-Kenngrößen. Diese oftmals ad hoc aufgebauten Simulationsfähigkeiten müssen sukzessive zu einem stabilen Regelprozess mit klarer Governance entwickelt werden, in dessen Rahmen die Nachvollziehbarkeit der Modelle und der Berechnungsergebnisse gewährleistet wird und der einer regelmäßigen Modellvalidierung unterworfen ist. Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken, wenn immer öfter die Implikationen auf die Kapital- und die Liquiditätssituation zusammen betrachtet werden. 7. Integration von Szenarioanalyse und Planung: Die Volatilität der Märkte und regulatorische Vorgaben haben dazu geführt, dass bei der Planung nicht mehr nur auf das erwartete Szenario abgestellt werden kann. Vielmehr müssen die Auswirkungen der Volatilität des Marktumfelds sowie der mit Unsicherheit behafteten geplanten regulatorischen Vorhaben regelmäßig in Form von Szenarien bei der Planung Berücksichtigung finden, sofern diese Ereignisse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich sind. Nur dann kann die Angemessenheit der Geschäfts- und Kapitalplanung im Hinblick auf die Risikotoleranz des Instituts diskutiert und die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells beurteilt werden.

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Letztlich führen die diskutierten Änderungen in Bezug auf die Steuerung der Ressource Kapital auch zu notwendigen Anpassungen in der Gesamtbanksteuerung. Während hier lange der Fokus auf dem Kapitalbedarf unter Säule 1 bzw. Säule 2 in Form von RWA oder ökonomischem Kapital lag, und somit auf den jeweils aktuellen Ist-Kapitalbedarf abgestellt wurde, werden zukünftig weitere Aspekte in den Mittelpunkt rücken. In Zukunft wird der Kapitalbedarf von Geschäften bzw. Portfolien im Wesentlichen durch folgende geschäftsbezogene Komponenten getrieben sein: • Kapitalbedarf nach Säule 1 inklusive des Beitrags der Geschäfte zu Abzugspositionen (z.B. aktive Latente Steuern), • Beitrag zum Aufschlag im Rahmen der Säule 1+-Betrachtung, • Anteil an dem für diese Geschäfte vorzuhaltenden Stresspuffer, • zusätzliche Aufschläge, zum Beispiel mit dem Verweis auf prozessuale und methodische Unzulänglichkeiten oder weitere Schwächen im internen Kontrollsystem, die bestimmten Geschäften oder Geschäftsmodellen zugeordnet werden können. Für manche Institute kann zusätzlich auch die Vorgabe zum Leverage Ratio eine wichtige Randbedingung sein, die in die Steuerung integriert werden muss. Um auch in Zukunft eine effiziente Steuerung der Ressource Kapital zu gewährleisten, sind diese Treiber auf Geschäftsbereiche, Portfolien sowie ggf. Einzelgeschäfte zu allokieren und bei der Konditionsstellung (Vorkalkulation) und in der Profitabilitätsanalyse (Nachkalkulation) zu berücksichtigen. Dies schließt auch die Treiber für weitere Aufschläge mit ein, damit die verursachenden Geschäftsbereiche genügend Anreize haben, die zugrunde liegenden Schwachstellen zu beheben. Bei der Entwicklung einer entsprechenden Systematik sollte die implizierte Steuerungswirkung für die für das konkrete Institut relevanten Geschäftsmodelle genau analysiert werden. Hierbei ist insbesondere die Multidimensionalität des Kapitalbegriffs zu berücksichtigen – ein Geschäft mag aus Sicht einer Steuerungsperspektive profitabel sein, unter einer anderen jedoch nicht. Die entwickelte Systematik muss zudem immer wieder auf den Prüfstand gestellt und an neue Anforderungen, z. B. in Bezug auf die in der Konsultationsphase befindlichen Anforderungen zum Bail-InKapital, angepasst werden.

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Abbildung 1: Adressierte Themen im Überblick

Die oben diskutierten Änderungen wirken sich auch in unterschiedlicher Weise auf die verschiedenen in einem Institut repräsentierten Geschäftsmodelle aus, da sich die Beiträge zu Abzugsposten und Partizipation an Verlusten in verschiedenen relevanten Szenarien unterscheiden. Damit verschiebt sich durch die gestiegene Kapitalanforderung nicht nur die Profitabilität insgesamt, sondern auch relativ zwischen verschiedenen in der Bank vertretenen Geschäftsmodellen. Darüber hinaus hat dies auch eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung, da die Geschäftsmodelle in verschiedenen Instituten ähnlich betroffen sein werden. Es erscheint daher sinnvoll, die Gesamtaufstellung eines Instituts im Hinblick auf die Mischung zwischen Geschäftsmodellen regelmäßig zu überprüfen, um als Einzelinstitut oder als Institutsgruppe in einem sich stetig verändernden Markt und regulatorischen Umfeld strategisch optimal aufgestellt zu bleiben. Im Folgenden analysieren wir zunächst im Detail die geänderte Bedeutung von Stresstesting im Rahmen des Kapitalmanagements entlang der oben genannten Punkte 1 bis 5. Nachfolgend gehen wir vertiefend auf die in den Punkten 6 und 7 genannten Implikationen ein. Abbildung 1 gibt hierzu einen Überblick über die behandelten Themen.

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2 Entwicklung von Umfeld und regulatorischen Anforderungen 2.1 Parallele Steuerung nach unterschiedlichen Kapitalbegriffen In den achtziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts entstanden zunächst im amerikanischen Bankenmarkt ökonomische Kapitalkonzepte. Diese sind als Reaktion auf die damaligen pauschalen regulatorischen Eigenkapitalanforderungen (Basel I) zu sehen, welche nur unzureichend nach dem Risikogehalt differenzierten. Die ökonomischen Kapitalkonzepte hatten demnach das primäre Ziel, den ggf. höheren Risikogehalt von bestimmten Geschäften in Form einer höheren internen ökonomischen Kapitalunterlegung abzubilden und diese Geschäfte in der internen Steuerung entsprechend unattraktiver zu machen bzw. darauf hinzuwirken, dass diese Geschäfte nur dann abgeschlossen werden, wenn sie nach Gegenrechnung des Verzinsungsanspruchs auf das eingesetzte ökonomische Kapital eine angemessene Profitabilität aufweisen. Die ökonomische Kapitalunterlegung wurde damit primär als relatives Maß zur Differenzierung nach dem Risikogehalt verwendet. Die Steuerung der regulatorischen Eigenmittelanforderungen erfolgte primär über Kapitalmaßnahmen wie z.B. Dividendenausschüttung und Thesaurierung, Aktienemissionen und -rückkäufe oder der Verwendung anderer Kapitalinstrumente. Hierbei ist zu bedenken, dass in dieser Periode den Banken ein sehr leichter Zugang zu Kapitalmärkten zur Verfügung stand. Die Einführung von Basel II in der ersten Dekade dieses Jahrtausends und die damit einhergehende Anpassung der regulatorischen Kapitalanforderungen führten zu einer deutlichen Verschiebung der Gewichte in der Kapitalsteuerung. Mit Basel II wurde das Konzept der drei Säulen eingeführt: • Die präskriptiven und detaillierten Regeln zur Ermittlung des regulatorischen Kapitalbedarfs aus Basel I wurden erweitert und gingen in der Säule 1 auf. Über die Advanced-Ansätze bietet die Säule 1 die Möglichkeit zu einer risikosensitiveren Kapitalunterlegung – die allerdings von den Instituten aufgrund des optionalen Charakters nur insoweit genutzt wurde, als sich hierdurch eine im Verhältnis zu dem erhöhten Aufwand für Umsetzung und Betrieb des Advanced-Ansatzes angemessene Entlastung bei den regulatorischen Kapitalanforderungen ergab. • In der Säule 2 sind die Institute aufgefordert, auf Basis eigener Verfahren und unter (ökonomischer) Berücksichtigung aller Risiken eine ausreichende Kapitalausstattung zu gewährleisten (Risikotragfähigkeitsprozess/ICAAP)

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• Die Säule 3 legt fest, dass Institute deutlich mehr Informationen publizieren müssen. Das Ziel ist es, über den sich hieraus ergebenden Druck der Kapitalmarktteilnehmer einer potenziellen exzessiven Risikonahme durch die Institute entgegenzuwirken. Bei der nachfolgenden Weiterentwicklung des Baseler Rahmenwerks wurde bis heute die Aufteilung in die oben beschriebenen drei Säulen beibehalten und findet sich insbesondere in der aktuellen Umsetzung dieses Rahmenwerks in der Europäischen Union über die CRR und die CRD IV (vgl. [8] und [7]) wieder. In Deutschland haben viele Institute bei der Umsetzung der Säule 2 des Baseler Rahmenwerks direkt auf bestehende ökonomische Kapitalkonzepte aufgesetzt und den sogenannten Liquidationsansatz für die Risikotragfähigkeit (vgl. [1]) entwickelt. Wurde das ökonomische Kapital bis zu diesem Zeitpunkt primär als relatives Maß zur Unterscheidung von Geschäften nach dem Risikogehalt verwendet, so wurde nun auch dessen absolute Höhe relevant. Das ökonomische Kapital sollte fortan das Verlustpotenzial aus den Geschäften in absoluter Höhe und für vollkommen unterschiedliche Geschäfte in gleicher Weise charakterisieren. Dies hatte zur Folge, dass diese Größe seither auch mit dem Ziel berechnet werden musste, den Kapitalbedarf für das gesamte Institut bzw. die Institutsgruppe in absoluter Höhe über alle Risikoarten hinweg angemessen abzubilden. Der von BaFin und Bundesbank publizierte Leitfaden (vgl. [1]) legt für die Beurteilung der Angemessenheit der so entstandenen Umsetzung der Säule 2 insbesondere die Kriterien der Vollständigkeit der Risikoabbildung, der Konsistenz der Verfahren sowie das Vorsichtsprinzip fest. In der Praxis hat im Laufe der Zeit insbesondere über die aufsichtliche Überprüfung der Risikotragfähigkeitsansätze eine Erweiterung des Spektrums der in den Risikotragfähigkeitsansätzen berücksichtigten Risiken und eine Entwicklung zu einer deutlich konservativeren Kalibrierung der jeweiligen Modelle stattgefunden. War bei Einführung der Säule 2 der potenzielle Kapitalengpass in der Regel in der Säule 1 zu suchen, hat sich seitdem das Gewicht deutlich verschoben. So wird zum Beispiel mittlerweile die aus der MaRisk abgeleitete Forderung, dass die im Rahmen der Modelle unterstellten Diversifikationseffekte auch in wirtschaftlichen Abschwungphasen und unter für das Institut ungünstigen Marktbedingungen Bestand haben sollen, in der Regel nachdrücklich vertreten. Darüber hinaus wird in vielen Fällen versucht, methodische Unschärfen durch immer konservativere Parametrisierungen zu kompensieren. Als Beispiel sei an dieser Stelle die konservative (Downturn-)Schätzung von LGDs und Ziehungswahrscheinlichkeiten in den Kreditportfoliomodellen genannt. Eine weitere, für viele Institute materielle Anpassung ist die Erweiterung von reinen ausfallbasierten Adressrisikomodellen um Effekte, die sich aus einer potenziellen Verschlechterung der Bonität der Schuldner ergibt (Migrationsrisiko). Eine Verschlechterung der Bonität eines Schuldners

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im Betrachtungszeitraum (üblicherweise 1 Jahr) führt zu einer Erhöhung des erwarteten Verlusts in den Folgejahren, welcher zusätzlich zu den potenziellen Ausfällen während der Betrachtungsperiode zu berücksichtigen ist. Lassen sich die Anpassungen in Bezug auf Vollständigkeit und Konsistenz der Verfahren noch aus dem ursprünglichen Ziel der ökonomischen Kapitalkonzepte ableiten, gehen die vor dem Hintergrund des Vorsichtsprinzips erfolgten Anpassungen über das ursprüngliche Ziel der Modelle hinaus. Die Säule 2 hat sich damit in der Vergangenheit zunehmend von einer internen bankeigenen Sicht auf das Kapital zu einer aufsichtlich immer stärker reglementierten und von Konservativität geprägten Sicht gewandelt. In der seit 2008 beobachteten Finanzmarkt- und europäischen Staatenkrise konnte man zudem feststellen, dass die Säule 2 oftmals stärker auf Krisenszenarien reagiert als die Säule 1. Zusammen mit dem ohnehin gestiegenen Kapitalbedarf unter der Säule 2 führte dies dazu, dass abhängig von Umfeld und Geschäftsmodell sowohl der Kapitalbedarf nach Säule 1 als auch der nach Säule 2 nur noch knapp vom verfügbaren Kapital gedeckt werden konnte. In der Krise haben demnach beide Sichten ihr Potenzial für die Generierung von tatsächlichen Engpässen unter Beweis gestellt. Beide Engpassgrößen sind damit für die Steuerung relevant. Es sei darauf hingewiesen, dass die regulatorischen Anforderungen an die Umsetzung der Säule 2 im Fluss sind. Insbesondere aus der Umsetzung der EBA-Vorgaben zum „Supervisory and Evaluation Process (SREP)“, die seit Dezember 2014 in ihrer finalen Fassung vorliegen (vgl. [5]), sind umfangreiche Anpassungen an der Säule 2 zu erwarten. Ferner ist davon auszugehen, dass es mit der Einführung des „Single Supervisory Mechanisms (SSM)“ und der damit in Zusammenhang stehenden Übernahme der Bankenaufsicht für alle Banken in der Eurozone durch die Europäische Zentralbank (November 2014) zu einer Vereinheitlichung der zum Teil sehr unterschiedlichen regulatorischen Praxis bei der Umsetzung der Säule 2 kommen wird. Die Umsetzung der EBA-Vorgaben zum SREP wirft jedoch noch einen ganz anderen Punkt auf: Eines der Ergebnisse des SREP ist ein institutsspezifischer Aufschlag auf die allgemein geltenden Kapitalerfordernisse der Säule 1, der zu großen Teilen im Rahmen eines „Säule 1+“ genannten Ansatzes bestimmt wird. In diesem Ansatz werden durch einen Vergleich zwischen Säule 2 und Säule 1 unter Einbeziehung von Benchmarks bisher nicht von der Säule 1-Methodik erfasste Kapitalbedarfe identifiziert. Diese äußern sich dann in einer individuell für das Institut festgelegten Mindestkapitalquote. So wird Säule 1 über den SREP dynamisch mit dem Kapitalbedarf der Säule 2 verknüpft. Steigt der Kapitalbedarf der Säule 2 in relevanten Risikokategorien, so wird die Aufsicht dies spätestens beim nächsten turnusgemäßen Review feststellen und die Vorgabe für die Säule 1 entsprechend anpassen (über angekündigte Short Term Exercise (STE) zum SREP ggf. früher). Säule 1 und Säule 2 wachsen damit immer stärker zusammen und

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müssen integriert gesteuert werden. Für die Institute stellt sich insofern insbesondere die Herausforderung, die Kapitalausstattung nach beiden Säulen sowie die erwartete Änderung des Aufschlags aus der Säule 1+-Betrachtung laufend zu überwachen und in die operative Steuerung zu integrieren. Weitere Herausforderungen werden sich absehbar aus der Integration der erwarteten Mindestvorgaben zur Höhe des vorgehaltenen im Abwicklungsfall zur Rekapitalisierung berücksichtigungsfähigen Fremdkapitals (Bail-In-Kapital) in die Steuerung ergeben – die hierzu bestehenden regulatorischen Vorhaben von EBA und FSB (MREL – „Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities“ bzw. TLAC – „Total Loss Absorbing Capacity“) werden voraussichtlich bereits in 2015 zum Abschluss gebracht werden. Während sich die Steuerung des Bail-In-Kapitals wahrscheinlich unmittelbar in die bisherige Steuerung der Kapitalbestandteile hartes Kernkapital, zusätzliches Kernkapital und Ergänzungskapital einreiht, stellt die Antizipation der Höhe des im Rahmen von MREL ab 2016 vorzuhaltenden Bail-In-Kapitals eine neue Aufgabe dar. Das Konsultationspapier zu MREL (vgl. [11]) sieht hierbei vor, dass sich die Aufsicht bei der Bemessung des Rekapitalisierungsbedarfs an der Abwicklungsstrategie orientiert. Sieht die Abwicklung beispielsweise die Übertragung von kritischen Geschäftsaktivitäten in ein Brückeninstitut vor, sollte sich der Kapitalbedarf für die Rekapitalisierung im Wesentlichen am Kapitalbedarf der kritischen Geschäftsaktivitäten bemessen. Es würde daher naheliegen, die mit dem Bail-In-Kapital verbundenen zusätzlichen Kosten in der internen Steuerung auch diesen kritischen Geschäftsaktivitäten zuzuordnen. Darüber hinaus stellt für viele Institute auch die seit 2015 zu publizierende Leverage Ratio eine relevante Steuerungsgröße dar, auch wenn die regulatorische Vorgabe (Total Tier 1 Quote mindestens 3% der Bilanzsumme) erst ab 2018 verbindlich einzuhalten ist. Insgesamt ergibt sich damit ein bunter Strauß von sich ergänzenden Kapitalbegriffen, die abhängig vom Mix der Geschäftsmodelle eine unterschiedliche Steuerungsrelevanz haben. Zudem hat sich gezeigt, dass im Krisenumfeld der Zugang zum Kapitalmarkt zeitweise nicht oder nur eingeschränkt gegeben war. Wenn aber die Aussteuerung über den Kapitalmarkt nur eingeschränkt möglich ist, muss folglich eine konsequente Steuerung der Kapitalbedarfe nach beiden Säulen, der individuellen Kapitalaufschläge (Säule 1+) und ggf. aus weiteren Sichtweisen bestehender Kapitalbedarf auf Gesamtinstitutsebene und auf Ebene der Portfolien und Einzelgeschäfte (z. B. über Vor- und Nachkalkulation, Limitierung) erfolgen. Eine wesentliche Voraussetzung hierzu ist es, den aus den verschiedenen Sichten resultierenden effektiven Kapitalbedarf herunterzubrechen und unter Beachtung der beabsichtigten Steuerungsimpulse in die Methodik zu integrieren. Diesen Aspekt werden wir im Rahmen des Kapitels 2.2 genauer betrachten. Darüber hinaus wird auch in Zukunft regelmäßig und im Detail zu überprüfen sein, in welcher Weise die Geschäftsmodelle des jeweiligen Instituts auf den Kapitalbedarf in den unterschiedlichen Sichtweisen wirken, um eine effiziente Aufstellung des Instituts unter

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Berücksichtigung der unterschiedlichen Beiträge der Geschäftsmodelle zur Belastung von Säule 1, Säule 2, Kapitalaufschlägen und weiteren Dimensionen (z. B. Leverage Ratio, TLAC, MREL) zu ermöglichen. Die hierzu notwendige Analyse schließt entsprechende Szenarioanalysen und Stresstests sowie die verursachergerechte Zuordnung von Ergebniseffekten mit ein.

2.2 Steuerung von Abzugsposten und individueller Kapitalanforderung Viele Kapitalsteuerungskonzepte basieren darauf, den Kapitalbedarf aus potenziell schlagend werdenden Risiken dem verfügbaren Kapital gegenüberzustellen, welches zur Abdeckung dieser Risiken vorhanden ist. Zunächst wird hierbei analysiert, ob auf Institutsebene hinreichend viel Kapital zur Weiterführung des Geschäftsmodells vorhanden ist. Da Kapital nicht unentgeltlich zur Verfügung steht, wird hierzu in der Regel ergänzend der Kapitalbedarf auf Geschäftseinheiten, Portfolien und ggf. Einzelgeschäfte allokiert und über die Anforderung einer Mindestverzinsung auf das allokierte Kapital (Hurdle Rate) ein Mindestverdienstanspruch definiert und in einer risikoadjustierten ErgebnisRechnung in Abzug gebracht. Die Kapitalsituation eines Instituts ändert sich von einer Periode zur nächsten über einen veränderten Kapitaleinsatz (Kapitalbedarf) für die Geschäfte und das mit den Geschäften erzielten Ergebnis, welches im Falle eines Gewinns anteilig an die Investoren ausgeschüttet bzw. reinvestiert wird, und im Falle eines Verlusts die Kapitalbasis reduziert und damit den möglichen Kapitaleinsatz in den Folgeperioden verringert. Veränderungen der Kapitalsituation können somit entweder als Veränderung der Kapitalbedarfsgröße oder als Ergebnisgröße dargestellt werden. Im Gegensatz zur externen Ergebnisrechnung, die dezidierten Regeln unterworfen ist, steht es den Instituten in der internen Steuerung frei, ob sie eine Veränderung der Kapitalsituation als Veränderung des Kapitalbedarfs oder als Ergebnisgröße darstellen wollen. Während in der risikoadjustierten Ergebnisrechnung der Ansatz als Kapitalbedarf eine Belastung mit dauerhaftem Charakter für die jeweiligen Geschäftsmodelle darstellt, führt der Ansatz als Ergebnisgröße nur zu einer direkten Belastung in der aktuellen Periode. In der Praxis wird dabei der Kapitalbedarf über die risikogewichteten Aktiva (RWA) unter der Säule 1 bzw. das ökonomische Kapital unter Säule 2 ermittelt. In beiden Fällen wird dieser einem Kapital gegenübergestellt, welches sich zu großen Teilen aus den Kapitalinstrumenten ableitet. Die Ermittlung der regulatorischen Eigenmittel als Kapitalbegriff der Säule 1 setzt hierbei insbesondere auf das bilanzielle Eigenkapital und die Positionen von eigenkapitalnahen Finanzinstrumenten auf.

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In den letzten Jahren haben sich durch Anpassungen an der Säule 1 und die Weiterentwicklung der aufsichtlichen Praxis immer mehr Abzugspositionen ergeben, die das verfügbare Kapital zum Teil deutlich verringern und deren Treiber zu großen Teilen durch das Handeln der operativen Geschäftsbereiche beeinflusst werden. Damit wird die eingangs beschriebene Trennung zwischen operativen Geschäftseinheiten und Kapitalmanagement in der Steuerung durchbrochen. Es reicht nicht mehr aus, die Geschäftseinheiten allein nach ihrem Kapitalbedarf in Form von RWA zu beurteilen. Führt der Verlust einer Geschäftseinheit beispielsweise zur anteiligen Erhöhung der Bilanzposition aktiver latenter Steuern, welche als Abzugsposition das Kapital reduziert, so ist die Geschäftseinheit für die hieraus resultierende Verschlechterung der Kapitalsituation verantwortlich. Um im Rahmen der Steuerung für diesen konkreten Fall den Anreiz zu verstärken, keine Verluste zu produzieren (und damit eine Erhöhung des Abzugspostens zu vermeiden), könnte zum Beispiel der mit der Erhöhung des Abzugspostens korrespondierende Ertrag (d.h. die Zurechnung von Steueransprüchen) in der internen Ergebnisrechnung eliminiert oder die durch den Geschäftsbereich generierte Abzugsposition als zusätzlicher Kapitalbedarf zugeordnet und einem Mindestverzinsungsanspruch unterworfen werden. In der Praxis der Säule 1 und der Säule 2 führen bereits heute folgende Positionen zu oft materiellen Abzügen vom Kapital1: • Goodwill und andere immaterielle Vermögensgegenstände • Beteiligungsbuchwerte (vor allem an Finanzunternehmen) • aktive latente Steuern • IFRS-Neubewertungsrücklage • Bewertungsgewinne oder Verluste aufgrund von Veränderungen der eigenen Bonität (zum Fair Value bewertete Eigenemissionen, „Debit Valuation Adjustement“ für Derivate) • stille Reserven/Lasten (nur Säule 2)

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Auch wenn die Abzugspositionen für die Diskussion mit dem Regulator in der Säule 1 erst über den sogenannten Phase-In gemäß [7] und [8] in den kommenden Jahren wirksam werden, nimmt der Kapitalmarkt – sofern es sich um ein kapitalmarktorientiertes Institut handelt – in seiner Wahrnehmung des Instituts diesen Phase-In vorweg und betrachtet in der Regel nur eine sogenannte Fully-Loaded-Quote.

Keine Planung ohne Stress – Szenarioanalysen als neues Paradigma der Kapitalsteuerung

Die Abzugsposten stellen sich in der Praxis in vielen Fällen nicht nur als materiell heraus, sondern auch als ausgesprochen volatil. Da die Höhe und Volatilität dieser Positionen hierbei oft unterschiedlich stark von den einzelnen Geschäftsmodellen beeinflusst wird, ist es notwendig, den unterschiedlichen Beitrag der Geschäftsmodelle angemessen in der Steuerung – einschließlich Planung, Szenarioanalysen und Stresstests – zu berücksichtigen. In vielen Fällen ist zunächst nicht klar, wie der Effekt auf die Kapitalauslastung in die Steuerung integriert werden soll. Eine naheliegende Möglichkeit ist dabei sicherlich, diese Abzugsposten als zusätzliche Kapitalbedarfsposition zu begreifen. Jedoch zeigt eine detaillierte Analyse der betroffenen Positionen und Geschäftsvorfälle, dass ein solches Vorgehen in der Praxis nicht immer den richtigen Steuerungsimpuls generiert. Unter bestimmten Umständen scheint es sinnvoller, den Effekt auf die Kapitalsituation in der internen Steuerung als Ergebnisgröße zu verarbeiten. Diesen Sachverhalt illustrieren wir an zwei Beispielen zum Goodwill, der beim Erwerb von Unternehmen entsteht, wenn der gezahlte Kaufpreis den aktuellen Wert der Aktiva und Passiva übersteigt: Beispiel 1: Der Kauf eines Unternehmens erfolgt in ein aktiv gesteuertes Portfolio mit dem Ziel, die Beteiligung nach einer definierten Zeitspanne mit Gewinn zu verkaufen (z.B. Private-Equity-Beteiligungen). In diesem Fall ist das Ziel der Beteiligungsposition die Generierung eines Gewinns beim erwarteten Verkauf zu einem höheren Preis, bei dem auch der beim Kauf gebildete Goodwill wieder ausgebucht wird. Es erscheint in diesem Fall tatsächlich sachgerecht, den Goodwill als zusätzlichen Kapitalbedarf aufzufassen: Der Goodwill ist bei der Kaufentscheidung bekannt und die zusätzliche Kapitalbelastung kann im Business Case berücksichtigt werden. Eine längere als die im Business Case berücksichtigte Haltedauer würde hierüber „bestraft“, was als grundsätzlich sachgerechter Steuerungsimpuls erscheint. Beispiel 2: Der Kauf eines Unternehmens erfolgt zum Zweck des anorganischen Wachstums in einem strategischen Geschäftsbereich mit dem Ziel der Erhöhung der nachhaltig erzielten Gewinne aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Daher ist in der Regel nicht abzusehen, wann und ob der Goodwill überhaupt wieder aufgelöst wird. Der Ansatz des Goodwills als zusätzliche Kapitalabzugsposition würde demnach zu einem dauerhaft erhöhten Gewinnanspruch gegenüber der Tochter führen. Dies erscheint nicht sachgerecht, insbesondere dann, wenn die Institutsgruppe bereits ein Tochterinstitut mit dem gleichen Geschäftsmodell besitzt wie das neu gekaufte Institut. Würde der Goodwill nur der neuen Tochter als Kapitalbedarf zugeschrieben, könnten sich bei gleichem Geschäftsmodell unterschiedliche Gewinnansprüche für die Töchter ergeben. Hier könnte es Sinn ergeben, den zusätzlichen

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Kapitalbedarf zumindest innerhalb des Geschäftsmodells zu kollektivieren. Zielführender und nachhaltig steuerbarer erscheint in diesem Fall ggf. ein Vorgehen, bei dem der bezahlte Goodwill für die interne Steuerung eher als ergebnisrelevante Aufwandsposition betrachtet wird und somit der Goodwill über einen definierten Zeitraum in der internen Ergebnisrechnung (im Gegensatz zum Vorgehen in der externen Ergebnisrechnung) aufgelöst wird. Sofern durch den Kauf des Unternehmens insbesondere auch Synergien zu bestehenden Geschäftsfeldern realisiert werden, können diese genutzt werden, um die Belastungen aus der Goodwillauflösung zu neutralisieren. Zusätzlich kann der jeweils noch nicht aufgelöste Teil als Kapitalbedarf in Rechnung gestellt werden. Als Ergebnis des Vorgehens ist der Goodwill nach Ablauf des definierten Zeitraums „verarbeitet“ und hat keine Steuerungsauswirkung mehr – vielmehr rücken nach dieser „Integrationsperiode“ die operativen Ergebnisse sowohl bisher bestehender als auch neu erworbener Geschäftseinheiten wieder in den Vordergrund. Die verschieden gelagerten Beispiele zur gleichen Abzugsposition zeigen, dass es kein Universalkonzept für die Berücksichtigung von Kapitalabzugspositionen in der Gesamtbanksteuerung gibt. Die Entwicklung eines passenden Ansatzes erfordert vielmehr eine dezidierte Analyse der zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle und der sich in diesen Fällen ergebenden hypothetischen Steuerungsimpulse. Auf dieser Basis lässt sich in der Regel ein differenzierter Ansatz mit der gewünschten Steuerungswirkung entwickeln. Unstrittig ist jedoch, dass die Nichtberücksichtigung dieser Effekte in der Kapitalsteuerung die denkbar schlechteste Lösung darstellt. Darüber hinaus stellt die im SREP zukünftig festgelegte institutsspezifische Mindestkapitalquote für die Säule 1 eine weitere Komponente dar, die antizipiert und gesteuert werden muss. Diese ergibt sich einerseits aus einem über die Säule 1+-Betrachtung identifizierten zusätzlichen Kapitalbedarf, der im Rahmen der Ermittlung von RWA nicht oder nicht angemessen reflektiert wird. Dies kann zum Beispiel daraus resultieren, dass die mit bestimmten Geschäftsaktivitäten verbundenen Risiken in der Säule 1 nicht mit Kapital unterlegt werden (z.B. bestimmte Marktpreisrisiken im Bankbuch), oder dass das den Geschäftsaktivitäten im Rahmen einer bestimmten Risikoart zugeordnete ökonomische Kapital (Säule 2) effektiv größer ist als der unter Säule 1 quantifizierte Kapitalbedarf. Andererseits sind weitere Aufschläge möglich, die zum Beispiel mit dem Verweis auf prozessuale und methodische Unzulänglichkeiten oder weitere Schwächen im internen Kontrollsystem begründet werden. In beiden Fällen ergibt sich ein zusätzlicher Kapitalbedarf, der primär von den Geschäftseinheiten bestimmt wird.

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Für die Institute besteht oftmals zusätzlich die Herausforderung, die genannten Abzugspositionen und SREP-Kapitalaufschläge den verursachenden Geschäftsmodellen zuzuordnen und diesbezüglich eine Analysefähigkeit herzustellen. Neben der methodischen Fragestellung, wie im Rahmen der Zuordnung mit Abzugspositionen oder Aufschlägen umzugehen ist, die sich als nach oben oder unten begrenzte Nettopositionen aus einzelnen Beiträgen ergeben, kann sich die Zuordnung auch insofern als problematisch herausstellen, als dass viele dieser Größen meist allein in Systemen des Accountings oder Meldewesens berechnet wurden, bei denen die Analysefähigkeit in der Vergangenheit nicht immer im Vordergrund stand. Hinzu kommt, dass in den Systemen der Institute für bestimmte Sachverhalte nur die Ergebnisse der Berechnungen erfasst werden, wobei der direkte Zugriff auf Berechnungsdetails und -methodik für die Allokation und die Simulationsfähigkeit von entscheidender Bedeutung wären. Auf diesen Aspekt gehen wir in Abschnitt 3.1 im Detail ein.

2.3 Übergreifende Stressanalysen Die Bedeutung von übergreifenden Stress- und Szenarioanalysen hat in der jüngsten Vergangenheit stark zugenommen. Stresstests sind zwar schon seit langer Zeit ein wesentlicher Bestandteil eines guten Risikomanagements, jedoch haben sich Stresstests in der Vergangenheit zumeist auf Teilaspekte bezogen. Es wurden beispielsweise im Marktpreisrisiko Stress-, Szenario- und Sensitivitätsanalysen (z. B. Betrachtung historischer Krisenzeiträume, standardisierte Parameterschocks) vorgenommen. Im Kreditrisiko wurden Schocks auf PDs und/oder LGDs oder auf Ziehungswahrscheinlichkeiten von Linien ausgewertet. In diesem Kontext waren Stressanalysen jedoch primär ein Mittel der Validierung einzelner Risikomodelle. Mit der Einführung von Säule 2 im Baseler Rahmenwerk wurde es schrittweise wichtiger, die Risikotragfähigkeit auch unter Stressszenarien zu betrachten. So fordert AT 4.3.3 der MaRisk (vgl. [2]) für Stresstests unter anderem, dass „die Ergebnisse der Stresstests […] auch bei der Beurteilung der Risikotragfähigkeit angemessen zu berücksichtigen [sind … und] dabei den Auswirkungen eines schweren konjunkturellen Abschwungs besondere Aufmerksamkeit zu schenken [ist].“ Insbesondere um wie gefordert „die Auswirkungen eines schweren konjunkturellen Abschwungs auf Gesamtinstitutsebene zu analysieren“, sind Stressszenarien zu betrachten, die risikoartenübergreifend sind und damit auch auf mehrere Risikoarten gleichzeitig wirken. Die „CEBS Guidelines on Stress Testing“ (GL32, vgl. [10]) fordern im Rahmen des ICAAP ebenfalls bankweite Stresstests (Tz. 86), die alle relevanten Risiken abdecken sollen. Die Szenarien sollen ungünstige, aber plausible Entwicklungen abdecken, zum Beispiel einen schweren ökonomischen Abschwung. Darüber hinaus wird gefordert, dass

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die Banken (vgl. [10], Section 5, Guideline 14) die Auswirkungen von Stresstests auf den regulatorischen Kapitalbedarf und das verfügbare regulatorische Kapital sowie den Effekt auf Bilanz und GuV ermitteln sollen.2 Da die MaRisk von den Instituten primär als Konkretisierung der Säule 2 verstanden wurde, sind die ICAAP-Stresstests bei deutschen Instituten in der Regel zwar risikoartenübergreifend, beschränken sich aber zunächst üblicherweise auch nur auf die Risikotragfähigkeitskennziffer als wesentliche Ergebnisgröße der Säule 2. Erst in den letzten Jahren wurden diese Anforderungen im Rahmen der aufsichtlichen Überprüfung der Risikotragfähigkeitsansätze zunehmend weiter interpretiert und eine Ausweitung der Stresstests auf Kennziffern der Säule 1 gefordert. Mit der Einführung der CRR (vgl. [8]) sind jedoch auch die Anforderungen bzgl. Stresstests bei Anwendung von IRB-Ansätzen erhöht worden. So fordert Art. 177, dass zur Bewertung der Kapitaladäquanz solide Stresstestverfahren vorliegen müssen, die unter anderem veränderte ökonomische Rahmenbedingungen mit negativen Auswirkungen auf die Kreditforderungen des Instituts berücksichtigen. Wie schon im Rahmen der „CEBS Guidelines on Stress Testing“ wird auch hier die Betrachtung eines schweren, aber plausiblen Rezessionsszenarios gefordert. Ferner ist festzustellen, dass Regulatoren weltweit primär systemrelevante Institute und Institutsgruppen immer öfter verpflichten, an ganzheitlichen Stresstests teilzunehmen. Berücksichtigt man die zum Teil sehr unterschiedliche regulatorische Praxis bezüglich der Säule 2 und die damit einhergehende fehlende Vergleichbarkeit der aus Risikotragfähigkeitsbetrachtungen gewonnenen Kennziffern, so ist es nicht verwunderlich, dass diese Stresstests sich bislang auf die regulatorischen Kapitalkenngrößen der Säule 1 (insbesondere CET-1-Quote gemäß CRR [8] oder deren Äquivalent in anderen Rechtskreisen, Eigenmittelquote, ggf. Leverage Ratio) konzentriert haben. Jüngstes Beispiel dafür ist der EBA-/EZB-Stresstest 2014 (vgl. unter anderem [6]), welcher die Auswirkungen zweier weitgehend makroökonomisch abgeleiteter Szenarien thematisiert hat. Hierbei wurden die Auswirkungen aus einem breiten Spektrum von Adressrisiken (inkl. Staaten und Verbriefungen) und relevanten Marktrisiken, sowie insbesondere die Auswirkungen auf das laufende Zinsergebnis (z.B. Zinsschaden aus Kreditausfällen, GuV-Ergebnis aus Fristentransformation und Veränderung der Refinanzierungskosten) betrachtet.

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„An institution should identify outputs in relation to its regulatory capital and resources, and also relevant balance sheet and P&L impacts, as a result of its stress testing programme.“

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Abbildung 2: Entwicklung von übergreifenden Stressanalysen

Dass diese Art von aufsichtlichen Stresstests kein Einzelfall bleibt, macht die CRD IV (vgl. [7]) in Artikel 100 deutlich. Hier wird festgelegt, dass regulatorische Stresstests mindestens jährlich durchgeführt werden sollen. Im Rahmen der EBA-Guideline zum SREP (vgl. [5], Tz. 360) werden zudem die Aufsichten dazu aufgefordert, die Kapitaladäquanz unter anderem anhand von Stresstests zu beurteilen. Die Guideline bezieht sich an dieser Stelle sowohl auf die ICAAP-Stresstests der Institute gemäß den „CEBS Guidelines on Stress Testing“ als auch auf die aufsichtlichen Stresstests. Hierbei können den Instituten entweder nur die Szenarioannahmen (sog. Ankerszenarien) oder auch gleich eine für alle Banken verbindliche Methodik vorgegeben werden. Im Rahmen der Erstellung und regelmäßigen Aktualisierung von Recovery-Plänen (Sanierungsplänen gemäß MaSan, vgl. [3]) sind die Institute seit 2013 aufgefordert, sogenannte Belastungsszenarien zu betrachten, anhand derer sie die ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen in kritischen Situationen testen sollen. Diese Belastungsszenarien führen beide Betrachtungsperspektiven zusammen. Insbesondere wird im Abschnitt E.3.3 der MaSan Folgendes gefordert: „Im Rahmen der Belastungsanalyse sind die Auswirkungen von Belastungsszenarien auf das Kreditinstitut und die Finanzgruppe zu untersuchen, insbesondere Auswirkungen auf Kapital, Risikotragfähigkeit, Liquidität, Ertragskraft, Risikoprofil und Fortführung der Geschäftstätigkeit.“ Konkret bedeutet das insbesondere, dass im Rahmen der Belastungsanalysen für jedes betrachtete Szenario

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die Kenngrößen zur Risikotragfähigkeit, zur regulatorischen Kapitalausstattung der Säule 1 und zur Liquidität gemeinsam simuliert werden müssen. Dies erfordert in der Praxis in der Regel das Arbeiten mit sehr unterschiedlichen Datenhaushalten. Abbildung 2 zeigt zusammenfassend ausgewählte Typen von Stresstests in der Entwicklung zu übergreifenden Szenarioanalysen. Es ist zu erwarten, dass sich der Trend zu immer umfassenderen Szenarioanalysen – insbesondere vor dem Hintergrund der Umsetzung der EBA-Vorgaben zum „Supervisory Review and Evaluation Process (SREP)“ durch die Europäische Zentralbank – weiter verstärken wird. Für die betroffenen Institute wird es in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein, im Rahmen dieses Stresstests auch die Säule 1+-Betrachtung abzubilden, um die Entwicklung von Kapitalaufschlägen antizipieren zu können. Hierzu ist es insbesondere notwendig, die Methoden zur Ermittlung des unter Säule 1 und Säule 2 je Teilrisikoart ermittelten gestressten Kapitalbedarfs zu vereinheitlichen, um eine Vergleichbarkeit dieser Größen herbeizuführen, die im Rahmen der Säule 1+-Betrachtung eine absolute Notwendigkeit darstellt. Zudem ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass Stresstests wie der EBA-/EZB-Stresstest 2014 immer regelmäßiger von den Instituten gefordert werden – sei es in Form einer individuellen Umsetzung durch die Institute oder unter Führung durch die Aufsicht.

2.4 Mehrjahresbetrachtungen in Planung und Stresstest Spätestens mit der MaRisk-Novelle 2012 wurde die Mehrjahreskapitalplanung zur regulatorischen Pflicht und stellt heute ein wesentliches Element der aufsichtlichen Überwachung dar. Neben der Forderung, dass die Kapitalplanung des Instituts einen „angemessen langen, mehrjährigen Zeitraum umfassen [muss]“ stellt AT 4.1 der MaRisk mit der Forderung, dass „möglichen adversen Entwicklungen, die von den Erwartungen abweichen, […] angemessen Rechnung zu tragen [ist]“, zudem einen indirekten Bezug zu Szenariobetrachtungen her. Die EBA gibt in ihrer Guideline zum SREP (vgl. [5], Tz. 362) vor, dass sich die Aufsichten hinsichtlich des geforderten Zeithorizonts von Stresstests an der CEBS-Guideline zum Stresstesting orientieren sollen. Diese fordern unter Kapitalplanungsgesichtspunkten einen Zeitraum, der der Größe und Komplexität des Instituts angemessen ist, mindestens jedoch einen Zeitraum von zwei Jahren (vgl. [10], Tz. 87). Gleichzeitig sollen die Aufsichten Szenarioanalysen dazu verwenden, die Kapitalisierung der Institute über den ökonomischen Zyklus zu beurteilen (vgl. [5], Tz. 358 ff.). Zugehörige Abbildungen (vgl. [5], Abb. 4 und 5) zeigen den Verlauf der relevanten Kennzahl über einen Zeithorizont von 4 Jahren. Viele Institute haben sich im Rahmen des Risikotragfähigkeitsstresstests lange Zeit auf den Zeithorizont der Risikotragfähigkeit von in der Regel einem Jahr beschränkt. In diesem Kontext liegt der Fokus der Stressbetrachtung oftmals allein auf den Auswirkungen eines Schocks in Form von Kreditausfällen, Marktwertverlusten und einer Erhöhung des

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Kapitalbedarfs. Das Portfolio wird dabei meist als weitgehend statisch angenommen. Gleichzeitig werden Rückwirkungen auf das laufende Ergebnis (Zinsschaden, verändertes Neugeschäft) vernachlässigt. Der Regulator hat im Rahmen der regulatorischen Stresstests den Aspekt aufgegriffen, dass sich die Gesamtwirkung einer Krise einschließlich der hiermit verbundenen Zweitrundeneffekte erst bei einer Betrachtung über einen längeren Zeitraum feststellen lässt. Jüngstes Beispiel hierfür ist der gemeinsame Stresstest von EBA und EZB im Jahr 2014, bei dem die Institute die Entwicklung der Kapitalquoten über einen Zeitraum von drei Jahren für ein erwartetes Szenario und für ein Stressszenario auswerten mussten. Der längere Betrachtungszeitraum ermöglicht es einem ertragsstarken Institut jedoch auch, die Stärkung der Kapitalbasis durch die laufenden Erträge nach dem Ende des akuten Krisenzeitraums zu zeigen. Gleichzeitig werden Annahmen über das Neugeschäft immer wichtiger für das Szenarioergebnis. Um hier eine Vergleichbarkeit über die Institute hinweg sicherzustellen, wurde im Stresstest von EBA und EZB die sogenannte Annahme des „Static Balance Sheet“ gemacht, bei der insbesondere das Kreditportfolio abgesehen von Szenarioeffekten als statisch angenommen wurde. Im Rahmen ihrer eigenen Szenarioanalysen werden die betroffenen Institute in der Regel entsprechend ihrer geplanten Geschäftsentwicklung angepasste Annahmen treffen. Damit zeichnen sich diese regulatorischen Stresstests gegenüber typischen Risikotragfähigkeits-Stresstests dadurch aus, dass nicht ein instantaner Schock als Szenario unterstellt wird, sondern de facto eine alternative Mittelfristplanung für das durch die jeweiligen Stressszenarien definierte Umfeld erstellt und die daraus resultierende Kapitalquotenentwicklung über mehrere Jahre dynamisch simuliert wird. Der regulatorische Stresstest kann folglich auch als Geschäftsplanung der am Stresstest beteiligten Banken unter Vorgabe eines einheitlichen erwarteten und eines einheitlichen adversen Szenarios verstanden werden. Im Rahmen dieser Planung ist die erwartete Entwicklung genauso wichtig wie angepasste Planungen für das Stressszenario. Insgesamt ist für Kapitalplanung und Stresstests eine Entwicklung zu immer längeren Betrachtungszeiträumen zu beobachten, mit neuen Herausforderungen an Methodik und Infrastruktur.

2.5 Kapitalrelevanz von Stresstests Über die in den vorherigen Abschnitten diskutierten, vorrangig methodischen und technischen Aspekte hinaus haben sich auch die Implikationen aus den Ergebnissen von Stresstests in den letzten Jahren verstärkt.

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In der Vergangenheit war es in der Regel ausreichend, zum jeweiligen Stichtag auf Basis des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Portfolios die Zielvorgaben für die Kapitalausstattung einzuhalten. Wenn ein Institut im Rahmen von Szenarien die Mindestvorgaben nicht mehr erfüllte, sollte dies zwar analysiert und diskutiert und der Risikoappetit überprüft werden, aber es bestand kein Zwang, die im Szenario auftretende Lücke zusätzlich mit Kapital zu unterlegen. Inzwischen wird von Banken zunehmend der Nachweis verlangt, dass sie auch den Eintritt geeignet kalibrierter Stressszenarien verkraften können, ohne gegen entsprechend angepasste Mindestvorgaben zu verstoßen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Szenarien in der Vergangenheit bereits einmal in ähnlicher Form eingetreten sind und ob deren Eintritt notwendigerweise wahrscheinlich ist. In der Praxis bedeutet dies in der Regel, dass die Institute für die Verluste und potenziell erhöhten Kapitalbedarfe aus Stressszenarien einen erhöhten Kapitalpuffer vorhalten müssen. Beim EBA-/EZB-Stresstest 2014 (vgl. [6]) mussten die betroffenen Institute beispielsweise im sogenannten adversen Szenario, das einem Rezessionsszenario entspricht, am Ende des dreijährigen Szenariozeitraums mindestens eine harte Kernkapital-Quote (CET-1-Quote gemäß CRR) von 5,5% einhalten. Die Begründung der Vorgabe von 5,5% basiert auf der Mindestquote von 4,5% für das harte Kernkapital und einem pauschalen Aufschlag von 1% für systemrelevante Institute. Im sogenannten BaselineSzenario, das zumindest bei Betrachtung der makroökonomischen Eckparameter der von der EU-Kommission erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung in der Europäischen Union entspricht, mussten die Institute dagegen eine Quote von 8% einhalten, die von der Vorgabe für das adverse Szenario nur durch einen Kapitalerhaltungspuffer in Höhe von 2,5% abweicht, der im adversen Szenario eingesetzt werden darf, nicht jedoch im Baseline-Szenario.3 Eine ähnliche Entwicklung ist auf der Säule 2 für die Beurteilung der Risikotragfähigkeit zu beobachten. So verlangt AT 4.3.3 der MaRisk (vgl. [2]), dass insbesondere die Ergebnisse des Stressszenarios „schwerer konjunktureller Abschwung“ bei der Beurteilung der Risikotragfähigkeit berücksichtigt werden müssen. In der aufsichtlichen Praxis wird diese Anforderung oft so ausgelegt, dass de facto auch unter Wirkung dieses Stressszenarios die Risikotragfähigkeit weiterhin gegeben sein soll. Bislang war es den Instituten

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Bei der Bewertung dieser Quotenvorgabe ist jedoch zu berücksichtigen, dass das BaselineSzenario trotz der makroökonomischen Ausrichtung auf Grund der definierten Methode (vgl. [6]) einige Stresselemente beinhaltet, die über die Wirkung der makroökonomischen Vorgaben hinausgehen. So sieht die Methodik für das Marktpreisrisiko im einfachen Ansatz die Berücksichtigung eines Verlusts vor, der sich aus der historischen Schwankung des Handelsergebnisses ableitet. Im fortgeschrittenen Ansatz ergibt sich der angesetzte Verlust als Mittelwert über das makroökonomische Szenario und vier weitere historische Stressszenarien.

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zumindest theoretisch unbenommen, ggf. vom Normalszenario abweichende Zielkapitalisierungen für das Stressszenario zu definieren, ähnlich zu den unterschiedlichen Vorgaben für die harte Kernkapitalquote unter dem Baseline-Szenario und dem adversen Szenario beim EBA-/EZB-Stresstest 2014. Darüber hinaus stand es den Instituten meist frei, die Schwere des Stressszenarios selbst festzulegen. Das wird sich im Rahmen der Umsetzung der EBA-Guideline zum SREP durch die EZB ändern. Bei der Beurteilung der Kapitalausstattung und der Festlegung von Aufschlägen auf die Mindestkapitalquoten soll die Aufsicht zukünftig die Ergebnisse von Stresstests berücksichtigen (vgl. [5], Tz. 358 ff.). Dabei steht die Aufsicht in der Pflicht, über die Vorgabe von verbindlichen sogenannten „Ankerszenarien“ bzw. über regulatorische Stresstests die Schwere des Stresses für alle Banken einheitlich zu kalibrieren. Reicht der Kapitalerhaltungspuffer nicht aus, um die Stresseffekte zu kompensieren, wird die Aufsicht zusätzliche Aufschläge auf die geforderten Kapitalquoten in Betracht ziehen. In der Praxis führen alle oben genannten Vorgehensweisen dazu, dass für die Institute aus der Betrachtung verschiedener Szenarien, insbesondere Stressszenarien, in der Regel über einen Mehrjahreshorizont ein zusätzlicher Kapitalbedarf entsteht. Neben der Notwendigkeit einer höheren Kapitalausstattung ergibt sich in der Folge die Herausforderung, diesen höheren Kapitalbedarf zu steuern. Hierzu erscheint es zwingend, den szenariobasierten Kapitalbedarf auf Geschäftsbereiche, Portfolien und ggf. Einzelgeschäfte zu allokieren und darüber in die Steuerung zu integrieren (analog zur Integration der Abzugspositionen vom Kapital in Abschnitt 2.2). Im Rahmen des szenariobasierten Kapitalbedarfs sind neben dem szenariobasierten Verlust insbesondere die potenzielle Belastung bzw. Entlastung durch Veränderungen der RWA und des ökonomischen Kapitals, der Abzugspositionen und der Säule 1+-Aufschläge im Rahmen der jeweiligen Szenarien zu betrachten. Erschwerend wirkt sich auf diese Integration aus, dass die zu betrachtenden Szenarien in der Regel im Zeitverlauf regelmäßig angepasst werden, weil sich das Marktumfeld, die Ausrichtung des Instituts und nicht zuletzt die Wahrnehmung der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen ändert. Damit ergeben sich auch unvorhergesehene Schwankungen des allokierten Kapitals im Lebenszyklus von Einzelgeschäften und Portfolien. Für diese ist insbesondere zu klären, wer die Ergebnisverantwortung für die daraus resultierenden Effekte tragen soll, und wie diese Effekte gesteuert werden können. Entsprechend sind hier pragmatische Lösungen notwendig, die sowohl die Steuerungsmöglichkeiten der operativen Geschäftseinheiten als auch die beabsichtigte Steuerungswirkung berücksichtigen.

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3 Handlungsfelder für die Institute 3.1 Infrastruktur für Stresstests und Kapitalplanung Die Bedeutung von Stresstesting und Szenarioanalysen in Risikomanagement und Planung nimmt stetig zu. Für die mit diesen Aktivitäten betrauten Bereiche führt diese Entwicklung bei vielen Instituten zu enormen Ressourcenbelastungen, da die bestehende Infrastruktur auf diese Anforderungen noch nicht ausgerichtet ist. Derzeit können in vielen Instituten Stresstests und Szenarioanalysen nur mit hohen manuellen Aufwänden durchgeführt werden. Die weiterhin steigende Komplexität und die zunehmende Frequenz dieser Analysen kann durch die betroffenen Bereiche in den Instituten nur dann dauerhaft bewerkstelligt werden, wenn eine signifikante Automatisierung der manuellen Prozesse erfolgt, und damit die beteiligten Ressourcen von rein operativen Aufgaben entlastet werden und ausreichend Zeit für die bislang oft vernachlässigte inhaltliche Analyse der Szenarioergebnisse verwenden können. Ohne diese inhaltlichen Analysen werden jedoch keine Erkenntnisse für die Steuerung abgeleitet und das sich aus den Stresstests ergebende Potenzial bleibt für die Steuerung der betroffenen Institute weitgehend ungenutzt. Diese notwendige weitgehende Automatisierung von Szenarioanalysen erfordert die Durchführung zweier wesentlicher Schritte: • Zusammenführung und Harmonisierung der verschiedenen Datenhaushalte für Säule 1, Säule 2, Bilanz & GuV sowie Liquidität: Dies ist die kritische Voraussetzung, um eine Verknüpfung zwischen den verschiedenen Steuerungsperspektiven und die konsistente Allokation auf Geschäftsbereiche, Portfolien und Einzelgeschäfte zu ermöglichen. • Aufbau und Ausbau dezidierter Simulationsfähigkeiten für die wesentlichen steuerungsrelevanten Kennzahlen aus Säule 1, Säule 2, Leverage Ratio und Liquidität: Dies beinhaltet neben der Simulation von klassischen Marktwertverlusten und Ausfällen im Kreditgeschäft über einen mehrjährigen Betrachtungszeitraum insbesondere auch die Möglichkeit, die Auswirkung unterschiedlicher Annahmen für das Neugeschäft und von Zweitrundeneffekten in der GuV abbilden zu können. Aus der Notwendigkeit heraus, dass in der Vergangenheit viele neue Anforderungen innerhalb kurzer Zeit umgesetzt werden mussten, wurden zur Begrenzung von Umsetzungsrisiko und -aufwand vielfach neue isolierte Datenhaushalte für spezifische Anwendungen geschaffen. Eine nachfolgende Integration in bestehende Datenhaushalte ist jedoch oftmals nicht erfolgt. In der Konsequenz sind die operativen Möglichkeiten zur Durchführung von übergreifenden Analysen durch die Existenz dieser verschiedenen,

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schwer zusammenführbaren und schwer aggregierbaren Datenhaushalte stark eingeschränkt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung neuer Anforderungen und den Nachweis der Konsistenz und die Verknüpfbarkeit der Daten, und betrifft daher viele Aufgaben im Umfeld der Banksteuerung von der Erstellung von konsistenten standardisierten Risikoberichten bis hin zu Ad-hoc-Analysen – nicht nur übergreifende Szenario- und Stressanalysen. Das Basel Committee on Banking Supervision hat diesen Umstand aufgegriffen und die „Principles for effective risk data aggregation and risk reporting“ (BCBS 239, vgl. [4] und [9]) formuliert. Vor allem systemrelevante Institute sind aufgefordert, diese Principles bis spätestens Anfang 2016 umzusetzen, auch wenn ein signifikanter Teil der global systemrelevanten Institute dies für das eigene Institut für unrealistisch zu halten scheint (vgl. [12]). Für diese Institute stellt diese Anforderung eine historische Chance dar, mit regulatorischer „Unterstützung“ die Datenbasis für effiziente Stress- und Szenarioanalysen zu legen und die sich hieraus ergebenden Anforderungen frühzeitig im Umsetzungsprozess zu formulieren. Die wichtigsten Anforderungen umfassen dabei insbesondere: • Die effiziente Zusammenführbarkeit verschiedener Datenhaushalte auf Einzelgeschäftsebene, zum Beispiel über eindeutige Geschäfts-IDs in allen Datenhaushalten, von Front-Office- über Bilanzierungs- zu Meldewesen- und Risikosystemen. • Das Vorhalten aller relevanten Parameter auf Einzelgeschäfts- bzw. Einzelpositionsebene und nicht nur auf verdichteter Portfolio- oder Gesamtbestandsebene, sofern nur auf dieser Ebene eine eindeutige Zuordnung zu Organisationseinheiten existiert. • Darüber hinaus ist es essentiell, dass in allen Datenhaushalten die gleichen, steuerungsrelevanten Portfolio-Hierarchien abgebildet werden können, um auch für Portfoliodaten eine Zusammenführung und Überleitung effizienter zu gestalten. Der auch im Rahmen von BCBS 239 geforderte Auf- und Ausbau dezidierter Simulationsfähigkeiten wird für viele Institute dadurch erschwert, dass die IT-Systeme, welche im Ist die zu betrachtenden Kennzahlen bzw. deren Ausgangsgrößen (z.B. RWA, Risikokennzahlen, Abzugsposten, GuV) ermitteln, auf Grund einer Vielzahl von Regeln zur Ermittlung dieser Kennzahlen sehr komplex geworden sind. Ggf. erfordert die Berechnung dieser Kennzahlen selbst schon zeitraubende manuelle Korrekturen, mit der Konsequenz der Blockierung kritischer Ressourcen. In einem solchen Fall sind diese Systeme nicht oder nur sehr eingeschränkt für Szenariosimulationen verwendbar. Darüber hinaus sind diese Produktivsysteme bereits in enge und zeitkritische Produktionsprozesse eingebunden, so dass es in der Praxis oft nur wenige und kurze Zeitfenster gibt, zu denen diese für weitere Simulationen zur Verfügung stehen.

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Für die Umsetzung von Simulationsfähigkeiten sind insbesondere folgende Kriterien relevant: • Exaktheit der Ergebnisse: Um für die interne Steuerung und auch für die Aufsicht eine verlässliche Grundlage für Entscheidungen darstellen zu können, ist die Zuverlässigkeit der Ergebnisse ein entscheidendes Kriterium. Ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium ist hierbei die Überleitbarkeit zu den Ist-Ergebnissen aus den Produktivsystemen. • Flexibilität in der Umsetzung neuer Anforderungen: Die Infrastruktur sollte mit vertretbarem Aufwand in Bezug auf Annahmen, Szenariotypen, Ergebnisgrößen und Simulationsmethodik anzupassen sein. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als die Architektur geeignet sein soll, auch regulatorische Stresstests zu unterstützen, bei denen erfahrungsgemäß sehr detaillierte Vorgaben kurzfristig umzusetzen sind. • Schnelligkeit von Prozess und Berechnung: Szenarioanalysen werden vom Management nur dann als Werkzeug für die Steuerung akzeptiert werden, wenn die Ergebnisse in einer angemessenen Zeit bereitgestellt werden können. Der Prozess sollte dabei, sofern notwendig, jeden Monat die Analyse eines neuen Szenarios ermöglichen. Sensitivitätsanalysen für relevante Simulationsparameter sollten so schnell verfügbar sein, dass sie im Rahmen der Szenarioentwicklung und -kalibrierung unterstützend verwendet werden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich für viele Institute die Frage nach dem grundsätzlichen Ansatz zur Umsetzung der notwendigen Simulationsfähigkeiten. Dabei zeichnen sich im Wesentlichen zwei mögliche, grundverschiedene Vorgehensmodelle ab: • Duplizierung existierender Produktivsysteme und Verwendung dieser SystemKlone als dezidierte Szenarioanalyse-Umgebung. Dieser Ansatz hat a priori den Vorteil, dass der Umsetzungsaufwand begrenzt sein sollte und zudem sichergestellt ist, dass die zu simulierenden Kennzahlen exakt ermittelt werden. Jedoch „erbt“ die Szenariosimulation in vielen Fällen in diesem Ansatz die geringe Geschwindigkeit und Flexibilität der Produktionsprozesse. Darüber hinaus kann nicht als gegeben vorausgesetzt werden, dass die System-Klone ohne wesentliche Erweiterung bereits ausreichende Simulationsfähigkeiten bereitstellen bzw. für diesen Zweck konfiguriert werden können. Insbesondere die Umsetzung von Portfolioveränderungen (z. B. Neugeschäft) und deren Auswirkung auf die Entwicklung von Bilanz und GuV über den Szenariobetrachtungszeitraum von mehreren Jahren stellen in diesem Vorgehensmodell die wahrscheinlich größten Herausforderungen dar.

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• Aufbau separater, dezidierter Szenarioanalyse-Systeme, die ggf. einzelne Regeln zur Ermittlung der relevanten Kennzahlen nur näherungsweise abbilden. In diesem Fall sollten eine hohe Geschwindigkeit und Flexibilität integrale Bestandteile des Pflichtenheftes sein. Diese müssen aber wahrscheinlich durch Unschärfen bei der Ermittlung der Kennzahlen erkauft werden. Die Herausforderung besteht an dieser Stelle darin, einen angemessenen Kompromiss zwischen der Genauigkeit der Abbildung und Geschwindigkeit/Flexibilität zu finden, der auch die Erwartungen der Aufsicht erfüllt. In Einzelfällen hat die Aufsicht bereits signalisiert, dass sie eine Berechnung aus solchen Proxy-Systemen nur als Übergangslösung akzeptieren will. In jedem Fall ist eine enge Abstimmung bzw. ein Backtesting mit den Ergebnissen aus den Produktivsystemen erforderlich. Neben dem ggf. höheren Aufwand für den Aufbau einer separaten Analyse-Systemwelt ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass Änderungen aus der Produktivwelt auf ihre Materialität für die Szenarioanalysen beurteilt und ggf. in den Szenarioanalyse-Systemen ebenfalls implementiert werden müssen. Ein sachgerechtes Vorgehensmodell kann jedoch immer nur auf Basis der individuellen Sachverhalte im Rahmen einer Systemauswahl bestimmt werden. Hierbei kann das Vorgehensmodell auch aus einer Hybridlösung bestehen. Ein ganz zentraler Punkt bei dieser Entscheidung werden auch die explizit oder implizit von den Regulatoren formulierten Erwartungen an die Güte und Exaktheit der Simulationsergebnisse sein.

3.2 Integration von Szenarioanalyse und Planung Insbesondere die gestiegene Bedeutung von Stresstests und Szenarioanalysen bei der Beurteilung der Kapitalausstattung hat dazu geführt, dass die Ergebnisse von Stressszenarien und der hieraus resultierende zusätzliche Kapitalbedarf auch unter Planungsaspekten antizipiert werden müssen. Darüber hinaus sollte die Planung die sich ständig weiterentwickelnden regulatorischen Vorgaben berücksichtigen. Eine klassische, auf ein einziges erwartetes Szenario abstellende Geschäfts-, Risiko- und Kapitalplanung ist vor diesem Hintergrund nicht mehr zielführend. Im Rahmen des Planungsprozesses sind über das erwartete Szenario hinaus auch weitere potenzielle Entwicklungen des Umfelds und regulatorische Szenarien daraufhin zu analysieren, ob die Tragfähigkeit des in der Strategie beschriebenen Geschäftsmodells auch abseits des erwarteten Szenarios erhalten bleibt. Um die Ergebnisse des Szenarios in Bezug auf Kapitalisierung und Risikoappetit abschließend einordnen zu können, ist zusätzlich zu analysieren, ob die Unternehmensführung bei Abweichungen von der erwarteten Entwicklung hinreichend viele Handlungsoptionen hat, um eventuelle nachteilige Auswirkungen ausgleichen zu können. Dies liegt

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zunächst im ureigenen Interesse der Unternehmensführung, wird jedoch auch bei der Beurteilung von Szenarioergebnissen durch die Aufsicht im Rahmen des neuen SREP eine nicht unwesentliche Rolle spielen4 (vgl. [5], Tz. 365). Abbildung 3: Idealisierte Darstellung wesentlicher Schritte und Ergebnisgrößen einer integrierten, szenariobasierten Planung

Um die Ableitung von Steuerungsmaßnahmen zu ermöglichen, sollte ein solcher szenariobasierter Planungsansatz konsequent auf die Wert- und Risikotreiber des Geschäftsmodells ausgerichtet sein, welche alle für die Planung relevanten Kennzahlen, von GuV und Bilanzpositionen, über Säule 1- und Säule 2-Kapitalbedarf und Leverage Ratio (sowie ggf. zukünftigen Kenngrößen in Bezug auf Bail-In-Kapital) bis zu Liquiditätskennzahlen, hinreichend erklären können. Abbildung 3 visualisiert wesentliche Ergebnisgrößen einer integrierten Planung bzw. Szenarioanalyse. Für jedes Szenario müssen Geschäfts-, Risiko- und Kapitalplanung konsistent auf Basis eines einheitlichen szenariospezifischen Annahmensets geplant werden, um die vielfach materiellen Wechsel-

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„In the analysis of the capital plan, competent authorities should review and consider the appropriateness of credible mitigating management actions that an institution indicates it would take.“

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wirkungen zwischen den Kennzahlen angemessen abbilden zu können. Für das Kreditgeschäft bedeutet dies zum Beispiel, dass für das Neugeschäft konsistente Annahmen bzgl. Volumen, Branchen, Ratingklassen und den zu erzielenden Margen getroffen und der Bezug zu den makroökonomischen Annahmen des jeweiligen Szenarios erkennbar sein müssen. Dies gilt umso mehr, als dass die von der EBA (vgl. [5]) im Rahmen des SREP zukünftig vorgesehene Geschäftsmodellanalyse („Business Model Analysis“, BMA) eine Bewertung der zukünftigen Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells vorsieht. Hierbei ist der Regulator auch aufgefordert, die Auswirkungen seiner eigenen, potenziell von der Einschätzung des Instituts abweichenden Sicht auf die Entwicklung des Umfelds zu analysieren und im Rahmen der Analyse zu berücksichtigen. In diesem Kontext wird der Regulator dazu gezwungen sein, maximale Transparenz bezüglich der Annahmen von den Instituten einzufordern. Um diese geforderte Transparenz gewährleisten zu können, muss ein solcher szenariobasierter Planungsansatz in einem Regelprozess stattfinden, in dem alle im Rahmen der Planung bzw. Szenarioanalyse getroffenen Annahmen, zum Beispiel auch die Neugeschäftsannahmen bzgl. Branchen, Margen und Risikogehalt von Teilportfolien, nachvollziehbar dokumentiert werden. Wie im Abschnitt 2.4 dargestellt, haben sich die Erwartungen des Regulators bezüglich des Betrachtungszeitraums der Szenarien in Richtung des Zeithorizonts einer Mittelfristplanung verschoben. Da Stresstestergebnisse von Regulatoren zunehmend zur Beurteilung der Kapital- und Liquiditätssituation herangezogen werden, ist es notwendig, die wesentlichen für Szenarioanalysen relevanten Ergebnisgrößen auch in der Planung zu betrachten. Damit liegen der Planung und übergreifenden Stress- und Szenarioanalysen zukünftig im Wesentlichen gleiche Kennzahlen und ein ähnlicher Betrachtungszeitraum von etwa drei bis zu fünf Jahren zugrunde. Mit der darüber hinaus beobachtbaren Konvergenz von Fragestellungen aus Planung und Szenarioanalysen ist auch von einem Zusammenwachsen beider Prozesse zu einer szenariobasierten Planung auszugehen. Hierbei lassen sich relevante Kompetenzen zusammenführen und Effizienzgewinne realisieren. Unabhängig von einer Konvergenz der Prozesse wird es aber natürlich auch in Zukunft Unterschiede im Detail geben. Das betrifft insbesondere folgende Dimensionen: • Berücksichtigung von Planungsannahmen: Es ist kaum vorstellbar, dass Institute für ihre interne Planung Vorgaben vergleichbar zur „Constant-Balance-Sheet“-Annahme des EBA-/EZB-Stresstests 2014 (vgl. [6]) verwenden. Diese verlangt, dass sich die Bilanzstruktur der Institute über den betrachteten Dreijahreszeitraum nicht verändert, was insbesondere auch impliziert, dass in dieser Zeit keinerlei Sanierung oder Abwicklung ausgefallener Kreditengagements erfolgt. An die Stelle solcher aus Gründen

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der Vergleichbarkeit zwischen den Instituten gewählten Vorgaben sind entsprechende für das Institut realistischere – ggf. in der Modellierung komplexere – Annahmen zu treffen, die bis zu einem gewissen Grad auch realistische Gegensteuerungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Reduktion von Neugeschäft in Teilportfolien enthalten können. Ein hohes Maß an Konvergenz vorausgesetzt, lassen sich in diesem Kontext auch potenzielle Veränderungen an der Wirksamkeit der Handlungsoption gemäß MaSan über den Planungshorizont antizipieren und in der Steuerung angemessen berücksichtigen. • Ausgestaltung der Szenarien: Darüber hinaus können die im Rahmen der Planung betrachteten Szenarien von den Szenarien im Stresstesting abweichen. Im Rahmen der internen Planung und Steuerung mag es z.B. nicht sinnvoll erscheinen, ein von der Aufsicht erwartetes Szenario (wie z.B. das Baseline-Szenario des EBA-/EZB-Stresstests 2014) als erwartetes Szenario für die Planung zu unterstellen, wenn die Erwartungen des Instituts hiervon abweichen. Trotzdem kann das von der Aufsicht erwartete Szenario für die Analyse relevant sein. Umgekehrt wird es meist jedoch sinnvoll sein, ein aktuell aufsichtlich vorgegebenes Stressszenario (wie z.B. das adverse Szenario des EBA-/EZB-Stresstests 2014) für die Planung zu adaptieren, da sich ein Institut an diesem Stresslevel messen lassen muss. • Anwendungsfrequenz: Während der vollständige Planungsprozess im Wesentlichen jährlich aber ggf. mit vielen Iterationsstufen (Zielwertsuche) erfolgt, werden Stresstests und Szenarioanalysen in der Regel auf monatlicher oder quartärlicher Basis stattfinden. Jedoch gibt es in der Regel ergänzende Forecasting-Prozesse für Bilanz und Ergebnisrechnung, die die bestehende Planung auch unterjährig ergänzen. Es erscheint sinnvoll, hieraus eine jeweils angepasste Planung zu generieren, die über unterjährige Anpassung des Aufsatzpunkts hinaus als Grundlage für Szenarioanalysen dienen kann. Im Ergebnis würde sich hieraus gewissermaßen ein Prozess zur kontinuierlichen szenariobasierten Planung ergeben. • Detailebene: Im Rahmen eines Bottom-Up-Planungsprozesses ist es für die Institute wichtig, die Geschäftsbereiche auf operativer Ebene einzubinden, um eine Identifikation der operativ Steuernden mit den als Ergebnis der Planung definierten Zielen zu ermöglichen. Hieraus ergibt sich, dass die Bottom-Up-Planung für die Erlöse meist auf den unteren Ebenen der Portfoliostruktur ansetzt. Eine Zuordnung von direkten und indirekten Kosten erfolgt ggf. jedoch erst auf einer höheren Ebene der Portfoliostruktur. Eine Ermittlung von innerhalb der Bank vergleichbaren Deckungsbeiträgen erfolgt damit meist erst auf einer mittleren Portfolioebene. Dies ist in vielen Fällen auch die Ebene, auf der eine risikoadjustierte Ergebnisrechnung stattfindet, und auf der die Allokation eines szenariobasierten Kapitalbedarfs erfolgen muss, um eine Integration in die Steuerung zu gewährleisten. Der Detaillierungsgrad von Planungen wird daher zumindest in bestimmten Bereichen ausgeprägter sein als der von internen Szenarioanalysen und Stresstests. Gemeinsam ist für beide Prozesse, dass für das Be-

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standsgeschäft Planung und Stresskalkulationen bei Bedarf auf Einzelgeschäftsebene ansetzen können, während für das Neugeschäft meist nur Annahmen auf Portfolioebene zugrunde gelegt werden. Umgekehrt ergibt sich aus den Erfahrungen des EBA-/ EZB-Stresstests 2014, dass von regulatorischer Seite ggf. Aufrisse von Ergebnissen nach Kriterien gefordert werden, die im Rahmen der internen Steuerung und Planung bislang keine Verwendung gefunden haben. In diesem Fall sollte das betroffene Institut kritisch hinterfragen, welche Schlüsse die Aufsicht aus der jeweiligen Information ziehen kann, und ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll sein könnte, das Kriterium auch intern in der Steuerung und Planung zu berücksichtigen. Ungeachtet dieser Unterschiede im Detail können die betroffenen Institute in hohem Maße davon profitieren, wenn sie die Methodik von Planung und Stresstests weitgehend vereinheitlichen und die Kompetenzen für die in Planung und Stresstests in gleicher oder ähnlicher Weise auftretenden Aktivitäten bündeln.

4 Fazit Die in den letzten Jahren und der jüngsten Vergangenheit entstandenen regulatorischen Anforderungen in Bezug auf die von den Instituten durchzuführenden Stresstests haben dazu geführt, dass Stresstests ein immer breiteres Spektrum an verschiedenen Kennzahlen abdecken müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Aufsicht zukünftig für nahezu jede steuerungsrelevante Kennzahl auch Szenarioanalysen, vorzugsweise im Rahmen von konsistenten risikoartenübergreifenden Stresstests auf Gesamtbankebene, fordern wird. Die betroffenen Institute stehen vor der Herausforderung, immer neue Kennzahlen in ihre Szenariobetrachtungen zu integrieren und hierzu die verschiedenen Datenhaushalte konsistent zusammenzuführen und damit eine transparente Datengrundlage für eine zukünftige Stresstestinfrastruktur zu schaffen. Mit der Umsetzung des neuen SREP durch die EZB wird die spätestens im Rahmen des EBA-/EZB-Stresstests 2014 klar erkennbare Entwicklung zu Szenarioanalysen mit längeren Betrachtungszeiträumen fortgesetzt. Da Stress auch immer als Abweichung von einer erwarteten Entwicklung verstanden wird, müssen diese Stresstests die im Rahmen der Geschäfts- und Kapitalplanung vorgezeichnete Entwicklung verarbeiten. Umgekehrt muss die Planung auch mit negativen Entwicklungen verprobt werden, um eine ausreichende Kapitalausstattung im Krisenfall nachweisen zu können. Stresstest und Planung rücken stärker zusammen. Die betroffenen Institute stehen daher einerseits vor der Aufgabe, die Datenhaushalte, Kompetenzen und Regelprozesse von Stresstest und Planung zu vereinheitlichen bzw. kompatibel zu machen. Hierzu muss sich die Planung insbesondere stärker an Erfolgs- und Risikotreibern orientieren. Andererseits stellt die Betrachtung von Mehrjahreshorizonten neue Anforderungen an die Simulationsfähigkeit,

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da hier insbesondere Zweitrundeneffekte und Auswirkungen auf das laufende Ergebnis an Bedeutung gewinnen. Damit werden die Auswirkungen von Stresstests jedoch auch zunehmend aussagekräftiger und wertvoller für die interne Steuerung. Auch wenn sich hier oftmals die Architekturfrage bzgl. der Nutzung von Produktivsystemen oder dem Aufbau von dezidierten Simulationstools stellt, können die Institute mittelfristig zumindest in Bezug auf eine transparente Datenbasis für Szenariosimulationen auf laufende Aktivitäten zur Umsetzung von BCBS 239 aufsetzen. Da bis zur Umsetzung dieser Aktivitäten bereits viele Stresstestübungen durchzuführen sind, können die Institute bei der Umsetzung der Stresstestanforderungen nicht auf BCBS 239 warten. Der Umbau muss schrittweise erfolgen und sofort beginnen, um für den SREP 2015 oder auch den nächsten regulatorischen Stresstest besser gewappnet zu sein, denn letztlich gilt auch hier: Nach dem Stresstest ist vor dem Stresstest.

Literatur [1] BaFin/Bundesbank (2011): Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte. Leitfaden vom 7. Dezember 2011, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bonn und Deutsche Bundesbank, Frankfurt. [2] BaFin (2012): Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk). Rundschreiben 10/2012 (BA) vom 14. Dezember 2012, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bonn. [3] BaFin (2014): Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen (MaSan). Rundschreiben 3/2014 (BA) vom 24. April 2014, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bonn. [4] BCBS (2013): Principles for effective risk data aggregation and risk reporting (BCBS 239). Basel Committee on Banking Supervision, Basel. [5] EBA (2014): Guidelines on common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP), GL/2014/13 vom 19. Dezember 2014, European Banking Authority, London. [6] EBA (2014): Methodological note EU-wide Stress Test 2014. Version 2.0 vom 29. April 2014, European Banking Authority, London. [7] European Commission (2013): Capital Requirements Directive IV (CRD IV). Directive 2013/36/EU, European Commission, Brüssel.

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[8] European Commission (2013): Capital Requirements Regulation (CRR). Regulation (EU) No 575/2013, European Commission, Brüssel. [9] KPMG (2013): Basel Committee on Banking Supervision: „Principles for effective risk data aggregation and risk reporting“ (BCBS 239). Broschüre, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt/Main. [10] CEBS (2010): CEBS Guidelines on Stress Testing. GL32, European Banking Authority, London. [11] EBA (2014): Consultation Paper: „Draft Regulatory Technical Standards on criteria for determining the minimum requirement for own funds and eligible liabilities under Directive 2014/59/EU“, EBA/CP/2014/41 vom 28. November 2014, European Banking Authority, London. [12] BCBS (2015): Progress in adopting the principles for effective risk data aggregation and risk reporting. Basel Committee on Banking Supervision, Basel. [13] Spielberg (2015): Stresstesting und Kapitalmanagement – Integration des geänderten regulatorischen Umfelds in die Gesamtbanksteuerung. Erscheint in: Bankenrating, Normative Bankenordnung in der Finanzmarktkrise. Everling, Oliver, Goedeckemeyer, KarlHeinz (Hrsg.), 2. Aufl., Springer Gabler, Wiesbaden, 2015, ISBN 978-3-8349-4734-5. [14] Spielberg (2015): Stress- und Szenarioanalysen als Schlüsselelement der Kapitalplanung. Erscheint in: Jahrbuch 2015, Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung, Frankfurt, 2015.

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Basel III und Förderbanken Harald Lob/Ingo Schumann

1 Einleitung 2 Der Dreiklang der Betroffenheit der Förderbanken von Basel II und Basel III 2.1 Erste Dimension: Zielkunden von Förderbanken 2.1.1 Behandlung von Mittelstandskrediten 2.1.2 Behandlung von Langfristfinanzierungen 2.2 Zweite Dimension: Marktveränderungen und Marktversagen 2.2.1 Leverage Ratio 2.2.2 Verbriefungen 2.3 Dritte Dimension: Regulatorische Behandlung von Förderbanken 2.3.1 Freistellung vom Bankaufsichtsrecht 2.3.2 Nullgewichtung in der Säule 1 2.3.3 Neue Regulierung für Förderbanken 2.3.3.1 Ausgangslage 2.3.3.2 Die neuen Regulierung der KfW 2.3.3.3 Die neue Regulierung der Caisse des Dépôts et Consignations (CDC) 2.3.3.4 Vergleich der neuen Regulierung von KfW und CDC 3 Abschließende Bemerkungen

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1 Einleitung Förderbanken nehmen in der regulatorischen Diskussion stets eine Sonderrolle ein. Anders als bei Geschäftsbanken ist die Gewinn-/Renditemaximierung nicht das Primärziel. Stattdessen agieren Förderbanken im öffentlichen Auftrag. Primärziel ist dabei die Förderung von politisch definierten Segmenten, Kundengruppen, Regionen oder Produkten. Zudem werden Förderbanken regelmäßig als antizyklischer Akteur in Krisenzeiten am Markt tätig. Diese subsidiäre Funktion wirkt insbesondere in Phasen des Marktversagens stabilisierend für die Gesamtwirtschaft. In dieser Rolle sind Förderbanken in drei Dimensionen von der Regulierung der Finanzwirtschaft betroffen und interagieren entsprechend mit den Standardsettern („Dreiklang der Betroffenheit“): • Erste Dimension: Die Regulierung hat (teilweise unintendierte) Folgen für die Zielgruppe der Förderbanken und kann die Förderwirkung konterkarieren. • Zweite Dimension: Die Reaktionen der Marktteilnehmer auf regulatorische Neuerungen können das Geschäftsmodell von Förderbanken negativ beeinflussen oder aber erst zu Marktversagen auf bestimmten Teilmärkten führen, auf welches Förderbanken dann Antworten finden müssen. • Dritte Dimension: Auch Förderbanken selbst sind Objekt der Regulierung. Zwar sind große nationale sowie multilaterale Förderbanken in der Regel von Basel III und vergleichbaren Regimen als freigestellte Institute nicht unmittelbar betroffen. Teile des Accords wurden jedoch bei einigen Förderbanken vom nationalen Gesetzgeber als entsprechend anwendbar erklärt. Zudem fordern die Aufsichtsgremien sowie die Politik verstärkt auch von Förderbanken die Orientierung des Handelns an bankprofessionellen Standards. In Deutschland ist dieser Dreiklang am deutlichsten bei der KfW als größte nationale Förderbank ausgeprägt. Basel II und Basel III wirkten aufgrund des breiten Regelungsumfangs bei der KfW auf alle drei Dimensionen. In den folgenden Kapiteln wollen wir beschreiben, wie einzelne Aspekte von Basel II und Basel III auf Förderbanken wirken. Dabei orientieren wir uns an dem skizzierten Dreiklang der Betroffenheit. Anspruch der Ausführungen ist dabei nicht, ein umfassendes, vollständiges Bild zu zeichnen. Eine solche Vollständigkeit gestaltet sich schon aufgrund der Heterogenität des Förderbankensegmentes in Europa als kaum leistbar. Zudem sind die zu erwartenden Folgen einzelner Bestandteile von Basel III noch heute in der Fachwelt umstritten. Vielmehr soll dieser Beitrag ein Schlaglicht auf wesentliche Auswirkungen von Basel II und III werfen und die Regulierung von Förderbanken analysieren. Im Fokus steht dabei überwiegend die KfW. Da die Landesförderinstitute in

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Deutschland wesentliche Merkmale der KfW (z.B. Freistellung von der europäischen Bankenregulierung, explizite Bundesgarantie, umfassendes Nullgewicht, Kapitalmarktauftritt) in der Regel nicht erfüllen, sind die Ausführungen nicht immer auf diese Institutionen übertragbar. Die Vergleichbarkeit ist eher mit anderen großen nationalen Förderbanken in Europa sowie multilateralen Entwicklungsbanken gegeben. Die unterschiedlichen Regulierungsansätze für dieses Förderbankensegment werden daher im letzten Kapitel gegenübergestellt.

2 Der Dreiklang der Betroffenheit der Förderbanken von Basel II und Basel III Stand bei Basel II im Vordergrund, fortgeschrittene Risikomessverfahren, die von entsprechend ausgerichteten Banken bereits angewendet wurden, aufsichtsrechtlich nutzbar zu machen, so ist Basel III als internationale Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise breit angelegt. Drei Bereiche sind dabei von entscheidender Bedeutung: 1. Die Stärkung der Einzelinstitute einschließlich des Umgangs mit sogenannten systemrelevanten Instituten; 2. Entwicklung eines makroprudentiellen Ansatzes, der sowohl Analysen als auch Regulierungen und Überwachungen umfasst, um frühzeitig systemische Risiken erkennen zu können und 3. die Verbesserung des Regelwerkes für das Management finanzieller Schieflagen von Banken. Zur Widerstandsfähigkeit der Einzelinstitute sollten vorrangig die Regeln für die Eigenmittel- und Liquiditätsausstattung verbessert werden. Für systemrelevante Institute gelten neben einer intensiveren Aufsicht mittelfristig auch höhere Eigenmittelanforderungen. Den innovativen Teil von Basel III stellt der makroprudentielle Ansatz dar, mit dem stabilitätsgefährdende Muster frühzeitig identifiziert werden sollen. Hierzu müssen die relevanten Daten für Risikokonzentrationen zuverlässig ermittelt werden und sowohl zyklische Effekte als auch Parallel- und Austauschprozesse identifiziert werden, um Übertragungskanäle beherrschbar zu machen. Auch hängt die Widerstandsfähigkeit des Gesamtsystems von einer leistungsfähigen Infrastruktur ab. Hierzu gehört insbesondere die Ausgestaltung des Derivatehandels.

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Basel III und Förderbanken

Letztlich ist die Insolvenz von Finanzinstituten1 aufgrund der damit verbundenen Ansteckungs- und Vertrauenseffekte so zu regeln, dass den regulatorischen Aufsichtsbehörden ein frühzeitiges Eingreifen erlaubt ist und glaubwürdige Verfahren auch für grenzüberschreitend tätige Institute garantiert werden. Aufgrund der speziellen und gleichzeitig ambitionierten Zielsetzung sowie der Fokussierung auf Veränderungen bei den Banken wurden wirtschafts- oder förderpolitische Aspekte bei der Konzeptionierung von Basel III kaum berücksichtigt. Auch bei der Umsetzung in europäisches und nationales Recht gab es im Vergleich zu Basel II nur wenige Auswirkungsstudien. Stattdessen erwartete die Öffentlichkeit von der Politik eine schnelle Umsetzung der Baseler Vorgaben. Die Aufgabe von Förderbanken wie der KfW im Rahmen von Basel III bestand daher vor allem darin, auf unintendierte Folgen der regulatorischen Neuerungen hinzuweisen und sich für eine adäquate Ausgestaltung der europäischen und nationalen Umsetzung einzusetzen.

2.1 Erste Dimension: Zielkunden von Förderbanken 2.1.1

Behandlung von Mittelstandskrediten

Die KfW ist einer der wesentlichen Kreditgeber für Mittelstandskredite in Deutschland. Neben ihren Förderprogrammen versteht sich die KfW auch als Anwalt des Mittelstandes im deutschen Finanzdienstleistungssektor. Nachdem Basel I in seiner Umsetzung in deutsches Recht keine Regelungen kannte, die speziell für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gelten2, waren ein zentrales Thema für die KfW bei der Ausgestaltung von Basel II daher die möglichen Auswirkungen der Regeln auf die Verfügbarkeit von Bankkrediten für den Mittelstand und die Konditionengestaltung dieser Kredite. In ihren Stellungnahmen zu den Konsultationspapieren hat die KfW auf die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen für Wachstum, Innovation und Beschäftigung hingewiesen und eine risikoadäquate Behandlung des Mittelstandes im Vergleich zu großen

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Hier folgt die europäische Politik einem grundsätzlich anderen Ansatz als die US-amerikanische: Seit Anfang 2010 schloss der US-Einlagensicherungsfonds Federal Deposit Insurance Corp. (FDIC) knapp 160 Institute. Insgesamt mussten seit 2008 gut 320 zumeist regional ausgerichtete US-Kreditinstitute schließen oder übernommen werden, vgl. Börsenzeitung vom 28.12.2010. Diese Unternehmen sind wie andere Unternehmen auch mit 100% zu gewichten. Der Umfang anrechenbarer Sicherheiten ist gering und ebenfalls nicht mittelstandsspezifisch ausgestaltet.

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Unternehmen angemahnt.3 Dabei war nicht beabsichtigt, einen Schutzzaun um KMU zu bauen und Regelungen zu fordern, die diesen Unternehmen zwar optisch geholfen hätten, im Kreditvergabeprozess aber zu einer Verweigerungshaltung der Banken und Sparkassen geführt hätten. Auf der Basis dieser Überlegungen konnte die deutsche Verhandlungsdelegation ein „Mittelstandspaket“ durchsetzen, dass in der Umsetzung in europäisches und deutsches Recht konsequent weiterverfolgt wurde. Dieser Erfolg der deutschen Verhandlungsdelegation wird mittlerweile in allen Instituten des deutschen Bankensektors über die drei Säulengrenzen hinweg gutgeheißen und in den jeweiligen Ratingbroschüren dem Kunden übermittelt.4 Durch die Berücksichtigung der höheren Granularität von Mittelstandsportfolien wurde in Basel II durch einen variablen Größenfaktor eine spezielle Risikogewichtsfunktion im Internen Ratingansatz gebildet. Dies erlaubt eine Risikoreduzierung, die sich in niedrigeren Kapitalanforderungen niederschlägt, ohne dass vom Grundsatz der stärkeren Risikoorientierung abgewichen wird. Neu war das „aufsichtliche Privatkundenportfolio“ (retail portfolio). Danach werden Forderungen gegen natürliche Personen und Kredite an kleine und mittlere Unternehmen bis zu einer zusammengefassten Höhe von 1 Mio. EUR gegenüber einem Kreditnehmer mit einem Risikogewicht von 75% belegt. Dies stellte eine signifikante Absenkung dar, denn vorher betrug das Risikogewicht für solche Forderungen 100%. Dem Privatkundenportfolio kann ein erheblicher Teil der KMU mit ihren Krediten zugeord-

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Vgl. hierzu die Stellungnahme der KfW zum 2. Konsultationspapier, Tz. 5: „Aus Sicht der KfW ist im Investitionskreditgeschäft hervorzuheben, dass wir unter den derzeit vorgesehenen Regelungen trotz der Anerkennung interner Rating-Verfahren (IRB-Ansatz) per Saldo eine Erhöhung der Eigenkapitalunterlegung für Kredite an KMU und damit eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen für mittelständische Unternehmen befürchten. Hierzu legen wir unter Textziffer 54 eine Musterrechnung bei. Die KfW reagiert als Förderbank mit der Weiterentwicklung des Förderinstrumentariums und interner Prozesse auf sich verändernde Rahmenbedingungen. Diese Maßnahmen erscheinen jedoch nicht ausreichend, um die Benachteiligungen der KMU durch die vorgesehenen Regelungen auszugleichen. Vor diesem Hintergrund erwarten wir mittelstandsfreundlichere Modifikationen der Baseler Vorschläge, die insbesondere eine weitere Fassung der anerkennungsfähigen Sicherheiten sowie eine gesonderte Berücksichtigung des Retailgeschäftes der Banken bereits im Standardansatz vorsehen. Darüber hinaus sollten der Anwendungsbereich des Retail-Ansatzes erweitert und die Bonitätsgewichte für mittelständische Unternehmen gesenkt werden. Außerdem sollte eine Abmilderung von Laufzeiteffekten im fortgeschrittenen IRB-Ansatz angestrebt werden.“ Die Stellungnahmen der KfW sind unter www.kfw.de dokumentiert. Deutsche Bank, Märkte und Trends, 2/2004, S. 5; Lübbering, Beate et al.: Rating – Herausforderung und Chance zugleich, Ein Ratgeber für Firmenkunden über das Rating der Sparkassen-Finanzgruppe, Bonn 2005, S. 10, BVR (Hrsg.), Rating, 4. Aufl. Bonn 2005, S. 9.

Basel III und Förderbanken

net werden. Dies stellt eine nicht unerhebliche Begünstigung von Privatpersonen und KMU dar. Die Behandlung von Sicherheiten ist ebenfalls für die Mittelstandsfinanzierung zufriedenstellend geregelt worden. In Basel III war aufgrund des veränderten Fokus eine spezielle Regulierung von kleinen und mittleren Unternehmen weder beabsichtigt, noch wurde sie billigend in Kauf genommen. Bei der Umsetzung von Basel III in europäisches und nationales Recht konnte allerdings die unter Basel II erreichte Mittelstandsprivilegierung im Ergebnis beibehalten werden. Diese Kontinuität ist aus Sicht der KfW sowie ihrer europäischen Partner ein großer Erfolg, dem intensive Diskussionen mit dem Gesetzgeber sowie der European Banking Authority (EBA) vorausgingen. Letztlich setzte sich das Europäische Parlament mit der Forderung nach der Aufrechterhaltung des Mittelstandspaketes durch.5 So ist sichergestellt, dass mittelständische Unternehmen auch unter dem neuen Accord einen ausreichenden Zugang zu Bankkrediten haben. Diese Überlegung wird auch von den Bankaufsichtsbehörden gesehen: „Die Kreditversorgung des Mittelstandes war uns immer ein großes Anliegen, und sie ist es auch weiterhin. All diese Vergünstigungen für den Mittelstand bleiben auch nach Inkrafttreten von Basel III erhalten.“6 Der Bankkredit ist bei deutschen Mittelständlern anders als beispielsweise bei amerikanischen Unternehmen die wesentliche Quelle zur Finanzierung von Investitionen. Eine Infragestellung der Mittelstandsprivilegierung hätte zur Folge gehabt, dass die Unternehmen angehalten wären, ihre Refinanzierung kapitalmarktorientierter aufzustellen. Insbesondere bei kleinen Mittelständlern ist diese Option jedoch in der Praxis kaum umsetzbar. Folglich würden sich die Refinanzierungskonditionen für dieses Segment verschlechtern. Da der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bildet, wären negative Folgen für die Investitionstätigkeit und das Wachstum der gesamten Volkswirtschaft zu erwarten. Die Aktivitäten der Förderbanken, die darauf ausgerichtet sind, dem Mittelstand durch Zinsverbilligungen attraktive Investitionskredite zur Verfügung zu stellen, würden damit konterkariert. In der CRR ist vorgesehen, dass die Mittelstandsprivilegierung im Jahr 2016 auf Basis einer Analyse der EBA validiert wird.7 Diesen Prozess werden die Förderbanken argumentativ begleiten.

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Vgl. Art. 501 CRR. Sabine Lautenschläger, „Basel III und Mittelstand, München, 29.03.2012. Vgl. Art. 501, Abs. 4,5 CRR.

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2.1.2

Behandlung von Langfristfinanzierungen

Ein wesentlicher Fortschritt von Basel III im Vergleich zu Basel II ist die Berücksichtigung von Liquiditätsrisiken. Basel II konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Eigenkapitalausstattung der Institute. Wenngleich im Zuge von Basel III auch die Quantität und Qualität des Eigenkapitals deutlich erhöht wurde, nahmen die Standardsetter im neuen Accord mit dem Liquiditätsrisiko eine Risikoart ins Visier, die vorher regulatorisch unterschätzt war. Die entsprechenden Liquiditätsvorschriften8, die Liquidity Coverage Ratio (LCR) und die Net Stable Funding Ratio (NSFR), sind im Entstehungsprozess von Basel III mehrfach geändert worden. Die Einhaltung der Liquidity Coverage Ratio soll die kurzfristige Liquidität durch Deckung sämtlicher Zahlungsverpflichtungen für einen Monat mit hochliquiden Aktiva sicherstellen. Schutzzweck ist hierbei, eine mögliche Ansteckung einer gesunden Bank über den Geldmarkt zu verhindern.9 Die zweite Kennziffer, die Net Stable Funding Ratio, soll exzessive Fristentransformationen verhindern. Mit der Fristentransformation ist eine zentrale volkswirtschaftliche Funktion des Bankensystems Ziel dieser regulatorischen Maßnahme. So können Banken zur Erreichung einer angemessenen Net Stable Funding Ratio verstärkt Schuldverschreibungen mit längerer Laufzeit emittieren oder die Fristigkeit der aufgenommenen Einlagen verlängern. Beide Kennziffern unterliegen derzeit noch einer längeren Beobachtungsphase: die LCR bis 2015, die Net Stable Funding Ratio sogar bis 2018. In diesen Zeiträumen sollen Erfahrungen gesammelt und bei Bedarf Korrekturen vorgenommen werden. Dennoch stellen sich die Banken bereits jetzt auf die Kennziffern ein und integrieren die Grenzen in ihre Steuerungssysteme. Die LCR betrifft sämtliche Kreditinstitute unabhängig vom Geschäftsmodell in ähnlicher Weise. Dabei gibt es zwar gewisse Unterschiede in Abhängigkeit von der Größe des Instituts sowie zwischen Universal- und Investmentbanken10; gravierende Abweichungen bestehen jedoch nicht. Die LCR stellt zudem auf den kurzfristigen Stressfall ab und entspricht damit im Kern dem Konzept, das Banken auch in der Vergangenheit bereits in

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Für eine erste Bewertung vgl. IIF: Basel III-Liquidity Standards III Preliminary Analysis, December 2010. Anleihen von Förderbanken werden für den Aufbau der Liquiditätsportfolien von Geschäftsbanken eine erhebliche Rolle spielen. Nach einem Entwurf für einen delegierten Rechtsakt werden sowohl die Anleihen von multilateralen Entwicklungsbanken als auch nationalen und regionalen Public Sector Entities und Förderbanken als „extremely high liquid asset“ anerkannt werden können. Vgl. Gürtler/Flizikowski/Kunst/Tresp: „Die Bank der Zukunft. Eine Branche im Zeichen der Vertrauenskrise“, TU Braunschweig, 2013, S. 30 ff.

Basel III und Förderbanken

der internen Steuerung (Säule II) verwendet haben. Im Gegensatz zu internen Modellen werden für die LCR zwar die Parameter vorgegeben. Wesentliche Auswirkungen der LCR auf das Geschäftsmodell oder die Gesamtbanksteuerung der Kreditinstitute sind von dieser Kennzahl jedoch nicht zu erwarten. Bei der NSFR stellt sich die Beurteilung differenzierter dar. Da die NSFR die Fristentransformation einschränkt, wirkt sie insbesondere für Langfristfinanzierer restriktiv. Das Geschäftsmodell der langfristig finanzierenden Banken besteht zu einem wesentlichen Teil darin, Einlagen hereinzunehmen oder Liquidität am Kapitalmarkt aufzunehmen und die Liquidität mit einer längeren Laufzeit aktivisch als Kredite herauszulegen. Neben den Margen stellen die Erträge aus der Fristentransformation dabei die wesentliche Ertragsquelle der Langfristfinanzierer dar. Mit der NSFR wird dieses Geschäftsmodell limitiert. Insofern besteht die Gefahr, dass das Angebot an langfristigen Finanzierungen zurückgeht oder sich die Konditionen verschlechtern. In diesem Fall würde das Zinsänderungsund Prolongationsrisiko von den Banken auf die Unternehmen verlagert werden, wenn diese mittel- und langfristige Investitionen finanzieren müssen. Die bisherige Langfristkultur in Deutschland stellte allerdings eine wesentliche Säule der Stabilität der deutschen Volkswirtschaft dar. Eine unintendierte Gefährdung dieser Kultur durch die Regulierung sollte daher vermieden werden. Die KfW hat sich im Verbund mit anderen großen weltweit agierenden Langfristfinanzierern im Long-Term-Investors-Club (LTIC) zusammengeschlossen und die Entwicklung und Implementierung der Liquiditätskennziffern kritisch begleitet. Aus Sicht der KfW ist die ausreichende Bereitstellung langfristiger Finanzierungsmittel ein schützenswertes Gut, das die Stabilität der Volkswirtschaft und auch des Finanzsystems erhöht. Der LTIC hat im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens deshalb dafür geworben, die Belange der Langfristfinanzierer adäquat zu berücksichtigen. Mittlerweile wird dieser Aspekt auch von einigen Standardsettern und Aufsichtsbehörden aufgegriffen.11 Es gibt allerdings bis dato keinen systematischen Ansatz der Standardsetter zur Berücksichtigung dieser Belange. Infolgedessen bleiben Langfristfinanzierungen in Europa vorerst regulatorisch im Vergleich zu kurzfristigen Finanzierungen benachteiligt. Zusätzlich zum Bankaufsichtsrecht ist in den letzten Jahren zunehmend auch die Rechnungslegung ein beeinflussender Faktor für die Zukunft der Langfristfinanzierung geworden. Wären die bereits komplexen Regelungen von CRR und CRD IV für die Institute gegebenenfalls stand alone verkraftbar, so verstärken bestimmte Vorschläge des

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In ihrer damaligen Funktion als Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank schilderte Sabine Lautenschläger im Jahr 2012, dass die NSFR aus Sicht einer Bankaufseherin durchaus mit gemischten Gefühlen betrachtet werden kann. Vgl. www.bundesbank.de unter dem Rubrum „Presse“ in der Kategorie „Reden“.

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International Accounting Standard Boards (IASB) zur Ausgestaltung der IFRS diese Tendenz, ohne dass eine der beteiligten Institutionen die kumulativen Wirkungen der einzelnen Veränderungen im Blick hat. Als prominentestes Beispiel ist hierbei IFRS 9 sowie das Life-Time-Expected-Loss-Konzept zu nennen, bei dem nach IFRS bilanzierende Langfristfinanzierer aufgrund der konservativeren Systematik zur Bildung von Risikovorsorge im Ergebnis mit erhöhten Kapitalanforderungen sowie volatileren Jahresergebnissen konfrontiert sind. Mittlerweile hat die Europäische Kommission den Handlungsbedarf für eine systematische Herangehensweise an diese Thematik erkannt und ein Green Book on LongTerm-Financing vorgelegt. Ziel des Green Books ist die Förderung von Langfristfinanzierungen in Europa durch eine konsistente Überprüfung sämtlicher Regelungen. Diese Zielsetzung ist durchaus positiv und wird vom LTIC begrüßt. Derzeit sind die Vorschläge allerdings noch recht unkonkret. Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen des Konsultationsprozesses für die Langfristfinanzierer Lösungen entwickelt werden können, welche in der Praxis tatsächlich zu Erleichterungen führen, ohne dabei die aus regulatorischer Sicht anzustrebende Stringenz des Aufsichtsrechts zu verwässern oder die Komplexität zu erhöhen.

2.2 Zweite Dimension: Marktveränderungen und Marktversagen Anhand der vorherigen Abschnitte wurde bereits schlaglichtartig aufgezeigt, welche teilweise unintendierten Auswirkungen regulatorische Veränderungen auf die Realwirtschaft haben können. Das Engagement der Förderbanken für den Mittelstand und die Kunden von Langfristfinanzierungen in diesem Zusammenhang erklärt sich dabei schon damit, dass diese Klientel gemäß Gesetz, Satzung oder Selbstverständnis der Institutionen zur Kernzielgruppe der Förderbanken zählt. Regulatorische Veränderungen können allerdings auch zu negativen Folgen bei Wirtschaftssubjekten führen, die nicht per se zu den Förderkunden zählen. In diesem Fall sorgen die Marktveränderungen zu Herausforderungen bei der Refinanzierung dieser Wirtschaftssubjekte; im Falle von Marktversagen sogar zu prohibitiven Refinanzierungskonditionen. Die Aufgabe der Förderbanken besteht dann darin, kreative Lösungen zur Änderungen der Marktbedingungen zu suchen und entsprechende Angebote für die betroffenen Wirtschaftssubjekte zu entwickeln. Für die Förderbanken selbst stellt diese Aufgabe eine Gratwanderung dar: Einerseits haben sie die Aufgabe, in schwierigen Marktsituationen einen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung zu leisten. Andererseits sollte aus ordnungspolitischen Erwägungen verhindert werden, dass sie zum „lender of last resort“ werden. Im Kontext der Regulierung bedeutet dieser Grundsatz überspitzt ausgedrückt: Förderbanken können und sollten die unintendierten Folgen der Regulierung zwar mindern, aber nicht verhindern.

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Basel III und Förderbanken

Der Fokus der Förderbanken sollte in diesen Situationen idealtypischerweise auf zwei Säulen fußen: 1. Die Förderbanken können den Strukturwandel unterstützend begleiten, indem sie temporär Finanzierungsangebote anbieten. Damit können sie als Brückenbauer agieren und gleichzeitig stabilisierend für das Gesamtsystem wirken. Die Finanzierungsangebote müssen allerdings nicht nur zeitlich begrenzt sein, sondern sollten möglichst auch konditioniert erfolgen. Eine Möglichkeit der Konditionierung ist die einfache Begrenzung des Finanzierungshöchstbetrages oder des Finanzierungsanteils der Förderbank. So kann verhindert werden, dass die Förderbank faktisch doch zum lender of last resort wird, ohne dass gleichzeitig ein Strukturwandel eingeleitet wird. Eine andere wirksame Maßnahme zur Sicherstellung adäquater Anreizwirkungen ist die Einforderung von expliziten staatlichen Garantien für entsprechende Förderprogramme. So wird der politische Handlungsdruck aufrechterhalten. Schließlich sind alle regulatorischen Vorgaben letztlich politische Maßgaben, die vom Gesetzgeber nachträglich bei Bedarf wieder verändert werden können. 2. Die Förderbanken können die regulatorische Diskussion konstruktiv begleiten. Sie unterliegen in der Regel keinem geschäftspolitischen Interessenkonflikt und können daher vom Standardsetter als neutraler Akteur angehört werden, um die Ursachen für die Marktveränderungen oder gar das Marktversagen zu eruieren und das regulatorische Rahmenwerk auf dieser Basis weiterzuentwickeln.

2.2.1

Leverage Ratio

Im Rahmen der Umsetzung von Basel III besteht die größte Unsicherheit über die Auswirkungen auf die Realwirtschaft hinsichtlich der Leverage Ratio. Diese neue Verschuldungsgrenze setzt die ungewichtete Bilanzsumme ins Verhältnis zum regulatorischen Eigenkapital. Nachdem der wesentliche Fortschritt von Basel I zu Basel II in der Berücksichtigung von Risiken bei der Ermittlung der Kapitalanforderungen bestand, wird durch Basel III eine Kennzahl eingeführt, die nicht risikosensitiv ist. Die Standardsetter verfolgen damit das Ziel, mithilfe einer einfachen und heuristischen Obergrenze die übermäßige Verschuldung von Banken zu verhindern. Wenngleich sowohl das Ziel nachvollziehbar als auch die Wahl eines einfachen Instrumentes grundsätzlich zu begrüßen ist, so ist das Instrument selbst durchaus zu hinterfragen. Für den neutralen Betrachter entsteht der Eindruck, dass der Baseler Ausschuss selbst Zweifel gegenüber dem risikosensitiven Konzept von Basel II hegt. Mit der Leverage Ratio wird entsprechend eine Kenngröße definiert, die noch pauschaler ist als die Regelungen von Basel I.

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Sofern diese Zweifel lediglich hinsichtlich der nominalen Kapitalanforderungen auf Gesamtbankebene bestehen, stellt sich die Frage, ob dieser Aspekt nicht auch durch eine nochmalige Erhöhung der Mindestkapitalanforderungen lösbar wäre. Auch bedingte Kapitalzuschläge durch die Bankaufsicht wären eine denkbare Antwort, zumal Basel III den Bankaufsichtsbehörden bereits jetzt einen recht breiten Ermessensspielraum zur Festlegung von Kapitalpuffern zugesteht. Sofern die gesamte am Risiko ausgerichtete Systematik zur Ermittlung der Kapitalanforderungen (insbesondere die bankinternen Ratingverfahren) als zu komplex und anfällig für Manipulationen gesehen wird, mag man einwenden, dass in diesem Fall eine Diskussion über die gesamte Säule I angezeigt ist, deren derzeitige Komplexität in den Finanzinstituten viele Ressourcen bindet. Der Parallelbetrieb eines pauschalen nicht-risikosensitiven Regimes kann zumindest kritisch hinterfragt werden. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass die Bankaufsichtsbehörden mit dieser Kennzahl auf die Nullgewichtung staatlicher Institutionen abzielen. So verhindert die Leverage Ratio, dass Banken unbegrenzt Staatsanleihebestände in ihren Büchern aufbauen. Auch dieser Erklärungsansatz wäre zumindest zu hinterfragen. Sollten die Bankaufsichtsbehörden Staatspapiere tatsächlich nicht als risikolos ansehen, erscheint es konsequenter und transparenter, die Nullgewichtung insgesamt in Frage zu stellen12, statt dieser implizit entgegenzuwirken. Neben Staatsanleihen könnten perspektivisch auch Kommunalkredite von der Leverage Ratio negativ betroffen sein. Kredite an inländische Kommunen waren in der Vergangenheit ein attraktives Segment für Banken mit eher konservativem Risikoprofil. Die Darlehen können einerseits nullgewichtet werden und schonen entsprechend die Kapitalbindung in der Säule I. Andererseits wird von den Banken gewöhnlich ein Haftungsverbund zwischen Bund, Ländern und Kommunen unterstellt, so dass die Kredite auch in der internen Steuerung (Säule II) als risikolose Aktiva behandelt werden können. In der Folge ist die Bearbeitungsintensität von Kommunalkrediten sehr gering. Diese Merkmale kompensieren für viele Banken die geringe Rendite der Kommunalkredite. Mit der Einführung der Leverage Ratio kann von diesem Trade Off nicht mehr uneingeschränkt ausgegangen werden. Sofern die Leverage Ratio einer Bank in Richtung der Grenze von 3% tendiert, steht das Management vor einer Engpassentscheidungssituation. In einer solchen Situation besteht die naheliegendste Option darin, das eher renditearme Portfolio

12

158

Vgl. beispielsweise Weidmann, Jens, Marktwirtschaftliche Prinzipien in der Währungsunion, Rede Kronberg, 28.03.2014: „Ich werbe deshalb seit längerem dafür, dass auch Staatsanleihen risikoadäquat mit Eigenkapital unterlegt werden sollten und Obergrenzen für entsprechende Investments festgelegt werden, so wie es bei Krediten an private Schuldner üblich ist. Und ich freue mich, dass Bundesfinanzminister Schäuble diese Forderung mittlerweile ebenfalls vertritt.“

Basel III und Förderbanken

abzubauen. Schließlich bindet dieses mit Blick auf die Leverage Ratio trotz eines geringeren Risikos das gleiche Eigenkapital wie risikoreiches Geschäft. Als ein solches Abbauportfolio kommt primär das Kommunalfinanzierungssegment infrage. Obwohl als Reaktion auf die Finanzkrise mit Basel III den hochriskanten Aktivitäten von Banken begegnet werden sollte, könnte unter Umständen das risikoarme Segment der Kommunalfinanzierungen von den Regeln negativ betroffen sein. Die Auswirkungen auf die europäische Finanzierungskultur über die Bankenfinanzierung im Vergleich zu einer Kapitalmarktfinanzierung in den USA werden durchaus auch von den deutschen Bankaufsichtsbehörden gesehen.13 Aktuell ist noch unsicher, ob die skizzierten möglichen Folgen tatsächlich eintreten werden. Schließlich sind die Banken derzeit europaweit durchschnittlich gut kapitalisiert. Die expansive Geldpolitik der Noten hat außerdem zu einer hohen Liquidität im Markt geführt. Da die Leverage Ratio noch nicht verbindlich gilt, stehen die Banken noch nicht vor entsprechenden Engpassentscheidungen. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Leverage Ratio in der Praxis nur vereinzelt einen Engpassfaktor darstellen wird, so dass die Auswirkungen auf den Gesamtmarkt überschaubar wären. Wenngleich dieses Szenario für die Kommunen wünschenswert ist, wäre es aus Sicht der Standardsetter ein unbefriedigendes Ergebnis. Schließlich soll Bankaufsichtsrecht ausdrücklich als Beschränkung wirken. Aufsichtsrecht, das nicht einschränkt, ist schlicht und einfach überflüssig. Förderbanken müssen sich auf mögliche negative Implikationen der Leverage Ratio möglichst früh einstellen. Zwar wurde für die Leverage Ratio eine komfortable Beobachtungsphase bis 2019 vereinbart. Es ist aber davon auszugehen, dass die Kreditinstitute die Leverage Ratio bereits zeitnah in ihre internen Steuerungssysteme integrieren und ihre Geschäftspolitik an die erst ab 2019 verbindlich geltenden neuen Rahmenbedingungen anpassen. Für Förderbanken mit Kommunen als Kunden bestünde ansonsten die Gefahr, dass sie sich unbeobachtet zum lender of last resort für die kommunale Klientel oder aber auch einzelne Kommunen entwickeln. Die KfW hat daher für Kommunen bereits 2011 eine Finanzierungsobergrenze eingeführt. Das Limit beträgt seither 750 EUR pro Einwohner. Dieses Limit ist abgeleitet von der durchschnittlichen Gesamtverschuldung der Kommunen von etwas mehr als 1.500 EUR pro Einwohner. Damit ist sichergestellt, dass die KfW zu keinem Zeitpunkt mehr als 50% der gesamten Kommunalkreditverschuldung in Deutschland refinanzieren kann. Angesichts der aktuellen durchschnittlichen Auslastung dieses Limits von weniger als 1/3 ist erkennbar, dass das Instrument nicht als Feinsteuerungskennzahl ausgestaltet ist. Es dient stattdessen als einfaches und heuristisches „letztes Sicherheitsnetz“. Somit kann die KfW zwar im Falle von negativen Marktveränderungen als zuverlässiger In-

13

Vgl. Handelsblatt vom 25.04.2014, „Verschuldungsquote: USA verlangen fünf Prozent Eigenkapital bei Großbanken, Bundesbank-Vorstand Nagel warnt vor Änderungen in Europa“.

159

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vestitionsfinanzierer der Kommunen in Deutschland agieren und in begrenztem Umfang auch Finanzierungslücken schließen, die durch den Rückzug von Banken entstehen, die sich bisher auf dem Kommunalfinanzierungsmarkt engagierten und sich ggf. aufgrund der Leverage Ratio aus diesem Segment zurückziehen. Sie bleibt aber davor geschützt, zum lender of last resort zu werden. Insofern scheidet die KfW auch als Lösung für den Fall eines vollständigen Marktversagens aus. Die KfW kann stattdessen nur temporäre Angebote für die Phase der Marktanpassung zur Verfügung stellen. Sofern diese Brückenfinanzierungsangebote von einer konstruktiven Diskussion über adäquate Anpassungen der Regulatorik begleitet werden, entspricht das Agieren der KfW dem skizzierten idealtypischen Wirken einer Förderbank bei regulierungsbedingten Marktveränderungs- oder Marktversagensprozessen. Es bleibt abzuwarten, ob die KfW diesen Anspruch beim Kommunalfinanzierungsangebot letztlich unter Beweis stellen müssen wird.

2.2.2

Verbriefungen

Ein weiteres Segment, das derzeit in überdurchschnittlicher Weise negativ von der Regulierung betroffen ist, ist der Verbriefungsmarkt. Die diskriminierende Behandlung von Verbriefungen resultiert dabei nicht originär aus den Basel III-Regeln. Vielmehr führt die Kumulation unterschiedlicher Regimes zu einer Ungleichbehandlung dieser Asset-Klasse sowie zu Unsicherheit seitens der Investoren. So war die geplante Eigenkapitalunterlegung gemäß CRR und CRD IV für Verbriefungen von Anfang an noch vergleichbar zu den Anforderungen für vergleichbare Kreditportfolien. Im Rahmen der Verabschiedung der europäischen Normen konzentrierte sich die Diskussion stattdessen auf die Zulässigkeit von Verbriefungen als liquide Assets im Sinne der LCR. Hier zeigte sich erstmals die Tendenz zu einer risikounabhängigen Ungleichbehandlung dieser Assetklasse seitens der Standardsetter. Die Diskussion entspannte sich dann jedoch, nachdem die dänische Ratspräsidentschaft im April 2012 einen Kompromisstext vorlegte, der auch Verbriefungen berücksichtigte. Anders stellt sich die Situation bei der Versicherungsregulierung Solvency II dar. Hier besteht eine erhebliche Benachteiligung der Investments von Versicherungen in Verbriefungen gegenüber Staats- und Unternehmensanleihen sowie regulierter Pfandbriefe. So ist beispielsweise die geforderte Eigenkapitalunterlegung für AAA-geratete Prime RMBS fünfmal so hoch wie für AAA-geratete Pfandbriefe und dreimal so hoch wie für Unternehmensanleihen mit AA-Rating bei gleicher Laufzeit. Im Vergleich zu Pfandbriefen sind die erhöhten Kapitalanforderungen dabei darauf zurückzuführen, dass die verbriefte Forderungsportfolien von RMBS bei der verlangten Ratingdurchschau mangels Rating der privaten Forderungsschuldner signifikant höhere „gestresste potenzielle Verlustraten“ erhalten als die als Sicherheiten dienenden, hoch gerateten Deckungsstöcke von Covered Bonds. Im Vergleich zu Unternehmensanleihen ergeben sich die höheren Kapitalquoten für Verbriefungen aus den höheren Stressfaktoren gegenüber Unternehmens-

160

Basel III und Förderbanken

anleihen gleicher Bonität. In beiden Fällen ist die Ungleichbehandlung folglich lediglich eine unintendierte Folge der Regulierung und keine bewusste Entscheidung der Standardsetter, die auf dem Risikoprofil der Verbriefungen basiert. Verschärft wird der regulatorische Druck auf Verbriefungen noch durch Transparenzund Berichtsanforderungen an die Investoren. So sorgte Ende 2013 die Diskussion über eine vollständige Durchschau bei Verbriefungen für Unruhe im Markt. Dabei sollten sämtliche Positionen innerhalb eines Verbriefungsportfolios unabhängig vom Anteil am Portfolio auf den Kunden „Unbekannter Schuldner“ geschlüsselt werden, sofern eine solche Durchschau nicht möglich ist. Dieses Vorgehen hätte dazu geführt, dass der „Unbekannte Schuldner“ bei einer Reihe von Instituten die Großkreditgrenze überschritten hätte. Da bei granularen Portfolien eine Durchschau prohibitiv teuer ist, hätte sich daraus faktisch ein Geschäftsverbot für die Institute zum Ankauf von granularen Portfolien ergeben. Erst nach intensiven Interventionen der Kreditwirtschaft legte die EZB eine Marginalitätsgrenze von 0,25% des haftenden Eigenkapitals fest, die zu einer deutlichen Entspannung bei den betroffenen Banken führte. Aus Sicht einer Förderbank kann eine Ungleichbehandlung bestimmter Assetklassen grundsätzlich weder gewollt noch anzustreben sein, da sie die Marktteilnehmer zu Ausweichverhalten und zur Arbitrage einlädt. Im Falle der Verbriefungen ist die KfW zudem der Auffassung, dass die Assetklasse ein wichtiges Instrument zur Finanzierung der Realwirtschaft und ein Bindeglied zwischen Kredit- und Kapitalmarkt darstellt. So sind in Deutschland typischerweise KMU-Kredite, Handelsforderungen, Leasing-Forderungen und insbesondere Autofinanzierungen Grundlage der Verbriefungen. Da der deutsche Verbriefungsmarkt sich strukturell signifikant vom US-Verbriefungsmarkt unterscheidet, besteht die Gefahr, dass die Reaktion auf die zu Recht zu kritisierenden Zustände bei amerikanischen Hypothekenkrediten in der Vergangenheit so pauschal ausfällt, dass damit in Europa und in Deutschland der gesamte Markt beschädigt wird, ohne dass dieser in der vorangegangenen Krise eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Die KfW setzt sich daher als Gesellschafter der deutschen True Sale International GmbH für angemessene rechtliche Rahmenbedingungen für Verbriefungen ein. Im Zentrum steht dabei die Betrachtung der kumulativen Wirkung der unterschiedlichen regulatorischen Initiativen. Die Nicht-Beachtung sowie die Komplexität des Bankaufsichtsrechts in diesem Segment haben dazu geführt, dass die Asset-Klasse für die Marktteilnehmer zunehmend unattraktiv geworden ist. Insbesondere die Unsicherheit infolge der Vielzahl der regulatorischen Vorhaben ist hier als wesentlicher Faktor zu nennen. Ziel des Engagements der KfW ist es dabei, einer weiteren Schwächung des Marktes oder sogar einem vollständigen Marktversagen frühzeitig entgegenzuwirken. Die „Förderung“ der KfW setzt damit auch bei dieser Diskussion schon zu einem Zeitpunkt ein, an dem eine tatsächliche Förderung, also das Auflegen eines Förderprogramms zur Wiederbelebung des Marktes, noch verhindert werden kann.

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2.3 Dritte Dimension: Regulatorische Behandlung von Förderbanken Förderbanken agieren nicht nur als Begleiter der regulatorischen Diskussion. Sie sind selbst auch Objekt der Regulierung. Dabei stellt sich für die Standardsetter stets die Frage, welche Regulierung für Förderbanken adäquat ist. Einerseits sind Förderbanken häufig zu groß und zu wichtig für die Volkswirtschaft, um einen unregulierten Zustand zu tolerieren. Gleichzeitig passt das Bankaufsichtsrecht in der Regel nicht zur Struktur sowie zum Agieren der Förderbanken. Aufgrund dieses inhärenten Zielkonfliktes ist das Aufsichtsrecht für Förderbanken in Europa sehr heterogen und einer laufenden Veränderung unterworfen.

2.3.1

Freistellung vom Bankaufsichtsrecht

Auf europäischer Ebene unterliegen weder die EBRD, CEB noch die EIB als multilaterale Entwicklungsbanken (MDB) einer allgemeinen oder nationalen Bankenaufsicht. Von den nationalen Förderinstituten werden nach § 2 der Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) beispielsweise ausgenommen: die österreichische Kontrollbank AG, die italienische Cassa depositi e prestiti (CDP), die französische Caisse des dépôts et consignations (CDC), das spanische Instituto de Crédito Oficial (ICO), die ungarische Förderbank und in Deutschland die KfW. Weiterhin werden auch andere Institute von der Anwendung der Bankenrichtlinie freigestellt, wie beispielsweise Postscheckämter, Credit Unions, Exportfinanzierungsfonds und regionale sowie sektorale Entwicklungsinstitute, sowie einige Institute, die nur das Kreditgeschäft betreiben, soweit dies in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat nicht erlaubnispflichtig ist. Die Motive für Freistellungen von CRD IV variieren.14 Für die KfW gilt, dass sie zunächst deshalb von der allgemeinen Bankenregulierung ausgenommen ist, weil sie ihre Tätigkeit unter staatlicher Sonderaufsicht in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen staatlichen Stellen ausübt. Außerdem ist die KfW zur Durchführung besonderer, im öffent-

14

162

Wettbewerbstheoretisch handelt es sich hierbei um eine interessante Steigerung einer spezialisierten Aufsicht: Banken und Versicherungen sind nicht nur dem allgemeinen Wettbewerbsrecht unterworfen, sondern einer Spezialaufsicht, Förderbanken hierbei teilweise dem allgemeinen Wettbewerbsrecht und dem speziellen Bankaufsichtsrecht sowie ergänzend oder substituierend für das Bankaufsichtsrecht einer speziellen Rechtsaufsicht, vgl. zur Trennung Kartellrecht/Bankaufsichtsrecht Ingo Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 8. Auflage, Stuttgart 2005, S. 45.

Basel III und Förderbanken

lichen Interesse liegender, Finanzierungsaufgaben verpflichtet. Im Falle der KfW kommt hinzu, dass ihr die Annahme von Einlagen verboten ist.15 Aus einer regulierungstheoretischen Perspektive betrachtet, ergeben sich damit ganz unterschiedliche Aspekte, die auch in den oben genannten freigestellten Instituten mit unterschiedlichen Schwerpunkten genutzt werden: Soweit es sich um den Themenkreis „besondere im öffentlichen Interesse liegende Finanzierungsaufgaben“ handelt, referiert die Freistellung auf Tätigkeiten, die nicht im Wettbewerb mit den Bankgeschäften von Kreditinstituten stehen. Dieser Verweis auf „utilité publique“ ist nicht zu verwechseln mit Bereichsausnahmen nach dem Kartellrecht oder einem Verweis auf eine spezielle Regulierung. Dieser Ansatz kommt unter dem Rubrum „staatliche Sonderaufsicht“ zum Tragen. Hierbei werden Institute, die Bankdienstleistungen anbieten, die in dieser Form auch von Geschäftsbanken angeboten werden, von der allgemeinen Bankenregulierung ausgenommen, weil sie „supra-reguliert“ sind. Im Falle der KfW übt diese Aufsicht das Bundesministerium der Finanzen aus. Eine Freistellung für Institute, denen beispielsweise untersagt ist, Einlagen entgegenzunehmen, stützt sich wiederum auf andere Überlegungen: Hierbei steht ein Schutzzweck einer allgemeinen Bankenregulierung im Mittelpunkt, der Gläubigerschutz der Einleger. Dieser Schutzzweck wird bei einem Nicht-Einlagenkreditinstitut sachlogisch nicht zu gewährleisten sein. Diese Überlegungen führen aber noch nicht zu einem widerspruchsfreien Konzept. Ein fehlender Schutzzweck führt noch nicht zu einer Freistellung von der allgemeinen Bankenaufsicht: Auch Nicht-Einlagenkreditinstitute können der Bankenaufsicht durch die BaFin unterliegen. Der Eigentümerstatus führt ebenfalls nicht zwangsläufig zu einer Freistellung: Zahlreiche öffentliche Banken und die genossenschaftlich organisierten Institute in Deutschland unterliegen der allgemeinen Bankenaufsicht, sind aber in anderen Ländern von der Bankenrichtlinie freigestellt. Auch die Abgrenzung des relevanten Marktes führt allein zu keinem befriedigenden Ergebnis: Zwar stehen Förderinstitute bei der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags nicht im Wettbewerb mit anderen (kommerziellen) Kreditinstituten, sie üben aber unstrittig Bankgeschäfte im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG, so dass die Freistellung der Förderinstitute und die Nullgewichtung inhaltlich miteinander verknüpft werden. Ein wesentlicher Treiber für die letztliche Freistellung einiger Förderinstitute von der Bankenrichtlinie war die Erkenntnis auf Seiten des Gesetzgebers, dass die Struktur des Bankaufsichtsrechts nicht vollständig mit dem Agieren einzelner Förderinstitute in Einklang zu bringen ist.

15

So in Summe Füllbier zu § 2 KWG, Rdnr. 3 in BFS, 3. Aufl., München 2008.

163

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• So steht bei den Förderinstituten gewöhnlich die Förderung im Vordergrund. Dabei ist es üblich, dass die Förderbanken insbesondere in Krisenzeiten ihr Kreditvolumen ausweiten, indem sie antizyklisch (Konjunktur-)Programme anbieten. Eine verpflichtende Einhaltung des Bankaufsichtsrechts kann hierbei im Einzelfall prohibitiv wirken, z.B. wenn das Institut die Leverage Ratio unterschreitet oder die Kapitalquote unter das von der Aufsichtsbehörde geforderte Mindestniveau sinkt. Die Förderinstitute könnten dann ihrer gesetzlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen, solange sie nicht vom Eigentümer rekapitalisiert werden. • Einzelne Besonderheiten der Förderinstitute lassen sich selbst durch eine ausreichende Kapitalisierung nicht kompensieren. So sind die Geschäfte, die beispielsweise in Deutschland der KfW von der Bundesregierung zugewiesen werden, kaum mit dem Bankaufsichtsrecht in Einklang zu bringen. Die Entscheidung über diese Geschäfte trifft die Bundesregierung, so dass den Prinzipien der MaRisk nicht Rechnung getragen werden kann. • Ein weiteres Hemmnis bei der vollständigen Anwendung des Bankaufsichtsrechts bei multilateralen und großen nationalen Förderbanken sind die Liquiditätsregeln, die im Rahmen von Basel III eine größere Bedeutung erfahren haben. Die Liquiditätskennziffern werden grundsätzlich dem Geschäftsmodell von langfristig orientierten Förderbanken nicht gerecht. Dies gilt sowohl für eher beteiligungsorientierte Geschäftsmodelle – wie bei der französischen Caisse des Dépôts et Consignations und der italienischen Cassa Depositi e Prestiti – als auch für kreditorientierte Geschäftsmodelle, beispielsweise der KfW und der EIB. Es ist unstrittig, dass die schnelle und umfangreiche Liquiditätsversorgung durch Zentralbanken und Regierungen eine wichtige Maßnahme war, um in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009 schneller gegenzusteuern als in der Krise 1929–1931.16 Auch Förderbanken haben sich in der Finanzund Wirtschaftskrise als Quelle der Liquiditätsversorgung im Interbankenmarkt erwiesen. Die zu beobachtende Flucht in die Qualität in Krisenzeiten lässt es angeraten erscheinen, Förderbanken nach anderen Liquiditätsregeln als Geschäftsbanken zu steuern. Die neuen Vorgaben zur Sicherstellung einer angemessenen Zahlungsfähigkeit entsprechen nicht diesem Geschäftsmodell. Die Bundesgarantie, die der KfW auch in Krisenzeiten eine stabile und gute Refinanzierung ermöglicht, wird in der Systematik nicht berücksichtigt. Förderbanken sollten aufgrund dieser Erfahrungen nicht 1:1 den Liquiditätsregeln folgen und ihr bisheriges Geschäftsmodell weiterführen, anstatt in größerem Umfang Staatsanleihen zu erwerben oder die Kassenhaltung auszuweiten. Bei denjenigen Förderbanken, die aufgrund ihrer Geschichte die Aufgabe haben, die Kundeneinlagen vor dem Zugriff des Staates zu schützen, könnten die Liquiditätsvorschriften sonst zu einer Infragestellung des Geschäftsmodells führen.

16

164

Vgl. Banking crises and the international monetary system in the Great Depression and now, BIS Working Papers No 333, December 2010.

Basel III und Förderbanken

Für eine sachlogische Begründung der Freistellung von Förderbanken sind demnach der fehlende Schutzzweck einerseits und der Konflikt des gesetzlichen Auftrags mit den Vorgaben des Aufsichtsrechts andererseits die notwendigen Bedingungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Auf dieser Basis ist auch verständlich, dass nicht alle Förderbanken in Europa per se von der Bankenrichtlichtlinie freigestellt sind, sondern nur einzelne ausgewählte Förderbanken. So kann beispielsweise bei den Landesförderinstituten in Deutschland der fehlende Schutzzweck als notwendige Bedingung summa summarum nicht als gegeben angesehen werden. Bei anderen Instituten, wie z.B. der Landwirtschaftlichen Rentenbank, ist der Konflikt des gesetzlichen Auftrags mit den Vorgaben des Aufsichtsrechts als notwendige Bedingung nur unzureichend gegeben. Für die 18. Legislaturperiode haben sich die Koalitionspartner vorgenommen, die Besonderheiten von Förderbanken in der europäischen Regulierung zu berücksichtigen.17

2.3.2

Nullgewichtung in der Säule 1

Eine von der allgemeinen Freistellung von der Bankenrichtlinie abzugrenzende Thematik ist die Frage, wie diese Institute in der Säule 1 risikozugewichten sind. Basel II hat hier für multilaterale Förderbanken (MDB) und nationale Förderbanken Kriterien geschaffen, anhand derer das Risikogewicht abgeleitet werden kann. Diese Kriterien sind im Rahmen von Basel III unverändert geblieben. Multilaterale Förderbanken, wie z.B. EBRD, CEB und EIB, werden im Text von Basel als „claims on multilateral development banks (MDBs)“ nach „sovereigns“ und „public sector entities“ und noch vor „claims on banks“ erfasst. In der deutschen Übersetzung findet die Abgrenzung der MDBs nach Tz. 59 wie folgt statt: „Die Risikogewichte für Kredite an MDB richten sich grundsätzlich nach deren externen Ratings, …, allerdings ohne die Möglichkeit, kurzfristige Forderungen bevorzugt zu behandeln. Ein Risikogewicht von 0% wird für Forderungen an sehr

17

Vgl. Koalitionsvertrag zw. CDU, CSU und SPD der 18. Legislaturperiode, S. 45: „Die Bundesregierung wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beantragen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Europäische Bankenaufsicht in der Praxis dafür Sorge zu tragen, dass die Besonderheiten von einzelnen Banken, beispielsweise der Förderbanken, berücksichtigt werden. Mit Blick auf einen in den nächsten Jahren möglichen Anpassungsbedarf der CRD-IV-Richtlinie wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Förderbanken des Bundes und der Länder im europäischen Kontext bankenaufsichtsrechtlich zukünftig inhaltlich so weit wie möglich gleich behandelt werden.“

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hoch eingestufte MDB angewandt, welche nach Ansicht des Ausschusses die unten genannten Kriterien erfüllen. Der Ausschuss wird die Berechtigung für diese bevorzugte Behandlung fortlaufend auf Einzelfallebene beobachten.“ Für ein 0%-Risikogewicht müssen MDB alle folgenden Kriterien erfüllen: • Die langfristigen Emittentenratings sind sehr hoch, d.h. die Mehrzahl der externen Ratings der MDB muss AAA sein. • Die Eigentümer sind zu einem wesentlichen Anteil Staaten mit langfristigen Emittentenratings von AA– oder höher, oder die • Finanzierung basiert überwiegend auf eingezahltem Aktienkapital und es besteht nur eine geringe oder gar keine Verschuldung. • Es ist ein starker Rückhalt durch die Eigentümer vorhanden, der aus der Höhe des von den Eigentümern eingezahlten Kapitals, aus dem Umfang des weiteren Kapitals, auf das die MDB zur Tilgung von Verbindlichkeiten Zugriff haben, sowie aus fortlaufenden Kapitaleinzahlungen und neuen verbindlichen Zusagen der Eigentümerstaaten ersichtlich ist. • Kapital und Liquidität sind angemessen (für diese Beurteilung ist eine Einzelfallbetrachtung notwendig). • Es existieren strenge, in der Satzung festgelegte Kreditvergaberichtlinien und eine konservative Finanzpolitik, u.a. mit einem strukturierten Kreditgenehmigungsprozess, internen Kreditwürdigkeits- und Risikokonzentrationslimits (pro Land, Branche, Einzelkredit und Kreditklasse), einer zwingenden Zustimmung durch das oberste Verwaltungsorgan oder einen seiner Ausschüsse bei der Vergabe von Großkrediten, festgelegten Rückzahlungsplänen, einer effektiven Überwachung der Kreditverwendung, einem Statusüberwachungsprozess und strengen Regeln für die Bewertung der Risiken und die Risikovorsorge.18

18

166

Zur Zeit ist für die folgenden MDB nach Art. 117 Abs. 2 CRR ein Risikogewicht von 0% zulässig: die Weltbankgruppe, bestehend aus der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) und der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), die Interamerikanische Entwicklungsbank (IADB), die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die Europäische Investitionsbank (EIB), den Europäischen Investitionsfonds (EIF), die Nordische Investitionsbank (NIB), die Karibische Entwicklungsbank (CDB), die Islamische Entwicklungsbank (IDB) und die Entwicklungsbank des Europarates (CEDB); neu hinzugekommen sind die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA) und die Internationale Finanzierungsfazilität für Impfungen (IFFIm).

Basel III und Förderbanken

Spiegeln wir diese Kriterien zur Einstufung von MDBs in einer bessere Risikogewichtsklasse (0%) auf die beispielhaft genannten Freistellungsgründe von einer allgemeinen Bankenaufsicht, so wird eine Argumentationshierarchie deutlich. Eine Freistellung von der Bankenrichtlinie erfolgt vorrangig aus Wettbewerbsüberlegungen, während das Nullgewicht für MDBs aus Risikoüberlegungen abgeleitet wird. Die einzelnen Bedingungen sind hierbei nicht unabhängig voneinander, sondern zum Teil zirkulär miteinander verknüpft (Eigenmittel, Gearing-Ratio und Finanzkennziffern). Die doppelte Begrenzung: Risiko + Forderungsklasse wird solange vorzunehmen sein, wie der Baseler Accord im Standardansatz zur Bestimmung des Risikogewichts zwei Kriterien kombiniert: eine an externen Ratings vorgenommene Risikogewichtung der Kreditrisikoaktiva, die jedoch abhängig von der Art des Kreditnehmers (Staat, Banken, Unternehmen) bei gleicher Ratingeinstufung unterschiedlich hoch ist. Die Nullgewichtung im Bereich Staaten (Sovereigns und PSE), das in keiner anderen Forderungsklasse erreicht werden kann, ist dann der zentrale Auslöser für die spezielle Behandlung bestimmter MDBs noch vor Banken. Im Vergleich zum Text von Basel II ist die Zahl der MDBs erweitert, auch wenn nicht alle MDBs19 aufgeführt sind, so dass die geforderten qualitativen Kriterien, die der Baseler Ausschuss festgelegt hat, weiterhin angewendet werden. Die nationalen Förderbanken werden gemäß den Art. 4 Abs. 1 (8) CRR unter den Öffentlichen Stellen = Public Sector Entities (PSE) erfasst, auch dies wieder nach der Forderungsklasse Staaten und vor Banken. Nach Ermessen der nationalen Aufsichtsinstanz können Forderungen an bestimmte inländische PSE auch wie Forderungen an den Sitzstaat dieser PSE behandelt werden. Wenn dieser Ansatz gewählt wird, können die Aufsichtsinstanzen anderer Länder ihren Banken gestatten, Forderungen an solche PSE genauso zu behandeln. Die EU-Normen greifen diesen Gedanken auf20 und ergänzen die Wahlmöglichkeit der Aufsichtsbehörden anderer Länder durch eine Regelbindung: Machen die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats von der Ermessensentscheidung, Forderungen an öffentliche Stellen wie Forderungen an Institute oder wie Forderungen an den Zentralstaat, auf dessen Hoheitsgebiet sie ansässig sind, zu behandeln, Gebrauch, so müssen die zuständi-

19

20

So fehlt beispielsweise die Corporación Andina de Fomento (CAF), die ebenfalls einen überregionalen Status hat. Art. 116 der EU-Verordnung Nr. 575/2013 vom 26. Juli 2013, Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen, hier: Textziffern 4 und 5.

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gen Behörden eines anderen Mitgliedstaats ihren Kreditinstituten gestatten, Forderungen an diese öffentlichen Stellen auf dieselbe Weise zu gewichten. Aufgrund möglicher unterschiedlicher Risikogewichtungen der Zentralstaaten im EWR wäre damit sowohl eine Null- als auch eine 20%-Gewichtung nationaler Förderinstitute denkbar. Für eine risikoadäquate Bewertung sind zunächst diejenigen öffentlichen Institute, die keinen besonderen Förderauftrag haben und damit im Wettbewerb mit Geschäftsbanken stehen, abzugrenzen. Für beide Gruppen gilt in Deutschland eine 20%-Gewichtung. Eine Nullgewichtung ist auch dann nicht für ein Förderinstitut zu vertreten, wenn der Gewährträger nicht über seine übliche Gewährträgerhaftung hinaus für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen ausdrücklich garantiert. Hierbei reicht es aber für eine Anerkennung als Nullgewicht durchaus aus, die Gewährleistung auf die relevanten Kreditrisikoaktiva zu beschränken.21 Ende Mai 2014 haben die überwiegende Anzahl der regionalen Förderinstitute in Deutschland eine Bescheinigung der zuständigen Behörde (BaFin) erhalten, dass diejenigen Teile ihrer Portfolien, die mit einer von der regionalen Gebietskörperschaft (Bundesland) gestellten angemessenen Garantie ausgestattet sind, wie das Bundesland nullgewichtet werden können. Die von der Europäischen Bankaufsichtsbehörde (EBA) geführte Liste zu den nullgewichteten Public Sector Entities enthält zu diesem Zeitpunkt weiterhin nur die KfW und die landwirtschaftliche Rentenbank.22 Zusammenfassend kann somit festgestellt werden: Einrichtungen des öffentlichen Bereichs sind Verwaltungseinrichtungen, die keine Erwerbszwecke verfolgen und ausschließlich Zentralregierungen, Regionalregierungen oder örtlichen Gebietskörperschaften unterstehen und deren Aufgaben wahrnehmen. Zu den Einrichtungen des öffentlichen Bereichs zählen auch nicht wettbewerbswirtschaftlich tätige, rechtlich selbstständige Förderinstitute im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die auch von einer inländischen Gebietskörperschaft getragen werden und für deren Zahlungsverpflichtungen mindestens eine inländische Gebietskörperschaft die Haftung übernommen hat.23

21

22

23

168

Der ZKA vertrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf der SolvV: „Die (se) Behandlung sollte wegen des gleichen Risikos auch auf Forderungen an rechtlich unselbständige Förderinstitute ausgedehnt werden, die über eine entsprechende Garantie verfügen. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass Institute, die bereits heute im Grundsatz I mit einem Risikogewicht von 0% angerechnet werden, weiterhin auf diese Weise behandelt werden dürfen.“ EBA: Other CRD Disclosure requirements: additional information; all German „Länder“, all legally dependent „Sondervermögen“ of the German „Länder“, all German „Gemeinden“ and all German „Gemeindeverbände“, or equivalent, are risk-weighted like the central government. Art. 4, Abs. 1 (8) CRR.

Basel III und Förderbanken

Die Beschränkung auf nur ein Kriterium scheint auf den ersten Blick eine deutliche Abweichung zu den MDBs darzustellen. Diese vordergründige Betrachtungsweise relativiert sich jedoch schnell. Soweit die Förderbanken einer allgemeinen Bankenaufsicht unterliegen, müssen sie Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer internen Organisation und der Kreditprozesse erfüllen. Soweit sie nicht einer allgemeinen Bankenaufsicht unterliegen, ist zu prüfen, inwieweit allgemeine von den Instituten anerkannte Corporate Governance-Regeln dieses Verhalten determinieren oder ob beispielsweise die MaRisk sinngemäß umgesetzt werden. Das Beispiel der EIB zeigt, dass die Umsetzung fortschrittlicher Risikomessverfahren auch ohne rechtliche Verpflichtung dem speziellen Risikoprofil des langfristigen Kredits entspricht. Ein solches Verhalten wird auch dadurch unterstützt, dass Förderbanken an einem guten Emittentenrating interessiert sind und auch aus diesem Grunde entsprechende Funktionstrennungen, Prozessregeln und die Einhaltung von Solvenz- und Liquiditätskennziffern sicherstellen. Dies gilt auch für eine entsprechende Limitsteuerung, die durch den gesetzlichen Auftrag der Förderbank ggf. begrenzt sein kann. Hierbei wäre dann auf Verbriefungstransaktionen zurückzugreifen, um die Portfolien zu optimieren.

2.3.3 2.3.3.1

Neue Regulierung für Förderbanken Ausgangslage

In der Finanz- und Wirtschaftskrise ist die spezielle Bedeutung der multilateralen und nationalen Förderbanken besonders deutlich geworden. Einerseits waren sie wichtige Institutionen, um den Wirtschaftsabschwung durch Sonderprogramme für den realen Sektor und die Versorgung des Bankensektors vor allem mit Liquidität abzufedern.24 Andererseits wurde auch deutlich, dass die spezielle Regulierung der Förderbanken möglicherweise zu Regulierungsdefiziten führen kann. Ausgehend von dieser Zustandsbeschreibung sind verschiedene neue oder erweiterte Regulierungen denkbar: 1. Es kann eine Stärkung der bereits vorhandenen Regulierungsinstitutionen stattfinden, ohne dass materiell-rechtlich Änderungen stattfinden. Denkbar wäre zum Beispiel, einem Prüfungsausschuss weitergehende Rechte zuzugestehen.25 Dieser Ausschuss kann prüfen, ob die Tätigkeit der Bank mit den bewährten

24

25

Der Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank für 2010 weist als Kapitalzufuhr von Bund, Ländern, Kommunen, Sparkassen, SoFFin und der KfW 50 Mrd. EUR aus, hierin sind keine Garantien erfasst, Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank für 2010, S. 125. Beispielsweise verfügt die Europäische Investitionsbank nach Artikel 12 ihrer Satzung über einen Prüfungsausschuss.

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Praktiken des Bankwesens im Einklang steht, und ist für die Rechnungsprüfung der Bank verantwortlich. Hierdurch kann insbesondere eine Ausrichtung an „Best Practices“ sichergestellt werden. Ein Beispiel zum gegenwärtigen Stand hierfür ist die Europäische Investitionsbank (EIB). Die Mitglieder des Prüfungsausschusses werden unter Persönlichkeiten ausgewählt, die sich durch Unabhängigkeit, Kompetenz und Integrität auszeichnen. Die Mitglieder verfügen über Erfahrung in den Bereichen Finanzwesen, Rechnungsprüfung oder Bankenaufsicht im privaten oder öffentlichen Sektor und decken zusammen das gesamte relevante Wissensspektrum ab.26 Auch hat die luxemburgische Finanzaufsichtsbehörde die EIB bei der Einführung des IRB Advanced Approach für das Kreditrisiko und für den Advanced Measurement Approach für das operationelle Risiko technisch unterstützt27, ohne dass die EIB dem luxemburgischen Bankaufsichtsrecht unterliegt. Insoweit folgt die EIB dem Grundsatz, dass sie zwar keiner formellen Bankenaufsicht unterliegt, jedoch freiwillig die wichtigsten EU-Richtlinien für den Bankensektor beachtet28 und im Einklang mit „Best-Practice“-Regeln des Sektors handelt, um fortgeschrittene Risikomessmethoden anwenden zu können und die Sensitivität des Eigenmittelbedarfs ermitteln zu können. 2. Die jeweiligen Förderbanken können nationalen Aufsichtsregimen unterworfen werden, je nach Geschäftsmodell des Institutes dem Bank- oder dem Versicherungsaufsichtsrecht. In Deutschland unterliegen beispielsweise die Landesförderinstitute und die Landwirtschaftliche Rentenbank dem Kreditwesengesetz. Die DEG ist nach § 2 Abs. 4 des Kreditwesengesetzes von bestimmten Paragraphen befreit, solange sie wegen der Art der von ihr betriebenen Geschäfte insoweit nicht der Aufsicht bedarf. 3. Es findet eine Neuordnung der Aufsichtskonzeption derart statt, dass Normen, Institutionen und Verfahren insgesamt verändert werden. Von diesen drei Möglichkeiten ist in der aktuellen Regulierungsdiskussion die letzte für eine konkrete Umsetzung genutzt worden. Für die Wahl des dritten Ansatzes spricht, dass dabei sowohl die Besonderheiten des Geschäftsmodells einer Förderbank berücksichtigt als auch das spezielle Wissen der Bankaufsichtsbehörden oder der Wirtschaftsprüfer genutzt werden können.

26 27 28

170

Art. 27, Abs. 2 der Geschäftsordnung der Europäischen Investitionsbank. Finanzbericht der EIB für 2009, S. 217. Vgl. ebenda.

Basel III und Förderbanken

2.3.3.2

Die neuen Regulierung der KfW

Bereits in der Vergangenheit hat die KfW bestimmte bankaufsichtliche Regelungen freiwillig eingehalten. Die Einhaltung wurde vom Wirtschaftsprüfer überwacht. Im Juli 2013 wurde dann das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau verabschiedet. Damit wurde das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, im Rahmen einer Rechtsverordnung bestimmte bankaufsichtliche Regelungen als durch die KfW und die KfW-Gruppe für entsprechend anwendbar zu erklären und die Aufsicht über deren Einhaltung auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu übertragen. Anstelle einer freiwilligen Einhaltung tritt somit eine verpflichtende Einhaltung dieser definierten Normen. Die Rechtsverordnung (KfW-RVO) wurde im Oktober 2013 veröffentlicht und tritt im Wesentlichen zum 01.01.2016 in Kraft, so dass die neue Regulierung der KfW überwiegend Anfang 2016 wirksam wird. Die KfW-Rechtsverordnung lässt den Status der KfW unverändert: Die KfW ist als Public Sector Entity auch weiterhin kein Kreditinstitut und kein Finanzdienstleistungsinstitut im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 2 bzw. Absatz 6 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz und ist nach Artikel 2 (5) CRD IV auch weiterhin von den bankaufsichtsrechtlichen Regelungen der Europäischen Union ausgenommen. In der KfW-RVO wird zudem die besondere Rolle der KfW als Public Sector Entity ohne Einlagengeschäft an verschiedenen Stellen berücksichtigt werden. Hierzu zählen insbesondere die folgenden Ausnahmen bzw. Bereiche des Bankaufsichtsrechts, die im Rahmen der KfW-RVO als nicht durch die KfW entsprechend anwendbar erklärt wurden: • Regulatorische Aspekte der Zuweisungsgeschäfte • Liquiditätskennziffern • Offenlegungsanforderungen • Normen zu Sanierungs- und Abwicklungsplänen • Abrufen von Konteninformationen • Abschließende Entscheidungen durch die Ausschüsse des Verwaltungsrats entsprechend des KfW-Gesetzes. Darüber hinaus sollen weitere Besonderheiten der KfW in der Verwaltungspraxis der BaFin Berücksichtigung finden. Hierzu gehören insbesondere die Refinanzierung der im kommerziellen Wettbewerb agierenden Tochtergesellschaft KfW IPEX-Bank GmbH

171

Harald Lob/Ingo Schumann

sowie die Tatsache, dass die KfW als einzige deutsche Förderbank den IRBA anwendet. Hier hat die BaFin zugesichert, auch über die Ausnahmen der KfW-RVO hinaus die Besonderheiten der KfW im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu berücksichtigen. Bereits seit dem Tage nach der Verkündigung der Rechtsverordnung verfügen BaFin und Bundesbank über Prüfungsrechte nach §§ 44 und 44a des Kreditwesengesetzes bei der KfW. Die KfW hat sich zudem verpflichtet, die Governance-Regeln aus §§ 25c und 25d des Kreditwesengesetzes bereits zum 01.07.2014 umzusetzen. Alle weiteren materiellen Regelungen der KfW-RVO treten zum 01.10.2016 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt verfügen die Bankaufsichtsbehörden auch über Sanktions- und Durchgriffsmöglichkeiten.

2.3.3.3

Die neue Regulierung der Caisse des Dépôts et Consignations (CDC)

Mit dem Gesetz zur Modernisierung der Wirtschaft29 vom 04.08.2008 wurde auch eine neue Konzeption für die Aufsicht der Caisse des Dépôts et Consignations ausgestaltet. Die Caisse des Dépôts et Consignations bleibt von der europäischen Bankenrichtlinie und dem französischen Bankenaufsichtsrecht freigestellt. Auch findet weiterhin eine Kontrolle durch den Aufsichtsrat statt. Da in Frankreich im Jahr 2008 die Finanzmarktaufsicht noch auf verschiedene Institutionen verteilt war, war es erforderlich, eine Institution auszuwählen. Aufgrund des Geschäftsmodells der Caisse des Dépôts et Consignations wäre dazu sowohl die Versicherungs- als auch die Bankenaufsicht in Frage gekommen. Die Entscheidung fiel zugunsten der Bankenaufsicht, so dass der Gesetzestext folgende Struktur hatte: Der Aufsichtsrat überträgt ausschließlich für die Überprüfung der Bank- und Finanzaktivitäten der Bankenkommission die Prüfung, ob die Caisse des Dépôts et Consignations bestimmte Bedingungen erfüllt. Der Aufsichtsrat entscheidet auf der Grundlage der Berichte der Bankenkommission. Diese Berichte können Entwürfe zu Empfehlungen enthalten, die es erlauben, die finanziellen Kennzahlen wiederherzustellen oder zu verbessern. Die Entwürfe zu Empfehlungen können in den betroffenen Bereichen die Methoden der Geschäftsführung verbessern oder sicherstellen, dass die Organisation den Aktivitäten und Entwicklungszielen der Caisse des Dépôts et Consignations entspricht. Der Aufsichtsrat kann gegenüber dem Generaldirektor der Caisse des Dépôts et Consignations Warnhinweise, Empfehlungen oder Weisungen aussprechen. Der Aufsichtsrat kann entscheiden, die genannten Maßnahmen zu veröffentlichen.

29

172

LOI n° 2008-776 du 4 août 2008 de modernisation de l'économie ; JORF n°0181 du 5 août 2008 page 12471.

Basel III und Förderbanken

Zwischenzeitlich sind zu dem Gesetz ein Dekret und Ausführungsbestimmungen erlassen worden, die Bankenkommission ist durch die L’Autorité de contrôle prudentiel (ACP) ersetzt worden. Diese neue Regulierungsinstitution und die Finanzmarktaufsicht (L'Autorité des marchés financiers) kontrollieren den gesamten Finanzsektor in Frankreich. Damit geht auch Frankreich in Richtung einer All-Finanzaufsicht. Die neue gesetzliche Aufsicht verzichtet bewusst darauf, einen Normenkranz des französischen Bankaufsichtsrechts verbindlich auf die Caisse des Dépôts et Consignations anzuwenden. Vielmehr überlässt das neue Aufsichtsregime dem Aufsichtsrat die Entscheidung, welche Normen im Hinblick auf die Anwendung in der Caisse des Dépôts et Consignations geprüft werden sollen. Hierin spiegelt sich die besondere Governance der Caisse des Dépôts et Consignations wider: Die Gründung im Jahre 1816 erfolgte nach einer umfassenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Eine staatsferne Caisse des Dépôts et Consignations wurde gegründet, um der französischen Öffentlichkeit eine Garantie dafür zu geben, dass die Einlagen vor dem Zugriff des Staates geschützt sind. Die Governance schaffte zum einen das Instrument eines sehr starken, unabhängigen Generaldirektors, der einen Eid darauf leistet, dass er die Unabhängigkeit des Instituts verteidigt und die Unantastbarkeit der Mittel, die dem Institut anvertraut sind, garantiert. Es gibt in dieser Governance keine Staatsaufsicht. Zum Zweiten wird ein Aufsichtsrat etabliert, in dem Volksvertreter eine dominierende Rolle spielen und der von einem Abgeordneten der Nationalversammlung oder einem Senator geleitet wird. Diese Governance ist nicht ohne Weiteres auf eine andere nationale Förderbank übertragbar. Gleichwohl wird ein Muster erkennbar, wie eine Nutzung des Sachverstandes der Bankaufsichtsbehörden genutzt werden kann, ohne die Aufsicht insgesamt zu verändern. Es steht dem Aufsichtsrat frei, die Autorité de contrôle prudentiel damit zu beauftragen, zu entscheiden, welche Normen im Hinblick auf die Anwendung in der Caisse des Dépôts et Consignations geprüft werden sollen. Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung kann es sich zum einen um die in Säule 1 nach Basel II/III festgesetzten Mindestanforderungen hinsichtlich Eigenmitteln und Liquidität handeln. Dies wird durch die Bestimmung, „die finanziellen Kennzahlen wiederherzustellen oder zu verbessern“ erfasst. Zum anderen werden „Methoden der Geschäftsführung“ angesprochen, also die Säule 2 nach Basel II/III, bzw. nach deutschem Recht die MaRisk.

173

Harald Lob/Ingo Schumann

Die Gutachten der Autorité de contrôle prudentiel werden nicht öffentlich gemacht. Es obliegt allein dem Aufsichtsrat, ob er Warnhinweise, Empfehlungen oder Weisungen veröffentlichen will. Dies schafft die Möglichkeit, die allgemeinen Bankaufsichtsnormen dem speziellen Geschäftsmodell der Caisse des Dépôts et Consignations anzupassen. Aufgrund einer fehlenden Öffentlichkeit ist es jedoch schwierig zu beurteilen, welche Anpassungen vorgenommen wurden und inwieweit diese erforderlich waren.

2.3.3.4

Vergleich der neuen Regulierung von KfW und CDC

Vergleicht man die neuen Regulierungsansätze für die CDC und die KfW, sind zunächst Gemeinsamkeiten festzustellen. In beiden Fällen wurde die politische Notwendigkeit gesehen, das nationale Förderinstitut über die bestehenden Aufsichts- und Prüfungsrechte hinaus zu regulieren. Maßstab ist in beiden Fällen das Bankaufsichtsrecht, das in weiten Teilen durch die CRR europaweit einheitlich ist. In beiden Regulierungskonzeptionen spielen die nationalen Bankaufsichtsbehörden eine zentrale Rolle. Deutliche Unterschiede werden im prozessualen Vorgehen sichtbar. Während das französische Modell entscheidungsorientiert ist, ist das deutsche Modell normenorientiert. Im französischen Modell gibt es grundsätzlich keine Beschränkungen, welche Normen überprüft werden sollen. Die Berücksichtigung des besonderen Geschäftsmodells erfolgt über die Entscheidungen, welche Prüfaufträge vergeben werden und welche verpflichtenden Entscheidungen für die CDC durch den Aufsichtsrat getroffen werden. Das deutsche Modell erfasst in der KfW-Rechtsverordnung (KfW-RVO) zunächst die Normen, die die KfW entsprechend anzuwenden hat. Ein Ausnahmekatalog beschreibt – teilweise detailliert in Aspekten der MaRisk – welche Normen nicht anzuwenden sind. Auf dieser Basis können die deutschen Bankaufsichtsbehörden tätig werden im Rahmen des durch das geänderte KfW-Gesetz und die KfW-RVO vorgegebenen Prüfungsmaßstabes. Aus den ersten Gesprächen ist deutlich geworden, dass die Bankaufsichtsbehörden die KfW wie ein Kreditinstitut vergleichbarer Größe und entsprechend des Risikogehaltes der Geschäfte prüfen möchte. Anders als im französischen Modell werden die deutschen Bankaufsichtsbehörden ihre Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten unabhängig von einer Entscheidung eines Organs der KfW durchführen können.

174

Basel III und Förderbanken

3 Abschließende Bemerkungen Zweifelsohne haben alle Beteiligten im Finanzsektor einen Anteil an der jüngsten Finanzund Wirtschaftskrise. Eine der notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise war auch, die regulatorischen Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen und schnell eine bessere Regulierung zu formulieren. Die erkannten Schwachstellen sind überarbeitet worden und somit hat der Baseler Ausschuss innerhalb kürzester Zeit die politischen Vorgaben erfüllt.30 Lange Übergangsfristen und Anpassungsmöglichkeiten erlauben auch eine weitere Adjustierung. Diese wird wahrscheinlich erforderlich sein, weil umfassende Auswirkungsstudien, wie alle vorgeschlagenen Maßnahmen zusammenwirken, noch fehlen. Für den Fall, dass der Aufbau von zusätzlichen Eigenmitteln und eventuelle geschäftspolitische Anpassungen im Angebot der Geschäftsbanken zu einer Verschlechterung, beispielsweise in der Mittelstandsfinanzierung, führen, ist es an den Förderbanken, diese Lücken zu schließen. Neben einer klaren Orientierung auf die Bedürfnisse ihrer Kernkunden werden Förderbanken darüber hinaus dafür Sorge tragen müssen, dass langfristige Investitionen in Europa gemäß dem Wirtschafts- und Sozialmodell getätigt werden können. Hierzu werden die großen nationalen und multilateralen Förderbanken weiterhin Vorschläge entwickeln, wie eine angemessene Regulierung und Bilanzierung unter Maßgabe der besonderen Angaben gestaltet werden kann.

30

Vgl. Leaders’ Statement: The Pittsburgh Summit September 24–25, 2009: Building high quality capital and mitigating pro-cyclicality; Reforming compensation practices to support financial stability; Improving over-the-counter derivatives markets; Addressing cross-border resolutions and systemically important financial institutions.

175

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio Daniel Kaltofen/Stefan Stein

1 Einleitung 1.1 Homogene Risikopools als exklusive Besonderheit der IRBA-Forderungsklasse Mengengeschäft 1.2 Aufbau der Studie 2 Identifikation homogener Risikopools mit Hilfe eines parameterfreien Klassifikationsverfahrens 3 Ein Lösungsansatz vor dem Hintergrund der CRR 3.1 Struktur und Umfang der Datenbasis 3.2 Definition „guter“ und „schlechter“ Engagements 3.3 Kennzahlen als Risikotreiber für die Generierung der Poollandschaft 3.4 Berechnung der Verlustparameter 3.5 Berechnung der regulatorischen UL-Eigenkapitalanforderung 4 Ergebnisse der empirischen Auswirkungsstudie 4.1 Statistische und inhaltliche Interpretation der gefundenen Poollandschaft 4.2 Validierung der Trennschärfe 5 Zusammenhang zwischen Trennschärfe und regulatorischer Eigenkapitalanforderung 6 Zusammenfassung Literatur

177

178

1 Einleitung 1.1 Homogene Risikopools als exklusive Besonderheit der IRBAForderungsklasse Mengengeschäft Kreditinstitute dürfen auch unter Basel III Kredite an Privat- mit denen an kleinere und mittlere Firmenkunden sowie an Freiberufler und Gewerbetreibende zur Entlastung der Eigenkapitalunterlegung zu einem einheitlich zu managenden „Retail-Portfolio“ zusammenfassen. Schätzungen zufolge fallen 95% (vgl. BdB, 2009, S. 13) aller Kredite an Unternehmen sowie fast sämtliche Kredite an Privatpersonen – darunter Kreditkartenforderungen, Kontokorrentkredite, private Immobilien-, Hypothekar- sowie andere Privatkredite etwa zur Studienfinanzierung oder Ratenkredite für Kfz- und Konsumgüter – in die Forderungsklasse „Mengengeschäft“ (Artikel 147 (5) CRR).1 Die Methodenwahl bei der Berechnung der Eigenkapitalunterlegung für das RetailPortfolio ist dabei insoweit eingeschränkt, als es abweichend zu den anderen IRBAForderungsklassen (z.B. Unternehmen) keine Differenzierung in einen Basis- und einen fortgeschrittenen Ansatz gibt. Der Retail-IRB- ist ein fortgeschrittener und damit anspruchsvollerer Ansatz: Banken müssen erstens zentrale Verlustparameter selbst schätzen, die in die Berechnung der Eigenkapitalunterlegung eingehen. Zu diesem Zweck sind für alle nicht ausgefallenen Kredite • die prognostizierte Ausfallwahrscheinlichkeit (PD), • die prognostizierte Verlustquote bei Ausfall (LGD) und • der IRBA-Positionswert (EAD) zu erheben. Zweitens ist vorgesehen, dass Banken Retail-Forderungen nicht einzeln bewerten, sondern diese zu homogenen Pools zusammenfassen können: „Bei Risikopositionen aus dem Mengengeschäft wird im Zuge des Kreditgenehmigungsverfahrens jede Position einer Ratingstufe oder einem Risikopool zugeordnet.“ (Artikel 172 (2) CRR)

1

Zur detaillierten Abgrenzung des Retail-Portfolios vgl. den ersten Beitrag von Paul in diesem Band.

179

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

„Das Verfahren für die Zuordnung von Risikopositionen zu Ratingstufen oder Risikopools gewährleistet eine aussagekräftige Differenzierung der Risiken und eine Zusammenfassung hinreichend gleichartiger Risikopositionen und ermöglicht eine genaue und konsistente Schätzung der Verlusteigenschaften auf Ebene der Stufe bzw. des Pools.“ (Artikel 170 (3) c) CRR) Demzufolge sind die Verlustparameter PD und LGD auf Ratingklassen- oder Poolebene zu schätzen. Letztere, dem Retail-Portfolio vorbehaltene Möglichkeit zur Prozessverschlankung basiert auf der Annahme von gleichartigen Risikocharakteristika und dadurch einer natürlichen Risikodiversifikation für eine große Zahl kleinteiliger Kreditforderungen, die sich zumeist durch eine sehr gute Daten- und Informationslage im Vergleich mit anderen Forderungsklassen auszeichnen (siehe auch European Banking Authority, 2012). Bei der Umsetzung dieser Vorschriften werden den Banken im Rahmen des qualitativen Aufsichtskonzepts erhebliche Freiheitsgrade zugestanden. Verbindliche operative Angaben für den Prozess, gleichartige Forderungen zu Pools mit homogenen Verlustcharakteristika zu gruppieren, sucht man deshalb vergeblich. Der Gesetzgeber sah sich lediglich veranlasst, Vorgaben für drei mindestens zu berücksichtigende Risikotreiber zu setzen, nach denen Kredite in Pools aufgeteilt werden sollen (Artikel 170 (4) CRR): • schuldnerspezifische Risikomerkmale, • geschäftsspezifische Risikomerkmale (einschließlich Produkt- und Sicherheitenarten) sowie • Zahlungsverzug. Zu jedem Risikotreiber sind unterschiedliche, ihn beschreibende Kennzahlen denkbar, zu denen der Regulator keine weiteren Angaben macht oder Standards setzt und von denen jeweils mindestens eine in den (im Folgenden noch zu beschreibenden) Poolbildungsprozess eingehen muss. Den Banken steht es offen, neben der inhaltlichen Auswahl adäquater Kennzahlen für die genannten drei Risikotreiber weitere relevante Risikotreiber und sie beschreibende Kennzahlen zu identifizieren und in den Poolbildungsprozess einzubringen (Artikel 171 (2) CRR). Ihre Auswahl liegt in der Verantwortung der Kreditinstitute, die ihr Vorgehen für Zwecke einer Überprüfung durch die Bankenaufsicht im Rahmen der qualitativen Aufsicht dokumentieren zu müssen. Die CRR liefert keine Anhaltspunkte im Hinblick auf die Anzahl der Pools. Als qualitative Mindestanforderung wird lediglich formuliert, dass die Anzahl der Kredite innerhalb eines Pools ausreichen muss, um zu statistisch validierbaren sowie zeitstabilen Schätzungen der Risikoparameter zu gelangen. Gleichzeitig muss eine unverhältnismäßig hohe Stück- oder Volumenkonzentration vermieden werden (Artikel 170 (3) b) CRR). Zudem

180

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

ist eine mindestens fünfjährige Datenhistorie vorzuhalten (Artikel 180 (2) und 181 (2) CRR). Durch mindestens jährliche Überprüfungen muss die Validität des Segmentierungsprozesses bestätigt werden (Artikel 173 (2) CRR).

1.2 Aufbau der Studie Im Folgenden interpretieren und operationalisieren wir die Forderung nach Bildung homogener Risikopools als zentrale Besonderheit der IRBA-Forderungsklasse Mengengeschäft. Der Beitrag verfolgt dabei sowohl ein methodisches als auch ein inhaltliches Analyseziel: Auf der inhaltlichen Ebene werden Risikotreiber und sie beschreibende Kennzahlen für eine möglichst gute Trennung der „guten“ von den „schlechten“ Kreditpools identifiziert, und die Implikationen für die regulatorische Eigenkapitalunterlegung gemessen. Entlang der aufsichtlichen Vorgaben entwickeln wir einen optimierten Segmentierungsansatz im Hinblick auf das Ausfallereignis, mit dem das Management des Kreditrisikos einschließlich der Bewirtschaftung der Ressource Eigenkapital verbessert werden kann. Wir testen die Hypothese, dass „overall required capital will be lower if PD’s are estimated at a finer level of segmentation“ (Lang/Santomero, 2004), anhand eines realen Retailkreditportfolios und messen dazu die Auswirkungen einer unterschiedlich feinen Segmentierung dieses Portfolios für die regulatorische Kapitalanforderung. Unser methodisches Vorgehen findet einen Anker in Verfahren, die auf einer mathematisch-statistischen Auswertung historischer Kreditnehmerdaten zur Identifikation von ausfallrelevanten Mustern beruhen. Dazu definieren wir den Ausfall eines Kredits als Zielvariable mit den beiden Ausprägungen „ausgefallen“ und „nicht ausgefallen“. Ausgehend von diesem Bezugspunkt berechnen wir die jährliche Ausfallrate des Portfolios als das Verhältnis der schlechten zu allen betrachteten Krediten, die wir dann als Schätzung für die PD verwenden. Für die operative Abgrenzung homogener Segmente im Hinblick auf die PD stellen wir mit CHAID auf einen nicht-parametrischen rekursiven Partitionierungsalgorithmus ab, der in seiner inhaltlichen Ausrichtung eine Alternative zu dem etablierten Standardverfahren der logistischen Regression darstellt (vgl. einführend Frydman/Altman/Kao, 1985 und Kaltofen, 2006). In unserer Einschätzung eignet er sich gut, die einzelnen Retail-Forderungen mit hoher Effizienz zu homogenen Pools der PD nach zusammenzufassen, weil er die geforderte Abgrenzung homogener Kreditpools als direktes Modellergebnis

181

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

liefert, Nachteile bekannter parametrischer Verfahren überwindet und gegenüber diesen durch seine intuitive inhaltliche Nachvollziehbarkeit sowie der eingängigen grafischen Darstellungsmöglichkeit ein „Verfahren mit Erklärungskomponente“ ist.

2 Identifikation homogener Risikopools mit Hilfe eines parameterfreien Klassifikationsverfahrens Die vorliegende Problemstellung, aus einer Menge von Risikotreibern auf die Klassenzugehörigkeit der binären Zielvariable „Kreditausfall“ zu schließen, stellt eine typische Klassifikationsaufgabe dar (vgl. Backhaus et al., 2011, S. 189). Eine optimale Lösung verknüpft dazu die trennschärfsten Risikomerkmale zu einer Klassifikationsfunktion, die es erlaubt, anhand der kreditnehmerspezifischen Ausprägungen dieser Merkmale fehlerfrei auf den Ausfallstatus eines Kreditnehmers zu schließen. In diesem Sinne grundsätzlich geeignete Lösungsansätze sind diskriminanzanalytische Verfahren, welche unabhängig von der Funktionsweise einzelner Algorithmen auf die Trennung von Objekten – im hier relevanten Kontext schließt man von Risikotreibern auf den Ausfallstatus – in homogenere (Teil-)Segmente ausgerichtet sind (vgl. Kaltofen, 2006, S. 107). Zwischen den Messzeitpunkten der Kennzahlenausprägungen und dem Ausfallstatus liegt der Prognosezeitraum, dessen Länge an den Erfordernissen der Untersuchung (hier: ein Jahr) ausgerichtet wird. Da für die Klassifikation ausschließlich Vergangenheitsdaten analysiert werden, liegen sowohl die Information über den Ausfallstatus als auch die zeitlich vorgelagerten Ausprägungen der als Prädiktoren bezeichneten Risikotreiber vollständig vor. In der Praxis wird zu diesem Zweck überwiegend auf die logistische Regression zurückgegriffen. Als parametrisches Verfahren besitzt die logistische Regression allerdings den Nachteil, dass sie durch Ausreißer und Extremwerte sowie fehlende Daten einzelner Prädiktoren in ihrer Anwendbarkeit mitunter stark beeinträchtigt werden kann. Zudem bedarf es zur Abgrenzung homogener Kreditpools zusätzlicher Rechenschritte. Demgegenüber unterliegen parameterfreie Klassifikationsbäume (auch: rekursive Partitionierung) weniger restriktiven Voraussetzungen (vgl. Breiman et al., 1984, Frydman/ Altman/Kao, 1985 und Ripley, 2002). Weitere Vorteile liegen in einem hierarchischen Aufbau und hohen Flexibilitätsgrad. Hinzu kommt, dass Ausreißer bei den Prädiktorausprägungen zumeist keinen Einfluss auf das Ergebnis haben, weil Trennungen so gut wie nie an den Randbereichen stattfinden. Klassifikationsbäume lassen darüber hinaus die mehrfache Verwendung eines Prädiktors in verschiedenen Ästen des Baumes zu, so dass Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Prädiktoren Berücksichtigung finden und darüber die Trennschärfe erhöhen können.

182

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Abbildung 1: Stilisierter Klassifikationsbaum

Ebene 0

Gesamtes Retail-Portfolio

Ebene 1

I

a

C

B

B

A

1

3

4

IV

V

2

5

...

...

...

...

...

...

b

...

A

...

...

III

...

Ebene 3

2

1

Ebene 2

II

Die Grundidee dieser Methodik besteht darin, ein Datenset schrittweise und wiederholt zu unterteilen, so dass sich die Ausprägungen der Zielgröße (für einzelne Kredite: der Ausfallstatus; für mehrere Kredite: die Ausfallrate) zwischen den neu entstehenden Teilsegmenten statistisch signifikant unterscheiden. Die inhaltliche Segmentabgrenzung erfolgt anhand von Schwellenwerten einzelner Prädiktoren (zur Veranschaulichung siehe Abbildung 2), die statistischen Maßgaben folgend modellintern festgelegt werden. So könnte ein Trennschritt beispielsweise lauten, dass sich die Ausfallraten zwischen Kreditnehmern jünger bzw. älter als 25 Jahre statistisch signifikant unterscheiden. Die so abgegrenzten Segmente sind dann in zweifacher Hinsicht in sich homogen und untereinander heterogen: Zum einen hinsichtlich ihrer Ausfallrate, zum anderen in Bezug auf ihre (zur Segmentabgrenzung herangezogenen) kreditnehmer-, geschäfts- und verzugsspezifischen Merkmale. Innerhalb gesetzter Grenzen entscheiden rekursive Algorithmen modellintern über Anzahl, Reihenfolge der Trennschritte sowie die Schwellenwerte zwischen den Segmenten eines gemeinsamen Vorgängersegmentes. Ausgehend von der gesamten Datenbasis, dem so genannten Ursprungsknoten, erfolgt die erste Trennung in mindestens zwei neue Teilsegmente. Dieser Vorgang wird für jedes Teilsegment – unter Ausblendung der Zusammensetzung und Trennung der anderen Segmente – solange wiederholt, bis eine zuvor definierte Abbruchregel greift. Damit kann ein zu berechnender Klassifikationsbaum auf ein handhabbares Maß von ausschließlich signifikanten Trennungen gestutzt werden (pruning). Dies reduziert die Gefahr des Overfitting des gefundenen Modells und beugt einer hohen Fehlerrate bei der Anwendung auf Out-of-Sample-Datensätze vor (vgl. Kaltofen/Rötzmeier, 2009).

183

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Auf diese Weise entsteht eine Poollandschaft, die dem verzweigten Aufbau eines Baumes ähnelt (Abbildung 1): Auf jeder Ebene segmentieren andere Prädiktorvariablen (dargestellt als geometrische Formen) das Retail-Portfolio in Bezug auf das Ausfallereignis. Die alphanumerischen Werte in der Abbildung symbolisieren die Schwellenwerte, also jene Ausprägung eines betrachteten Prädiktors, welche gerade die Grenze zwischen zwei Segmenten markiert. Eine Eigenschaft von Klassifikationsbäumen ist, dass alle Datensätze des Datensets sich eindeutig genau einem der dunkel hinterlegten Endpools der Poollandschaft zuordnen lassen. In diesen werden die Verlustparameter gemessen und pauschal allen (nicht ausgefallenen) Krediten eines Pools zugeordnet. Übertragen auf die hier vorliegende Problematik zeigt Abbildung 2 exemplarisch einen zweistufigen Klassifikationsbaum, der einen Anfangsbestand von n = 1.000 Krediten in vier Endpools (Nr. 3 bis 6) anhand der Prädiktoren „Alter des Kreditnehmers“ und „Höhe der privaten Verbindlichkeiten“ aufteilt. Dadurch entstehen im Beispiel – ausgehend von einer anfänglichen PD des Portfolios von 10% – homogen abgegrenzte Segmente mit sich signifikant unterscheidenden Ausfallraten zwischen 2,2% (Pool Nr. 5) und 29% (Pool Nr. 4). Abbildung 2: Beispiel eines zweistufigen Klassifikationsbaums Gesamtbestand: Pool 0 PD=10%

< 30 Jahre

n=1.000

≥ 30 Jahre

Alter des Kreditnehmers

Pool 1 PD=16%

< 5.000 Euro

Höhe private Vblk.

Pool 3 PD=8%

Pool 2 PD=3,5%

n=520

≥ 5.000 Euro

Pool 4 n=320

PD=29%

< 8.500 Euro

Höhe ≥ 8.500 Euro private Vblk.

Pool 5 n=200

PD=2,2%

n=480

Pool 6 n=225

PD=4,6%

n=255

Ein möglicher Nachteil der rekursiven Partitionierung besteht darin, dass binäre Klassifikationsalgorithmen (z. B. CART oder QUEST) mit jeweils genau zwei Nachfolgerpools den größten Nutzen für kategoriale Daten mit nicht-linearen Strukturen erbringen. Hängt die Zielgröße (Kreditausfall bzw. PD) hingegen linear von einem Prädiktor ab, hätte dies eine wiederholte und wenig übersichtliche Trennung anhand desselben Prädiktors zur Folge. Der von uns verwendete CHAID-Algorithmus ist in der Lage, dieses Problem durch simultane Trennungen eines Prädiktors in mehr als zwei Nachfolgerpools zu umgehen. Konstruktionsbedingt werden Verbundwirkungen verschiedener Prädiktoren nicht gleichzeitig, sondern durch serielles Hintereinanderschalten einzelner Trennschritte modelliert. Es ist nicht möglich, einzelnen Engagements individuelle Eintrittswahrscheinlichkeiten zuzuordnen, wie es etwa das parametrische Verfahren der logistischen

184

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Regression vermag. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass dies für das Ziel, Verlustparameter auf Poolebene (und nicht auf Einzelengagementebene) zu ermitteln, unerheblich ist. Schließlich werden auf der Nachteilsseite Klassifikationsbäume als datenintensiv erachtet, d.h. eine vergleichsweise große Datenmenge muss zur Verfügung stehen. Steinberg/Colla (1997) fordern ein Minimum von 200 Datensätzen, um die Klassifikation statistisch sauber durchzuführen. Gerade für Retailkredite dürfte diese Bedingung in der Praxis leicht zu erfüllen sein. Mit über 400.000 Datensätzen ist diese Forderung auch in unserer Untersuchung klar erfüllt. In der Gesamtschau ist die rekursive Partitionierung unseres Erachtens daher sehr gut geeignet, einzelne Retail-Forderungen zu homogenen Pools mit hoher Trennschärfe der PD nach zusammenzufassen. In der Literatur werden zahlreiche Algorithmen, wie z.B. CART (vgl. Breiman et al, 1984), CHAID (vgl. Kass, 1980), ID3 (vgl. Quinlan, 1986), C4.5 (vgl. Quinlan, 1993) oder QUEST (vgl. Loh/Shih, 1997) diskutiert, die sich in Leistungen, Voraussetzungen und Anwendungsgebieten voneinander unterscheiden (vgl. Kaltofen, 2006). In der vorliegenden Studie verwenden wir den CHAID-Algorithmus (Chi-squared Automatic Interaction Detection) nach Kass (1980). Dessen Hauptvorzug ist, dass an den Verzweigungspunkten des CHAID-Baumes nicht nur zwei, sondern beliebig viele statistisch signifikant trennende Äste entspringen dürfen. Die Suche nach der jeweils trennschärfsten Aufspaltung eines Datenbestandes mit kategorialer Zielgröße (hier: Ausfallereignis mit binärer ja/nein-Ausprägung) in mindestens zwei oder mehr Subsegmente erfolgt auf Basis von χ²-Tests. Dazu durchläuft CHAID nacheinander zwei Prozessschritte: das Zusammenführen und das Trennen von Kategorien der Prädiktoren eines Datensegments. In der Ausgangssituation des ersten Prozessschritts gruppiert CHAID die Daten des betrachteten Segments (zu Beginn: das Ursprungssegment, das sämtliche Objekte beinhaltet) separat für jeden Prädiktor in eine endliche Menge an Subsegmenten in Abhängigkeit von der jeweiligen Skalierung: Die Ausprägungen kategorialer und ordinaler Prädiktoren bilden Kategorien sui generis (beispielhaft dargestellt links in Abbildung 3). Metrische Daten werden in Segmente gleicher Fallanzahl „kategorisiert“ (rechts in Abbildung 3). Bei ordinalen und metrisch skalierten Prädiktoren können im weiteren Verlauf nur Kategorien mit angrenzenden Ausprägungen (z.B. Alter 20–25 und 25–30) zusammengelegt werden. Für nominale Prädiktoren gilt dies nicht. Hier sind beliebige Kategorienkombinationen zulässig.

185

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Abbildung 3: Beispielhafte Abgrenzung der Anfangskategorien bei CHAID

Ausprägung

Subsegment i Anzahl ni

Nominaler Prädiktor: Familienstand

Metrischer Prädiktor: Kreditnehmeralter

Ausgangssegment

Ausgangssegment

n = 1.000

n = 1.000

ledig

verheiratet

geschieden

sonstige

≤ 27 Jahre

28-33 Jahre

34-39 Jahre

40-48 Jahre

> 48 Jahre

1

2

3

4

1

2

3

4

5

150

500

300

50

200

200

200

200

200

CHAID führt jene Kategorien eines Prädiktors, die sich mit Blick auf die Zielvariable am wenigsten unterscheiden und folglich „in einen Pool“ gehören, zusammen. Paarweise werden alle möglichen Kategorienkombinationen anhand des χ2-Unabhängigkeitstests nach Pearson über 2x2-Kontingenztabellen auf die Null-Hypothese (H0) hin überprüft, ob die Verteilungen der Zielgröße in den zwei betrachteten Kategorien des Prädiktors voneinander unabhängig sind (vgl. Kaltofen 2006, S. 142). Maß für die Gültigkeit der Unabhängigkeitsannahme ist das aus dem empirisch gemessenen Testwert χ2emp abgeleitete (1-α)-Fraktil der χ2-Verteilung, die sogenannte empirische Überschreitungswahrscheinlichkeit der Nullhypothese. Wir verwenden hierfür im Folgenden die Bezeichnung „p-Wert“ (in Prozent). H0 wird verworfen, wenn p über dem vorgegebenen Grenzwert „alpha-to-merge“ (αmerge) liegt. In diesem Fall unterscheiden sich die zwei betrachteten Segmente nicht signifikant im Hinblick auf die Verteilung der PD und werden zusammengeführt. Unter allen so getesteten Kategorienkombinationen legt CHAID diejenige zusammen („Rekategorisierung“), die den größten p-Wert oberhalb von αmerge aufweist. Anschließend beginnt das paarweise Zusammenlegen für die verbliebenen Subsegmente von neuem. Erst wenn kein p-Wert mehr größer als αmerge gemessen wird oder genau zwei Kategorien verbleiben, endet das Zusammenlegen der Subsegmente eines Prädiktors. Nachdem dieser erste Prozessschritt für alle Prädiktoren separat durchlaufen ist, verbleibt je Prädiktor genau eine Kategorienkombination, die nun zur endgültigen Auswahl unter allen „Vorschlägen“ an den zweiten Prozessschritt, das Trennen, „übergeben“ wird. Mithilfe eines weiteren χ2-Tests für die verbliebenen (ggf. rekategorisierten) v Kategorien je Prädiktor sowie die stets zwei Kategorien guter und schlechter Kredite der Zielvariablen sucht CHAID nun nach der trennschärfsten Variante aus allen „Vorschlägen“. Aus der v×2-Kontingenztabelle wird je Prädiktor der Bonferroni-angepasste p-Wert p* der Testgröße χ2emp* berechnet. Existieren p*-Werte kleiner als ein vorgegebenes „alpha-to-split“ (αsplit), wird der „Vorschlag“ mit dem geringsten p*-Wert zur tatsächlichen Segmentierung in die im ersten Prozessschritt ermittelten Kategorien herangezogen, andernfalls liegt ein Endknoten vor.

186

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Der Algorithmus beendet die Suche nach infrage kommenden Teilsegmenten, sobald vom Anwender gesetzte Abbruchkriterien erreicht werden (hier: αmerge = αsplit = 0,01; Mindestgröße der Endpools von 1,5% der Lerndaten; maximal drei Segmentierungsebenen). Damit entsprechen wir der bankaufsichtlichen Mindestanforderung, in jedem Pool genügend Datensätze für valide statistische Ergebnisse vorzuhalten.

3 Ein Lösungsansatz vor dem Hintergrund der CRR 3.1 Struktur und Umfang der Datenbasis Wir demonstrieren das im vorangegangenen Kapitel aufgezeigte Vorgehen anhand von rund 1,1 Mio. realen Datensätzen von Konsumentenkrediten zur Kfz-Finanzierung eines deutschen Kreditinstituts.2 Die Ausprägungen der unabhängigen Kennzahlen (Prädiktoren) sind jeweils am 01.01., der Ausfallstatus (Zielgröße) am 31.12. desselben Jahres erhoben worden. Jeder Datensatz entspricht einem Kreditvertrag und wird durch insgesamt 60 Kennzahlen (Longlist) aus verschiedenen Informationsbereichen beschrieben. Jeder Kreditvertrag kann mehrfach an den entsprechenden Stichtagen (31.12.t1/t2/t3) mit seinen dann gültigen Merkmalsausprägungen berücksichtigt sein. Abbildung 4: Erhebungsstichpunkte (t) zum 31.12. eines Jahres (= 1.1. des Folgejahres) und -zeiträume (T)

Erhebungsstichpunkte

t1

t0

t2

t3 Jahre

1-Jahres Zeiträume

2

T1

T2

T3

Die hier eingesetzten Kreditdaten sind an vier Zeitpunkten t0, t1, t2 und t3 jeweils zum 31.12. erhoben und decken so drei jeweils einjährige Zeiträume T1, T2 und T3 ab (siehe Abbildung 4). Die in der CRR geforderte fünfjährige Datenhistorie war zum Erhebungszeitraum in der Referenzbank nicht abrufbar. Die Daten entstammen einem früheren Praxisprojekt der Autoren (vgl. Kaltofen/Paul/Stein, 2007). Insofern spiegeln die Daten nicht den aktuellen Risikostatus des Kreditgeschäftes der Referenzbank. Dies ist für den vorliegenden Beitrag ohnehin nicht entscheidend: Die historischen Daten dienen vielmehr dazu, eine innovative Methode zur Messung und zum Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio im Sinne einer Best-Practice-Fallstudie anhand realer Kreditdaten anschaulich zu machen. Sofern die damals erhobenen Daten noch nicht die Anforderungen der CRR erfüllen, erwähnen wir dies. Der von uns verfolgte methodische Ansatz bleibt davon in seiner Struktur jedoch unberührt.

187

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Bei den Krediten handelt es sich überwiegend um Kfz- sowie zu einem geringen Teil um nicht zweckgebundene Teilzahlungskredite. Alle Kredite qualifizieren sich für die Forderungsklasse Mengengeschäft gemäß der Artikel 147 (5) und 154 (1) CRR. 18% der Forderungen entfallen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und erfüllen die Anforderungen gemäß Art. 501 CRR. Die Risikogewichte für diese Kredite dürfen daher um den KMU-Entlastungsfaktor von 0,7619 vermindert werden.3

3.2 Definition „guter“ und „schlechter“ Engagements Die in Artikel 178 CRR genannten Indikatoren für den regulatorischen Ausfall eines Kreditengagements (z.B. Verbindlichkeit mehr als 90 Tage überfällig, Wertberichtigung oder Restrukturierung eines Engagements, Schuldnerinsolvenz, Forderungsverkauf mit Verlust, Zinsverzicht der Bank) greifen den Ausfall unterschiedlich spät (Feststellung der Schuldnerinsolvenz) respektive früh (Annahme seitens der Bank, dass ein Kreditnehmer seinen Verpflichtungen nicht in voller Höhe nachkommen wird und deshalb Buchung einer Wertberichtigung) ab, woraus mehr oder weniger konservative Schätzungen für die Ausfallwahrscheinlichkeit und damit letztlich der Eigenkapitalunterlegung resultieren. Damit ein Engagement als ausgefallen gilt, reicht die Erfüllung desjenigen Tatbestandes aus, der zuerst eintritt. In dieser Untersuchung wird ein Engagement nach 105 Tagen Zahlungsverzug als ausgefallen deklariert (Erreichen einer bankinternen Mahnstufe, die die Androhung der Kündigung des Engagements zur Folge hat, siehe Tabelle 1), weil Daten für den in Artikel 178 (1) b) CRR formulierten 90-tägigen Verzug zum Erhebungszeitpunkt nicht erfasst wurden. Die parallel durchzuführende Auswertung der übrigen Ausfallkriterien kann anhand der vorliegenden Daten nicht praktiziert werden. Einmal ausgefallene Kreditnehmer können nicht wieder als „geheilt“ registriert werden, auch wenn der Verzug aufgeholt wurde.

3

188

Art. 501 CRR regelt, dass die Eigenmittelanforderungen für das Kreditrisiko von nicht ausgefallenen Risikopositionen gegenüber KMU (gemäß EU-Definition 2003/361/EG vom 06.05.2003) mit dem Faktor 0,7619 multipliziert werden dürfen, sofern das Gesamtexposure des Kreditnehmers bei der Bank 1,5 Mio. EUR nicht überschreitet. Einerseits sind Teile der Forderungsklasse Mengengeschäft (wie hier die Kfz-Finanzierungen von Privatpersonen) damit von der Vergünstigung ausgenommen, andererseits gilt die Privilegierung von KMUKrediten über diese Forderungsklasse hinaus auch für Teile der Klasse Unternehmen.

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

3.3 Kennzahlen als Risikotreiber für die Generierung der Poollandschaft Für die Identifikation homogener Risikopools sollten sinnvollerweise Risikotreiber und sie beschreibende Kennzahlen aus verschiedenen Informationsbereichen in einer Gesamtschau analysiert werden. Inhaltlich werden solche Kennzahlen als Prädiktoren einbezogen, die (a) die in Artikel 170 (4) CRR mindestens zu berücksichtigenden Risikotreiber beschreiben (siehe Kapitel 1.1) oder (b) darüber hinaus ökonomischen Plausibilitätsüberlegungen entstammen. Auf formaler Ebene stellen wir zudem folgende Anforderungen: Beschränkung für Verhältniskennzahlen, deren Zähler und Nenner gleichzeitig negative Vorzeichen annehmen und damit positive Ausprägungen der Relation hervorbringen können; Mindestverfügbarkeit von eindeutigen Ausprägungen einer Kennzahl bei 99,5% aller Datensätze; maximal 98,5% identische Werte, um die Mindestvorgabe von 1,5% der Lerndaten je Endpool zu gewährleisten (siehe unten). Auf Basis dieser inhaltlichen und formalen Anforderungen verbleiben 10 Prädiktoren in der Shortlist, die folgenden vier Risikotreibern zugeordnet werden: (A) geschäftsspezifische Risikomerkmale, (B) schuldnerspezifische Risikomerkmale, (C) Verzugsstatus und (D) Vintage. Tabelle 1 und Tabelle 2 portraitieren die 10 Prädiktoren inhaltlich und statistisch. Auf eine aufwändige Korrektur von Ausreißerwerten einzelner Prädiktoren (siehe bspw. die Maximum-Werte in Tabelle 1 für „Alter des Kreditnehmers“ und „Beschäftigungsdauer“) wurde bewusst verzichtet: Der eingesetzte Klassifikationsalgorithmus setzt keine Schwellenwerte bei einzelnen extremen Ausprägungen einer metrischen Prädiktorvariablen; vereinzelte Ausreißer- und Extremwerte haben aufgrund der von uns geforderten Mindestgröße der Endpools in Höhe von 1,5% der Grundgesamtheit einen zu vernachlässigenden Einfluss auf das Segmentierungsergebnis. Eine Häufung von Extremwerten ließe sich zudem wegen der mit der Poollandschaft verbundenen Transparenz gut erkennen, so dass erforderlichenfalls entsprechende Vorkehrungen hätten getroffen werden können.

189

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Tabelle 1: Ökonomische Interpretation der Prädiktoren-Longlist Prädiktor

Interpretation

Alter des Kredits

Untersuchungsergebnisse von Auskunfteien zur Ver- und Überschuldung privater Haushalte zeigen, dass Kreditausfälle besonders häufig in den frühen Phasen der Kreditlaufzeit sind. Wir vermuten daher, dass Zahlungsstörungen zu Beginn der Kreditlaufzeit wahrscheinlicher sind als in späteren Phasen des Kreditzyklus. In der Studie messen wir das Alter der Kredite in Tagen.

Anzahlung

Die Höhe der Anzahlung (in Euro) ist ein Indikator für die Fähigkeit des Kreditnehmers, finanzielle Rücklagen zu bilden und ein Investitionsobjekt nicht ausschließlich über Fremdkapital zu finanzieren.

Beschäftigungsdauer

Bei natürlichen Personen impliziert eine lange Beschäftigungsdauer (in Monaten) eine tendenziell höhere finanzielle Stabilität.

Bürge

Diese binäre Kennzahl unterscheidet, ob ein Bürge für die Verbindlichkeiten des Kreditnehmers haftet. Das Vorhandensein eines Bürgen sollte die Ausfallrate reduzieren.

Finanzierungsobjekt

Es besteht die Annahme, dass mit abnehmender Werthaltigkeit eines Finanzierungsobjekts die Ausfallquote steigt. Daten von Auskunfteien zum Insolvenzgeschehen privater Haushalte belegen überdies für unterschiedliche Finanzierungsobjekte ebenso unterschiedliche Zahlungsbereitschaften. Dabei sinkt die Zahlungsbereitschaft mit abnehmender Relevanz des finanzierten Gutes für den privaten Kreditnehmer. Uns ist aufgrund der Datenlage allein eine kategoriale Unterscheidung in Neu- bzw. Vorführfahrzeuge sowie Gebrauchtfahrzeuge möglich.

Herstellersubvention

Bei zinsvergünstigten Finanzierungsangeboten seitens der Fahrzeughändler wird die Differenz zum marktüblichen Zinssatz vom Hersteller getragen. Diese Herstellersubvention (in Euro) wird auch bei Ausfall eines Kreditnehmers gezahlt. Es handelt sich hierbei also um eine Form der händlerseitigen Kreditsicherheit.

Kreditnehmeralter

Es besteht die Annahme, dass jüngere Kreditnehmer eine weniger gefestigte Einkommensposition als ältere haben. Bei Kleinunternehmen, die sich für das Retail-Segment qualifizieren, bezieht sich die Variable (in Jahren) auf das Firmenalter.

Kreditsaldo

Zu jedem Berechnungstermin für die Eigenkapitalunterlegung liegt die Höhe des ausstehenden Kreditsaldos (Euro) vor. Wir vermuten einen Einfluss der ausstehenden Kredithöhe auf das Ausfallereignis in Kombination mit der Konstellation anderer, zuvor genannter Prädiktoren (z.B. dem Finanzierungsobjekt).

Mahnstufenwechselzähler (MWZ)

Der MWZ indiziert die Stabilität der finanziellen Verhältnisse eines Kreditnehmers. Jede Änderung einer Mahnstufe (positiv wie negativ) wird aufsteigend gezählt. Ein MWZ = 0 zeigt an, dass der betreffende Kreditnehmer noch nie in Zahlungsverzug geraten ist; alle MWZ > 0, dass mindestens einmal eine Zahlungsstörung zu einer Mahnung geführt hat.

Positive SCHUFAMerkmale

Je mehr positiv gewertete SCHUFA-Merkmale über einen Kreditnehmer vorliegen (z.B. zurückgeführte Kredite), desto besser wird die Bonität vermutet.

190

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Für die Entwicklung eines im Hinblick auf das Ausfallereignis optimierten Segmentierungsansatzes werden aus den grundsätzlich geeigneten Prädiktoren der Shortlist nur diejenigen benötigt, mit deren Hilfe ausgefallene von nicht ausgefallenen Krediten statistisch valide voneinander getrennt werden können. Dazu erzeugen wir aus den genannten Erhebungszeitpunkten t0 bis t3 drei einjährige Betrachtungsperioden T1, T2 und T3 (siehe Abb. 4). Jeweils am Ende einer Betrachtungsperiode wird sodann für jedes Engagement der zugehörige Ausfallstatus (ausgefallen: ja/nein) festgestellt und dieser Information die Merkmalsausprägung der 10 Prädiktoren am Beginn der jeweiligen Periode hinzugefügt. Kredite, die zu den Jahresend-Stichtagen weniger als ein Jahr im Portfolio waren, werden ebenso von der weiteren Untersuchung ausgeschlossen wie bereits zu Jahresbeginn als ausgefallen markierte Datensätze („Clean PD-Ansatz“, vgl. Füser/Stetter, 2011, S. 1822). Der so definierte Gesamtbestand über die drei Perioden von insgesamt 412.757 Datensätzen dient als Input für den CHAID-Algorithmus zur Berechnung der in Kapitel 4.1 näher charakterisierten Poollandschaft. Tabelle 2: Statistische Eigenschaften der Prädiktoren-Longlist Prädiktor (Dimension)

Skala

Arithm. Mittel

Median (Modus)

Standardabweichung

Min

Max

(A) Finanzierungsobjekt (n/a)

N



(Alt-Kfz)







(A) Herstellersubvention (Euro)

K

181,47

0,00

384,47

0,00

8.170,44

(A/D) Kreditsaldo (Euro)

K

7.717,61

6.082,33

6.109,98

0,51

170.444,26

(B) Kreditnehmeralter (Jahre)

K

37,49

40,00

17,88

0,00

904,00

(B) Anzahlung (Euro)

K

2.585,13

1.733,28

3.025,22

0,00

117.523,51

(B) Beschäftigungsdauer (Monate)

K

86,03

57,00

95,60

0,00

2.207,00

(B) Indikator Bürge vorhanden (n/a)

N



(nein)







(B) Positive SCHUFAMerkmale (Stück)

K

2,27

2,00

2,33

0,00

9,00

(C) Mahnstufenwechselzähler (Stück)

K

2,03

0,00

6,18

0,00

100,00

(D) Alter des Kredits (Tage)

K

447,82

280,00

437,82

0,00

4.395,00

Skalen: K: kardinal/metrisch; N: nominal Risikotreiber: (A) Produktmerkmale, (B) Kreditnehmermerkmale, (C) Zahlungsverzug, (D): Vintage

191

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Tabelle 3: Eingangsdaten für den CHAID-Algorithmus Betrachtungsperiode Datensätze per 31. Dezember abzgl. weniger als 1 Jahr im Bestand abzgl. bereits als ,ausgefallen‘ markierte Summe

T1

T2

T3

Summe

288.793

320.536

484.366

1.093.695

–178.402

–202.150

–283.641

– 664.193

– 4.781

–5.483

– 6.481

–16.745

105.610

112.903

194.244

412.757

3.4 Berechnung der Verlustparameter Wir beginnen – separat für die einjährigen Betrachtungsperioden T1 bis T3 – mit der Ermittlung der (Ein-Jahres-) PD- und LGD-Werte für jeden einzelnen Pool. Dazu werden die in Tabelle 3 aufgeführten Kredite auf die erzeugten Pools (siehe Kapitel 4.1, Abb. 5) verteilt. Ausschlaggebend für die Befüllung der Pools sind die den Krediten am Beginn (01.01.) des jeweiligen Jahres zugeordneten Merkmalsausprägungen. Sodann werden in den Pools der Ausfallstatus der Kredite per 31.12. desselben Jahres überprüft und die Verlustparameter auf Poolebene quantifiziert. Wir ermitteln die prognostizierte 1-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) im Sinne der Artikel 4 (1) Nr. 54 sowie 180 (2) CRR als Verhältnis der während des Zeitraums von einem Jahr gemessenen Neu-Ausfälle zur Gesamtzahl aller Kredite eines Pools i zu Beginn der jeweiligen Betrachtungsperiode. Maßgeblich für die Höhe des EAD einer Position ist dessen IRBA-Positionswert. Gemäß Artikel 166 (1) CRR ist dies der Buchwert der hier betrachteten Kredite, der ohne Berücksichtigung etwaiger Kreditrisikoanpassungen bemessen wird. Wir setzen in der vorliegenden Untersuchung deshalb den EAD mit dem ausstehenden Kreditsaldo gleich. Zur Vermeidung von in Einzelfällen ökonomisch schwer interpretierbaren Größen versehen wir den EAD mit einem Floor von null: EAD = max(EAD; 0)

Der LGD quantifiziert die ökonomische Verlustquote bezogen auf den EAD, welche nach einem Kreditnehmerausfall unter Berücksichtigung von Diskontierungseffekten, Cash-In- und -Outflows sowie direkten und indirekten Kosten nach dem Ausfallereignis verloren wäre (Workout-Ansatz). Die von der Referenzbank übermittelten Daten lassen eine Schätzung der mittleren erwarteten Verlustquote LGDe auf Basis des EAD abzüglich diskontierter Netto-Cashflows von marktgängigen und werthaltigen Kfz-Sicherheiten (S), Herstellergarantien (G) und geleisteten Kapitaldiensten nach dem Ausfall eines Kreditnehmers (C) zu:

192

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

EAD – S – G – C LGD e = ------------------------------------ mit 10% ≤ LGD e ≤ 100% EAD

Diese Cashflows sind aus Vereinfachungsgründen nur bis zum jeweiligen Jahresultimo erfasst, um eine zeitnahe Berechnung der Verlustquote zu ermöglichen. Der LGD ist nach oben durch einen Cap von 100% und nach unten durch einen Floor von 10% begrenzt, um mindestens ausfallbedingte Prozesskosten kalkulatorisch abzudecken. Die Cashflows aus der Sicherheitenverwertung (S) sind konservativ geschätzt und leiten sich aus Abschreibungsmodellen auf der Basis von Kfz-Neupreisen ab. Die LGDe-Werte werden erst auf Basis der einzelnen ausgefallenen Kredite berechnet und dann jährlich auf Poolebene gemittelt. Aus den einzelnen Jahreswerten für die poolweisen PD- und LGD-Werte werden im nächsten Schritt die aufsichtlich vorgeschriebenen (Artikel 180 (2) und 181 CRR), mehrjährigen Langzeitdurchschnitte – wiederum auf Poolebene – berechnet. In unserer Untersuchung bestehen die so gemittelten Poolparameter PDi und LGD ei (mit i als Laufindex für die Kreditpools) aus je drei volumengewichteten Einzelwerten der Perioden T1 bis T3. Der Regulator verlangt indes nicht nur eine mittlere LGD-Schätzung ( LGD ei ), sondern außerdem eine konservativ geschätzte Abschwung-LGD ( LGD idownturn ), denn im Falle eines konjunkturellen Abschwungs wächst die Gefahr, dass im Verwertungsfall aufgrund von Marktstörungen auf den Sekundärmärkten der zugrunde gelegten Sicherheiten die effektiven Verlustquoten über die geschätzten Werte ansteigen. Institute müssen deshalb die mittleren LGD-Schätzungen dahingehend korrigieren, dass sie für einen wirtschaftlichen Abschwung („downturn“) angemessen sind (Artikel 181 (1) b) CRR. Insofern gilt: LGD downturn ≥ LGD ei . i

Als Wert für LGD idownturn eines einzelnen Pools i wird hier der jeweils höchste realisierte 1-Jahres-LGD-Wert ( LGDei ) der drei betrachteten Jahre herangezogen und pragmatisch um weitere 10% erhöht. Darüber hinaus ist für ausgefallene Kredite zu berücksichtigen, dass tatsächlich eingetretene Verluste die erwartete Abschwung-Verlustquote übersteigen können. Die Aufsicht fordert daher, dass der LGD in diesem Fall zusätzlich unerwartete Verluste widerspiegeln sollte, die die Bank während der Workout-Phase eventuell verbuchen muss. Für jeden einzelnen ausgefallenen Kredit muss die Bank ihre dann „beste Schätzung“ (Best Estimate, BE) der erwarteten Verlustquote (LGDBE), basierend auf der aktuellen wirtschaftlichen Lage und dem Verzugsstatus des Geschäfts, bilden (Artikel 181 (1) h) CRR).

193

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Eine positive Differenz zwischen der Abschwung-LGD und der besten Schätzung für die Verlustquote hat einen unerwarteten Verlust für bereits ausgefallene Forderungen zur Folge, der dann ebenfalls mit aufsichtlichem Kapital zu unterlegen ist.4 Wir operationalisieren diese Anforderung einer besten LGD-Schätzung aufgrund der kurz angesetzten Verwertungszeit nach einem Ausfall vereinfachend als den jeweiligen LGD-Pooldurchschnitt, also LGDBE = LGDei .

3.5 Berechnung der regulatorischen UL-Eigenkapitalanforderung Die so abgegrenzten Parameter gehen nun in die regulatorische Berechnung der Eigenkapitalunterlegung zum Bewertungsstichtag t4, welcher sich direkt an das Ende der letzten Erhebungsperiode T3 anschließt, ein. Die Eigenkapitalunterlegung bestimmt sich entsprechend der IRBA-Risikogewichtungsfunktion für das Mengengeschäft (Artikel 154 (1) CRR), den Vorschriften in Bezug auf die Behandlung des Parameters LGD (Artikel 164 CRR) sowie die Vorsorgeanforderung an den erwarteten Verlust (Artikel 158 und 159 CRR). Der auf den unerwarteten Verlust (UL) entfallende Teil der Eigenkapitalanforderung in Prozent des Positionswertes kgut eines einzelnen, nicht ausgefallenen Kredits g der UL,g Klasse „Mengengeschäft“ innerhalb des Kreditpools i berechnet sich danach in allgemeiner Form wie folgt: downturn mit k gut UL,g = 12,5 ⋅ KQ ⋅ SF ⋅ KMU ⋅ ( f [ PD i ] – PD i ) ⋅ LGD i –1

–1

 N ( PD i ) + ρ i ⋅ N ( 0,999 ) f [ PD i ] = N  ------------------------------------------------------------------- sowie 1 – ρi   1 – e ( – 35 ⋅ PD i ) 1 – e ( –35 ⋅ PD i-) - + 0,16 ⋅  1 – -----------------------------ρ i = 0,03 ⋅ ----------------------------- 1 – e ( – 35 ) 1 – e ( – 35 ) 

4

194

Gilt umgekehrt LGDdownturn > LGDBE hätte dies allein Auswirkungen auf den erwarteten Verlust des ausgefallenen Kredits.

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

mit:

g: Index über alle Kredite mit g = 1,…,G i: Index über alle Pools mit i = 1,…,I SF: Skalierungsfaktor 1,06, KQ: aufsichtliche Kapitalquote (8%; zuzüglich weiterer Puffer gemäß Stufenplan ab 2016), KMU: KMU-Ermäßigungsfaktor (gilt bereits ab 2014!): 0,7619 (der Faktor beträgt 1, sofern Artikel 501 (2) b) und c) CRR nicht greifen) PDi: prognostizierte Langzeit-Ausfallwahrscheinlichkeit von Pool i, f [PDi]: bedingte Ausfallwahrscheinlichkeit von Pool i, LGD idownturn : Downturn-Verlustquote für Pool i, ρ i : Assetkorrelation für „sonstiges Mengengeschäft“ in Pool i, N(x): Standard-Normalverteilungsfunktion, N–1(z): Inverse der kumulativen Standard-Normalverteilungsfunktion

Die benötigten PD- und LGD-Werte erhält man, indem die nicht ausgefallenen Engagements anhand ihrer an t4 geltenden Merkmalsausprägungen in die für sie bestimmten Pools i gefüllt und mit den Pool-Verlustparametern PDi und LGD idownturn für Kredite mit denselben Eigenschaften bewertet werden. Der PD-Langzeitdurchschnitt PDi wird in die zur Berechnung der UL-Eigenkapitalanforderung benötigte bedingte PD („f [PDi]“) gemäß der regulatorischen Risikogewichtungsfunktion (siehe oben) überführt. Zahlenbeispiel: Für einen Privatkundenkredit des Pools XYZ, für den eine PDXYZ von 0,5% und eine Downturn-LGDXYZ von 65% ermittelt wurden, ergeben sich entlang obiger Funktionen folgende Werte: 1 – e ( – 35 ⋅ 0,5%-) 1 – e ( – 35 ⋅ 0,5%-) + 0,16 ⋅  1 – ---------------------------------= 0,139 , ρ XYZ = 0,03 ⋅ --------------------------------- 1 – e ( – 35 ) 1 – e ( – 35 )  N – 1 ( 0,5% ) + 0,139 ⋅ N –1 ( 0,999 ) f [ PD XYZ ] = N  -------------------------------------------------------------------------------- = 0,0625 = 6,25% und 1 – 0,139 k gut UL,g = 12,5 ⋅ 10,5% ⋅ 1,06 ⋅ 1 ⋅ ( 6,25% – 0,5% ) ⋅ 65% = 5,20% .

195

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Für die EAD-gewichtete Aggregation der Einzelwerte der guten Kredite g über alle Pools i (mit i = 1,…,I) hinweg werden diese zunächst mit ihrem EAD multipliziert und dann ins Verhältnis zum Gesamt-EAD guter (g) und schlechter (s) Kredite gesetzt: gut Gg=1 kUL,g ⋅ EADg --------------------------------------------------------K gut = UL Gg=1 EADg + Ss=1 EADs

mit:

EADg: EAD eines nicht ausgefallenen Kredits g (mit g = 1,…,G) und EADs: EAD eines ausgefallenen Kredits s (mit s = 1,…,S).

schlecht eines ausgefallenen Kredits s als: Ferner ergibt sich die UL-Unterlegung k UL,s schlecht = SF ⋅ 12,5 ⋅ KQ ⋅ max ( LGD downturn – LGD BE ; 0 ) k UL,s i S

mit:

s: Laufindex der ausgefallenen Kredite mit s = 1,…,S, LGD idownturn : Downturn-LGD des korrespondierenden Pools i, LGD SBE : beste Schätzung der Verlustquote nach dem Ausfall von Kredit s.

Über alle Ausfälle s gerechnet beträgt die kumulierte UL-Kapitalanforderung folglich: schlecht Ss=1 kUL,s ⋅ EADs schlecht = --------------------------------------------------------K UL Gg=1 EADg + S EADs s=1

Aufgrund der einheitlichen Normierung auf den Gesamt-EAD (im Nenner) stellt die gut und K schlecht sodann die gesamte UL-Mindestkapitalanforderung für Summe aus K UL UL Risikopositionen in der IRBA-Forderungsklasse Mengengeschäft dar. Mit Blick auf den erwarteten Verlust wird davon ausgegangen, dass er durch verdiente Standard-Risikokosten abgedeckt ist. Dies ist in einer Nebenrechnung anhand der gebildeten Wertberichtigungen zu prüfen. Sind die gebildeten Wertberichtigungen kleiner als der erwartete Verlust (Wertberichtigungsfehlbetrag), muss die Bank diese Unterdeckung vom harten Kernkapital abziehen (Artikel 36 (1) d) CRR). Im Fall eines Wertberichtigungsüberschusses kann die Bank diesen bis zu einer von der Aufsicht festgelegten maximalen Höhe von 0,6% der Kredit-RWA im Ergänzungskapital anrechnen (Artikel 62 d) CRR).

196

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

4 Ergebnisse der empirischen Auswirkungsstudie 4.1 Statistische und inhaltliche Interpretation der gefundenen Poollandschaft Der CHAID-Algorithmus segmentiert das Referenzportfolio in insgesamt 46 Risikopools; davon sind 31 Endpools. Abbildung 5 zeigt die Anordnung der drei Segmentierungsebenen im erzeugten Klassifikationsbaum, aus dem die in den Ergebnistabellen 4 und 5 verwendeten Nummerierungen aller 46 Pools hervorgehen. Die mit Abstand größte Trennschärfe besitzt der Prädiktor „Mahnstufenwechselzähler“ (ersichtlich am höchsten Testwert χ2emp* in Tabelle 4), gefolgt von „Beschäftigungsdauer“ und dem „Alter des Kredits“. Ferner wählt CHAID auf der dritten Segmentierungsebene (ab Ausgangssegment Nr. 5) auch die Prädiktoren „Anzahlung“, „Finanzierungsobjekt“ und „positive SCHUFA-Merkmale“ aus. Tabelle 4 listet zu allen Trennschritten den jeweils herangezogenen Prädiktor ergänzt um den gemessenen Testwert χ2emp*, die daraus ableitbare statistische Signifikanz p*, Anzahl und Bezeichnungen der Nachfolgerpools sowie die entsprechenden Prädiktorintervalle der Pools. Abbildung 5: Berechneter Klassifikationsbaum Ursprungssegment (Pool Nr. 0) (412.757 Datensätze) Mahnstufenwechselzähler (MWZ)

18

1

2

3

4

Beschäftigungsdauer

Beschäftigungsdauer

Alter des Kredits

Alter des Kredits

5

6

7

8

9

10

12

13

Anzahlung

Anzahlung

Anzahlung

Anzahlung

Anzahlung

Fin.objekt

Anzahlung

Anzahlung

Besch.pos. pos. dauer SCHUFA SCHUFA

22

24

35

37

39

41

19

20

21

23

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

36

11

38

15

14

40

42

43

16

44

45

17

46

197

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Tabelle 4: Charakteristika der Trennungen Ausgangspool Nr. 0

Nachfolgerpools Prädiktor Mahnstufenwechsel

Nr. 1–4

χ²emp* 33.672

1

Beschäftigungsdauer

5–10

1.016

2

Beschäftigungsdauer

11–12

127

p*

Prädiktorintervalle

< 10

–4

0; 1; 2–5; > 5

< 10

–4

0; 1–25; 26–40; 41–78; 79–215; > 215 & „missing“

< 10 –4 < 10

–4

25; > 25 & „missing“ ≤ 280 Tage; > 280 Tage

3

Alter des Kredits

13–14

1.336

4

Alter des Kredits

15–17

337

< 10 –4

0–559 Tage; 560–1.028 Tage > 1.028 Tage

5

Anzahlung

18–21

110

< 10 –4

0; 1–12.557 EUR; 2.558–6.340 EUR

6

Anzahlung

22–23

155

< 10 –4

0–1.023 EUR; > 1.023 EUR

–4

0–1.733 EUR; 1.733 EUR

7

Anzahlung

24–25

98

< 10

8

Anzahlung

26–30

187

< 10 –4

0 EUR; 1–1.023 EUR; 1.024–2.557 EUR; 2.558–4.551 EUR; > 4.551 EUR

9

Anzahlung

31–34

213

< 10 –4

0–511 EUR; 512–1.733 EUR; 1.734–3.068 EUR; > 3.068 EUR

10

Finanzierungsobjekt

35–36

38

< 10 –4

Gebrauchtwagen; Neuwagen

54

< 10

–4

0–1.733 EUR; > 1.733 EUR

< 10

–4

0–511 EUR; > 511 EUR

–4

40 Monate; > 40 Monate & „missing“

12 13

Anzahlung Anzahlung

37–38 39–40

54

14

Beschäftigungsdauer

41–42

78

< 10

15

Positive SCHUFA

43–44

58

< 10 –4

0 Einträge; > 0 Einträge

34

–4

0 Einträge; > 0 Einträge

16

Positive SCHUFA

45–46

< 10

Die Testwerte χ2emp* für die vorgenommenen Trennungen sind bei der erzeugten Poollandschaft aufgrund der stets kleiner 10–4 (= 0,0001) betragenden p*-Werte statistisch höchst signifikant, die Ergebnisse damit äußerst robust. Um eine Grundlage zu geben für die ökonomische Interpretation der gefundenen Lösung, füllen wir alle 412.757 Fälle der Entwicklungsstichprobe entsprechend der zugewiesenen Merkmale in die 31 Endpools und messen auf Poolebene die ausfallgewichteten PD- und

198

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

mittleren LGD-Werte (Tabelle 5).5 Die Poollandschaft weist keine unverhältnismäßige Konzentration in den Pools auf. Jeder Endpool umfasst mindestens 1,5 und höchstens 8,1 Prozent aller 412.757 Datensätze der Entwicklungsstichprobe. Tabelle 5: Kreditverteilung und mittlere 3-Jahres-Verlustparameter aller 31 Endpools Datensätze

Datensätze

Pool i

absolut

relativ (%)

PD

LGDe

Pool i

absolut

relativ (%)

PD

LGDe

11

6.700

1,6%

5,52%

26,96%

32

16.631

4,0%

0,69%

28,01%

17

11.655

2,8%

14,06%

30,82%

33

20.299

4,9%

0,40%

22,67%

18

15.427

3,7%

2,13%

32,04%

34

33.408

8,1%

0,23%

23,83%

19

19.557

4,7%

1,47%

22,09%

35

12.773

3,1%

0,69%

27,64%

20

24.433

5,9%

1,14%

22,15%

36

22.393

5,4%

0,25%

29,47%

21

10.376

2,5%

0,69%

19,96%

37

8.721

2,1%

3,31%

26,94%

22

12.408

3,0%

3,80%

35,30%

38

6.409

1,6%

1,42%

23,82%

23

13.273

3,2%

1,36%

24,48%

39

6.350

1,5%

19,61%

35,39%

24

15.848

3,8%

2,16%

32,94%

40

6.555

1,6%

14,72%

23,10%

25

13.885

3,4%

0,76%

20,64%

41

8.330

2,0%

6,78%

27,33%

26

12.596

3,1%

1,83%

37,63%

42

13.120

3,2%

4,05%

26,68%

27

8.805

2,1%

1,35%

28,17%

43

6.570

1,6%

24,96%

26,88%

28

10.903

2,6%

0,89%

25,31%

44

9.061

2,2%

19,87%

28,92%

29

12.190

3,0%

0,58%

26,11%

45

7.441

1,8%

17,81%

25,86%

30

11.581

2,8%

0,27%

20,51%

46

8.557

2,1%

14,43%

28,84%

31

26.502

6,4%

1,11%

35,84%

Ausgehend von der Ausfallrate des Ursprungsknotens in Höhe von 3,64% bringt die Segmentierung homogene Endpools mit entweder wesentlich kleineren oder größeren PDs hervor (Tabelle 5): Die gemessenen PDs betragen zwischen 0,23% (Pool Nr. 34) und 24,96% (Pool Nr. 43). Bei den mittleren LGDs wurden Werte zwischen 19,96% (Pool Nr. 21) und 37,63% (Pool Nr. 26) ermittelt. Pool Nr. 21 – ein Pool mit einer sehr niedrigen PD von 0,69% und gleichzeitig dem niedrigsten LGD (19,96%) – enthält beispielsweise Engagements, die noch nie Verzug aufwiesen (Ausgangspool Nr. 0, siehe Abbildung 5). Gleichzeitig sind diesem Pool kleine Geschäftskunden (die sich für die

5

Im nächsten Kapitel müssen wir am jeweiligen Stichtag 31.12.t1/t2/t3 auf die dann tatsächlich in den „Töpfen“ befindlichen Engagements abstellen und sie mit nach den Vorschriften der Bankenaufsicht berechneten Verlustparametern bewerten. Erst dann werden DownturnSzenarien für den LGD eingeführt.

199

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

IRB-Klasse Mengengeschäft qualifiziert haben), deren Beschäftigungsdauer demzufolge null beträgt (Ausgangspool Nr. 1) und die in das Intervall mit den höchsten Anzahlungen fallen (Ausgangspool Nr. 5). Der statistische Befund ist folglich auch ökonomisch nachvollziehbar. Im Gegensatz dazu ist Pool Nr. 39 ein Beispiel für eine besonders hohe PD/LGD-Kombination (19,61%/35,39%): Er enthält Kredite von Schuldnern mit bereits wiederholtem Zahlungsverzug (Ausgangspool Nr. 0) seit der erst kurzen Kreditlaufzeit von maximal 280 Tagen (Ausgangspool Nr. 3) und nur geringen Anzahlungsbeträgen von bis zu 511 EUR (Ausgangspool Nr. 13). Ausweislich Tabelle 4 werden die mindestens zu berücksichtigenden drei Risikotreiber bestätigt. Dennoch muss der aufsichtlich vorgeschriebene Risikotreiber „Verzugsstatus“ insofern zurückhaltend interpretiert werden, als ihn beschreibende Kennzahlen Gefahr laufen, eher den Charakter einer Bestandsdokumentation gefährdeter Engagements und weniger den einer Ausfallprognose zu besitzen. Gemäß Artikel 170 (4) c) CRR darf indes nur dann auf den Verzugsindikator verzichtet werden, wenn dem Regulator gegenüber nachgewiesen wird, dass der Verzugsindikator kein wesentlicher Risikotreiber ist. Dies ist hier jedoch offenkundig nicht der Fall. Die Referenzbank erhöht den Mahnstufenwechselzähler jeweils nach 14, 26, 42, 85 und 105 Verzugstagen. Ein Zurücksetzen der Verzugstage erhöht den MWZ ebenfalls, so dass ein einmal erreichter Zählerstand lediglich gleich bleiben oder sich nur erhöhen, nicht aber vermindern kann. Somit lässt sich (a) vom Zählerstand des MWZ nicht auf den aktuellen Verzugsstand rückschließen und (b) korrespondiert ein Zählerstand von fünf nicht zwangsläufig mit einem Ausfall des Kreditnehmers. Dies erklärt, weshalb von den Kreditnehmern in Pool Nr. 3 mit zu Jahresbeginn festgestellten MWZ-Werten zwischen 2 und 5 am Jahresende „nur“ 9,6% in den folgenden 12 Monaten ausgefallen sind. Die herangezogenen χ²-Tests identifizieren den MWZ als sehr trennscharfen Prädiktor, ohne dass damit automatisch Ausfälle lediglich „dokumentiert“ werden. Die separate Erfassung von Herauf- und Herabstufungen würde im Übrigen das gefundene Ergebnis nicht verbessern. Das Entscheidende ist die Stabilität der Kreditbeziehung im Zeitablauf, die über einen höheren bzw. niedrigeren MWZ-Wert beschrieben wird. Die Auswahl der Kennzahl „Alter des Kredits“ deckt sich mit Ergebnissen von Kreditagenturen zur Ver- und Überschuldung privater Haushalte. CHAID stellt die Trennschärfe der Kennzahl ausschließlich für Kredite mit bereits mindestens einer Unregelmäßigkeit im Zahlungsverhalten fest (MWZ > 1, Pools Nr. 3 und 4). In den nach „Alter des Kredits“ getrennten Segmenten finden sich die höchsten Ausfallraten nach 9 bis 19

200

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Monaten des Kreditlebenszyklus. Eine Erklärung dieser vergleichsweise früh eintretenden Zahlungsschwierigkeiten liegt möglicherweise im Rückgriff auf Ersparnisse zur Leistung der ersten Kapitaldienste, ohne die zu leistenden Kapitaldienste dem Haushaltseinkommen angemessen angepasst zu haben. Die Resultate stehen im Gegensatz zu dem in anderen Forderungsklassen (z.B. Unternehmen) zugrunde gelegten Zusammenhang, wonach längere Laufzeiten mit Zuschlägen bei der Risikogewichtung belegt werden. So beträgt beispielsweise die Ausfallrate von Engagements mit weniger als 19 Monaten verstrichener Laufzeit 17,13% (Pool Nr. 13), während sie für länger in den Büchern befindliche Kredite auf 5,11% zurückgeht (Pool Nr. 14). Mit zunehmender Kreditlaufzeit nimmt die Menge der über den Kreditnehmer verfügbaren Informationen kontinuierlich zu. Die kreditgebende Bank gewinnt im Laufe des Kreditlebenszyklus ein immer präziseres Bild über den Kreditnehmer, was eine effizientere Risikoanalyse ermöglicht. Zugleich steigt gegen Ende der Laufzeit die „Motivation“, den Kredit vollständig abzulösen.

4.2 Validierung der Trennschärfe Artikel 170 (3) CRR fordert den Nachweis, dass die gewählte Segmentierung bei der Zuordnung von IRBA-Positionen zu den Risikopools eine aussagekräftige Risikodifferenzierung gewährleistet sowie eine Gruppierung von hinreichend homogenen IRBA-Positionen sicherstellt und korrekte und konsistente Schätzungen von Verlustmerkmalen in den Risikopools ermöglicht. In unseren Lerndaten befinden sich lediglich 3,64% ausgefallene gegenüber 96,36% nicht ausgefallene Kreditnehmer. Für die Validierung der Lösung aus Kapitel 4.1 setzen wir daher Fehlklassifikationskosten für Fehler 1. Art in Höhe des Kehrwerts dieses Verhältnisses von 96,36% / 3,64% = 26,47 ein, während die Fehlerkosten 2. Art unverändert eins betragen. Die absoluten Fehlklassifikationen sowie die Fehlerquoten 1. und 2. Art fasst Tabelle 6 zusammen. Letztere belaufen sich auf 21,5 sowie 21,4%. Der fehlerkostengewichtete Durchschnittsfehler (fD) pro Klassifikation beträgt fD = 0,4133 ([3.234 •26,47 + 84.959 • 1] / 412.757). Wir validieren diese Resultate mithilfe einer 25-fachen Kreuzvalidierung. In diesem Zuge erhöht sich fD nur geringfügig auf 0,4146 bei einem Standardfehler von 0,003748. Somit liegt der fehlerkostengewichtete Durchschnittsfehler der Entwicklungsstichprobe deutlich im 95-%-Intervall um den kreuzvalidierten fD-Wert und kann als ausreichend stabil ohne Tendenz zu einem Overfitting der Lösung angesehen werden.

201

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Tabelle 6: Fehlklassifikationsmatrix für die gefundene Lösung realisiert (absolut)

vorhergesagt

realisiert (in Spalten-%)

gut

schlecht

Summe

gut

schlecht

312.776

3.234

316.010

78,6%

21,5%

schlecht

84.959

11.788

96.747

21,4%

78,5%

Summe

397.735

15.022

412.757

100,0%

100,0%

gut

Ferner messen wir die Trennschärfe auf jeder der drei Segmentierungsebenen ausgehend vom Ursprungssegment (Pool Nr. 0) anhand der Area-Under-Curve (AUC, vgl. Tasche, 2005). Im Falle einer perfekten Segmentierung beträgt AUC 100%, bei Zufallsmodellen 50%, bei realistischen Modellen rangiert AUC zwischen beiden Werten. Eine höhere Trennschärfe korrespondiert also mit höheren AUC-Werten. Wir machen zusätzlich von der Möglichkeit Gebrauch, die Verlässlichkeit dieser Maßzahl anhand des MannWhitney-U-Tests (MWU-Test) statistisch zu untermauern. Je geringer der aus dem MWU-Testwert abgeleitete p-Wert ist, desto verlässlicher ist der betrachtete AUC-Wert anzusehen. Als Höchstwert für den empirischen p-Wert des MWU-Tests geben wir die Signifikanz α = 0,01 vor. Ausgehend vom Ursprungssegment (Ebene 0) mit einem AUC-Wert von 50% steigt die Trennschärfe mit jeder zusätzlichen Segmentierungsebene bis auf einen sehr guten AUCWert von 84% auf der dritten und letzten Ebene des CHAID-Baumes (Tabelle 7). Die aus den gemessenen MWU-Testwerten abgeleiteten p-Werte von jeweils kleiner 0,001 sichern die hohe Signifikanz des Ergebnisses statistisch ab. Tabelle 7: Gemessene Trennschärfe über die Ebenen der Poollandschaft

Area-Under-Curve p-Wert für MWU-Test

202

Ebene 0

Ebene 1

Ebene 2

Ebene 3

50,0%

79,3%

82,8%

84,0%

< 0,001

< 0,001

< 0,001

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

5 Zusammenhang zwischen Trennschärfe und regulatorischer Eigenkapitalanforderung Für die so validierte Poollandschaft untersuchen wir im Folgenden die Auswirkungen der zwischen den Segmentierungsebenen realisierten Trennschärfegewinne auf die Höhe des für das Kreditrisiko vorzuhaltenden regulatorischen Eigenkapitals für unerwartete gut und K schlecht ). Dazu wenden wir die Vorgaben der CRR auf den IstVerluste ( K UL UL Bestand von 484.366 Engagements der IRBA-Forderungsklasse „Mengengeschäft“ der Referenzbank am 01.01.t4 an. Als Schätzwerte für die prognostizierten Pool-PDs verwenden wir die Langzeitdurchschnitte der drei einjährigen Perioden von T1 bis T3 entlang der in Kapitel 3.4 und 3.5 dargestellten Anforderungen der CRR. Die sich ergebende Differenz zur Downturn-LGD resultiert in einer Kapitalanforderung schlecht = 0,09% für unerwartete Verluste für die ausgefallenen Kredite in Höhe von K UL bezogen auf den Gesamtpositionswert des Kreditportfolios. Tabelle 8: Regulatorische Kapitalanforderung für unerwartete Verluste per t4 Ebene 0

Ebene 1

Ebene 2

Ebene 3

gut nicht ausgefallen (K UL)

3,40%

3,13%

2,89%

2,78%

schlecht ausgefallen (K UL)

0,09%

0,09%

0,09%

0,09%

Summe

3,49%

3,23%

2,98%

2,88%

Einsparung pro Ebene

–7,9%

–7,8%

–3,7%

Einsparung kumuliert

–7,9%

–15,1%

–18,2%

Tabelle 8 zeigt deutlich: Je präziser es gelingt, mit der Bildung homogener Pools ausgefallene von nicht ausgefallenen Kreditnehmern zu trennen, ergo die Trennschärfe zu steigern, desto deutlicher lässt sich mit dieser Segmentierung die regulatorische UL-Eigenkapitalunterlegung für nicht ausgefallene Kredite senken. Die zunehmende Trennschärfe über die Ebenen reduziert die regulatorische Eigenkapitalanforderung für unterwartete Verluste des Referenzportfolios von 2,88% auf der dritten Ebene und damit um 18,2% im Vergleich zum Ursprungsknoten auf der Ebene 0 (3,49%). Beim Sprung zur jeweils nächst besser trennenden Ebene ist eine deutliche Verminderung der regulatorischen Eigenkapitalanforderung zu verzeichnen: Zunächst um 7,9% beim Übergang von Ebene 0 hin zu 1 sowie nochmals um 7,8% von Ebene 1 hin zu 2. Auf der Ebene 3 finden dagegen

203

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

elf Trennungen mit nur noch geringerer Trennschärfe statt, die zwar zu einer weiteren Verbesserung der Segmentierungsqualität führen, die Eigenkapitalunterlegung aber nur noch um 3,7% sinken lassen. Abbildung 6: Zusammenhang von Trennschärfe und UL-Kapitalanforderung Ersparnis gegenüber Zufallsmodell (AUC = 50%)

κ gutUL 7% 6%

100% LGD = 45 % PD im Ursprungspool: 10 %

90% 80%

5%

70% 60%

4% Ersparnis bei der Kalpitalanforderung (rechts)

50%

UL-Kapitalanforderung für nicht ausgefallene Kredite (links)

3%

40% 30%

2%

20% 1% 0% 100%

10% 0% 95%

90%

85%

80%

75%

70%

65%

60%

55%

50%

Area-Under-Curve (AUC)

Formal-mathematisch ursächlich für diesen Zusammenhang sinkender Kapitalanforderungen in Folge einer höheren Trennschärfe bei der Abgrenzung der PD nach homogenen Pools ist die mathematische Konstruktion der UL-Risikogewichtungsfunktion für das Mengengeschäft: Aufgrund ihres konkaven Verlaufs im PD-Bereich von 0 bis 100% lässt sich zeigen, dass eine höhere Trennschärfe bei der Poolabgrenzung ceteris paribus automatisch zu einer Entlastung der Kapitalanforderung führt.6 Dieser Effekt stellt sich (bis auf marginale Ausnahmen, siehe Kaltofen, 2006) unabhängig von der Ausfallrate des jeweiligen Ausgangssegments ein. Bezogen auf das Trennschärfemaß AUC wächst die Ersparnis bei der Kapitalanforderung mit jeder Erhöhung von AUC exponentiell an. Abbildung 6 visualisiert diesen Zusammenhang zwischen Trennschärfe und UL-Kapitalanforderung für nicht ausgefallene Kredite plastisch. Im theoretischen Fall einer perfekten Segmentierung in Pools mit nur noch ausgefallenen und nur noch nicht-ausgefallenen Kreditnehmern (AUC = 100%) beträgt die UL-Kapitalanforderung null. Zwar ist diese

6

204

Für eine ausführliche und kritische Analyse dieses Zusammenhangs vgl. Kaltofen, 2006.

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

Konstellation rein theoretischer Natur, doch bestehen für Risikomanager klare Anreize, dieser Idealsituation einer stabilen, möglichst hohen Trennschärfe so nahe wie möglich zu kommen. Unsere empirischen Befunde stehen somit im Einklang mit der eingangs geführten theoretischen Analyse. Der aufgezeigte Einspareffekt bei Erhöhung der Trennschärfe bestätigt die eingangs formulierte Hypothese „overall required capital will be lower if PD’s are estimated at a finer level of segmentation“.

6 Zusammenfassung Der Beitrag stellt einen innovativen Ansatz zur Umsetzung der in der CRR geforderten Gruppierung von Krediten der IRBA-Forderungsklasse „Mengengeschäft“ in homogene Kreditpools vor. Mit dem CHAID-Algorithmus wurde eine nicht parametrische Klassifikationstechnik genutzt, die nicht den Schwächen parametrischer Ansätze wie z.B. der von vielen Banken eingesetzten logistischen Regression unterliegt. In diesem Zusammenhang bestätigt die mit CHAID entwickelte Lösung, dass eine Verbesserung der Trennschärfe im Rahmen der Abgrenzung guter von schlechten Krediten in den geschaffenen Kreditpools die regulatorische Kapitalanforderung nachhaltig vermindert. – Allein die Klassifizierung der Kredite anhand trennscharfer Kennzahlen hat die UL-Kapitalanforderung der Referenzbank über die drei Segmentierungsebenen hinweg um gut 18% gesenkt. Verantwortlich für das geringe Niveau der regulatorischen Kapitalanforderung in dem überwiegend aus Automobilkrediten bestehenden Referenzportfolio ist die Kombination aus vergleichsweise niedrigen PD-Werten mit ebenso niedrigen LGD-Werten. In Übereinstimmung mit Fachveröffentlichungen in der Risikomanagementliteratur sowie mit Daten von Auskunfteien sind Kreditnehmer insbesondere bezüglich des Sicherungsgegenstandes Kfz hoch sensibilisiert. Die Sorge vieler Schuldner, den eigenen Arbeitsplatz durch Verlust ihres Kfz zu gefährden, führt zu einer Priorisierung der Kapitaldienste für den Kfz-Kredit zulasten anderer, subjektiv als weniger wichtig empfundenen Finanzierungsobjekte. Mit Blick auf die ebenfalls geringen LGDs reduziert die Verwertung der Kfz-Sicherheit die drohenden Verluste nach festgestelltem Kreditausfall. Die Praxis, KfzSicherheiten einzufordern, sowie das Vorhandensein funktionierender Sekundärmärkte tragen entscheidend dazu bei, dass die Recovery Rate im Durchschnitt bei 75% liegt. Zur Nutzung der aufgezeigten Einsparpotenziale beim regulatorischen Eigenkapital muss eine Bank ihren bereits existierenden Ratingprozess einer kritischen Analyse unterziehen. Sie muss sicherstellen, sowohl einen trennscharfen Segmentierungsalgorithmus einzusetzen als auch über einen möglichst vollständigen und breiten Bestand potenziell bonitätsrelevanter Daten zu verfügen, welche den in der CRR festgehaltenen Anforderungen genügen.

205

Daniel Kaltofen/Stefan Stein

Die Aufsicht überlässt den im Wettbewerb stehenden Banken die Fortentwicklung ihrer Risikomesssysteme. Sie selbst behält sich die Aufgabe eines „System-TÜVs“ vor. Im Zuge der qualitativen Aufsicht prüfen und genehmigen die Aufseher die Risikomess- und -managementsysteme jeder IRBA-Bank individuell. Ein in dieser Hinsicht maßgeblicher Anspruch an zukünftige Prüfungen wird die faire und gleiche Behandlung unterschiedlicher modi operandi zwischen den IRBA-Banken sein, denn ein „one-size-fits-all“-Vorgehen dürfte sich unter diesen Regulierungsanforderungen bis auf Weiteres nicht einstellen.

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206

Messung und Management von Kreditrisiken im IRBA-Retailportfolio

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207

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III in Europa Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

1 Abstrakt 2 Definitionen 2.1 Rolle, Verbriefung, Tranche, Wiederverbriefung 2.2 Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen 2.3 Wesentlicher und wirksamer Risikotransfer 3 Eigenkapitalunterlegung von Verbriefungen unter Basel III bzw. CRR 3.1 Ansätze und Hierarchien 3.2 Die einzelnen Ansätze und ihre Anwendungsgebiete 3.2.1 Ratingbasierter Ansatz 3.2.2 Aufsichtlicher Formelansatz 3.2.3 Interner Bemessungsansatz 3.2.4 Durchschau 3.3 Verbriefungen im Handelsbuch 4 Risikorückbehalt, Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen 4.1 Risikorückbehalt 4.2 Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen 4.2.1 Sorgfaltsprüfungen der Investoren 4.2.1.1 Prüfungshandlungen 4.2.1.2 Stresstests 4.2.2 Offenlegungs- und Kreditvergabepflichten für Sponsoren/Originatoren 4.2.2.1 Offenlegung 4.2.2.2 Kreditvergabekriterien 4.2.3 Implizite Kreditunterstützung 4.2.4 Offenlegungsanforderungen

209

5 Neuerungen in Bezug auf LCR, NSFR, Großkredit und Leverage Ratio 5.1 Liquidity Coverage Ratio (LCR) 5.1.1 Liquide Aktiva 5.1.2 Netto-Liquiditätsabflüsse 5.2 Stabile Refinanzierungsquote (NSFR) 5.3 Großkreditregime 5.4 Verschuldungsquote („Leverage Ratio“) 6 Zusammenfassung und Ausblick

210

1 Abstrakt Der vorliegende Artikel fasst die wesentlichen rechtlichen Anforderungen an Verbriefungen zusammen. Nach einer Einführung der wichtigsten Definitionen folgt eine Darstellung der Regeln zur Eigenkapitalunterlegung im Bank- und Handelsbuch. Im Anschluss wird auf zu erfüllende prozessuale Anforderungen an Verbriefungen eingegangen. Diese beinhalten Risikorückbehalts-, Sorgfalts- und Offenlegungspflichten. Das folgende Kapitel geht dann auf weitere von Verbriefungen beeinflusste regulatorische Kenngrößen eines Instituts ein. Dies sind die in Basel III neu geschaffenen Liquiditätsmesszahlen LCR und NSFR, die ebenfalls neue Leverage Ratio sowie das überarbeitete Großkreditregime. Den Abschluss des Artikels bildet ein Ausblick auf aktuell in Arbeit befindliche Regulierungsvorhaben.

2 Definitionen 2.1 Rolle, Verbriefung, Tranche, Wiederverbriefung Bei den an einer Verbriefung beteiligten Unternehmen werden drei unterschiedliche Rollen unterschieden:* Als Originator einer Verbriefung gelten Unternehmen, die entweder direkt oder indirekt an der Generierung der verbrieften Forderungen beteiligt waren oder diese auf eigene Rechnung gekauft und dann verbrieft haben. Im ersten Fall ist dabei unerheblich, ob die Generierung durch das Unternehmen selbst oder durch beteiligte Unternehmen erfolgt ist. Institute, die nicht als Originator gelten und ein Verbriefungsprogramm auflegen und verwalten, bei dem Forderungen von Dritten angekauft werden, gelten als Sponsor. Alle anderen beteiligten Unternehmen werden als Investor bezeichnet.** *

Artikel 4 Abs. 13 u. 14 CRR.

**

Darüber hinaus findet teilweise noch der Begriff des ursprünglichen Kreditgebers Anwendung. Dieser kann sich zum Beispiel dann vom Originator unterscheiden, wenn Forderungen von einem Dritten auf eigene Rechnung angekauft werden, welcher diese dann verbrieft.

211

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Verbriefung Art. 4 Abs. 61 CRR definiert eine Verbriefung anhand von vier Merkmalen:

a) Es existiert ein Pool von Risikopositionen, b) das Kreditrisiko dieses Pools wird in mehrere Tranchen unterteilt, c) die diesen Tranchen zugeordneten Zahlungen hängen von der Wertentwicklung des Pools ab und

d) die Rangfolge der Tranchen entscheidet während der Laufzeit über die Verteilung der Verluste des Pools

Tranche Eine Tranche ist definiert als ein vertraglich abgegrenzter Teil des Kreditrisikos des verbrieften Pools von Risikopositionen, der sich dadurch auszeichnet, dass er ein höheres oder geringeres Risiko trägt als andere Segmente, sprich Tranchen, dieses Pools.a a

Artikel 4 Abs. 67 CRR.

Das folgende Beispiel verdeutlicht dieses Prinzip: Forderungspool (Anteil des Kreditrisikos) Pool von Risikopositionen (100%)

Verbriefungstranchen (Anteil des Kreditrisikos) Tranche A (90%) Tranche B (5%) Tranche C (5%)

Das Kreditrisiko des Pools wird in mehrere Tranchen unterteilt. Die unterste Tranche C übernimmt das Risiko erster Verlust, in diesem Beispiel die ersten 5%. Erst wenn dieser Betrag überschritten ist, kommt es zu einer Leistungsstörung bei der darüber liegenden Tranche B. Fallen also z.B. genau 5% des Poolvolumens aus, so verliert der Halter der Tranche C sämtliche Zahlungsansprüche, während die Besitzer von Tranche A und B in ihren Ansprüchen nicht beeinflusst werden. Der Pool der Risikopositionen kann dabei aus Zahlungsansprüchen praktisch jedweder Art bestehen. Typisch sind beispielsweise Hypotheken (RMBS) oder Unternehmenskredite (CDO), aber auch exotischer Verbriefungen z.B. basierend auf Zahlungsansprüchen aus Film- oder Musikerlösen (Film ABS, „Bowie Bonds“) existieren. Enthält der Pool auch Forderungen, die selbst wieder Verbriefungen sind, gilt dies als Wiederverbriefung (Art. 4 Abs. 64). Beispiele dafür sind CDO², CDO³ und CDO of ABS.

212

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

2.2 Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen Bei einem durch einen Pool von Forderungen besicherten Kredit hängt die Rückzahlung an den Kreditgeber primär von der Bonität des Kreditnehmers ab. Nur falls dieser zahlungsunfähig ist, kommt es zu einer Verwertung des Pools als Sicherheit. Es ist sogar denkbar, dass der Pool zu einem gegebenen Zeitpunkt vollkommen wertlos wird (z.B. durch Ausfälle der enthaltenen Schuldner) und trotzdem keine Leistungsstörung beim Kreditgeber eintritt. Kriterium c) des vorangegangenen Abschnitts ist damit nicht erfüllt, weshalb diese Form der Finanzierung keine Verbriefung darstellt. Bei einer Spezialfinanzierung erfolgt die Finanzierung eines konkreten Objekts (z.B. eines Windparks) durch Erstrang- und Nachrangdarlehen, deren Rückzahlung durch die Erlöse des Objekts erfolgt. In diesem Fall liegt ein Pool von Risikopositionen vor, die Rückzahlung der Darlehen hängt direkt von der Wertentwicklung des Pools ab, und Erstrang- und Nachrangpositionen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Risikogehalts. Allerdings erfolgt die Verteilung der Verluste hier nicht während der Laufzeit der Finanzierung, sondern nach einer ausfallbedingten vorzeitigen Fälligstellung. Die Leistungsstörung gegenüber einem Gläubiger impliziert immer den simultanen Ausfall sämtlicher geschuldeter Positionen. Die Besserstellung der Erstranggläubiger erfolgt lediglich bei der Höhe des realisierten Verlusts durch deren primären Anspruch auf die Verwertungserlöse der Sicherungsmasse. Damit ist Kriterium d) nicht erfüllt, weshalb derartige Finanzierungen ebenfalls keine Verbriefungen darstellen. Die korrekte Definition von Transaktionen als Verbriefungstransaktionen ist von erheblicher Bedeutung für die darauf basierende Kapitalermittlung sowie Einhaltung der weiteren prozessualen Anforderungen an Verbriefungen. Im Erwägungsgrund 50 der CRR wird daher nochmals verdeutlicht, dass Risikopositionen aus einer direkten Zahlungsverpflichtung aus der Finanzierung oder dem Betrieb von Sachanlagen nicht als Verbriefungen gelten, selbst wenn die Zahlungsverpflichtungen unterschiedliche Ränge aufweisen.1

2.3 Wesentlicher und wirksamer Risikotransfer Damit ein Institut für die Eigenkapitalunterlegung eines verbrieften Portfolios auf die Regelungen des Verbriefungsregelwerks abstellen kann, ist es notwendig, einen wesentlichen und wirksamen Risikotransfer zu erreichen. Ist dieser gesichert, wird das verbriefte

1

Zum aktuellen Zeitpunkt sind weitere Ausführungen zur konkreten Ausgestaltung solcher Risikopositionen über eine an die EBA gestellte Q&A noch ausstehend.

213

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Portfolio von der Kapitalunterlegung ausgenommen und stattdessen auf die zurückbehaltenen Verbriefungspositionen abgestellt.2 Dies kann bei entsprechender Strukturierung zu einer Verminderung der institutsspezifischen Eigenkapitalanforderung führen. Ein Risikotransfer gilt als wirksam, wenn sichergestellt ist, dass mögliche Leistungsstörungen im Portfolio in jedem Fall durch die Verbriefungspositionen abgesichert sind und diese Sicherung rechtlich unanfechtbar und unwiderruflich ist. Die CRR definiert hierzu Kriterien, welche kumulativ zu erfüllen sind.3 So ist beispielweise sicherzustellen, dass keine Erheblichkeitsschwellen die effektive Übernahme von Risiken verhindern, oder dass die Besicherung bei adverser Portfolioentwicklung nicht kündbar ist. Zusätzlich muss die Durchsetzbarkeit der Besicherung durch ein qualifiziertes Rechtsgutachten bestätigt werden. Neben der Wirksamkeit des Risikotransfers ist sicherzustellen, dass ein wesentlicher Anteil des verbrieften Risikos an externe Parteien übertragen wird. Hierzu existieren vier Alternativen4: 1. Sämtlichen zurückbehalten Verbriefungspositionen wird ein Risikogewicht von 1250% zugewiesen; 2. es werden mehr als 50% der relevanten mezzaninen RWA ausplatziert; 3. Erbringung des Nachweises, dass die Summe der Positionen mit einem Risikogewicht von 1250% deutlich über einer begründeten Schätzung für den erwarteten Verlust des Portfolios liegen und gleichzeitige Ausplatzierung von mindestens 80% dieser Positionen, 4. der methodische Nachweis, dass die Verringerung der Kapitalanforderungen durch eine entsprechende Übertragung von Kreditrisiko an externe Parteien sichergestellt ist. Die einzelnen Alternativen verfügen über verschiedene Vor- und Nachteile. Verfahren 1 kann aufgrund der hohen Eigenkapitalbelastung der zurückbehaltenen Positionen nur zu einer Kapitalentlastung führen, wenn der überwiegend größte Teil aller Verbriefungspositionen ausplatziert wird. Der 2. Ansatz benötigt dagegen nur eine relativ geringe Ausplatzierung der verbrieften Nominale. Um einen wesentlichen Risikotransfer sicherzustellen, genügt es, mehr als 50% aller mezzaninen Tranchen auszuplatzieren (gemessen an ihrer RWA-Bindung).

2 3 4

214

Artikel 243, 244 CRR. Artikel 243 Abs. 5 und Artikel 244 Abs. 5 CRR. Artikel 243 Abs. 2 bis 4 und Artikel 244 Abs. 2 bis 4 CRR.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Maßgebliche mezzanine Tranchen sind dabei jene, welche weder ein Risikogewicht von 1250% erhalten noch höchstranging sind oder der Bonitätsstufe 1 bzw. 1-2 im KSA bzw. IRBA RBA zuzuordnen wären (vgl. Kapitel 3.1). Das 3. Verfahren ist nur anwendbar, wenn keine mezzaninen Tranchen existieren, d.h. typischerweise in einer Zwei-Tranchen-Struktur. Hierbei muss nachgewiesen werden, dass die Summe aller Tranchen, welche mit einem Risikogewicht von 1250% zu unterlegen sind, deutlich über den zu erwartenden Verlust des verbrieften Portfolios hinausgeht. Ist dies der Fall, so kann der wesentliche Risikotransfer durch Ausplatzierung von mindestens 80% dieser Positionen erreicht werden. Alternative 4 ist im Unterschied zu den vorangegangen Ansätzen weniger abhängig von regulatorischen Definitionen. Das Institut muss über geeignete Methoden nachweisen, dass die erzielte regulatorische Kapitalentlastung ökonomisch gerechtfertigt ist. Bei der Anwendung der verwendeten Methodik besteht grundsätzlich Wahlfreiheit, allerdings muss eine ausreichende Risikosensitivität sichergestellt werden. Weiterhin muss der ermittelte Risikotransfer auch innerhalb der internen Kapitalsteuerung berücksichtigt werden (Säule 2).

3 Eigenkapitalunterlegung von Verbriefungen unter Basel III bzw. CRR 3.1 Ansätze und Hierarchien Die Ansätze zur Berechnung der für die Kapitalunterlegung von Verbriefungen maßgeblichen Risikogewichte sind grundsätzlich hierarchisch aufgebaut. D.h. nur bei Nichtanwendbarkeit eines höherrangigen Ansatzes ist die Anwendung des nächstniederen Ansatzes zulässig. Es besteht damit kein freies Wahlrecht, was der Vermeidung von Regulierungsarbitrage dienen soll (sog. „Cherry-Picking“). Es existieren grundsätzlich zwei unterschiedliche Hierarchien: eine für Verbriefungspositionen, die dem internen ratingbasierten Ansatz zuzuordnen sind (IRBA) und eine für Verbriefungen im Kreditrisikostandardansatz (KSA). Die Zuordnung zu diesen Kategorien ist für jede Verbriefung eindeutig, hängt jedoch vom jeweiligen Institut ab. Maßgeblich ist hierbei, ob der überwiegende Anteil der verbrieften Forderung, wäre er nicht verbrieft, im jeweiligen Institut dem KSA oder dem IRBA zuzuordnen wäre.5 Diese Zuordnung hängt von der Verfügbarkeit zertifizierter IRBA-Ratingverfahren für unterschiedliche Forderungsarten ab.

5

Artikel 109 CRR.

215

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Die mehrheitliche Zuordnung des verbrieften Portfolios wird dann gemäß dem Akzessorietätsprinzip auf die Verbriefungsposition übertragen. Die folgende Übersicht stellt die beiden Hierarchien vereinfacht6 dar. Die enthaltenen Ansätze werden in den folgenden Abschnitten näher erläutert: IRBA

KSA

Ratingbasierter Ansatz

Ratingbasierter Ansatz

Interner Bemessungsansatz Aufsichtlicher Formelansatz 1250%

Durchschau 1250%

Die dargestellte Hierarchie ist prinzipiell für Verbriefungen im Anlagebuch definiert. Im Wesentlichen gilt diese unter Basel III jedoch auch für Verbriefungen im Handelsbuch. Auf Abweichungen in der Eigenkapitalunterlegung, die für Handelsbuchpositionen gelten, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels eingegangen.

3.2 Die einzelnen Ansätze und ihre Anwendungsgebiete 3.2.1

Ratingbasierter Ansatz

Der ratingbasierte Ansatz7 (Ratings Based Approach – RBA) steht sowohl im IRBA als auch im KSA an erster Stelle der Ansatzhierarchie. Die Eigenkapitalunterlegung hängt im Wesentlichen von der Bonitätsbeurteilung einer anerkannten externen Ratingagentur ab. Dabei wird jedes externe Rating zuerst einer Bonitätsstufe zugeteilt, welche dann über das Risikogewicht entscheidet. Diese Zuordnung ist nicht Teil der CRR, sondern wird separat von den Aufsichtsbehörden veröffentlicht und kann sich im Zeitverlauf ändern. Im IRBA spielen zusätzlich noch die Seniorität und die Granularität der beurteilten Position eine Rolle. Dadurch erhalten höchstrangige Tranchen und Transaktionen mit verbrieften Forderungen von effektiv mindestens sechs unterschiedlichen Schuldnern ceteris paribus niedrigere Risikogewichte (sog. granulare Forderungspools).

6

7

216

Darüber hinaus existieren noch einige Sonderregeln für bestimmte Ausnahmetatbestände. Diese sind jedoch primär historisch gewachsen und finden kaum noch Anwendung. Daher wird hier, mit Blick auf die Übersichtlichkeit der Darstellung, auf deren explizite Erwähnung verzichtet. Artikel 251 u. 261 CRR.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Außerdem erhalten sowohl im IRBA als auch im KSA Wiederverbriefungspositionen höhere Risikogewichte als vergleichbare einfache Verbriefungen. Diese Unterscheidung ist eine Reaktion auf die Finanzkrise, in der Wiederverbriefungspositionen signifikante Verluste erlitten.8 Die folgende Tabelle zeigt exemplarisch die Risikogewichte des IRBA RBA in Abhängigkeit der jeweiligen Einflussfaktoren: Tabelle 1 Bonitätsstufe

Verbriefung

Wiederverbriefung

Langfrist Rating

Kurzfrist Rating

Senior, granular

NonSenior, granular

Ungranular

Höchstrangig, Pool enth. keine Wiederverbriefung

Sonst. Wiederverbriefung

1

1

7%

12%

20%

20%

20%

2

8%

15%

25%

25%

40%

3

10%

18%

35%

4

12%

20%

40%

5

20%

35%

60%

6

35%

50%

100%

150%

60%

75%

150%

225%

7

2

50%

3

35%

65% 100%

8

100%

200%

350%

9

250%

300%

500%

10

425%

500%

650%

11

650%

750%

850%

Sonst.

1250%

Die für die Anwendbarkeit des RBA benötigten Informationen sind generell gut verfügbar, weshalb der Ansatz breite Anwendung findet. Dies gilt insbesondere für Institute, die als Investor aktiv sind und damit anders als Sponsoren und Originatoren nicht über detaillierte Informationen aus dem Strukturierungsprozess der Verbriefung verfügen.

8

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/ EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik (CRD III).

217

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3.2.2

Aufsichtlicher Formelansatz

Der aufsichtliche Formelansatz9 (Supervisory Formula Approach – SFA) ist ein formelbasierter Ansatz. Die SFA-Formel überträgt Kreditrisikoparameter des verbrieften Portfolios über eine stilisierte Verteilungsfunktion und unter Berücksichtigung der relativen Dicke und des verfügbaren Verlustpuffers einer Tranche in Risikogewichte für diese Position. Die verwendeten Parameter des verbrieften Portfolios sind die Summe aus der relativen Kapitalbindung des Portfolios und dem prozentualen erwarteten Verlust unter dem IRBA, wäre das Portfolio nicht verbrieft (KIRB-Ratio), die EAD-gewichteten LGDs (ELGD) und die effektive Anzahl im Portfolio verbriefter Schuldner (N). Darüber hinaus unterscheiden sich die Risikogewichte, falls das verbriefte Portfolio überwiegend aus Positionen, die dem Mengengeschäft zuzuordnen sind, besteht. Die relative Dicke einer Tranche (T) bestimmt sich als ihr Nominalwert geteilt durch die Summe der Nominalwerte aller verbrieften Forderungen. In ähnlicher Weise ergibt sich der relative Verlustpuffer (L) als die Summe der Nominalwerte aller zu dieser Position nachrangigen Tranchen im Verhältnis zum Nominalwert des verbrieften Portfolios. Dabei findet immer eine ganzheitliche Betrachtung der Struktur statt, es spielt für T und L keine Rolle, ob ein Institut eine Tranche vollständig oder nur anteilig hält oder ob sich die nachrangigen Tranchen ebenfalls im Besitz des Instituts befinden. Die durch die SFA ermittelten Risikogewichte verringern sich ceteris paribus mit fallender KIRB-Ratio oder ELGD, sowie bei steigenden Werten für N, T oder L. Die Anforderungen an die Schätzung der einzelnen Eingangsparameter sind sehr hoch. So müssen insbesondere die für die Berechnung von KIRB benötigten PDs und LGDs10 der verbrieften Forderungen den vollen Anforderungen eines zertifizierten Ratingverfahrens im IRBA für Nicht-Verbriefungen entsprechen. Die dafür benötigten Informationen sind für viele von Drittparteien strukturierte Verbriefungen oft nicht verfügbar. Daher findet der SFA vor allem für von Instituten originierten Eigenforderungen Anwendung. Institute, die als Sponsor direkt an der Verbriefung von Portfolien beteiligt sind, verfügen ebenfalls über zusätzliche Informationen, was die Anwendung des SFA in gleicher Weise begünstigen kann. Allerdings bedarf die Anwendung des SFA auf NichtOriginator-Positionen der vorherigen Zustimmung durch die Aufsichtsbehörden. Die

9 10

218

Artikel 262 CRR. Für angekaufte Forderungen existiert unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, nur eine Gesamt-PD und -LGD für das gesamte Portfolio zu schätzen.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

wesentlichen Vorteile des SFA sind das Entfallen externer Ratingkosten sowie die Unabhängigkeit von methoden- oder bonitätsbezogenen Ratingveränderungen. Dagegen ist der Ansatz, insbesondere für mezzanine Tranchen, sehr sensitiv gegenüber Schwankungen der zugrunde liegenden Portfolioparameter.

3.2.3

Interner Bemessungsansatz

Der interne Bemessungsansatz11 (Internal Assessment Approach – IAA) ist eine Sonderform des RBA. Für Liquiditätsfazilitäten in qualifizierten Asset-Backed-CommercialPaper-Programmen (ABCP Programme) ist es Instituten gestattet, eigene Ratingverfahren zu entwickeln und deren Ergebnisse analog zu Ratings externer Agenturen zu verwenden. Die Berechnung der Risikogewichte erfolgt dann analog zum RBA. Je nach Zusammensetzung des verbrieften Portfolios findet dabei der RBA des KSA oder des IRBA statt. Nach vorläufiger Interpretation der deutschen Aufsicht ist der KSA IAA nur bei reinen KSA-Underlyings zu verwenden, ansonsten gilt der IRBA IAA.12 Für Verbriefungstransaktionen in Multiseller-ABCP-Conduits lohnt sich die Beauftragung eines externen Ratings aus Kosteneffizienzgesichtspunkten oft nicht. Gleichzeitig ist die Informationsbeschaffung für die Anwendbarkeit des SFA oft schwierig. Daher findet der IAA in Multi-Seller-ABCP-Programmen breite Anwendung.

3.2.4

Durchschau

Für ungeratete Positionen besteht im KSA die Möglichkeit der Durchschau auf die Risikogewichte des verbrieften Portfolios13 (Look Through Approach – LTA). Dabei wird das Risikogewicht des Pools mit einem von der Seniorität der Tranche abhängenden Risikokonzentrationskoeffizient multipliziert. Dieser beträgt 1 für die höchstrangige Tranche und steigt dann an. Dies bedeutet, dass die höchstrangige Tranche das gleiche Risikogewicht wie das verbriefte Portfolio erhält. Aus Sicht der Kapitalunterlegung ergibt sich also durch die Verbriefung kein Vorteil. Diese Konservativität soll sicherstellen, dass der LTA lediglich als Rückfalllösung, zur Vermeidung eines ansonsten drohenden Kapitalabzugs, Anwendung findet. Eine Ersetzung des RBA als primären Ansatz zur Kapitalunterlegung im KSA soll vermieden werden.

11 12 13

Artikel 259 Abs. 4 CRR. Vgl. Protokoll Fachgremium ABS vom 26.02.2014. Artikel 253 CRR.

219

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

3.3 Verbriefungen im Handelsbuch Als Konsequenz der Finanzmarktkrise wurde die Eigenkapitalermittlung für Verbriefungspositionen im Handelsbuch erheblich angepasst. Hiernach ist die Kapitalermittlung für das spezifische Risiko von Verbriefungspositionen nicht mehr mittels der bankinternen Marktrisikomodelle möglich. Vielmehr ist zwingend die Anwendung eines Standardansatzes vorgesehen.14 Der Standardansatz entspricht im Wesentlichen den im Anlagebuch verwendungsfähigen Kapitalermittlungsmethoden. Abhängig von der Zusammensetzung des verbrieften Pools und der in der Bank verfügbaren IRBA-Ratingsysteme für den verbrieften Pool ist die Handelsbuchverbriefungsposition entweder nach dem im Anlagebuch verwendungsfähigen Kreditrisikostandardansatz (KSA) für Verbriefungen oder IRB-Ansatz (IRBA) für Verbriefungen zu behandeln. Bei der Anwendung des aufsichtlichen Formelansatzes können die Eingangsparameter (PD, LGD, Kirb des Pools) sowohl mittels zugelassener IRB-Systeme als auch über das zertifizierte Modell für Incremental Risk Charge (IRC) bestimmt werden. Voraussetzung hierfür ist die Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde.15 Ein wesentlicher Unterschied bei der Kapitalermittlung zwischen Anlage- und Handelsbuchpositionen ist die Möglichkeit der Nettopositionsbildung im Handelsbuch. Bei der Nettopositionsbildung können aktivisch und passivisch ausgerichtete Positionen in gleichen Verbriefungstranchen miteinander verrechnet werden, so dass die Kapitalermittlung anschließend auf der Nettoposition erfolgt. Bei Verbriefungspositionen werden im Wesentlichen Kreditderivate (CDS, TRS) zur Absicherung bzw. zum Aufbau von Verbriefungspositionen verwendet. Abhängig von dem Grad der Kongruenz zwischen dem Kreditderivat und der Wertpapierposition bzw. zwischen zwei gegenläufig ausgerichteten Kreditderivaten ist eine vollständige, teilweise bzw. keine Nettopositionsbildung möglich. Beispielsweise ist eine vollständige Verrechnung zwischen einem TRS und der gegenläufigen Wertpapierposition möglich, wenn eine exakte Übereinstimmung zwischen der Referenzverbindlichkeit und der Wertpapierposition besteht.16 Die ermittelten

14

15

16

220

Basel Committee on Banking Supervision: Revisions to the Basel II market risk framework, Februar 2011, Artikel 337 ff. CRR. Eine durch die EBA zu veröffentlichende Leitlinie hinsichtlich der notwendigen Voraussetzung bei Anwendung des IRC-Modells zur Bestimmung von PD und LGD ist zum aktuellen Zeitpunkt ausstehend. Artikel 327, 337, 346 CRR.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Kapitalanforderungen für aktivisch und passivisch ausgerichtete Verbriefungspositionen werden vorzeichenunabhängig addiert und ergeben den für das spezifische Risiko aus Verbriefung notwendigen Kapitalbetrag.17 Für Verbriefungspositionen, welche dem Korrelationshandelsportfolio zugeordnet werden, wird der Kapitalbedarf ebenfalls nach einem Standardansatz ermittelt oder durch ein durch die zuständige Behörde zugelassenes internes Modell.18

4 Risikorückbehalt, Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen In der Folge der Finanzmarktkrise wurden zum 31.12.2010 zusätzliche Regelungen für Verbriefungstransaktionen etabliert. Die Neuregelungen verpflichten den Anleger, vor Investition zu überprüfen, ob der Originator, Sponsor oder ursprüngliche Kreditgeber einen maßgeblichen Anteil des verbrieften Risikos zurückbehalten hat. Hiermit sollen die Anreize zwischen den Investoren und dem Originator, Sponsor oder ursprünglichen Kreditgeber angeglichen werden und etwaige Fehlanreize entsprechend des aus der Finanzmarktkrise bekannten „Originate-to-distribute“-Modells vermieden werden.19 Ansatzpunkt der Vorgaben in Artikel 404 ff. CRR ist im Wesentlichen der durch die CRR regulierte Investor, u.a. europäische Banken. Bei Nichteinhalten des Risikorückbehalts (eng. „Risk Retention“) ist es dem Investor nicht gestattet, in die Verbriefungsposition zu investieren, wodurch sich ein Ausstrahleffekt hinsichtlich des Risikorückbehalts auch auf außereuropäische Transaktionen ergeben soll. Weitere Vorgaben der Artikel 404 bis 410 CRR betreffen die Sorgfaltspflichten bei der Risikoanalyse sowie Offenlegungsanforderungen und Kriterien bei Kreditgewährung für den Originator bzw. Sponsor oder ursprünglichen Kreditgeber. Die erhöhten Anforderungen gelten für am bzw. nach dem 01.01.2011 emittierte Transaktionen. Für Verbriefungstransaktionen, die vor diesem Datum emittiert wurden, gelten Übergangsregelungen. Die Regeln der Artikel 404 bis 410 CRR sind auf vor 2011 initiierte Transaktionen erst dann anzuwenden, wenn ab 2015 neue Forderungen im Pool

17

18 19

Bis 31.12.2014 war nur der größere Betrag von aktivisch und passivisch ausgerichteten Positionen mit Kapital zu unterlegen (Artikel 337 Abs. 4 CRR). Artikel 338 und 377 CRR. Europäische Kommission: „Delegierte Verordnung zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Präzisierung der Anforderungen, denen Anleger, Sponsoren, ursprüngliche Kreditgeber und Originatoren in Bezug auf Risikopositionen aus übertragenen Kreditrisiken unterliegen“ (nachfolgend als „RTS zum Risikotransfer“ bezeichnet), Rdnr. 1.

221

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aufgenommen bzw. substituiert werden. Es bestehen Ausnahmen, wonach Veränderungen im Pool nicht als Substitution gelten. Dies umfasst beispielsweise den Austausch von Forderungen basierend auf bei Beginn der Transaktion in der Vertragsdokumentation definierten Kriterien (Verstoß der Forderungen gegen bestimmte Auflagen).20 Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass bereits der Austausch einer Forderung die Anwendung der Artikel 404 bis 410 CRR auslöst. Dies bedeutet insbesondere für bestehende MultiSeller-Conduits, dass bei Etablierung einer neuen Transaktion im gesamten Conduit auch sämtliche anderen bestehenden Transaktionen den Vorgaben zum Risikorückbehalt und den Sorgfaltspflichten ab diesem Zeitpunkt unterliegen.21

4.1 Risikorückbehalt Dem Investor ist die Investition in eine Verbriefungsposition nur erlaubt, sofern der Originator, Sponsor oder ursprüngliche Kreditgeber einen Selbstbehalt von mindestens 5% einhält. Der Begriff des „Originators“ als auch der des „Sponsors“ ist in Artikel 4 (13) und (14) definiert (vgl. Seite 1). In der CRR erfolgt jedoch keine Bestimmung des Begriffs des „ursprünglichen Kreditgebers“. Bei vielen Transaktionen besteht eine Übereinstimmung zwischen dem Originator und dem ursprünglichen Kreditgeber, nichtdestotrotz können beispielsweise bei Verbriefung von angekauften Portfolien Abweichungen bestehen. Bei diesen Transaktionen ist es auch möglich, dass der ursprüngliche Kreditgeber den Selbstbehalt vornimmt. Der Selbstbehalt ist nicht auf die genannten Parteien aufteilbar, sondern ist ausschließlich durch den Originator oder Sponsor oder ursprünglichen Kreditgeber zu halten. Gleichzeitig ist es möglich, dass der Rückbehalt bei Existenz von mehreren Originatoren bzw. Sponsoren bzw. ursprünglichen Kreditgebern durch diese entsprechend ihres Anteils vorgenommen wird. Eine Konzentration des Rückbehalts auf einen Originator bzw. Sponsor bzw. ursprünglichen Kreditgeber ist möglich, sofern er durch den Originator bzw. ursprünglichen Kreditgeber mit einem Anteil von mehr als 50% bzw. von demjenigen Sponsor mit der stärksten Interessensübereinstimmung mit den Investoren gehalten wird.22 Die Erfüllung des Selbstbehalts kann mittels verschiedener Alternativen erfolgen. Artikel 405 Absatz 1 Buchstabe a CRR ermöglicht den Rückbehalt über das Halten von mindestens 5% jeder an einen Investor übertragene Tranche. Hierzu äquivalent ist das Halten von mindestens 5% des Nominalwerts einer jeden verbrieften Forderung. Voraussetzung

20

21

22

222

Committee of European Banking Supervision: Guidelines to Article 122a of the Capital Requirements Directive, 31.12.2010, Rdnr. 133 ff. Committee of European Banking Supervision: Guidelines to Article 122a of the Capital Requirements Directive, 31.12.2010, Rdnr. 135. RTS zum Risikotransfer Artikel 3.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

hierfür ist die Gleichrangigkeit bzw. Nachrangigkeit dieser Position mit dem verbrieften Kreditrisiko. Im Rahmen von ABCP-Programmen kann der Risikorückbehalt auch durch eine Liquiditätsfazilität erreicht werden, sofern diese das gesamte Ausfallrisiko des verbrieften Portfolios übernimmt, so lange bereitgestellt wird, wie für eine Verbriefungsposition der Rückbehalt eingehalten werden muss, und die Liquiditätsfazilität durch den Originator, Sponsor oder ursprünglichen Kreditgeber bereitgestellt wird.23 Der Rückbehalt in Höhe von mindestens 5% der verbrieften Forderungen über den Originatoranteil bei Verbriefungen von revolvierenden Risikoposition stellt nach Artikel 405 Absatz 1 Buchstabe b CRR eine weitere Option dar. Die dritte Halteoption nach Artikel 405 Absatz 1 Buchstabe c CRR ermöglicht den Rückbehalt von mindestens 5% von Forderungen, welche bei Verbriefung Bestandteil des zu verbriefenden Portfolios gewesen wären. Voraussetzung hierfür ist, dass der diversifizierte Pool mindestens aus 100 Forderungen bestehen muss. Die Auswahl der Forderungen muss nach dem Zufallsprinzip erfolgen, hierbei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, u.a. geografische Verteilung, Branche, Produkte sowie Fälligkeit.24 Der Selbstbehalt der Erstverlusttranche ist eine weitere Möglichkeit nach Art. 405 Abs. 1 Buchstabe d CRR. Falls die Erstverlusttranche nicht ausreichen sollte, sind zusätzlich weitere Tranchen mit gleichem oder höherem Risikoprofil als die an die Investoren übertragenen Tranchen zurückzubehalten. Als Erstverlusttranche gelten auch Übersicherungen (z.B. bei ABCP Programmen) sowie eingezahlte Reservekonten, sofern diese Ausfallrisiken des Pools übernehmen.25 Als fünfte Option (Art. 405 Abs. 1 Buchstabe e CRR) ist es möglich, den Rückbehalt über das Halten einer Erstverlustposition jeder verbrieften Forderung im Pool zu halten. Der Risikorückbehalt wird zum Zeitpunkt der erstmaligen Verbriefung bestimmt und basiert auf Nominalwerten bzw. bei außerbilanziellen Geschäften auf bereits in Anspruch genommenen Beträgen, wobei diese bei Änderung anzupassen sind. Planmäßige Amortisationen sowie aufgetretene Verluste führen zu keiner notwendigen Anpassung des Selbstbehalts. Zu berücksichtigen ist, dass die Rückbehaltsoption über die Laufzeit der Transaktion unverändert bleiben muss und nur in Ausnahmefällen angepasst werden kann. Der zurückbehaltene Betrag darf nicht verkauft oder abgesichert werden (mit Ausnahme von Absicherungen, welche den Halter nicht gegen das Kreditrisiko absichern,

23 24 25

RTS zum Risikotransfer Artikel 5. RTS zum Risikotransfer Artikel 7. RTS zum Risikotransfer Artikel 8 i.V.m. Committee of European Banking Supervision: Guidelines to Article 122a of the Capital Requirements Directive, 31.12.2010, Rdnr. 57 f.

223

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aber zum Beispiel gegen Zins- und Währungsrisiken). Der Rückbehalt darf verwendet werden für Pensions- und Leihegeschäft, sofern das Kreditrisiko nicht übertragen wird.26 Ausgenommen von der Pflicht des Risikorückbehalts sind Transaktionen, welchen Forderungen zugrunde liegen, die von den folgenden Adressen geschuldet oder gewährleistet sind: • Zentralregierungen, Zentralbanken; • Regionalregierungen, örtliche Gebietskörperschaften und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Bereichs im Europäischen Wirtschaftsraum; • Institute mit einem KSA-Risikogewicht von 50% und weniger und • multilaterale Entwicklungsbanken. Ausgenommen sind zu einem bestimmten Umfang auch Korrelationshandelsportfolien nach Artikel 338 Absatz 1 Buchstabe b CRR.27 Eine weitere Ausnahme besteht hinsichtlich von zu Marktpflegezwecken dem Handelsbuch zugeordneten Verbriefungspositionen in einer dem Konzern angehörigen Einheit mit Sitz in einem Drittstaat, sofern der Umfang der Position immateriell ist.28

4.2 Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen Neben dem Risikorückbehalt betreffen weitere zentrale Vorgaben der CRR die Sorgfaltspflichten des Investors bei der Risikoanalyse29 sowie die Offenlegungsanforderungen gegenüber Anlegern und Kriterien hinsichtlich der Kreditgewährung durch den Originator bzw. Sponsor.30

4.2.1 4.2.1.1

Sorgfaltsprüfungen der Investoren Prüfungshandlungen

Voraussetzung für das Investment in Verbriefungspositionen seitens der Bank ist das Vorhandensein von angemessenen Risikomanagementprozessen. Diese dienen dazu, dass

26 27 28 29 30

224

Artikel 405 Abs. 1 CRR i.V.m. RTS zum Risikotransfer, Artikel 10 ff. RTS zum Risikotransfer, Artikel 13. RTS zum Risikotransfer, Artikel 2. Artikel 406 CRR. Artikel 408 und 409 CRR.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

die Bank bereits vor Eingehen der Verbriefungsposition ein umfassendes und gründliches Verständnis dieser hat. Neben der Risikoanalyse vor Kauf der Verbriefungsposition ist die Bank verpflichtet, eine Überwachung regelmäßig bzw. anlassbezogen für im Bestand befindliche Positionen durchzuführen. Die Analyse hat dabei folgende Punkte zu berücksichtigen: • Angaben des ursprünglichen Kreditgebers, Originators oder Sponsors zum Risikorückbehalt; • Risikomerkmale der einzelnen Verbriefungspositionen (u. a. Seniorität, Zahlungsprofil, Ratings, Wertentwicklung ähnlicher Tranchen, Subordination, Verpflichtungen basierend auf Vertragsdokumentation); • Risikomerkmale der verbrieften Forderungen (u.a. Wertentwicklung – Indikatoren sind entsprechend der einzelnen Forderungsklassen spezifisch zu bestimmen (z.B. RMBS: Anzahl der notleidenden und in Verzug befindlichen Forderungen, Sicherheit, vorzeitige Rückzahlung, Beleihungsquote), geografische und branchenspezifische Verteilung der Forderungen); • Reputation des Originators oder Sponsors hinsichtlich früherer Verbriefungen; • Angaben des Originators oder Sponsors hinsichtlich der Kreditvergabestandards bei Generierung der Forderung sowie eventuell bestehender Sicherheiten; • Methoden und Konzepte zur Bewertung von gegebenenfalls vorhandenen Sicherheiten; • strukturelle Merkmale der Verbriefung mit einem wesentlichen Einfluss auf die Wertentwicklung der Verbriefungsposition (u. a. Bonitäts- und Liquiditätsverbesserung, Ausfalldefinitionen). Bei Wiederverbriefungen ist die Analyse nicht nur auf Ebene der zugrundeliegenden Verbriefungstranche, sondern vielmehr auch für den dieser Verbriefungstranche zugrunde liegenden Pool durchzuführen.31 Hinsichtlich des anzuwendenden Umfangs der Sorgfaltspflichten bei Investition in eine Verbriefungsposition im Handelsbuch ist die Anwendung eines abweichenden Prozesses möglich. Die Abweichungen hinsichtlich des Umfangs und der Intensität der Sorgfaltspflichten können jedoch nicht allein durch die Zuordnung zum Anlage- oder Handelsbuch begründet werden. Vielmehr ist ein abweichender Prozess für Handelsbuchpositionen nur unter Berücksichtigung verschiedener Risikofaktoren möglich. Dies umfasst

31

Artikel 406 CRR.

225

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u.a. die Höhe der Verbriefungsposition, die Auswirkungen der Verbriefungspositionen auf die Kapitalanforderungen der Bank unter Anwendung von Stressszenarien und etwaige Konzentrationsrisiken eines Emittenten, einer Assetklasse sowie einer Transaktion.32

4.2.1.2

Stresstests

Investoren haben darüber hinaus regelmäßig Stresstests bezüglich ihrer gehaltenen Verbriefungspositionen vorzunehmen, wobei sie auf die Modelle der Ratingagenturen oder Dritter zurückgreifen können. In diesem Falle ist nachzuweisen, dass die Institute vor der Investition die Modelle validiert und die Methodik verstanden haben. Für den Fall eines Investments in ein ABCP-Programm, welches von einer Liquiditätslinie einer (Sponsor-)Bank unterstützt wird, die damit 100% des Kreditrisikos abdeckt, können die Investoren statt des ABCP auch die Liquiditätsbank dem Stresstest unterziehen.33

4.2.2 4.2.2.1

Offenlegungs- und Kreditvergabepflichten für Sponsoren/Originatoren Offenlegung

Damit Investoren ihren entsprechenden Sorgfaltsprüfungen nachkommen können, müssen sie die dafür erforderlichen Informationen vor einer Investmententscheidung erhalten. In Artikel 409 CRR werden daher Originatoren oder Sponsoren verpflichtet, alle wesentlichen relevanten Daten • über die Bonität und Wertentwicklung der einzelnen zugrunde liegenden Risikopositionen, • über Zahlungsströme und Sicherheiten einer Verbriefungstransaktion und • zur Durchführung von umfassenden und fundierten Stresstests zur Verfügung zu stellen. Diese Angaben sind mindestens einmal jährlich sowie in bestimmten Sonderfällen zu aktualisieren. Daten zu den zugrunde liegenden Risikopositionen müssen nur dann nicht auf Einzelkreditbasis bereitgestellt werden, wenn die Granularität hoch ist und sich die Forderungsverwaltung vorwiegend auf den Pool bezieht.34 Dies ist bei traditionellen

32 33 34

226

RTS zum Risikotransfer, Artikel 19. RTS zum Risikotransfer, Artikel 18 3. RTS zum Risikotransfer, Artikel 23 2(c).

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Multiseller-ABCP-Programmen, die beispielsweise Handels- und Leasingforderungen verbriefen, regelmäßig der Fall. Hier reichen demnach Portfolioangaben auf aggregierter Basis aus.

4.2.2.2

Kreditvergabekriterien

Darüber hinaus regelt Artikel 408 CRR, dass Sponsoren und Originatoren dieselben Kreditvergabekriterien für die verbrieften Forderungen anwenden müssen wie für ihre unverbrieften Kredite. Hierdurch wird eine adverse Selektion der verbrieften Forderungen ausgeschlossen. In Fällen, in denen ein Sponsor (oder Originator) die ursprünglichen Kredite nicht selbst vergeben hat und dies folglich nicht gewährleisten kann, muss der Sponsor anhand einer eigenen Due-Diligence-Prüfung beurteilen, ob die bei der Kreditvergabe angewendeten Kriterien so solide und klar definiert sind wie bei nicht verbrieften Krediten. Für Multiseller-ABCP-Programme, die Handels- oder Leasingforderungen verbriefen, bedeutet dies, dass sich der Sponsor ein Bild über die Forderungsgenerierung beim Verkäufer (z.B. einem produzierenden Unternehmen) machen und entsprechend festschreiben muss, dass dies in gleichem Maße auch für die zu verbriefenden Forderungen gilt. Dieser Umstand ist den Investoren anzuzeigen. Eine Offenlegung der Kriterien selbst hat jedoch nicht zu erfolgen. Dies würde ansonsten schützenswerte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des Verkäufers verletzen und ist daher nicht möglich.

4.2.3

Implizite Kreditunterstützung

Als außervertragliche Kreditunterstützung werden Handlungen durch den Originator oder Sponsor angesehen, welche über die ursprünglich vereinbarten vertraglichen Vereinbarungen hinausgehen. Hierbei wird die Übernahme von aktuellen oder potenziellen Verlusten durch die Investoren reduziert.35 Originatoren oder Sponsoren haben unter Umständen einen Anreiz, außervertragliche Kreditunterstützung bereitzustellen, um bei auftretenden Portfolioverlusten in einer Verbriefungstransaktion Investoren vor etwaigen Verlusten zu schützen und damit einen Reputationsschaden zu vermeiden.

35

Artikel 248 CRR.

227

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Als außervertragliche Kreditunterstützung sind beispielsweise anzusehen: • Rückkauf von verbrieften Forderungen mit verschlechterter Kreditqualität; • Rückkauf von verbrieften Forderungen über Marktpreisen; • Erhöhung einer durch den Originator zurückbehaltenen Erstverlustposition bei Verschlechterung des Forderungsportfolios; • Austausch von ausgefallenen verbrieften Forderungen gegen nicht leistungsgestörte Forderungen sowie der • Rückkauf von bei Investoren platzierten Verbriefungstranchen. Bei Vornahme von außervertraglichen Kreditunterstützungen signalisiert der Originator, dass die verbrieften Risiken weiterhin durch die Bank gehalten werden und gefährdet somit den signifikanten Risikotransfer. Im Gegensatz dazu sind Maßnahmen, die vertraglich vereinbart wurden, unschädlich. Wurden außervertragliche Kreditunterstützungen geleistet, sind mögliche Auswirkungen auf den signifikanten Risikotransfer zu berücksichtigen. Handlungen werden nicht als Kreditunterstützung angesehen, sofern sie zu marktüblichen Konditionen durchgeführt werden und die Regelungen zum signifikanten Risikotransfer berücksichtigt werden.36 Unabhängig von der Beurteilung einer durch den Originator oder Sponsor vorgenommenen Aktivität als außervertragliche Kreditunterstützung ist diese zwingenderweise Gegenstand des bankinternen Kreditprüfungs- und Genehmigungsverfahrens. Hierbei müssen die folgenden Faktoren berücksichtigt werden: • Rückkaufspreis; • Kapital- und Liquiditätssituation der Bank vor und nach Rückkauf; • Wertentwicklung der verbrieften Forderungen als auch der Verbriefungstranche sowie • Auswirkung der erwarteten Verluste beim Originator im Vergleich zum Investor. Zusätzlich zur Durchführung des Kreditprozesses sind die Transaktionen der zuständigen Aufsichtsbehörde anzuzeigen.

36

228

Eine durch die EBA zu veröffentlichende Leitlinie zur Konkretisierung von marktüblichen Konditionen sowie, wenn eine außervertragliche Kreditunterstützung nicht vorliegt, steht zum aktuellen Zeitpunkt noch aus.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Sofern die Bank die Vorschriften zum Verbot von außervertraglichen Kreditunterstützungen missachtet, wird der signifikante Risikotransfer für die jeweilige Transaktion aberkannt und eine Kapitalunterlegungspflicht für das zugrunde liegende Portfolio kommt zur Anwendung.

4.2.4

Offenlegungsanforderungen

Die Offenlegungsanforderungen im Verbriefungsgeschäft haben sich nach der Finanzmarktkrise deutlich erhöht. Im Folgenden wird ausschließlich auf die Anforderungen im Rahmen der dritten Säule aus Basel III bzw. der CRR Bezug genommen.37 Offenlegungen nach der neuesten Ratingagentur-Regulierung (CRA 3) sowie im Rahmen von EZB-Repogeschäften bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt. Im Rahmen der dritten Säule des Baseler Rahmenwerks (Offenlegungsanforderungen) sind durch die Banken qualitative als auch quantitative Angaben zu ihren Verbriefungspositionen vorzunehmen. Die zu veröffentlichenden Angaben sind grundsätzlich getrennt für Verbriefungspositionen im Anlage- und Handelsbuch vorzunehmen. Die qualitativen Angaben erläutern die durch das Institut betriebenen Verbriefungsaktivitäten als Investor, Sponsor und Originator. Zudem sind Angaben zum Risikomanagementprozess, der Rechnungslegung und der regulatorischen Behandlung zu veröffentlichen. Die quantitativen Angaben umfassen u.a. Informationen zur Höhe der Verbriefungspositionen, Kapitalanforderungen, angewendeten regulatorischen Ansätzen zur Bestimmung der risikogewichteten Aktiva, Angaben zur Portfolioqualität für Originator- und Sponsorpositionen sowie zum Umfang von verwendeten Kreditrisikominderungstechniken. Die Veröffentlichung der verbriefungsspezifischen Angaben erfolgt im Rahmen des aktuell jährlich zu erstellenden Offenlegungsberichts.38

5 Neuerungen in Bezug auf LCR, NSFR, Großkredit und Leverage Ratio Die CRR regelt neben Kapitalunterlegungsvorschriften und Prozessanforderungen auch Anforderungen an Verbriefungen hinsichtlich kurz- und langfristiger Liquidität, Großkrediten und Verschuldungsquote („Leverage Ratio“). Damit wird auf europäischer Ebene

37 38

Artikel 449 CRR. Artikel 431 ff CRR.

229

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

ein einheitlicher Regelungsrahmen geschaffen, der bisher in nationalen Grundsätzen oder Verordnungen (z.B. GroMiKV) verankert war oder – wie die Leverage Ratio – bisher gar nicht reguliert wurde.

5.1 Liquidity Coverage Ratio (LCR) Die Liquidity Coverage Ratio soll sicherstellen, dass ein Kreditinstitut die in einem Stressszenario zu erwartenden Netto-Liquiditätsabflüsse innerhalb der kommenden 30 Tage durch entsprechende Liquiditätsmittel decken kann (Art. 412 (1) CRR). • Liquide Aktiva müssen größer sein, als • „netto cash outflow“ der nächsten 30 Tage Verbriefungen können hierbei einerseits als zur Verfügung stehende Liquiditätsdeckung dienen, andererseits aber auch als Liquiditätszu- oder abfluss bewertet werden. Beide Funktionen zusammen können nicht durch dasselbe Instrument wahrgenommen werden.39 Banken haben ab 01.10.2015 einen Puffer an liquiden, hochwertigen Assets vorzuhalten. Das Vorhalten dieser liquiden Aktiva führt zu einem Kostenfaktor, da die Verzinsung derartiger Instrumente (z. B. Government Bonds) in der Regel unter dem Refinanzierungssatz der Banken liegt. Dies kann zu einer zusätzlichen Kostenbelastung z.B. bei ABCP-Programmen führen, da deren Liquiditätslinien unter bestimmten Bedingungen als netto cash outflow zu bewerten sind (Details siehe unten). Zudem dürften Verbriefungspositionen, die nicht als liquide Aktiva gelten, gegenüber liquiden (Verbriefungs-)Positionen Spread-Nachteile erfahren.

5.1.1

Liquide Aktiva

Die als Liquiditätsdeckungsmasse infrage kommenden Instrumente werden nach den Vorschlägen des BCBS40 in drei verschiedene Kategorien (1, 2A, 2B) gegliedert. Die EBA hat des Weiteren noch zusätzliche Bedingungen hinsichtlich Größenordnung und Laufzeit ergänzt.41 Die EU-Kommission hat diese Vorschläge wiederum leicht erweitert und

39 40

41

230

Art. 412 (2) CRR. BCBS „Basel III: The Liquidity Coverage Ratio and liquidity risk monitoring tools“ vom Januar 2013. EBA „Report on appropriate definitions of extremely high quality liquid assets …“ vom 20.12.2013.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

in einem delegierten Rechtsakt42 umgesetzt, welcher durch das EU-Parlament verabschiedet und ab 01.10.2015 gültig werden soll. Nachfolgende Tabelle zeigt den Stand hinsichtlich wesentlicher Anlageklassen gemäß dem vorgenannten Gesetzesentwurf der EU-Kommission: Tabelle 2 Min. Rating

Haircut

Min. Issue

ECAI 1



250m EUR

Central Bank Reserves







Jumbo Covered Bonds

ECAI 1

7%

500m EUR







ECAI 2

15%



Max. Maturity (WAL)

LEVEL 1: Extremely HQLA Sovereign Debt

Coins and Notes LEVEL 2A: HQLA Sovereign Debt geregelte Covered Bonds

ECAI 2*)

15%

250m EUR

Corporate Bonds

ECAI 1

15%

250m EUR

Supranationals

ECAI 1

15%



Local Governm. Bonds

ECAI 2

15%



Corporate Bonds

ECAI 3

50%

250m EUR

ungeregelte Covered Bonds

ECAI 1

30%

250m EUR

10 years

LEVEL 2B: HQLA

Shares senior RMBS/HQS (AutoABS, SME & consumer ABS) *) **) ***)

10 years

50% ECAI 1

25%/35%***)

100m EUR**)

5 years

ECAI 1 für CB aus Drittländern bezogen auf die Tranche 35% Haircut für SME & consumer ABS

Aktiva der Stufe 2 dürfen insgesamt höchstens 40% des HQLA-Bestands einer Bank ausmachen. Aktiva der Stufe 2B dürfen höchstens 15% des gesamten HQLA-Bestands einer Bank ausmachen.

42

„Commission Delegated Regulation … with regard to liquidity coverage requirement …“ vom 10.10.2014.

231

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Damit sind bestimmte Verbriefungen dann als Liquiditätsmittel nach Klasse 2B geeignet, wenn sie folgende Eigenschaften erfüllen (Aufzählung nicht vollständig): • True-Sale Verbriefung; • keine Wiederverbriefung, synthetische Struktur oder revolvierende Verbriefung43; • das Servicing erfolgt durch den Originator, ein Back-up-Servicing ist vertraglich vorgesehen; • der Originator ist eine vom Investor unabhängige, regulierte Institution; • Rating von AA– oder besser (ECAI 1); • nur Senior-Tranchen; • die underlying assets enthalten keine notleidenden oder ausgefallenen Forderungen; • nur für RMBS: u.a. Unterlegung durch erstrangige Grundschulden, durch nationale Aufsicht festgesetzte Loan-to-value-Restriktionen; • nur für Auto-Loans: u.a. Sicherungsübereignung der Fahrzeuge, durch nationale Aufsicht festgesetzte Loan-to-income-Restriktionen. Die Deckungsquote der liquiden Aktiva über die Liquiditätsabflüsse wird gemäß Art. 460 CRR ab 2015 stufenweise erhöht: • in 2015

60%

• in 2016

70%

• in 2017

80%

• ab 2018

100%

5.1.2

(ab 01.10.2015)

(ein Jahr vor den ursprünglichen Vorschlägen des BCBS)

Netto-Liquiditätsabflüsse

Neben der Funktion als HQLA können Verbriefungspositionen auch alternativ als (Brutto-)Zu- oder Abflüsse im Rahmen der Ermittlung von Netto-Liquiditätsabflüssen dienen.

43

232

Nach Artikel 4 (63), 424 (11) bzw. (13) CRR.

Darstellung der aktuellen Verbriefungsregeln nach Basel III nach europäischem Recht

Als Bruttozuflüsse können nach Art. 425 (2) CRR in Verbindung mit Tz. 155 BCBS 23844 unter anderem folgende Verbriefungspositionen infrage kommen, soweit diese nicht überfällig sind und kein Grund zu der Annahme besteht, dass sie nicht erfüllt werden: • ABCP, deren Fälligkeit innerhalb von 30 Tagen liegt; • vertraglich zugesicherte Zahlungen an Zins- und Tilgungsleistungen aus anderen ABS-Papieren, soweit diese innerhalb von 30 Tagen fällig sind und nicht gleichzeitig als Liquiditätsdeckungsmasse (HQLA) dienen. Alle Liquiditätszuflüsse dürfen mit höchstens 75% der Abflüsse angesetzt werden, so dass immer wenigstens 25% der (Brutto-)Abflüsse letztlich als Nettoabflüsse auch in die LCRBemessung eingehen und durch entsprechende liquide Aktiva gedeckt werden müssen. Bei den Bruttoabflüssen sind die zugesagten, aber nicht in Anspruch genommenen Liquiditätslinien aus ABCP-Programmen zu betrachten. Gemäß Art 424 CRR (1) sind diese Liquiditätslinien nur bis zur Höhe der innerhalb der nächsten 30 Tage fälligen CPs anzusetzen. Dieser Anteil ist nach Art. 424 (5) a) CRR mit 100% zu gewichten. Darüber hinaus sind nach Art. 424 (4) CRR weitere 10% der Beträge anzusetzen, • denen aktuell keine angekauften Assets gegenüberstehen und • die von Nicht-Finanzkunden45 verkauft worden sind. Liquiditätslinien an ABCP-Programme sind somit in einer komplexen Aufteilung in drei verschiedenen Komponenten zu zerlegen, um den Bruttoabflussbetrag der LCR zu ermitteln: 1. Die Differenz zwischen nominal zugesagter Liquiditätslinie und der Summe der verkauften Vermögenswerte (vor einem eventuellen Kaufpreisabschlag). Diese Differenz ist mit 10% zu gewichten, wenn es sich bei dem Verkäufer der Forderungen um einen Nicht-Finanzkunden, also z.B. ein produzierendes Unternehmen, handelt (bei Finanzkunden wie einer Bank oder einer Leasinggesellschaft ist der Gewichtungsfaktor dagegen 0%). 2. Den Anteil der platzierten Commercial Paper, die eine verbleibende Restlaufzeit von 30 Tagen oder weniger haben. Dieser Anteil ist mit 100% zu gewichten. 3. Den verbleibenden Commercial Papers mit längerer Laufzeit. Dieser Anteil ist nicht als Bruttoabfluss in der LCR zu erfassen.

44

45

BCBS „Basel III: The Liquidity Coverage Ratio and liquidity risk monitoring tools“ vom Januar 2013. Zur Definition von Finanzkunden siehe Artikel 411 (1) CRR.

233

Volker Meissmer/Ludwig Schnitter/Stefanie Wehmeyer

Folgendes Beispiel soll diese Rechnung verdeutlichen: Ein produzierendes Unternehmen unterhält eine ABCP-Finanzierung über eine Rahmenzusage von 100 Mio. EUR. Die vom Sponsor gestellte Liquiditätslinie beträgt 102 Mio. EUR. Zum aktuellen Zeitpunkt hat das Unternehmen Handelsforderungen über nom. 80 Mio. EUR verkauft, wobei der Kaufpreis 90% betrug, also 72 Mio. EUR. Das ABCP-Programm hat den Kaufpreis zu 22 Mio. EUR mit ABCP finanziert, die eine aktuelle Restlaufzeit von über 30 Tagen haben und damit bei der LCR-Berechnung nicht zu berücksichtigen sind. Die restlichen ABCP (50 Mio. EUR) sind unter 30 Tagen fällig. Hiervon wiederum hat die Sponsorbank 10 Mio. EUR in den eigenen Bestand übernommen. Die allg. Refinanzierungskosten der Sponsorbank liegen bei durchschnittlich EURIBOR + 50 bps, die Verzinsung der vorgehaltenen Liquiden Aktiva bei EURIBOR flat. Durch die Einführung der LCR verteuern sich die Finanzierungskosten der Liquiditätslinie der Sponsorbank wie folgt: Bruttoabfluss: 10% des nicht ausgenutzten Teils: (EUR 102 m – EUR 80 m) * 10% 100% der CP mit LZ 20%.

295

Erwin Pier-Ribbert

Auf der einen Seite wird die Auswirkung des Schocks von den Instituten selbst ermittelt. Die Berechnung ist somit für das Institut transparent und jedes Institut kann – abgesehen von potenziellen Diskussionen mit der Aufsicht über die Angemessenheit der Umsetzung – für sich selbst feststellen, ob es von der Aufsicht als Institut mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko eingestuft wird. Auf der anderen Seite bleibt die Konsequenz einer solchen Einstufung intransparent. So gilt das Ergebnis des Zinsschocks für die Aufsicht zunächst als ein Indikator, mit dem Institute mit potenziell hohen Zinsänderungsrisiken identifiziert werden sollen. Es werden für diesen Fall aufsichtliche Maßnahmen angedroht, die aus einem breiten Spektrum gewählt werden können und von der Überprüfung des Messverfahrens bis zum Abbau von Risikopositionen und gar erhöhten Eigenmittelanforderungen reichen. Potenzielle Säule 1-Regelungen zum Zinsänderungsrisiko des Anlagebuches wurden bisher regelmäßig unter anderem aufgrund einer schwierigen einheitlichen und standardisierbaren Quantifizierbarkeit verworfen. Daher bedurfte es auch zum Zinsschock weiterer Ausführungen, um den Instituten sowie der Aufsicht Leitlinien für eine Berechnung sowie potenzielle Maßnahmen zu geben. Die Ausführungen des Baseler Ausschusses in [BCBS 2004] zum Zinsschock umfassen: • Ansätze zur Ermittlung der aufsichtlich vorzugebenden Größe der Zinsänderung/des Schocks, • die Anforderung der Ermittlung einer ökonomischen Ergebnisgröße für den Zinsschock, wobei die Institutssysteme sowohl ökonomische als auch handelsrechtliche Ergebnisgrößen für eine Risikomessung ermöglichen sollten, • Anmerkungen zu einzubeziehenden Positionen und deren Darstellung im Zahlungsstrom, • den Hinweis auf Maßnahmen, sollten nicht genügend Eigenmittel zur Verfügung stehen, sei es die Reduktion der Risikoposition oder eine zusätzliche Eigenmittelanforderung. Im europäischen Bankenaufsichtsrecht ist der Zinsschock in Artikel 98 (5) CRD IV verankert. Die EBA IRRBB-Leitlinien setzen die Höhe der Zinsänderung im Schock grundsätzlich auf +/– 200 Basispunkte fest.33 Eine weitere konkrete Vorgabe betrifft die

33

296

[EBA 2015a] Tz. 24. Es gilt ein Floor bei 0%. Ist aus historischen Änderungen einer risikolosen Zinskurve ein höherer Wert ablesbar, dann ist dieser als Schock anzusetzen (ermittelt aus erstem bzw. 99stem Quantil von 1-Tages-Zinsänderungen eines 5-jährigen Zeitraums skaliert auf ein 240-Tage Jahr).

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Beschränkung des in einer Verhaltensmodellierung für die Neufestsetzung von Parametern für Kundeneinlagen ansetzbaren Zeithorizonts (repricing date) auf im Durchschnitt maximal 5 Jahre. Aus den in den Leitlinien angeführten Messverfahren für das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch ist für den Zinsschock darüber hinaus aus denjenigen zu wählen, die unter „Capital at Risk/Economic Value of Equity“ firmieren und barwertige Änderungen ermitteln. In den EBA SREP-Leitlinien zählen die Ergebnisse des Zinsschocks Indikator-gerecht zu den Komponenten zur Erlangung einer Voreinschätzung bei der Beurteilung der Zinsänderungsrisiken des Anlagebuchs. Für die Analyse der Auswirkung von Zinsänderungen auf den ökonomischen Wert gilt der Zinsschock als erste Benchmark – auch im Vergleich zu den weiteren im Rahmen des SREP durchgeführten Stresstests der Aufsicht. Die in den Leitlinien formulierten potenziellen aufsichtlichen Maßnahmen bei Überschreiten der 20%-Verlustgrenze sind auch jenseits von Eigenmittelanforderungen leider wenig konkret. Mit dem bereits länger bekannten Rundschreiben 11/2011 (BA) [BaFin 2011] ist eine Konkretisierung der Anforderungen zum Zinsschock aus § 25a Absatz 2 Satz 1 KWG auf nationaler Ebene zunächst weiterhin gegeben. Manche Aspekte des Rundschreibens sollten inzwischen hinreichend in der Praxis bekannt und durch die Aufsicht verprobt worden sein34, darunter der betroffene Anwenderkreis, die Bemessung der Zinsänderungsgröße sowie der Berechnungsturnus und die Meldepflichten. Für Institute, die intern nicht die wirtschaftliche, sondern im Wesentlichen GuV-orientierte Sichtweisen nutzen, wird ein im Rundschreiben beschriebenes Ausweichverfahren ermöglicht. Aus dem begleitenden Anschreiben der BaFin an die Verbände der Kreditwirtschaft vom 09.11.2011 ist die deutliche Absicht herauszulesen, den Instituten die Sorge einer Über-/ Fehlinterpretation der Zinsschockergebnisse zu nehmen. Die Begrifflichkeit „Ausreißer-Institut“ wurde durch „Institut mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko“ ersetzt und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass allein ein Überschreiten der 20%-Verlustschwelle beim +/– 200bp Zinsschock nicht zwangsweise aufsichtliche Maßnahmen nach sich zieht. Vielmehr wird dies im Rahmen einer Gesamtbeurteilung abgewogen. Die Intransparenz dazu, was das nun bedeutet, ist jedoch geblieben und wird auch nicht durch Artikel 98 (5) der CRD IV beseitigt, laut dem im Gegensatz zum Vorigen Maßnahmen zu ergreifen sind.

34

Weiterentwicklungen sind jedoch nicht ausgeschlossen, siehe BaFin Journal Nov. 2013, Seite 4, „Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch – BaFin spezifiziert Praxis zu erhöhten Eigenmittelanforderungen“; dort wird inhaltlich ausgeführt, dass in der Verwaltungspraxis freie Vorsorgereserven vom Risikobetrag für das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch abgezogen werden.

297

Erwin Pier-Ribbert

Nach der Vorlage der EBA IRRBB-Leitlinien und der EBA SREP-Leitlinien ist noch unklar, in wie weit das Rundschreiben der BaFin einer Überarbeitung bedarf. Die bisherigen aufsichtlichen Vorgaben zum Zinsschock gehen nicht so weit, die Anwendung bankindividueller Methoden und Verfahren bei der Auswirkungsquantifizierung zu untersagen. Institutsspezifische Eigenschaften müssen weiterhin berücksichtigt werden, da wesentliche Positionen des Anlagebuches in ihrem Zinsänderungsrisiko stark vom Kunden- und/oder Bankverhalten abhängen. Die Ausführungen in [BuBa 2012] „Die Rolle des „Baseler Zinsschocks“ bei der bankaufsichtlichen Beurteilung von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch“ nennen als Beispiel Positionen mit unbestimmter Kapital- oder Zinsbindung (Sicht- und Spareinlagen, Kredite mit Sonderkündigungsrecht, etc.). Bereits in [BuBa 2012] wurden das historisch niedrige Zinsniveau am deutschen Rentenmarkt und die hohen Volatilitäten aufgezeigt, um auf das Risiko eines Zinsanstiegs insbesondere für die klassische Fristentransformation hinzuweisen. Seitdem sind die Zinsen weiter gesunken (wenn auch nicht „ad hoc“) und haben so die Berechtigung auch des Zinssenkungsszenarios bestätigt. Der Floor bei Null für die anzunehmende Zinsentwicklung in diesem Szenario hilft über technische Restriktionen bei Negativzinsen hinweg, kann aber im Ergebnis wegen der so entstandenen Asymmetrie in den Zinsbewegungen (nach oben weiterhin +200bp, nach unten weniger und ggf. nicht mehr parallel) zu interpretationsbedürftigen Zahlen führen. Der Baseler Zinsschock ist im ICAAP durch ein umfangreiches Stresstestprogramm zu ergänzen. Für bedeutende Institute wird darüber hinaus eine komplexere Risikomessung unterstellt. So bleibt der Zinsschock ein in erster Linie aufsichtlichen Zwecken dienender Indikator.

6 Die Stresstestwelt jenseits des Baseler Zinsschocks Die regulatorischen Papiere, die sich mit der Ausgestaltung des Baseler Zinsschocks auseinander setzen, beinhalten in der Regel bereits Hinweise darauf, dass dieser allein keine umfangreiche Überprüfung oder Messung der Zinsänderungsrisiken darstellen kann, da Zinskurvenentwicklungen in der Regel differenzierter ausfallen als eine reine Parallelverschiebung.

298

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Stresstests35 können und sollen angemessen umfangreich und vielfältig sein, entsprechend den potenziellen Ursachen für Gefährdungspotenzial (formuliert als historisches Szenario, hypothetisches Szenario, als makroökonomisches Szenario oder direkter Parametershift, …) aber auch in der Art des Ausweises des Gefährdungspotenzials (Auswirkungen barwertig, handelsrechtlich, bezüglich interner oder regulatorischer Kennziffern, über verschieden lange Zeithorizonte, …); vergleiche die Einordnung des Baseler Zinsschocks in typische Stresstest-Dimensionen in Abbildung 1. Dabei reicht das Spektrum der Nutzungsmöglichkeit von Stresstests: • bei Instituten mit Säule 1-internem Marktpreisrisikomodell für das Handelsbuch zur flankierenden Plausibilisierung von Modellergebnissen36 und eine Risikodarstellung für extreme Ereignisse über die üblichen Value-at-Risk-Quantile hinaus • über das Stressen einzelner Bewertungsparameter komplexer Produkte zwecks Quantifizierung von Modellrisiken für die vorsichtige Bewertung (Prudent Valuation [EBA 2015]) • über risikoarten-spezifische Stresstests für bestimmte Positionen zwecks Portfolio-/ Risikoanalyse (wie z.B. den Baseler Zinsschock) • bis hin zu risikoarten-übergreifende Stresstests zur Identifikation von Risikotreibern bei der Ermittlung aufsichtlicher Kennziffern in der Gesamtbanksteuerung

35

36

Ein Stresstest ist nach MaRisk Erläuterung zu AT 4.3.3. Tz. 1 eine Methode zur Überprüfung von Gefährdungspotenzial für ein Institut auch bezüglich außergewöhnlicher, aber plausibel möglicher Ereignisse. Der Baseler Ausschuss hat in [BCBS 2009] Grundsätze für das Stresstesting formuliert. Auf europäischer Ebene geht aus Art. 100 Abs. 2 CRD IV die Aufforderung an die EBA zur Leitlinienerstellung hervor; es liegt hierzu die CEBS Stresstest-Leitlinien [EBA 2010] vor. Gefordert in Art. 368 (1) g) CRR.

299

Erwin Pier-Ribbert

Abbildung 1: Der Zinsschock in typischen Stresstest-Dimensionen. = Zinsschock

Stresstest-Dimensionen Szenario-Spezifizierung • • •

hypothetisches Szenario historisches Szenario …

• • •

Ergebnisausweis • • • • •

makroökonomisch formuliert als direkter Parametershift …

Anwendungsmenge • •

risikoarten-übergreifend (vgl. EZB/EBA-Stresstest) risikoarten-spezifisch • • •



Kreditrisiko Marktpreisrisiko (bspw. Auswirkungen Lehmann-Ausfall) … risikoarten-Unterkategorie (bspw. Marktpreisrisiko) • Credit Spread-Risiko (bspw. Spreadausweitung 60bp) • Zinsänderungsrisiko • …



Teilportfolio-Ebene • • •

• •

Anlagebuch, Handelsbuch, …

barwertig handelsrechtlich interne Kennziffer aufsichtliche Kennziffer …

Nutzer •

Aufsicht (SREP Einzelinstitut, Analyse Finanzmarkt, …)



Institut • • •

• • •

Geschäftsleitung (Steuerung, …) Händler (Portfolioanalyse, …) Risiko-Controller (Modellüberpüfung, Risikoanalyse, …) Ratingagenturen (Analyse, …) Kapitalmarkt (Analyse, …)



einzelner Bewertungsparameter …

Die Geschäftsleitung hat für die regelmäßige Durchführung angemessener Stresstests sowohl für die wesentlichen Risiken als auch für das Gesamtrisikoprofil eines Instituts Sorge zu tragen.37 Mit dem expliziten Verweis auf das Gesamtrisikoprofil wird deutlich, dass eine Einzelbetrachtung der Marktpreisrisiken des Anlagebuches keinesfalls hinreichend ist, sondern Stresstests ein über einzelne Risikoarten hinaus gehendes übergreifendes Instrumentarium darstellen. Die MaRisk werden in ihren Anforderungen konkreter: Sie fordern von den Instituten die Durchführung regelmäßiger sowie anlassbezogener Stresstests in einem Umfang deutlich über den Zinsschock hinaus. Insgesamt ist eine bankspezifische Ausgestaltung nicht nur erlaubt, sondern geboten, da die Stresstests Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsaktivitäten ebenso widerspiegeln sollen wie die strategische Ausrichtung. Damit sind auch die bankindividuellen Besonderheiten der Positionen des Anlagebuches zu berücksichtigen. Das Thema Stresstests war in den MaRisk-Novellen fortlaufend Gegenstand von Weiterentwicklungen und hat mit der Anforderung risikoarten-übergreifender Stresstests und

37

300

§ 25c Abs. (4a) Punkt 3 f) KWG.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

der Berücksichtigung adverser Entwicklungen, wenn auch nicht notwendig Stresstests, im einen mehrjährigen Zeithorizont umfassenden Kapitalplanungsprozess einen umfassenden Status erreicht. Insbesondere im mehrjährigen Kapitalplanungsprozess ist die Differenzierung nach ökonomischer und handelsrechtlicher Betrachtung (und in letzterer die nach der Kategorisierung) der Anlagebuchpositionen relevant. Die EBA IRRBB-Leitlinien38 unterscheiden nach Zinsszenarien für das laufende Management, welche im Wesentlichen der Position gerecht ausgestaltet sein sollen und die Eignung gemachter Annahmen in der Risikomessung, bspw. zu Verhaltensannahmen, aufzeigen sollen. Diese Szenarien sollen abhängig von Zinsvolatilität und Risikoniveau mindestens quartalsweise ermittelt werden. Daneben stehen Zinsszenarien im Rahmen des Stresstestprogramms des Instituts. Diese sollen auch in der Größe des Schocks über den Baseler Zinsschock hinaus Szenarien mit u.a. größeren oder kleineren Zinsbewegungen, nicht parallelen Zinsentwicklungen, der Berücksichtigung potenzieller Basisrisiken und dies ggf. für verschiedene Währungen umfassen. Daneben soll der Einfluss wesentlicher Änderungen in Verhaltens- und Korrelationsannahmen sowie dem geschäftlichen Umfeld betrachtet werden. Die Aufforderung zur Nutzung von Stresstests richtet sich ebenfalls an die Aufseher, die die Ergebnisse im SREP mit in ihre Bewertung einfließen lassen.39 In den EBA SREPLeitlinien sind die zuständigen Behörden aufgefordert, die Stresstesting-Leistungsfähigkeit und die Angemessenheit der Stresstests der Institute zu beurteilen. Im KWG ist niedergelegt, dass die BaFin selbst oder durch Beauftragung der Deutschen Bundesbank ein Institut aufsichtlichen Stresstests unterziehen kann.40 Die BaFin bestimmt „nach Abstimmung mit der Deutschen Bundesbank Häufigkeit und Intensität […] möglicher aufsichtlicher Stresstests“41, wobei neben Art, Umfang und Komplexität der Geschäfte eines Instituts auch die Größe und Systemrelevanz berücksichtigt werden.42

38 39

40

41 42

[EBA 2015a] Tz. 26 ff. Art. 97 (1) c) und Art. 100 CRD IV; § 6b KWG. Art. 100 Abs. 1 CRD IV sieht eine mindestens jährliche Durchführung aufsichtlicher Stresstests vor. § 6b Abs. 3 KWG. Dazu kann ein Institut unter Vorgabe von Szenarien zur Berechnung aufgefordert werden (Bottom-Up-Stresstest) oder die Behörden können mit eigener Methodik auf Basis verfügbarer Daten die Berechnungen selbst vornehmen (Top-DownStresstest). § 6b Abs. 4 KWG. Gemäß EZB-Leitfaden [EZB 2014] werden ebenfalls aufsichtliche Top-Down- wie BottomUp-Stresstests als Mittel im Rahmen von Test und Beurteilung der Angemessenheit der internen Kapitalausstattung und der Risikomanagementverfahren, der Strategie- und Kapitalplanung und der Stabilität der Geschäftsmodelle eingesetzt.

301

Erwin Pier-Ribbert

Die EBA SREP-Leitlinien formulieren parallel zu den EBA IRRBB-Leitlinien ebenfalls spezifische Anforderungen für aufsichtliche Stresstests zum Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch. Neben der Erfüllung qualitativer Szenariovorgaben wird gefordert, dass „das interne System des Instituts flexibel genug sein sollte, jeden vorgegebenen Standardschock zu berechnen“.43 Die Überprüfung der Angemessenheit der Eigenmittel in ihrer Höhe wie Zusammensetzung über einen Konjunkturzyklus hinweg soll seitens der zuständigen Behörden mit Hilfe von Stresstests – baseline und advers – überprüft werden. Dies gilt bei systemweiten Stresstests für die Einhaltung aller für den Stresstest aufsichtlich vorgegebenen Kennziffern. Der Einfluss von Stresstests auf die Leverage Ratio wird als Untersuchungsaufgabe in den SREP-Leitlinien explizit genannt (Tz. 359). Insgesamt soll bei der Überprüfung auf institutseigene Stresstests aus dem ICAAP sowie ggf. auf aufsichtliche Stresstests zurückgegriffen werden. Nicht zuletzt der EZB/EBA-Stresstest 2014 zeigt, welche hohe Bedeutung dem Instrument Stresstest zugemessen wird. Im Comprehensive Assessment stellte der Asset Quality Review die Überprüfung des Ist-Status dar, während der Stresstest die zukunftsorientierte Komponente abbildete. Hier sei an einige das Marktpreisrisiko betreffende technische Herausforderungen aus dem EZB/EBA-Stresstest 2014 erinnert44: • Die Gruppierung von Positionen bei den Szenarioformulierungen war primär an Rechnungswesen-Kategorisierungen angelehnt. Dieser Datenschnitt liegt nicht in allen Instituten bei der operativen Stresstest-Berechnung effizient vor. • Zur Ermittlung von ad-hoc-Auswirkungen sollte eine volle Neubewertung von Positionen erfolgen. Das Bewertungsinstrumentarium in den Instituten lässt dies für historische Positionen nicht unbedingt zu. • Die Szenarien umfassten einen 3-Jahres-Simulationshorizont, in dem vorgegebene Annahmen zur Positionsfortführung umzusetzen waren (d.h. kein ad-hoc-Sprung auf einen 3-Jahres-Horizont, sondern eine Verlaufsmodellierung unter Annahmen zu Positions-/Risikoniveau). • Zur Ermittlung der Kennziffern im Stressszenario war eine umfängliche Gesamtberechnung erforderlich, die für Marktpreisrisiken Ad-hoc-Einflüsse, aber über den Zeithorizont auch die Ergebnisentwicklung bspw. für das Zinsergebnis unter Szenariobedingungen abfragte.

43 44

302

[EBA 2014] Tz. 301. [EBA 2014a] Methodological note EU-wide Stress Test 2014.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Für kleinere und mittelgroße Banken führte die Deutschen Bundesbank Makrostresstests für die Zinsentwicklung durch.45 Zur Analyse der Auswirkungen auf das Zinsergebnis und das Eigenkapital wurden Szenarien über einen 10-jährigen Zeithorizont formuliert. Sowohl ein starker abrupter Zinsanstieg als auch eine deutliche Abflachung der Zinsstrukturkurve haben über den Zeithorizont deutliche Auswirkungen auf die Ertragslage der Institute. In den 10 Jahren fallen unter den vorgegebenen Szenarien höchstens 9% der Banken aus, was auf die „gute Kapitalausstattung der betrachteten Banken zurückzuführen“46 ist. Das Aufeinandertreffen von gleichzeitigem Bottom-Up (Berechnung durch Institute) und Top-Down (Ermittlung durch die Aufsicht zur Qualitätskontrolle der Bottom-UpRechnung; auch durch Benchmarking) mit nur eingeschränkter Transparenz des TopDown für die Institute wird den Ergebnisabgleich und damit die Diskussion über Maßnahmen mit der Aufsicht erschweren. Zusammenfassend hat der Regulator der Aufsicht die Mittel an die Hand gegeben, Stresstests umfangreicher als der EZB/EBA-Stresstest 2014 mit jedweder Ausgabegröße durchführen zu lassen. So lange die Aufsicht keine klaren stabilen Vorgaben bezüglich Art und Umfang zu erwartender Stresstests macht, kann ein Institut nur versuchen, sich auf diese Beliebigkeit durch Flexibilität einzustellen. Doch Vorsicht: Zum einen stellt BCBS 239 [BCBS 2013] ebenfalls Anforderungen an Datenhaushalte und Datenqualitätsmanagement und zum anderen schränken Aufsichtsanforderungen an die IT gleichzeitig deren flexible Nutzung ein. Zumindest die Kategorie 1-Institute sollten sich auf einen jährlichen Stresstest vorbereiten. Nicht nur, um einer Stresstestaufforderung effizient gerecht werden zu können, sondern auch, weil die Stresstesting-Fähigkeiten im SREP in die Beurteilung einfließen.

7 Produkt-/Positionseigenschaften im Anlagebuch Handels- und Anlagebuch unterscheiden sich nicht nur – CRR-definitionsbedingt – in der strategischen Ausrichtung der jeweiligen Positionen, sondern i. d. R. auch in der Produktzusammensetzung. Liquide Wertpapiere können beispielsweise je nach Zweck sowohl im Handels- als auch im Anlagebuch gehalten werden. Wesentliche, aus dem Kundengeschäft resultierende Positionen werden dagegen typischerweise dem Anlagebuch zugeordnet, wie das aktivische Kreditgeschäft sowie Einlagen unbestimmter Laufzeit der Passivseite.

45 46

[BuBa 2014] Finanzstabilitätsbericht S. 46 ff. [BuBa 2014] Finanzstabilitätsbericht S. 50.

303

Erwin Pier-Ribbert

Die Reagibilität des Ergebnisses aus diesen Positionen auf Zinsveränderungen und damit das Zinsänderungsrisiko hängen stark vom Kundenverhalten (Inanspruchnahme BGBKündigungsrecht) und vom Bankverhalten (Anpassungen des Kundenzinses) ab. Diese Abhängigkeiten können selten vollumfänglich über liquide Produkte am Markt platziert oder abgesichert werden. Als Basis für die Messung des Zinsänderungsrisikos bedarf es daher produktspezifischer Annahmen über Kunden- und Bankverhalten bzgl. Zinsveränderungen.47 Ausgangspunkt für eine Modellierung ist zunächst die Betrachtung der gegenseitigen Verpflichtungen aus der juristischen Formulierung eines Geschäftes. Beispielhafte Produkt-/Positionseigenschaften vor dem Hintergrund einer Zahlungsstromdarstellung für die Zinsrisikomessung (siehe auch die Datenabfragen seitens TFIR im Folgeabschnitt): • deterministische Produktkomponenten, bei denen Zeitpunkt und Höhe der Zahlungen feststehen (festverzinsliche Anleihe), sind am ehesten einer Zahlungsstromdarstellung zugänglich. Es folgen in der Komplexität: • variable Produktkomponenten; Zeitpunkte der Zahlungen stehen fest, die Höhe wird marktabhängig noch bestimmt (nicht gefixte Zinszahlungen eines Floaters); • Derivate ohne optionale Komponenten (Future, Swap, …); wie vorige Punkte; • automatische Optionen (Zinscap, Zinsfloor, …); über marktkonsistente Bewertungsmodelle; • das Optionsrecht liegt beim Institut; Modellierung wie im Interbankenmarkt, es sei denn, eine konservative Modellierung ist einfacher umsetzbar. Dann ist jedoch zu beachten: Eine nicht-optimale Ausübung kann im Interbankenmarkt zu Reputationsrisiken führen. • Optionalitäten (direkte wie eingebettete), deren Ausübung stark vom individuellen Kundenverhalten abhängt, beeinflusst bspw. vom individuellen Umgang mit finanziellen Umständen wie den Erhalt oder das Ausbleiben von Weihnachtsgeld oder einer Immobilienveräußerung in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Das Institut ist dem Risiko einer vorzeitigen oder späteren Entnahme/Rückzahlung ausgesetzt (festverzinsliche Kredite mit (Teil-)Tilgungsmöglichkeit, BGB-Kündigungsrechte, Abruf- und Verlängerungsrechte, …).

47

304

In der Kunden-/Produktkalkulation, im Liquiditätsrisiko/ILAAP etc. werden ebenfalls jeweilige Annahmen getroffen. Bei Vereinfachungen in der Verhaltensmodellierung mit dem Hinweis auf einen konservativen Ansatz für die Zinsrisikomessung ist Vorsicht geboten: Eine Modellierung aus Sicht des Liquiditätsrisikos/ILAAP könnte davon divergieren und zu inkonsistenten Steuerungsimpulsen führen.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

• Positionen, bei denen nicht die juristische Verpflichtung maßgeblich ist, sondern darüber hinaus das Anlageverhalten der Kunden und das Verhalten der Bank die Zinsreagibilität bestimmen (Einlagen mit unbestimmter Laufzeit wie Sicht- und Spareinlagen, …), im Wesentlichen durch die Inanspruchnahme der jeweiligen Möglichkeit des Kunden, Einlagen abzuziehen bzw. beim Institut zu belassen und der Möglichkeit des Instituts, Konditionen anzupassen. Wobei die Inanspruchnahme der Möglichkeiten zusätzlich voneinander abhängen kann. In den EBA IRRBB-Leitlinien werden die wesentlichen seitens der Institute zu treffenden Annahmen in drei Typen kategorisiert: Verhaltensannahmen bezüglich eingebetteter Kundenoptionen und bezüglich Kundenkonten ohne spezifiziertes Neubewertungsdatum (auch „non-maturity deposits“) sowie eigene Annahmen in der Kapitalplanung. Institute sollen unter anderem die potenziellen Auswirkungen der gemachten Annahmen sowie die Abhängigkeit der Annahmen von externen Faktoren beispielsweise dem ökonomischen Umfeld kennen.48 Es verwundert nicht, dass mit den dargestellten bankindividuellen Eigenschaften die Abbildung der Produkte/Positionen Diskussionspunkt bei aufsichtlichen Prüfungen ist und eine standardisierte Risikomessung in Säule 1 oder Säule 2 ohne einschränkende Rückwirkung auf das Kundengeschäft äußerst schwierig wird.

8 Die Aktivitäten der Task Force on Interest Rate Risk in the Banking Book Die Task Force on Interest Rate Risk in the Banking Book (TFIR) des Baseler Ausschusses hat die Entwicklung von potenziellen Ansätzen zur Aufnahme der Marktpreisrisiko-Unterkategorien Zinsänderungsrisiko und Credit-Spread-Risiko des Anlagebuchs unter die Säule 1-Eigenmittelanforderungen zum Ziel.49 Beide Marktpreisrisiko-Unterkategorien werden bislang im Rahmen der Säule 2/CRD IV-Anforderungen behandelt, wobei mit dem Baseler Zinsschock schon eine Anforderung zur Quantifizierung der Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch gegeben ist. Insbesondere aufgrund der besonderen Produkteigenschaften im Anlagebuch, wie der

48 49

[EBA 2015a] p. 10 ff., Tz. 34–40. Auf europäischer Ebene formuliert die CRR [EU 2013] in Art. 1 a) die Anforderungen vollständiger Quantifizierbarkeit, Einheitlichkeit und Standardisierung der MarktpreisrisikoKomponenten für diesbezügliche Eigenmittelanforderungen, die nach CRR sprich Säule 1 bestimmt werden. Vorschläge der TFIR und in Folge Regelungen des Baseler Ausschusses hätten dies zu erfüllen.

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großen Bedeutung der Passivseite mit dem hohen Anteil von Einlagen unbestimmter Laufzeit, ist eine direkte Übertragung von Säule 1-Regelungen des Handelsbuchs, die im FRTB selbst noch in Überarbeitung sind, nicht vorgesehen. Einige fachliche Diskussionsbeiträge zum Aufgabenfeld der TFIR von Verbandseite sind öffentlich zugänglich und erlauben Rückschlüsse auf die Fragestellungen der TFIR sowie die fachlichen Belange der Kreditwirtschaft. So hatte sich die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) bereits Mitte 2014 mit einem Positionspapier in die fachliche Diskussion eingebracht [DK 2014]. Datenabfragen der TFIR im Rahmen des Ultimo 2013 Basel III-Monitorings [BCBS 2014] dienten dem Zweck, einen Überblick über die Struktur der Anlagebücher der Institute und dabei die besonderen Produkt-/Positionseigenschaften im Anlagebuch zu gewinnen. Bezüglich der Zinsänderungsrisiken zielten die Datenabfragen ab auf: • gemäß ihrer vertraglichen Neubewertung (contractual repricing date) auf vorgegebene Zeitbänder zugeordnete nicht-diskontierte Zahlungsströme getrennt nach Einzahlung und Auszahlung und ohne Optionen sowie ohne Einlagen unbestimmter Laufzeit, • Zahlungsströme von Einlagen unbestimmter Laufzeit nach institutseigener Schätzung, aufgeteilt in Privatkunden (transactional) und institutionelle Kunden (transactional/ non-transactional), • verkaufte Zinsoptionen (Nominal, Delta, Optionspreis, Optionspreis nach Schocks +/– 200bp) je nach eingebetteten Optionen (aktivisch, passivisch – caps, receiver swaptions bzw. floors, payer swaptions) und expliziten Optionen (differenziert nach caps/floors/swaptions). Bei Einlagen unbestimmter Laufzeit wird unterstellt, dass der Kunde jederzeit die Möglichkeit hat, diese kurzfristig abzuziehen. Eine im Zahlungsstrom der vertraglichen Laufzeit entsprechende Zuordnung auf kürzeste Laufzeitbänder wäre jedoch nicht immer sachgerecht, da ein in der Regel größerer Anteil der Einlagen den Instituten seitens der Kunden länger zur Verfügung gestellt wird und die Verzinsung durch die Institute dies berücksichtigt. In der Anleitung zum Basel III-Monitoring [BCBS 2014] wurde ein Ansatz zur Laufzeitzuordnung vorgestellt, der eine bankeigene Modellierung von Parametern erfordert: Zunächst wird seitens des Instituts auf Basis der historischen Volumenentwicklung der Anteil der Einlagen bestimmt, der dem Institut nicht stabil zur Verfügung steht. Für den verbleibenden stabilen Anteil wird eine Zinselastizität (pass-through rate) ermittelt, die wiedergibt, welcher Anteil einer Marktzinsänderung an die Kunden weitergereicht werden muss, um das Einlagenniveau auf dem Niveau des stabilen Anteils zu halten. Der nicht stabile Anteil und der mit der Zinselastizität gewichtete stabile Anteil werden dem

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Marktpreisrisiken im Anlagebuch

kürzesten Laufzeitband, der verbleibende stabile Anteil wird längeren Laufzeitbändern zugeordnet. Einer Verfeinerung dieses Ansatzes durch Kundendifferenzierung stünden potenzielle aufsichtliche Einschränkungen wie Obergrenzen für den stabilen Anteil und Untergrenzen für die Zinselastizität gegenüber. Als Ausweichlösung wird ein statischer Ansatz diskutiert, der die Einlagen unbestimmter Laufzeit zunächst vernachlässigt und anschließend über einen Korrekturfaktor berücksichtigt, bspw. über den Anteil von Einlagen unbestimmter Laufzeit an der Bilanzsumme. Die Deutsche Kreditwirtschaft [DK 2014] bringt jedoch deutlich zum Ausdruck, dass in der Praxis nicht nur vereinzelt andere Ansätze als die Zinselastizität zur Modellierung herangezogen werden. Hierzu zählten replizierende Portfolien sowie – insbesondere in der genossenschaftlichen Gruppe und bei den Sparkassen – gleitende Durchschnitte. Für die Quantifizierung der Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch ist ein barwertiger risikosensitiver Ansatz auf der Basis von Zahlungsströmen im Gespräch. Die Berechnung mehrerer Zinsszenarien soll die Erfassung der Zinsrisiko-Komponenten repricing risk, yield curve risk, option risk und basis risk unterstützen und damit mehr Komponenten abdecken als die reine Parallelverschiebung des Baseler Zinsschocks. Die Berücksichtigung von Einlagen unbestimmter Laufzeit könnte ähnlich dem im Ultimo 2013 Basel III-Monitoring vorgestellten Verfahren (s.o.) erfolgen, also inklusive institutseigener Modellierungen. Eine aufsichtliche Beschränkung bspw. der anzusetzenden Laufzeit wäre jedoch ein deutliches Manko. Optionale Komponenten könnten je nach Ausprägung mit internen Modellen oder Neubewertungen in Szenarien berücksichtigt werden. Die Datenabfragen bezüglich der Credit-Spread-Risiken zielten ebenfalls auf Zeitbandzuordnungen – in diesem Fall der Exposures – ab. Die Abfrage erfolgte differenziert nach verschiedenen Kategorien der Kreditqualität, Sektoren sowie effektiven Risikogewichten. Tabellen waren für diverse Produktgruppen zu füllen – für das Anlagebuch insgesamt sowie für Anleihen (je ohne Verbriefungen und Kreditderivate), für Verbriefungen und strukturierte Kreditprodukte sowie für Kreditderivate. Typische Anmerkungen seitens der Kreditinstitute zum Credit-Spread-Risiko im Anlagebuch beinhalten, dass für eine Säule 1-Risikomessung ein hinreichend liquider Markt mit beobachtbaren Marktparametern notwendig ist. Eine Einschränkung beispielsweise auf zum beizulegenden Zeitwert bewertete Positionen des Anlagebuches außerhalb des Kreditgeschäfts könnte wiederum den Gesamtheitscharakter einer Säule 1-Regelung in Frage stellen. Bei den verbleibenden Positionen wäre weiterhin eine Überschneidung mit Kreditrisiko-Anforderungen, d.h. eine doppelte Unterlegung mit Eigenmitteln, zu vermeiden.

307

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Insgesamt ist laut [DK 2014] mit Hinweis auf den Baseler Zinsschock eine weitere Regelung in Säule 1 nicht notwendig. Es wird die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass regulatorische Vorgaben in der Säule 1 bankindividuelle Charakteristika nicht hinreichend widerspiegeln können. Dadurch wirken die Vorgaben voraussichtlich unnötig einschränkend und beeinflussen potenziell die interne Steuerung und in Folge das Kundengeschäft in vielfältiger Weise. Zumindest sollte allen Instituten die Möglichkeit eingeräumt werden, „ihre etablierten Verfahren und auf die individuelle Positionierung abgestimmte Parametrisierung auch in einem aufsichtlichen Modell weiterhin nutzen zu können“.50 Darüber hinaus sollte es zu keiner Anforderung kommen, die den Instituten den Parallelbetrieb eines weiteren, aufsichtlich vorgegebenen Verfahrens abverlangt. Für umfängliche detailliertere und spezielle Anmerkungen sei auf das Positionspapier [DK 2014] verwiesen. Mit [BCBS 2015a] wurde kürzlich aus Basel das erste Konsultationspapier zur Kommentierung bis zum 11.09.2015 vorgelegt. Es werden darin zwei Varianten vorgestellt: Eine Säule 1- und eine erweiterte Säule 2-Regelung. Erstere fußt auf einem zahlungsstrom-basierten Standardverfahren, in dem über verschiedene Szenarien barwertiges Risiko ermittelt wird. In die Ermittlung der Zahlungsströme können bankeigene Modellierungen einfließen. In drei weiteren Alternativen zur Ermittlung der Eigenmittelanforderung gehen zusätzlich Szenarioergebnisse zum Zinsergebnis ein. Die erweiterte Säule 2-Regelung umfasst in Überarbeitung von [BCBS 2004] Grundsätze zum Management der nun die Credit-Spread-Risiken umfassenden Zinsänderungsrisiken. Das Standardverfahren soll ebenfalls berechnet werden, jedoch nicht als Element der Säule 1; Offenlegungsanforderungen werden deutlich ausgeweitet. Zusätzliche Eigenmittelanforderungen für die von der TFIR zu bearbeitenden Unterkategorien des Marktrisikos für das Anlagebuch sind bereits möglich.51 Die Aufsicht nimmt sich diese im SREP gemäß EBA SREP-Leitlinien vor („Säule 1-Plus“) und beabsichtigt mit dem aufsichtlichen Benchmarking und mit Peer-Group-Ansätzen eine gewisse Harmonisierung des Vorgehens und eine Gleichbehandlung der Institute innerhalb der EU. Die TFIR kann aus dieser Perspektive ggf. noch weitere internationale Gegebenheiten oder Ansätze berücksichtigen und eine zusätzliche internationale Vereinheitlichung der Verfahren fördern. Ob dies unbedingt in Säule 1-Regelungen münden muss oder die Erkenntnisse Anpassungen der bestehenden Säule 2-Regelungen nach sich ziehen, bleibt dem Baseler Ausschuss vorbehalten.

50 51

308

[DK 2014] S. 7. Art. 104 CRR/§ 10 Abs. 3 Satz 2 KWG.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

9 Marktpreisrisiko Anlagebuch in den EBA-Leitlinien für den SREP52 Die Methoden und Verfahren der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung sind Gegenstand der europäischen Harmonisierung. In Artikel 107 (3) der CRD IV wurde die EBA aufgefordert, für die zuständigen Behörden entsprechende Leitlinien zu erstellen, welche sie mit den „Guidelines on common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP)“ [EBA 2014] veröffentlichte. Die Leitlinien sind ab dem 01.01.2016 von den Aufsichtsbehörden anzuwenden und bedürfen bis dahin einer entsprechenden Übernahme in die aufsichtliche Praxis – auf nationaler Ebene wie im SSM beziehungsweise durch die EZB. Letztere hat in ihrem Leitfaden zur Bankenaufsicht [EZB 2014] dem SREP bereits einige Textziffern gewidmet, die aber nur als Überblick gedacht sind und den über 200-seitigen EBA-Leitlinien im Umfang deutlich nachstehen. Die EBA SREP-Leitlinien formulieren grundlegende Ansätze für die Überprüfung. Dazu gehören das aufsichtliche Benchmarking sowie Peer-Group-Analysen; Peer Groups werden nicht nur als Gruppen von insgesamt ähnlichen Instituten verstanden, sondern auch als Teilthemen-spezifische Institutsgruppen, beispielsweise zum Thema Marktpreisrisiko eine Gruppe von Instituten mit vergleichbarem Marktpreisrisiko-Profil. Hier scheinen Benchmarks und Peer Groups darauf abzuzielen, den Spagat zwischen standardisierter Gleichbehandlung und der Berücksichtigung bankindividueller Aspekte zu bewältigen. Inwieweit dies für die Institute transparent gestaltet werden kann und zu welcher Seite das Pendel neigt, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus gilt es für die zuständigen Behörden, die Angemessenheit der Eigenmittel in ihrer Höhe und Zusammensetzung auch über Konjunkturzyklen hinweg zu analysieren. Die Ergebnisse entsprechender Stresstests – baseline und advers – sind dahingehend zu analysieren, ob Eigenmittelanforderungen oder jedweder andere relevante Zielkoeffizient, der durch die zuständigen Behörden vorgegeben wird, noch erfüllt werden. Diese Anforderung des SREP ähnelt sehr den Anforderungen aus dem EZB/EBA-Stresstest 2014.

52

Supervisory review and evaluation process/Prozess der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung; zu den aufsichtlichen Regelungen siehe auch Art. 97 ff. CRD IV und § 6b KWG.

309

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Im SREP soll auf europäischer Ebene das Proportionalitätsprinzip in gewisser Form erhalten bleiben. Es ist eine Kategorisierung der Institute in vier Gruppen vorgesehen, je nach der Beurteilung des systemischen Risikos eines Instituts für das Finanzsystem sowie dem Ausmaß der grenzüberschreitenden Aktivitäten des Instituts. In Kategorie 1 werden die systemisch wichtigsten Institute, in Kategorie 4 kleine, nicht-komplexe und nur mit begrenzten Aktivitäten auf dem Heimatmarkt aktive Institute eingeordnet. Die Befassung der Aufsicht mit den Instituten im Rahmen des SREP soll sich in Häufigkeit und zum Teil in Intensität in den Kategorien unterscheiden. So sollen beispielsweise aufsichtliche Stresstests für die Kategorie 1-Institute umfangreicher ausfallen als für die anderen. Während für alle Institute einheitlich eine quartalsweise Überwachung wesentlicher Indikatoren vorgesehen ist und jährlich eine SREP-Gesamtbeurteilung erstellt wird, erfolgt eine Neubewertung aller SREP-Elemente für Kategorie 1-Institute mindestens jährlich; für Institute der Kategorie 4 beträgt die Mindestfrequenz für den Aufsichtsdialog dagegen 3 Jahre.53 Die aufsichtliche Beurteilung der eingegangenen Risiken im Vergleich zur Kapitalausstattung und die Angemessenheit des Kapitals ist – neben der Geschäftsmodellanalyse, der Beurteilung der internen Governance und der Beurteilung des Liquiditätsrisikos und der Liquiditätsadäquanz – ein Teil des SREP-Rahmenwerkes. Sie fließt unter anderem über ein sogenanntes Scoring, also die Vergabe von Punktzahlen, in die Gesamtbeurteilung durch die Aufsicht ein. Laut den Leitlinien soll die Beurteilung von Marktpreisrisiken für diejenigen bilanziellen und außerbilanziellen Positionen erfolgen, für die Marktpreisbewegungen zu Verlusten führen können. Mindestens zu betrachtende Unterkategorien des Marktpreisrisikos sind das Positionsrisiko, allgemein wie spezifisch, das Fremdwährungsrisiko, Warenrisiko und CVA-Risiko. Die Beurteilung mündet für die betrachteten Risikokategorien in eine Risiko-Punktzahl („risk score“) zwischen 1 und 4 (1 = „kein feststellbares Risiko“, 2 = „geringes Risiko“, 3 = „mittleres Risiko“, 4 = „hohes Risiko“), die auf Basis der Betrachtung sowohl des inhärenten Risikos, als auch der Angemessenheit des Risikomanagements und Kontrollsystems bestimmt wird.

53

310

Es mag verwirren, dass die Nummerierung bei der Kategorisierung genau anders herum ausfällt als in den EBA IRRBB-Leitlinien. Dort gilt Level 4 als die komplexere Variante, s. Annex B Table 3.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Die Beurteilung der Marktpreisrisiken des Anlagebuches schlägt sich in zwei RisikoPunktzahlen nieder: 1. In die Marktrisiko-Punktzahl geht zusammen mit der Beurteilung der Marktpreisrisiken des Handelsbuches die Beurteilung der Marktpreisrisiken des Anlagebuches außer dem Zinsänderungsrisiko ein, d.h. zumindest der Fremdwährungs- und Warenrisiken sowie der Credit-Spread-Risiken aus Positionen, die zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden, und der Aktienkursrisiken. 2. Die IRRBB-Punktzahl wird dem Zinsänderungsrisiko für Anlagebuchpositionen zugewiesen. Zu (1), der Ermittlung der Marktrisiko-Punktzahl54: Für eine Beurteilung des inhärenten Marktpreisrisikos (ohne Zinsänderungsrisiken des Anlagebuches) werden folgende Schritte nahegelegt: • allgemeiner Überblick, • Beurteilung der Art und Zusammensetzung der Marktpreisrisiko-behafteten Positionen, • Beurteilung der Profitabilität, • Beurteilung der Risikokonzentration, • Stresstestergebnisse. Auf dieser Basis sind der Risiko-Punktzahl folgende Einwertungen zum inhärenten Marktpreisrisiko zugeordnet:55 Tabelle 1 Punktzahl

Marktrisiko nach Art und Zusammensetzung der Risikoposition

1 2

54 55

Komplexität der Risikoposition

Risikokonzentration

Volatilität der Erträge

Nicht materiell

Keine

Nicht materiell

Keine

Gering

Gering

Gering

Gering

3

Mittel

Mittel

Mittel

Mittel

4

Hoch

Hoch

Hoch

Hoch

[EBA 2014] Abschnitt 6.3 Tz. 197–232. [EBA 2014] Table 5.

311

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Die Beurteilung des Risikomanagements und Kontrollsystems bezüglich der Marktpreisrisiken außer dem Zinsänderungsrisiko des Anlagebuches sollte die MarktrisikoStrategie und Risikobereitschaft, den organisatorischen Rahmen, Richtlinien und Verfahren, die Risikoidentifikation, -messung, -überwachung und -berichterstattung sowie das interne Kontrollsystem umfassen. Bei der Risiko-Punktzahl-Zuordnung bzgl. Risikomanagement und Kontrollsystem ist Folgendes zu berücksichtigen: • Inwieweit gilt die Konsistenz zwischen der Marktpreisrisikostrategie und der Gesamtstrategie sowie der Risikobereitschaft? • Ist der organisatorische Rahmen für Marktpreisrisiken stabil mit klaren Verantwortlichkeiten und der Aufgabentrennung von „risk takers“, Management und Kontrollfunktion? • Sind die Systeme für die Messung, Überwachung und Berichterstattung der Marktpreisrisiken geeignet? • Sind interne Limite und das Kontrollsystem für Marktpreisrisiken angemessen und stehen sie im Einklang zu Risikomanagementstrategie und Risikobereitschaft? Die Beurteilung des inhärenten Marktpreisrisikos sowie des diesbezüglichen Risikomanagements und Kontrollsystems führt insgesamt zur Marktrisiko-Punktzahl. Zu (2), der Ermittlung der IRRBB-Punktzahl56: Der Beurteilung der Zinsänderungsrisiken des Anlagebuchs wird parallel zu den Marktpreisrisiken ein separater Abschnitt in den Leitlinien gewidmet. Unabhängig von ihrer Zuordnung im Rechnungswesen sind alle zinssensitiven Positionen zu berücksichtigen. Dabei sind die aus Basel bekannten Unterkategorien der Zinsänderungsrisiken des Anlagebuches (repricing risk, yield curve risk, basis risk und option risk, vgl. [BCBS 2004] sowie [EBA 2015a]) ebenso zu beachten wie die Berechnungen zum Baseler Zinsschock und die Verfahren zur Identifikation, Messung und Überwachung sowie die Kontrollverfahren zu den Zinsänderungsrisiken. In die IRRBB-Punktzahl fließen ebenfalls Beurteilungen zum inhärenten Risiko wie auch zur Angemessenheit des Risikomanagements und Kontrollsystems ein.

56

312

[EBA 2014] Abschnitt 6.5 Tz. 288–318.

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Anders als für die Marktrisiko-Punktzahl erfolgt die Beurteilung der inhärenten Zinsänderungsrisiken des Anlagebuchs nach der Sensitivität57: • des ökonomischen Wertes gegenüber Zinsänderungen, • des handelsrechtlichen Ertrages gegenüber Zinsänderungen, • des ökonomischen Wertes und handelsrechtlichen Ertrages bzgl. zugrunde liegender Annahmen (bspw. für Produkte mit impliziten Kunden-Optionen). Die Risiko-Punktzahl wird zugeordnet je nachdem, ob die Sensitivitäten nicht materiell, gering, mittel oder hoch sind. Für die Beurteilung des Risikomanagements und des Kontrollsystems zum Zinsänderungsrisiko des Anlagebuches sind die gleichen Themen zu berücksichtigen wie beim Marktpreisrisiko (s.o.), nur speziell auf das Zinsänderungsrisiko bezogen. Im SREP identifizierte Mängel können aufsichtliche Maßnahmen nach sich ziehen, die ggf. auch zusätzliche Eigenmittelanforderungen umfassen. Für diesen Fall werden die zusätzlichen Eigenmittelanforderungen je Risikoart ermittelt, insbesondere mit Bezug zu Größen aus dem ICAAP, zu aufsichtlichen Benchmarks und weiteren potenziell relevanten Informationen beispielsweise aus der Kommunikation mit den Instituten selbst sowie aus der Peer-Group-Analyse. Während aus den Marktpreisrisiken des Anlagebuches die Fremdwährungs- und Warenrisiken bereits bisher durch die Säule 1 abgedeckt sind, geraten somit nun die anderen Unterkategorien, darunter die Zinsänderungsrisiken und die Credit-Spread-Risiken des Anlagebuches, in den Fokus. Im Ergebnis wird im Rahmen des SREP der TSCR (Total SREP Capital Requirements) bestimmt.58 Die Mitteilung des TSCR an das Kreditinstitut erfolgt als TSCR-Quotient = 8% * (TSCR * 12,5) / Gesamtforderungsbetrag, wobei der Gesamtforderungsbetrag den Eigenmittelanforderungen (RWA, OpRisk, etc.) gemäß Artikel 92 (3) CRR entspricht. Eine Eigenmittelanforderung bezogen auf den SREP der Art Eigenmittel / (TSCR * 12,5) ≥ 8%

57 58

[EBA 2014] Table 7. [EBA 2014] Tz. 3: „‘Total SREP capital requirement (TSCR)’ means the sum of own funds requirements as specified in Article 92 of Regulation (EU) 575/2013 and additional own funds requirements determined in accordance with the criteria specified in these guidelines.“

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lässt sich durch mathematische Erweiterung um 1, ausgedrückt als Quotient Gesamtforderungsbetrag/Gesamtforderungsbetrag, leicht umformen in eine neue Anforderung an die Kapitalquote: Eigenmittel / Gesamtforderungsbetrag ≥ 8% * (TSCR * 12,5) / Gesamtforderungsbetrag oder Eigenmittel / Gesamtforderungsbetrag ≥ TSCR-Quotient. Auch für die Zusammensetzung der zusätzlichen Eigenmittel machen die Leitlinien eine Vorgabe: Sie bestehen aus mindestens 56% hartem Kernkapital und mindestens 75% Kernkapital, was den Quotientenrelationen der Eigenmittelanforderungen aus Artikel 92 (1) CRR entspricht. Die Bezeichnung „Säule 1-Plus“ ist für diese Anforderungen daher durchaus gerechtfertigt. Mögliche aufsichtliche Maßnahmen jenseits von zusätzlichen Eigenmittelanforderungen richten sich für das Marktpreisrisiko auf die Risikoreduktion oder die Stärkung von Management und Kontrolle. Bei den Zinsänderungsrisiken des Anlagebuches ist eine Ausweitung der Stresstestmöglichkeiten als Beispielmaßnahme explizit aufgeführt. Auch wenn Banken die originären Anforderungen (ICAAP, …) zu erfüllen haben, so hilft doch dieser Blick auf an die zuständigen Behörden gerichtete SREP-Anforderungen nicht nur bei der Interpretation der originären Anforderungen, sondern auch bei der Transparenz im Aufsichtsdialog.

10 Fazit Unter dem SSM werden von neuen Aufsichtsbehörden für den SREP neue Handbücher geschrieben und fortgeführt, die einen neuen Modus Vivendi zwischen den Aufsichtsbehörden untereinander und mit den Instituten definieren werden. Die Begrifflichkeit „Säule 1-Plus“ lässt bereits erahnen, dass die Anforderungen an die Institute – nicht nur im umfangreichen Dialog mit der Aufsicht – noch höher ausfallen werden als bisher. Zinsänderungsrisiken und Credit-Spread-Risiken des Anlagebuches werden sicher nicht unberücksichtigt bleiben.

314

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

Die zukünftigen regulatorischen Entwicklungen zu den Marktpreisrisiken des Anlagebuches werden bereits in Basel vorbereitet, darunter die grundlegende Überarbeitung der Handelsbuchregelungen und die Aktivitäten der TFIR zum Zinsänderungsrisiko und dem Credit-Spread-Risiko des Anlagebuches. Selbst wenn der Baseler Ausschuss keine Säule 1-Regelungen für diese Risiken erstellen sollte, so ist zumindest mit einer Überarbeitung der bestehenden Regelungen zu den Marktpreisrisiken des Anlagebuches zu rechnen. Dabei hat durch die zunehmende Vielfalt der regulatorischen Anforderungen und Kennziffern das Management der Anlagebuchpositionen an Komplexität schon jetzt deutlich zugenommen. So haben beispielsweise Liquiditätsthemen durch den ILAAP an Bedeutung gewonnen: Dieser steht nun neben dem ICAAP. Beide Prozesse beziehen sich auf dieselben Positionen und es ist darauf zu achten, dass diese nicht sich widersprechenden Steuerungsimpulsen ausgesetzt werden. In dem nach Marktpreisrisiken und Zinsänderungsrisiken des Anlagebuches differenzierten SREP wird den Instituten unter anderem abverlangt, jedwede vorgegebene Kennziffer stressen zu können. Dies erfordert nach den Erfahrungen aus dem EZB/EBAStresstest 2014 nicht nur eine risikoarten-übergreifende, sondern auch eine effiziente bereichsübergreifende Zusammenarbeit und dies in Gruppenunternehmen über die unternehmerischen Einheiten hinweg. Die erforderliche technische Unterstützung bei der Datenbereithaltung und Datenermittlung inkl. Neuberechnungsfunktionalitäten wird auch IT-Einheiten wesentlich in Anspruch nehmen und eine enge Abstimmung mit Planungen und Umsetzungen zu BCBS 239 [BCBS 2013] erfordern, von den Kosten ganz zu schweigen. Neben den aufsichtlichen Anforderungen nicht zu vergessen: Höchste Relevanz haben für jedes einzelne Kreditinstitut das aktuelle Marktumfeld niedriger Zinsen und schrumpfender Zinsmargen59 sowie die resultierenden Auswirkungen auf die geschäftspolitische Ausrichtung. Auch dies wird nicht ohne Auswirkungen auf die Marktrisikopositionen des Anlagebuches sein. Es ist zu wünschen, dass Regulator und Aufsicht die Mehrfachbelastung der Institute aus neuen regulatorischen Anforderungen und aufsichtlicher Praxis sowie den Herausforderungen des Marktes bei ihren weiteren Überlegungen zu den Marktpreisrisiken des Anlagebuches berücksichtigen.

59

[BuBa 2014] S. 34 ff. „Risikolage im deutschen Finanzsystem“.

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Literatur [BaFin 2011] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2011): Rundschreiben 11/2011 (BA) – Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch; Ermittlung der Auswirkungen einer plötzlichen und unerwarteten Zinsänderung, Bonn. [BaFin 2011a] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2011): Schreiben an die Kreditinstitute der Bundesrepublik Deutschland, GZ: BA 54-K 3000-2010/0006 – Leitfaden – Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte („RTF-Leitfaden“), Bonn. [BaFin 2012] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2012): MaRisk: Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement, Bonn. [BaFin 2014] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2014): Rundschreiben 5/2014 (BA) – Anwendung von Aussagen zum Grundsatz I, zur SolvV-alt und zur GroMiKV-alt auf CRD IV und CRR, Bonn. [BCBS 2004] Basel Committee on Banking Supervision (2004): BCBS 108: Principles for the Management and Supervision of Interest Rate Risk, Basel. [BCBS 2009] Basel Committee on Banking Supervision (2009): BCBS 155: Principles for sound stress testing practices and supervision, Basel. [BCBS 2010] Basel Committee on Banking Supervision (2010, rev. 2011): BCBS 189: Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems, Basel. [BCBS 2013] Basel Committee on Banking Supervision (2013): BCBS 239: Principles for effective risk data aggregation and risk reporting, Basel. [BCBS 2014] Basel Committee on Banking Supervision (2014): Instructions for Basel III monitoring. Revised 25 March 2014, Basel. [BCBS 2015] Basel Committee on Banking Supervision (2015): Instructions for Basel III monitoring. Version for banks providing data for the trading book part of the exercise. Revised – 13 February 2015. Annex 4: Revised market risk framework – updated draft, Basel. [BCBS 2015a] Basel Committee on Banking Supervision (2015): BCBS 319: Interest rate risk in the banking book, consultative document, Basel.

316

Marktpreisrisiken im Anlagebuch

[BMF 2014] Bundesministerium der Finanzen (2014): Verordnung zur Einreichung von Finanz- und Risikotragfähigkeitsinformationen nach dem Kreditwesengesetz (Finanz- und Risikotragfähigkeitsinformationsverordnung – FinaRisikoV), Berlin. [BuBa 2010] Deutsche Bundesbank (2010): „Range of Practice“ zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit bei deutschen Instituten, Frankfurt. [BuBa 2012] Deutsche Bundesbank (2012): Die Rolle des „Baseler Zinsschocks“ bei der bankaufsichtlichen Beurteilung von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, Monatsbericht Juni 2012, S. 55–65, Frankfurt. [BuBa 2013] Deutsche Bundesbank (2013): Bankinterne Methoden zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit und ihre bankaufsichtliche Bedeutung, Monatsbericht März 2013, S. 31–45, Frankfurt. [BuBa 2014] Deutsche Bundesbank (2014): Finanzstabilitätsbericht 2014, Frankfurt. [BuBa 2015] Deutsche Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2015): Risikotragfähigkeitsinformationen – Merkblatt für die Meldungen gemäß §§ 10, 11 FinaRisikoV, Frankfurt. [DK 2014] Deutsche Kreditwirtschaft (2014): Positionspapier der Deutschen Kreditwirtschaft zur aktuellen Diskussion bezüglich der Ausgestaltung eines Modells zur Bestimmung von aufsichtlichen Eigenmitteln zur möglichen Unterlegung von Zinsänderungsrisiken und Credit-Spread-Risiken im Anlagebuch, Koordinator: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V., Berlin. [EBA 2006] Committee of European Banking Supervisors (2006): Technical aspects of the management of interest rate risk arising from non-trading activities under the supervisory review process. [EBA 2010] Committee of European Banking Supervisors (2010): CEBS Guidelines on Stress Testing (GL32). [EBA 2014] European Banking Authority (2014): EBA/GL/2014/13 – Guidelines on common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process („EBA SREP-Leitlinien“), London. [EBA 2014a] European Banking Authority (2014): Methodological note EU-wide Stress Test 2014, Version 2.0, London.

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Erwin Pier-Ribbert

[EBA 2015] European Banking Authority (2015): EBA/RTS/2014/06 – EBA FINAL draft Regulatory Technical Standard on prudent valuation under Article 105 (14) CRR, London. [EBA 2015a] European Banking Authority (2015): EBA/GL/2015/08 – Final Report – Guidelines on the management of interest rate risk arising from non-trading activities („EBA IRRBB-Leitlinien“), London. [EU 2013] Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (2013): Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (Kapitaladäquanzverordnung, Capital Requirements Regulation/CRR). [EU 2013a] Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (2013): Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (Kapitaladäquanzrichtlinie IV, Capital Requirements Directive/CRD IV). [EZB 2014] Europäische Zentralbank (2014): Leitfaden zur Bankenaufsicht, Frankfurt.

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken Thomas Kaiser

1 Einführung 2 Definition und aufsichtsrechtliche Anforderungen für OpRisk 2.1 Das „continuum of approaches“ 2.2 Basisindikatoransatz 2.3 Standardansatz 2.4 Ambitionierte Messansätze (AMA) 2.5 Qualifikationskriterien und OpRisk Sound Practices 2.6 Risikotransfer 2.7 Aufsichtliches Überprüfungsverfahren (Säule 2) 2.8 Marktdisziplin (Säule 3) 2.9 Umsetzung in Deutschland 3 Umsetzung der Anforderungen in der Praxis 3.1 Framework 3.2 Definitions and Structures 3.3 Loss Data 3.4 Risk Assessment 3.5 Key Risk Indicators 3.6 Management Information System 3.7 Economic and Regulatory Capital 3.8 Risk IT 4 Schlussbetrachtung Literatur

319

320

1 Einführung Bedingt durch erhebliche realisierte Verluste (Barings, Orange County etc.) ist das Gebiet „Operational Risk“ bzw. „Operationelle Risiken“ (im folgenden kurz „OpRisk“) sowohl in den Banken als auch in der Aufsicht etwa Mitte der 1990er Jahre in den Fokus gerückt (siehe hierzu etwa [Risk 1998] oder [BBA 1999]). Damit wurde eine Disziplin institutionalisiert, die in anderen Sektoren, etwa dem produzierenden Gewerbe oder der Luft- und Raumfahrt, schon seit einigen Jahrzehnten etabliert ist. Auch die Bankenwelt hat sich implizit mit OpRisk seit ihrem Bestehen auseinandergesetzt, allerdings nicht unter einem spezifischen, einheitlichen und umfassenden Organisations- und Methodenrahmen. Obwohl das Thema OpRisk indirekt in vielerlei Publikationen zu Themen wie Internes Kontrollsystem und Qualitätsmanagement angerissen wurde, hat es der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) explizit erstmalig 1998 mit der Publikation [BIS 1998] aufgegriffen. Das erste Konsultationspapier zur Neuregelung der Eigenkapitalausstattung der Banken forderte erstmalig eine Eigenkapitalunterlegung für „other risks, principally operational risk“. Damit sollten infolge der erhöhten Risikosensitivität bei der zukünftigen Bemessung der Kreditrisikounterlegung eingesparte, bislang implizit für OpRisk als Puffer dienende Kapitalbestandteile nunmehr durch eine explizite Unterlegung für OpRisk ersetzt werden. Parallel wurde diese Entwicklung auch im europäischen Aufsichtsrecht verankert. Im Zuge des sich anschließenden Dialogs zwischen Bankenaufsicht und Banken wurde die Eigenkapitalunterlegung im zweiten Konsultationspapier und dessen OpRisk-Ergänzungspapier explizit auf OpRisk als wichtigste und am ehesten messbare Komponente der „other risks“ eingeschränkt. Andere Bestandteile der „other risks“ werden im Rahmen der Säule 2 (aufsichtliches Überprüfungsverfahren, d.h. keine Eigenkapitalunterlegung unter der Mindestkapitalausstattung der Säule 1) der neuen Basler Eigenkapitalvereinbarung behandelt. Gegenstand der folgenden Darstellung sind die Definition und Ermittlungsansätze für OpRisk auf Basis der neuen Basler Eigenkapitalvereinbarung („Basel II“) [BIS 2004] – die folgenden Überarbeitungen des Basler Akkords hatten für OpRisk keine wesentliche Relevanz. Diese sind in sehr ähnlicher Form in der EU-Richtlinie (Capital Requirements Directive, CRD) [EC 2013a] in der neuesten Fassung und in deren deutscher Umsetzung (Solvabilitätsverordnung) [BMF 2013] sowie der EU-Verordnung (Capital Requirements Regulation, CRR), [EU 2013b] widergespiegelt. Die Novellierungen des Basler Akkords haben bislang zu keinen materiellen Änderungen geführt. Ferner werden Empfehlungen zur praktischen Umsetzung der Anforderungen gegeben.

321

Thomas Kaiser

2 Definition und aufsichtsrechtliche Anforderungen für OpRisk OpRisk ist die „Gefahr von Verlusten, die infolge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder infolge externer Ereignisse eintreten“ (SolvV). Somit ist nicht zuletzt aufgrund des Drängens der im Konsultationsprozess eingebundenen Banken eine positive Definition (im Gegensatz zur negativen Definition „alles außer Markt- und Kreditrisiko“) festgelegt worden. Das rechtliche Risiko ist in dieser Definition explizit enthalten, während strategisches Risiko und Reputationsrisiko ausgeschlossen sind. Die Detailbetrachtung zeigt jedoch, dass weiterhin eine genauere Abgrenzung zwischen OpRisk und den etablierteren Risikoarten notwendig ist (beispielsweise Erhöhung eines Kreditausfallbetrages durch unzureichende Sicherheitenverwaltung, siehe z.B. [van den Brink/Kaiser 2004]). Wie aus der Definition ersichtlich, spielen Verluste eine Schlüsselrolle beim Umgang mit OpRisk.

2.1 Das „continuum of approaches“ Das zweite Basler Konsultationspapier führt erstmals – wie auch im Kreditrisikobereich – für OpRisk ein „continuum of approaches“ ein, welches zur Bemessung der erforderlichen Kapitalunterlegung herangezogen wird. Grundsätzlich werden die Bemessungsansätze mit zunehmender Sophistizierung risikosensitiver, aber auch anspruchsvoller hinsichtlich qualitativer und quantitativer Voraussetzungen, die zu ihrer Anwendung erfüllt werden müssen. Als Anreiz zur Wahl fortschrittlicher Ansätze und somit zur Weiterentwicklung der einzelnen Banken auf dem Kontinuum werden Kapitalentlastungen für diese in Aussicht gestellt. Aktuelle Diskussionen in Aufsichtskreisen lassen jedoch befürchten, dass derartige Anreize zukünftig wegfallen könnten. So wird dem unterschiedlichen Entwicklungsstand und der unterschiedlichen Bedeutung des OpRisk in den einzelnen Banken mit einer stärkeren Differenzierung der Herangehensweise Rechnung getragen. Für den sophistiziertesten Ansatz ist ein „partial use“, also die Möglichkeit der selektiven Verwendung für ausgewählte Bereiche der Gesamtbank, vorgesehen.

2.2 Basisindikatoransatz Der Basisindikatoransatz (Basic Indicator Approach) ist der einfachste Ansatz im Kontinuum. Er kann von allen Banken bis auf international tätige oder solche mit einem signifikanten OpRisk angewendet werden. Die Kapitalbelastung K errechnet sich als a-faches des über drei Jahre gemittelten Bruttoertrags (Gross Income) des Instituts. Der

322

Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Bruttoertrag wird hierbei als Summe von Zinsüberschuss, Provisionsüberschuss, Handelsergebnis, Finanzanlageergebnis sowie sonstigen ordentlichen betrieblichen Erträgen definiert. Der Faktor a wurde von der Aufsicht unter Berücksichtigung des angestrebten durchschnittlichen Kapitalniveaus auf z.Z. 15% festgelegt.

1

n

K = ---  α • GrossIncome j , n = Anzahl echt positiver Bruttoerträge n j= 1

Eine Modifikation der Berechnungsformel (Bestandteile und Parameter) wird mittelfristig erwartet.

2.3 Standardansatz Der Standardansatz (Standardised Approach, STA) folgt einer ähnlichen Logik wie der Basisindikatoransatz, differenziert jedoch nach standardisierten Geschäftsfeldern, um eine höhere Risikosensitivität durch Berücksichtigung eines unterschiedlichen Risikoprofils in diesen Geschäftsfeldern zu erreichen. Er ist der Einstiegsansatz für international tätige Banken sowie für Banken mit signifikantem OpRisk. Die Kapitalbelastung KBLi je aufsichtlich einheitlich festgelegtem Geschäftsfeld BLi (acht, z.B. „Trading and Sales“) wird als Produkt aus dem Wert eines Indikators (durchschnittlicher Bruttoertrag je Geschäftsfeld über drei Jahre) und einem vorgegebenen geschäftsfeldspezifischen Faktor βBLi ermittelt, die Gesamtbelastung K als Summe der Einzelbelastungen. Die Beta-Faktoren für die einzelnen Geschäftsfelder wurden auf z.Z. 12%, 15% bzw. 18% festgelegt. Eine kapitalbedarfsreduzierende Berücksichtigung von Diversifikationseffekten über die Geschäftsfelder wird somit nicht gewährt. 3  8  1 K = ---  max   K BL ,0 ij 3  i= 1  j= 1

K BL = β BL • GrossIncome BL ij

i

ij

Eine Modifikation der Berechnungsformel (Bestandteile und Parameter) wird mittelfristig erwartet. Die Variante Alternativer Standardansatz (Alternative Standardised Approach) wurde speziell für Banken in Nicht-G 10-Staaten entwickelt und wird daher hier nicht dargestellt, wenngleich dieser in Einzelfällen auch in G 10-Staaten zum Einsatz kommt.

323

Thomas Kaiser

2.4 Ambitionierte Messansätze (AMA) Während Basisindikator- und Standardansatz keine bzw. eine nur sehr unzureichende Risikosensitivität aufweisen, soll die dritte Stufe des „continuum of approaches“ dem Anspruch der Neuregelung des Baseler Akkords hinsichtlich risikoadäquater Kapitalhinterlegung gerecht werden. Die hierzu verwendeten Ambitionierten Messansätze (Advanced Measurement Approach AMA) stellen gewissermaßen das Analogon zu Internen Modellen im Marktrisiko dar. Nachdem sich im Zuge des Konsultationsprozesses herauskristallisiert hat, dass ein „one-size-fits-all-Modell“ für OpRisk nicht verfügbar ist (und insbesondere der hierzu entwickelte und ursprünglich vorgeschlagene Interne Bemessungsansatz (IMA) nicht eine solche Lösung zu sein scheint), wurde das Feld für die Entwicklung von internen Messverfahren unter einem vorgegebenen Anforderungskatalog eröffnet, siehe z.B. [Beeck/Kaiser 2000], [Aue/Kalkbrener 2007]. Im Unterschied zum Standardansatz kann die Modellierung und Eigenkapitalermittlung auf Basis der internen Geschäftsstruktur erfolgen. Ferner wird eine Unterteilung nach (ebenfalls intern definierten) Risikokategorien (Ereigniskategorien wie z.B. Externe Kriminalität, Fehlbearbeitung) vorgenommen. Die fundamentale Komponente eines AMA-Modells sind interne Verlustdaten. Diese müssen in Form einer mindestens 5-jährigen Historie (übergangsweise bei erstmaliger Anwendung lediglich 3 Jahre) vorliegen. Externe Verlustdaten, Szenarioanalysen sowie qualitative Komponenten (Geschäfts- und Kontrollumfeld, beispielsweise Ratings aus Self Assessment oder Key Risk Indicators) müssen ebenfalls Verwendung finden. Die Berücksichtigung von Versicherungen ist unter gewissen Bedingungen möglich. Ziel ist die Ermittlung eines Value-at-Risk zum Konfidenzniveau 99,9% (analog dem Kreditrisiko) auf einem Ein-Jahres-Horizont. Hierbei sollen die seltenen, hohen Ereignisse explizit abgedeckt werden. Die Kapitalunterlegung bezieht sich grundsätzlich auf die Summe von erwarteten und unerwarteten Verlusten. Sofern nachgewiesen werden kann, dass die erwarteten Verluste im Rahmen von Budgetierung bzw. Standardrisikokosten in der Produktkalkulation Berücksichtigung finden, können die entsprechenden Beträge von der Kapitalunterlegung abgezogen werden. Die Modelle sowie Modellergebnisse müssen anschließend validiert werden. Mit Billigung durch die nationale Gastland-(host-)Aufsicht ist die Ermittlung des Mindestkapitalbedarfs mittels Allokationsmethoden aus entsprechenden konzernweiten AMA-Modellen einer übergeordneten Muttergesellschaft (durch die dortige (home-)Aufsicht abgenommen) zulässig. Dabei können institutsübergreifende Diversifikationseffekte berücksichtigt werden.

2.5 Qualifikationskriterien und OpRisk Sound Practices Die Anwendung der einzelnen Stufen des Kontinuums ist an die Erfüllung vorgegebener Qualifikationskriterien geknüpft. Diese stehen in engem Zusammenhang mit den qualitativen Anforderungen der Säule 2 (aufsichtliches Überprüfungsverfahren).

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Alle Banken – und somit auch die Anwender des Basisindikatoransatzes – sollen die Mindeststandards erfüllen, welche in den „Principles for the Sound Management of Operational Risk“ [BIS 2011] (vormals „Sound Practices for the Management and Supervision of Operational Risk“ [BIS 2003]) festgelegt wurden [BIS 2003] und zurzeit überarbeitet werden. Diese wurden prinzipiell in Deutschland mit dem MaRisk [BaFin 2012] umgesetzt. Konkret fordert dieses Dokument das Vorhandensein eines durchgängigen OpRisk-Managementprozesses beginnend mit einer vom Vorstand verabschiedeten OpRisk-Strategie über die Umsetzung durch die Geschäftsfeldleitungen unter Einschluss einer adäquaten Kommunikationspolitik. Bestandteile dieses OpRisk-Managementprozesses sind die Identifikation, Bewertung, Überwachung und Kontrolle der OpRisk. Der OpRiskManagementprozess sowie seine Einbindung in die Gesamtbanksteuerung unterliegen der aufsichtlichen Überprüfung. Schließlich sollen Informationen über OpRisk offengelegt werden (im Rahmen der Säule 3). Zur Verwendung des Standardansatzes müssen die Banken über das „Operational Risk Sound Practices“-Papier hinausgehende Anforderungen erfüllen. Diese umfassen einerseits eher qualitative Voraussetzungen (effektives Risikomanagement und Kontrolle), andererseits eher quantitative Kriterien (Bewertung und Validierung). Die qualitativen Anforderungen zielen im Wesentlichen auf das Vorhandensein eines definierten umfassenden OpRisk-Prozesses zur Risikobewertung und -berichterstattung unter Einbindung des Vorstands, einer unabhängigen Risikocontrolling-Einheit sowie der internen Revision. Die quantitativen Kriterien umfassen sowohl die direkt für die Ermittlung der Kapitalunterlegung erforderlichen Daten und Methoden (d.h. Bruttoertrag und dessen Mapping auf die regulatorischen Geschäftsfelder) als auch darüber hinausgehende Schritte (Beginn einer systematischen, bankweiten Verlustdatensammlung). Für international tätige Banken sind weitergehende Anforderungen festgelegt. Für die Zulassung zu Ambitionierten Messansätzen (AMA) ist die Erfüllung aller für den Standardansatz definierten Kriterien sowie einer Reihe darüber hinausgehender Anforderungen nötig. Die qualitativen Anforderungen bedingen im Wesentlichen die vollständige Integration der ermittelten Risikomaße in die operative und strategische Steuerung der Bank (insbesondere durch die Allokation internen Kapitals). Die quantitativen Kriterien umfassen eine systemgestützte, zuverlässige konzernweite Verlustdatensammlung mit mehrjähriger Historie sowie adäquate Methoden zur Ergänzung dieser internen Daten mit angepassten, qualitätsgesicherten externen Daten. Ferner ist die Validierung der gewonnenen Ergebnisse beispielsweise mittels Szenarioanalysen und Stresstests gefordert. Alle Schritte des Prozesses (Organisation, Datenbeschaffung, Durchführung der Bemessung und Validierung der Ergebnisse) unterliegen der aufsichtlichen Überwachung.

325

Thomas Kaiser

2.6 Risikotransfer Banken transferieren Risiken durch den Abschluss von Versicherungspolicen, beispielsweise gegen Feuerschäden oder kriminelle Handlungen durch Externe. Neben diesen traditionellen Versicherungen werden auch teilweise Versicherungsprodukte angeboten, welche den spezifischen Bedürfnissen des OpRisk besser gerecht werden (z.B. durch die Abdeckung einer breiteren Palette von Einzelrisiken, höhere Deckungssummen sowie modifizierte Zahlungsbedingungen etc.). Ferner interessieren sich einige Institute für die Möglichkeiten eines alternativen Risikotransfers (ART). Eine entsprechende vertragliche Regelung vorausgesetzt führen beide Vorgehensweisen zu einer Verminderung der Häufigkeit und/oder Höhe der potenziellen OpRisk-Verluste und führen somit beim AMA zu einer Verminderung der Kapitalanforderung. In beiden Fällen muss der Aufsicht die Effektivität des Risikotransfers demonstriert werden. Diese hängt neben der konkreten vertraglichen Gestaltung insbesondere auch von der Finanzkraft der Vertragspartei ab und ist aufsichtlich auf 20% begrenzt.

2.7 Aufsichtliches Überprüfungsverfahren (Säule 2) Die zweite Säule der neuen Basler Eigenkapitalvereinbarungen (aufsichtliches Überprüfungsverfahren) ergänzt die erste Säule (Mindestkapitalanforderungen) hinsichtlich aller Risikoarten. Sie fördert allgemein die Weiterentwicklung der Banken in Bezug auf Risikocontrolling und -management und beabsichtigt insbesondere eine den tatsächlichen Risiken angemessene interne Kapitalallokation. Im Rahmen dieses Überprüfungsverfahrens wird auch die Einhaltung der Mindestanforderungen für die Zulassung fortschrittlicher Ansätze aus der Säule 1 geprüft. Die aufsichtliche Prüfung für OpRisk umfasst alle Aspekte der gewählten Methode zur Kapitalunterlegung gemäß Säule 1 sowie den Zustand des OpRisk-Managements einschließlich der Kontrolle durch die interne Revision und Risikovermeidungsmaßnahmen. Die nicht vollständige Einhaltung der Anforderungen führt zur Anwendung eines abgestuften Maßnahmenkatalogs seitens der Aufsicht.

2.8 Marktdisziplin (Säule 3) Gemäß Säule 3 werden die Offenlegung der Management- und Controllingprozesse für OpRisk sowie der zur Bestimmung des regulatorischen Kapitals verwendeten Methoden gefordert. Der Umfang der Offenlegung hängt sowohl von der Größe und Bedeutung des jeweiligen Instituts als auch vom konkret gewählten Ansatz ab.

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

2.9 Umsetzung in Deutschland In Deutschland wird die CRD durch die Solvabilitätsverordnung (SolvV) umgesetzt. Seit Anfang 2014 wurden wesentliche Teile der vormaligen CRD in die CRR verlagert. Hierzu wurden zunächst über das CRD-Umsetzungsgesetz eher geringfügige Änderungen am Kreditwesengesetz (KWG) vorgenommen, während die Detailanforderungen im Rahmen der SolvV erlassen wurden. Bei der Ausgestaltung wurde die Zielsetzung einer möglichst engen Anlehnung an die CRD berücksichtigt. Ferner sind die Empfehlungen des Fachgremiums OpR der BaFin und der Bundesbank zur Interpretation der CRD in die nationale Umsetzung eingeflossen. Diese betreffen u.a. Themenbereiche wie die Ermittlung des Bruttoertrags sowie die Zuordnung zu den regulatorischen Geschäftsfeldern. In Abhängigkeit von dem gewählten Ansatz zur Kapitalermittlung wurden einzelne Hilfestellungen in Form von Merkblättern und ergänzenden Unterlagen durch Bundesbank und BaFin veröffentlicht. Zur Anwendung des AMA ist ein formelles Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Hierzu wurde das AMA-Merkblatt [BaFin/Buba 2006a] herausgegeben. Hierzu ist eine ausgefüllte Anforderungsliste mitsamt ergänzenden Anlagen beim Amt abzugeben und im Rahmen einer Vor-Ort-Prüfung wird die Konzeption und Umsetzung des Prozesses zum Management und Controlling operationeller Risiken – unter Einschluss des eigentlichen Berechnungsmodells für den AMA – beurteilt. Die Anforderungsliste orientiert sich an der AMA-Industrieaktion, die von der deutschen Aufsicht im Jahr 2005 durchgeführt wurde, um einen ersten Eindruck vom Umsetzungsstand sowie der konkreten Methodenwahl der Institute zu bekommen, welche die Verwendung des AMA anstreben. Im Falle eines temporären Partial use ist auch der Zeitplan für den Roll-out des AMA Gegenstand der Darstellung. Nach der Prüfung ergeht ein Bescheid an das beantragende Institut, der darüber entscheidet, ob – und ggf. unter welchen Auflagen – die Verwendung des AMA als Verfahren zur Ermittlung des regulatorischen Kapitals erlaubt wird. Ergänzend zur SolvV sind für die Prüfung von AMA-Modellen die Richtlinien der European Banking Authority (EBA), vormals Committee of European Banking Supervisors (CEBS), u.a. GL 10 [CEBS 2006] sowie die Operational Risk – Supervisory Guidelines for the Advanced Measurement Approaches [EBA 2011] relevant. Hier sind zu den einzelnen Pflichtbausteinen eines AMA-Modells sowie zu den Modellbestandteilen an sich Konkretisierungen hinsichtlich der jeweiligen Anforderungen gemacht worden. Zur Anwendung des Standardansatzes ist kein Zulassungsverfahren vorgesehen, jedoch ein Anzeigeverfahren, welches im STA-Merkblatt [BaFin/Buba 2006b] geregelt ist. Hierbei wird erwartet, dass das Institut schriftlich bestätigt, die Anforderungen an die Anwendung des STA umgesetzt und deren Einhaltung geprüft zu haben. Zur Vereinfachung ist ein Fragenkatalog als Orientierungshilfe für ein entsprechendes Self-Assessment verfügbar. Sofern das Institut die Nutzung des Alternativen Standardansatzes (ASA) an-

327

Thomas Kaiser

strebt, sind entsprechende Begründungen für die Wahl dieses Ansatzes aufzuführen. Im Gegensatz zum STA erfordert der ASA die explizite Zulassung durch die Aufsichtsbehörden. Die erstmalige Anwendung des TSA bzw. ASA ist seit dem 01.01.2007 möglich. Die Anwendung des Basisindikatoransatzes erfordert weder Zulassung noch Anzeige, jedoch kann gemäß Säule 2 eine Prüfung der qualitativen Anforderungen, die insbesondere aus den MaRisk abgeleitet werden, durchgeführt werden.

3 Umsetzung der Anforderungen in der Praxis1 Die Umsetzung eines funktionsfähigen Risikomanagementprozesses erfordert die Entwicklung von Methoden und Verfahren, die organisatorisch und DV-technisch in die Bank integriert werden müssen. Auch wenn sich die Möglichkeiten dieser Methoden und Verfahren teilweise deutlich in ihrer Konzeption und Umsetzung unterscheiden, können alle vorzufindenden Ansätze in der im Folgenden beschriebenen Struktur dargestellt werden. Abbildung 1: Komponenten des Managements Operationeller Risiken

1

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Das folgende Kapitel basiert auf Kaiser/Köhne: Operationelle Risiken in Finanzinstituten, Eine praxisorientierte Einführung, Gabler 2007.

Berücksichtigung der Operationellen Risiken

3.1 Framework Das Framework oder die Aufbau- und Ablauforganisation umfasst alle für das Management Operationeller Risiken relevanten organisatorischen Komponenten. Dies beinhaltet die relevanten Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf allen Ebenen der Organisation, relevante Gremien bzw. Komitees, entsprechende Abgrenzungen zu anderen Funktionen sowie die obligatorischen Berichts- und Eskalationswege. Analog zu anderen Risikoarten umfasst das Framework das Risikomanagement im engeren Sinne, ein davon unabhängiges Risikocontrolling und die für Operationelle Risiken spezifischen Aufgaben der Revision. Das wesentliche Merkmal des Frameworks zum Management der Operationellen Risiken ist dabei, dass die entsprechenden Managementaufgaben anders als Markt- oder Kreditrisikomanagement aufbauorganisatorisch über alle Bereiche einer Bank verteilt sind. Eine Zentralisierung ist nur in wenigen Fällen möglich. Wesentliche Elemente eines Frameworks sind: • Gesamtverantwortung – die Unternehmensleitung (im deutschen Gesetzesraum zumeist der Vorstand), – ein Komitee zur Unterstützung der Unternehmensleitung, • Erste Ebene des Risikomanagements (Management im engeren Sinne) – die Leitung der einzelnen Geschäftsbereiche, – die Leitung zentraler oder dezentraler Unterstützungsbereiche (IT, Recht, Personal etc.), • Zweite Ebene des Risikomanagements (unabhängige Überwachung): das Risikocontrolling und • Dritte Ebene des Risikomanagements: die interne Revision. In größeren Banken wird die erste Ebene des Risikomanagements durch dedizierte Operational Risk Manager unterstützt.

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Eine konkrete Umsetzung könnte wie folgt gestaltet sein: Abbildung 2: Integration Operationeller Risiken in die Aufbauorganisation

3.2 Definitions and Structures Der Ausgestaltung aller Komponenten und Prozessschritte eines umfassenden Managements Operationeller Risiken muss eine gemeinsame Sprache und Struktur zugrunde liegen. Nur dies stellt eine effiziente bankweite Kommunikation in einem einheitlichen Begriffsverständnis sicher. Einige Begrifflichkeiten, die in anderen Bereichen der Bank, anderen Branchen, in der Wissenschaft oder im umgangssprachlichen Gebrauch eine mitunter deutlich abweichende Bedeutung haben, müssen besonders sorgfältig definiert werden. Ein markantes Beispiel hierfür ist das Begriffspaar „erwarteter Verlust“ und „unerwarteter Verlust“, bei dem die umgangssprachliche Verwendung (vorhergesehener beziehungsweise überraschender Verlust) und die Bedeutung in der Statistik (Mittelwert bzw. Abweichung vom Mittelwert) eklatant voneinander abweichen. Obgleich die Baseler Definition „Gefahr von Verlusten, die infolge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder infolge externer Ereignisse eintreten“ von den meisten Banken inzwischen akzeptiert wird, ist zu bezweifeln, inwieweit die tatsächliche Interpretation derselben vergleichbar ist.

330

Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Abbildung 3: Strukturmatrix

Somit ist die Notwendigkeit einer umfassenden Definition aller relevanten Begriffe offensichtlich. Diese müssen nicht nur hinreichend präzise sein, sondern auch so formuliert, dass sie bankweit kommuniziert und verstanden werden können. Hierzu bedienen sich einige Banken inzwischen Industriestandards, die beispielsweise im Rahmen des Datenkonsortiums ORX entwickelt wurden. Des Weiteren ist die Vereinbarung einer für alle Komponenten gültigen Struktur zur Datensammlung und -auswertung notwendig. Diese besteht üblicherweise aus einer Unterteilung der Operationellen Risiken in Risikokategorien einerseits und einer Unterteilung des Unternehmens in Organisationseinheiten bzw. Prozesse andererseits.

3.3 Loss Data Verlustdaten geben die historische Erfahrung eines Finanzinstituts hinsichtlich eingetretener Ereignisse aus Operationellen Risiken und den damit verbundenen finanziellen Konsequenzen wieder und reflektieren somit das bislang realisierte Risikopotenzial. Die Sammlung interner Verlustdaten sowie die Beschaffung externer Verlustdaten stellt eine wertvolle Grundlage zur Identifizierung und Bewertung Operationeller Risiken dar. Eine Verlustdatenbank macht bestehende Risiken transparent, unterstützt die zielgerichtete Einleitung risikoreduzierender Maßnahmen und bildet eine wichtige Ausgangsbasis zur Quantifizierung Operationeller Risiken. Schließlich ist die Verlustdatensammlung eine qualitative Anforderung bereits des Standardansatzes; die Aufsicht behält sich das Recht vor, Einblick in die Verlustdatenhistorie zu nehmen. Dabei ist zu bemerken, dass Operationelle Risiken sowohl in der Form von – leicht beobachtbaren – „high frequency – low severity“-Verlusten als auch als schwer beobachtbare „low frequency – high severity“-Verluste auftreten können.

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Interne Verlustdaten Da vorhandene Quellen in der Regel nicht ausreichend sind, um eine weitgehend vollständige Verlustdatenhistorie aufzubauen, müssen bankinterne Verluste durch einen speziellen Sammlungsprozess erhoben werden. Dabei ist zu ermitteln, wann in welchem Teil der Bank was für eine Art von Verlustereignis mit welchen finanziellen Auswirkungen eingetreten ist. Im Sammlungsprozess für Verlustdaten muss sichergestellt werden, dass möglichst alle aufgetretenen Verluste zeitnah gemeldet werden. Um den Erhebungsaufwand in Relation zum damit verbundenen Nutzen zu begrenzen, werden üblicherweise Bagatellegrenzen für die Erhebung definiert. Diese bewegen sich in der Mehrzahl der Banken zurzeit zwischen 500 EUR und 10.000 EUR. Zunächst muss festgelegt werden, welche Arten von Verlustereignissen zu erfassen sind. Beispielsweise sollten direkte Verluste und Rückstellungen vollumfänglich im Rahmen der Bagatellegrenze erfasst werden, während indirekte Verluste, entgangene Gewinne (Opportunitätskosten) sowie Beinaheverluste naturgemäß kaum vollständig erfasst werden können. Zur Verlustdatensammlung müssen alle Mitarbeiter der Bank über ihre Pflichten bei der Entdeckung und Meldung von Verlusten aus Operationellen Risiken wirksam unterrichtet und insbesondere geschult werden. Es ist zudem sinnvoll, ausgewählte Mitarbeiter pro Bereich mit vertieftem Wissen über Operationelle Risiken auszustatten und als Erfasser zu etablieren. Die eingegebenen Informationen müssen gemäß dem Vier-AugenPrinzip von einer zweiten Person überprüft und gegebenenfalls um fehlende Informationen ergänzt werden. Dabei spielen Spezialbereiche wie Rechnungswesen oder Versicherungsabteilung eine wichtige Rolle, die beispielsweise Buchwerte beschädigter oder gestohlener Vermögenswerte und die Höhe von Versicherungsleistungen zuliefern. Ein weiterer Bestandteil eines Verlustdatensammlungsprozesses ist eine zentrale Qualitätssicherung, die für Rückfragen seitens der Erfasser zur Verfügung steht und die Konsistenz und Vollständigkeit der erfassten Informationen überprüft. Abbildung 4: Verlustdatensammlungsprozess

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Mindestens zu erfassen sind folgende untenstehend näher beschriebenen Informationen: • Organisationseinheit/Prozess: Verursacher bzw. Betroffener • Risikokategorie: Einteilung nach Ereignis, gegebenenfalls zusätzlich nach Ursache und Effekt • Datum: Ereigniseintritt, zusätzlich gegebenenfalls Datum der Entdeckung, Erfassung, Verbuchung • Verlustbetrag: Nettobetrag, Bruttobetrag, gegebenenfalls auch Versicherungsleistungen Externe Verlustdaten Typischerweise sind hohe Verluste selten, jedoch für die Ermittlung potenzieller Risiken wesentlich. Somit ist eine interne Verlustdatensammlung per definitionem nur ein Ausschnitt aus dem Universum möglicher Verluste. Daher bietet sich die Verwendung externer Erfahrungen – ähnlich wie in der Versicherungswirtschaft bei der Tarifierung von Sachversicherungen praktiziert – an. Grundsätzlich sind zwei Quellen für externe Informationen möglich: Data sharing-Initiativen wie z.B. ORX führen die intern gesammelten Verlustdaten der Mitgliedsinstitute in anonymisierter Form zusammen. Dazu ist neben einer Festlegung des Umfangs Operationeller Risiken die Vereinbarung einer gemeinsamen Struktur (Organisationseinheiten und Risikokategorisierung) erforderlich, das heißt interne Daten müssen in diese Struktur übergeleitet werden, von der Data sharing-Initiative erhaltene Daten in der Regel wiederum auf die interne Struktur angepasst werden. Die zweite Datenquelle sind externe öffentliche Verlustdaten. Diese können entweder von jedem Institut selbst gesucht oder von kommerziellen Anbietern gekauft werden. Hierzu werden bekanntgewordene Verluste aus Online- oder Print-Medien systematisch herausgesucht und in einem standardisierten Format erfasst. Üblicherweise werden Verluste ab etwa 100.000 bis 1 Million EUR in solchen Datenbanken aufgenommen.

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Abbildung 5: Idealtypische Abdeckung der einzelnen Verlustdatenquellen

Interne Verlustdaten geben insbesondere einen Anhaltspunkt für die Häufigkeit sowie die typische Schwere von Verlusten aus Operationellen Risiken. Externe öffentliche Verluste repräsentieren zumeist Worst-Case-Verluste, während Verluste aus Data sharingInitiativen aller Annahme nach die Mitte der Verlustverteilung abdecken können.

3.4 Risk Assessment Risk Assessment ist eine Methode zur qualitativen Einschätzung und Bewertung Operationeller Risiken. Auch wenn das Ergebnis numerisch sein kann, basiert die Ermittlung auf subjektiven Einschätzungen. Anders als bei Verlustdaten oder Indikatoren ist das Ergebnis also nicht objektiv beobacht-, mess- oder ableitbar. Risk Assessments werden in Banken in unterschiedlichsten Formen durchgeführt, Marktstandards existieren bislang nicht. Beispielhafte Vorgehensweisen umfassen: • Fragen zu Risikokomplexen • Fragenkataloge zu Einzelrisiken • Fragenkataloge zu risikomindernden Maßnahmen (Kontrollen etc.) • Qualitative Einschätzungen des Risikopotenzials (Wahrscheinlichkeit und Höhen) • Semi-quantitative Einschätzungen des Risikopotenzials (Wahrscheinlichkeit und Höhen) Risk Assessments dienen der Identifikation und qualitativen Bewertung Operationeller Risiken und werden teilweise mit Szenarioanalysen kombiniert.

334

Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Ein häufig anzutreffendes Beispiel einer Umsetzung des Risk Assessments ist die Risikopotenzialeinschätzung. Abbildung 6: Risikopotenzialeinschätzung als Beispiel für Risk Assessments Die Risikopotenzialeinschätzung stellt eine qualitative Abschätzung der Auswirkung und Wahrscheinlichkeit der Risiken dar. Hohes Risiko, sofortige Maßnahmen notwendig

Mittleres Risiko, regelmäßige enge Überwachung und ggf. verbesserte Maßnahmen notwendig Katastrophal

Auswirkung

Sehr hoch

Hoch

Moderat

Gering

Geringes Risiko, regelmäßige Überwachung sinnvoll

Sehr unwahrscheinlich

Unwahrscheinlich

Selten

Wahrscheinlich

Häufig

Wahrscheinlichkeit

Szenarioanalysen Wie geschildert sind seltene, hohe Verluste für eine adäquate Abschätzung des Risikopotenzials wichtig, jedoch schwer verfügbar. Interne Daten reflektieren nur zum geringen Teil derartige Verluste, und externe Daten beziehen sich auf möglicherweise fundamental unterschiedliche Verhältnisse in entsprechenden Instituten (Unterschiede hinsichtlich Produkten, Prozessen, Systemen und Personal und ihrer konsistenten Kategorisierung). Daher wird versucht, seltene, hohe Verluste nicht oder nicht nur durch historische Daten, sondern durch strukturierte Analyse und Bewertung von Situationen mit Risikopotenzialen zu erfassen. Dieses Verfahren wird Szenarioanalyse genannt.

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3.5 Key Risk Indicators Eine zentrale Aufgabe des Managements Operationeller Risiken ist die frühzeitige Erkennung der Veränderung eines Risikopotenzials, welche zu Verlusten führen kann. Zielsetzung hierbei ist es, Maßnahmen zu treffen, die das Eintreten der Verluste mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindern können. Systeme, die eine derartige Ausrichtung haben, sind – nicht zuletzt im Licht von KonTraG – unter dem Namen Frühwarnsystem bekannt. Sie basieren meist auf Risikoindikatoren (Key Risk Indicators). Risikoindikatoren sind Kennzahlen, die Auskunft über risikobestimmende Faktoren geben können. Dabei ist eine Schlüsselanforderung an Risikoindikatoren, eine Ex-anteInformation (d.h. eine Warnung vor zukünftigen Verlusten) anstatt einer Ex-post-Feststellung aufgetretener Informationen (wie sie in der Verlustdatensammlung erhoben wird) zu erhalten. Abbildung 7: Schritte eines Risikoindikatoren-Modells Die Risikoindikatoren-Methode umfasst folgende Kernbestandteile: Identifikation Identifikation relevanter relevanter RisikoRisikoindikatoren indikatoren Identifikation Identifikation aufBasis Basisvon von auf VerlustereigVerlustereignissen,bebenissen, stehenden stehenden Risikoprofilen Risikoprofilen undErfahrunErfahrunund gender der gen ProzessProzessbeteiligten beteiligten

336

Festlegung Festlegung derSchwellSchwellder werte werte Definitionder der Definition Schwellwerte Schwellwerte

Aggregation Erhebungs- Aggregation ErhebungsderRisikoRisikoder prozess prozess indikatoren indikatoren

Regelmäßige Regelmäßige Erhebungund und Erhebung Erfassung Erfassung derfestgefestgeder legtenRisikoRisikolegten indikatoren indikatoren

Verdichtung Verdichtung dergesamgesamder meltenIndiIndimelten katorwertezu zu katorwerte SteuerungsSteuerungsundReporReporund tingzwecken tingzwecken

BerichtsBerichtswesen wesen Schaffung Schaffung einergrößtgrößteiner möglichen möglichen Transparenz Transparenz überdie die über Risikolage Risikolage

Reviewund und Review Updateder der Update RisikoRisikoindikatoren indikatoren Überprüfung Überprüfung dergewählgewählder tenRisikoRisikoten indikatoren indikatoren undSchwellSchwellund werte,ggf. ggfs. werte, Anpassung Anpassung

Berücksichtigung der Operationellen Risiken

3.6 Management Information System Das Management Information System oder Berichtswesen als Bestandteil eines Management Frameworks für Operationelle Risiken definiert den Informationsfluss zwischen allen Komponenten dieses Frameworks sowie den beteiligten Informationsgebern und -empfängern. Dabei ist es von der Art, der Anzahl und dem Umfang der restlichen etablierten Komponenten des Frameworks abhängig. Es umfasst eine Beschreibung der generellen Zielsetzung, den eigentlichen Reportingprozess, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten sowie die technische Umsetzung. Die Beschreibung der generellen Zielsetzung des Management Information Systems legt fest, welche grundsätzlichen Ziele damit verfolgt werden sollen. Dies kann vom täglichen Status aller Risiken an die Geschäftsleitung, über die Meldung nur bestimmte Schwellen überschreitender Ereignisse bis zur einfachen Verlustdatensammlung mit halbjährlicher Berichterstattung reichen. Des Weiteren wird hier definiert, welche Informationen in welcher Form und Frequenz an Externe gegeben werden. Wesentlich ist, dass das Management der Bank auf allen Ebenen durch das Management Information System sowohl inhaltlich als auch prozessual adäquat unterstützt wird. Dies setzt sowohl entsprechende Verfahren und Methoden zur Informationsermittlung, robuste und fehlerresistente Abläufe bei der Weitergabe als auch das Wissen um die Interpretation der Ergebnisse voraus.

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Ein Vorstandsreporting kann daher beispielsweise wie folgt gestaltet sein: Abbildung 8: Beispiel eines Vorstandsreportings

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

3.7 Economic and Regulatory Capital Wie in den Abschnitten 2.2–2.4 dargestellt, fordert die Bankenaufsicht erstmalig die Ermittlung eines regulatorischen Kapitals für Operationelle Risiken. Bereits vor Beginn der diesbezüglichen Konsultation hatten einzelne international tätige Banken seit etwa Mitte der 1990er Jahre Versuche zur Ermittlung eines ökonomischen Kapitals für Operationelle Risiken unternommen. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich insbesondere aus der konsequenten Anwendung von Risiko-Ertragssteuerungskonzepten (RAROC und weitere), welche nur bei Berücksichtigung sämtlicher wesentlicher Risikoarten zu unverzerrten Entscheidungsgrößen führen. Anfängliche Versuche, Operationelle Risiken mit Modellen analog denjenigen zur Ermittlung der Höhe des Markt- bzw. Kreditrisikos zu messen (beispielsweise der Interne Bemessungsansatz IMA), haben sich bislang als wenig erfolgversprechend erwiesen. Gründe hierzu liegen in der Andersartigkeit von Operationellen Risiken (vornehmlich endogene Verursachung im Gegensatz zum exogenen Charakter von Markt- und Kreditrisikoereignissen) sowie einer unzureichenden Datenverfügbarkeit. Aus der Breite des Spektrums von Einzelrisiken, die unter der Risikoart Operationelle Risiken subsumiert werden (von Fehleingaben eines Mitarbeiters über Systemausfälle bis hin zu Naturkatastrophen), resultiert eine erhebliche Komplexitätssteigerung gegenüber Markt- und Kreditrisiken. In jüngster Zeit werden jedoch erneute Versuche unternommen, bewährte Verfahren aus der Messung von Markt- und Kreditrisiken zu übertragen. Andererseits ist der Blick in Richtung anderer Disziplinen vielversprechender. Versicherungen, insbesondere Rückversicherungen, sind seit Jahrzehnten mit der Aufgabe betraut, Prämien für Sachversicherungen, beispielsweise Feuerversicherungen, Erdbebenversicherungen und Ähnliches mit teilweise ähnlich problematischer Datenlage zu bestimmen. In den Ingenieurswissenschaften, insbesondere in den Anwendungen im Bereich Raumfahrt sowie im Militär, werden seit einigen Jahrzehnten quantitative Untersuchungen zur Ausfallursache und -wahrscheinlichkeit kritischer Komponenten und daraus resultierender Risiken für den Missionserfolg durchgeführt. Grundsätzlich unterscheidet man bei Quantifizierungsmodellen zwischen top-down und bottom-up-Ansätzen, obgleich die Zuordnung zu einer dieser Kategorien nicht immer eindeutig ist. Top-down-Ansätze ermitteln eine ökonomische oder regulatorische Kapitalunterlegung auf einer aggregierten Ebene (in der Regel Gesamtbank oder Konzern) und verteilen diese anschließend auf die einzelnen Untereinheiten (Bereiche, Abteilungen etc.).

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Thomas Kaiser

Bottom-up-Ansätze ermitteln Kapitalunterlegungen für granularere Einheiten (Bereiche, Abteilungen) und aggregieren die Detailergebnisse zu einem Gesamtergebnis für die Gesamtbank bzw. den Konzern. Während Top-down-Ansätze geringere Anforderungen an die Verfügbarkeit von Daten für die Berechnung stellen, ist die Entwicklung eines risikosensitiven Verfahrens zur Verteilung des Ergebnisses auf die Untereinheiten schwierig. Demgegenüber stellen Bottom-up-Ansätze hohe Anforderungen an die Datenverfügbarkeit und die Aggregation der Detailergebnisse ist nicht trivial (Berücksichtigung von Korrelationen und Portfolioeffekten). Beispiele für Top-down-Ansätze sind kosten- oder ertragsbasierte Ansätze (Kapital als Prozentsatz von Kosten- bzw. Ertragsgrößen), CAPM-Verfahren (Börsenwert als Indikator für den Gehalt an Operationellen Risiken) sowie die Ertragsvolatilitätsanalyse (Earnings-at-Risk). Allen gemein ist die mangelnde Risikosensitivität der Bemessungsgröße, die insbesondere Low-frequency-High-severity-Risiken unberücksichtigt lässt, da diese sich nicht hinreichend in den Bemessungsgrößen niederschlagen. Diese Ansätze finden daher in der Praxis nur noch vereinzelt Verwendung. Die Mehrzahl der Bottom-up-Ansätze basiert auf historischen Verlustdaten oder Expertenschätzungen. Diese werden meist über versicherungsmathematische Ansätze, wie sie auch zur Berechnung von Prämien im (Rück-)Versicherungsgeschäft benutzt werden, teilweise unter Verwendung der Extremwerttheorie (Extreme Value Theory/EVT) zwecks expliziter Berücksichtigung hoher, seltener Verluste modelliert.

3.8 Risk IT Unter Risk IT wird die IT-Infrastruktur, die zur Unterstützung des Prozesses zum Management Operationeller Risiken benötigt wird, verstanden. Dies kann von einfachen, MS-Office-basierten Erfassungsmasken zur Verlustdatensammlung und Durchführung von Risk Assessments bis hin zu spezialisierten, integrierten web-basierten Anwendungen und Datenbanken reichen.

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

Die Erfordernisse der IT-Unterstützung werden im Wesentlichen von Größe und Komplexität des Finanzinstituts (Zahl der Filialen, Auslandsstützpunkte etc.) sowie den fachlichen Anforderungen determiniert. Nebenbedingung sollte in Anbetracht der üblicherweise verfügbaren Personalkapazitäten die Minimierung des zentral zu leistenden Administrationsaufwands sein. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Komplettsysteme hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, allerdings konnte sich bislang kein Marktführer etablieren. Einige Softwarepakete sind im Rahmen entsprechender Auftragsarbeiten für einzelne Banken entstanden und wurden anschließend mit erhöhter Flexibilität zur Abdeckung der Wünsche eines weiteren Kundenkreises ausgestattet, andere wurden von vornherein als Standardsoftware konzipiert und am Markt angeboten. Alle haben gemeinsam, dass aufgrund der fehlenden Standardisierung immer bestimmte methodische oder prozessuale Entscheidungen bei ihrer Entwicklung getroffen werden mussten, die für den jeweiligen Anwender häufig eine Festlegung auf bestimmte Methoden oder Verfahren mit sich bringt.

4 Schlussbetrachtung OpRisk befindet sich in einem relativ frühen, aber dynamischen Entwicklungsstadium. Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen beschleunigen den ohnehin in einzelnen Häusern initiierten Prozess weiter. Insbesondere unter dem Oberbegriff der Ambitionierten Messansätze (AMA) wurden eine Vielzahl von konkurrierenden Verfahren entwickelt. Diese bieten auch eine Chance für die Konvergenz von Modellen zur Berechnung von ökonomischem und regulatorischem Kapital. In den nächsten Jahren ist mit einem rasch steigenden Erkenntnisstand und der Herausbildung von OpRisk-Standards zu rechnen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für diese Entwicklung ist die Zusammenarbeit der Banken sowohl in methodischer Hinsicht als auch beim Aufbau von aussagekräftigen institutsübergreifenden Verlustdatenbanken. Wichtig ist ferner die Verankerung der mit solchen Methoden ermittelten Risikozahlen in der strategischen und operativen Steuerung der Bank und somit die Ausbildung effizienter Verfahren zur Vermeidung und Verminderung von OpRisk.

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Berücksichtigung der Operationellen Risiken

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Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick Christian Einhaus

1 Einführung 2 Begriffsbestimmung 3 Spezifika von Reputationsrisiken in der Finanzwirtschaft 3.1 Zeitlich und/oder räumlich begrenzte Auswirkungen 3.2 Auswirkung auf den Absatzmarkt 3.3 Einschränkungen in der Funktions- und/oder Handlungsfähigkeit eines Instituts 3.4 Branchenweite Auswirkungen in Form einer Vertrauenskrise 4 Regulatorische Grundlagen 5 Das Managementinstrumentarium 5.1 Ziel- und Strategiedefinition 5.2 Umsetzungsstufen des RepRisk-Managements: Drei-Phasen-Konzept 5.3 Identifikation des Reputationsrisikos 5.4 Bewertung des Reputationsrisikos 5.5 Steuerung des Reputationsrisikos 5.5.1 Issue Management 5.5.2 Stakeholderindividuelles Reputationsrisikomanagement nach Handlungsfeldern 5.5.2.1 Handlungsfeld: Gesellschaftliche Anforderungen 5.5.2.2 Handlungsfeld: Finanzielle Performance 5.5.2.3 Handlungsfeld: Qualität interner Prozesse 5.5.2.4 Handlungsfeld: Kundenzufriedenheit 5.6 Controlling des Reputationsrisikos 6 Ausblick Literatur

345

346

1 Einführung Bis zum Beginn der Finanzmarktkrise im Jahr 2007 und ihrem Höhepunkt durch die Insolvenz von Lehman Brothers am 15.09.2008 wurden Reputationsrisiken in Bankpraxis und Regulierung mit reduzierter Priorität betrachtet. Zwar herrschte seit Langem Konsens, dass gerade Banken durch ihr besonders vertrauensempfindliches Geschäft in besonderer Weise vom guten Ruf des jeweiligen Instituts abhängen1, jedoch beschränkte sich der praktische und wissenschaftliche Diskurs vor allem auf die Reputation als Rentabilitätstreiber.2 Obgleich grundsätzlich mit lang andauernden negativen Reputationswirkungen auf den Absatzmärkten kalkuliert wurde, waren tatsächliche Fälle auf einen kurzen Zeitraum der öffentlichen Empörung begrenzt. In der Regel normalisierten sich derartige Absatzschwächen – nicht zuletzt aufgrund einer schnelllebigen medialen Berichterstattung – nach nur wenigen Wochen. Die Finanzmarktkrise und ihre Nachwehen offenbarten in den letzten Jahren deutlich gravierendere Auswirkungen von Reputationsrisiken. Mangelndes Vertrauen insbesondere von Geschäftskunden, Investoren, Anteilseignern und Aufsichtsbehörden kann für Banken insbesondere mit Blick auf die Refinanzierungsmöglichkeiten existenzbedrohend sein. Der Fall des Baufinanzierers Northern Rock, der damals achtgrößten britischen Geschäftsbank, verdeutlicht dies eindrucksvoll.3 Nachdem infolge der Subprimekrise Refinanzierungsschwierigkeiten des Instituts öffentlich bekannt waren, wurden innerhalb von nur drei Tagen etwa zwei Milliarden Britische Pfund von den Anlegern abgezogen. Selbst eine Staatsgarantie konnte den Schaltersturm nicht aufhalten.4 Selbst ohne belastbare Negativmeldung führten bewusst lancierte Gerüchtekampagnen in sozialen Medien und das gezielte Hervorrufen von Erinnerung an Bankenkrisen der 1990er Jahre im Jahr 2014 in Bulgarien zu einem Schaltersturm auf die zweit- und drittgrößte Bank des Landes. Innerhalb von Stunden kam es umgerechnet zu Abhebungen von 550 Millionen US-Dollar.5 Aber auch branchenweites Fehlverhalten – wie etwa beim sog. LIBOR-Skandal – ruft veritable Reputationseffekte hervor. Einerseits sind hiervon die beschuldigten Institute

1 2 3 4 5

Vgl. Süchting, Paul, 1998, S. 11. Vgl. Schierenbeck, Grüter, Kunz, 2004, S. 5. Vgl. Sampath, 2009, S. 301 ff. Vgl. o. V., 2007. Vgl. Ewing, Kantchev, 2014.

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Christian Einhaus

betroffen, andererseits wirken sich Übertragungseffekte auf das Vertrauen in das gesamte Finanzsystem aus. Der sog. Salz Review, der die Rolle von Barclays im Zusammenhang mit dem LIBOR-Skandal und weiteren öffentlich bekanntgewordenen Verfehlungen untersucht, führt hierzu aus: “A bank’s licence to operate is built on the trust of customers and of other stakeholders, such as its staff, regulators and the public as a whole. Trust is built from experience of reasonable expectations being fulfilled – a confidence that an organisation will behave fairly. Successful banks acquire a reputation for being trustworthy. This can take decades to build. Yet it can be destroyed quickly and, in global organisations, by events almost anywhere in the world. Some companies have greater reputational resilience than others. They get the benefit of the doubt when things go wrong – partly because of the far greater number of things that go right and partly because of the way they respond to problems. Public opinion also tends to be more generous to those organisations that seem to be trying to do the right thing, or that have an appreciable social purpose.”6 Ziel eines nachhaltigen Reputations(risiko)managements auf einzelwirtschaftlicher Ebene sollte daher sein, Glaubwürdigkeit aufzubauen, um auch bei belastenden Ereignissen über die notwendige Stabilität zu verfügen. Ein verlässliches Handeln im Sinne der Stakeholder beginnt lange vor Eintritt eines Reputationsereignisses. Die nationalen und internationalen Regulierungsbehörden tragen dieser gestiegenen Bedeutung des Reputationsrisikos – auch mit Blick auf die Systemstabilität – in ihren jüngsten Veröffentlichungen seit der Finanzmarktkrise vermehrt Rechnung. Im Folgenden werden nach einer kurzen Begriffsbestimmung die vor diesem Hintergrund in die Regulierung eingebrachten Aspekte systematisiert und ihr Einfluss auf das bankinterne Reputations- und Reputationsrisikomanagement erörtert.

2 Begriffsbestimmung Traditionell wurde das Reputationsrisiko in Regulierung und bankbetrieblicher Praxis inhaltlich sehr eng mit dem operationellen Risiko verknüpft. Neben vergleichbaren Managementmethoden7 liegt dem die Annahme zugrunde, dass gerade operationelle Risiken in besonderer Weise öffentliche Aufmerksamkeit erregen und damit leichter die Bank in

6 7

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Salz Review, 2013, S. 4, Tz. 2.4. Vgl. European Banking Authority, 2014, S. 85, Tz. 225a.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Misskredit bringen können als dies durch „alltägliche“ Vorkommnisse wie Kredit- oder Marktverluste geschehen würde.8 Darüber hinaus können gerade infolge operationeller Risiken vielfältige weitere Schadensereignisse (vgl. Abb. Möglichkeiten der Risikofortpflanzung) ausgelöst werden. Operationelle Risiken nehmen daher beim Management von Reputationsrisiken mit Recht eine herausgehobene Stellung ein. Spätestens seit der Finanzmarktkrise muss diese Sichtweise jedoch erweitert werden. Gerade hohe Marktverluste und erhebliche Abschreibungen auf Kreditportfolien haben hier die Reputation zahlreicher Institute beeinträchtigt. Zudem ist es erforderlich, den Kreis der „Öffentlichkeit“ näher zu spezifizieren. In älteren Publikationen steht vor allem der Absatzmarkt im Zentrum des Interesses.9 Mittlerweile wird deutlich, dass auch die Reputation der Institute untereinander zum Risiko werden kann, etwa bei Refinanzierungs- oder Verbriefungsgeschäften.10 Das Reputationsrisiko kann vor diesem Hintergrund als das Risiko einer negativen Wahrnehmung von Kunden, Gegenparteien, Anteilseignern, Investoren, Einlegern, Marktanalysten (insbes. Ratingagenturen), Mitarbeitern, weiterer relevanter Anspruchsgruppen oder Regulierungsbehörden verstanden werden, das dazu geeignet ist, die Fähigkeit der Bank zum Bestands- oder Neugeschäft, die Pflege von Kundenbeziehungen und die Nutzung von Refinanzierungsquellen (z.B. Interbanken- oder Verbriefungsmarkt) aktuell oder zukünftig nachteilig zu beeinflussen.11 Reputation wird definiert als der aus Wahrnehmungen der Anspruchsgruppen resultierende öffentliche Ruf einer Bank bezüglich ihrer Solvenz, Kompetenz, Integrität und Vertrauenswürdigkeit.12

8 9 10

Vgl. Einhaus, 2007, S. 277 f. Vgl. etwa Tellings, 2007, S. 81 f. 1der Schierenbeck, Grüter, Kunz, 2004, S. 6 f. Bereits deutlich vor der Finanzmarktkrise identifiziert die Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in einer Umfrage unter 160 Führungskräften europäischer, amerikanischer und asiatischer Finanzinstitutionen das Reputationsrisiko als größtes Risiko – 53% der Befragten gaben dies an. 34% der Nennungen entfielen auf das Kreditrisiko, 28% auf das regulatorische Risiko, 24% auf das operationelle Risiko (ohne Reputationskomponente) und 23% auf das Marktrisiko. Doppelnennungen waren möglich. Vgl. Humphries, 2003.

11

Die vorgestellte Definition befindet sich im Einklang mit Begriffsabgrenzungen aus Wissenschaft und Praxis. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 3, S. 16, Basel Committee on Banking Supervision, 2009, Tz. 47, S. 19 sowie beispielhaft Schierenbeck, Grüter, Kunz, 2004, S. 6. und Deutsche Bank, 2014, S. 85 f.

12

Vgl. ähnlich Schierenbeck, Grüter, Kunz, 2004, S. 6, oder Süchting, Paul, 1998, S. 625.

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Christian Einhaus

Vor diesem Hintergrund stellt die Reputation eines Instituts einen wesentlichen immateriellen Vermögensbestandteil dar13, der im Regelfall als Katalysator für jegliches wirtschaftliches Handeln dient. Zudem wird deutlich, dass das Reputationsrisiko mehrdimensional ist und die Wahrnehmung anderer Marktteilnehmer in verschiedenen Facetten tangieren kann. Es besteht somit keine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Ursache und Wirkung eines Reputationsrisikos. Während die dargestellten Definitionen an der Wirkung der Reputation und des Reputationsrisikos ansetzen, lohnt zusätzlich ein Blick auf seine möglichen Ursachen. Häufig ist das Reputationsrisiko eine Folge eines bereits zuvor schlagend gewordenen Primärrisikos14 – etwa nach dem Eintritt eines operationellen Risikos (z. B. größerer Betrugsfall) oder eines beträchtlichen Zahlungsausfalls. Entsprechend werden Reputationsrisiken häufig auch als „risk of risks“15 oder als sog. sekundäre Reputationsrisiken16 bezeichnet. Weitergehend können Reputationsrisiken aber etwa auch aus Complianceverstößen, betriebswirtschaftlichen Entscheidungen (z.B. Strategieänderungen) oder aus unvorhergesehenen Ereignissen resultieren, die kein „klassisches“ Risiko im engeren finanzwirtschaftlichen Sinne darstellen. Derartige eigenständige Reputationsrisiken werden als primäre Reputationsrisiken bezeichnet. Die folgende Abbildung verdeutlicht mögliche Transmissionskanäle von typischen finanzwirtschaftlichen Risiken hin zum Reputationsrisiko. Unverkennbar wird auch hier die besondere Stellung des operationellen Risikos, da es verschiedenartige Schadensereignisse auslösen kann. Alle Schadensarten ihrerseits können nach den zuvor skizzierten Mechanismen Reputationswirkungen hervorrufen. Aufgrund seiner besonderen Charakteristik weist das Reputationsrisiko mitunter selbstverstärkende Tendenzen auf, in dem es erneut als Auslöser von strategischen oder Liquiditätsrisiken fungiert.17 Ziel jedes Reputationsrisikomanagements ist daher die Durchbrechung derartiger Kettenreaktionen.

13

14 15 16 17

350

Vgl. zu Fragestellungen immaterieller Vermögenswerte insbes. Sveiby, 1998, und Edvinsson, Malone, 1997. Vgl. Einhaus, 2006, S. 26 f. Vgl. Ross, 2005. Vgl. Haackert et al., 2013, S. 6. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 262, S. 92.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Kreditausfall

Marktrisiko

Handelsverlust

Operationelles Risiko

Schadensfall aus operationellem Risiko

Liquiditätsrisiko

Verlust von Kreditlinien

Strategisches Risiko

Verlust von Kunden / Umsatz

Folgerisiken aus Reputationsrisiken, insbesondere Liquiditäts- und Geschäftsrisiken

Kreditrisiko

Reputationsverlust

Abbildung 1: Möglichkeiten der Risikofortpflanzung18

Reputationsrisiko

Eine weitere Differenzierung leitet sich aus der Ebene des Risikoauftritts ab. Transaktionsbezogene Reputationsrisiken entstehen unmittelbar entlang der Wertschöpfungskette und sind typischerweise mit einzelnen operativen Geschäftsvorfällen verknüpft. Beispiele sind Geschäfte mit geächteten Branchen oder mit Staaten, gegen die Embargos bestehen. Allgemeine Reputationsrisiken wirken auf einer übergeordneten Gesamtunternehmensebene und haben ihren Ursprung häufig in strategischen Unternehmensentscheidungen. Beispiele sind Standortschließungen oder systematisches Fehlverhalten. Die folgende Systematik zeigt die Breite des Reputationsrisikospektrums exemplarisch auf:19

18 19

Modifiziert nach Kasprowicz, Kaiser, 2012, S. 7. Vgl. in Teilen Engel, Sieler, 2010, S. 244 f.

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Tabelle 1: Spektrum primärer und sekundärer Reputationsrisiken primäres Repuationsrisiko (eigenständig) betriebswirtschaftliche Entscheidungen • Schließung von Standorten • Ausgründung von Geschäftsteilen (z.B. Privatkundengeschäft) • Verkauf von Krediten an Finanzinvestoren („Heuschrecken“)

auf strategischer Unternehmensbene

• systematische Kündigung von Konten unrentabler Kunden • systematischer Verkauf ungeeigneter Produkte an spezifische Kundengruppen

sekundäres Reputationsrisiko (als Folge) Folge von „klassischen“ finanzwirtschaftlichen Risiken • schlechtes Abschneiden des Instituts bei branchenweiten Vergleichen (z.B. Stresstests der EZB) • Ratingverschlechterung des Instituts oder von wesentlichen Portfolien (Kreditrisiko) • Zinsänderungen (Marktrisiko) • massiver Einlagenabzug (Liquiditätsrisiko) • IT-Sicherheit, Betrugsfälle, Naturereignisse (operationelles Risiko)

Verstöße gegen Compliance- und Wohlverhaltensregeln • Beihilfe zur Steuerhinterziehung (systematisch) • Korruption (systematisch) • Diskriminierung • Interessenkonflikte • unüberlegte öffentliche Äußerungen von Unternehmensrepräsentanten unvorhergesehene Ereignisse • feindliche Übernahmen • Liquiditätsklemmen am Markt

auf operativer „transaktionsbezogener“ Ebene

• medialer Stimmungsumschwung (Kernkraftfinanzierung, Rüstungsfinanzierung, umweltschädliche Großprojekte, unethische Investments, Finanzierung von „Schurkenstaaten“)

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betriebswirtschaftliche Entscheidungen • Kündigung von Konten unrentabler Kunden (Einzelfall)

Folge von „klassischen“ finanzwirtschaftlichen Risiken • Ausfall eines Großkredits (Kreditrisiko)

• Verkauf ungeeigneter Produkte an einzelne Kundengruppen

• rogue trading eines einzelnen Mitarbeiters (Marktrisiko/operationelles Risiko)

• Geschäfte mit geächteten Branchen oder von Embargos betroffenen Staaten

• Betrugsfall bei einem großen Engagement (operationelles Risiko)

Verstöße gegen Compliance- und Wohlverhaltensregeln • Beihilfe zur Steuerhinterziehung (auf Einzeltransaktionsebene) • Korruption (auf Einzeltransaktionsebene)

• Diebstahl persönlicher Zugangsdaten/ Phishing (operationelles Risiko)

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

3 Spezifika von Reputationsrisiken in der Finanzwirtschaft Der zuvor dargestellte Katalog verdeutlicht die Heterogenität möglicher Reputationsrisiken. Nach dem Ausmaß ihrer Auswirkung auf die gesamte Finanzwirtschaft können diese in vier Stufen systematisiert werden: 1. zeitlich und/oder räumlich begrenzte Auswirkungen, 2. Auswirkung auf den Absatzmarkt, 3. Einschränkungen in der Funktions- und/oder Handlungsfähigkeit eines Instituts (z.B. Liquiditätsproblem/Solvenzgerüchte), 4. branchenweite Auswirkungen in Form einer Vertrauenskrise (z.B. Friktionen im Interbankenhandel, fehlendes Vertrauen in Marktdaten).

3.1 Zeitlich und/oder räumlich begrenzte Auswirkungen Auf der schwächsten, ersten Stufe sind Reputationswirkungen zeitlich oder örtlich beschränkt. Typischerweise handelt es sich hierbei um transaktionsbezogene sekundäre Reputationsrisiken, etwa bei technischen Ausfällen von Geldausgabeautomaten, vereinzelten Fehlberatungen, kleineren Verstößen gegen das Bankgeheimnis oder bei inkorrektem Verhalten von Mitarbeitern. Solange derartige Vorfälle keiner breiten Öffentlichkeit bekannt oder lediglich als Einzelfälle wahrgenommen werden, können Fortpflanzungseffekte des Reputationsrisikos auf die Gesamtbank nahezu vernachlässigt werden. Dies setzt jedoch ein konsequentes internes Management und Beseitigung der zugrunde liegenden operativen Mängel voraus. In der Gesamtschau kann diesen Risiken durch funktionierende Organisations- und Kontrollstrukturen begegnet werden.

3.2 Auswirkung auf den Absatzmarkt Auf der zweiten Stufe können sich je nach Art und Umfang eines reputationsrelevanten Ereignisses mitunter gravierende Auswirkungen auf den Absatzmarkt eines Hauses ergeben. Insbesondere wenn eine Kernkompetenz oder ein öffentlich wahrgenommenes Alleinstellungsmerkmal betroffen sind. Sofern etwa in einem sensiblen und sehr stark vertrauensempfindlichen Umfeld wie dem Investmentbanking Vertrauensbrüche oder Insidergeschäfte bekannt werden, können auch schon einzelne transaktionsbezogene Vorfälle zum Mandatsentzug und zur Verhinderung

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Christian Einhaus

von Neugeschäft führen. Im Handelsbereich kann ein Rogue Trader die Reputation genauso beschädigen wie etwa Pressemitteilungen über erhöhten Abschreibungsbedarf, Geldwäschevorfälle oder Steuerfahndungen im Private Banking.20 Mit Blick auf primäre Reputationsrisiken kann ebenfalls die öffentliche Wahrnehmung unternehmenspolitischer Entscheidungen wie etwa Umstrukturierungen, internationale Fusionen oder Entlassungen zu erheblichen Imageschäden der Bank führen.21 Allen genannten Beispielen ist gemein, dass in erster Linie der Absatzmarkt betroffen ist. Dies setzt die Bank der Gefahr aus, dass Kunden ihr das Vertrauen entziehen und damit singuläre Reputationsereignisse in spürbare Ertragseinbrüche münden lassen, indem entweder einzelne Produkte, Sparten oder das gesamte Haus gemieden werden.22 Insbesondere weist das Reputationsrisiko vor dem Hintergrund der moralischen Aufladung ökonomischen Handelns in der Öffentlichkeit selbstverstärkende Tendenzen auf.23 Ein durch beliebige Ursachen erschüttertes Marktvertrauen führt in aller Regel unmittelbar zu einer Verminderung der Marktbewertung24, damit zu einem niedrigeren Unternehmenswert (höhere Risikoprämie im Diskontierungszins) und erhöhten Refinanzierungskosten ggf. in Verbindung mit einer Ratingverschlechterung.25

3.3 Einschränkungen in der Funktions- und/oder Handlungsfähigkeit eines Instituts Der zuvor beschriebene Mechanismus verstärkt sich auf der dritten Wirkungsstufe. Informationsasymmetrien unter Finanzmarktteilnehmern sowie das häufig beobachtbare mangelnde Verständnis der Öffentlichkeit für das Geschäft der Finanzintermediäre führen zu erhöhten Agency- und Informationskosten. Gepaart mit ohnehin zusätzlichen Kosten durch die dem Reputationsereignis zugrunde liegende Tatsache (z.B. gesteigerter

20 21

22 23 24 25

354

Vgl. Waschbusch, Lesch, 2004, S. 36. Vgl. Lichter, Tödtmann, 2006, die in Bezug auf eine Studie der Medienanalysten Landau Media und der PR-Agentur Faktenkontor ein Image-Ranking der Manager von Finanzdienstleistungsunternehmen beschreiben. Unpopuläre unternehmenspolitische Entscheidungen führen zu einer negativen öffentlichen Wahrnehmung des Entscheidungsträgers und in der Folge ebenso für sein Haus. Vgl. Cruz, 2002, S. 287. Vgl. Eisenegger, Imhof, 2004, S. 254. Vgl. Perry, de Fontnouvelle, 2005, S. 13 ff. Die Bankreputation ist expliziter Bestandteil des Ratings bei Moody's. Vgl. hierzu Theodore, 2002, S. 7.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Abschreibungsbedarf, Fusion, operationeller Schadensfall) stellt der erhöhte Finanzbedarf eine weitere Belastung der Bankreputation dar und erhöht damit erneut die Kosten der Beschaffung frischen Eigen- oder Fremdkapitals.26 Im Rahmen der Diskussion über Corporate Governance-Themen sind zahlreiche Banken daher bestrebt, reputationsbezogene Risiken in den Jahresabschlüssen zu veröffentlichen, um sich durch Transparenz vor übertriebenen Skandalisierungen in der Öffentlichkeit zu schützen.27 Gleichwohl verbleibt das Risiko, dass die operative Funktionsfähigkeit sowie die finanzielle Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind. Operativ führen Krisensituationen zu Mehrarbeit und Überlastung beim Management und an zentralen Stellen, was sich wiederum hemmend auf das Tagesgeschäft und die strategische Ausrichtung auswirken. Langfristig kann auch das Ansehen des Unternehmens auf dem Arbeitsmarkt leiden, sodass qualifizierte Bewerber nur noch zu erhöhten Gehältern an das Unternehmen gebunden werden können. In finanzieller Hinsicht können die Probleme noch gravierender ausfallen. Die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass trotz nahezu unveränderten Fundamentaldaten die Refinanzierungsfähigkeit aufgrund reputationsinduzierter Kreditzurückhaltung von Kapitalmarktpartnern gefährdet sein kann. Für kurzfristige Refinanzierungen werden extreme Risikoaufschläge gefordert oder die Finanzierung vollständig verweigert. Zumeist ist eine schnelle Transparenzschaffung zur Wiedererlangung des Marktvertrauens kaum möglich.

3.4 Branchenweite Auswirkungen in Form einer Vertrauenskrise Neben den bereits dargelegten institutsindividuellen Auswirkungen eines Reputationsschadens können derartige Risiken auf der vierten Stufe auch Ausstrahlungswirkung auf andere Institute28 und damit die Finanzdienstleistungsbranche als Ganzes haben und im schlimmsten Fall in eine Systemkrise münden. Zum einen kann dies eine Folge einer undifferenzierten öffentlichen Berichterstattung sein, zum anderen können aber auch tatsächliche Branchengepflogenheiten – wie in der jüngsten Finanzmarktkrise – durch Presseberichte oder juristische Grundsatzurteile in den Mittelpunkt des öffentlichen

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28

Vgl. Merton, Perold, 2001, S. 438. Vgl. Leander, 2003, S. 24 ff. zu einer Analyse der Offenlegung reputationsbezogener Risiken sowie der Umsetzung von internationalen Corporate Governance-Regeln in den Jahresabschlüssen von 15 ausgewählten Großbanken. Vgl. Brotzen, 2000, Schofield, 2003, S. 210.

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Interesses gerückt werden und damit in Verruf geraten.29 Vor allem ökonomisch nur mäßig aufgeklärte Verbraucher reagieren daraufhin häufig nicht sachgerecht, indem sie allen Banken gleiches (Fehl-)Verhalten unterstellen30 und sie mitunter aus irrationalen Erwägungen boykottieren, wie es bereits in anderen Branchen (z.B. bei französischen Lebensmitteln nach Atomtests am Mururoa Atoll oder der Havarie der Bohrinsel Deep Water Horizon im Golf von Mexiko31) signifikant spürbar wurde. Selbst wenn eine derartige öffentliche Hysterie in der Finanzdienstleistungsbranche als sehr selten gilt, sind in der Vergangenheit ähnliche Boykottaufrufe bei Banken aufgrund der Höhe von Managergehältern oder der Finanzierung von öffentlich umstrittenen Projekten erfolgt. Beispiele sind die Fremdfinanzierung der Fusion zweier Stahlkonzerne oder die Beteiligung an der Finanzierung von Staudamm- sowie Kernenergieprojekten in Entwicklungsländern, die interessierte Kreise zu Demonstrationen vor den jeweiligen Firmenzentralen und zu Boykottaufrufen veranlasst haben. In der Regel scheint ein direkter Protest gegen das finanzierte Projekt nicht erfolgversprechend. Banken sind aufgrund ihrer besonderen Abhängigkeit von einer guten Reputation in den Augen der Protestorganisatoren geeignete Stellvertreter, um einen wirksamen mittelbaren Hebel gegen das finanzierte Projekt anzusetzen. Darüber hinaus können partielle (bzw. geschäftsbereichsbezogene) Reputationsrisiken alle Institute treffen. Als Beispiel kann eine Sicherheitslücke im Onlinebankingsystem eines einzelnen Instituts angeführt werden.32 Ein öffentlicher Bericht hierüber kann die Nutzungsbereitschaft dieser Technik in der Gesamtbranche beeinflussen, obwohl in anderen Häusern möglicherweise vollständig andere Systeme eingesetzt werden, die durch die publik gewordene Sicherheitslücke überhaupt nicht betroffen sind. Dennoch verbleibt der Eindruck einer unsicheren Technik in der Öffentlichkeit. Die zurückliegende Finanzmarktkrise rückt jedoch ein weitaus gravierenderes Thema in den Mittelpunkt. Nach der ausgebliebenen staatlichen Rettung und Insolvenz von Lehman Brothers kam nahezu der gesamte unbesicherte Liquiditätsaustausch unter den Geschäftsbanken zum Erliegen. Der Grund war eine branchenweite Vertrauenskrise. Bedingt durch kurzfristig nicht aufzulösende Informationsasymmetrien standen fast alle Banken unter dem Generalverdacht, in Insolvenznähe zu operieren, wodurch insbesondere bisher von der Krise verschonte Häuser in Liquiditätsengpässe gerieten. Nur durch

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Beispielhaft ist hier die Drohung des Wikileaks-Gründers Julian Assange im Dezember 2010 anzuführen, belastendes Material über das Geschäftsgebaren einer US-amerikanischen Großbank zu veröffentlichen. Assange führt weiter aus, dass hierdurch einige Banken „zu Fall“ gebracht werden könnten. Vgl. Meier, Romeike, 2010. Vgl. zur Homogenitätsthese Süchting, Paul, 1998, S. 364. Vgl. Hager, Romeike, 2010. Vgl. Deutsche Bundesbank, 2000, S. 55 f.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

eine Intervention der Zentralbanken konnte dieses Marktversagen überbrückt werden. Der weitere Verlauf zeigte, dass die wechselseitige Reputation sich zunächst innerhalb homogener Bankengruppen wieder etablieren konnte. Durch ein besseres wechselseitiges Verständnis aufgrund ähnlicher Geschäftsmodelle, Risikopolitik und Renditeerwartungen konnten Vertrauen und Reputation schneller wieder gewonnen werden als zwischen sehr unterschiedlichen Marktpartnern. Volksbanken und Sparkassen galten daher mit Ausnahme einiger Spitzeninstitute als weitgehend von der Krise verschont und konnten zumindest sektorintern schnell wieder die Refinanzierung herstellen. International und im Sektor der Privatbanken dauerte der Reputationsaufbau nicht zuletzt aufgrund der vorherrschenden Heterogenität länger. Durch konsequente Transparenz und die Offenlegung der Risiken – nicht zuletzt induziert durch Politik und Aufsichtsbehörden – konnten sukzessive Vertrauen und Reputation am Kapitalmarkt wieder gewonnen werden, sofern dem keine Fundamentaldaten entgegenstanden. Eine Vertrauenskrise, die nicht unmittelbar an der Liquidität und Solvenz der Institute anknüpft ist der sog. LIBOR-Skandal. Nach Bekanntwerden, dass Barclays33 den Referenzzins LIBOR systematisch manipuliert hat und damit durch Insidergeschäfte einen wesentlichen Teil des Zinsänderungsrisikos auf Marktpartner überwälzt hat, richteten sich Ermittlungen gegen rund 20 weitere am Finanzplatz London aktive Großbanken wegen gleichlautender Vorwürfe. Die damit verbundene Berichterstattung schlägt sich auf die Reputation des gesamten Sektors nieder, da in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zwischen beteiligten und unbeteiligten Instituten differenziert wird. Über den reinen Vertrauensschaden hinaus manifestieren sich erhebliche Folgeschäden durch Abbrüche von Geschäftsverbindungen, aufsichtsrechtliche Strafen und zivilrechtliche Schadensersatzzahlungen.34 Die Beispiele zeigen, dass gerade Bankdienstleistungen aufgrund ihrer besonderen Charakteristik, nämlich dem Leistungsgegenstand Geld und der langfristig angelegten Kundenbeziehung, aus Nachfragersicht ein besonders vertrauensempfindliches Gut darstellen35 und damit in besonderer Weise dem Reputationsrisiko ausgesetzt sind. Makroökonomisch betrachtet kommt dem Finanzdienstleistungssektor eine besondere Bedeutung zu, sodass systemweite Reputationseinbußen die Effizienz einer Volkswirtschaft hemmen könnten.

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34 35

Die in der Öffentlichkeit als Hauptakteurin im LIBOR-Skandal wahrgenommene britische Bank Barclays hat nicht zuletzt als Transparenzmaßnahme zur Eindämmung des Reputationsrisikos eine unabhängige Untersuchung, den sog. Salz Review (vgl. Salz Review, 2013) beauftragt. Der Bericht gibt 34 Empfehlungen, die in ihrer Mehrzahl auf einen Kulturwandel abzielen. Als öffentlich transparente Reaktion publiziert Barclays detailliert pro Empfehlung ihre aus dem Bericht gezogenen Konsequenzen auf ihrer Internetseite. Explizit formuliertes Hauptziel ist die Wiederherstellung von Vertrauen. Vgl. Barclays, 2013. Vgl. Kaiser, Kasprowicz, 2012, S. 4. Vgl. Süchting, Paul, 1998, S. 621.

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Vor diesem Hintergrund scheint es gerechtfertigt, Reputationsrisiken in der Finanzdienstleistungsbranche sowohl aus einzel- als auch gesamtwirtschaftlicher Motivation in einem gesonderten Managementprozess zu behandeln.

4 Regulatorische Grundlagen Vor diesem Hintergrund gewinnt das Management von Reputationsrisiken in der deutschen und internationalen Regulierung einen zunehmend stärkeren Stellenwert. Lange Zeit wurden Reputationsrisiken im regulatorischen Kontext aufgrund ihrer schweren Messbarkeit den sog. „anderen Risiken“ zugeschlagen. Damit verbunden war die (wenig verbindliche) Erwartung, dass die Messmethoden künftig verbessert würden und sie auch Eingang in die Risikotragfähigkeitsberechnung fänden.36 Hingegen wird im Mitte 2014 erschienenen Konsultationspapier der EBA zur einheitlichen Ausgestaltung des aufsichtsrechtlichen Überprüfungs- und Überwachungsprozesses (SREP) erstmals das Reputationsrisiko als Teil des operationellen Risikos betrachtet.37 Wenngleich diese Sichtweise plausibel über Auswirkungen operationeller Schadensfälle und die Ähnlichkeit der Managementinstrumentarien begründet wird, steht dies im Widerspruch zu der weiterhin gültigen Definition des zweiten Basler Kapitalakkords, die im Rahmen der Säule 1 explizit Reputationsrisiken von operationellen Risiken abgrenzt.38 Aus der veränderten Sichtweise ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Forderung nach Eigenkapitalunterlegung des Reputationsrisikos abzuleiten. Im bisherigen Diskurs haben der Basler Ausschuss und das damalige Committee of European Banking Supervisors (heute EBA) weitere Spezifizierungen zum Management von Reputationsrisiken vorgenommen. Nach der Finanzmarktkrise rückt hier insbesondere das Wechselspiel von Reputations- und Liquiditätsrisiken in den Fokus.39 Auch

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39

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Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2006, Tz. 742, S. 208. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 225a, S. 85. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2006, Tz. 644, S. 144. Inzwischen greift auch das Basler Komitee vereinzelt die Definition einiger Banken auf, die bereits Reputationsrisken in die Definition des operationellen Risikos einbeziehen. Vgl. z.B. Basel Committee on Banking Supervision, 2014, S. 8 f. Vgl. Committee of European Banking Supervisors, 2008, S. 428, CRD IV, 2013, Art. 420 (2), S. 246 und MaRisk, 2012, BTR 3.1.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

der internationale Branchenverband Institute of International Finance gibt in seinem Abschlussbericht zur Finanzmarktkrise zahlreiche Handlungsempfehlungen zum expliziten Einbezug von Reputationsrisiken in das Risikomanagement der Institute.40 Allgemeine Forderungen, dass das Bankmanagement ein tiefes Verständnis für den Zusammenhang des Refinanzierungs- und Liquiditätsrisikos mit Reputationsrisiken haben sollte41 und dass auch Reputationsrisiken explizit in den Risikomanagementprozess einzubeziehen sind42, werden im Weiterentwicklungsprozess der regulatorischen Standards sukzessive konkretisiert. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei zunächst auf größeren Instituten, die selbst am Interbankenmarkt aktiv sind oder deren Eigen- und Fremdkapitalinstrumente auf Märkten gehandelt werden.43 Zur qualitativen Bewertung des Reputationsrisikos im Interbankenvergleich können Aufsichtsbehörden hierbei auf vielfältige Indikatoren zurückgreifen. Dies können u. a. sein:44 • die Menge der gegen das Institut verhängten Strafen, etwa auch aus Steuer- oder Zollvergehen, • Kampagnen von Medien oder Verbraucherschützern, die die öffentliche Wahrnehmung des Instituts beeinflussen, • die Zahl und die Entwicklung von Verbraucherbeschwerden, • negative Einflüsse von Mitbewerbern, die in der öffentlichen Wahrnehmung auf die gesamte Branche ausstrahlen (z.B. LIBOR-Manipulation), • Finanzierungen von in der Öffentlichkeit geringgeschätzten Branchen (z.B. Rüstungsindustrie, Glücksspiel etc.) oder von Sanktionen betroffenen Personen oder Staaten (z.B. OFAC-Liste, EU-Embargo) oder • sofern verfügbar andere Marktindikatoren (z.B. Ratingverschlechterungen oder signifikante Veränderungen des Aktienkurses). Mit diesem Kriterienkatalog ist die spiegelbildliche Erwartung verbunden, dass Finanzinstitute zur Identifikation ihrer Reputationsrisiken gleiche Standards wie die Aufsicht anlegen und für Prüfungshandlungen eine Evidenz geeigneter Indikatoren vorhalten.

40 41 42

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Vgl. Institute of International Finance, 2008, passim. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2008, Tz. 14, S. 8. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2009, Tz. 16, S. 13. sowie Committee of European Banking Supervisors, 2010, S. 3, Tz. 10 f. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 260, S. 92. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 261, S. 92.

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Ergänzend müssen Banken zusätzlich zu ihren individuellen Risiken negative Ausstrahlungseffekte von ihnen nicht direkt zurechenbaren Einheiten berücksichtigen. Hierbei kann es sich um Beteiligungen, Fonds, aber auch außerbilanzielle Verbriefungen oder Conduits handeln.45 Die Bank kann bei finanzieller Schieflage dieser Gesellschaften trotz nicht verpflichtender rechtlicher Grundlagen faktisch gezwungen sein, finanzielle Unterstützung zu leisten oder emittierte Papiere zu erhöhten Kursen zurückzukaufen, um Reputationsschäden von sich selbst abzuwenden.46 Anderenfalls würde der Markt weitere derartige Transaktionen nicht mehr oder nur mit erheblichen Risikoaufschlägen aufnehmen.47 Dieser Mechanismus ist im Risikomanagement der Banken vor der Finanzmarktkrise nahezu überhaupt nicht berücksichtigt worden. Insgesamt können durch das Ziel, die eigene Solvenz und Reputation am Markt unter Beweis zu stellen, erhebliche Liquiditätsrisiken in einem ohnehin turbulenten Umfeld induziert werden und damit einen Teufelskreis auslösen. Ähnlich verhält es sich bei der Inkraftsetzung eines Notfallplans zur Sicherung der eigenen Liquidität. Aus Reputationssicht wertet der Markt dies als Eingeständnis der eigenen Schwäche.48 Aber auch ein spiegelbildliches Reputationsrisiko ist denkbar: Eine liquiditätsstarke und solvente Bank fungiert als Liniensteller für ein in Bedrängnis geratenes Institut. Mit der Entscheidung, zur Sicherung ihrer eigenen Mittel die möglicherweise existenzsichernde Kreditlinie bei der Gegenpartei zu streichen, kann sie im Markt die Wahrnehmung hervorrufen, kein verlässlicher Partner zu sein, vertragsbrüchig zu werden und krisenhafte Phasen anderer Häuser auszunutzen und damit zu einer erweiterten Vertrauens- und Reputationskrise beizutragen.49 Banken sind daher gehalten, jedwede Risiken der Liquiditätsposition unter Einbeziehung sämtlicher Risikoarten (Kredit-, Markt- und operationelles Risiko) sowie der genannten Reputationseffekte zu identifizieren, zu messen und zu steuern. Hierzu werden explizit Szenarioanalysen und Stresstests50 sowie die proaktive Kommunikation mit relevanten Stakeholdern (z.B. Gegenparteien und Ratingagenturen)51 und Aufsichtsorganen

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46

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Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2008, Tz. 32 und 58, S. 11 f. 1nd S. 17 sowie Institute of International Finance, 2008, S. 28. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2010, Tz. 101, S. 21f. und CRD IV, 2013, Art. 420 (2), S. 246. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2009, Tz. 47 ff., S. 19 f. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2008, Tz. 115 f., S. 27 f. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2010, Tz. 111, S. 24. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2009, Tz. 54 f., S. 20. Vgl. Basel Committee on Banking Supervision, 2008, Tz. 60, S. 17.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

im Wege des Supervisory Review Evaluation Process (SREP)52 angeführt, um das Reputationsrisiko zu begrenzen. Vor diesem Hintergrund definiert die EBA Mindeststandards, die in Teilen weit über den Status quo der aktuellen MaRisk hinausreichen. Institute benötigen geeignete Strategien, Prozesse und Mechanismen zum Management von Reputationsrisiken. Erforderlich sind:53 • formalisierte Anweisungen und Prozesse für die Identifikation, das Management und Monitoring des Reputationsrisikos, die angemessen in Bezug auf Größe und Systemrelevanz sind, • eine vorausschauende Art und Weise der Reputationsrisikosteuerung, z.B. durch das Setzen von Limits oder Genehmigungsprozessen für besondere Länder, Sektoren und Personen. Notfallpläne sollten proaktiv auf den Umgang mit Reputationsereignissen in Krisen abstellen. • die Durchführung von Stresstests und Szenarioanalysen für Folgeeffekte des Reputationsrisikos (z.B. auf die Liquidität oder Refinanzierungskosten), • die unverzügliche Reaktion durch Kommunikationskampagnen auf individuelle Ereignisse, die die Reputation gefährden können zum Schutz der eigenen Marke sowie • das Verständnis des möglichen Einflusses der Institutsstrategie und Geschäftspläne (allgemein: das Unternehmensverhalten) auf die Reputation. Mit Rückbezug auf die geltenden Maßstäbe der MaRisk wird deutlich, dass Reputationsrisiken nach AT 2.2 kaum mehr als unwesentlich einzustufen sind und ein angemessener Risikomanagementprozess gemäß AT 4.3.2 gewährleistet sein muss.

5 Das Managementinstrumentarium Nicht nur aus regulatorischen Erwägungen, sondern in erster Linie aus ökonomischem Kalkül ist das Management von Reputationsrisiken sinnvoll. Wenngleich sich Reputationsschäden im Regelfall nicht unmittelbar buchungswirksam bemerkbar machen und damit einer einfachen Bewertung entziehen, kann die Unternehmensreputation als immaterieller Vermögensbestandteil begriffen werden. In ihm spiegelt sich das Beziehungskapital zu den Stakeholdern wider. Die Reputation ist damit ein Katalysator etwa für das Marktvertrauen, die Platzierungskraft, eine tendenziell geringere Risikoprämie oder ein

52 53

Vgl. Committee of European Banking Supervisors, 2008, S. 351 f. Vgl. European Banking Authority, 2014, Tz. 277, S. 98.

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verbessertes Rating eines Instituts. Nicht zuletzt kann sie einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Refinanzierungsfähigkeit leisten. Wenngleich diese Größen zwar messbar sind, ist i.d.R. zwischen ihnen und der Reputation des Hauses jedoch kein eindeutiger und valider Kausalzusammenhang nachweisbar, was z.B. eine Erfolgskontrolle des Reputationsrisikomanagements erheblich erschwert. Das Managementinstrumentarium für Reputationsrisiken gründet daher vor allem auf deduktiv abgeleiteten Plausibilitätsüberlegungen und stellt implizit ein Denken in Opportunitätskostenkategorien in den Mittelpunkt.54 Zu unterscheiden sind reaktive und präventive Ansätze. Reaktive Ansätze nehmen den Eintritt eines Reputationsereignisses als gegeben hin und zielen auf eine Abmilderung des Schadens. Präventive Ansätze hingegen beugen bereits dem Schadenseintritt vor und versuchen ex ante seine Eintrittswahrscheinlichkeit zu verringern. Darüber hinaus bereiten sie die Basis für das spätere reaktive Management, wenn es dennoch zu einem reputationsgefährdenden Ereignis kommt.

5.1 Ziel- und Strategiedefinition Der erste Umsetzungsschritt eines Reputationsrisikomanagements ist die Ziel- und Strategiedefinition. Risikomanagementziele orientieren sich an der Risikotragfähigkeit und dem Risikoappetit der Bank. Die Risikotragfähigkeit reflektiert die Fähigkeit eines Instituts, Risiken bis zu einer bestimmten Höhe abzufedern. Als Risikoappetit wird die Bereitschaft eines Hauses verstanden, Risiken in Abhängigkeit seiner Ertragskraft einzugehen. Die Nulllinie des Risikoappetits klassischer finanzwirtschaftlicher Risiken stellen zumeist die Kapitalkosten dar. Risiken werden etwa auf Portfolioebene limitiert, sodass auf einem bestimmten Konfidenzniveau mindestens die Kapitalkosten verdient werden. Eine analoge Vorgehensweise scheidet bei Reputationsrisiken aufgrund der noch nicht hinreichend weit entwickelten Quantifizierungsmethoden aus. Dennoch ist es erforderlich, eine vergleichbare Nulllinie der Reputationsrisikotoleranz zu definieren. Als Anknüpfungspunkt hierzu bietet sich die im Rahmen der Risiko- und Ertragsstrategie ohnehin festgelegte Definition des Kerngeschäfts an. Ein möglicher Risikoappetit könnte daher dort enden, wo Reputationsrisiken das Kerngeschäft über einen bestimmten Betrachtungshorizont hinaus gefährden. Anders als etwa bei operationellen Risiken, die das Kerngeschäft z.B. in technischer Hinsicht ebenfalls tangieren können, greift das Reputationsrisiko die Loyalität und das Vertrauen der relevanten Stakeholdergruppen an.

54

362

Vgl. Elkins, 2009, S. 78 ff.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Zunächst werden daher im Zuge einer ABC-Analyse die wesentlichen Stakeholder identifiziert. Im Regelfall nimmt dabei der Absatzmarkt den ersten Rang ein. Die dann nach Relevanz folgenden Stakeholder sind je nach Geschäftsmodell des Instituts unterschiedlich.55 In der Folge werden hierauf abgestimmt die zu steuernden Teilbereiche des Reputationsrisikos definiert. Beispielsweise kann es je nach Kundenstruktur einen Unterschied machen, ob Finanzierungen von ethisch umstrittenen Projekten (z.B. Kernkraft, Glückspiel, Naturausbeutung) toleriert werden.56 Eine gesonderte Prüfung ist für sekundäre Reputationsrisiken erforderlich. Da sie als Folge von finanzwirtschaftlichen Primärrisiken eintreten, orientiert sich hieran auch ihre mögliche Akzeptanz. Dies kann zu ungewollten Lücken im Steuerungsprozess führen, die zumindest mit Blick auf unternehmensgefährdende Szenarien geschlossen werden sollten. Auch dem umgekehrten Fall, nämlich dass Reputationsrisiken finanzwirtschaftliche Risiken auslösen oder verstärken, sollte in dieser Analyse Rechnung getragen werden.57 In einem dritten Schritt wird in Abhängigkeit der zu berücksichtigenden Stakeholder und der zu steuernden Risiken das Methodenportfolio definiert. Die hier getroffenen Festlegungen münden i.d.R. in eine Reputationsrisikostrategie und entsprechend operationalisierte hausinterne Regelwerke. Die Strategie- und Regelwerke sind gerade in der Aufbauphase nicht statisch. Im Zuge des Durchlaufens der im folgenden Abschnitt dargestellten Umsetzungsstufen erweitert sich typischerweise sukzessive der Kranz der berücksichtigen Stakeholder, der Risiken und der Methoden. Unabhängig vom Reifegrad orientiert sich das Reputationsrisikomanagement an dem Prinzip der drei Verteidigungslinien (three lines of defense)58, das bereits idealtypisch in anderen Risikomanagementdisziplinen und dem internen Kontrollsystem implementiert sein sollte. • Die erste Verteidigungslinie liegt in den dezentralen Geschäfts- oder Servicebereichen. Jeder Mitarbeiter beeinflusst durch sein Verhalten und seine Entscheidungen die Reputation des Hauses. Dadurch trägt er für seinen Aufgabenbereich auch die primäre Verantwortung für Reputationsrisiken.

55 56 57 58

Vgl. Hoffstetter, Quick, 2014. Vgl. Haackert et al., 2013, S. 7 f. Vgl. Haackert et al., 2013, S. 8. Vgl. Haackert et al., 2013, S. 6 f.

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• Die zweite Verteidigungslinie bildet eine übergeordnete RepRisk-Controlling-Einheit. Sie erstellt Regeln und Vorgaben und übernimmt deren unabhängige Überwachung. Häufig wird eine solche Einheit aufgrund der ähnlichen Methoden beim OpRiskManagement angesiedelt.59 Mögliche Weiterentwicklungen wie RepRisk-Assessments oder quantitative Bewertungen lassen sich ebenfalls einer solchen Einheit zuordnen. • Die dritte Verteidigungslinie wird durch die interne Revision übernommen. An dieser Stelle erfolgen unabhängige Prüfungen der Funktionsfähigkeit der internen Prozesse sowie eine Sicherstellung, dass die verwendeten Ansätze in Übereinstimmung mit den Normen der Bankenregulierung stehen.60

5.2 Umsetzungsstufen des RepRisk-Managements: Drei-PhasenKonzept Der Aufbau und die Implementierung eines adäquaten Reputationsrisikomanagements in Banken erfolgt i.d.R. in drei Phasen:61 Phase I basiert auf einem bestehenden Risikomanagementsystem für die klassischen finanzwirtschaftlichen Risiken (Kredit-, Markt-, Liquiditäts- und operationelle Risiken). Im etablierten Managementkreislauf wird der Schritt der Risikobewertung um die qualitative Betrachtung von Reputationsrisiken ergänzt. Somit können fallweise Risikosteuerungsmaßnahmen abgeleitet werden. Die Risikoidentifikation und das Controlling bleiben auf der ersten Stufe gegenüber dem Regelprozess unverändert. Folglich werden lediglich transaktionsbezogene und Folgerisiken identifiziert und in das Management einbezogen. In dieser Phase werden Reputationsrisiken als Nebenprodukt des klassischen Risikomanagements verstanden. Die Risikosteuerung ist primär reaktiv ausgelegt. Phase II versteht Reputationsrisiken als eigenständige Risikoart. Es werden Rollen und Verantwortungen im Sinne der zweiten Verteidigungslinie definiert und ein vollständiger Risikomanagementkreislauf eingeführt. Über Phase I hinaus werden Reputationsrisiken systematisch z.B. über Self-Assessments oder im Wege des Produkteinführungsprozesses identifiziert. Das betrachtete Risikospektrum erweitert sich somit um Risiken etwa aus Complianceverstößen oder aus operativen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen. Erste präventive Risikosteuerungsmaßnahmen werden ergriffen.

59

60

61

364

Vgl. die empirischen Studien von Hofstetter, Quick, 2014 sowie Kasprowicz, Kaiser, 2012, S. 13. Vgl. zu revisorischen Prüfungsansätzen des Reputationsrisikomanagements Hombach, Müller 2013 und Hombach, Müller, 2013a, insbes. S. 306 f. Vgl. Kasprowicz, Kaiser, 2009, S. 2.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Phase III betrachtet Reputationsrisiken ganzheitlich und schließt alle ex ante identifizierbaren Wirkungszusammenhänge ein. Dazu zählen z.B. Opportunitätskosten durch erschwertes Neugeschäft, Risikoaufschläge bei der Liquiditätsbeschaffung, aber auch die Betrachtung von gesamtwirtschaftlichen Szenarien. Präventive und reaktive Methoden werden gleichgewichtig eingesetzt. Die folgende Tabelle veranschaulicht, in welchem Umfang die dargestellten Phasen des Reputationsrisikomanagements das Risikospektrum abdecken und welche Stakeholder in die Maßnahmen einbezogen werden. Tabelle 2: Einführungsphasen des Reputationsrisikomanagements

Managementumfang

Phase I Berücksichtigung als Folgerisiko von Ereignissen

Phase II Betrachtung als eigenständige Risikoart

Phase III Analyse der Wirkungszusammenhänge

berücksichtigte Stakeholder

A-Stakeholder: i.d.R. Fokus auf Kunden

B-Stakeholder: meist Refinanzierungspartner

Bankenaufsicht, Aktionäre, Mitarbeiter, Politik, Öffentlichkeit etc.

Folgerisiko

Folgen von Kredit-, Markt-, Liquiditätsund operationellen Risiken werden berücksichtigt.

bereits in Phase I enthalten

bereits in Phase I enthalten

keine Berücksichtigung

Einbezug von Verstößen gegen Complianceund Wohlverhaltensregeln im Rahmen von Self-Assessments und Produkteinführungsprozessen

Erweiterung der einbezogenen Compliancerisiken um strategische Komponenten (z.B. Management von Interessenkonflikten).

keine Berücksichtigung

Berücksichtigung operativer Entscheidungen etwa im Produkteinführungsprozess

volle Berücksichtigung unter Einschluss strategischer Entscheidungen

keine Berücksichtigung

Berücksichtigung eines definierten Standardportfolios an Ereignissen (z.B. feindliche Übernahme, Liquiditätsklemmen). Vollständigkeit ist unmöglich.

Verstöße gegen Compliance- und Wohlverhaltensregeln

betriebswirtschaftliche Entscheidung

unvorhergesehene Ereignisse

keine Berücksichtigung

365

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Mit der fortschreitenden Implementierung der Risikomanagementphasen geht ebenfalls eine erweitere Maßnahmenreichweite entsprechend dem vorgestellten Stufenmodell einher. In Phase I werden lediglich lokal wirksame Maßnahmen ergriffen, während Phase III bereits durch den Einbezug strategischer Elemente auf die Funktions- und Handlungsfähigkeit des Gesamtinstituts zielt. Das Risikomanagement leistet damit auf der strategischen Ebene einen erheblichen Beitrag zur umfassenden Sicherung der Reputation als immateriellen Vermögensbestandteil und damit zum Erhalt und Ausbau des Unternehmenswertes. Inwieweit dieses Phasenkonzept institutsindividuell umgesetzt werden sollte, orientiert sich an der Größe, Art und Umfang der getätigten Geschäfte, der in der Strategie niedergelegten Risikotoleranz sowie an der hausinternen Einstufung des Reputationsrisikos als wesentliche Risikoart gemäß MaRisk (AT 2.2). So kann es für eine regional tätige Retailbank ausreichend sein, nur Phase I umzusetzen, während eine international agierende Großbank ein vollständiges Reputationsrisikomanagement implementieren würde. Anhand eines idealtypischen Risikomanagementkreislaufs werden im Folgenden die gängigen Methoden zum Reputationsrisikomanagement dargestellt.

5.3 Identifikation des Reputationsrisikos Eine Grundvoraussetzung für ein präventives Management von Reputationsrisiken ist ihre frühzeitige Erkennung. Analog zu klassischen Primärrisiken empfiehlt sich eine Risikoinventur, mit der zumindest Folgerisiken identifiziert werden können. Weitere Reputationsrisiken ergeben sich – wie bereits dargestellt – aus Complianceverstößen, betriebswirtschaftlichen Entscheidungen, aber auch aus unvorhergesehenen externen Ereignissen. Ihre Erkennung ist deutlich aufwändiger. Eine Bank muss hierfür zunächst erkennen, was ihre Reputation bei einzelnen Stakeholdergruppen ausmacht. Erst die Kenntnis der Reputationstreiber versetzt ein Haus in die Lage, mögliche Gefährdungen zu erkennen. Reputationstreiber sind unternehmensindividuell. Bei einer Privatbank kann dies die besondere Diskretion und Beratungskompetenz sein, während es bei einer Onlinebank etwa effiziente Abwicklungsstrukturen oder sichere IT-Systeme sein können.62

62

366

Vgl. Füser et al., 2008, S. 11.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Die Ableitung von Reputationstreibern kann intern über Checklisten, Brainstormings oder Workshops erfolgen. Hierbei ist zu beachten, dass Reputation die Außenwirkung der Bank reflektiert. Vor diesem Hintergrund sollten die relevanten externen Stakeholdergruppen z.B. durch Befragung in die Identifikation der Reputationstreiber eingebunden werden. Auf die Identifikation folgt die Klassifizierung der Treiber. Denkbare Kategorien sind z.B.:63 • gesellschaftliche Anforderungen, • finanzielle Performance, • Qualität der internen Prozesse oder • Kundenzufriedenheit. Auf der Basis der kategorisierten Reputationstreiber lassen sich Reputationsrisiken topdown oder bottom-up ableiten. Bei der Top-down-Vorgehensweise werden für jeden Treiber mögliche Störfaktoren ermittelt. Im Bottom-up-Ansatz werden bereits interne und aus anderen Häusern bekannte Risiken auf ihren Einfluss auf die Reputationstreiber analysiert. Beide Ansätze werden realiter in Kombination angewendet und um Techniken des Self-Assessments, wie es von operationellen Risiken bekannt ist, ergänzt.

5.4 Bewertung des Reputationsrisikos Zur Bewertung von Reputationsrisiken existiert bisher kein geschlossenes Konzept. Lediglich Partialansätze für einzelne Risikogruppen vermögen eine Abschätzung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Darüber hinaus können Reputationsrisiken mit Scoringansätzen oder rein qualitativ bewertet werden. Folgende Methoden kommen hierzu zum Einsatz: Reputationsrisiken, die als reine Folge von Primärrisiken angesehen werden, werden auch mit Rückgriff hierauf bewertet. In Kenntnis der Eintrittswahrscheinlichkeit des Basisrisikos wird durch Experten eine Entdeckungswahrscheinlichkeit geschätzt, dass dieses Ereignis publik wird. Durch eine Szenarioanalyse kann der durch die Veröffentlichung entstehende Zusatzschaden abgeschätzt werden. Dieses Vorgehen setzt valide Kenntnisse der Basisrisiken und der öffentlichen Wirkungszusammenhänge voraus und ist daher als idealtypisch zu verstehen. Realiter sind in den seltensten Fällen die nötigen

63

Vgl. Einhaus, 2007, S. 285 ff.

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Informationen verfügbar, weswegen auf andere Ansätze ausgewichen werden muss. Eine Ex-post-Bestimmung des Reputationsschadens kann etwa über die Veränderung des Marktwertes oder der Veränderung von Creditspreads nach Bekanntgabe des Schadens ermittelt werden.64 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Reputationsereignis die künftigen Cashflows der Bank beeinflussen wird. Die Literatur nennt insbesondere operationelle Risiken, bei denen diese Methode anwendbar ist.65 Sofern keine direkt messbaren Größen vorliegen, werden in der Praxis indexbasierte Modelle genutzt. Beispiele hierfür sind ERIX, der Eurohypo Reputation Index66 und ein ähnliches Vorgehen der ING-Diba.67 Hierbei werden externe Stakeholder um eine Reputationseinschätzung der Bank auf einer Skala gebeten. Im Vergleich zu einem definierten Reputationsziel oder über die Zeit können Veränderungen in der Reputation abgeleitet werden. Inwieweit solche Systeme statistisch valide sind und tatsächlich auch das messen, was sie vorgeben, darf angesichts zahlreicher Störfaktoren wie der Auswahl und Einschätzungsgüte der Beantworter sowie der Trennschärfe der gestellten Fragen angezweifelt werden. Objektiver sind Medienresonanzanalysen einzuschätzen. Bei diesem Verfahren wird gemessen, wie die Bank in der öffentlichen Berichterstattung wahrgenommen wird. Durch Auszählung der negativen, neutralen und positiven Berichte ergibt sich im Zeitverlauf ein Barometer der öffentlichen Wahrnehmung.68 Mit ähnlichen Verfahren lassen sich ebenfalls soziale Medien oder Blogs analysieren. Weiterhin lassen sich das Kündigungsverhalten oder das Beschwerdemanagement als mögliche Reputationsindikatoren auswerten. Verknüpft mit Marktwertanalysen kann über derartige Zeitreihen langfristig ein Zusammenhang von öffentlicher Wahrnehmung und Unternehmenswert hergestellt werden. Da es sich hierbei jedoch lediglich um eine Korrelationsaussage handelt, sind Rückschlüsse, die eine operative Reputationssteuerung ermöglichen, schwierig. Eine weitere Form der qualitativen Bewertungsmethoden ist das sog. Business Wargaming. Hierbei handelt es sich um eine Simulationsmethode, die Teilaspekte des Rollenspiels und der Szenarioanalyse verbindet. Eine vorgegebene Situation, z.B. ein eingetretenes Primärrisiko, wird den Teilnehmern, die unterschiedliche Stakeholder repräsentieren, vorgegeben. In einem rundenbasierten Verfahren versucht jeder Teilnehmer, ein seiner Rolle entsprechendes Ziel zu erreichen. Der Anreiz eines jeden Spielers, das Spiel zu gewinnen, trägt wesentlich zur Analyse von Wirkungszusammenhängen und Aktions-

64 65 66 67 68

368

Vgl. Sturm, 2013. Vgl. Perry, de Fontnouvelle, 2005, passim. Vgl. Gaumert, 2008, S. 57. Vgl. Tellings, 2007, S. 87 ff. Vgl. Eccles, Newquist, Schatz, 2007, S. 110 f.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Reaktionsmustern bei, ist jedoch nicht das primäre Spielziel.69 Nach einer Konsolidierung und Analyse der Spielrunden lassen sich so wertvolle Erkenntnisse im Sinne einer Was-wäre-wenn-Analyse gewinnen. Zum einen kann das Ausmaß eines Reputationseffekts abgeschätzt werden, zum anderen lassen sich geeignete Steuerungs- und Kommunikationsstrategien ableiten. Die vorangegangene Darstellung zeigt, dass aktuelle Bewertungsmethoden noch nicht im Stande sind, Reputationsrisiken in gleicher Qualität wie Markt- oder Kreditrisiken zu bewerten. Gleichwohl ist es über die Methoden möglich, Risiken zu priorisieren, qualitativ einzuschätzen und einem Steuerungsprozess zuzuführen.

5.5 Steuerung des Reputationsrisikos Hinsichtlich der Steuerungsmethoden für das Reputationsrisiko kann zwischen spezifischen und unspezifischen Ansätzen unterschieden werden. Spezifische Ansätze fokussieren zuvor identifizierte Risikokomplexe und entwerfen darauf abgestimmte Reaktionsweisen der Bank. Unspezifische Ansätze versuchen präventiv, reputationsbezogene Handlungsweisen in der Aufbau- und Ablauforganisation der Bank zu verankern und damit den Boden für reputationsgerechtes Handeln in der Bank zu bereiten. Prominente Beispiele sind Corporate Governance Grundsätze, Ethikstandards70, Umweltrichtlinien oder Verhaltenscodizes71, die insbesondere den Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt in Seminaren vermittelt werden und auf eine Verbesserung der Risikokultur in der Bank zielen. Die Einhaltung derartiger festgeschriebener Leitlinien wird in der Regel im Rahmen von Jahresabschlussberichten und der Öffentlichkeitsarbeit publiziert. Flankierend hierzu kann die Bank auch in organisatorischer Hinsicht dafür sorgen, das Reputationsrisiko zu senken, indem sie beispielsweise die gesamte Öffentlichkeitsarbeit in einer Einheit bündelt. Eine vorstandsnahe Zusammenlegung von Marketing, Customer Relationship Management, Investor Relations, Politik- und Bankenaufsichtskontakten bietet die Möglichkeit, die jeweiligen Kommunikationsstrategien aufeinander abzustimmen und absehbare Konflikte – z.B. zwischen Kunden und Aktionären – im Vorfeld auszutarieren. Außerdem hat sie die Möglichkeit, jede öffentliche Stellungnahme durch einen standardisierten Prüfprozess zu leiten, der weitergehende Reputationsrisiken z.B. in ethischer oder rechtlicher Hinsicht verringert.

69 70 71

Vgl. Spitzner, 2012. Vgl. Streiff, 2004, S. 40 ff. Vgl. Eisenegger, Imhof, 2004, S. 254.

369

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Wenngleich sich die genannten Maßnahmen zwar für die Reduktion des Exposures von Reputationsrisiken eignen, sind damit definitionsgemäß weder der Eintritt eines Primärschadensereignisses auszuschließen noch dessen Reputationswirkungen gesteuert. Vor diesem Hintergrund sind weitere ereignisbezogene Steuerungsansätze notwendig. Ihre Hauptaufgabe liegt dabei in der sachgerechten Notfallreaktion. Am Beispiel des IssueManagements kann dies verdeutlicht werden.

5.5.1

Issue Management

Als auslösendes Ereignis kommen wiederum Primärrisiken, Complianceverstöße, betriebswirtschaftliche Entscheidungen oder unvorhergesehene Ereignisse in Betracht. Bei planbaren managementinduzierten Begebenheiten und Risiken, deren Eintritt dem Grunde nach als vorhersehbar gilt (z.B. Umstrukturierungen, Missbrauch des Onlinebankings), bietet sich als Steuerungsmethode das sog. Issue-Management an72: Im Zuge einer Medienresonanzanalyse oder auf der Grundlage von branchenweiten Schadensfalldatenbanken wird anhand ähnlicher Fälle eine Abschätzung der zukünftigen Dynamik in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion vorgenommen. Als Grundlage dienen vergleichbare Fälle bei Mitbewerbern oder anderen Branchen. Auf dieser Basis wird ein Kommunikationsplan erstellt, der die wesentlichen und relevanten öffentlichen Meinungsführer einbindet und vorstrukturierte Argumentationsmuster möglichst frühzeitig in die öffentliche Diskussion einspeist. Denn es gilt: Je später die Reaktion der betroffenen Bank erfolgt, desto geringer sind ihre Handlungsoptionen und umso höher ihre möglichen Folgekosten. Zum einen nimmt der Zeitdruck zu, um überhaupt noch einwirken zu können, zum anderen verfestigen sich die Standpunkte in der öffentlichen Wahrnehmung sehr schnell, sodass kaum mehr eine gezielte Beeinflussung möglich ist. Das Issue-Management bietet damit ein ähnliches Vorgehen, wie es in Banken längst durch den Einsatz von Notfallplänen etabliert ist. Positiv hervorzuheben ist, dass neben der Öffentlichkeit gleichermaßen interne Mitarbeiter sensibilisiert und im Umgang mit den Medien diszipliniert werden. Eine sich rein auf die medienvermittelte Wahrnehmung konzentrierende Methode greift jedoch zu kurz, da wichtige andere Stakeholder (z.B. Kunden, Bankenaufsicht, Ratingagenturen etc.), die möglicherweise unmittelbare Erfahrungen mit der Bank gemacht haben, vernachlässigt werden. Die Methode des IssueManagement sollte daher mindestens um diese Schlüsseladressaten erweitert werden, wie es im Folgenden dargestellt wird.

72

370

Vgl. hierzu umfassend Eisenegger, 2005, S. 125 ff.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

5.5.2

Stakeholderindividuelles Reputationsrisikomanagement nach Handlungsfeldern

In der Folge eines Primärschadensereignisses besteht bei zahlreichen Stakeholdergruppen die Gefahr, dass sie durch ihre Handlungen der Bank weiteren Schaden zufügen. Einige reaktive Methoden des Reputationsrisikomanagements zielen daher auf eine stakeholderindividuelle Verhaltensbeeinflussung ab und demonstrieren Wohlverhalten der Bank gegenüber ihren Anspruchsgruppen. Beispielhaft zählen hierzu: • eine schnelle Kulanzabwicklung, um Kunden oder andere Mitgeschädigte von (Sammel-)Klagen abzuhalten, • das Vorhalten juristischer Expertise, um sachgerecht und schnell auf Klagen oder Regressansprüche zu reagieren, • die Präsentation entlastenden Beweismaterials, etwa zur Exkulpierung der Bank von betrügerischen Machenschaften einzelner Mitarbeiter, • eine umgehende Kommunikation mit dem Markt und Ratingagenturen, um Nachteile bei Refinanzierungskosten zu vermindern oder • Lobbyismusanstrengungen bei Aufsichtsbehörden, um erhöhte Kapitalunterlegungspflichten oder andere Auflagen abzuwenden. Die Beispiele verdeutlichen, dass diese Art der Reputationsrisikosteuerung neben der fachlichen eine beträchtliche politische Dimension aufweist. Zudem rechtfertigt sich ein solcher Aufwand nur bei erheblichen Risikotragweiten. Das Qualifikationsprofil der risikosteuernden Mitarbeiter muss daher um zusätzliche Fähigkeiten aus den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyismus erweitert werden. Im Regelfall bedeutet dies den Einbezug weiterer Wissens- und Kompetenzträger wie z.B. von Rechtsanwälten, PRSpezialisten und des Vorstands. Organisatorisch lässt sich das Risikomanagement ab dem Zeitpunkt des Primärschadenseintritts durch zwei kooperierende Teams mit der Beteiligung der genannten Experten umsetzen. Das Ereignisteam fokussiert die organisatorische Innenansicht, konzentriert sich alleine auf das Primärereignis und koordiniert dessen Management. Dabei sorgt es für eine umfassende Transparenz über alle (gesicherten) Fakten des Falls und die Abstimmung einer einheitlichen Sprachregelung und Argumentationslinie, die das Wirkungsteam gegenüber den einzelnen Anspruchsgruppen nach außen vertritt. Konkret bedeutet das, dass jede Anspruchsgruppe mit einem zu anderen Adressaten widerspruchsfreien und auf sie angepassten Informationszuschnitt versorgt werden muss. Beispielsweise sind Aufsichtsbehörden mit Risikokennziffern und detailliertem Wissen über bankinterne Prozesse auszustatten, die der Öffentlichkeit im Normalfall verborgen bleiben. Kunden hingegen sind (z.B. nach bekanntgewordenen Wertberichtigungen auf namhafte Portfolien oder

371

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dem Zusammenbruch von Tochtergesellschaften) etwa an der Sicherheit ihrer Einlagen und der weiteren Funktionsfähigkeit der Bank interessiert und erwarten von ihr in erster Linie Stellungnahmen zu diesen Themenkreisen. Die folgende Abbildung verdeutlicht das Zusammenspiel der beiden Teams. Abbildung 2: Zusammenspiel von Ereignis- und Wirkungsteam Rückkopplung mit internen Prozessen

Kommunikation mit Stakeholdern

Ergebnisbericht

Ereignisteam

operativer Austausch über Verbindungspersonen

Wirkungsteam

Priorisierung der Steuerungsaufgaben anhand der zu erwartenden Konsequenzen

Zur Verdeutlichung der Methodik lassen sich am Beispiel ausgewählter banktypischer Risiken die Handlungsfelder73 des Reputationsrisikomanagements illustrieren.

5.5.2.1

Handlungsfeld: Gesellschaftliche Anforderungen

Öffentliche Stakeholder wie die Bevölkerung oder die Presse erwarten von der Bank ein stets einwandfreies, regelkonformes, ethisches und sozial verantwortungsbewusstes Verhalten und sanktionieren Abweichungen durch öffentliche Maßregelungen, Diskussionen bis hin zum Boykott. Eine unternehmenspolitische Maßnahme, etwa die betriebsbedingte Entlassung von Mitarbeitern, ist planbar und darf daher nicht unkommentiert an die Öffentlichkeit gelangen. Dies birgt die Gefahr, dass die Bank nicht mehr die Diskussionsführerschaft behält und durch den Einfluss konkurrierender Interessengruppen Handlungsoptionen einbüßt. Vielmehr sollte ein solches Ereignis von vorhergehenden Imagekampagnen, die die Bank in ihren öffentlich wahrgenommenen Eigenschaften und ihrer gesamtwirtschaftlichen Bedeutung positiv hervorheben, begleitet werden. Das Wirkungsteam hat in diesem Beispiel die Aufgabe, die negative Nachricht vorstrukturiert der Öffentlichkeit vorzutragen und für ihre sachliche Begründung um Verständnis zu werben. Hierzu eignen sich etwa Hintergrundgespräche mit Journalisten und weiteren

73

372

Vgl. zur sachlogischen Ableitung der Handlungsfelder des Reputationsrisikomanagements Schierenbeck, Grüter, Kunz, 2004, S. 13 ff.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

öffentlichen Meinungsführern. Je nach Tragweite der Maßnahme kann auch an einen öffentlichen Medienauftritt des Managements gedacht werden. Die zu transportierende Information sollte im Vorfeld abgestimmt und auf allen Kommunikationskanälen identisch sein. Im Beispielfall würden etwa das Bedauern über die unausweichliche Maßnahme, die externen Einflussfaktoren, die dazu geführt haben und die Anstrengungen der Bank zur sozialverträglichen Abfederung im Zentrum der Kommunikation stehen. Bei jedweder Kommunikation dieser Tragweite stellt die Reihenfolge der zu informierenden Gruppen einen wesentlichen Entscheidungsparameter dar. Im konkreten Beispielfall ist es zur Vermeidung weiteren Unmuts unter der Belegschaft u.U. sinnvoll, die betroffenen Mitarbeiter als erste zu informieren und erst danach an die Öffentlichkeit zu gehen. Bei Vorfällen, die die Gefahr von Insiderhandeln bergen, kann es z.B. erforderlich sein, alle Anspruchsgruppen gleichzeitig zu benachrichtigen. Auf der Einzelgeschäftsebene ist die Bank ebenfalls Reputationsrisiken ausgesetzt. Bei besonders komplexen und strukturierten Produkten ist möglicherweise nicht direkt ersichtlich, welche Marktpartner mittelbar in die Transaktion eingebunden sind. Einige Häuser haben deshalb bei derartigen Geschäften einen zusätzlichen Freigabeschritt eingeführt, bei dem die Transaktion z.B. durch das Wirkungsteam auf Verbindungen zum Waffenhandel, umweltschädlichen Investments, Einlagen von Potentaten, Geschäften mit Embargoländern usw. überprüft wird. Es ist die Aufgabe des Managements, eine Abwägung zwischen einem legalen74 Geschäft und dem daraus resultieren den Reputationsrisiko zu finden.75

5.5.2.2

Handlungsfeld: Finanzielle Performance

Gläubiger, Aktionäre, Kunden und Ratingagenturen haben gerade infolge der Finanzkrise ein verstärktes Interesse an der finanziellen Performance des Instituts. Intransparenz infolge eines Primärschadens, z.B. dem Ausfall eines Großkredits oder erheblichen Abwertungen, kann zu negativen Reputationswirkungen führen, die sich bspw. in einer Erschwernis des Neugeschäfts, schlechteren Marktkonditionen und im äußersten Fall durch die Gefährdung der Refinanzierungsfähigkeit äußern können. Die Bank ist daher gut beraten, nach dem – im Gegensatz zum vorherigen Beispiel – nicht planbaren Eintritt eines derartigen Großschadens die relevanten Anspruchsgruppen entsprechend ihrem Informationsbedürfnis umfassend in Kenntnis zu setzen und keinesfalls den Vorfall verfälscht darzustellen oder gar zu verschweigen. Hierzu zählen etwa

74

75

Allen weist darauf hin, dass selbst rechtlich einwandfreie Verträge zu Reputationsrisiken führen können, wenn eine Mehrheit der Kunden oder der Bevölkerung ihren Abschluss als moralisch verwerflich empfindet. Vgl. Allen, 2003, S. 42 f. Vgl. Gaumert, 2008, S. 59.

373

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• eindeutige Ad-hoc-Mitteilungen, die keinen Interpretations- und Spekulationsspielraum mehr offen lassen, • ein direkter Dialog zwischen der mit dem Vorfall betrauten Führungsebene und Großaktionären, Kreditgebern sowie Ratingagenturen und • eine realistische Einschätzung des Instituts zu den erwarteten Folgen für die beteiligten Stakeholder. Die genannten Maßnahmen bergen das Risiko, kurzfristig den Reputationsschaden zu vergrößern. Langfristig erwirbt sich die Bank jedoch den Ruf eines verlässlichen Marktpartners, der auch in Krisenzeiten einen offenen Dialog pflegt. Vor diesem Hintergrund sollte eine derartige Kommunikationskultur bereits schon bei geringen Schäden, deren Vertuschung nicht auffallen würde, praktiziert werden.76 Mit Blick auf den in den MaRisk (BTR 3.1, Nr. 7) geforderten Notfallplan für Liquiditätsengpässe bietet sich eine Berücksichtigung einer geeigneten Stakeholderkommunikation an.

5.5.2.3

Handlungsfeld: Qualität interner Prozesse

Am Beispiel der Qualität der internen Prozesse lässt sich sehr deutlich das Zusammenspiel von Ereignis- und Wirkungsteam verdeutlichen. Es sei angenommen, dass einer Bank (oder einem ihr zurechenbaren Dienstleister) in der Folge einer Sicherheitslücke der EDV-Systeme mehrere hunderttausend Kreditkartendaten gestohlen wurden.77 Unmittelbar nach dem Erkennen des Schadens setzt die ereignisbasierte Risikosteuerung ein und ergreift alle organisationsinternen Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens (z.B. Kartensperrungen, Umsatzüberwachungen, Plausibilitätsprüfungen, Beweissicherung etc.) sowie zur Wiederherstellung des ordentlichen Geschäftsbetriebs. Im Außenverhältnis begrenzt das Wirkungsteam die negativen Folgen des Vorfalls, indem es aktiv die Kommunikation mit den beteiligten Anspruchsgruppen betreibt mit dem Ziel, Handlungssouveränität zu beweisen, denn ein unkoordinierter Informationsfluss nach außen kann die Schadenswirkungen noch vergrößern.78 Der Umfang und die Qualität der Informationsweitergabe richten sich wiederum an den unterschiedlichen Anspruchsgruppen aus.

76 77

78

374

Vgl. Khoury, 2009, S. 72. Vgl. zu einem realen Fall noch größeren Ausmaßes sowie zur darauf bezogenen öffentlichen Reaktion als Schlagzeile „Mehr als 40 Millionen Datensätze von Kreditkartenunternehmen gestohlen – Betrüger setzen Computervirus ein – Mastercard meldet Sicherheitslücke“, o. V., HB, 2005-06-20, S. 29. Vgl. Shpiro, Möhrle, 2005, S. 16.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

In einem Zusammenspiel von Datenschützern, Juristen und PR-Mitarbeitern werden die Informationen bestimmt, deren Weitergabe für die Bank nützlich ist oder ihr zumindest nicht schaden können. Eine vorbereitete Informationsklassifikation hilft an dieser Stelle, auch in Situationen großer Hektik und öffentlichen Drucks, Geschäftsgeheimnisse oder schädliche Informationen nicht ungewollt preiszugeben. Es gilt daher abzuwägen, ob sich gegenüber der jeweiligen Zielgruppe eher ein Abschwächen des Vorfalls eignet, weil erwartet wird, dass das Ereignis nur kurz im öffentlichen Bewusstsein verbleibt, oder ob ein offener Dialog langfristig – wie zuvor erörtert – eine bessere Alternative darstellt. In jedem Fall sollte das Institut die Bedenken seiner Stakeholder öffentlich ernst nehmen und entsprechende Sofortmaßnahmen den Ankündigungen folgen lassen, was im Folgenden am Beispiel der Kundenzufriedenheit dargestellt wird.

5.5.2.4

Handlungsfeld: Kundenzufriedenheit

Der Anspruchsgruppe Kunden gegenüber kann die Reaktion der Bank etwa ein kulanter Umgang mit eingetretenen Schäden oder die schnelle unbürokratische Ausgabe neuer Kreditkarten sein. Als schädlich könnte sich indes eine zu detaillierte öffentliche Berichterstattung über die Hintergründe des Computereinbruchs erweisen. Kunden könnten auf diese Weise animiert werden, eine juristische Fahrlässigkeit im Umgang mit persönlichen Daten feststellen zu lassen, um auf dieser Grundlage weitere Ansprüche zu erheben. Außerdem würde dem Einbrecher eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, die in Szenekreisen von Hackern als Anerkennung gilt. Im schlimmsten Fall würden Trittbrettfahrer und Nachahmer auf die Bank als lohnendes Ziel aufmerksam. Auf der Basis der im Schadensfall erstellten Dokumentation sind hingegen relevante Marktpartner, Ratingagenturen und bei Bedarf auch die Bankenaufsicht in größerer Detailtreue zu informieren. Vor allem Informationen über die erwartete Schadenshöhe, ursächliche organisatorische Unzulänglichkeiten und deren bankinterne Konsequenzen dienen als vertrauensbildende Signale an diese Stakeholder und unterstreichen die Einmaligkeit dieses Vorgangs. Alternativ oder ergänzend kann die Bank ebenfalls mit Referenzvorfällen aus dem eigenen Haus oder aus übergreifenden Schadensfalldatenbanken argumentieren und eine Gleichbehandlung hinsichtlich drohender Sanktionen fordern.

5.6 Controlling des Reputationsrisikos Im Rahmen des klassischen Risikomanagementprozesses bildet das Risikocontrolling die prüfende Instanz, ob die bei der Risikosteuerung ergriffenen Maßnahmen effektiv und effizient sind.

375

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Ein erster Schritt ist dabei die Kontrolle, ob die geplanten Prozesse und Maßnahmen sachgerecht implementiert sind und gelebt werden. Methodisch geschieht dies etwa über Stichproben, z. B. inwieweit im Neuproduktprozess systematisch Reputationsrisiken betrachtet wurden oder ob Leitfäden für komplexe Produkte bestehen. Bei der im Folgeschritt zu evaluierenden Wirksamkeit der Risikosteuerungsmaßnahmen stellt sich das Grundsatzproblem, dass es aufgrund der Individualität zahlreicher Reputationsrisiken an einem neutralen Vergleichsmaßstab fehlt. Mit Blick auf Einzelmaßnahmen verbleibt daher nur eine qualitative Plausibilitätskontrolle, ob eine getroffene Maßnahme tatsächlich erfolgreich war. Dies lässt sich beispielsweise an der öffentlichen Wahrnehmung von einzelnen kritischen Sachverhalten beurteilen (z.B. Reaktion der Öffentlichkeit auf einen bekannt gewordenen Korruptionsfall). Als Methode kommt hierfür abermals die Medienresonanzanalyse in Betracht. Sofern es sich bei dem betrachteten Risiko gleichzeitig um ein Branchenproblem handelt (etwa hohe Abschreibungserfordernisse, negative Ergebnisse aus einem Stresstest oder der LIBOR-Skandal), kann eine Maßnahmenevaluation auch im Quervergleich durchgeführt werden. Neben den rein qualitativen, auf Plausibilitätsannahmen fußenden Ansätzen lässt sich auch auf Gesamtbankebene die Wirksamkeit des gesamten Reputationsmanagements ex post durch Marktwertvergleiche bestimmen. Analog zum bereits dargestellten Bewertungsansatz kann der Unterschied zwischen dem durch ein Schadensereignis rechnerisch zu erwartenden Marktwertverlust und seiner tatsächlichen Kursausprägung gemessen werden.79 Die Differenz gibt dabei den Reputationseffekt an. Das Ausmaß seiner Reduktion ist ein Indikator für die Güte des Reputationsrisikomanagements.

6 Ausblick Die Reputation einer Bank ist ein wesentlicher Erfolgstreiber. Reputationsrisiken gefährden nicht nur die Chancen auf dem Absatzmarkt, sondern können sich in erheblicher Weise auf die Handlungs- und Funktionsfähigkeit oder gar auf die gesamte Branche auswirken.

79

376

Vgl. Perry, de Fontnouvelle, 2005, S. 13 ff.

Reputationsrisiken im Kontext von Regulierung und bankbetrieblicher Praxis – ein Überblick

Empirische Studien belegen, dass mittlerweile ein signifikanter Anteil der größeren deutschen Institute Reputationsrisiken als wesentlich ansieht und entsprechende Risikomanagementmethoden einführt. Im Einklang mit dem branchenweiten Bedeutungszuwachs entwickelt die internationale Bankenaufsicht nicht zuletzt infolge der Finanzmarktkrise und einiger Skandale (LIBOR) ebenfalls einen Regulierungsrahmen für Reputationsrisiken. Sie fördert damit die Durchdringung über alle Sektoren und Größenklassen der Branche. Wenngleich in einem ersten Schritt vorwiegend qualitative Maßnahmen im regulatorischen Fokus stehen, ist aus der Erfahrung mit anderen Risikoarten perspektivisch mit ersten pauschalen Indikatoransätzen zur Quantifizierung zu rechnen. Bisherige Maßnahmen haben einen reaktiven Schwerpunkt. Präventive Maßnahmen sind in der Industrie noch unterrepräsentiert.80 Der Vorschlag eines Drei-Phasen-Konzepts greift dies auf und ermöglicht eine flexible Anpassung des Reputationsrisikomanagements auf die individuelle Größe und Bedürfnisse eines Instituts. Das Reputationsrisikomanagement zielt damit auf das immaterielle Vermögen der Bank und leistet einen unmittelbaren Beitrag zur Sicherung des Unternehmenswertes einerseits, aber auch zur Sicherung des Vertrauens in die Branche andererseits. In Bankpraxis und Wissenschaft besteht weiterer Forschungsbedarf, um die UrsacheWirkungsbeziehungen zwischen bankbetrieblichem Handeln und der Reaktion der Stakeholder besser vorhersagen und quantifizieren zu können. Nötig ist ein durchgängiges Konzept, dass quantitative und qualitative Partialmethoden vereinigt und damit ein Frühwarn-, Steuerungs- und Controllinginstrumentarium zur Verfügung stellt. Angesichts der durch die Finanzmarktkrise und diverse Skandale vor Augen geführten Relevanz sind Banken gehalten, ihre Reputation planvoll, zielgerichtet und proaktiv zu steuern. Hierzu zählt nicht nur die Implementierung eines Reputationsrisikomanagements, sondern ebenfalls eine auf den Ausbau der Reputation ausgerichtete Unternehmens- und Risikokultur.

80

Vgl. Hofstetter, Quick, 2014.

377

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Leverage Ratio Thomas Hartmann-Wendels

1 Hintergrund und Zielsetzung 2 Aufbau der Leverage Ratio 3 Erfüllt die Leverage Ratio die gesteckten Ziele? 4 Kritik an risikobasierten Eigenkapitalvorschriften 4.1 Risikobasierte Eigenkapitalvorschriften bewirken zu niedrige Eigenkapitalquoten 4.2 Risikogewichte sind zu ungenau 4.3 Modellrisiken 4.4 Regulatory Capture by Sophistication 4.5 Prozyklizität 4.6 Die Leverage Ratio als Insolvenzindikator 5 Auswirkung der Leverage Ratio auf die Risikopolitik der Banken 6 Fazit Literatur

385

386

1 Hintergrund und Zielsetzung Am 15.12.2010 hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht zwei Regelwerke1 verabschiedet, die als Basel III bezeichnet werden. Die darin enthaltenen Regelungen erstrecken sich auf die Unterlegung von Risikopositionen mit Eigenmitteln, auf zusätzliche Eigenkapitalanforderungen für bestimmte Risikopositionen, auf die Einführung eines globalen Liquiditätsstandards sowie einer Höchstverschuldungsquote, die im englischsprachigen Originaldokument als Leverage Ratio (LR) bezeichnet wird. Die quantitativen Regelungen zu Eigenkapital und Liquidität wurden inzwischen im Zuge einer EU-Verordnung (Capital Requirement Regulation – CRR) umgesetzt, die seit Anfang 2014 unmittelbar deutsches Aufsichtsrecht ist. Nationale Wahlrechte gibt es – der Idee eines Single Rule Book folgend – im Bereich der EU-Verordnung nur noch in geringem Maße. Die qualitativen Vorgaben von Basel III sowie diverse Kapitalpufferanforderungen sind in eine EU-Richtlinie (Capital Requirement Directive – CRD) eingeflossen, die durch die Novellierung der MaRisk bzw. des Kreditwesengesetzes in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Mit der LR soll eine einfache, transparente und risikoinsensitive Regel für die Kapitalanforderung an Kreditinstitute geschaffen werden, die die risikogewichteten Kapitalanforderungen ergänzen soll.2 Damit werden zwei Ziele verfolgt: 1. Der Verschuldungsaufbau im Bankensektor soll begrenzt werden, um destabilisierende Schuldenabbauprozesse zu vermeiden, die das Finanzsystem und die Realwirtschaft schädigen können. 2. Die risikobasierten Anforderungen sollen durch eine Ergänzung um ein einfaches, nicht risikobasiertes Korrektiv gestärkt werden. Beabsichtigt ist, dass die LR nicht die bindende Kennzahl für die Eigenkapitalausstattung sein soll, sondern als Auffang-Kennzahl („Backstop-Kennzahl“) wirken soll. Basel III sieht einen Beobachtungszeitraum vom 01.01.2013 bis zum 01.01.2017 vor, um die LR, ihre Komponenten und die Wechselwirkungen mit der risikobasierten Eigenmittelunterlegung zu überwachen. Danach sollen vom Basler Ausschuss letzte Anpassungen der Definition und der Kalibrierung vorgenommen werden, um die LR dann am 01.01.2018 zu einer verpflichtenden Anforderung im Rahmen der ersten Säule einzuführen. Banken müssen aber schon ab dem 01.01.2015 ihre Verschuldungsquote auf konsoli-

1 2

Vgl. BCBS (2010a), (2010b). Vgl. BCBS (2010a), Art. 152.

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Thomas Hartmann-Wendels

dierter Basis offenlegen. Die Basler Vorgaben zur LR sind seit 2010 grundlegend überarbeitet worden.3 Angepasst wurden u.a. die Vorgaben zur Berücksichtigung klassischer außerbilanzieller Positionen sowie von Derivaten. Damit sollte u.a. sichergestellt werden, dass unterschiedliche Rechnungslegungsvorschriften über die bilanzielle Wirkung von Nettingvereinbarungen sich nicht auf die Höhe der LR auswirken. Die Veränderungen der LR im Basler Akkord sind inzwischen in der CRR nachvollzogen worden.4 Durch die Überarbeitung sind die Vorschriften zur Ermittlung der LR erheblich komplexer geworden. Auf EU-Ebene ist über die Einführung der LR als verbindliche Kennziffer noch keine endgültige Entscheidung gefällt worden. Der vereinbarte Fahrplan gemäß CRR lässt aber deren Einführung zum 01.01.2018 zu. Bis zum 31.10.2016 erstellt die EBA für die EU-Kommission einen umfassenden und grundsätzlichen Bericht über die Verschuldungsquote. Auf Basis der EBA-Analyseergebnisse legt die EU-Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 31.12.2016 einen Bericht über die Auswirkungen und die Wirksamkeit der Verschuldungsquote vor, der dann die Grundlage für eine endgültige Entscheidung bildet. In der CRR ist die Möglichkeit vorgesehen, dass die Höchstverschuldungsquote nicht einheitlich festgelegt, sondern in Abhängigkeit vom Risikogehalt des Geschäftsmodells einer Bank abgestuft wird.5 Möglich ist auch, dass in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell die Kapitalmessgröße und/oder die Engagementmessgröße angepasst werden. In der Einleitung zur CRR werden Hypothekendarlehen und Spezialfinanzierungen für regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder öffentliche Stellen als „Geschäftsmodelle mit anscheinend niedrigem Risiko“6 genannt, für die eine Sonderregelung in Frage käme.

2 Aufbau der Leverage Ratio Die Höchstverschuldungsquote wird als Quotient aus Kapitalmessgröße (Zähler) und Gesamtrisikopositionsmessgröße (Nenner) in Prozent ausgedrückt. Während der Beobachtungsphase vom 01.01.2013 bis 01.01.2017 soll eine Mindestanforderung von 3% getestet werden. In der CRR-Verordnung ist die Höhe der Leverage Ratio noch nicht festgelegt, dies soll erst nach einer Untersuchung der Auswirkungen und der Wirksamkeit der Leverage Ratio erfolgen. Während Basel III eine Einhaltung der Leverage Ratio nur auf

3 4 5 6

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Vgl. BCBS (2013), (2014). Vgl. Europäische Kommission (2014). Vgl. CRR Artikel 511 (2). Vgl. CRR Ziffer (95).

Leverage Ratio

konsolidierter Ebene fordert, muss die Verschuldungsquote in der CRR auch auf Einzelinstitutsebene eingehalten werden.

Kapitalmessgröße Leverage Ratio = LR = ----------------------------------------------------------------------- ≥ 3% Gesamtrisikopositionsmessgröße Die Kapitalmessgröße entspricht dem Kernkapital (Tier-1-Capital) der risikobasierten Eigenkapitalregelung.7 Die Gesamtrisikopositionsmessgröße besteht aus der Summe der folgenden Positionen: • bilanzwirksame Positionen8 • derivative Positionen • Positionen im Rahmen von Wertpapierfinanzierungsgeschäften („securities financing transactions“, SFT)9 und • außerbilanzielle Positionen10 Bilanzaktiva werden zum Buchwert entsprechend dem für das jeweilige Institut maßgeblichen Rechnungslegungsstandard angesetzt. Erhaltene Sicherheiten und Garantien sowie weitere Kreditrisikominderungen und Aufrechnungsvereinbarungen (Netting) bleiben grundsätzlich unberücksichtigt. Da die Leverage Ratio innerhalb des Geltungsbereichs der CRR auch auf Einzelinstitutsebene angewendet wird, können Intragruppen-Forderungen ausgenommen werden. Alle Positionen, die vom Kernkapital abgezogen werden, wie z.B. immaterielle Wirtschaftsgüter, können auch von der Gesamtrisikopositionsmessgröße abgezogen werden. Die Bewertung von bilanzwirksamen Positionen anhand von Buchwerten (unter Berücksichtigung von Wertberichtigungen), hat zur Folge, dass sich Unterschiede in den Bewertungskonzeptionen (zwischen nationalen GAAP und IFRS) auf die Höhe der Leverage Ratio auswirken. Positionen in Derivaten beinhalten grundsätzlich zwei Risikokomponenten, zum einen Wertänderungen des Underlying und zum anderen Gegenparteiausfallrisiken (Counter-

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9

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Vgl. BCBS (2010), Absatz 49 – 96. Nach der Beobachtungsphase wird der Basler Ausschuss entscheiden, ob die Kapitalmessgröße dem harten Kernkapital (CET1) oder dem regulatorischen Eigenkapital (hartes Kernkapital + zusätzliches Kernkapital) entsprechen soll. Bilanzwirksame Vermögenswerte, die von der Kernkapitalmessgröße abgezogen werden, können auch von den bilanzwirksamen Positionen abgezogen werden. Allerdings dürfen Positionen auf der Passivseite nicht von den bilanzwirksamen Positionen abgezogen werden. SFT sind u.a. Wertpapierpensionsgeschäfte (Repos und Reverse Repos), Wertpapierleihegeschäfte und Wertpapierkredite, bei denen der Transaktionswert von Marktbewertungen abhängt und die oft mit Nachschussvereinbarungen verbunden sind. Zu den außerbilanziellen Positionen zählen Zusagen (einschl. Liquiditätsfazilitäten), direkte Kreditsubstitute, Akzepte, Standby-Akkreditive und Warenakkreditive.

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party Credit Risk – CCR). Das aus diesen beiden Komponenten resultierende Exposure wird entsprechend der Marktbewertungsmethode erfasst, d.h. der Anrechnungsbetrag setzt sich aus dem aktuellen Wiederbeschaffungsaufwand und einem Aufschlag für den potenziellen künftigen Wiederbeschaffungswert zusammen.11 Der Aufschlag wird ermittelt, indem der Nominalbetrag mit einem von der Restlaufzeit und der Art des Underlying abhängigen Prozentsatz multipliziert wird. Die Prozentsätze entsprechen denen, die in der Marktbewertungsmethode zur Anwendung kommen. Die risikomindernde Wirkung von Aufrechnungsvereinbarungen wird anerkannt, sofern sichergestellt ist, dass im Falle der Insolvenz des Vertragspartners der Anspruch auf den Saldo der gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten durchgesetzt werden kann. Damit dürfen für Zwecke der Leverage Ratio gegenseitige Forderungen und Verbindlichkeiten aus Derivatepositionen in weit höherem Umfang saldiert werden, als nach den IFRS-Vorschriften zulässig ist. Bei ausgestellten Kreditderivaten (z.B. Credit Default Swaps oder Total Return Swaps), bei denen die Bank als Sicherungsgeber fungiert, wird zusätzlich das Kreditrisiko aus dem Underlying berücksichtigt, indem neben den aktuellen und den potenziellen künftigen Wiederbeschaffungskosten der effektive Nominalwert des Underlying angesetzt wird. Der effektive Nominalwert entspricht dem um erfolgswirksam verbuchte negative Marktwertänderungen und um erworbene Kreditderivate bereinigten Nominalwert. Das Gesamtexposure des Sicherungsgebers ist auf den maximal möglichen Verlust aus dem Kreditderivat beschränkt. Bei Wertpapierfinanzierungsgeschäften wie Pensions-, Wertpapierleih- und Lombardgeschäften setzt sich der Anrechnungsbetrag aus den Buchwerten der Wertpapiere und einem Aufschlag für das Gegenparteiausfallrisiko zusammen. Barforderungen und Barverbindlichkeiten dürfen nur dann saldiert werden, wenn die Nettingvereinbarung einen Aufrechnungsanspruch vorsieht, der sowohl im normalen Geschäftsverlauf als auch bei Ausfall des Vertragspartners durchgesetzt werden kann. Der Aufschlag für das Gegenparteiausfallrisiko setzt sich aus dem Saldo der an die Gegenpartei entliehenen und von ihr erhaltenen Wertpapiere oder Barmittel zusammen, die aus derselben Transaktion stammen. Liegt eine Netting-Rahmenvereinbarung vor, so wird der Saldo über alle verliehenen und erhaltenen Wertpapiere bzw. Barmittel gebildet, die unter die Netting-Rahmenvereinbarung fallen. Ausreichend für die Anerkennung der Nettingvereinbarung ist, dass der Aufrechnungsanspruch bei Ausfall des Vertragspartners besteht.

11

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Der Basler Ausschuss hat aber einen Non-Internal Model Method (NIMM) zur Ermittlung der Exposures vorgeschlagen, der im Rahmen von quantitativen Auswirkungsstudien überprüft werden soll. Vgl. BCBS (2013).

Leverage Ratio

Außerbilanzielle Positionen wie z.B. Kreditzusagen oder Liquiditätsfazilitäten werden mit einem Kreditumrechnungsfaktor multipliziert. Ursprünglich war ein einheitlicher Umrechnungsfaktor von 100% für alle Geschäftsarten vorgesehen, mittlerweile werden dieselben, nach Risiko abgestuften Umrechnungsfaktoren verwendet, wie sie auch im Kreditrisikostandardansatz zur Anwendung kommen, wobei für Positionen mit niedrigem Risiko ein Floor von 10% gilt.

3 Erfüllt die Leverage Ratio die gesteckten Ziele? Die Entwicklung der Vorschriften über die Eigenkapitalanforderungen war in den letzten Jahrzehnten dadurch gekennzeichnet, dass risikoinsensitive Regeln zur Bestimmung der Eigenkapitalanforderungen zunehmend durch risikosensitive Vorschriften ersetzt bzw. ergänzt wurden. Wichtige Meilensteine in dieser Entwicklung waren die Zulassung eigener Risikomodelle für Marktpreisrisiken und operationelle Risiken sowie die Möglichkeit, eigene Schätzungen der Ausfallwahrscheinlichkeit und der Verlustquote für Kreditrisiken bei der Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen zu berücksichtigen. Hinter dieser Entwicklung stecken zwei Erkenntnisse: Zum einen hat sich gezeigt, dass Marktpreisrisiken und die Instrumente, mit denen diese Risiken vornehmlich transferiert werden, nämlich Derivate, nicht durch einfache, an Buchwerten anknüpfende Größen adäquat erfasst werden können und zum anderen hat man die Erfahrung gemacht, dass Abweichungen zwischen regulatorischer und bankinterner Risikomessung Anlass zur Regulierungsarbitrage geben. Die Entwicklung hin zu risikosensitiven Vorschriften der Eigenkapitalunterlegung ist nicht ohne Kritik geblieben. Insbesondere wurde kritisiert, dass die Regelungen so komplex geworden sind, dass die risikosensitiven Eigenkapitalquoten in keiner Beziehung mehr zu bilanziellen Verschuldungsmaßen stehen.12 Während Banken aufsichtliche Eigenkapitalquoten im unteren zweistelligen Prozentbereich ausweisen, liegen die bilanziellen Eigenkapitalquoten im unteren einstelligen Prozentbereich. Die hohe bilanzielle Verschuldung provoziere die Gefahr destabilisierender Deleveraging-Prozesse und die Diskrepanz zwischen aufsichtlicher und bilanzieller Eigenkapitalquote untergrabe das Vertrauen in die Stabilität der Banken. Daher sollte mit der Leverage Ratio eine aufsichtliche Kennziffer eingeführt werden, • die risikoinsensitiv ist, • die unabhängig von den Rechnungslegungsstandards berechnet wird,

12

Vgl. z.B. Admati/Hellwig (2013).

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• die einfach und transparent ist, • die die risikobasierten Eigenkapitalanforderungen als Backstop-Regel ergänzt. Das Ziel, eine risikoinsensitive Kennzahl zu konstruieren, konnte von vornherein nur bei bilanziellen Risikopositionen umgesetzt werden. Da Buchwerte von Derivaten für aufsichtliche Zwecke wenig aussagefähig sind, wird für die Ermittlung des Risikopositionswerts von Derivaten die Marktbewertungsmethode verwendet. Die Höhe der Prozentsätze, mit denen die potenziellen künftigen Wiederbeschaffungskosten ermittelt werden, hängt von der Restlaufzeit und der Volatilität des Underlying ab und soll somit den Risikogehalt einer Derivateposition widerspiegeln. Im Zuge der weiteren Überarbeitung der Leverage Ratio kamen weitere risikosensitive Elemente hinzu: So wurden zur Erfassung des Kontrahentenrisikos von Kreditderivaten Gewichtungsfaktoren eingeführt, die von der Bonität des Sicherungsgebers bzw. Sicherungsnehmers abhängen. Darüber hinaus wurden die Kreditkonversionsfaktoren für außerbilanzielle Positionen an den Risikogehalt der jeweiligen Geschäftsart angepasst, so dass die Faktoren – mit Ausnahme des Floors von 10% – denen entsprechen, die für die risikosensitiven Eigenkapitalanforderungen im Kreditrisikostandardansatz verwendet werden. Insgesamt gesehen ist die Leverage Ratio letztlich nur deshalb weniger risikosensitiv als die risikobasierten Eigenkapitalanforderungen, weil die Adressrisikogewichtung bei Bilanzpositionen entfällt und weil – außer in gewissem Umfang bei Derivaten – Marktpreis- und operationelle Risiken überhaupt nicht einbezogen werden. Es waren aber gerade die Eigenkapitalanforderungen für Marktpreisrisiken, die im Verlauf der Finanzmarktkrise als zu gering angesehen wurden. Im Zuge der Überarbeitung der Leverage Ratio sind die Vorschriften zur Ermittlung der Gesamtrisikopositionsmessgröße immer umfangreicher und komplexer geworden. Damit hat man sich von dem Ziel, eine Kennziffer zu schaffen, die einfach berechnet werden kann und damit transparent ist, entfernt. Die mittlerweile beachtliche Komplexität ist zum einen der Erkenntnis geschuldet, dass wesentliche Risiken eben gerade nicht aus Bilanzaktiva, sondern aus außerbilanziellen Positionen resultieren. Eine angemessene Berücksichtigung dieser Positionen in meist komplexen Finanzinstrumenten erfordert komplexe Regelungen. Zum anderen resultiert die erhebliche Komplexität auch aus dem Ziel, Unterschiede in den Rechnungslegungsvorschriften auszugleichen. Dies betrifft insbesondere die Vorschriften über die Saldierung von Forderungen und Verbindlichkeiten aus Netting-Vereinbarungen. Die IFRS stellen strengere Anforderungen an die Saldierung als US-GAAP.

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Leverage Ratio

Tabelle 1: Die Auswirkung unterschiedlicher Saldierungsvorschriften für Netting-Vereinbarungen; * Die Währungsumrechnung wurde zum Wechselkurs vom 08.01.2015, 1 EUR = 1,18 USD, vorgenommen. Unsaldierte Derivateforderungen

Bilanziell ausgewiesenes Derivativgeschäft

Weitere Aktiva

Summe der Aktiva

Deutsche Bank (IFRS)

738,42 Mrd. EUR

504,59 Mrd. EUR

1.106,81 Mrd. EUR

1.611,40 Mrd. EUR

JP Morgan* (US-GAAP)

999,97 Mrd. EUR

55,70 Mrd. € EUR

1.990,62 Mrd. EUR

2.046,32 Mrd. EUR

Quelle: Geschäftsberichte für das Jahr 2013 und eigene Berechnung

Das Beispiel in Tabelle 1 verdeutlicht, welche Dimension dieses Problem annehmen kann. Die unsaldierten Bruttoforderungen der Deutschen Bank beliefen sich am 31.12.2013 auf 738,42 Mrd. EUR, nach Saldierung aufgrund von Nettingvereinbarungen betrug der in der Bilanz ausgewiesene Wert 504,59 Mrd. EUR, das sind 68,3% der Bruttoforderungen. Bei JP Morgan dagegen schrumpfte der Bruttobetrag der Derivateforderungen von umgerechnet 999,97 Mrd. EUR auf 55,70 Mrd. EUR, d.h. auf 5,5% der unsaldierten Forderungen zusammen. Würde sich durch eine Bilanzierung nach IFRS bei JP Morgan eine ähnliche Relation zwischen Bruttoforderung und in der Bilanz ausgewiesene Forderungen aus Derivaten einstellen wie bei der Deutschen Bank, so hätten Derivateforderungen in Höhe von 682,97 Mrd. EUR bilanziert werden müssen. Dies hätte die Bilanzsumme von JP Morgan auf über 2.700 Mrd. EUR anwachsen lassen. Durch die Überarbeitung wurden die Auswirkungen, die sich durch unterschiedliche Vorschriften von IFRS und US-GAAP im Zusammenhang mit der bilanziellen Behandlung von Derivaten und Wertpapierfinanzierungsgeschäften auf die LR ergeben, weitgehend beseitigt. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass Schlupflöcher verbleiben, deren Ausnutzung zu einer unterschiedlichen Abbildung identischer SFT-Transaktionen in der LR führen. Daneben ist auch möglich, dass durch eine unterschiedliche Handhabung der Basel-III-Vorschriften durch die Bankaufsichtsbehörden kein vollständiges Level Playing Field erreicht wird, selbst wenn die Basel-III-Regelungen von allen Aufsichtsbehörden unverändert übernommen werden. Die Vorschriften für die Ermittlung der Risikopositionswerte von Bilanzaktiva sind seit der ersten Formulierung der LR unverändert geblieben. Offensichtlich werden die Unterschiede in den Bilanzierungsvorschriften zwischen IFRS und US-GAAP für diese Positionen für so gering erachtet, dass kein Anpassungsbedarf gesehen wurde. Nicht

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beachtet wurde, dass es zwischen landesspezifischen Rechnungslegungsvorschriften wie z.B. den HGB-Bilanzierungsvorschriften und den IFRS bzw. US-GAAP deutliche Unterschiede bezüglich der Wertansätze für Bilanzaktiva gibt. Diese Unterschiede können erhebliche Auswirkungen darauf haben, wie streng die LR wirkt. Fraglich ist auch, ob die LR nicht doch bei einer Reihe von Banken als Frontstop-Regel wirkt. Der Comprehensive Assessment13, bestehend aus dem Asset Quality Review und dem Stresstest, der Europäischen Zentralbank, dessen Ergebnisse am 26.10.2014 veröffentlicht wurden, ergaben, dass 5 von 25 der teilnehmenden deutschen Banken eine LR in Höhe von 3% zum Stichtag 31.12.2013 nicht einhielten.14 Allerdings sind in den Ergebnissen Kapitalmaßnahmen sowie Veräußerungen von Aktiva, die nach dem 31.12.2013 durchgeführt wurden, nicht berücksichtigt. Diese Maßnahmen dürften allerdings zumindest zum Teil als Reaktion auf die kommende Verpflichtung, die LR zu veröffentlichen, angesehen werden.

4 Kritik an risikobasierten Eigenkapitalvorschriften Die Entwicklung hin zu stärker risikosensitiven und damit immer komplexeren Eigenkapitalvorschriften hat massive Kritik sowohl im politischen wie auch im akademischen Bereich hervorgerufen. Risikosensitive Eigenkapitalvorschriften werden unter anderem mit für die Entstehung und das Ausmaß der Finanzmarktkrise verantwortlich gemacht. Im Zentrum der Kritik stehen dabei die eigenen Risikomodelle, bei denen die Eigenkapitalanforderungen im besonderen Maße vom gemessenen Risiko abhängen. Aus der Kritik an den risikobasierten Eigenkapitalanforderungen wird dann im Gegenzug die Forderung abgeleitet, risikosensitive Eigenkapitalvorschriften durch risikounabhängige Eigenkapitalanforderungen zu ergänzen oder gar vollständig zu ersetzen. Die einzelnen Kritikpunkte sollen näher betrachtet werden.

13

14

394

Die breit angelegte umfassende Bewertung erstreckte sich auf 130 Kreditinstitute mit Aktiva in Höhe von 22,0 Billionen EUR, was 81,6% der gesamten Bankaktiva im SSM entspricht und führte im ersten Schritt eine punktuelle Bewertung der Exaktheit des Buchwerts der Bankaktiva zum 31.12.2013 durch (AQR). Im zweiten Schritt wurde im Rahmen des Stresstests eine zukunftsbezogene Überprüfung der Widerstandsfähigkeit der Solvabilität der Banken in zwei hypothetischen Szenarien durchgeführt. Vgl. Ergebnisbericht zur umfassenden Bewertung der Europäischen Zentralbank (Oktober 2014) sowie speziell für deutsche Banken: BaFin/Bundesbank (2014).

Leverage Ratio

4.1 Risikobasierte Eigenkapitalvorschriften bewirken zu niedrige Eigenkapitalquoten Risikobasierte Eigenkapitalanforderungen werden als Ursache dafür gesehen, dass die bilanziell gemessenen Eigenkapitalquoten der Banken in den letzten Jahrzehnten stetig zurückgegangen sind.15 Dies gelte im besonderen Maße, seitdem eigene Risikomodelle für aufsichtliche Zwecke eingesetzt werden dürfen. Überwiegend bilanzorientierte Eigenkapitalanforderungen, die auf eine Risikogewichtung weitgehend verzichteten, gab es bis Mitte der siebziger Jahre. Bis dahin wurden ausschließlich Kreditausfallrisiken regulatorisch erfasst. Als man – in Deutschland vor allem aufgrund der Insolvenz der HerstattBank – erkannte, dass auch Marktpreisrisiken die Solvenz einer Bank gefährden können, war man gezwungen, sich von einer bilanziellen Betrachtung zu lösen, da es für das Ausmaß von Marktpreisrisiken häufig keine direkte Anknüpfung an Bilanzgrößen gibt. Dies wurde noch verstärkt durch die zunehmende Verbreitung von Finanzderivaten, bei denen Risikogehalt und Bilanzwirkung in keinem direkten Zusammenhang stehen. Die Hinwendung zu zunehmend risikobasierten Eigenkapitalanforderungen, die sich von Bilanzgrößen löste, ging somit mit einer Ausweitung der Eigenkapitalanforderungen auf zusätzliche Risikoarten einher. Die weitere Entwicklung der bankaufsichtlichen Eigenkapitalvorschriften war dann durch das Bestreben gekennzeichnet, die Risikomessung für bankinterne Steuerungszwecke mit der bankaufsichtlichen Risikomessung zu verzahnen. In diesem Zuge wurden bankinterne Risikomodelle für Marktpreisrisiken und später für operationelle Risiken zugelassen. Für die Bemessung der Eigenkapitalanforderung für Kreditrisiken dürfen seit Basel II institutsintern geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten berücksichtigt werden. Mit der stärkeren Verzahnung von bankinterner und aufsichtlicher Risikomessung sollten zwei Ziele erreicht werden: Zum einen sollte den Instituten ein Anreiz gegeben werden, die eigenen Risikomess- und -steuerungsmethoden weiterzuentwickeln, zum anderen sollten die Anreize zur Regulierungsarbitrage reduziert werden. Anreize zu Regulierungsarbitrage gibt es immer dann, wenn regulatorische und bankinterne Risikomessung auseinanderfallen. Wenn die Zulassung bankeigener Risikomodelle für die Reduzierung der bilanziellen Eigenkapitalquoten verantwortlich gemacht werden, ist zu fragen, von welchem Ausgangspunkt diese Reduzierung betrachtet wird. Gegenüber einer Situation, in der nur Kreditausfallrisiken regulatorisch erfasst werden, bedeutet die Zulassung eigener Risikomodelle für Marktpreisrisiken und operationelle Risiken eine Ausweitung der Eigenkapitalanforderungen. Betrachtet man dagegen den Fall, dass ausschließlich aufsichtliche Standardverfahren zugelassen sind, als Referenzfall, hat die Zulassung bankeigener Risikomodelle tatsächlich zu einer Verminderung der

15

Vgl. Hellwig (2010), S. 5.

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Eigenkapitalanforderungen geführt. Diese Reduzierung war aber bewusst gewollt, zum einen, um den Banken einen Anreiz zu geben, ihre Risikomodelle fortzuentwickeln, und zum anderen, weil der Bedarf für einen Eigenkapitalpuffer zur Abfederung der Unwägbarkeiten, die aus einer ungenauen Risikomessung mit aufsichtlichen Standardverfahren resultieren, geringer wird, wenn fortgeschrittene anstatt aufsichtliche Standardverfahren der Risikomessung eingesetzt werden. Hier hat man – wie die Finanzmarktkrise offengelegt hat – die Leistungsfähigkeit bankinterner Risikomodelle überschätzt. Dies hat aber bereits durch Basel 2,5 sowie durch Basel III zu Korrekturen geführt, die einen massiven Anstieg der Eigenkapitalanforderungen für Marktpreisrisiken bewirkt haben. Nach Einschätzung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht haben bereits die Basel 2,5Regelungen dazu geführt, dass durch die Verwendung bankeigener Risikomodelle kein regulatorisches Eigenkapital mehr eingespart werden kann.16 Das Argument, dass risikoinsensitive Eigenkapitalanforderungen benötigt werden, weil risikobasierte Eigenkapitalanforderungen zu bilanziellen Eigenkapitalquoten führen, die zu gering sind, impliziert, dass es eine – aus Sicht der Bankenaufsicht – optimale Eigenkapitalquote gibt, die unabhängig vom Risiko der Bank ist. Um dies näher zu beleuchten, sollen die Ziele, die mit der Eigenkapitalregulierung verbunden sind, näher beleuchtet werden. Eigenkapital dient als Verlustpuffer, und zwar sowohl für laufende Verluste (going-concern-Perpektive) als auch im Insolvenzfall (gone-concern-Perspektive). Je mehr Eigenkapital vorhanden ist, desto eher ist gewährleistet, dass laufende Verluste aufgefangen werden können, ohne dass Insolvenz eintritt, und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Insolvenzfall die Gläubiger Verluste erleiden. Dabei kann es nicht um absolute Sicherheit gehen, sondern nur darum, Verluste mit einer als hinreichend hoch angesehenen Wahrscheinlichkeit zu vermeiden. Wenn man nun denjenigen Eigenkapitalanteil bestimmen will, der notwendig ist, um das vorgegebene Maß an Sicherheit zu gewährleisten, ist offensichtlich, dass dieser Wert davon abhängt, mit welcher Wahrscheinlichkeit Verluste in welcher Höhe anfallen. Diesen Wert möglichst genau zu ermitteln, ist das Ziel risikobasierter Eigenkapitalanforderungen. Eine niedrige bilanzielle Eigenkapitalausstattung ist demnach unbedenklich, solange das Geschäftsrisiko niedrig ist. Je höher der Verschuldungsgrad ist, desto größer sind die Anreize für Moral Hazard. Die Position der Eigenkapitalgeber kann interpretiert werden als eine Kaufoption auf das Unternehmen mit dem Rückzahlungsbetrag des Fremdkapitals als Ausübungspreis. Ebenso wie der Inhaber einer Kaufoption an Wertsteigerungen und Wertverlusten des Underlying asymmetrisch partizipiert, sind die Eigenkapitalgeber einer Bank ungleich von den Gewinnen und Verlusten eines Unternehmens betroffen. Während sie an Gewinnen

16

396

Vgl. BCBS (2013a).

Leverage Ratio

unbegrenzt partizipieren, nehmen sie an den Verlusten aufgrund der beschränkten Haftung maximal bis zur Höhe der Kapitaleinlage teil. Diese asymmetrische Verteilung von Gewinnen und Verlusten bewirkt, dass der Wert einer Kaufoption, d.h. der Wert des Eigenkapitals steigt, wenn das Risiko des Underlying zunimmt. Die Anreize zu einer Erhöhung der Ausfallrisiken sind dabei umso stärker, je höher der Verschuldungsgrad ist. Bei Banken stellt sich das Moral Hazard Problem einer Risikoerhöhung aufgrund der Einlagensicherung in verschärfter Form.17 Sofern Gläubiger von Unternehmen die Gefahr einer Erhöhung des Ausfallrisikos rechtzeitig erkennen und – sofern möglich – mit einer Erhöhung des geforderten Zinssatzes oder einer Kündigung der Forderungen reagieren, werden die Kosten einer Risikoerhöhung zumindest teilweise internalisiert. Dies reduziert die Anreize für Moral Hazard. Durch eine Einlagensicherung geschützte Einleger dagegen haben keinen Anreiz, auf eine befürchtete Risikoverlagerung zu reagieren, solange sie darauf vertrauen, dass ihre Forderungen durch eine Einlagensicherung geschützt sind. Damit kann eine Bank durch eine riskantere Geschäftspolitik das Ausfallrisiko der Einleger erhöhen, ohne höhere Kapitalbeschaffungskosten hinnehmen zu müssen. Anreize zu Moral Hazard lassen sich durch Beitragszahlungen zur Einlagensicherung, die vom Ausfallrisiko abhängen, reduzieren. Diese Wirkung haben risikosensitive Beiträge zur Einlagensicherung aber nur dann, wenn höhere Prämiensätze bereits gezahlt werden müssen, bevor risikoerhöhende Maßnahmen ergriffen werden, andernfalls können die Anreize zu Moral Hazard sogar noch verstärkt werden. Die Frage, inwieweit Anreize zu Moral Hazard durch Eigenkapitalanforderungen begrenzt werden können, ist in zahlreichen Arbeiten untersucht worden. Die Untersuchungsdesigns dieser Arbeiten unterscheiden sich beträchtlich. Unterstellt wurden sowohl risikosensitive als auch risikoinsensitive Kapitalanforderungen, die Analysen erfolgten teilweise in einem einperiodigen, zum Teil auch in einem mehrperiodigen Kontext. So unterschiedlich wie die Untersuchungsdesigns sind, so unterschiedlich sind auch die Ergebnisse. Während einige Arbeiten zu dem Ergebnis kommen, dass eine Erhöhung der regulatorischen Eigenkapitalanforderungen die Anreize zu Moral Hazard verstärken18, sehen die Autoren anderer Arbeiten in risikosensitiven Eigenkapitalanforderungen ein geeignetes Instrument, die Risikoneigung der Geschäftspolitik von Banken zu begrenzen.19 Als Fazit bleibt festzuhalten, dass sich aus der Gefahr von Moral Hazard kein überzeugendes Argument für eine risikoinsensitive Eigenkapitalanforderung ableiten lässt.

17 18

19

Vgl. Furlong/Keely (1989). Vgl. z.B. Kahane (1977); Koehn/Santomero (1980); Kim/Santomero (1988); Blum (1999); Gale (2010). Vgl. z.B. Calem/Rob (1999), Cuoco/Liu (2006); Zhang/Wu/Liu (2008).

397

Thomas Hartmann-Wendels

Ein hoher Verschuldungsgrad, bedeutet, dass im Falle von Verlusten in hohem Maße Aktiva veräußert werden müssen, um die aufsichtlich vorgeschriebenen Eigenkapitalanforderungen einzuhalten. Nehmen wir an, eine Bank habe 100 EUR an (risikoungewichteten) Finanzaktiva, die aufgrund der niedrigen Risikogewichtung zu einer Eigenkapitalanforderung von 2 EUR führe. Tritt ein Verlust in Form einer Wertminderung von 1 EUR ein, so muss die Bank Finanzaktiva im Wert von 49 EUR verkaufen, um die Eigenkapitalquote von 2% wieder herzustellen. Bei einer Eigenkapitalquote von beispielsweise 20% beträgt das Ausmaß an zu veräußernden Wertpapieren dagegen nur 4 EUR. Wenn nun in einer krisenhaften Situation viele Banken dazu gezwungen sind, in hohem Maße Wertpapiere zu veräußern, bewirkt der Verkaufsdruck einen massiven Preisverfall der Wertpapiere. Dies führt wiederum zu erheblichen Wertberichtigungen in den Bilanzen, wovon auch solche Banken betroffen sind, die zunächst gar keine Verluste erlitten haben. Die aus den Wertberichtigungen resultierenden Verluste wiederum zwingen weitere Banken dazu, Wertpapiere zu veräußern, um die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen. Auf diese Weise wird durch einen zu hohen Verschuldungsgrad eine Abwertungsspirale in Gang gesetzt. Das Beispiel ist zwar zunächst einleuchtend, hält aber einer genaueren Betrachtung nicht stand. Um dies zu zeigen, modifizieren wir das Beispiel und betrachten zwei Banken mit identischer Bilanzsumme und unterschiedlicher Kapitalstruktur. In der Ausgangssituation habe Bank I 6 EUR Eigen- und 94 EUR Fremdkapital, Bank II habe 11 EUR Eigenund 89 EUR Fremdkapital. Die Aktivseite bestehe jeweils aus Finanzinstrumenten, die zwei Risikoklassen zugeordnet werden können. Tabelle 2: Zwei Banken mit identischer Bilanzsumme und unterschiedlicher Kapitalstruktur Bank I FI 1

33,33

FI 2

66,67

6

100

100

Bank II

94 Fremdkapital Eigenkapital

FI 1

66,67

89 Fremdkapital

FI 2

33,33

11 Eigenkapital

100

100

Finanzinstrumente der Risikoklasse 1 (FI 1) sind stark risikobehaftet, der risikogewichtete Eigenmittelunterlegungssatz beträgt daher 16%. Bei einem Solvabilitätskoeffizienten von 8% entspricht dies einem Risikogewicht von 200%. Finanzinstrumente der Risikoklasse 2 (FI 2) sind relativ risikoarm, der Unterlegungssatz beträgt 1%, dies entspricht einem Risikogewicht von 12,5%. Unter der Annahme dieser Unterlegungssätze entspricht das vorhandene Eigenkapital genau den regulatorisch geforderten Eigenmitteln (6 = 33,33 * 0,16 + 66,67 * 0,01). Das niedrigere Eigenkapital von Bank 1 ist somit der Idee risikosensitiver Eigenkapitalanforderungen folgend auf das geringere Risiko der Aktiva dieser Bank zurückzuführen.

398

Leverage Ratio

Wir nehmen nun an, dass bei den risikoreichen FI 1 ein Verlust von 1 EUR sowohl bei Bank I als auch bei Bank II eintritt.20 Das Eigenkapital sinkt damit auf 5 EUR bei Bank I und auf 10 EUR bei Bank II. Die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen nach Eintritt des Verlusts betragen für Bank I 32,33 EUR * 0,16 + 66,67 EUR * 0,01 = 5,84 EUR

und für Bank II 65,67 EUR * 0,16 + 33,33 EUR * 0,01 = 10,84 EUR

Um die regulatorischen Kapitalanforderungen zu erfüllen, müssen beide Banken trotz ihrer unterschiedlichen Eigenkapitalquoten im selben Ausmaß Aktiva veräußern, nämlich Finanzinstrumente der Risikoklasse 1 im Umfang von 5,25 EUR (= 0,84 : 0,16). Wenn wir im Beispiel eine Leverage Ratio von 6% unterstellen, müsste Bank I dagegen Finanzinstrumente im Wert von 15,67 EUR (= {[32,33 + 66,67] * 0,06 – 5}/0,16) veräußern, um nach dem Verlust von 1 EUR noch eine Eigenkapitalquote von 6 % aufzuweisen (100 EUR – 1 EUR – 15,67 EUR = 83,33 EUR; 83,33 EUR * 0,06 = 5 EUR). Damit ist es gerade die risikoinsensitive Leverage Ratio, die zu einem massiven Deleveraging führt. Die Liquidität einer Bank hängt entscheidend vom Vertrauen der Kapitalgeber in die Sicherheit ihrer Forderungen gegenüber der Bank ab. Solange die Kapitalgeber auf die sichere Rückzahlung ihrer Gelder vertrauen, wird es einer Bank immer möglich sein, neues Kapital aufzunehmen, um fällige Auszahlungen tätigen zu können. Berichte über Ertragseinbußen oder Verluste lassen die Kapitalgeber umso eher um die Sicherheit ihres Kapitals fürchten, je geringer die Eigenkapitaldecke einer Bank ist, d.h. je geringer die Fähigkeit einer Bank ist, Verluste auffangen zu können, ohne dass diese auf die Kreditgeber durchschlagen.21 Auch hier stellt sich die Frage, ob das Vertrauen der Kapitalgeber eher durch eine risikoinsensitive oder durch eine risikobasierte Eigenkapitalquote gewährleistet wird. Rationale Kapitalgeber sollten erkennen, dass die Sicherheit ihrer Forderungen nicht von der Eigenkapitalquote alleine, sondern von dem Zusammenspiel aus Risiko und Eigenkapital, mithin von einer risikobasierten Eigenkapitalquote abhängt.

20

21

Man könnte auch unterstellen, dass die Bank II einen höheren Verlust hinzunehmen hat, weil sie in höherem Maße in das risikoreiche Finanzinstrument 1 investiert hat. Dann müsste die Bank II trotz höherer Eigenmittelquote in stärkerem Maße Wertpapiere veräußern als Bank I. Admati/Hellwig (2013), S. 95.

399

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Somit sollte eine risikobasierte Eigenkapitalquote eher das Vertrauen der Kapitalgeber gewährleisten, vorausgesetzt, dass die Risikogewichtung als zutreffend angesehen wird. Dies führt zum nächsten Kritikpunkt.

4.2 Risikogewichte sind zu ungenau Die Risikogewichte werden als unzuverlässig angesehen. Im Rahmen der aufsichtlichen Standardverfahren wird als Beispiel häufig die Nullgewichtung für Staatsanleihen genannt. Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise ist offensichtlich, dass die mit der Nullgewichtung implizierte vollständige Sicherheit nicht gegeben ist. Die Nullgewichtung ist denn auch nicht als Versuch einer genauen Risikoerfassung, sondern als Privilegierung der Staatsfinanzierung zu sehen. Anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die Sinnhaftigkeit risikobasierter Eigenkapitalanforderungen in Zweifel zu ziehen, sollten für Staatsanleihen risikoadäquate Gewichtungsfaktoren eingeführt werden. Hierzu gibt es derzeit keine konkreten Pläne. Der Vorwurf einer unzuverlässigen Risikomessung richtet sich in besonderem Maße gegen bankeigene Risikomodelle. Diese Kritik stützt sich auf empirische Untersuchungen, die zeigen, dass die bei den Banken verwendeten eigenen Risikomodelle zu erheblichen Unterschieden bei den durchschnittlichen Risikogewichten führen.22 Eine vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht durchgeführte Erhebung, an der 16 global tätige Banken teilgenommen haben, bestätigt zunächst dieses Ergebnis.23 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass ein erheblicher Teil dieser Schwankungen auf unterschiedliche regulatorische Vorgaben zurückzuführen ist. So schwanken z.B. die von der Bankenaufsicht vorgegebenen Faktoren, mit denen der Value-at-Risk zu multiplizieren ist, zwischen dem Wert 3 und 5,5. Bei den klassischen eigenen Risikomodellen sind es vor allem drei Faktoren, die die Unterschiede in den Ergebnissen erklären: die Länge der historischen Datenreihe, die zur Kalibrierung des Modells verwendet wird, die Methode zur Skalierung einer zehntägigen Haltedauer sowie die Verfahren zur Aggregation der einzelnen Risikokomponenten, wobei dieser Faktor wiederum sehr stark durch unterschiedliche bankaufsichtliche Vorgaben beeinflusst wird. Insgesamt konnte nicht festgestellt werden, dass eine bestimmte Methode stets zu einer konservativeren Risikomessung führt.

22 23

400

Vgl. Le Leslé/Avramova (2012). Vgl. BCBS (2013a).

Leverage Ratio

Eine vergleichbare Studie zu den Ausfallrisiken im Bankenbuch ergab,24 dass die Banken ungeachtet signifikanter Unterschiede bei der Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten und der Verlustquoten die einzelnen Adressen im Testportfolio hinsichtlich ihres Risikogehalts in eine ähnliche Reihenfolge brachten. Insgesamt ist zu erwarten, dass zumindest innerhalb der EU aufgrund einer zunehmenden Vereinheitlichung der Bankenaufsicht und aufgrund zunehmender Erfahrungen mit bankinternen Modellen die Unterschiedlichkeit in den Ergebnissen abnehmen wird. Eine Reduzierung der Variabilität kann auch durch eine Vereinheitlichung der Anforderungen an die Datenbasis sowie durch eine Reduzierung der Modellierungsvarianten erzielt werden. Derzeit werden im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht weitere Möglichkeiten zur Reduzierung der Variabilität in den Eigenkapitalanforderungen diskutiert. So soll die Datenhistorie, die zur Kalibrierung der Modelle verwendet wird, auf zwölf Monate fixiert werden. Darüber hinaus soll die Anerkennung von Diversifikationseffekten begrenzt und die Wahl der Risikoparameter für die Ermittlung des Gegenparteiausfallrisikos im Handelsbuch begrenzt werden.25 Bei Anwendung des auf internen Ratings basierenden Ansatzes (IRBA) für die Ermittlung der Kapitalanforderungen für Ausfallrisiken sollen anstatt selbst geschätzter Verlustquoten (LGDs) aufsichtlich vorgegebene Werte verwendet werden, wenn die Datenbasis zu gering ist. Darüber hinaus sollen u.a. die Definition des Ausfallereignisses und die Zulassung eines Partial Use harmonisiert werden. Schließlich ist zu beachten, dass eine vollständige Vereinheitlichung der Ergebnisse gar nicht erstrebenswert ist. Eine solche Vereinheitlichung würde den falschen Eindruck erwecken, als wären Risiken exakt messbar. Stattdessen wird die Risikomessung immer ein gewisses Maß an Subjektivität und Unschärfe beinhalten. Dies ist aber kein Grund, auf die Risikomessung zu verzichten, sondern eine Mahnung, die Ergebnisse der Risikomessung vorsichtig zu interpretieren.

4.3 Modellrisiken Eine risikoinsensitive Höchstverschuldungsquote soll ein zusätzlicher Schutzmechanismus gegen die Folgen von Modellrisiken und Schätzfehler sein.26 Eigene Risikomodelle können fehlerbehaftet sein in dem Sinne, dass Modellparameter wie Ausfallwahrscheinlichkeiten, Volatilitäten und Korrelationen unterschätzt werden. Darüber hinaus können Wirkungsmechanismen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Risikogrößen ver-

24 25 26

Vgl. BCBS (2013b). Siehe hierzu ausführlicher: BCBS (2014a). Vgl. BCBS (2009), Tz. 24.

401

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nachlässigt oder nur unzureichend abgebildet werden. So werden Preisveränderungen in der Regel als exogen gegebene Zufallsprozesse modelliert, obwohl Preise sich nicht rein zufällig ergeben, sondern durch Angebots- und Nachfrageentscheidungen, die mehr oder weniger rational getroffen werden, zustande kommen. Während in normalen Zeiten die Darstellung der Preisentwicklung als Zufallsprozess eine geeignete Modellierung ist, können in Krisenzeiten andere Gesetzmäßigkeiten gelten, die nicht mehr durch einen Zufallsprozess abbildbar sind. Die daraus resultierenden Modell- und Schätzfehler können dazu führen, dass die Eigenkapitalanforderung zu gering bemessen wird, um schlagend gewordene Risiken auffangen zu können. Es ist sicherlich richtig, dass Risikomodelle die Gefahr bergen, das Verlustpotenzial einer Bank falsch einzuschätzen. Die Frage ist, ob eine risikoinsensitive LR das geeignete Instrument ist, diese Gefahr zu reduzieren. Andere Möglichkeiten sind: strengere Anforderungen an die Datenbasis, Verwendung gestresster Input-Parameter, Szenarioanalysen sowie das Benchmarking der Ergebnisse, die die Risikomodelle verschiedener Banken erbringen. Insgesamt erscheint dieser Weg vielversprechender als der Verzicht auf jegliche Risikomessung.

4.4 Regulatory Capture by Sophistication Die Zulassung eigener Risikomodelle für aufsichtliche Zwecke belässt den Banken für die Bemessung der Eigenkapitalanforderungen deutlich mehr Spielraum als die Verwendung von Standardverfahren. Da Banken ihre eigene Risikosituation besser einschätzen können als die Bankenaufseher, wird hierin ein entscheidender Schwachpunkt eigener Risikomodelle gesehen. Da es einen Interessenkonflikt zwischen Bank und Bankenaufsicht gibt in dem Sinne, dass die aus Sicht der Bank optimale Eigenkapitalquote stets kleiner ist als das bankaufsichtlich für notwendig erachtete Eigenkapital, nutzen die Banken den Spielraum, den eigene Risikomodelle belassen, dazu aus, ihre Risiken klein zu rechnen. Die Bankenaufseher seien von der mathematischen Komplexität der bankeigenen Risikomodelle derart beeindruckt, dass sie nicht in der Lage sind, die Eignung dieser Modelle zu überprüfen und sich stattdessen von der vermeintlichen Sophistizität der Modelle blenden lassen („regulatory capture by sophistication“).27 Sollte diese Kritik zutreffen, dann wären eigene Risikomodelle nicht nur rein zufällig fehlerbehaftet, sondern eigene Risikomodelle würden systematisch die Risiken einer Bank unterschätzen. In diesem Fall genügt es nicht, einzelne Schwachstellen eigener Risikomodelle auszumerzen, das Grundproblem besteht dann vielmehr darin, dass eigene Risikomodelle von der Grundkonzeption her für die Bankenaufsicht ungeeignet sind.28

27 28

402

Vgl. Hellwig (2010), Hakanes/Schnabel (2014). Vgl. Hellwig (2010).

Leverage Ratio

Die Frage, ob Banken ihren Informationsvorteil dazu nutzen, ihre Risiken bewusst zu gering zu bemessen, ist sowohl empirisch wie auch in theoretischen Modellen untersucht worden. Mariathasan et al. (2012) berichten, dass sie in ihrer empirischen Untersuchung, die sich auf 589 Banken aus 16 Ländern erstreckt, Indizien finden, die nahelegen, dass Banken im Vorfeld einer krisenhaften Entwicklung ihre Risiken klein rechnen, indem sie die Risikogewichte manipulieren. Bei einem Vergleich eines Samples von Banken, die in Schieflage gerieten, mit Banken, die keine Probleme hatten, stellen sie Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung des Verhältnisses von risikogewichteten Aktiva zu den Bilanzaktiva fest. Bei Banken, die in Schieflage gerieten, nahm das Verhältnis von risikogewichteten Aktiva zu Bilanzaktiva in den Jahren vor Eintritt der Schieflage ab, bei den anderen Banken blieb dieses Verhältnis dagegen konstant. Sie interpretieren dies als Indiz dafür, dass die Banken die Risikogewichtung von Aktiva dazu genutzt haben könnten, ihre Eigenkapitalanforderungen klein zu rechnen. In modelltheoretischen Arbeiten wurde untersucht, ob eine systematische Verzerrung der Bemessung der Risiken durch einen geeigneten Sanktionsmechanismus verhindert werden kann und ob gegebenenfalls eine risikoungewichtete LR ein Instrument sein kann, eine Manipulation der regulatorischen Eigenkapitalanforderungen zu verhindern.29 Die Modellergebnisse hängen entscheidend davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit und wie schnell eine bewusste Verzerrung der Risikomessung entdeckt wird, und welche Sanktionsmechanismen zur Verfügung stehen. Eine LR als zusätzliche aufsichtliche Kennziffer kann dann sinnvoll sein, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Manipulationen durch die Bankenaufsicht entdeckt werden, gering ist und Sanktionen nicht mehr greifen, weil in dem Fall, dass die Manipulationen entdeckt werden, die Bank bereits insolvent ist. Eine LR kann in einer solchen Situation Anreize zu einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung setzen, indem sie die Vorteile in Form einer regulatorischen Kapitalersparnis begrenzt und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Bank auch in der Lage ist, eine Strafe bei entdeckter Manipulation zu zahlen. Allerdings ist diese Wirkung der LR nicht kostenlos. Risikoarme Banken müssen aufgrund der LR eine deutlich höhere Eigenkapitalanforderung erfüllen als gemessen an ihrer Risikoposition angemessen wäre. In den Modellen wird nicht berücksichtigt, welche Rückwirkungen dies auf das Risikoverhalten dieser Banken hat. Bei einer realitätsnahen Modellierung in einem mehrperiodigen dynamischen Kontext mit kontinuierlichem Backtesting lässt sich zeigen, dass die Gefahr einer Verschleierung von Risiken bei der Verwendung eigener Risikomodelle durch Sanktionen ausgeschlossen werden kann und dass eigene Risikomodelle geeignet sind, den Risikoappetit von Banken wirksam zu begrenzen.

29

Vgl. Blum (2008), Rugementwari (2011), Cuoco/Lui (2006).

403

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4.5 Prozyklizität Risikosensitiven Kapitalanforderungen wird eine prozyklische Wirkung nachgesagt. Weil in Krisenzeiten die Risikogewichte und damit die Eigenkapitalanforderungen deutlich ansteigen, werden Banken die Kreditvergabe stärker einschränken als bei risikoinsensitiven Kapitalanforderungen. Dies verstärkt die zyklischen realwirtschaftlichen Schwankungen zusätzlich. Empirisch lässt sich eine prozyklische Wirkung risikosensitiver Kapitalanforderungen nicht nachweisen.30 Studien, die einen solchen Zusammenhang postulieren, basieren häufig auf Simulationsrechnungen, denen wiederum Annahmen zugrunde liegen, die empirisch nicht belegt sind.31 Eine gemeinsam von der EZB und der EBA durchgeführte empirische Erhebung, die 60 IRBA-Banken im Zeitraum von 2008–2012 umfasst, findet dagegen keinen Hinweis auf eine prozyklische Wirkung risikobasierter Eigenkapitalanforderungen.32 Dies bestätigt eine Reihe anderer empirischer Arbeiten, die insgesamt einen nur schwachen Einfluss eines Anstiegs der regulatorischen Kapitalanforderungen auf die Kreditvergabekonditionen festgestellt haben.33 Die schwache empirische Evidenz ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So weist das Bankgeschäft immer ein gewisses Maß an prozyklischer Wirkung auf. Bei günstig eingeschätzter Wirtschaftslage sind Banken eher bereit, Kredite zu vergeben als bei schlechten Konjunkturerwartungen. Allein dies bewirkt prozyklische Effekte. Es kann also nur darum gehen, ob diese Effekte durch eine risikobasierte Eigenkapitalanforderung noch verstärkt werden. Dieser Effekt ist methodisch nur schwer zu isolieren. Darüber hinaus sind in Basel II bereits Elemente enthalten, die den Anstieg der Risikogewichte in Krisenzeiten dämpfen. In Basel III wird mit dem antizyklischen Kapitalpuffer ein zusätzliches Instrument eingeführt, das unmittelbar die Gefahr einer prozyklischen Wirkung von regulatorischen Eigenkapitalanforderungen adressiert. Insofern bedarf es keiner LR als weiteres Instrument, dessen Eignung zur Dämpfung systemischer Risiken zudem zweifelhaft ist.

4.6 Die Leverage Ratio als Insolvenzindikator In einer Reihe von Arbeiten wurde empirisch untersucht, ob eine risikoinsensitive Eigenkapitalvorschrift der bessere Insolvenzindikator ist. Die Ergebnisse lassen keine eindeutige Schlussfolgerung zu.

30 31 32 33

404

Siehe hierzu den Literaturüberblick bei Walther (2012), S. 18–26. Vgl. z.B. Kashyab/Stein (2004). Vgl. EBA (2013). Vgl. Elliott (2009), Macroeconomic Assessment Group (2010), Bank for England (2014).

Leverage Ratio

Haldane (2012) kommt anhand eines Samples aus 100 Banken zu dem Ergebnis, dass die Leverage Ratio vor der Finanzkrise bei insolvenzgefährdeten Banken um 1,2% geringer ausfiel als bei nicht gefährdeten Banken. Zudem hat die Leverage Ratio für komplexere (systemrelevante) Banken eine bessere Prognosekraft als die risikogewichtete Eigenmittelunterlegung. Demirguc-Kunt et. al. (2010) zeigen, dass bei großen Banken der Aktienkurs auf Veränderungen der Leverage Ratio sensitiver reagiert als auf Variationen in der risikobasierten Eigenkapitalausstattung. Dies kann man so interpretieren, dass die Leverage Ratio zumindest in Krisenzeiten als ein besserer, d.h. zuverlässigerer Risikoindikator angesehen wird. Für kleinere Banken lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht nachweisen. Eine Untersuchung von Blundell-Wignall und Roulet (2013), basierend auf einem Sample von insgesamt 94 global (G-SIFI) und sonstigen (O-SIFI) systemrelevanten Banken kommt zu dem Ergebnis, dass die Leverage Ratio hinsichtlich der „Distance-to-Default (DTD)“ eine eindeutige Vorhersagekraft besitzt, während für die Tier1-Capital-Ratio kein Bezug zur DTD gefunden wird. Es gibt auch empirische Arbeiten, die eine überlegene Aussagekraft der Leverage Ratio als Insolvenzindikator nicht bestätigen. So zeigen Estrella et. al. (2000), dass die Leverage Ratio und die risikobasierte Eigenkapitalquote im Sinne von Basel I beide einen Informationsgehalt hinsichtlich der Solvabilität für einen 2-3-jährigen Prognosehorizont haben. Über einem langen Zeithorizont (> 2 Jahre) ist die risikobasierte Eigenkapitalquote sogar der bessere Indikator. Mariathasan/Merrouche (2012) zeigen, dass die risikogewichtete Eigenmittelunterlegung der bessere Insolvenzindikator ist, solange die Gefahr einer Bankenkrise gering ist. Steigt das Krisenrisiko an, so ist die Leverage Ratio der bessere Insolvenzindikator. Auch Kufenko (2013) kann keine Überlegenheit einer risikoungewichteten Eigenkapitalkennzahl feststellen. Die Untersuchungen zur Frage, ob eine risikoinsensitive oder eine risikogewichtete Eigenkapitalquote der bessere Insolvenzindikator ist, sind aus methodischer Sicht fragwürdig. Die Ausprägung der Leverage Ratio fällt bei den Banken ganz anders aus, wenn diese zu einer regulatorischen Vorschrift erhoben wird. Ob eine unter regulatorischen Anforderungen gewählte Leverage Ratio noch dieselbe Aussagekraft hinsichtlich der Insolvenzwahrscheinlichkeit hat, wie die risikoinsensitiven Eigenkapitalmaße, die in den empirischen Untersuchungen verwendet wurden, und sich auf eine Welt ohne regulatorisch verlangte LR beziehen, ist sehr fraglich. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Kritik an den existierenden risikosensitiven Eigenkapitalvorschriften in Teilen zwar berechtigt ist, dass es aber keinen überzeugenden Grund gibt, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, eine LR könne die Stabilität des Finanzsektors erhöhen. Anstatt risikobasierte Eigenkapitalanforderungen wegen der Schwierigkeiten, Risiken zu messen, abzuschaffen, sollten die Risikogewichte dort, wo sie die Risiken offensichtlich falsch messen, angepasst werden. Die Forderungen nach einer LR vernachlässigen häufig die Auswirkungen, die von einer risikoinsensitiven

405

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Eigenkapitalanforderung auf das Risikoverhalten der Banken ausgehen. Dies soll im folgenden Abschnitt kurz erläutert werden.

5 Auswirkung der Leverage Ratio auf die Risikopolitik der Banken In der Diskussion über das Für und Wider risikoinsensitiver Eigenkapitalanforderungen wird oft übersehen, dass die Einführung einer LR Auswirkungen auf die Risikopolitik der Banken haben kann. Solche Auswirkungen sind nur dann nicht zu erwarten, wenn die risikobasierten Kapitalanforderungen höher sind als die Kapitalanforderung aufgrund der LR. Wenn jedoch die LR die dominierende Kennziffer wird, wird es Anpassungsmaßnahmen der Banken geben. Dabei kommen grundsätzlich zwei Maßnahmenkategorien in Betracht34: Das regulatorische Eigenkapital wird durch Eigenkapitalaufnahme erhöht. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis 30.09.2014 haben deutsche Banken ihr Eigenkapital um knapp 14,5 Mrd. EUR erhöht, davon entfallen rund 11,5 Mrd. EUR auf Banken, die im Rahmen des Comprehensive Assessment eine LR von weniger als 3% aufwiesen, deren risikogewichtete CET1-Quote selbst bei vollständiger Umsetzung der CRR und bei Annahme eines Stressszenarios zugleich oberhalb des Minimums von 4,5% lag.35 Somit ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der kürzlich durchgeführten Kapitalerhöhungen auf die geplante Einführung der LR zurückzuführen ist. Allerdings wird es vermutlich nicht bei reinen Kapitalmaßnahmen bleiben, sondern es wird zusätzlich auch zu Umstrukturierungen hin zu riskanteren Aktiva kommen. Diese Hypothese beruht auf folgender Überlegung. Die aus Sicht einer Bank optimale Eigenkapitalquote nimmt mit steigendem Risikogehalt der Aktiva zu, liegt aber stets unter der regulatorisch optimalen Eigenkapitalanforderung. Dies lässt sich damit begründen, dass die Insolvenz einer Bank externe Effekte z.B. in Form systemischer Risiken beinhaltet, die die Bank nicht in ihr Optimierungskalkül einbezieht, aus Sicht der Bankenaufsicht aber berücksichtigt werden müssen. Wenn die regulatorische Kapitalanforderung oberhalb der aus Sicht der Bank optimalen Eigenkapitalquote liegt, ist es für die Bank stets vorteilhaft, den Risikogehalt der Aktiva zu erhöhen, solange dies nicht zu einer zusätzlichen Kapitalanforderung führt. Erst wenn das Risiko so weit erhöht ist, dass die LR nicht mehr bindend ist, hat die Bank keinen Anreiz mehr, zusätzliche Risiken einzugehen. Eine LR, die als FrontstopKennziffer wirkt, führt somit zu einer Zunahme der Risiken im Bankensektor. Damit wird das Ziel, die Stabilität des Finanzsektors zu erhöhen, sicherlich nicht erreicht.

34 35

406

Vgl. Birkmeyer (2013). Vgl. BaFin/Bundesbank (2014).

Leverage Ratio

Alternativ zu einer Erhöhung des Eigenkapitals kann auch das Volumen an Assets reduziert werden, um die LR zu erfüllen. Aus den obigen Überlegungen folgt, dass die Bank vorrangig risikoarme Assets verkaufen wird und zwar wiederum so lange, bis die LR nicht mehr die bindende Kennziffer ist. In vielen Fällen wird es zu einer Kombination beider Maßnahmen kommen, der Effekt ist aber stets derselbe: In den Fällen, in denen die LR bindend ist, wird der Risikogehalt der Aktiva erhöht, bis die LR nicht mehr die Frontstop-Kennziffer ist. Insofern wird das ursprüngliche Ziel, dass die LR als BacktopKennziffer wirken soll, erreicht werden, allerdings unter Inkaufnahme höherer Risiken im Bankensektor. Diese Nebenwirkungen entsprechen sicherlich nicht den Zielsetzungen, die mit der Einführung einer LR verbunden sind.

6 Fazit Risikobasierte Eigenkapitalanforderungen werden schon seit längerem kritisiert, mit Ausbruch der Finanzmarktkrise hat diese Kritik erheblichen Aufwind bekommen. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Zunahme der bilanziell gemessenen Verschuldung der Banken, die durch eine risikoinsensitive Kennziffer begrenzt werden soll. Eine genauere Betrachtung zeigt aber, dass die Verschuldung alleine kein aussagekräftiger Indikator für die Stabilität eines Finanzsystems ist. Vielmehr muss die Verschuldung stets im Zusammenhang mit dem Risiko gesehen werden. Genau dies leisten von der Konzeption her risikobasierte Eigenkapitalanforderungen, wohingegen die LR Risikoaspekte weitgehend ausklammert. Dadurch schafft sie Fehlanreize, die letztlich die Stabilität des Finanzsystems nicht erhöhen, sondern eher schwächen. Berechtigt ist die Forderung nach zusätzlichen Mechanismen, die das Vertrauen in die Angemessenheit der risikobasierten Kapitalanforderungen stärken. Solche Mechanismen sollten aber stets Risikoaspekte explizit erfassen. Zu denken wäre an ein Benchmarking eigener Risikomodelle, eine Reduzierung der Modellierungsvarianten und/oder an eine Kopplung der mit eigenen Risikomodellen ermittelten Kapitalanforderungen an die Kapitalanforderungen, die aus verbesserten, d. h. risikosensitiveren Standardverfahren resultieren. Die jüngsten Überlegungen des Basler Ausschusses, die in diese Richtung gehen, weisen einen vielversprechenderen Weg auf als die Einführung einer LR.36

36

Vgl. BCBS (2014a).

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410

II Neue Kapitaldefinition und Eigenkapitalpuffer

Bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital Carsten Groß/Madlen Neumann/Thomas Stawitzke

1 Einleitung 2 Entwicklung der Eigenkapitaldefinition 3 Geltende Eigenkapitaldefinition 3.1 Struktur des bankaufsichtlichen Eigenkapitals 3.2 Mindesteigenkapitalquoten 3.3 Bestandteile des bankaufsichtlichen Eigenkapitals 3.3.1 Hartes Kernkapital 3.3.2 Zusätzliches Kernkapital 3.3.3 Ergänzungskapital 3.4 Abzugspositionen des bankaufsichtlichen Eigenkapitals 3.5 Offenlegung der Eigenmittelbestandteile 3.6 Übergangsregelungen 4 Bedeutung der Eigenmittel für Institute 5 Bewertung

413

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1 Einleitung Das Eigenkapital1 einer Bank erfüllt zwei wesentliche Funktionen. Es kann zum einen Verluste auffangen. Das Vertrauen darauf, dass eine Bank im Ernstfall Verluste kompensieren kann, ist erste Voraussetzung für jedes Bankgeschäft. Die zweite wichtige Funktion des Eigenkapitals ist die bankaufsichtliche Risikobegrenzung. Das bankaufsichtliche Regelwerk bemisst das aus der Geschäftstätigkeit einer Bank erwachsende Verlustrisiko und begrenzt das Risiko im Verhältnis zum vorhandenen bankaufsichtlichen Eigenkapital. Eigenkapital limitiert also das risikobehaftete Geschäftsvolumen, d.h. in erster Linie die Kreditvergabe. Bezogen auf das Risikovolumen fordern die bankaufsichtlichen Bestimmungen eine bestimmte Mindesteigenkapitalausstattung. Die bankaufsichtliche Mindesteigenkapitalquote bildet die Untergrenze der Kapitalausstattung einer Bank. Wird die Mindestanforderung nicht erfüllt, ergreifen die Aufsichtsbehörden Maßnahmen bis hin zur Schließung des Instituts. Die Institute werden zudem verpflichtet, über die Mindestanforderungen hinaus Kapital vorzuhalten, das unter Berücksichtigung von den Mindestkapitalanforderungen nicht erfasster Risikokomponenten ihrem individuellen Risikoprofil entspricht. Auch die Marktteilnehmer erwarten eine Kapitalausstattung oberhalb der Mindestnormen. Wichtige Spieler sind hier insbesondere die Ratingagenturen. Jedes Institut muss also unter Berücksichtigung der aufsichtlichen Mindesteigenkapitalanforderungen festlegen, wie viel Eigenkapital nötig ist, um die institutsspezifischen Verlustrisiken abzudecken, die angestrebte Marktwahrnehmung (Rating) sicherzustellen und gleichzeitig eine marktgerechte Verzinsung des Eigenkapitals zu erwirtschaften.

2 Entwicklung der Eigenkapitaldefinition Eigenkapital ist eine Schlüsselgröße im Bankgeschäft. Änderungen der bankaufsichtlichen Eigenkapitaldefinition oder der Mindestkapitalquoten wirken sich unmittelbar auf die Geschäftsmöglichkeiten und die Rentabilität der Institute aus. Eine angemessene und wettbewerbsneutrale Festlegung beider Größen ist von wesentlicher Bedeutung. Jede Anpassung des mit der Baseler Eigenkapitalempfehlung von 1988 (Basel I) erstmals international festgeschriebenen Eigenkapitalbegriffs wird daher intensiv diskutiert. Die

1

Die gültigen Regelungen, beispielsweise die EU-Verordnung 575/2013 („CRR“), sprechen ausschließlich von „Eigenmitteln“. Die Begriffe bankaufsichtliches Eigenkapital und Eigenmittel werden daher im Weiteren synonym benutzt.

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Herausforderung für die Norm setzenden Institutionen besteht darin, international einheitliche Bedingungen zu schaffen und gleichzeitig den Besonderheiten der Kapitalinstrumente nationaler Märkte angemessen Rechnung zu tragen. Mit Basel I wurden erstmals Mindeststandards für die Eigenkapitalausstattung von Banken festgelegt. Im Mittelpunkt stand die Differenzierung des Eigenkapitals in Kern- und Ergänzungskapital. Zudem wurde das risikobehaftete Geschäft im Verhältnis zum vorhandenen Kapital begrenzt. Mit der zweiten Bankrechts-Koordinierungsrichtlinie2 und der EU-Eigenmittelrichtlinie3 wurde Basel I in europäisches Recht überführt. Die deutsche Umsetzung trat am 01.01.1993 in Kraft.4 Die Differenzierung der bankaufsichtlichen Eigenkapitalbestandteile in Kern- und Ergänzungskapital wurde auch mit der Veröffentlichung von Basel II im Jahr 2004 aufrecht erhalten und nur geringfügig um Korrekturposten (Abzugspositionen) der Kapitalbestandteile ergänzt. Deutlich ausgeweitet wurde demgegenüber die Definition der risikobehafteten Geschäfte. Die deutsche Umsetzung der europäischen Richtlinien 2006/48/ EU5 und 2006/49/EU6 trat am 01.01.2007 in Kraft.7 Eine deutliche Anpassung des Eigenkapitalbegriffs erfolgte mit der ersten Änderung der EU-Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie (Capital Requirements Directive II, CRDII8) und der Umsetzung im Kreditwesengesetz zum 31.12.2010. Die Anerkennungskriterien für hybride Kernkapitalinstrumente – also Kapitalbestandteile, die sowohl Eigen- als auch Fremdkapitalmerkmale aufweisen – wurden europäisch harmonisiert. Darüber hinaus wurden im vierten Erwägungsgrund der Änderungsrichtlinie auch die Anforderungen an harte Kernkapitalinstrumente konkretisiert. Als Ergänzung zum Änderungspaket hat der Ausschuss der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (CEBS) Leitlinien zur Anerkennung hybrider und harter Kernkapitalbestandteile veröffentlicht.9 Die Leitlinien

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EG ABl. Nr. L386 vom 30.12.1989, S. 1. EGABl. Nr. L124 vom 05.05.1989, S. 16. Vgl. Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 10 KWG, Rz. 41. EG ABl. Nr. L177 vom 30.06.2006, S. 1. EG ABl. Nr. L177 vom 30.06.2006, S. 201. BGBL v. 17.11.2006, S. 2606 mit wesentlichen Änderungen des Kreditwesengesetzes sowie der Veröffentlichung der Solvabilitätsverordnung. EG ABl. Nr. L302 vom 17.11.2009, S. 97. Vgl. CEBS Implementation Guidelines regarding Instruments referred to in Article 57(a) of Directive 2006/48/EC recast vom 14.06.2010; CEBS Implementation Guidelines for Hybrid Capital Instruments vom 10.12.2009.

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wurden Anfang 2011 in die deutsche Verwaltungspraxis übernommen.10 Während die Leitlinien zu hybriden Instrumenten lediglich die in der CRD II normierten Anerkennungsbedingungen konkretisieren, wurden in den Leitlinien zu harten Kernkapitalbestandteilen eigenständige, vornehmlich über die Vorgaben der CRD II hinausgehende Anerkennungskriterien statuiert. Die Kriterien orientierten sich bereits weitgehend an den Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Definition des harten Kernkapitals nach Basel III. Mit den über die Richtlinienvorgaben hinausgehenden Anforderungen überschritt der CEBS sein satzungsmäßiges Mandat. Bereits deutlich vor Inkrafttreten der CRD II hatten sich die G20-Staaten infolge der Finanzmarktkrise auf weitreichende Maßnahmen zur Stärkung der Finanzmarktaufsicht geeinigt. Zu den wichtigsten Beschlüssen gehörte die Steigerung von Qualität und Quantität des bankaufsichtlichen Eigenkapitals. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hat die Vorgaben der G20 im Rahmen des im Dezember 2010 verabschiedeten Reformpaketes „Basel III“ konkretisiert. Ein Qualitätszuwachs sollte insbesondere durch die Stärkung der Verlusttragungsfunktion und der Dauerhaftigkeit bankaufsichtlicher Kapitalinstrumente erreicht werden. Auch die Ausweitung und internationale Harmonisierung der vom Eigenkapital abzuziehenden Vermögenswerte sollte die Eigenkapitalqualität erhöhen. Als quantitative Maßnahme wurde die Mindestquote für Eigenkapital höchster Qualität deutlich angehoben. Die im Baseler Ausschuss diskutierte neue Definition des bankaufsichtlichen Eigenkapitals war zunächst stark auf Kreditinstitute in der Rechtsform der Aktiengesellschaft ausgerichtet. Für die Vertreter der deutschen Aufsichtsbehörden Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und Deutsche Bundesbank im Baseler Ausschuss ging es zunächst darum, die Interessen der deutschen, nicht als Aktiengesellschaften geführten Institute zu wahren. Zugleich setzte sich die deutsche Delegation für die fortgeführte Anerkennung am nationalen Bankenmarkt gewachsener, bewährter Kapitalinstrumente ein. Zu nennen ist hier in erster Linie das in Deutschland sowohl für öffentliche als auch für private Banken wichtige Kapitalinstrument der stillen Einlage. Nach den endgültigen Baseler Beschlüssen wird die stille Einlage nicht mehr als hartes Kernkapital anerkannt. Der Erhalt des Instruments wurde in den Verhandlungen zugunsten längerer Übergangsfristen für das Hineinwachsen in das Basel III-Regime aufgegeben. Letztlich maßgeblich für die deutschen Banken ist jedoch die in deutsches Recht überführte europäische Umsetzung von Basel III.

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Beide CEBS-Leitlinien wurden zusammen im Rahmen eines Rundschreibens der BaFin umgesetzt.

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3 Geltende Eigenkapitaldefinition Die Vorgaben des Baseler Ausschusses wurden in Europa im Rahmen des CRD-IVGesetzespakets durch die Capital Requirement Regulation (CRR)11 im Juni 2013 mit einer Erstanwendung zum 01.01.2014 umgesetzt. Ergänzende Vorschriften zur Vorhaltung und Qualität von zusätzlichen Kapitalanforderungen sind in der Capital Requirements Directive (CRD-IV)12 niedergelegt und in Deutschland im Kreditwesengesetz (KWG) umgesetzt.13 Die weitere Konkretisierung der Anforderungen an die Qualität der Eigenmittel von Instituten erfolgt durch delegierte Rechtsakte, sog. „Regulatory Technical Standards“ (RTS). Diese werden nach Erarbeitung durch die European Banking Authority (EBA) unter Zustimmung des Europäischen Rates und Parlamentes durch die Europäische Kommission erlassen und sind ebenfalls für alle europäischen Institute unmittelbar verbindlich. Für weitere Fragestellungen zur Auslegung der Vorgaben der CRR sowie zugehöriger RTS hat die EBA einen Fragen- und Antwortprozess installiert.14 Die in den veröffentlichten Antworten zum Ausdruck kommenden Regelauslegungen sind jedoch nicht unmittelbar rechtswirksam. Sie müssen durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in die nationale Verwaltungspraxis übernommen oder können unter Angabe einer Begründung abgelehnt werden („comply and explain“). Ziel der einheitlichen Eigenmitteldefinition ein Europa ist die Schaffung eines „Level Playing Field“ für alle in der EU ansässigen Institute.

3.1 Struktur des bankaufsichtlichen Eigenkapitals Definition und Struktur des bankaufsichtlichen Eigenkapitals werden in der CRR auf allgemeine Prinzipien gestützt.15 Es wird zwischen Kernkapital (Tier1) und Ergänzungs-

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Vgl. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ ?qid=1411546567585&uri=CELEX:02013R0575-20130628. Vgl. Richtlinie 2013/36/EU unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid= 1411546829862&uri=CELEX:32013L0036. Vgl. §§ 10c bis 10i KWG. Vgl. http://www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa. Vgl. Teil 2 bzw. Art. 25 ff. CRR. Über die definierten allgemeinen Prinzipien hinaus hat sich im Rahmen der laufenden Prüfung der CRR-Konformität von Eigenmitteln durch die EBA eine Beurteilung nach dem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt gegenüber einer rein formalen Anforderungsprüfung durchgesetzt („substance-over-form“-Ansatz).

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kapital (Tier2) unterschieden.16 Das Tier1 wird in hartes Kernkapital (Common Equity Tier1, core tier1 – CET1) und zusätzliches Kernkapital (Additional Tier1 – AT1) unterteilt. Das zur Unterlegung der Risikopositionen notwendige Kernkapital muss nach den regulatorischen Korrekturposten (Abzügen) mindestens zu 75% aus CET1 bestehen. Entscheidend für die Zuordnung zum regulatorischen Eigenkapital ist in erster Linie die Fähigkeit, Verluste aufzufangen: Das Kernkapital soll die laufenden Verluste absorbieren und damit das Fortbestehen des Kreditinstituts (Going Concern) sicherstellen. Das Ergänzungskapital soll hingegen dazu dienen, Verluste im Liquidations- bzw. Insolvenzfall (Gone Concern) aufzufangen.

3.2 Mindesteigenkapitalquoten Die Mindestquote für das harte Kernkapital beträgt nach Berücksichtigung der vom Kapital abzuziehenden Elemente 4,5% der Risikopositionen eines Instituts. Die geforderte Mindestquote für das gesamte Kernkapital liegt bei 6%. Dieses darf also zu 1,5%Punkten aus zusätzlichem Kernkapital bestehen. Die Gesamtkapitalquote für Kern- und Ergänzungskapital bleibt bei 8%.17 Über die genannten Kapitalquoten hinaus wird ein Kapitalerhaltungszuschlag in Höhe von 2,5% schrittweise ab 2016 bis 2019 eingeführt.18 Mit diesem Puffer sollen mögliche, den Konjunkturverlauf verstärkende Wirkungen des bankaufsichtlichen Regelwerks abgefedert werden. Da der Zuschlag aus hartem Kernkapital bestehen muss, liegt die Zielquote für hartes Kernkapital insgesamt bei 7%. In Zeiten exzessiven Kreditwachstums ist es den nationalen Aufsichtsbehörden darüber hinaus gestattet, den Kapitalerhaltungszuschlag um bis zu 2,5%-Punkte zu erhöhen (antizyklischer Eigenkapitalzuschlag). Auch der zuletzt genannte Puffer muss aus hartem Kernkapital bestehen und kann ebenfalls schrittweise von 2016 bis 2019 erstmals angeordnet werden.19 Somit kann es bei einer vollständigen Anwendung der Pufferanforderungen zu einer Zielquote des harten Kernkapitals von bis zu 10,5% kommen. Darüber hinaus können die nationalen Aufsichtsbehörden weitere Kapitalanforderungen in Form von hartem Kernkapital für sonstige Systemrisiken, weltweit systemrelevante Institute und anderweitig systemrelevante Institute anordnen. Dabei ist jedoch das

16

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In der bis zum 31.12.2013 gültigen gesetzlichen Definition der Eigenmittel bestanden diese aus dem haftenden Eigenkapital und Drittrangmitteln. Das haftende Eigenkapital ermittelte sich aus der Summe des Kernkapitals und des Ergänzungskapitals. Vgl. Art. 92 Abs. 1 CRR. Vgl. §§ 10c i.V.m. § 64r Abs. 5 KWG. Vgl. §§ 10d i.V.m. § 64r Abs. 5 KWG.

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Zusammenspiel der einzelnen Puffer zu überprüfen und nur der höchste angeordnete einzuhalten.20 Insgesamt können sich somit deutlich erhöhte Eigenmittelanforderungen insbesondere für große, international agierende Institute ergeben.

3.3 Bestandteile des bankaufsichtlichen Eigenkapitals 3.3.1

Hartes Kernkapital

Basel III beschränkt die Bestandteile der Posten des harten Kernkapitals bei Instituten in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft auf die von den Aktionären gezeichneten Aktien sowie offene Rücklagen. Institute anderer Rechtsformen hingegen müssen alle dem Aktienkapital gleichwertigen Instrumente einer Kriterienprüfung unterziehen. Diese qualitativen Anforderungen für Kapitalinstrumente wurden in die CRR übernommen. Diese werden in der Tabelle 1 zusammengefasst. Tabelle 1: Anforderungskriterien für Bestandteile des harten Kernkapitals • Emission durch förmliche Zustimmung der Eigentümer und direkte Begebung • Einzahlung und Kauf wird weder direkt noch indirekt durch das Institut finanziert • Verbuchung als Eigenkapital im Sinne der vom Institut anzuwendenden Bilanzierungsregelungen • Offenlegung im Rahmen des Jahresabschlusses • Zeitlich unbefristete Kapitalüberlassung • Rückzahlung des Kapitalbetrags nur im Rahmen der Liquidation des Instituts oder Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde • Keine Erwartungen auf vorzeitige Rückzahlung bei Emission wecken • Ausschüttungen ohne Vorzugsbehandlung, sonstige Beschränkungen oder Verpflichtungen • Der Verzicht auf eine Ausschüttung stellt keinen Ausfall des Instituts dar. • Erstrangige Verlusttragung • Im Liquidationsfalle allen übrigen Instrumenten gegenüber nachrangig • Instrumente verleihen Eigentümern einen Anspruch auf die Restaktiva des Instituts im Falle der Liquidation • Keine Besicherung durch ein nahestehendes Unternehmen

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Vgl. §§ 10e ff. KWG.

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Darüber hinaus qualifiziert die CRR auch das Agio für Instrumente, die die oben genannten Kriterien erfüllen sowie einbehaltene Gewinne, das kumulierte sonstige Ergebnis, sonstige Rücklagen sowie den Fonds für allgemeine Bankrisiken gemäß § 340g HGB per se als hartes Kernkapital. Da das europäische Bankensystem neben den Privatbanken auch wesentlich durch die öffentlichen und genossenschaftlichen Institute geprägt ist, wird in der CRR auch den Besonderheiten der Rechtsform dieser Institute Rechnung getragen. Demnach gelten Eigenkapitalinstrumente von Gegenseitigkeitsgesellschaften, Genossenschaften und Sparkassen ebenfalls als Posten des harten Kernkapitals, wenn die oben genannten Kriterien grundsätzlich erfüllt sind. Sonderregelungen gelten lediglich für die Rückzahlung der Kapitalbeträge und sind auf gesellschaftsrechtliche Vorgaben der in den EU-Staaten zurückzuführen.21 Die in der CRR statuierten Kriterien gehen zum Teil über die Anforderungen an Dauerhaftigkeit, Verlustteilnahme und Flexibilität der Ausschüttungen hinaus. Die in Deutschland insbesondere im öffentlichen Bankensektor gebräuchlichen Vermögenseinlagen stiller Gesellschafter genügen diesen verschärften Anforderungen nicht. Insbesondere die anrechnungsschädliche Vereinbarung einer festen und bevorzugten Verzinsung auf das überlassene Kapital, der regelmäßig vereinbarte Vorrang gegenüber den Eigentümern im Falle der Insolvenz und der regelmäßig nicht vereinbarte anteilige Anspruch am Liquidationsüberschuss stehen einer Anerkennung als hartes Kernkapital entgegen. Institute in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft können stille Einlagen – selbst bei einer anforderungsgerechten Ausgestaltung – gemäß der CRR per se nicht mehr als hartes Kernkapital anerkennen. Die übrigen im deutschen Recht verankerten harten Kernkapitalbestandteile dürfen jedoch auch weiterhin dem harten Kernkapital zugerechnet werden.22

21 22

Vgl. Art. 27 und 29 CRR. Vgl. hierzu insbesondere die seitens der EBA veröffentlichte Liste zu anerkennungsfähigen CET1-Kapitalinstrumenten in Europa: https://www.eba.europa.eu/-/eba-publishes-list-ofcommon-equity-tier-1-cet1-capital-instruments.

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3.3.2

Zusätzliches Kernkapital

Neben harten Kernkapitalkomponenten können weitere Instrumente dem Kernkapital als zusätzliches Kernkapital (AT1) zugerechnet werden. Für zusätzliches Kernkapital gelten 16 Qualifikationskriterien. Es wird u.a. gefordert, dass die Instrumente nachrangig sind, die Dividenden- bzw. Kuponzahlungen im Ermessen des Instituts liegen und Ausschüttungen ohne Anspruch auf Nachzahlung entfallen können. Zudem müssen die Instrumente unbefristet sein. Allerdings ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Kündigungsoption, die frühestens nach 5 Jahren vom Emittenten ausgeübt werden kann, zulässig. Nach der CRD II waren unter anderem auch Instrumente mit einer Mindestursprungslaufzeit von 30 Jahren und innovative, d.h. mit einem Anreiz zur vorzeitigen Rückzahlung ausgestattete Instrumente anerkennungsfähig. Das wichtigste neue Kriterium gegenüber der Kapitaldefinition unter Basel II und der Anpassungen im Rahmen der CRD-III ist die mögliche Umwandlung in hartes Kernkapital bzw. eine dauerhafte oder vorübergehende Herabschreibung der Instrumente bei Eintritt eines definierten Auslöseereignisses.23 Damit soll sichergestellt werden, dass bei einer rückläufigen Kapitalisierung eines Instituts eine Zuführung zu Posten des harten Kernkapitals erfolgen kann. In einem Anwendungsfalle würden dabei z.B. Schuldverschreibungen, welche bislang als AT1 galten, gegen Aktien getauscht. Die Gläubiger der Papiere würden somit zu Anteilseignern des Instituts. Im Rahmen einer Herabschreibung würden die als AT1 anerkannten Verbindlichkeiten des Instituts herabgeschrieben und in die Gewinnrücklagen erfolgsneutral umgebucht. Das Auslöseereignis tritt bei einer Unterschreitung der Quote des harten Kernkapitals von mindestens 5,125% ein.24 Entsprechend dieser Vorgaben werden Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals auch nur in Höhe ihres maximalen Beitrags im Rahmen einer Umwandlung oder Herabschreibung anerkannt.

23 24

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Vgl. Art. 52 Abs. n CRR. Vgl. Art. 54 Abs. 1 lit. CRR.

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Die neuen Anforderungskriterien werden in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Tabelle 2: Anforderungskriterien für Bestandteile des zusätzlichen Kernkapitals • ausgegeben und eingezahlt • nicht gekauft vom Institut, Tochterunternehmen oder Unternehmen, an dem das Institut einen Anteil von mindestens 20% hält • keine direkte oder indirekte Finanzierung des Kaufs durch das Institut • Nachrangigkeit gegenüber Instrumenten des Ergänzungskapitals • Keine Besicherung des Instruments durch ein nahestehendes Unternehmen • Keine Rangveränderungen der Instrumente im Falle der Insolvenz oder Liquidation des Instituts • Zeitlich nicht befristete Kapitalüberlassung und kein Tilgungsanreiz für das Institut • Kündigungsrechte dürfen nur nach Ermessen des Emittenten ausgeübt werden • Frühestmögliche Kündigung fünf Jahre nach Emission der Instrumente • Keine expliziten oder impliziten Rückschlüsse auf Kündigung, Rückzahlung oder Rückkauf außer im Falle der Liquidation • Keine Hinweise darauf, dass die zuständige Aufsichtsbehörde einer Kündigung, Rückzahlung oder Rückkauf stattgeben könnte • Ausschüttungen nach Ermessen des Emittenten, darüber hinaus kein Ausfall des Instituts bei Ausbleiben der Ausschüttung • Tragen nicht zum Insolvenztatbestand der Überschuldung bei • Möglichkeit der Umwandlung in hartes Kernkapital bzw. dauerhafte oder vorübergehende Herabschreibung • Keine Merkmale, die eine Rekapitalisierung des Instituts behindern könnten • Indirekte Begabe der Instrumente nur unter strengen Bedingungen

Aufgrund der genannten Kriterien werden unbefristete stille Einlagen damit den wesentlichen Anforderungen der CRR an zusätzliches Kernkapital nicht mehr gerecht und müssen ggf. vertraglich angepasst werden.

3.3.3

Ergänzungskapital

Im Einklang mit dem prinzipienbasierten Ansatz der überarbeiteten Eigenkapitaldefinition legt die CRR auch für das Ergänzungskapital qualitative Anerkennungskriterien fest. Die Anforderungskriterien verlangen im Wesentlichen eine Nachrangigkeit gegenüber Einlegern und anderen Gläubigern und eine Ursprungslaufzeit der Instrumente von mindestens 5 Jahren. Ferner wird das Kapital in den letzten 5 Jahren vor Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs nur anteilig im Ergänzungskapital anerkannt. Eine Kündigungsoption ist analog zum zusätzlichen Kernkapital zulässig.

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Die vor dem Inkrafttreten der CRR emittierten Genussrechtsverbindlichkeiten wie auch die Nachrangverbindlichkeiten genügen grundsätzlich den statuierten Anforderungskriterien. Gleichwohl kann auch hier Anpassungsbedarf bestehen. Dies gilt beispielsweise für Instrumente, die mit einem anrechnungsschädlichen Anreiz zur vorzeitigen Rückzahlung ausgestattet sind. Im Rahmen der europäischen Umsetzung des Basel IIIRahmenwerks war darüber hinaus lange Zeit unklar, ob die für die deutschen Banken spezifische stille Vorsorgereserve nach § 340f HGB auch zukünftig dem Ergänzungskapital zugerechnet werden kann. Es kann als Erfolg der deutschen Verhandlungsdelegationen auf EU-Ebene gewertet werden, dass zumindest Reserven in Höhe von 1,25% der im Kreditrisikostandardansatz ermittelten risikogewichteten Positionsbeiträge als Ergänzungskapital angerechnet werden können. Der 13 Kriterien umfassende Katalog ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Tabelle 3: Anforderungskriterien für Bestandteile des Ergänzungskapitals • Begeben und voll eingezahlt • nicht gekauft vom Institut, Tochterunternehmen oder Unternehmen, an dem das Institut einen Anteil von mindestens 20% hält • keine direkte oder indirekte Finanzierung des Kaufs durch das Institut • Nachrangigkeit gegenüber Instrumenten nichtnachrangiger Gläubiger • Keine Besicherung des Instruments durch ein nahestehendes Unternehmen • Keine vertragliche Rangveränderungen • Ursprungslaufzeit mindestens 5 Jahre • Keinen Anreiz zur Tilgung des Instruments vor Fälligkeit • Kündigungsrechte dürfen nur nach Ermessen des Emittenten ausgeübt werden. • Vorzeitige Kündigung, Tilgung nach mindestens 5 Jahren und unter Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörden • Keine expliziten oder impliziten Rückschlüsse auf Kündigung, Rückzahlung oder Rückkauf außer im Falle der Liquidation • Anpassung der Zinszahlungen erfolgen nicht auf Basis der Bonität des Instituts • Indirekte Begabe der Instrument nur unter strengen Bedingungen

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Bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital

3.4 Abzugspositionen des bankaufsichtlichen Eigenkapitals Von den Eigenmitteln abzuziehen sind grundsätzlich alle Vermögenswerte, die im Insolvenz- bzw. Liquidationsfall keinen oder einen in Höhe oder Zeitpunkt ungewissen Zahlungszufluss generieren. Bisher gab es in der EU keine einheitlichen Vorschriften zum Umgang mit regulatorischen Abzugspositionen. Durch die nunmehr vorliegende Harmonisierung soll die Verlusttragungsfähigkeit insbesondere des harten Kernkapitals gestärkt werden. Vor Inkrafttreten der CRR waren die Abzüge vom gesamten Kernkapital bzw. hälftig vom Kern- und Ergänzungskapital vorzunehmen. Nunmehr betreffen diese überwiegend das harte Kernkapital und sind in Art. 36 ff. der CRR kodifiziert. Die Korrekturposten zum harten Kernkapital sollen außerdem verhindern, dass Banken hohe Kernkapitalquoten ausweisen. Für die deutsche Kreditwirtschaft sind insbesondere die Regelungen für aktive latente Steuern, für Kapitalanteile vollkonsolidierter Tochterunternehmen in Fremdbesitz (Minderheitsbeteiligungen) sowie für nicht konsolidierte Beteiligungen innerhalb des Finanzsektors von Bedeutung. In der CRR können diese Positionen nicht oder nur noch begrenzt dem harten Kernkapital zugerechnet werden. Verluste des laufenden Geschäftsjahres sind im Rahmen der Ermittlung des aufsichtlichen Eigenkapitals auch unterjährig abzuziehen und können nur insoweit kompensiert werden, als dass maximal ein ausgeglichenes Zwischen- bzw. Jahresergebnis erzielt werden würde. Demgegenüber ist die Anrechnung laufender Gewinne des Geschäftsjahres an die Erlaubnis der zuständigen Aufsichtsbehörden und die prüferische Durchsicht des Zwischenabschlusses durch einen Wirtschaftsprüfer geknüpft.25 Goodwill und andere immaterieller Vermögensgegenstände waren vor Inkrafttreten der CRR bei HGB bilanzierenden Instituten als aktivischer Unterschiedsbetrag, bei IFRSAnwendern der Goodwill vom gesamten Kernkapital abzuziehen. Andere immaterielle Vermögensgegenstände waren ebenfalls vom gesamten Kernkapital abzuziehen. Diese Positionen sind nunmehr vom harten Kernkapital in Abzug zu bringen. Aktive latente Steuern aus sogenannten temporären Differenzen, d. h. aktive Steuerlatenzen, die aus unterschiedlichen Wertansätzen in der Handels- und in der Steuerbilanz resultieren, werden nur noch bis 10% des harten Kernkapitals eines Instituts anerkannt. Zudem darf der Anerkennungsbetrag zusammen mit den Anrechnungsbeträgen für nicht konsolidierte Beteiligungen von mehr als 10% in Form von Stammkapital an Unternehmen des Finanzsektors (bedeutende Beteiligungen) einen Anteil von 17,65% des harten

25

Vgl. Art. 26 Abs. 2 CRR.

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Kernkapitals des Instituts nicht überschreiten. Die nicht in Abzug zu bringenden aktiven Steuerlatenzen gehen mit einem Risikogewicht von 250% in die Berechnung der Eigenkapitalanforderungen ein. Aktive latente Steuern auf Verlustvorträge dürfen nicht dem aufsichtlichen Eigenkapital zugerechnet werden. Eine Verrechnung aktiver und passiver latenter Steuern ist nur dann zulässig, wenn sich die Steuerlatenzen auf Steuern beziehen, die von der gleichen Steuerbehörde erhoben werden und die zuständige Steuerbehörde eine Aufrechnung erlaubt. Die beschränkte Zurechnung von aktiven Steuerlatenzen erscheint sachlich nicht begründet. Die Bildung aktiver latenter Steuern ist an anspruchsvolle Ansatz- und Bewertungsvoraussetzungen geknüpft. Sofern die Anforderungen zur Aktivierung erfüllt sind, liegt ein bilanzieller Vermögenswert vor, der auch bankaufsichtlich als solcher anerkannt werden sollte. In der Bilanz ausgewiesene Vermögenswerte aus Pensionsfonds mit Leistungszusage sind ebenfalls vom harten Kernkapital abzuziehen. Ein solcher Vermögensgegenstand kann entstehen, wenn das Institut seine Pensionszusagen beispielsweise an Vorstände übersichert. Grundsätzlich ist im Rahmen der Bilanzierung eine Verrechnung der Vermögenswerte und Schulden aus Pensionszusagen möglich. Seitens der Kreditwirtschaft wurde im Rahmen der Konsultationen zur CRR immer wieder eine risikoadäquate Behandlung solcher Vermögenswerte im Rahmen der Risikopositionen auf Basis einer Durchschau gefordert. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörden stehen Pensionsfonds im Insolvenzoder Liquidationsfall nur für die Deckung von Pensionsverpflichtungen zur Verfügung. Bedeutende, nicht konsolidierte Finanzbeteiligungen werden für Beteiligungen in Form von hartem Kernkapital durch einen „Freibetrag“ in Höhe von 10% des harten Kernkapitals eines Instituts zumindest teilweise von einem Abzug befreit. Auch hier ist die im Rahmen der Behandlung von aktiven Steuerlatenzen angeführte Grenze von 17,25% des harten Kernkapitals des Instituts zu beachten. Der nicht vom harten Kernkapital abzuziehende Betrag geht mit einem Risikogewicht von 250% in die Eigenkapitalanforderungen ein. Die Privilegierung der Finanzbeteiligungen in Form von Stammkapital lässt sich auf Basel III und eine besondere Initiative von Japan zurückführen. Hält eine Bank hingegen eine bedeutende Beteiligung in Form von zusätzlichem Kernkapital bzw. Ergänzungskapital an einem Unternehmen des Finanzsektors, muss die Beteiligung voll von der korrespondierenden Eigenkapitalkategorie abgezogen werden. Nicht konsolidierte Finanzbeteiligungen bis zu 10% am Kapital des Beteiligungsunternehmens müssen, sofern sie in Summe 10% des harten Kernkapitals des Kreditinstituts übersteigen, mit dem Betrag größer 10% des harten Kernkapitals von der korrespondierenden Eigenkapitalkategorie in Abzug gebracht werden. Die CRR erweitert zudem den Anwendungsbereich der bei der Ermittlung des aufsichtlichen Eigenkapitals zu berücksichtigenden Finanzbeteiligungen auf mittelbare und synthetische Beteiligungen vom Eigenkapital.

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Diese „Durchschaupflicht“ ist für die Institute jedoch mit erheblichen praktischen Problemen verbunden, ohne dass hierdurch bankaufsichtlich substanzielle Verbesserungen erreicht werden. Ausgenommen von der Anrechnung als Bestandteile der Eigenmittel sind darüber hinaus Überkreuzbeteiligungen. Auch die nicht durch Wertberichtigungen gedeckten erwarteten Verluste sind voll vom harten Kernkapital abzuziehen. Zudem wurden die sogenannten Prudential Filters, zum Beispiel die Cash Flow Hedge Reserve und unrealisierte Gewinne und Verluste, durch die CRR harmonisiert. Hinsichtlich der Behandlung der in Fremdbesitz befindlichen Kapitalanteile vollkonsolidierter Tochterunternehmen strebte der Baseler Ausschuss zunächst einen Vollabzug vom harten Kernkapital an. Damit sollte verhindert werden, dass sich ein Institut auf Gruppenebene Kapital von Tochterunternehmen zurechnen kann, die in erster Linie Kapitalbeschaffungszwecken dienen. Die prudenziellen Bedenken erscheinen ungerechtfertigt. Durch das Beherrschungsverhältnis von Mutter- und Tochterunternehmen stehen die Kapitalanteile von Minderheitsbeteiligungen uneingeschränkt für die Verlustabsorption auf Gruppenebene zur Verfügung. Zudem ist es für die Beurteilung der Kapitaladäquanz der Gruppe systematisch zwingend, dass den der Gruppe zuzurechnenden vollen Risiken des Tochterunternehmens auch das volle Kapital der Tochter gegenübergestellt wird. Demgegenüber hatte sich der Baseler Ausschuss – auch auf Grundlage der im Rahmen der Auswirkungsstudie deutlich gewordenen Härten – in seinen endgültigen Empfehlungen darauf verständigt, dass zumindest die als hartes Kernkapital zu qualifizierenden Kapitalanteile vollkonsolidierter Tochterunternehmen, die zur Abdeckung der Risikoaktiva des Tochterunternehmens verwendet werden, dem harten Kernkapital zugerechnet werden können. Kapitalanteile von Minderheitsbeteiligungen, die sich lediglich als zusätzliches Kernkapital oder Ergänzungskapital qualifizieren, sind ebenfalls in der jeweiligen Eigenkapitalkategorie anerkennungsfähig, solange sie zur Abdeckung der Risikoaktiva der Tochter verwendet werden. Der Baseler Ausschuss hatte zugleich die begrenzte Anerkennung von in Fremdbesitz befindlichen Kapitalbestandteilen vollkonsolidierter Tochterunternehmen auf von Dritten zur Verfügung gestellte Kapitalien von 100%igen Tochterunternehmen ausgedehnt. Diese Verschärfung wurde ohne vorangegangene Konsultation in das endgültige Rahmenwerk aufgenommen. Eine begrenzte Zurechnung der Kapitalanteile von Dritten hätte die Kapitalisierung von Tochterunternehmen erheblich einschränkt und wurde daher nicht in die CRR übernommen.

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3.5 Offenlegung der Eigenmittelbestandteile Neben der Definition des aufsichtlichen Eigenkapitalbegriffs sieht die CRR umfangreiche Transparenzpflichten hinsichtlich der Kapitalbestandteile vor. Den Marktteilnehmern soll die Zusammensetzung der Kapitalbasis transparenter dargestellt werden. Die CRR verlangt insbesondere eine vollständige Überleitung der bankaufsichtlichen Kapitalbestandteile auf deren bilanziellen Ausweis sowie eine separate Veröffentlichung sämtlicher regulatorischer Anpassungen. Auch die Abzugspositionen, die unter die 15%Grenze fallen und somit begrenzt dem harten Kernkapital zugerechnet werden können, sind vollständig offenzulegen. Darüber hinaus sollen die Bedingungen und Konditionen aller aufsichtsrechtlichen Kapitalbestandteile umfänglich im Internet veröffentlicht werden.

3.6 Übergangsregelungen Die neuen Anforderungen der CRR führen gegenüber der bis zum 31.12.2013 gültigen Gesetzeslage zu erheblichen Veränderungen in der Eigenkapitalstruktur der Kreditinstitute. Insoweit sieht die CRR für Instrumente, die sich nicht mehr als aufsichtliches Eigenkapital qualifizieren, Übergangsregelungen vor. Zudem wird den Banken erlaubt, sukzessive in die regulatorischen Abzugspositionen hineinzuwachsen. Die Abzugspositionen sollen stufenweise in 20%-Schritten beginnend bis zum Vollabzug ab 2018 das Kapital mindern. Aufgrund der Gültigkeit der neuen Definition des harten Kernkapitals seit dem 01.01.2014 ist nur noch Kapital vollständig anrechenbar, dass den in Kap. 3.3.1 genannten Kriterien genügt oder seitens der CRR direkt als hartes Kernkapital qualifiziert wird. Umfangreiche Übergangsbestimmungen gelten für Kapitalbestandteile, die bis zum 31.12.2013 anerkennungsfähig waren und bereits vor dem 31.12.2011 begeben wurden. Kernkapitalinstrumente, die den neuen Bedingungen nicht gerecht werden, sind von 2014 an über 8 Jahre ratierlich abzubauen. Die abgebauten Instrumente können vorbehaltlich der Erfüllung der jeweiligen quantitativen Bedingungen z.T. in der nächst „schlechteren“ Eigenmittelkategorie angerechnet werden. Für krisenbedingte Kapitalzuführungen öffentlicher Stellen gilt rechtsformübergreifend bis 2018 ein vollumfänglicher Bestandsschutz.

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4 Bedeutung der Eigenmittel für Institute Die Höhe der Eigenmittel eines Instituts hat neben der Begrenzung der Risikoaktiva auf Basis der Eigenmittelanforderungen weitreichende Auswirkungen auf andere aufsichtliche Vorgaben. Wie bereits einleitend dargestellt, sind die Eigenmittel die geschäftsbeschränkende Größe von Instituten. So dürfen Banken Kredite maximal in Höhe von 25% ihrer anrechenbaren Eigenmittel an einen einzelnen Kunden oder eine Gruppe verbundener Kunden vergeben.26 Bereits ab einer Kredithöhe von 10% der anrechenbaren Eigenmittel handelt es sich dabei um einen sog. „Großkredit“. Mit der dargestellten Regelung sollen Klumpenrisiken gegenüber einzelnen Kreditnehmern oder Kreditnehmergruppen verhindert werden.27 Als Bemessungsgrundlage der anrechenbaren Eigenmittel dienen die Eigenmittel nach Vornahme der in Kap. 3.4 dargestellten Abzugsbeträge. Darüber hinaus darf das Ergänzungskapital jedoch lediglich in Höhe eines Drittels des Kernkapitals in die Berechnung einbezogen werden.28 Eine weitere Verschärfung sieht die aktuelle Initiative des Baseler Ausschusses zur Überarbeitung des Großkreditregimes vor. Danach dient lediglich das Kernkapital als Bemessungsgrundlage für die maximale Kredithöhe.29 Das Ergänzungskapital verliert somit zunehmend an Bedeutung. Über die Vorgaben zur Messung konkreter Risikoarten im Rahmen der Eigenmittelanforderungen und dem Großkreditregime hinaus wird durch Basel III und dessen Umsetzung im Rahmen der CRR erstmalig ein „Back-Stop“-Kriterium zur Geschäftsbeschränkung von Instituten eingeführt. Dabei legt die Verschuldungsquote („Leverage Ratio“) die maximale Geschäftstätigkeit von Banken in Bezug auf das Kernkapital fest. Eine Messung der individuellen Risikoprofile der einzelnen Forderungen wird nicht durchgeführt. Aufgrund des damit vollzogenen Paradigmenwechsels im Rahmen der bankaufsichtlichen Vorgaben wird die Verschuldungsquote erst 2018 verbindlich eingeführt. Derzeit wird eine Quote von 3% diskutiert. Institute dürften demnach nur noch Kredite in Höhe des 33-fachen ihres Kernkapitals vergeben. Für besonders große Institute, die weltweit systemrelevant sind, werden sogar noch weitaus höhere Quoten diskutiert.

26

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28 29

Unter Umständen sind zwei oder mehrere Kunden zu einer Gruppe zusammenzufassen, wenn zwischen diesen ein Kontrollverhältnis oder eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht. Vgl. Art. 4 (1) Nr. 39 CRR. Gegenüber den Eigenmittelanforderungen sind die Vorgaben zu Großkrediten weniger risikosensitiv. Neben der Möglichkeit der Anrechnung von Sicherheiten existieren eine Vielzahl von Anrechnungserleichterungen für Forderungen in Abhängigkeit vom Kreditnehmer. Vgl. Art. 4 (1) Nr. 71 CRR. Vgl. BCBS 283, Tz. 17.

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Carsten Groß/Madlen Neumann/Thomas Stawitzke

Die Erfahrungen der Finanzkrise haben dazu geführt, dass neben den Vorgaben im Falle der Unternehmensfortführung auch aufsichtliche Vorgaben hinsichtlich der Abwicklung und Sanierung von Instituten gemacht wurden. So standen die Aufsichtsbehörden im Falle der Insolvenzen von Lehman Brothers oder in Deutschland der IKB, WestLB und Hypo Real Estate vor der Herausforderung, dass diese Banken nicht durch ein ordentliches Insolvenzverfahren abgewickelt oder saniert werden konnten, ohne eine Destabilisierung des gesamten Finanzsystems zu riskieren. Die Folge war die Notwendigkeit des Einsatzes von Steuermitteln, um ein Übergreifen der Krise auf den weltweiten Bankensektor zu verhindern. Der Begriff „Too-Big-To-Fail“ wurde geprägt. Neben der bereits in Kap. 3.2 dargestellten Vorhaltung zusätzlicher Eigenmittelanforderungen für besonders große, systemrelevante Institute hat der europäische Gesetzgeber einen Abwicklungsmechanismus unter Einsatz der Verlustabsorption der Eigenmittel und weiterer Kapitalinstrumente definiert. Kern der Regelungen ist die Wandlung („Bail-In“) von Beständen des Fremdkapitals in Eigenkapital zur Herstellung der Möglichkeit der Verlusttragung. Somit würden im Falle einer Insolvenz nach vollständiger Verlustzuweisung auf die Eigenmittel auch Gläubiger weiterer nachrangiger Kapitalinstrumente bis zum Eintritt der ausreichenden Deckung der Forderungen über die Schulden des Instituts haften. Für anerkennungsfähiges zusätzliches Kernkapital ist eine solche Wandlung oder Herabschreibung bereits in der CRR definiert.30 Ziel ist es, den Einsatz von Steuermittel bei zukünftigen Schieflagen von Instituten zu vermeiden. Die bislang klare Abgrenzung von Eigenmitteln insbesondere in Bezug auf ihre Verlusttragungsfunktion wird somit aufgeweicht.

5 Bewertung Die Umsetzung der CRR hat die Institute vor große Herausforderungen gestellt. Die Eigenkapitaldefinition wurde beschnitten, die Abzugspositionen vom Eigenkapital wurden ausgeweitet. Die Mindesteigenkapitalquote für hartes Kernkapital wurde um mehr als das Dreifache der Anforderungen unter Basel II angehoben. Zugleich wurden die dem Eigenkapital gegenüberzustellenden Kapitalanforderungen für Risikopositionen deutlich erhöht. Die Regelungen zur Dämpfung der prozyklischen Wirkungen des bankaufsichtlichen Regelwerks, mögliche pauschale Zuschläge auf die Eigenkapitalanforderungen für systemrelevante Institute, die Abschaffung von Wahlrechten für die nationalen Aufsichtsbehörden sowie die Erhöhung der Anforderungen an das Risikomanagement führten zu weiteren Lasten. Die ab 2018 geplante Einhaltung einer Leverage Ratio begrenzt das Geschäftsvolumen zudem unabhängig von jeder Risikobetrachtung. Insgesamt wird also auch in Zukunft deutlich mehr enger definiertes Eigenkapital benötigt.

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Vgl. Kap. 3.3.2.

Bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital

Die Kreditvergabespielräume der Institute werden drastisch eingeschränkt. Es besteht die Gefahr, dass sich auch „erwünschte“ Kreditvergaben, zum Beispiel an den Unternehmenssektor oder die öffentliche Hand, verknappen beziehungsweise verteuern. Die Überprüfung, ob eine mangelhafte Beaufsichtigung von Märkten, Marktteilnehmern oder Finanzprodukten die Finanzmarktkrise ausgelöst oder deren Ausbreitung befördert hat, war ohne Zweifel notwendig. Identifizierte Schwachstellen müssen beseitigt werden. Festzuhalten ist aber, dass die Ursache der Finanzmarktkrise nicht in mangelhafter Qualität des bankaufsichtlichen Eigenkapitals zu suchen ist. Die Krise war vielmehr eine Vertrauens- und Liquiditätskrise. Der Umbau des Eigenkapitalbegriffs kam im Hinblick auf eine sich abzeichnende Bewältigung der gesamtwirtschaftlichen Krisenfolgen zur Unzeit. Die Revision des bankaufsichtlichen Eigenkapitalbegriffs wurde zudem von den angelsächsischen Staaten vorangetrieben. Insbesondere die US-amerikanische Kreditwirtschaft weicht jedoch in der Struktur und ihrer Eigenkapitalbeschaffung stark von der kontinentaleuropäischen und insbesondere der deutschen ab. Wenn man bedenkt, wo die Krise ihren Ursprung hatte, erscheint es fragwürdig, angelsächsisch geprägte Eigenkapitalstrukturen im Windschatten der Finanzmarktkrise global einzuführen. Standortpolitische Interessen abseits der Finanzmarktstabilität können hier nicht ausgeschlossen werden. Trotz der dargestellten Herausforderungen haben die Institute ihre Kapitalbasis nachhaltig stärken können. Dabei wurde neben Neuemissionen von Instrumenten des harten Kernkapitals auch von der „Härtung“ nach den Regeln der CRR nicht mehr anrechenbarer Kapitalinstrumente Gebrauch gemacht. Beispielsweise wurden ehemals stille Einlagen den Bedingungen des Art. 28 CRR angepasst, um diese nunmehr als CET1 anrechnen zu können. Darüber hinaus ist eine verstärkte Emission von AT1-anerkennungsfähigen, wandelbaren Kapitalinstrumenten (Contingend Convertible Bonds, kurz: „CoCos“) zu beobachten. Die nachhaltige Stärkung der Kapitalbasis deutscher Institute zeigte insbesondere der vor Start des einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus durchgeführte Stresstest der EBA und der EZB.31 Die Kapitalisierung der nunmehr direkt durch die EZB beaufsichtigten Institute wurde im Hinblick auf einen wirtschaftlichen Schock geprüft. Es wurden dabei u.a. auch die Kapitaldefinitionen nach Auslaufen sämtlicher Übergangsvorschriften der CRR angewandt („fully loaded“). Der Fokus lag auf einer ausreichenden CET1-Quote.

31

Vgl. http://www.eba.europa.eu/risk-analysis-and-data/eu-wide-stress-testing/2014/results.

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Carsten Groß/Madlen Neumann/Thomas Stawitzke

Während die Eigenmitteldefinition im Rahmen der CRR hinsichtlich der Tragung laufender Verluste („going-concern-Szenario“) deutlich geschärft wurde, liegt der Fokus der Regulierer mittelfristig auf einer Vorhaltung von Kapitalinstrumenten für einen möglichen Sanierungs- oder Abwicklungsfall. Sowohl die europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) als auch das Financial Stability Board (FSB) haben dazu Konzepte32 vorgelegt, wie Verluste aus einer Abwicklung oder Restrukturierung (gone concern) durch Kapitalinstrumente absorbiert werden könnte. Dass es sich dabei im normalen Geschäftsgang eines Instituts um Fremdkapitalinstrumente handeln wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Krisenfalle daraus Eigenmittelinstrumente der höchsten Kategorie im Rahmen einer Wandlung oder Abschreibung („Bail-In“) werden können. Wurden Anleger nachrangiger Schuldinstrumente bislang bei Schieflagen von Instituten weitestgehend von einer Verlustteilnahme verschont, müssen diese zukünftig mit einem Totalverlust ihrer Anlagen oder der Umwandlung in Eigentümerpapiere rechnen. Zukünftig verschwimmen somit die bislang klaren Grenzen zwischen als Eigenmittel anrechnungsfähigen Kapitalinstrumenten und sonstigen nachrangigen Verbindlichkeiten. Für Institute ergeben sich aufgrund der dargestellten Anforderungen deutliche erhöhte Refinanzierungskosten, da das beschriebene Risiko den Investoren angemessen vergütet werden muss.

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Die EBA hat im November 2014 ihr Konzept zu den Mindestanforderungen an Eigenmittel und anrechenbare Verbindlichkeiten im Rahmen der Sanierung und Abwicklung von Instituten (EBA/CP/2014/41), kurz MREL, vorgelegt. Das FSB hatte bereits im Oktober ein Konzeptpapier hinsichtlich einer „Total Loss Absorbency Capacity“ (TLAC) veröffentlicht.

Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland Christoph J. Börner/Jörg Rühle

1 Einleitung 2 Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland 2.1 Charakteristika kleiner und mittlerer Unternehmen 2.2 Traditionelle Finanzierungsmuster deutscher Mittelstandsunternehmen 3 Baseler Regulierungsreformen und Kreditvergabe 3.1 Basel II 3.2 Basel III 4 Wirkungen für die Mittelstandsfinanzierung 4.1 Kreditangebot 4.2 Kreditvergabeprozess und Rating 4.3 Konsequenzen für den Mittelstand 5 Fazit Literatur

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1 Einleitung Bereits bei der Diskussion des Übergangs von Basel I auf Basel II wurden erhebliche Veränderungen in der Kreditvergabepolitik von Banken und in der Unternehmensfinanzierung prognostiziert. Heute, nach Erfahrungen mit diesem Regulierungsregime zeigt sich, dass die Wirkungen zwar durchaus erkennbar, aber eher langfristiger und qualitativer Natur sind: Kreditinstitute haben für die Bonitätsbeurteilung der Kreditnehmer neue Ratingsysteme implementiert und steuern ihr Kreditportfolien und die Kreditvergabe verstärkt nach kosten- und risikopolitischen Aspekten. Die mittelständischen Unternehmen sehen sich mit deutlicher risikoorientierten Kreditkonditionen sowie im Einzelfall mit verschärften Kreditanforderungen konfrontiert; sie müssen sich den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Eine positive Kreditentscheidung bedingt mehr denn je die Bereitschaft zu einer transparenten Unternehmenspolitik, die Stellung angemessener Sicherheiten und eine adäquate Eigenkapitalquote. Basel II hat also zu qualitativen Veränderungen im Kreditvergabeprozess geführt, die gerade bei den kleinen und mittleren Unternehmen einen Anpassungsprozess erfordert haben und weiterhin erfordern. Zu einer anfangs befürchteten Einschränkung der Verfügbarkeit von Krediten für Unternehmen in der Breite ist es jedoch nicht gekommen. Im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 wurde allerdings die Prozyklizität der Vorschriften kritisch. Nur die im Jahre 2009 wieder an Kraft gewinnende Konjunktur verhinderte eine allgemeine „Kreditklemme“. Allerdings besteht bei den kleinen und mittleren Unternehmen weiterhin in der Außenfinanzierung eine große Abhängigkeit vom klassischen Bankdarlehen. Deshalb stellt sich über die aktuelle Bestandsaufnahme hinaus die Frage, welche Auswirkungen die Reform der bankaufsichtsrechtlichen Regelungen zur Eigenmittelunterlegung auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen weiterhin haben wird. Hierbei spielen insbesondere die Reformen der Bankenregulierung eine Rolle, die unter dem Stichwort „Basel III“ subsumiert werden. Dabei kommt es nicht allein zu einer qualitativen Veränderung der Kreditanforderungen und des Kreditvergabeprozesses wie bei Basel II, das insgesamt kapitalneutral ausgelegt war. Vielmehr wird das unter Basel III von den Banken vorzuhaltende Eigenkapital neu – enger – definiert und quantitativ hochgesetzt. Vor diesem Hintergrund zeigt der folgende Beitrag Ursachen für das im Zuge der Baseler Reformen veränderte Kreditvergabeverhalten der Banken auf und geht darüber hinaus der Frage nach, welche Konsequenzen sich für den Mittelstand aus der Umsetzung dieser Normen ergeben haben bzw. in Zukunft weiter ergeben werden.

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Christoph J. Börner/Jörg Rühle

2 Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland 2.1 Charakteristika kleiner und mittlerer Unternehmen Zur Begriffsbestimmung mittelständischer Unternehmen und zur Abgrenzung von Großunternehmen bedient man sich regelmäßig quantitativer und qualitativer Faktoren, wobei jedoch zu konstatieren ist, dass es in der einschlägigen Literatur an einer einheitlichen Definition mangelt. Während Beschäftigtenzahlen, der Jahresumsatz oder die Bilanzsumme als typische quantitative Kriterien zur Differenzierung herangezogen werden, beziehen sich qualitative Merkmale auf die wirtschaftlichen, sozialen und juristischen Besonderheiten der Unternehmensgruppe (Pfohl 2013, S. 15 ff.). In Deutschland zieht man üblicherweise die Definition des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung zur Klassifizierung heran. Demnach beschäftigen mittelgroße Unternehmen zehn bis 499 Mitarbeiter, wobei der Jahresumsatz zwischen einer und 50 Millionen EUR liegt. Kleine Unternehmen weisen bis zu neun Beschäftigte auf und verfügen über einen Jahresumsatz von weniger als einer Million EUR (IfM 2014a). Unter Zugrundlegung dieser Definition handelt es sich bei 99,6 Prozent aller Unternehmen in Deutschland um mittelständische Betriebe. Knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind bei den kleinen und mittleren Unternehmen tätig, die mehr als Hälfte der Bruttowertschöpfung des Unternehmenssektors produzieren (IfM 2014b). Der größte Teil der mittelständischen Betriebe ist mit etwa 49 Prozent in der Dienstleistungsbranche ansässig, gefolgt von Handwerk und Handel (31 Prozent bzw. 20 Prozent). Die übrigen Firmen stammen aus dem industriellen Sektor (Mind 2005). Da den quantitativen Merkmalen in Bezug auf die Besonderheiten der kleinen und mittleren Unternehmen nur eine begrenzte Aussagekraft zugesprochen werden kann, ermöglichen erst qualitative Kriterien eine Analyse der speziellen Charakteristika mittelständischer Betriebe. Die Personenbezogenheit steht hierbei im Vordergrund, denn kleine und mittlere Unternehmen sind zum größten Teil inhabergeführt. Hieraus resultiert eine starke Identifikation mit dem Unternehmen, was mit einem ausgeprägten Unabhängigkeitsstreben der Eigentümer-Unternehmer einhergeht. Etwa die Hälfte der mittelständischen Betriebe wird daher in der Rechtsform des Einzelunternehmens geführt, während für die übrigen Unternehmen die Rechtsform der GmbH oder OHG gewählt wird (Mind 2005 sowie KfW 2004). Kleine und mittlere Firmen zeichnen sich demnach durch eine mangelnde Emissionsfähigkeit aus, die auf der einen Seite auf die zu geringe Unternehmensgröße zurückzuführen ist, aber sich auch aus der – häufig dem Unabhängigkeitsstreben geschuldeten – Rechtsform ergibt.

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

2.2 Traditionelle Finanzierungsmuster deutscher Mittelstandsunternehmen Kleine und mittelständische Unternehmen unterscheiden sich von Großunternehmen in einer Reihe von Merkmalen, die als spezifische Rahmenbedingungen bei Finanzierungsentscheidungen wirksam werden (Börner 2013, S. 312 ff.) Zuerst kann, wie oben als qualitatives Abgrenzungsmerkmal des Mittelstandes definiert wurde, der fehlende unmittelbare Zugang zum organisierten Kapitalmarkt angesprochen werden. Hierdurch wird zum einen die Palette der verfügbaren Finanzierungsinstrumente eingeschränkt; zum anderen entfällt damit die Bewertungsfunktion des Kapitalmarktes für diese Unternehmen. Dass kleine und mittelständische Unternehmer nur selten den Kapitalmarkt nutzen, kann etwa mit hohen Fixkosten bei der Nutzung von Kapitalmarktinstrumenten erklärt werden, die die Emission von Wertpapieren bei einem vergleichsweise geringen Finanzierungsbedarf untragbar machen. Ebenso kann aber das Streben nach Unabhängigkeit die Öffnung zum Kapitalmarkt verhindern. So lassen sich folgende Strukturmerkmale von KMU ableiten, die für die Finanzierung relevant sind (Börner 2013, S. 312 ff.). 1. Mittelständler weisen mit ihrem Unternehmen aus Kapitalgebersicht ein höheres Ausfallrisiko als Großunternehmen auf. Kleinere Unternehmen sind ceteris paribus im Hinblick auf Produkte, Technologien, Lieferanten und Abnehmer weniger diversifiziert. Aus Diversifikation resultiert aber eine Risikoreduzierung, die im Interesse der Fremdkapitalgeber liegt. Allerdings ist anzumerken, dass sich der wünschenswerte Diversifikationsaspekt aufgrund der geringeren Finanzierungsvolumina im Portefeuille des Kapitalgebers daraus ergeben kann, dass er eine größere Anzahl kleinerer Unternehmen finanziert. Bei fehlendem Zugang zum Kapitalmarkt der finanzierten Unternehmen ergeben sich solche Diversifikationsmöglichkeiten vor allem für Kredit gebende Banken, die damit als Finanziers für diese Unternehmen prädestiniert sind. 2. Auch die Eigenkapitalgeber mittelständischer Unternehmen sind schlecht diversifiziert. Können die Aktionäre von börsennotierten Unternehmen ein diversifiziertes Portfolio aufbauen, so sind die Gesellschafter von Mittelstandsunternehmen häufig mit nahezu ihrem gesamten Vermögen in einem Unternehmen investiert. Insofern werden sie das Risiko als Entscheidungsparameter besonders berücksichtigen. 3. Kleine und mittelständische Unternehmen weisen regelmäßig eine vergleichsweise geringe Transparenz für Externe auf. Geht man davon aus, dass sich Finanzierungsvorgänge auf unvollkommenen Märkten vollziehen, so ist die Beschaffung der notwendigen Informationen mit (Transaktions-) Kosten verbunden. Die Struktur und die Höhe dieser Transaktionskosten können bei den vergleichsweise geringen Finanzierungsvolumina mittelständischer Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen, etwa wenn sie Fixkostencharakter aufweisen, d.h. vom Finanzierungsvolumen unabhängig sind.

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Hinzu kommt, dass das Geschäftsmodell mittelständischer Unternehmer häufig stärker als bei größeren Unternehmen auf implizitem, personengebundenem Wissen basiert. Dies erhöht das Risiko für Kapitalgeber und führt dazu, dass kleine und mittlere Unternehmen weniger transparent für diese Kapitalgeber sind. Schaut man auf der Basis dieser strukturellen Merkmale auf die aktuelle Finanzierungssituation deutscher Mittelständler, so ist diese traditionell durch eine niedrige Eigenkapitalquote geprägt. Diese Eigenkapitalquote hat sich indessen seit 2002 – mit kleineren Schwankungen – kontinuierlich verbessert (KfW 2013, S. 3). Dies gilt insbesondere für die mittleren und die größeren KMU. Bei sehr kleinen Mittelstandsunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte auf der Basis von Vollzeitäquivalenten) ist die Entwicklung der Eigenkapitalquote stark volatil und aktuell im Durchschnitt eher als kritisch einzuschätzen (Creditreform 2014, S. 19 ff.). Abbildung 1: Eigenkapitalquoten mittelständischer Unternehmen

Quelle: KfW-Mittelstandspanel 2003-2013

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

Eigenkapital – im Sinne von Innenfinanzierung – hat spiegelbildlich auch als Finanzierungsquelle an Bedeutung gewonnen. Innenfinanzierung, vor allem aus der Einbehaltung von Gewinnen – ist seit jeher die wichtigste Quelle der Investitionsfinanzierung; sie hat im deutschen Mittelstand in den letzten Jahren aber weiterhin relativ an Bedeutung gewonnen (KfW 2014). Schaut man auf die Außenfinanzierung, so bleiben Bankkredite nach wie vorher das wichtigste Instrument für die Finanzierung von Investitionen (vgl. auch Deloitte 2014, S. 23 ff.). Abbildung 2: Investitionsfinanzierung im Mittelstand

Quelle: KfW-Mittelstandspanel 2008-2013

Insgesamt messen kleinere und mittlere Unternehmen dem Eigenkapital – aus Gewinnthesaurierung – aber nicht nur eine konkrete, auf einzelne Investitionen bezogene Finanzierungsfunktion zu. Vielmehr erkennen sie in der Stärkung der Eigenkapitalquote eine strategische Aufgabe bei der Sicherung der Finanzierung (Ernst & Young 2013, S. 23 f.): Bei einer Studie 2013 setzten die befragten Unternehmer die Erhöhung der Eigenkapitalquote auf die oberste Priorität, wenn es um Zielsetzungen bei der Finanzierung geht. Um die Fremdfinanzierung des Mittelstandes grundsätzlicher und detaillierter zu analysieren, kann auf eine Studie zurückgegriffen werden, die auf einer Datenerhebung der KfW basiert (Börner et al. 2010). Hier wurden, um die Einflussfaktoren der Fremdfinanzierung bei kleinen und mittelständischen Unternehmen zu ermitteln, Daten aus dem KfW-Mittelstandspanel für eine Querschnittsanalyse über bis zu 6.600 Unternehmen genutzt. Dabei erweisen sich die Variablen Lebenszyklus, Innovationstätigkeit, Rechtsform und Rentabilität als signifikante Faktoren für die Fremdfinanzierungsentscheidung.

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Konkret zeigt sich, dass ältere Unternehmen intensiver auf externe Fremdfinanzierung zurückgreifen als jüngere Unternehmen. Damit wird die Vermutung bestätigt, dass junge Unternehmen ein höheres Risiko aufweisen, dass oft nicht im Einklang mit den Bonitätsanforderungen klassischer Fremdkapitalgeber steht. Risikobezug weist auch der Befund auf, dass innovative Unternehmen, gerade wissensintensiv arbeitende Dienstleister, mit geringerer Intensität Fremdkapital zur Finanzierung nutzen. Kapitalgesellschaften greifen stärker als Personengesellschaften auf Fremdkapital zurück. Dies kann vor allem mit steuerlichen Rahmenbedingungen erklärt werden, mag aber auch ein Hinweis darauf sein, dass die Haftungsmasse bei Personengesellschaften für Kapitalgeber schwerer zu beurteilen ist, da sie das Privatvermögen der Gesellschafter einschließt. Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist, dass mit steigender Umsatzrendite die Nutzung der externen Fremdfinanzierung signifikant sinkt. Unternehmen mit guter Ertragskraft thesaurieren also eher Gewinne als Unternehmen mit schlechterer Ertragskraft. Dieses Ergebnis mutet auf den ersten Blick trivial an, weil Gewinnthesaurierung offenkundig Gewinne voraussetzt. Es gewinnt seine ökonomische Bedeutung aber von daher, dass genau diese Unternehmen gute Voraussetzungen dafür haben, den Leverage-Effekt auszunutzen, also Gewinne auszuschütten und die Fremdkapitalquote zu erhöhen, um auf das eingesetzte Eigenkapital eine höhere Rendite zu erzielen. Insofern ist das Ergebnis nicht trivial, sondern ein Hinweis auf die Bemühungen, das Eigenkapital zu stärken und nur dann auf Fremdmittel zurückzugreifen, wenn es notwendig ist. Geht man, im Anschluss an diese Befunde zur aggregierten Fremdfinanzierung, einen weiteren Schritt ins Detail und blickt auf die Bankfinanzierung, so ist zunächst auf die in Deutschland traditionell vorherrschende „Hausbankbeziehung“ der mittelständischen Unternehmen einzugehen. Im Zuge der externen Fremdfinanzierung kommt Bankkrediten – Leasing ist nicht in allen Branchen ergänzend zu erwägen – bei kleinen und mittleren Unternehmen aus zwei Gründen eine besondere Bedeutung zu. Zum einen stellt die Hausbankbeziehung einen Lösungsansatz dar, den Problemen aus asymmetrischen Informationsverteilungen zu begegnen, mit denen eine Darlehensvergabe zwangsläufig verbunden ist. Das so genannte Relationship Lending bietet den Kreditinstituten aufgrund seiner Langfristigkeit und Stabilität die Möglichkeit, einen guten Einblick in die Unternehmenslage, die finanziellen Verhältnisse des Betriebes sowie die Qualitäten des Managements zu erhalten. Eine derartige, auf Dauer angelegte und intensive Geschäftsbeziehung resultiert in einer breiten wie tiefen Informationsbasis und erklärt die Bereitschaft der Hausbank, dem Unternehmen auch in Krisenzeiten beizustehen (Petersen/ Rajan 1995). Das Unternehmen profitiert hingegen von der Planungssicherheit und Stabilität für die Unternehmensfinanzierung und muss im Rahmen des Relationship Lending seine wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich gegenüber einer einzigen Drittpartei offenlegen.

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

Neben der Informationsasymmetrie stellt das von den mittelständischen Unternehmen nachgefragte Transaktionsvolumen ein weiteres Problem dar, so dass eine direkte Nutzung des Kapitalmarktes als alternative Finanzierungsquelle allein schon aus Kostengesichtspunkten nicht in Frage kommen kann. Das Emissionsvolumen einer Anleihe sollte wenigstens 50 Millionen EUR betragen, um einerseits die erforderliche Liquidität im Markt zu gewährleisten und ferner die Kosten für die Begebung der Schuldverschreibung zu decken. Zudem erfordert eine Kapitalmarktfinanzierung die Bereitschaft zu einer offensiven Informationsweitergabe und transparenten Unternehmensführung, auf deren Basis externe Kapitalgeber ihre Investitionsentscheidung treffen. Neu entstandene „Mittelstandssegmente“ an den deutschen Börsen für Anleihen von mittleren Unternehmen haben sich nicht endgültig etabliert und sind derzeit für den Großteil der Mittelständler keine Finanzierungsalternative (Börner 2013, S. 338 f.). Ferner ist anzumerken, dass Fremdkapital in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern immer noch eine relativ günstige Finanzierungsquelle darstellt. Die Zinsaufwendungen betrugen 2001 bei den kleinen und mittleren Unternehmen gerade zwei Prozent vom Umsatz, bei den Großunternehmen beliefen sie sich sogar nur auf ein Prozent (Deutsche Bundesbank 2003a). Wegen der Wettbewerbssituation unter den deutschen Banken hat sich dieser Tatbestand seitdem nicht grundsätzlich verändert. Hinzu kommt das derzeitig niedrige Zinsniveau, das die Kosten externer Fremdfinanzierung weiter reduziert. In dem beobachtbaren Finanzierungsverhalten mittelständischer Unternehmen spiegelt sich das sogenannte „Pecking-Order-Verhalten“ wider. Die Theorie der Pecking Order, die auf empirischen Beobachtungen beruht, unterstellt, dass Finanzierungsentscheidungen nach einer gewissen „Hackordnung“ getroffen werden, die aus der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer resultiert. Der – besser informierte – Kapitalnehmer präferiert demnach Finanzierungsinstrumente, bei denen der Kontrollverlust am geringsten ausfällt und das Ausmaß an Publizitätsanforderungen und Transparenz so klein wie möglich gehalten werden kann. So bevorzugen die Eigentümer-Unternehmer mittelständischer Firmen aus ihrem Unabhängigkeitsstreben heraus typischerweise zunächst die Innenfinanzierung, gefolgt von der Fremdfinanzierung durch Lieferanten- und Bankkredite. Erst am Ende der Präferenzordnung findet sich die externe Eigenkapitalfinanzierung, da hier der Kontrollverlust und die erforderliche Informationspolitik extrem sind (Myers/Majluf 1984 sowie Mugler 1999). Auch dieser Befund ist ein Element, um den negativen Zusammenhang zwischen Rentabilität und Fremdfinanzierungsintensität zu erklären (Börner et al. 2010).

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3 Baseler Regulierungsreformen und Kreditvergabe 3.1 Basel II Mit der Modifizierung des Akkordes von 1988 hin zu „Basel II“ verfolgte der Baseler Ausschuss vor allem das Ziel, die bisherige pauschalisierte Kreditrisikoerfassung erheblich zu verfeinern, indem Ausleihungen nun in Abhängigkeit der Bonität des Kreditnehmers mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Diese Baseler Eigenkapitalvereinbarung von 2001 wird durch das nun aufgesetzte Reformprojekt „Basel III“ nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern differenziert, verschärft und ergänzt. Basel II und III beruhen auf einem Drei-Säulen-Konzept. Die erste Säule regelt die Unterlegung von Kredit-, Markt- und operationellen Risiken mit Eigenkapital. Die Vorschriften der Säule Zwei beziehen sich auf den Bereich der Überprüfung der Kreditinstitute durch die jeweiligen Aufsichtsbehörden. Die dritte Säule verpflichtet die Banken schließlich zu stark erweiterten Offenlegungspflichten. Um die Auswirkungen von Basel II und Basel III auf die Mittelstandsfinanzierung zu erfassen, seien zunächst die einschlägigen Basel II-Regelungen rekapituliert: Die wesentlichen Änderungen im Vergleich zum vorher gültigen Aufsichtsstandard beziehen sich auf die Vorschriften zur Kreditrisikoerfassung. Vor dem Inkrafttreten von Basel II war die Risikoerfassung von Unternehmenskrediten einheitlich mit einem Risikofaktor von 100 Prozent unabhängig von der Bonität des Kreditnehmers erfolgt, so dass sich mithin in Bezug auf Kosten des regulatorischen Eigenkapitals eine Quersubventionierung der schlechten Darlehensnehmer durch die guten innerhalb des Kreditportefeuilles ergeben hatte. Ferner hatte die pauschale Eigenmittelunterlegung eine Divergenz zwischen dem regulatorischen und dem ökonomischen Eigenkapital verursacht. Gemäß dem neuen Regulierungsstandard erfolgt seitdem die Deckung der übernommenen Risiken grundsätzlich bonitätsabhängig, wobei den Banken zur individuellen Bonitätseinschätzung des Schuldners und der Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung zwei Verfahren zur Verfügung stehen. Neben einem Standardansatz, der auf externen Ratings basiert, kann der so genannte Internal Rating Based Approach (IRBA) in einer Basisvariante oder einem fortgeschrittenen Ansatz für die Berechnung der Eigenmittelunterlegung herangezogen werden. Der Standardansatz stellte lediglich eine Modifikation der vorherigen Regulierungsvorschriften dar. Neu ist ein zusätzliches Risikogewicht von 150 Prozent, um Schuldner mit einer extrem schlechten Bonität risikoadäquater zu berücksichtigen. Gleichzeitig besteht bei besonders gutem Rating die Möglichkeit, Gewichtungsfaktoren von nur 20 oder 50 Prozent zu verwenden. Liegt allerdings kein externes Rating des Kreditnehmers vor, ist das Darlehen wie bisher bonitätsunabhängig mit einem Risikogewicht von 100 Prozent

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

zu versehen. Hier zeigt sich eine grundlegende Schwäche des Standardansatzes, denn folglich ist es für Unternehmen mit schlechter Bonität vorteilhaft, sich nicht einem externen Rating zu unterziehen, um die erhöhten Kreditzinsen aufgrund einer geforderten höheren Eigenmittelunterlegung zu vermeiden (Grundke/Spörk 2003). Tatsächlich wird der Standardansatz von vielen der kleineren und mittleren Banken in Deutschland verwendet. Am 31.12.2013 verfolgten gerade 49 Banken in Deutschland den Ansatz, ein internes Ratingmodell zur Bemessung der regulatorische Eigenkapitalanforderungen heranzuziehen (BaFin 2014, S. 109). Die zunächst prognostizierte flächendeckende Anwendung der auf internen Ratings basierenden Verfahren ist also auf regulatorischer Ebene noch nicht erfolgt. Allerdings werden die – bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken von den jeweiligen Verbänden entwickelten – Ratingverfahren oft bereits für die interne Steuerung und damit auch für die Kreditvergabe eingesetzt. Die betreffenden Banken verzichten aber meistens auf die aufwendige aufsichtsrechtliche Anerkennung dieser Verfahren – insbesondere dann, wenn sie im Einzelfall bei einem schlechteren Kreditportfolio einen Eigenkapitalengpass zeigen würden. Bei Anwendung des IRB-Ansatzes haben Banken die Möglichkeit, ihre eigenen Datensätze über Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlusthöhe zur Quantifizierung der verschiedenen Komponenten des Kreditrisikos zu verwenden. Die eigens von den Banken entwickelten Verfahren und Risikomanagementsysteme müssen allerdings qualitativen Anforderungen genügen und sind von den nationalen Aufsichtsbehörden zu zertifizieren. Der Anreiz, ein eigenes Risikomanagementsystem einzusetzen, liegt insbesondere darin, dass bei der wesentlich individualisierteren und differenzierteren Risikobeurteilung die Eigenmittelunterlegung insgesamt niedriger ausfallen wird und so langfristig Kosten eingespart werden können. Die Basisvariante unterscheidet sich vom fortgeschrittenen Ansatz im Wesentlichen hinsichtlich der Anzahl der Risikokomponenten, die von der Bank intern zu schätzen sind (Hartmann-Wendels et al. 2010, S. 614 ff.). Unabhängig davon, welches Verfahren zur Berechnung der Eigenmittelunterlegung bei den Banken zur Anwendung kommen wird, unterbindet die risikoadjustierte Unterlegung von Krediten mit Eigenkapital die Möglichkeit zur Quersubventionierung und führt letztendlich zu einer veränderten Kreditvergabepolitik und einer stärkeren Spreizung der Kreditkonditionen. Aufgrund ihrer qualitativen und quantitativen Struktur ist bei mittelständischen Unternehmen zu erwarten, dass sie bei den anwendbaren Ratingsystemen in tendenziell niedrigere Klassen eingestuft werden und daher mit erhöhten Kreditkonditionen und/oder einer restriktiveren Kreditvergabe zu rechnen haben. Die KfW hat – wie in der folgenden Abbildung dargestellt – in einer Musterrechnung die typische Bonitätsstruktur eines Musterportfolios einer mittelstandsorientierten Bank ermittelt. Demnach liegt das durchschnittliche Rating zwischen BBB- und BB+ (Taistra et al. 2001). Insofern darf man von einer durchschnittlichen Anrechnung der Mittelstandskredite zu 100 Prozent bzw. – im noch zu erläuternden Retailportfolio – von 75 Prozent ausgehen.

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Christoph J. Börner/Jörg Rühle

Abbildung 3: Bonitätsstruktur des Kreditportfolios einer mittelstandsorientierten Bank 25,0% 22,5% 20,0% 17,5% 15,0% 12,5% 10,0% 7,5% 5,0% 2,5% 0,0% AAA

AA+

AA

AA-

A+

A

A-

BBB+ BBB BBB- BB+

BB

BB-

B+

B

B-

CCC

Quelle: Taistra et al. 2001

Infolge der anhaltenden intensiven Diskussionen um die finanziellen Gefährdungen des Mittelstandes wurden die ersten Baseler Reformvorschläge aus dem Jahre 2000 aber noch dahingehend modifiziert, dass Ausleihungen an Unternehmen dem Retail- oder Mittelstandssegment zugeordnet werden können, wenn sie bestimmten Anforderungen genügen. Zentral für die Zuordnung zum Retailportfolio ist die Voraussetzung, dass das konsolidierte Kreditvolumen an ein Unternehmen den Betrag von einer Million EUR nicht überschreitet. Es erfolgt dann die Verwendung eines reduzierten Risikogewichts in Höhe von nur 75 Prozent. Der Abschlag beruht auf der Überlegung, dass im Retailportfolio eine hohe Anzahl an Krediten mit niedrigen Volumina vorherrscht, so dass eine entsprechend stärkere Risikostreuung vorliegt. Etwa 95 Prozent der Ausleihungen an kleine und mittlere Unternehmen sind diesem Segment zu subsumieren. Die Wahl, ein Retailportfolio zu bilden, bedingt allerdings – unabhängig davon, ob die Bank die Basisvariante oder den fortgeschrittenen IRB-Ansatz anwendet – die bankinterne Schätzung der Risikoparameter Ausfallwahrscheinlichkeit, Verlustquote bei Ausfall sowie die ausstehende Forderungshöhe bei Ausfall auf Basis einer mindestens fünfjährigen Datenhistorie. Ferner gilt die von der Aufsichtsbehörde geforderte Methodik zur Poolbildung für Forderungen des Retailportfolios als anspruchsvoll (Paul et al. 2004). Doch auch oberhalb des Retailportfolios profitiert der Mittelstand von Erleichterungen. In Abhängigkeit von der Firmengröße werden gestaffelte Abschläge auf die Eigenkapitalunterlegungspflicht gewährt, wobei der Jahresumsatz als Orientierungsgröße dient. Die Reduktion der sonst üblichen Risikogewichte beträgt bei Krediten an Unternehmen mit einem Jahresumsatz unter fünf Millionen EUR 20 Prozent. Insgesamt wird der Abzug

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gewährt, solange ein Unternehmen einen Jahresumsatz von 50 Millionen EUR nicht überschreitet, sinkt jedoch mit zunehmendem Umsatz. Im Durchschnitt ist von einem Abschlag von zehn Prozent auszugehen (vgl. Basel Committee on Banking Supervision 2003a sowie Taistra 2003). Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Risikogewicht und Ausfallwahrscheinlichkeit im Rahmen des IRB-Ansatzes: Abbildung 4: Unternehmens- versus Retailkredite im IRB-Ansatz 375% 350% 325% 300%

IRB-Risikogewicht

275% 250% 225% 200% 175% 150% 125% 100% 75% 50% 25% 0%

Ausfallwahrscheinlichkeit

Unternehmen

KMU 5 Mio. € Umsatz

Retail

Status Quo

Quelle: Basel Committee on Banking Supervision 2003a

Die Höhe der Eigenmittel zur Unterlegung der Kreditrisiken lässt sich durch die Hereinnahme von Sicherheiten noch weiter reduzieren. Der Umfang anerkennungsfähiger Sicherheiten wurde durch Basel II erheblich vergrößert. Werden im Standardansatz vorwiegend finanzielle Sicherheiten anerkannt, so können in der Basisvariante des IRBAnsatzes auch Forderungen aus Lieferung und Leistung und unter bestimmten Voraussetzungen auch Sachsicherheiten zur Eigenmittelreduktion anerkannt werden. Im fortgeschrittenen IRB-Ansatz ist das Beibringen sämtlicher Sicherheiten möglich, sofern deren Wirksamkeit und dauerhafte Werthaltigkeit statistisch nachgewiesen werden kann (Basel Committee on Banking Supervision 2003a).

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3.2 Basel III Die Vorschläge zur Überarbeitung der aktuell gültigen Basel II-Normen unter dem Stichwort „Basel III“ haben verschiedene Ansatzpunkte, die das Bankensystem insgesamt stabilisieren sollen. Wenn diese Stabilisierung gelingt, profitieren kleine und mittelständische Unternehmen in besonderer Weise, da sie auf eine verlässliche Finanzierung über Banken angewiesen sind und angewiesen bleiben. Allerdings sind neben diesem eher mittelbaren Zusammenhang unmittelbare, möglicherweise entgegengesetzt wirkende Auswirkungen von Basel III zu untersuchen. Wie bereits erwähnt wurde, ändert sich für die Banken die Erfassung der Risiken aus Krediten an Mittelstandsunternehmen nicht grundsätzlich: Im Kern bleibt es bei einer ratingorientierten Risikoerfassung und -gewichtung. Die risikoabhängige Unterlegung mit Eigenmitteln und das Rating bleiben die zentralen Elemente bei der Kreditvergabe. Allerdings verändern sich Höhe und Zusammensetzung des anrechenbaren Eigenkapitals: Banken werden ceteris paribus mehr und „besseres“ Eigenkapital benötigen, um Risiken eingehen zu können. So steigt die Anforderung von „hartem“ Kernkapital von bislang zwei auf sieben Prozent bzw. die Gesamtkapitalanforderung von acht auf 10,5 Prozent, wenn man jeweils den so genannten Kapitalerhaltungspuffer mit einbezieht. War Basel II für das Bankensystem insgesamt kapitalneutral (Eigenkapitalentlastung für gute, Eigenkapitalbelastung für schlechte Bonitäten), so soll Basel III ganz bewusst das im Bankensektor gebundene Eigenkapital erhöhen (Eigenkapitalbelastung für alle Bonitäten außer Staatsanleihen). Würden die erhöhten Eigenkapitalanforderungen 1:1 auf das Kreditgeschäft der Banken mit mittelständischen Unternehmen übertragen, so würde dieses als eines der riskantesten Bankgeschäfte eingestuft. In der Banken- und Finanzkrise war das Mittelstandsgeschäft indessen stabil und eher „Opfer“ als „Täter“. Insofern sind in Basel III neben den aus Basel II bekannten Erleichterungen für das Retailportfolio weitere quantitative Anpassungen für das Mittelstandsgeschäft etabliert worden. Hierzu wurde über die Eigenkapitalverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) und Eigenkapitalrichtlinie IV (Capital Requirements Directive IV – CRD IV) ein Korrekturfaktor zur Reduzierung der Eigenkapitalanforderungen, die im Zusammenhang mit dem Kreditrisiko von Ausleihungen an KMUs stehen, eingeführt (EZB 2014, S. 106.). So werden die im Mittelstandsgeschäft resultierenden Eigenkapitalanforderungen mit dem Faktor 0,7619 multipliziert, um die ursprünglich zu hinterlegende Kapitalquote nach Basel II von acht Prozent wieder zu erreichen. Damit werden aber nur die quantitativen Veränderungen beim Eigenkapital in Basel III für Ausleihungen an kleine und mittlere Unternehmen neutralisiert. Die qualitativen Verschärfungen gelten auch in diesem Geschäftsfeld, so dass durchaus von insgesamt verschärften Eigenkapitalanforderungen auszugehen ist.

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

Abbildung 5: Eigenkapitalanforderungen nach Basel I, II und III

Quelle: Börner/Schlösser 2011

In Bezug auf die Finanzierung von Mittelständlern stellen sich die Fragen, die bereits vor der Einführung von Basel II diskutiert wurden, erneut und mit verstärktem Gewicht: Kann die Regulierung der Banken über erhöhte Anforderungen an die Eigenkapitalunterlegung nun doch in einer „Kreditklemme“ münden? Wirkt die ratingorientierte Risikogewichtung unter Basel III noch deutlicher prozyklisch? Bei der Beantwortung dieser Fragen sind verschiedene Argumentationsstränge zusammenzubringen: Zwar deuten – wie erwähnt – die Erfahrungen mit Basel II an, dass die Erleichterungen für das „Retailportfolio“ wirksam sind. Selbst in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine generelle Kreditklemme nicht augenfällig geworden. Allerdings muss der Mehrbedarf der Banken an hartem Eigenkapital gedeckt werden, und zwar für das Bankensystem insgesamt wie auch ggf. auf der Ebene der einzelnen Bank. Gelingt dies nicht, muss es zur Verkürzung der Risikoaktiva kommen. So schließt der Baseler Ausschuss selbst nicht aus, dass es im Anpassungsprozess – gerade wenn sich dieser als zu kurz erweisen wird – zu Kreditrationierung kommen könnte. Dagegen hält der Ausschuss eine Kreditklemme im Anschluss an den Anpassungsprozess, also nachdem alle Banken die neuen Vorgaben einhalten, für wenig wahrscheinlich bzw. wenig spürbar. Allerdings wird der aus den qualitativen Verschärfungen resultierende höhere Eigenkapitalbedarf per Saldo die Finanzierungskosten der Banken steigen lassen, obwohl ceteris paribus der Refinanzierungsbedarf der Institute sinkt. Damit zeichnet sich eine Tendenz zu steigenden Kreditzinssätzen für (Mittelstands-) Kunden ab, wenn diese Finanzierungskosten im Wettbewerb weitergegeben werden können (Basel Committee on Banking Supervision 2010a, S. 20 ff.).

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Daneben besteht im zunehmenden Wettbewerb um „teures“ Eigenkapital ein Anreizproblem: Banken werden deutlicher als bisher versuchen, solche Geschäfte zu machen, die niedrige Eigenkapitalunterlegungen induzieren. Da sich die Bonitätsstruktur eines Portfolios von Mittelstandskrediten nicht ändern wird, wird dieses Geschäft immer hohe Kapitalanforderungen nach sich ziehen. Geht man etwa beispielhaft von einem durchschnittlichen Rating aus, das zu einem Anrechnungssatz von 100 Prozent führt (bzw. 75 Prozent im Retailportfolio), so erweisen sich Investitionen in Staatsanleihen (0 Prozent) oder in gut geratete Kapitalmarktprodukte (20 Prozent) als günstiger. Auch dies spricht für tendenziell weiter und deutlich steigende Anforderungen und Zinssätze für Kreditnehmer. So nachvollziehbar diese Argumentation auch scheint und so differenziert und anspruchsvoll die hierfür entwickelten Schätzmodelle auch sind, so schwierig wird es sein, diese Wirkungsprognosen ex post zu belegen. Übergangsfristen, Veränderungen in den gesamtwirtschaftlichen Parametern und Finanzmarktpreisen, strukturelle Unterschiede zwischen Branchen, Ländern und Banktypen werden die empirischen Befunde immer stark beeinflussen. Gleichwohl erscheint es plausibler, von anziehenden Kreditbedingungen unter den Kapitalanforderungen von Basel III auszugehen als das Gegenteil zu unterstellen. Das Problem der Prozyklizität der risikoorientierten Eigenmittelunterlegung wird von Basel III vor allem auf der Ebene der Bankensystemstabilisierung adressiert (vgl. Basel Committee on Banking Supervision 2010c). Banken werden künftig einen Antizyklischen Eigenkapitalpuffer vorhalten müssen, um in Krisenzeiten die Mindestkapitalunterlegung halten zu können (vgl. Basel Committee on Banking Supervision 2010b, S. 9). Auf der Gesamtbankebene mag dies helfen, Kredite auch in Krisenzeiten zu vergeben – allerdings nur, wenn die Bonitätseinschätzungen dies zulassen. Dieser Puffer wird deshalb nichts an der grundsätzlich Prozyklizität typischer Ratingverfahren in den Kreditvergabeentscheidungen und bei der Bewertung von Kreditportfolien verändern, solange die verwendeten Ratingverfahren in weitgehendem Maße auf Vergangenheitsdaten – etwa Jahresabschlüssen – basieren. Andererseits haben Banken heute wie künftig die Möglichkeit, in ihren Ratingverfahren Aspekte wie die Zukunftsaussichten ihrer Kunden stärker zu gewichten, wenn das Ratingverfahren dadurch an Prognosekraft gewinnt. Hilfreich könnte zudem künftig sein, dass der Baseler Ausschuss vorschlägt, die Wertberichtigungen im Kreditportfolio stärker an Durchschnittswerten als an der aktuellen Situation auszurichten. Allerdings stehen solche Regelungen außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Bankenaufsicht, da sie die Rechnungslegung betreffen. Insofern bleibt in diesem Kontext die Reaktion der internationalen Standard-Setter – insbesondere des International Accounting Standards Boards – auf die Erfahrungen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise abzuwarten. Hier wird die Überführung des IAS 39 in den neuen IFRS 9 entscheidend sein (vgl. Basel Committee on Banking Supervision 2009, S. 3).

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

Basel II sah keine bindende Regulierung der Fristentransformation im Anlagebuch der Banken – in dem Kredite an kleine und mittlere Unternehmen gebucht werden – vor. In der zweiten Säule wurde zwar eine Beobachtungs- und Meldekennziffer definiert, um das Ausmaß der Fristentransformation zu identifizieren, daran aber keine Eigenmittelbelegung gebunden. Da sich Fristentransformation aber in der Finanz- und Wirtschaftskrise als erheblicher Risikotreiber erwiesen hat, wird künftig – verpflichtend ab 2018 – eine Strukturkennziffer („Net Stable Funding Ratio“) einzuhalten sein (vgl. Basel Committee on Banking Supervision 2010d). Sie setzt für einen Einjahreshorizont die Refinanzierungsmittel mit einer zuverlässigen Verfügbarkeit von mindestens einem Jahr ins Verhältnis zum Bedarf an langfristiger Refinanzierung für das Aktivgeschäft. Dadurch sollen bei den Banken jenseits der sehr kurzfristigen Liquiditätsvorgaben ein Mindestbestand an langfristiger Refinanzierung durch eine Begrenzung der Fristentransformation auch unter Stress sichergestellt werden. Die exakte Kalibrierung dieser Strukturkennziffer mag sich bis 2018 noch verändern. Nach dem derzeitigen Diskussionsstand fließen Kredite an Unternehmen, die innerhalb eines Jahres fällig werden, zu 50% in den Nenner ein. Kredite an Mittelstandsunternehmen unterliegen insofern künftig einer weiteren unmittelbaren Restriktion. Mittelbar wird sich zudem auswirken, dass durch die Net Stable Funding Ratio die Fristentransformation erschwert wird. Die Funktion der Banken im Wirtschaftssystem – die Finanzintermediation – basiert jedoch strukturell darauf, dass Banken Losgrößen, Risiken und eben auch Fristen transformieren. Wenn im gesamten Bankensystem das Potenzial für Fristentransformation regulatorisch restringiert wird, kann diese Funktion eingeschränkt werden. Vermutlich werden die langfristigen Wirkungen empirisch nicht eindeutig nachweisbar sein; von der Konzeption der Net Stable Funding Ratio her müssten sich aber langfristige Unternehmenskredite deutlich verteuern, wenn es den Banken – vor allem denjenigen, die sich traditionell nicht über Kundeneinlagen, sondern am Geld- und Interbankenmarkt refinanzieren – nicht gelingt, ihre Passivseite anzupassen. Aber auch damit würde die Transformationsfunktion der Banken eingeschränkt. Dies wird die eine langfristige Finanzierung suchenden Mittelstandsunternehmen in besonderer Weise – negativ – betreffen. Basel III sieht – in Ergänzung der risikoorientierten Eigenmittelunterlegungspflicht – auch eine absolute, d.h. risikoinsensitive Begrenzung des Verschuldungsgrades für Banken vor. Diese Leverage Ratio soll drei Prozent nicht übersteigen; sie wird ab 2018 verpflichtend einzuhalten sein. Abstrahiert man von im Einzelfall möglicherweise adversen Anreizeffekten dieser Regelung in Bezug auf einen gesteigerten Risikoappetit der Banken (vgl. Frenkel/Rudolf 2010), so dürften von der Leverage Ratio keine Auswirkungen auf das Mittelstandsgeschäft zu erwarten sein, da die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen zu den höher risikogewichteten Aktiva zählen und insofern die risikogewichtete Eigenkapitalunterlegungspflicht das Risiko- bzw. Kreditvolumen in diesem Geschäftsfeld begrenzen wird, bevor die Leverage Ratio greift. Eine bindende Wirkung der Leverage Ratio ist eher für Banken zu erwarten, die sehr stark in der Staats- und Immobilienfinanzierung tätig sind (DZ Bank 2010).

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4 Wirkungen für die Mittelstandsfinanzierung 4.1 Kreditangebot Schon vor, aber gerade auch während der Umsetzung von Basel II wurden Veränderungen im Kreditvergabeverhalten deutscher Banken untersucht. Verschiedene Analysen konnten nachweisen, dass die Kreditvergabepolitik der Banken gegenüber mittelständischen Unternehmen restriktiver ausgestaltet wurde. Exemplarisch sei hier die Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) von 2005 angeführt, die – wie bereits im Vorjahr – davon berichtete, dass 42 Prozent der befragten Unternehmen eine im Vergleich zum Vorjahr erschwerte Kreditaufnahme beklagen. Differenziert man nach der Unternehmensgröße, konnte gezeigt werden, dass insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen von der restriktiveren Kreditvergabepolitik betroffen sind, wobei die Schwierigkeiten bei der Darlehensaufnahme mit zunehmender Unternehmensgröße sinken. Festgemacht werden die zunehmenden Probleme bei der Kreditaufnahme vor allem an dem Erfordernis der Banken, mehr Sicherheiten zu stellen als bislang sowie an den erhöhten Transparenzanforderungen (KfW 2005). Nun haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit Herbst 2008 zunächst deutlich verschlechtert: Im Zuge der Finanzkrise erlitten Banken hohe Verluste, die einige Institute bis an den Rand der Insolvenz – und im Einzelfall auch darüber hinaus – brachten. Diese Verluste gehen zu Lasten des Eigenkapitals und schränken daher die Potenziale zur Kreditvergabe ein. Über die Eigenmittelunterlegungspflichten – nicht erst seit der Einführung von Basel II – schlagen Verluste aus anderen Geschäften, etwa dem Investmentbanking, auf die Kreditvergabemöglichkeiten durch. Dies kann sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der „realwirtschaftlichen“ Unternehmen auswirken, wenn deren Kreditbedarf nicht mehr befriedigt wird. Allerdings geht in einer Wirtschaftskrise der Kreditbedarf – oder zumindest dessen Wachstum – zurück, weil Lagerbestände abgebaut und Investitionen verschoben werden. Insofern ist das Kreditvolumen sowohl von der Nachfrage- als auch von der Angebotsseite her zu betrachten, wenn man der Frage nach einer möglichen „Kreditklemme“ nachgeht. In diesem Kontext wirkt sich ein zweites Konstruktionselement von Basel II/III aus: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten geht die Bonität der Kreditnehmer im Durchschnitt zurück. Da Banken in ihren Ratings die aktuelle wirtschaftliche Situation berücksichtigen müssen, weil gefordert ist, ein „Point-in-time-Rating“ zu erstellen, steigen in der Krise die Eigenmittelunterlegungspflichten (Terberger 2002). Damit wird nicht nur das Kreditvergabepotenzial eingeschränkt, sondern es erhöhen sich auch die Kreditanforderungen

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und die Kreditzinsen bei Neuabschlüssen. Banken dürfen in ihrem internen Ratingprozess nicht von einer durchschnittlichen konjunkturellen Situation ausgehen, wie dies bei einem „Through-the-cycle-Rating“ externer Ratingagenturen der Fall ist. Aus der Verschlechterung der Portfoliostruktur wird eine prozyklische Wirkung von Basel II/III gefolgert, die in der öffentlichen Diskussion zur vereinzelten Forderung führte, die neuen Regulierungsstandards zeitweilig auszusetzen. Versucht man die Frage zu beantworten, wie bedeutsam die Prozyklizität von Basel II für die Kreditvergabe ist, sieht man sich komplexen Zusammenhängen gegenüber. So sind Strukturen und konjunkturelle Wirkungen auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite zu berücksichtigen. Eine Aussage ist letztlich nur in einer Längsschnittanalyse über viele Zeitpunkte möglich. Eine solche Analyse legt die KfW-Bankengruppe vor. Sie ist von grundsätzlicher Relevanz für die Einschätzung der Auswirkungen von Basel II auf die Kreditvergabe in Deutschland (KfW 2010). Die Studie geht davon aus, dass es immer ein gewisses, normales Maß an Kreditrationierung gibt. Dies resultiert daraus, dass Banken bei einer Erhöhung des Kreditzinses aufgrund asymmetrisch verteilter Informationen Kreditnehmer mit höheren Risiken attrahieren, die sie nicht hinreichend genau von Kreditnehmern mit geringen Risiken unterscheiden können. Deshalb bewirkt der Preismechanismus nicht, dass Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden. Insofern wird es bei einem gegebenen Zinssatz eine Überschussnachfrage nach Krediten geben (Stiglitz/Weiss 1981). Als „Kreditklemme“ wird die Situation definiert, dass diese Kreditrationierung deutlich höher als im zeitlichen Durchschnitt ausfällt, also nach einer Korrektur um Konjunktur und Bonität außerordentlich viele Kreditgesuche abgelehnt werden. Ausgewertet werden die Jahre 2005 bis 2009. Hauptergebnis ist, dass bis zum Jahre 2009 trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise keine solchermaßen definierte Kreditklemme vorliegt, obwohl die Anzahl der Kreditverweigerungen zunimmt. Für das Jahr 2010 wird die Möglichkeit einer Verschärfung konstatiert, vor allem auch, weil sich dann erst die schlechten Unternehmensergebnisse des Jahres 2009 über die Jahresabschlüsse auf die Ratings auswirken. Diese Verschärfung blieb aus, weil sich die konjunkturelle Situation bereits 2009 wieder erholte. Neben diesen zeitpunktbezogenen Befunden ermittelt die Studie aber auch noch generelle Einflussfaktoren auf die Ablehnungswahrscheinlichkeit. Hier bestätigt sich die Vermutung, dass bonitätsstarke Unternehmen seltener von Kreditablehnungen betroffen sind als bonitätsschwächere Unternehmen. Vor allem die Umsatzrendite, die Eigenkapitalquote und die Gesamtkapitalrentabilität sind hierbei erklärende Variablen für die Bonität. D.h., dass in der Krise für die schwächeren Unternehmen nicht nur die Kreditzinsen steigen, sondern dass sie auch eher als stärkere Unternehmen befürchten müssen, von Bankkrediten abgeschnitten zu werden.

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Die Autoren der Studie bilden drei Bonitätsklassen „hoch“, „mittel“ und „niedrig“. Auf dieser Basis ergibt sich für Unternehmen mit niedriger (mittlerer) Bonität im Vergleich zu Unternehmen mit hoher Bonität eine 16-fach (5-fach) höhere Wahrscheinlichkeit der Kreditablehnung. Diese Werte haben sich aber in der Krise nicht signifikant erhöht, sondern gelten über die Gesamtperiode. Sie unterstreichen damit die Bedeutung, die dem Rating inzwischen zukommt. Ein weiteres Ergebnis von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass – auch bonitätsbereinigt – sehr kleine Unternehmen (z.B. weniger als fünf Mitarbeiter) deutlich wahrscheinlicher Kreditrationierung erfahren als nur etwas größere Unternehmen. D.h., dass für sehr kleine Unternehmen die Bonitätsanforderungen ungleich höher sind, um sich sicher finanzieren zu können. Durch die erhöhten Eigenkapitalanforderungen nach Basel III wird sich dieser Zusammenhang verstärken.

4.2 Kreditvergabeprozess und Rating Wie bereits dargelegt, stehen den Banken seit Basel II zwei Ansätze zur Verfügung, das individuelle Kreditrisiko eines Schuldners im Rahmen eines Ratings zu quantifizieren. Grundsätzlich stellt das Rating eine systematische Analyse der Stärken und Schwächen des kreditsuchenden Unternehmens dar, wobei das Ratingergebnis die Meinung der Ratingagentur über die Wahrscheinlichkeit der zeitgerechten und vollständigen Bezahlung der Zins- und Tilgungsleistungen des Schuldners wiedergibt. Üblicherweise wird das Kreditengagement einer Ratingkategorie zugeordnet, die einem gewissen Ausfallrisiko entspricht, welches aufgrund einer Auswertung historischer Zeitreihen, bei denen Ratingergebnisse mit Kreditausfallereignissen verknüpft werden, ermittelt wurde. Für die Berechnung werden statistische Verfahren eingesetzt. Die solchermaßen erstellte Prognose bezieht sich zumeist auf einen Zeithorizont von einem Jahr. Ratingagenturen stellen die einzelnen Ratingkategorien durch Buchstaben- oder Buchstaben/Zahlen-Kombinationen dar. Die nachfolgende Tabelle zeigt die verwendeten Notationen der Ratingagenturen Standard and Poors sowie Moody’s und die jeweilige Interpretation der Risikokategorie. Ein Rating von BBB- oder besser wird als Investment-Grade bezeichnet, während die Ratingklassen darunter den Non-Investment-Grade oder auch SpeculativeGrade betreffen.

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Tabelle 1: Ratingkategorien Symbol

Grade

Ratingagentur

Interpretation (S&P)

Moody’s

AAA

Aaa

Highest Quality: Außergewöhnlich große Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung.

AA+

Aa1

High Quality: Sehr große Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung. Nur geringe Unterschiede zur höchsten Bewertungsstufe.

AA

Aa2

AA-

Aa3

A+

A1

A

A2

Strong Payment Capacity: Starke Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung. Etwas anfälliger gegenüber Veränderungen der äußeren Umstände und wirtschaftlichen Bedingungen.

A-

A3

BBB+

Baa1

BBB

Baa2

BBB-

Baa3

BB+

Ba1

BB

Ba2

BB-

Ba3

B+

B1

B

B2

B-

B3

CCC+

Caa

Current (high) Vulnerability to Default: Aktuell nachweisbare Anfälligkeit für Zahlungsverzug. Zur fristgerechten Zins- und Tilgungsleistung sind günstige Geschäfts-, Finanz- oder Wirtschaftsbedingungen zwingend erforderlich. Sonst ist es unwahrscheinlich, dass Zins- und Tilgungsleistungen fristgerecht erbracht werden können. (Moody’s: In default)

C

Ca

D

D

In Bankruptcy, or other marked Shortcoming: Zahlungsverzug vorhanden oder Insolvenzverfahren beantragt. Zins- und Tilgungsleistungen sind am Fälligkeitstermin nicht erfolgt (C/Ca bei noch bedienten nachrangigen Verbindlichkeiten).

CCCCC+

Adequate Payment Capacity: Ausreichende Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung. Ausreichende Schutzparameter vorhanden, jedoch könnten nachteilige wirtschaftliche Bedingungen zu verminderter Zahlungsfähigkeit führen. Likely to fulfill Obligations: Ongoing Uncertainty: Aktuelle Unsicherheiten durch nachteilige Geschäfts-, Finanz- oder Wirtschaftsbedingungen vorhanden, die zu einer unzulänglichen Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung führen könnten. Geringere kurzfristige Anfälligkeit als bei den schlechteren Einstufungen. High Risk Obligations: Höhere Anfälligkeit. Gegenwärtig Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung vorhanden. Jedoch wahrscheinlich, dass nachteilige Geschäfts-, Finanz- oder Wirtschaftsbedingungen die Fähigkeit zur Zins- und Tilgungsleistung beeinträchtigen werden.

Speculative grade

CCC

Investment grade

S&P

CC CC-

Quelle: Moody’s, Standard & Poors

In Abhängigkeit davon, wer das Rating durchführt, lässt sich zwischen einem externen und einem internen Rating differenzieren. Die Durchführung eines externen Ratings erfolgt auf Initiative des Unternehmens hin und wird von einer Ratingagentur vorgenom-

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men. Bekannte Anbieter externer Ratings sind Moody‘s, Standard and Poor‘s oder Fitch IBCA. Allerdings ist die Analyse des Unternehmens durch solch eine renommierte Agentur mit Kosten von mindestens 50.000 EUR verbunden und kommt daher für die meisten Mittelständler nicht in Betracht. Hier würden sich stattdessen nationale Agenturen anbieten, die sich auf das Rating mittelständischer Betriebe spezialisiert haben. Solche Agenturen existieren, haben aber bislang keine wirkliche Marktbedeutung erlangt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die meisten Banken, zumindest für die interne Steuerung, ein internes Rating verwenden. Der Vorteil eines externen Ratings liegt grundsätzlich vor allem darin, dass das geprüfte Unternehmen eine detaillierte Analyse seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhält. Da üblicherweise eine Veröffentlichung des Ratingergebnisses erfolgt, dient das Rating bei der Emission verbriefter Verbindlichkeiten externen Kapitalgebern als wichtiges Beurteilungskriterium. Renommierte Agenturen verwenden zur Bonitätsanalyse ähnliche Methoden, so dass externe Ratings untereinander vergleichbar sind und damit neben der absoluten Informationsfunktion – die eigentliche Bonitätseinschätzung des Unternehmens – auch eine relative Informationsfunktion erfüllen, die dem internen Rating der Banken fehlt (Everling 2002). Ein internes Rating erfolgt auf Initiative einer Bank hin und wird von der Bank durchgeführt; eine externe Agentur wird nicht eingeschaltet. Der Einsatz interner Ratingverfahren findet bei allen Banken im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung schon seit vielen Jahren statt. Im Zuge der Reformierung der Eigenkapitalvorschriften wurden und werden die bisherigen Verfahren nun den Anforderungen entsprechend angepasst, wobei die Systeme von der nationalen Aufsichtsbehörde zertifiziert werden müssen. Anders als das externe Rating, welches eine durchschnittliche Konjunkturlage unterstellt, müssen Banken im internen Ratingprozess von der aktuellen makroökonomischen Situation ausgehen („Point-in-time-Rating“). Innerhalb eines zulässigen Rahmens unterscheiden sich die einzelnen Ratingsysteme somit voneinander. Vorgeschrieben sind zumindest sieben Ratingklassen für nicht-notleidende Kredite und eine Klasse für notleidende Kredite. Das Ratingergebnis eines internen Verfahrens wird üblicherweise nicht veröffentlicht. Ebenso wenig ist dem gerateten Unternehmen der Ratingprozess und die Gewichtung der Ratingkriterien bekannt, so dass es nur schwer Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten aus der Analyse ableiten kann. Auch wenn die Banken die Option haben und derzeit häufig noch nutzen, zur Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung den Standardansatz unter Verwendung externer Ratings einzusetzen, ist davon auszugehen, dass die Kreditinstitute bestrebt sind, im operativen Geschäft den internen Ratingansatz zu verwenden, da nachgewiesen werden konnte, dass dadurch die Höhe der geforderten Eigenmittelunterlegung reduziert werden kann. Folglich werden künftig alle kreditsuchenden Unternehmen zumindest einem internem Rating unterzogen. Das zusätzliche Einholen eines externen Ratings obliegt dem Kosten-Nutzen-Kalkül des Unternehmens und muss für den Einzelfall entschieden werden.

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Sämtliche Ratingverfahren beruhen auf der Analyse quantitativer und qualitativer Faktoren. Kriterienkataloge sind regelmäßig branchenspezifisch ausgerichtet, um die jeweiligen Besonderheiten der Erfolgs- und Risikofaktoren angemessen zu berücksichtigen. Zentrale quantitative Aspekte stellen neben der Cashflow-Rechnung insbesondere finanzwirtschaftliche Kennzahlen dar, während sich die qualitative Untersuchung mit den sogenannten „Soft Facts“ beschäftigt, also den individuellen Stärken und Schwächen des Unternehmens, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen. Bedeutsam sind hier beispielsweise das Management, die Marktstellung, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Geschäftsstrategie. Mittelständische Unternehmen werden zumeist aufgrund ihrer Besonderheiten beim Rating an der Grenze zwischen Investment- und Non-Investment-Grade eingestuft. Da sie typischerweise auf eher kleinen Märkten agieren und Nischenstrategien verfolgen, erhöhen die Konzentration auf wenige Produkte und Kunden sowie die häufig regionale Ausrichtung des Geschäftsfeldes die Krisenanfälligkeit. Ferner stellen die fehlende Bereitschaft zu einer transparenten Geschäftstätigkeit, verschachtelte Unternehmensstrukturen, der Größennachteil, die Personenabhängigkeit, das Problem der Unternehmensnachfolge und die Abhängigkeit von der Hausbank weitere Risikofaktoren dar, die das Rating negativ beeinflussen können. Verschiedenen Studien zufolge setzen sich mittelständische Unternehmen verstärkt mit der Rating-Thematik auseinander. Als Informationsquelle dienen Banken, Unternehmensverbände, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Veröffentlichungen der Presse. Nach der Fixierung der neuen Regulierung hat sich der Informationsstand zunächst verbessert: 2005 gaben knapp zwei Drittel der mittelständischen Betriebe an, die Ratingkriterien ihrer Bank zu kennen (KfW 2005). Zugleich war für immerhin noch durchschnittlich 30 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen ein unzureichender Kenntnisstand hinsichtlich des Ratingprozesses festzustellen. Diese Situation hat sich, mit allerdings stark abnehmender Dynamik in den Jahren 2008 und 2009, kontinuierlich verbessert. Eine neuere Umfrage (KfW 2009) lässt den Schluss zu, dass rund 80 Prozent der deutschen Unternehmen wissen, dass sie einem Rating unterzogen werden, und sie kennen die verwendeten Kriterien und ihre Ratingnote. Diese Studie konstatiert jedoch auch erhebliche Unterschiede zwischen kleineren und größeren Unternehmen. So sind die umsatzstärkeren Unternehmen insgesamt über die Durchführung, den Ablauf und die Bedeutung des Ratings besser informiert als kleinere Unternehmen. Genau diese haben aber cum grano salis weniger Finanzierungsinstrumente zur Auswahl, d. h., sie sind stark auf die Banken angewiesen. Dementsprechend fordern insbesondere diese Unternehmen eine bessere Information und Rating-Beratung der Banken ein, während die größeren Unternehmen zufrieden mit ihrem Wissensstand und der Beratung der Leistungen rund um das Thema Rating sind: Im Schnitt bestätigen 40 Prozent der befragten Unternehmen eine ausreichende Ratingkommunikation. Bei den Unternehmen mit

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Umsätzen von bis zu 1 Mio. EUR (zwischen 1 und 2,5 Mio. EUR) sind dies aber nur knapp 26 Prozent (34,2 Prozent), während bei den Unternehmen mit Umsätzen von mehr als 50 Mio. EUR mehr als 62 Prozent zufrieden sind (KfW 2009, S. 29).

4.3 Konsequenzen für den Mittelstand Basel II hat das Verhalten der Banken im Kreditgeschäft strukturell verändert. Dieser Veränderungsprozess wird durch Basel III in die gleiche Richtung fortgeführt, aber deutlich verstärkt. Während Großunternehmen eine Vielzahl an alternativen Finanzierungsinstrumenten als Substitut oder zumindest als Ergänzung zum Bankkredit in Betracht ziehen können, ist und bleibt ein Bankkredit für die kleinen und mittleren Betriebe die wichtigste Form der Außenfinanzierung. Folglich ist eine aktive und dauerhafte Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen bei der Kreditvergabe für alle Unternehmen unabdingbar. Im Vordergrund steht hierbei unter Basel III wie unter Basel II die Bonitätseinstufung des Kreditnehmers, auf deren Grundlage die Kreditrisikoerfassung beruht und über die Kreditverfügbarkeit sowie die Kreditkonditionen entschieden wird. Während unter Basel II Unternehmen mit guter Bonität im Rahmen der Konditionenspreizung von günstigeren Kreditzinsen profitieren können und sich Firmen mit einem eher schlechten Rating mit einer teureren Mittelaufnahme oder im negativsten Fall mit einer Verweigerung der Kreditvergabe rechnen müssen, ist unter Basel III von einem Anstieg der Zinssätze über alle Ratingkategorien, aber weiterhin mit einer gravierenderen Auswirkung im unteren Bereich auszugehen. Mittelständische Unternehmen sind daher gefordert, sich strategisch und intensiv mit dem Ratingprozess auseinanderzusetzen und entsprechende Vorbereitungs- und Anpassungsmaßnahmen einzuleiten, um von den Vorteilen eines guten Ratings profitieren zu können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die kleinen und mittleren Unternehmen die erhöhten Anforderungen an Offenheit und Transparenz erfüllen und die notwendigen Informationen strukturiert und vollständig zur Verfügung stellen. Ferner ist für ein gutes Rating eine hohe Eigenkapitalbasis von entscheidender Bedeutung. Mehr denn je wird eine strategisch ausgerichtete Eigenkapitalpolitik zum Erfolgsfaktor für die Fremdfinanzierung. Auch wenn der Bankkredit das wichtigste Außenfinanzierungsinstrument für mittelständische Unternehmen darstellt, dessen Bedeutsamkeit wohl auch in nächster Zukunft trotz Basel III nicht geschmälert wird, können andere Finanzierungsquellen auch für kleine und mittlere Betriebe durchaus eine Alternative darstellen. Offenkundig nimmt die Nutzung von Leasing und Factoring zu, während die positiven Erwartungen für Mezzanine-Kapital, Private Equity und Asset-backed Securities sowie Mittelstandsanleihen nur beschränkt bzw. vorübergehend erfüllt wurden. Hier bleibt abzuwarten, wie sich Angebot und Nachfrage weiter entwickeln. Zu erwarten ist, dass die Konditionen bei

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diesen Programmen deutlicher risikoadjustiert sein werden. Vor allem im Bereich standardisierten Mezzanine-Kapitals hat sich gezeigt, dass solche Finanzierungsformen bei niedriger Verzinsung für Mittelständler attraktiv sind, den Investoren aber Verluste bringen und insofern die notwendige Anschlussfinanzierung kritisch wird. Ähnliches lässt sich für Mittelstandsanleihen vermuten. Insofern ist insgesamt nicht von grundsätzlich geänderten Finanzierungsmustern bei kleinen und mittleren Unternehmen auszugehen. Die Innenfinanzierung wird auch weiterhin als wichtigste Finanzierungsquelle einzustufen sein, gefolgt vom Bankkredit. Bei den alternativen Finanzierungsinstrumenten ist das Leasing von größter Bedeutsamkeit, aber mit engem Branchenfokus auf anlagenintensive Industrien.

5 Fazit So wie Basel II letztlich umgesetzt wurde, bedeutete es keine grundsätzliche Benachteiligung für mittelständische Unternehmen. Ob Gleiches auch für Basel III gilt, erscheint jedoch fraglich. Die Eigenkapitalanforderungen steigen deutlich, benachteiligen Mittelstandskredite gegenüber manchen Kapitalmarktprodukten und beschränken die Fristentransformation. So ist zu konstatieren, dass sich die kleinen und mittleren Betriebe auf eine sich weiterhin verändernde Kreditvergabepraxis der Banken einstellen müssen, die allerdings nicht allein auf die Reform der Eigenkapitalvorschriften, sondern auf viele Faktoren zurückzuführen ist. Auf Unternehmensseite ist hierbei die Vorbereitung auf das bankinterne Rating und den damit verbundenen gestiegenen Informationsanforderungen vorrangig. Unabdingbar für ein gutes Rating ist eine angemessene Eigenkapitalquote, wie gerade die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt. Da die Stärkung des Eigenkapitals nicht in jeder Konjunkturphase über die Gewinnthesaurierung erreichbar ist, muss im Einzelfall für den Ausbau der Eigenmittel über externe Quellen erfolgen. In jedem Fall müssen wirtschaftlich gute Zeiten genutzt werden, um das Eigenkapital zu verstärken. Die stärkere Fokussierung auf den Finanzbereich des Unternehmens mit einer professionellen Ausgestaltung des Rechnungswesens und des Controllings sollte in einer Differenzierung und strategischen Optimierung der Kapitalstruktur münden, indem weitere Finanzierungsquellen als Alternativen zum Bankkredit rational in die Finanzierungsentscheidungen einbezogen werden. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch, dass nicht nur auf der Unternehmensseite, sondern auch bei den Anbietern von Finanzmitteln Anpassungsbedarf besteht. Die Banken sind in diesem Zusammenhang dazu angehalten, nicht nur als Kapitalgeber zu fungieren, sondern die kleinen und mittleren Betriebe bei ihrer strategischen Kapitalstrukturoptimierung beratend zu unterstützen. Das verlangt allerdings eine Ausweitung des Leistungsprogramms der Kreditinstitute und erfordert eine Abkehr von

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standardisierten Kreditfinanzierungsprodukten hin zu einer differenzierten Beratungsleistung und Entwicklung spezieller Finanzierungsstrategien, die auch alternative Finanzierungsinstrumente umfassen. Diese werden aber immer nur eine Ergänzung im Finanzierungswege-Mix bleiben können.

Literatur BaFin (2014): Jahresbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2013, Bonn. Basel Committee on Banking Supervision (2003a): Die neue Baseler Eigenkapitalvereinbarung, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2009): Guiding principles for the replacement of IAS 39, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2010a): An assessment of the long-term economic impact of stronger capital and liquidity requirements, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2010b): The Basel Committee’s response to the financial crisis: report to the G20, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2010c): Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (2010d): Basel III: International framework for liquidity risk measurement, standards and monitoring, Basel. Börner, Chr. J. (2013): Finanzierung, in: Betriebswirtschaftslehre der Mittel- und Kleinbetriebe, hrsg. von Hans-Christian Pfohl, 5. Auflage, Berlin 2013, S. 311-346. Börner, Chr. J./Grichnik, D./Reize, F. (2010): Finanzierungsentscheidungen mittelständischer Unternehmer – Einflussfaktoren der Fremdfinanzierung deutscher KMU, in: zfbf – Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 62. Jahrgang (2010), Seite 228-251. Börner, Chr. J./Schlösser, T. (2011): Auswirkungen von Basel III auf die Mittelstandsfinanzierung. Langfristige Kredite werden zu einem Problem, in: Betriebswirtschaftliche Blätter, 60. Jg. (2011), Heft 10, Seite 569-572. Creditreform (2014): Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand. Frühjahr 2014, ohne Ort.

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Auswirkungen der Baseler Reformen auf die Finanzierungssituation mittelständischer Unternehmen in Deutschland

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459

Christoph J. Börner/Jörg Rühle

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460

III Technische Standards in der Bankenregulierung und Rechtsrahmen für den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus in der Eurozone

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden Dirk Jäger/Martin Boegl

1 Hintergrund 2 Harmonisierung der Bankenregulierung in der EU – Single Rule Book 3 Veränderte Normsetzungskompetenzen 4 Aufbau der EBA 5 Aufgaben und Befugnisse der EBA 6 Ausarbeitung technischer Standards 7 Besonderheiten bei Regulierungsstandards (RTS) 8 Leitlinien und Empfehlungen 9 Questions-&-Answer-Prozess der EBA 10 Zusammenfassung und Ausblick

463

464

1

Hintergrund

Als eine Konsequenz der Finanzmarktkrise hat die Europäische Kommission 2008 den früheren französischen Zentralbankchef Jacques de Larosière unter anderem damit beauftragt, die damals bestehenden Aufsichtsstrukturen zu überdenken und Vorschläge für eine Neuordnung zu machen. Auf Grund der Empfehlungen des De-Larosière-Berichts1 wurde ein europäisches Finanzaufsichtssystem (ESFS) geschaffen. Es besteht aus drei europäischen Aufsichtsbehörden (European Banking Authority – EBA, European Securities and Markets Authority – ESMA und European Insurance and Occupational Pensions Authority – EIOPA)2 sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB). Die drei Aufsichtsbehörden sollten vor allem normsetzend tätig werden, um einheitliche Aufsichtsstandards sicherzustellen. Mittel hierfür ist neben dem Erlass von Leitlinien und Empfehlungen vor allem die Ausarbeitung technischer Standards. Diese technischen Standards stellen ohne weiteren nationalen Umsetzungsakt unionsweit verbindlich geltendes Recht dar, das sowohl von den Instituten als auch von den jeweiligen Aufsichtsbehörden befolgt werden muss. Ihnen kommt künftig ganz erhebliche Bedeutung zu.

2 Harmonisierung der Bankenregulierung in der EU – Single Rule Book Im Laufe der Weiterentwicklung der europäischen Aufsichtsstrukturen wurde neben der Schaffung der neuen Behörden die Harmonisierung der Aufsichtsregeln als notwendig erkannt. Dies gilt gleichermaßen für primärrechtliche Normen (so genannte Level 1Maßnahmen) wie beispielsweise dem CRD IV-Paket, als auch für sekundärrechtliche Vorschriften (so genannte Level 2-Maßnahmen), wie zum Beispiel technische Standards. Denn die Finanzkrise hatte vor Augen geführt, dass viele europäische Vorschriften – vorwiegend Richtlinien, die in den jeweiligen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen – auf einzelstaatlicher Ebene sehr unterschiedlich weiter konkretisiert wurden. Dies war deshalb möglich, weil Richtlinien nur hinsichtlich ihrer Ziele und Fristen verbindlich sind, die detaillierte Umsetzung aber jedem Mitgliedsstaat vorbehalten ist. Selbst bei harmonisierten Vorschriften war die Anwendung und Auslegung innerhalb der EU-Staaten sehr uneinheitlich, was zu unterschiedlichen Aufsichtsniveaus und letztlich zu Regulierungsarbitrage führte.

1 2

http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/de_larosiere_report_de.pdf. Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen auf die EBA. Der Prozess zur Ausarbeitung und Erlass technischer Standards ist jedoch bei allen drei ESAs nahezu identisch ausgestaltet.

465

Dirk Jäger/Martin Boegl

Um den erkannten Missständen entgegenzuwirken, wurde ein einheitlicher Aufsichtsrahmen für die gesamte EU geschaffen, ein sogenanntes Single Rule Book. Es stellt sicher, dass für alle Marktteilnehmer gleiche regulatorische Bedingungen gelten. So werden Vergleichbarkeit, Klarheit und Transparenz sichergestellt und die Voraussetzungen für ein Level Playing Field für die Institute geschaffen. Die EU-weite Harmonisierung und Vereinheitlichung der Aufsichtsregelungen wird insbesondere durch verbindliche, in jedem Mitgliedsstaat einheitlich und unmittelbar geltende Verordnungen erreicht. Diese müssen nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, womit auch der bislang bestehende Gestaltungsspielraum bei der Richtlinienumsetzung abgeschnitten wird. Abbildung 1: Die Basel III-Umsetzung erfolgt durch eine Verordnung (CRR) und eine Richtlinie (CRD IV) „CRD IV-Paket“ KOM+ Rat + EP

Verordnung (CRR I)

Richtlinie (CRD IV)

European Banking Authority (EBA)

Nationaler Gesetzgeber

Adressaten

(Entwürfe) Technischer Standards

Kreditwesengesetz, Verordnungen

Wirksamkeit auf nationaler Ebene

Bei der europäischen Umsetzung der Basel III-Vorgaben durch das CRD IV-Paket wurde nun von dem Instrument der Verordnung Gebrauch gemacht: In der Capital Requirements Regulation (CRR) wurden große Teile (Säule 1 und 3 von Basel) der bislang als Richtlinie (Capital Requirements Directive, CRD III) erlassenen Regelungen überführt. Mit in die CRR aufgenommen wurden ferner eine Vielzahl neuer Normen, beispielsweise zur Liquidität, zum Leverage, Vorschriften zur Corporate Governance und zu antizyklischen Kapitalzuschlägen. Sanktionsregelungen und Normen des bankaufsichtlichen Überwachungsprozesses (Säule 2 von Basel) werden hingegen weiter durch eine Richtlinie (Capital Requirements Directive, CRD IV) geregelt, die in nationales Recht umzusetzen ist. In diesen Bereichen, wie beispielsweise dem der nationalen Hoheitsgewalt unterliegenden Sanktionsregime, bleibt es weiter möglich, bei der Umsetzung im Rahmen der durch die in der Richtlinie vorgegebenen Ziele national unterschiedliche Regelungen zu implementieren. Geschaffen werden aber wenigstens gewisse Mindestniveaus.

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Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

Abbildung 2: Harmonisierung der Bankenregulierung – Single Rule Book

Single Rule Book

Verordnungen, technische Standards, delegierte Rechtsakte Unmittelbar EU-weit geltendes Recht

Richtlinien Verbindlich bzgl. Zielen und Frist Jedoch Wahlrecht bei Form und Mittel Leitlinien und Empfehlungen Rechtlich nicht verbindlich, jedoch „Comply or explain Mechanismus“

3 Veränderte Normsetzungskompetenzen Nicht nur aus der beschriebenen Umsetzung der Baseler Regelungen durch die CRR und deren unmittelbare Geltung verändern sich die Normsetzungskompetenzen auf europäischer und nationaler Ebene. Auch die Befugnis der Kommission, delegierte Rechtsakte nach Artikel 290, 291 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu erlassen, ermöglicht dieser rechtssetzend tätig zu werden. Hierdurch kommt der Kommission großer Gestaltungsspielraum zu, unter anderem, um die ohnehin komplexen Regelungswerke von detaillierten Normierungen frei zu halten. Dies gilt auch für die in vielen EU-Regelungswerken, wie beispielsweise der CRR und CRD IV, und anderen Richtlinien aufgenommene Befugnis der Kommission zum Erlass von technischen Standards, die ein „Unterfall“ von delegierten Rechtsakten nach Artikel 290, 291 AEUV sind. Durch sie tritt eine weitere ganz wesentliche Änderung ein: Die unmittelbare Geltung technischer Standards als Verordnung bewirkt, dass der Einfluss nationaler Normsetzer und die Möglichkeit bei der Rechtssetzung gestalterisch tätig zu sein, entfällt.

467

Dirk Jäger/Martin Boegl

4 Aufbau der EBA Bevor im Weiteren auf die technischen Standards und das Verfahren zu deren Erlass eingegangen wird, soll ein kurzer Überblick über die Rechtsgrundlage der EBA, deren Aufbau sowie über die Aufgaben und Befugnisse der EBA bei der Standardsetzung gegeben werden.3 Rechtsgrundlage der EBA ist die EBA-Verordnung.4 Neben der Struktur und den Aufgaben der EBA werden in ihr auch das Instrument des technischen Standards normiert und das grundsätzliche Verfahren von der Befugnisübertragung bis hin zur Veröffentlichung im Amtsblatt der EU festgeschrieben. Das zentrale Beschlussorgan der EBA ist der Rat der Aufseher (Board of Supervisors). Ihm kommt insbesondere die Aufgabe zu, Beschlüsse im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der technischen Standards oder dem Erlass von Leitlinien und Empfehlungen zu fassen. Ferner wurde bei der EBA eine Banking Stakeholder Group geschaffen. Ausweislich Artikel 37 Absatz 1 EBA-Verordnung wird die Gruppe eingerichtet, um die Konsultation von Interessenvertretern in Bereichen, die für die Aufgaben der Behörde relevant sind, zu erleichtern. Die Stakeholder Group kann zu jedem Thema, das mit den Aufgaben der EBA zusammenhängt, der Behörde gegenüber Stellung nehmen oder Ratschläge erteilen, wobei der Schwerpunkt auf der Entwicklung von technischen Standards sowie dem Erlass von Leitlinien und Empfehlungen liegt. Daneben verfügt die EBA über ein Sekretariat, das deren Arbeit unterstützt und organisiert. Ihm steht der Exekutivdirektor vor. Um die Arbeit fachlich begleiten zu können, hat die EBA eine recht weit untergliederte Organisation in Standing Committees, Subgroups, Taskforces und Networks. In ihnen ist die EBA regelmäßig mit thematisch zuständigen Mitarbeitern vertreten. Die weiteren Teilnehmer werden von den nationalen

3

4

468

Vgl. weitergehend zu den Einzelheiten des Aufbaus der EBA: Boegl, Neue Strukturen in der Normsetzung, Die Bank 5/12, S. 14 ff. Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, Abl. L 331 vom 15. Dezember 2010, S. 12 ff. geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1022/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich der Übertragung besonderer Aufgaben auf die Europäische Zentralbank gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013, Abl. L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 5 ff.

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

Aufsichtsbehörden gestellt, was wiederum ermöglicht, die unterschiedlichen Aufsichtsansätze und Best Practice Methoden zu identifizieren und in die europäische Normsetzung der EBA einfließen zu lassen.

5 Aufgaben und Befugnisse der EBA Die EBA ist Teil eines komplizierter werdenden Systems von nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden. Durch die Übertragung der Verantwortung für die Bankenaufsicht in der Eurozone auf die Europäische Zentralbank (EZB) sind nunmehr sowohl die EZB als auch die nationalen Aufsichtsbehörden im Rahmen des Single Supervisory Mechanism (SSM)5 zuständig. Dabei werden die „bedeutenden“ Banken direkt von der EZB beaufsichtigt, während „weniger bedeutende“ Institute nach wie vor von den nationalen Behörden überwacht werden. Für die Nicht-Euro-Staaten, die von der Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme am SSM (so genannte opt-in-Möglichkeit) keinen Gebrauch machen, ergeben sich keine Änderungen: Die nationalen Behörden sind weiterhin zuständig für die Durchführung der Aufsichtstätigkeit. Im Unterschied zu den eben skizzierten Zuständigkeiten für die Aufsichtstätigkeiten kommt der EBA für alle EU-Mitgliedsstaaten vor allem die Aufgabe zu, ein einheitliches Aufsichtshandeln durch „Normsetzung“ sicherzustellen. So sind ihr in Artikel 8 Absatz 1, Artikel 9 EBA-Verordnung insbesondere die Aufgaben übertragen, dass die Behörde einen Beitrag zur Festlegung qualitativ hochwertiger gemeinsamer Regulierungs- und Aufsichtsstandards leistet. Hierzu gibt sie Stellungnahmen für die Organe der Union ab, erlässt Leitlinien und Empfehlungen und arbeitet Entwürfe für technische Standards aus.6 Um die ihr zugewiesenen Aufgaben umsetzen zu können, ist die EBA mit einigen Befugnissen ausgestattet, Artikel 8 Absatz 2 EBA-Verordnung. Eine sehr weitreichende Bedeutung kommt ihrer Befugnis zu, an dem für nationale Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmer geltenden Rechtsrahmen mitzuwirken. Diese Mitwirkung umfasst zum einen die Ausarbeitung von technischen Standards, zum anderen die Ermächtigung, Leitlinien und Empfehlungen erlassen zu können. Klarzustellen ist, dass durch die Übertragung der Verantwortung der Bankenaufsicht in der Eurozone auf die EZB auch die EZB als „zuständige Behörde“ im Sinne der EBA-Verordnung anzusehen ist. So wird die unmittel-

5

6

Vgl. zum SSM als ersten Teil der Bankenunion die Ausführungen bei Boegl, Die neue Bankenaufsicht bei der EZB, Die Bank 9/2013, S. 19 ff. Zudem leistet sie einen Beitrag zur kohärenten Anwendung verbindlichen EU-Rechts, insbesondere, indem sie eine gemeinsame Aufsichtskultur schafft, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen zuständigen Behörden vermittelt und eine wirksame und einheitliche Beaufsichtigung der Finanzinstitute sicherstellt.

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Dirk Jäger/Martin Boegl

bare Geltung von technischen Standards sowie von Leitlinien und Empfehlungen auch für die EZB sichergestellt. Durch die Beibehaltung der Zuständigkeit der EBA zur Normsetzung ergibt sich ein positiver Klammereffekt für die gesamte EU. Denn die technischen Standards sowie die Leitlinien und Empfehlungen gelten in allen EU-Mitgliedsstaaten. Abbildung 3: Europäisierung der Aufsichtsstrukturen – Regulatorische Befugnisse EBA EBA soll insbesondere

  

Einheitliches Aufsichtshandeln sicherstellen Zusammenarbeit nationaler Aufseher verbessern Qualitativ hochwertige Aufsichtsstandards festlegen

Ausarbeitung technischer Standards Art. 10–15 EBA-VO





Rechtlich verbindlich; kein weiterer Umsetzungsakt im nationalen Recht notwendig (Erlass durch KOM als Verordnung oder Beschluss) Konsultation der Banking Stakeholder Group

Erlass von Leitlinien und Empfehlungen Art. 16 EBA-VO

  

Rechtlich nicht verbindlich aber „Comply-or-Explain“Mechanismus Konsultation der Banking Stakeholder Group

Europäisierung der Normsetzung

 Nationaler Gesetzgeber ist an EU-Recht gebunden und hat weniger Rechtsetzungskompetenzen

6 Ausarbeitung technischer Standards Ganz wesentliches Gewicht kommt der EBA bei der Ausarbeitung von Entwürfen technischer Standards zu, die sich – trotz des teilweise identischen Wortlautes der Regelungen – weiter in zwei Arten differenzieren lassen: • Technische Regulierungsstandards (Regulatory Technical Standards, RTS). RTS sind in Artikel 10 bis Artikel 14 EBA-Verordnung normiert. Sie sollen insbesondere den Rechtsstand in den EU-Mitgliedsstaaten harmonisieren. Nach Artikel 10 Absatz 1 UAbs. 1 EBA-Verordnung sind technische Regulierungsstandards „technischer Art und beinhalten keine strategischen oder politischen Entscheidungen“.7 Ihr Inhalt wird

7

470

Zur Konkretisierung, was unter „technischer Art“ zu verstehen ist, kann Erwägungsgrund 12 der Omnibus I Richtlinie herangezogen werden: „Die technischen Standards sollen sich auf rein technische Aspekte beschränken, die das Fachwissen von Aufsichtsexperten erfordern“.

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

durch die Gesetzgebungsakte, auf denen sie beruhen, begrenzt. Es handelt sich um delegierte Rechtsakte der Kommission gemäß Artikel 290 AEUV. • Technische Durchführungsstandards (Implementing Technical Standards, ITS). ITS haben ihre Rechtsgrundlage in Artikel 15 EBA-Verordnungen. Sie sind nach Artikel 15 Absatz 1 Satz 2 EBA-Verordnung „technischer Art, beinhalten keine strategischen oder politischen Entscheidungen und ihr Inhalt dient dazu, die Bedingungen für die Anwendung der genannten Gesetzgebungsakte festzulegen“. Ihrer Natur nach sind sie Durchführungsrechtsakte gemäß Artikel 291 AEUV. Abzugrenzen sind die technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards von den „originären“ delegierten Rechtsakts nach Artikel 290 AEUV und den Durchführungsrechtsakten gemäß Artikel 291 AEUV. Diese stellen eine weitere Möglichkeit der Normsetzung durch die Kommission dar. Sie sind beispielsweise explizit in Artikel 456 ff. CRR genannt. Technische Standards können als „Unterfälle“ der Rechtsakte qualifiziert werden, da sie auf den gleichen Rechtsgrundlagen des AEUV basieren und recht identisch ausgestaltet sind. Abbildung 4: Regulatorische Befugnisse der Kommission Ausarbeitung

Konsultation

Erlass

Kontrollbefugnisse (+) Einspruchs- und Widerrufmöglichkeit von EP und Rat

Delegierter Rechtsakt (Art. 290 AEUV)

KOM

EBC (Europäischer Bankenausschuss)

KOM

Durchführungsrechtsakt (Art. 291 AEUV)

KOM

EBC (Europäischer Bankenausschuss)

(in entsprechend begründeten Sonderfällen: Rat)

(-)

Technischer Regulierungsstandard (Art. 10 – 14 EBA-VO)

EBA

BSG (Banking Stakeholder Group)

KOM

(+) Einspruchs- und Widerrufmöglichkeit von EP und Rat

Technischer Durchführungsstandard (Art. 15 EBA-VO)

EBA

BSG (Banking Stakeholder Group)

KOM

(-)

Leitlinien und Empfehlungen (Art. 16 EBA-VO)

EBA

BSG (Banking Stakeholder Group)

EBA

(-)

KOM

AEUV: Vertrag über die Arbeitsweisen der Europäischen Union

471

Dirk Jäger/Martin Boegl

Neben der eben dargestellten Unterscheidung nach ihrer Rechtsnatur, sind technische Regulierungsstandards und technische Durchführungsstandards hinsichtlich der Fristen, in denen die Kommission die Entwürfe billigen kann, in der Art und Weise der Beteiligung von Rat und Parlament am jeweiligen Rechtsetzungsverfahren sowie der Widerruflichkeit der Befugnisübertragung unterschiedlich ausgestaltet. Gemeinsamkeiten bestehen hingegen bei dem Verfahren der EBA zur Ausarbeitung von Entwürfen, das im Folgenden dargestellt wird.8 Für ein Tätigwerden der EBA zur Ausarbeitung eines Entwurfes ist die Einräumung einer entsprechenden Befugnis im Primärrecht (also auf „Level 1“) notwendig. Der jeweilige Rechtsakt, beispielsweise das CRD-IV-Paket, legt den Rahmen fest, innerhalb dessen die Kommission – und damit auch die EBA – tätig werden darf und schreibt vor, ob es sich um einen RTS oder ITS handelt. Bereits in der Omnibus-I-Richtlinie9, die Änderungen an insgesamt elf Richtlinien im Hinblick auf die veränderten europäischen Aufsichtsstrukturen vorsah, wurden der EBA eine Vielzahl von Ermächtigungen zur Ausarbeitung eingeräumt. In der CRR und CRD finden sich – je nach Zählart – etwa 150 Ermächtigungen zur Ausarbeitung von Standards. Damit steht die EBA als junge und noch immer im Aufbau begriffene Behörde vor erheblichen Herausforderungen. Sie muss innerhalb sehr kurzer Zeit die notwendigen personellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung stellen, um die Standards entwickeln zu können, die einem hohen Qualitätsniveau genügen und auch praxistauglich sind. Auf belastbare Erfahrungen aus der Vergangenheit kann sich die EBA dabei nicht stützen, da ihre Befugnisse zur Ausarbeitung der technischen Standards neu sind. Dabei lassen sich die Herausforderungen ausweislich des Arbeitsprogramms der EBA in Zahlen darstellen. Bis Ende 2014 hat die EBA 133 Standards (und zusätzlich 28 Guidelines) auszuarbeiten:

8

9

472

Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen auf die Fallgestaltungen, in denen die EBA von ihrer Möglichkeit zur Ausarbeitung Gebrauch macht. Auf die Regelungen der Artikel 10 Absatz 2, Absatz 3, Artikel 15 Absatz 2 Absatz 3 EBA-Verordnung wird nicht eingegangen. Richtlinie 2010/78/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG, 2002/87/EG, 2003/6/EG, 2003/41/EG, 2003/71/ EG, 2004/39/EG, 2004/109/EG, 2005/60/EG, 2006/48/EG, 2006/49/EG und 2009/65/EG im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), Abl. L 331 vom 15.12.2010, S. 120 ff.

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

Tabelle 1 Jahr

RTS

ITS

Guidelines

2013

38

24

21

2014

48

23

7

Summe

86

47

28

Gesamtsumme

133

Dabei sind die Befugnisübertragungen fast immer nach folgendem Schema aufgebaut: Die EBA wird nach den eigentlichen materiellrechtlichen Absätzen in einem ersten Unterabsatz damit beauftragt, einen Entwurf für einen technischen Standard (RTS oder ITS) auszuarbeiten, wobei in einigen Fällen ein Mindestinhalt vorgegeben wird. Im zweiten Unterabsatz wird der EBA oftmals eine Frist zur Vorlage des Standards gesetzt und im nachfolgenden Unterabsatz wird der Kommission die Befugnis übertragen, den Standard als delegierten Rechtsakt zu erlassen, und zwar unter Verweis auf Artikel 10 bis 14 EBAVerordnung im Falle eines RTS bzw. auf Artikel 15 EBA-Verordnung bei einem ITS. Beispiel für Befugnisübertragung für einen ITS (Wortlaut Artikel 20 Absatz 8 CRR): (8) Um gemeinsame Entscheidungen zu erleichtern, arbeitet die EBA Entwürfe technischer Durchführungsstandards zur Spezifizierung des Verfahrens für gemeinsame Entscheidungen nach Absatz 1 Buchstabe a über Anträge auf Genehmigungen nach Artikel 143 Absatz 1, Artikel 151 Absätze 4 und 9, Artikel 283, Artikel 312 Absatz 2 und Artikel 363 aus. Die EBA legt der Kommission diese Entwürfe technischer Durchführungsstandards bis zum 31. Dezember 2014 vor. Der Kommission wird die Befugnis übertragen, die technischen Durchführungsstandards nach Unterabsatz 1 gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zu erlassen. Die Entwürfe der jeweiligen Standards werden in den fachlich zuständigen Gruppen der EBA erarbeitet. Wie oben bereits beim Aufbau der EBA skizziert, setzen sich diese Gruppen neben Mitarbeitern der EBA auch aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Wenngleich auch nicht zwingend vorgeschrieben, so ist auch regelmäßig ein Vertreter der Kommission involviert, um fortlaufend über den Stand der Ausarbeitung informiert zu sein. Neben dem praktischen Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit der EBA – Ende 2013 hatte diese nur ca. 120 Mitarbeiter – können durch die Beteiligung der nationalen Aufsichtsbehörden die jeweiligen nationalen Belange und Besonderheiten der Mitgliedsstaaten hinreichend eingebracht werden und Berücksichtigung finden. Um auch die notwendigen Praxiskenntnisse in die Ausarbeitung der technischen Standards

473

Dirk Jäger/Martin Boegl

einfließen lassen zu können, erfolgt regelmäßig eine Konsultation der Banking Stakeholder Group, die eine Stellungnahme zu dem Entwurf abgibt. Zudem führt die EBA grundsätzlich eine öffentliche Anhörung durch. Diese besteht regelmäßig aus einer schriftlichen Konsultation und einem Hearing, in dem sie die Inhalte nochmals vorstellt und mit den Teilnehmern diskutiert. Durch dieses Vorgehen wird insbesondere der Praxis die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Eine öffentliche Anhörung unterbleibt hingegen, wenn sie im Verhältnis zum Anwendungsbereich und zu den Auswirkungen der betreffenden Entwürfe oder im Verhältnis zur besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit unangemessen ist. Der Entwurf wird dann dem Board of Supervisors zur Entscheidung vorgelegt. Dieses trifft seine Beschlüsse auch nach der Änderung der EBA-Verordnung grundsätzlich mit einfacher Mehrheit, wobei jedes Mitglied über eine Stimme verfügt (one country one vote). Der Bedeutung einzelner Finanzplätze und Volkswirtschaften wird insoweit nicht Rechnung getragen. Davon abweichend werden Beschlüsse der EBA zur Annahme von technischen Standards mit einer qualifizierten Mehrheit10 getroffen. Dies führt dazu, dass beispielsweise Deutschland ein Stimmengewicht von 29 von 352 Stimmen, im Vergleich zu Malta von 3 von 352 Stimmen, zukommt.11 Diese qualifizierte Mehrheit muss mindestens die einfache Mehrheit der am SSM teilnehmenden Mitgliedsstaaten – also den Eurostaaten und die von der opt in-Möglichkeit Gebrauch machenden Nichteurostaaten – sowie die einfache Mehrheit der nicht teilnehmenden Mitgliedsstaaten umfassen (so genannte „doppelte Mehrheit“, die eigentlich „dreifache Mehrheit“ genannt werden müsste, da es drei Anforderungen an die Beschlussfassung gibt). Im Rahmen der Errichtung des SSM wurde auch die EBA-Verordnung überarbeitet und insbesondere die doppelte Mehrheit eingeführt, um den Nichteurostaaten die Befürchtung zu nehmen, dass sie von den Eurostaaten bei der Beschlussfassung in der EBA über Gebühr dominiert werden könnten. Nachdem das Board of Supervisors den Entwurf verabschiedet hat, wird der „Final Draft“ der Kommission zur Billigung vorgelegt. Diese leitet ihn zur Information an das Parlament und den Rat weiter. Innerhalb von drei Monaten nach Erhalt eines Entwurfs eines technischen Standards befindet die Kommission darüber, ob sie diesen billigt (wobei sie bei einem ITS diese Frist um einen Monat, bei einem RTS um drei Monate, verlängern kann). Die Kommission kann – neben der vollständigen Annahme – den Entwurf teilweise oder mit Änderungen billigen, sofern dies aus Gründen des Unionsinteresses erforderlich ist. Was unter „Gründen des Unionsinteresses“ zu verstehen ist, wird in Er-

10

11

474

Bezüglich der Modalitäten der qualifizierten Mehrheit ist in der EBA-Verordnung auf Artikel 16 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union und des Artikels 3 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen Bezug genommen. Stimmverhältnisse nach dem Beitritt von Kroatien zum 01.07.2013.

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

wägungsgrund 23 EBA-Verordnung weiter präzisiert. Demnach sollen Entwürfe „nur in äußerst begrenzten Fällen und unter außergewöhnlichen Umständen geändert werden dürfen, da die EBA der Akteur ist, der sich im engen Kontakt mit den Finanzmärkten befindet und deren tägliches Funktionieren am besten kennt.“ An dieser Stelle ist aber auch klargestellt, wann Entwürfe geändert werden müssen. Dies ist dann der Fall, „in denen sie nicht mit dem Unionsrecht vereinbar wären, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen oder grundlegenden Prinzipien des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen zuwider laufen würden, so wie sie im Besitzstand der Union für Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen verankert sind.“ Damit ist die Hürde, wann die Kommission eine Änderung vornehmen muss, ziemlich hoch. Die Mehrzahl der Entwürfe sollte ohne Änderung von der Kommission gebilligt werden. Beabsichtigt die Kommission, einen Entwurf eines technischen Standards nicht, nur teilweise oder mit Änderungen zu billigen, so sendet sie den Entwurf an die EBA zurück und erläutert dabei, warum sie ihn nicht billigt oder warum sie Änderungen vorgenommen hat. Die EBA kann anhand der Änderungsvorschläge der Kommission innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen ihren Entwurf ändern und ihn der Kommission erneut vorlegen. Anschließend übermittelt sie dem Europäischen Parlament und dem Rat eine Kopie ihrer förmlichen Stellungnahme. Hat die EBA jedoch innerhalb von sechs Wochen keinen geänderten Entwurf vorgelegt oder hat sie einen Entwurf an die Kommission übermittelt, der nicht in Übereinstimmung mit den Änderungsvorschlägen der Kommission geändert worden ist, so kann die Kommission den technischen Standard entweder mit den von ihr als wichtig erachteten Änderungen annehmen oder ihn ablehnen. Hervorzuheben ist aber, dass die Kommission den Inhalt eines von der EBA ausgearbeiteten Entwurfs eines technischen Standards nicht ändern darf, ohne sich vorher mit ihr abzustimmen. Für den weiteren Prozess, wie die Kommission mit dem Entwurf des Standards verfährt, enthält die EBA-Verordnung naturgemäß keine Ausführungen, so dass hier auf das Verfahren zum Erlass delegierter Rechtsakte zurückzugreifen ist. So besteht für die Kommission die Möglichkeit, eine Expertengruppe zu konsultieren, die eine beratende Funktion hat, so die Erklärung 39 zum Vertrag von Lissabon.12 Daneben besteht auch die Möglichkeit, auf anderes Fachwissen zurückzugreifen, da der Erklärung 39 lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt und sich aus den Verträgen nichts Gegenteiliges ableiten lässt.13 Die zuständige Generaldirektion leitet den Standard – gegebenenfalls mit

12

13

Vgl. weitergehend die Erklärung 39 zum Vertrag von Lissabon. Das Register der Expertengruppe der Kommission ist abrufbar unter: http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/ index.cfm?Lang=DE. Vgl. Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, Kommentar EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Artikel 290, Rdn. 21.

475

Dirk Jäger/Martin Boegl

einer Folgenabschätzung – an die anderen Generaldirektionen zur Prüfung weiter (so genannte „Interservices Konsultation“), wobei diese der zuständigen Generaldirektion Änderungsvorschläge unterbreiten können. Daran schließt sich die formale Vorlage an das Kollegium der Kommissare an, das den Standard als Verordnung14 annimmt (Artikel 288 AEUV), womit er erlassen ist. ITS werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und treten an dem darin genannten Datum in Kraft. Bevor jedoch ein RTS in Kraft tritt, ist ein weiterer Prozess zu durchlaufen.

7 Besonderheiten bei Regulierungsstandards (RTS) Wie vorzugehen ist, wenn die Kommission einen Entwurf eines RTS nicht annimmt, regelt Artikel 14 EBA-Verordnung nur fragmentarisch: Sie hat demnach die EBA, das Europäische Parlament und den Rat unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Das Parlament oder der Rat können in der Folge den zuständigen Kommissar zusammen mit dem Chair der EBA zu einer Ad-hoc Sitzung des zuständigen Ausschusses des Parlaments oder des Rates zur Darlegung und Erläuterung ihrer Differenzen einladen. Wie hingegen der weitere Normsetzungsablauf aussieht, ist nicht geregelt, so dass auf das vorstehend beschriebene Verfahren zurückzugreifen ist. Die EBA wird wohl einen überarbeiteten Standard vorlegen, der wiederum der Kommission zur Billigung vorgelegt wird. Billigt die Kommission den RTS, gelten für das weitere Verfahren einige Besonderheiten: Sobald die Kommission einen RTS erlassen hat, übermittelt sie ihn an das Europäische Parlament und den Rat. Diese können gegen den RTS innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Übermittlung Einwände erheben. Auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates wird diese Frist um drei Monate verlängert. Erlässt die Kommission hingegen einen RTS, bei dem es sich um den von der EBA übermittelten Entwurf eines technischen Regulierungsstandards handelt, so beträgt der Zeitraum, in dem das Europäische Parlament und der Rat Einwände erheben können, einen Monat ab dem Datum der Übermittlung. Auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates wird dieser Zeitraum um einen Monat verlängert.

14

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Rechtstechnisch ist es nach Artikel 10 Absatz 4 bzw. Artikel 15 Absatz 4 EBA-Verordnung auch möglich, technische Standards als Beschlüsse zu erlassen, was an deren Verbindlichkeit und unmittelbarer Wirkung in den Mitgliedsstaaten nach Artikel 288 AEUV jedoch nichts ändert.

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

Erheben das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb der Frist Einwände gegen einen RTS, so tritt dieser nicht in Kraft. Dies ist Ausdruck, dass es den Gesetzgebungsorganen grundsätzlich freisteht, Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei der Ausübung übertragener Befugnisse vorzusehen. Das Parlament entscheidet darüber mit der Mehrheit seiner Mitglieder, der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Gemäß Artikel 296 AEUV gibt das Organ, das Einwände gegen den technischen Regulierungsstandard erhebt, die Gründe hierfür an. Wie dann der weitere Normsetzungsablauf abläuft, ist nicht festgelegt, so dass auf das vorstehend beschriebene Verfahren zurückzugreifen ist. Die EBA wird wohl einen überarbeiteten Standard vorlegen, der wiederum der Kommission zu Billigung vorgelegt wird. Haben weder das Europäische Parlament noch der Rat innerhalb der Frist Einwände gegen den RTS erhoben, oder beide gegenüber der Kommission erklärt, dass sie keine Einwände erheben werden, wird dieser im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt zu dem darin genannten Zeitpunkt in Kraft. Für technische Regulierungsstandards enthält die EBA-Verordnung als Ausfluss aus Artikel 290 AEUV eine generelle Widerrufsmöglichkeit der Befugnisübertragung. Demnach kann die Ermächtigung zum Erlass eines RTS durch die Kommission vom Europäischen Parlament oder vom Rat jederzeit widerrufen werden. Originär sind Parlament und Rat für den Erlass von Gesetzgebungsakten zuständig. Mit einer Delegation von Legislativbefugnissen auf die Kommission ist keine endgültige und dauerhafte Zuständigkeitsverschiebung verbunden. Denn das widerspräche dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Jedes Organ kann getrennt vom anderen den Widerruf ausüben, wobei das Parlament dies mit der Mehrheit seiner Mitglieder und der Rat mit qualifizierter Mehrheit tun müssen. Der Beschluss wird sofort oder zu einem darin angegeben Zeitpunkt wirksam. Der Beschluss ist ferner im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen. Die Gültigkeit von RTS, die aufgrund der widerrufenen Befugnisübertragung bereits in Kraft sind, wird hiervon nicht berührt. Der Grund, warum die Befugnisübertragung bei ITS nicht vorgesehen ist, liegt vor allem darin, dass ITS vornehmlich zur Konkretisierung von Durchführungsbestimmungen, Entwicklung von Formularen oder ähnlichem verwendet werden. Diesen kommt geringere materielle Bedeutung zu, wie Konkretisierungen, die durch technische Regulierungsstandards erfolgen, weshalb hier kein Widerruf der Befugnisübertragung existiert. Möchte der Gesetzgeber sich die generelle Widerrufsmöglichkeit vorbehalten, muss er die Kommission in Form eines technischen Regulierungsstandards ermächtigen.

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Abbildung 5: Erlass eines technischen Standards durch die KOM EBA

Der dargestellte stark vereinfachte Ablauf bezieht sich auf technische Regulierungsstandards nach Art. 10 Abs. 1 EBA-Verordnung, wobei die Behörde von ihrer Befugnis zur Ausarbeitung des Standards Gebrauch macht.

Ausarbeitung; Konsultation Banking Stakeholder Group

KOM 3 Monate Zeit

EBA

(teilweise) Änderung

innerhalb von 6 Wochen Keine erneute Vorlage an KOM

Erneute Vorlage an KOM

Änderungsvorschlag der KOM umgesetzt

(teilweise) Billigung durch KOM

KOM kann annehmen

Ablehnung

Keine Umsetzung des Änderungsvorschlags der KOM

KOM kann annehmen

Ablehnung

Technischer Standard zustande gekommen

8 Leitlinien und Empfehlungen Weiteres Instrument zur Weiterentwicklung des Single Rule Books sind Leitlinien und Empfehlungen. Im Gegensatz zu technischen Standards, die von der EBA ausgearbeitet, aber von der Kommission erlassen werden, ist die EBA für den Erlass von Leitlinien und Empfehlungen zuständig. Diese sind zwar rechtlich unverbindlich, jedoch mit einem „Comply or Explain“-Mechanismus ausgestattet. Demzufolge müssen die nationalen Aufsichtsbehörden innerhalb von zwei Monaten mitteilen, ob sie der Leitlinie oder Empfehlung nachkommen. Ein anderweitiges Vorgehen muss begründet werden. Die EBA veröffentlicht grundsätzlich die Tatsache, dass eine nationale Aufsichtsbehörde der Leitlinie oder Empfehlung nicht nachkommt und kann zudem von Fall zu Fall beschließen, dass auch die angegebenen Gründe für eine Nichteinhaltung veröffentlich werden. Der Appellcharakter der Leitlinie und Empfehlung wird somit mit einem erheblichen faktischen Druck versehen, um die Adressaten zur Befolgung anzuhalten. Zudem kann sie, wenn dies ausweislich des Wortlauts der Leitlinie oder Empfehlung erforderlich ist, von den Finanzinstituten verlangen, dass auch diese sich darüber erklären, ob sie der Leitlinie nachkommen. Ob sich also auch die Institute erklären müssen, hängt von der Einschätzung der Notwendigkeit durch die EBA ab.

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Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards – Hintergrund, Verfahren und beteiligte Behörden

Bevor die EBA eine Leitlinie oder Empfehlung erlässt, führt sie gegebenenfalls eine öffentliche Anhörung durch und analysiert die damit verbundenen potenziellen Kosten sowie den damit verbundenen potenziellen Nutzen. Diese Anhörungen und Analysen müssen im Verhältnis zu Umfang, Natur und Folgen angemessen sein. Ferner holt sie gegebenenfalls auch die Stellungnahme oder den Rat der Banking Stakeholder Group ein. Damit wurde ein dem Konsultationsprozess von technischen Standards vergleichbares Beteiligungsrecht festgeschrieben. Die Leitlinien und Empfehlungen haben den Zweck, innerhalb des neuen europäischen Finanzaufsichtssystems kohärente, effiziente und wirksame Wirtschaftspraktiken zu schaffen sowie eine vereinheitlichte Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.

9 Questions-&-Answer-Prozess der EBA Die EBA hat vor allem im Hinblick auf ein einheitliches Aufsichtshandeln und zur weiteren Stärkung des Single Rule Books auf ihrer Webseite einen so genannten Questions&-Answer-Prozess (Q&A) zum CRD-IV-Paket gestartet.15 Eingereicht werden können praktische Anwendungs- und Auslegungsfragen nebst Lösungsvorschlägen zum CRDIV-Paket, also zur CRR und CRD IV. Ebenfalls von dem Prozess umfasst sind erlassene technische Standards (sowohl RTS als auch ITS) sowie EBA-Leitlinien. Die EBA selbst strebt eine Beantwortung der Fragen innerhalb von zwei Monaten an, indem sie ihre Antworten auf ihrer Homepage veröffentlicht. Die Antworten sind grundsätzlich rechtlich nicht bindend und unterliegen auch nicht dem „Comply or Explain-Mechanismus“, wie er für Leitlinien oder Empfehlungen besteht. Jedoch ist davon auszugehen, dass den Äußerungen einiges Gewicht durch die nationalen Aufsichtsbehörden und Abschlussprüfer eingeräumt und eine Umsetzung der EBA-Antworten auch aufgrund der Marktdisziplin erwartet wird. Gerade vor dem Hintergrund einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des CRD-IV-Pakets ist dieser Ansatz sehr zu begrüßen.

10 Zusammenfassung und Ausblick Durch die Weiterentwicklung der Aufsichtsstrukturen in Europa wurden nicht nur neuen Aufsichtsbehörden (EZB, EBA, ESMA, EIOPA und ERSB) geschaffen, sondern auch die Bankenregulierung weiter harmonisiert. So wurden weiter Teile der Basel-IIIRegelungen auf europäischer Ebene durch die CRR als Verordnung umgesetzt, die unmittelbare, also ohne weiteren nationalen Umsetzungsakt, Geltung in jedem Mitgliedsstaat hat. Damit wird wiederum Regulierungsarbitrage verhindert und ein Single Rule Book weiterentwickelt.

15

Abrufbar unter http://www.eba.europa.eu/single-rule-book-qa.

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Zu den der EBA übertragenen Befugnissen zählen insbesondere die Ermächtigung zum Erlass von Leitlinien und Empfehlungen sowie zur Ausarbeitung von technischen Standards. Die Standards lassen sich weiter unterteilen in RTS und ITS. Ist der EBA eine entsprechende Befugnisnorm eingeräumt, fertigt sie einen Entwurf eines Standards, den sie regelmäßig mit der Banking Stakeholder Group und interessierten Kreisen konsultiert, an. Dieser wird durch Beschluss des Rats der Aufseher angenommen und an die Kommission zur Billigung übermittelt, was grundsätzlich innerhalb von drei Monaten erfolgen muss. Bei technischen Regulierungsstandards kann das Europäische Parlament oder der Rat innerhalb von drei Monaten Einwände erheben, so dass dieser nicht in Kraft tritt. Zudem besteht bei technischen Regulierungsstandards für Parlament und Rat die Möglichkeit, die Befugnisübertragung zu widerrufen. Die in der CRR und CRD IV reichlich genutzte Schaffung von Rechtsgrundlagen für die EBA zur Ausarbeitung von technischen Standards schlägt ein neues Kapitel in der Rechtssetzung auf: der Gesetzgeber ermächtigt die Kommission, normsetzend tätig zu werden und überlässt ihr somit die Konkretisierung und Ausgestaltung des Primärrechts. Die rechtstechnische Qualifizierung der Standards als Verordnung stellt sicher, dass diese unmittelbar und ohne weiteren Umsetzungsakt in jedem Mitgliedsstaat gelten und kreative, die europäischen Vorgaben überschießende Ausgestaltungen verhindert werden. Dies führt zu der sehr zu begrüßenden Wirkung, dass für die Marktteilnehmer mehr und mehr dieselben Vorschriften gelten und diese auch einheitlich im Rahmen der Ausübung der Aufsichtstätigkeit angewandt werden. Dadurch wird ein echter einheitlicher gemeinsamer Binnenmarkt und ein Level playing field für alle Marktteilnehmer geschaffen. Die Befugnis der Kommission zum Erlass von technischen Regulierungsstandards wurde ihr ab dem 16.12.2010 für einen Zeitraum von vier Jahren übertragen. Außer im Falle eines Widerrufs durch das Parlament oder den Rat verlängert sie sich automatisch um weitere vier Jahre. Um die gesammelten Erfahrungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten umsetzen zu können, muss die Kommission bereits spätestens sechs Monate vor Ablauf des Zeitraums von vier Jahren einen Bericht über die übertragenen Befugnisse vorlegen, also bereits spätestens zum 16.06.2014.16 Darin zeigt sich, wie die umfangreichen Befugnisübertragungen, die Arbeit der EBA zur Ausarbeitung von Entwürfen, die Beteiligung der Stakeholder Group sowie vor allem die einheitliche Anwendung durch die Aufsichtsbehörden und Beaufsichtigten von der Kommission bewertet wird und welche Konsequenzen sie anregt.

16

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Presseerklärung abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-14-505_en.htm Dokumente abrufbar unter: – http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/committees/ 140808-esfs-review_de.pdf (Bericht); – http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/committees/ 140808-esfs-review-annex_de.pdf (Anhang).

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank Lothar Jerzembek

1 Einleitung 2 Von der Schuldenkrise zur Bankenunion 3 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus 3.1 SSM-Verordnung 3.1.1 Vorbemerkungen 3.1.2 Zusammenarbeit der EZB 3.1.3 Aufgaben der EZB 3.1.4 Befugnisse der EZB 3.1.5 Organisatorische Grundsätze 3.1.6 Allgemeine und Schlussbestimmungen 3.2 Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank 3.3 Änderung der EBA-Verordnung 3.4 SSM-Rahmenverordnung 3.5 Interne Vorschriften bezüglich der Trennung der bankaufsichtlichen von der geldpolitischen Funktion 3.6 EZB-Beschluss über enge Zusammenarbeit 3.7 SSM-Gebührenverordnung 3.8 EZB-Beschluss bezüglich der Liste bedeutender Institute 4 Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank 4.1 Errichtung der SSM-Steuerungsstrukturen 4.1.1 Aufsichtsgremium 4.1.2 Lenkungsausschuss 4.1.3 Administrativer Überprüfungsausschuss 4.1.4 Schlichtungsstelle 4.2 Einrichtung der Aufsichtsfunktion bei der Europäischen Zentralbank 4.2.1 Organisation 4.2.2 Personalausstattung 4.2.3 Gemeinsamer Aufsichtsteams 4.2.4 Trennung der Funktionsbereiche 4.2.5 Verhaltenskodices

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4.3 Aufsichtsmodell der Europäischen Zentralbank 4.3.1 SSM-Aufsichtshandbuch 4.3.2 Öffentlicher Leitfaden zur Aufsichtspraxis 4.3.3 Handbuch für die aufsichtliche Berichterstattung 4.4 Umfassende Bewertung 4.4.1 Ziele und Umfang 4.4.2 Organisation 4.4.3 Aufsichtliche Risikobewertung 4.4.4 Überprüfung der Qualität der Aktiva 4.4.5 Stresstest 4.4.6 Ergebnisse und Maßnahmen 5 Auswirkungen auf die Kreditinstitute 5.1 Auswirkungen auf bedeutende Institute, die direkt beaufsichtigt werden 5.2 Auswirkungen auf diejenigen Institute, die als nicht bedeutend qualifiziert sind 6 Ausblick Abkürzungen Literatur

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1 Einleitung Der 28.05.2013 wird den Vertretern von Banken und Bankenverbänden in Deutschland stets in Erinnerung bleiben. Das jährliche Symposium der Deutschen Bundesbank „Bankenaufsicht im Dialog“ eröffnete die Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger. Hinsichtlich des weiteren Regelungsbedarfs in der Europäischen Union und des bestmöglichen Konzepts für die Bankenunion stellte sie fest: „Die EZB wird dazu die Bilanzen der Banken durchleuchten. Die Details dieses „Balance Sheet Assessment“ stehen noch nicht fest. Doch auch bei dieser ersten Aufgabe der neuen Aufsicht sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen.“1 Zur gleichen Zeit fand nur wenige Meter entfernt eine Bankenanhörung der Partei Bündnis 90/Die Grünen unter dem Titel „Boring Banking“ statt. Auf dem zweiten Panel war mit Jörg Asmussen ein Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB) vertreten. In seinem Statement zur Bankenaufsicht hob er hervor: „Was ganz wichtig ist, bevor diese europäische Bankenaufsicht ihre Arbeit aufnimmt, sieht der Artikel 27 der Verordnung vor, dass wir eine umfassende Asset Quality Review der Banken vornehmen, die direkt von uns beaufsichtigt wird. Aber das ist eine ganz, ganz wichtige Regelung, die wir sehr ernst nehmen müssen, damit wir sozusagen mit einem klaren Bild über die Banken, die wir beaufsichtigen, starten.“2 Im Zusammenhang mit der Bankenunion und der einheitlichen europäischen Bankenaufsicht verwendeten die beiden Aufseher zwei Begriffe, über deren Inhalt, Bedeutung und Auswirkungen weitgehend Unklarheit herrschte. Ab diesem Tag setzten Banken und Bankenverbände alles daran zu erfahren, ob beide Aufseher dasselbe meinten. Erwartungen wurden sofort geäußert, dass der Asset Quality Review der EZB bankaufsichtlich intendiert weiter gehen würde als eine reine Bilanzbewertung. Erfahrungen aus Irland und Spanien hatten Entsprechendes gezeigt. Am 28.05.2013 wurde allen Beteiligten deutlich vor Augen geführt, dass die Ausgestaltung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM), mit der die bankaufsichtliche Funktion von der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA auf die EZB übertragen werden sollte, zwar formal noch intensiv diskutiert wurde. Alle politischen und aufsichtlichen Entscheidungsträger waren erkennbar fest entschlossen, den Umsetzungsprozess mit allen Konsequenzen voranzutreiben. Galt es doch, den Steuerzahler vor weiteren Bankzusammenbrüchen zu schützen.

1

2

Lautenschläger, Sabine: Regulierung und „Institution-Building“ in Europa: Wo stehen wir und was ist noch zu tun?, Frankfurt am Main, 28.05.2013. Asmussen, Jörg: Rede auf dem Panel II Bankenaufsicht zur Bankenanhörung von Bündnis90/ Die Grünen „Boring Banking“, Frankfurt am Main, 23.05.2013, verfügbar über: http:// www.gruene-bundestag.de/themen/finanzen/anhoerung-boringbanking.

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Lothar Jerzembek

Der folgende Beitrag (Stand: Ende 2014) wird sich zunächst in gebotener Kürze mit der Entwicklung der Bankenunion beschäftigen. Anschließend geht er näher auf den einheitlichen Aufsichtsmechanismus ein. Der darauffolgende Abschnitt behandelt die künftige laufende Bankenaufsicht durch die EZB. Danach versucht der Beitrag die Auswirkungen auf die Institute einzuschätzen. Den Abschluss bildet ein Ausblick. Bewusst klammert der Beitrag die Frage aus, inwieweit die hierfür erforderlichen Verordnungen möglicherweise gegen EU-Verträge verstoßen.

2 Von der Schuldenkrise zur Bankenunion Der Kollaps von Lehmann Brothers im September 2008 hatte deutlich gemacht, wie verflochten die Kreditinstitute untereinander waren und welch exponierte Rolle sie innerhalb der Finanzwirtschaft und gegenüber der Realwirtschaft spielten. Er hatte auch eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass einzelne Staaten nicht mehr gewillt waren, ein bedeutsames Institut tatsächlich auch zu stützen, um den Geld- und Kapitalkreislauf aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung, Lehman Brothers in die Insolvenz gehen zu lassen, war von historischer Bedeutung. Spätestens der G20-Gipfel von Pittsburgh im Herbst 2009 führte allen Banken vor Augen, dass die regulatorischen Anforderungen massiv verschärft werden sollten und sie ihre Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung massiv erhöhen müssten. Das magische Dreieck klassischer Bankbetriebslehre – Liquidität, Sicherheit, Ertrag – wurde ins Bewusstsein zurückgeholt. Die Europäische Union setzte sich das Ziel, einen sicheren und soliden Finanzsektor zu schaffen. Hierfür hat sie eine Reihe von nachhaltigen Maßnahmen ergriffen. Anfang 2011 errichtete sie das Europäische Finanzaufsichtssystem ESFS. Dieses besteht aus der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA, der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA sowie dem bei der EZB angesiedelten europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB). Hervorzuheben ist die Umsetzung von Basel III durch die Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive IV – CRD IV) und die Eigenkapitalverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR). Alle 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben dieses einheitliche Regelwerk (Single Rule Book) seit dem 01.01.2014 anzuwenden. Es enthält strengere bankaufsichtsrechtliche Auflagen, ein verbesserten Anlegerschutz und Regeln für die geordnete Abwicklung von in Schwierigkeiten geratenen Banken. Das Single Rule Book einschließlich der technischen Standards, die die EBA erlassen darf, bildet die Grundlage der Bankenunion, die in den Staaten der Euro-Zone Anwendung findet. Die Idee einer Bankenunion haben die europäischen Institutionen aus der Erkenntnis heraus entwickelt, dass sich die ursprüngliche Finanzkrise zu einer Schuldenkrise innerhalb

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

der Euro-Zone ausgeweitet hatte. Die offenkundige wechselseitige Abhängigkeit der Euro-Staaten untereinander zwang zu einer vertieften Integration der Kreditwirtschaft. Am 29.06.2012 beschlossen die Staats- und Regierungschefs, die Wirtschafts- und Währungsunion um eine Bankenunion zu ergänzen.3 Ziel der Bankenunion ist es, den Finanzsektor auf ein solides Fundament zu stellen und wieder Vertrauen in den Euro zu schaffen. Neben einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM) und einer einheitlichen Einlagensicherung (Deposit Guarantee Schemes – DGS) sollte auch ein wirksamer einheitlicher Aufsichtsmechanismus SSM für Banken im EuroWährungsgebiet unter Einbeziehung der EZB eingerichtet werden. Grundlage ist Artikel 127 Absatz 6 des EU-Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser bildet die Rechtsgrundlage für die Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen auf die EZB. Gemäß dieses Artikels erlässt der Rat hierzu Verordnungen. Abbildung 1: Integrierter Finanzrahmen der Europäischen Union

Am 12.09.2012 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Fahrplan für eine Bankenunion.4 Zeitgleich legte sie zwei Legislativvorschläge vor, die die Übertragung besonderer Aufgaben bei der Beaufsichtigung über Kreditinstitute auf die EZB regeln und die

3

4

Siehe: European Council: 28/29 June 2012 – Conclusions, CO EUR 4, CONCL 2, EUCO 76/12, Brüssel, 29. Juni 2012. Bereits am 30. Mai 2012 hatte die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung COM (2012) 299 final, Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung, die Einrichtung einer Bankenunion gefordert. Siehe Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Fahrplan für eine Bankenunion, COM (2012) 510 final, Brüssel, 12. September 2012, S. 6 ff.

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Verordnung zur Errichtung der EBA anpassen. Der Entwurf der sogenannten SSM-Verordnung beschreibt die Zuständigkeit und die Organisation des bei der EZB angesiedelten Aufsichtsmechanismus.5 Die SSM-Verordnung sollte am 01.01.2013 in Kraft treten. Die von einzelnen Mitgliedstaaten in Frage gestellte europarechtliche Grundlage des Artikel 127 Absatz 6 AEUV zur Übertragung der Aufsichtskompetenz ohne Mitentscheidungsbefugnis des Europäischen Parlaments sowie der nationalen Parlamente soll hier nicht näher beleuchtet werden. Im Zuge der fortlaufenden Diskussionen zwischen Parlament, Rat und Kommission wurde im Dezember 2012 der Anwendungsbereich dahingehend geändert, dass weiterhin nationale Aufsichtsbehörden für weniger bedeutende, nicht öffentlich gestützte Institute die Aufsicht behalten. Klargestellt wurde auch der Begriff eines weniger bedeutenden Instituts, in dem man eine Klassifizierung nach Bilanzsumme, volkswirtschaftlicher Bedeutung und Volumen der grenzüberschreitenden Tätigkeit bestimmte. Auch bei weiteren Aspekten wie Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrolle konnten Fortschritte erzielt werden. Zwischen Europäischem Parlament und Rat blieb jedoch die Frage nach dem Umfang der Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament weiterhin ungeklärt.6 Schließlich wurde im März 2013 die politische Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament erzielt.7 Nach langwierigen Verhandlungen wurden die SSM-Verordnung und die EBA-Verordnung am 29.10.2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.8 9

5

6

7

8

9

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Siehe Europäische Kommission: Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, 2012/0242 (CNS), Brüssel, 12. September 2012, S. 22. Siehe European Council: European Council Conclusions on Completing EMU, adopted on 14 December 2012, Brussels, 14 December 2012, Aufzählungsnr. 7 ff. Siehe Europäische Kommission: Memo – An important step towards a real banking union in Europe: Statement by Commissioner Michel Barnier following the trilogue agreement on the creation of the Single Supervisory Mechanism for the eurozone, Brüssel, 19. März 2013. Siehe Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, Amtsblatt der Europäischen Union L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 63-89. Siehe Verordnung (EU) Nr. 1022/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich der Übertragung besonderer Aufgaben auf die Europäische Zentralbank gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 5-14.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Aus der zeitlichen Entwicklung wird nunmehr deutlich, weshalb die am 28.05.2013 erwähnten Begriffe Asset Quality Review und Balance Sheet Assessment die Sensibilität von Banken und Bankenverbänden schlagartig erhöht hatten.

3 Der einheitliche Aufsichtsmechanismus 3.1 SSM-Verordnung 3.1.1

Vorbemerkungen

Am 12.09.2012 legte die EU-Kommission ihren Vorschlag für die SSM-Verordnung vor. Nach Zuleitung des Entwurfs an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des EUParlaments und der EZB verabschiedete der Rat der Europäischen Union am 15.10.2013 die finale Fassung als sogenannte SSM-Verordnung. Die Verordnung trat am fünften Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft – am 03.11.2013.10 Mit der SSM-Verordnung werden der EZB bestimmte zentrale Aufgaben zur Beaufsichtigung von Kreditinstituten übertragen. Die nationalen Aufsichtsbehörden bleiben weiterhin für alle in der Verordnung nicht genannten Aufgaben zuständig. Die Verordnung enthält Ausführungen zur Übertragung besonderer Aufsichtsaufgaben auf die EZB, die Darlegung der Aufgaben der EZB, ihre Befugnisse, das Verhältnis zu den Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Raumes und organisatorische Grundsätze. Sie ist in fünf Kapitel gegliedert: Tabelle 1 Kapitel 1

Gegenstand und Begriffsbestimmungen

Kapitel 2

Zusammenarbeit und Aufgaben

Kapitel 3

Befugnisse der EZB

Kapitel 4

Organisatorische Grundsätze

Kapitel 5

Allgemeine und Schlussbestimmung

10

Siehe Fußnote 8.

487

Lothar Jerzembek

3.1.2

Zusammenarbeit der EZB

Gemäß Artikel 3 arbeitet die EZB eng mit der europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA, der europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken ESRB zusammen. Gleiches gilt auch für Behörden, die Teil des europäischen Finanzaufsichtssystems ESFS sind. Die EZB nimmt ihre Aufgaben im Einklang mit dieser Verordnung und unbeschadet der Zuständigkeiten und Aufgaben der o.g. Institutionen wahr. Ebenso arbeitet sie eng mit der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität EFSF und dem europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zusammen. Die Zusammenarbeit innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus regelt Artikel 6. Demzufolge werden die nationalen Aufsichtsbehörden auch weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus spielen. Sie sind beispielsweise zuständig für den Verbraucherschutz, die Bekämpfung der Geldwäsche sowie für die Beaufsichtigung von Kreditinstituten aus Drittländern, die in Mitgliedstaaten Zweigstellen errichten oder grenzübergreifend Dienstleistungen erbringen. Als integraler Bestandteil des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sollen die aufsichtsrechtlichen Erkenntnisse der nationalen Behörden angemessen eingebunden sein. Gemäß Artikel 6 Absatz 4 werden die Zuständigkeiten von EZB und nationalen zuständigen Behörden geregelt. Als direkt von der EZB beaufsichtigte Institute werden solche definiert, die anhand der folgenden Kriterien als bedeutend eingestuft werden: • Größe, • Relevanz für die Wirtschaft der Union und eines teilnehmenden Mitgliedstaates sowie • Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten. Hier muss eine der drei Bedingungen erfüllt sein: 1. der Gesamtwert der Aktiva übersteigt 30 Mrd. EUR, 2. das Verhältnis der gesamten Aktiva zum Bruttoinlandsprodukt des teilnehmenden Staates der Niederlassung übersteigt 20%, es sei denn, der Gesamtwert der Aktiva liegt unter 5 Mrd. EUR oder 3. eine national zuständige Behörde zeigt an, dass sie ein solches Institut als bedeutend für die betreffende Volkswirtschaft betrachtet. In diesem letzten Fall fasst die EZB nach einer umfassenden Bewertung einschließlich einer Bilanzbewertung des betreffenden Kreditinstituts ihrerseits den Beschluss, der diese Bedeutung bestätigt.

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Zusätzlich zu den Instituten, die nach einer der drei Bedingungen als bedeutend qualifiziert werden, gelten auch solche Institute als bedeutend, für die eine direkte öffentliche finanzielle Unterstützung durch die EFSF oder den ESM beantragt oder entgegengenommen wurde. Ebenso übt die EZB ihre direkte Aufsicht über solche Institute aus, die als die drei bedeutendsten Kreditinstitute in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat definiert sind. Artikel 7 regelt die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist. Dies ist bisher nicht der Fall.

3.1.3

Aufgaben der EZB

Artikel 4 regelt die an die EZB übertragenden Aufgaben. Gemäß Absatz 1 ist die EZB für die Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Institute wie folgt zuständig:11 a) Zulassung von Kreditinstituten und Entzug der Zulassung von Kreditinstituten vorbehaltlich des Artikels 14; b) Bei Eröffnung von Zweigstellen von Instituten teilnehmender Mitgliedstaaten in nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten oder bei deren Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen Wahrnehmung der Aufgaben, die die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaates nach Maßgabe des einschlägigen Unionsrechts hat; c) Beurteilung der Anzeige über den Erwerb oder die Veräußerung qualifizierten Beteiligungen an Kreditinstituten vorbehaltlich des Artikels 15; d) Gewährleistung der Einhaltung bestimmter Rechtsakte, die die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute in Bezug auf Eigenmittelanforderungen, Verbriefung, Beschränkung für Großkredite, Liquidität, Verschuldungsgrad sowie Meldung und Veröffentlichung entsprechender Informationen festlegen; e) Gewährleistung der Einhaltung derjenigen Rechtsakte, die anfordernde Kreditinstitute hinsichtlich solider Regelungen für die Unternehmensführung, einschließlich eigene Anforderungen an die für die Geschäftsführung der Kreditinstitute verantwortlichen Personen, Risikomanagementverfahren, interner Kontrollmechanismus, Vergütungspolitiken und -praktiken sowie wirksame Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit des internen Kapitals, einschließlich auf internen Ratings basierender Modelle festlegen;

11

Siehe Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, Amtsblatt der Europäischen Union L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 74 f.

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f) Durchführung von aufsichtlichen Prüfungen, Stresstests und deren etwaiger Veröffentlichung und auf der Grundlage dieser aufsichtsrechtlichen Überprüfung Festlegung besonderer zusätzlicher Eigenmittelanforderungen, besonderer Offenlegungspflichten, besonderer Liquiditätsanforderungen und sonstiger Maßnahmen für Kreditinstitute, sofern diese Befugnisse nach dem einschlägigen Unionsrecht ausdrücklich den zuständigen Behörden zustehen; g) Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis der in einem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassenen Muttergesellschaften von Kreditinstituten einschließlich der Finanzholdinggesellschaften und der gemischten Finanzholdinggesellschaften sowie Mitwirkung an der Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis von Muttergesellschaften, die nicht in einem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassen sind; h) Mitwirkung an der zusätzlichen Beaufsichtigung eines Finanzkonglomerats in Bezug auf zugehörige Kreditinstitute und Wahrnehmung der Aufgaben eines Koordinators; i) Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben in Bezug auf Sanierungspläne und frühzeitiges Eingreifen, wenn ein Kreditinstitut oder eine Institutsgruppe, für die die EZB die Konsolidierung der Aufsichtsbehörde ist, die geltenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt oder voraussichtlich nicht erfüllen wird, sowie in Bezug auf erforderliche strukturelle Änderungen bei Kreditinstituten zur Verhinderung finanzieller Stresssituationen oder von Zusammenbrüchen, jedoch ausschließlich jeglicher Abwicklungsbefugnisse. Sofern ein Institut, das in einem nicht teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassen ist, in einem teilnehmenden Mitgliedstaat eine Zweigstelle errichten oder grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen will, ist gemäß Absatz 2 ebenfalls die EZB zuständig. Im Rahmen ihrer Aufgaben hat sich die EZB gemäß Absatz 3 an den von der EBA ausgearbeiteten und von der Kommission erlassenen verbindlichen technischen Regulierungsund Durchführungsstandards zu halten. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben kann die EZB Verordnungen erlassen. Zwingend durchführen muss sie vor einem Erlass eine öffentliche Anhörung. Unter bestimmten Bedingungen kann die EZB gemäß Artikel 5 auch die Anforderungen für Kapitalpuffer verschärfen, die ursprünglich von den nationalen Aufsichtsbehörden festgelegt worden sind. Dies gilt auch für die Quote für antizyklische Puffer sowie strengere Maßnahmen zur Abwendung von Systemrisiken oder makroprudenziellen Risiken auf Ebene der Kreditinstitute. Erforderlich hierfür ist die enge Zusammenarbeit zwischen EZB und den national benannten Behörden des jeweils betroffenen Mitgliedstaates.

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

3.1.4

Befugnisse der EZB

Zur Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben hat die EZB verschiedene Aufsichtsund Untersuchungsbefugnisse.12 Gemäß Artikel 9 Absatz 1 hat die EZB auch Anweisungsrechte gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden. Die Artikel 10 bis 12 führen ihre Untersuchungsbefugnisse aus. Gemäß Artikel 10 hat sie die Befugnis zu Informationsersuchen von dort konkret definierten juristischen Personen. Nach Artikel 11 kann sie allgemeine Untersuchungen durchführen, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Sie kann die Vorlage von Unterlagen verlangen, die Bücher oder Aufzeichnungen von den o.g. Personen prüfen, schriftliche oder mündliche Erklärungen einholen oder jede andere Person befragen, die dieser Befragung zum Zweck der Einholung von Informationen über den Gegenstand einer Untersuchung zustimmt. Artikel 12 regelt die Befugnisse vor Ort. So kann sie unter klaren Vorgaben nach vorheriger Unterrichtung der betroffenen nationalen zuständigen Behörde eigenständig Prüfungen vor Ort durchführen. Soweit für eine Prüfung vor Ort eine gerichtliche Genehmigung erforderlich ist, sind die konkreten Vorgaben hierzu in Artikel 13 geregelt. Ihre besonderen Aufsichtsbefugnisse regeln die Artikel 14 bis 18. In Artikel 14 sind die Anforderungen an die Zulassung näher erläutert. Artikel 15 enthält Ausführungen zur Beurteilung des Erwerbs von qualifizierten Beteiligungen ausgeführt. Die Aufsichtsbefugnisse der EZB regelt Artikel 16. Artikel 17 weist auf die Einhaltung der Vorschriften des einschlägigen Unionsrechts bei der Beaufsichtigung grenzüberschreitend tätiger Institute hin. Artikel 18 enthält Vorschriften zu Verwaltungssanktionen.

3.1.5

Organisatorische Grundsätze

Die organisatorischen Grundsätze sind in den Artikeln 19 bis 31 geregelt.13 Das Erfordernis der Unabhängigkeit ist in Artikel 19 formuliert. Genannt werden hier explizit die Mitglieder des Aufsichtsgremiums und des Lenkungsausschusses. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Institutionen der Europäischen Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der EZB achten. Gefordert wird auch die Notwendigkeit der Erstellung und Veröffentlichung eines Verhaltenskodex für Mitarbeiter und leitende Angestellte der EZB, die an der Bankenaufsicht beteiligt sind. Artikel 20 führt die Rechenschaftspflicht und Berichterstattung der EZB gegenüber dem EU-Parlament, dem Rat, der EU-Kommission und der Euro-Gruppe aus. Einmal im Jahr hat die EZB einen Bericht über die Wahrnehmung der ihr übertragenden Aufgaben vorzulegen.

12 13

Ebenda, Seite 79 ff. Ebenda, Seite 83 ff.

491

Lothar Jerzembek

Diesen Bericht leitet die EZB gemäß Artikel 21 den nationalen Parlamenten der teilnehmenden Staaten unmittelbar zu. Die nationalen Parlamente ihrerseits können begründete Stellungnahmen der EZB übermitteln. Artikel 22 regelt das ordnungsgemäße Verfahren für die Aufnahme von Aufsichtsbeschlüssen. Die EZB hat hierbei ihre Beschlüsse zu begründen. In Artikel 23 werden die Meldungen von Verstößen ausgeführt. Artikel 24 fordert von der EZB die Einrichtung eines administrativen Überprüfungsausschusses. Dieser hat die interne administrative Überprüfung der Beschlüsse vorzunehmen, die die EZB erlassen hat. Diese Überprüfung erstreckt sich auf die verfahrensmäßige und die materielle Übereinstimmung solcher Beschlüsse mit der SSM-Verordnung. Der administrative Überprüfungsausschuss besteht aus fünf Mitgliedern, die ein hohes Ansehen genießen, aus den Mitgliedstaaten stammen, nachweislich über einschlägige Kenntnisse und berufliche Erfahrungen auch im Aufsichtswesen verfügen und nicht zum aktuellen Personal der EZB gehören. Artikel 26 verlangt die Einrichtung eines Aufsichtsgremiums. Dieses interne Organ setzt sich aus dem Vorsitzenden, dem stellvertretenden Vorsitzenden, vier von der EZB ernannten Vertretern sowie jeweils einem Vertreter der für die Beaufsichtigung von Kreditinstituten in den teilnehmenden Mitgliedstaaten verantwortlichen nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Artikel 25 hebt die Trennung der bankaufsichtlichen von der geldpolitischen Funktion hervor. Die bankaufsichtlichen Aufgaben der EZB dürfen ihre Aufgaben im Bereich der Geldpolitik weder beeinträchtigen noch durch diese bestimmt werden. Das bankaufsichtliche Personal muss organisatorisch getrennt sein und einer getrennten Berichterstattung unterliegen. Für Zwecke der Trennung der beiden Funktionen muss die EZB interne Vorschriften erlassen und veröffentlichen. Die EZB muss auch sicherstellen, dass der EZB-Rat seine geldpolitischen und seine aufsichtlichen Funktionen in vollkommen getrennter Weise vornimmt. Zu diesem Zweck richtet die EZB eine Schlichtungsstelle ein.

492

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Abbildung 2: EZB-Aufsicht – Beschlussfassung

Von besonderer Bedeutung ist auch Artikel 30, der das Erfordernis der Aufsichtsgebühren regelt. Zu diesem Zweck musste die EZB eine Gebührenverordnung erlassen. Artikel 31 regelt die Ausstattung mit Personal und den Austausch von Personal mit und zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden.

3.1.6

Allgemeine und Schlussbestimmungen

Gemäß Artikel 32 wird die EU-Kommission spätestens am 31.12.2015 erstmalig einen Bericht über die Anwendung dieser SSM-Verordnung veröffentlichen. Darin wird sie einen besonderen Schwerpunkt auf die Überwachung der möglichen Auswirkungen auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes legen. Sie wird das Funktionieren des einheitlichen Aufsichtsmechanismus einschließlich der möglichen Auswirkungen auf die Struktur und der nationalen Bankensysteme innerhalb der Union ebenso bewerten wie die Aufteilung der Aufgaben zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden. Diesen Bericht hat die EU-Kommission danach alle drei Jahre zu erstellen und offenzulegen. Artikel 33 enthält die Übergangsvorschriften, die mit unterschiedlichen Terminen verbunden sind. Grundsätzlich hatten die teilnehmenden Mitgliedstaaten am 03.11.2013 der EZB die Identität der künftig direkt beaufsichtigten Institute mitzuteilen. Ab dem 03.11.2013 sollte gemäß Absatz 4 die EZB die umfassende Bewertung jener Kreditinstitute einschließlich einer Bilanzbewertung durchführen.14 Gleichfalls ab dem 03.11.2013

14

Ebenda, Seite 89. Weiteres hierzu in Abschnitt 4.4.

493

Lothar Jerzembek

war die EZB verpflichtet, dem EU-Parlament, dem Rat und der EU-Kommission vierteljährlich einen Bericht über die Fortschritte bei der operativen Durchführung dieser Verordnung gemäß Absatz 2 Unterabsatz 3 zu übermitteln. Ebenfalls ab dem 03.11.2013 war gemäß Absatz 3 die EZB mit der Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben mit Ausnahme des Erlasses von Aufsichtsbeschlüssen beauftragt. Nach dem 03.11.2013 sollte die EZB im Wege von Verordnungen und Beschlüssen die detaillierten operativen Bestimmungen zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben gemäß Absatz 2 Unterabsatz 2 veröffentlichen. Bis zum 04.05.2014 war die EZB verpflichtet, das Rahmenwerk zu veröffentlichen. Die SSM-Verordnung trat am 03.11.2013 in Kraft. Am 04.11.2014 übernahm die EZB die laufende Aufsicht über die direkt beaufsichtigten Institute bzw. Institutsgruppen.

3.2 Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank In Artikel 25, Trennung von der geldpolitischen Funktion, und Artikel 26, Aufsichtsgremium, war der Anspruch formuliert worden, dass die bankaufsichtliche Funktion klar und deutlich von der geldpolitischen Funktion zu trennen waren. Zu diesem Zweck änderte die EZB am 22.01.2014 ihre Geschäftsordnung.15 Mit der Änderung wurden insbesondere ein Verhaltenskodex für die Mitglieder des EZB-Rates sowie ein Prüfungsausschuss zur Stärkung der bereits bestehenden internen und externen Kontrollinstanzen und zur Verbesserung der Corporate Governance der EZB und des Eurosystems gefordert. In die Geschäftsordnung wurde Kapitel IV A, Aufsichtsaufgaben, neu eingefügt. Es enthält Ausführungen zum Aufsichtsgremium, dem EZB-Rat und der internen Organisationsstruktur für Aufsichtsaufgaben. Artikel 13a fordert die Einführung des Aufsichtsgremiums, Artikel 13b formuliert Anforderungen an dessen Zusammensetzung, gemäß Artikel 13d muss sich das Aufsichtsgremium einer Verfahrensordnung geben. Nach Artikel 13e muss es einen Verhaltenskodex für Mitglieder des Aufsichtsgremiums erlassen. Artikel 13k definiert das Erfordernis der Trennung der bankaufsichtlichen von den geldpolitischen Aufgaben. Artikel 13l enthält Ausführungen über die Organisation, der die Aufsichtsaufgaben betreffenden Sitzungen des EZB-Rates. Über die interne Organisationsstruktur für Aufsichtsaufgaben enthält Artikel 13m Anforderungen. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA stellt Artikel 13o dar, wie der Vertreter der EZB bei der EBA ernannt werden soll.

15

494

Siehe Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2014 zur Änderung des Beschlusses EZB/2004/2 zur Verabschiedung der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank (EZB/2014/1) – (2014/179/EU), Amtsblatt der Europäischen Union L 95 vom 29. März 2014, S. 56-62.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Neu eingefügt in die Geschäftsordnung der EZB wurde mit Artikel 23a das Erfordernis der Vertraulichkeit und Geheimhaltung von Aufsichtsaufgaben.

3.3 Änderung der EBA-Verordnung Mit der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des EU-Parlaments und des Rats vom 24.11.2010 war die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA errichtet worden (EBA-Verordnung).16 Die Vorschläge der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 29.06.2012 zur Schaffung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Einbeziehung der EZB machten es notwendig, die EBA-Verordnung entsprechend zu ändern. Damit sollte sichergestellt werden, dass es mit der Errichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Wahrung der ordnungsgemäßen Funktionsweise der EBA nicht zu einer Fragmentierung in der Bankenaufsicht kommen sollte. Die EBA sollte weiterhin das einheitliche Regelwerk ausarbeiten und die EU-weit konvergierten Aufsichtspraktiken sicherstellen. Somit beschränkte sich der Änderungsbedarf bei der EBAVerordnung darauf, die Verfahrungsmodalitäten für die Tätigkeiten der EBA anzupassen und die Abgrenzung zwischen EZB und EBA zu definieren. Wie die EZB ist auch die EBA gemäß Artikel 3 dem EU-Parlament und dem Rat gegenüber rechenschaftspflichtig. Mit Artikel 20a und der Änderung des Artikel 21 wurde die Konvergenz der bankaufsichtlichen Überprüfungsverfahren und die Erarbeitung eines von EBA und EZB mit den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden ausgearbeiteten europäischen Aufsichtshandbuchs für die Beaufsichtigung von Finanzinstituten verlangt. Es sollte Parameter und Methoden für die Risikobewertung, für frühzeitige Warnungen sowie Kriterien für Aufsichtsmaßnahmen darlegen. Ferner regelt die geänderte Verordnung die Abstimmungsmodalitäten, so dass die EZB nunmehr auch eine Koordinierung der Standpunkte der Mitgliedstaaten der Euro-Zone vornehmen soll.

16

Siehe Amtsblatt der Europäischen Union L 331 vom 15. Dezember 2010, S. 12-47.

495

Lothar Jerzembek

3.4 SSM-Rahmenverordnung Am 16.04.2014 erließ der EZB-Rat die Verordnung der EZB zur Errichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen EZB und den national zuständigen Behörden und den national bekannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (EZB/2014/17).17 Damit setzte die EZB den Artikel 6 Absatz 7 der SSM-Verordnung um, demzufolge sie in Abstimmung mit den nationalen Aufsichtsbehörden und auf Grundlage eines Vorschlags eines Aufsichtsgremiums ein Rahmenwerk zur Gestaltung der praktischen Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden innerhalb des SSM erarbeiten, annehmen und veröffentlichen sollte. Gemäß Artikel 33 Absatz 2 der SSM-Verordnung muss die EZB im Wege von Verordnungen und Beschlüssen ihre detaillierten operativen Bestimmungen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch veröffentlichen.

Die SSM-Rahmenverordnung gliedert sich in zwölf Teile: Tabelle 2 Teil

Titel

I

Allgemeine Bestimmungen

II

Organisation des SSM 1

Organisation des SSM

2

Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis und Beteiligung der EZB und der NCAs an Aufsichtskollegien

3

Verfahren, die das Niederlassungsrecht und den freien Dienstleistungsverkehr regeln

4

Zusätzliche Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten

III

17

496

Überschrift

Allgemeine Bestimmung für die Arbeitsweise des SSM 1

Grundsätze und Pflichten

2

Allgemeine Bestimmungen für ein ordnungsgemäßes Verfahren zum Erlass von Aufsichtsbeschlüssen der EZB

3

Meldung von Verstößen

Siehe Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (EZB/2017/17), Amtsblatt der Europäischen Union L 141 vom 14. Mai 2014, S. 1-50.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Teil

Titel

IV

Überschrift Bestimmung des Status eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend oder weniger bedeutend

1

Allgemeine Bestimmungen bezüglich der Einstufung als bedeutend oder weniger bedeutend

2

Verfahren für die Einstufung beaufsichtigter Unternehmen als bedeutende beaufsichtigte Unternehmen

3

Feststellung der Bedeutung auf Basis der Größe

4

Feststellung der Bedeutung auf Basis der Relevanz für die Wirtschaft der Union oder eines teilnehmenden Mitgliedstaats

5

Feststellung der Bedeutung auf Basis der Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten

6

Feststellung der Bedeutung auf Basis eines Antrags auf öffentliche finanzielle Unterstützung durch den ESM

7

Feststellung der Bedeutung auf Basis des Kriteriums, dass das beaufsichtigte Unternehmen eines der drei bedeutendsten Kreditinstitute in einem teilnehmenden Mitgliedstaat ist

8

Beschluss der EZB, ein weniger bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen gemäß Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b der SSM-Verordnung direkt zu beaufsichtigen

9

Besondere Umstände, die eine Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als weniger bedeutend rechtfertigen können, obwohl die Kriterien für die Einstufung als bedeutend erfüllt sind

V

Gemeinsame Verfahren 1

Zusammenarbeit bei Anträgen auf Zulassung zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts

2

Zusammenarbeit beim Entzug der Zulassung

3

Zusammenarbeit in Bezug auf den Erwerb qualifizierter Beteiligungen

4

Bekanntgabe von Beschlüssen zu gemeinsamen Verfahren

1

Beaufsichtigung bedeutender beaufsichtigter Unternehmen und Unterstützung durch die NCAs

2

Einhaltung der Anforderungen an die fachliche Qualifikation und die persönliche Zuverlässigkeit der für die Geschäftsführung von Kreditinstituten verantwortlichen Personen

3

Von bedeutenden beaufsichtigten Unternehmen anzuwendende andere Verfahren

VI

Verfahren für die Beaufsichtigung bedeutender beaufsichtigter Unternehmen

VII

Verfahren für die Beaufsichtigung weniger bedeutender beaufsichtigter Unternehmen 1

Der EZB von den NCAs zu erstattende Anzeige über wesentliche NCA-Aufsichtsverfahren und wesentliche Aufsichtsbeschlussentwürfe der NCAs

2

Der EZB nachträglich von den NCAs erstattete Berichte in Bezug auf wenige bedeutende beaufsichtigte Unternehmen

497

Lothar Jerzembek

Teil

Titel

VIII 1

Definition der makroprudenziellen Instrumente

2

Verfahrensvorschriften für die Anwendung makroprudenzieller Instrumente

IX

Verfahren für die enge Zusammenarbeit 1

Allgemeine Grundsätze und gemeinsame Bestimmungen

2

Enge Zusammenarbeit in Bezug auf die Teile III, IV, V, VIII, X und XI

3

Enge Zusammenarbeit in Bezug auf bedeutende beaufsichtigte Unternehmen

4

Enge Zusammenarbeit in Bezug auf weniger bedeutende beaufsichtigte Unternehmen und weniger bedeutende beaufsichtigte Gruppen

5

Verfahren im Falle einer Ablehnung eines Beschlussentwurfs durch einen teilnehmenden Mitgliedstaat in enger Abstimmung

X

Verwaltungssanktionen 1

Definitionen und Beziehung zur Verordnung (EG) Nr. 2532/98 des Rates

2

Verfahrensregelungen für die Verhängung von Verwaltungssanktionen – mit Ausnahme von in regelmäßigen Abständen zu zahlenden Strafgeldern – gegen beaufsichtigte Unternehmen in Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets

3

In regelmäßigen Abständen zu zahlende Strafgelder

4

Fristen

5

Veröffentlichung von Beschlüssen und Informationsaustausch

6

Nach Artikel 8 Absatz 5 der SSM-Verordnung vorgesehene Zusammenarbeit zwischen der EZB und den NCAs in Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets

7

Straftaten

8

Sanktionserlöse

XI

XII

Überschrift Zusammenarbeit zwischen der EZB, den NCAs und NDAs im Hinblick auf makroprudenzielle Aufgaben und Instrumente

Zugang zu Informationen, Berichterstattung, Untersuchungen und Vor-OrtPrüfungen 1

Allgemeine Grundsätze

2

Zusammenarbeit in Bezug auf Informationsersuchen

3

Meldewesen

4

Zusammenarbeit in Bezug auf allgemeine Untersuchungen

5

Vor-Ort-Prüfungen Übergangs- und Schlussbestimmungen

Mit ihr werden die durch die SSM-Verordnung eingerichteten Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Behörden (National Competent Authorities – NCAs) innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus konkretisiert und die Funktionsweise dieser engen Zusammenarbeit geregelt. Analog gilt dies auch für

498

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

die sogenannten national bekannten Behörden (National Designated Authorities – NDAs). Mit dem Rahmenwerk werden geregelt: (1) die Methodik für die Bewertung und Überprüfung, ob ein beaufsichtigtes Unternehmen als bedeutend oder weniger bedeutend eingestuft wird, und die sich aus dieser Bewertung ergebene Modalität, (2) für die Beaufsichtigung bedeutender Institute die Verfahren samt Fristen, die das Verhältnis zwischen der EZB und den NCAs betreffen, und (3) für die Beaufsichtigung weniger bedeutender Institute die Verfahren samt Fristen, die das Verhältnis zwischen der EZB und den NCAs betreffen. Des Weiteren regelt sie das Sprachenregime zwischen der EZB und den NCAs sowie zwischen der EZB und dem beaufsichtigten Unternehmen und relevanten Personen. Ist die Kommunikation zwischen den Aufsichtsinstitutionen das Englische, so ist die Kommunikation mit einem Institut formal in der Amtssprache desjenigen Mitgliedstaats möglich, in dem das Institut seinen Sitz hat. Jedoch warb die EZB von Anfang an für die Kommunikation in Englisch. Konnte man dies aus Sicht der EZB durchaus nachvollziehen, so warf dieser Antritt dennoch eine Vielfalt von Fragen mit teilweise erheblichen rechtlichen Aufgaben auf. Die SSM-Rahmenverordnung hat somit eine hohe Praxisrelevanz.

3.5 Interne Vorschriften bezüglich der Trennung der bankaufsichtlichen von der geldpolitischen Funktion Gemäß Artikel 25 der SSM-Verordnung war die EZB verpflichtet, interne Vorschriften zu erlassen und veröffentlichen, um die Trennung der bankaufsichtlichen von der geldpolitischen Funktion zu gewährleisten. Dies schlägt sich nieder in einer organisatorischen Trennung des Dokumenten- und Informationsmanagementsystems der EZB, damit der Zugriff auf die bankaufsichtlichen Dokumente und Ordner entsprechend den Vorgaben eingeschränkt wird. Auf Grundlage der Vertraulichkeitsbestimmungen der EZB werden in den internen Vorschriften auch die Art der Klassifizierung und der Umgang mit den sensiblen Daten festgelegt. Zuständig für die Erarbeitung der internen Vorschriften ist das Aufsichtsgremium.

3.6 EZB-Beschluss über enge Zusammenarbeit Artikel 7 der SSM-Rahmenverordnung regelt die operativen Bestimmungen für die enge Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden desjenigen Mitgliedstaates, dessen Währung nicht der Euro ist, der aber eine enge Zusammenarbeit

499

Lothar Jerzembek

vereinbart hat. Für das Verfahren zur Aufnahme einer solchen engen Zusammenarbeit war ebenfalls ein Beschluss der EZB erforderlich. Die EZB hatte diesen Beschluss EZB/ 2014/5 am 31.01.2014 gefasst.18 Er trat am 27.02.2014 in Kraft. Titel 1 behandelt die Verfahren für das Eingehen einer engen Zusammenarbeit. Dies bedeutet das Ersuchen einschließlich der hierfür erforderlich Erklärung, die Prüfung des Ersuchens und den Beschluss zum Eingehen einer engen Zusammenarbeit. Titel 2 enthält Ausführungen zur Aussetzung oder Beendigung einer engen Zusammenarbeit. Bis Ende September 2014 hat die EZB trotz informeller Interessenbekundungen kein offizielles Aufnahmeersuchen erhalten.

3.7 SSM-Gebührenverordnung Gemäß Artikel 30 Absatz 2 der SSM-Verordnung erhebt die EZB von einem Institut zur Erfüllung ihrer aufsichtsrechtlichen Aufgaben eine Gebühr. Am 27.05.2014 hatte sie den Entwurf der SSM-Gebührenverordnung veröffentlicht und bis zum 11.07.2014 zur Konsultation gestellt.19 Die SSM-Gebührenverordnung war bis zur Fertigstellung dieses Beitrages noch nicht verabschiedet. Der Verordnungsentwurf regelt die Erhebung und die Einziehung der jährlichen Aufsichtsgebühr zur Deckung von Ausgaben im Zusammenhang mit den Aufsichtsaufgaben der EZB. Er verankert die Methoden für die Festsetzung des Gesamtbetrags der jährlichen Aufsichtsgebühr, die Berechnung des von jedem beaufsichtigten Unternehmens oder jeder beaufsichtigten Institutsgruppe zu zahlenden Betrags und legt das Verfahren für die Einziehung der jährlichen Aufsichtsgebühr fest. Die Zusammensetzung der Gebühr richtet sich nach sogenannten Gebührenfaktoren. Die Jahresgebühr setzt sich aus einer fixen und einer variablen Komponente zusammen. Grundlage der Ermittlung der Gebühren ist der Begriff der gesamten Vermögenswerte (total assets) und der gesamten Risikopositionen (total risk exposure). Unklar bleibt in diesem Zusammenhang, ob die EZB alle Institute gemäß der rechtlichen Verpflichtung zur Rechnungslegung nach nationalen Vorschriften (bspw. HGB) oder nach internationalen Vorschriften (also IFRS) behandelt. Mögliche Überlegungen, für alle bedeutenden Institute die IFRS als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, sind abzulehnen.

18

19

500

Siehe Beschluss EZB/2014/5 vom 21. Januar 2014 über die enge Zusammenarbeit mit den national zuständigen Behörden teilnehmender Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, Amtsblatt der Europäischen Union L 198 vom 5. Juli 2014, S. 7-10. Siehe Europäische Zentralbank: Öffentliche Konsultation. Entwurf einer Verordnung der Europäischen Zentralbank über Aufsichtsgebühren, Frankfurt am Main, 27. Mai 2014.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Nach heutigem Stand wird die EZB ab dem 04.11.2014 die Überwachung von ca. 4.700 Instituten mit einem Bilanzvolumen von ca. 25 Billionen EUR übernehmen.20 Ca. 85% dieses Volumens entfällt auf die 120 bedeutenden Institutsgruppen einschließlich der rund 1.200 Einzelinstitute und ca. 15% auf die 3.500 nicht bedeutenden Institute. Hiervon wiederum entfällt ungefähr die Hälfte auf deutsche mittlere und kleinere Banken und Sparkassen. Die EZB wird ihre unmittelbaren Kosten des SSM auf alle beaufsichtigten Institute umlegen – also auch auf die weniger bedeutenden Institute. 85% der Kosten werden voraussichtlich auf die bedeutenden und 15% auf die weniger bedeutenden Institute entfallen. Die Gesamtkosten für die Jahre 2014 wie auch 2015 veranschlagte die EZB auf ca. 300 Mio. EUR. Auch wenn gemäß dieser Zahlen der Anteil der weniger bedeutenden Institute relativ klein ist, so haben doch in Deutschland die beiden Verbundorganisationen für Sparkassen und Genossenschaftsbanken Vorbehalte geäußert, dass die auf die Bilanzsumme bezogene Aufteilung sachgerecht ist. Ein besonderes Augenmerk bleibt außerdem darauf gerichtet, dass mit dieser Verordnung nur die Kosten, die aus der geldpolitischen Funktion der EZB resultieren, tatsächlich den Instituten aufgebürdet werden. Auch hier sollte das Verursacherprinzip gewahrt werden!

3.8 EZB-Beschluss bezüglich der Liste bedeutender Institute Am 04.09.2014 hat die EZB die finale Liste der bedeutenden Kreditinstitutionen gemäß Artikel 49 der SSM-Verordnung veröffentlicht.21 Danach werden 120 Kreditinstitute bzw. Institutsgruppen als bedeutend eingestuft. Die EZB hat auf Grundlage der SSMVerordnung und der SSM-Rahmenverordnung die Beurteilung nach den fünf bekannten Kriterien durchgeführt (siehe Abschnitt 3.1.2): 1. Größe, d.h. Gesamtwert der Aktiva mehr als 30 Mrd. EUR, 2. Relevanz für die Wirtschaft der Union oder eines teilnehmenden Mitgliedstaates, d.h. Gesamtwert der Aktiva mehr als 5 Mrd. EUT oder mehr als 20% des Bruttoinlandsproduktes eines Mitgliedstaates, 3. Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten, d.h. das Verhältnis der grenzüberschreitenden Aktiva bzw. Passiva zu den gesamten Aktiva bzw. Passiva von mehr als 20%,

20

21

Siehe Lautenschläger, Sabine: Nationale Aufsicht in einem europäischen System: Wo liegt die neue Balance? Wien, 30. September 2014. Siehe Europäische Zentralbank: Liste bedeutender beaufsichtigter Unternehmen und Liste weniger bedeutender Institute, Frankfurt am Main, 4. September 2014.

501

Lothar Jerzembek

4. Antrag auf direkte öffentliche finanzielle Unterstützung durch den europäischen Stabilitätsmechanismus oder die Entgegennahme einer solchen Unterstützung sowie 5. eines der drei bedeutendsten Kreditinstitute in einem teilnehmenden Mitgliedstaat. Die Verteilung der 120 Institute sieht wie folgt aus:22 Tabelle 3: Bedeutende Institute nach Kriterien Kriterien für die Feststellung der Bedeutung

Zahl der Kreditinstitute/Gruppen

Größe

97

Relevanz für die Wirtschaft

13

Eines der drei bedeutendsten Kreditinstitute in einem teilnehmenden Mitgliedstaat

7

Grenzüberschreitende Tätigkeiten

3

Von diesen 120 ausgewählten Kreditinstituten bzw. Institutsgruppen haben die umfassende Bewertung (Comprehensive Assessment) 116 Institute durchlaufen. Bei den vier Ausnahmen handelt es sich bei drei Instituten um Institute, die auf Basis des Kriteriums der grenzüberschreitenden Tätigkeit als bedeutend eingestuft wurden. Bei dem vierten Ausnahmefall handelt es sich um eine Niederlassung einer Nicht-SSM-Bankgruppe, die somit nicht Gegenstand der umfassenden Bewertung ist. Umgekehrt wurden von den ursprünglich 128 Instituten, die der umfassenden Bewertung unterliegen, elf Institute als weniger bedeutend eingestuft.23 Aus Deutschland wurden 21 Institute bzw. Institutsgruppen als bedeutend eingestuft. Zwei Drittel der Institute sind Mitglied im Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, VÖB.

22

23

502

Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, Fortschritte bei der operativen Durchführung der Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus, 5. August 2014, hier S. 8. Ebenda.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Tabelle 4: Bedeutende Institute aus Deutschland • Aareal Bank AG

• Haspa Finanzholding

• Landwirtschaftliche Rentenbank

• Bayerische Landesbank

• HSH Nordbank AG

• Münchener Hypothekenbank e.G.

• Commerzbank AG

• Hypo Real Estate Holding AG

• Norddeutsche Landesbank Girozentrale

• DekaBank Deutsche Girozentrale

• Landesbank BadenWürttemberg

• NRW.BANK

• Deutscher Apothekerund Ärztebank EG

• Landesbank Berlin Holding AG

• SEB AG

• Deutsche Bank AG

• Landesbank HessenThüringen Girozentrale

• Volkswagen Financial Services AG

• DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank

• Landeskreditbank BadenWürttemberg – Förderbank

• WGZ Bank AG Westdeutsche GenossenschaftsZentralbank

4 Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank 4.1 Errichtung der SSM-Steuerungsstrukturen 4.1.1

Aufsichtsgremium

Gemäß Artikel 26 der SSM-Verordnung richtete die EZB ihr Aufsichtsgremium ein. Am 16.12.2013 ernannte der EU-Rat Madame Danièle Nouy zur ersten Vorsitzenden. Mit Wirkung zum 12.02.2014 wurde Frau Sabine Lautenschläger als Mitglied des Direktoriums der EZB zur stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums ernannt. Am 06.03.2014 ernannte der EZB-Rat weitere drei EZB-Vertreter für das Aufsichtsgremium: • Frau Sirkka Hämäläinen aus Finnland, ehemaliges Mitglied des EZB-Direktoriums von 1998 bis 2003, • Frau Julie Dickson aus Kanada, derzeit Chefin der wichtigsten nationalen Regulierungs- und Aufsichtsbehörde für Finanzinstitutionen, sowie • Herrn Ignazio Angeloni aus Italien. Die nationalen Aufsichtsbehörden waren aufgefordert, jeweils einen Vertreter zu bestellen.

503

Lothar Jerzembek

Zur klaren Abgrenzung der Aufgaben des EZB-Rates von den Aufgaben des Aufsichtsgremiums änderte der EZB-Rat am 22.01.2014 die Geschäftsordnung der EZB.24 Am 31.03.2014 wiederum verabschiedete das Aufsichtsgremium nach Abstimmung mit dem EZB-Rat seine Verfahrensordnung.25 Gemäß den internen Vorschriften gelten Beschlussentwürfe des Aufsichtsgremiums als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb von max. zehn Arbeitstagen Widerspruch erhebt. Zusätzlich zum Aufsichtsgremium gibt es einen Lenkungsausschuss, der das Aufsichtsgremium unterstützt.

4.1.2

Lenkungsausschuss

Die Verfahrensordnung des Aufsichtsgremiums in Verbindung mit der geänderten Geschäftsordnung der EZB führt aus, dass der Lenkungsausschuss nicht mehr als zehn Mitglieder umfassen sollte. Bei seiner Zusammensetzung war Maßstab ein ausgewogenes Verhältnis der nationalen Aufsichtsbehörden. Das ausgewogene Verhältnis soll durch eine Rotation zusätzlich gewährleistet werden.26 Tatsächlich setzt sich der Lenkungsausschuss derzeit aus acht Mitgliedern des Aufsichtsgremiums zusammen: der Vorsitzenden, der stellvertretenden Vorsitzenden, einem Vertreter der EZB und fünf Mitgliedern von nationalen Aufsichtsbehörden. Die fünf Mitglieder werden jeweils für ein Jahr ernannt. Die NCAs wurden anhand einer Rangordnung auf Grundlage der Summe der konsolidierten Bankaktiva in dem jeweiligen teilnehmenden Mitgliedstaat in vier Gruppen eingeteilt. Aus jeder Gruppe muss mindestens ein Mitglied im Lenkungsausschuss sitzen. Aufgabe des Lenkungsausschusses ist es, die Tätigkeit des Aufsichtsgremiums zu unterstützen und seine Sitzung vorzubereiten. Am 27.03.2014 fand die erste Sitzung statt.

4.1.3

Administrativer Überprüfungsausschuss

Gemäß Artikel 24 der SSM-Verordnung hatte die EZB einen Administrativen Überprüfungsausschuss einzurichten. Beschlüsse, die die EZB im Rahmen der Ausübung ihrer Befugnisse erlassen hat, hat er intern zu überprüfen. Diese Überprüfung von Aufsichts-

24

25

26

504

Siehe Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2014 zur Änderung des Beschlusses EZB/2004/2 zur Verabschiedung der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank (EZB/2014/1) (2014/179/EU), Amtsblatt der Europäischen Union L 95 vom 29. März 2014, S. 56-62. Siehe Verfahrensordnung des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank, Amtsblatt der Europäischen Union L 182 vom 21. Juni 2014, S. 56-60. Ebenda.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

beschlüssen kann auf Antrag beliebiger natürlicher oder juristischer Personen erfolgen, sofern die Aufsichtsbeschlüsse diese Person unmittelbar und individuell betreffen oder an sie gerichtet sind. Die Überprüfung soll sich dabei auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung des angefochtenen Beschlusses mit der SSM-Verordnung erstrecken. Den Beschluss zur Errichtung des Administrativen Überprüfungsausschusses und zu den Vorschriften über seine Verfahrensweise verabschiedete der EZB-Rat am 16.04.2014.27 Er trat am 15.06.2014 in Kraft. Der Beschluss enthält sechs Kapitel nach dem Einführungskapitel. Tabelle 5 Kapitel

Titel

I

Administrativer Überprüfungsausschuss

II

Antrag auf Überprüfung

III

Überprüfung

IV

Beschlussfassung

V

Rechtsweg

VI

Allgemeine Bestimmungen

Am 08.09.2014 teilte die EZB mit, dass der EZB-Rat fünf Mitglieder für einen Zeitraum von fünf Jahren ernannt hatte. Darunter ist auch Dr. Edgar Meister, ehemaliges Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank. Zwei weitere Personen wurden als Ersatzmitglieder benannt.

4.1.4

Schlichtungsstelle

Artikel 25 Absatz 5 der SSM-Verordnung sieht eine Schlichtungsstelle als ein internes Gremium vor, welches die Trennung der aufsichtlichen Aufgaben von den geldpolitischen Funktionen sicherstellen soll. Auf Anfrage einer nationalen Aufsichtsbehörde soll sie sich mit Einwänden des EZB-Rates gegen Beschlussentwürfe des Aufsichtsgremiums befassen. Jeder teilnehmende Mitgliedstaat ist mit jeweils mit einem Mitglied vertreten, welches aus dem Kreis der Mitglieder des EZB-Rates und des Aufsichtsgremiums ausgewählt wird. Die EZB-Verordnung zur Einrichtung der Schlichtungsstelle und zu seiner

27

Siehe Beschluss EZB/2014/16 vom 14. April 2014 zur Einrichtung eines Administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften über seine Arbeitsweise, Amtsblatt der Europäischen Union L 175 vom 14. Juni 2014, S. 47-53.

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Lothar Jerzembek

Geschäftsordnung wurde am 02.06.2014 erlassen, sie trat am 20.06.2014 in Kraft.28 Kapitel 1 enthält Ausführungen über die Einrichtung und die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle, der Ernennung ihrer Mitglieder, die Teilnahme wie auch die Durchführung der Sitzungen der Schlichtungsstelle und das Abstimmungsverfahren. Kapitel 2 behandelt die Schlichtung selbst, d.h. die Beantragung des Schlichtungsverfahrens, die Einsetzung eines Sachausschusses für jeden Schlichtungsantrag. Kapitel 3 erläutert das Beschlussfassungsverfahren. Auch in dieser Verordnung werden Vertraulichkeit und Geheimhaltung klar ausgesprochen. Hervorzuheben ist hier, dass die Stellungnahme der Schlichtungsstelle für das Aufsichtsgremium und den EZB-Rat nicht bindend ist.

4.2 Einrichtung der Aufsichtsfunktion bei der Europäischen Zentralbank 4.2.1

Organisation

Die EZB hat für die Wahrnehmung ihrer Aufsichtsfunktionen vier Generaldirektionen und ein Sekretariat für das Aufsichtsgremium geschaffen. Die Generaldirektionen Microprudenzielle Aufsicht I und II (GD Micro I und II) sind für die direkte laufende Beaufsichtigung der 120 bedeutenden Banken bzw. Institutsgruppen einschließlich der rund 1.200 Einzelinstitute zuständig, die Generaldirektion Microprudenzielle Aufsicht III für die indirekte laufende Aufsicht über die ca. 3.500 nicht signifikanten Banken oder Bankengruppen in der Euro-Zone. Die Generaldirektion Microprudenzielle Aufsicht IV übt Querschnittsaufgaben aus und besitzt bereichsübergreifendes Expertenwissen. Die beiden erstgenannten Generaldirektionen haben sich die Zuständigkeit für die direkte laufende Aufsicht der 120 Bankengruppen anhand eines risikobasierten Aufsichtsansatzes aufgeteilt. Die 30 Banken mit der größten Systemrelevanz sind der GD Micro I zugewiesen, die anderen der GD Micro II. Die GD Micro I unter Leitung von Stefan Walter und seinen beiden Stellvertretern hat sieben Abteilungen, die GD Micro II unter Leitung von Ramón Quintana und zwei Stellvertretern hat acht Abteilungen. Die GD Micro III unter Leitung von Jukka Vesala und einem Vertreter hat drei Abteilungen, die sich mit der Analyse der methodischen Unterstützung, der instituts- und sektorspezifischen Aufsicht sowie der Überwachung der Aufsichtstätigkeit und den Beziehungen zu nationalen Behörden beschäftigen. Die GD Micro IV unter der Leitung

28

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Siehe Europäische Zentralbank: Verordnung (EU) Nr. 673/2014 der Europäischen Zentralbank vom 2. Juni 2014 über die Einrichtung einer Schlichtungsstelle und zur Festlegung ihrer Geschäftsordnung (EZB/2014/26), Amtsblatt der Europäischen Union L 179 vom 19. Juni 2014, S. 72-76.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

von Dr. Korbinian Ibel und zwei Vertretern besteht aus insgesamt zehn Abteilungen. Diese sind zuständig für aufsichtliche Grundsatzfragen, aufsichtliche Qualitätssicherung, Aufsichtsplanung, Durchsetzung und Sanktionen, interne Modelle, Krisenmanagement, Methodik und Entwicklung von Standards, Vor-Ort-Prüfungen, SSM-Risikoanalyse und Zulassungsverfahren. In sieben der zehn Abteilungen wurden zusätzliche untergeordnete Organisationsstrukturen in Form von jeweils zwei Gruppen eingerichtet. Das Sekretariat des Aufsichtsgremiums befasst sich in zwei Gruppen mit den Beschlussfassungsprozessen und den Grundsatzfragen der Beschlussfassung. Abbildung 3: Organisation der microprudenziellen Aufsicht

Die von den vier Generaldirektionen benötigten IT-Funktionen werden von der Generaldirektion Informationssysteme und der Generaldirektion Statistik bereitgestellt. Hierfür wurde explizit eine unabhängige Stabsstelle für zentrale Funktionen geschaffen.

4.2.2

Personalausstattung

Für die vier Generaldirektionen plus das Sekretariat werden nach heutiger Information ca. 1.000 Mitarbeiter eingestellt, davon 800 für die eigentliche laufende Beaufsichtigung. Bis Ende September 2014 waren ca. 20.000 Bewerbungen eingegangen.

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Lothar Jerzembek

Für die beiden Generaldirektionen, die für die direkte Beaufsichtigung zuständig sind, sollen ca. 300 Mitarbeiter tätig sein. Die GD Micro III soll ca. 80 Mitarbeiter, die GD Micro IV voraussichtlich ca. 250 Mitarbeiter haben. Das Einstellungsverfahren erfolgte nach dem Top Down-Ansatz. Bis Anfang März 2014 hatten zehn Führungskräfte der oberen Führungsebene ihr Amt eingestellt.29 Bis Juli 2014 waren insgesamt 118 Führungskräfte und Berater angetreten.30 Zusätzlich zu diesen Neueinstellungen war es erforderlich, dass innerhalb der bestehenden Struktur der EZB neue Abteilungen in den Generaldirektionen Rechtsdienste, Statistik und makroprudenzielle Politik und Finanzstabilität eingerichtet wurden. Ebenso wurden in der Generaldirektion Personal, Budget und Organisation sowie in der Generaldirektion Verwaltung neue Unterabteilungen gebildet. Damit wurde der anfallenden Mehrarbeit und den neuen Aufgaben Rechnung getragen. Die Neueinstellungen für diese Bereiche sollen sich als Zielgröße auf ca. 200 Personen belaufen.31

4.2.3

Gemeinsamer Aufsichtsteams

Für die direkte laufende Beaufsichtigung der 120 bedeutenden Bankengruppe hat die EZB gemeinsame Aufsichtsteams (Joint Supervisory Teams – JST) eingerichtet. Jedes Team setzt sich aus Mitarbeitern der EZB, der nationalen Aufsichtsbehörde aus dem Sitzland des Instituts und anderer nationaler Aufsichtsbehörden zusammen. Die Größe und Zusammensetzung der Teams bemisst sich nach den Instituten bzw. der Institutsgruppe. Insgesamt gibt es 117 dieser gemeinsamen Aufsichtsteams. Jedes Institut bzw. jede Institutsgruppe, die der GD Micro I zugeordnet ist, hat ihr eigenes Team. Für die insgesamt 90 Banken bzw. Institutsgruppen, die der Generaldirektion Micro II zugeordnet sind, gibt es 87 Teams. Hintergrund hierfür ist, dass manche der bedeutenden Institute derselben Gruppe angehören, weil z.B. ein Institut als größtes Institut in einem Mitgliedstaat bereits einer Institutsgruppe angehört, die als bedeutend eingestuft worden ist. Der Vorsitzende eines jeden Teams ist der sogenannte Koordinator. Die Ernennung der Koordinatoren erfolgte im Sommer 2014 aus dem Kreis der Abteilungs- und Gruppenleiter aus GD Micro I und Micro II. Innerhalb eines Teams gibt es nationale Sub-Koordinatoren, die gemeinsam mit dem Vorsitzenden den Kern des gemeinsamen Aufsichts-

29 30 31

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Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/2, S. 8. Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, S. 9. Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/1, S. 19.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

teams bilden. Die anderen Mitglieder des gemeinsamen Aufsichtsteams sind Experten der EZB und der nationalen Aufsichtsbehörden. Die volle Einsatzbereitschaft war bis November 2014 sicherzustellen. Hierzu hatten die beiden Generaldirektionen Verantwortlichkeiten, Verfahren und Infrastrukturen definiert. Abbildung 4: Gemeinsames Aufsichtsteam

Aufgabe der gemeinsamen Aufsichtsteams ist nach Artikel 3 der SSM-Rahmenverordnung, den bankaufsichtlichen Überwachungs- und Bewertungsprozess durchzuführen, das Prüfungsprogramm festzulegen und durchzuführen sowie die Vor-Ort-Prüfungen zu koordinieren. Dazu zählt auch die enge Zusammenarbeit der Generaldirektion Micro IV. Für die indirekte laufende Beaufsichtigung der weniger bedeutenden Institute kann die EZB gemäß Artikel 6 Absatz 5 der SSM-Verordnung den nationalen Aufsichtsbehörden bindende Leitlinien für die Beaufsichtigung jener Institute vorgeben. Ebenso kann sie die Verantwortung für diese Institute unter bestimmten Voraussetzungen an sich ziehen. Gemäß Artikel 96 ff. der SSM-Rahmenverordnung müssen die nationalen Aufsichtsbehörden der EZB jährlich über die weniger bedeutenden Institute berichten sowie Verschlechterungen der Finanzlage und wesentliche Aufsichtsverfahren bzw. Beschlüsse gegenüber jenen Instituten unterrichten. Im Rahmen der Beaufsichtigung hat sich die EZB zum Ziel gesetzt, die Aufsichtsstandards zu harmonisieren. Es ist zunächst nachvollziehbar, dass mit dem Ziel einer harmonisierten Aufsicht die EZB ihre Datenabforderungen auf eine einheitliche Grundlage stellen möchte.

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Lothar Jerzembek

Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Wirtschaftskonzepte der beteiligten Mitgliedstaaten unterschiedlich sind und damit auch die Struktur der nationalen Bankenmärkte. Der Proportionalitätsgedanke sollte deshalb bewahrt und gepflegt werden. Dies gilt zusätzlich in Bezug auf Geschäftsmodell, Risikogehalt, Größe und Komplexität eines Instituts. Auch sollte im Rahmen der laufenden Beaufsichtigung die Wahrung der nationalen Rechnungslegungsstandards beachtet werden.

4.2.4

Trennung der Funktionsbereiche

Die EZB ist gemäß Artikel 25 der SSM-Verordnung verpflichtet, die Trennung zwischen Funktionen der Aufsicht und der Geldpolitik klar zu trennen. Hierzu hat sie interne Vorschriften zu erlassen – auch bezüglich der Geheimhaltungspflichten und des Informationsaustausches. Diese Vorschriften werden unter strikter Einhaltung der geltenden Gesetze und Vorschriften erstellt. Die Trennung erfolgt in Bezug auf Ziele, Aufgaben, Organisation sowie Verfahren auf der Ebene des EZB-Rates. So wird bspw. die organisatorische Trennung durch die beiden unterschiedlichen Standorte in Frankfurt am Main sichergestellt. Im Frankfurter Ostend wird in den beiden neuen EZB-Türmen die EZB-Zentrale mit der Geldpolitik und den anderen Arbeitsbereichen der EZB untergebracht. Die Bankenaufsicht wird weiterhin in der Frankfurter Innenstadt ihren Aufgaben nachkommen. War sie bisher im Japan-Tower untergebracht, so wird sie ab 2015 ihre Tätigkeiten vom Euro-Tower aus ausüben.

4.2.5

Verhaltenskodices

Gemäß Artikel 19 Absatz 3 der SSM-Verordnung musste der EZB-Rat für die Mitarbeiter und die Führungskräfte in der Bankenaufsicht der EZB einen Verhaltenskodex erstellen und ihn auch veröffentlichen. Mit dieser Erstellung einher ging eine allgemeine Überarbeitung des für alle EZB-Mitarbeiter geltenden Ethik-Rahmens. Berücksichtigt wurden dabei auch die neuen Anforderungen der SSM-Verordnung unter institutionellen Vereinbarungen. Nach derzeitiger Sachlage sollte der Vorschlag für den Verhaltenskodex dem Direktorium der EZB und dem Rat im Oktober vorgelegt werden.32 Die wichtigsten Elemente dieses neuen Verhaltenskodex würde die EZB dem EU-Parlament vor Verabschiedung mitteilen. Ziel wäre es angabegemäß, die Überarbeitung des EthikRahmens voll umfänglich im November 2014 abzuschließen.33

32 33

510

Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/2, S. 11. Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, S. 14.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Ebenso wurde gemäß neu eingefügtem Artikel 5a der geänderten Geschäftsordnung der EZB ein Verhaltenskodex für die Mitglieder des EZB-Rates erforderlich. Gleichzeitig wird das Aufsichtsgremium gemäß Artikel 13e der Geschäftsordnung der EZB ebenfalls einen eigenen Verhaltenskodex erlassen. Auch dieser soll bis zur vollständigen Übernahme der Aufsicht am 04.11.2014 finalisiert sein.

4.3 Aufsichtsmodell der Europäischen Zentralbank 4.3.1

SSM-Aufsichtshandbuch

Das SSM-Aufsichtshandbuch enthält allgemeine Grundsätze, Prozesse, Verfahren sowie die Methodik der Beaufsichtigung der bedeutenden und weniger bedeutenden Institute. Außerdem enthält es Ausführungen über die Verfahren für die Zusammenarbeit innerhalb des SSM und mit den Behörden außerhalb des SSM. Es ist als ein internes Dokument für diejenigen Mitarbeiter gedacht, die mit dem SSM befasst sind. Einen wesentlichen Anteil nimmt der bankaufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP) ein. Er regelt die aufsichtliche Prüfung und die Ermittlung der Anforderungen im Hinblick auf weitere Eigenmittel, höhere Liquiditätsanforderungen, eine erweiterte Offenlegung sowie sonstige erforderliche Maßnahmen gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe f der SSM-Verordnung. Er umfasst ein Risikobewertungssystem, eine Methodik zur Quantifizierung von Kapital- und Liquiditätspuffern sowie einen Ansatz zur Integration des Risikobewertungssystems, der SREP-Quantifizierung und der Ergebnisse von Stresstests. Bezüglich der Eigenmittel setzt er auf den bekannten bankinternen Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung (ICAAP) auf. Zusätzlich fordert er nunmehr bankinterne Verfahren auch zur Beurteilung der Angemessenheit der Liquiditätsausstattung (ILAAP). Auf dieser Grundlage werden gemäß Säule 2 von Basel III angemessene Eigenkapital- und Liquiditätsniveaus festgelegt und der bankaufsichtliche Prüfungsplan zusammengestellt. Am 07. Juli 2014 veröffentlichte die EBA ihr Konsultationspapier „ Draft Guidelines for common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process under Article 107 (3) of Directive 2013/36/EU (EBA/CP/201/14)“. Damit will sie die Anforderungen an SREP europaweit harmonisieren. Die EBA-Leitlinien werden in das EZB-Aufsichtshandbuch einfließen.34 Mit ihrem Entwurf schlägt die EBA vor, wie

34

Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, S. 16 f.

511

Lothar Jerzembek

künftig die Einhaltung der Säule 2-Anforderungen in folgenden Bereichen überprüft werden soll: • Analyse des Geschäftsmodells, • Bewertung des internen Governance-Rahmenwerks, • Bewertung der angemessenen Eigenkapitalausstattung unter Berücksichtigung wesentlicher Risiken und • Bewertung der Liquiditäts- und Refinanzierungsrisiken. Diese Einzelwerte wird sie am Ende zu einem Gesamt-Score-Wert verdichten, auf dessen Grundlage zusätzliche Kapitalzuschläge oder zusätzliche Liquiditätspuffer eingefordert werden. Weiteres Ziel ist es, die Verknüpfung zur Sanierung- und Abwicklungsplanung herzustellen. Die GD Micro IV wird sich ebenfalls mit der Sanierungsplanung beschäftigen. Die Risiken werden eingeteilt nach Kreditrisiken, Marktrisiken, Liquiditätsrisiken, Operationelle Risiken einschließlich IT und Auslagerung, die Unternehmensführung und die internen Verteidigungslinien wie Compliance-Funktion und Interne Revision. Die Quantifizierung der Eigenkapitalanforderungen beinhaltet die Risiken, die für die bankaufsichtlichen Mindesteigenkapitalanforderungen nach Säule 1 gelten, aber auch für zusätzliche Risikoarten, die im Rahmen der Säule 2-Behandlung abgedeckt werden. Im Unterschied zu den derzeit bekannten Säule-2-Risiken sollen deutsche Institute oder Institutsgruppen zukünftig nicht mehr allein internes Kapital, sondern die klassischen Eigenmittel nach Säule 1 ansetzen müssen. Zudem sollen geografische Konzentrationsrisiken zu einer Kapitalerhöhung führen. Erkennbar ist, dass die künftige Überwachung der Säule-2-Anforderungen deutlich quantitativer ausgestaltet sein wird. Zusätzlich wollen die EBA und damit letztendlich auch die EZB ihre aufsichtlichen Benchmarks- bzw. Stresstestberechnungen verstärken sowie Peer-Group-Vergleiche vornehmen. Nach heutigem Kenntnisstand sollen die EBA-Leitlinien zum SREP zum 01.01.2016 nach dem „Comply or Explain-Prinzip“ angewendet werden. Ein besonderes Augenmerk richtete die EZB wiederum auf die Erweiterung der Quellen für Marktdaten. Damit will sie die aufsichtliche Analyse mit Werkzeugen von Drittanbietern verbessern. Die Erweiterung soll die bankaufsichtliche Berichterstattung verbessern und Synergien mit anderen Datenquellen genieren.

512

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Die Methodik für Vor-Ort-Prüfungen wird im Laufe der Zeit weiter entwickelt und angepasst. Die EZB will damit gewährleisten, dass sie den Prinzipien des risikobasierten Aufsichtsansatzes und der Verhältnismäßigkeit entspricht. Damit will sie auch sicherstellen, dass zusätzliche relevante Fragestellungen behandelt und berücksichtigt werden. Die Auswirkungen der EBA-Leitlinien auf die deutschen MaRisk sind derzeit unklar. Ob es zu einer weiteren Novellierung der MaRisk kommt und wie die deutschen MaRisk dann im Kontext der EBA und der EZB zu bewerten und zu behandeln sind, wird derzeit intensiv diskutiert. Aus Sicht des Verfassers sollte ein konkurrierendes Nebeneinander von deutschen, EBA- und EZB-MaRisk vermieden werden. Für bedeutende Institute sollten die EZB-Anforderungen befreiende Wirkung entfalten.

4.3.2

Öffentlicher Leitfaden zur Aufsichtspraxis

Die EZB veröffentlichte am 29.09.2014 den „Leitfaden zur Bankenaufsicht“. Der Leitfaden beschreibt die Aufsichtsgrundsätze und die Funktionsweise des SSM sowie die Aufsichtstätigkeit im SSM. Damit will sie sicherstellen, dass sowohl die Öffentlichkeit als auch die beaufsichtigten Unternehmen angemessene Informationen über das künftige Aufsichtsmodell erhalten. Darin gibt sie einen Überblick über die wichtigsten Aufsichtsverfahren und -methoden für die bedeutenden und weniger bedeutenden Institute. Die Arbeit der gemeinsamen Aufsichtsteams wird beschrieben und es wird dargelegt, wie die verschiedenen Arbeitsbereiche bei der Entwicklung des Aufsichtsmechanismus zusammenarbeiten. Der Leitfaden soll folgende Hauptbereiche abdecken: • SSM als erste Säule einer europäischen Bankenunion, • übergreifende Ziele des SSM sowie seinen geografischen, institutionellen und funktionellen Geltungsbereich und seiner wichtigsten Funktionsprinzipien, • Konzept der bedeutenden und weniger bedeutenden Institute, • die wichtigsten Rechtsakte zur Regelung der Funktionsweise des SSM und ihre Wechselwirkungen, • praktische Arbeitsweise des SSM, • wichtigste Strukturen und Gremien der EZB, • Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie • Organisationsstruktur der EZB und Weiteres. Man darf gespannt sein, inwieweit in dem öffentlichen Leitfaden zur Aufsichtspraxis dann die Proportionalität und die Informationserhebung angesprochen werden.

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Lothar Jerzembek

Ein besonderes Augenmerk richten die Institute auf mögliche Ausführungen zur Sprachenregelung. Die Anzahl der Amtssprachen im Euro-Gebiet beläuft sich auf 15. Insofern gilt für die Kommunikation zwischen der EZB und einem beaufsichtigten Institut, dass es in der jeweiligen Amtssprache des Mitgliedstaates mit der EZB kommunizieren kann. Die EZB selbst muss ihre Antworten grundsätzlich in derselben Sprache geben. Allerdings wird sie ihre Beschlüsse sowohl in englischer Sprache als auch in der Amtssprache des jeweiligen Mitgliedstaates verfassen, in dem das adressierte Institut seinen Firmensitz hat. Immer wieder hebt die EZB hervor, dass sie erwartet, dass insbesondere die international tätigen Institute für die Kommunikation mit der EZB die englische Sprache verwenden. Zum einen seien aufgrund der Kapitalmarktkommunikation die Führungsebenen des Englischen mächtig, zum anderen würde die Kommunikation erheblich beschleunigt werden. Auf der anderen Seite sollte sich die EZB auch deutlich dazu verpflichten, dass die Kommunikation mit weniger bedeutenden und ausschließlich national tätigen Instituten auch tatsächlich in der jeweiligen Amtssprache des Mitgliedstaates erfolgt, in dem das Institut seinen Sitz hat. Für die Kommunikation zwischen der EZB und den nationalen Bankenaufsichtsbehörden ist die englische Sprache der Regelfall. Der Leitfaden ist wohlgemerkt kein rechtsverbindliches Dokument. Die EZB versteht ihn als ein Hilfsmittel, das „…durch regelmäßige Aktualisierungen weiterentwickelt wird, …“.35

4.3.3

Handbuch für die aufsichtliche Berichterstattung

Das Handbuch für die aufsichtliche Berichterstattung ist ein weiteres internes Dokument, das den Ansatz für die aufsichtliche Berichterstattung darlegt sowie den Datenund Berichtsrahmen für den SSM beschreibt.36 Mit ihr sollten die Vorbereitungsarbeiten für das zentrale Risikobewertungssystem (Risk Assessment System – RAS) weiter entwickelt und dessen Methodik verbessert werden. Der Inhalt jener Datenerhebung wurde eng mit den nationalen Aufsichtsbehörden abgestimmt. Das Pilotprojekt verdeutlichte, wie die EZB künftig regelmäßig Datenerhebungen vornehmen möchte. Neben der Ausgestaltung des Datenrahmens für die bedeutenden Institute wird in dem SSM-Handbuch für die aufsichtliche Berichterstattung auch die Ausgestaltung des Datenrahmens für die weniger bedeutenden Institute ausgeführt werden.

35

36

514

Siehe Europäische Zentralbank: Leitfaden zur Bankenaufsicht, Frankfurt am Main, 29. September 2014, S. 2. Hierfür wurde im Frühjahr 2014 das dritte Pilotprojekt zur Datenerhebung (The Third SSM Pilot Excercise – SPE 3) durchgeführt.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Das Rahmenwerk wird Anforderungen enthalten für solche Datenkategorien, die nicht in den technischen Durchführungsstandards (Implementing Technical Standards – ITS) der EBA definiert sind. Beispielhaft genannt werden Daten, die zur Beurteilung des Zinsrisikos notwendig sein sollen. Es wird spannend sein zu verfolgen, wie die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden den Spagat schaffen wollen, die Datenanforderungen an die bedeutenden Institute mit den Datenanforderungen an die weniger bedeutenden Institute auszutarieren. Von großer Relevanz für die Institute ist auch der Aufbau des sogenannten Supervisory Banking Data System (SUBA). SUBA dient der Erhebung, der Speicherung, der Verarbeitung, der Validierung, der Konsistenzprüfung, dem Vertraulichkeitsschutz und der Verbreitung bankaufsichtlicher Daten und Meta-Daten.37 Das System entspricht zunächst den technischen Durchführungsstandards der EBA zur aufsichtlichen Berichterstattung vom Juli 2013, wird jedoch nach und nach um aufsichtliche Daten, die nicht von der EBA harmonisiert worden, erweitert. Es soll in der Lage sein, Bankdaten auf Einzelebene und auch auf Gruppenebene bereitzustellen. SUBA wird weiter entwickelt werden, um die Berichtskapazitäten der EZB auszubauen und die Qualität der erhobenen Daten zu verbessern. Aus den bisher bekannten Informationen wird damit deutlich, dass die Bankenaufsicht der EZB ihre Datenbasis wesentlich ausweiten wird im Vergleich zur EBA und sich als „Datenstaubsauger“ versteht. 38 In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf das Dokument des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Risikodatenaggregation und Risikoberichterstattung BCBS 239. Aus Kapazitätsgründen kann in diesem Fachbeitrag lediglich darauf hingewiesen werden. Für die weniger bedeutenden Institute ist es wichtig zu wissen, dass ab 2015 die EZB auch bei ihnen Datenerhebungen mit Hilfe der in den technischen Durchführungsstandards der EBA enthaltenen Vorlagen vornehmen wird.39 Besondere Aufmerksamkeit dürfte auch die Aussage erfahren, dass auch andere Datensätze, die für geldpolitische und andere Zwecke entwickelt wurden, bei der Ausübung der Aufsichtsaufgaben zum Einsatz kommen werden. Namentlich genannt sei die Datenbank RIAD (Register of Institutions and Affiliates Database), die institutionelle Informationen und wichtige Geschäftsdaten über die Banken und die Zusammensetzung von Bankendaten enthalten wird.

37 38

39

Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, S. 18. Dr. Korbinian Ibel, Rede zur europäischen Bankenaufsicht auf dem Forum Kreditinstitute des Deutschen Instituts für Interne Revision, Magdeburg, 29. September 2014. Siehe Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/3, S. 18.

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Explizit hingewiesen sei auch auf den Aufbau einer granularen europäischen Kreditdatenbank (Analytical Credit Dataset – AnaCredit). Diese soll im Euroraum im Sinne eines zentralen Kreditregisters genutzt werden. Institute müssen künftig melderelevante Daten aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Funktionen und IT-Systemen zusammenführen und vorhalten. Zeithorizont ist Ende 2016. Als Meldeschwelle werden 50.000 EUR diskutiert. Aus Sicht eines Institutes ist die Forderung nach dem Schutz des Altbestandes zwar grundsätzlich richtig gestellt. Ob aber bspw. eine differenzierte Betrachtung von Alt- und Neugeschäft ab einem bestimmten Stichtag in einem Einzelinstitut zu richtigen Melde- oder Steuerungsimpulsen führt, muss beantwortet werden.

4.4 Umfassende Bewertung 4.4.1

Ziele und Umfang

Am 23.10.2013 teilte die EZB offiziell mit, dass sie gemäß Artikel 33 Absatz 4 SSMVerordnung die umfassende Bewertung (Comprehensive Assessment) vor Übernahme ihrer Aufsichtsfunktion beginnen würde. Die EZB definierte drei Ziele: Transparenz, Korrekturen und Vertrauensbildung. Neben diesen allgemein gehaltenen externen Zielen ging es der EZB darum, umfassende Kenntnis über nach ihrem Verständnis etwaige Altlasten in den Instituten zu erhalten, um diese vor Übernahme der laufenden Aufsicht zu bereinigen. Weiteres erklärtes Ziel war eine einheitliche Vorgehensweise bei der Bankenaufsicht. Darüber hinaus erhoffte sich die EZB Erkenntnisgewinne aus der Anwendung von Bilanzierungsvorschriften, insbesondere der Umsetzung der internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS, dem Umsetzungsgrad von CRD IV und CRR sowie der Anwendung von internen Ratingansätzen.40 Mit der umfassenden Bewertung von 128 bedeutenden Banken der Euro-Zone wurden rund 85% des Bankensystems des Euro-Raumes abgedeckt.41 Deutschland war mit 24 Instituten bzw. Institutsgruppen vertreten.

40

41

516

Siehe Europäische Zentralbank: Mitteilung umfassende Bewertung Oktober 2013, veröffentlicht am 23. Oktober 2013, hier S. 2. Siehe Europäische Zentralbank: Pressemitteilung „EZB beginnt vor Übernahme der Aufsichtsfunktion mit umfassender Bewertung“, vom 23. Oktober 2013. Letztlich werden 130 Institute der umfassenden Bewertung unterzogen.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Abbildung 5: Ziele der umfassenden Bewertung

Die umfassende Bewertung setzte sich aus drei Komponenten zusammen: 1. der aufsichtlichen Risikobewertung (Risk Assessment System – RAS), 2. der Überprüfung der Qualität der Aktiva (Asset Quality Review – AQR) und 3. dem Stresstest. In der ersten Komponente wollte die EZB die Hauptrisiken in den Bankbilanzen wie Verschuldungsgrad, Liquidität und Refinanzierung erkennen. Mit der zweiten Komponente, der Überprüfung der Qualität der Aktiva, wurden wesentliche, risikobehaftete bilanzielle und außerbilanzielle Aktivposten untersucht. Hauptfokus der Untersuchungen lag auf Staatsanleihen, Schiffsfinanzierungen und Immobilienfinanzierungen, der Sicherheitenbewertung, notleidenden Krediten und der Risikovorsorge sowie derjenigen Finanzinstrumente, deren Fair Value anhand von Bewertungsmodellen ermittelt wurde (Level 3 Assets). Die dritte Komponente der umfassenden Bewertung, der Stresstest, erfolgte im Zusammenspiel mit der EBA. Hierzu verwendete man die Erkenntnisse aus den Daten der ersten beiden Komponenten und stresste die harte Kernkapitalquote in einem Basisszenario und einem adversen Szenario.

517

Lothar Jerzembek

Abbildung 6: Komponenten der umfassenden Bewertung

Das Zusammenspiel der Komponenten zwei und drei wurde Grundlage für eventuell von der EZB geforderte Folgemaßnahmen. Das Gesamtergebnis wollte die EZB in zusammengefasster Form auf Länder- und Bankenebene nebst etwaigen Empfehlungen für aufsichtliche Maßnahmen am 26.10.2014 veröffentlichen.42 Pro Institut bzw. Institutsgruppe wollte sie das Ergebnis danach unterteilen, ob eine Kapitallücke in dem AQR, dem Basisszenario oder dem adversen Szenario festgestellt worden war.

4.4.2

Organisation

Offiziell führte die EZB die umfassende Bewertung mit den nationalen Bankenaufsichtsbehörden durch. Jedoch hatte sie die Organisation der umfassenden Bewertung in die Hände der internationalen Beratungsgesellschaft Oliver Wyman gelegt. Diese hatte bereits im Jahr 2012 im Auftrag der spanischen Zentralbank eine Überprüfung der Qualität der Bankaktiva und einen sogenannten Bottom-up-Stresstest vorgenommen.43 Für den erfolgreichen Start des einheitlichen Aufsichtsmechanismus zum 04.11.2014 hatte die EZB frühzeitig fünf Workstreams eingerichtet:44 Workstream 1:

erstes Mapping des Bankensystems des Euro-Gebietes

Workstream 2:

Rechtsrahmen des SSM

42

43

44

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Siehe Europäische Zentralbank: Pressemitteilung: ECB to disclosure final results of comprehensive assessment, Frankfurt am Main, 10. Oktober 2014. Siehe Oliver Wyman: Asset Quality Review and Bottom-up Stresstest Exercise, Madrid, 28. September 2012, S. 2 ff. Siehe: Europäische Zentralbank: SSM-Quartalsbericht 2014/1, S. 4 ff.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Workstream 3:

Erarbeitung eines Aufsichtsmodells für den SSM

Workstream 4:

Festlegung eines Rahmens für die aufsichtliche Berichterstattung für den SSM

Workstream 5:

Vorarbeiten für die umfassende Bewertung der Kreditinstitute

Der Workstream 1 führte mehre Datensammlungen durch, um herauszufinden, welche Institute oder Institutsgruppen als bedeutend oder weniger bedeutend klassifiziert werden sollten. Auf dieser Basis wurde die erste Liste der signifikanten Institute erstellt. Der Workstream 2 sollte gemäß Artikel 6 der SSM-Verordnung die SSM-Rahmenverordnung entwerfen. Hauptzweck sollte insbesondere das Procedere zur Kooperation zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden sein. Im Workstream 3 werden die Hauptmerkmale des operativen Aufsichtsmodells entwickelt, welches die Funktionsweise des SSM bestimmen wird. Workstream 4 wurde eingerichtet, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, inwieweit vergleichbare Informationen in der Euro-Zone verfügbar wären und um die Entwicklung eines Rahmens für die bankaufsichtliche Berichterstattung zu initiieren. Er beschäftigte sich intensiv mit der Implementierung der EBA-Tabellen zur Finanzberichterstattung (Financial Reporting – FINREP) und zur bankaufsichtlichen Berichterstattung (Common Reporting – COREP). Bewusst war sich die EZB dabei, dass sich erst mit der Übernahme der technischen Umsetzungsstandards (Implementing Technical Standards – ITS) der Grad der Vergleichbarkeit verbessern würde. Die Ausgestaltung des künftigen bankaufsichtlichen Berichtswesens wurde durch die Erhebung im Rahmen der Komponente 1 vorgenommen. Neben der Datenerhebung direkt von den betroffenen Banken sammelte dieser Workstream auch Daten durch die nationalen Aufsichtsbehörden ein. Der Workstream 5 beschäftigte sich originär mit der Vorbereitung der umfassenden Bewertung der Kreditinstitute. Während des gesamten Prozesses hatten die EZB die nationalen Aufsichtsbehörden regelmäßig in die Beurteilung und Prüfung der Umsetzung der umfassenden Bewertung auf nationaler Ebene eingebunden. Für die Prüfung der AktivaQualität wurde eine starke zentrale Leitungsstruktur eingerichtet, die für die Festlegung der Methodik, die Projektorganisation, die Überwachung der Durchführungsphase und die Qualitätssicherung der Ergebnisse zuständig war.

4.4.3

Aufsichtliche Risikobewertung

Bereits am 18.10.2013 hatten die Institute das „Institutsübergreifende Auskunftsersuchen zur Informationserhebung von Institutsdaten für den Single Supervisory Mechanism“ in zwei Teilen erhalten. Die Datenerfassung fand zu den Meldestichtagen Dezember 2010, Juni 2011, Dezember 2011, Juni 2012, Dezember 2012 und Juni 2013 statt. Lediglich für

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Lothar Jerzembek

Variablen zur Liquidität war ein Großteil nur per Dezember 2011 und Juni 2013 zu melden. Die entscheidenden Datenerhebungen folgten zum Stichtag 31.12.2013. Diese erste Datenerhebung stellte den Beginn einer Reihe von Abfragen dar, die in ihrem Umfang und ihrem Detaillierungsgrad bisher unbekannt war. Im Rahmen der Überprüfung der wesentlichen Risikoarten wurden teilweise die bestehenden Übergangsregelungen der CRR wie bspw. das Face-In der Eigenkapitalzusammensetzung nicht anerkannt. Von Anfang an war erkennbar, dass die versandten Tabellen nach der Logik der internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS konzipiert waren. Erschwerend kam für IFRS-Bilanzierer hinzu, dass die EZB Daten abforderte, die aus einem IFRS-Abschluss nicht sofort herausgefiltert werden konnten bzw. die IFRS verschärfende Vorgaben enthielt. So ist beispielsweise der Begriff Stundungsvereinbarungen (forbearance) den IFRS unbekannt. In Teilen unklar bis unmöglich war das Befüllen der Tabellen für HGBBilanzierer. Dieses grundsätzliche Problem, eine Rechnungslegungsphilosophie in eine andere zu übertragen, kann selbst mit den besten Erläuterungen und Begründungen nicht umfänglich und zufriedenstellend gelöst werden. Die HGB-Bilanzierer stehen bis zum heutigen Tag vor der Herausforderung, den EZB-Ansprüchen mit dem HGB-Zahlenwerk gerecht zu werden. Anhand der übersandten Tabellen entfachte sich die Diskussion darüber, ob HGB-Bilanzierer, die künftig der direkten laufenden EZB-Aufsicht unterliegen, faktisch ein Schattenrechnungswesen nach IFRS mit bankaufsichtlichen Anpassungen aufbauen müssen. Hiergegen hat sich die gesamte deutsche Kreditwirtschaft mit Nachdruck gestellt. Neben den fachlichen Herausforderungen erwiesen sich die von der deutschen Aufsicht ursprünglich gesetzten Fristen von Anfang an als wenig realistisch. Fristverlängerungen wurden zugestanden und waren während des gesamten Comprehensive Assessment ein ständiger Diskussionspunkt.

4.4.4

Überprüfung der Qualität der Aktiva

Mit dem Begriff der Überprüfung der Qualität der Aktiva (Asset Quality Review – AQR) wurde deutlich, dass der in der SSM-Verordnung gewählte Begriff Bilanzbewertung (Balance Sheet Assessment) in die Irre geführt hatte. Hatte man unter der Bilanzbewertung eine der Jahresabschlussprüfung vergleichbare Prüfung durch die Aufsicht verstanden, so ging dieser Ansatz tatsächlich weit über die Jahresabschlussprüfung hinaus. Die EZB beurteilte die Angemessenheit der Rückstellungen für Kreditengagements, der Höhe von Sicherheiten beispielsweise für Immobilien- und Schiffsfinanzierungen und des Wertes derjenigen Finanzinstrumente, für die Bewertungsmodelle verwendet werden. Die Beurteilung deckte die Positionen von Staaten, institutionellen

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Kunden, Unternehmen und Privatkunden ab.45 Explizit hingewiesen hatte die EZB darauf, dass sie alle Arten von Finanzinstrumenten einer konservativen Auslegung der IFRS unterziehen wollte. Heftig diskutiert wurden zwischen EZB, Banken und Bankenverbänden die Auswirkungen auf den Jahresabschluss 2013 und zusätzlich mit Wirtschaftsprüfern die Wahrung seiner Rechtskonformität. Die Überprüfung der Qualität der Aktiva wurde in den drei Phasen Portfolio-Auswahl, Durchführung und Zusammenführung vorgenommen. Mit der Portfolio-Auswahl wollte die EZB sicherstellen, dass sie die mit dem höchsten Risiko behafteten Positionen erkennt und der eingehenden Überprüfung unterzieht. Noch während der Datenabfragen für die erste Komponente, die aufsichtliche Risikobewertung, gingen im November 2013 bei den Instituten die Anforderungen für die erste Phase ein. Auch in diesem Fall waren Fristen sehr kurz gesetzt und mussten Datenerhebungen zusätzlich zu den bereits angelaufenen Jahresabschlussroutinen erledigt werden. In der Diskussion über etwaige Fristverlängerungen wurde aber auch deutlich, dass die deutsche Aufsicht wie auch die EZB berechtigt geäußerte Kritik in Teilen aufgriffen und umsetzten. Dies zeigte, dass man sich während des gesamten Comprehensive Assessment immer wieder intensiv mit den bankaufsichtlichen und technischen Anforderungen auseinanderzusetzen hatte, sachliche Kritik äußern musste, um in einem wechselseitigen Verstehen, Annähern und ggf. Akzeptieren von Einwänden den stets ambitionierten Zeitplan bis zum 04.11.2014 bestmöglich zu bewältigen. Die EZB wie auch die deutsche Bankenaufsicht richteten sogenannte Help Desks ein, damit sich die Institute direkt an die Aufsicht wenden konnten. Die zweite Phase wurde am 11.03.2014 mit einem 285-seitigen Handbuch öffentlich gemacht. In zehn Arbeitsblöcken wollte die EZB herausarbeiten, inwieweit das harte Kernkapital (Common Equity Tier 1 – CET1) als Grundlage für den späteren Stresstest zu vermindern wäre. Die Überprüfung der Kreditakten, die Bewertung der Sicherheiten für Immobilien und Schiffe im Einzelfall, aber auch der Abgleich gebildeter pauschalierter Wertberichtigungen (Collective Provisioning) im Vergleich zum sogenannten Challenger-Modell führten zu einem gewaltigen Arbeitsaufwand in den Banken, bei den Sonderprüfern und bei den Aufsehern.46

45

46

Siehe Europäische Zentralbank: Mitteilung umfassende Bewertung, Frankfurt am Main, 23. Oktober 2013, S. 7 f. Siehe Europäische Zentralbank: Asset Quality Review. Phase 2 Manual, Frankfurt am Main, 11. März 2014, hier Seite 176 ff.

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Abbildung 7: Arbeitsblöcke zur Überprüfung der Qualität der Aktiva

Als Haupterkenntnisse bleibt aus dem AQR festzuhalten: • Die Verwendung der Discounted-Cash-Flow-Methode bei notleidenden Krediten wurde zwar als zulässig erachtet, doch schätzte die EZB deren Ergebnisse als zu optimistisch. Teilweise wandelte sie den Going-Concern-Ansatz in einem Gone-ConcernAnsatz um, der jedoch der Rechnungslegung dem Grunde nach widerspricht. • Die Ermittlung pauschalisierter Wertberichtigungen nach Rechnungslegungsnormen führte zu Abweichungen vom EZB-Ansatz. Diese Abweichungen wurden eher restriktiv behandelt. • Sicherheitsabschläge bei gewerblichen Immobilienkrediten beurteilte die EZB für Deutschland als zu optimistisch und forderte die Annäherung an den nicht näher definierten SSM-Durchschnitt. • Sicherheitsabschläge bei Schiffsfinanzierungen beurteilte die EZB wiederholt als zu gering und forderte auch dort Nachbesserungen. Soweit diese nachgebesserten Sicherheitsabschläge nicht mehr rechnungslegungskonform waren, wurden sie pauschal durchgesetzt. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die EZB die Rechnungslegungsnormen nicht nur sehr konservativ ausgelegt hat, sondern die Maßstäbe in Richtung eines bankaufsichtlichen Wertansatzes verschoben hat. Ob dies der Beginn einer Rechnungslegung à la europäischer Bankenaufsicht bspw. wie in Spanien oder Singapur ist, wird intensiv zu diskutieren sein.

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

4.4.5

Stresstest

Bereits am 31.01.2014 veröffentlichte die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA die Hauptmerkmale des EU-weiten Stresstests, der in Abstimmung und Zusammenarbeit insbesondere mit der EZB und den nationalen Bankenaufsichtsbehörden durchgeführt werden sollte.47 Neben der Überprüfung der Widerstandsfähigkeit der bedeutenden Banken in Krisenzeiten sollten die Testergebnisse Konsistenz und Vergleichbarkeit der bankaufsichtlichen Vorgehensweisen, der Szenarien und der Offenlegungsanforderungen ermöglichen. Zwei Szenarien wurden bekanntgegeben. In dem sogenannten Basisszenario wurde die Mindesteigenkapitalquote auf 8% des harten Kernkapitals festgesetzt. Für das Stressszenario betrug die Mindesteigenkapitalquote 5,5% des harten Kernkapitals. Grundlage der Datenerhebung bildete der Jahresabschluss 2013, die beiden Szenarien umfassten den Zeitraum von 2014 bis 2016. Im Rahmen des Basisszenarios und des adversen Szenarios wurde die Definition des harten Kernkapitals bereits auf Ende 2016 kalibriert. Die EZB gab ihrerseits Anfang Februar 2014 die wesentlichen Informationen für ihren Stresstest bekannt. In Vorbereitung auf die Durchführung des EU-weiten Stresstests veröffentlichte die EBA am 03.03.2014 die vorläufigen Templates sowie eine Beschreibung der Abfragemethodik.48 Das makroökonomische Stressszenario ging von erhöhten Anleiherenditen, Bonitätsrückgängen von Staaten, Verschleppung politischer Reformen, aber auch dem Versäumnis von Bilanzverbesserungen aus. Während der EBA-Stresstest letztendlich mit 24 Tabellen arbeitete, hatte die EZB für ihren Stresstest noch zusätzliche zehn Tabellen abgefordert.

47

48

Siehe Europäische Bankenaufsichtsbehörde: Main Features of the 2014 EU-wide Stresstest, London, 31. Januar 2014. Siehe Europäische Bankenaufsichtsbehörde: PreliminaryDraft: Methodology EU-wide Stresstest 2014, Version 1.8, London, 3. März 2014.

523

Lothar Jerzembek

Abbildung 8: Stresstest – Adverses Stressszenario49

Waren die letzten noch fehlenden Vorgaben für den Stresstest für Mitte Mai 2014 angekündigt, so verzögerte sich auch hier die Veröffentlichung wichtiger Dokumente. Umgekehrt hielt die Aufsicht an ihrem Zeitplan fest. Jede Verschiebung wichtiger Informationen durch die Aufsicht ohne gleichzeitige Verschiebung der Endtermine ging einseitig zulasten der Institute. Am 17.07.2014 veröffentlichte die EZB ihre „Note on the Comprehensive Assessment“. In diesem Dokument ging sie erstmals auch auf die Veröffentlichung der Ergebnisse gegenüber dem einzelnen Institut und den dazugehörigen Kommunikationsprozess ein. Danach sollte Ende September/Anfang Oktober im Rahmen eines sogenannten Supervisory Dialogue mit jedem Institut das vorläufige Teilergebnis aus AQR und Stresstest diskutiert werden. Am 8. August veröffentlichte die EZB ihr Handbuch zum Stresstest im Rahmen der umfassenden Bewertung. Es enthielt Einzelheiten zum zusammenführenden Ergebnis aus AQR und Stresstest, einen Überblick über den Qualitätssicherungsprozess für den Stresstest. Darin hob sie hervor, dass gerade die Qualitätssicherung und das sogenannte Joint-up mit dem AQR-Ergebnis integrale Bestandteile des StresstestProzesses gewesen waren.

49

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Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands: Stresstest 2014, Berlin, 6. Juni 2014, Seite 7.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Wie auch im AQR gab es beim Stresstest eine aufsichtliche Qualitätssicherung. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus dem AQR sollten die Ergebnisse des Stresstests in einem sogenannten Joint-up in der zweiten Oktober-Hälfte veröffentlicht werden. Aus dem Zeitablauf wird deutlich, dass das Drei-Komponenten-Konzept der EZB nicht zeitlich hintereinander geschaltet war. Auch wenn die erste Komponente beendet war, so befanden sich die Institute wie auch Aufseher selbst noch mitten in der zweiten Komponente, dem AQR. Die Belastung von Personal und IT-Ausstattung in den Instituten wurde nochmals verschärft ohne Rücksicht auf die zwingend erforderlichen Jahresabschlussarbeiten per Dezember 2013. Als Haupterkenntnisse aus dem Stresstest bleibt festzuhalten: • Makroökonomische Vorgaben für Deutschland warfen Fragen der Sinnhaftigkeit auf. • Sicherungszusammenhänge aus gesicherten Geschäften und Sicherungsgeschäften gemäß dem ökonomischen Ansatz des Risikomanagements konnten in den Tabellen schwer oder teilweise gar nicht abgebildet werden. • Eine bisher nicht bekannte und zusätzlich nicht nachvollziehbare Detailtiefe in den Tabellen erhöhte die Komplexität. • Die Abgabe eines Kapitalplans für den Fall einer eventuellen Unterkapitalisierung war in der geforderten Frist sehr ambitioniert.

4.4.6

Ergebnisse und Maßnahmen

Für den 26.10.2014 kündigte die EZB die Veröffentlichung der Ergebnisse der umfassenden Bewertung an. Pro Institut sollten die Ergebnisse aus dem Asset Quality Review und den beiden Szenarien des Stresstests in standardisierten Tabellen kommuniziert werden. Zusätzlich sollte ein zusammenfassender Bericht für alle Institute herausgegeben werden. Viele Banken hatten ihre Eigenkapitalausstattung während der gesamten Übung nachhaltig gestärkt. Daher mussten die Ergebnisse der auf den Stichtag 31.12.2013 bezogenen umfassenden Bewertung und der bereits vorgenommenen Eigenkapitalstärkung im Laufe des Jahres 2014 im Zusammenhang gesehen, verstanden und beurteilt werden. Die selektive Wahrnehmung einzig der Ergebnisse der EZB-Übung galt es in diesen Fällen zu verhindern. Insofern richtete sich aller Augenmerk auf etwaige von der EZB empfohlene Korrekturmaßnahmen. Dies konnte beispielsweise die Thesaurierung von Gewinnen, die Veräußerung von Vermögenswerten oder die Erhöhung des Eigenkapitals sein. Für solche Fälle hatte sie bereits Zeitpläne für die Umsetzung dieser Korrekturmaßnahmen vorgesehen.

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Kapitallücken, die aus dem AQR und dem Basisszenario des Stresstests resultierten, sollten innerhalb von sechs Monaten mit hartem Kernkapital gedeckt werden. Eine Kapitallücke aus dem adversen Stressszenario sollten innerhalb von neun Monaten geschlossen werden. Hierzu hätten die Institute auch bestimmte anderweitige Kapitalinstrumente verwenden können. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Fachbeitrags hatte die EZB die Ergebnisse des Comprehensive Assessment noch nicht veröffentlicht.

5 Auswirkungen auf die Kreditinstitute 5.1 Auswirkungen auf bedeutende Institute, die direkt beaufsichtigt werden Für die Anfang September 2014 von der EZB als bedeutend qualifizierten Institute bzw. Institutsgruppen beginnt nun definitiv mit dem 04.11.2014 ein neues Zeitalter der Bankenaufsicht. Vorgaben wie Anforderungen aus Frankfurt am Main werden tiefgreifende Veränderungen in der Aufbau- wie Ablauforganisation dieser Institute sowie die Kommunikation mit der europäischen Bankenaufsichtsinstitution zeitigen. Der Einsatz von Mitarbeitern, IT-Ausstattung und Kapital muss den erhöhten Anforderungen genügen. Es ist zwingend notwendig, dass in jedem Institut die vielfältigen regulatorischen Anforderungen und deren wechselseitige Verknüpfung bekannt sind, angemessen beurteilt und priorisiert werden können und daraus die maßgeblichen Steuerungsimpulse abgeleitet werden. Es geht also nicht nur darum, die Regulierungsund die Implementierungsstandards der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA umfassend zu kennen. Viel wichtiger ist es künftig, diese dahingehend zu prüfen, inwieweit die EZB darüber hinausgehende oder abweichende Anforderungen formuliert, um ihre laufende Aufsicht sicherzustellen. Neben diesen beiden europäischen Institutionen muss das Augenmerk auch weiterhin gerichtet bleiben auf die korrespondierenden Anforderungen, die die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA definiert. Diese wiederum sind abzugleichen gegen diejenigen Standards, die nach IFRS bilanzierende Institute vom internationalen Standardsetzer der Rechnungslegung IASB in London vorgelegt bekommen. Das Beispiel von Stundungsvereinbarungen aus dem Dezember 2012 ist ein Beweis dafür, wie eine konkrete Vorgabe zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten aus Sicht der Kapitalmarktaufsicht verschärft wurde, diese Sichtweise von der europäischen Bankenaufsichtsbehörde übernommen und schlussendlich durch die EZB im Rahmen des Asset Quality Review nochmals verschärft worden ist. Andere Beispiel sind prudent valuation oder unrealized gains.

526

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Die meisten Institute, die für das Comprehensive Assessment ein Projekt eingerichtet hatten, dürften diese Projektorganisation beibehalten bzw. weiter ausbauen. Nur so können sie sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeit im Einklang mit allen (bankaufsichts-)rechtlichen Vorgaben und Vorschriften steht. Durch sie kann die bankaufsichtliche geforderte aufbauorganisatorische Trennung gerade der Funktionen Finanzen und Risikocontrolling wieder in eine sachgerechte und zielorientierte Zusammenarbeit gewandelt werden. Ergänzt um die Funktionen Recht, Compliance, Personal und IT stellen sie eine wirksame zweite Verteidigungslinie in den Banken dar. Auch die interne Revision als dritte Verteidigungslinie gemäß der Philosophie der Bankenaufsicht wird mit der neuen EZB-Bankenaufsicht gestärkt. Die künftige direkte europäische Bankenaufsicht ist mit ihrem klaren Bekenntnis zu mehr und granularen Daten deutlich auf dem Weg zu einer quantitativ ausgerichteten Bankenaufsicht, auch wenn die EZB und die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA den bankaufsichtlichen Überwachungs- und Evaluierungsprozess gemäß Säule 2 propagieren. Gemeinsames Interesse aller bedeutenden Institute muss jedoch bleiben, die europäische Bankenaufsicht durch die EZB davon zu überzeugen, dass der Grundsatz nicht gelten kann: One size fits all! Jeder Mitgliedstaat des Euroraumes hat sein eigenes Geschäftsmodell. Dies bedingt, dass er das bestehende Bankensystem wahrt, moderat verändert oder fortentwickelt. Das dreigliedrige Bankensystem in Deutschland aus genossenschaftlichen, privaten und öffentlichen Banken ist eine wirksame Unterstützung der deutschen Volkswirtschaft. Innerhalb dieses dreigliedrigen Bankensystems haben die 21 der direkten Beaufsichtigung unterliegenden Institute bzw. Institutsgruppen teilweise sehr divergierende Geschäftsmodelle. Es bleibt spannend, wie die EZB Peer-Groups generieren und Benchmark-Vergleiche durchführen will. An dieser Stelle muss jedoch gefordert werden, dass alle Erkenntnisse, die die Beratungsgesellschaft im Rahmen der umfassenden Bewertung über die bedeutenden Banken in der Euro-Zone gewonnen hat, ausschließlich für den einzig vorgesehenen Zweck genutzt werden dürfen. Die Harmonisierung der europäischen Bankenaufsicht wird für die bedeutenden Institute wie für die EZB in den nächsten Jahren beiderseitig viel Respekt und gegenseitiges Verständnis abverlangen. Es bleibt zu hoffen, dass alle Beteiligten aus Unzulänglichkeiten, falschen Einschätzungen und Fehlern im Rahmen der umfassenden Bewertung für die künftige Aufsicht und die Kommunikation zwischen EZB, nationalen Aufsichtsbehörden und Instituten die richtigen Schlüsse ziehen.

527

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5.2 Auswirkungen auf diejenigen Institute, die als nicht bedeutend qualifiziert sind Für alle diejenigen Institute, die die EZB Anfang September 2014 als weniger bedeutend deklariert hat, werden auch weiterhin die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Deutsche Bundesbank federführend bleiben.50 Sie werden hinsichtlich der regulatorischen Anforderungen und deren Umsetzung zunächst kaum erkennbare Veränderungen erfahren. CRD IV und CRR sind maßgeblich; alle sie betreffenden Veränderungen werden EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat konsultieren und beschließen. Die Regulierungs- und die Implementierungsstandards der EBA werden sie gemäß dem Proportionalitätsprinzip einzuhalten haben. Hinsichtlich der Rechnungslegungsanforderungen werden sie wie bisher auf die standardsetzenden oder gesetzgebenden Institutionen zu achten haben. Dennoch müssen diese Banken und die Bankenverbände genau im Auge behalten, wie weit inhaltliche Entscheidungen der EZB auch auf die nicht bedeutenden Institute langfristig durchschlagen könnten. Mit ihrem Aufsichtsmodell wird die EZB jedoch mittels Vorgaben, Richtlinien und Empfehlungen Einfluss auf die nationalen Aufsichtsbehörden nehmen. Die indirekte laufende Beaufsichtigung der weniger bedeutenden Institute der Euro-Zone wird einerseits mit der Systemaufsicht, andererseits mit der Instituts- und Sektoraufsicht erfolgen.51 Diese Entwicklung haben insbesondere die beiden deutschen Verbünde intensiv zu begleiten, auch wenn sie anerkanntermaßen Stabilität und Sicherheit des deutschen Bankensystems gewährleisten. Für die Datenerhebung muss auch auf Dauer das Handelsgesetzbuch die Basis bleiben. Ein Mix aus HGB- und IFRS-Daten muss zwingend verhindert werden. Datenanforderungen mittels der Finanzinformationenverordnung (FinaV) sollten auch für die EZB ausreichend sein. Wieweit der Einfluss von Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und Deutscher Bundesbank bei den weniger bedeutenden Instituten zurückgedrängt wird, ist auch eine Frage des Verhältnisses der beiden etablierten Institutionen zueinander. Nicht nur die nicht bedeutenden Banken und Sparkassen benötigen starke Aufsichtspartner.

50

51

528

Siehe König, Elke: Einheitlicher Aufsichtsmechanismus, BaFin Journal, Heft Mai 2014, Bonn/ Frankfurt am Main, 2. Mai 2014, S. 18-21, hier S. 19. Siehe Lautenschläger, Sabine: Nationale Aufsicht in einem europäischen System: Wo liegt die neue Balance? Wien, 30. September 2014.

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

6 Ausblick Am 04.11.2014 hat für alle Institute in der Euro-Zone ein neues Zeitalter der Bankenaufsicht begonnen. Die 120 bedeutenden Institute bzw. Institutsgruppen, die der direkten Beaufsichtigung durch die EZB unterliegen, werden von der „Testphase“ in die laufende Produktionsphase wechseln. Die quantitativ ausgerichtete laufende Aufsicht wird ihre Anforderungen stetig aktualisieren und erweitern. Alle Institute müssen sich deswegen über die Verbesserung ihrer IT-Architektur im Hinblick auf Umfang, Detaillierungsgrad und Aktualität der Daten und der Frequenz der Datenabfragen grundlegend Gedanken machen. Auch wenn verschiedene Studien die regulatorischen Kosten in Deutschland auf ca. 10 Mrd. EUR pro Jahr beziffern und dies ungefähr der Hälfte des Jahresüberschusses aller deutschen Banken entspricht, so wird dieses Kostenargument weder die Bankenaufseher noch die Politiker interessieren. Für sie sind als Vergleichsgröße die Kosten maßgeblich, die nach diesem Verständnis die Banken für die Volkswirtschaften in Europa verursacht haben. Mit dem Regulierungstsunami, der weiterhin über die bereits regulierten Banken rollt, geht der Überblick über alle Regulierungsvorhaben immer mehr verloren. Damit wird implizit ein systemisches Risiko für die Kreditwirtschaft und letztendlich für die Volkswirtschaften in Europa generiert, das derzeit nur in Fachkreisen diskutiert werden darf. Völlig unklar bleibt jedoch, wie sich die laufende Bankenaufsicht über die Euro-Zone hinaus entwickelt. Welche Mitgliedstaaten werden sich anschließen? Die Aufsichtsarbitrage innerhalb der Europäischen Union können nur international tätige Institute nutzen; diese darf es auf Dauer nicht geben. Soll das Modell der europäischen Bankenaufsicht durch die EZB zu einem Erfolgsmodell werden, müssen Politiker, Regulatoren, Bankenaufseher und Banken den wechselseitig respektvollen Gedankenaustausch pflegen und ausbauen. Die Sichtweise des anderen zu kennen und besser zu verstehen, lässt die Auswirkungen regulatorischer und bankaufsichtlicher Vorhaben auf ein Institut, eine Region, eine Volkswirtschaft, den Euroraum und die Europäische Union ohne Scheuklappen beurteilen. Nur mit diesem Grundverständnis können die europäische Bankenaufsicht und die Stabilität unseres Finanzsystems gedeihen.

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Lothar Jerzembek

Abkürzungen AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AQR

Asset Quality Review (Überprüfung der Qualität der Aktiva)

BCBS

Basel Committee on Banking Supervision (Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht)

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

Ce 1

Common Equity Tier 1 (hartes Kernkapital)

COM

Commission (EU-Kommission)

CRD IV

Capital Requirements Directive IV (Eigenkapitalrichtlinie)

CRR

Capital Requirements Regulation (Eigenkapitalverordnung)

DGS

Deposit Guarantee Schemes (Einlagensicherungssysteme)

EBA

European Banking Authority (Europäische Bankenaufsichtsbehörde)

ECOFIN

Economic and Financial Affairs Council (Rat für Wirtschaft und Finanzen der EU)

EFSF

European Financial Stability Facility (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität)

EIOPA

European Insurance and Occupational Pensions Authority (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung)

ESFS

European System of Financial Supervision (Europäisches Finanzaufsichtssystem)

ESM

European Stability Mechanism (Europäische Stabilitätsmechanismus

ESMA

European Securities and Markets Authority (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde)

ESRB

European Systemic Risk Board (Europäische Ausschuss für Systemrisiken)

EU

Europäische Union

EUCO

European Council (Europäischer Rat)

EZB

Europäische Zentralbank

HGB

Handelsgesetzbuch

530

Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

ICAAP

Internal Capital Adequacy Assessment Process (Prozess zur Beurteilung der Angemessenheit der institutsinternen Eigenkapitalausstattung)

IFRS

International Financial Reporting Standards

ILAAP

Internal Liquidity Adequacy Assessment Process (Prozess zur Beurteilung der Angemessenheit der institutsinternen Liquiditätsausstattung)

JST

Joint Supervisory Team (Gemeinsames Aufsichtsteam)

NCA

National Competent Authority (Nationale zuständige Behörde)

NDA

National Designated Authority (Nationale benannte Behörde)

o.g.

oben genannt

RAS

Risk Assessment System (Risikobewertungssystem)

RIAD

Register of Institutions and Assets Database (Register der Institutionen und Vermögensdatenbank

SEP

Supervisory Examination Process (Aufsichtliches Prüfungsprogramm)

SPE

Supervisory Pilot Exercise (Aufsichtliches Pilotprojekt zur Datenerhebung)

SREP

Supervisory Review and Evaluation Process (Aufsichtlicher Überprüfungsund Bewertungsprozess)

SRM

Single Resolution Mechanism (Einheitlicher Abwicklungsmechanismus)

SSM

Single Supervisory Mechanism (Einheitlicher Aufsichtsmechanismus)

SUBA

Supervisory Banking Data System (System zur Erfassung aufsichtlicher Bankdaten)

Literatur Asmussen, Jörg (2013): Rede auf dem Panel II Bankenaufsicht zur Bankenanhörung von Bündnis 90/Die Grünen „Boring Banking“, Frankfurt am Main, 23. Mai 2013, verfügbar über: http://www.gruene-bundestag.de/themen/finanzen/anhoerung-boringbanking. Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (2014): Stresstest 2014, Berlin, 6. Juni 2014. EU (2013): Verordnung (EU) Nr. 1022/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich der Übertragung besonderer Aufgaben auf die Europäische Zentralbank gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 5-14.

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EU (2013): Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, Amtsblatt der Europäischen Union L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 63-89. EU (2014): Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (EZB/2017/17), veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 141 am 14. Mai 2014, S. 1-50. EU (2014): Verordnung (EU) Nr. 673/2014 der Europäischen Zentralbank vom 2. Juni 2014 über die Einrichtung einer Schlichtungsstelle und zur Festlegung ihrer Geschäftsordnung (EZB/2014/26) veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 179 am 19. Juni 2014, S. 72-76. Europäische Bankenaufsichtsbehörde (2014): Main Features of the 2014 EU-wide Stresstest, London, 31. Januar 2014. Europäische Bankenaufsichtsbehörde (2014): PreliminaryDraft: Methodology EU-wide Stresstest 2014, Version 1.8, London, 3. März 2014. Europäische Kommission (2012): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, die Europäische Investitionsbank und den Ausschuss der Regionen. Maßnahmen für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung, COM (2012) 299 final, Brüssel, 30. Mai 2012. Europäische Kommission (2012): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Fahrplan für eine Bankenunion, COM (2012) 510 final, Brüssel, 12. September 2012. Europäische Kommission (2012): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, 2012/0242 (CNS), Brüssel, 12. September 2012. Europäische Kommission (2013): Memo – An important step towards a real banking union in Europe: Statement by Commissioner Michel Barnier following the trilogue agreement on the creation of the Single Supervisory Mechanism for the eurozone, Brüssel, 19. März 2013.

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Vorgaben durch die Europäische Zentralbank

Europäische Zentralbank (2013): Mitteilung umfassende Bewertung Oktober 2013, Frankfurt am Main, 23. Oktober 2013. Europäische Zentralbank (2013): Pressemitteilung „EZB beginnt vor Übernahme der Aufsichtsfunktion mit umfassender Bewertung“, Frankfurt am Main, 23. Oktober 2013. Europäische Zentralbank (2014): SSM-Quartalsbericht 2014/1, Fortschritte bei der operativen Durchführung der Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus, Frankfurt am Main, 4. Februar 2014. Europäische Zentralbank (2014): Asset Quality Review. Phase 2 Manual, Frankfurt am Main, 11. März 2014. Europäische Zentralbank (2014): Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2014 zur Änderung des Beschlusses EZB/2004/2 zur Verabschiedung der Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank (EZB/2014/1) – (2014/179/EU), veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 95 vom 29. März 2014, S. 56-62. Europäische Zentralbank (2014): SSM-Quartalsbericht 2014/2, Fortschritte bei der operativen Durchführung der Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus, Frankfurt am Main, 6. Mai 2014. Europäische Zentralbank (2014): Öffentliche Konsultation. Entwurf einer Verordnung der Europäischen Zentralbank über Aufsichtsgebühren, Frankfurt am Main, 27. Mai 2014. Europäische Zentralbank (2014): Beschluss EZB/2014/16 vom 14. April 2014 zur Einrichtung eines Administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften über seine Arbeitsweise, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 175 vom 14. Juni 2014, S. 47-53. Europäische Zentralbank (2014): Beschluss EZB/2014/5 vom 21. Januar 2014 über die enge Zusammenarbeit mit den national zuständigen Behörden teilnehmender Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 198 vom 5. Juli 2014, S. 7-10. Europäische Zentralbank (2014): SSM-Quartalsbericht 2014/3, Fortschritte bei der operativen Durchführung der Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus, Frankfurt am Main, 5. August 2014. Europäische Zentralbank (2014): Liste bedeutender beaufsichtigter Unternehmen und Liste weniger bedeutender Institute, Frankfurt am Main, 4. September 2014.

533

Lothar Jerzembek

Europäische Zentralbank (2014): Leitfaden zur Bankenaufsicht, Frankfurt am Main, 29. September 2014. Europäische Zentralbank (2014): Pressemitteilung „ECB to disclosure final results of comprehensive assessment“, Frankfurt am Main, 10. Oktober 2014. European Council (2012): 28/29 June 2012 – Conclusions, CO EUR 4, CONCL 2, EUCO 76/12, Brüssel, 29. Juni 2012. European Council (2012): European Council Conclusions on Completing EMU, Brüssel, 14 Dezember 2012. Ibel, Korbinian (2014): Rede zur europäischen Bankenaufsicht vor dem Deutschen Institut für Interne Revision, Magdeburg, 29. September 2014. König, Elke (2014): Einheitlicher Aufsichtsmechanismus, BaFin Journal, Heft Mai 2014, Bonn/Frankfurt am Main, 2. Mai 2014, S. 18-21. Lautenschläger, Sabine (2014): Regulierung und „Institution-Building“ in Europa: Wo stehen wir und was ist noch zu tun? Frankfurt am Main, 28. Mai 2013. Lautenschläger, Sabine (2014): Nationale Aufsicht in einem europäischen System: Wo liegt die neue Balance? Wien, 30. September 2014. O. V. (2014): Verfahrensordnung des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 182 am 21. Juni 2014, S. 56-60. Wyman, Oliver (2012): Asset Quality Review and Bottom-up Stresstest Exercise, Madrid, 28. September 2012.

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IV Qualitative Überwachung durch die Bankenaufsicht

Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien Birgit Botterweck/Ludger Hanenberg/Dirk Kramer/Thomas Petersen1

1 Einleitung 2 Überblick internationale Vorgaben und ihre regulatorische Umsetzung durch nationale und Europäische Behörden 2.1 Basel 2.1.1 Umsetzung von Basel III durch CRR und CRD IV 2.1.2 Rückblick: Nationale Umsetzung der zweiten Baseler Säule bis zu den MaRisk 2.2 Nationale Regulierung und Aufsicht zusammen mit EBA und EZB 2.3 Die neuen EBA SREP-Leitlinien 3 Ausgewählte Elemente des SREP für kleine Institute 3.1 Doppelte Proportionalität und Kategorisierung gemäß EBA SREP-Leitlinien 3.1.1 Doppelte Proportionalität in der bisherigen Aufsichtspraxis 3.1.2 Kategorisierung und mögliche doppelte Proportionalität in der Zukunft 3.2 Geschäftsmodellanalyse 3.2.1 Begriffsabgrenzungen 3.2.2 Derzeit bestehende Anforderungen 3.2.3 Durchführung einer Geschäftsmodellanalyse gemäß SREP-Leitlinien 3.2.3.1 Vorbereitende Analyse 3.2.3.2 Identifizierung der wichtigsten Bereiche für die BMA 3.2.3.3 Untersuchung des Geschäftsumfelds 3.2.3.4 Qualitative und quantitative Analyse des aktuellen Geschäftsmodells 3.2.3.5 Analyse der zukunftsgerichteten Strategie und der Kapitalplanung 3.2.3.6 Untersuchung der ökonomischen Umsetzbarkeit (viability) 3.2.3.7 Untersuchung der Nachhaltigkeit der Strategie 3.2.3.8 Identifikation der wichtigsten Schwachstellen des Instituts in Bezug auf das Geschäftsmodell und die Strategie 3.2.3.9 Zusammenfassung der Erkenntnisse und Einstufung 3.3 Kreditrisikomanagement

1

Die Verfasser sind Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder.

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3.4 Exkurs: Vergütung 4 Ausblick Literatur

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1 Einleitung Der bankaufsichtliche Überprüfungs- und Beurteilungsprozess ist ein wesentlicher Teil der qualitativen Regulierung der Säule II des Basel II-Konzeptes. In Europa wurden diese Vorgaben durch die Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirement Directive – CRD) umgesetzt (EU, 2006). Die daraus resultierenden Vorgaben werden somit schon seit fast 10 Jahren von den nationalen Aufsichtsbehörden eingesetzt. In Deutschland erfolgte die Umsetzung mit verschiedenen Regelungen, deren Herzstück die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) sind, die die zentralen Vorgaben für interne Prozesse, Kontrollen und das Risikomanagement der Banken umfassen (siehe (BaFin, 2012)). Basis für die MaRisk ist § 25a KWG, eine Regelung, deren ursprüngliche Konzeption aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre stammt. Insofern war die nationale Regulierung vorausschauend, da viele der im Rahmen der neuen Säule II-Ansätze enthaltenen Konzepte bereits frühzeitig adressiert und von den deutschen Instituten umgesetzt wurden. Die Vorgaben der MaRisk enthalten insoweit wesentliche Aspekte eines qualitativen prinzipienorientierten Aufsichtsansatzes, die auch für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus ist die regelmäßige Erstellung eines aufsichtsinternen Risikoprofils für die Institute bisher ein wesentlicher Teil dieses aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses. Hierzu gibt es nun seit Ende 2014 europäische Vorgaben in Form von Leitlinien zum Supervisory Review and Evaluation Process (SREP), die die europäische Bankaufsichtsbehörde European Banking Authority (EBA) herausgegeben hat (siehe (EBA, 2014)). Adressat dieser Leitlinien, die ab 2016 zur Anwendung kommen sollen, sind zunächst die Aufsichtsbehörden, die sich ein umfassendes Bild von der Risikosituation einer Bank machen sollen. Viele Elemente des SREP sind schon heute Praxis in der nationalen Aufsicht, andere Teile, insbesondere die Festlegung von aufsichtlich angemessenen expliziten Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen sind neu und das entsprechende Vorgehen muss national erst noch ausgearbeitet werden. Hinzu kommt, dass in diese Phase der Neuausrichtung der aufsichtlichen Überprüfungsprozesse mit der EZB eine weitere Aufsichtsinstanz Verantwortung übernommen hat. Sie ist für die bedeutenden Institute eines Landes unmittelbar in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsinstitutionen zuständig, hat aber gewisse Überwachungsfunktionen bei den übrigen Instituten. Insofern ist davon auszugehen, dass sie u. a. auf eine koordinierte Umsetzung der EBA SREPLeitlinien in den einzelnen Staaten, die am SSM beteiligt sind, achten wird. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das nationale und internationale Vorgehen beim aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess sich zurzeit in einem Umbruch und einer gewissen Neuausrichtung befindet. Die Diskussionen dazu sind auch noch nicht abgeschlossen. Daher gibt dieser Beitrag einen Überblick über die Quellen

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des SREP und beleuchtet erste Entwicklungen, die insbesondere für kleine Institute von Interesse sein könnten. Dabei wird u.a. die Geschäftsmodellanalyse als eine bereits absehbare Neuausrichtung des SREP im Fokus der Darstellung stehen.

2 Überblick internationale Vorgaben und ihre regulatorische Umsetzung durch nationale und Europäische Behörden In diesem Kapitel wird zunächst in 2.1 ein Überblick über Gesetze und Normen gegeben, welche durch Basel beeinflusst werden. Danach wird auf die neuen europäischen Behörden eingegangen, bevor die EBA SREP-Leitlinien vorgestellt werden, welche den Fokus dieses Buchbeitrages darstellen.

2.1 Basel Mit der Veröffentlichung der Rahmenvereinbarung Basel II „International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards – A Revised Framework“ des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht wurde erstmalig ein Drei-Säulen-Modell zur Beaufsichtigung von Instituten eingeführt, das auch durch Basel III erhalten bleibt (siehe BCBS (2004)). Die drei Säulen von Basel II umfassten die Schwerpunkte Mindestkapitalanforderungen, bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess und Offenlegungspflichten. In der ersten Säule wurden Mindestkapitalanforderungen für bestimmte Risikoarten aufgestellt, die von den Instituten einzuhalten sind. Die zweite Säule ergänzte diese quantitativen Anforderungen durch qualitative Vorgaben, die sich an die Aufsicht wenden. In diesem Zusammenhang verpflichtete der bankaufsichtliche Überprüfungsprozess („Supervisory Review Process“ (SRP)) zum einen die Institute dazu, jederzeit genügend internes Kapital zur Abdeckung der Risiken vorzuhalten („Internal Capital Adequacy Assessment Process“ (ICAAP)). Zum anderen mussten die Aufsichtsbehörden im Rahmen des „Supervisory Review and Evaluation Process“ (SREP) die Qualität der internen Organisation und des Risikomanagements prüfen und bewerten. Die dritte Säule enthielt Offenlegungspflichten der Institute zur Stärkung der Marktdisziplin.

2.1.1

Umsetzung von Basel III durch CRR und CRD IV

Das auf Basel II aufbauende Basel III-Rahmenwerk („Basel III: A global regulatory framework for more resilient banks and banking systems“ (siehe BCBS (2010a)) und „Basel III: International framework for liquidity risk measurement, standards and monitoring“ (siehe BCBS (2010b))), das im Dezember 2010 erstmalig veröffentlicht und seitdem ergänzt und

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

angepasst wurde, hat als Reaktion auf die globale Wirtschafts- und Finanzkrise das Ziel, ein krisenresistenteres internationales Bankensystem zu schaffen. Es ist von den 20 größten Wirtschaftsnationen (G 20) gebilligt worden (siehe G20 (2009)). Die Umsetzung von Basel III erfolgte auf europäischer Ebene mit der Richtlinie 2013/36/ EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (allgemein bekannt als „CRD IV“) und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (allgemein bekannt als „CRR“), die jeweils am 26.06.2013 veröffentlicht wurden und in wesentlichen Teilen am 01.01.2014 in Kraft traten (siehe EU (2013a; 2013b)). Mit diesem Reformpaket aus CRD IV und CRR erfüllte die Europäische Union den Auftrag der G 20, das aufsichtliche Rahmenwerk für Institute als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise nachhaltig zu stärken. Die CRR ist als EU-Verordnung unmittelbar anwendbar und bildet im Wesentlichen die erste und dritte Säule des Baseler Rahmenwerkes ab. Sie umfasst u.a. die Basel IIISchwerpunkte Eigenmitteldefinition/Mindestkapitalanforderungen, Liquiditätsanforderungen (Liquiditätskennziffern), Kontrahentenausfallrisiko und die Einführung einer zunächst nur zu veröffentlichenden Verschuldungsquote (Leverage Ratio). Zudem enthält sie weitere Offenlegungspflichten. In der Richtlinie CRD IV sind demgegenüber u.a. Kapitalpuffer- und Vergütungsanforderungen, Grundsätze der Beaufsichtigung von Instituten sowie Anforderungen an den bankaufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess enthalten. Mit Letzteren geht insbesondere die Forderung an die Aufsichtsbehörden einher, die Regelungen, Strategien, Verfahren und Mechanismen, die die Institute zur Einhaltung der CRD IV und CRR geschaffen haben, zu überprüfen und die Risiken, denen die Institute ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein können, zu bewerten. Somit ist durch die Aufsichtsbehörden zu prüfen, ob von den Instituten die notwendigen Prozesse aufgesetzt worden sind, damit für alle eingegangenen Risiken das erforderliche Kapital zur Abschirmung dieser Risiken vorgehalten wird und die Risiken adäquat gesteuert werden. Die Anforderungen der Richtlinie CRD IV sind nicht unmittelbar geltendes Recht, sondern mussten von den einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Änderungen hinsichtlich des Kreditwesengesetzes (KWG), die sich aus der CRD IV ergaben, wurden mit dem CRD IVUmsetzungsgesetz vom 28.08.2013 implementiert. In das KWG und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen wurden insbesondere diejenigen Vorschriften aufgenommen, die zur Umsetzung der CRD IV erforderlich waren. Diese Vorschriften richten sich an die Institute oder an die Aufsichtsbehörden selbst. Neben Regelungen zur aufsichtlichen Zusammenarbeit, Kapitalpuffern oder Sanktionen fallen hierunter auch die Anforderungen an den bankaufsichtlichen Überprüfungsprozess. Ergänzt werden CRD IV und CRR (Level 1) durch technische

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Regulierungsstandards, technische Durchführungsstandards und Leitlinien (Level 2), welche von der European Banking Authority (EBA) in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden entworfen werden (und teilweise von der EBA selbst verabschiedet werden oder der EU-Kommission als Entwurf vorgelegt werden). Auch verschiedene Level 2-Arbeiten der European Security and Markets Authority (ESMA) sind für Banken von Relevanz). Themen, die nicht unmittelbar in der CRD IV oder CRR behandelt werden, unterliegen nach wie vor nationalen Regulierungen.

2.1.2

Rückblick: Nationale Umsetzung der zweiten Baseler Säule bis zu den MaRisk

Das Grundgerüst für die prinzipienbasierten Anforderungen der zweiten Säule bildeten die vier Grundsätze, die durch das Basel II-Rahmenwerk im Juni 2004 veröffentlicht wurden (siehe Tz. 725ff. in BCBS (2004)). Die vier Grundsätze richteten sich an unterschiedliche Adressaten. So wendete sich sowohl der erste als auch der dritte Grundsatz an die Institute. Dabei wurde insbesondere gefordert, dass (Grundsatz 1) die Institute einen internen Prozess zur Beurteilung der Angemessenheit ihrer Kapitalausstattung zu implementieren (ICAAP) und (Grundsatz 3) mehr als die in der ersten Säule geforderten Eigenmittel vorzuhalten haben. Der zweite und vierte Grundsatz richtete sich an die Aufsichtsbehörden. Diese beiden Grundsätze forderten im Wesentlichen die Einrichtung eines Prozesses (Grundsatz 2), um die institutsinternen Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit der Kapitalausstattung, die Strategien und das Risikomanagement der Institute zu beurteilen und zu überwachen (SREP). Zu diesem Prozess gehörten auch angemessene aufsichtliche Maßnahmen (Grundsatz 4), durch die die Aufsichtsbehörden eine dauerhaft angemessene Kapitalausstattung sicherstellen sollten. Da auch schon das Basel II-Regelwerk genau wie Basel III rechtlich nicht bindend war, musste es in einem ersten Schritt in europäisches Recht überführt werden. Dies geschah mittels der „Capital Requirements Directive (CRD)“ im Juni 2006 (siehe EU (2006)), die dadurch u.a. den ersten Rahmen für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess bildete. Gemäß den Artikeln 22 und 123 CRD waren von den Instituten angemessene Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollprozesse („robust governance arrangements“) sowie Strategien und Prozesse einzurichten, die gewährleisteten, dass genügend internes Kapital zur Abdeckung aller wesentlichen Risiken vorhanden war. Die Qualität dieser Prozesse sollte von den Aufsichtsbehörden gemäß Artikel 124 CRD regelmäßig beurteilt werden (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP). In Artikel 136 CRD waren aufsichtliche Maßnahmen enthalten. Die CRD als EU-Richtlinie mußte dann in einem zweiten Schritt in nationales Recht überführt werden. Dies geschah durch das Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie vom 17.11.2006 und damit im wesentlichen mittels einer Anpassung des KWG.

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

Im Rahmen der Anpassung des KWG wurden in § 25a Absatz 1 KWG im Kontext hinsichtlich der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation eines Instituts auch die Kernelemente des ICAAP Internal (Capital Adequacy Assessment Process) verankert. Die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation muss demnach insbesondere ein angemessenes und wirksames Risikomanagement umfassen, auf dessen Basis die Risikotragfähigkeit des Instituts laufend sicherzustellen ist. Verfahren zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit werden als ein wesentliches Element des Risikomanagements verlangt. Außerdem umfasst das Risikomanagement insbesondere die Festlegung von Strategien sowie die Einrichtung angemessener interner Kontrollverfahren. Die inhaltliche Umsetzung der in § 25a Absatz 1 KWG gesetzlich festgelegten ICAAPElemente erfolgte in den „Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)“, die am 20.12.2005 erstmalig veröffentlicht wurden (Level 2 Werk auf nationaler Ebene). Die MaRisk sind ein BaFin-Rundschreiben und haben den Charakter einer normeninterpretierenden Verwaltungsvorschrift. Die MaRisk legen offen, wie die BaFin bestimmte Begriffe des § 25a KWG auslegt bzw. die Gesetzesanforderungen interpretiert (siehe die Seiten 24 und 25 in Hannemann, Schneider und Weigl (2013)). Sie binden somit die Aufsicht direkt und sorgen für Transparenz gegenüber den Banken. Die MaRisk fußen auf Vorgängerschreiben, die ebenfalls qualitative Anforderungen zum Gegenstand hatten wie z.B. die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft (siehe Seite 5 in Hannemann, Schneider und Weigl (2013)). Die MaRisk wurden seit 2005 mehrfach überarbeitet, um z.B. Vorgaben des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht und des „Committee of European Banking Supervisors (CEBS)“ und auch Leitlinien der Nachfolgebehörde EBA aufzunehmen. Die mittlerweile vierte MaRisk-Novelle wurde mittels Rundschreiben vom 14.12.2012 veröffentlicht (siehe BaFin (2012)).

2.2 Nationale Regulierung und Aufsicht zusammen mit EBA und EZB Nach der Verabschiedung des Baseler Rahmenwerkes blieb es zunächst den einzelnen Staaten überlassen, in welcher Form sie die Erwartungen im Hinblick auf die Säule II umsetzten. Das führte zu einer ganzen Reihe von verschiedenen Varianten in der konkreten Ausgestaltung der Vorgaben der Säule II. Vorschub dafür leistete auch der Baseler Text selbst, der den einzelnen Aufsichtsbehörden einen großen Umsetzungsspielraum gab (siehe BCBS (2004)). Konkreter vorgegeben war nur der Umgang mit den Zinsrisiken des Bankbuches. Insoweit nutzten die verschiedenen nationalen Aufseher diesen weiten Rahmen vor dem Hintergrund jeweils unterschiedlicher historisch gewachsener Aufsichtsansätze, die den nationalen Aufsichtsinstitutionen, den rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten und den nationalen Bankensystemen angepasst waren. So war in vielen Ländern zu beobachten, dass in Säule II oft sehr konkrete Vorgaben der Aufsicht für die Quantifizierung bestimmter Risiken gemacht wurden, die sodann in die Ermittlung des erfor-

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derlichen Eigenkapitals eingingen. Dabei herrschte eine Tendenz vor, die Säule II, neben der Unterlegung der schon erwähnten Zinsänderungsrisiken, als Hebel für die Generierung zusätzlichen Eigenkapitals zu nutzen. Der Aspekt der Unternehmenssteuerung und dessen Nutzung für aufsichtliche Zwecke traten dabei eher in den Hintergrund. In Deutschland ist die Aufsicht insofern einen anderen Weg gegangen. Hier verfolgte man das Konzept, die Säule II im Wesentlichen auf die internen Instrumente der Unternehmenssteuerung zu fokussieren und Letztere aber zugleich für die Säule II zu nutzen. Insbesondere die Anforderungen an das Risikomanagement bilden einen Überlappungsbereich zwischen aufsichtlichen Erwartungen und den bankinternen Steuerungsverfahren. Insoweit nutzt die Aufsicht bankinterne Steuerungs- und Kontrollprozesse, um die Anforderungen an eine Verbesserung der Kapitalausstattung auf unterschiedlicher Weise zu erreichen. So werden in der Regel keine Kapitalanforderungen fixiert, sondern die bankinternen Prozesse und die Quantifizierungsmethoden überprüft. Damit hat die Aufsicht die Möglichkeit, gegebenenfalls durch Änderungen in den Berechnungsmethoden indirekt mehr Kapital zu fordern. Dieser Ansatz ist ein sehr individuell ausgestaltetes Vorgehen, das einen Vergleich zwischen den Instituten allerdings nur bedingt ermöglicht. Diese großen Unterschiede in den einzelnen nationalen Vorgaben sind natürlich nicht dem Konzept einer europaweit einheitlichen Regulierung zuträglich, das die EU seit spätestens 2009 forciert und das u.a. von der europäischen Aufsichtsbehörde EBA konkret umgesetzt werden soll (siehe EBA (a)). Insoweit wurde der EBA die Aufgabe übertragen, auch für die Säule II europaweit einheitliche Vorgaben zu entwickeln (durch Level 2-Arbeiten). Basis hierfür sind die Regelungen des Art. 97 CRD IV, der von den einzelnen Mitgliedstaaten einen aufsichtlichen Überprüfungsprozess verlangt, um die internen Strategien, Verfahren und Mechanismen der Institute zum Umgang mit Risiken zu bewerten. Ziel dieser aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung bzw. des „supervisory review and evaluation process (SREP)“ ist es gemäß Art. 97 Abs. 3 CRD IV, dass die „… zuständigen Behörden [] auf der Grundlage der Überprüfung und Bewertung [] fest[stellen], ob die von Instituten angewandten Regelungen, Strategien, Verfahren und Mechanismen sowie ihre Eigenmittelausstattung und Liquidität ein solides Risikomanagement und eine solide Risikoabdeckung gewährleisten“ (siehe EU (2013c)). Gemäß Art. 107 Abs. 3 CRD IV kommt der EBA die Aufgabe zu, Leitlinien zur Umsetzung der Vorgaben des Art. 97 CRD IV vorzugeben. Diese Leitlinien sind im Dezember 2014 nach einem Konsultationsprozess von der EBA veröffentlicht worden und ab 2016 von den Aufsichtsbehörden in ihrem Aufsichtsprozess zu berücksichtigen (siehe EBA (2014)). Die Leitlinien sind im Unterschied zu den unmittelbar bindenden Technischen Standards jedoch nur Empfehlungen. Die Aufsichtsbehörden müssen im sogenannten „comply or explain“-Verfahren erklären, ob sie die Leitlinien vollständig oder teilweise oder gar nicht umsetzen wollen (siehe Seite 15 in EBA (2014)).

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Gegenstand der Leitlinien ist also der aufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsprozess der Säule II, der eine umfassende Beurteilung der Risiko-, Kapital- und Liquiditätssituation der Bank ermöglichen soll. Betrachtet werden dafür vor allem das Risikomanagement und die Internal Governance der Banken, die internen Methoden zur Risikoberechnung, das Kreditrisiko (inkl. des Restrisikos gemäß Art. 80 CRD IV), das Marktrisiko und das Verbriefungsrisiko, das operationelle Risiko, das Zinsänderungsrisiko im Bankbuch, das Konzentrationsrisiko und das Liquiditätsrisiko (siehe Seite 7 in EBA (2014)). Für Zwecke der Überprüfung sind die Institute in Kategorien einzuteilen und bestimmte Risikoindikatoren zu beobachten (siehe Teil Kategorisierung und mögliche doppelte Proportionalität in der Zukunft). Das Verfahren soll sich konkret mit dem Geschäftsmodell der Bank auseinandersetzen und eine Bewertung der o.g. Risikotreiber ermöglichen. Dabei soll auch eine Aussage über die Angemessenheit der Eigenmittelausstattung und der Liquiditätsausstattung der Bank erfolgen und gegebenenfalls notwendige aufsichtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Bei der Umsetzung der Leitlinien durch die deutsche Aufsicht sollen die bisher mit der Säule II gemachten Erfahrungen einbezogen werden, wozu u.a. die starke Fokussierung auf die MaRisk gehört (einschließlich des ICAAP – den internen Kapitalallokationsprozess der Bank). Neue Elemente werden aber dazu treten, wie die Fixierung der Angemessenheit der Kapitalausstattung und der Liquiditätsausstattung. Gleichzeitig werden die Erwartungen der EZB zu berücksichtigen sein, die seit November 2014 für den SREP der „bedeutenden Institute“ direkt in Zusammenarbeit mit der BaFin und Bundesbank zuständig ist. Zudem hat die EZB die Möglichkeit, Vorgaben für den SREP der übrigen Banken (der „weniger bedeutenden Institute“) zu machen. So sind die beiden Generaldirektionen Mikroprudentielle Aufsicht I und II für die direkte Aufsicht über die bedeutenden Institute zuständig. Die Generaldirektion Mikroprudentielle Aufsicht III nimmt die Aufgaben der indirekten Aufsicht über die weniger bedeutenden Institute wahr. Das bedeutet insbesondere eine Begleitung der Aufgaben der nationalen Aufsichtsbehörden, die instituts- und sektorspezifische Aufsicht sowie die methodische Unterstützung. Der Generaldirektion Mikroprudentielle Aufsicht IV kommen Grundsatz- und vergleichende Aufgaben zu (siehe die Seiten 23 ff. in EZB (2015a)). Diese Strukturen und Prozesse befinden sich im Moment noch in der Entwicklung. So ist davon auszugehen, dass die Generaldirektion Mikroprudentielle Aufsicht III sich u. a. mit der Entwicklung von Konzepten für den bankaufsichtlichen Überprüfungsund Bewertungsprozess beschäftigen wird. Solche allgemeinen Vorgaben kann die EZB auch für die Aufsicht über weniger bedeutende Institute gemäß Art. 108, Abs. 2b SSMRahmenverordnung gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden machen (siehe EZB (2014)).

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Die Arbeiten an diesen Konzepten befinden sich aber noch in einem Anfangsstadium, so dass es noch zu früh ist, um konkrete Konzepte zu skizzieren. Daher wird sich der Beitrag im Folgenden auf Bereiche der EBA SREP-Leitlinien konzentrieren, die insbesondere für kleinere Institute von erheblicher Bedeutung sein sollten, wie das Proportionalitätsprinzip, die Behandlung von Geschäftsmodellen als aufsichtlichen Schwerpunkt sowie das Risikomanagement bei Kreditrisiken und die Vergütung.

2.3 Die neuen EBA SREP-Leitlinien Die EBA SREP-Leitlinien (siehe EBA (2014)) nehmen viele in der deutschen Aufsichtspraxis bekannte Überprüfungsprozesse auf. Jedoch gibt es zahlreiche detaillierte und einzelne grundsätzliche Neuerungen. Auf sämtliche, insbesondere detaillierte Änderungen kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden, da sich noch eine Aufsichtspraxis etablieren muss. Die folgende Grafik illustriert die Grundstruktur des Überprüfungsprozesses. Abbildung 1: Die EBA SREP-Rahmenstruktur

Quelle: Eigene Darstellung und Übersetzung in Anlehnung an Grafik 1 in EBA (2014)

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Zunächst werden die Institute in vier Kategorien eingeteilt, die für das weitere aufsichtliche Vorgehen von Bedeutung sind. Damit soll gleichzeitig dem Proportionalitätsgedanken Rechnung getragen werden. Außerdem sollen zentrale Kennzahlen fortlaufend analysiert werden, die nicht nur institutsspezifisch sind. Zentraler Kern des SREP ist die individuelle Überprüfung des Instituts. Hierbei spielen vor allem i) die Geschäftsmodellanalyse, ii) die Unternehmensführung und institutsweiten Kontrollen, iii) kapitalbezogene Risiken als auch iv) Liquidität und Refinanzierung eine erhebliche Rolle. Da es bisher keine formelle Geschäftsmodellanalyse gab, wird auf diesen Teil der aufsichtlichen Überprüfung im folgenden Abschnitt 3 näher eingegangen. Bei der Analyse der Unternehmensführung finden sich Themen wieder, wie sie im allgemeinen Teil der MaRisk formuliert sind, sowie Sanierungspläne und Vergütungssysteme. Bei der Analyse der kapitalbezogenen Risiken sollen wesentliche Risiken des Instituts analysiert werden. Die Leitlinien geben Hinweise zu zahlreichen, möglicherweise relevanten Risikoarten. Es soll pro Risikoart das Risiko und das qualitative Risikomanagement analysiert und anschließend die Risikotragfähigkeit überprüft werden. Dies soll jedoch nicht nur auf der Überprüfung der institutsinternen Berechnungen beruhen, sondern auch auf der vorherigen Einschätzung der Aufsicht aus der Analyse pro Risikoart (Risiko und Risikomanagement). Zudem sollen Peer-Group-Vergleiche und Benchmarks eine zentrale Rolle spielen. Bei der Analyse der Liquiditätssituation der Bank sollen nicht nur Kennzahlen ausgewertet werden, sondern es ist auch kritisch zu hinterfragen, wie die Liquidität berechnet wird. Durch ein Scoringsystem soll die Aufsicht ein Gesamturteil fällen und daraus ggf. bankaufsichtliche Schlußfolgerungen ziehen. Diese können ganz unterschiedlicher Art sein, wie Änderungen in Prozess oder Strukturen , aber auch Kapitalaufschlägen und Liquiditätsanforderungen. Auch frühzeitige Maßnahmen im Sinne der Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (siehe EU (2014)) sollen berücksichtigt werden. Kapitalaufschläge müssen nicht nur auf der Quantifizierung von Risiken beruhen, sondern können auch in Abhängigkeit von Schwächen im Risikomanagement oder ergänzenden Überlegungen vergeben werden (siehe Tz. 324, 342, 457, 465 und 466 in EBA (2014)).

3 Ausgewählte Elemente des SREP für kleine Institute Nachdem die neuen EBA SREP-Leitlinien kurz skizziert wurden, widmet sich dieser Abschnitt der Kategorisierung und Umsetzung der Proportionalität (3.1), der Geschäftsmodellanalyse (3.2) und dem Umgang mit Kreditrisiken (3.3). Ergänzt wird dies durch einen Exkurs, in dem Anforderungen an Vergütungssysteme gemäß einer speziellen EBA Leitlinie für Vergütungssysteme skizziert werden. Die vier Bereiche wurden ausgewählt, da sie teilweise eine Neuigkeit in Deutschland und relevant für kleine Institute sind.

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3.1 Doppelte Proportionalität und Kategorisierung gemäß EBA SREP-Leitlinien In Deutschland gibt es ca. 1.800 Kreditinstitute, welche eigenständig sein können, in Verbünden organisiert sind oder Teil einer Gruppe darstellen. Immerhin 21 Bankengruppen wurden als „bedeutend“ eingestuft und werden somit inzwischen von der EZB, gemeinsam mit der BaFin und der Deutschen Bundesbank als nationale Aufsichtsinstitutionen, direkt überwacht (siehe BaFin (2014) und die Seiten 4–6 sowie 30–70 in EZB (2015b)). Kleine und mittlere Kreditinstitute haben in vielen Volkswirtschaften eine regionale oder sektorale Bedeutung. In Deutschland sind sie von erheblicher makroökonomischer Bedeutung. Immerhin sammeln zum Stichtag Februar 2015 knapp 1.500 Sparkassen und Kreditgenossenschaften (ohne genossenschaftliche Zentralbanken und Landesbanken) 1.400 Mrd. EUR der insgesamt 3.400 Mrd. EUR Einlagen und Kredite von Nichtbanken ein. Auch bei den Krediten an Nichtbanken liegt der Anteil dieser Kreditinstitute bei ca. 36% (siehe Deutsche Bundesbank (2015)). Wegen dieser offensichtlichen Relevanz genießt die Aufsicht über kleine Institute in Deutschland große Aufmerksamkeit. Auch wenn diese Institute insgesamt einen wichtigen Einfluss auf die Systemstabilität haben, bedeutet dies in Anwendung des Proportionalitätsgrundsatzes nicht, dass an jedes einzelne kleine und mittlere Institut die gleichen aufsichtlichen Anforderungen gestellt werden wie beispielsweise an Global Player, nationale Großbanken oder die Gruppenebene von Bankengruppen. Insoweit ist für die Umsetzung aufsichtlicher Konzepte im Zusammenhang mit der Säule II das Proportionalitätsprinzip von besonderer Bedeutung. Ansonsten ist das Risiko hoch, dass die Kosten für kleine und mittlere Institute im Verhältnis höher sind als für große Häuser. Darüber hinaus muss sich eine risikoorientierte Aufsicht auch auf wesentliche Risiken konzentrieren bzw. Ressourcen auf größere Risikokonzentrationen verwenden. Aus diesen Gründen folgt, dass eine risikoorientierte Aufsicht an größere und komplexere Institute höhere Anforderungen stellt als an weniger komplexe Institute. Im folgenden Abschnitt wird zunächst die doppelte Proportionalität als Grundlage der bisherigen bekannten Aufsichtspraxis vorgestellt. Darauf folgend wird erörtert, wie dieses Prinzip im Kontext der europäischen Harmonisierung gelebt werden kann. Der Schwerpunkt dieses Beitrages liegt auf der Umsetzung der zweiten Säule der Baseler Rahmenvereinbarungen.

3.1.1

Doppelte Proportionalität in der bisherigen Aufsichtspraxis

Luz und Maaß beschreiben ausführlich das Prinzip der doppelten Proportionalität, wie es in der deutschen Aufsichtspraxis bereits gelebt wird (siehe Luz und Maaß (2011)). Demnach verbirgt sich hinter dem Prinzip, das sich i) die aufsichtlichen Anforderungen

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

an Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Institute ausrichten sollen und ii) die Intensität der aufsichtlichen Überwachung am Einfluss auf die Finanzstabilität des einzelnen Instituts orientieren soll. Das BaFin-Rundschreiben „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) formuliert die zentralen aufsichtlichen Anforderungen der Säule 2 in Deutschland (siehe BaFin (2012)). Anstelle die Institute in Klassen aufzuteilen, um dann je Klasse Anforderungen für die jeweiligen Institute zu formulieren, werden Prinzipien für alle Institute publiziert, an die sich die Aufsicht in der Aufsichtspraxis selbst bindet. Prinzipien und Öffnungsklauseln ermöglichen Flexibilität. Nach einer individuellen Analyse jedes einzelnen Instituts werden diese jedes Jahr in eine Risikomatrix (mit den Dimensionen Systemrelevanz und Qualität des Instituts) eingeteilt, welche die Aufsichtsintensität festlegt (siehe die Seiten 404 f. sowie 415–423 in Luz und Maaß (2011)). Die MaRisk gelten grundsätzlich für alle Institute (dies gilt insbesondere für den allgemeinen Teil, während es im darauf folgenden speziellen Teil durchaus Textziffern gibt, die nicht für alle Banken relevant sind, wenn sie die entsprechenden Bankgeschäfte nicht tätigen). Die MaRisk sind, wie der Name bereits verrät, Mindestanforderungen an die Institute. So müssen Institute eine Risikoinventur durchführen und bei riskanten und komplexen Bankgeschäften auch über die Mindeststandards hinausgehen. Hier zählt der Einzelfall, aber die Aufsicht geht davon aus, dass Institute auch die relevanten internationalen Vorschriften und Empfehlungen umsetzen („Proportionalität nach oben“; siehe die Seiten 72 bis 74 in Hannemann, Schneider und Weigl (2013)). Für Institute, die unabhängig von der Größe Algorithmushandel betreiben, formuliert ein gesondertes Rundschreiben die Erwartungshaltung der Aufsicht (siehe BaFin (2013a)). Der Aufsichtsprozess, als zweiter Teil der doppelten Proportionalität, ist institutsindividueller als die prinzipienorientierten Vorschriften. Die eben genannten Prinzipien (MaRisk) werden von den Instituten eigenständig (oft aber in Kooperation mit den Verbänden) umgesetzt (siehe z.B. Deutscher Sparkassen- und Giroverband, DSGV (2014)). Jedes einzelne Institut erarbeitet somit einen „ersten Aufschlag“, um die Anforderungen angemessen und proportional zu berücksichtigen. Im Folgenden überprüft die Aufsicht die Umsetzungen der einzelnen Institute (siehe Seite 2 in BaFin (2013b)). Die Überprüfung durch die Aufsicht geschieht nicht automatisiert, sondern basiert auf einer Vielzahl von Informationen: Neben dem Prüfungsbericht, dem Meldewesen und sämtlichen öffentlich zugänglichen Informationen kann die Aufsicht bei einem Institut gezielt Erkundigungen einholen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche anlassbezogene Treffen und bei großen Instituten ist auch die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen üblich. Der Aufsicht stehen auch die Prüfberichte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Prüfverbände zur Verfügung, welche z.B. auch die Angemessenheit des Risikomanagements und der Geschäftsorganisation prüfen (siehe § 10 in BaFin (2013c)). Eine weitere wichtige Informationsquelle für die Aufsicht sind die Sonderprüfungen gemäß § 44 KWG.

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Somit kennen die Institutsaufseher die Institute über alle Aufsichtsthemen hinweg. Die zahlreichen Informationskanäle ermöglichen nicht nur Flexibilität, sondern auch eine proportionale Aufsichtspraxis. Während bei großen und/oder problematischeren Banken alle Informationskanäle genutzt werden, kann die Aufsicht sich bei kleinen „unauffälligen“ Instituten auf eine weniger intensive Beaufsichtigung beschränken (siehe auch Seite 7 in Kramer (2013) und die Seiten 2–3 in BaFin (2013b)). Bei kleinen und mittleren Instituten ist das übliche Minimum der Prüfungsbericht, das Jahresgespräch und die jährliche Analyse des Risikoberichts des Instituts. Die Proportionalität lässt sich auch anhand der Verteilung der Sonderprüfungen (also über die routinemäßigen Jahresprüfungen und laufende Aufsicht hinaus) illustrieren. Die Risikomatrix, Tabelle 6 im Jahresbericht der BaFin für das Jahr 2013 (siehe Seite 85 in BaFin (2014)), zeigt die prozentuale Einteilung deutscher Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute in 12 Risikoklassen. Die Matrix besteht aus den Dimensionen „Qualität der Institute“ (mit vier Kategorien) und „Systemrelevanz“ (mit drei Kategorien). In Tabelle 13 des BaFin-Jahresberichts für 2013 findet sich diese Risikomatrix wieder und illustriert die Verteilung der über 200 aufsichtsgetriebenen Sonderprüfungen im Jahr 2013. So ist zu sehen, dass der Prozentsatz der Institute, bei denen eine Sonderprüfung in 2013 durchgeführt wurde, mit abnehmender Qualität des Instituts steigt (also eher bei den Instituten geprüft wird, bei denen Risiken gesehen werden). Es ist auch deutlich zu erkennen, dass die Anzahl der Sonderprüfungen mit der Systemrelevanz steigt (siehe Seite 108 in BaFin (2014)). Prinzipienorientierte organisatorische Anforderungen ermöglichen nicht nur eine flexible, angemessene und proportionale Umsetzung durch die Institute. Darüber hinaus bietet ein prinzipienorientierter Aufsichtsansatz den Vorteil, dass Probleme im Idealfall durch adäquate Prozesse und Strukturen frühzeitig erkannt und vermieden werden. Die Aufsicht hat sich dagegen entschieden, bei kleinen Instituten die Aufsicht ausschließlich anhand der Meldedaten durchzuführen. Dies könnte durchaus ein Ansatz sein, kleine Institute proportional zu beaufsichtigen, da sich die Kosten durch die Aufsicht zunächst auf das Meldewesen reduzieren würden. Ein zentraler Nachteil wäre jedoch, dass somit die Aufsicht durch reine Datenanalyse aufkommende Probleme tendenziell eher zu spät erkennen würde und auch vermutlich nicht so „nah dran“ an der Realität von kleinen Banken wäre. Unangenehme und tiefgreifende Eingriffe durch die Aufsicht kämen dann gegebenenfalls zu spät. Daher werden bei kleinen Instituten nicht nur Daten erhoben, sondern auch das Risikomanagement routinemäßig und anlassbezogen überprüft. Somit lässt sich feststellen, dass in Deutschland sowohl die aufsichtlichen Anforderungen als auch Überprüfungen proportional mit Umfang, Komplexität und Risikogehalt bzw. Einfluss auf die Finanzstabilität steigt – die doppelte Proportionalität also gelebt wird.

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

3.1.2

Kategorisierung und mögliche doppelte Proportionalität in der Zukunft

Wie in Kapitel 3.1.1 beschrieben, werden in Deutschland Institute jährlich in 12 Risikoklassen der aufsichtsinternen Risikomatrix eingeteilt, um die Institute proportional und angemessen zu beaufsichtigen. Auch die EBA SREP-Leitlinien sehen Kategorisierungen vor. Bevor die Institute mit den „scores“ von eins bis vier beurteilt werden, sehen die Leitlinien eine einmalige Kategorisierung in vier Kategorien hinsichtlich der Größe bzw. Bedeutung vor (nur bei wesentlichen Änderungen sind Umkategorisierungen vorgesehen). Die Kategorisierung basiert auf breiten Definitionen, welche Größe, Struktur, interne Organisation, Art, Komplexität und Systemrelevanz berücksichtigen. Ziel ist es, ein Minimum der Aufsichtstätigkeiten festzulegen (siehe Seite 57 in Shmeljov und Corleis (2015)). Die Kategorien „1“ bis „4“ werden kurz und ohne viele Kennzahlen definiert. „Kategorie 1 Institute“ sind dabei die großen (globalen) systemrelevanten Institute, die kleinen nichtkomplexen und nicht international agierenden Institute werden in die vierte Gruppe eingeteilt (siehe die Seiten 21–22 in EBA (2014)). Den Instituten in den jeweiligen Kategorien wird eine Beurteilung aller SREP-Elemente von „alle drei Jahre“ bis „jährlich“ zugeordnet. Außerdem wird die Frequenz des Kontaktes zwischen Aufsicht und Leitungsorgan und Geschäftsleitung von „alle drei Jahre“ als Minimum über „risikobasiert“ bis hin zu „fortlaufend“ gestaffelt. Unabhängig von der Kategorie sind jedoch immer quartalsweise die „key indicators“ zu überwachen sowie jährlich eine SREP-Beurteilung (einschließlich scoring) vorzunehmen (siehe die Seiten 27–31 in EBA (2014)).

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Tabelle 1: Aufsichtlicher Mindestüberprüfungsprozess für Institute nach Kategorien Kategorie

Analyse zentraler Kennzahlen

Häufigkeit der Bewertung aller SREP-Elemente

Gesamtbewertung

1

vierteljährlich

jährlich

2

vierteljährlich

3

4

Frequenz und Intensivität der Überprüfung Häufigkeit des Kontaktes mit Geschäftsführung und oberer Leitungsebene

Kontakt mit Institut, um

jährlich

fortlaufend

alle aufsichtsrelevanten Themen zu diskutieren.

alle 2 Jahre

jährlich

fortlaufend

alle aufsichtsrelevanten Themen zu diskutieren.

vierteljährlich

alle 3 Jahre

jährlich

risikobasiert

Themen zu diskutieren, die aus Risikogesichtspunkten wesentlich sind.

vierteljährlich

alle 3 Jahre

jährlich

alle 3 Jahre

Quelle: Eigene Darstellung und Übersetzung in Anlehnung an Tabelle 1 in EBA (2014)

Die EBA-Leitlinien formulieren jedoch keine konkreten Anforderungen an die Institute der jeweiligen Kategorie. So ist nicht zu erkennen, welche unterschiedlichen Anforderungen über den Aufsichtsturnus hinaus von den nationalen Aufsichten an die Institute gestellt werden sollen. Es wird formuliert, worauf die Aufseher zu achten haben, wenn sie ein Institut bzw. dessen Risiken analysieren. Neben grundsätzlichen Prinzipien werden auch zahlreiche Details vorgegeben. So wird z.B. in Textziffer 162 (e) gefordert, dass die Aufsicht bei der Analyse von Spezialfinanzierungen (specialised lending) darauf achten soll, welche Garantien gegeben werden. Oder in Textziffer 180 (h) wird die Aufsicht gefordert, zu überprüfen, ob das Institut Strukturen hat, um den relevanten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Kreditrisikostrategie zu kommunizieren. In Textziffer 189 (d) wird empfohlen, zu überprüfen, ob und wie die Bank die Stresstestergebnisse in der Kapitalplanung verwendet. Aus den EBA-Leitlinien kann somit jede Bank ableiten, dass Garantien bei Spezialfinanzierungen zu beachten sind, eine Kommunikationsstrategie zur Kreditrisikostrategie dazugehört und Stresstestergebnisse in der Kapitalplanung zu verwenden sind, bzw. ein Abweichen zu Diskussionen mit der Aufsicht führen wird. Der Fragekatalog muss jedoch von den Aufsehern institutsindividuell angepasst werden. So sind nicht alle Fragen bei jedem Institut relevant oder ausreichend. Wenn z.B. eine Bank keine Fremdwährungsdarlehen an nicht abgesicherte Kreditnehmer vergibt, ist

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

davon auszugehen, dass die nationalen Aufseher auch nicht intensiv die Hinweise in den Textziffern 158 und 159 überprüfen. Sind Fremdwährungsdarlehen jedoch für das Institut relevant, muss dieses damit rechnen, dass weitere Fragen hinzukommen. Somit lässt sich eine Ähnlichkeit zur deutschen Verwaltungspraxis erkennen, wenn die EBA-Leitlinien nicht als starre Mindestanforderung gesehen werden, sondern als transparente und flexible Orientierung für Aufseher. Es werden zunächst intern die Institute kategorisiert. Darüber hinaus wird durch Leitlinien transparent kommuniziert, welche Erwartungen die Aufsicht an die Institute hat, ohne die einzelnen Anforderungen den Kategorien zuzuordnen. Somit ist grundsätzlich kein Widerspruch zwischen der in Deutschland praktizierten doppelten Proportionalität und dem neuen EBA-Rahmenwerk auszumachen. In der Zukunft wird sich aber noch zeigen, ob und wie die doppelte Proportionalität gelebte Praxis wird.

3.2 Geschäftsmodellanalyse Die Geschäftsmodellanalyse (GMA) soll dabei helfen, im Rahmen einer Aufarbeitung der gesamten geschäftlichen Ausrichtung der Bank insbesondere die individuellen Risiken des jeweiligen Instituts zu identifizieren, die bereits materiell sind oder materiell werden können. Hierbei erfolgt im Gegensatz zum ICAAP keine Quantifizierung der betrachteten Risiken. Vielmehr ist das Geschäftsmodell anhand der Geschäftsschwerpunkte zu identifizieren. Als zentraler Blickwinkel ist die Ertrags-, Risiko- und Volumendimension durch die Aufsicht zu betrachten. Wichtig ist die Identifikation von Alleinstellungsmerkmalen in den wesentlichen Geschäftsbereichen. Kommt es zu Abweichungen zwischen postulierten und tatsächlich beobachtbaren Geschäftsausrichtungen, sollte dies mit dem Institut erörtert werden. Während die Risikotragfähigkeitsanalyse eher den aktuellen Stand der Risiken und ein Stresstest die Widerstandsfähigkeit in der näheren Zukunft analysiert, bietet die Geschäftsmodellanalyse die Möglichkeit, einen weiteren Zeithorizont in den SREP zu integrieren. So muss die Aufsicht zunächst das aktuelle Geschäftsmodell analysieren und auch möglicherweise grundsätzliche Probleme in der Zukunft identifizieren, wie z. B. veränderte Wettbewerbsstrukturen, und analysieren, ob die Bank sich der Probleme bewusst ist und diese auch angeht. Der folgende Abschnitt gibt im Wesentlichen, wenn nicht anders angegeben, die Vorgaben gemäß EBA SREP-Leitlinien wieder. Zunächst wird der Begriff diskutiert, da er im Aufsichtsrecht nicht bekannt ist, danach wird auf die bestehenden Anforderungen eingegangen, bevor eine Durchführung der Geschäftsmodellanalyse skizziert wird.

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3.2.1

Begriffsabgrenzungen

Der Begriff „Geschäftsmodell“ ist im deutschen Aufsichtsrecht noch nicht näher spezifiziert. Das Geschäftsmodell wird allgemeinhin als Rahmen der Geschäftsstrategie verstanden, während die Geschäftsstrategie als Konkretisierung der Ziele für jede wesentliche Geschäftsaktivität sowie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele angesehen wird. Der Begriff beschreibt also die Mittel und Methoden, die ein Institut zur Generierung von Erträgen und dem Wachstum der Erträge anwendet. Geschäftsmodelle sind häufig individuell ausgestaltet. Dennoch ist es möglich, dass sich allgemeine Charakteristika von Geschäftsmodellen in vielen Instituten wiederfinden. Die EBA fordert in den SREP-Leitlinien, das die zuständigen Behörden regelmäßig Geschäftsmodellanalysen durchführen, um die Geschäfts- und strategischen Risiken zu bewerten (siehe EBA (2014, Seite 34 ff.)). Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass die Verantwortlichkeit des Leitungsorgans des Instituts für die Führung und Organisation des Geschäfts nicht unterminiert wird oder bestimmte Geschäftsmodelle nicht priorisiert werden. Im Rahmen einer solchen Bewertung werden folgende Punkte durch die Aufsichtsbehörde ermittelt: • die ökonomische Umsetzbarkeit (viability) des aktuellen Geschäftsmodells des Instituts auf der Grundlage, ob das Modell geeignet ist, eine akzeptable Rendite über die kommenden 12 Monate zu erwirtschaften, und • die Nachhaltigkeit (sustainability) der Strategie des Instituts auf der Grundlage, ob mit der Strategie aufgrund ihrer strategischen Pläne und finanziellen Prognosen eine akzeptable Rendite über einen zukunftsgerichteten Zeitraum von mindestens drei Jahren erzielt werden kann (siehe Tz. 55 in EBA (2014)). Die Geschäftsmodellanalyse ist ein Teil des Supervisory Review and Evaluation Process (SREP). Die Analyse hat das einzelne Institut zu umfassen oder eine gruppenweite Betrachtung mit einzubeziehen. Darüber hinaus ist auch die Analyse des Marktes und der Konkurrenten (nicht nur Banken) von erheblicher Bedeutung für die zukunftsgerichtete Analyse der Nachhaltigkeit. Dabei kommt es wegen der Vielzahl kleiner Institute auf eine ausgewogene Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips an. Durch eine GMA soll die Aufsicht in die Lage versetzt werden, sich über das jetzige Geschäftsmodell und dessen Realisierbarkeit ein Bild machen zu können. Des Weiteren soll die GMA aufzeigen, wie sich das Geschäftsmodell in Bezug auf strategische Entscheidungen bzw. durch die Änderungen des Geschäftsumfeldes entwickelt und inwieweit das Geschäftsmodell zukunftsfähig (nachhaltig) ist.

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

Das Geschäftsmodellrisiko kann sich darin begründen, dass sich von den Instituten angestrebte Erträge aufgrund von strategischen Fehlentscheidungen nicht realisieren lassen. Weiterhin können angestrebte Erträge durch externe Faktoren verringert oder negativ werden, wenn sich z.B. das geschäftliche Umfeld unerwartet verschlechtert und das Geschäftsmodell dieses nicht zeitnah abbilden kann. Das gewählte Geschäftsmodell und die Rentabilität des Instituts sind sehr stark miteinander verbunden. Im Zeitablauf kann die Struktur der Erträge als Indikator betrachtet werden, ob das Geschäftsmodell profitabel und nachhaltig ist. Die Kerngeschäfte eines Instituts sollten idealerweise auch einen großen Teil des Ertrags für das Institut liefern.

3.2.2

Derzeit bestehende Anforderungen

Generell soll im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungsprozesses gemäß Art. 98 (i) CRD IV auch das jeweilige Geschäftsmodell des Instituts überprüft werden. Ferner ist die EBA nach Art. 107 (3) CRD IV angehalten, Leitlinien für die Harmonisierung des Aufsichtlichen Überprüfungsprozesses zu entwickeln. Um diese zu vertiefen, hat die EBA zusätzlich das Single Supervisory Handbook erarbeitet. Sowohl die Leitlinien als auch das Handbook beinhalten ein Kapitel zur Geschäftsmodellanalyse. Nach § 6b Abs. 2 Nr. 10 KWG bewertet die Aufsichtsbehörde zusammenfassend und zukunftsgerichtet, ob die von einem Institut geschaffenen Regelungen, Strategien, Verfahren und Prozesse sowie seine Liquiditäts- und Eigenmittelausstattung ein angemessenes und wirksames Risikomanagement und eine solide Risikoabdeckung gewährleisten. Neben Kreditrisiken, Marktrisiken und operationellen Risiken berücksichtigt sie dabei insbesondere das zugrunde liegende Geschäftsmodell. In Deutschland fordert das KWG laut § 25a Abs. 1 eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation. Diese beinhaltet u.a. auch die Festlegung von Strategien, insbesondere einer auf die nachhaltige Entwicklung des Instituts gerichteten Geschäftsstrategie und einer damit konsistenten Risikostrategie, sowie die Einrichtung von Prozessen zur Planung, Umsetzung, Beurteilung und Anpassung der Strategien. Die in § 25a Abs. 1 KWG enthaltenen Anforderungen zur Geschäftsstrategie werden vor allem durch den AT 4.2 MaRisk konkretisiert. Demnach erwartet die Aufsicht, dass die Geschäftsleitung eine nachhaltige Geschäftsstrategie festlegt, in der die Ziele des Instituts für jede wesentliche Geschäftsaktivität sowie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele dargestellt werden. Weiterhin ist eine mit der Geschäftsstrategie konsistente Risikostrategie und ein Strategieprozess, der sich insbesondere auf die Prozessschritte

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Planung, Umsetzung, Beurteilung und Anpassung der Strategien erstreckt, zu entwickeln. Bewertet wird die Konsistenz zwischen Geschäfts- und Risikostrategie sowie die Angemessenheit des Strategieprozesses.

3.2.3

Durchführung einer Geschäftsmodellanalyse gemäß SREP-Leitlinien

Nach den SREP-Leitlinien der EBA sind folgende Schritte zur Durchführung einer Geschäftsmodellanalyse notwendig (siehe die Seiten 35–43 in EBA (2014)): 1. Vorbereitende Analyse 2. Identifizierung der wichtigsten Bereiche für die BMA 3. Untersuchung des Geschäftsumfelds 4. Qualitative und quantitative Analyse des aktuellen Geschäftsmodells 5. Analyse der zukunftsgerichteten Strategie und der Kapitalplanung 6. Untersuchung der ökonomischen Umsetzbarkeit („viability“) 7. Untersuchung der Nachhaltigkeit der Strategie 8. Identifikation der wichtigsten Schwachstellen des Instituts in Bezug auf das Geschäftsmodell und die Strategie 9. Zusammenfassung der Erkenntnisse und Einstufung Bevor auf die einzelnen Schritte näher eingegangen wird, stellt die folgende Auflistung exemplarisch qualitative und quantitative Informationsquellen, wie sie in den EBA SREP-Leitlinien vorliegen, sowie deren mögliche Analyse dar. • Strategiepläne des aktuellen Jahres und zukunftsorientierte Prognose der GuV und Bilanz für die wesentlichen Geschäftsfelder in angemessenem Detaillierungsgrad (z. B. Gewinnmarge, Mengen, Kosten, Wertminderungen auf Produkt-, Segment- und geographischer Ebene) Mögliche Analysen: – Analyse der GuV- und Bilanzzahlen des aktuellen Jahres (inkl. Konzentrationen und Volatilitäten). – Einsicht in die Schlüsselbereiche der finanziellen Performance, Haupttreiber der Performance und Kennzahlen. – Analyse der Ertragskomponenten: Zinsüberschuss (Volumen und Marge), Gebühreneinnahmen, Handelsergebnis, Verständnis der Kostentreiber; Nachvollziehen der Quellen der Wertminderungen.

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

– Analyse der Bilanz-Vermögenszusammensetzung und Zusammensetzung der Verbindlichkeiten; Finanzierungsprofil; Kapitalprofil. – Analyse der wichtigsten Kapital- und Liquiditätsverhältnisse. • Geschäftsbericht Mögliche Analysen: – Analyse der Bilanz, inkl. Mittel- und Vermögensstruktur, Bilanz Konzentration/ Volatilität, Risikoappetit. – GuV-Analyse, inkl. Ergebnis Konzentration/Volatilität; Analyse der Teilberichterstattung, Geschäftsfeld-Konzentrationen/Volatilitäten, Risikoappetit. • Aufsichtliches Meldewesen (COREP), Finanz-Meldewesen (FINREP), Kreditregister, wenn vorhanden, und Großkreditmeldungen Mögliche Analysen: – Analyse der Bilanz und GuV. Im Gegensatz zum Jahresbericht bieten diese zwar keine Erläuterungen, sind jedoch nützlich für Referenzgruppen-Vergleiche. – Analyse von RWA, Kreditrisiko, Marktrisiko, operationellen Risiken, eigenen Fonds- und Kapitalausstattungen. • Internes Meldewesen Mögliche Analysen: – Beobachten der Schlüsselvariablen, Analyse der aktuellen Unternehmensperformance und Vergleich dieser mit den Planzahlen, Identifizieren der Bereiche, die unter oder über dem Durschnitt sind. • Sanierungs- und Abwicklungspläne (recovery and resolution plans: R&R) Mögliche Analysen: – Prüfung der Konsistenz zwischen R&R und der „regulären“ Strategie. • Vor-Ort-Aufsicht Erkenntnisse und individuell angefertigte Umfragen Mögliche Analysen: – Datenanalyse (Finanzdaten, Geschäftsbereiche, Produkte etc.), die nicht durch andere Quellen verfügbar sind.

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• Externe (z.B. makroökonomische) Studien Mögliche Analysen: – Abgleich der Studienergebnisse mit den der Geschäftsplanung zugrunde gelegten Annahmen Es lässt sich somit feststellen, dass sich die Aufsicht auf ein sehr vielfältiges Spektrum von Informationen stützt, um eine Geschäftsmodellanalyse durchzuführen.

3.2.3.1

Vorbereitende Analyse

Bei der „vorbereitenden Analyse“ soll insbesondere anhand der Organisationsstruktur, wesentlicher Niederlassungen, Regionen, strategischen Anpassungsprozesse, Kerngeschäfts- sowie -produktlinien die Komplexität und Plausibilität des Geschäftsmodells identifiziert werden. Das Ergebnis der vorbereitenden Analyse soll dabei helfen, die Institute in die jeweiligen Kategorien einzuteilen und damit das Prinzip der Proportionalität zu unterstützen.

3.2.3.2

Identifizierung der wichtigsten Bereiche für die BMA

Zunächst sollen die Geschäftsbereiche identifiziert werden, die den aktuellen oder geplanten Umsatz bzw. die Profitabilität und die Bilanz beeinflussen (Haupttreiber des Geschäftsmodellrisikos). Es werden die Geschäftsbereiche identifiziert, die für die ökonomische Lebensfähigkeit bzw. die zukünftige Nachhaltigkeit des derzeitigen Geschäftsmodels verantwortlich sind. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Materielle Geschäftsbereiche – solche, die einen besonders hohen Anteil am Gewinn des Unternehmens haben oder Verlustsegmente sind. • Bisherige aufsichtliche Feststellungen – dies kann Anhaltspunkte auf die Funktionsfähigkeit bestimmter Geschäftsbereiche geben. • Feststellungen der Internen Revision als auch externer Prüfungsberichte – hierdurch können Anhaltspunkte zur Lebensfähigkeit und zur Nachhaltigkeit verschiedener Geschäftsbereiche ersichtlich werden. • Geschäftsbereiche, die einer strategischen Änderung unterliegen; beispielsweise ein besonderes Wachstum verzeichnen sollen oder wo das Geschäft auslaufen soll. • Segmente mit hoher Konzentration auf einzelne Produkte, Regionen, Kunden, Sektoren, Geschäftspartner etc.

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• Geschäftsbereiche mit hohem Anteil an Nicht-Kerngeschäftserträgen bzw. hoher Abhängigkeit von internen Verrechnungspreisen. • Geschäftsbereiche mit hoher Unterscheidung zur Vergleichsgruppe

3.2.3.3

Untersuchung des Geschäftsumfelds

Die Aufsicht soll durch die Untersuchung des Geschäftsumfeldes eines Instituts die Annahmen bezüglich der Strategie des Instituts bewerten können. Dies beinhaltet die derzeitigen als auch die zukünftigen Marktbedingungen, in denen sich das Institut bewegt. Des Weiteren soll die Aufsicht sich ein Bild über die Auswirkungen des makroökonomischen Umfeldes, Markttrends und der strategischen Ausrichtung der Peer Group machen. Die Untersuchung des Geschäftsumfelds ist bei der Analyse des Geschäftsmodells eines nicht systemrelevanten Instituts besonders wichtig, da sich die Auswirkungen des makroökonomischen Umfeldes besonders stark bemerkbar machen. Eine Diversifizierung der Risiken ist oft nicht in der gleichen Weise möglich wie bei einem weltweit agierenden Institut.

3.2.3.4

Qualitative und quantitative Analyse des aktuellen Geschäftsmodells

Die Analyse des derzeitigen Geschäftsmodells beruht auf zwei Ausprägungen, der qualitativen Analyse und der quantitativen Analyse. Nur auf diese Weise kann man ein vollständiges Bild erhalten. Quantitative Analyse: Die Aufsichtsbehörden sind dazu angehalten, ihre qualitativen Analysen mittels einer quantitativen Analyse zu untermauern. Hierbei geht es vor allem um Analysen in vier Bereichen: • Erträge und Verluste: Hierbei wird untersucht, ob Konzentrationen bei den Kosten oder Erträgen vorkommen. Zeitreihenanalysen sollen genutzt werden, um Trends festzustellen. • Bilanzanalyse inklusive Trendanalyse: Analysiert werden z.B. die Funding-Struktur oder die Eigenkapitalzusammensetzung. Bestimmte Kennzahlen wie return on equity werden verwendet. Zeitreihenanalysen sollen genutzt werden, um Trends festzustellen.

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• Konzentrationen inkl. erkennbarer Trends: Die Analyse von Konzentrationen ist wichtig, um Risiken in bestimmten Produkten, Sektoren, Geschäftsbereichen oder Ländern (geographies) festzustellen. • Risikoappetit: Mit der Festlegung des Risikoappetits trifft die Geschäftsleitung eine bewusste Entscheidung darüber, in welchem Umfang sie bereit ist, Risiken einzugehen. Der Risikoappetit kann in vielfacher Weise zum Ausdruck gebracht werden. Neben rein quantitativen Vorgaben (z.B. Strenge der Risikomessung, Globallimite, Festlegung von Puffern für bestimmte Stressszenarien) kann der Risikoappetit auch in der Festlegung von qualitativen Vorgaben zur Geltung kommen (z.B. Anforderung an die Besicherung von Krediten, Vermeidung bestimmter Geschäfte). Qualitative Analyse: Bei der qualitativen Analyse geht es hauptsächlich darum, die Treiber für ein funktionsfähiges Geschäftsmodell zu finden. Des Weiteren sollen die Abhängigkeiten des Instituts aufgezeigt werden, um gegebenenfalls gegensteuern zu können. • Wichtigste externe Abhängigkeiten: Die Aufsicht stellt hierbei fest, welche die wichtigsten externen Faktoren sind, die einen Erfolg des gewählten Geschäftsmodells beeinflussen können. Dies beinhaltet z.B. Drittanbieter, Intermediäre oder spezifische aufsichtliche Treiber. • Wichtigste interne Abhängigkeiten: Die Aufsicht stellt hierbei fest, welche die wichtigsten internen Faktoren sind, die einen Erfolg des gewählten Geschäftsmodells beeinflussen können. Dies kann die Qualität der gewählten IT-Plattform sein oder die vorhandenen Personalressourcen. • Franchise: Die Aufsicht überprüft bei diesem Abschnitt der qualitativen Analyse, wie stark die Kundenbindung und die Verbindung zu Partnern oder Lieferanten des jeweiligen Instituts sind. Von besonderer Wichtigkeit ist hierbei die Analyse der Reputation des Instituts. • Bereiche mit Vorteilen gegenüber der Konkurrenz: Hierbei sollen die Bereiche herausgestellt werden, in denen das Institut einen Vorteil gegenüber seiner Vergleichsgruppe hat. Dies kann alle bereits genannten Bereiche umfassen (IT-Systeme, globales Netzwerk, Produkte, Mitarbeiter etc.) Diese Aufzählung zeigt bereits, dass hier in vielfältiger Weise Vorgaben der MaRisk berührt werden (u.a. zur Geschäfts- und Risikostrategie, Kapitalplanung, Risikotragfähigkeit, zur Risikotoleranz, zum Neuproduktprozess, zur Auslagerung, zur Ressourcenausstattung usw.), so dass die Aufsicht mit diesen Aspekten bereits seit Langem vertraut ist.

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3.2.3.5

Analyse der zukunftsgerichteten Strategie und der Kapitalplanung

Hierbei handelt es sich um eine Analyse der Strategie und der Kapitalplanung. Insbesondere sollte in diesem Zusammenhang überprüft werden, inwieweit diese beiden Aspekte ineinandergreifen. Nur eine konsistente Strategie als auch eine daran ausgerichtete Kapitalplanung kann zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Auch hier wiederum kommen seit längerem eingeführte Regelungen der MaRisk zum Tragen.

3.2.3.6

Untersuchung der ökonomischen Umsetzbarkeit (viability)

Die Aufsicht sollte sich eine Meinung über die augenblickliche Umsetzbarkeit des Geschäftsmodells eines Instituts bilden. Darunter ist zu verstehen, ob das Institut aus aufsichtlicher Perspektive über die nächsten zwölf Monate Erträge generieren kann. Dazu können zusätzlich die folgenden Kriterien hinzugezogen werden: • Zum Beispiel Eigenkapitalrentabilität (Return on Equity, ROE) im Verhältnis zu Eigenkapitalkosten (Cost of Equity, COE) – Ein Geschäftsmodell, welches langfristig nicht mehr rentabel ist, dürfte aus Investmentperspektive nicht mehr lebensfähig sein. Andere Kriterien wie „Return on Assets“ oder „Risk-adjusted Return on Capital“ können diese Beurteilung unterstützen. • Refinanzierungsstruktur – Die Zusammensetzung der Refinanzierung muss für das Geschäftsmodell oder die Strategie angemessen sein. Volatilität oder Inkongruenzen (mismatches) können bedeuten, dass ein Geschäftsmodell oder eine Strategie, auch wenn Erträge oberhalb von Kosten generiert werden, bei gegebenem oder zukünftigem Geschäftsumfeld längerfristig ökonomisch nicht umsetzbar oder nachhaltig sein kann. • Risikoappetit – Um hinreichende Erträge zu generieren, wird das Geschäftsmodell mit einem bestimmten Risikoappetit einhergehen, der sich entsprechend in der Strategie niederschlagen muss. Eine exzessive Risikoübernahme zur Generierung von Erträgen kann von der Aufsicht als inakzeptabel erwogen werden, insbesondere für systemisch bedeutende Institute. Diese Indikatoren sind nicht neu und sollten in den holistischen Ansatz der MaRisk integrierbar sein.

3.2.3.7

Untersuchung der Nachhaltigkeit der Strategie

Diese Analyse soll den Aufseher in die Lage versetzen, sich ein Bild über die Nachhaltigkeit der Strategie zu machen. Zu hinterfragen ist, inwieweit es dem Institut möglich ist, in Zukunft noch Erträge zu erwirtschaften. Hierbei liegt eine zukunftsgerichtete Periode von regelmäßig ca. drei Jahren vor. Basierend auf den strategischen Plänen, den Kapital-

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plänen und den aufsichtlichen Annahmen zum makroökonomischen Umfeld wird eine solche Analyse durchgeführt. Auch dieser Aspekt wurde bereits in der Vergangenheit explizit von den Regularien der MaRisk umfasst und sollte daher in die planerischen Überlegungen der Institute eingeflossen sein.

3.2.3.8

Identifikation der wichtigsten Schwachstellen des Instituts in Bezug auf das Geschäftsmodell und die Strategie

Die Schwachstellenanalyse ist besonders wichtig für den zukunftsgerichteten Blick auf die Strategie und auf das Geschäftsmodell eines Instituts. Hierbei können folgende Aspekte zu einer Beeinträchtigung führen: • eine besondere Konzentration in Risiken oder Gewinne in bestimmten Geschäftsbereichen, • eine starke Anfälligkeit in Bezug auf ein sich verschlechterndes wirtschaftliches Umfeld, • eine starke Volatilität in Bezug auf die Gewinne des Instituts. Durch diese Analyse wird der Eindruck des Aufsehers zur zukünftigen Überlebensfähigkeit des Instituts vervollständigt. Dies fließt in die abschließende Benotung des Instituts ein.

3.2.3.9

Zusammenfassung der Erkenntnisse und Einstufung

Basierend auf der beschriebenen durchgeführten Überprüfung des Geschäftsmodells und der Ertragskraft des Instituts erfolgt eine Einstufung des Instituts. Dies beruht auf einem Vier-Noten-Modell. Die beste Note 1 sagt aus, dass bei diesem Institut, auch im Vergleich zu seiner Vergleichsgruppe, keine besonderen Risiken und eine gute Ertragskraft vorliegen. Es wird eine positive Prognose zur ökonomischen Lebensfähigkeit des Instituts in Bezug auf das verwendete Geschäftsmodell und die Strategie gegeben. Eine Verschlechterung der Risiken bzw. der Ertragskraft, in Verbindung mit einer negativeren Einschätzung der ökonomischen Lebensfähigkeit des Instituts, wird mit einer jeweils höheren Note ausgedrückt.

3.3 Kreditrisikomanagement Ein wesentlicher Risikotreiber des Bankgeschäftes ist das Kredit- bzw. Adressenausfallrisiko. Betrachtet man die typischerweise anzutreffende Geschäftsausrichtung kleinerer und vor allem auch verbandsangehöriger Institute, so ist das Kreditgeschäft die weitaus dominierende Geschäftsart (insbesondere aus Risikosicht). Wegen dieser Ausrichtung ist

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

auch die Beurteilung der damit verbundenen Risiken für die Aussagefähigkeit des bankaufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsverfahrens von erheblicher Bedeutung. Die SREP-Vorgaben der EBA beschäftigen sich daher auch umfassend mit dieser Risikoart (siehe die Seiten 63 ff. in EBA (2014)). Zunächst soll sich die Aufsicht mit der Struktur und Qualität des Kreditportfolios (inkl. der außerbilanziellen Geschäfte) auseinandersetzen, wobei die Analyse der jeweils für das Institut wesentlichen Aspekte im Mittelpunkt steht (siehe die Seiten 64–73 in EBA (2014)). Dazu zählt neben der Analyse der Struktur der Kreditnehmer auch die Auswertung von typischen Indikatoren, wie dem Anteil der leistungsgestörten Kredite, die „forbearance“ Struktur, die Höhe der Wertberichtigungen und deren Veränderungen. Überdies sollen jeweils materielle Unterkategorien des Kreditrisikos wie das Konzentrationsrisiko, Risiken aus Verbriefungen, das Länderrisiko, das Fremdwährungsrisiko und Risiken aus Spezialfinanzierungen betrachtet werden. Bei diesen Risikoaspekten sollen deren besondere Charakteristika jeweils berücksichtigt werden. Dazu gehört erneut die Qualität der Kreditnehmer, das Verständnis von Verbriefungstransaktionen, der Umgang mit Fremdwährungsgeschäften oder die Struktur und das Management von Projektfinanzierungen. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Analyse des Konzentrationsrisikos dar. Hier können die jeweils relevanten Aspekte wie Kreditnehmerkonzentrationen, sektorale oder geographische Konzentrationen oder auch Häufungen bei bestimmten Finanzprodukten oder Absicherungen Gegenstand der Betrachtung sein. Dabei gilt, wie bei der gesamten Analyse, dass das Proportionalitätsprinzip Beachtung findet. Insoweit sollten auch Besonderheiten des Geschäftsmodells oder gesetzliche Vorgaben, die u.a. die geschäftliche oder geographische Ausrichtung des Instituts begrenzen, in angemessener Weise Berücksichtigung finden. Bei diesem kurzen Abriss wird bereits deutlich, dass zunächst eher eine quantitative Analyse des Kreditgeschäftes erwartet wird. An diese schließt sich dann die Analyse der internen Prozesse des Kreditrisikomanagements an (siehe die Seiten 73–79 in EBA (2014)). Diese umfasst die Kreditrisikostrategie, die Risikotoleranzen, das organisatorische Rahmenwerk, die internen Kontrollprozesse sowie das Vorgehen der Bank bei der Risikoidentifikation, der Messung und Beobachtung der Risiken sowie dem Berichtswesen. Die Situation des jeweiligen Instituts ist dann nach einem bestimmten Verfahren zu beurteilen und mit Punktwerten (sog. Scores) zu versehen. Die genaue Ausgestaltung dieses Beurteilungsverfahrens ist aber zurzeit noch Gegenstand von Beratungen. Dazu gehört auch, dass die EZB weitere aufsichtliche Erwartungen formulieren wird, die national umzusetzen sind. Deren konkretere Ausgestaltung wird aber erst im Laufe dieses Jahres zu erwarten sein.

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Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Analyse entlang eines im Wesentlichen dem Kreditvergabe- und Controlling-Prozess nachgebildeten Ablauf, der auch quantitative Aspekte integriert, erfolgt. Dabei greifen hier die SREP-Vorgaben der EBA mit dem bisher von der deutschen Aufsicht verfolgten Konzept der MaRisk stark ineinander. Die etablierten Anforderungen der MaRisk (siehe BaFin (2012)) kennen seit mehr als 10 Jahren umfassende Anforderungen an die Organisation, das Management und das Controlling aller wesentlichen Risikobereiche der Kreditinstitute. Dazu gehören u.a. auch die Regelungen zum Kreditgeschäft (siehe BTO1 in BaFin (2012)), die prinzipienorientierten Regelungen zur Funktionstrennung und Votierung beim risikorelevanten Kreditgeschäft, zum Kreditvergabeprozess, zur Problem- und Intensivbetreuung sowie zum Risikoklassifizierungsverfahren, zur Risikofrüherkennung und zur Risikovorsorge. Daneben sind die übergreifenden Regelungen wie die zur Geschäfts- und Risikostrategie, zur Risikotoleranz bzw. zum Risikoappetit, zum Risikocontrolling und zum Berichtswesen zu beachten (siehe u.a. AT 4 in BaFin (2012)). Dieser kleine Vergleich zeigt bereits, dass die nationalen Vorgaben zum Kreditrisikomanagement den weitaus größten Teil der in den SREP-Leitlinien der EBA fixierten „governance“- und „control“-Erwartungen abdecken. Insoweit ist davon auszugehen, dass die eher qualitativen Erwartungen im internationalen Kontext im Wesentlichen von den Vorgaben der deutschen Aufsicht vorweggenommen wurden. Damit kommt es für die aufsichtliche Bewertung, wie in der bisherigen Aufsichtspraxis auch, vor allem auf die konkrete Umsetzung der Anforderungen durch das jeweilige Institut an. Ergänzt wird diese Beurteilung um die typischen quantitativen Analysen des Kreditgeschäftes. Damit entsteht ein umfassendes Gesamtbild des Kreditgeschäfts, das im Rahmen des SREPProzesses zu bewerten ist und einen wichtigen Beitrag zur gesamten aufsichtlichen Beurteilung liefert.

3.4 Exkurs: Vergütung Gemäß der Grafik 1 des obigen Kapitels 2.3 fällt die Vergütungsthematik unter die Überprüfung der Unternehmensführung und Kontrollen eines Instituts. Im Rahmen des SREP sollten zu dieser Überprüfung neben der Vergütungsthematik auch z.B. die Bereiche Risikokultur, internes Kontrollsystem, Informationssysteme oder Regelungen zur Sanierungsplanung gehören. Da im Rahmen dieses Beitrags nicht alle Bereiche behandelt werden können, beschränkt sich das vorliegende Kapitel auf die Vergütung. Ein bedeutender Teil dieses Exkurses basiert auf EBA-Leitlinien. Hierbei ist zu beachten, dass die EBA-Leitlinien bisher nur in der Entwurfsfassung vorliegen und sich in der endgültigen Fassung noch Änderungen ergeben können.

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Bankaufsichtlicher Überprüfungsprozess – Veränderungen durch die neuen EBA SREP-Leitlinien

Bezüglich der Vergütung hat die Aufsicht zu bewerten, ob Institute Vergütungsgrundsätze gemäß den Artikeln 92 bis 96 der CRD IV, wie sie in der nationalen Rechtsordnung umgesetzt worden sind, implementiert und damit einhergehend entsprechende Vergütungsregelungen für alle Mitarbeiterkategorien eingerichtet haben. Gemäß Tz. 90 der „EBA Guidelines on Common Procedures and Methodologies for SREP“ (siehe Seite 47 in EBA (2014)) ist dabei in Übereinstimmung mit den „EBA Guidelines on Internal Governance“ (siehe EBA (2011)) und den „CEBS Guidelines on Remuneration Policies and Practicies“ (siehe CEBS (2010)) der EBA-Vorgängerorganisation CEBS insbesondere zu bewerten, ob • die Vergütungsstrategie in Einklang mit dem Risikoprofil des Instituts steht und durch das Management eingehalten, genehmigt und überwacht wird, • die implementierten Vergütungssysteme die Unternehmensgrundsätze unterstützen und mit dem Risikoappetit und der Geschäftsstrategie des Instituts abgestimmt sind, • die Mitarbeiter, deren Tätigkeiten einen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtrisikoprofil haben, angemessen anhand qualitativer und quantitativer Kriterien gemäß der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 604/2014 vom 04.03.2014 identifiziert worden sind (siehe EU (2014a)), • die Vergütungsgrundsätze keine Anreize für eine übermäßige Risikoübernahme setzen und • das Verhältnis von variabler zu fixer Vergütung angemessen ist und die variable Vergütung 100% der fixen Vergütung (200% bei Beschluss der Anteilseigner, Eigentümer, Mitglieder oder Träger des Instituts) nicht überschreitet und nicht mittels Instrumenten oder Verfahren ausgezahlt wird, die eine Nichteinhaltung der CRD IV und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR) unterstützen. Die „CEBS Guidelines on Remuneration Policies and Practicies“ dienen der Spezifizierung und Anleitung zur Umsetzung der Vergütungsgrundsätze in der CRD III. Mit der Veröffentlichung der CRD IV am 26.06.2013 und ihrem In-Kraft-Treten am 01.01.2014 wurde es notwendig, diese Leitlinien zu aktualisieren. Deshalb hat die EBA eine Entwurfsfassung aktueller Leitlinien für solide Vergütungsgrundsätze und Offenlegungen erarbeitet und am 04.03.2015 zur Konsultation veröffentlicht (siehe EBA (2015)), die die „CEBS Guidelines on Remuneration Policies and Practicies“ am 01.01.2016 ablösen sollen. Die aktuelle EBA-Entwurfsfassung der Leitlinien baut auf den „Guidelines on Remuneration Policies and Practicies“ der EBA-Vorgängerorganisation CEBS vom 10.12.2010 auf. Sie enthält eine Weiterentwicklung der bisherigen Anforderungen und berücksichtigt Änderungen in den CRD-Vergütungsgrundsätzen wie z.B. die Einführung einer

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Obergrenze für die variable Vergütung im Verhältnis zur fixen Vergütung. Die nationale Umsetzung der Obergrenze für die variable Vergütung im Verhältnis zur fixen Vergütung findet sich im Kreditwesengesetz (siehe § 25a Abs. 5 in BMJV (2015)). Die derzeit noch in der Entwurfsfassung befindlichen Leitlinien sollen die Vergütungsvorschriften in der CRD IV und CRR ergänzen und einen einheitlichen Anwendungsrahmen für das Unionsrecht schaffen. Mit diesen Leitlinien sollen innerhalb der Europäischen Union einheitliche und effektive Aufsichtspraktiken gewährleistet werden. Gemäß des üblichen „Comply or Explain Verfahrens“ bei EBA-Guidelines müssen die nationalen Aufsichtsbehörden nach Veröffentlichung der finalen Leitlinien verbindlich erklären, ob sie diesen entsprechen werden. Eine wesentliche Neuerung in dem aktuellen EBA-Leitlinienentwurf sind die konkreten Zuordnungskriterien, mittels derer zukünftig alle Vergütungsbestandteile als entweder fixe oder variable Vergütung klassifiziert werden können (siehe Tz. 115ff. in EBA (2015)). Um fixe Vergütungsbestandteile handelt es sich nach diesen Kriterien insbesondere dann, wenn die Voraussetzungen für die Vergütungsgewährung und der Vergütungsbetrag vorher festgelegt, transparent für den Mitarbeiter, dauerhaft und nicht erfolgsabhängig ausgestaltet sind, kein Ermessen beinhalten und nicht einseitig aufgehoben werden können. Variable Vergütungsbestandteile liegen vor, wenn es sich nicht um fixe Vergütungsbestandteile handelt (siehe Tz. 6c in EBA (2015)). Die in der Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) vorkommende „Nicht-Vergütung“ wird gemäß diesen neuen Zuordnungskriterien zukünftig nicht mehr möglich sein (siehe § 2 Abs. 1 Satz 2 in Bundesministerium der Finanzen (2013)). Wenn eine klare Zuordnung eines Vergütungsbestandteils zur fixen Vergütung basierend auf den Kriterien nicht möglich ist, soll dieser Bestandteil im Zweifel als variable Vergütung gelten (siehe Tz. 116 in EBA (2015)). Darüber hinaus enthält die Entwurfsfassung der Leitlinien Erläuterungen zur Ausgestaltung der Zurückbehaltung (Deferral) (siehe Tz. 231ff. in EBA (2015)) und zur Auszahlung variabler Vergütungsbestanteile in Finanzinstrumenten (siehe Tz. 256ff in EBA (2015)). Damit soll eine Orientierung der variablen Vergütungsbestandteile an den langfristigen Risiken und eine angemessene Ex-post-Risikoadjustierung sichergestellt werden (siehe Seite 9 in BaFin (2015)). Eine weitere wesentliche Änderung der neuen EBA-Leitlinien besteht nach der Entwurfsfassung in der Identifizierung der Mitarbeiter, deren Tätigkeiten einen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtrisikoprofil haben (Risk Taker). Nach der aktuellen InstitutsVergV müssen Institute, die nicht als „bedeutend“ anhand der Kriterien gemäß § 17 InstitutsVergV eingestuft worden sind, keine Risk Taker identifizieren. Diese nach den CEBS-Leitlinien noch mögliche Differenzierung wird unter den EBA-Leitlinien (Entwurf) nicht mehr zulässig sein, vielmehr müssen zukünftig ausdrücklich alle Institute Risk Taker identifizieren (siehe Seite 13 in EBA (2015)). Um eine vollständige und harmonisierte Identifizierung

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der Risk Taker zu gewährleisten, sind von der EBA im Rahmen eines für die Institute direkt bindenden Technischen Regulierungsstandards (RTS) qualitative und angemessene quantitative Kriterien festgelegt worden (siehe EU (2014a)), die, falls erforderlich, von den Instituten noch um selbstentwickelte Kriterien zu ergänzen sind. Darüber hinaus liegt eine weitere wesentliche Neuerung des aktuellen EBA-Leitlinienentwurfs in dem geänderten Ansatz bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bisher war es gemäß den CEBS-Leitlinien für Vergütungsgrundsätze und -methoden sowie der InstitutsVergV möglich, in besonders gelagerten Fällen eine Nichtanwendung bestimmter Anforderungen insbesondere an die Ex-post-Risikoadjustierung von variablen Vergütungselementen wie z.B. der Zurückbehaltung zuzulassen. Nach dem derzeitigen EBA-Entwurf der Leitlinien ist eine vollständige Nichtanwendung bestimmter Anforderungen nicht mehr erlaubt. Hintergrund ist ein nach Ansicht der EBA geänderter Ansatz der CRD IV zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach sieht die CRD IV jetzt keine explizite Bestimmung mehr vor, die eine vollständige Neutralisierung von Vergütungsgrundsätzen erlaubt. Demzufolge sind die in der Richtlinie jeweils konkret genannten Mindestanforderungen nach dem aktuellen Leitlinienentwurf immer einzuhalten und kann das Verhältnismäßigkeitsprinzip lediglich bei der Bestimmung von Art und Ausmaß der konkreten Anwendung herangezogen werden (siehe die Seiten 11 ff. in EBA (2015)). Mit der Veröffentlichung der finalen Fassung der Leitlinien für solide Vergütungsgrundsätze und Offenlegungen durch die EBA wird eine Novellierung der InstitutsVergV einhergehen, um die neuen EBA-Leitlinien in nationales Recht umzusetzen. Die EBA-Leitlinien sollen am 01.01.2016 in Kraft treten.

4 Ausblick Die weitere Ausgestaltung eines angemessenen SREP-Prozesses ist eine Herausforderung, der sich die Aufsicht stellen muss. Erfahrungen aus der Vergangenheit sind mit weitergehenden Erwartungen aus dem EBA-Papier abzustimmen und anzuwenden. Dabei sind für die deutsche Aufsicht die Analysen interner Prozesse, der Governance oder des Risikomanagements der Institute schon aufgrund der MaRisk-Vorgaben langjährige Praxis. Diese gilt es nun um eine angemessene Fixierung der Eigenkapital- und der Liquiditätsausstattung aus aufsichtlicher Sicht zu ergänzen, denn eine adäquate Kapital- und Liquiditätsausstattung und angemessenes Risikomanagement sind zwei Seiten einer Medaille, die zusammengehören. Diese Konzepte werden bis Jahresende vorzulegen sein. Erfahrungen hierzu gibt es in anderen Ländern und auch im Rahmen der SREP-Entscheidungen der EZB im letzten Jahr. Letztere wurden aber nur für große, bedeutende Institute im Rahmen des SSM durchgeführt. Für kleinere Institute wird dabei insbesondere die bewährte Anwendung des Proportionalitätsprinzips erneut von großer Bedeutung sein.

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In diesem Kontext wird von Interesse sein, in welcher Art und welchem Umfang die EZB europäische Harmonisierungsbestrebungen vorantreiben wird. Diese sollten die Vergleichbarkeit der Einstufung von einzelnen Instituten oder Gruppen von Instituten vereinfachen und insoweit auch das Vorgehen der Aufsichtsbehörden harmonisieren. Dabei wird es u.a. darauf ankommen, eine Balance zwischen Vergleichbarkeit und Berücksichtigung von Besonderheiten herzustellen. Grundsätzlich ist dies gemäß den EBA SREPLeitlinien möglich. Proportionalität und die Balance zwischen Vergleichbarkeit und Besonderheiten spielen auch eine Rolle bei den Vorgaben der EBA im Hinblick auf die Analyse des Geschäftsmodells der Institute. Hier wird ein umfassender Rahmen für dieses in den letzten Jahren zunehmend wichtiger werdende Thema vorgegeben. Schon bisher wurde das Geschäftsoder strategische Risiko eines Instituts durch die deutsche Aufsicht beurteilt, aber der Ansatz für eine Geschäftsmodell-Analyse, wie ihn die SREP-Leitlinien vorstellen, enthält auch neue Elemente. Für eine solch umfassende Analyse wird in Bezug auf die Anwendung für kleine Institute ebenfalls der Gedanke der Proportionalität folgen. Hierzu ist es sinnvoll, sich auf die für kleine Institute angemessenen Prüfschritte zu fokussieren. Insoweit ist weiterhin auch eine holistische Sicht auf die Institute notwendig. Dieser Überblick zeigt also, dass der aufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsprozess in den nächsten Jahren durch die europäischen Vorgaben weiter an Bedeutung gewinnen wird. Insoweit ist der harmonisierte SREP auch ein wichtiges Element zur verbesserten Transparenz der Analyse der Banken für Zwecke der Bankenaufsicht und somit ein Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems als Ganzes.

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde Stephan Paul

1 Einleitung 2 Warum werden Banken reguliert, und wie lassen sich Regulierungsalternativen bewerten? 3 MaRisk als Kern der qualitativen Aufsicht 4 Empirische Ergebnisse zur Wahrnehmung der qualitativen Aufsicht 5 Förderung von Marktdisziplin als Ergänzung staatlicher Aufsicht 6 Übertragung des Outpacing-Ansatzes auf Fragen der Bankenaufsicht 7 Ausblick Verwendete und weiterführende Literatur

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1 Einleitung Nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit befindet sich die Bankenregulierung in einem Umbruchprozess. Mit Basel III – dies war der Tenor des Einleitungsbeitrags dieses Buches – werden vor allem die quantitativen Normen in der ersten Säule des Regulierungspakets verschärft. Dabei war es bei der Einführung von Basel II das Ziel, das Schwergewicht von diesen quantitativen Normen sukzessive auf die qualitative Aufsicht in der zweiten Säule zu verlagern. Von daher steht die Frage im Raum, welchen Stellenwert der qualitative Ansatz künftig im Rahmen eines Basel IV haben wird, zumal die quantitativen Normen in jüngster Zeit wieder zunehmend kritisch gesehen werden. Der vorliegende Beitrag fragt zunächst kurz nach der Rechtfertigung der Bankenregulierung in einer Marktwirtschaft und damit einem möglichen Maßstab zur Beurteilung unterschiedlicher Regulierungsalternativen (2). In (3) wird noch einmal die Struktur des Kerns der qualitativen Aufsichtsnormen – den MaRisk – dargestellt, bevor im vierten Kapitel untersucht wird, wie die Kreditwirtschaft diese Regulierungssäule und deren Kontrolle im Rahmen von Aufsichtsgesprächen und Sonderprüfungen einschätzt. Nachdem mit den derzeitigen Regeln zur Marktdisziplinierung auch die dritte Säule beleuchtet wurde (5), wird im sechsten Kapitel nach einem Zukunftskonzept der Bankenregulierung gesucht, das sowohl die drei Säulen des Baseler Normengerüsts stärker miteinander verzahnt als auch dem marktwirtschaftlichen System konformer ist. Dem dient die Übertragung eines Ansatzes aus dem strategischen Marketing auf die Fragen der Bankenaufsicht. Ein kurzer Ausblick (7) schließt die Ausführungen ab.

2 Warum werden Banken reguliert, und wie lassen sich Regulierungsalternativen bewerten? Konzentriert man sich auf das „einzig wirklich ernstzunehmende Argument“ (Seifert 1984) für die Beaufsichtigung der Kreditwirtschaft, dann wird die Berechtigung für einen staatlichen Eingriff in den Marktprozess aus der bei fehlender Regulierung drohenden Gefahr von Krisen des Bankensystems abgeleitet, für deren Entstehung typischerweise folgender Verlauf verantwortlich gemacht wird (vgl. Greenbaum/Thakor 1995, Burghof/ Rudolph 1996, Bonn 1998):

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Abbildung 1: Idealtypischer Verlauf einer Systemkrise Klassische große Fremdkapitalposition der Bank -> Einlagenkonten von einer Vielzahl von Individualanlegern -> Grundproblem: Qualitätsunsicherheit ((sachlich/persönlich)) Erklärungsbedürftigkeit

Vertrauensempfindlichkeit

Auslöser (Fakt oder "Noise") -> Vertrauenskrise der Einleger einer Einzelbank (1) Run-Szenario (konzentrierter Herdentrieb) (2) Massierte Einlagenabzüge bei einer Einzelbank

(3) Liquiditätskrise einer Einzelbank

Zeitlich und quantitativ hohe Liquiditätsanforderung

Fire Sale ((4)) Solvenzkrise einer Einzelbank

Fire Sale in/mit allgemeiner Marktbelastung

(5) Liquiditätskrise weiterer Banken

Domino-Effekt (Spillover wegen eingeschränkter Qualitätsdifferenzierung, Herdentrieb)

(6) Solvenzkrise weiterer Banken Ausweitung zum Flächenbrand (7) Krise des gesamten Bankensystems

Kreditinstitute operieren aufgrund der Selbstliquidation großer Teile der Aktivseite mit einer im Branchenvergleich besonders niedrigen Eigen-, umgekehrt sehr hohen Fremdkapitalquote. An der Bilanzsumme gemessen, liegt der Eigenkapitalanteil deutscher Banken bei nur gut 4%. Innerhalb der Fremdkapitalgeber fokussieren sich Begründungen der Bankregulierung immer noch auf die als ökonomisch tendenziell unmündig angenommenen „Kleineinleger“, für die eine wiederum im Vergleich mit anderen Branchen sehr ausgeprägte Qualitätsunsicherheit angenommen wird. Die Immaterialität (Abstraktheit) der Bankleistungen sowie ihre Ausformung durch Verträge führen zu einer besonders hohen Erklärungsbedürftigkeit. Gleichzeitig rufen die Merkmale, dass Bankleistungen einen monetären Kern haben und die Abnehmer sich mitunter über sehr lange Zeiträume existenziell binden (siehe eine Baufinanzierung), eine spezifische Vertrauensempfindlichkeit hervor (wie sie in dieser Form vielleicht nur noch gegenüber Versicherungen, einer ebenfalls intensiv regulierten Branche, existiert). Die Vertrauensanfälligkeit der Einleger führt dazu, dass diese sensibler als in anderen Branchen auf Informationen über negative geschäftliche Entwicklungen ihres Schuldners reagieren. Gerate daher die Bonität „ihrer“ Bank in Zweifel, so würden sie nach Möglichkeit unverzüglich und in vollem Umfang ihre Einlagen abziehen, um Vermögensverluste oder auch nur Auszahlungsstockungen zu vermeiden (Schaltersturm bzw. Run-Szenario).

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde

Eine in dieser Weise von ungeplanten und massiven Liquiditätsabzügen betroffene Bank sehe sich zur Aufrechterhaltung ihrer Zahlungsbereitschaft dazu gezwungen, Aktiva vorzeitig zu veräußern – auch unter Inkaufnahme von Liquidationsverlusten. Sollten diese nicht durch die Verlustausgleichsreserven der Bank aufgefangen werden können, dann entwickle sich die ursprüngliche Liquiditäts- zu einer Solvenzkrise. Angesicht der ausgeprägten Fristentransformation der meisten Banken einerseits, ihrem genannten nur geringen Eigenkapitalpolster andererseits, besteht hier eine höhere „Krisendisposition“ als in anderen Branchen (Acharya 2009, Uhlig 2009). Die zunächst auf ein einzelnes Institut beschränkte Krise könne dann im Wege einer Kettenreaktion auf andere Banken übergreifen („spillover“), auch deren Existenz gefährden und in letzter Konsequenz zu einer Krise des gesamten Bankenapparates führen (Domino-Effekt). Ursache dieses „Contagion“-Phänomens (siehe dazu Weiß 2009) sind zum einen die Verflechtungen der Kreditinstitute über den Interbankenmarkt, die Zahlungsverkehrssysteme und den (OTC-)Derivatemarkt (Brunnermeier 2009). Zum anderen besteht die Gefahr der Übertragung über den Informationskanal, indem speziell Einleger nicht in der Lage sind, zwischen den Bonitäten der Banken zu differenzieren und ihr Geld daher auch von „gesunden“ Instituten abziehen. Als Ausprägungen einer Systemkrise wiederum werden etwa „Verklemmungen“ der Kreditmärkte („credit crunch“, Hellwig 1998) mit entsprechenden Rationierungen der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmensinvestitionen und den privaten Konsum oder Störungen der Zahlungsverkehrssysteme (technischer Art, z.B. nach Naturkatastrophen oder Anschlägen) angesehen. Aufgrund des hohen Verflechtungsgrades der Kreditmit der Realwirtschaft müsse daher davon ausgegangen werden, dass Krisenerscheinungen des Finanzsektors die gesamte Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten (Jackson/Perraudin 2002). Nicht nur bestehe die Gefahr, dass Unternehmen keine „frische“ Liquidität erhielten. Vielmehr drohten bei einer Bankinsolvenz auch mitunter langjährige Kundenbeziehungen zerstört und „exklusive“ Informationen vernichtet zu werden (Brewer et al. 2003, Hori 2005). Differenzierte Prüfungen dieser Argumentation haben einerseits gezeigt, dass sich Runs auf Einzelinstitute nicht zwangsläufig zu Systemkrisen auswachsen (Calomiris 2007, Kaufman 1994, Gorton/Winton 2002). Andererseits macht über die aktuelle Krise hinaus, bei der das Weltfinanzsystem nach einhelligen Aussagen von Entscheidungsträgern in Banken, Politik und Zentralbanken nach dem Lehman-Kollaps „am Abgrund“ stand, das von Reinhart und Rogoff (2009a) für mehrere Jahrhunderte zusammengetragene Material doch deutlich, dass derartige Krisen zumindest im internationalen Zusammenhang keine Seltenheit und daher zumindest nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen sind (Zimmer 1993). Trotz unter Umständen nur geringer Wahrscheinlichkeit ist die Möglichkeit „alptraumhafter“ Störungen (Burghof/Rudolph 1996) der Branchen- und nachfolgend eventuell auch der volkswirtschaftlichen Entwicklung theoretisch gegeben.

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Derartige Verwerfungen zu verhindern muss aber als Aufgabe des Staates angesehen werden. Selbst bei einer sehr restriktiven Bemessung seines Verantwortungsbereiches dürfte doch unstrittig sein, dass er die Rahmenbedingungen für das reibungslose Funktionieren des Marktgeschehens zu schaffen hat. Von Hayek vergleicht diese Aufgabe „mit der des Wartungspersonals einer Fabrik, da ihr (der Regierung, d. Verf.) Zweck nicht ist, bestimmte Leistungen oder Produkte hervorzubringen, die von den Bürgern konsumiert werden sollen, sondern eher, dafür zu sorgen, dass der Mechanismus, der die Produktion dieser Güter und Dienstleistungen regelt, in arbeitsfähigem Zustand erhalten bleibt“ (von Hayek 1980, S. 71). In der Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft zu sichern, liegt daher die Rechtfertigung für die Regulierung. Die Ableitung eines Maßstabes für die Prüfung von Regulierungsalternativen erfordert ein theoretisches Fundament. Hier soll auf die evolutorische Wirtschaftstheorie zurückgegriffen werden (vgl. zum Überblick Paul/Horsch 2005), die ein Denken in Marktgleichgewichten ablehnt und stattdessen die Analyse von Marktprozessen fordert (Kirzner 1988). In den diesen Ansatz prägenden Arbeiten der Österreichischen Schule wird dementsprechend eine dynamische Sichtweise verfolgt (Schumpeter 1947): Anstelle von Zuständen gleich verteilten Wissens interessiert die Art und Weise der Wissensänderung. Die unvollständigen und zwischen den Wirtschaftssubjekten ungleich verteilten Informationen gelten nicht als Behinderung des Wettbewerbs, sondern vielmehr als dessen konstitutionelle Voraussetzung, werden als sein „Motor“ angesehen (von Mises 1940). Sofern ein Individuum einen Informationsnachteil befürchtet, droht ihm auch die Gefahr, übervorteilt zu werden. Daher sucht er nach Tauschgelegenheiten und erkundet verwirklichte Austauschverhältnisse, um Wissen über die Einschätzung der getauschten Sachen, Dienste und Verfügungsrechte durch andere zu erlangen (Schneider 1995). Dieses Streben der Individuen nach einer Erweiterung bzw. Vertiefung ihres Wissens löse – so von Hayek – einen Prozess der Informationsaufdeckung und -verbreitung aus, der das zerstreute (niemals zentral zusammengefasste) Wissen einer Gesellschaft verwerte (von Hayek 1976). Über die Bündelung und Offenlegung von Informationen sowie den sich aus diesem Prozess ergebenden Abbau ungleich verteilten Wissens hinaus bestünden Anreize, neues, zuvor nicht vorhandenes Wissen zu schaffen, das sich ohne den Wettbewerbsprozess nicht gebildet hätte (Kirzner 1988). In diesem Sinne wird der Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ bezeichnet. Auf der Basis des in den evolutorischen Ansätzen hervorgehobenen Denkens in Veränderungsprozessen (statt in Gleichgewichtszuständen) bietet es sich an, die Auswirkungen bestimmter Regelungen auf den Prozess der Wissensübertragung durch Markthandlungen zu untersuchen. Zu prüfen ist dann, welcher Einfluss auf das Erkennen und Entfalten von Handlungsmöglichkeiten (Schneider 1997) durch die Wirtschaftssubjekte genommen wird. Diese können konkretisiert werden durch die Betrachtung so genannter „Unternehmerfunktionen“, wie sie insbesondere Dieter Schneider vorgestellt hat. Grundlegend

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ist danach die Übernahme von Einkommensunsicherheit anderer, aus der sich Erscheinungsformen wie beispielsweise Märkte und Unternehmungen erklären lassen. Erst bei deren Existenz kann die insofern nachgeordnete Unternehmerfunktion des Erzielens von Arbitrage- und Spekulationsgewinnen entfaltet werden. Die Unternehmerfunktion der Koordination des Durchsetzens von Veränderungen innerhalb einer Institution setzt wiederum die Planung von Gewinnen voraus, weil das Bemühen um die Erhaltung einer Institution nach innen sachgerecht nur in Abstimmung mit den Plänen der Erhaltung nach außen geschehen kann (Schneider 1995 und 2001). Mit dem Ausüben von Unternehmerfunktionen wird der Zweck verfolgt, Wettbewerbsfähigkeit aufzubauen und zu erhalten, um sich gegenüber Rivalen durchzusetzen und im Marktprozess zu bestehen. Wird daher eine Verwertung von Wissen über Märkte gewünscht, dann darf das Erkennen und Entfalten von Handlungsmöglichkeiten durch das Ausüben von Unternehmerfunktionen, die unternehmerische Findigkeit also, so wenig wie möglich durch staatliche Eingriffe behindert werden, da die von den Markthandlungen ausgehenden Signale ansonsten verzerrt werden oder sogar ausbleiben könnten. Ein Vergleich von Regulierungsalternativen hat daher zunächst auf deren Effektivität, also die Eignung zur Verhinderung von Systemkrisen abzustellen. Im Hinblick auf die Effizienz ist dann derjenigen Alternative der Vorzug zu geben, von der die geringsten Beeinträchtigungen der Ausübung von Unternehmerfunktionen und damit die Verwertung von Wissen ausgehen.

3 MaRisk als Kern der qualitativen Aufsicht Die Zulassung bankeigener Risikomodelle im Marktrisikobereich, auf deren Basis das notwendige regulatorische Eigenkapital errechnet werden kann, ist als „Übergang zur qualitativen Bankenaufsicht“ bezeichnet worden, mit der ein „neues Zeitalter“ der Regulierung begonnen habe. Diese Einschätzung ist insofern zu relativieren, als das Instrumentarium der Bankenaufsicht auch vor der 6. KWG-Novelle bereits qualitative Elemente enthielt. Gemeint sind damit nicht Prüfungen von Einzelengagements, die von Seiten der Aufsichtsbehörde traditionell deshalb abgelehnt wurden, weil sie der marktwirtschaftlichen Prägung des deutschen Wirtschaftssystems zuwider laufen würden. Angesprochen sind vielmehr Vorschriften zur Kontrolle bestimmter Potenziale und Prozesse der Kreditinstitute, die der BaFin einen Bewertungsspielraum geben, den sie bei rein quantitativen Normen nicht besitzt: So sind die Eigenkapitalnormen dann erfüllt, wenn die entsprechenden Risikoaktiva einer Bank von ihr mit (durch Basel III mindestens) 10,5% Eigenkapital unterlegt werden; der Bankenaufsicht kommt hierbei lediglich eine registrierende Funktion zu. – Vorschriften mit qualitativem Charakter stellen etwa die Regelungen über die Bestellung (bzw. Abberufung) der Geschäftsleitung einer Bank dar, bei denen die BaFin deren fachliche Eignung beurteilen muss.

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Mit der 6. KWG-Novelle traten die qualitativen Vorschriften aber nicht mehr lediglich ergänzend neben die traditionellen Eigenkapitalnormen, sondern erlauben seither in bestimmten Bereichen eine Substitution. Das Nachhalten starrer Relationen zwischen Risikobeträgen und Eigenkapital wird durch eine Prüfung der Qualität (vor allem) des Risikomanagements ersetzt, die Bankenaufsicht fungiert als „System-TÜV“. Damit wurde – so die Aufsicht – das Ziel verfolgt, den Banken „mehr unternehmerische Freiheit“ (Artopoeus 1994, S. 1085, Artopoeus 1995, S. 94) als bisher zu gewähren und stärker auf die individuelle Risikoposition der jeweiligen Häuser abzustellen. Daher ist dieses vom Traditionellen abweichende Aufsichtskonzept auch als „Königsweg der Regulierung“ eingestuft worden. Ende 2005 legte die BaFin zur Umsetzung der wesentlichen qualitativen Anforderungen der zweiten Säule von Basel II sowie der entsprechenden EU-Richtlinien auf nationaler Ebene die Endfassung der „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) vor, die die bis dahin gültigen Mindestanforderungen (MaH, MaK und MaIR) zu einem einheitlichen, konsistenten Regelwerk zusammenfassten. Die MaRisk konkretisieren den § 25a Abs. 1 KWG, wonach jede Bank über eine „ordnungsgemäße Geschäftsorganisation“ verfügen muss. Kernelemente dieses (erstmals aufsichtsrechtlich definierten) Begriffs sind ein angemessenes Risikomanagement, die Beurteilung der Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung sowie eine ganzheitliche Risikobetrachtung. Die Gewährleistung der Risikotragfähigkeit setzt geeignete Risikosteuerungs- und -controllingprozesse voraus, die neben den Adressenausfall- und den Marktpreisrisiken seither auch weitere materielle Risiken in die Risikotragfähigkeitsbetrachtung einbeziehen sollen, insbesondere die Liquiditätsrisiken und die operationellen Risiken. Die Mindestanforderungen schreiben vor, dass die Kreditinstitute gegenüber der Aufsicht ihre Geschäftsstrategie (und die daraus erwachsenden Risiken), den Prozess des Risikomanagements zur Prüfung der Risikotragfähigkeit sowie die dafür eingesetzten Ressourcen und internen Kontrollverfahren offenlegen müssen. Mit Blick auf die Risikosteuerungs- und Risikocontrollingprozesse ist vorgeschrieben, für die im Rahmen der Risikotragfähigkeit berücksichtigten Risiken zukünftig regelmäßig angemessene Szenariobetrachtungen durchzuführen, mithin nicht nur für Adressenausfall- und Marktpreisrisiken. Auf alle wesentlichen Risiken übertragen wurde die Anforderung, dass die Geschäftsleitung das Aufsichtsorgan vierteljährlich über die Risikosituation in angemessener Weise schriftlich informiert. Somit ist der Berichtsfluss an den Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat neu zu konzipieren und zu erweitern. Des Weiteren sind alle zur Einhaltung der MaRisk wesentlichen Handlungen und Festlegungen nachvollziehbar zu dokumentieren.

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde

Von Seiten der Aufsicht wird daher folgender „Kreislauf“ des Risikomanagements erwartet: Abbildung 2: Kreislauf des Risikomanagements nach den MaRisk Aufsichtsrat unterrichten über schwerwiegende o. nicht behobene wesentliche Mängel Vorsitzenden des Aufsichtsrats über schwerwiegende Feststellungen gegen Geschäftsleiter informieren

Dem Aufsichtsrat zur Kenntnis geben und mit diesem erörtern (ggf. in einem Ausschuss)

Angemessene Geschäftsund daraus abgeleitete Risikostrategie

Risikoüberwachung

Angemessene Rahmenbedingungen für das Risikomanagement, z. B. Aufbau- und Ablauforganisation

Risiko-Diskussion und -Kommunikation

Risiko-Reporting

Beurteilung der Risikotragfähigkeit Risiken > Identifikation > Beurteilung > Steuerung

Risikodeckungspotenzial > Festlegung > Ermittlung > Dimensionierung

Aufsichtsrat vierteljährlich über die Risiko situation angemessen und schriftlich informieren

Als Folge der Finanzmarktkrise wurden die MaRisk 2009, 2010 und 2012 modifiziert. Im ersten Schritt veränderten sich die Anforderungen an Stresstests, die LiquiditätsrisikoSteuerung und die Vergütungssysteme, im zweiten Schritt wurden vor allem Anforderungen an die explizite Formulierung eines Strategiesystems sowie einer integrierten Rendite-Risiko-Steuerung gestellt. Mitte Dezember 2012 wurden dem Risikocontrolling bei wichtigen geschäfts- und risikopolitischen Entscheidungen ein deutlich stärkeres Gewicht eingeräumt, Anforderungen an eine angemessene Compliance-Organisation und -kultur formuliert und Vorgaben für einen stärker zukunftsgerichteten Kapitalplanungsprozess gemacht (zu neueren Vorschlägen vgl. Basel Committee, 2014).

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Tabelle 1: Anpassungen der MaRisk 2009/10/12 Bereich

Was ändert sich?

Risikotragfähigkeit

• Stärkere Betonung des Prozesscharakters. • Einbeziehung aller wesentlichen Risiken in die Risikotragfähigkeitsbetrachtung, ggf. mittels quantifizierter Expertenschätzung.

Risikokonzentrationen

• Stärkere Betonung der angemessenen Steuerung dieser Risiken. • Klarstellung, dass alle mit wesentlichen Risiken verbundenen Risikokonzentrationen angemessen zu berücksichtigen sind. • Bei der Beurteilung von mit den Adressenausfallrisiken verbundenen Risikokonzentrationen ist – soweit möglich – auch auf quantitative Verfahren abzustellen.

Stresstests

• Zur Wiedergabe außergewöhnlicher, aber plausibel möglicher Ereignisse in Stresstests sind neben historischen auch hypothetische Ereignisse zu verwenden. • Klarstellung: Ergebnisse der Stresstests sind auch bei der Beurteilung der Risikotragfähigkeit angemessen zu berücksichtigen.

Liquiditätsrisiken

• Regelmäßige Durchführung angemessener Stresstests mit unterschiedlich langen Zeithorizonten. • Aufstellung von Notfallplänen und regelmäßige Überprüfung der zugrunde gelegten Vorsorgemaßnahmen. • Erweiterte Berichtspflichten zum Liquiditätsrisiko.

Vergütungssysteme

• Angemessene Berücksichtigung der eingegangenen Risiken bei der Festlegung der variablen Vergütung der aus Risikosicht relevanten Mitarbeiter. • Auch zukünftig negative Entwicklungen müssen sich angemessen in der Höhe der variablen Vergütung widerspiegeln können.

Aufbau- und Ablauforganisation des Kreditgeschäfts

• Die alleinige Verwendung externer Bonitätseinschätzungen stellt keine ausreichende Grundlage für Kreditentscheidungen dar.

Risikoinventur

• Explizite Forderung, die aus dem Geschäftsmodell resultierenden Risiken aufzuführen und im Risikomanagement zu berücksichtigen.

Strategieplan

• Strukturierte Auseinandersetzung mit Festlegung strategischer Ziele und ihrer Umsetzung, Beurteilung und Anpassung; Überprüfung des Zielerreichungsgrades und Ursachenanalyse der Zielabweichungen.

Ertrags-Risiko-Steuerung

• Verknüpfung/Integration von Ertrags- und Risikosteuerung.

Risikocontrolling-Funktion

• Leitung auf ausreichend hoher Führungsebene. • Stärkung der Risikosicht.

Compliance-Funktion

• Stärker beratende und koordinierende Funktion. • Keine unerwünschten Regelungslücken im Institut. • Bsp.: WphG, Geldwäsche, Terrorbekämpfung, Datenschutz, Betrugsprävention, Vermeidung von Rechtsrisiken. • Trennung von Interner Revision.

Kapitalplanungsprozess

• Stärker zukunftsgerichtet. • 2–3 Jahre länger als Risikobetrachtungshorizont des Risikotragfähigkeitskonzepts. • Abstellen auf regulatorisches und „internes“ Kapital.

Liquiditätsallokation

• Vorgaben für Verrechnungssysteme für Liquiditätskosten, -nutzen und -risiken.

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde

Bei den MaRisk soll es sich um Rahmenbedingungen handeln, die zum einen „transparent und offen“ sind und zum anderen abhängig von der Größe der Institute, deren Geschäftsschwerpunkten, Komplexität und Risikosituationen, so dass eine „flexible Umsetzung der Anforderungen mit angemessenem Spielraum“ ermöglicht werden soll. Hiermit wird der Grundsatz der „Proportionalität“ in Bezug auf den Kern der MaRisk – das Risikotragfähigkeitskalkül einer Bank – betont. Danach sollen sich der interne Überwachungsprozess der Bank und dessen aufsichtliches Spiegelbild an den Spezifika des jeweiligen Instituts orientieren. Doch wie lassen sich diese „weichen“ Vorgaben operationalisieren, prüfbar machen? Nimmt man nur die Anforderung, Kreditinstitute hätten ein „aussagefähiges“ Risikoklassifizierungsverfahren vorzuhalten, dann wird daran exemplarisch das Grundproblem der qualitativen Aufsicht vor dem Hintergrund des letztlich nicht abgesicherten bzw. allgemein anerkannten (Rating-)Theorie- bzw. Empiriefundaments deutlich (vgl. hierzu Paul 1999, 2000, 2002, 2007b): Bleiben die Formulierungen der Regeln in einem Bereich, in dem „wenig mit dem Zollstock nachgemessen werden kann“ (Artopoeus 1996), vergleichsweise allgemein (z.B. „gegebenenfalls“, „wesentliche Risiken“, „nachvollziehbare Begründung“, „angemessener Planungszeitraum“, „sollten“ etc.), besitzen die Beaufsichtigten weite Handlungs-, die Aufseher spiegelbildlich weite diskretionäre Beurteilungsspielräume, was die Gefahr verborgener Handlungen einerseits, die ungleicher Behandlung andererseits nach sich zieht. Damit aber gerät auch das Ziel der Wettbewerbsgleichheit in Gefahr, etwa wenn unterschiedliche Prüfungsteams andere Anforderungen an die Aussagekraft der Rating-Systeme stellen. Wird umgekehrt eine starre, stark detaillierte Regelbindung (dann fast schon wieder im Sinne quantitativer Normen) verankert, dann wird das Risikomanagement aufsichtsseitig vorgeprägt/genormt (Zahl der Ratingklassen etc.), die Anreize zur beabsichtigten evolutorischen Weiterentwicklung und Verbesserung des Risikomanagements gehen (zumindest teilweise) verloren.

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Abbildung 3: Grundprobleme staatlicher Aufsicht

Fraglich ist, zu welcher Seite sich die Waagschalen tatsächlich neigen, wie weit die Aufsicht die Handlungsspielräume der Beaufsichtigten einschränkt (zur prinzipienorientierten Regulierung generell vgl. Wundenberg, 2012, sowie zu geplanten Weiterentwicklungen von MaRisk und Säule 2 Blochwitz, 2014).

4 Empirische Ergebnisse zur Wahrnehmung der qualitativen Aufsicht Neben Meldewesen und schriftlichen Zusatzabfragen sind mit dem routinemäßigen Aufsichtsgespräch und der Sonderprüfung nach § 44 KWG zwar die beiden wesentlichen Formate qualitativer Aufsicht grundsätzlich bekannt, die dahinterstehenden Abläufe und Verantwortlichkeiten jedoch kaum transparent – nach unseren Befragungsergebnissen selbst für einen Großteil der betroffenen Banken (zum Prüfprozess allgemein vgl. die Vorgaben der European Banking Authority, 2014a).

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde

Abbildung 4: Ablaufschema qualitativer Aufsicht Aufsichtsplanung

Wirtschassituaon

Sonderprüfung nach §44 KWG

BaFin

BuBa

Risikoprofile der Banken

angeordnet von

Themen nächstes Jahr

BaFin Aurag zur Durchführung

BuBa Vorschlag

rollierende Aktualisierung

Prüfungsplan (Instute / Prüfungsart)

BaFin

Wirtschasprüfer

Absmmung

BuBaPrüfer vor Ort

BaFinPrüfer

Sachverhaltsfeststellung Erläuterung Instut

Turnusmäßiges Aufsichtsgespräch Instut mit großer Relevanz oder Problemen? kann teilnehmen

ja durchgeführt von BuBa

BaFin

Einbringung von Argumenten BuBaHVW

nein durchgeführt von

Qualitätskontrolle BuBaZentrale

BuBa

BuBaPrüfer verfasst Prüfungsbericht

BaFin Bewertung / Feststellungen

verfasst im Nachgang BuBa schriliches Protokoll Rücksprache, aber finale Entscheidung BaFin Instut

Abschlussgespräch

Prüfungsbescheid schrilicher Versand an Instut

Quelle: Paul/Prystav/Stein (2015).

Im Rahmen der Aufsichtsplanung bestimmen BaFin und Bundesbank gemeinsam die relevanten Themen für das nächste Jahr. Diese ergeben sich aus der Analyse der Risikoprofile der Banken sowie allgemeiner ökonomischer Faktoren. Die Bundesbank entwickelt daraus einen vorläufigen Prüfungsplan, in dem die zu prüfenden Institute und die jeweilige Prüfungsart festgelegt werden. Dieser Plan wird mit der BaFin abgestimmt und rollierend aktualisiert. Routinemäßige Aufsichtsgespräche finden in der Regel jährlich, bei kleinen Instituten unter Umständen auch nur im zweijährigen Rhythmus statt. Sie liegen in der Verantwortung der Bundesbank, nur bei Instituten mit großer Relevanz oder akuten Problemen wird das Gespräch von Bundesbank und BaFin gemeinsam durchgeführt. Die BaFin kann optional jedoch an allen Gesprächen teilnehmen. Im Nachgang der ca. 2-3-stündigen Aufsichtsgespräche erhalten die Institute von der Bundesbank ein schriftliches Protokoll mit den wesentlichen Gesprächsinhalten.

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Sonderprüfungen nach § 44 KWG werden von der BaFin angeordnet und von Prüfern der Bundesbank, der BaFin oder externen Wirtschaftsprüfern durchgeführt, ggf. auch in Kooperation. Im Zuge der Prüfung vor Ort erfolgt die Sachverhaltsfeststellung, die der Bank im Abschlussgespräch erläutert wird. Hier hat diese noch einmal die Möglichkeit, eigene Argumente einzubringen. Im Falle einer Prüfung bspw. durch die Bundesbank verfasst der Bundesbank-Prüfer im Anschluss einen ersten Entwurf des Prüfungsberichts, der danach eine mehrstufige Qualitätskontrolle mit Quervergleichen zu anderen Prüfungen in der zuständigen Hauptverwaltung und dann Zentrale der Bundesbank durchläuft, bevor er an die BaFin weitergeben wird. Erst jetzt werden die erhobenen Sachverhalte bewertet und basierend darauf von der BaFin Maßnahmen abgeleitet und Feststellungen getroffen. Es folgt eine Rücksprache mit der Bundesbank, die finale Entscheidung liegt aber unabhängig von ihrer Zustimmung bei der BaFin, die im letzten Schritt den schriftlichen Prüfungsbescheid an die Bank sendet. Die sich in diesen Formaten entwickelnde Beziehungsqualität zwischen Bank und Aufsicht wurde national wie international bislang kaum untersucht. Im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen wurden derartige Daten 2006 erstmals auch in Deutschland erhoben (im Zuge einer Kooperation des DIW und des ikf° institut für kredit- und finanzwirtschaft, vgl. Alvarez-Plata et al. 2006). Diese Studie wurde nach der Finanzkrise unter Beibehaltung des methodischen Ansatzes fortgeführt (Paul/Stein/Meine 2011). Repräsentativ ausgewählte Kreditinstitute wurden auf Basis eines schriftlichen Fragebogens interviewt und ihre Antworten in einen Qualitätsindex zwischen 0 und 100 Punkten umgerechnet. In Anlehnung an eine norwegische Vergleichsstudie wurden Indexwerte ab 70 Punkten als sehr gut bewertet (TNS Gallup 2010). Als Kernergebnisse zeigten sich: Die befragten Banken gaben zwar an, eine klare Aufsichts- und Prüfungsstrategie zu erkennen, bezweifelten aber die Fähigkeit der Aufsicht, Probleme mit Blick auf den Systemschutz frühzeitig zu erkennen, insbesondere im Nachgang der Finanzkrise. Besonders kritisch wurde zu beiden Befragungszeitpunkten die Rolle der deutschen Aufsicht im Kontext der Weiterentwicklung der internationalen Regulierungsnormen gesehen. Die Beurteilung der Prüfungen nach § 44 KWG war grundsätzlich positiv, wurde aber als großer Aufwand mit geringem Nutzen wahrgenommen. Ähnliches galt für die jährlichen Aufsichtsgespräche. Die Bundesbank wurde im Vergleich zur BaFin konstant als kompetenterer Ansprechpartner mit klarerem Praxisbezug wahrgenommen. Tabelle 2 zeigt die Entwicklung der Wahrnehmungen im Zeitverlauf in der Übersicht. Statt einer Verbesserung zwischen den Erhebungszeitpunkten zeigte sich in fast allen Punkten eine Stagnation oder gar Verschlechterung. Dies deutete auf die Existenz von Kommunikationsproblemen zwischen Banken und Aufsicht hin.

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Qualitative Bankenaufsicht in der Marktwirtschaft – Theoretische Einordnung und empirische Befunde

Tabelle 2: Wahrnehmung von Qualitätsaspekten der Aufsicht im Zeitvergleich 2010 gegenüber 2006 hat sich/ist... Verbessert

Gleich geblieben

Bewertung des Aufsichtsgesprächs

x

Einschätzung der allgemeinen Steuerung durch Verordnungen und Rundschreiben

x

Beurteilung der Prüfung nach § 44 KWG

x

Bundesbank und BaFin im Vergleich

x

verschlechtert

Detaillierte Vorgaben zur Erfüllung der qualitativen Anforderungen

x

Einschätzung der Strategie der Aufsicht

x

Gesamtqualität der deutschen Bankenaufsicht

x

Erfahrungen mit dem Aufsichtspersonal insgesamt

x

Qualitative Aufsicht als Chance zur marktgerechten Gestaltung der Geschäftsabläufe

x

Nutzen durch Sonderprüfung gemäß § 44 KWG

x

Quelle: Paul/Stein/Meine (2011).

Die existierenden Studien zur Wahrnehmung der Bankenaufsicht folgten einem quantitativen Forschungsansatz, den wir jüngst um eine qualitative Untersuchung ergänzt haben – mit dem Ziel, ein tieferes Verständnis für Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale der Aufsichtsinteraktion zu schaffen (vgl. die ausführlichere Präsentation von Methodik und Ergebnissen bei Paul/Prystav/Stein 2015). Ausgehend von der Liste aller Sparkassen und genossenschaftlichen Banken in Deutschland wurden zunächst anhand der Bilanzsumme drei Größenklassen gebildet. Als nächstes wurden analog zum Verhältnis der Anzahl von Sparkassen zu Genossenschaftsbanken und deren Aufteilung in die drei Größenklassen nach dem Zufallsprinzip insgesamt 60 Institute angeschrieben, von denen sich 24 zu einem qualitativen Tiefeninterview im Zeitraum August 2012 bis Juli 2013 von ca. zwei Stunden Dauer auf Vorstandsebene bereit erklärten. Für die qualitativen Interviews wurde die Critical Incident Technique (CIT) eingesetzt (vgl. zur CIT allgemein Chell 1998). Als Critical Incidents werden solche Vorkommnisse aufgefasst, die in den Augen der Befragten den stärksten Deutungsbeitrag zur wahrgenommenen Qualität der Bankenaufsicht haben oder Aufschlüsse über die Beziehung zwischen Bank und Aufsicht zulassen. Der englische Begriff Incident ist dabei abstrakter zu verstehen als die wörtliche deutsche Übersetzung Ereignis. Die Vielzahl an Interviews und damit Beobachtungen liefert gemeinsam mit den theoretischen Vorüberlegungen die Basis zur Kategorisierung der Ergebnisse. Vorteile der CIT sind ihre Flexibilität und die

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Tatsache, dass die Daten aus Sicht der Befragten in ihren eigenen Worten erfasst werden. Ein Nachteil der Methode besteht darin, dass Verzerrungen in Form einer Re-Interpretation zurückliegender Ereignisse durch die Befragten oder eine Fehlinterpretation durch den Interviewer entstehen können. – Erstmalig konnte in dieser Studie auch die Perspektive der Aufsicht einbezogen werden. Es wurden hierfür zwei Workshops mit Vertretern der Bundesbank bzw. der BaFin durchgeführt, die eine Spiegelung der Wahrnehmungen der Bankenvertreter ermöglichten. Strategie, Aufgabenteilung und Personalqualität der Aufsicht Der strategische Ansatz der Aufsicht, die Aufgabenteilung zwischen den Aufsichtsinstitutionen und die vorhandene Personalqualität bilden die Basis für den operativen Aufsichtsprozesses. Die Befragten geben an, den strategischen Ansatz, den die Aufsicht mit ihrer Arbeit und den Prüfungen verfolgt, grundlegend zu erkennen, halten viele Aktivitäten allerdings für überzogen und das Ziel des Systemschutzes verfehlend. Die aus dem AnsFuG resultierenden Dokumentationspflichten in der Wertpapierberatung werden als geschäftsverhindernde Überforderung angesehen. Hauptkritikpunkt ist indes das mangelnde Verständnis der Geschäftsmodelle von Sparkassen und Genossenschaften. Statt einer Orientierung am individuellen Risiko des jeweiligen Instituts sei der Prüfungsansatz rein formal. Die Aufseher bestätigen, dass die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen inzwischen im Mittelpunkt der Aufsichtsstrategie stehe und man durch Quervergleiche zwischen den Instituten und die Analyse von Prüfungsergebnissen auf Ausreißer versuche, frühzeitig potenziell gefährdete Institute zu identifizieren. Die Transparenz der Aufgabenteilung als weiterer Effizienztreiber ist intern zwischen BaFin und Bundesbank nach eigener Aussage inzwischen auf einem guten Niveau – auch dank der Aufsichtsrichtlinie (letzte Fassung v. 21.05.2013). Für die Kreditinstitute sind die Zuständigkeiten und Abläufe allerdings nach wie vor weitgehend undurchsichtig: „Man erkennt ein unabgestimmtes Vorgehen, Dopplung von Fragen etc.“ Die Befragten wünschen sich hier mehr Transparenz und nehmen Konflikte wahr. So gebe es einen spürbaren „Kompetenz- und Machtwettlauf“. Die Vertreter der Aufsicht geben zu bedenken, dass die Abstimmung sehr aufwändig sei und Meinungsverschiedenheiten, zu denen es in Einzelfällen natürlich komme, vielmehr Ausdruck des für die Aufsichtsqualität wichtigen Mehr-Augen-Prinzips seien. In der Vermeidung solcher Missverständnisse besteht Potenzial, die Akzeptanz für Aktivitäten der Aufseher und damit den Kooperationswillen auf Bankenseite zu erhöhen. Die inhaltliche Kompetenz der Mitarbeiter sticht klar als positiver Treiber der Interaktionsqualität hervor. Die Vertreter der befragten Kreditinstitute berichten durchweg von einer Verbesserung im Zeitverlauf („vom Kaffeetrinken zum Risikogespräch“), wenngleich die Heterogenität groß sei. Dies führen die Befragten darauf zurück, dass Bundes-

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bank und BaFin mit Nachdruck Personal aufgebaut haben und somit neben dem „hochkompetenten Leiter der Prüfungstruppe“ auch „Uni-Absolventen, die durch RhetorikSeminare gejagt wurden“ angetroffen werden. Insbesondere die Mitarbeiter der Bundesbank werden für ihre Kompetenz und detaillierte Vorbereitung gelobt. Außerdem wird die Nähe der Bundesbank zu den Instituten, sowohl in räumlicher als auch inhaltlicher Sicht, positiv hervorgehoben. Ungeachtet dieser Wertschätzung stufen einige der Befragten die Arbeitsweise der Bundesbanker als formell, wenig pragmatisch und unflexibel ein – genau wie die der BaFin. Die Personalqualität wird hier zwar weitestgehend gleichauf mit der Bundesbank gesehen, der Gesamteindruck ist jedoch schlechter: Insbesondere die kleineren Institute haben kaum direkten Kontakt zur BaFin und beschreiben sie als distanziert: „Die BaFin agiert unpersönlich und ausschließlich fordernd.“ Die Aufseher führen diese Wahrnehmung auf die regulatorische Aufgabenteilung zurück, da die BaFin bei kleineren Instituten nur in Problemfällen sichtbar wird und diejenige ist, die Feststellungen trifft und Maßnahmen anordnet, während die Bundesbank operativ für die Sachverhaltsfeststellung zuständig ist. Das Thema Personal generell hat für die Aufsicht hohe Priorität. So wurden in den letzten Jahren zum einen kontinuierlich einerseits zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, und es wurde zum anderen in deren Fortbildung investiert, um bei aktuellen Themen bestmöglich aufgestellt zu sein. Es werde zudem stetig daran gearbeitet, die interne Vernetzung und die Kommunikation zwischen den Abteilungen zu verbessern. Bei der Personal-Akquise profitiere man vom positiven Image der Aufsicht in der Öffentlichkeit im Vergleich zu den Banken. Bewertung von Aufsichtsgesprächen und Sonderprüfungen Mit Blick auf das Aufsichtsgespräch wird die Vorbereitung durch die Bundesbank und die Kommunikation der Anforderungen im Vorfeld gelobt. Im Gegenzug geben auch die Aufseher an, dass bei den Banken das Bewusstsein gewachsen sei, was von ihnen erwartet werde. Das Format werde geschätzt und ermögliche einen besseren Eindruck als rein papierbasierte Kommunikation. In den Gesprächen selber, so die Banker, übernehme die Bundesbank den aktiven Part – sofern überhaupt Vertreter der BaFin anwesend seien, würden sich diese sehr passiv verhalten. Ein Vorstand interpretiert die Abwesenheit der BaFin negativ als Desinteresse. Für die Vertreter der Aufsicht ist sie hingegen schlicht Folge der vereinbarten Aufgabenteilung und ein Zeichen für die positive Einschätzung des Instituts. Im Hinblick auf die Interaktionsqualität zeigen sich hier weniger Bruchstellen bzgl. der Wahrnehmung von Sachverhalten als vielmehr in der Interpretation dieser. So sind die Geschäftsstrategie und die damit verbundene Zielplanung bzw. im Folgejahr die Zielerreichung wichtige Inhalte des Aufsichtsgesprächs, da die Vertreter der Aufsicht in der Präzision von Planzahlen einen guten Indikator für die Planungskompetenz der Vorstände

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sehen. Um jedoch nicht Gefahr zu laufen, sich bei der Verfehlung von Zielgrößen rechtfertigen zu müssen, formulieren die Banker diese gegenüber der Aufsicht teils konservativer als eigentlich betriebswirtschaftlich gerechtfertigt. Die Vertrauenswürdigkeit als Treiber einer effizienten Geschäftsbeziehung wird so belastet. Die Frequenz von Sonderprüfungen liegt nach Berichten der kleineren Institute zwischen 5 und 10 Jahren. Dies wird nicht ausschließlich positiv gesehen, so sagt ein Befragter: „Prüfungen sollten häufiger stattfinden, dann wissen wir Vorstände, ob wir auf dem richtigen Weg sind.“ Um auf eine unvorhergesehene Prüfung vorbereitet zu sein, hat seine Bank freiwillig einen Wirtschaftsprüfer beauftragt, den Status Quo zu überprüfen. In den erlebten Sonderprüfungen zu Themen wie Banksteuerung, MaRisk, Risikotragfähigkeit und Datenqualität haben die Befragten unterschiedliche Erfahrungen gemacht – das Spektrum reicht von Einschätzungen wie „jenseits von Gut und Böse“ bis hin zu „hohe inhaltliche Qualität“. Der geforderte Detailgrad sei hoch und gehe „bis in die kleinste Zelle von Excel-Sheets“. Die Aufseher teilen den Wunsch nach einer höheren Prüfungsfrequenz, die sich aber aufgrund von fehlenden personellen Ressourcen nicht immer realisieren lasse. Jede Prüfung sei individuell auf das jeweilige Institut ausgerichtet. Dies würden die Banken manchmal nicht ausreichend berücksichtigen, wenn sie den Prüfungsumfang im eigenen Haus kritisieren und an dem in anderen, nur auf den ersten Blick vergleichbaren Instituten messen würden. Einbeziehung der Beaufsichtigten und Ressourcenbedarf Die Grundeinstellung der Banker zur qualitativen Aufsicht bildet die Basis für den Umgang mit der Aufsicht. Es existieren zwei verschiedene Typen von Vorständen, die sich hinsichtlich ihres Einsatzes in die Beziehung als Treiber der Interaktionsqualität deutlich unterscheiden: Diejenigen, die qualitative Aufsicht als Chance sehen („Banker sind auch Unternehmer. Die Aufsicht soll nicht jedes Detail vorgeben.“) und diejenigen, die sie als Risiko einstufen („Ich kenne Kollegen, die möglichst detaillierte Checklisten bevorzugen, um kein regulatorisches Risiko zu laufen.“). Die Aufseher begrüßen explizit „Bankunternehmer“ als Vorstände, die sich nicht passiv auf das Abhaken von Checklisten verlassen und ihr Haus danach in Sicherheit wiegen, sondern proaktiv im Erkennen neuer Risiken sind und den Grundgedanken qualitativer Aufsicht leben. Organisatorisch ist der Vorstand, dessen Mitglieder in einer Reihe von Fällen zuvor selbst Verbandsprüfer waren, hauptverantwortlich für den Kontakt zur Aufsicht und wird dabei unterstützt von weiteren Abteilungen wie Risikomanagement, Controlling und Gesamtbanksteuerung. Zur Vor- und Nachbereitung von Sonderprüfungen werden Projektteams gebildet und ggf. externe Berater dazu geholt. Angesichts der steigenden Frequenz von Anfragen der Aufsicht hat ein Institut jüngst ein zentrales Koordinationsbüro eingeführt, um die aufsichtsrechtlichen Kontakte zu bündeln und als zentraler

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Ansprechpartner zu fungieren. Diese organisatorischen Anpassungen der Banken bilden ebenfalls Investitionen des „Kunden“ in die Beziehung, da Anstrengungen unternommen werden, um die Erwartungen der Aufsicht bestmöglich zu erfüllen und die Informationsintegration zu erleichtern. Dies geschieht auch institutsübergreifend: So tauschen sich die Befragten regelmäßig mit anderen verbundenen Instituten über ihre Erfahrungen mit der Aufsicht aus, sowohl informell als auch institutionalisiert in Arbeitskreisen und auf Verbandsebene. Hier werden Ergebnisse von Prüfungen in einer Datenbank gesammelt. Die Mitglieder haben Zugriff auf „umfangreiche Checklisten mit Ratschlägen, wie man sich in Sonderprüfungen und Aufsichtsgesprächen verhalten soll“. Die Vorbereitung der Aufsichtsgespräche ist mit überschaubarem Aufwand verbunden, da in der Regel auf bereits vorhandene Daten zurückgegriffen wird, die entweder im Original vorgelegt oder noch einmal speziell aufbereitet werden – anders bei den Sonderprüfungen: Hier wird der Aufwand durchgehend als sehr hoch bezeichnet. Allerdings ist dieser in Teilen nicht durch direkte Anforderungen der Aufsicht induziert, sondern wird von den Instituten selber vorsorglich betrieben. Es dominiert die Angst vor Feststellungen: „Tendenz, alles Mögliche zu regeln, zu dokumentieren, zu begründen und so weiter aus Angst vor Rückfragen in der Sonderprüfung.“ Während hier teils übermäßiger Aufwand betrieben wird, kritisieren einige Befragte gleichzeitig den erdrückenden Umfang des Meldewesens und sprechen von einem „Kostentreiber“. Hauptkritikpunkt an der Steuerung durch Verordnungen und Rundschreiben sei die aus ihrer Sicht nicht gewährleistete Proportionalität: „Der Umfang ist in den letzten Jahren total ausgeufert, für Vorstände kaum noch zu bewältigen.“ Die kleineren Institute empfinden dabei die Differenzierung zwischen großen und kleinen Instituten als unzureichend. Konkret stößt die Basel-II-Zinsschock-Kennziffer auf Ablehnung, die zu einer unangemessenen Quantifizierung der eigentlich qualitativ angelegten Säule II führe. Die Vertreter der größeren Häuser berichten von häufigen Zusatzabfragen, zuletzt bspw. einen 30 Seiten umfassenden Fragebogen zur strukturellen Anlageberatung. Zwar wird einerseits positiv aufgenommen, dass die Meinung der Banken eingeholt wird, andererseits existiert Unsicherheit: „Die Fragen sind dann so gestellt, dass man nicht weiß, was sollst du denn jetzt dazu schreiben? Sollst du das jetzt praktisch, materiell vernünftig beschreiben oder wollen die schon mal hören, was in dem nächsten Entwurf der Verlautbarung steht?“ Hier zeigt sich erneut, wie eingeschränkte Vertrauenswürdigkeit als Treiber negativ auf die Interaktionsqualität wirkt. Anstatt die gestellten Fragen nach eigenem Dafürhalten zu beantworten, passen die Banken ihre Antworten dem vermeintlichen Willen der Aufsicht an und verhindern so den Wissenstransfer. Für einen Teil der Institute ist die Möglichkeit, im Dialog mit der Aufsicht eigene Themen zu platzieren, besonders wichtig. Die Aufsicht sei offen für Argumente der Banken und biete Räume für kritische Diskussionen. Die Aufseher bestätigen dies ausdrücklich und bemängeln die oft fehlende Initiative der Banken. Trotz einer expliziten Abfrage im

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Vorfeld gebe es so gut wie keine Resonanz. Die Aussagen einiger Bankvertreter passen hier ins Bild, es herrscht offenbar Resignation: „Wir unternehmen keinen Versuch, eigene Anliegen einzubringen, dafür sind Bundesbank und BaFin zu sehr Behörde.“ Der Einsatz in die Beziehung unterscheidet sich somit stark zwischen den „Checklistenbankern“ unter den Vorständen und den von der Aufsicht präferierten „Bankunternehmern“. Letztere zeigen ein deutlich höheres Engagement, stellen dadurch einen produktiveren Partner für die Aufseher dar und erfüllen den Wunsch der Aufseher, Informationen von den Instituten proaktiver zu erhalten – gute wie schlechte. Für die effiziente Zusammenarbeit von Aufsicht und Bank spielen neben den Sachinhalten auch der Umgang miteinander und die Atmosphäre in der Geschäftsbeziehung eine Rolle. Auch wenn es bei problematischen Sonderprüfungen Konflikte gibt, haben die Befragten hier weitgehend positive Erfahrungen gemacht und beschreiben die Gespräche als angenehm und als faires Miteinander. Besonders geschätzt wird der persönliche Kontakt („Gut, dass man sich mal kennenlernt, am Tisch sitzt und nicht nur telefoniert.“). Nach Aussage der Aufseher sei das distanziertere Auftreten im Prüfungskontext im Vergleich zu Aufsichtsgesprächen durchaus beabsichtigt. Beide Seiten sind sich indes einig, dass es über die Zeit gelungen sei, gewisse Prüfungsroutinen zu entwickeln und Standards zu schaffen. Die Aufsicht werde immer mehr zu einem „normalen Geschäftspartner“, so ein Bankvorstand. Diese Routinisierung ist auch in der hoheitlichen Beziehung zwischen Banken und Aufsicht zunehmend zu beobachten und steigert die Effizienz der Informationsintegration. Ungeachtet dessen wird von beiden Parteien die Wichtigkeit der Wahrung kritischer Distanz betont, was allerdings nicht ausschließe, dass aus der Beziehung heraus Vorteile realisiert werden könnten: „Bei ungewöhnlichen Betrugsfällen haben wir schon die Aufsicht direkt angerufen und den Hinweis erhalten, ruf mal XY an, ähnliche Situation.“ Gesprächs- und Prüfungsfeedback Die Banken können sich nur dann dauerhaft verbessern, wenn sie das Feedback der Aufsicht einerseits auf der Inhaltsebene verstehen und andererseits auf der Beziehungsebene auch annehmen. Nach Aussage der Befragten habe sich das Feedback im Zeitverlauf verbessert. So werde etwa das aufsichtliche Rating des Instituts im Zuge des Aufsichtsgesprächs erläutert – einige Befragte beschreiben die Kriterien dennoch als intransparent und wünschen sich schriftliche Ausführungen dazu. Geschätzt wird auch das Protokoll, das im Nachgang von Gesprächen durch die Bundesbank versandt wird, während das Feedback-Verhalten der BaFin, die Anfragen wiederholt ignoriere oder abweise, kritisiert wird: „Dazu werden Sie zu gegebener Zeit ein Schreiben von uns bekommen.“ Beim schriftlichen Prüfungsbescheid handele es sich um einen formalen Rechtsakt, der sich auch entsprechend lese. Dies liege aber in der Natur der Sache, wie die Befragten selber erkennen. Während einige der von einer Sonderprüfung betroffenen Institutsvertreter

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den Prüfungsbescheid als fair und nachvollziehbar einstufen, fühlen sich andere in hohem Maße ungerecht behandelt. Im Zuge des Abschlussgespräches eingebrachte Argumente der Bank hätten sich im Bericht nicht wiedergefunden, und die erfolgten Feststellungen hätten den positiven Charakter des Abschlussgesprächs stark konterkariert. Es ist denkbar, dass angesichts der Komplexität des Prüfungsablaufs (vgl. Abbildung 4) tatsächlich in Einzelfällen eingebrachte Aspekte nicht durchgehend berücksichtigt werden. Vor allem aber trägt wohl die fehlende Kenntnis vieler Institute über den Prozess zur Bildung falscher Erwartungen bei. Die Nachvollziehbarkeit der Bewertungen in der Ergebnisdimension weist demnach Defizite auf. Maßnahmen mögen zwar von den Banken gezwungenermaßen umgesetzt werden und das akut festgestellte Problem lindern, sie stoßen aber offenbar vielfach keine Denk- und Entwicklungsprozesse an, die nachhaltig zu besseren Lösungen führen. Die Aufseher bestätigen den formalen Charakter des Prüfungsbescheids, der als Verwaltungsakt entsprechende rechtliche Anforderungen erfüllen müsse. Sie betonen außerdem den klaren Unterschied im Prüfungsprozess zwischen der Sachverhaltsfeststellung durch die Bundesbank vor Ort und die spätere Bewertung und Ableitung von Maßnahmen durch die BaFin. Das Mehr-Augen-Prinzip sei so gewollt. Zur Verbesserung der Interaktionsqualität sind hier beide Seiten gefragt: Die Aufsicht, indem sie Veränderungen in den Aufsichtsregeln frühzeitig kommuniziert, Umsetzungsmaßnahmen stärker erläutert, Nutzen aufzeigt und für Rückfragen offen ist; die Banken mit der Bereitschaft, die Motivation der Aufseher nachzuvollziehen und Nutzen auch als solchen anzuerkennen. Denn mit Blick auf den Nutzwert der Aufsichtsgespräche und Sonderprüfungen ist festzuhalten, dass dieser von den befragten Banken derzeit extrem unterschiedlich eingestuft wird. Während einige Befragte zumindest indirekt einen Nutzen darin sehen, die erstellten Dokumentationen auch für die eigene Steuerung einzusetzen, erkennen andere klare Mehrwerte. Ein Befragter berichtet: „Aufsicht ist wichtig! Habe beste Unterstützung bei der Sanierung erfahren. Erfolg des Hauses ist der Aufsicht zu danken. Haben uns unterstützt, selbstständig zu bleiben.“ Ein anderes Institut hat im Rahmen einer Sonderprüfung wertvolle Impulse bekommen und bezeichnet den Nutzen daher als eindeutig positiv. Vielfach wird der Kontakt zu kompetenten Mitarbeitern der Aufsicht geschätzt, „von denen man sich noch etwas abschauen konnte“. Es existieren aber auch drastisch gegenteilige Wahrnehmungen: „Wenn es die genannten Institutionen nicht gäbe, würde nicht viel fehlen! Sie schaden nichts, nutzen aber auch nichts!“ Fünf Befragte geben an, dass sie aus den Aufsichtsgesprächen und Prüfungen keinerlei Nutzen ziehen. Es ist erneut ein Zusammenhang mit der Grundeinstellung der Banker zur qualitativen Aufsicht zu erkennen. Die „Bankunternehmer“ nutzen die zu Aufsichtszwecken aufbereiteten Informationen auch für die eigene Steuerung. Die Skeptiker hingegen lassen das entstandene Wissen unverwertet und ziehen somit zwangsläufig eine schlechtere Aufwand-NutzenBilanz. Aufsicht wird hier schlicht als hoheitlicher Akt aufgefasst, der Ressourcen kostet.

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Die Funktion qualitativer Aufsicht, die Wissenslücke zwischen Banken und Aufsicht zu verringern, setzt gegenseitige Lernprozesse voraus. Die Identifikation gemeinsamer Zukunftspotenziale als Treiber der Interaktionsqualität ist anhand der Aussagen der Befragten hierbei als erfüllt anzusehen. So haben Banken und Aufseher nahezu gleiche Vorstellungen davon, was man voneinander lernen kann: Die Aufseher bauen durch den Dialog mit den Banken Know-how auf und sammeln Informationen zu Best Practices in verschiedenen Themenbereichen. Ein Modell, das größere Häuser in Zusammenarbeit mit der Aufsicht hierfür nutzen, sind Hospitanzen junger Aufseher in der Bank, um Praxiserfahrung zu gewinnen. Die Aufseher sehen dieses Modell mit Blick auf die Wahrung der Unabhängigkeit dennoch teilweise kritisch. Spiegelbildlich sehen die Befragten den Dialog mit der Aufsicht als Chance, etwas über das eigene Haus im Quervergleich mit anderen Instituten zu lernen und ein „Gefühl dafür zu bekommen, wie die Bank im Gesamtgefüge einzuordnen ist“. Auf die Frage, wie sich die Art der Aufsicht weiterentwickeln sollte, wird primär der Wunsch nach einer fachlich statt politisch geprägten Aufsicht und einem stärker beratenden Prüfungsansatz geäußert: „Nur Bewertung ist kein Rat. Ich will Rat, was ich besser machen kann!“ Die Aufseher lehnen dies jedoch ab. Es bestehe eine Gefahr für die Prüfer, wenn die Ratschläge nicht erfolgreich seien. Die Aufsicht könne nicht das unternehmerische Risiko übernehmen. Zwei gegenläufige Trends in der Wahrnehmung der qualitativen Aufsicht Die Aussagen der befragten Bankvorstände und Aufsichtsvertreter zeichnen ein bipolares Bild. Ihre Qualitätseinschätzung der qualitativen Aufsicht wird durch zwei gegenläufige Strömungen beeinflusst: Einerseits sehen die Befragten die Gefahr, dass das Konzept qualitativer Aufsicht im Zuge der politischen und öffentlichen Diskussion konterkariert wird durch eine zunehmende Quantifizierung der Säule II (ein prägnantes Beispiel dafür sind die modifizierten Anforderungen an die Kapitalplanung). Die ausgegebene Maxime der internationalen Regulierungsarchitektur ist es, ein Level Playing Field zu schaffen. Dies ist mit quantitativen Regeln vermeintlich leichter zu erreichen und einfacher öffentlich zu kommunizieren als mit Gestaltungsspielräumen für Banken und Aufsicht, wie sie die Säule II in ihrer eigentlichen Konzeption vorsieht. Vermeintlich leichter deshalb, weil die Diversität der betroffenen Institute nicht außer Acht gelassen werden darf. Auch quantitativ standardisierte Regelungen führen bei strukturellen Unterschieden in der Kreditwirtschaft hierzulande und darüber hinaus im internationalen Kontext nicht zwangsläufig zu gleichen Chancen für alle Betroffenen und garantieren eben kein Level Playing Field. Gerade hier liegt die Stärke des qualitativen Regulierungsansatzes, durch die Sicherstellung von individueller Proportionalität vergleichbare Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

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Auf der anderen Seite zeigt sich in der Umsetzung der Säule II im Zeitverlauf eine deutlich positive Entwicklung mit Blick auf die zunehmende Qualität des Aufsichtspersonals, die Gewöhnung an Formate wie Aufsichtsgespräche und Sonderprüfungen sowie die allgemein besser eingespielte Zusammenarbeit zwischen Banken und den in Deutschland zuständigen Aufsichtsinstitutionen in Gestalt der Deutschen Bundesbank und der BaFin. Ein Bankvorstand kommentiert: „Die Aufsicht wird immer mehr zu einem ‚normalen’ Geschäftspartner – mit allen damit verbundenen Risiken. Ein geschäftsmäßiger Kontakt entsteht, für den man andere, neue Spielregeln erst noch sucht.“ Qualitative Aufsicht erfordert Informationsaustausch zwischen Banken und Aufsehern und zwar in beide Richtungen. Gefragt ist eine angemessene Form der Aufsichtskommunikation, um die Wissenslücke zwischen Bank und Aufsicht besser zu überwinden und beide Seiten zu befähigen, in ihrer Arbeit zur Stärkung des Systemschutzes beizutragen. Die Aufsicht sollte vor allem bemüht sein, ihre Prozesse und Motivationen für die Banken transparenter zu machen, um den Aufbau von Vertrauen zu ermöglichen. Die Banken hingegen sind gefragt, offen den Dialog mit der Aufsicht zu suchen und Informationen proaktiv bereitzustellen. Mit „Bankunternehmern“ und „Checklistenbankern“ existieren indes zwei in ihrer Einstellung zur qualitativen Aufsicht stark divergierende Gruppen von Vorständen. So zeigen sich deutliche Unterschiede im eigenen Engagement, der Wahrnehmung der Aufsichtsqualität und der Beurteilung des Aufwand-NutzenVerhältnisses. Für die von den Aufsehern angestrebte Stärkung der Säule II ist der Fokus auf die Interaktion mit den „Bankunternehmern“ daher konsequent und richtig, auch unter Inkaufnahme des Unmutes der Skeptiker qualitativer Aufsicht. In den bisherigen Studien standen die nationalen Aufsichtsbeziehungen von Genossenschaftsbanken und Sparkassen im Fokus. Wie ein Ende 2013 veröffentlichter Bericht der Group of Thirty nahelegt, ist auch für den Kontakt zwischen den Boards der dort fokussierten systemrelevanten Institute und den Aufsehern (der derzeit als „nicht optimal“ bezeichnet wird) – laut Titel – „A new paradigm“ notwendig, nämlich im Sinne einer „engeren, offeneren, vertrauensvolleren Kommunikation und Kooperation zur Vermeidung von Überraschungen“. Der G 30 geht es um weiche Faktoren, nicht um das Abhaken von Kästchen auf einer Liste von einzuhaltenden Richtlinien. In zahlreichen Instituten ist ihrer Ansicht nach viel zu wenig Aufmerksamkeit darauf verwendet worden, die Kultur zu reformieren. Kultur ist eine Frage des Verhaltens. Sie äußert sich darin, wie sich Individuen und Gruppen verhalten, selbst wenn sie nicht beobachtet werden. Zu den nun vorgelegten Forderungen gehört daher, dass den Boards von systemrelevanten Finanzinstituten Mitglieder angehören, die in ständigem Austausch mit Mitgliedern der Aufsichtsbehörde stehen und gut damit vertraut sind, was für deren Arbeit wichtig ist. Kernpunkte sind: (1) Vertrauensvolle Interaktion auf Basis klarer Erwartungen, effizienter Zwei-Wege-Kommunikation und Vorhersehbarkeit ohne Überraschungen.

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(2) Erkenntnis, dass es für effiziente Interaktion Zeit, guter Vorbereitung und einer proaktiven Grundhaltung bedarf. (3) Transparente Kommunikation durch die Aufsicht sowie Aufbau und Weitergabe von Know-how im Rahmen von Quervergleichen. (4) Angemessene Ausstattung der Aufsichtsinstitutionen mit personellen und monetären Ressourcen durch die nationalen Regierungen. Die zentrale Herausforderung für die Zukunft ist die Verschiebung von Verantwortlichkeiten auf der europäischen Ebene hin zur EZB (vgl. Deutsche Bundesbank 2014, Lehmann/Manger-Nestler 2014, Neyer/Vieten 2014, Tröger 2014 und Walter 2014). Neben der Wissenslücke zwischen Banken und Aufsicht legen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung die Existenz einer zweiten Wissenslücke der Aufsichtsinstitutionen untereinander nahe. Die Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Bundesbank und BaFin drohen sich auf europäischer Ebene zu wiederholen oder gar zu verstärken. Auch wenn im ersten Schritt nur die identifizierten systemrelevanten Institute direkt vom Kontakt mit der EZB in Aufsichtsfragen betroffen sind, ist nicht auszuschließen, dass mittel- und langfristig auch die kleineren Institute mit Aufsicht auf europäischer Ebene konfrontiert sein werden. Die Bedeutung des Themas Aufsichtskommunikation – auch im Verhältnis der Institutionen untereinander – wird daher steigen.

5 Förderung von Marktdisziplin als Ergänzung staatlicher Aufsicht Mit den Regelungen der dritten Säule wird angestrebt, den Finanzmarktteilnehmern ein genaueres Bild über die tatsächliche Rendite-Risiko-Position des jeweiligen Kreditinstituts zu vermitteln. Dabei konzentriert sich der Baseler Ausschuss auf die Formulierung – teils sehr detaillierter – Anforderungen zur Abbildung des Risikoprofils (zuletzt Basel Committee of Banking Supervision 2013a sowie European Banking Authority 2014b). Durch diese Publizitätsregulierungen soll in einer Gesamtsicht gerade (potenziellen) Investoren die sachgerechte(re) Anpassung ihrer risikoorientierten Renditeforderungen ermöglicht werden. Da diese spiegelbildlich die Kapitalkosten der Banken bestimmen, verspricht sich Basel hiervon einen disziplinierenden Einfluss auf den „Risikoappetit“ der Bankleitungen (empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit u. a. bei Jordan/Peek/ Rosengsen 2000, Bliss/Flannery 2001, DeYoung/Flannery/Lang/Sorescu 2001, Flannery 1998, 2001, Flannery/Nikolova 2004, Flannery/Rangan 2003, Flannery/Kwan/Nimalendran 2013, Bertay/Demirgüç-Kunt/Huizinga 2013). Dies gilt insbesondere dann, wenn Investoren unversicherte Fremd- oder Hybridkapitalpositionen (z.B. Nachrangige Verbindlichkeiten, Contingent Convertibles etc.) unterhalten. Einerseits taucht auch in den Forderungen der Politik mit Blick auf regulatorische Konsequenzen der Finanzmarktkrise gebetsmühlenartig diejenige nach „Mehr Transparenz!“

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(„der Banken“, „der Produkte“ usw.) auf. Andererseits hat man aber – so im Oktober 2008 – gerade die Möglichkeiten des Abweichens vom Prinzip der Marktbewertung von Finanzinstrumenten erweitert. Doch statt einer Festigung wäre viel eher eine Beseitigung der hier zu Lande im HGB seit Jahrzehnten verankerten Bewertungsprivilegien der Branche durch umfangreiche Möglichkeiten zur Legung und Auflösung stiller Reserven notwendig. Denn allenfalls für Kleinsparer mag es heute noch zutreffen, dass sie volatile (Quartals-)Ergebnisse einer Bank nicht verkraften und sofort einen Bank Run beginnen würden. Vielmehr hat gerade diese Krise gezeigt, dass sich die Unsicherheiten der professionellen Kapitalmarktteilnehmer dann verschärften, wenn über die Gewinne oder besser Verluste einer Bank gemutmaßt wurde. Eine frühzeitige, offene Informationspolitik hat dagegen – auch bei drastischen Wertberichtigungen und Abschreibungen – eher stabilisierenden Charakter als Gerüchte und Spekulationen über mögliche stille Lasten. Bank Runs können nur dann verhindert werden, wenn Investoren Bonitätsdifferenzen zwischen den Banken registrieren und sanktionieren können. Werden diese eingeebnet, droht viel eher die Gefahr, ein Haus für so gut oder eben schlecht wie das andere zu halten („Homogenitätsthese“) und damit kollektiv das Vertrauen gegenüber allen Kreditinstituten zu verlieren („Headline-Risiko“). Der vermeintliche Markt- entpuppt sich insofern als reiner Manager-Schutz. Daher sind statt der Klagen über einen Mangel an Marktpreisen für bestimmte Finanzinstrumente Initiativen zur Standardisierung von Bewertungsmodellen als deren Substitute dringend notwendig. Gegen eine Bewertung von Kredit- oder Wertpapierbeständen, die sich möglichst nah an aktuellen Ratings oder Marktpreisen orientiert, wird vor allem deren prozyklische Wirkung auf das Accounting und damit auch das regulatorische Eigenkapital der Banken ins Feld geführt. Grundsätzlich ist diese Prozyklik jedoch bis zu einem gewissen Grade gewünscht, denn gerade die angesprochenen Bankenkrisen der 1980/90er-Jahre in den USA und Japan haben gezeigt, welche volkswirtschaftlichen Schäden über lange Zeiträume hinweg drohen, wenn die (Eigenkapital-)Bremse für das Kreditgeschäft nicht rechtzeitig und fest genug angezogen wird. Materiell vorhandene, bilanziell aber kaschierte Probleme werden aufgestaut, um letztlich weitaus größere Schäden als bei einer frühzeitigen Bekämpfung auszulösen (Sektkorkeneffekt). In den USA ist hier insbesondere die Einführung bankspezifischer „Regulatory Accounting Principles“ (RAP) zu nennen, die 1982 die „Generally Accepted Accounting Principles“ für diese Branche außer Kraft setzten. Danach konnten z.B. Verluste beim Verkauf von Hypothekardarlehen oder Wertpapieren unter Buchwert nicht mehr im Jahr des Verkaufs aufwandswirksam werden, vielmehr ließ sich die Verbuchung des Verlusts um bis zu 10 Jahre hinauszögern. In Japan erließen die Aufsichtsbehörden bis 1992 eine strikte Informationssperre im Hinblick auf Problemkredite und Schieflagen im Bankensektor und gingen erst danach zu einer schrittweisen Annäherung an das tatsächliche Ausmaß

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der Krise über. So wurden als „nonperforming“ zunächst nur Forderungen ausgewiesen, bei denen über sechs Monate hinweg keine Zinszahlungen erfolgt waren; restrukturierte Kredite waren explizit ausgeschlossen – ebenso wie Auslandsforderungen und Kredite von Near Banks. Zudem wurde den Banken im August 1992, d.h. zum Zeitpunkt eines absoluten Nikkei-Tiefstandes, die Aussetzung des sonst obligatorischen Niederstwertprinzips bei der Bewertung ihrer Aktienbestände gestattet. Sowohl die US-amerikanische als auch die japanische Bankhistorie zeigen: Weder ein Beschönigen oder Verschleiern noch ein Zurückhalten von Kriseninformationen im Sinne einer „dosierten Schocktherapie“ kann eine Krise verhindern oder auch nur aufhalten. Will man im Übrigen den prozyklischen Einfluss der Rechnungslegung nicht zu groß werden lassen, könnte man sie von der regulatorischen Eigenkapitalrechnung der Banken entkoppeln – ohne hierdurch erneut adverse Anreize zu schaffen.

6 Übertragung des Outpacing-Ansatzes auf Fragen der Bankenaufsicht Die Beleuchtung der drei Baseler Säulen im Einleitungs- und in diesem Beitrag zeigten: Erstens stehen bei jedem Konzept (neben den noch ungelösten Ausgestaltungsfragen) dem gewünschten Nutzen (mehr Systemstabilität) auch Regulierungskosten (Beschneidungen des unternehmerischen Handlungsspielraums, Wettbewerbsverzerrungen) gegenüber. Diese Kosten- und Nutzenelemente sind indes nicht statisch, sondern verändern sich im Zeitablauf mit dem Umfeld der Kreditwirtschaft. Mit Basel III droht sehr real die Gefahr (zu) stark ansteigender Regulierungskosten. Zudem stehen die drei in den Baseler Säulen zum Ausdruck kommenden Konzepte mehr oder weniger unverbunden nebeneinander. So ist es z.B. nicht so, dass ein Mehr an Publizität zu Erleichterungen bei den Vor-Ort-Prüfungen durch die Aufsicht führen würde. Insofern besteht die Notwendigkeit zu Dynamisierung und Integration vor dem Hintergrund des marktwirtschaftlichen Leitbildes. Eine Möglichkeit dazu bietet die Übertragung des aus dem Bereich der Strategischen Unternehmensführung bekannten Outpacing-Ansatzes (Gilbert/Strebel 1987, Kleinaltenkamp 1987). Im Kern beinhaltet das Konzept die Empfehlung, die beiden üblicherweise als zwei Pole betrachteten Strategiealternativen der Präferenzstrategie (Differenzierungsstrategie) auf der einen und der Preis-Mengen-Strategie (Kostenführerschaft) auf der anderen Seite so miteinander zu kombinieren, dass nach Ablauf bestimmter Phasen des Wettbewerbsprozesses von der einen auf die andere Vorgehensweise gewechselt wird. Strategische Handlungsweisen sollten daher nicht zementiert sein. Vielmehr müsse eine Strategische Konzeption der Tatsache Rechnung tragen, dass sich das wettbewerbliche Umfeld im Zeitablauf verändert.

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Die Konzeptionen müssten insofern verknüpft werden, da z. B. die Kostensenkungspotenziale nach einer gewissen Zeit erschöpft sein könnten, so dass zumindest temporär auf die Präferenz- bzw. Qualitätsstrategie gewechselt werden müsse – um anschließend von einem anderen Niveau aus primär durch permanente Kostensenkungen Wettbewerbsvorteile zu suchen. Umgekehrt ist die Preisbereitschaft der Nachfrager nicht unendlich, wodurch sich Grenzen für die Angebotsdifferenzierung und Zwänge mit Blick auf (zwischenzeitliche) Kostenreduktionen ergäben. Abbildung 5: Outpacing Strategies (Gilbert/Strebel 1987) Kostensenkung

Hoher Produktnutzen

„Outpacing Strategy“

Standard

Innovator

Angebotsdifferenzierung

Niedrige Kosten Nachfolger

Übertragen auf die Fragen der Bankenregulierung bietet es sich an, statt zweier Achsen im originalen Outpacing („Überhol“-)Ansatz (Niedrige Kosten, Hoher Produktnutzen) auf die drei Konzepte der Bankenregulierung und damit die drei Baseler Säulen abzustellen:

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Abbildung 6: Konzepte der Bankenregulierung im Outpacing-Ansatz

Quantitative Normen - Säule 1 -

? Publizitätsvorschriften h ift - Säule 3 -

Qualitative Aufsicht - Säule 2 -

Veränderungen in der Regulierung brauchen ein (1) flexibles (2) Gesamtkonzept, d.h. statt eines isolierten „Drehens“ an einzelnen Schrauben (Normen) wäre eine Festlegung notwendig, unter welchen Bedingungen sich Verschiebungen in den Gewichten zwischen den Säulen (in der Abb. angedeutet durch die Wanderung eines Würfelelements) ergeben sollen. Die öffentliche Diskussion ist derzeit geprägt durch ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Finanzmärkte zur Selbstorganisation. Wurde nicht in der Finanzmarktkrise das berühmte „Marktversagen“ überdeutlich, das regelmäßig die Rechtfertigung für staatliche Eingriffe liefert? Doch die offenbar fehlende Marktdisziplinierung hat ihren Grund nicht in zu wenig, sondern eher zu viel bzw. falschem staatlichen Eingriff (siehe ähnliche Bewertungen und daraus abgeleitete Konsequenzen bei Dermine 2013, Barth et al. 2013, Buck/Schliephake 2013). Unbestreitbar haben sich die Kontrollvorschriften für Banken in den letzten Jahren selbst nach Ansicht der Aufsichtsinstitutionen zu „bürokratischen Monstern“ entwickelt, weshalb die Gefahr droht, dass die „maßlose Überregulierung zum Terrorismus des neuen Jahrhunderts“ (so schon der ehemalige BaFin-Präsident Jochen Sanio) werde. Das immer dichter gewordene Normengestrüpp hat die aktuelle Krise nicht verhindern können, vielmehr provozierten Regulierungsdschungel Regulierungsarbitragen, also gezielte Ausweichreaktionen der Finanzmarktspieler vor staatlichen Vorschriften, so insbesondere im Verbriefungsbereich. Statt

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den nun von der Politik diskutierten, höheren und komplizierteren Eigenkapitalnormen können allenfalls die Prüfungen des Risikomanagements im Rahmen der qualitativen Aufsicht der Dynamik der Märkte halbwegs Stand halten. Gerade dort aber, wo nicht alles mit dem Zollstock nachgemessen werden kann und dementsprechend die behördlichen Bewertungsspielräume besonders hoch sind, wird die Bewahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen – wie im 4. Kapitel angesprochen – zu einer Gratwanderung. Angesichts dieses Dilemmas müssen die Anreize und Möglichkeiten zur Marktdisziplinierung ausgebaut werden: Märkte bestrafen bzw. belohnen nur dann, wenn sie dies müssen und können. Die staatliche Fürsorge für die Kreditwirtschaft – in Deutschland etwa mit Blick auf die IKB und Hypo Real Estate – haben jedoch dazu geführt, dass den Märkten durch Rettungsaktionen Sanktionierungsanreize genommen wurden. Zwar mögen die ergriffenen Maßnahmen speziell im Herbst 2008 nach der Insolvenz von Lehman Brothers zur Verhinderung einer Systemkrise berechtigt gewesen sein, doch denkt man das verwendete „too-connected-to-fail“-Argument konsequent zu Ende, dann dürfen angesichts des heutigen Verflechtungsgrades der Kreditinstitute über Interbankenund Derivatemärkte Insolvenzen von Einzelbanken kaum noch zugelassen werden. Um in der nächsten Krise erneute staatliche Rettungserwerbe auf breiter Front zu verhindern, sind deshalb klare Regeln für solche Eingriffe in das Marktgeschehen zu formulieren, wie dies mit dem Abwicklungsregime innerhalb der Bankenunion beabsichtigt ist. Zumal die Kreditwirtschaft derzeit schon eine der am stärksten regulierten Branchen ist, erfordert die Finanzmarktkrise somit weder eine vollständige „Entsorgung“ bewährter ordnungspolitischer Grundsätze noch einen kompletten Umbruch in der Bankenaufsicht. Eine graduelle Anpassung im Sinne eines „Redesigns“ ist jedoch erforderlich in Bezug auf die bankaufsichtlichen Regeln. Diese müssten stärker prinzipienorientiert ausgestaltet und auf ihren materiellen Kern konzentriert werden („Was ist wirklich wichtig und muss staatlich geregelt werden?“). In der Abb. 6 entspräche dies einer Verkleinerung des Würfelelements. Diskretionäre Staatseingriffe erhöhen die Systemrisiken, statt sie zu verringern. Wenn die Politik nicht auf das Wecken von Kontrollillusion verzichtet und Märkte nicht zur Disziplinierung ihrer Akteure gezwungen werden, dann gibt es keine Begrenzung der potenziellen Haftung des Staates mehr. Insofern wäre das Würfelelement auch stärker entlang der Achse der Marktdisziplinierung zu verschieben.

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7 Ausblick Die aktuelle und die vergangenen Bankenkrisen machen deutlich, dass die staatliche Regulierung mit den Entwicklungen und Innovationen im Finanzwesen oft nicht Schritt hält. Es ist daher – trotz aller politischen Versprechen und Bemühungen – auch für die Zukunft nicht auszuschließen, dass neue Krisen entstehen werden. Die „totale Regulierung“ kann jedoch nicht die Alternative sein, da sie eine wohlfahrtssteigernde Entwicklung der Wirtschaft verhindern würde, wie Erfahrungen mit planwirtschaftlichen Systemen zeigen. Die Menschen haben sich – wenn sie konnten – gegen übermäßig kontrollierte und für freiheitliche Systeme entschieden. Sie zogen offenbar eine trotz Krisen wachsende Wirtschaft einem ökonomisch sicheren, aber wohlstandsmäßig eher stagnierenden System vor. Um einerseits das Ziel der Stabilisierung des Bankensystems nicht aus den Augen zu verlieren, andererseits die Kreditwirtschaft als Branche nicht vollständig aus der Marktwirtschaft zu verabschieden, ist nicht nur – wie der Baseler Ausschuss dies in seinem letzten Diskussionspapier (2013b) formuliert – auf „Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit“ zu achten. Aus ordnungspolitischer Sicht wäre mehr Marktdisziplinierung statt noch mehr Regulierung nach altem Muster das Gebot.

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610

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

1 Der Weg bis zur Umsetzung der LCR im Jahr 2014 2 Ausgestaltung der LCR 2.1 Liquide Aktiva 2.2 Zahlungsmittelabflüsse 2.3 Zahlungsmittelzuflüsse 3 Auswirkungen der LCR auf die Kreditinstitute 3.1 Auswirkungsstudie der Deutschen Bundesbank 3.2 Anreizwirkungen der LCR im geschäftspolitischen Kontext 3.3 Steuerungsansätze zur Optimierung der LCR 4 Kritische Würdigung der LCR Literatur

611

612

1 Der Weg bis zur Umsetzung der LCR im Jahr 2014 Im Zuge der in 2007 einsetzenden Finanzkrise hat der Baseler Ausschuss im Jahr 2008 auf Schwächen im Liquiditätsmanagement verschiedener Banken mit der Veröffentlichung der Grundsätze für eine solide Steuerung und Überwachung des Liquiditätsrisikos1 reagiert. Hierin werden Empfehlungen zum Risikomanagement sowie zur Überwachung der Absicherung des Liquiditätsrisikos aufgezeigt. Darüber hinaus hat der Baseler Ausschuss die Liquidity Coverage Ratio (LCR) neben der Net Stable Funding Ratio (NSFR) als Mindeststandard zur Stärkung der kurzfristigen Widerstandskraft des Liquiditätsrisikoprofils von Banken im Dezember 2010 veröffentlicht.2 Durch das Papier „Basel III: Mindestliquiditätsquote und Instrumente zur Überwachung des Liquiditätsrisikos“3 hat der Baseler Ausschuss im Januar 2013 die bisherigen Vorgaben zur LCR angepasst. Diese Kennzahl betrachtet den kurzfristigen Zeithorizont von 30 Tagen und soll sicherstellen, dass die Netto-Liquiditätsabflüsse einer Bank in einem unterstellten LiquiditätsStressszenario durch einen ausreichenden Liquiditätspuffer an hochliquiden Aktiva gedeckt sind. Die „strukturelle“ Kennzahl NSFR ist hingegen darauf ausgerichtet, dass die Vermögenswerte eines Instituts in Relation zu deren Liquidierbarkeit zu einem gewissen Teil mit langfristig gesicherten („stabilen“) Mitteln refinanziert werden. Damit soll die Abhängigkeit der Kreditinstitute von der Funktionsfähigkeit und Liquidität des Interbankenmarkts reduziert werden.4 Die Baseler Liquiditätsbeschlüsse wurden in Europa durch die Capital Requirements Regulation (CRR) in Form einer Verordnung umgesetzt und sind damit seit Veröffentlichung im EU-Amtsblatt am 27.06.2013 für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen

1

2

3

4

Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2008), Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision (bcbs144), Bank for International Settlements, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2010), Basel III: International Framework for liquidity risk measurement, standards and monitoring (bcbs188), Bank for International Settlements, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2013), Basel III: The Liquidity Coverage Ratio and liquidity risk monitoring tools (bcbs238), Bank for International Settlements, Basel. Vgl. Brzenk/Cluse/Leonhardt (2011), S. 7 ff.

613

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

Union bindend. Der Gesetzestext trat zum 01.01.2014 in Kraft. Darin wurde in Artikel 412 (1) eine Liquiditätsdeckungsanforderung formuliert, jedoch nicht abschließend konkretisiert sowie über die Artikel 415 ff. eine Verpflichtung zur regelmäßigen Berichterstattung über die Zusammensetzung des Liquiditätspuffers an die zuständigen Behörden eingeführt. Da im Zuge der Verabschiedung der CRR noch wesentliche Fragen im Hinblick auf die Liquiditätsdeckungsanforderung offen geblieben sind, wurde die Europäische Kommission beauftragt, durch einen delegierten Rechtsakt5 eine umfassende Definition der LCR vorzugeben.6 Bei der Ausgestaltung der Kennzahl hat die Kommission I) die EBABerichte7, II) die Entwicklung der internationalen Regulierungsstandards (Baseler Ausschuss) sowie III) Besonderheiten der Europäischen Union berücksichtigt. In Artikel 462 CRR wird die Kommission darüber hinaus ermächtigt, den delegierten Rechtsakt auf unbefristete Zeit zu überprüfen und anzupassen. Die LCR als aufsichtlicher Mindeststandard wird schrittweise (phase-in) eingeführt. Zunächst besteht eine Berichtspflicht der Institute (März 2014 bis September 2015). Ab Oktober 2015 gilt eine Mindestanforderung in Höhe von 60%, die jährlich bis 2017 zum 01.01. um 10%-Punkte ansteigt. Zum 01.01.2018 wird der letzte Schritt von 80% auf 100% vollzogen. Die zuständigen Aufsichtsbehörden können für einzelne Kreditinstitute bereits vor dem 01.01.2018 eine erhöhte Mindestanforderung bis maximal 100% einfordern.8 Die nachfolgende Abbildung 1 verdeutlicht die Entstehung und Einführung der LCR.

5

6 7

8

614

COMMISSION DELEGATED REGULATION (EU) of 10.10.2014 to supplement Regulation (EU) 575/2013 with regard to liquidity coverage requirement for Credit Institutions. Vgl. Art. 460 Capital Requirements Regulation (CRR). European Banking Authority (EBA) (2013a): Report on appropriate uniform definitions of extremely high quality liquid assets (extremely HQLA) and high quality liquid assets (HQLA) and on operational requirements for liquid assets under Article 509(3) and (5) CRR, London; European Banking Authority (EBA) (2013b): Report on impact assessment for liquidity measures under Article 509(1) of the CRR, London. Vgl. Art. 460 (2) Capital Requirements Regulation (CRR) sowie Art. 38 Commission Delegated Regulation.

Trilog

CRD IV / CRR Inkrafttreten (01/2014)

2015

CRD IV / CRR

2014

31.03.2014

Erste Meldung

2016

60%

ab 01.10.2015

70%

2017

80%

2018

100%

2019

LCR mit 100% Mindestanforderung

ggf. 100%-Mindestanforderung durch nationalen Regulator

Phase-in der LCR als Mindestanforderung

Start Phase-In

Berichtspflicht der LCR

Veröffentlichung im EU-Amtsblatt nach offizieller Verabschiedung (06/2013)

2013

Politische Einigung nach Trilog (03/2013)

CRD IV / CRR

EBA / Basel III Monitoring

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Abbildung 1: Einführung der LCR

615

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

2 Ausgestaltung der LCR Durch die LCR soll sichergestellt werden, dass die Banken über einen ausreichenden Bestand an hochliquiden Aktiva (Liquiditätspuffer) verfügen, der die Netto-Liquiditätsabflüsse innerhalb von 30 Kalendertagen auch in einem definierten Liquiditätsstressszenario decken kann. Das kombinierte Stressszenario aus institutseigenem und marktweitem Stress beinhaltet insbesondere folgende Annahmen: • Herabstufung des eigenen Ratings einer Bank um bis zu drei Stufen und daraus resultierende Liquiditätsabflüsse. • Weitgehender Verlust unbesicherter Interbankenrefinanzierung und ein erheblicher Rückgang der Privatkundeneinlagen. • Anstieg der Marktvolatilität mit Auswirkungen auf den Wert oder die Qualität von Sicherheiten.9 Auf Basis dieser Annahmen werden offene Salden verschiedener Arten von Verbindlichkeiten und außerbilanzieller Engagements definiert, die mit einem Abflussfaktor („runoff factor“) multipliziert werden, um den erwarteten Rückgang von Zahlungsmitteln in Stresssituationen zu berücksichtigen. Die erwarteten Zahlungsmittelzuflüsse ergeben sich aus den Salden verschiedener Kategorien vertraglicher Forderungen, die mit einem entsprechenden Zuflussfaktor multipliziert werden.10 Die Differenz zwischen den Zahlungsmittelabflüssen und den Zuflüssen entspricht den gesamten Netto-Liquiditätsabflüssen in den nächsten 30 Kalendertagen. Die Zahlungsmittelzuflüsse werden im Rahmen der LCR auf 75% der Zahlungsmittelabflüsse begrenzt.11 Jedes Institut muss sicherstellen, dass die so errechneten Netto-Liquiditätsabflüsse durch einen ausreichenden Bestand an hochliquiden Aktiva gedeckt sind, so dass auch unter der Annahme des definierten Stressszenarios die Zahlungsfähigkeit für die kommenden 30 Kalendertage gewährleistet ist. Hierzu müssen die liquiden Aktiva von erstklassiger Qualität, lastenfrei sowie notenbankfähig sein und gleichzeitig an privaten Märkten kurzfristig liquidiert werden können.12

9 10 11

12

616

Vgl. BCBS (2013), S. 6 f. sowie Art. 5 Commission Delegated Regulation. Vgl. BCBS (2013), S. 22. Vgl. Art. 425 (1) Capital Requirements Regulation (CRR) und Art. 33 Commission Delegated Regulation; Ausnahmen von dieser Regelung werden in Kap. 2.3 erläutert. Vgl. BCBS (2013), S. 7 ff.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Der delegierte Rechtsakt der EU-Kommission unterscheidet drei Kategorien hochliquider Aktiva13: • Level 1-Aktiva (Aktiva der Stufe 1), die mit dem vollständigen Marktwert, d.h. ohne Berücksichtigung eines Abschlags (Haircut), angerechnet werden. Gedeckte Schuldverschreibungen zählen unter engen Voraussetzungen zu den Level 1-Aktiva; für sie gilt jedoch ein Haircut von 7%. • Level 2A-Aktiva (Aktiva der Stufe 2A), die einem Haircut von 15% unterliegen. • Level 2B-Aktiva (Aktiva der Stufe 2B), die mit einem Haircut zwischen 25% und 50% angerechnet werden. Die Summe aus Level 2A- und 2B-Aktiva darf dabei maximal 40% des Liquiditätspuffers ausmachen. Somit müssen mindestens 60% des Liquiditätspuffers aus Level 1-Aktiva bestehen. Der Verordnungsgeber hat die Anrechnung gedeckter Schuldverschreibungen als Level 1-Aktiva zusätzlich beschränkt: Mindestens 30% des gesamten Liquiditätspuffers muss in Form von Liquidität der Stufe 1 ohne Berücksichtigung dieser Wertpapiere vorhanden sein. Als weitere Bedingung wurde eine Begrenzung der anrechenbaren Level 2BAktiva auf 15% des Liquiditätspuffers festgelegt.14 Abbildung 2 verdeutlicht die Kappungsgrenzen der liquiden Aktiva, wobei sich die angegebenen Prozentwerte jeweils auf den vollständigen Bestand der hochliquiden Aktiva beziehen. Abbildung 2: Kappungsgrenze für die Zusammenstellung des Liquiditätspuffers Bedingung I

vollständiger Liquiditätspuffer (Bestand an hochliquider Aktiva)

Level 1-Aktiva min. 60 %

+

Bedingungen II

Level 1-Aktiva ohne gedeckte Schuldver.

min. 30 %

Level 2B-Aktiva

max. 15 %

Level 2-Aktiva max. 40 %

Die LCR wird in Prozent angegeben und berechnet sich als Division der hochliquiden Aktiva durch die gesamten Netto-Liquiditätsabflüsse unter Berücksichtigung der Kappungsgrenzen im Zähler und Nenner der Kennzahl. Ab dem Jahr 2018 muss der Liquiditätspuffer mindestens so hoch sein, wie die NettoLiquiditätsabflüsse der nächsten 30 Kalendertage, da dann die Anforderung einer LCR von mindestens 100% gilt.

13 14

Vgl. Art. 10 ff. Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 17 Commission Delegated Regulation.

617

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

In einer Stressphase kann bzw. sollte das Kreditinstitut auf den Liquiditätspuffer und nicht auf eine Liquiditätsversorgung der Zentralbank oder auf öffentliche Mittel zurückgreifen, so dass eine kurzfristige Unterschreitung der Mindestanforderung grundsätzlich möglich ist.15 Diesen Tatbestand hat das Kreditinstitut nach Artikel 414 CRR unverzüglich der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden und ist gleichzeitig dazu verpflichtet, einen Plan zur Wiedereinhaltung der Liquiditätsdeckungsanforderung vorzulegen sowie die Bestandteile der LCR täglich an die Aufsichtsbehörde zu übermitteln. Abbildung 3: Liquidity Coverage Ratio Liquiditätspuffer (Bestand hochliquider Aktiva)

LCR



= Netto-Liquiditätsabflüsse während einer Stressphase von 30 Kalendertagen

Marktwert

x

Haircut

Kappungsgrenze liquide Aktiva

Saldo x Abfluss-Faktor Σ (Verbindlichkeiten)

=

Σ

Saldo (Forderungen)

x

Zufluss-Faktor

Kappungsgrenze Zahlungsmittelzuflüsse

Die LCR-Kennzahl wird grundsätzlich vom jeweiligen Kreditinstitut in der Währung berechnet und überwacht, in der die Meldung an die Aufsichtsbehörden erfolgt. Sofern aggregierte Verbindlichkeiten in einer anderen Währung bei einem Kreditinstitut mindestens 5% der Gesamtverbindlichkeiten ausmachen, muss die Meldung und Berechnung zusätzlich in der entsprechenden Währung vorgenommen werden.16 Die zuständigen Behörden können unter eng gefassten Anforderungen der Artikel 8 bzw. 10 CRR Kreditinstitute von der Meldung der LCR-Kennzahl auf Einzelebene ausnehmen und die zusammengefasste Gruppe überwachen, wenn das sogenannte Mutterinstitut u.a. die Liquiditätsanforderungen auf konsolidierter Basis erfüllt.17

15 16

17

618

Vgl. Art. 4 (3) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 4 (5) Commission Delegated Regulation und Art. 415 (2) Capital Requirements Regulation. Vgl. Art. 2 (2) Commission Delegated Regulation.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

2.1 Liquide Aktiva Die liquiden Aktiva dienen im Kontext der LCR dazu, die in den nächsten 30 Tagen aufgrund des unterstellen Stressszenarios entstehenden Netto-Liquiditätsabflüsse jederzeit bedienen zu können. Der Verordnungsgeber definiert allgemeine und operative Anforderungen, welche die Vermögensgegenstände der Kreditinstitute zur Berücksichtigung im Liquiditätspuffer erfüllen müssen. So müssen die Vermögensgegenstände zur Anerkennung in der LCR im Eigentum des Kreditinstituts lastenfrei und nicht vom Kreditinstitut selbst emittiert sein. Die Vermögenswerte müssen zusätzlich über nachvollziehbare Marktpreise bestimmt werden können und an anerkannten Börsen notiert sein (allgemeine Anforderungen).18 Als weiteres Kriterium wird die jederzeitige Liquidierbarkeit in den nächsten 30 Tagen formuliert, die eine rechtliche und tatsächliche Verfügbarkeit der liquiden Aktiva voraussetzt. Die jederzeitige Liquidierbarkeit der liquiden Aktiva ist institutsindividuell durch mindestens jährlich stattfindende direkte Verkäufe oder einfache Pensionsgeschäfte als „Testverfahren“ hinsichtlich Zugang, Wirksamkeit, Nutzbarkeit und Risiko zu überprüfen. Darüber hinaus sollten die liquiden Aktiva aufgrund bankindividueller Strategien und Vorgaben ausreichend diversifiziert sein sowie von einer Liquiditätsmanagementstelle kontrolliert werden (operative Anforderungen).19

18 19

Vgl. Art. 6 und Art. 7 Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 417 Capital Requirements Regulation sowie Art. 6 und Art. 8 Commission Delegated Regulation.

619

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

Level 1-Aktiva20 Tabelle 1

1. 2.

Definition

Delegierter Rechtsakt

Barmittel (Münzen und Banknoten).

Art. 10 (1)(a)

Forderungen gegenüber Zentralbanken:

Art. 10 (1)(b)

a) Aktiva, die von der Europäischen Zentralbank, den Zentralbanken der EU-Mitgliedsländer oder den Zentralbanken von Drittstaaten (sofern ein Mindestrating von ECAI 1 vorliegt)* garantiert werden oder Forderungen gegenüber diesen darstellen. b) Reserven, die von einem Kreditinstitut bei einer Zentralbank gehalten werden, sofern das Kreditinstitut diese Reserven auch in Stressphasen jederzeit abziehen darf. Modalitäten des Abzugs in Stressphasen müssen zwischen EZB oder nationaler Notenbank und der zuständigen nationalen Behörde festgelegt werden. 3.

Aktiva, die von den folgenden Zentralregierungen, regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder öffentlichen Stellen garantiert werden oder Forderungen gegenüber diesen darstellen:

Art. 10 (1)(c)

a) Zentralregierungen der EU-Mitgliedsstaaten sowie von Drittstaaten (Mindestrating von ECAI 1). b) regionale oder lokale Gebietskörperschaften sowie öffentlichen Stellen in einem EU-Mitgliedsstaat oder in Drittstaaten, wenn diese wie Exposures gegenüber Zentralregierungen des jeweiligen Staates behandelt werden (Risikogewichtung von 0%). 4.

Aktiva, die Forderungen an die Zentralregierungen oder Zentralbank eines Drittstaates mit einem Rating unter ECAI 1 darstellen, oder von diesen garantiert werden. Eine Anrechnung ist im Hinblick auf die Währung der Assets beschränkt.

Art. 10 (1)(d)

5.

Aktiva, die von einem Kreditinstitut emittiert sind und mindestens eines der nachfolgenden Kriterien erfüllen:

Art. 10 (1)(e)

a) Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat oder Gründung durch eine Zentralregierung, regionale oder lokale Gebietskörperschaft eines EU-Mitgliedsstaates, sofern die rechtliche Auflage besteht, die wirtschaftliche Basis und die finanzielle Überlebensfähigkeit des Kreditinstitutes zu erhalten (öffentlich-rechtliches Kreditinstitut). b) Förderkreditinstitute, falls mindestens 90% der vergebenen Kredite von der öffentlichen Hand garantiert werden. Zwecke sind die Förderung der Gemeinwohlziele der europäischen Union, der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften durch die Bereitstellung von Förderdarlehen.

20

620

In Anlehnung an: NORD/LB Fixed Income Research.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

6.

Definition

Delegierter Rechtsakt

Gedeckte Schuldverschreibungen äußerst hoher Qualität u.a. unter folgenden Voraussetzungen:

Art. 10 (1)(f)

a) Mindestemissionsvolumen von 500 Mio. EUR. b) Mindestrating von ECAI 1. c) Sichernde Überdeckung der aus den gedeckten Schuldverschreibungen resultierenden Verbindlichkeiten von mindestens 2%. 7.

*

Aktiva, die von multilateralen Entwicklungsbanken und internationalen Organisationen (gemäß Artikel 117 (2) oder 118 CRR) garantiert werden oder Forderungen gegenüber diese darstellen.

Art. 10 (1)(g)

Anerkannte externe Rating-Agenturen: ECAI (External Credit Assessment Institutions) Ratingnote 1 entspricht AA– (S&P und Fitch) sowie Aa3 (Moody’s).

Die Level 1-Aktiva werden zum Marktwert ohne Anwendung eines Haircuts, also mit einer Anrechnung i.H.v. 100%, in den Liquiditätspuffer einbezogen. Lediglich die gedeckten Schuldverschreibungen unterliegen einem Haircut von 7% und müssen im Rahmen der beschriebenen Kappungsgrenze berücksichtigt werden. Ein Minimum von 30% des gesamten Liquiditätspuffers muss aus Vermögensgegenständen der Stufe 1 bestehen, die keine gedeckten Schuldverschreibungen sind. Level 2A-Aktiva21 Tabelle 2 Definition

Delegierter Rechtsakt

1.

Aktiva, die von Regionalregierungen, lokalen Gebietskörperschaften und öffentlichen Stellen eines EU-Mitgliedsstaats garantiert werden oder Forderungen gegenüber diesen darstellen, sofern den genannten Stellen ein Risikogewicht von 20% zugewiesen wird.

Art. 11 (1)(a)

2.

Aktiva, die von Zentralregierungen, Zentralbanken, Regionalregierungen, lokalen Gebietskörperschaften und öffentlichen Stellen in Drittstaaten garantiert werden oder Forderungen gegenüber diesen darstellen, sofern den genannten Stellen ein Risikogewicht von 20% zugewiesen wird.

Art. 11 (1)(b)

21

In Anlehnung an: NORD/LB Fixed Income Research.

621

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

3.

Definition

Delegierter Rechtsakt

Gedeckte Schuldverschreibungen hoher Qualität u.a. unter folgenden Voraussetzungen:

Art. 11 (1)(c)

a) Mindestemissionsvolumen von 250 Mio. EUR. b) Mindestrating von ECAI 2*. c) Sichernde Überdeckung der aus den gedeckten Schuldverschreibungen resultierenden Verbindlichkeiten von mindestens 7%. 4.

Gedeckte Schuldverschreibungen hoher Qualität von Kreditinstituten in Drittstaaten unter engen Voraussetzungen, die jedoch kein Mindestemissionsvolumen umfassen.

Art. 11 (1)(d)

5.

Unternehmensanleihen mit einem Mindestrating von ECAI 1, einem Mindestemissionsvolumen von 250 Mio. EUR sowie einer maximalen Ursprungslaufzeit von 10 Jahren.

Art. 11 (1)(e)

*

ECAI (External Credit Assessment Institutions) Ratingnote 2 entspricht A– (S&P und Fitch) sowie A3 (Moody’s).

Für sämtliche Level 2A-Aktiva gilt ein Abschlag von 15% (damit also eine Anrechnungsquote von 85%) bezogen auf den Marktwert. Darüber hinaus besteht die in Kapitel 3 (Abbildung 2) erwähnte Kappungsgrenze hinsichtlich einer Anrechnung von maximal 40% der gesamten Level 2-Aktiva bezogen auf den vollständigen Liquiditätspuffer. Level 2B-Aktiva22 Tabelle 3

1.

Definition

Delegierter Rechtsakt

Forderungen in Form von Verbriefungen (Asset-Backed Securities) von:

Art. 12 (1)(a) und Art. 13

a) Besicherten Darlehen für Wohnimmobilien an natürliche Personen – Residential Mortgage Backed Securities (RMBS). b) Gewerblichen Darlehen, Leasingvereinbarungen und für Unternehmen geschaffene Kreditfazilitäten zur Finanzierung von Investitionen oder der üblichen Geschäftstätigkeit. c) Kfz-Darlehen und -Leasingvereinbarungen. d) Darlehen und Kreditfazilitäten für Konsumausgaben privater Haushalte (Verbraucherkredite).

22

622

In Anlehnung an: NORD/LB Fixed Income Research.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Definition

Delegierter Rechtsakt

2.

Unternehmensanleihen, die ein Mindestrating einer ECAI-Gesellschaft der Bonitätsstufe 3a, ein Mindestemissionsvolumen von 250 Mio. EUR und eine maximale Ursprungslaufzeit von 10 Jahren aufweisen.

Art. 12 (1)(b)

3.

Aktien, die an einem bedeutenden Index gelistet sind und in der Heimatwährung des Kreditinstituts gehandelt werden sowie weitere Bedingungen erfüllen.

Art. 12 (1)(c)

4.

Eingeschränkt nutzbare zugesagte Liquiditätsfazilitäten (Restricted-use committed liquidity facility) bereitgestellt durch die EZB oder durch Zentralbanken der EU-Mitgliedsländer und von Drittstaaten.

Art. 12 (1)(d) und Art. 14

5.

Gedeckte Schuldverschreibungen unter nachfolgenden Bedingungen (keine Ratinganforderung):

Art. 12 (1)(e)

a) Mindestemissionsvolumen 250 Mio. EUR. b) sichernde Überdeckung von mindestens 10%. c) Bewertung der zugrundeliegenden Vermögensgegenstände mit einem Risikogewicht von 35% oder weniger. 6. a

Bestimmte nicht zinstragende Vermögensgegenstände als Ausnahmeregelung für glaubenskonforme Kreditinstitute.

Art. 12 (1)(f)

ECAI (External Credit Assessment Institutions) Ratingnote 3 entspricht BBB – (S&P und Fitch) sowie Baa3 (Moody’s).

Die Haircuts für Level 2B-Aktiva sind stark differenziert: Für die aufgeführten Verbriefungen a) und c) wird ein Abschlag von 25% sowie für die weiteren Verbriefungen ein Abschlag von 35% bezogen auf den Marktwert unterstellt. Für Unternehmensanleihen und Aktien ist eine Anrechnung von 50% des Marktwertes (Haircut von 50%) sowie für die gedeckten Schuldverschreibungen der Kategorie 2B eine Reduktion von 30% vorgesehen. Die Level 2B-Aktiva werden auf maximal 15% des vollständigen Liquiditätspuffers durch die Kappungsgrenze beschränkt. Organismen für gemeinsame Anlagen (OGAs)23 Die Berücksichtigung von Fondsanteilen als Bestandteil des Liquiditätspuffers ist in Höhe von maximal 500 Mio. EUR Marktwert pro Institut erlaubt, wobei für die Anrechnung der Fonds das Durchschauprinzip angewendet werden muss. Die im Fonds vorhandenen Vermögensgegenstände können jedoch nur dann als hochliquide Aktiva in die Berechnung der Kennziffer einbezogen werden, wenn der Fonds ausschließlich in liquide Aktiva gemäß der LCR investiert. Darüber hinaus wird ein zusätzlicher Aufschlag von 5%-Punkten auf den jeweiligen oben aufgeführten Haircut je Vermögensgegenstand erhoben.

23

Vgl. Art. 15 Commission Delegated Regulation.

623

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

Einlagen und Refinanzierungs-Positionen in genossenschaftlichen Verbünden und institutsbezogenen Sicherungssystemen24 Sofern Kreditinstitute einem institutsbezogenen Sicherungssystem im Sinne von Artikel 113 (7) CRR oder einem genossenschaftlichen Verbund angehören, können dessen Sichteinlagen beim Zentralinstitut des Verbundes in zwei abgestuften Alternativen und unter engen Voraussetzungen als liquide Aktiva angerechnet werden. Liegt eine rechtliche oder satzungsgemäße Verpflichtung für das Zentralinstitut vor, die Sichteinlagen in einer bestimmten Kategorie der LCR zu investieren, so kann das Kreditinstitut diese Einlagen in der gleichen Stufe bei der Berechnung der LCR ansetzen.25Diese Voraussetzungen werden aller Voraussicht nach in Deutschland kaum erfüllt werden, weil ein zu großer Eingriff in das Depot A-Management der Primärinstitute erforderlich wäre. Falls keine entsprechende Verpflichtung für das Zentralinstitut besteht, können Sichteinlagen als Aktiva der Stufe 2B mit einem Mindestabschlag von 25% in den Liquiditätspuffer einbezogen werden.26Neben der Anrechnungsmöglichkeit von Sichteinlagen können auch Funding-Positionen innerhalb eines (genossenschaftlichen) Verbundes als Level 2B-Aktiva in den Liquiditätspuffer aufgenommen werden, sofern rechtlich oder satzungsgemäß innerhalb der kommenden 30 Tage Zugang zur entsprechenden Liquiditätsfinanzierung besteht. Auch hier gilt ein Mindestabschlag von 25%.27

2.2 Zahlungsmittelabflüsse Mit den erwarteten Zahlungsmittelabflüssen wird im Rahmen der LCR abgeschätzt, inwieweit im aufgezeigten Stressszenario während der ersten 30 Kalendertage Einlagen abgezogen oder Kredit- bzw. Liquiditätslinien in Anspruch genommen werden. Für die Einlagen verschiedener Kundengruppen wird von der Aufsicht ein Abflussfaktor („runoff factor“) festgelegt, der umso geringer ist, je stabiler die Einlage angesehen wird. Die Multiplikation der offenen Salden der verschiedenen Verbindlichkeiten bzw. außerbilanziellen Verpflichtungen mit dem vorgeschriebenen Faktor ergibt den hypothetischen Liquiditätsabfluss.28

24 25 26 27 28

624

Vgl. Art. 16 Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 16 (1)(a) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 16 (1)(b) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 16 (2) Commission Delegated Regulation. Vgl. Andrae/Fiedler (2013), S. 6; Vgl. Art. 22 Commission Delegated Regulation.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Kundengruppe Privatkunden Der Anwendungsbereich der Privatkundeneinlagen umfasst neben Verbindlichkeiten gegenüber natürlichen Personen auch Verbindlichkeiten gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), sofern diese nach dem Standard- oder IRB-Ansatz für das Kreditrisiko zur Forderungsklasse „Mengengeschäft“ gehören, oder der konsolidierte Jahresumsatz weniger als 50 Mio. EUR beträgt und die Gesamteinlage solcher KMU auf Gruppenbasis 1 Mio. EUR nicht übersteigt.29 Die Abbildung 4 bezieht sich auf die Vorgaben aus den Artikeln 24 und 25 des delegierten Rechtsakts und zeigt den Prozess sowie die resultierenden Abflussraten für die Privatkundeneinlagen auf. Dabei liegt, sofern mindestens eine der Bedingungen erfüllt ist, eine etablierte Geschäftsbeziehung vor: a) Aktive vertragliche Geschäftsbeziehung mit einer Mindestlaufzeit von zwölf Monaten b) Hypothekendarlehen oder ein anderer Kredit mit langfristiger Laufzeit c) Mindestens ein weiteres Produkt (kein Darlehen).

29

Vgl. Art. 3 Commission Delegated Regulation.

625

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Tabelle 4: Schema zur Kategorisierung der Privatkundeneinlagen Prüfung: Risikofaktoren a) Gesamtes Einlagenvolumen größer 500 TEUR b) Einlage über ein Internetkonto c) Einlage, deren Zinssatz deutlich über einem vergleichbaren Produktzins liegt oder deren Rendite aus einem Marktindex abgeleitet wird oder deren Zinssatz von einer Marktvariablen abhängt, die kein variabler Zinssatz ist d) Termineinlage mit einer Restlaufzeit oder Einlage mit einer Kündigungsfrist von höchstens 30 Kalendertagen e) Einlagen von einem Einleger mit Wohnsitz außerhalb der EU bzw. Einlagen, die nicht auf EUR lauten

Ja: mind. Risikofaktor a) oder 2 Risikofaktoren b) bis e) treffen zu

Nein: kein Risikofaktor oder lediglich ein Risikofaktor b) bis e) trifft zu

Scoring-Verfahren

Weitere Prüfung: Stabilität der Einlage

Zuteilung in höhere Abflussraten

Entweder „etablierte Geschäftsbeziehung“ oder „Einlage auf Zahlungsverkehrskonto“ und Einlage ist durch ein Einlagensicherungssystem gedeckt

10 % - 15 % a) oder 2 aus b) – e)

15 % - 20 % a) + mind. 1 aus b) – e) oder mind. 3 aus b) – e)

Nein

Einlage mit erhöhten Abflussraten Art. 25 (3)(a) del. RA (Abflussrate: 10 %-15 %)

Art. 25 (3)(b) del. RA (Abflussrate: 15 %-20 %)

Andere Einlage

Ja

Stabile Einlage

Art. 25 (1) del. RA

Art. 24 (1) del. RA

(Abflussrate: 10%)

(Abflussrate: 5%)

Ab 01.01.2019 können die zuständigen Behörden für stabile Einlagen einen verminderten Abflussfaktor von 3% genehmigen, sofern die europäische Kommission zuvor bestätigt hat, dass das Einlagensicherungssystem festgelegte Kriterien erfüllt.30 Hingegen können Privatkundeneinlagen, die nicht innerhalb der nächsten 30 Kalendertage abgehoben werden dürfen, sowie Einlagen, die eine Vorfälligkeitsentschädigung aufweisen, bei der Berechnung der Zahlungsmittelabflüsse unberücksichtigt bleiben. Für gekündigte Privatkundeneinlagen mit einer Restlaufzeit von höchstens 30 Kalendertagen gilt eine Abflussrate von 100%.31

30

31

626

Vgl. Art. 24 (4) Commission Delegated Regulation. Kriterien sind: Das Einlagensicherungssystem sollte angemessene Mittel aufweisen, die über jährliche Beiträge im Voraus erhoben werden. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass zu erstattende Beträge innerhalb von sieben Arbeitstagen ausgelegt werden können. Vgl. Art. 25 (4) Commission Delegated Regulation.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Operative Einlagen Werden Einlagen von Nicht-Finanzkunden zu operativen Zwecken (Clearing-, Verwahr-, Gelddisposition oder vergleichbare Dienstleistungen) gehalten, so können diese unter engen Voraussetzungen mit einem Abflussfaktor von 25% bzw. der Anteil, der durch die Einlagensicherung gedeckt ist, mit 5% in die LCR-Berechnung eingehen. Als Anrechnungsbedingungen gelten hierbei insbesondere detaillierte Vorgaben zur etablierten Geschäftsbeziehung32 sowie hinsichtlich hoher rechtlicher und operativer Einschränkungen der Einlagen, so dass ein Mittelabfluss innerhalb von 30 Tagen unwahrscheinlich erscheint.33 Hierunter können auch Einlagen von Finanzkunden gefasst werden, die im Zusammenhang der gemeinsamen Aufgabenteilung in einem institutsbezogenen Sicherungssystem gehalten werden.34 Kundengruppe Nicht-Finanzkunden und Finanzkunden Verbindlichkeiten, die aus Kundeneinlagen von Unternehmen, Staaten, Zentralbanken, Gebietskörperschaften und sonstigen öffentlichen Stellen (Nicht-Finanzkunden) resultieren, werden mit einem Abflussfaktor von 40% unterlegt, falls der Betrag der Verbindlichkeit nicht durch die nationale Einlagensicherungsrichtlinie gedeckt ist. Ansonsten gilt ein Abflussfaktor von 20%.35 Einlagen von Finanzkunden mit einer Restlaufzeit von höchstens 30 Kalendertagen unterliegen einem Abflussfaktor von 100%, d.h., es wird von einem vollständigen Abzug der Einlage im Rahmen des Stressszenarios ausgegangen.36 Repo- und besicherte Refinanzierungsgeschäfte37 Die Abflussraten aus Repo- und besicherten Refinanzierungsgeschäften mit einer Restlaufzeit von maximal 30 Tagen werden durch die Qualität des Underlyings bestimmt.

32 33 34

35 36 37

Vgl. Art. 27 (6) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 27 (4) Commission Delegated Regulation. Details siehe Unterabschnitt „Einlagen in genossenschaftlichen Verbünden und institutsbezogenen Sicherungssystemen“. Vgl. Art. 28 (1) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 31 (10) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 28 (3) Commission Delegated Regulation.

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Sind Refinanzierungsgeschäfte beispielsweise mit Aktiva unterlegt, die eine erstklassige Qualität aufweisen, wird eine Abflussrate von 0% vorgegeben. Diese Voraussetzung ist erfüllt, sofern Aktiva der Stufe 1 im Sinne von Artikel 10 delegierter Rechtsakt vorliegen oder bei besicherten Refinanzierungen über die Zentralbank. Bei Geschäften mit Underlyings, die nicht im Katalog der liquiden Aktiva im Sinne der LCR aufgeführt sind, wird ein vollständiger Abzug der besicherten Refinanzierung unterstellt, woraus eine Abflussrate von 100% resultiert. Kredit- und Liquiditätsfazilitäten Auch bei den Kredit- und Liquiditätsfazilitäten werden kundengruppenbezogene Abflussraten von der Bankenaufsicht unterstellt, die in Bezug auf das vertraglich zugesagte Volumen Anwendung finden. Fallen die Kredit- und Liquiditätsfazilitäten in die Forderungsklasse „Mengengeschäft“, kann eine Abflussrate von 5% angesetzt werden. 10% Abflussrate gilt für Fazilitäten, die Kunden zur Verfügung gestellt wurden, die keine Privatoder Finanzkunden sind. Bei Finanzkunden gilt ein Abflussfaktor von 40% für Kreditinstitute und andere beaufsichtigte Finanzinstitute wie Versicherungsunternehmen und Organismen für gemeinsame Anlagen (OGA) bzw. 100% für sonstige Finanzkunden.38 Für Kredit- und Liquiditätsfazilitäten innerhalb einer Gruppe oder eines institutsbezogenen Sicherungssystems nach Artikel 113 (7) CRR können die zuständigen Behörden niedrigere Abflussraten genehmigen.39 Zusätzliche Abflüsse Für Sicherheiten, die im Rahmen von Derivatgeschäften hinterlegt werden, muss ein zusätzlicher Abflussfaktor von 20% für alle Vermögensgegenstände mit Ausnahme der Aktiva der Stufe 1 unterstellt werden.40

38 39 40

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Vgl. Art. 31 Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 29 (1) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 30 (1) Commission Delegated Regulation; Für Sicherheiten in Form gedeckter Schuldverschreibungen der Level 1-Aktiva wird ein zusätzlicher Abfluss von 10% angenommen.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Alle sonstigen Zahlungsmittelabflüsse, wie Zins- und Tilgungszahlungen für Eigenemissionen, Auszahlungen bzw. Aufstockung von Krediten, Abflüsse aus Derivaten werden mit einem Abflussfaktor von 100% in der Berechnung der LCR berücksichtigt.41 Hiervon sind jedoch nach Artikel 28 (2) delegierter Rechtsakt Barmittelabflüsse im Zusammenhang mit Betriebskosten nicht eingeschlossen. Einlagen in genossenschaftlichen Verbünden und institutsbezogenen Sicherungssystemen Einlagen innerhalb eines institutsbezogenen Sicherungssystems42 und Institutssicherungssystemen können, sofern diese nicht gemäß Artikel 16 delegierter Rechtsakt als Bestandteil des Liquiditätspuffers angesehen werden und den Vorgaben von Artikel 27 (1)(b) entsprechen, mit einem Abflussfaktor von 25% angerechnet werden (Definition als operative Einlage). Sofern Kreditinstitute eines Verbundes Sichteinlagen beim Zentralinstitut im Liquiditätspuffer, wie in Kapitel 3.1 beschrieben, anrechnen, muss das Zentralinstitut eine Abflussrate von 100% auf den Betrag nach Berechnung des Abschlags unterstellen.

2.3 Zahlungsmittelzuflüsse Es sollten grundsätzlich nur vertraglich vereinbarte Zuflüsse angesetzt werden, bei denen kein Grund zur Annahme besteht, dass ein Ausfall in den nächsten 30 Tagen zu verzeichnen ist.43 Die Zahlungsmittelzuflüsse werden – wie oben erwähnt – auf 75% der Zahlungsmittelabflüsse begrenzt, so dass die Kreditinstitute grundsätzlich für 25% ihrer Abflüsse einen Bestand an hochliquiden Aktiva vorhalten müssen. Der delegierte Rechtsakt gewährt in Artikel 33 jedoch Ausnahmen von dieser Obergrenze, die jeweils durch die zuständige Behörde zu genehmigen sind. So dürfen Institute Liquiditätszuflüsse von anderen Instituten uneingeschränkt berücksichtigen, sofern diese ein Mutter- oder Tochterunternehmen des Kreditinstitutes sind. Für Zuflüsse aus Einlagen bei anderen Kreditinstituten innerhalb einer Gruppe gilt die Regelung entsprechend, wenn die Institute gemäß Artikel 113 (6) CRR in dieselbe Vollkonsolidierung einbezogen werden oder gemäß Artikel 113 (7) CRR ein gemeinsames institutsbezogenes Einlagensicherungssystem bilden. Darüber

41 42 43

Vgl. Art. 30 Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 113 (7) Capital Requirements Regulation. Vgl. BCBS (2013), S. 39.

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hinaus sind Zuflüsse aus Hypotheken- oder Förderdarlehen ausgenommen, die als Durchlaufdarlehen weitergereicht werden.44 Daneben gewährt der delegierte Rechtsakt auch Ausnahmen der Kappungsgrenze auf sämtliche Zahlungsmittelzuflüsse für Spezialkreditinstitute. Demnach sind Kreditinstitute, die auf das Leasing- und Factoring spezialisiert sind, komplett von der Kappung der Zahlungsmittelzuflüsse befreit und für Institute mit den Kerngeschäftsfeldern der Finanzierung des Kfz-Erwerbs sowie der Verbraucherkredite gilt eine Obergrenze von 90% anstatt der grundsätzlichen Norm von 75%.45 Aufgrund der bereits ausgeführten Symmetrieannahme der Bankenaufsicht entspricht grundsätzlich der Faktor auf Seiten der Zahlungsmittelabflüsse demjenigen der Zahlungsmittelzuflüsse. Kundengruppe Nicht-Finanzkunden und Finanzkunden So wird für Nicht-Finanzkunden wie Unternehmen, Staaten, öffentliche Stellen und Entwicklungsbanken ein Zuflussfaktor von 50% für fällige Zahlungen unterstellt, worin sowohl eine vertragskonforme Rückzahlung als auch eine Prolongation der Kredite berücksichtigt ist. Falls vertragliche Bestimmungen vorliegen, die einen geringeren Zahlungsmittelzufluss erkennen lassen, wird der Faktor entsprechend adjustiert.46 Demgegenüber wird die Weiterführung der Geschäftsbeziehung unter der Annahme des Liquiditätsstressszenarios bei Finanzkunden von aufsichtlicher Seite nicht angenommen. Daher sind Kreditvergaben z.B. an Banken vollständig anrechenbar und werden mit einem Zuflussfaktor von 100% angesetzt.47 Operative Einlagen Für fällige Zahlungen, die das Schuldnerinstitut, also die Gegenpartei, als operative Einlagen nach Artikel 27 delegierter Rechtsakt festlegt und entsprechende Abflussraten annimmt, wird eine symmetrische Zuflussrate unterstellt.48

44

45 46 47 48

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Vgl. Art. 33 (2) Commission Delegated Regulation sowie Vgl. Art. 425 (1) Capital Requirements Regulation. Vgl. Art. 33 (3)-(5) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 32 (3)(a) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 32 (2)(a) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 32 (3)(d) Commission Delegated Regulation.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Besicherte Kreditvergaben Vertragliche Mittelzuflüsse aus besicherten Kreditvergaben werden in Abhängigkeit der Besicherung durch liquide Aktiva und des entsprechenden Abschlags berücksichtigt.49 Kredit- und Liquiditätsfazilitäten Nicht in Anspruch genommene Kredit- oder Liquiditätsfazilitäten sowie weitere erhaltene Zusagen werden grundsätzlich bei der Berechnung der Zahlungsmittelzuflüsse nach Artikel 32 (3)(g) nicht berücksichtigt. Unter der Voraussetzung stabiler Zuflüsse auch im Rahmen des skizzierten Stressszenarios kann die zuständige Behörde Kreditinstituten einer Gruppe oder eines institutsbezogenen Sicherungssystems eine erhöhte Zuflussrate für Kredit- und Liquiditätsfazilitäten bewilligen. Liegt die Zuflussrate über 40%, so muss im Sinne der Symmetrieannahme des Verordnungsgebers auch die Abflussrate entsprechend nach oben angepasst werden.50 Sonstige Zuflüsse Erwartete Nettozahlungsmittelzuflüsse aus Derivategeschäften in den kommenden 30 Tagen gehen mit 100% in die Berechnung der LCR ein.51 Bei Sicherheitenswaps (Collateral Swaps) mit einer Fälligkeit innerhalb der kommenden 30 Tage wird ein Zufluss in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem Marktwert der verliehenen und geliehenen Aktiva in die LCR Berechnung einbezogen. 52

49 50 51 52

Vgl. Art. 32 (3)(b) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 34 Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 32 (5) Commission Delegated Regulation. Vgl. Art. 32 (3)(e) Commission Delegated Regulation.

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3 Auswirkungen der LCR auf die Kreditinstitute 3.1 Auswirkungsstudie der Deutschen Bundesbank Je nach Geschäftsmodell, Bilanz- bzw. Depot A-Struktur ist die Auswirkung der LCR auf die Geschäftstätigkeit der Institute unterschiedlich. Dies zeigt auch die Studie der Deutschen Bundesbank „Ergebnisse der Basel III-Auswirkungsstudie für deutsche Institute zum Stichtag 31. Dezember 2013“, worin als Kernbotschaft festgehalten wird, dass die Liquiditätskennziffer LCR für die großen Banken im Mittel bei 108,6% (Gruppe 1)53, für die kleineren Institute bei 163,9% (Gruppe 2)54 liegt. Sämtliche Institute der Gruppe 1 (insgesamt acht Institute) erfüllen bereits die Anforderung von mindestens 60%, die ab dem 01.10.2015 gilt. Allerdings werden aggregiert 7,9 Mrd. EUR zusätzliche liquide Aktiva benötigt, um der Anforderung von mindestens 100% ab dem 01.01.2018 zu entsprechen. Von den insgesamt 36 Instituten der Gruppe 2 zeigen drei Institute eine Kennziffer kleiner 60% auf und liegen damit unter der ab 01.10.2015 geltenden Mindestanforderung. Hier sind mindestens 106 Mio. EUR zusätzliche Liquidität erforderlich, so dass die erste Schwelle des Phase-in eingehalten werden kann. Alle Institute dieser Gruppe benötigen insgesamt 2,2 Mrd. EUR zur Erfüllung der 100%-Anforderung im Jahr 2018. 55 Durch die Analysen der Bankenaufsicht wird die Annahme unterlegt, dass die Institute sehr heterogene LCR-Kennziffern aufweisen und bereits seit den ersten Veröffentlichungen des Baseler Ausschusses Steuerungsmaßnahmen im Sinne der neuen Liquiditätskennziffern ergriffen haben. So sind die durchschnittlichen LCR-Kennziffern deutlich angestiegen und gleichzeitig die Lücke an notwendigen Aktiva zur Erfüllung der Mindestanforderungen erheblich zurückgegangen.56 Die Durchschnittswerte der LCR lagen zum Stichtag 30.06.2013 noch bei 99,7% für die Gruppe 1-Institute und bei 129,5% für die Gruppe 2-Institute, der notwendige Aufbau an liquider Aktiva zur Erfüllung der Mindestanforderung ab Januar 2018 betrug 33,6 Mrd. EUR bzw. 10,8 Mrd. EUR.57

53

54

55

56 57

632

International aktive Institute mit einem Kernkapital gemäß Basel II von mindestens 3 Mrd. EUR. Sämtliche Institute, die an der Auswirkungsstudie teilnehmen und nicht den Gruppe 1Instituten zugeordnet wurden. Deutsche Bundesbank (2013b), S. 26 f.; Ergebnisse beruhen auf den im Jahr 2013 vom Baseler Ausschuss veröffentlichten Vorschriften. Deutsche Bundesbank (2013b), S. 28. Deutsche Bundesbank (2013a), S. 28.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

3.2 Anreizwirkungen der LCR im geschäftspolitischen Kontext Die LCR hat einen stark bindenden Charakter für die Kreditinstitute, selbst wenn diese bereits heute die Mindestanforderung erfüllen, denn die Einführung der Kennziffer hat u.a. Einfluss auf die Refinanzierungskosten und die Ertragslage. Die Retail-Einlagen werden als Refinanzierungsquelle für die Kreditinstitute eine weiter steigende Bedeutung einnehmen. Im Rahmen des unterstellten Stressszenarios wird für Privatkunden sowie kleinere und mittlere Unternehmen ein verhältnismäßig geringer Liquiditätsabfluss unterstellt, der bei der Berechnung der LCR zu geringen Abflussraten zwischen 5%58 und 20% führt. Daraus folgt, dass aus einer Verschärfung des Wettbewerbs um Retail-Einlagen tendenziell die Refinanzierungskosten steigen, insbesondere für Kreditinstitute, die ein solides Kundengeschäft betreiben. Auch die Attraktivität von kleinen und mittleren Einlagen wird unter LCR-Gesichtspunkten zunehmen, da Einlagen, die durch die Einlagensicherung (Einlagen bis 100 TEUR) gedeckt sind, einer begünstigten Abflussrate unterliegen. Darüber hinaus werden ungedeckte Bankanleihen durch die Vorgaben des delegierten Rechtsaktes nicht im Liquiditätspuffer der LCR berücksichtigt, was zu einer niedrigeren Nachfrage und damit zusätzlich zu einer Verteuerung der Refinanzierung im Bankensektor führen dürfte.59 Alternativ kann die gedeckte Refinanzierung ausgebaut und damit der Aufschlag für unbesicherte Bankanleihen vermieden werden.60 Dies ist jedoch durch die verfügbare Deckungsmasse der Kreditinstitute begrenzt sowie mit einem erhöhten Aufwand zur Erfüllung der rechtlichen Anforderungen verbunden. Da eine Asset Allokation, die von den Faktoren Ertrag und Risiko im Sinne einer effizienten Verwendung der knappen Ressource Risikokapital bestimmt wird, nun im Zusammenhang mit der LCR betrachtet werden muss, können daraus Ertragsverschlechterungen und Konzentrationsrisiken resultieren. Die Einführung der LCR kann also einen direkten limitierenden Einfluss auf die betriebswirtschaftliche Allokationsentscheidung eines jeden Instituts ausüben. Die deutliche Begrenzung auf die in Kapitel 2.1 beschriebenen liquiden Aktiva sowie die zusätzlichen Beschränkungen hinsichtlich der Fondsauslagerungen werden einen Renditeverlust nach sich ziehen.61

58 59 60 61

Ab 2019 kann die zuständige Behörde zusätzlich eine Abflussrate von 3% genehmigen. Vgl. Goodfellow/Salm (2013), S. 12. Vgl. Heidorn/Schmaltz/Schröter (2011), S. 36. Vgl. Heumüller/Ingerfurth/Hagen (2012), S. 60.

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Ein Kreditinstitut, das im Kundenkreditgeschäft stark engagiert ist und nicht im gleichen Ausmaß Kundeneinlagen einwerben kann, kann durch die LCR dazu gezwungen sein, auch die Kreditvergabe einzuschränken und die Investition in liquide Aktiva gemäß LCR auszuweiten. Damit besteht eine direkte negative Wirkung der Kennziffer auf die Finanzierung der Realwirtschaft. Auch Zusatzerträge der Kreditinstitute durch Wertpapierleihgeschäfte werden weiter eingeschränkt. Zudem kann eine Konzentration der Depot A-Anlagen auf anerkannte Staatsanleihen im Krisenfall zu unerwünschten Marktverwerfungen führen. Die Erfahrungen aus der europäischen Staatsschuldenkrise haben deutlich gezeigt, dass diese Wertpapiere nicht frei von Risiken sind. Letztlich ist die generelle Präferenz von anerkannten Staatsanleihen im Liquiditätsstandard (und den Eigenkapitalregeln) nicht risikogerecht, sondern politisch motiviert. Neben der in den MaRisk BTR 3 (Liquiditätsrisiken)62 geforderten Transparenz über die Einführung von Liquiditätsprämien im Rahmen eines Liquiditätskostenverrechnungssystems und den Liquiditätsrisikokosten, wird die LCR auch einen Einfluss auf die Preisstellung der Kreditinstitute haben. Falls Kundenprodukte beispielsweise zu einem Zahlungsmittelabfluss im Sinne der LCR führen (Einlagen), muss dieser mit liquiden Aktiva gedeckt werden. Das Vorhalten des erforderlichen Liquiditätspuffers für das jeweilige Geschäft verursacht Mindererträge, die – soweit möglich – an den Kunden weitergegeben werden. Erfolgt diese Kostenverrechnung nicht, so hat auch dies eine negative Wirkung auf die Ertragslage der Kreditinstitute und führt zu einer unsachgerechten Aufspaltung der Erfolgsquellen in der Deckungsbeitragsrechnung. Bei einem Blick auf die Zahlungsmittelzuflüsse und deren Auswirkungen auf die Kennziffer der LCR wird deutlich, dass eine stabile LCR auch gleichmäßige Zuflüsse voraussetzt. Demnach werden zukünftig Produkte wie Annuitätendarlehen mit beständigen Zahlungsmittelzuflüssen einem endfälligen Darlehen bei gleicher Ausgestaltung von den Kreditinstituten bevorzugt behandelt, mit entsprechenden Implikationen auf die Kalkulation der Produkte.63 Insgesamt ist zu erwarten, dass die LCR einen ungünstigen Einfluss auf die Rentabilität von Banken hat. Auch wenn man dies von einem Liquiditätsstandard letztlich erwartet, bleibt die spannende Frage, ob der Beitrag der LCR zur Stabilität des Banken- und Finanzsystems ausreichend hoch ist.

62

63

634

Unterteilt in BTR 3.1 (Allgemeine Anforderungen) und BTR 3.2 (Zusätzliche Anforderungen an kapitalmarktorientierte Institute). Vgl. Goodfellow/Salm (2013), S. 12.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

3.3 Steuerungsansätze zur Optimierung der LCR Die LCR ist aufgrund der vielen Einflussfaktoren im Liquiditätspuffer sowie im NettoLiquiditätsabfluss eine volatile Kennziffer, die monatlich an die Bankenaufsicht gemeldet wird. Damit eine Unterschreitung der aufsichtlichen Mindestanforderung resultierend aus den Schwankungen vermieden wird, werden die Kreditinstitute einen zusätzlichen Liquiditätspuffer in der Aussteuerung der Kennzahl berücksichtigen und diesen durch strategische interne Limite garantieren.64 Zur konkreten Steuerung der LCR stehen den Kreditinstituten unterschiedliche Alternativen zur Verfügung, die sich in ihrer Wirkung und Umsetzbarkeit unterscheiden. Eine Steuerungsmaßnahme zur Adjustierung der LCR-Kennziffer, die kurzfristig umsetzbar ist, besteht im (I) Kauf von liquiden Aktiva im Sinne der LCR. Die Maßnahme inklusive Refinanzierung führt jedoch zu einer Bilanzverlängerung und damit zu negativen Auswirkungen auf die Leverage Ratio sowie die Höhe der zu leistenden europäischen Bankenabgabe. Darüber hinaus besteht ein negativer Zusammenhang mit weiteren aufsichtsrechtlichen Kennzahlen wie beispielsweise dem Zinsrisikokoeffizienten. Alternativ kann auch eine (II) Umschichtung im Depot A erfolgen, so dass eine Investitionsentscheidung in liquide Aktiva der Stufe 1 realisiert wird und gleichzeitig Papiere aus dem Bestand veräußert werden, die nach den aufsichtsrechtlichen Vorgaben wenig (wie Unternehmensanleihen) oder gar nicht liquide (wie ungedeckte Bankanleihen) sind. Hierbei wird die Bilanzstruktur angepasst, jedoch keine Bilanzverlängerung mit den oben beschriebenen Folgen vorgenommen. Die Renditeunterschiede zwischen Vermögensgegenständen, die im Liquiditätspuffer der LCR angerechnet werden können und jenen, die nicht in den Katalog der liquiden Aktiva gehören, führen zu Ertragsnachteilen bei den Kreditinstituten. Zur Kompensation potenzieller Ertragseffekte ist teilweise eine Ausweitung des Risikos durch Investitionen in neue Assetklassen, die ein erhöhtes Risikoprofil aufweisen können, zu erwarten. Darüber hinaus können die Banken auch eine (III) Veränderung der angebotenen Produkte vornehmen und damit den Nenner der Kennzahl, also die Netto-Liquiditätsabflüsse, direkt beeinflussen. Da die LCR-Kennzahl auf eine Laufzeit von höchstens 30 Tagen angelegt ist, bleiben nicht gekündigte Einlagen mit einer längeren Laufzeit im Zahlungsmittelabfluss unberücksichtigt und müssen folglich auch nicht mit liquiden Aktiva unterlegt werden. Neben den Privatkundeneinlagen, die eine verhältnismäßig geringe Abflussrate

64

Vgl. Heidorn/Schmaltz/Schröter (2011), S. 36.

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aufweisen, können hier insbesondere auch Einlagen von Unternehmenskunden betrachtet werden. Beispielsweise können Kündigungsfristen von mehr als 30 Tagen in die Produktspezifikationen aufgenommen werden. Auch eine (IV) Anpassung der Refinanzierungsstruktur bzw. -quellen von Einlagen mit hohen Abflussraten wie kurzfristige Interbankeneinlagen in jene Einlagen mit niedrigeren Abflussraten wie z.B. Privatkundeneinlagen führt zu einer Verbesserung der LCR, da die Netto-Liquiditätsabflüsse reduziert werden.65 Bei den beschriebenen Steuerungsmöglichkeiten muss stets die bankindividuelle Situation hinsichtlich der vorhandenen Kappungsgrenzen berücksichtigt werden. Falls ein Kreditinstitut beispielsweise einen zu hohen Bestand an Liquidität der Stufe 2 hat, ist eine Investition bzw. Umschichtung in solche Vermögensgegenstände nicht sinnvoll. Wird hingegen in Level 1-Aktiva investiert, hat dies im gegebenen Beispiel den positiven Zusatzeffekt, dass bei einer Erhöhung der Liquidität der Stufe 1 auch ein entsprechend erhöhter Betrag an Liquidität der Stufe 2 angerechnet werden kann. Die Steuerungsalternativen (I) und (II), die sich auf den Zähler der LCR beziehen, sind für alle Kreditinstitute mit überschaubarem Aufwand und innerhalb einer kurzen Zeitspanne umsetzbar. Die Steuerungsvorschläge (III) und (IV) beziehen sich auf eine Reduktion des Nenners und sind unterschiedlich zu bewerten. Eine leichte Anpassung der vorhandenen Produkte (III) könnte bei den Kunden durchsetzbar sein, allerdings wird diese Maßnahme erst mit einem leichten zeitlichen Verzug greifen, da hierfür eine bankindividuelle Vorbereitung und Umsetzung notwendig ist. Dagegen ist die Steuerungsalternative (IV) am Markt nur sehr schwer zu erreichen, da der Wettbewerb um stabile Einlagen bereits heute intensiv ist und in Zukunft wohl weiter zunehmen wird.66

4 Kritische Würdigung der LCR Die Konstruktion der aufsichtlichen Kennziffer LCR mit der Ableitung von NettoLiquiditätsabflüssen in einem Stressszenario, die durch einen ausreichend großen Liquiditätspuffer gedeckt werden können, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Gleichwohl zeigt die detaillierte Betrachtung der LCR verschiedene Schwächen. So besteht ein Widerspruch zwischen dem ökonomischen Anspruch eines gut diversifizierten Portfolios und den eng gefassten Vorgaben für Vermögensgegenstände zur Anerkennung als liquide Aktiva der Stufe 1 und 2. Obwohl die europäische Kommission durch den delegierten

65 66

636

Vgl. Mitschele/Mössinger (2014), S. 44 f. Vgl. Mitschele/Mössinger (2014), S. 47 f.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

Rechtsakt die Anrechnungsmodalitäten im Vergleich zu den Baseler Vorgaben ausgeweitet hat, ergeben sich starke Einschränkungen auf die betriebswirtschaftliche Asset Allokation der Kreditinstitute. Insbesondere ist eine Kappung der Level 2-Aktiva auf maximal 40% des gesamten Liquiditätspuffers empirisch nicht begründbar. Trotz der strengen Anforderungen an die Qualität der im Liquiditätspuffer anrechenbaren Vermögensgegenstände können Staatsanleihen prinzipiell angerechnet werden, obwohl für diese Papiere teilweise hohe Risiken bestehen. Insgesamt kann die Vorschrift systemische Krisen verstärken, falls Emittenten ausfallen, die im Anrechnungskatalog des Liquiditätspuffers vorteilhaft aufgeführt sind.67 Die Vorgaben für die Netto-Zahlungsabflüsse haben direkte Auswirkungen auf die Produktgestaltung der Kreditinstitute und werden zu Ertragsminderungen führen. Auch die Kappungsgrenze der Zahlungsmittelzuflüsse auf 75% der Zahlungsmittelabflüsse ist empirisch nicht belegt. Die Kreditinstitute werden damit gezwungen, mindestens 25% der Zahlungsmittelabflüsse tatsächlich mit liquiden Aktiva zu unterlegen, was wiederum zu Ertragseinbußen führen wird. Die ursprünglich vom Baseler Ausschuss entwickelten Standards – Basel III – zielen primär auf Liquiditätsvorschriften für international tätige, große Banken mit einem komplexen Geschäftsmodell ab. Bei der europäischen Umsetzung dieser Liquiditätsregeln durch die Einführung der Meldeanforderung im Rahmen der CRR sowie die Spezifizierung der Liquiditätsdeckungsanforderung durch den delegierten Rechtsakt wurden diese auf sämtliche Institute in ganz Europa übertragen. Die damit verbundenen umfangreichen Anpassungen in den IT-Systemen, die deutlich erhöhten Offenlegungspflichten und die zusätzlichen Mitarbeiterressourcen werden zu einem erhöhten Kostendruck im Bankensektor führen und sich besonders belastend für kleine und mittlere Kreditinstitute auswirken.68 Die Anerkennung der Vermögensgegenstände knüpft an weitreichende allgemeine und operative Anforderungen wie die Etablierung einer Liquiditätsmanagementstelle, jährliche Testverkäufe und den Aufbau bankindividueller Strategien zur Diversifizierung der Vermögensgegenstände. Solche Anforderungen sind insbesondere für kleine und mittlere Kreditinstitute mit sehr hohem Aufwand verbunden, teilweise nur schwer einhaltbar und werden zu einer zusätzlichen Kostenbelastung führen. Nutzen und Kosten stehen in einem ungünstigen Verhältnis, bzw. das Prinzip der Proportionalität ist in diesem Punkt nicht eingehalten.

67 68

Vgl. Goodfellow/Salm (2013), S. 12 und Müller (2012), S. 25. Vgl. Heidorn/Schmaltz/Schröter (2011), S. 36.

637

Gerhard Hofmann/Thorsten Schneeloch

Darüber hinaus stellen die LCR-Anforderungen aufgrund der allgemeinen Vorgaben für den Bankensektor keine Hilfe für die Kreditinstitute zur Ermittlung, Steuerung und Bepreisung der Liquiditätsrisikokosten bzw. für das Liquiditätskostenverrechnungssystem dar, die zusätzlich durch die MaRisk69 gefordert werden. Somit muss in den Kreditinstituten zusätzlich auf Basis des bankindividuellen Produkt- und Kundenverhaltens eine MaRisk-konforme Umsetzung der Liquiditätsanforderungen erfolgen. Letztlich sollten die MaRisk mit Blick auf die LCR angepasst werden, um Konsistenz zwischen beiden Regelwerken herzustellen. Dies kann auch dadurch erreicht werden, dass die MaRisk auf entsprechende Regelungen verzichtet.

Literatur Andrae, Silvio/Fiedler, Robert (2013): Liquiditätsregeln korrigiert, in: Betriebswirtschaftliche Blätter/Sparkassenzeitung, abgerufen am 30.10.2014: https://www.sparkassenzeitung.de/liquiditaetsregeln-korrigiert/150/46/28450/. Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2008): Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision (bcbs144), Bank for International Settlements, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2010): Basel III: International Framework for liquidity risk measurement, standards and monitoring (bcbs188), Bank for International Settlements, Basel. Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) (2013): Basel III: The Liquidity Coverage Ratio and liquidity risk monitoring tools (bcbs238), Bank for International Settlements, Basel. Brzenk, Tatsiana/Cluse, Michael/Leonhardt, Anne (2011): Basel III Die neuen Baseler Liquiditätsanforderungen (White Paper No. 37). Commission Delegated Regulation (EU) of 10.10.2014 to supplement Regulation (EU) 575/2013 with regard to liquidity coverage requirement for Credit Institutions (Delegierter Rechtsakt).

69

638

MaRisk BTR 3.

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) – aufsichtliche Kennzahl zur Bewertung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos

European Banking Authority (EBA) (2013a): Report on appropriate uniform definitions of extremely high quality liquid assets (extremely HQLA) and high quality liquid assets (HQLA) and on operational requirements for liquid assets under Article 509(3) and (5) CRR, London. European Banking Authority (EBA) (2013b): Report on impact assessment for liquidity measures under Article 509(1) of the CRR, London. Deutsche Bundesbank (2013a): Ergebnisse des Basel III Monitoring für deutsche Institute, Stichtag 30. Juni 2013. Deutsche Bundesbank (2013b): Ergebnisse des Basel III Monitoring für deutsche Institute, Stichtag 31. Dezember 2013. Goodfellow, Christiane/Salm, Christian (2013): Liquiditätsanforderungen gemäß Basel III, in: Risiko Manager, Ausgabe 23/2013, S. 7-14. Heidorn, Thomas/Schmaltz, Christian/Schröter, Dirk (2011): Auswirkungen der neuen Basel III-Kennzahlen auf die Liquiditätssteuerung: Liquidity Coverage Ratio, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Ausgabe 08/201, S. 397-402. Heumüller, Peter/Ingerfurth, Frank/Hager, Peter (2012): Im Spannungsfeld zwischen Rentabilität und Liquidität, in: die bank, Ausgabe 6/2012, S. 56-60. Mitschele, Andreas/Mössinger, Carina (2014): Mehr Liquidität – mehr Kosten, in: die bank, Ausgabe 2/2014, S. 44-48. Müller, Thomas (2012): Europäische Finanzmarktregulierung – Eine kritische Würdigung der neuen Liquiditätskennziffern, in: Deutsches Institut für Bankwirtschaft – Schriftenreihe, Band 9 (12/2012). NORD/LB Fixed Income Research (2014): Liquidity Coverage Ratio (LCR) – Klassifizierung von Covered Bonds und SSAs. Regulation (EU) No 575/2013 of the European Parliament and of the council of 26 June 2013 on prudential requirements for credit institutions and investment firms and amending Regulation (EU) No 648/2012 (Capital Requirements Regulation – CRR).

639

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR (Net Stable Funding Ratio) Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

1 Einführung 2 Steuerung der NSFR 2.1 Kalibrierung 2014 2.2 Wie profitabel kann Fristentransformation unter der NSFR noch sein? 2.3 NSFR-Einhaltung in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell 2.4 Strategien zur Steuerung des NSFR 2.5 Optimale Strategien 2.6 NSFR-Vorausschau 2.7 Optimaler, NSFR-kompatibler Fundingplan 3 Weiterführende Aspekte Literatur Appendix

641

642

1

Einführung

Im Vorfeld der Finanzkrise hatten Banken (oder ihre Verbriefungsplattformen) illiquide Aktiva zum Teil sehr kurzfristig refinanziert, um von den niedrigen kurzfristigen Refinanzierungskosten zu profitieren. Dieses Finanzierungsprofil birgt ein inhärentes Refinanzierungsrisiko (Roll-Over-Risiko), welches bei nachlassendem Risikoappetit bzw. Vertrauensverlust der Investoren schlagend wird. In einem solchen Falle drohen der Bank empfindlich höhere Refinanzierungskosten bei der verzweifelten Suche nach Alternativen, bei einigen Fällen sogar die Illiquidität (z.B. Northern Rock). Ein solches aggressives Roll-Over-Risiko bedroht nicht nur die Bank, sondern auch ihre (Kredit-)Kunden und damit das wirtschaftliche Wachstum. Dass die selbst gewählten Roll-Over-Risiken der Banken nicht optimal im Sinne der Gesamtwirtschaft waren, ist eine Lehre, die die Bankenaufsicht aus der Finanzkrise gezogen hat. Die Antwort auf diese Erkenntnis ist die Limitierung der Roll-Over-Risiken (Fristentransformation) mit Hilfe eines Net Stable Funding Ratio (im nachfolgenden NSFR). Die NSFR ist eine Form der „Goldenen Bank“-Regel, denn sie fordert, dass langfristige Aktiva durch langfristig verfügbare Passiva refinanziert werden. Unser Aufsatz zeigt, dass speziell die sehr kurzfristige Refinanzierung am Kapitalmarkt nicht mehr möglich sein wird. Ob und welche Fristentransformationen die NSFR noch zulässt, analysieren wir im ersten Abschnitt unseres Beitrages. Im zweiten Abschnitt untersuchen wir, ob bestimmte Geschäftsmodelle besondere Schwierigkeiten mit der Erfüllung der NSFR haben. Für diese Banken stellen wir einen Steuerungsrahmen vor, welcher die kostenminimale Strategie zur NSFR-Einhaltung ermittelt. Neben der Einhaltung zu einem bestimmten Stichtag ist es für alle Banken wichtig, die Kennzahl auch in der Zukunft einzuhalten. Wir diskutieren deshalb, wie eine NSFRVorschau aufgebaut und der optimale Fundingplan ermittelt werden kann. Der optimale Fundingplan zeigt der Treasury, welche Kapital- und Interbankengeschäfte notwendig sind, um die Refinanzierung kostenminimal und NSFR-konform zu gestalten. Im Ausblick diskutieren wir kurz das Zusammenspiel der NSFR mit anderen regulatorischen Vorgaben. Stand September 2014 ist die NSFR auf europäischer Ebene nicht als Minimumstandard implementiert. Es ist geplant, dass die NSFR am 01.01.2018 in Europa als Minimumstandard (Säule 1) bindend wird. Die NSFR ist zwar bereits in der CRR als Minimumstandard vorgesehen, aber es gibt für die Berechnung noch keine Gewichtungen. Auf globaler Ebene ist der NSFR-Kalibrierungsvorschlag vom Baseler Ausschuss im Januar 2014 veröffentlicht worden. Nach Sichtung der Kommentare wird mit der finalen Version zum Ende des Jahres 2014 bzw. Anfang 2015 gerechnet. Auf der europäischen Ebene ist die EBA mandatiert, basierend auf dem Basler Vorschlag bis Ende 2015 eine Auswirkungsstudie durchzuführen, welche die Konsequenzen für Kreditvergabe und Wachstum bei einer NSFR-Einführung untersucht. Basierend auf dieser Analyse wird die EBA die finalen Gewichte festlegen. Wenn keine negativen Auswirkungen gesehen werden, wird die europäische NSFR vermutlich mit der Basler NSFR identisch sein. Obwohl die

643

Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

europäischen Banken noch keine EBA-NSFR berechnen können, sind sie über die CRR unter den COREP-Reportingrahmen seit 31.03.2014 bereits verpflichtet, die NSFR-Komponenten im vierteljährlichen Rhythmus an die Aufsicht zu melden. Die Aufsicht kann diese Daten zur Komplettierung der Auswirkungsstudie benutzen, um verschiedene Kalibrierungsoptionen zu testen. Die in unserem Artikel benutzten Gewichtungen entsprechen denen der Basel 2014-NSFR des Konsultationspapiers. Nachfolgend diskutieren wir die Mechanik und Auswirkungen der NSFR auf die Einzelbank.

2 Steuerung der NSFR 2.1 Kalibrierung 2014 Abbildung 1 fasst die Gewichtungen der wichtigsten Bilanzpositionen in der 2014er NSFR zusammen. Abbildung 1: Gewichtung der wichtigsten Bilanzpositionen in der NSFR 2014

Die NSFR-Gewichte sind einerseits abhängig von der Art der Bilanzposition und andererseits meist von deren Restlaufzeit: Kredite an Banken erfordern 100% stabile Refinanzierung, wenn sie noch über ein Jahr laufen, 50%, wenn sie noch mindestens 6 Monate und maximal 12 Monate laufen und 0% bei einer Restlaufzeit von weniger als 6 Monaten.

644

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

Das 0%-Gewicht bei Fälligkeit bedeutet, dass das NSFR-Szenario von der kompletten Rückzahlung bei Fälligkeit ausgeht. Wenn es sich um zweckgebundene Einlagen bei anderen Banken handelt (sogenannte operationalen Einlagen), liegt der Anrechnungssatz pauschal bei 50%. Kredite an Nichtbanken erfordern überjährig 85% stabile Refinanzierung. Bei Fälligkeit wird von einer 50%-igen Prolongation ausgegangen. Bei besonders risikoarmen Krediten mit einem Gewicht von maximal 35% im Kreditrisikostandardansatz (KSA), müssen überjährig nur 65% (statt der 85%) stabil refinanziert werden. Zentralbankguthaben und Barreserven können kurzfristig refinanziert werden. Handelbare Positionen haben – unabhängig davon, ob es sich um kurz- oder langfristige Papiere handelt – Gewichtungsfaktoren zwischen 5% (LCR-L1-Papiere, d.h. erstklassige Papiere der Liquiditätsreserve) und 85% (z.B. Gold). Diese Gewichtungsfaktoren wirken wie Haircuts (Sicherheitsabschläge auf das Nominalvolumen) in den internen Liquiditätsmodellen, die auch dort langfristig refinanziert werden müssen. Die interne Kalibrierung der Haircuts kann sich jedoch von der regulatorisch vorgegebenen deutlich unterscheiden. Auf der Passivseite liefern Kapital und alle überjährigen Positionen 100% stabile Refinanzierung. Darüber hinaus werden Einlagen von Privatkunden und von Mittelstandskunden als hoch stabil angesehen. Wenn die betreffende Bank die Hausbank für den Kunden ist, wird von einem Bodensatz von 95% ausgegangen. Anderenfalls wird von einem leicht reduzierten Satz von 90% ausgegangen. Dies umfasst alle unterjährigen Einlagen dieser Kundengruppen, also auch Tagesgelder. Übrige Einlagen von Nichtbanken haben im letzten Laufzeitjahr einen Bodensatz von 50%, d.h. hier wird von einer Prolongationsquote von 50% ausgegangen. Bei Einlagen von Finanzunternehmen wird der konservativste Fall, der vollständige Abzug, angenommen. Für die NSFR lässt sich festhalten, dass Kapitalmarkteinlagen die instabilsten, Retaileinlagen dagegen die stabilsten Einlagen darstellen. Die Gewichte variieren mit dem Geschäftssegment, sind aber innerhalb des gleichen Segmentes symmetrisch für Aktiva und Passiva. Die NSFR ist aber nicht notwendigerweise erfüllt, wenn die Laufzeiten von Aktiva und Passiva identisch sind. Sie müssen zusätzlich aus dem gleichen Segment stammen. Bei einem einjährigen Kredit an einen Privatkunden, der mit einer ebenfalls einjährigen Kapitalmarkteinlage refinanziert wird, ist die NSFR in den letzten 6 Monaten nicht erfüllt. Der Kredit benötigt in den letzten 6 Monaten noch 50% stabile Refinanzierung, wogegen die Kapitalmarkteinlage nur 0% stabile Refinanzierung liefert. Die NSFR ist also eine dynamische Kennzahl, die im „going concern“ nur dann erfüllt ist, wenn die Prolongationsquoten (d.h. gleiches Segment) zwischen Aktiva und Passiva gleich sind. Gleiche Laufzeiten erfüllen die NSFR nicht automatisch. Weiterhin ändert sich die NSFR selbst bei konstanter Bilanz, wenn Positionen vom überjährigen in das unterjährige Zeitfenster wechseln, oder bei Kapitalmarktpositionen auch vom „über 6M“-Fenster in das „unter 6M“-Fenster migrieren. Dieser inhärenten Instabilität kann mit einer geeigneten NSFR-Prognose vorgebeugt werden, welche wir detailliert im Abschnitt 2.6 erläutern.

645

Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

2.2 Wie profitabel kann Fristentransformation unter der NSFR noch sein? Die NSFR schränkt die Fristentransformation ein. Aber wie stark? Ist unter der NSFR Fristentransformation überhaupt noch möglich? Und wie viel Fristentransformationseinkommen könnte die Bank in diesen Fällen noch erzielen? Die maximale Fristentransformation (und das maximale Roll-over-Risiko) erzielt man, indem langfristige Kredite (z.B. 10 Jahre) sehr kurzfristig (z.B. mit rollierenden Tagesgeldern/Overnight-Geldern) refinanziert werden. Die Möglichkeiten, die sich dafür unter der NSFR-2014 bieten, fasst Abbildung 2 für unterschiedliche Geschäftsmodelle zusammen. Abbildung 2: Beispiele maximaler NSFR-kompatibler Fristentransformationen

Als Beispiel wählen wir die Refinanzierung eines mit 10-Jahreskrediten von Privat- und Mittelstandskunden rollierendes Portfolio. Unsere Beispielbank hat keine Ambitionen zu wachsen, sondern ersetzt vielmehr auslaufende Kredite durch neue 10-Jahreskredite. Die Laufzeiten sind gleichmäßig verteilt, so dass jedes Jahr 10% des Portfolios fällig werden. Das Portfolio besteht also aus 10% 10-jährigen, 10% 9-jährigen, –, 10% 1-jährigen Krediten. Der (konstante) Bedarf an stabiler Refinanzierung beträgt damit 81.50%. Diese Aktivseite soll jetzt mit maximaler Fristentransformation (d.h. mit Tagesgeldern), aber

646

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

unter Einhaltung der NSFR refinanziert werden. Tagesgelder können aus den Segmenten „Privatkunden“, „Firmenkunden“ oder „Institutionelle Kunden“ (Banken, Versicherungen, Fonds) stammen. Diese drei Fälle sind in Abbildung 2 untereinander dargestellt, beginnend mit den Tagesgeldern von Privatkunden. Für diesen Fall geht die NSFR von einem Bodensatz von 90% für Nichthausbankkunden aus, welcher für Hausbankkunden noch auf 95% ansteigt. Damit ist offensichtlich, dass unsere Beispielbank ihr gesamtes Kreditportfolio mit Tagesgeldern von Privatkunden refinanzieren kann. Diese Aussage kann noch verallgemeinert werden: Alle Kredite an die Realwirtschaft (Privatkunden, Firmenkunden, Öffentliche Hand) mit beliebig langer Laufzeit können NSFR-kompatibel mit Tagesgeldern von Retailkunden refinanziert werden. Diese hohe NSFR-Werthaltigkeit der Privatkundeneinlagen dürfte dem Geschäftsmodell der Direktbanken entgegenkommen, für die Retail-Tagesgelder ein Kernprodukt sind. Für Tagesgelder von Firmenkunden nimmt die NSFR einen Bodensatz von 50% an. Daraus folgt, dass die Aktivseite unserer Beispielbank die notwendige 81.50% stabile Refinanzierung nicht nur aus Firmenkundentagesgeldern refinanzieren kann. Wir nehmen hier an, dass der fehlende ASF-Betrag durch ein rollierendes Portfolio mit 5-Jahresemissionen realisiert wird. Rollierende 5-Jahresemissionen liefern konstante 85% stabile Refinanzierung (siehe Fußnote 2 in Abbildung 2). Um die von der Aktivseite geforderten 81.50% RSF zu erreichen, kann die Bank maximal 10% der Refinanzierung durch Firmenkundentagesgelder darstellen. Die verbleibenden 90% würden durch das rollierende Kapitalmarktportfolio erreicht. Ohne NSFR hätte die Bank 100% durch Firmenkundentagesgelder refinanzieren können. Als dritte Alternative in Abbildung 2 könnten auch Tagesgelder/“Commercial papers“ von institutionellen Einlegern eingeworben werden. Die NSFR geht hier aber von 0% Bodensatz aus. Um den Bedarf der Aktivseite von 81.50% RSF zu decken, können nur 4% durch institutionelle Tagesgelder refinanziert werden. 96% der Passivseite müssten in unserem Beispiel durch das Fünf-Jahres rollierende Kapitalmarktportfolio abgedeckt werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Fristentransformation für Banken mit Retailrefinanzierung durch die NSFR kaum verändert wird. Die NSFR schränkt aber die Refinanzierung mit Tagesgeldern von Firmenkunden und besonders nachhaltig mit denen von institutionellen Einlegern ein. Retailtagesgelder sind regulatorisch wertvoll, wogegen institutionelle Tagesgelder regulatorisch teuer werden. Bodensätze von institutionellen Einlegern, die laut internem Modell durchaus vorhanden sein können, können zur Kreditvergabe an die Realwirtschaft eingesetzt werden, aber nur unter Inkaufnahme einer deutlich verschlechterten NSFR. Die Fristentransformation ist nicht nur Risiko-, sondern auch eine wichtige Ertragsquelle für Banken. Dieser Strukturbeitrag resultiert aus der Differenz zwischen den meist höheren langfristigen Kapitalmarktzinsen im Vergleich zu den kurzfristigen (Marktzinsmethode). Lang- und kurzfristig wird in der NSFR durch die Kapitalbindung bestimmt,

647

Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

jedoch nicht durch die Zinsbindung. Kapital- und Zinsbindung sind bei festverzinslichen Positionen identisch. Bei variabel verzinslichen Positionen ist die Zinsbindung deutlich kürzer als die Kapitalbindung. Die Bank kann also unterschiedliche Fristentransformation für die Kapitalbindung (sogenannte Liquiditätsfristentransformation) einerseits und für die Zinsbindung andererseits realisieren. Die Fristentransformation wirkt sich einerseits auf die Zinsdifferenz aus, aber auch der Fundingspread (Aufschlag auf den Zins für das Ausfallrisiko der Bank) liegt im Regelfall bei kurzen Laufzeiten deutlich niedriger als bei längeren. Die Kostenkomponente für die Kapitalbindung ist daher der Fundingspread, die Komponente für die Zinsbindung aber der Zinsswapsatz. Der Ertrag aus der Liquiditätsfristentransformation ist die Differenz auf der Fundingspreadkurve, der Ertrag aus der Zinsfristentransformation ist die Differenz unterschiedlicher Laufzeiten auf der Swapkurve. Welche Auswirkungen die NSFRBeschränkungen auf den Ertrag aus der Liquiditätsfristentransformation haben, müssen wir also mit Hilfe der Fundingspreadkurve messen. Am besten kann der Fundingspread durch den CDS (Credit Default Swap) approximiert werden, da die CDS-Ausfallprämie den größten Anteil am Fundingspread hat. Für unsere allgemeine Untersuchung bietet es sich an, den Sektor zu betrachten. Wir verwenden deshalb den iTRAXX-financials (senior) CDS-index als Proxy für den Fundingspread. Die iTRAXX-Kurve per 5.9.2014 sowie eine lineare Interpolation ist in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: iTRAXX-Kurve als Approximation der Fundingkosten

648

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

Die Fundingkosten [in Basispunkten] lassen sich durch die Linie s[T] = 26 + 7.02 * T gut approximieren. Der Fundingspread für Tagesgelder [T=0] wäre 26 bps, der Fundingspread für 10Y wäre 96 bps. Würde ein 10-jähriger Kredit durch Tagesgelder refinanziert, würde das Fristentransformationseinkommen in diesem Beispiel 70 bps betragen. Während die 96 bps für einen 10-jährigen Kredit von der Auszahlung bis zur Fälligkeit gelten, könnten sich die Fundingkurve und damit der Spread für das Tagesgeld täglich verändern. Man sollte bei dieser Analyse immer berücksichtigen, dass das Fristentransformationseinkommen gegen Tagesgelder immer nur für einen Tag gilt. Das Fristentransformationseinkommen kann deshalb auch als Risikoprämie für die unsichere Konditionierung des Anschlussgeschäftes interpretiert werden. Die Refinanzierungskosten für ein mit T Jahren rollierendes Portfolio berechnen sich wie folgt: s

T – rollierend

T

=

1

T

1

1

 --T- ⋅ s [ t ] =  --T- ⋅ [ s0 + Δ ⋅ t ] = --T- ⋅ t=1

t=1

T

T ⋅ s0 + Δ ⋅  t t=1

1 T ⋅ (T + 1) = --- ⋅ T ⋅ s 0 + ------------------------T 2 T+1 = s 0 + Δ ⋅ -----------2

Für den Fundingspread (s) des 10Y-rollierenden Aktivgeschäftes ergeben sich 64.5 bps [= 26 + 7 * (10+1)/2]. Für die 5Y-rollierende Refinanzierung auf dem Kapitalmarkt erhält man 47 bps [= 26 + 7 * (5+1)/2]. Die Kostenkomponenten für Tagesgelder werden nicht aufgrund ihrer vertraglichen Laufzeit, sondern aufgrund ihrer ökonomischen Laufzeit (Bodensätze) auf Basis eines internen Liquiditätsmodells, bestimmt. Wir nehmen für die Tagesgelder folgende interne Modellierung an:

649

Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

Tabelle 1: Angenommene interne Modellierung der Tagesgelder Laufzeit t

Tagesgelder

Fundingspread [t]

Privatkunden

Firmenkunden

Institutionelle Einleger

ON

10%

40%

100%

1

30%

30%

33

2

30%

30%

40

3

30%

26

47

4

54

5

61

Spread

39

32

26

Der Bodensatz ist der Anteil der Einlagen, welcher regelmäßig über die vertragliche Laufzeit hinaus verfügbar ist. Die vertragliche Laufzeit von Tagesgeldern ist „Overnight“ (ON). Bei Privatkundeneinlagen geht die Bank von 90%, bei Firmenkundeneinlagen von 40% und bei Institutionellen Einlagen von 0% Bodensatz aus. Der Bodensatz selbst ist aber auch keine homogene Gruppe, sondern unterteilt sich noch einmal in „Sub“-Bodensätze. Diese werden als stabil angenommen und einer erwarteten Laufzeit zugewiesen. In unserem Beispiel werden bei den Privatkundeneinlagen drei gleich große Bodensätze mit Laufzeiten von 1 Jahr, 2 Jahren und 3 Jahren gebildet. Jeder Bodensatz hat in Abhängigkeit von der Laufzeit (T) einen Spread (gemäß 26 + 7 * T). Der Spread des Tagesgeldes ergit sich dann als gewichteter Durchschnitt der Einzelspreads. Für die Privatkundeneinlagen erhält man 39 bps, für die Firmenkundeneinlagen 32 bps und für die institutionellen Einlagen 26 bps. Für die Refinanzierung mit Retailtagesgeldern ergibt sich gemäß Abbildung 4 ein NSFRkompatibler Liquiditätsstrukturbeitrag (Transformationseinkomen) von 25.5 bps (= 64.5 – 39). Weil die NSFR bei der Privatkundenbank nicht bindend ist, wäre das auch das Einkommen ohne NSFR. Wenn das Kreditportfolio mit Firmenkunden-Tagesgeldern refinanziert wird, beläuft sich der Liquiditätsstrukturbeitrag auf 19 bps. Obwohl die Refinanzierungskosten der Firmenkunden-Tagesgelder nur 32 bps betragen und damit 7 bps preiswerter sind als die Privatkundeneinlagen, greift hier die NSFR als beschränkende Größe. Es müssen 90% durch rollierende, längerfristige Emissionen refinanziert werden (siehe Abbildung 4), welche einen empfindlich höheren Refinanzierungsatz von 47 bps haben. Ohne NSFR-Beschränkung, d. h. bei 100%-iger Refinanzierung durch Firmenkundentagesgelder, beliefe sich das Transformationseinkommen auf 32.5 bps. Hier übersetzt sich also die NSFR-Restriktion in eine 40%-ige Verringerung des Transformationseinkommens. Wenn das Kreditportfolio kurzfristig am Kapitalmarkt refinanziert würde, beliefe sich der Liquiditätsstrukturbeitrag auf 18.3 bps (siehe Abbildung 4).

650

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

Grundsätzlich haben institutionelle Tagesgelder die geringsten Liquiditätskosten, aber durch die NSFR darf davon nur zu 4% Gebrauch gemacht werden und der Rest muss rollierend längerfristig refinanziert werden. Ohne NSFR-Beschränkung beliefe sich das Transformationseinkommen auf 38.5 bps. Durch die NSFR wird es also mehr als halbiert. Abbildung 4: Fristentransformationseinkommen: mit und ohne NSFR

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die NSFR besonders die Fristentransformation über den Kapitalmarkt einschränkt. Banken, die in der Vergangenheit langfristige Assets sehr kurzfristig am Kapitalmarkt refinanziert haben, können hier nur moderatere Transformationen realisieren. Dies führt zu einem signifikanten Rückgang des Liquiditätsstrukturbeitrages (in unserem Beispiel um mehr als die Hälfte). Weil die NSFR für retail-finanzierte Banken keine Restriktion darstellt, hat die NSFR hier auch keine Auswirkungen auf die Profitabilität. Es sei angemerkt, dass die Wahl von einem 5 Jahre rollierendem Portfolio zur Ergänzung der institutionellen Tagesgelder nicht unbedingt optimal ist. Je nach Anstieg der Kurve, könnten auch rollierende 6- oder 4-Jahres-Portfolien geeignet sein. Für unsere Konstellation fasst Abbildung 5 die möglichen rollierenden Portfolien und korrespondierenden Transformationseinkommen zusammen.

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Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

Abbildung 5: Refinanzierungsstruktur und Transformationseinkommen für Bank mit Institutionellen Tagesgeldern

Die Bank muss aufgrund der NSFR ihre institutionellen Tagesgelder mit einem Portfolio von rollierenden längerfristigen Emissionen ergänzen. Abbildung 5 zeigt, dass das Portfolio mindestens aus 5-jährigen Emissionen bestehen muss: ein rollierendes Portfolio von 4-jährigen Emissionen würde nicht genug ASF erzeugen, um überhaupt institutionelle Tagesgelder annehmen zu können. Bei 5-jährigen Emissionen konnten 4% institutionelle Tagesgelder zur Refinanzierung des Aktivportfolios verwendet werden. Das Transformationseinkommen resultierte in 18 bps (rechte Achse in Abbildung 5). Diese Konstellation ist in Abbildung 5 mit den 2 Punkten hervorgehoben. Wenn man als rollierendes Portfolio statt 5-jährige, 6-jährige Emissionen (mit einem höheren ASF-Faktor, aber auch mit einem höheren Fundingspread: von 51 bps verglichen mit dem 47 bps der 5-jährigen Emissionen) nutzt, können etwas mehr Tagesgelder mit einem niedrigeren Fundingspread angenommen werden (6.8%). Die Reduzierung des Fundingspreads bei der Tagesgeldposition wird überkompensiert durch die Erhöhung des Fundingspreads von 5- auf 6-jährige Emissionen, welches im Endeffekt das Transformationseinkommen von 18 bps auf 16 bps reduziert. Abbildung 5 zeigt deutlich, dass es am effizientesten ist, gar keine Tagesgelder hereinzunehmen und zu versuchen, die Laufzeit des rollierenden Portfolios zu minimieren. Wenn man das Aktivportfolio ohne Tagesgelder, dafür aber mit einem rollierenden 4-jährigen Portfolio refinanziert, kostet Letzteres nur 36.7 bps Fundingspread. Das resultierende Transformationseinkommen beläuft sich auf 28 bps. Ob es sinnvoller ist, Tagesgelder oder längere Refinanzierungen einzusetzen, hängt letztlich davon ab, ob die marginale Ersparnis in den Fundingkosten des Tagesgeldes die durch die NSFR-induzierten höheren Fundingkosten im komplementären rollierenden Portfolio überkompensieren. Das ist nur bei einer sehr steilen Spreadkurve der Fall. In Zeiten

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Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

steiler Spreadkurven (bei viel Nervosität im Markt), werden Banken eher institutionelle Tagesgelder aufnehmen als rollierende langfristige Portfolien. In ruhigen Märkten mit flachen Spreadkurven, werden Banken institutionelle Tagesgelder eher ablehnen, weil die NSFR-Opportunitätskosten durch die Kostenersparnis nicht kompensiert werden. Die gestiegene Werthaltigkeit von Privatkundeneinlagen dokumentiert ebenfalls Abbildung 6. Vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers waren Privatkundeneinlagen stets niedriger verzinst als Interbankeneinlagen. Damit realisierten Banken eine positive Marge. Nach dem 30.09.2008 ist allerdings zu beobachten, dass die Interbankenzinsen stärker gefallen sind als die Privatkundenzinsen. In diesem Szenario wäre es für Banken sinnvoller, Privatkundeneinlagen durch Interbankeneinlagen zu ersetzen. Weil aber Interbankeneinlagen regulatorisch teuer sind, müssen Banken, die die NSFR z.B. nicht einhalten, eher auf teure Privatkundeneinlagen zurückgreifen. Man sollte allerdings beachten, dass der Vergleich in Abbildung 6 auf dem Konditions- und nicht auf dem Strukturbeitrag basiert. In diesem Abschnitt haben wir die NSFR-Mechanik anhand vereinfachter Beispiele diskutiert. Wenn die NSFR-Gewichte segmentabhängig sind und sich die Geschäftsmodelle der Banken durch unterschiedliche Segmente definieren, dann könnte man vermuten, dass die NSFR eine hohe Hürde für einige Geschäftsmodelle und eine niedrige Hürde für andere Geschäftsmodelle darstellt. Dieser Frage gehen wir im nächsten Abschnitt nach. Abbildung 6: Verzinsung von Privatkundeneinlagen und Interbankeneinlagen

Quelle: Deutsche Bundesbank

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Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

2.3 NSFR-Einhaltung in Abhängigkeit vom Geschäftsmodell Um die Auswirkungen der NSFR auf den deutschen Bankensektor abzuschätzen, nutzen wir die Bilanzpositionen der Bankengruppen „Realwirtschaftliche Kreditinstitute“ (Hypothekenbanken), Großbanken, Landesbanken, Regionalbanken, Sparkassen und genossenschaftliche Institute) aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom August 2014. Die Bilanzdaten beziehen sich auf den Stichtag Juni 2014. Abbildung 7 fasst die Bilanzstruktur, die verwendeten NSFR-Gewichte (in der Legende) und die resultierende NSFR für die einzelnen Bankengruppen zusammen. Sparkassen und VR-Banken verfügen über hohe Einlagen von Privatkunden, die mit 90% ASF-Gewicht größer sind als die Mehrheit der Aktivapositionen. Daraus resultiert eine NSFR von über 100%. Regionalbanken verfügen zwar über keine so großen Spareinlagen, dafür aber über einen beträchtlichen Anteil an Sichteinlagen von Nichtbanken. Diese mit 60% gewichtete Position trägt maßgeblich zur hohen stabilen Refinanzierung und der erfüllten NSFR von 100% bei. Landesbanken und Großbanken haben weder Spareinlagen, noch hohe Bestände an Nichtbanken-Sichteinlagen. Dafür haben sie einen relativ hohen Anteil an Interbankenrefinanzierung, welches aber kein stabiles Funding darstellt. Daraus folgen NSFRs von 98% (Landesbanken) bzw. 94% (Großbanken). Die Großbanken haben einen relativ hohen Anteil an Derivaten, welcher in den Positionen „Sonstige Aktiva“ (bei positivem Marktwert) bzw. „Sonstige Passiva“ (bei negativem Marktwert) zusammengefasst ist. Passivderivate liefern 0% stabiles Funding, Aktivderivate benötigen 100% stabiles Funding, allerdings nur auf den Nettobetrag (wenn positiv), d. h. den Aktivmarktwert um den Passivmarktwert reduziert. Schließlich haben die realwirtschaftlichen Kreditinstitute (Hypothekenbanken) erwartungsgemäß eine niedrige NSFR: Die NSFR „bestraft“ segmentübergreifende Geschäftsmodelle. Das Geschäftsmodell der Hypothekenbanken ist ein Beispiel dafür: Sie refinanzieren sich (gedeckt) am Kapitalmarkt (niedrige ASF-Faktoren) und investieren diese Mittel in Hypotheken an Privatkunden. Den Hypothekenbanken wird mit dem reduzieren RSF-Gewicht von 65% für Erstranghypotheken (statt den regulären 85%) zwar entgegengekommen, aber dieses Privileg dürfte nicht den Effekt durch das Kapitalmarktfunding überkompensieren.

654

Refinanzierung und Fristentransformation mit NSFR

Abbildung 7: NSFR-Schätzungen nach Geschäftsmodellen

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Thomas Heidorn/Christian Schmaltz

2.4 Strategien zur Steuerung des NSFR Welche Strategien kann eine Bank zur Erfüllung des NSFR einsetzen? Es gibt grundsätzlich nur 4 Möglichkeiten: (I) Bilanzverkürzung, (II) Passivtausch, (III) Bilanzverlängerung und (IV) Aktivtausch. Diese Möglichkeiten werden schematisch in Abbildung 8 verdeutlicht. Dort sind die Möglichkeiten zur Bilanzverkürzung in der oberen linken, die des Passivtausches in der unteren linken, die der Bilanzverlängerung in der unteren rechten und die des Aktivtauschs in der oberen rechten Matrix dargestellt. Für unser Beispiel wählen wir als Entscheidungsvariablen die folgenden Aktiv- und Passivpositionen (siehe Tabelle 2): Tabelle 2: Entscheidungsvariablen zur Verbesserung der NSFR Aktivpositionen

Passivpositionen

A1: Barreserve (RSF = 0%)

P1. Einlagen von institutionellen Kunden,